Handbuch der deutschen Literatur für die oberen Klassen höherer Lehranstalten: Eine nach den Gattungen geordnete Sammlung poetischer und prosaischer Musterstücke nebst einem Abriss der Metrik, Poetik, Rhetorik und Literaturgeschichte [Reprint 2019 ed.] 9783111459134, 9783111091884


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German Pages 853 [856] Year 1879

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Table of contents :
Vorrede zur ersten Auflage
Aus der Vorrede zur zweiten Auflage
Vorrede zur dritten Auflage
Inhalt
Einleitung
A. Poesie
I. Die epische Dichtung
II. Die lyrische Dichtung
III. Die dramatische Dichtung
B. Prosa
I. Ire Historische Prosa
II. Die wissenschaftliche Prosa
III. Die oratorische Prosa
Anhang Briefe
Sprachproben
Verzeichnis der Verfasser
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Handbuch der deutschen Literatur für die oberen Klassen höherer Lehranstalten: Eine nach den Gattungen geordnete Sammlung poetischer und prosaischer Musterstücke nebst einem Abriss der Metrik, Poetik, Rhetorik und Literaturgeschichte [Reprint 2019 ed.]
 9783111459134, 9783111091884

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Handbuch der

deutschen Literatur für

die oberen Klassen höherer Lehranstalten.

Eine nach den Gattungen geordnete Sammlung poetischer und prosaischer Musterstücke nebst einem Abriß der Metrik, Poetik, Rhetorik und Literaturgeschichte.

Don

Dielitz «nl> Heinrichs. Dritte Auflage, besorgt von

Dr. I. E. Heinrichs, Professor.

Berlin. Truck und Verlag von G. Reimer.

1879.

Vorrede zur er ft en Auflage. Bei der Bearbeitung des vorliegenden Handbuchs der deutschen Literatur ist es unser Bestreben gewesen, das erforderliche Material für den gesammten deutschen Unterricht in den oberen Klaffen höherer Lehranstalten zu liefern und in dieser

Beziehung namentlich denjenigen Anforderungen zu genügen, welche in dem den deutschen Unterricht auf den preußischen Gymnasien betreffenden Ministerial-Reskript

vom 13. Dezember 1862 und in den erläuternden Bemerkungen zu der Unterrichts­

und Prüfungsordnung der Real- und der höheren Bürgerschulen vom 6. Oktober 1859 gestellt werden.

Demnach haben wir als Einleitung zuerst einen Abriß der

Metrik, Poetik, Rhetorik und Literaturgeschichte gegeben und auf diesen mehr als fünfhundert poetische und prosaische Musterstücke folgen lassen, welche als Beispiel­

sammlung für die Poetik und Literaturgeschichte und gleichzeitig als Stoff zu

Übungen im Lesen und im Vortrage, zum Theil auch als Vorbilder für stilistische Arbeiten dienen sollen.

Wir haben diese Musterstücke nach den Gattungen der

Literatur geordnet und jedem Abschnitte eine kurze Charakteristik der betreffenden

Gattung vorangesetzt.

Diese Einleitungen sind in der Weise abgesaßt worden,

daß sie dem Lehrer nur als Leitfaden für den Vortrag und als Grundlage für

die mit den Schülern anzustellenden Erörterungen dienen sollen, während die weitere Ausführung und die Begründung der mündlichen Erklärung vorbehalten bleiben.

Aus diesem Grunde sind z. B. in der Metrik nur die gebräuchlicheren

Versmaße und die im Deutschen häufig angewandten Odenstrophen angeführt

worden, während wir uns in dem Abrisse der Literaturgeschichte daraus beschränkt

haben, eine übersichtliche Darstellung des Entwickelungsganges unserer National-

Literatur zu geben und die Bedeutung, welche die ausgewählten Lesestücke für

denselben haben, kurz nachzuweisen.

In Betreff der Zweckmäßigkeit derartiger

Vorrede.

IV

Mustersammlungen bemerken wir, daß durch sie keineswegs die Lektüre vollstän­ diger klassischer Werke ausgeschlossen werden soll, daß sie aber das einzige Mittel

sind, die Jugend mit den Schätzen unserer epischen und lyrischen Poesie in um­

fassender Weise bekannt zu machen, während sie zugleich den großen Vortheil ge­ währen, daß der Lehrer die Proben, Beispiele und Muster, die er bei seinem

Vortrage über die Literaturgeschichte mitzutheilen für nöthig findet, nicht selbst vorzulesen braucht, sondern von den Schülern lesen lassen kann, wodurch nicht allein das Verständnis derselben, sondern gleichzeitig auch die namentlich in den

oberen Klassen sehr vernachlässigte Fertigkeit im schönen und sinngemäßen Lesen gefördert wird.

Was aber die von uns getroffene Auswahl betrifft, so sind wir

bemüht gewesen, aus allen Gebieten der Literatur dasjenige auszuwählen, was den wissenschaftlichen Sinn der Jugend zu fördern, ihren Charakter zu bilden und sie für das Gute, Wahre und Schöne zu begeistern geeignet ist.

Grundsätze sind wir nur in den Fällen abgewichen,

Von diesem

wo die Rücksicht auf die

Literaturgeschichte uns auch zur Aufnahme solcher Stücke bewogen hat, die jetzt

vor einer strengen ästhetischen Kritik nicht mehr bestehen können.

Wie auf dem

Gebiete der Poesie der epischen Dichtung, so ist aus dem der Prosa der historischen Darstellung mit Rücksicht auf die in der Jugend vorherrschende Neigung für das Thatsächliche ein größerer Umfang eingeräumt worden.

Dagegen sind die dem

Drama entnommenen Proben aus ein geringes Maß beschränkt worden, weil der Charakter der dramatischen Werke das Abtrennen einzelner Theile nicht wohl ge­

stattet.

Lieder, welche in weitverbreiteten Liederbüchern oder im Gesangbuche Auf­

nahme gefunden haben, haben wir von unserer Sammlung ausgeschlossen, wäh­ rend bei der Auswahl der prosaischen Lesestücke aus die von den Schülern zu

bearbeitenden Aufsätze besondere Rücksicht genommen worden ist.

In einzelnen

Fällen haben wir der Raumersparnis wegen oder aus pädagogischen Rücksichten eine Kürzung der ausgewählten Stücke vorgenommen; doch haben wir uns wesent­ liche Änderungen nur äußerst selten erlaubt.

Dagegen haben wir die Ortho­

graphie überall aus die gegenwärtig herrschende Schreibweise zurückgeführt.

Die

Aufnahme einiger mittelhochdeutscher Lesestücke, die wir im Anhänge zusammen­

gestellt haben, rechtfertigt sich durch das gegenwärtig allgemein hervortretende

Streben unseres Volkes, mit seinem ursprünglichen Wesen und Geiste sich näher bekannt zu machen, und durch die wiederholentlich kundgegebenen Forderungen

angesehener und erfahrener Schulmänner nach Ausnahme des Mittelhochdeutschen in den Lehrplan der höheren Lehranstalten.

Doch glaubten wir die Mittheilung

solcher Proben auf das geringste Maß zurückführen zu müssen, da zu einer ein­

gehenderen Beschäftigung mit dem Mittelhochdeutschen auf unseren Schulen schwer-

lich die nöthige Zeit zu beschaffen sein wird.

Durch die Auswahl solcher Stücke,

welche vorher bereits in der Übersetzung mitgetheilt worden sind, ist die Hinzu­ fügung eines Glossariums überflüssig geworden.

Wenn unser Handbuch auch nicht als der zweite Theil des im vorigen Jahre in demselben Verlage von uns herausgegebenen

snunmehr bereits in 4. Auflage

bei G. Reimer in Berlin erschienenen) deutschen Lesebuchs auftritt, so findet es

doch eine gewisse Ergänzung durch dasselbe, insofern diejenigen Stücke, die ihrem Inhalte nach sich mehr zur Lektüre in den unteren Klassen eigneten und deshalb

dem Lesebuche zugetheilt wurden, nicht auch in das Handbuch der Literatur herüber­

So sind die Dichtungen Arndts, um nur einige berühm­

genommen worden sind.

tere Dichter hervorzuheben, im Lesebuch stärker vertreten als in dem vorliegenden

Handbuche; ebenso sind drei Gedichte Bürgers ersterem zugewiesen worden und aus

gleichem Grunde haben auch einige Dichtungen Gellerts, Gleims, Goethes, Herders, Rückerts, Schillers und Uhlands dem Lesebuche zugetheilt werden

müssen'.

Übrigens hoffen wir, daß das Handbuch, obwohl zunächst für die Schule

berechnet, doch auch außerhalb derselben den Freunden der deutschen Literatur zu

eingehender Beschäftigung mit den Schätzen derselben geeigneten Stoff darbieten wird. Berlin, am 1. Mai 1863.

Dielitz. Heinrichs.

Aus der Vorrede zur zweiten Auflage.

Der Abriß sichtlich

der Literaturgeschichte hat

der Darstellung

eine durchgreifende Änderung

rück­

besonders durch Kürzung der zu ausgedehnten Sätze,

rücksichtlich des Inhalts durch noch größere Beschränkung auf das Wesentlichste

und Wichtigste erfahren.

Rücksichtlich der Orthographie sind die Regeln, welche

der Verein der Berliner Gymnasial- und Realschullehrer (Berlin 1871) ausgestellt

hat, möglichst konsequent befolgt worden, da es gar zu wichtig ist, endlich einmal

aus diesem Gebiete des deutschen Unterrichts eine Einigung der Lehrer wenigstens den Schülern

gegenüber herbeizuführen.

Wenn hier und

da noch

einige Ab-

Vorrede.

VI

weichungen und Inkonsequenzen beim Drucke stehen geblieben sind, so wolle man

dieselben gütigst entschuldigen, da die Durchführung der neuen Schreibweise durch die Geläufigkeit der herkömmlichen noch allzusehr erschwert wird. Berlin, am 30. Juli 1872.

Heinrichs.

Vorrede zur dritten Auflage.

Diese neue Auflage erscheint in fast unveränderter Gestalt.

durchgesehen und berichtigt ist vorzugsweise die Einleitung.

Von neuem

Von dem Grund­

sätze, dieselbe so zu gestalten, daß sie dem Lehrer nur als Leitfaden für seinen Vortrag dienen solle, ist dabei in keiner Weise abgewichen worden.

Neu ausge­

nommen sind in die Sammlung der Musterstücke die Abhandlung Immanuel

Kants: „Was ist Aufklärung?" und ein Brief Schillers an Th. Körners Vater. Die aus Herders Cid bisher mitgetheilten Proben sind vermehrt worden. Von Herzen wünsche ich, daß es diesem Buche gelingen möge, zu seinen bis­

herigen Freunden sich neue zu gewinnen und zu eingehender Beschäftigung mit den Schätzen unserer National-Literatur anzuregen. Berlin, den 17. Oktober 1879.

Heinrichs

Die mit einem f versehenen Stücke sind neu hinzugefügt.

Seite Seite Einleitung......................................................... 1 C. Don der Darstellung............................... 19 Erster Abschnitt. Poesie und Prosa ... 1 Der Stil..................................................... 19 Zweiter Abschnitt. Die Lehre von der DersDie Tropen............................................ 20 kunst (Metrik)............................................ 2 Die Figuren............................................ 21 D. Don dem Vortrage................................... 22 A. Don der Silbenmessung ^Prosodie) . 2 B. Don den Versfüßen............................... 4 Fünfter Abschnitt. Übersicht der Literatur­ geschichte ......................................................... 22 C. Von den Versen................................... 5 Einleitung......................................................... 22 D. Don den Versmaßen und den gebräuch­ Erster Hauptabschnitt. Die alte Zeit . . 25 licheren Strophen.............................. 6 E Don den Odenstrophen..........................10 Erste Periode. Bis zur Mitte des 12ten Dritter Abschnitt. Die Lehre von den Gat­ Jahrhunderts........................................25 Zweite Periode. Vis zum Anfänge der tungen der Dichtkunst (Poetik) .... 11 Reformation....................................... 27 A. Die Poesie................................................ 12 Erster Zeitraum. Bis zum Schluß des I. Die epische Poesie................................ 12 13ten Jahrhunderts...................... 27 II. Die lyrische Poesie............................12 Zweiter Zeitraum. Bis zur Refor­ III. Die dramatische Poesie.....................13 mation ............................................ 31 B. Die Prosa................................................ 15 Zweiter Hauptabschnitt. Die neue Zeit. 33 I. Die historische Prosa......................... 15 Erste Periode. Bis zur Thronbesteigung II. Die wissenschaftliche Prosa ... 15 Friedrichs des Großen ..... 33 NI. Die oratorische Prosa..................... 15 Vierter Abschnitt. Die Lehre von der Rede­ Erster Zeitraum. Dis zum Anfänge des 17ten Jahrhunderts ... 34 kunst (Rhetorik)............................................15 Zweiter Zeitraum. Bis zur Thron­ A. Don der Erfindung................................... 16 besteigung Friedrichs des Großen 36 a. Der Eingang......................................... 16 Zweite Periode. Bis auf die Gegenwart 40 b. Die Darlegung........................................ 16 Erster Zeitraum. Bis zum Ende der c. Die Begründung.................................... 16 Sturm- und Drangperiode 1785 40 noch C als Aa;

folglich ist er = Aa.

Die bisher genannten Schlußformen treten meist unvollständig oder abgekürzt auf, also

als Enthymeme. Alle Menschen sind sterblich; folglich bin ich sterblich.

Am häufigsten aber erscheint der Schluß in der Form entweder synthetisch oder analytisch aneinandergereiheter Schlüsse und zwar als Kettenschluß (sorites): Alle flüssigen Körper sind wägbar. Wasser ist ein flüssiger Körper.

Wasser ist wägbar. Nebel ist Wasser. Nebel ist wägbar.

Der Kettenschluß läßt indessen meist entweder die Untersätze aus bis auf den ersten, mit

welchem dann der Kettensatz anfängt, oder die Obersätze bis auf den ersten, ter voraus­ geht. Er erscheint aber auch als verschmolzener Schluß (Epicheirema), der dadurch entsteht, daß an einen der drei Sätze eines vollständigen Schlusses die Begründung desselben durch einen besonderen Satz angeknüpft wird. Dieser aber bildet mit demjenigen, Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aust.

2

Einleitung.

18

an den er geknüpft wird, und dem zur Ergänzung nöthigen Satze, den man auffinden muß, wieder einen förmlichen Schluß (Nachschluß), so daß also jener angefügte Satz, der

einen solchen vertritt, zugleich mit dem Hauptschluß verschmilzt.

Der Fleißige verdient Achtung, weil er seine Pflicht thut. Cajus ist fleißig. Cajus verdient Achtung. Die Begründung geschieht auch durch den indirekten Beweis oder durch die Induktion.

Während der indirekte Beweis (argumentatio apagogica oder deductio ad

absurdum) von dem Gegensatze dessen ausgeht, was bewiesen werden soll, und dann nach­

weist, daß diese Annahme zu einer unwahren oder widersinnigen Folgerung führt, schließt die Induktion aus vielen ähnlichen Fällen auf die Wahrheit entweder der allgemeinen Be­ hauptung oder des einzelnen, gerade erwähnten Falles, also von vielem auf alles oder auf einzelnes. In Rücksicht auf die Induktion ist wohl zu beachten, daß eine Ausnahme von der zu beweisenden Thatsache bisher niemals vorgekommen sein darf. Übrigens muß

bei der Beweisführung die Trockenheit und Dürre, welche in der starren Schlußform liegt, durch mancherlei Hülfsmittel, besonders durch Erweiterung des Ausdrucks und durch Aus­

schmückung, z. B. durch Fabeln, Parabeln, Erzählungen, Sprichwörter, Gnomen, d. h. durch alles gemildert werden, was Lebendigkeit und Mannigfaltigkeit herbeiführt. Allein die Begründung, bei welcher nicht genug die Lehre eingeschärft werden kann, daß derjenige

gar nichts beweise, der zu viel beweist (qui nimium probat, nihil probat), hat sich be­ sonders auch vor einigen bestimmten Fehlern zu hüten, so zunächst vor der Erschleichung

des Grundsatzes, der sogenannten petitio principii, welche einen Zusammenhang da setzt, wo er entweder gar nicht oder nur ungenügend vorhanden ist,

Es ist ein Gewitter und zugleich Feuer; folglich hat es eingeschlagen. oder auch als Beweisgrund aufführt, was erst selbst bewiesen werden müßte.

Sie muß sich

ferner hüten vor dem Kreisläufe im Beweise (circulus in demonstrando), welcher zur Be­ gründung eines Beweisgrundes (Prämisse) das anwendet, was überhaupt bewiesen werden

soll (Schlußsatz), sodann vor dem Sprung im Beweise (saltus in demonstrando), welcher unerläßliche Beweisgründe fortläßt, endlich vor der Veränderung des Schlußsatzes (mutatio elenchi), welche darin besteht, daß schließlich etwas Anderes bewiesen wird, als was be­ wiesen werden sollte.

§. 77.

d) Die Widerlegung soll die Gegengründe, die entweder wirklich und

bestimmt erhoben oder vom Redner selbst vorweg aufgestellt sind oder in gewissen Vor­ urtheilen und allgemein verbreiteten Ansichten bestehen, mindestens schwächen, am liebsten aber völlig beseitigen. Sie wird im allgemeinen so ausgeführt wie die Begründung selbst;

doch dürfen die Gegengründe, wenn sie in bestimmt erhobenen Gegenbehauptungen be­

stehen, durchaus nicht verändert, wenn es aber nur als möglich angenommene Einreden find, nicht zu peinlich gesucht und zu weit hergeholt werden; auch müssen sie gehörig be­ wiesen sein und der Erfahrung nicht geradezu widersprechen.

§. 78.

e) Der Schluß ist nach Quintilians Erklärung (eius duplex ratio est,

posita aut in rebus aut in affectibus. Herum repetitio est avaztcfaXauoaig, quibusdam Latinorum enumeratio) dazu bestimmt, das Wesentliche und Hauptsächlichste des In­

halts kurz zusammenzufassen oder der Aufgabe des Redners gemäß, ut doeeat ac moveat, auf das Gefühl der Zuhörer besonders einzuwirken. Er muß, wenn ersteres geschickt aus­

geführt werden soll, die Hauptpunkte kurz und klar, aber zugleich in einem wärmeren und gehobneren Tone und unter einem neuen Gesichtspunkte aufstellen, und wenn das zweite nicht zu leerer Phraseologie werden und ferne Wirkung geradezu verfehlen soll, der Abglanz

Die Lehre von der Redekunst (Rhetorik). wahrhafter, wirklich empfundener Seelenstimmung sein.

19

Übrigens gestattet das Wesen des

Schlusses es sehr wohl, von der Rekapitulation und der besonderen Gefühlserregung ganz und gar abzusehen und statt dessen die Rede (den Aufsatz) mit Folgerungen zu schließen, die unmittelbar aus der Sache selbst sich ergeben, oder auch mit Betrachtungen, die an dieselbe

sich eng anlehnen.

Die Gefühlserregung hängt eben nur mit den Sitten und Gebräuchen

des Alterthums zusammen und ist in der neueren Zeit mindestens überflüssig geworden, zumal jeder einzelne Theil der Rede aus dem Herzen des Redners strömen und in das Herz des Hörers eindringen soll.

B. Von der Anordnung. §. 79.

Ist der für die Rede (den Aufsatz) erforderliche Gedankenstoff durch Nach­

denken (Meditation) herbeigeschafft, so ist es die Aufgabe der Disposition (Anordnung des Stoffs), diesen Gesammtstoff zu sortiren (d. h. das Gleichartige zusammenzustellen, das Unbrauchbare auszuscheiden, das Brauchbare nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen),

für die einzelnen Theile der Rede zu sondern und innerhalb derselben wiederum mit Rück­

sicht auf den Zweck des Ganzen zu gruppiren. Die Disposition also ist die planmäßige Anordnung des Stoffes für die Einleitung, für den Schluß und für die übrigen drei Theile, welche zusammen gewöhnlich die Abhandlung genannt werden.

Wir behalten diese Be­

nennung gern bei, weil sich die Lehre von der Anordnung nicht blos auf die Reden, sondern

ganz allgemein auf jeden Aufsatz bezieht.

Sind die für den Eingang, die Einleitung, er­

forderlichen Gedanken ausgesondert und so geordnet worden, daß sie unmittelbar auf die Abhandlung und das in derselben zu behandelnde Thema hinsühren, so wird für diese selber eine zweckmäßige, gute Disposition gemacht werden müssen. Diese verlangt zunächst, daß die Theilung (je nach der Natur des Themas eine Partition oder Division) geschickt ausgeführt, daß also vor allem ein fruchtbarer und zweckgemäßer Theilungsgrund auf­ gesucht wird. Dieser einmal gewählte Theilungsgrund muß sodann genau durchgeführt,

die einzelnen Eintheilungsglieder müssen dem Ganzen genau subordinirt, sich selber gehörig

koordinirt, endlich alle Glieder in sachgemäßer oder logischer Ordnung ausgeführt werden. Dieselben Forderungen gelten für alle ferneren Theilungen (Subdivisionen). Eine weitere Anleitung für die Disposition zu geben, ist nicht gut möglich; die beste Übung im Dis-

poniren gewährt die Zergliederung der Gedankenfolge in mustergültigen Reden und Aufsätzen.

C. Von der Darstellung. K. 80.

Die Darstellung (elocutio), welche dem gesammelten und wohlgeordneten

Gedankenstoff den angemessenen sprachlichen Ausdruck geben soll, oder der Stil (stilus, ^-.05--Griffel) hängt eben so sehr von der ganzen Persönlichkeit des Redners wie von

dem Gegenstände selber ab.

Man unterscheidet den einfachen,

den mittleren und

den erhabenen Stil (genus dicendi tenue, medium, sublime). Der Stil muß zunächst in bezug auf die Grammatik vollkommen rein von Barbarismen (Latinismen, Grä­ zismen u. s. w.), Solözismen, Provinzialismen und von Wörtern, Wort- und Satzverbin­

dungen sein, die der betreffenden Sprache fremdartig sind oder gar ihr widerstreben. In bezug auf die Logik muß die Darstellung erstens vollkommen klar und bestimmt sein, so

daß der auszudrückende Gedanke nicht nur leicht erfaßt und verstanden werden kann, son­ dern auch kurz und genau (präzis) wiedergegeben wird unter Vermeidung jeder Zwei- oder Vieldeutigkeit, des Pleonasmus und der Tautologie, so wie der Unverständlichkeit, die durch Hausung von Relativ-Sätzen oder von Partizipien hervorgebracht wird.

Zweitens aber 2*

20

Einleitung.

bedarf sie geschickter Gliederung, so daß das Thema oder der Grundgedanke und die Be­

ziehung der ihm untergeordneten Gedanken auf dasselbe überall scharf hervortrete, Neben­ gedanken nicht zu Hauptgedanken gemacht und deshalb in zu großer Breite und Aus­ führlichkeit vorgetragen werden. In bezug auf die Ästhetik muß die Darstellung im

allgemeinen einer schönen, lieblichen Hülle gleichen, mit welcher das Gerippe (die Disposition) umgeben worden ist, und daher durchweg die Gesetze des Schönen befolgen.

Danach muß

sie zunächst den für das Ganze angemessensten Ton wählen, beibehalten und, wo er geändert werden muß, allzuschroffe Übergänge möglichst vermeiden, stets die Würde bewahren und

natürlich sein (nichts ist widerlicher als der Schwulst oder Bombast!), ohne das Streben, neu und eigenthümlich zu sein, allzusehr in den Hintergrund zu drängen. Sodann muß die Darstellung die Gesetze des Wohllautes genau beachten, der sich wie in den Laut­ verhältnissen der einzelnen Wörter (Euphonie), so in dem Bau ganzer Sätze und Perioden (Eurhythmie, Numerus) bekundet und sich bei lauter Rezitation sofort vernehmlich macht. Zuletzt endlich und vor allem muß sie lebendig sein. Je lebendiger aber, desto anschaulicher

und wärmer wird sie sein; denn das Leben weckt Leben und giebt Leben, und das warme, erregte Gefühl weckt und erzeugt Gefühle. Dieser Lebendigkeit dienen besonders die

Tropen und Figuren, die durch Abstraktion aus schöner, lebendiger Darstellung zu er­ lernen und nur dann wirksam sind, wenn sie, vom Darsteller ungesucht, wie unmittelbar

und von selber entstanden in der Darstellung sich zeigen. §. 81. Die Tropen (rpoTioz, Wendungen) beruhen auf der Jdeenassoziation, der Weckung einer Vorstellung durch eine zu ihr gehörige andere.

Sie werden durch die Sprache

selber veranlaßt, welche nicht Begriffe, sondern nur Vorstellungen zu bezeichnen vermag, und entstehen, wenn man ein Wort nicht zur Bezeichnung der von ihm eigentlich aus­ gedrückten Vorstellung, sondern zu einer anderen verwendet, die mit jener in Beziehung steht

und von ihr geweckt wird.

So erinnert uns die Ursache an die Wirkung, die Eigenschaft

an den mit ihr behafteten Gegenstand, der Theil an das Ganze, das Besondere an das All­ gemeine, der Ort an das, was an ihm, die Zeit an das, was in ihr geschieht, das Konkrete

überhaupt an das Abstrakte. Und darin eben liegt ihre Bedeutsamkeit: sie wollen und sollen das Geistige, Abstrakte versinnlichen, veranschaulichen; zugleich aber auch nähren sie die Phantasie; denn statt einer Vorstellung wecken sie ihrer mindestens zwei. Unter den Tropen sind besonders hervorzuheben die Metapher, die Metonymie und die Synekdoche. a) Die Metapher (von übertragen) drückt recht eigentlich das Wesen der Tropen aus, weil sie lediglich auf der Ähnlichkeit der Vorstellungen beruht; z. B. Blüte

des Lebens für Jugend; der Schatten der Seele für Leib. Sie ist daher auch der gebräuchlichste Tropus und begreift die Personifikation (Der Ruh' Gespielin, Stunde des Todes, komm! — Mein Lied besingt den Helden) und die Allegorie, die bis in das Einzelne ausgeführte Metapher, unter sich (Das Schiff nur bin ich, Auf das er seine Hoffnung hat geladen, Mit dem er wohlgemuth das freie Meer Durchsegelte; er sieht es über Klippen Gefährlich gehn und rettet schnell die Waare.

Sch., Wallenstein).

b) Die Metonymie oder Namenvertauschung setzt die Ursache für die Wirkung, das Attribut für den Gegenstand, den Stoff für die daraus verfertigte, die Person für die ihr

gehörige Sache, den Ort und die Zeit für das, was an ihm und in ihr geschieht, (Kurfürst Johann war ein Cicero. — Das Eisen traf ihn in die Brust. — Ganz Griechenland ergreift der Schmerz). Verwandt mit ihr ist der Euphemismus, der das Üble in

Gutes wandelt (das gastliche statt des ungastlichen Meeres; den letzten Tag feiern statt sterben), und die (allerdings meist spöttische) Ironie, die statt ver Sache

Die Lehre von der Redekunst (Rhetorik). selbst ihr Gegentheil giebt („Das ist ein großer Feldherr, ein tapferes Heer!

21 Ein einziges

Weib führen sie als Gefangene mit sich fort"). c) Die Synekdoche (von avvexöfyo/.iai, zusammenfassen) setzt den Theil für das

Ganze (Haupt für Mensch; Dach für Haus. — „Wir flehen um ein wirthlich Dach"),

das Besondere statt des Allgemeinen (der Süd für Wind. — „Furcht soll das Haupt des Glücklichen umschweben"), das Bestimmte für das Unbestimmte (tausendmal für un­ zählig oft). Sie wird zur Hyperbel, wenn in dem zuletzt erwähnten Falle eine Übertreibung sich sichtbar macht („Nicht eine Welt in Waffen fürchten wir, Wenn sie einher

vor unsern Schaaren zieht"), und zur Litotes, wenn durch eine Verkleinerung des Aus­ drucks die Größe desselben hervorgehoben werden soll (eine nicht kleine Zahl für eine

sehr große Zahl). ß. 82. Figuren nennt man im allgemeinen alle Abweichungen von dem ruhigen Fortschritte der Rede, durch welche der Ausdruck eine eigenthümliche, charakteristische Ge­ stalt erhält (daher figurae, o/fauTu). Sie sollen von stärkerer, heftigerer Gemüths­

bewegung des Darstellenden zeugen und im Hörer (Leser) ebenfalls eine größere Wärme des Gefühls hervorrufen. Sie beruhen also auf der richtigen Erkenntnis, daß die größere Erregtheit des Gemüths auch in der Sprache und zwar nicht blos in dem Klange und der

Bewegung der Wörter (Wortfiguren, figurae verborum), sondern auch in der Ver­ bindung und Bewegung ganzer Sätze (Satzfiguren, figurae sententiarum), in letzterem Falle sich besonders darin zeigt, daß der Ausdruck bald eiligst dahinfliegt, bald bei der

Sache, die ihn mehr zu fesseln scheint, länger verweilt, sie genauer ausdrückt,

sie öfter

wiederholt. Was der Mime durch Mienen und Gesten, sucht der Sprachkünstler durch Wort und Satz zu versinnlichen. Gemäß der Natur der Sache sind der Figuren fast unzählige; wir beschränken uns aber ans die Anführung der allerbedeutendsten und gebräuchlichsten.

Als solche sind unter den Wortfiguren besonders hervorzuheben, und zwar a) als Klangfiguren: die Alliteration (Glück und Glas, Sprichwort wahr Wort. — Linde

Lüste, wehet leise!), die Assonanz (Muse ruft zu Bach und Thale Tausend aber tausend

Male), der Reim, die Onomatopöie (die Nachahmung des Hör- und Sichtbaren durch

die Wörter, z. B. risch und rasch!); b) als Figuren der Wiederholung der Wörter: die Anaphora (Wiederholung desselben Wortes am Anfänge der Sätze, z. B. Gieb mir, die du mir gleich erschufst! Ach, gieb sie mir, die leicht zu geben!), die Epiphora (Wiederholung desselben Wortes am Ende der Sätze, z. B. Meine Ruh' ist hin, meine Freud' ist hin!), die Symploke (die Verbindung der Anaphora und Epiphora, z. B. Dann will ich durch die ganze Natur ein tiefes Geheul hören, ein tiefes Geheul am dunklen, verfinsterten Throne und ein Geheul in der Seelen Gefild, ein Geheul in den Sternen, da, wo der Ewige wandelt, das will ich hören und Gott sein!) und die Paronomasie (der Gleichklang der Wörter bei verschiedener Bedeutung), auf der auch das

Wortspiel beruht; c) als Figuren der Wortverbindung: das Polysyndeton (die Wieder­ holung des Verbindungswortes, z. B. Und es wallet und siedet und brauset und zischt, wie wenn Feuer mit Wasser sich mengt), das Asyndeton (die Auslassung desselben, z. B. Er ruft mit lechzender Zunge: Mich dürstet! Ruft's, trank, dürstete, bebte, ward bleicher,

blutete, ruhte), die Ellipse (die Auslassung eines leicht zu ergänzenden Wortes), der Pleonasmus (der überflüssige Gebrauch eines leicht entbehrlichen Wortes), das Zeugma (die Beziehung eines Wortes, besonders des Prädikats, auf zwei oder mehrere, während es nur auf eines oder einzelne derselben paßt, z. B. Milch und Blumen auf das Grab streuen) und die Inversion (die Abweichung von der gewöhnlichen und natürlichen Wort­

stellung, z. B. Er theilte mir mit das theuerste Geheimnis seines Lebens).

Einleitung.

22

Unter den Satzfiguren sind a) von denen, welche eine Abweichung von der ge­ wöhnlichen Form der Behauptung und Erzählung zeigen, die Frage, die Antwort, der

Zweifel, die Verbesserung, das Zugeständnis oder die Einräumung, die Vorwegnahme, die scheinbare Übergehung oder Auslassung, die Einschiebung oder Parenthese, der Ausruf, der Wunsch, daS Gebet und die Anrede oder

Apostrophe, deren Abart die Vision ist, die bedeutendsten, b) Von den Satzfiguren, welche eine Steigerung oder Erweiterung des Gedankens ausdrücken, sind vorzugsweise zu nennen: das schmückende S cito ort (epitbeton ornans), die Synonymie (Bezeichnung der Sache durch mehrere sinnverwandte Wörter), die Jndividualisirung (die genauere Bezeichnung deS Gegenstandes nach seinem Umfange oder nach seinen Theilen),

die

Häufung (cmnulatio; Zusammenstellung gleichartiger Sätze), die Steigerung (gradatio) und zwar vom Größeren zum Kleineren oder vom Kleineren zum Größeren,

c) Unter den Satzfiguren, welche sich auf die Gegenüberstellung der Gedanken und Sätze

beziehen, sind besonders erwähnenswerth: der Vergleich (comparatio: Bild, Gegenbild und tertium comparationis), der Parallelismus (die Nebeneinanderstellung gleich­ artiger Gedanken), der Gegensatz (Antithese; die Zusammenstellung von Ungleichartigem) nebst dem Kontraste (der Zusammenstellung von Gleichartigem unter Hervorhebung des Ungleichartigen)

und das Paradoxon (die Zusammenstellung des scheinbar Unverein­

baren; z. B. Am größten ist der Große in dem Kleinen). Der Gebrauch der Tropen, wie der Figuren wird äußerst unangenehm, ja widerlich,

wenn er nicht ganz vollkommen ungesucht erscheint; Anfänger können vor zu häufiger Anwendung besonders der Frage, der Antwort und des Ausrufes nicht genug gewarnt

werden. D.

Von dem Vortrage.

§. 83. Als Hauptbedingung eines guten Vortrages, welcher die Rede erst zu ihrer vollen Bedeutung erhebt, aber von der ganzen Persönlichkeit des Redners vollständig ab­ hängt, muß vollkommene Wahrheit hingestellt werden. Wie jedes Wort, jeder Satz aus der vollsten Überzeugung deS Redners, so muß jeder Ton, jede Miene, jede Handbewegung

aus seinem Innern hervorgehen. Der Redner soll sich ganz in seinen Gegenstand ver­ senken, ihn ganz zu dem seinigen machen; dann wird er ihn auch als seinen Gegenstand vortragen, und der Vortrag wird ihm in den allermeisten Fällen gelingen. Die ins Ein­ zelne gehende Anweisung zu einem guten Vortrage giebt die Deklamatorik; die Schule leitet durch Deklamations- und Redeübungen dazu an.

Fünfter Abschnitt. Übersicht der Literatur-Geschichte. Einleitung.

ß.84. Die Geschichte der deutschen Literatur stellt den Entwicklungsgang dar, den die Literatur des deutschen Volkes mit Ausschluß der angelsächsischen und nordischen Literatur, sowie auch der von Deutschen, aber in fremder Sprache verfaßten Schriften im Laufe der Jahrhunderte genommen hat, um darin wie in einem untrüglichen Spiegel die geistige Ausbildung des Volkes in bezug auf Familie und Staat einerseits, Wiffenschaft,

Kunst und Glauben andrerseits erkennen zu lassen.

Übersicht der Literatur-Geschichte.

23

§. 85. Die deutsche Sprache hat mit der Entwicklung der Literatur gleichen Schritt Sie zerfiel schon in den ältesten Zeiten in mehrere Dialekte: in das Gothische,

gehalten.

welches als die erste Gestaltung des Deutschen erscheint und sich nur in der Bibelübersetzung des Bischofs Ulfila erhalten hat, in das Angelsächsische und in das Nordische.

Das Angelsächsische, mit dem Romanischen gemischt, ist die Grundlage des Englischen, das

Nordische aber die Grundlage des Dänischen und Schwedischen geworden. Deutschlands theilte sie sich in das Oberdeutsche und Niederdeutsche.

Im Innern Das Ober­

deutsche umfaßte den südlichen und mittleren, also den gebirgigen Theil Deutschlands mit der allemannischen oder schwäbischen Mundart (im Südwesten), der bairisch-östreichischen (im Südosten) und der fränkischen (in der Mitte Deutschlands). Das Niederdeutsche in

dem nördlichen Theile Deutschlands, also im Flachlande, begriff die niederländische, friesische

und altsächsische (diese nebst der westfälischen) Mundart Niederdeutsche unterscheiden sich nicht allein durch Wörter durch phonetische Verschiedenheiten innerhalb gemeinsamer zwischen beiden wird ungefähr durch eine Linie bezeichnet,

in sich. Das Oberdeutsche und und Wortformen, sondern auch Wortstämme. Die Grenzscheide welche man sich aus der nördlich

von der Sieg liegenden Gegend zwischen Minden und Kassel, Nordhausen und Göttingen

hindurch über die Saalemündung nach Wittenberg, von hier nach Lübben an der Spree,

weiter nach Krossen an der Oder und von hier aus in nordöstlicher Richtung nach der

oberen Warthe gezogen denkt. Das Niederdeutsche blieb (abgesehen von einzelnen Versuchen, die im achtzehnten Jahr­ hundert von I. H. Voß, in der neueren Zeit von Grote und Fritz Reuter gemacht, aber

meist mißglückt sind) eine Mundart des deutschen Volkes, gestaltete sich nicht zur Schrift­ Dagegen bildete sich aus dem Ober­

sprache und verflachte sich endlich zum Plattdeutschen.

deutschen allmählich eine allgemeine Schriftsprache, das Hochdeutsche, im Gegensatze zu allen Dialekten heraus. Dieses wurde bald die gemeinsame Sprache des gebildeten Theiles

des gesammten deutschen Volkes, erfuhr aber im Laufe der Jahrhunderte wieder manche Um­ gestaltung. Man unterscheidet drei wesentlich von einander verschiedene Formen in der or­

ganischen Entwicklung des Hochdeutschen, nämlich das Althochdeutsche, das Mittelhochdeutsche und das Neuhochdeutsche.

Das Althochdeutsche, vom siebenten bis zur zweiten Hälfte

des elften Jahrhunderts herrschend, war schon im neunten Jahrhunderte völlig entwickelt

und schön und reich an Bildsamkeit der Wörter, an Stämmen und an Wörtern zur Be­ zeichnung äußerer, ja selbst geistiger Gegenstände.

Namentlich übertraf es rücksichtlich des

Wohlklanges, sowie der größeren Bestimmtheit der grammatischen Formen alle übrigen deutschen Mundarten, von denen wir etwas wissen. Danach aber fängt die Sprache, da nichts, was in seiner Art das Höchste, zugleich auch dauernd ist, an Reichthum der Vokale

(es tritt das unbetonte e ein), an Bildsamkeit, an Wortreichthum zu verlieren an.

Dafür

aber bildet sich in dem Mittelhochdeutschen, welches bis zum Schluffe des Mittel­ alters die herrschende Schriftsprache verblieb, eine feinere Nüanzirung der Begriffe, sowie die Möglichkeit heraus, die Gedanken bestimmter auszudrücken. Allmählich wurde sie für den Dichter ein vollkommenes Werkzeug mit fester Form, bequemem Reim, geschickten Kon­

junktionen, einfachem und edlem Periodenbau.

Aber schon nach der Mitte des dreizehnten

Jahrhunderts fangen die Dialekte an sich mehr hervorzuthun. Die Verwilderung, welche zur Zeit des Interregnums in allen staatlichen Verhältnissen herrscht, äußert ihren ver­ derblichen Einfluß auch auf die Sprache: Roheit und Schlaffheit vernichten die Sprache der Poesie, und nur eine Fortbildung der Prosa zeigt sich im fünfzehnten Jahrhundert. Vom

sechzehnten Jahrhundert an arbeitet sich die Sprache durch Unrichtigkeit und steife Gelehr­ samkeit hindurch zu dem Neuhochdeutschen, also zu der Gestalt, die man erst nach der

Einleitung.

24

Mitte des achtzehnten Jahrhunderts als vollständig ausgebildet betrachten darf.

Es beruht

vorzugsweise auf der meißnischen (obersächsischen) Mundart und verdankt seinen Ursprung zunächst dem großen Reformator, Martin Luther. Im siebzehnten Jahrhundert wurde es vielfach gepflegt und besonders gegen den eindringenden und um sich greifenden Gebrauch der fremden Sprachen geschützt. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts erlangte es die

reinen und festen Formen, durch welche es sich als die gemeinsame Sprache aller Gebildeten unserer Nation bis auf den heutigen Tag behauptet hat. Die Veränderungen, welche das Hochdeutsche feit dem Ende des vorigen Jahrhunderts erlitten hat, sind, einzelne an sich

unbedeutende Wandlungen des Geschmacks abgerechnet, äußerst gering. §. 86. Die deutsche Literatur, welche unter den Literaturen aller Völker dadurch her­ vorragt, daß sie zweimal sich zur herrlichsten Blüte entfaltet hat, fängt eigentlich mit frag­

mentarischen Notizen an, da für unsere Geschichte und Literatur keine einheimischen Quellen fließen.

Nach kurzer Blüte der epischen Volkspoesie im neunten Jahrhundert, welche schon

in der folgenden Zeit an bestimmter Form und an Tiefe der Sagen verliert, erhebt sich die Poesie zu der größten künstlerischen und bewußten Ausbildung, so daß die Lyrik und die

erzählende Dichtung ums Jahr 1200 die höchste Vollendung erreichen.

Allein diese Blüte

dauert nur bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Von da ab beginnt die lange Zeit des Verfalls, herbeigeführt durch eine theils aus Roheit, theils aus Künstelei hervorgegangene

Verwilderung der künstlerischen Form, obgleich auch diese Zeit nicht ganz ohne Anklänge an

die entschwundene Zeit der herrlichen Blüte ist. So herrscht denn im vierzehnten und fünf­ zehnten Jahrhunderte der Widerstreit zwischen der Ausbildung des Bürgerstandes und der Gelehrsamkeit; beide, mit einander vermischt, stehen dann im Kampfe gegen die Überreste der alten Dichtung und veranlassen den Verfall der Volksbildung. Diesem Verfalle und dem völligen Hinsterben aller Poesie setzt endlich die Reformation einen gewaltigen Damm

entgegen.

Die Form reinigt sich zuerst von den Spuren des Verderbens; dann erstarkt

endlich auch, aber sehr langsam der Inhalt; er verjüngt sich, verschönt sich und bindet sich mit der schönen Form. So entwickelt sich nach vielen Versuchen, Bemühungen und Kämpfen während des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts wieder eine zweite Blüte, die den Schluß des vorigen und den Anfang des jetzigen Jahrhunderts mit ihrem Glanz erfüllt und in der Vereinigung Goethes und Schillers ihre höchste Entfaltung findet. Deutlich unterscheiden sich in dem Entwicklungsgänge unserer Literatur zwei Haupt­

abschnitte, auf deren Grenze die Reformation wie ein Markstein sich erhebt.

Sie trennt

die alte, vom Geiste des gläubigen Christenthums getragene Zeit von der neuen, in welcher an die Stelle der tiefen Innigkeit des Christenthums die freie, schöne, auf dem neu belebten Studium des hellenischen Alterthums erwachsene Humanität getreten ist. Allein diese beiden

Hauptabschnitte, in deren jedem die Literatur zu ihrer höchsten Blüte sich erhoben hat, zeigen wieder je zwei Stufen der Entwicklung. Der erste Hauptabschnitt umfaßt etwa vom vierten Jahrhundert bis zur Mitte des zwölften die älteste Zeit, auf welche dann bis zur Reformation die alte Zeit selber mit der Entfaltung ihrer höchsten Pracht und mit dem trostlosen Anblick ihres Verfalles folgt. In dem zweiten Hauptabschnitte bildet die Thronbesteigung Friedrichs des Großen eine außerordentlich bedeutende Epoche und trennt die neue von der neueren

Zeit, aus welcher letzteren wieder sich etwa vom Jahre 1785, dem Ende der sogenannten Sturm- und Drangperiode, an bis zu dem 1805 erfolgten Tode Schillers die zweite klas­ sische Zeit heraushebt.

Übersicht der Literatur-Geschichte.

25

Erster Hauptabschnitt. D i e alte Zeit. Erste Periode.

Die älteste Zeit. Vom vierten Jahrhundert bis zur Mitte des zwölften Jahrhunderts. I. Z. 87.

Die Poesie.

Aus den schriftlichen Aufzeichnungen römischer Schriftsteller, namentlich des

Geschichtsschreibers Tacitus in seiner „Germania“, erhalten wir die Kunde von unserer ältesten Poesie. Bon ihnen erfahren wir, daß unsere deutschen Vorfahren den Gesang außerordentlich liebten und pflegten, ohne eine Sängerkaste zu besitzen (barditus ist nichts

als ein Kriegsgesang in dumpfem Tone, der durch Anlegung des geöffneten Mundes an die Schildeswölbung hervorgerufen wurde), daß sie den Gott Tuisco und dessen Sohn Mannus

als die Stammväter des Volkes und den Hermann (Harimannus; hari, heri — Heer) als den Befreier Deutschlands feierten. Überreste von diesen ältesten Gedichten besitzen wir nicht.

Ferneren Liederstoff gewährte besonders die durch und durch mythologische Sieg­

friedssage.

Die Personen derselben mögen wohl ursprünglich Dämonen und Götter­

gewesen sein, wie ja auch von Siegfried keine eigentlichen Helden-, sondern ausschließlich Wunderthaten erzählt werden.

Durch die Völkerwanderung im vierten und fünften Jahrhundert wuchs der Liederstoff. Die Thaten des Gothenkönigs Theoderich des Großen (Dietrich von Bern), von welchem der Frankenkönig Chlodwig sich einen Zitherspieler senden ließ, und

seines Lehnsmannes Hildebrand, sowie dessen Sohnes Hadubrand, wurden vielfach besungen, ebenso die Kriegszüge des Hunnenkönigs Attila (Etzel), dessen Vernichtung auf den katalaunischen Feldern schon früh ein Gegenstand der Poesie geworden sein muß.

Einen reichen

Stoff für die erzählenden alten Gesänge der alten Deutschen lieferten ferner die Thaten und

der Untergang der Helden aus der Burgundersage, der Könige Gunther (Gundahari), Gernot (Gernot oder vielmehr Godomohari) und Giselher (Gisalahari), als deren Vater Gibich (Gibico) genannt wird, und endlich die Schicksale ihrer Schwester Kriemhild.

Aus

diesen Gesängen erwuchs später das herrliche Nibelungenlied, wie das Gudrunlied aus den Liedern des nördlichen Deutschlands, welche von dem Friesenkönige Hetel und seiner Tochter Gudrun, dem Normannenkönige Ludwig und seinem Sohne Hartmut und dem sangeskundigen Dänenkönige Horand singen. ß.88. Karl der Große hat sich nicht blos durch Gründung von Klosterschulen

und durch Heranziehung gelehrter Männer des Auslandes, z. B. des Angelsachsen Alkuin, des Peter von Pisa, des Paulus Diaconus aus Forli in Italien, an seinen Hof ein großes Verdienst um die Ausbreitung der Bildung unter seinen Völkern erworben, sondern auch durch seine eigenen Bemühungen um Erlernung des Lesens und Schreibens und durch sein ausgezeichnetes Wirken im Frieden, wie durch seine Heldenthaten im Kriege.

Nach einer­

alten Notiz wird ihm aber auch eine Sammlung, d. h. eine schriftliche Aufzeichnung, der alten Gesänge zugeschrieben,

die späterhin durch

Ludwig den Frommen vernichtet

worden sein soll, weil ihm diese heidnischen Gesänge ein Greuel gewesen. Daher zunächst wohl kommt es, daß wir von dem reichen Liederschätze jener Zeit nichts übrig haben als: 1) ein Bruchstück des Liedes von Hildebrand und Hadubrand, welches aus dem

achten Jahrhundert stammt, zur Sammlung Karls des Großen aber wöhl nicht gehört hat.

Einleitung.

26

Es ist enthalten auf dem ersten und letzten Blatte einer Kasseler Handschrift.

Eine wichtige

Probe ältester Poesie, erzählt es von dem Streite, der sich zwischen Hadubrand und seinem

Vater Hildebrand entspann, als dieser aus der Verbannung in die Heimat zurückkehrte; 2) das Gedicht Walther von Aquitanien, welches in lateinischen Hexametern von

dem Mönche Ekkehard in St. Gallen verfaßt ist.

§. 89.

Den Geistlichen war behufs der Befestigung des Christenthums sehr daran

gelegen, alles, was in dem deutschen Volke die Sehnsucht nach der verlorenen alten Götter­

welt wiederum wachrufen und einen Rückfall ins Heidenthum herbeiführen konnte, zu be­ seitigen. Sie traten deshalb nicht allein feindselig gegen die bisherige deutsche Bolkspoesie

auf, sondern suchten sie auch durch eine geistliche Poesie zu ersetzen, die ihren Stoff

aus der kirchlichen Gelehrsamkeit der damaligen Zeit schöpfte. Die beiden merkwürdigsten unter diesen Dichtungen sind die beiden Evangelienharmonien, welche in neuerer Zeit Heliand und Krist genannt worden sind. Erstere, die alt sächsische, gehört zu einem größeren Werke, das die Geschichte von der Schöpfung an bis zum Ende des

neuen Testaments erzählt hat. Sie hält sich genau an die Berichte der Evangelisten, ohne etwas Wichtiges zu übergehen. Sie soll von einem Bauern verfaßt sein, den Ludwig der Fromme damit beauftragt und außerdem eine göttliche Stimme dazu berufen habe.

Die

zweite, die althochdeutsche, ist von Otfried, einem Benediktiner-Mönche von Weißen­ burg im Elsaß, verfaßt und von ihrem Verfasser dazu bestimmt, den Deutschen als ein christliches Heldengedicht zu dienen. §. 90. Daß aber neben der geistlichen Poesie doch auch noch eine weltliche Poesie fortgedauert hat, zeigt das sehr intereffante Ludwigslied. Dieses stammt aus dem

neunten Jahrhundert und verherrlicht den Sieg, welchen Ludwig III., König der West­ franken, der Sohn Ludwigs des Stammlers, im Jahre 881 bei Saucourt über die Nor­

mannen erfochten hat.

Es muß unmittelbar nach der Schlacht gedichtet fein.

Als der

Verfasser desselben wird der Mönch Hugbald aus dem flandrischen Kloster St. Amandus bei l'Elnon genannt. §. 91. Als von Otto I. die erste Verbindung zwischen den deutschen Königen und

Italien angeknüpft und unter seinen Nachfolgern so sehr befestigt wurde, daß über Italien Deutschland vernachlässigt wurde, da hörte auch die eigentliche deutsche Dichtung fast ganz auf. Der folgenden, ereignisreicheren Zeit blieb es Vorbehalten, sie nicht blos aus ihrem

Schlummer wachzurütteln, sondern sie ihrer ersten Blüte entgegenzuführen. §. 92. Die ältesten deutschen Gedichte sind in alliterirenden Versen geschrieben. Die Alliteration trifft die betonten Wörter, die Liedstäbe, dient zur Znsammenhaltung der einzelnen Verse und wird wegen der Ähnlichkeit derselben mit zusammengefügten Stäben auch Stabreim genannt.

Im Hildebrandsliede, in welchem sich die Alliteration über je

zwei zusammenhängende Halbverse erstreckt, ist sie ganz vollständig. In derselben Form ist der Heliand geschrieben, während durch Otfried in seinem Krist der Reim eingeführt worden ist. Er bediente sich vierzeiliger Strophen und zwar so, daß je zwei Langzeilen, in deren jeder vier stark betonte Wörter sein müssen, durch den Reim innig verbunden werden, der hier nicht blos Zierat, sondern wirkliches Bindemittel ist. An genaue Reime, die erst seit 1186 in Deutschland üblich wurden, ist bei Otfried noch nicht zu denken; er reimt auf eine Silbe, ohne daß vollständige Kongruenz in den Konsonanten und Vokalen

vorhanden ist; ja, es finden sich auch einzelne ungereimte Langzeilen. Das Ludwigslied endlich besteht aus ungleichzeiligen, gereimten Strophen; mit der Hebung des Tones int Liede tritt auch die sechszeilige Strophe ein.

Übersicht der Literatur-Geschichte.

II. §. 93.

27

Die Prosa.

Das älteste, aber auch bedeutendste prosaische Werk aus dieser Zeit hat

Ulfila, der von 348 bis 388 Bischof der Westgothen war, in seiner Bilbelübersetzung hinterlassen, die sich mit Ausnahme der beiden Bücher von den Königen und der beiden

Bücher Samuelis über das alte und neue Testament erstreckte, aber nicht vollständig auf uns gekommen ist. Im codex argenteus zu Upsala, einer Handschrift, welche mit Silber­ und theilweise mit Goldbuchstaben auf purpurgefärbtes Pergament eingezeichnet ist, findet sich auf den noch vorhandenen 177 Blättern (von ursprünglich 330) ein Theil der Evan­ gelien, wozu durch einen vom Kardinal Mai 1817 zu Mailand aufgefundenen Palimpsest noch die paulinischen Briefe und einige Bruchstücke des alten Testaments gekommen sind. Die übrigen prosaischen Werke sind meist lateinisch geschrieben und durchweg geistlichen Inhalts.

Zweite Periode.

Die alte Zeit. Von der Mitte des zwölften Jahrhunderts bis zum Anfänge der Reformation. Erster Zeitraum.

Don der Mitte des zwölften bis zum Schluffe des dreizehnten Jahrhunderts. I.

Die Poesie.

§. 94. Während der alten Zeit, die bis zur Reformation hinreicht und namentlich in ihrem Anfänge die erste Blütezeit unserer Literatur in sich schließt, herrschte bei hoch und gering, bei reich und arm, am Hofe der Fürsten wie im Kreise des Volkes in ganz

Deutschland eine Liedeslust und Gesangesfröhlichkeit, wie niemals wieder; es sah aus, als wäre das ganze deutsche Volk zu einer einzigen Sängerfamilie geworden. Gewichtige Ur­ sachen führten diese Lust am Gesänge und infolge derselben die erste Blütezeit unserer Nationalliteratur herbei. Das glorreiche Kaisergeschlecht der ritterlichen Hohenstaufen, erfüllt von Heldenmuth und Kampfeslust, ließ den Glanz des deutschen Kaiserthrones weit­ hin aufleuchten über die übrigen christlichen Throne und war nicht blos selber ein der ver­

herrlichenden Poesie würdiger Gegenstand, sondern pflegte auch in allen seinen Gliedern die edle Kunst des Gesanges und Dichtens. Zeit waren aber auch die Kreuzzüge.

Nicht minder einflußreich auf die Poesie jener

Diese, an sich schon die Geister erregend, näherten

die Deutschen den sangeskundigen und sangeslustigen südlichen Völkern und spornten sie zur Nachahmung an. Zugleich eröffneten sie ihnen den sagenreichen und wunderbaren Orient, die nie versiegende Quelle herrlichen Liederstosies, und gewährten ihnen einen fast unerschöpflichen Schatz neuer Ideen, neuer Bilder, neuer Anschauungen. tz. 95. So gelangte unsere Literatur zu ihrer ersten Blütezeit, welche durch ursprüngliche Natürlichkeit und durch vollkommene Volksthümlichkeit ausgezeichnet war; sie brach aber nicht plötzlich und auf einmal herein, .sondern wurde durch eine Zeit des Überganges allmählich herangeführt. Diese dauerte etwa von 1150 bis 1190. Sie

trug die sicheren Zeichen des hereinbrechenden Gesangesfrühlings zwar bereits an sich, erinnerte aber doch in der Sprache und im Versbau auch noch an die eben vergangene

Zeit.

Jener fehlte es nämlich an völliger Reinheit, diesem mangelte die Sorgfalt und

Strenge und der genaue Anschluß an den Gang der Erzählung. Von dem Hofe der thüringischen Landgrafen, an welchem als eifrigster Altmeister Heinrich von Veldeke den Mittelpunkt strebsamer Dichter bildete, ging die neue Kunstrichtung aus, die später den Namen der höfischen Dichtung erhielt. Sie blieb aber schon jetzt nicht ohne Einfluß

Einleitung.

28

auf die Dichtungen dieser Vorbereitungszeit.

Diese Dichtungen sind entweder geistlichen

Inhalts, wie das Annolied, welches die Geschichte der Welt von der Schöpfung bis auf den zu Köln 1075 verstorbenen Erzbischof Anno erzählt, und die Erzählung vom Pi­

latus; oder sie sind weltlichen Inhalts, wie das Rolandslied (oder die Ronceval-

schlacht), das vom Pfaffen Konrad auf den Wunsch der Gemcchlin Heinrichs des Löwen verfaßt sein soll, die Erzählung vom Könige Rother und das vom Pfaffen Lamprecht gedichtete Alexanderlied. Hieher sind auch die Gedichte zu rechnen, in denen die ersten

Anfänge lyrischer Kunst sich zeigen und eine bewundernswürdige Tiefe und Innigkeit des Gefühls sich kundgiebt. Ihre Verfasser sind besonders der von Kürenberg, ferner Spervogel, der in seinen Liedern vornehmlich die Jungfrau Maria lobpreisend verherr­ licht, Dietmar von Aist und, vor allen hervorragend, Heinrich von Veldeke, dessen Eneit (eine Bearbeitung der Äneassage) als die eigentliche Vorläuferin der höfischen Poesie

angesehen werden darf. §. 96. Auf diese Vorbereitungs- und Übergangszeit folgt die erste Blütezeit, welche ein Jahrhundert umfaßt und bis zum Schluffe des dreizehnten Jahrhunderts reicht. Sie läßt eine zwiefache Gestalt der Poesie, die Natur- oder Volksdichtung und

die Kunst- oder Hofdichtung, unterscheiden.

Ihre Verschiedenheit, die sich besonders

rücksichtlich der epischen Dichtungen geltend macht, zeigt sich ebensosehr in dem Inhalte, wie in der Form und rücksichtlich der Sänger.

Den Stoff für die Volksdichtung liefern

die Thaten des Volkes selber; ihr gehört alles an, was mit dem Leben, mit der Erfahrung,

der Anschauung und Geschichte des Volkes innig verbunden und verwachsen ist. Was das Volk bewegt und erregt und in Thätigkeit setzt, das spricht der Sänger aus; so ist er eigentlich der Mund des ganzen Volkes, seine Dichtung das eigentliche Geschichtsbuch

desselben. Des Dichters Auffassung und Persönlichkeit tritt ganz zurück, und sein Name wird vergessen. In der höfischen Poesie dagegen bilden die eigenen Erlebnisse des Dichters,

seine persönlichen Erfahrungen und seine Anschauungen den Hauptgegenstand der Dich­ tung. Er malt das Leben nicht, wie es ist, sondern wie es ihm erscheint. Er hält sich nicht an die nationalen Gesangesstoffe, er borgt sie vom Auslande, um sie in deutsche zu

verwandeln, sie als deutsche zu behandeln, indem er an ihnen seine poetische Kraft und Begabung versucht. Daher tritt auch der Dichter in den Vordergrund; er wünscht, daß sein Name bekannt werde, und nennt sich. Die Volkspoeste also ist objektiv, die Hofpoesie subjektiv. Was die Form betrifft, so treten die Volksdichtungen in der Helden- oder

Nibelungenstrophe (§. 45. Anm.) auf, während die höfischen Dichtungen in den soge­ nannten kurzen Reimpaaren verfaßt sind, d. h. in paarweise gereimten Zeilen von drei oder vier Hebungen. Während endlich als die Vertreter der Volkspoesie die fahrenden Sänger überall da erscheinen, wo eine größere Volksmenge beisammen ist, wird die

höfische Poesie von den Adlichen gepflegt. Der Vortrag jener war schmucklos, aber na­ türlich und kräftig, der Vortrag dieser allerdings kunstvoller und kunstreicher, aber auch weit weniger kräftig und natürlich.

A.

Die Volksdichtung. a) Die epische Poesie.

§. 97.

Die epische Volksdichtung entnimmt ihren Stoff zunächst den folgenden sechs

Sagenkreisen: dem fränkischen, dessen Hauptheld Siegfried von Santen (Tanten) ist, dem burgundischen, der die Sagen von den Königen Gunther, Gernot und Giselher,

von ihrer Schwester Kriemhild und von ihren Mannen enthält, dem ostgothischen, der

Übersicht der Literatur-Geschichte.

29

von Dietrich von Bern und seinen Recken, den Wölflingen, erzählt, dem hunnischen, dessen

Mittelpunkt der in der Etzelburg (Ofen) residirende Etzel bildet, dem norddeutschen

(friesisch-dänisch-normannischen), dessen Schauplatz das Meer und die altsächsischen NordseeInseln von Friesland sind, und dessen Sagen von dem Hegelingenkönige Hetel und seiner Tochter Gudrun, von dem sangeskundigen Dänenkönige Horand, von den Normannen­ königen Ludwig und Hartmut handeln, und dem lombardischen, der aus den Sagen

von den Königen Rother, Otnit, Hugdietrich und seinem Sohne Wolfdietrich besteht.

Sie

hat viele herrliche Dichtungen aufzuweisen, zunächst die beiden größten deutschen Helden­ dichtungen, in denen mehrere Sagenkreise vereint erscheinen, das Nibelungenlied und

das Gudrunlied.

Ersteres, dessen Abfassung der Grenzscheide des 12. und 13. Jahr­

hunderts angehört, schließt zwanzig ursprüngliche und alte Lieder in sich und ist aus zwei Theilen, Siegfrieds Tod und der Nibelunge Noth, zusammengesetzt, denen als Anhang die „Klage", ein in kurzen Reimzeilen abgefaßtes Kunstgedicht, angefügt ist. Das Gudrun­ lied ist der griechischen Odyssee vergleichbar; es gehört dem Ende des 12. Jahrhunderts

an und erlitt am Anfang des 13. Jahrhunderts eine theilweise Umarbeitung.

Der epischen

Volksdichtung gehören ferner mehrere Gedichte an, deren Inhalt nur aus einem Sagen­ kreise geschöpft ist, besonders das Lied- vom gehörnten Siegfried, das Eckenlied (oder Eckenausfahrt) und König Laurin (oder der kleine Rosengarten), endlich auch die­ jenigen Dichtungen, die nur eine weitere Ausführung von einzelnen Theilen einzelner Sagen bilden, unter denen der Rosengarten zu Worms mit der komischen Persönlichkeit des

Mönches Jlsan besonders interessant ist. An die Heldendichtung lehnt sich die Thiersage, welche aus der ältesten Zeit und der innigen Verbindung des Menschen mit der Natur stammt.

Sie wurde zuerst um 1170

in isengrines not von Heinrich dem Meißner (her Heinrich der glichezäre) bearbeitet, dessen Bearbeitung später in Reinhart dem Fuchs eine Überarbeitung erfuhr; dann wurde

sie im fünfzehnten Jahrhundert von dem Westfalen Nikolaus Baumann ins Platt­ deutsche übertragen und gab die Veranlassung zu der Thier fabel (dem Bispel). In neuerer Zeit hat Goethe in seinem Reineke Fuchs das alte Epos wieder neu aufleben

lassen. Die Thierfabel benutzte das Thierleben als ein Abbild des menschlichen Lebens und wurde vorzüglich von Stricker („die Welt"), von Ulrich Boner („der Edelstein") und von Gerhard von Minden (Bearbeitungen von äsopischen Fabeln) gepflegt, der dem vierzehnten Jahrhundert angehört.

Die epischen Gedichte mit vorherrschend didaktischer Tendenz (Lehr- und Spruchge­

dichte), wie Freidanks Bescheidenheit, Hugo von Trimbergs Renner, der Windsbecke und die Windsbeckin, sind von geringerem Werthe, weil sie sämmtlich des poetischen Gehaltes mehr oder weniger entbehren.

b) Die lyrische Poesie. §.98.

Das Volk hat gewiß auch in dieser Zeit eigentliche Lieder besessen,

aber wir haben keins derselben übrig.

Sicherlich pflanzten sie sich von Munde zu Munde

fort, wurden deshalb nicht ausgezeichnet und meist durch die kunstvolleren höfischen Lieder verdrängt. So tritt denn das eigentliche Volkslied erst dann hervor, als die Hofpoesie

verstummt.

c) Die dramatische Poesie. §. 99. Die allerersten Anfänge der dramatischen Dichtung fallen allerdings schon in diese Zeit; allein sie sind so schwach, daß es besser ist, sie zugleich mit ihrer allmählichen Fortbildung zu betrachten, die den späteren Jahrhunderten angehört.

Einleitung.

30 B.

Die Hofdichtung.

a) Die epische Poesie. §. 100. Die epischen Dichtungen der höfischen Poesie zerfallen in Heldendichtungen, Legenden und poetische Erzählungen. Die Heldengedichte schöpfen ihren Stoff aus fremdländischen Sagenkreisen, nämlich aus dem französischen von Karl dem Großen und seinen Helden, aus dem spanischen vom heiligen Gral, aus dem brittischen vom

Könige Artus und seiner Tafelrunde und endlich aus dem antiken, der die alten griechi­ schen und römischen Sagen, besonders die Trojasage, die Äneassage und die Sagen von Alexander dem Großen, enthält.

Die höfischen Dichter haben durch ihre Bearbeitungen

diese Sagen jedoch in vollkommen deutsche verwandelt.

Der spanische und brittische Sagen­

kreis sind in den deutschen Dichtungen stets mit einander vereinigt; beide zusammen mit dem französischen heißen die romantischen. Unter den Verfassern höfischer Heldendichtungen strahlen besonders hervor:

Herr

Wolfram von Eschenbach, dessen hochberühmtes Gedicht Parzival der Gral- und Artus­

sage angehört, Herr Hartmann von Aue, der sich durch die dem brittischen Sagenkreise zugehörigen Dichtungen Er ec und Iw ein ausgezeichnet hat,

Meister Gottfried von

Straßburg, der Verfasser von Tristan und Isolde, und Meister Konrad von Würz­ burg, dessen Trojanerkrieg den Leser besonders durch wohlklingende Sprache und gutge­

baute Verse erfreut. §. 101. Die Legendendichtungen dieser Zeit gewähren einen rührenden Blick in das kindliche Glaubensleben des deutschen Volkes, in welches wir uns aber hineindenken müssen, wenn wir diese Dichtungen gehörig würdigen wollen. Der Legende vom heiligen

Gregor auf dem Steine von Hartmann von Aue kann füglich der heilige Alexius

Konrads von Würzburg an die Seite gesetzt werden.

Die poetischen Erzählungen

sind zum Theil ernsten Inhalts, wie Hartmanns von Aue armer Heinrich und Rudolfs von Ems guter Gerhardt, zum Theil aber auch launigen Inhalts, und unter diesen ist besonders der Pfaffe Amis berühmt, der von Stricker verfaßt und indem „Abte von Sankt Gallen" von Bürger als Vorbild benutzt worden ist.

b) Die lyrische Poesie. §. 102. Die lyrische Poesie, deren Gegenstand vorzugsweise die den Deutschen eigen­

thümliche Minne („das stille Sehnen des Herzens,

das Denken an die Geliebte") ist,

singt von der Liebesfreude und dem Liebesleide des jugendlichen Herzens, das in schüchterner Verschämtheit der Geliebten Namen öffentlich zu nennen nicht über sich zu gewinnen vermag. Sie singt von dem Frühlinge, dem Mehrer und Pfleger der Liebe, und von dem Winter, ihrem bösen Feinde; sie singt aber auch in vollster Huldigung das Lob und

den Preis der Frauen; sie singt in ernsten Tönen ihre Loblieder auf die heilige Jungfrau Maria (himmlische Minne) und auf den Erlöser; sie singt von der Vergänglichkeit und Hinfälligkeit alles Irdischen; sie singt endlich von den Pflichten des Kaisers, von dem Rechte und Unrechte des Papstes gegen Kaiser und Reich, indem sie hier nahe an die

didaktische Dichtung heranstreift. Sie erscheint in der Form von Liedern, Leichen und Sprüchen. Die Sprüche gehören fast ganz der didaktischen Poesie zu und erscheinen in einzelnen, selbständigen Strophen, die gesagt, nicht gesungen wurden. Der Leich, d. h. „Spiel, Spiel auf der Zither", wurde zuerst von der geistlichen Poesie gebraucht, später

aber auch für die weltliche verwandt.

Er ist in keiner bestimmt erkennbaren Strophe

oder doch in sehr verschiedenen Strophen verfaßt und deshalb durchweg mit 9i'cten be­ zeichnet. Dadurch unterscheidet er sich sehr genau von den Liedern, deren Melodie nur

Übersicht der Literatur-Geschichte.

31

der ersten Strophe vorgesetzt ist, und deren Strophen nach einem bestimmten Gesetze gebaut sind. wirken.

Diese Strophe, für den Gesang bestimmt, sollte schon durch ihre Form musikalisch Sie bestand aus drei Theilen; die beiden ersten Theile, die Stollen, waren

vollkommen gleichmäßig gebaut und bildeten zusammen den Aufgesang; der dritte Theil,

der Abgesang, hatte verschiedenen Bau. Die Minnesänger, die dem ritterlichen Stande (Herren) mit vereinzelten Aus­ nahmen (Meister) angehörten, sangen ihre Lieder, die sie nicht aufschreiben, sondern durch

mündliche Tradition verbreiten ließen, in ihren Kreisen unter ihren Standesgenossen.

Als

die bedeutendsten (vgl. §. 95, Ende) sind Walther von der Vogelweide, Nithart von Riuwenthal in Baiern, Ulrich von Lichtenstein, Heinrich Frauenlob (von Meißen),

Reinmar von Zweter, Kaiser Heinrich VI., König Wenzel von Böhmen und Markgraf Otto IV. mit dem Pfeile von Brandenburg zu erwähnen. Erst als der Minnegesang seinem Untergange entgegeneilte, wurden Sammlungen der Minnelieder veranstaltet, unter

denen die Manessische Sammlung die berühmteste ist. Sie stammt aus dem vierzehnten Jahrhundert, befindet sich in Paris und enthält Lieder von 140 Minnesängern.

II. §. 103.

Die Prosa.

In dieser Zeit, wo die Lust am Gesänge so rege, der Sinn für Rhythmus

und Reim so lebendig war, konnte die Prosa eine Stätte nicht finden; sie blieb beschränkt auf die geistliche Beredsamkeit, auf Sammlungen von Rechten und Gesetzen, auf öffentliche

Urkunden und wurde auch auf diesem Gebiete vielfach durch die lateinische Sprache ver­ drängt.

Wo sie aber verwendet wurde, wie in dem Schwabenspiegel und dem

Sachsenspiegel, der auf jenem zumeist beruht und das sächsische Stadt- und Landrecht

enthält, da zeigte sie sich für prosaische Darstellung im ganzen genugsam brauchbar. Zweiter Zeitraum. Dom Schlüsse des dreizehnten bis zum Anfänge des sechzehnten Jahrhunderts (bis zur Reformation).

I. §. 104.

Die Poesie.

Mit dem Untergänge der Hohenstaufen begann auch die Blüte unserer

Poesie zu welken.

Das heilere Gesangesleben schwand von den Burgen und

aus den

Palästen; es schwand auch, wenngleich langsamer, aus den Kreisen des Volkes. Mannig­ facher Art waren die Ursachen des schnellen Verfalles der deutschen Poesie in dieser Zeit.

Die Einheit des deutschen Volkes zerriß, das Nationalbewußtsein erstarb nach dem Tode des letzten Hohenstaufen, und weder eine größere Unternehmung nach außen, noch eine gemeinsame That im Inneren des Reiches festigte sie von neuem. Der Kaiser Rudolf von Habsburg und alle seine Nachfolger richteten ihr ganzes Streben auf Gründung und Befestigung ihrer Hausmacht; die Fürsten und Herren dachten nur auf Vermehrung ihrer Macht, ihres Ansehens und ihres Reichthums.

Staat und Kirche, Fürsten und Papst

haderten mit einander ununterbrochen und häuften gegenseitig Vorwürfe und Verwün­ schungen auf einander, zu denen das Räuberleben (Faustrecht) auf der einen, zügellose

Sittenlosigkeit auf der anderen Seite reichliche Veranlassung boten. Trübe, traurige, verderbenbringende Ereignisse aller Art, wie Mißwachs und Überschwemmung, Hungers­ noth und Pestilenz, verscheuchten auf lange Zeit alle Fröhlichkeit und Freudigkeit aus den

Häusern der Bürger und den Palästen der Fürsten.

Der allmählich reichgewordene Bürger­

stand nahm sich der von den Ritterburgen vertriebenen Poesie an, pflegte sie aber auf handwerksmäßige Weise.

Der Geist wurde von dem Streben nach Höherem und Edlerem

Einleitung.

32

auf daS Niedere, Materielle abgelenkt und durch die neuen im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert gemachten Erfindungen und Entdeckungen in die Ferne hingerichtet. Die

Erfindung der Buchdruckerkunst im besonderen wandelte die auf Gesang und lauten Vor­ trag berechnete Dichtung in eine für die stille Lektüre gescbriebene Reimerei um; sie förderte

ferner die Gelehrsamkeit, die vom vierzehnten Jahrhundert an in Deutschland sich auSbreitet und die Gründung von Gelehrtenschulen (Prag, Heidelberg, Leipzig) veranlaßt. Die Gelehrsamkeit aber bahnte im Gegensatz gegen die alten vaterländischen Dichtungen das Studium der römischen und griechischen Gedichte an und forderte zur Nachahmung

derselben in lateinischen Bersifikationen auf. So eilte die Poesie jener Zeit mit schnellen Schritten ihrem völligen Untergange entgegen, vor welchem sie erst durch die Reformation bewahrt werden sollte.

a. Die epische Dichtung. §. 105.

Die alten vaterländischen Heldendichtungen, wiewohl noch eine Zeit lang

vom Volke unvergesien, blieben dennoch nicht in ihrer ursprünglichen Volksthümlichkeit erhalten. Sie wurden, und zwar nicht die bedeutendsten derselben, das Nibelungen- und

Gudrunlied, sondern die weniger bedeutenden Sagen von den Königen Otnit, Hugdietrich und Wolfdietrich, Laurin und dem Rosengarten zu WormS, in dem Heldenbuche um­ gebildet und verunstaltet, das von Kaspar von der Roen verfaßt ist. Noch geschmackloser waren die Um- und Nachbildungen, die mit den Heldendichtungen der höfischen Poesie vor­

genommen wurden und in dem Buche der Abenteuer enthalten sind.

. b. Die lyrische Dichtung. §. 106. Obwohl sich der Minnegesang noch am längsten seinen Reichthum an tiefen Empfindungen und den Schmuck seiner anziehenden Form erhielt, so ging dennoch auch diese Dichtung bald von den Rittern zu den Bürgern, von den Herren zu den Meistern über und wandelte sich um in den Meistergesang. Neben dem Handwerke und in

ähnlicher Weise wie dieses wurde der Meistergesang von den ehrsamen Bürgern besonders süddeutscher Städte (Mainz, Straßburg, Nürnberg, Augsburg, Regensburg, Ulm) sonntags

nach dem Nachmittagsgottesdienste und in den Feierabendstundeu nach fest bestimmten Regeln (Tabulatur) gepflegt. In ihren freien Gesellschaften (Singeschulen) sonderten sich die Meistersänger nach bestimmter Rangordnung in Schüler, Schulfreunde, Singer, Dichter

und Meister, aus welchen letzteren der Vorstand (das Gemerk) gewählt wurde, nämlich der Büchsen-, Schlüssel-, Merk- und Kronmeister. Den Gesängen war nur ein ehrbarer, sittlicher, frommer Inhalt erlaubt, der deshalb am zweckmäßigsten auS der Bibel zu schöpfen war. Die beim Hauptsingen für würdig befundenen Lieder wurden mit dem Haupt­ preise, der silbernen Kette mit der Denkmünze, oder nur mit dem Kranze gekrönt, der auS

seidenen Blumen gewunden und kostbar verziert war. Der Meistergesang trug nur zur Belebung der Sittlichkeit unter dem Handwerkerstande, durchaus nicht zur Hebung der Poesie bei; doch erhielt er die Liebe zu ihr und den Sinn für sie wach. Wunderbarer Weise erhielt er sich in einzelnen Städten, nachdem längst die zweite Blüte der Poesie sich zu entfalten begonnen hatte, in Nürnberg z. B. bis 1770, in Ulm sogar bis 1839.

liches

Bon größerer Bedeutung ist das Volkslied, das seinem Inhalte nach in ein welt­ und in ein geistliches zerfällt. Die Anfänge des weltlichen Volksliedes

reichen gewiß in die erste klassische Zeit hinein (§. 98); seine Blüte, die in den Anfang deS sechzehnten Jahrhunderts fällt, welkte gleich hin, sobald man Volksliedersammlungen zu veranstalten, es also aus dem Munde deS Volkes, seiner einzigen gedeihlichen Stätte, auf daS todte Blatt zu übertragen begann. Es singt alles, was der Einzelne erlebt hat,

Übersicht der Literatur-Geschichte.

33

aber in aller Herzen seinen Wiederhall und Nachklang findet, und verbindet mit den Wortten eine kunstlose, aber ansprechende Melodie. DaS geistliche Volkslied, welches zunächst an die Lieder der göttlichen Minne anknüpfte, trat nach allmählicher Verdrängung deS llateinifchen Gesanges beim Gottesdienst, der sogenannten Leisen (von Kyrie eleison),

etwa mit dem Ende deS vierzehnten Jahrhunderts auf. ES wurde der Vorläufer deS fpäterren eigentlichen Kirchenliedes, da eS religiöse Empfindungen deS Dichters aussprach, c. Die dramatische Dichtung.

§. 107.

Die dramatische Dichtung knüpfte an den religiösen Kultus an und wurde

deShcalb auch, besonders in Frankreich, häufig Mysterium genannt.

Sie entnahm ihren

Jnharlt aus der Religion und diente zunächst zur Veranschaulichung des durch Christus

vollbrachten Erlösungswerkes.

Diese Aufführungen (PassionS-, Oster- und Weihnachts­

spieler) wurden anfänglich in die Kirche, später als Volksspiele in das Freie verlegt. Sie würben anfangs in lateinischer, später in arg verwilderter deutscher Sprache und in regel­ losem: Versbau vorgetragen. Durch allmähliche Einflechtung weltlicher Szenen gaben sie die mächste Veranlassung zu dem weltlichen Schauspiel, wie die durch Muthwillen und

Scherrz gewürzten Fastnachtsspiele, die in den Familienkreisen zur Fastnachtszeit veranstaltet

wurdven, den ersten Keim zur Komödie enthielten.

II.

Die Prosa.

§. 108. Der auf das Praktische und Materielle gerichtete Sinn dieser Zeit war, je umgünstiger für die Förderung der Poesie, desto günstiger und förderlicher für die Verbreitmng und Entwicklung der Prosa. Die Geschichte, früher in die poetische Form

gekleiidet oder, besonders von den Geistlichen, in lateinischer Sprache verfaßt, fiel mehr und imehr den Laien anheim. Diese machten die deutsche Sprache für diese Gattung der Prosca geltend nnd legten den Grund zur deutschen historischen Prosa. Dieser stellte sich bald die Beredsamkeit würdig zur Seite, als die bedeutendsten Kanzelredner sich der deutscchen Sprache in ihren Reden bisweilen, in ihren religiösen Lehr- und ErbauungSbücherrn fast ausschließlich zu bedienen begannen. Ihre vorzugsweise fördersame Entwicklmng endlich fand die Prosa durch die mehr und mehr beliebten ÜbersetzungS-

versiuche auS den fremden Sprachen, besonders der lateinischen.

Zweiter Hauptabschnitt. Die neue Zeit. Erste Periode. DieneueZeit.

Dom Anfänge der Reformation bis zur Thronbesteigung Friedrichs des Großen. §. 109.

Das Christenthum, das vom Beginne der deutschen Literatur auf dieselbe

einen l bedeutenden Einfluß ausgeübt hat, fängt in diesem Zeitabschnitte an, von den mancherlei Schlaacken, die sich im Laufe der Jahrhunderte ihm angesetzt haben, frei zu werden und seine

ursprüngliche Reinheit wiederzugewinnen.

Infolge

dessen ruft es auch auf dem

Gebieete der Literatur das Ringen nach Läuterung und Reinigung hervor und weckt auch hier ddaS Streben, zu geistiger Tiefe, zu geistigem Gehalte zurückzukehren, die schöne Form

mit wvahrem Inhalt zu verbinden und endlich wieder national zu werden.

Diese Rückkehr

zum (Guten, diese Entfaltung der zweiten Blüte war aber unmöglich ohne siegreiche BeDinelitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Aust.

3

Einleitung.

34

wältigung der entgegenstehenden feindlichen Elemente; ein Kampf war nothwendig, aber der Kampf führte zum Siege; die deutsche Literatur drang durch Nacht zum Licht.

Erster Zeitraum. Vom Anfänge der Reformation bis zum Anfänge des siebzehnten Jahrhunderts. I.

§. 110.

Die Poesie.

In dieser Zeit, die den Übergang von der alten Zeit in die neue bildet,

gewann die Gelehrsamkeit, die sich immer mehr ausbreitete und auf daS ausschließliche

Studium nicht blos der römischen, sondern auch der griechischen Schriften sich erstreckte, einen immer größeren Einfluß auf die deutsche Literatur.

Sie machte freilich zunächst daS

Nationalbewußtsein unsicher, erschloß aber wie zur Entschädigung dafür den Deutschen eine Fülle von neuen Anschauungen und weckte sie zu neuem geistigen Leben. Es galt

nun, diese neuen Anschauungen mit deutschem Geiste aufzunehmen, die neuen fremden

Stoffe mit den einheimischen aufs innigste zn verschmelzen, sie in deutsche umzuwandeln. Das blieb aber einer späteren Zeit aufbehalten; dieser Zeit gelang es nicht. Sie erhob sich nur bis zu einer sogenannten Gelehrtenpoesie, die ihr höchstes Streben darauf richtete, den fremdländischen Mustern nachzuarbeiten; sie beschränkte sich in ihrem Gewinne darauf, wenigstens gute Muster sich zu wählen. Aber auch hierzu wurde in diesem ersten Zeitraum nur der Weg gebahnt.

Neben einer solchen Gelehrsamkeit vermochte die volksmäßige Poesie

nicht länger ihr Dasein zu fristen; sie erstarb bis auf das Volkslied völlig, das aus ihr sich erhob. Nur das Kirchenlied gelangte zu schöner Blüte infolge der größeren Glaubens ­ frische und Glaubensinnigkeit, die durch die Reformation hervorgerufen war. Der Kampf zwischen dem hinsterbenden Alten und dem frisch emporstrebenden Seiten förderte hier wie überall und immer die Satire, die Spottdichtung. Die dramatische Dichtung endlich schritt

in ihrer allmählichen Entwicklung weiter fort.

a. Die epische Poesie. §. 111. An die Stelle deS volksmäßigen und höfischen Epos, daS fast ganz vergeffen ist, sind kleinere poetische Erzählungen getreten, die meist belehrenden Inhalts sind, oft sogar nur werthlose Reimereien enthalten. Nur in geringer Zahl sind sie durch Inhalt und Form anziehend, und dann haben sie meist den bedeutendsten Dichter jener Zeit zum Verfasser, HanS Sachs. 1494 zu Nürnberg geboren, lebte er daselbst bis zu seinem Tode 1576 als Schuhmacher; in der Kunst des Meistergesanges wurde er durch den Leineweber Nunnenbeck unterwiesen. Der reformatorischen Bewegung folgte er mit dem lebhaftesten Interesse und dichtete für Luther und dessen Werk zahlreiche Lieder und Sprüche. Großes Aufsehen erregte namentlich das von ihm (1523) zum Lobe Luthers verfaßte Gedicht: Die Wittenbergisch Nachtigal. Seine Dichtungen sind theils ernsten (Histori und Geschicht), theils scherzhaften Inhalts (Fabeln und gute Schwenk) und lesbar, wenn der Stoff aus dem bürgerlichen Leben gewählt ist. Ausgezeichnet durch edle Sprache

und lebendige Darstellung ist auch Johann Fischarts Glückhaft Schiff von Zürich, eine

Erzählung von einer Wasserfahrt der Züricher Schützengesellschaft von Zürich nach Straßburg, die so schnell vollendet worden, daß ein von Zürich mitgenommener Hirsebrei noch

warm in Straßburg ankam. Die Fabel fand nach dem Vorgänge deS HanS Sachs ihre vorzüglichste Pflege durch Erasmus Alberus und Burkard Waldis, die beide aus Hessen stammten, Theologen

und eifrige Protestanten waren.

AlS die bedeutendste Fabeldichtung' dieser Zeit dürfte

Georg Rollenhagens Froschmäuseler anzusehen sein, der, 1595 im Druck erschienen,

Übersich t der Literatur-Geschichte.

35

in neuerer Zeit von Gustav Schwab neu bearbeitet worden ist und zum allegorisch­ satirischen Thierepos gerechnet wird. b. Die lyrische Poesie.

§. 112.

Auch die lyrische Poesie verliert des Bodens immer mehr; der Meister­

gesang entbehrt wie den poetischen Inhalt von Anfang an, so nun auch eine erträgliche Form, da das feinere Gefühl für Rhythmus und Reim den Meistersängern schnell ab­ handen kommt. Das Volkslied, einer kurzen Blüte genießend, wird durch die gelehrte

Poesie erdrückt und verdrängt.

Nur das evangelische Kirchenlied entwickelt sich,

begünstigt durch den frischen Hauch, der infolge der Reformation das Christenthum durch­ weht. Die evangelischen Christen strömen in ergreifenden Worten die Glaubensinnigkeit aus, von der ihr Herz durchdrungen ist, an ihrer Spitze Martin Luther (geb. 1483,

gest. 1546), ihm würdig sich anreihend Paul Sp eratuS (von Spretten; Es ist das Heil uns kommen her), Nicolaus Decius (Allein Gott in der Höh' sei Ehr) und NicolauS Hermann (Lobt Gott, ihr Christen all' zugleich).

c. Die dramatische Poesie. §. 113.

Durch den Einfluß des Studiums der griechischen,

besonders aber der

römischen Schauspiele nimmt die dramatische Dichtung einen ersten Anlauf zu größerer Regelmäßigkeit in der Anlage der Stücke, auch wohl zu angemeffener Bertheilung deS In­ halts; sie vermag sich aber noch nicht hinlänglich von dem religiösen Stoffe loSzureißen.

Die Aufführung der Stücke geschieht noch durch Handwerker und Studenten in Schulen, in den Rathhäusern, auch wohl im Freien. Hans Sachs, der auch hier nicht Unbe­ deutendes leistete (er hat 208 Tragödien, Komödien und Fastnachtsspiele hinterlassen!), strebte danach, die dramatische Dichtung volksthümlich zu machen, und sein Streben blieb nicht ohne Erfolg. Die Theilnahme für die dramatische Poesie wuchs, die gesteigerte Theil­ nahme veranlaßte kurz vor dem Ausbruche des dreißigjährigen Krieges bereits in einzelnen Städten regelmäßige Aufführungen; ja, ein Herzog von Braunschweig hielt sich eine eigene Schauspielergescllschaft, und großen Beifall ernteten englische Komödianten, welche um 1590

in Deutschland umherzogen und in den Städten, so wie an den Höfen der Fürsten ihre aus England mitgebrachten Stücke anfangs in ihrer Muttersprache, später nach dem Hin­ zutritt deutscher Mitglieder auch in deutscher Bearbeitung vortrugen. II.

§. 114.

Die Prosa.

Die Prosa, die sich zuletzt der allgemeinen Verderbnis nicht hatte entziehen

können und eine entsetzliche Verwilderung der Formen zeigte, wurde durch Luther- An­ strengung und Sorgfalt und durch sein mühsames Forschen auS ihrer Verderbnis hervor­ gezogen, gereinigt, geläutert, gekräftigt. Die neuhochdeutsche Sprache, eigentlich die Sprache der sächsischen Kanzlei, der, wie Luther sagt, „alle Fürsten und Könige in Deutsch­ land nachfolgen", hat sich allmählich aus dem obersächsischen Dialekte herausgebildet, war also schon vor Luther vorhanden, ist aber von ihm durch seine Bibelübersetzung (1534), seine Predigten und seine Sendschreiben an Fürsten und Städte befestigt und verbreitet worden. Sie ward mehr und mehr allgemein angenommene Schriftsprache, auf deren fernere Aus­

bildung die religiösen Streitschriften nicht ohne Einfluß blieben. Die prosaischen Schriften dieser Zeit bestehen meist in Volksbüchern (vom Till Eulen­ spiegel; das Lalenbuch; vom Schwarzkünstler Dr. Faust), in Sprichwörtersammlungen,

kleineren Unterhaltungsbüchern und Länderbeschreibungen.

Sie sind einer weiteren Anfüh­

rung nicht werth; doch.möge hier die von Valentin Jckelsamer verfaßte deutsche Grammatik

3*

Einleitung.

36

als die älteste (1522) erwähnt werden.

Auf dem Gebiete der deutschen Predigt leistete

Luthers Schüler Johanne- MathesiuS Hervorragendes.

Albrecht Dürers vier Bücher von

menschlicher Proportion zeichnen sich durch bestimmte und klare Darstellung aus. Zweiter Zeitraum.

Dom Anfänge des siebzehnten Jahrhunderts bis zur Thronbesteigung Friedrichs des Großen.

I.

§. 115.

Die Poesie.

Die Nachahmung fremdländischer Muster, die im vorigen Zeitraume zuerst

eingetreten ist, schreitet schnell vorwärts und führt jetzt zu einem vollständigen Siege der fremden Elemente über die deutschen. Die deutsche Anschauung wird vernichtet, das deutsche Nationalitätsgefühl wird erstickt, und die herrliche Poesie deö deutschen Mittelalters schwindet selbst auS der Erinnerung des Volkes. Der dreißigjährige Krieg mit seinen Schrecken und das politische Übergewicht Frankreichs vernichten das deutsche Nationalbewußtsein, verderben

die deutsche Sitte, verunreinigen die deutsche Sprache. Zu dieser unerträglichen Abhängig­ keit vom AuSlande inbetreff der Poesie gesellt sich die Gelehrsamkeit, die ihren Einfluß

immer mehr erweitert und jetzt noch weit entschiedener als vorher an die Stelle aller und

jeder volksthümlichen Dichtung die gelehrte Poesie setzt. Diese schöpft ihren Inhalt nicht aus dem eigenen Herzen des Dichters; sie bietet nicht das, was der Dichter selbst empfunden,

selbst gefühlt hat; sie bringt vielmehr daS, was der Dichter gelesen, was er von anderen Dichtern und nicht einmal von den besten Dichtern des Alterthums, sondern von deren un­ geschickten, albernen Nachtretern, von holländischen, italienischen, französischen Dichtern ge­ lernt hat. An die Nachahmung derselben bindet er sich dann mit völliger Aufopferung seiner Selbständigkeit. Und waS die gelehrte Poesie bringt, beruht nicht auf der Phan­ tasie, sondern auf dem Verstände und ist nicht für das Volk, sondern für die Gelehrten gedichtet. Dazu gesellte sich ferner die verkehrte Ansicht, die man von der Poesie hatte. Sie galt nicht mehr für eine himmlische Gabe; sie wurde angesehen wie jede andere Dis­ ziplin, welche nach bestimmten Regeln gelehrt, also auch erlernt werden kann, fast wie ein Handwerk, mindestens galt sie für eine erlernbare Fertigkeit im Reimen. Was Wunder, wenn infolge dieser Ansicht die größte Sorgfalt nicht auf den Inhalt, der erborgt war, sondern auf die Form gerichtet wurde. Bald fand die Meinung weite Verbreitung, der gute Dichter muffe vor allem mit der griechischen nnd römischen Mythologie vertraut, mit einer Kenntnis der schönsten Stellen aus den bedeutendsten (namentlich lateinischen und französischen) Dichtern reichlich auSgestattet und glücklich sein in der Wahl sinnreicher Bei­ wörter! War es zu verwundern, daß eine Poesie, von der man eine so geringfügige An­

sicht hatte, zu vorzugsweiser Anfertigung von Gelegenheitsgedichten sich erniedrigte? Trotz aller dieser Mißstände ist aber dennoch ein Fortschritt der Poesie gegen die vorhergehende Zeit unverkennbar. Weder die Form, noch der Inhalt wurde vernachlässigt. Der Inhalt war zwar nicht aus den besten Quellen geschöpft und fast durchweg erborgt und gestohlen, aber er war doch bereichert, hie und da auch vertieft worden.

Die Form

war vor fernerer Verwilderung geschützt, ja sie wurde nun allmählich mehr, als nothwendig war, berücksichtigt. Vor allem suchte man für die Metrik feste Grundsätze und für die

Sprache Reinheit zu gewinnen.

Wie für die Herstellung der Metrik Martin Opitz, so

sind für die Reinigung der Sprache, weniger für die Hebung der Poesie selber, von großer Bedeutung die in dieser Zeit hervortretenden Sprachgesellschaften. Die wichtigste

derselben, die fruchtbringende Gesellschaft oder der Palmenorden, wurde 1617 zu Weimar von mehreren Fürsten und Edelleuten, die deutschgesinnte Genossen­ schaft oder der Rosenorden 1643 von Philipp von Zesen zu Hamburg gegründet. Die

Übersicht der Literatur-Geschichte.

37

Gesellschaft der Schäfer an der Pegnitz oder der gekrönte Blumenorden,

1644 von Harsdörffer und Klar gestiftet, verbreitete die nicht allein geschmacklose, sondern auch unnatürliche Schäferpoesie. Die Mitglieder endlich deS von Johann Rist 1656 be­ gründeten Elbschwanenordens betrieben die Poesie als etwas ganz Äußerliches.

Die Pflege dieser Poesie fiel zunächst dem nördlichen Deutschland anheim. Sie ging von Schlesien aus, wo schon früh die Gelehrsamkeit ihren Sitz und ihre Stätte gefunden hatte; sie gewann aber ihre Anhänger besonders in den protestantischen Ländern, welche auch die Gelehrsamkeit infolge der Reformation mit besonderer Vorliebe ausgenommen hatten. In diesen Zeitraum fallen auch die Anfänge nicht blos des Romans (Amadis), der

an die Stelle der untergegangenen Heldensage getreten und dem Auslande abgeborgt ist, sondern auch seiner (aus Italien stammenden) Schwester, der Novelle. Diese bot zuerst in Übersetzungen, nachher in freieren Nach- und Umbildungen Helden- und Liebesgeschichten oft in wunderlichster Vermischung dar

und verbreitete

dadurch den Geschmack an den

Robinsonaden, die durch den Robinson Crusoe des Engländers Daniel Defoe veran­ laßt worden sind. Der erste Keim zu den Robinsonaden liegt übrigens wohl in dem be­

deutendsten der deutschen Abenteuerromane, in dem Abenteuerlichen SimpliciuS Simplicissimus, welcher 1669 in Mömpelgard (Montbeliard) erschien. Um eine anschaulichere Übersicht dieses Zeitraum- zu ermöglichen, ist eS besser, der

in ihm hervortretenden Eigenthümlichkeit zu folgen und die Dichter und ihre Erzeugniffe nach den einzelnen Schulen und nicht nach den poetischen Gattungen zu gruppiren. §. 116. Den Anbruch der neuen Zeit verkündeten besonders Friedrich von Spee (Trutznachtigall) und Georg Rudolf Weckher lin, indem sie zwar noch hie und da in volk-mäßigem Tone dichteten, aber schon rücksichtlich de- Inhalts nach fremdländischen Mustern sich zu richten begannen. Die neue Zeit in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit trat durch die erste schlesischeSchule hervor, als deren Vater mit Fug und Recht Martin Opitz genannt lverden darf. Opitz (1597 zu Bunzlau am Bober geboren und nach mancherlei Irrfahrten 1639 zu Danzig an der Pest als Königl. polnischer Reichshistoriograph

gestorben) drang in seinem „Buch von der deutschen Poeterei" (1624) auf die Silben­ messung statt der Silbenzählung und brachte den Alexandriner zur Geltung. Durch seine inhaltsleeren Gedichte hat er sich keinen Anspruch erworben, in der deutschen Literatur ge­ nannt zu werden, wohl aber durch sein erfolgreiches Streben, die deutsche Poesie unter den Gelehrten an die Stelle der lateinischen zu setzen. Das bedeutendste seiner Gedichte „Trostgedicht in Widerwärtigkeit des Krieges" wurde von ihm, dem protestantischen Dichter, erst dann veröffentlicht, al- es bei dem katholischen Kaiser Ferdinand II. keinen Anstoß mehr erregen konnte. Bedeutender als Opitz ist Paul Flemming (1609 zu Hartenstein an der Mulde im sächsischen Voigtlande geboren und 1640 nach weilen Reisen als Arzt

in Hamburg gestorben), der au- Herzensdrang dichtete und die Empfindungen seiner Seele offenbarte. Er zählt zu den befferen Lyrikern dieser Zeit („In allen meinen Thaten u. s. w.") und kann selbst in den Gelegenheitsgedichten seine poetische Begabung nicht ganz verleugnen.

Auch Friedrich von Log au (in Schlesien zu Brockut bei Nimptsch 1604 geboren und 1655 zu Liegnitz gestorben) ragt durch sein dichterisches Talent weit über seine Zeitgenossen heröor. Die Darstellung seiner wahrhaften, nicht erheuchelten Empfindungen fesselt durch Gewandtheit; die meisten seiner Epigramme und Sinngedichte, die er unter dem Namen

Salomon von Golau herausgab, sind vortrefflich. Weniger bedeutend ist Andreas GryphiuS (1616 zu Groß-Glogau geboren und

nach vielen schweren Mißgeschicken und großen Reisen 1664 in seiner Vaterstadt gestorben). Er verdankt seine Erwähnung nur seinen Leistungen in der dramatischen Dichtung. Der

Einleitung.

38

dreißigjährige Krieg hatte nämlich auf diese Gattung der Poesie ganz besonders nachtheilig

eingewirkt, und erst die Dichter der ersten schlesischen Schule vermochten nach dem Vor­ gänge Opitz' in den Deutschen für das Drama einiges Jntereffe anzufachen. Leider be­ nutzten sie zumeist unbrauchbare Muster (besonders die italienischen Schäferstücke und die Tragödien deö Seneca). Andreas Gryphins nun, der mit unverkennbarem Talent für die

dramatische Dichtung begabt war, aber elenden Mustern folgte und daher geschmackloser, unnatürlicher, nach Effekt haschender Darstellung huldigte, förderte diese Gattung zunächst dadurch, daß er den Inhalt regelmäßig über einzelne Akte und Szenen vertheilte. Seine Trauerspiele (Leo Armenius; Katharina von Georgien; Karolus Stuardus oder Ermordete Majestät) stehen weit hinter seinen Lustspielen zurück, unter denen „Peter Squenz" und

„Horribilicribifax" die beiden bedeutendsten sind. Unter den verschiedenen Zweigschulen der ersten schlesischen Schule, welche die neue Poesie in Deutschland verbreiteten, ist keine so bedeutend, wie die Schule der Königs­

berger Dichter. Diese schaarten sich um Simon Dach, den Verfasser der schönen geistlichen Lieder „Ich bin ja, Herr, in deiner Macht", und „O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen" und auch des weltlichen, volksthümlichen Liedes „Annchen von Tharau", und zeigen in ihren Dichtungen natürliche Herzlichkeit, innige Wärme und lebendige Empfindung. §. 117. Die Dichter der zweiten schlesischen Schule schlossen sich an Christian Hofmann von HofmannSwaldau (1616— 1679) und Daniel Kaspar von Lohenstein (1635—1683) an. Sie glaubten die Poesie in der schönen Form allein gelegen und be­

mühten sich daher, diese möglichst reizend und anziehend zu machen, um durch sie allein zu wirken, gericthen aber dadurch in Schwulst, Bombast und vollkommene Unnatur. Durch sie sank die Poesie zu bloßer, unterhaltender, die Zeit vertreibender Reimerei hinab, welche jedermann glaubte erlernen zu können und daher auch erlernen wollte. Die scharf hervortretende Unnatürlichkeit dieser Dichtung bewirkte, daß sich viele Gegner derselben unter der Anführung des Zittauer Rektors Christian Weise (1642—1708)

erhoben. Sie verfielen jedoch in das entgegengesetzte Extrem. An die Stelle des Schwulstes und der Übertreibung wollten sie die Ungezwungenheit und Natürlichkeit setzen, förderten aber die unerträglichste Nüchternheit zu Tage und wurden dafür mit dem Spottnamen der „Wasserpoeten" belohnt. Glücklicherweise war daS Gefühl für Schönheit noch nicht so ganz erstorben, daß man

in der Hofmann-Lohensteinschen Dichtungsweise und in der „Poesie der Wasserpoeten" nicht den vollkommenen Gegensatz der Poesie hätte erkennen sollen. ES gab noch dichterische Ge­ müther, welche die Poesie von den betretenen Irrwegen auf den richtigen Weg zu lenken, für ihre Dichtungen neben künstlerischer Form einen würdigen Stoff zu erringen sich bemühten. Unter diesen selbständigeren Dichtern sind der Freiherr von Kanitz, Christian Günther und Heinrich BrockeS, besonders aber Christian Wernicke hervorzuheben. Günther, der ein sehr begabter Dichter war, richtete sich leider durch sein ausschweifendes Leben zu Grunde; Wernicke tadelt eindringlich und nachdrücklich die bisherigen Verkehrtheiten auf dem Gebiete der Poesie und weist auf die griechischen und römischen Dichtungen als allein würdige Muster hin.

§. 118.

Die wahre Poesie hatte sich indessen nur in dem Kirchenliede erhalten,

das in einfacher, edler, würdiger Form durchaus wahre, wirkliche, volksthümliche Empfin­

dungen zum Ausdruck brachte. Die Religion war infolge der Reformation lebendig in allen Herzen. Die Protestanten, welche wegen des Glaubens oft gedrückt wurden und für ihn duldeten und litten, hielten ihn desto fester in ihrem Herzen. Sie strömten ihre Liebe

zu Christo, ihre Anhänglichkeit an ihre Kirche in ungeheuchelten und ungeschminkten Worten aus, die von Herzen kamen und zum Herzen sprachen und noch sprechen.

Übersicht der Literatur-Geschichte.

39

Neben den schon erwähnten Flemming und Dach ist zunächst Johann Heermann

(1585—1647) zu nennen, der von körperlichen Leiden und von den Drangsalen des dreißig­ jährigen Krieges gepeinigte Verfasser der beiden schönen Lieder „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen" und „O Gott, du frommer Gott". Mehr gefeiert als er ist Paul Gerhard

(geb. 1607 zu Gräfenhainichen bei Wittenberg, wurde in seinem 45. Lebensjahre als Pfarrer in Mittenwalde angestellt, darauf als Diakonus an die Nikolaikirche zu Berlin berufen und

starb 1676 als Prediger in Lübben), der durch sein treues Festhalten am Lutherthume be­ kannt ist und so viele protestantische Kernlieder gedichtet hat, besonders: „O Haupt voll Blut und Wunden", „Befiehl du deine Wege", „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt", „Ich singe dir mit Herz und Mund", „Nun laßt uns gehn und treten",

„Nun ruhen alle

Wälder". Der vielgeprüfte Georg Neu mark, der in aller seiner Noth und in allem seinem Elende sein Vertrauen auf Gott nicht verlor, ist der Verfasser des schönen Liedes „Wer nur den lieben Gott läßt walten". Der einstige Rektor der Schule zum grauen Kloster

zu Berlin, Samuel Rodigast, spricht seine felsenfeste Zuversicht auf Gottes Weisheit in dem Liede aus „Was Gott thut, das ist wohl gethan". Martin Rinkart (1585—1649), der zusammen mit seiner Eilenburger Gemeinde von den schwersten Kriegsnöthen, von Pest

und Hungersnoth gequält wurde, drückt sein Entzücken über den lange ersehnten Friedens­ schluß (1648) aus in dem Liede „Nun danket alle Gott". Der Gemahlin des Großen

Kurfürsten, Luise Henriette von Brandenburg, verdanken wir das herrliche Lied „Jesus meine Zuversicht". Herzog Wilhelm II. von Sachsen-Weimar hat uns das Lied „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend'" hinterlassen. Von Johannes Scheffler (Angelus Silesius; 1624—1677), welcher Leibarzt Kaiser Ferdinands III. war, später zur katholischen Kirche überging und in den geistlichen Stand trat, ist das treffliche Kirchenlied

verfaßt „Mir nach, spricht Christus, unser Held". Seiner Richtung folgten viele poetisch angeregte Frauen, besonders die Reichsgräfin Ämilia Juliana von SchwarzburgRudolstadt, die Verfasserin des Liedes „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende".

II. §.119.

Die Prosa.

Noch ungünstiger als auf die Poesie wirkten die in der damaligen Zeit

begründeten Verhältnisse auf die Prosa ein.

Diese wurde außerordentlich eingeengt einer­

seits durch die französische Sprache, die in den vornehmen Kreisen und am Hofe als Um­

gangssprache gebraucht wurde, andrerseits durch das Lateinische, dessen die Gelehrten sich ganz allgemein bedienten.

Gepflegt wurde sie nicht einmal von der Geistlichkeit in dem

ersorderlichen Maße. Dennoch aber wurde in dieser Zeit der erste Grund zur Ausbildung und Vervollkommnung der Prosa gelegt. Die philosophische Prosa wurde begründet durch des Philosophen Leibnitz talentvollen Schüler Christian Wolf, der zuerst in seinen

philosophischen Schriften der deutschen Sprache sich bediente und zu der philosophischen Kunstsprache den Grund legte, und durch Christian Thomasius, der seine philosophischen Vorlesungen in deutscher Sprache hielt und durch seine deutsche Zeitschrift die lateinische Sprache zu verdrängen strebte. Die oratorische Prosa wurde durch Johann Arndt,

den Verfasser „des wahren Christenthums", und besonders durch Spener und Franke gefördert, die Begründer wahrer Kanzelberedsamkeit, denen Ulrich Megerle (Abraham

a Sancta Clara; 1642—1709; Hofprediger in Wien) kaum an die ©fite gestellt werden darf, weil er gar so oft in Geschmacklosigkeit verfiel.

Die historische Prosa dagegen verschlechterte sich merklich, indem sie nicht allein von dem einfach gemüthlichen Stile der Chronisten zu dem breiten und schleppenden Kanzleistil abwich, sondern auch die deutsche, lateinische und französische Sprache aufs

40

Einleitung.

unerträglichste durch einander mengte.

Erst ganz gegen Ende dieses Zeitraumes erhebt

sich auch diese Gattung der Prosa zu würdiger Gestalt, namentlich in des Grafen von Bünau deutscher Kaiser- und ReichShistorie und in deS ProfefforS MaSkow Geschichte der Deutschen bis zum Anfänge der fränkischen Monarchie.

Zweite Periode. Die neuere Zeit. Don her Thronbesteigung Friedrichs des Großen (1740) bis auf die Gegenwart.

Erster Zeitraum. Bis zum Ende der Sturm- und Drangperiode 1785.

§. 120.

Die deutsche Literatur, dem zweiten klassischen Zeitalter sich mehr und mehr­

nähernd, ringt in diesem Zeitraume danach, von den fremden Elementen sich möglichst zu

säubern und nicht mehr blos bei den Gelehrten Eingang und Anerkennung zu finden, son­ dern bei allen Gebildeten, also national zu werden. Die Schnelligkeit, mit der sie dieser

ihrer zweiten Blüte entgegenreift, ist nächst dem Gottsched-Bodmerschen Streite und der Begründung kritischer Zeitschriften vorzugsweise durch die Siege Friedrichs des Großen veranlaßt worden, der dem deutschen Namen neue Anerkennung erwarb und dem deutschen Volke das nothwendige Selbstgefühl, die erforderliche Selbstachtung verschaffte. I.

Die Poesie.

§. 121. Albrecht von Haller (1708 in Bern geboren und 1777 daselbst gestorben) und Friedrich von Hagedorn (1708 in Hamburg geboren, 1754 daselbst gestorben), die beide in ihrer Jugend mehr oder minder der Manier der zweiten schlesischen Schule sich angeschlossen hatten, sagten sich in ihren späteren Jahren von dieser Weise der Dichtung los und bestrebten sich, ihren Gedichten einen würdigen Inhalt und eine demselben ange­

messene Form zu geben. Haller, zweifellos der größte didaktische Dichter seiner Zeit, folgte dem Muster der englischen beschreibenden Dichter. In seinen „Alpen" schildert er die wunderbar großartige Natur seines heimatlichen Gebirges und die schlichte Einfalt und die rührende Natürlichkeit der Alpenbewohner. In seinem religiösen Lehrgedichte „Vom Ursprünge deS Übels" sucht er die Weisheit der göttlichen Weltregierung darzulegen.

Hagedorn aber ahmt den Franzosen und von den Alten besonders dem Horaz nach und strebt in seinen Liedern, Fabeln und Erzählungen unmuthigen Inhalt mit gefälliger Form zu verbinden. Beide also bereiten den Eintritt der Blütezeit vor. Dieser Eintritt selber wurde durch den literarischen Streit herbeigeführt, der der Gottsched - Bodmersche

Streit genannt zu werden pflegt. Johann Christoph Gottsched, 1700 zu Judithenkirch bei Königsberg in Preußen geboren, wurde 1723 an der Königsberger Universität Privatdozent, floh 1724 aus Furcht vor dem Militär-Dienst nach Leipzig, erfreute sich daselbst als Professor der Philosophie namentlich im Anfänge der vierziger Jahre eines außergewöhnlichen Ruhmes und eines seltenen Einflusses auf dem Gebiete der Literatur, wurde dann aber von der Mehrzahl seiner Anhänger verlassen und starb 1766 fast vereinsamt.

Obwohl als Dichter ganz un>

bedeutend, hat et sich dennoch unleugbare Verdienste um die deutsche Literatur erworben.

Er reinigte die Sprache von Fremdwörtern, drang auf Deutlichkeit des Ausdrucks und

künstlerische Durchbildung deS Stils, erhob das Theater aus seiner bisherigen Roheit und

bevorzugte die deutsche Dichtung vor der lateinischen VerSschmiederei.

Er weckte und belebte

daS Interesse für die deutsche Sprache durch Gründung und Unterstützung mehrerer kri-

Übersicht der Literatur-Geschichte.

41

tischer Zeitschriften und bewahrte durch seine „Kritische Dichtkunst" die Poesie vor einem abermaligen Verfalle in Unnatur und Barbarei. Unter allen seinen Anhängern und Mit­

arbeitern verdient die erste Stelle seine Frau Luise Gottschedin, geb. KulmuS. Johann Jakob Bodmer, 1698 zu Greifensee bei Zürich geboren, ging auS Lust

an der Wisienschaft von dem Handelsstande zum Studium über. Auch er war von der Natur mit einem bedeutenden dichterischen Talente nicht auSgestattet; er wirkte aber dennoch, nachdem er (1*725) Professor der schweizerischen Geschichte und Politik und (1737) Mitglied des großen Rathes zu Zürich geworden war, bis zu seinem Tode 1783 höchst bedeutsam für die Belebung und Förderung der Dichtkunst. Er erkannte mit seinem Freunde Professor Joh. Jak. Breitinger, der durch seine „Kritische Dichtkunst" sich um die

Hebung des Geschmacks verdient machte, zuerst den rechten Begriff wahrer und echter Poesie und gab mehrere der herrlichsten Dichtungen aus der ersten Blütezeit unserer Literatur heraus. Obwohl Gottsched mit Bodmer in der tiefen Abneigung gegen die Richtung der

zweiten schlesischen Schule übereinstimmte, hielt er dennoch aufs zäheste an den französischen Dichtern als den Mustern wahrer Poesie fest und konnte sich nicht entschließen, der Phan­ tasie den Platz einzuräumen, der ihr in der Poesie gebührt und für sie von Bodmer in

seiner „Kritischen Abhandlung vom Wunderbaren in der Poesie" (1740) beansprucht wurde. Er beharrte bei der verstandesmäßigen Regelmäßigkeit und beurtheilte von diesem Grund­ sätze aus alle dichterischen Erzeugnisse, so daß er selbst des sächsischen Kürassier-LieutenantFreiherrn von Schönaich Machwerk („Hermann oder das befreite Deutschland" 1751) über Klopstocks Messiade stellte und sich offen als einen Widersacher und Feind der Miltonschen Poesie („Das verlorene Paradies") bekannte. Es war demnach natürlich, daß er in dem nun entbrennenden Gottsched-Bodmerschen Streite gegen Bodmer', der mit vollem Rechte die Phantasie als die Wurzel aller Poesie bezeichnete und als eifriger Anwalt MiltcnS Dichtung in seinen Schutz nahm, den Kürzeren ziehen mußte. Er mußte es er­ leben, daß die talentvolleren der jüngeren Dichter ihn verließen und sich um Bodmer und dessen treuen Gehülfen, den schweizerischen Professor Breitinger, schaarten, ja daß auch Klopstock, Wieland und Goethe sich entschieden für Bodmer erklärten und ihm sich anschlossen. §. 122. Infolge des Gottsched-Bodmerschen Streites zogen sich von der Theilnahme an der Monatsschrift „Belustigungen deS Verstandes und Witzes", welche (1741) durch Gottscheds treuesten Anhänger, den Leipziger Professor Johann Joachim Schwabe, ge­ gründet worden war, gerade die talentvollsten jüngeren Dichter zurück. Zu diesen ist außer den Gebrüdern (Adolf und Elias) Schlegel, Rabener und Gellert besonders noch der Göttinger Professor Abraham Gotthelf Kästner (geb. 1719 zu Leipzig, gest. 1800) zu

rechnen, welcher durch seine trefflichen Epigramme sich ausgezeichnet hat. Sie gründeten (1744) eine neue Zeitschrift „Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes",

die wegen des Druckortes Bremen auch „Bremer Beiträge" genannt wird, und schloffen

sich zu dem Leipziger (sächsischen) Dichterbunde zusammen. Bon Gottschedscher Pedanterei hielten sie sich möglichst fern und veröffentlichten nur die besten ihrer poetischen Erzeugnisse nach voraufgegangener strenger kritischer Prüfung. In ihren Dichtungen ließen

sie vorzugsweise eine sittlich-ernste Richtung vorwalten und füllten durch unleugbare Be­ lebung des Interesses für echte Poesie die gewaltige Kluft zwischen Gottsched und Klopstock aus. Als oberster Leiter dieses Bundes ist Karl Christian Gärtner (gest. 1791) anzusehen, der Professor am Braunschweiger Collegium Carolinum und mehr als geschmackvoller Kritiker denn als Dichter berühmt war.

Diesem Bunde gehörten außer Adolf und Elia-

Schlegel und sehr vielen anderen Dichtern jener Zeit besonders an: 1) Johann AndreaCramer (gest. 1788), der als Prediger und Professor der Theologie nicht weniger denn

Einleitung.

42

als Dichter schöner Kirchenlieder gefeiert wurde („Herr, deiner Stärke freue sich der König allezeit"); 2) Johann Arnold Ebert, der, durch Hagedorn zum Dichten angeregt, durch seine gründliche Kenntnis der englischen Sprache und Literatur bekannt wurde und deren Einfluß auf die deutsche Poesie zunächst und hauptsächlich vermittelte; 3) Justus Friedrich Wilhelm Zachariä (gest. 1777), der durch seinen „Renommisten", durch seinen „Murner

in der Hölle" und durch seinen „Phaeton" daö komische Heldengedicht in die deutsche Literatur einführte; 4) Gottlieb Wilhelm Rabener (gest. 1771 als Steuerrath in Dresden),

bekannt durch seine friedlichen Satiren, die gegen Personen der unteren Stände sich wandten und ängstliche Rücksicht nahmen; 5) der schwermüthig-ernste und sittlich-reine, liebenswürdige Christian Fürchtegott Gellert (geb. 1715 zu Hainichen bei Freiberg in Sachsen, gest. 1769 als Professor in Leipzig), der durch seine vortrefflichen Fabeln und durch seine herrlichen geistlichen Lieder bis auf unsere Tage allgemein bekannt und beliebt ist („Dies ist der Tag,

den Gott gemacht", „Gott, deine Güte reicht so weit", „Wenn ich, e Schöpfer, deine Macht",

„Wie groß

ist des Allmächtigen Güte",

„Nach einer Prüfung kurzer Tage",

„Mein erst Gefühl sei Preis und Dank", „Auf Gott und nicht auf meinen Rath"). Gellert schloffen sich die Fabeldichter Willamow, Lichtwer und Pfeffel an.

§. 123.

An

Fast zu derselben Zeit begründete in Halle den Halleschen (preußi­

schen) Dichterbund der daselbst studirende Johann Wilhelm Ludwig Gleim zusammen

mit seinen befreundeten Studiengenoffen Johann Peter Uz, der (1720 zu Anspach geb. und 1796 ebendaselbst gest.) die ersten Bersuche machte, Oden im höheren Tone zu dichten, und mit Johann Nikolaus Götz, dem „Hauptvertreter der tändelnden anakreontischen Poesie" (geb. 1721 zu Worms, gest. 1781 als Superintendent in Winterburg). Gleim, der zu Ermsleben unweit Halberstadt 1719 geboren ist, nach beendigtem Studium kürzere Zeit in Berlin und Potsdam verweilte, dann als Sekretär einen Königl. Prinzen in den zweiten schlesischen Krieg begleitete, endlich die Stelle eines StabSsekretärS bei dem Fürsten

Leopold von Dessau verwaltete und seit 1747 als Domsekretär in Halberstadt angestellt war (gest. 1803), hat sich durch seine „Preußischen Kriegslieder von einem Grenadier" und mehr noch durch bereitwillige Unterstützung armer, dichterisch begabter Jünglinge berühmt gemacht. Die Halleschen Dichter kämpften ebenso wie die Leipziger gegen Gottscheds ver­

standesmäßige Dichtermanier an und wandten nach dem Muster der heiteren Poesie Hage­ dorns, der Gesänge Anakreons und der Oden des Horaz neben der heiteren Lyrik besonders der ernsten Ode und dem beschreibenden Gedicht ihre Pflege zu. Diesem Bunde schlossen sich später außer anderen vorzüglich noch an: Ewald Christian von Kleist (gest, zu Frank­ furt a. O. an den in der Schlacht bei Kunersdorf 1759 erhaltenen Wunden), der bekannte Dichter des „Frühlings", der in Hexametern mit voraufgehender Vorschlagssilbe (Anakrufls) verfaßt ist; ferner Karl Wilhelm Ramler (geb. 1725 zu Kolberg, 1748 Lehrer, später Professor am königl. Kadetten-Corps zu Berlin, 1786 Mitglied der Akademie der Wissen­ schaften, 1790 Mitdirektor, 1793 alleiniger Direktor des Königl. Naüonaltheaters, gest.

1798), der „Kritiker dieses Dichterbundes", der nach dem Muster deS Horaz in kunstvoll gebildeten Oden, die des dichterischen Schwunges nicht entbehren, vornehmlich seinen großen

König feierte, ohne dessen Anerkennung zu gewinnen; und Johann Georg Jacobi, der, obwohl sehr begabt, seines dichterischen Ruhms durch Übertreibung der anakreontischen

Manier früh verlustig ging. §. 124. Schon jetzt war wie im gesammten deutschen Leben, so im besonderen in der deutschen Literatur ein mächtiger Umschwung geschehen. Irrthümer, die durch ihre lang­ jährige Dauer für immer fest eingewurzelt schienen, waren kühn angegriffen und glücklich

überwunden worden.

Neue, richtige Ansichten über das Wesen und die Bedeutung der

Übersicht der Literatur-Geschichte. Poesie waren aufgestellt, schnell erfaßt, weit verbreitet worden.

43 In neuen Schöpfungen

hatte man die neue Idee verkörpert zeigen, ihre Wahrheit siegreich erweisen wollen; allein die meisten der Männer, die als rüstige Vorkämpfer nicht genug zu rühmen sind, erman­ gelten der höheren Begabung.

Sie waren nicht genial genug, um dieses ihr Ziel zu er­

reichen. Die Zeit war jedoch durch sie vorbereitet, und die Geister, die größer waren als ihre Vorläufer, harrten schon der Berufung. Friedrich Gottlieb Klopstock, am 2. Juli 1724 zu Quedlinburg geboren, ver­ lebte seine früheste Jugend zum großen Theil auf dem Amte Friedeburg im ManSfeldischen, das sein Vater gepachtet hatte, und zeigte schon damals einen frischen, frohen und gläubigen Sinn. Darauf besuchte er drei Jahre lang daS Gymnasium seiner Vaterstadt

und von 1739 ab die Schulpforte, auf der er nicht allein die alten Sprachen mit Eifer trieb, sondern auch dem Studium der neueren Literatur sich hingab, selbst dichterische Ver­ suche anstellte und bereits den Plan zu einem größeren epischen Werke faßte. Er schwankte nur zwischen Heinrich I. und dem Messias als Helden seines Epos. In Jena, wohin er im Herbst 1745 um des Studiums der Theologie willen sich begab, dichtete er die ersten

drei Gesänge seines Messias in Prosa, wandelte diese aber in Leipzig, wohin er sich im Frühjahr 1746 gewendet, in Hexameter um. Dann veröffentlichte er diese Gesänge, durch seinen Freund und Verwandten Schmidt dazu veranlaßt, 1748 in den Bremer Beiträgen und ward durch den unglaublich großen Beifall, mit dem sie ausgenommen wurden, hoch erfreut. In demselben Jahre übernahm er eine Hauslehrerstelle in Langensalza. Die nicht erwiderte schwärmerische Zuneigung für die Schwester (Friederike) seines Freundes Schmidt, die er in Langensalza kennen lernte und unter dem Namen Fanny in seinen Ge­

dichten verherrlichte, rief in ihm eine äußerst trübe, schwermüthige Gemüthsstimmung hervor. Diese wurde erst durch den angenehmen Aufenthalt in Zürich, wohin er auf BodmerS an­ gelegentliche Einladung (1750) gegangen war, vollkommen beseitigt. Sein Wunsch, unge­ stört an seinem Messias weiterarbeiten zu können, erfüllte sich schon im folgenden Jahre, als er von dem dänischen Könige Friedrich V. auf des Grasen Bernstorf Verwendung freundlichst unter Zusicherung eines JahrgehalteS und vollständiger Unabhängigkeit aufge-

sordert wurde, behufs Beendigung seines großen Werkes nach Kopenhagen zu kommen. Auf der Durchreise durch Hamburg ward er mit seiner nachherigen Gemahlin Meta Moller bekannt, die er in seinen Gedichten unter dem Namen „Cidli" gefeiert hat. Er lebte mit

ihr von 1754—1758 in äußerst glücklicher Ehe.

Während er von Kopenhagen auS die ein­

zelnen Gesänge seines Messias erscheinen ließ, war er (1763) zum dänischen LegationSrathe ernannt worden; er siedelte aber (1771) unter Beibehaltung seines Jahrgehaltes nach Ham­ burg über, als sein Gönner, der Graf Bernstorf, auS dem Ministerium hatte treten müssen. Dort beendigte er 1773 seinen Messias. Infolge einer Einladung des Markgrafen Friedrich von Baden ging er (gegen Ende deS JahreS 1774) nach Karlsruhe, von wo er jedoch mit dem Titel eines badenschen Hofrathes und Verleihung einer Pension schon 1775 nach Hamburg zurücktehrte. Er begrüßte mit außerordentlicher Freude die französische Revolution, durch deren blutigen Verlauf er später in feinen sanguinischen Hoffnungen

höchst unangenehm enttäuscht wurde. Nachdem er (1791) eine zweite Ehe (mit Johanna v. Windhem) eingegangen war, starb er zu Hamburg 14. März 1803 und wurde mit den

außerordentlichsten Ehrenbezeugungen zur Ruhe bestattet.

(Die Gräber zu Ottensen.)

Klopstock war von gleich inniger Liebe zu Gott, zu seinem Vaterlande und zu seinen

Freunden ergriffen.

Sein Messias, der zwanzig Gesänge enthält und erst nach einem

Zeitraume von 28 Jahren beendigt wurde, zeigt in seinen ersten Gesängen eine größere Kraft und Lebendigkeit der Phantasie als in den späteren, bietet aber im ganzen mehr Reden

44

Einleitung.

und Schilderungen als Handlung (ist mehr lyrisch als episch).

In ihm hat Klopstock ein

glänzendes Zeugnis seiner Frömmigkeit und seiner großen dichterischen Begabung abgelegt. Seine geistlichen Lieder, zu denen auch die Umarbeitungen älterer Kirchenlieder zu zählen sein dürften („Auferstehn, ja auferstehn"), und seine religiösen Dramen (Tod AdamS, David,

Salomo) sind von weit geringerer Bedeutung.

Seine Oden, die im antiken Versmaße

mit Verschmähung des ReimS, aber in höchst musikalisch wirkender Sprache gedichtet sind,

sprechen seine Liebe nach ihren drei Richtungen aufs kräftigste und lebendigste aus. Die Liebe zu seinem Vaterlande war so groß und gewaltig in ihm, daß sie ihn sogar in einigen

seiner Oden und in seinen Bardielen (dramatischen Dichtungen mit lyrischen Gesängen; Hermannsschlacht, Hermann und die Fürsten, Hermanns Tod) zum Urgermanenthum, zur altdeutschen Mythologie und zur altnordischen Dunkelheit und Überspanntheit verführte.

Durch seine Werke wie durch die Erhabenheit und Trefflichkeit seines Charakters erlangte er den größten Einfluß auf die Literatur seiner und der nachfolgenden Zeit; die in der „Gelehrten-Republik" uiedergelegten Ansichten über Literatur wurden allgemein anerkannt

und angenommen. Seine Werke galten als Muster für alle Gattungen der Poesie und riefen unzählige Nachahmungen und Nachbildungen hervor. Er weckte in seinem Volke Empfänglichkeit und Begeisterung für die Poesie.

§. 125. Die unmittelbaren Nachfolger und Nachahmer Klopstocks, welche an die einzelnen Eigenthümlichkeiten deffelben sich eng anschloflen, sondern sich in die drei Gruppen der Barden, der Idyllen- und der religiösen Dichter. a) Die Barden. Michael Denis (gest. 1800 in Wien), welcher die mit den Bardendichtungen wunderbar übereinstimmenden Dichtungen OsstanS übersetzte, Karl Friedrich Kretschmann (gest. 1809; „Der Gesang Rhingulphs des Barden") und Hein­

rich Wilhelm von Gerstenberg, der durch seine „Gedichte eines Skalden", nicht durch sein Trauerspiel „Ugolino" hierher gehört, besangen das Urgermanenthum. Sie wurden durch die deutsch-vaterländische Richtung und besonders durch die Bardiete ihres Meisters dazu veranlaßt und fachten regere Vaterlandsliebe und Neigung für die Einfachheit der Naturpoesie dadurch an, obschon sie in übertriebene Naturschilderungen und Gefühlsüber­ schwenglichkeiten verfielen. b) Die Jdyllen-Dichter. Salomon Geßner (gest. 1787) und Franz Xaver Br onner (geb. 1758, gest. 1850) dichteten Schäferromane und Idyllen, die deutsche Senti­ mentalität mit französischer Geziertheit vermischen, aller Wahrheit und Wirklichkeit ent­

behren und geradezu Unnatur sind. An die ausgedehnten Schilderungen und idyllischen Episoden in Klopstocks Messiade anknüpfend, hoben diese Dichter vorzugsweise den weichen

und sentimentalen Bestandtheil seiner Poesie hervor. c) Die religiösen Dichter. Der Vorgang Klopstocks, biblische Erzählungen zum Borwurfe seiner Dichtung zu machen, munterte mehrere auf, ihm auf dieser Bahn zu folgen, besonders Lavater und Jung-Stilling. Johann Kaspar Lavater (1741 geboren und 1801 als Prediger in Zürich gestorben) zeigte seinen frommen, aber mit übernatürlicher Schwärmerei durchmischten Glauben in seinen „Aussichten in die Ewigkeit", in seinen Pre­

digten und in seinen religiösen Dichtungen („Jesus Messias") überall auf gleiche Weise. Am

meisten ist er durch seine „Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkennt­ nis und Menschenliebe" bekannt geworden. Johann Heinrich Jung-Stilling (geb. 1740, gestorben nach wunderbaren Schicksalen 1817) ist in Stimmung und Gesinnung mit Lavater verwandt, aber mit einem reicheren Gemüthsleben begabt. In seinen Werken vermischte er

Religion und Mystik ebenfalls stark, ohne dabei die Poesie in den Hintergrund zu drängen. §. 126. Wenn Klopstock durch die Wärme seines Gefühls und durch den erhabenen

Übersicht der Literatur-Geschichte.

45

Ton seiner Sprache den größten Theil seines Volkes für die deutsche Poesie begeistert hatte,

so waren doch die höheren Stände noch immer der vaterländischen Poesie abhold und treue, anhängliche Verehrer der französischen Literatur geblieben. Sie herüberzuziehen, auch in ihre Kreise die deutsche Dichtung hineinzutragen, gelang dem zweiten Heros unserer Lite­

ratur, Christoph Martin Wieland.

Er wurde am 5. September 1733 zu Ober­

holzheim bei Biberach geboren und empfing sowohl von seinem Vater, einem frommen Pre­ diger, als auch auf der Schulanstalt zu Kloster Bergen bei Magdeburg (1747—49) eine

fast pietistische Erziehung.

Nach frühzeitig (schon in seinem zwölften Jahre) gemachten dich­

terischen Versuchen bezog er 1750 die Universität Tübingen behufs des Studiums der Rechte. Dort wandte er sich sehr bald fast ausschließlich der Beschäftigung mit der Poesie

zu, indem er das Muster Klopstocks nachahmte. Zu diesem führte ihn die höchst schwär­ merische Zuneigung zn seiner Verwandten Sophie von Gutermann, die er in frühester

Jugend schon gefaßt hatte, und seine innige Freundschaft für Bodmer, in dessen Hause und Freundeskreisen er längere Zeit (von 1752 bis 1756 und dann als Erzieher in Zürich

noch ferner bis 1760) lebte und seine ganze Umgebung von tiefster Verehrung und Bewun­ derung Klopstocks ergriffen fand. Die in ihm herrschende religiös-empfindsame Stimmung erreichte ihren Gipfel, als er Plötzlich und unerwartet die Vermählung seiner Jugendgeliebten mit dem Herrn von La Roche erfuhr; sie verschwand aber, als er wegen dieser Stimmung

und der bisher befolgten Richtung in seinen Dichtungen von Lessing in den (später zu er­ wähnenden) Literatur-Briefen herb getadelt wurde. Wieland kehrte im Jahre 1760 nach Biberach zurück, nachdem er vorher noch eine Erzieherstelle in Bern bekleidet hatte, und trat in den zweiten Hauptabschnitt seines Lebens ein. Zum interimistischen und später (seit 1764) zum wirklichen Kanzlei-Direktor (Stadtschreiber) in den Stadtrath von Biberach be­

rufen, verkehrte er viel in dem Hause des kurmainzischen Staatsministers Grafen Stadion, welcher der Pflegevater des Herrn von La Roche war und von den Staatsgeschäften sich nach dem Marktflecken Warthausen zurückgezogen hatte, der unweit Biberach gelegen ist. Durch diesen Umgang wurde Wieland für seine Berufsgeschäfte entschädigt, die schwer auf ihm lasteten nnd ihn fast erdrückten. Er wurde mit weisem Genusse des Lebens, mit feinerer weltmännischer Bildung und vor allem mit den vorzüglichsten Werken der fran­ zösischen und englischen Literatur bekannt. Rasch nach einander erschienen in dieser Zeit seine bedeutenderen Schriften, der Agathon, das Musarion und die komischen Er­ zählungen, die in leichter, gefälliger, anziehender Form mit Laune und feinem Scherz

verfaßt sind und vorzugsweise seinen Schriften den Zugang zu den höheren Kreisen er­

öffneten, die der deutschen Literatur bisher verschlossen waren. Diese Schriften begründeten durch die bisher unbekannte Gefälligkeit, Lieblichkeit und Schönheit der Darstellung Wielands hohe Bedeutung für die deutsche Literatur, machten aber wegen ihres freien, die Sittlichkeit vielfach verletzenden Inhalts den Verfasser zum Gegenstände harter Anfeindungen durch seine vielen Gegner, obwohl er selbst ein durchaus sittlich reines Leben führte. In diese Zeit fällt auch seine Übersetzung des Shakespeare, die diesen Dichter zuerst dem

größeren deutschen Publikum bekannt und zugänglich machte. Im Jahre 1769 übernahm er auf den Wunsch des Kurfürsten von Mainz die Professur der Philosophie und der

schönen Wissenschaften in Erfurt und trat dann in die dritte und letzte Periode seines Lebens ein, indem er den leichtfertigen Ton der Franzosen allmählich mehr abstreifte, seine

Studien auf die Schriften des Alterthums, namentlich auf die Werke des Horaz hinlenkte und auch dem Verfassungswesen und der Regierungsart („Der goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian") seine Aufmerksamkeit schenkte. Nun ward er 1772 von der Her­ zogin-Regentin Anna Amalie von Sachsen-Weimar an den Hof zur Erziehung ihrer beiden

46

Einleitung.

Söhne Karl August und Konstantin berufen. Daselbst veröffentlichte er in dem von ihm gegründeten „Merkur" seine Schriften und viele der emporstrebenden jüngeren Dichter, ob­ wohl er fast mit allen Parteien zerfallen und mit den meisten seiner dichterischen Zeitge­ nossen verfeindet war. Er starb in Weimar am 20. Januar 1813. Sämmtliche Werke dieser Periode, die Wintermärchen, der neue Amadis, Aristipp, die Abderiten, der Agatho-

dämon und vor allen der Oberon (1780), der mit Recht als die anziehendste der Wie-

landschen Dichtungen gefeiert wird, find ausgezeichnet durch Anmuth und Gefälligkeit der Darstellung, durch Lieblichkeit und Leichtigkeit der Sprache. Durch seine Darstellung und Sprache hat Wieland auf unsere Literatur seinen bedeutenden Einfluß geübt und seine Zu­

gehörigkeit zu den Heroen unserer Literatur sich errungen. §. 127. Noch allgemeiner und allseitiger wurden die Gemüther für die Literatur durch die außerordentlich anregende und charaktervolle Persönlichkeit Gotthold Ephraim Lessings gewonnen, der eines Predigers Sohn war und am 22. Januar 1729 zu Kamenz

in der Oberlausitz geboren wurde.

Nach gründlicher Borbildung, die er auf der Schule

seiner Baterstadt und (von 1741—46) auf der Fürstenschule zu Meißen empfing, ergab er

sich in Leipzig (von 1746 an) mehr den freien Künsten als dem Studium der GotteSgelahrtheit. Auch verkehrte er mehr mit den Schauspielern des von Karoline Neuber geschickt geleiteten Theaters als mit den Professoren der Theologie, ohne jedoch, wie sich davon sein

Bater (zu Anfang des Jahres 1748) selbst überzeugte, die gründliche Ausbildung seines Geistes aus den Augen zu verlieren. Der Umgang mit einzelnen Gliedern der Schauspieler>Truppe begründete seine Borliebe für das Theater und seine Bedeutung auf dem

dramatischen Gebiete; die Bekanntschaft mit dem leichtsinnigen, aber geistreichen Mhlius weckte seine Neigung zu schriftstellerischer Thätigkeit, die ihm während des größten Theiles

seines Lebens die Mittel zu seinem Unterhalte verschaffen mußte. „Der junge Gelehrte" (1748 in Leipzig aufgeführt) überragte die bisherigen deutschen Stücke jedenfalls an Werth und gab die erste Beranlassung zu würdigeren dramatischen Versuchen. Nach ganz kurzem Aufenthalte in Wittenberg (1748 wurde er als Student der Medizin daselbst eingeschrieben) begann er in Berlin eine ausgedehnte kritische und gelehrte Schriftstellerei, die er, lebhaft angeregt durch den Umgang mit Moses Mendelssohn und Nicolai, eifrig fortsetzte. Nach­ dem er in Wittenberg zum Magister der freien Künste ernannt und von dort 1752 nach Berlin zurückgekehrt war, dann „Miß Sara Sampson" 1753 in Potsdam gedichtet hatte, siedelte er, im Oktober 1755 wieder nach Leipzig über und kehrte dahin auch zurück, nachdem

eine Reise, die er als Begleiter eines jungen, reichen Mannes unternommen hatte, durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen war. Dort richtete er nun sein Studium besonders auf die altdeutschen Dichtungen und auf die Theorie deS DramaS. Seit dem Mai 1758 wieder in Berlin, veröffentlichte er feine Fabeln und die dazu gehörigen Abhandlungen, fein Trauerspiel „Philotas" und sein „Leben des Sophokles". Äußerst eifrig arbeitete er auch an der Zeitschrift („Briefe, die neueste Literatur betreffend" — Literaturbriefe), die er mit Nicolai und Mendelssohn begründet hatte. Durch diese Zeitschrift, die der Besprechung der neuesten deutschen literarischen Erscheinungen gewidmet war, wurde die eigentlich wifsen-

schaftliche Kritik begründet. Er ward wegen seiner verdienstvollen literarischen Leistungen zum Mitgliede der Berliner Akademie der Wiffenschaften ernannt und verweilte (von 1760—65) und zwar bis zum Friedensschlüsse als Sekretär des Generals Tauentzien zumeist in Breslau, wo er literarisch nicht unthätig war, obwohl er in den militärischen Kreisen vielfachen Zer­

streuungen nicht fern blieb. Dort entwarf er den Plan zur „Minna von Barnhelm", dort schrieb er den (1766 gedruckten) ersten Theil des Laokoon. Kaum nach Berlin zurückgekehrt, ging er 1767 nach Hamburg, um sich dort an der Begründung eines deutschen National-

Übersicht der Literatur-Geschichte.

47

Theaters zu ketheiligen. Daselbst gab er vom L Mai ab seine Dramaturgie stückweise heraus,

vertauschte aber, mißgestimmt über seine getäuschten Hoffnungen, seine dortige Stellung, die täglich unerquicklicher geworden war, 1770 gegen daS Amt eines herzoglich braunschweigischen

Bibliothekars in Wolfenbüttel, daS seiner literarischen Thätigkeit einen weiteren KreiS und lohnendere Arbeit versprach.

Große Freude gewährte ihm hier die Auffindung der Hand­

schrift eines für die Kirchengeschichte wichtigen Werkes (deS Berengarius von TourS) und

die Anerkennung, welche sein Trauerspiel „Emilia Galotti" (1772) und seine (seit 1773 veröffentlichten) „Beiträge zur Literatur aus den Schätzen der herzoglichen Bibliothek zu

Wolfenbüttel" in Deutschland fanden. Bald aber wurde ihm diese Freude durch den reli­ giösen Streit vergällt, der zwischen ihm und dem Hamburger Hauptpastor Goeze entbrannte. Dieser Streit gab auch zu dem (in fünffüßigen Jamben verfaßten) Drama „Nathan der Weise" (1779) und zu der „Erziehung des Menschengeschlechtes" Veranlassung, ist aber

deshalb sehr bedauerlich, weil er zusammen mit dem Schmerze, den Lessing über den frühen Tod seines einzigen Kindes und seiner Gattin (Eva König) empfand, die letzten Lebensjahre

des ohnehin Vielgeprüften trübte und verbitterte.

Kränkelnd und geistig verstimmt, suchte

er in Braunschweig Erholung; doch schon am 15. Februar 1781 ging er daselbst zur ewigen Ruhe ein. Seine Bedeutung für unsere Literatur ist außerordentlich, und wenn einer, so ist Lessing als Begründer wahrer, mustergültiger Kritik, als Schöpfer der wissenschaftlichen

Prosa, als erster wahrhaft dramatischer Dichter Deutschlands und endlich als Reformator deS ästhetischen Geschmacks zu den Heroen unserer Literatur zu zählen, §. 128. An Lessing reiht sich aufs natürlichste Johann Gottfried Herder, auf den er einen großen, sichtlichen Einfluß geübt hat. Eines armen Schullehrers Sohn, wurde

Herder am 25. August 1744 zu Morungen in Ostpreußen geboren und zeigte schon früh eine unbegrenzte Lernbegier, große Neigung zur Musik und wahre Frömmigkeit, die durch seine Eltern und durch den Prediger Willamow belebt wurde. Vorgebildet durch seinen eigenen Fleiß mittels der ihm zur Benutzung erlaubten Bibliothek des Predigers Trescho, der ihn als Aufwärter und Schreiber beschäftigte, folgte er allerdings unter Verrichtung auf seine Vorliebe für das Studium der Theologie einem russischen Regimentschirurgus nach

Königsberg, um unter dessen Leitung daselbst die Chirurgie und später in Petersburg die Medizin zu studiren. Er trat jedoch (1762) in Königsberg zur Theologie zurück, indem er sich selbst durch Privatunterricht die Mittel zu seiner Ausbildung erwarb. Durch seinen

Fleiß gewann er sich die Zuneigung deS Buchhändlers Kanter und die Achtung des großen Philosophen Immanuel Kant. Nächst diesem wirkte auf ihn der „MaguS des Nordens", Johann Georg Hamann (geb. 1730 zu Königsberg, gest, nach sehr gedrücktem Leben 1788 in Münster) am stärksten ein. Hamann bekämpfte nämlich alle sogenannte Schulweisheit, alle- Herkömmliche, alle Regeln, alle Muster, verwarf die neuere Poesie, erkannte nur die kindliche Poesie der Bibel, Homers, OssianS und Shakespeares als wahre Poesie an und

flößte auch Herder die Vorliebe für alles Ursprüngliche, Naturgemäße, Volksthümliche ein. Lessings Einfluß, zunächst durch die Literaturbriefe erzeugt, bekundete sich in den „Fragmenten über die neuere deutsche Literatur" und in den „Kritischen Wäldern", welche von Herder zu Riga verfaßt wurden. Dort wirkte er nämlich von 1764 an als Lehrer an der Domschule und seit 1767 zugleich als Prediger.

Auf der Reise, die er (1769) behufs Besuches be­ deutenderer Erziehungsanstalten in Frankreich, England, Holland und Deutschland zunächst nach Nantes unternahm, wuchs mit seinen Lebensansichten zugleich auch seine Liebe zur alten

nordischen Poesie und in Paris seine Abneigung gegen die dramatische Kunst der Franzosen. Von hier ging er über Hamburg, woselbst er Lessing und Claudius kennen lernte, nach Eutin, um von dort aus als Reiseprediger den Sohn deS Herzogs von Holstein-Eutin auf einer

Einleitung.

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dreijährigen Reise (1770) zu begleiten. In Straßburg, wo er sich von seinem Prinzen trennte, um ein altes Augenübel vollständig zu heilen, ward er mit Goethe bekannt, der Mit diesem, mit Jung-Stilling und mit anderen Freunden las er Homer, Ossian, Shakespeare und Klopstock und schrieb dort seine von der Berliner Akademie gekrönte Abhandlung „Über den Ursprung der Sprachen". In Bückeburg, wohin

daselbst seine Studien beendigte.

er 1771 als Hauptpastor und Konsistorialrath berufen wurde, faßte er ein großes Interesse

an den altdeutschen Dichtungen. Er machte auf die in den Volksliedern enthaltene Poesie aufmerksam, setzte deren Sammlung eifrigst fort und verfaßte seine „Älteste Urkunde des Menschengeschlechts" und seine Schrift „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung

der Menschheit".

1776 trat er die Stelle eines Oberpfarrers und General-Superintendenten

in Weimar an, die ihm von Goethe namens des Herzogs angeboten worden war. Dort schloß er sich mehr an Wieland als an Goethe und den später gekommenen Schiller an, wurde nach seiner italienischen Reise (1788—89) zum Vizepräsidenten und bald darauf (1801) zum Präsidenten des Oberkonsistoriums ernannt und in den Adelstand erhoben. Dort schuf er die große Reihe der bedeutenden Werke, die seinen Namen unsterblich gemacht haben,

seine „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", seine „Paramythien", seine „Parabeln und Legenden", seine „Briefe zur Beförderung der Humanität" und seine „Briefe

über daö Studium der Theologie", die zu poetischer Erfaffung des Christenthums begeistert auffordern. Dort veröffentlichte er mit Goethe zusammen seine „Blätter von deutscher Art und Kunst", in denen er auf den hohen Werth der Volksdichtung mit ihrer lebendigen Phan­ tasie und ihrer kräftigen Sinnlichkeit aufmerksam machte und sich gegen alles Regelwesen erklärte. Dort vollendete er mit dichterischem Geiste nach einer französischen Prosabear­ beitung seine metrische Übertragung der spanischen Romanzen vom „Cid"; dort bearbeitete er endlich auch seine Sammlung der Volkslieder, die den Charakter der verschiedenen Völker treulich und einfältiglich wiederspiegeln und unter dem Titel „Stimmen der Völker in Liedern" erschienen. Von seiner überhandnehmenden Kränklichkeit und Augenschwäche be­ freiten ihn nicht seine beiden Badereisen nach Aachen und Eger, sondern sein am 18. De­

zember 1803 in Weimar erfolgter Tod. §. 129. Nächst Klopstock, Lessing und Hamann hat vorzüglich Herder den Umschwung der Ansichten und Anschauungen, der schon lange auf dem Gebiete der Religion, der Er­ ziehung (Rousseau, Basedow), der Kunst (Winckelmann) und der Kritik (Lessing) eingetreten

war, auch auf dem Gebiete der Dichtkunst zum vollständigen Durchbruch gebracht. Dieser offenbarte sich bald in der Beseitigung der bisherigen Art dichterischer Produktion, in der Verachtung der bisher benutzten Muster, in der Verschmähung der früher bevorzugten Vorwürfe, in der Verwerfung aller Kunstregeln und jeglicher schulgemäßen Theorie. Was Klopstock, Lessing, Hamann und vor allen Herder über das wahre Wesen und den Zweck der Poesie, über die geschickte Wahl paffender Gegenstände und die dichterische Begabung

gelehrt hatten, daS faßten die jüngeren Dichter zu dem Verlangen zusammen, der Dichter müsse mit Phantasie begabt und von der Natur zum Dichten getrieben sein; er solle in deutschem Sinne und nach deutscher Art dichten, nur Original-Werke und nur für das ganze Volk schaffen; er solle bei seinem Schaffen sich nur an die Natur halten und einzig und allein der ihm von der Gottheit verliehenen Begabung, seinem „Genie", keiner Regel, keiner Vorschrift, keiner Theorie gehorchen. „Natur, Originalität und Genie" waren die

Losungsworte dieser Zeit, welche nach Klingers Drama „Sturm und Drang" Sturm­ und Drangperiode genannt worden ist.

Während derselben wurden Shakespeare und

Homer, Ossian, die orientalischen und die deutschen Dichtungen des Mittelalters und auch Hans Sachs geschätzt und vorzugsweise gelesen, weil sie jene Anforderungen am besten

Übersicht der Literatur-Geschichtk.

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erfüllten. Diese Zeit der „Kraft- und Original-GenieS", durch welche nur die höher be­ gabten und edleren Männer zur Wahrheit und Schönheit sich Hindurcharbeitelen, während

die übrigen elend verkümmerten und verkamen, reichte etwa von 1765 bis 1785. Sie machte ihren bedeutenden Einfluß geltend auf die Dichter des Göttinger Dichterbundes, sie beeinflußte stark auch Goethe und Schiller. §. 130. Der Göttinger Dichterbund wurde in Göttingen erst, als überall

sonst schon in Deutschland die Begeisterung für die Poesie rege geworden, von mehreren dichterisch begabten Jünglingen gestiftet. Diese benutzten den Musenalmanach, der von Heinrich Christian Boie anfänglich mit Friedrich Wilhelm Gotter gemeinsam (1770), später von jenem allein herausgegeben wurde, als Organ für die Veröffentlichung ihrer Gedichte. Sie traten dadurch in eine nähere und lebendige Verbindung mit einander. 1772 schlossen sie sich auf den Antrieb des bald zur Seele dieses Vereines gewordenen Voß

(am 12. September) zu einem eigentlichen Bunde zusammen und versammelten sich wöchentlich behufs Beurtheilung und Verbesserung ihrer dichterischen Erzeugnisie in einem Eichengrunde nahe bei Göttingen (Hainbund).

Der Hainbund stand ganz und gar in der Sturm- und

Drangperiode und betheiligte sich lebhaft an deren Bestrebungen; dennoch schloß er sich ganz

besonders an Klopstock an, der ihm wohlgeneigt war und ihm seine eifrigste Theilnahme widmete. Die Bundesbrüder pflegten die Freundschaft aufs innigste und glühten von Liebe zur Freiheit und zum Vaterlande; sie schwärmten für ein unhistorisches Bardenthum und

Urgermanertthum und strebten, Klopstock verehrend, Wieland verwünschend, nach Sitte und Tugend. Die hervorragendsten Mitglieder des Bundes, der für die Poesie trotz mancher Übertreibungen, trotz mancher Überspanntheit besonders rücksichtlich der Natur- und Volks­ dichtung erfolgreich wirkte, waren Hölty, Miller, Voß und die beiden Grafen zu Stolberg, Anhänger desselben Claudius und Bürger. In ihnen allen war das vaterländische, christ­ liche, antike Element Klopstocks mehr oder weniger vorherrschend. Nach kurzer Blüte des Bundes (1772, Sommer 1773) löste er sich allmählich zu blos äußerlichem, durch die Musenalmanache vermittelten Zusammenhänge auf, als zuerst die Grafen zu Stolberg, bald auch die übrigen Bundesglieder von Göttingen geschieden waren.

Ludwig Heinrich Christoph Hölty (geb. 1748 zu Mariensee in Hannover, gest, zu Hannover 1776) verband mit der Begeisterung für Natur und Freundschaft die Empfind­ samkeit Klopstocks und gab seiner elegisch-sentimentalen Stimmung Ausdruck in Liedern („Üb' immer Treu' und Redlichkeit"), Elegien und Oden, welche Lieblichkeit der Sprache

und Sorgfalt im Versbau zeigen. Johann Martin Miller (geb. 1750 zu Ulm, daselbst 1814 gest.) schrob vorzüglich in seinem Romane „Sigwart, eine Klostergeschichte", weniger

in seinen beim Volke sehr beliebten Liedern („Was frag' ich viel nach Geld und Gut") diese Empfindsamkeit bis zur Lachlust erregenden Schwärmerei hinauf. Johann Heinrich Voß (geb. 1751 zu Sommersdorf im Mecklenburgischen, 1778 Rektor zu Otterndorf, 1782 zu Eutin; seit 1805 lebte er in Heidelberg, wo er 1826 starb) strebte in seiner Jugend trotz seiner Armuth erfolgreich nach möglichster Ausbildung des Geistes und gelangte durch die Sorge für die eigene Beschaffung seines Unterhaltes früh zur Selbständigkeit und Charakterstärke. Besonders seit seinem Aufenthalte in Göttingen gewann er eine große Liebe zu den klassischen Schriftstellern des Alterthums und erfaßte deren Wesen und Geist scharf und sicher. Durch seine meisterhaften Übersetzungen besonders deö Homer und Vergil, so wie anderer klassischer Schriftsteller begründete er die eigentliche Übersetzungs­ kunst unter den Deutschen, vermehrte den Reichthum und die Gefügigkeit des sprachlichen

Ausdrucks und förderte die Ausbildung der Metrik („Zeitmessung der deutschen Sprache"; Hexameter); ganz besonders aber weckte und nährte er dadurch die Neigung für das Dietitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aufl.

4

50

Einleitung.

Studium der alten Klassiker und den Sinn für die Alterthnmskunde.

Seine eigenen

Dichtungen, obwohl er nur wenig begabt war, wurden dennoch mit Beifall ausgenommen. In seinen Oden huldigte er nach Klopstocks Vorbild der antiken Form; in seinen Liedern strebte er nach dem volksmäßigen Tone, ohne ihn immer zu treffen; in seinen Idyllen („Luise"; „siebzigster Geburtstag") eröffnete er dieser Gattung der Poesie ein weiteres Feld.

Immer und überall aber, auch auf dem Gebiete des Religiösen, war er aller Schwärmerei und Überschwenglichkeit abhold und fremd und deshalb in seinen späteren Lebensjahren in mancherlei Kämpfe verwickelt (mit Fritz Stolberg wegen desien Übertrittes zum Katholizismus, „Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?" und mit Creuzer wegen der Symbolik der griechischen Mythologie). Christian Graf zu Stolberg (geb. 1748, gest. 1821) und

Friedrich Leop old Graf zu Stolberg (geb. 1750, gest. 1819) lassen in ihren Liedern und Oden (ersterer auch in seinen Schauspielen) eine ähnliche Begeisterung, wie Klopstock, für Freundschaft, Vaterland und Frömmigkeit erkennen. Die in den Oden angewandte antike Form haben sie mit deutschem Geiste durchdrungen, auch in der Übersetzung klassischer Dichtungen nicht ohne Erfolg sich versucht. Matthias Claudius (geb. 1740 zu Reinfeld im Holsteinischen, lebte er, obwohl Revisor der schleswig-holsteinischen Bank, doch meist zu

Wandsbeck bei Hamburg, gab den „Wandsbecker Boten" heraus nnd starb in Hamburg

1815) war ein unbedingter Verehrer Klopstocks, dessen Begeisterung für Vaterland, Freund­ schaft und Tugend auch ihn durchdrang; er gab in allen seinen Liedern seiner Einfalt und Gemüthlichkeit, seiner Treuherzigkeit und Frömmigkeit einen treuen Ausdruck nnd wurde, indem er die gleichen Gefühle in dem Herzen des Volkes weckte, einer von den Lieblings­ schriftstellern desselben. Gottfried August Bürger (geb. 1747 im Pfarrhanse zu Molmer­

swende in der jetzigen Grafschaft Falkenstein im Halberstädtischen und nach großer Noth und unsäglichen Leiden, die freilich durch sein unsittliches Leben und durch seinen un­ begrenzten Leichtsinn von ihm selbst verschuldet waren, in Göttingen alö außerordentlicher Professor 1794 gestorben) war von seltener dichterischer Begabung unterstützt und zum Volksdichter geboren. Er entzückte durch seine Balladen, Romanzen und poetischen Er­ zählungen (Lenore, der wilde Jäger, Frau Magdalis, das Lied vom braven Mann, des Pfarrers Tochter von Taubenhain, der Kaiser und der Abt u. s. w.) das ganze deutsche Volk. §. 131. Johann Wolfgang Goethe von 1749 bis 1786. Geboren am 28. August 1749 zu Frankfurt a. M. in Umständen, die zur Förderung seiner Bildung, zur Befruchtung seines DichtergenieS, zur Entwicklung aller in ihm vorhandenen geistigen Kräfte ganz besonders glücklich zusammentrafen, wurde er von seinem Vater, einem Doktor der Rechte und Kaiserlichen Rathe, der als Schwiegersohn des Stadtschultheißen und als Besitzer eines bedeutenden Vermögens eine ansehnliche Stellung in Frankfurt einnahm, großentheilS selber erzogen und unterrichtet. DaS pedantische Wesen des allerdings viel­ seitig gebildeten und besonders von Liebe zur Kunst erfüllten VaterS wurde durch den frischen und fröhlichen Charakter der Mutter Goethes, der geistreichen und allbeliebten „Frau Rath", sehr glücklich gemildert. Aufs herzlichste liebte der Sohn von seiner frühsten

Jugend an seine einzige Schwester Cornelia. Von Klopstocks Messias und den Thaten deS großen Preußenkönigs mächtig ergriffen, aber auch bereits mit mancherlei verderbten Zuständen im Gesellschafts- und Familienleben bekannt geworden, wovon das Lustspiel „Die Mitschuldigen" Zeugnis ablegt, ging Goethe 1765 nach Leipzig, um sich dort dem

Studium der Rechte zu widmen. Mehr als durch dieses wurde er in Leipzig durch die Lektüre der Wielandschen Schriften und der Dramen Shakespeares und durch den Umgang mit dem Maler Öser angezogen, der seiner Neigung für die bildenden Künste eine höhere Richtung gab und ihm das Verständnis der Winckelmannschen Schriften, so wie die Be-

Übersicht der Literatur-Geschichte. beutung von Lessings Laokoon erschloß.

51

Buffons neue Gestaltung der Naturwissenschaft

erregte ihn lebhaft. Sein Lustspiel „Die Laune des Verliebten" ist ein Ausdruck bestimmter innerer Erlebnisse, wie seine späteren Dichtungen alle. Seine Beschäftigung mit der Kupferstecher- und Holzschneidekunst ward die Ursache einer langwierigen, schweren Krank­

heit und diese die Veranlassung zu seiner Rückkehr nach Frankfurt (gegen Ende deS Sommers 1768). Hier wurde er durch den Umgang mit dem frommen Fräulein v. Kletten­ berg, einer Verwandten und Freundin seiner Mutter („Bekenntnisse einer schönen Seele"

im Wilhelm Meister) eine Zeit lang dem religiös-beschaulichen Leben hold und zu mancherlei

In Straßburg traf er im Frühlinge 1770 zur Fortsetzung und Beendigung seiner Studien ein. Dort gewann aus dem Kreise seiner

mystisch-chemischen Versuchen angeregt.

fröhlichen Tischgenossen, zu denen namentlich die Original-Genies Lenz und Wagner, der biedere Franz Lerse und Jung-Stilling gehörten, Herder den größten Einfluß auf ihn: er flößte ihm Bewunderung für Hamanns Geist, Begeisterung für Ossian und Homer ein

und nährte seinen Enthusiasmus für Shakespeare. * Beglückt durch seine Liebe zu Friederike Brion, der sechzehnjährigen Pfarrerstochter von Sessenheim (bei Straßburg) und durch

die Herrlichkeit des Münsters für die altdeutsche Baukunst begeistert, neigte er sich echt vaterländischen Stoffen für seine Dichtung zu (Götz und Faust). Er erlangte (1771 im

Herbst) die juristische Doktorwürde und ward in Frankfurt durch Schlosser, welcher später Goethes Schwester Cornelia heiratete, und den kunstverständigen Kriegsrath Merck (in Darmstadt) vielseitig angeregt (Winter 1771—72). In Wetzlar, wohin er im Frühjahr 1772 ging, um sich bei dem dortigen Reichskammergericht als Jurist praktisch weiter-

zubilden, machte er die Bekanntschaft mit Charlotte Buff, der Verlobten deS Bremischen GesandtschaftssekretärS Kestner, die für sein damaliges inneres Leben und seine dichterische

Thätigkeit folgenreich war. In Frankfurt, wohin er auf Schlossers Wunsch (im Spät­ sommer 1772) zurückkehrte, vollendete er (im Frühjahr) 1773 seinen „Götz von Berlichingen". Dieser, vom glänzendsten Erfolge in ganz Deutschland gekrönt, wurde besonders von dem Göttinger Dichterbunde mit unendlichem Jubel begrüßt und gab mächtigen Anstoß zu weiterer Verbreitung der Revolution auf dem Gebiete der Poesie. Neben mehreren kleineren Werken, in denen „sein jugendlicher Übermuth sich Lust machte" („Götter, Helden und Wieland", „das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern", „Pater Brey"), und außer vielen lyrischen Gedichten von seelenvoller Empfindung und inniger Wärme, auf deren Abfassung Friederike und die Erinnerung an sie nicht ohne Einfluß geblieben ist, entstanden hier aus der Verschmelzung seiner inneren Herzensgeschichte und der Geschichte Jerusalems „die Leiden des jungen Werther", sein zweites größeres, unendlich gerühmtes und vielfach ge­

schmähtes Werk, das zugleich das Ende seiner Gefühlsüberschwenglichkeit bezeichnet, die eine Krankheit der Zeit war. In acht Tagen schrieb er dann sein Trauerspiel „Clavigo".

Die Wirkung dieser Werke war groß; mit ihnen begann eine neue Zeit unserer Literatur. Goethe ward nun der Mittelpunkt der Sturm- und Drangperiode, der Liebling der be­

deutenderen Männer seiner Zeit, der Abgott aller für die Poesie glühenden Herzen. Er gab sich frohem Lebensgenüsse hin, obwohl er sich mit vielfachen dichterischen Entwürfen trug, und machte mit Lavater und Basedow eine Rheinreise. Im Winter 1774 lernte er

in Frankfurt die weimarischen Prinzen Karl August und Konstantin kennen. Der mit Elisabeth Schönemann (Lili) geschlossenen Verlobung, die bald wieder gelöst wurde, ver­ dankte er die Anregung zu einigen seiner schönsten lyrischen Gedichte. Er besuchte auf seiner ersten Schweizerreise, die er mit den Gebrüdern Stolberg unternahm, Lavater, ver­

faßte die Singspiele „Erwin und Elmire", „Claudina von Villa Bella" und „Stella" und begann den „Egmont". Die wiederholten Einladungen deS weimarischen Fürsten4*

Einleitung.

52

paareS, deS unlängst zur Regierung gelangten Herzogs Karl August und seiner Gemahlin Luise, zogen ihn endlich 1775 an den Hof zu Weimar, dessen Seele noch immer die treffliche Herzogin-Mutter Anna Amalie war. Aufs ausgezeichnetste wurde er empfangen und vom Herzoge Karl August bald aufs innigste geliebt. In seinem Innern herrschte noch eine Zeit lang die stürmische Bewegung; doch ward sie mehr und mehr beruhigt, besonders

durch den Einfluß der geistvollen Frau von Stein.

Der Sturm und Drang wich; der

Himmel seines Innern heiterte sich auf; Hinneigung zu geregelteren, festeren Formen ward sichtbar in mehreren Liedern jener Zeit, ebenso wie tu der 1779 beendigten älteren Gestalt der „Jphigenia" und in der 1781 vollendeten prosaischen Bearbeitung des „Tasso". Nachdem er zum Geheimen Rath ernannt worden war und den Herzog (1779) in die

Schweiz begleitet hatte, erhielt er (1782) vom Kaiser Joseph II. den Adel und vom Herzoge für alle wichtigen Angelegenheiten den Vorsitz in der Herzoglichen Kammer, in der er schon 1776 Sitz und Stimme empfangen hatte. Zehn Jahre widmete er sich mit großem Eifer der Förderung des Staatswohles und der Sorge für alle bedeutenderen staatlichen An­ gelegenheiten. Wurde dadurch auch seine dichterische Kraft eine Zeit lang zurückgedrängt, so wuchs doch seine Welterfahrung, die ihm in der späteren Zeit reichen Nutzen eintrug.

Doch allmählich sing sein poetisches Gewissen an unruhig und seine Sehnsucht nach Italien größer zu werden; von Karlsbad aus begab er sich mit des Herzogs Erlaubnis am

3. September 1786 nach Italien. §.132. Johann Christoph Friedrich Schiller von 1759 bis 1787. Während sein Vater als würtembergischer Offizier (früher Wundarzt) im Felde stand, ward Schiller im Hause des Großvaters, eines ehrsamen Bäckers, am 10. November 1759 zu Marbach

geboren. Er lebte dann nach dem Hubertsburger Frieden von 1763—1765 in Ludwigs­ burg, dem Standquartiere seines zum Hauptmann beförderten Vaters, und erhielt später den ersten Unterricht in Lorch an der Rems von dem trefflichen Pfarrer Moser. Von 1768 an besuchte er die lateinische Schule in Ludwigsburg. 1772 sollte er behufs des Studiums der Theologie in eine Klosterschule übertreten, als er auf des Herzogs Karl Befehl in die militärische Pflanzschule auf der Solitude, woselbst sein Vater schon seit einiger Zeit die Aufsicht über alle Gartenanlagen hatte, versetzt wurde. Gegen seine Neigung mußte er hier das Studium der Theologie mit dem Studium der Rechtswissenschaft vertauschen. In der freien Entwicklung seines Geistes durch den Druck der pedantischen, strengen Zucht gehemmt, welche in dieser militärischen Anstalt gehandhabt wurde, suchte er sich durch die heimliche Lektüre deutscher Dichter zu entschädigen, besonders Klopstocks, Bürgers, Schubarts, des auf dem Asperg schmachtenden Gefangenen („Fürstengruft", „Hymnus auf Friedrich den Großen", „Der ewige Jude", „Kaplied"), GerstenbergS („Ugolino") und Goethes, dessen Götz von Berlichingen ihn so begeisterte, daß Goethe

Schillers Abgott wurde. Mächtig erregt durch diese Dichtungen und lebhafter zum Drama als zum Epos hingezogen, versuchte er sich in der dramatischen Poesie, besonders nachdem die militärische Pflanzschule als Karlsakademie nach Stuttgart verlegt und er zum Studium der Medizin übergegangen war; nebenher verfaßte er auch einzelne lyrische Gedichte („Der

Abend").

Bald darauf gab er sich mit regem Eifer der Beschäftigung mit der Philosophie

hin, arbeitete heimlich an „den Räubern" und ward nach bestandener Prüfmlg (gegen

Ende des Jahres 1780) als Regimentsmedikus ohne Portepee (also als Feldscher) in

Stuttgart angestellt.

„Die Räuber",

ein Erzeugnis der erbitterten Stimmung, welche

durch die ihn beengenden Verhältnisse hervorgerufen war, und seiner Unzufriedenheit mit der ihm freilich noch unbekannten Welt, wurden auf Schillers Kosten gedruckt und, nachdem

sie auf den Wunsch des Freiherrn v. Dalberg, des Intendanten des Mannheimer Theaters,

Übersicht der Literatur-Geschichte.

53

umgearbeitet worden waren, zu Anfang deS Jahres 1782 in Mannheim mit glänzendem Erfolge aufgeführt. Sie veranlaßten im September 1782 Schillers Flucht nach Mann­

heim.

Nachdem er in Oggersheim bei Mannheim

in

elendester Lage

an

der „Luise

Milleriu", einem bürgerlichen Trauerspiele, fleißig gearbeitet, den schon in Stuttgart be­ gonnenen „Fiesko" beendigt und in seiner Hoffnung auf Annahme desselben durch Dalberg sich bitter getäuscht hatte, eilte er (Nov. 1782) nach Bauerbach in Meiningen, einem

Gute der Frau von Welzogen, der Blutter eines seiner Studienfreunde, da er sich vor dem Herzoge Karl in seinem bisherigen Versteck nicht mehr sicher glaubte. Hier vollendete er (1783), fast vereinsamt lebend, von seinem späteren Schwager aber, dem Meininger

Bibliothekar Reinwald, mit Büchern reichlich versorgt, das bürgerliche Trauerspiel, welches unter dem Titel „Kabale und Liebe" erst 1784 erschien.

Auf Dalbergs Veranlassung

reiste er (1783 im Sommer) wieder nach Mannheim, richtete den Fiesko und Kabale und Liebe für die Bühne ein und arbeitete emsig an seinem „Don Carlos". Daneben

trug er sich schon mit vielfachen anderen Entwürfen herum, las die französischen Dramen behufs Regelung seines Geschmackes und gab die „Rheinische Thalia", die spätere „Thalia", heraus. Durch einen Brief Körners (des Vaters Theodor Körners) veranlaßt, schied

Schiller aus dem ihm unangenehm gewordenen Mannheim 1785, vom Herzoge von Weimar zum Herzoglichen Rathe ernannt und nach „Freundschaft, Anhänglichkeit und Liebe dürstend". Durch Körners Edelmuth wurde er vor drückenden Sorgen gesichert und lebte seit Mitte

April in Leipzig und Gohlis in trautem Verkehr mit dessen Braut Minna Stock, deren Schwester Dora und mit dem oft aus Dresden herüberkommenden Körner selbst. Als dieser sich verheiratet hatte, ging auch Schiller nach Dresden und lebte abwechselnd dort und in Loschwitz bis zum Juli 1787. Er verfaßte jetzt, nachdem er schon in Mannheim den „Don Carlos" vollendet, in Loschwitz aber umgearbeitet hatte, die Erzählungen „Der Verbrecher auö verlorener Ehre" und „Der Geisterseher", die „philosophischen Briefe" und mehrere seiner lyrischen Gedichte. Alle Schöpfungen Schillers aus dieser Zeit sind

durchweht von dem Geiste des Sturmes und des Dranges.

An seinen Ideen festhaltend,

kämpft er gegen die bestehenden Verhältnisse, in den Räubern gegen die verrotteten Zu­ stände der Gesellschaft, im Fiesko gegen die bestehenden Formen des Staates, in Kabale und Liebe gegen die Unsittlichkeit und Verworfenheit der höheren Kreise. Der Don Carlos, dessen drei erste Akte in Prosa und noch im stürmischen Drange geschrieben waren, er­ leidet eine vollständige Umänderung nach Inhalt und Form. Der Sturm legt sich; die Läuterung hat unter Körners Einfluß begonnen; der in Gohlis gedichtete „Hymnus an die Freude" ist der Vorklang reinerer, schönerer Dichtung.

II. §. 133.

Die Prosa.

Wie die Poesie, so geht auch die Prosa ihrer Blüte mit starken Schritten

entgegen. Sie war außerordentlich gehoben und gefördert worden durch die vielen kritischen und unterhaltenden Zeitschriften, durch die immer häufiger hervortretenden Übersetzungen und durch die zunehmenden historischen, kritischen, ästhetischen und philosophischen Schriften. Sie war geregelt und verbessert worden durch die wachsende Begründung der Sprachlehre

und durch daö allgemeiner werdende Streben, die naturwissenschaftlichen Forschungen jeder­ mann zugänglich zu machen. So war sie denn wie mit einem Zauberschlage auf den ver­ schiedenen Gebieten vorzugsweise durch Wieland, Lessing, Herder und Goethe zur Schön­

heit und Vollendung der Form emporgehoben worden.

Die didaktische Prosa, welche außer den eigentlichen philosophischen und moralischen Abhandlungen auch den Roman umfaßt, gewinnt in dem Romane an sorgfältiger Ordnung

Einleitung.

54

deS Inhalts und an Gewandtheit der sprachlichen Darstellung. In den phllosophischen Abhandlungen, die meist die Übertragung der Philosophie und Moral auf das Gebiet des

Lebens und der Praxis bezwecken, erlangt sie Klarheit und Schönheit des Ausdrucks, vor­ Sulzers (gest. 1779 in Berlin; „Vermischte philosophische Schriften"), Moses Mendelssohns (geb. 1729 in Dessau, 1786 zu Berlin gest.;

züglich durch die Werke

„Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele"), Johann Jakob Engels

(geb.

1741 zu Parchim in Mecklenburg, Professor am Joachimsthalschen Gymnasium zu Berlin, Lehrer königl. Prinzey, Oberdirektor des Berliner Nationaltheaters, gestorben auf einer Besuchsreise zu Parchim 1802; populär-philosophische Schriften: „Philosoph für die Welt", „Fürstenspiegel", „Herr Lorenz Stark"), Spaldings (als Probst zu Berlin 1804 ge­ storben; „Bestimmung des Menschen", „Werth der Gefühle im Christenthume"), Thomas

Abbts (als Konsistorial-Rath zu Bückeburg 1766 gestorben;

„Vom Tode fürs Vater­

land"; Mitarbeiter an den Literaturbriefen), Friedrich Karl von Mosers (des für Freiheit und Recht kämpfenden, 1798 zu Ludwigsburg gestorbenen Staatsmannes), Justus Mösers (des trefflichen Volksschriftstellers; „Patriotische Phantasien") und vor allen des unsterblichen Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Die historische Prosa hält rücksichtlich der Weltgeschichte und Kirchengeschichte nicht gleichen Schritt mit der didaktischen Prosa; sie bleibt hinter ihr trotz der Verdienste Schlözers und Schröckhs („Die christliche Kirchengeschichte") zurück, während Winckelmanns (1717 zu Stendal geb., in Triest 1768 ermordet) „Geschichte der Kunst des Alter­

thums" nicht nur die Wissenschaft der Alterthumskunde begründet, sondern auch ein Meister­ werk historischer Darstellung, das Vorbild und Muster wahrer Geschichtschreibung wird. Auf dem Gebiete der rhetorischen Prosa, die sich fast ganz allein auf die Kanzelberedsamkeit beschränkt, zeichnen sich vorzüglich der (1786 zu Berlin gestorbene) Ober-Konsistorialrath Sack, der zu den berühmtesten Kanzelrednern zählende, zu Leipzig

1788 gestorbene Prediger Zollikofer und der 1789 gestorbene Braunschweigische Ober-

Hofprediger Jerusalem aus.

Zweiter Zeitraum. Vom Ende der Sturm- und Drangperiode (1785) bis auf die Gegenwart.

1. §. 134.

Die Poesie.

Die einseitige Übertreibung der Originalität, wie sie durch die Sturm- und

Drangperiode gelehrt und gepredigt worden, das Losreißen von jeder geregelten Form, das Verschmähen aller Theorie und jeder Kunstregel richtete sich selber, als diese Originalität

auch auf das Leben übertragen und auch hier jede konventionelle Form beseitigt wurde. Die unterdessen gereifte deutsche Wissenschaft und besonders die zu wissenschaftlicher Form gelangte Ästhetik (Philosophie des Schönen) verhalf den Deutschen zu einer richtigen Er­ kenntnis wahrer Kunst und brachte ihnen den Werth der Poesie des Alterthums und der neuen Zeit in ihrer Eigenthümlichkeit und in ihrer Verschiedenheit von einander zum Be­ wußtsein. Die Überzeugung, das Gute, Wahre, Schöne sei anzuerkennen, wo es sich auch

finden möge, gewann immer mehr Raum.

Die Schönheit der Form und des Inhalts in

ihrer Bereinigung wurde nun angestrebt und durch die beiden größten Dichter Deutsch­

lands, durch Goethe und Schiller, erreicht. Beide verhalfen, anfangs getrennt von einander

und auf verschiedenen Wegen, der eine durch seine Reise nach Italien, der andere durch seine historischen Studien, zur Läuterung geführt, endlich in schönstem Vereine und in voll­ kommen neidlosem Wirken, gegenseitig einander läuternd und ermunternd, der Poesie zu

Übersicht der Literatur-Geschichte.

55

itrer zweiten Blüte. Bon Jena und Weimar auS, der anfänglich alleinigen Heimat unserer zweiten klassischen Literatur, verbreitete sich dieselbe mit bewundernswürdiger Schnelligkeit

über ganz Deutschland, ja sie wurde die Lehrmeisterin der übrigen europäischen Völker, die

mit staunender Berehrung zur deutschen Poesie aufsahen. Sie wurde der Mittelpunkt einer allgemeinen Literatur, in der alles Große, Schöne und Erhabene seine Würdigung

und Anerkennung fand. §. 135. Goethe von 1786 —1794.

Auf seiner italienischen Reise, die von 1786

bis 1788 dauerte und ihn nach längerem Aufenthalte in Rom über Neapel auch nach Sizilien führte, erneuerte sich in Goethe, der von dem südlichen Leben, von den italienischen Natur- und Kunstschähen, von der klassischen Vollendung der Alten wie bezaubert war, die schöpferische Kraft. Der Flug und Schwung seines Geistes erstarkte in ihm; das Entzücken

an der Harmonie und Schönheit der griechischen artistischen und literarischen Kunstwerke verdrängte die letzten in ihm vorhandenen Reste der Periode der Kraftgenies mit ihrem formlosen Drange. Er ward ein so ausschließlicher Verehrer griechischen Wesens und

griechischer Kunst, daß selbst Ossian vor Homer, Shakespeare vor Sophokles zurückweichen mußte. Ein Ausdruck dieser Verehrung, ein Ausdruck der in Goethe vollendeten harmo­

nischen Verschmelzung „moderner Sittigung mit den reinsten Formen des unbewußt schaffenden Alterthums" ist die in Italien in die Versform umgewandelte Iphigenie auf Tauris (Anfang des Jahres 1787). Auf diese folgte der Torquato Tasso, der eine feine Zeichnung des Gegensatzes zwischen dem Weltmanne und dem Dichter, ein Abbild der eigensten Erfahrungen und geheimsten Wünsche Goethes ist und zugleich eine Parallele zwischen Ferrara und Weimar enthält. In seiner neuen metrischen Gestalt wurde derselbe erst 1789 beendigt. Der zweite Aufenthalt Goethes in Rom (Spätsommer 1787) sah den Egmont vollendet werden als dasjenige Produkt des Dichters, in welchem die neue Richtung mit den alten Anschauungen zu einem harmonischen Ganzen verschmilzt. In ihm erinnert der ganze Stoff und die Volksszenen mit ihrer lebeusfrischen und lebeuSgleichen Schilderung an Shakespeare, während die Konzentration deS gesammten Stoffes um einen Helden, der in seiner Liebenswürdigkeit, in seinem Selbstvertrauen, in seiner Popularität und in seiner Tapferkeit mit Sorgfalt gezeichnet ist, den Einfluß der griechischen Kunst verräth. Allein der Aufenthalt in Italien wirkte auf Goethe auch nach einer anderen Seite hin und zwar nicht günstig. Hingerissen von dem italienischen Leben und der italienischen Sitte, wurde Goethe bei seiner Rückkehr in die Heimat (18. Juni 1788) von

dem deutschen Wesen abgestoßen. Entzückt von der hellenischen Kunst, fühlte er nur In­ teresse für das Individuum; die Menschheit war ihm gleichgültig, gleichgültig daher auch die Geschichte, gleichgültig des Volkes Streben nach politischer Freiheit, widerlich der Aus­

bruch und Fortgang der französischen Revolution. Sie störte ihn, der sich von allen amtlichen Geschäften zurückgezogen hatte und mit Natur- und Kunststudien seine Zeit auSfüllte, in diesen Studien und nöthigte ihm als Zeugnisse seines Hasses gegen das „Frauzosenthum" die unbedeutenden Werke „der Großkophta", „der Bürgergeneral" und „die Aufgeregten" ab, mit denen gewissermaßen der allerdings bedeutendere Reineke Fuchs zusammengehört. Im Jahre 1791 wurde er mit der Leitung des neu errichteten Hof­ theaters betraut; .1792 machte er im Gefolge des Herzogs den preußischen Feldzug gegen

Frankreich mit und wohnte 1793 der Belagerung von Mainz bei.

1794 ging er mit

neuer Lust an seinen „Wilhelm Meister" und trat nun endlich Schiller näher, den er bis dahin möglichst gemieden hatte. Mit diesem Schritte war der Grundstein zu der innigen

Freundschaft der beiden Heroen gelegt. §. 136. Schiller von 1787 bis 1794.

Schillers

stets reges Interesse für die

Einleitung.

56

Geschichte wuchs in Weimar, wo er 1787 von Wieland und von Herder freundlichs empfangen wurde, und förderte bedeutend die Läuterung seiner Anschauungen, welche durch den Umgang mit hochgebildeten Frauen und Männern, noch mehr aber durch das Studium der alten Klassiker bereits angebahnt war. Seine Lage blieb trotz seiner ununterbrochenen schriftstellerischen Thätigkeit eine sehr sorgenvolle. Durch eine Reise zu seiner in Meiningen verheirateten ältesten Schwester Christophine und zu Frau von Wolzogen wurde er in eine

Verbindung mit Frau von Lengefeld und deren beiden Töchtern Karoline und Charlotte gebracht, die sich allmählich inniger gestaltete und ihn auch mit Goethe näher bekannt machte. Infolge seiner größeren geschichtlichen Arbeiten („Geschichte deS Abfalls der Nieder­ lande", „Geschichte des dreißigjährigen Krieges") und auf Goethes Verwendung erhielt er

(1789) eine außerordentliche Professur in Jena, aber ohne Gehalt. Er eröffnete seine Vor­ lesungen mit der Antrittsrede: „Was heißt und zu welchem Ende studirt man Universalge­

schichte?" 1790 erhielt er vom Herzoge von Meiningen den Hofrathstitel und verheiratete sich mit Charlotte von Lengefeld. Während er mit größter Emsigkeit an seinen geschicht­

lichen Werken arbeitete, ward er 1791 von einer heftigen Brustkrankheit ergriffen und, ob­ wohl durch die Kur in Karlsbad von ihr befreit, doch in seinem körperlichen Zustande so erschüttert, daß er nie mehr seine frühere Gesundheit wiedererlangte. In dieselbe Zeit fällt seine Beschäftigung mit der Philosophie, die zu seiner Läuterung den Schlußstein hinzufügte

und ihn antrieb, seine Gedanken über Wesen und Ziel der Poesie zu ordnen und nieder­

zuschreiben (über den „Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen", über „Anmuth und Würde"). Seiner dichterischen Produktion aber that dieselbe mannigfachen Eintrag. Außer den Übersetzungen der Jphigenia in Aulis und der Phönizierinnen des Euripides vollendete er nur einige lyrische Gedichte, die ersten, herrlichen Früchte seiner Beschäftigung

mit dem Alterthume, „die Götter Griechenlands", „die Künstler", „Resignation" u. a. Durch seine Reise nach Schwaben (1793) besserte sich sein körperlicher Zustand, durch seinen Umgang mit Wilhelm von Humboldt 1794 in Weimar erweiterte sich seine Kenntnis des griechischen Alterthums, während zugleich seine Kunsttheorie sich entwickelte und sein Studium Kantischer Philosophie gefördert wurde. Den revolutionären Vorgängen in Frankreich gegen­ über bewahrte er, obwohl er sie mit Antheil verfolgte, einen vollkommen nüchternen Blick; seine Ernennung zum Bürger der französischen Republik wies er zurück, nachdem er die Nachricht von der Ermordung Ludwigs XVI. erhallen hatte. Endlich trat auch sein Freundschaftsverhältnis zu Goethe ein, den er bisher wenigstens nicht ausgesucht hatte. §. 137. Goethes und Schillers Zusammenwirken, die zweite Blütezeit unserer Literatur, von 1794 bis 1805. Goethe und Schiller waren nun gemeinsam thätig

für die „Horen" und für die Musenalmanache, für die Goethe seinem Freunde die beiden „Episteln", „die römischen Elegien" und seinen „Benvenuto Cellini", außerdem viele neue Sprüche und Lieder, die Venetianischen Epigramme und mehrere neue Balladen lieferte. Infolge dieser gemeinsamen Thätigkeit entwickelte sich allmählich eine so feste und innige Neigung und Freundschaft beider zu einander, daß ihr Wirken fernerhin als ein einiges und einziges angesehen werden darf. Sie lebten im persönlichen und brieflichen Austausche ihrer Ideen, im edelsten Wettkampfe ihrer poetischen Schöpfungen, in gegenseitiger harmonischer Ergänzung ihrer Kräfte und Naturen. (Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller in den

Jahren 1794 bis 1805.) Während beide an den „Votivtafeln" und an den „Lernen" ge­ meinsam arbeiteten, beendigte Goethe 1796 sein längst begonnenes Werk „Wilhelm Meisters Lehrjahre" und 1797 sein idyllisches Epos „Hermann und Dorothea".

Unterdessen war Schiller in seinen Vermögensverhältnissen durch Steigerung seiner

Einnahmen besser gestellt worden.

Nach Beendigung mehrerer kunsttheoretischer Arbeiten,

Übersicht der Literatur-Geschich te.

57

deren bedeutendste die Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung" (1195) ist, wurde besonders durch den Verkehr mit Goethe das Verlangen nach dichterischer Produktion

in ihm wieder so mächtig, daß er (1795) seine Gedichte lyrisch-didaktischen Inhaltes schuf

(„Das Ideal und das Leben", „Der Spaziergang", ferner „Die Würde der Frauen" und 1799 „Das Lied von der Glocke"). Im Wetteifer mit Goethe dichtete er gleich darauf die meisten seiner Balladen (Taucher, Ring des Polykrates, Ritter Toggenburg, Gang nach dem Eisenhammer, Kraniche des JbykuS). Goethe dichtete zu derselben Zeit den Zauber­ lehrling, die Braut von Korinth, den Schatzgräber, den Gott und die Bajadere). Nach seiner Übersiedelung nach Weimar (1799), die ihm durch Gehaltserhöhung ermöglicht wor­ den war, wandte sich Schiller fast ausschließlich der dramatischen Dichtung zu.

1799 be­

endigte er seine Trilogie „Wallenstein", an der er feit 1790 gearbeitet hatte, 1800 seine

„Maria Stuart", 1801 die „Jungfrau von Orleans", 1803 die „Braut von Messina"

und 1804 den „Wilhelm Teil".

Er entfernte das Drama aus den engen und dürftigen

Verhältnissen, in die es durch Jffland (geb. 1759, gest. 1814), den Repräsentanten bürgerlicher Alltäglichkeit, und durch Fr. Ferdinand von Kotzebue (geb. 1761, 1819 in

Mannheim ermordet), den dramatischen Vielschreiber und Anpreiser lockerer Sitten, hinein­ gezogen war. Im Vereine mit Goethe sorgte er für das Weimarische Theater und füllte die Pausen zwischen jenen größeren Dramen durch die Übersetzung und Bearbeitung deS

Macbeth von Shakespeare, der Phädra des Racine, der Turandot Gozzis, des Neffen als Onkel und des Parasiten von Picard aus. Von Goethe wurde er dabei rüstig unter­ stützt, welcher zu demselben Zwecke Voltaires Tankred und Mahomet ins Deutsche übertrug und nach der Rückkehr von seiner dritten Schweizerreise (1797) die „natürliche Tochter"

dichtete. 1802 wurde Schiller in den Adelstand erhoben, 1804 schlug er die ihm in Berlin gemachten glänzenden Anerbietungen aus, um in dem ihm so lieben Weimar zu bleiben. Eben hatte er tcn „Demetrius" begonnen und „die Huldigung der Künste" zur Verherr­ lichung der Hechzeitsfeier des Erbprinzen von Weimar mit der russischen Großfürstin Maria Paulowna gedichtet, als er im Vollgefühle seiner geistigen Kraft und auf der Höhe seiner dichterischen Produktion durch einen heftigen Anfall seiner Brustkrankheit am 9. Mai 1805 aus dem irdischen Leben fortgerasft wurde. §. 138. Goethe nach dem Tode Schillers von 1805—1832. Hatte Goethe schon in seiner „natürlichen Tochter" eine Hinneigung zur Symbolik, dem Tode echter Poesie, gezeigt, so erscheint seine poetische Schöpferkraft nach des Freundes Hinscheiden plötzlich gebrochen. Nur noch einmal flammte sie in dem liebevollen, dem Dahingeschiedenen gewidmeten Nachrufe, dem „Epilog zur Glocke" (1805), hell auf und blieb bis zu dem

(1806 erfolgten) Abschlüsse des ersten Theiles des „Faust" wirksam. Die nächstfolgenden dramatischen Werke „Pandora" (1807), „des EpimenideS Erwachen" (1814) und besonders der „zweite Theil des Faust" (1831) gaben den unverkennbaren Beweis für die Abnahme der Lebendigkeit seiner Phantasie. Dagegen blieb er der Meister in der Erzählung, für

welche er sein außerordentliches Talent in den „Wahlverwandtschaften" (1808—9) und in allen Werken bewährte, die sich auf Darstellung seines Lebens oder aus seinem Leben beziehen, in „Dichtung und Wahrheit" (von 1810—13, 1816—31), in der „italienischen Reise" (1814—17, 1828 und 1829) und in der „Campagne in Frankreich" (1821—23). Nachdem er noch mittlerweile ganz unerwartet durch seinen „West-östlichen Divan (1819) die Poesie bereichert und durch seine „Metamorphose der Pflanzen" und durch die „Farben­

lehre" den tiefen Ernst bekundet hatte, der ihn bis ins Greisenalter hinein bei seinen

wissenschaftlichen Studien beseelte, starb er, verehrt von der ganzen deutschen Nation, hoch­ geschätzt und bewundert vom Auslande, plötzlich und schmerzlos den 22. März 1832.

58

Einleitung.

§. 139. Die Romantiker lehnten sich anfänglich an Goethe an, bald aber kämpften sie gegen ihn und noch heftiger gegen Schiller, desien Freiheitsideen und deffen eigenthüm­ liche- Christenthum ihnen nicht behagte. Als ihre Vorläufer sind Novalis (Friedrich Ludwig Graf von Hardenberg; geb. 1772, gest. 1801; geistliche Lieder; Hymnen; unvoll­

endeter Roman „Heinrich von Ofterdingen") und Wilhelm Heinrich Wackenroder (geb. 1772, gest. 1798; „Herzensergießungen eines frommen Klosterbruders") anzusehen. Sie strebten, aus dem Mittelalter im Gegensatze zum klassischen Alterthume neue Quellen für die Poesie herzuleiten und die so lange verborgenen Schätze der höfischen Poesie an das

Tageslicht zu ziehen.

Unter ihnen ragen besonders hervor:

August Wilhelm von

Schlegel (geb. 1767 zu Hannover, als Professor zu Bonn 1845 gestorben), der sich ein bedeutendes Verdienst durch seine meisterhafte Übersetzung des Shakespeare erworben, die

später von Tieck fortgesetzt worden ist, ferner Friedrich Schlegel (geb. 1772, gest. 1829), der nach seinem Übertritte zur katholischen Kirche als begeisterter Apostel derselben auftrat, und besonders Ludwig Tieck (1773 in Berlin geboren und 1853 ebendaselbst gestorben). Unter allen Romantikern der bekannteste, hat sich Tieck den größten Ruhm durch seine Dramatisirung alter Volkssagen und Märchen, durch seine Bearbeitung der Minnelieder und durch seine Studien über Shakespeare und das englische Theater erworben. Seine Dramen Genoveva, Fortunat und Kaiser Octavian gehören ganz und gar der Romantik an. Diesen drei Häuptern der romantischen Schule schließen sich aufs engste an Friedrich Freiherr de la Motte goiiquö (geb. 1777 zu Sacrow bei Potsdam, gest, in Berlin

1843), dessen liebliches Märchen Undine sich bis auf den heutigen Tag in der Gunst deö Publikums erhalten hat, und Achim von Arnim und Klemens Brentano, die beiden Herausgeber der Sammlung älterer deutscher Volkslieder, welche 1806 unter dem Titel „Des Knaben Wunderhorn" erschienen und mit Recht beliebt ist.

Achim von Arnim

(geb. 1781 zu Berlin, gest. 1831; er heiratete 1811 seines Freundes Brentano Schwester Elisabeth — Bettina —) verlor über dem Mittelalter die Gegenwart nicht aus den Augen. Er ist durch seine lyrischen Gedichte bekannter geworden als durch seine Romane (Gräfin

DoloreS; Kronenwächter) und seine Dramen (Halle uyd Jerusalem; die Gleichen). Kle­ mens Brentano (geb. 1778 zu Frankfurt a. M., gest. 1842 zu Aschaffenburg) machte durch seinen ersten Roman „Godwi oder das steinerne Bild der Mutter" mehr Aufsehen als durch sein letztes Werk „Gockel, Hinkel und Gackeleia". Auch bei vielen anderen Dichtern der neueren Zeit ist die Einwirkung der romantischen Schule deutlich erkennbar. Sie zeigt sich bei den Epikern Ernst Schulze (Cäcilie; bezauberte Rose) und Pyrker (Tunisias; Rudolfias); sie zeigt sich auch bei den Lyrikern Tiedge (Urania), Matthisson, dem poetischen Landschaftsmaler, Johann Gaudenz von Salis, Adalbert von Chamisso, der durch seine lyrischen Gedichte, poetischen Er-zählungen und seinen Peter Schlemihl eine

große Berühmtheit erlangt hat, LudwigTheobulKosegarten (Jukunde; Legenden), Höl­ derlin, Wilhelm Müller, Jmmermann, Joseph von Eichendorff und Schmidt von Lübeck. Ebenso ist sie erkennbar bei den Dramatikern Zacharias Werner (Söhne

des Thals; Kreuz an der Ostsee; Luther oder die Weihe der Kraft; der 24. Februar), Amadeus Gottfried Adolf Müllner (der 29. Februar; die Schuld), Franz Grillparzer (die Ahnfrau) und Christoph Ernst v. Houwald (die Freistatt, das Bild, der Leuchtthurm), welche sämmtlich Berfafler von Schicksalstragödien sind, und bei Heinrich v. Kleist (Käthchen von Heilbronn, Prinz von Homburg, der zerbrochene Krug).

Die Einwirkung

der romantischen Schule zeigt sich auch bei den „patriotischen Dichtern" Friedrich Rückert,

Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner, Max v. Schenkendorff und bei den „schwä­

bischen Dichtern" Uhland, Schwab und Kerner, sowie bei dem Grafen Platen, der

Übersicht der Literatur-Geschichte.

59

durch die künstlerische Form seiner Gedichte ausgezeichnet ist und die satirische Geißel gegen

die Fatalisten schwingt. §. 140. Außerhalb der romantischen Schule stehen:

Johann Peter Hebel,

der

durch seine Volksschriften (Rheinischer Hausfreund, Schatzkästlein) und durch seine aleman­ nischen Gedichte berühmt geworden, und Gottfried Seume, der weniger durch seine Ge­ dichte, als durch seinen „Spaziergang nach SyrakuS" bekannt ist. §. 141. Die neueste Zeit, auf die näher einzugehen der Zweck dieses BucheS

verbietet, ist besonders an lyrischen Gedichten reich, in denen mehr und mehr das Haupt­ gewicht auf die Schönheit der metrischen Form gelegt zu werden beginnt.

II. §. 142.

Die Prosa.

Auch die Prosa nahm in diesem schönsten Zeitraum unserer Literatur einen

gewaltigen Aufschwung; sie erreichte eine Harmonie des Inhalts und der Form, nach der sie früher vergeblich gestrebt hatte. Sie verdankt diesen Aufschwung zunächst dem Einfluß, den unsere Dichterheroen und unter ihnen vorzugsweise Lessing, Herder, Goethe und Schiller auch auf diesem Gebiete der Literatur ausgeübt haben. Mit gleicher Dankbarkeit aber ist anzuerkennen, was in dieser Beziehung von der romantischen Schule geleistet worden ist,

da diese nicht nur erfolgreich an der Veredlung der Sprache und Darstellung mitgearbeitet,

sondern auch viele bedeutende Werke deS Mittelalters der Vergessenheit entrissen und die herrlichsten literarischen Schätze des Auslandes dem deutschen Volke erschlossen hat. §. 143. Die historische Prosa hatte zunächst durch Herders „Ideen zur Philo­

sophie der Geschichte der Menschheit" angefangen, von dem rein pragmatischen Stand­ punkte zu den: höheren sich emporzuheben, von dem aus sie die scheinbar zusammenhangs­ losen Ereignisse als die einzelnen Faktoren der ununterbrochen fortschreitenden Entwicklung des Menschengeschlechtes darstellt. Sie ward besonder- durch Johannes v. Müller ge­ hoben, dessen „Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft" überall seine glühende Vater­ landsliebe, dessen „24 Bücher allgemeiner Geschichte" seinen Gedankenreichthum zeigen. Das ganze Gebiet der Weltgeschichte umfaßte Friedrich Christoph Schlosser, der auf

scharfsinnige Weise die Schicksale der einzelnen Völker mit ihrem Charakter in Verbindung bringt und den innigen Zusammenhang nachweist, der zwischen jenem und ihren Sitten und ihren literarischen Erzeugnissen stattfindet. An ihn reihen sich Karl v. Rotteck und Heinrich Leo, die von entgegengesetztem politischen Standpunkte die Weltgeschichte betrachten und darstellen. AuS der größeren Zahl der Historiker, welche einzelne Abschnitte der Welt­

geschichte in meisterhafter Darstellung behandelt haben, genügt es, Barthold Georg Niebuhr (1831 in Bonn gest.), den Verfasser der nicht genug zu rühmenden „römischen Geschichte", Friedrich v. Raumer, den Verfasser der „Geschichte der Hohenstaufen", und den noch lebenden Leopold v. Ranke anzuführen, der die wichtigsten Theile der mittleren und neueren Geschichte mit Gründlichkeit und Scharfsinn behandelt hat.. Mit nicht geringerem Fleiß, Geschick und Erfolg ist das Feld der Kirchenge­

schichte durch den Göttinger Professor Gieseler, durch den Jenaer Professor Karl Hase und durch den 1850 zu Berlin gestorbenen Johann August Wilhelm Neander angebaut worden. Endlich hat sich auch die Literaturgeschichte aus schwachen Anfängen zu schöner

Blüte entfaltet, besonders durch die Meisterwerke Georg Gottfried Gervinus', August Kobersteins und August Vilmars.

§. 144. Die philosophische Prosa bildete sich zu immer größerer Klarheit, Deutlichkeit und Schönheit heraus, nachdem Christian Wolf die deutsche Sprache in dem

60

Einleitung.

Gebiet der Wissenschaft heimisch gemacht und Spalding, Sulzer, Mendelssohn und Garve in ihren Schriften die Überführung der Philosophie aus der Schule in das Leben mit glücklichem Erfolge angestrebt hatten. Hatten die früheren Philosophen (Leibniz, Wolf und ihre Nachfolger) für die Philo­

sophie eine streng methodische Form geschaffen, so war eS Immanuel Kant, dem Gründer der kritischen Philosophie (geb. 1724 zu Königsberg, 1804 ebendaselbst gest.), Vorbehalten, (1781) in seiner „Kritik der reinen Vernunft" die Gesetze des Erkenntnisvermögens und intet „Kritik der praktischen Vernunft" (1787) die Gesetze deS sittlichen Handelns zu untersuchen, endlich in seiner „Kritik der Urtheilskraft" (1790) auch die Lehre vom Schönen und von der Kunst mit wisienschaftlicher Strenge zu begründen. Durch seine Schriften machte sich bald in dem Geistesleben der Deutschen ein Umschwung bemerkbar, der durch die idealistische Richtung des patriotischen Johann Gottlieb Fichte (geb. 1762, gest. 1814) und Friedrich

Wilhelm Joseph v. Schellings (1775 — 1854) noch gesteigert wurde. Anfangs an Schelling sich anschließend, begründete Georg Wilhelm Friedrich Hegel (geb. 1770, gest.

1831), der wegen seiner dunklen Schreibart schwer verständlich ist, ein neues System der Phi­ losophie. Während die Wissenschaft Jakob Grimm (1785—1863) viele bahnbrechende Werke (Die deutsche Grammatik, die deutsche Mythologie, die Geschichte der deutschen

Sprache) und Wilhelm Grimm (1786—1859) die Herausgabe mehrerer Werke unserer mittelalterlichen Poesie (Rolandölied, Freidanks Bescheidenheit) verdankt, entstammen der

gemeinsamen Thätigkeit beider die Kinder- und Hausmärchen, die deutschen Sagen und das deutscke Wörterbuch. §. 145. Die rhetorische Prosa ist auf die Kanzelberedsamkeit und auf die Schul­ reden beschränkt geblieben, bis die politischen Ereignisse der neuesten Zeit Veranlassung zur Entwicklung der politischen Beredsamkeit gegeben haben. Von letzterer sehen wir ab und heben aus der großen Zahl bedeutender geistlicher Redner den zu Jena (1828) ver­ storbenen Konsistorial-Rath Johann Gottlob Marez oll, den 1850 zu Dresden ge­

storbenen Kirchenrath v. Ammon und vor allen den geistreichsten aller neueren Kanzel­ redner hervor, den 1834 gestorbenen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher.

A. I. a.

Poesie.

Die epische Dichtung.

Epische Dichtungen, die ihren Stoff aus der Sagenwelt schöpfen.

1. Die Lage und Mythe. Die Sage, als eigene, selbständige Dichtungsart, ist die Erzählung einer Handlung

oder Begebenheit, welche mündlich von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt, daher historisch nicht beglaubigt, sondern unverbürgt, aber an einen bestimmten Ort, meist auch an eine bestimmte Zeit und an eine bestimmte (historische) Person angelehnt ist. Das Wunderbare braucht mit ihr nicht nothwendig verbunden zu sein. Sie tritt ebensowohl in gebundener, wie in ungebundener Form auf. Besonders häufig bearbeitet sind die Sagen vom ewigen

Juden AhasveruS, von Doctor Fausts Höllenfahrt und unter den ausländischen die Frithjof-Sage.

A n m. Bezieht sich die Sage auf göttliche Personen, entlehnt sie also ihren Stoff aus der Götter­ welt oder überhaupt aus der vorhistorischen Zeit, so pflegt sie Mythe genannt zu werden.

1.

C h i d h e r.

Chidher, der ewig junge, sprach: „Ich fuhr an einer? Stadt vorbei; Ein Mann im Garten Früchte brach. Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei. Er sprach und pflückte die Früchte fort: Die Stadt sieht ewig an diesem Ort Und wird so stehen ewig fort.

Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. Da fand ich keine Spur der Stadt; Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei, Die Herde weidete Laub und Blatt. Ich fragte: Wie lang' ist die Stadt vorbei?

Er sprach und blies auf dem Rohre fort: Das eine wächst, wenn das andere dorrt;

Das ist mein ewiger Weideort. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich deffelbigen WegS gefahren.

So lang', als schäumen die Wellen dort, Fischt man, und fischt man an diesem Port. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen WegS gefahren. Da fand ich einen waldigen Raum Und einen Mann in der Siedelei;

Er fällte mit der Axt den Baum. Ich fragte, wie alt der Wald hier sei. Er sprach: Der Wald ist ein ewiger Hort. Schon ewig wohn' ich an diesem Ort, Und ewig wachsen die Bäum' hier fort. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

Da fand ich eine Stadt, und laut Erschallte der Markt vom Volksgeschrei. Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut? Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?

Sie schrieen und hörten nicht Mein Wort: Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug; So ging es ewig an diesem Ort

Ein Schiffer warf die Netze frei.

Und als er ruhte vom schweren Zug, Fragt' ich, seit wann das Meer hier sei. Er sprach und lachte meinem Wort:

Und wird so gehen ewig fort. Und aber nach fünfhundert Jahren Will ich deffelbigen Weges fahren."

Rückert.

Epische Poesie.

62 2.

Sigurds Jugend.

(Nach der Wilkinasage.)

Sigurd, ein Sohn des Königs Siegmund, ward als neugebornes Kind nach seiner

Mutter Tode ohne Wissen seines Baters von dessen bösen Rathgebern in einem großen Methglase in den Fluß geworfen. Das Gefäß mit dem Kinde trieb nun auf dem Strome

in die See hinab, gerieth auf eine Felsbank und zerbrach.

Da es gerade Ebbe war und

das Wasser fiel, so lag das Glasgefäß ganz auf dem Trocknen. Der Knabe, der unterdeß ziemlich gewachsen war, weinte. Da kam eine Hindin, nahm ihn in den Mund und trug ihn zu ihren beiden Jungen ins Lager, wo sie ihn säugte.

Nachdem er zwölf Monate bei der Hindin gewesen, war er so groß und stark wie andre Kinder von vier Wintern. 9tun war aber ein berühmter und geschickter Schmied, namens Mimer, dem manche Gesellen dienten. Mimer hatte auch einen Bruder, der Reigin hieß. Dieser war sehr­

stark und der böseste aller Männer, und zur Strafe für seine Zaubereien war er in einen Lindwurm verwandelt worden. Der größte und böseste aller Würmer, wollte er jeden tobten, nur seinem Bruder Mimer blieb er gewogen; diesem war auch allein sein Lager­

bekannt. Eines Tages fuhr Mimer in den Wald, um Kohlen zu brennen. Während er einsam beim Feuer stand, lief ein schöner Knabe auf ihn zu. Mimer fragte ihn, wer er wäre; doch der Knabe konnte nicht sprechen.

Er nahm ihn zu sich und legte ihm, da er

nackt war, ein Kleid über. Indeß kam auch die Hindin gerannt, ging an Mimers Knie und leckte dem Knaben Gesicht und Kopf. Mimer gedachte den Knaben als seinen Sohn aufzuziehen, nahm ihn mit nach Hause und gab ihm den Namen Sigurd. Dort wuchs der Knabe auf, bis er neun Winter alt war; da war er schon so groß und stark, daß niemand seinesgleichen sah, zugleich aber so wild und unbändig, daß er Mimers Gesellen schlug und stieß und sie bei ihm kaum aushalten konnten. Einst gerieth Sigurd mit Ekhart, dem stärksten der Gesellen, der ihn mit der Zange ans Ohr geschlagen hatte, in Streit. Er­ faßte ihn mit der Linken so gewaltig ins Haar, daß er zu Boden stürzte, sprang, da die

anderen Gesellen Ekhart zu Hülfe kamen, zur Thüre hinaus und schleifte ihn an den Haaren hinter sich her zu Mimer. Der Meister verwies ihm sein Benehmen, führte ihn bei der Hand zur Schmiede, gab ihm einen der schwersten Hämmer in die Hand, legte ein glühendes Eisen auf den Amboß und hieß Sigurd darauf schlagen. Dieser aber schlug auf den ersten Schwung so gewaltig, daß der Stein deS Amboßes zersprang und ganz in den Klotz versank. Das Eisen flog umher, die Zange zerbrach, und der Schlägel siel weit von dem Schafte nieder. Da sprach Mimer: „Nie sah ich von jemand einen fürchterlicheren, noch ungefügeren Schlag. Was auch aus dir werden mag, zum Handwerke taugst du nicht." Mimer, wohl sehend, daß ihm von dem Knaben großes Unheil kommen werde, faßte den Entschluß, ihn umzubringen.

Er ging deshalb in den Wald zum Lindwurme

und bat ihn, den Knaben, welchen er ihm schicken würde, zu tobten. Am anbern Tage fragte Mimer seinen Pflegling, ob er ihm wohl in dem Walde Kohlen brennen wollte.

„Wenn du fortan wieder gegen mich so gut bist wie früher", sagte Sigurd, „so fahre ich

hin und thue alles, was du verlangst." Da rüstete ihn Mimer zu dieser Fahrt, gab ihm Speise und Wein auf neun Tage, dazu eine Holzaxt und wieS ihn in den Wald. Sigurd

hieb starke Bäume um und machte ein großes Feuer. Als eS Jmbißzeit war, setzte er sich zu seiner Speise und aß so lange, bis nichts mehr übrig war; auch von dem Weine ließ er nicht einen Trunk zurück.^ Während er nun so für sich hin sprach, eS möchte ihm wohl

keines Menschen Hand zu mächtig sein, sieh, da kam ein großer Lindwurm auf ihn zu. Sigurd sprang auf, packte den stärksten Baum, der im Feuer loderte, traf den Wurm aufs

Haupt und schlug so lange, bis er tobt war; dann hieb er ihm den Kopf ab.

Sage und Mythe.

63

Da es schon hoch am Tage war und Sigurd nicht wohl mehr nach Hause kommen mochte, dabei aber nicht wußte, woher er zu essen nehmen sollte, beschloß er den Lindwurm zu sieden, füllte den Kessel mit Wasser und hängte ihn über das Feuer, nahm seine Axt

Und da er dachte, seine Speise könne gar sein, und zum Versuche die Hand in den Kessel tauchte, verbrannte

und hieb große Stücke von dem Wurme ab, bis der Kessel voll war.

er sich die Finger und steckte sie schnell zur Abkühlung in den Mund. Aber kaum war ihm die Brühe auf die Zunge gekommen und in den Hals geronnen, so verstand er die Sprache zweier Vögel, die in seiner Nähe auf dem Baume saßen.

Der eine sang aber:

„Wüßte

dieser Mensch, was wir wissen, so führe er nach Hause und erschlüge seinen Pflegevater Mimer, der ihm hier den Tod zu bereiten suchte. Dieser Wurm war Mimers Bruder; behält der das Leben, so wird er den Erschlagenen rächen und den Knaben tödten." Darauf bestrich Sigurd mit dem Blute des Wurmes seine Hände, und wohin das Blut kam, da ward die Haut so fest wie Horn.

Da fuhr Sigurd ans den Kleidern und bestrich den

ganzen Leib (nur zwischen die Schultern konnte er nicht hinlangen), kleidete sich wieder an

und kehrte, das Haupt des Wurmes in der Hand, nach der Wohnung des Schmiedes zurück. Ekhart, der Sigurd kommen sah, meldete es Mimer und floh mit allen seinen Gesellen in den Wald. Mimer allein ging Sigurd entgegen und hieß ihn willkommen. Dieser aber

antwortete: „Keiner von euch soll willkommen sein; wie ein Hund sollst du dies Haupt abnagen!" Um ihn zu besänftigen, bot ihm Mimer Helm, Schild und Harnisch, die er für Hertnit, den König in Holmgard, geschmiedet hatte, außerdem Gram, das beste aller

Schwerter, und den Hengst Gram, der mit Brnnhilden- Stuten weidete. Sigurd nahm das Anerbieten an, und sie fuhren heim. Mimer übergab seinem Pflegesohne die Rüstung,

die überaus trefflich war, und Sigurd waffnete sich. auch das Schwert.

Endlich überreichte ihm der Schmied

Kaum aber hatte Sigurd Gram gefaßt, so schwang er ihn so kräftig,

als er nur konnte, und versetzte Mimer den Todesstreich. Nach des Schmiedes Weisung begab sich Sigurd darauf zur Burg BrunhildenS, fand aber das eiserne Thor verschlossen; und da es niemand öffnete, stieß er so hart dagegen, daß die Riegel zersprangen, und ging hinein. Sieben Wachtmänner, die deS Thores hüten sollten, kamen ihm entgegen und

wollten ihn ob seiner Gewaltthat erschlagen; er aber tödtete sie. Nun ergriffen Brun­ hildens Ritter die Waffen und stürmten auf ihn ein; Sigurd wehrte sich indeß aufs tapferste. Als aber Brunhilde die Kunde vernahm, sagte sie: „Da muß Sigurd gekommen sein, Siegmunds Sohn; und hätte er mir sieben Ritter erschlagen, so sollte er doch will­ kommen sein!" ging hinaus und gebot Friede. Auf die Frage, wer er wäre, nannte er sich Sigurd, konnte aber die Frage nach seinen Eltern nicht beantworten. Da sagte sie ihm, er sei der Sohn Siegmunds. Nach der Absicht seiner Fahrt gefragt, erwiderte Si­

gurd, er suche das Roß Grani, und darum bitte er Brunhilden.

Brunhilde schickte sofort

Leute aus, das Roß zu fangen. Diese waren auch den ganzen Tag auf der Jagd, kehrten

aber am Abend unverrichteter Sache zurück.

Sigurd war da die Nacht bei guter Be-

wirthung, am Morgen aber nahm er zwölf Männer zu sich und fuhr zu Grani. Seine Gefährten mühten sich lange umsonst, bis er sich endlich selbst den Zaum geben ließ und auf den Hengst losging, der ihm dann von selbst entgegenkam, so daß ihm Sigurd das Gebiß anlegte und sich hinaufschwang. Darauf dankte er Brunhilden für die Bewirthung und fuhr nach Bertangaland zum Könige Jsung. Dieser, ein wackerer Kämpe, der elf

tapfere Söhne hatte, nahm Sigurd auf und machte ihn zu seinem Rathgeber und Banner­ führer. Da zog Dietrich von Bern, der sich in Gesellschaft seiner Helden unbesiegbar däuchte, auf Hildebrands Rath aus, um sich auch gegen Jsung und dessen wackere Söhne zu versuchen. Dietrichs Helden bestanden mit diesen einzeln den Zweikampf, er selbst aber

Epische Poesie.

64 stritt mit Sigurd.

Zwei volle Tage blieb der Kampf unentschieden; am dritten aber siegte

Dietrich mit Hülfe des Schwertes Mimung; Sigurd gab sich überwunden und erklärte sich für Dietrichs Mann. Dietrich reiste nun mit dem Könige Gunnar, der auch an der Fahrt gegen Jsung theilgenommen hatte, nach Niflungaland. Sigurd war in ihrem Ge­

folge.

Er heiratete dort Kriemhilden, Gunnars und Hognis Schwester.

Ein großes Gast­

mahl, wozu man die edelsten und besten Männer einlud, ward veranstaltet, und es währte die Hochzeit sieben Tage. Sigurds Schild war mit Gold überzogen; darauf stand ein Drache gemalt, dunkel­ braun oberhalb und schön roth unterhalb. Ebenso war'sein Helm, sein Banner, sein Sattel und sein Waffenrock. Sein braunes Haar fiel in großen Locken herab, sein Bart

war kurz und dick, die Nase hoch, daö Antlitz voll und starkbeinig. scharf, daß wenige ihren Blick ertragen konnten.

Seine Augen waren so Seine Haut war hart wie die Haut eines

wilden Ebers oder wie Horn, so daß keine Waffen durchdrangen. die doppelte Breite.

Seine Schultern halten

Sein Leib war ebenmäßig geschaffen an Höhe und an Dicke. Wenn

er, mit dem Schwerte Gram, daö sieben Spannen lang war, umgürtet, durch ein aus­ gewachsenes Roggenfeld ritt, berührte des Schwertes Ortband die Ähren. Auch seine

Stärke war groß, wie sein Wuchs.

Wohl vermochte er das Schwert zu schwingen, den

Speer zu schießen, den Schaft zu werfen, mit dem Schilde zu schirmen, den Bogen zu spannen und Noffe zu reiten. Er war so weise, daß er selbst Dinge, die noch nicht ge­ schehen waren, vorauswußte. Er verstand die Sprache der Bögel, und deshalb kamen ihm wenige Dinge unversehens. Er war gewandt im Reden und ließ von der Sache, über die er einmal angehoben hatte, nicht ab, bis alle gestanden, eS könne nicht anders sein. ES war

seine Lust, den Freunden Beistand zu leisten, sich selber in Heldenthaten zu versuchen, den Feinden ihr Gut abzugewinnen und den Freunden zu schenken. Niemals ermangelte er

des Muthes, niemals war er erschrocken. Bor allen Männern ragte er an Adel und Schönheit, ja fast in allen Dingen hervor. Und wo die größten und berühmtesten Helden genannt werden, da wird er zuerst genannt, und sein Name geht durch alle Zungen von Norden bis nach Süden.

3.

Voiimer.

Siegfried und Kriemhilde.

(Nach dem Siegfriedsliede.)

Siegfried, der Sohn des Königs Siegmund von Niederland, wollte als König nie­ mandem unterthänig sein, verließ seinen Vater und trat bei einem Schmiede in Dienst. Aber zu stark zur Arbeit, schlug er das Eisen entzwei, den Amboß in die Erde. Da er überdies Meister und Knechte mißhandelte, suchte der Schmied seiner wieder loszuwerden und schickte ihn zu einem Köhler in den Wald, damit ihn ein dort hausender Drache ver­ zehren möchte. Siegfried aber tödtete und verbrannte diesen; durch das Feuer schmolz die Hornhaut deS WurmeS und floß wie ein Bächlein dahin. Siegfried stieß den Finger hinein, der dann bei der Erkaltung mit einer Hornhaut überzogen war.

Da bestrich ver­

jünge Held seinen ganzen Leib, die Stelle zwischen den Schultern ausgenommen, mit der flüssigen Maffe. Nun saß zu Worms am Rhein ein König, namens Gibich, Vater dreier Söhne und

einer Tochter Kriemhilde. Diese ward von einem Drachen entführt, der sie nach Verlauf von fünf Jahren, wo er seine frühere Menschengestalt wieder erhalten sollte, zur Gattin nehmen wollte. Bis ins vierte Jahr hielt er so die Jungfrau auf dem Drachensteine ge­ fangen.

Nnterdeß sandte Gibich in alle Lande seine Boten aus, um von der Tochter-

Kunde zu erhalten; doch vergebens.

Da zog der stolze Siegfried mit Habicht und Hunden

Sage und Mythe. in den Wald auf die Jagd.

65

Einer seiner Bracken findet die Spur deS Drachen; Siegfried

eilt ihm nach und gelangt am vierten Tage zum Drachensteine. Dort trifft er auf den Zwergkönig Engel, von dem er erfährt, daß auf dem Felsen ein Drache mit der schönen

Kriemhilde Hause, zugleich aber vor dem Ungeheuer gewarnt wird. Siegfried will von keiner Warnung hören, versichert eidlich, er wolle und müsse die Jungfrau gewinnen, und

bittet Eugel um Beistand. Gott könne helfen.

Der aber betheuert ihm, all sein Streben sei umsonst; nur

Da erfaßt ihn Siegfried erzürnt und schlägt den Zwergkönig so heftig

gegen eine Felswand, daß die reiche Krone, welche er auf dem Haupte trug, in Stücke

sprang.

Nun bat dieser um Gnade und verhieß seinen Beistand, indem er Siegfried zu­

gleich eröffnete, daß der Riese Kuperan, der den Schlüssel zum Drachensteine führe, dort Hause. Siegfried läßt sich zu ihm weisen und fordert von ihm die Jungfrau; allein der

Riese fährt ihn wüthend an, und es erhebt sich ein gewaltiger Kampf.

Kuperan ficht mit

einer ungeheuren stählernen Stange; doch Siegfried weicht dem Schlage geschickt aus und versetzt seinem Gegner mehrere Wunden, so daß dieser forteilt und sich mit Panzer, Helm und Schwert waffnet; sein Schild war so groß wie ein Stadtthor. Von neuem begann der Kampf; Siegfried aber zerhieb nicht nur den gewaltigen Schild, sondern zerschnitt auch den Panzer seines Gegners. Kuperan bat nun um sein Leben, welches ihm Siegfried auch unter der Bedingung gewährte, daß er ihn zum Felsen führe.

Indem aber beide zum Felsen gingen, versetzte Kuperan Siegfried, der sich dessen nicht versah, einen solchen Schlag,

daß dieser für todt niederstürzte. Eugel ward sein Retter, indem er die Nebelkappe über ihn warf und ihn so dem Blicke des Riesen entrückte. Als sich Siegfried wieder erholt

hatte, rieth ihm Eugel abermals von seinem Vorhaben ab; doch jener warf die Kappe von sich, stürzte auf den Riesen ein und versetzte ihm acht tiefe Wunden, ließ ihm jedoch, da er mit seiner Hülfe die Jungfrau zu gewinnen hoffte, das Leben. Endlich gelangten sie an die Thür des Drachensteines, und Kuperan schließt auf. Die erstaunte Kriemhilde heißt Siegfried willkommen, erkundet sich nach den Ihren und gelobt ihm, da er Leib und Leben für sie einsetzen will, für immer Treue. Indessen wird Siegfried von dem Riesen erinnert, daß dort ein kostbares Schwert verborgen liege, und daß der Drache nur mit dieser Klinge zu besiegen sei. Ehe sich aber Siegfried dessen versieht, schlägt ihm Kuperan wieder eine so böse Wunde, daß er kaum zu stehen vermag. Ein neuer Kampf erhebt sich, und Sieg­ fried wirft den Riesen, der dieses Mal vergebens nm Gnade flehet, den Fels hinab, so daß er sich in Stücke zerfällt. Jetzt war der Sieger, der bereits den vierten Tag weder etwas genossen, noch auch geruhet hatte, ganz ermattet. Eugel brachte ihm Speise und Trank zur Labung. Aber ehe Siegfried nur anbiß, hörte er schon den Drachen, der, Feuer sprühend, durch die Luft daherfuhr. Nun erhob sich ein Kampf, gegen den die früheren nur ein Spiel waren. Der Ungestüm ward so heftig, daß die Zwerge voll Furcht aus dem Berge flohen, und daß selbst Engels Brüder den von ihrem Baler Nibelung gesammelten

Schatz, den sie dort hüteten, in eine Höhle unter dem Drachensteine fortschafften. In diese Höhle floh auch Siegfried, da er das Feuer des Drachen, wovon selbst der Fels erglühte, nicht ertragen konnte, und kühlte sich ab. Aber der Kampf begann von neuem; der Drache suchte Siegfried, dem er schon vorher mit seinen Krallen den Schild abgerissen hatte, in seinen Schwanz zu flechten; doch umsonst. Endlich begann die Horndecke des Drachen theils von seinem eigenen Feuer, theils von deS Feindes Schlägen zu erweichen; Siegfried

hieb den Wurm in der Mitte entzwei und warf ihn den Fels hinab, sank aber zugleich

bewußtlos nieder.

Nachdem er sich wieder erholt und an Speise und Trank gelabt hatte,

beurlaubte er sich von Eugel und dessen Brüdern. jener,

Ehe er jedoch fortzog, verkündete ihm

er werde Kriemhilden nur bis ins achte Jahr besitzen, dann durch Mörderhand

5)ieliv u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Auft.

5

Epischt Poesie.

66

fallen, aber durch sein schöne- Weib furchtbar gerächt werden.

Nun zog Siegfried fort,

wandte jedoch wieder um und lud den Schatz, welchen er für des Drachen Eigenthum hielt, auf fein Roß. Zu Worms ward eine glänzende Hochzeit, die über vierzehn Tage dauerte, und zu der man alle Großen des Landes geladen hatte, unter Freude und Jubel aeseiert. Vollmer.

4.

Vom heiligen Gral und vom Könige Artus.

Tief in den Ideen des urältesten Heidenthums, in den Mythen Hindostans, wurzelt

die Sage von einer Stätte auf der Erde, die deö mühelosen Genusses und der ungetrübten Freude reiche Fülle dem gewähre, welcher dorthin gelange; von einer Stätte, wo die Wünsche schweigen, weil sie befriedigt, und die Hoffnungen ruhen, weil sie erfüllt sind;

von einer Stätte, wo des Wissens Durst gestillt wird und der Friede der Seele keine An­ fechtung erleidet. Es ist die Sage vom irdischen Paradiese. Als das Paradies im Be­

wußtsein der späteren Menschheit immer tiefer zurücktrat, blieb nur noch ein Edelstein des Paradieses, gleichsam eine heilige Reliquie, doch mit Paradieseskräften ausgestattet, auf der Erde zurück, der als köstliche Schale gedacht wurde, aus welcher die goldenen Himmels­ gaben sich noch in später Zeit, wie in der entschwundenen glücklicheren, reichlich ergossen; ist doch unser „Tischlein, deck' dich!" nur die letzte, dunkle Ahnung der Paradieseszeit, die wir mit unsern fernen Stammesverwandten in Indiens Bergen theilen; ist doch das Streben nach dem Stein der Weisen das irdische, nie gestillte Suchen nach jenem verlorenen

Edelstein des Paradieses. Diese Sage, auf heidnischem Boden erwachsen, ergriff nun der tief innerliche Geist des christlichen Mittelalters und bildete sie aus zu einer christlichen Mythologie.

Ein köstlicher Stein von wunderbarem Glanze, so lautet der christliche Mythus, war, zu einer Schüssel verarbeitet, im Besitze Josephs von Arimathia; aus diesem Gefäße reichte der Herr in der Nacht, da er verrathen ward, selbst seinen Leib den Jüngern dar; in dieses Gefäß wurde, nachdem Longinus die Seite des am Kreuze Gestorbenen geöffnet, das Blut aufgefangen, welches zur Erlösung der Welt geflossen war. Dieses Gefäß ist darum mit Kräften des ewigen Lebens ausgestattet; nicht allein, daß es, wo es verwahrt und gepflegt wird, die reichste Fülle irdischer Güter gewährt —wer es anschauet, nur einen Tag an­ schauet, der kann, und wäre er auch siech bis zum Tode, in derselben Woche nicht sterben, und wer es stetig anblickt, dem wird nicht bleich die Farbe, nicht grau das Haar, und schauete er es zweihundert Jahre lang an. DieS Gefäß ist eben der heilige Gral (denn Gral bedeutet Gefäß, Schüssel), und es symbolisirt dasselbe die durch die Vermittlung der Kirche dargebotene Erlösung des Menschengeschlechts durch das Blut Jesu Christi. An

jedem Charfreitage bringt eine leuchtend weiße Taube die Hostie vom Himmel in den Gral hernieder, durch welche die Heiligkeit und die Kräfte des Grals erneuert werden.

Dieses

Heiligthums Hüter und Pfleger zu sein, ist die höchste Ehre, die höchste Würde der Mensch­ heit. Nicht jeder aber ist dieser Ehre würdig; Pfleger des Grals kann nur ein treues,

sich selbst verleugnendes, alle Eigensucht und allen Hochmuth in sich vertilgendes Volk, König und Pfleger dieser Hüter nur der unter diesen Treuen und Demüthigen demüthigste

und treueste, der reinste und keuscheste Mann sein. Diese Gralspfleger heißen Templer als Hüter des Gralstempels (Tempieisen), und es liegt offenbar eine nahe Beziehung in diesen Gralspflegern zu dem Ideal des christlichen Heldenthums, den Tempelrittern, wie sie im Anfang waren.

ES war nämlich lange Jahre, nachdem der Gral durch Joseph in

den Occident war gebracht worden, niemand würdig, dieses Heiligthum zu besitzen, weshalb Engel dasselbe schwebend in der Luft hielten, bis Titurel, der sagenhafte Sohn eines sagen-

Sage^und Mythe.

67

haften christlichen Königs von Frankreich, nach Salvaterre in Biskaya geführt wurde, wo er auf dem Berge Montsalvage eine Burg für die Hüter des Grals und einen Tempel für das Heiligthum selbst erbaute und jenes heilige Ritterthum gründete.

Die Fläche jenes Berges, welche von Onyx war,

wurde glatt geschliffen, daß sie

leuchtete wie der Mond, und auf dieselbe wurde durch des Grales Kraft über Nacht der Grundriß der Burg und deS Tempels gezeichnet. Der Tempel war rund, hundert Klafter

im Durchmesser. An der Rotunde standen zweiundsiebenzig Chöre oder Kapellen, sämmtlich achteckig; auf je zwei Kapellen kam ein Thurm, also sechsunddreißig Thürme, rund herum stehend, von sechs Stockwerken, jedes mit drei Fenstern und mit einer von außen sichtbaren

Spindeltreppe.

In der Mitte erhob sich ein doppelt so hoher und doppelt so weiter Thurm.

Das Werk war auf eherne Säulen gewölbt, und wo sich die Gewölbe mit den Schwibbogen reiften, waren Bildwerke von Gold und Perlen. Die Gewölbe waren blauer Saphir und in der Mitte eine Scheibe von Smaragd darin gefalzt mit dem Lamm und der KreuzeSfahne in Schmelzwerk. Alle Altarsteine bestanden aus blauen Saphirsteinen als Symbolen

der Sündentilgung, und auf ihnen waren grüne Sammetdecken gebreitet; alle Edelsteine fanden sich zusammen vereinigt in den Verzierungen über den Altären und den Säulen;

die goldfarbene Sonne und der silberweiße Mond waren im Gewölbe der Tempelkuppel in reinstrahlenden Diamanten und Topasen dargestellt, so daß das Innere auch bei Nacht mit wunderbarem Glanze funkelte und leuchtete; die Fenster waren nicht von Glas, sondern von Krystallen, Beryllen und andern farbigen Edelsteinen, und um den brennenden Glanz zu mildern, waren Gemälde auf diesen Steinen entworfen. DaS Estrich war wafferheller Krystall und unter diesem, von Onyx gefertigt, alle Thiere der See, als ob sie lebten. Die

Thürme waren von edlem Gestein, mit Gold ausgelegt. Die Dächer der Thürme und des Tempels selbst waren von rothem Gold mit Verzierungen von blauem Schmelzwerk. Auf jedem Thurme stand ein krystallenes Kreuz und auf diesem ein Adler mit auSgebreiteten

Schwingen, aus rothem Golde geschlagen und weithin funkelnd, so daß er von ferne, da man das krystallne Kreuz nicht sehen konnte, fluglings zu schweben schien. Der Knopf deS Hauptthurmes war ein riesiger Karfunkel, der weithin in den Wald auch bei Nacht leuch­

tete, so daß er den Templeisen zum Leitstern diente. In der Mitte dieses Tempelbaues unter dem Kuppelgewölbe stand der ganze Bau noch einmal im kleinen als Ciborium oder Sakramentshäuslein, und in diesem wurde der heilige Gral selbst aufbewahrt. Um diesen Graltempel, der von einer weitläufigen, mit Mauern und zahllosen Thür­

men verwahrten Burg umschlossen war, lag ein dichter Wald von Ebenholzbäumen, Zypressen und Zedern, der sich sechzig Rasten nach allen Seiten hin erstreckte, und durch welchen niemand ungerufen hindurchdringen konnte, wie niemand zu Christo kommen kann,

er rufe ihn denn; dennoch aber wird das Geheimnis des Grals niemandem aufgeschlossen, wenn er nicht fragt; wer, nachdem er berufen worden ist, stumm und stumpf und ohne in dem Wunder das Wunder zu ahnen, wie vor dem Alltäglichen, so auch vor dem Gral stehen bleibt oder vorübergeht, der wird ausgeschlossen von der Gemeinschaft der Hüter

und Pfleger deS Grals, wie der, der nicht nach dem christlichen Heile fragt, desselben auch nicht theilhaftig wird. Eine lange Reihe von Jahren und Jahrhunderten hat dieser Graltempel in seiner Herrlichkeit im Occident gestanden: da hörte bei der zunehmenden

Gottlosigkeit des occidentalischen Christenvolkes die Würdigkeit desselben auf, den Gral in

seiner Mitte zu beherbergen, und er wurde von Engeln mitsammt dem Tempel hinweg­ gehoben und tief hineingerückt in den Orient, in das Land der mittelalterlichen Märchen und Wunder, in das Land des Priesters Johannes.

sammenhängend und unangreifbar.

So blieb die Dichtung in sich zu­

Epische Poesie

68

Diese Sage vom Gral mag in ihrer christlichen Umformung in Spanien ihr Mutter­ land haben; Frankreich und Deutschland sind die Stätten ihrer Pflege und ihres dich­ terischen Wachsthums. Doch tritt sie wenigstens in Deutschland in keinem Gedichte ganz

selbständig, vielmehr verbunden mit einem andern, ihr an und für sich ganz fremden Sagenkreise auf: es ist dies die britische Sage vom Könige Artus und der Tafelrunde. Artus oder Artur ist der alte britische Nationalheld, einer der Kämpfer gegen die eindringenden und erobernden Deutschen, die Angeln und Sachsen, um den sich das erlöschende Nationalbewußtsein deS von Römern und Germanen aus der Reihe der herr­

schenden Völker Europas verdrängten Keltenvolkes sammelte. Zu Kaerlleon (Schloß Leon) am USk in Wales sitzt König Artus zu Hofe mit Ghwenhwywar (romanisirt Ginovre), seiner schönen Gemahlin, umgeben von einem glän­ zenden Hofstaat von vielen hundert Rittern und schönen Frauen, welche sich aller ritterlichen Zucht und Tugend beflissen und der Welt als glänzendes Vorbild, die Ritter in Tapferkeit

und Frauendienst, die Frauen in Anmuth und Hofsitte voranleuchteten. Der Mittelpunkt dieses zahlreichen, glänzenden Kreises war eine Zahl von zwölf Rittern, die um eine runde

Tafel saßen und unter den Tapfern die Tapfersten, unter den Edlen die Edelsten, des Ritterrechtes pflegten und die Ritterehre hüteten. Zu dem Hofstaate des Königs Artus zu gehören und vollends unter den Zwölfen der Tafelrunde zu sitzen, war die höchste Ehre, welche ein Ritter erstreben, — ausgeschlossen zu sein von ArtuS' Hofe wegen Mangels an

höfischer Zier und ritterlicher Tapferkeit, die höchste Schmach, welche ihn treffen konnte. Von Artus' Hofe auS zogen die Ritter auf und ab im Lande umher, Abenteuer aufzusuchen, Frauen zu schützen, hohnsprechende Helden zu demüthigen. Verzauberte aus ihrem Zauber zu lösen, Riesen und Zwerge zu bändigen; und auS der Beschreibung dieser abenteuer­ lichen Fahrten bestehen die zahlreichen Rittergedichte, welche in walisischer, in französischer und in deutscher Sprache die Helden ArturS und ihn, das Haupt der Helden selbst, feiern. Einer der vorzüglichsten Schauplätze der Wunder der Artussage ist der Wald von Brezilian (keltisch Broch-allean, der Wald der Einsamkeit), der noch bis auf diesen Tag in der

Bretagne diesen Namen führt. Die in dem Artuskreise am meisten gefeierten Helden sind: Parzival, Lohengrin, Tristan, Jwein, Erec, Gawain, Wigalois, Wigamur und Lanzelot. Vilmar.

5.

Roland.

(Nach Turpins Chronik.)

Karl dem Großen träumt, ein schöner Strom von Sternen senke sich auf die spanische Halbinsel nieder, und dreimal erscheint ihm der Apostel JakobuS und fordert ihn auf, sein Grab in Galizien, wie es durch die Sterne angedeutet sei, aus der Gewalt der Ungläu­ bigen zu befreien.

Karl gehorcht, zieht mit Heeresmacht nach Spanien, zerstört die Heiden­

tempel, hat aber einen schweren Stand. Eines Abends wachsen viertausend Lanzen, welche die Seinen in den Boden gestellt, als Bäume fest und blühen; die viertausend Krieger, denen sie gehören, fallen dann als Märtyrer im Kampfe. Auch Milon, Rolands Vater, fällt. Endlich werden die Heiden besiegt, und ihr König Agolant kommt, um sich laufen zu

laffen. Als er bei Karl aber dreizehn Bettler beim Morgenmahle findet und auf seine Frage, was das bedeute, Karl ihm sagt, er speise täglich so viele Arme nach der Apostel­

zahl, da erwidert Agolant: „Dein Glaube kann nicht der rechte sein, weil du die Boten deines Gottes nicht besser behandelst", und kehrt um.

Karl schämt sich und kleidet und

speist nun alle Armen aufs beste. Der Kampf beginnt von neuem. Unter den Heiden ragt ein Nachkomme Goliaths, der Riese Ferrakut, hervor, den aber Roland überwindet. Dann führt Ibrahim, der maurische König von Sevilla, den Christen ein in Teufelslarven ver-

Sage und Mythe.

69

kapptes Heer entgegen; aber Karl läßt seinen Pferden Augen und Ohren mit leinenen Umhängen zudecken und siegt. Endlich kehrt er nach Frankreich zurück und begnügt sich, die beiden allein noch übrigen maurischen Könige in Spanien, Marsilie in Saragossa und

dessen Bruder Belligant, durch Ganelon zur Taufe auffordern zu lassen. Ganelon aber läßt sich von diesen bestechen, das noch in Spanien zurückgebliebene fränkische Heer unter Roland in einen Hinterhalt zu bringen.

Pyrenäen.

Dies geschieht im Thal Roncesvalles in den

Die Christen fallen nach der tapfersten Gegenwehr, zuletzt Roland, auS vielen

Wunden blutend.

Weinend nimmt er von seinem guten Schwert Durenda Abschied und

schlägt es, um es nicht den Heiden zu überlassen, mit solcher Kraft in einen Felsen, daß eS

Dann bläst er so gewaltig in sein Hifthorn, daß eS

niemand mehr herausziehen kann.

davon zerspringt, aber der Schall acht Stunden weit von Karl gehört wird. In diesem Augenblick liest Bischof Turpin vor Karl dem Großen Messe und erblickt die Seele Rolands, wie sie von Engeln zum Himmel getragen wird. Karl kehrt um, rächt und

bestattet seine Getreuen und läßt Ganelon von Pferden zerreißen.

6.

Menzei.

Das Vogelnest.

An eine Kirche kam ich einst zu wallen

Und flössen Thränen ihm, so sind's die seinen, Mit Klosterzellen, längst verlaffnen Hallen; Die nächtlich von der bleichen Wange glitten. An spitzgebog'nen Fenstern ist zu schauen Einst geht mit alter Zeit er zu Gerichte, Laubwerk und manche Blum", in Stein gehauen; Und vorwurfsvoll erschreckt ihn die Geschichte, Bor allen Bildern zierlich, wahr und lebend Wie er, ein Knabe, einst den Wald durchzogen. Ein steinern Vogelnest, am Aste schwebend, Da kam ein Vöglein heim ins Nest geflogen; Der Jungen Schnablein heischend aufgerissen, An hohen Zweigen hing die Frühlingsbrut, Die Mutter, sie zu atzen, hold beflissen, Das grüne Laub hielt sie in dunkler Hut; Sie wärmend mit den aufgespreizten Schwin­ Doch strich der Wind, den grünen Schleier

hebend, Der Knabe sah da- Nest am Wipfel schwebend. Da hob er einen Stein und warf empor; Und sann gerührt, was er sich wohl gedacht. Zerstört hinfiel die Brut, und ihn ergriff. Hat er im Bild die Kirche still verehrt, Daß er es heut' noch hört, der Klagepfiff, Wie sie getreu die Kinder schützt und nährt? Mit dem im Wald die Mutter sich verlor. „O düstrer Groll, der gern den Bau vernichtet, Vom Bildner kündet uns die alte Sage, Im Bilde rede des Gewissens Klage. Wo sich ein Glück auf Erden eingerichtet!" So klagt der Mönch und kann sich'S nicht gen; Die Kleinen werden fliegen bald und singen. Ich stand gefesselt von des Meisters Macht

vergeben, Es lebt'ein Mönch, noch einer von den alten, Daß er den Vögeln brach ihr junges Leben. Von jenen frommen, rührenden Gestalten. Und das Zerstörte wieder aufzubauen, Rein, alle segnend, allen mild und gut, Wie Frühlingswärme auf den Saaten ruht,

Hat er daS Nest im Felsen ausgehauen.

So war sein Herz, so lebten seine Sitten; Er kränkte niemand und verletzte keinen,

Oft sah man ihn zu seinem Bilde kehren,

Um seine stille Wehmuth dran zu nähren.

Lenau.

7.

Der fahrende Hornist.

Ein Svielmann auS Welschland kam,

Vor Kaiser Karl und seinem Gesmd',

Der blieS daS Horn so süß,

Da ließ er sein Horn erschallen;

Daß er 'nem jeden, der's vernahm.

Er blies so laut, er blieS so lind,

DaS Herz aus dem Leibe blieS.

DaS thät dem Kaiser gefallen.

Epische Poesie.

70

„Mein Spielmann, mein Spielmann, Dein Horn hat hellen Ton, Und was das Horn erreichen kann, DaS sei des Hornes Lohn. Auf hohem Berg in weiter Au, Da sollst bu'6 blasen am Rheine; So weit man's hört im ganzen Gau,

Sei alles Land das deine!" Der Spielman» auf dem Berge stand,

Und lustiger blies der Spielmann,

Er blies zum wirbelnden Tanze. Die Eichen faßten einander an

Und walzten vom Bergeskranze; Die Schnitter warfen die Sensen fort, Die Dirnen mußten sie schwingen; Der alte Rhein am felsigen Bord, Wie ein Knäblein wollt' er springen.

Der Spielmann nahm das Horn vom Mund,

Ringsum viel Rebenhügel Und blaues Gebirg und grünes Land

War freudig über die Maßen,

Und blitzender Ströme Spiegel.

Da schritt er seiner Straßen.

Er setzte das Horn wohl an den Mund,

„Hast du das Horn gehört?" fragt er. That sich ein Bauer zeigen; Und scholl ein „Ja!" zur Antwort her,

Sich selber auf den Rasen;

Weit in die Rund' aus Herzensgrund Da that er blasen und blasen.

Es war zuerst ein schwimmender Hall

Durch Dorf und Weiler in die Rund',

Rief er: „Du bist mein Eigen."

Ich wollt', ich war' ein Spielmann

Und dann ein hallend Geschmetter. Der Westwind schwieg und der Wasserfall,

Mit solcher Klanggewalt, Daß alles kam' in meinen Bann,

Es schwieg das Rauschen der Blätter. Die Bergeskuppen, die Schlösser darauf. Die neigten sich horchend hinüber;

So weit mein Lied erschallt. Nicht Land und Leut', nicht Burg und Wald,

Den Flug, den hielten die Adler auf Und schwammen lautlos darüber.

Die sollten vor mir sich neigen: Ich wollte nur, wo eS wiederhallt, Wär' jedes Herz mein Eigen. Strachwitz.

8. Das Riesenspielzeug. Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt,

Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand. Sie selbst ist nun verfallen, die Statte wüst und leer; Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr. Einst kam das Riesenfräulein auS jener Burg hervor, Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Thor Und stieg hinab den Abhang bis in daS Thal hinein.

Neugierig zu erkunden, wie'S unten möchte sein. Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald, Erreichte gegen HaSlach daS Land der Menschen bald. Und Städte dort und Dörfer und daS bestellte Feld Erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut, Bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut; ES kriecht daS kleine Wesen einher so sonderbar,

ES glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar. „Ei, artig Spielding!" ruft sie, „daS nehm' ich mit nach HauS!" Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein auS

Sage und Mythe.

71

Und feget mit dm Händen, was da sich alle- regt, Zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt,

Und eilt mit freudigen Sprüngen (man weiß, wie Kinder sind) Zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind. „Ei, Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön,

So Allerliebstes sab ich noch nie auf unsern Höh'n!" Der Vater saß am Tische und trank den kühlen Wein;

Er schaut sie an behaglich, er fragt daS Töchterlein:

„Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei? Und hüpfest ja vor Freuden, laß sehen, was es sei!" Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an Den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann. Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut, Da klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht: „Was hast du angerichtet? Das ist ein Spielzeug nicht; Wo du es hergenommen, da trag' es wieder hin; Der Bauer ist kein Spielzeug. WaS kommt dir in den Sinn?

Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;

Denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot; Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor; Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!" Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt, Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand. Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,

Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr. (L h a in i f f 0.

9.

Der Jäger am Mummelsee.

Der Jäger trifft nicht Hirsch, nicht Neh,

Verdrießlich geht er ant Mummelsee. „WaS sitzt am Ufer? — ein Waldmänn­

lein; Mit Golde spielt eS im Abendschein!"

Der Jäger legt an: „Du Waldmännlein, Bist heute mein Hirsch, dein Gold ist mein!" Das Männlein aber taucht unter gut;

Der Schuß geht über die Mummelflut.

„Ho, ho, du toller Jägersmann, Schieß du auf — waö man treffen kann! Geschenkt hätt' ich dir all daS Gold, Du aber hast's mit Gewalt gewollt!

Drum troll' dtch mit lediger Tasche nach

HauS, Ihr Hirschlein, tanzet; sein Pulver ist auS!" Da springen ihm Häselein über daS Bein,

Und lachend umflattern ihn Lachtäubelein. Und Elstern stibitzen ihm Brot aus dem Sack Mit Schabernack, husch! und mit Gick und

mit Gack

Und flattern zur Heimat und singen ums

Haus: „Leer kommt er, leer kommt er, sein Pulver ist aus."

Epische Poesie.

72 10.

MuwmelseeS Rache.

Glatt ist der See, stumm liegt die Flut, so still, als ob sie schliefe; Der Abend ruht wie dunkles Blut ringS auf der finstern Tiefe; Die Binsen im Kreise nur leise flüstern verstohlener Weise: „Wer schleicht dort aus dem Tannenwald mit scheuem Tritte her? Was schleppt er in dem Sacke nach so mühsam und so schwer?

Das ist der rothe Dieter, der Wilderer benannt, Dem Förster eine Kugel hat er durchs Herz gebrannt; Jetzt kommt er, in die Wogen den Leichnam zu versenken. Doch unser alter Mummler läßt sich so was nicht schenken.

Der Alte hat gar leisen Schlaf, ihn stört sogar ein Stein, Den man vielleicht aus Unbedacht ins Wasser wirft hinein; Dann kocht es in der Tiefe, Gewitter steigen auf,

Und flieht nicht gleich der Wandrer mit blitzgeschwindem Lauf,

So muß er in den Fluten als Opfer untergehen, Kein Auge wird ihn jemals auf Erden Wiedersehen." Da steht der Frevler an dem See, wirft seine Bürde ab

Und stößt hinab mit einem Fluch den Sack ins nasse Grab. „Da, jage du nun Fische da drunten in dem See!

Jetzt kann ich ruhig jagen im Forste Hirsch und Reh, Kann mich nun ruhig wärmen an deines Holzes Gluten, Du brauchst ja doch kein Feuer da drunten in den Fluten."

Er spricht's und will zurück, doch hält ein Dorngestrüpp ihn an, Und immer fester zerrt es ihn mit tausendfachem Zahn; Da kocht es in der Tiefe, Gewitter steigen auf.

Dumpf rollt ob dem Gebirge der Donner seinen Lauf. Der See steigt überS Ufer, eS glühn des Himmels Flammen, Und hoch schlägt über dem Mörder die schwarze Flut zusammen.

Stumm liegt der See, als ob die Glut der Rache wieder schliefe. Glatt ist die Flut, im Monde ruht die unermess'ne Tiefe. Die Binsen im Kreise nur leise flüstern verstohlener Weise. ___________

11.

Schnezler.

Die Jungfrau von Stubbenkammer.

Ich trank in schnellen Zügen

An Schönheit sondergleichen,

Das Leben und den Tod Beim Königsstuhl auf Rügen

Wie nimmer Augen sahn, Mit goldner Kron' und reichen

Am Strand im Morgenroth.

Gewändern angethan.

Ich kam am frühen Tage Nachsinnend einsam her

Sie kniet' auf Felsensteinen,

Und lauscht' dem Wellenschläge

Umbrandet von der Flut, Und wusch mit vielem Weinen

Und schaute übers Meer.

Ein Tuch, befleckt mit Blut.

Wie schweifend aus der Weite

Mein Blick sich wieder neigt, Da hat sich mir zur Seite Ein Feenweib gezeigt.

Umsonst war ihr Beginnen, Sie wusch und wusch mit Fleiß, Der böse Fleck im Linnen Erschien doch nimmer weiß.

Sagt und Mythe.

73

Nach langem, bangem Hoffen

Da sah sie unter Thränen Mich an und bittend fast;

Erreichst auch du den Ort.

O hättest du getroffen Zum Gruß das rechte Wort!

Da hat ein heißes Sehnen Mich namenlos erfaßt.

Hätt'st du Gotthelf! gesprochen.

„Gegrüßet mir, du blendend,

Du wundersames Bild!" Sie aber, ab sich wendend.

Ich war erlöst und dein. Die Hoffnung ist gebrochen,

Sprach schluchzend, aber mild:

ES muß geschieden sein!"

„Ich weine trüb' und trüber Die Augen mir und blind;

Da stand sie auf zu gehen, Das Tuch in ihrer Hand,

Gar viele zieh» vorüber

Und wo die Pfeiler stehen, Bersank sie und verschwand.

Und nicht ein Sonntagskind.

C h st m i j i ü.

12.

Die Fürstentafel.

Wer ist jene, die auf jener Haide Sitzt in Mitte von zwölf edlen Herren? Ist Libussa, ist des weisen Kroko Weise Tochter, Böhmenlandes Fürstin,

Lange hatten viele reiche Herren Nach Libuffas Hand und Thron getrachtet, Sie gelockt mit Schmuck und Schmeicheleien, Reichem Gut und Herden. Doch Libusia

Sitzet zu Gericht und sinnt und richtet.

Wollte nie sich Hand und Thron verkaufen.

Aber jetzo spricht sie scharfes Urtheil Rotzan, einem Reichen. Und der Reiche Fahret auf im Grimme, schlaget dreimal

Wen nur wird sie wählen?

Alle Edlen

Schlafen unruhvoll und hoffen Morgen. Morgen kommt. Die Seherin Libussa

Mit dem Sporn den Boden und ruft also: Ist noch ohne Schlaf und ohne Schlummer, „Weh uns, Böhmen! Weh uns, tapfre Ist auf ihrem hohen, heil'gen Berge, Fragt die Göttin Klimba, bis die Göttin Männer, Endlich spricht, aufdeckt deS Reiches Zukunft: Die ein Weib verjochet und betrüget, „Auf, wohlauf, Libussa! steig' hernieder! Weib mit langem Haar und kurzen Sinnen! Hinterm Berge dort an BilaS Ufer Lieber sterben, als dem Weibe dienen!" Soll dein weißes Roß den Fürsten finden, Und Libussa hört's; und ob es freilich

Tief sie kränkt in ihrem stillen Busen, Denn des Landes Mutter, aller Guten Und Gerechten Freundin war sie immer. Dennoch lächelt sie und redet gütig:

Der Gemahl dir sei und Stammes Vater; Fährt da emsig mit zwei weißen Stieren,

In der Hand die Ruthe seines Stammes, Und hält Tafel da auf eifer'm Tische.

„Weh denn euch, ihr Böhmen, tapste Männer, Eile, Tochter! Schicksalsstunde eilet." Schwieg die Göttin. Und Libusia eilet, Daß ein lindes Weib euch liebt und richtet; Sammelt ihre Böhmen, legt die Krone Sollet einen Mann zum Fürsten haben, Nieder auf die Erde und spricht also: Einen Geier statt der frommen Taube!" Und stund auf voll schönen, stillen Zornes. „Auf, wohlauf, ihr Böhmen, tapfre

„Morgen ist der Tag! wenn ich euch rufe, Sollt ihr haben, was ihr wünschet." Alle

Männer! Hinterm Berge dort an Bilas Ufer

Soll mein weißes Roß den Fürsten finden, Blieben stumm und tiefbeschämet stehen, Fühlten alle, wie sie übel lohnten Der Gemahl mir sei und Stammes Vater; Ihrer Treu' und Mutterlieb' und Weisheit. Fährt da emsig mit zwei weißen Stieren, Doch gesprochen war's; und alle, lüstern In der Hand die Ruthe seines Stammes, Auf den Morgen, auf den Mann und Fürsten, Und hält Tafel da auf eifer'm Tische. Gehn mit Hellen Haufen aus einander. Eilet, Kinder! Schicksalsstunde eilet."

Epische Poesie.

74

Und sie eilten, nahmen Kron' und Mantel, Ist mein Königsstamm.

Es werden viele

Und das Roß vor ihnen, wie der Wind schnell, Wollen herrschen und verdorren.

Und ein weißer Adler über ihnen, Bis an BilaS Ufern überm Berge

Einer

Wird nur König sein und blühen." „Aber, Herr, wozu der sondre Tisch von Eisen?"

Stund das Roß und wiehert einem Manne, „Und Ihr wisset nicht, auf welchem Tische

Der den Acker pflüget. Tief verwundert Stehen sie. Er schreitet in Gedanken, Pflüget emsig mit zwei weißen Stieren, In der Rechten eine dürre Ruthe.

Und sie boten laut ihm guten Morgen. Stärker treibt er seine weißen Stiere,

Höret nicht.

„Sei uns gegrüßet, Fremder,

Stets ein König iffet?

Eisen ist er,

Ihr die Stiere, die sein Brot ihm pflügen." „Aber, Herr, ihr pflügetet so emsig, Zürnetet, den Acker nicht zu enden?" „O, ich hätt' ihn enden können, hätte Euch Libussa später mir gesendet! Niemals würde dann, so spricht das Schicksal,

Du, der Götter Liebling, unser König!" Eurem Reiche süße Frucht ermangeln. Treten zu ihm, legen ihm den Mantel In den Bergen sind nun meine Stiere!" Um die Schulter und die Königskrone Damit stund er auf und stieg aufs schöne, Auf sein Haupt. „O hättet ihr mich immer Weiße Roß, das scharrt und triumphiret.

Pflügend meinen Acker lasten enden!" Seine Schuhe waren Lindenrinde Spricht er; „eurem Reiche sollt's nicht schaden! Und mit Bast von seiner Hand genährt. Doch eS ist deS schnellen Schicksals Stunde." Und sie legen an ihm Fürstenschuhe. Und steckt' ein die Ruthe in die Erde,

Band die weißen Stiere los vom Pfluge.

„Geht, woher ihr kämet!" Plötzlich hoben Sich die weißen Stiere in die Luft hin, Gingen ein zu jenem nahen Berge,

„Lasset," ruft der Fürst vom weißen Roste, „Laßt mir meine Schuh' von Lindenrinhe Und mit Bast von meiner Hand genährt,

Daß eS meine Söhn' und Enkel sehen, Wie ihr Königsvater einst gegangen!"

Der sich schloß, und aus ihm sprang ein faules Küßt' die Schuh' und barg sie in den Busen. Und sie reiten, und er spricht so gütig Wasser, das noch jetzo springet. Plötzlich Und so weise, daß in seinem langen Grünete die Ruthe auS dem Boden, Sprießend oben in drei Zweige. Staunend Kleide sie fast einen Gott erblickten.

Und sie kamen zu Libustas Hofe, Sehn sie alles. Und Przemysl, der Denker, Die ihn froh empfing mit ihren Jungfraun; Also war sein Name, kehrt den Pflug um, Langend Käs' und Brot aus seiner Tasche, Und das Volk, es rief ihn aus zum Fürsten, Und Libussa wählt' ihn sich zum Gatten, Heißt sie niedersitzen auf die Erde, Legt die Mahlzeit auf den Pflug mit Eisen. Und regierten gut und froh und lange, Gaben treffliche Gesetz' und Rechte, „Haltet denn mit eurem Fürsten Tafel!"

Und sie staunen ob des Schicksalsspruches Bauten Städte; und die Ruthe blühte, Und die Schuhe blieben Angedenken, Und die Pflugschar säumte nicht, so lange

Wahrheit, sehn den Eisentisch vor ihnen Und die Ruthe grünen. Und, o Wunder!

Schnell vertrocknen zwei der dreien Zweige, Primislaus und Libussa lebten. Weh, ach weh! Die Ruthe ist verdorret, Und der dritte blühet. Endlich können Sie nicht schweigen, und der Pflüger redet: Und die armen Schuhe sind gestohlen, „Staunet nicht, ihr Freunde! Diese Blüte Und der Eisentisch ist güldne Tafel! ----------

Herder,

1». Lo relei. Die Luft ist kühl, und eS dunkelt, Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Und ruhig fließt der Rhein; Daß ich so traurig bin Der Gipfel des BergeS funkelt Ein Märchen aus alten Zeiten, Da- kommt mir nicht aus dem Sinn.

Im Abeudsonnenschein.

Sage und Mythe. Die schönste Jungfrau fitzet

75

Den Schisser im kleinen Schiffe

Dort oben wunderbar.

Ergreift es mit wildem Weh;

Ihr goldneS Geschmeide blitzet, Sie kämmt ihr goldneS Haar.

Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Höh'.

Sie kämmt eS mit goldnem Kamme Und singt ein Lied dabei;

Am Ende Schiffer und Kahn;

Ich glaube, die Wellen verschlingen

Das hat eine wundersame.

Und da« hat mit ihrem Singen

Gewaltige Melodei.

Die Lorelei gethan. Heine.

14. Fr u Hitt. Wo schroff die Straße und schwindlig jä Hernieder leitet zum Inn,

Ihr Goldroß hielt die Stolze an Und hob sich mit leuchtendem Blick

Dort saß aus der mächtigen Bergeshöh'

Und spähte hinunter und spähte hinan

Am Weg' eine Bettlerin.

Und wandte sich dann zurück.

Ein nacktes Kindlein lag ihr im Arm Und schlummert' in süßer Ruh;

Die zärtliche Mutter hüllt' es warm Und wiegt' eS und seufzte dazu.

„Blickt rechts, blickt links hin in die Fern',

Blickt vor- und rückwärts herum. So weit ihr überall schaut, ihr Herrn,

Ist all' mein Eigenthum.

„Du freundlicher Knabe, du liebeS Kind, Viel tapfre Vasallen gehorchen mir.

Dich zieh' ich gewiß nicht groß; Beim ersten Winke bereit; Bist ja der Sonne, dem Schnee und dem Wind Fürwahr, ich bin eine Fürstin hier. Und allem Elend bloß. Und fehlt nur das Purpurkleid!" Zur Speise hast du ein hartes Brot, Das ein anderer nimmer mag; Und wenn dir jemand ein Äpflein bot.

So war eS dein bester Tag.

Die Bettlerin hört's und rafft sich auf Und steht vor der Schimmernden schon Und hält den weinenden Knaben hinauf Und fleht in kläglichem Ton:

„O seht dies Kind, des Jammers Bild, Und blickt doch, du Armer, dein Auge hold, Wie des Junkers Auge so klar; Erbarmet, erbarmt euch sein! Und ist doch dein Haar so reine- Gold, Wie des reichsten Knaben Haar."

Und hüllet das zitternde Würmlein mild In ein Stückchen Linnen ein!"

So klagte sie bitter und weinte sehr, Als Lärmen anS Ohr ihr schlug; Mit Jauchzen trabte die Straße einher

Nur Seid' ist all', waS an mir ich schau'.

Ein glänzender Reiterzug.

Von funkelndem Golde schwer."

Voran auf falbem, schnaubendem Roß Die herrlichste aller graun

WaS fremde mein Mund nur nennt!

„Weib, bist du rasend?" zürnt die Frau, „Wo nähm' ich Linnen her?

„Gott behüte, daß ich begehren sollt',

Im Mantel, der strahlend vom Nacken ihr floß. O so gebt mir, gebet, was ihr wollt, Wie ein schimmernder Stern zu schaun.

Und waS ihr entbehren könnt!"

Da ziehet Frau Hitt ein hämisch Gesicht Die strahlende Herrin war Frau Hitt, Die Reichste im ganzen Land, Und neigt sich zur Seite hin Doch auch die Ärmste an Tugend und Sitt', Und bricht einen Stein auS der Felsenschicht

Die rings im Lande man fand.

Und reicht ihn der Bettlerin.

Epische Poesie.

76

Herunter will sie sich schwingen vom Verachtete wüthender Roß, Schmerz; Doch versagen ihr Fuß und Hand; Sie schreit, daß die Felswand dröhnt: Entsetzt will sie rufen dem Rittertroß, „O würdest du selber zu hartem Erz, Doch die Zunge ist festgebannt. Die den Jammer deS Armen höhnt!" Da

ergreift

die

Ihr Antlitz wird so finster und bleich, Sie schreit's, und der Tag verkehrt sich in Ihr herrisches Aug' erstarrt, Nacht, Und heulende Stürme ziehn, Ihr Leib, so glatt und zart und weich, Und brüllender Donner rollt und kracht, Wird rauh und grau und hart. Und zischende Blitze glühn. Und unter ihr strecken sich Felsen hervor Den stutzenden Falben spornt Frau Hitt. Und heben vom Boden sie auf „Ei, Wilder, was bist du so faul?" Und wachsen und steigen riesig empor Sie treibt ihn durch Hiebe und Stöße zum Ritt, In die schaurige Nacht hinauf. Doch fühlloS steht der Gaul. Und droben sitzet, ein Bild von Stein, Und plötzlich fühlt sie sich selbst so erschlafft Frau Hitt im Donnergeroll Und schaut, umzuckt von der Blitze Schein, Und gebrochen den kecken Muth; In jeglicher Sehne stirbt die Kraft, Ins Land so grausenvoll. In den Adern stockt das Blut. K. E. Ebert.

15.

Zwei Liebchen.

Ein Schifflein auf der Donau schwamm^ „Ach, schöne Frau Done, geb' sie mir Für meinen Schatz eine hübsche Zier!" Drin saßen Braut und Bräutigam, Er hüben und sie drüben. Sie langt hinein zum andern Mal, Sie sprach: „Herzliebster, sage mir, Faßt einen Helm von lichtem Stahl. Zum Angebind' waS geb' ich dir?" Der Knab' vor Freud' entsetzt sich schier, Sie streift zurück ihr Ärmelein,

Fischt ihr einen goldnen Kamm dafür.

Sie greift ins Master tief hinein.

Zum dritten sie ins Master griff;. O weh! Da fällt sie aus dem Schiff.

Dtzr Knabe, der that gleich also Und scherzt mit ihr und lacht so froh. „Ach, schöne Frau Done, geb' sie mir Für meinen Schatz eine hübsche Zier." Sie zog heraus ein schönes Schwert; Der Knab' hätt' lang so eins begehrt.

Der Knab', was hält er in der Hand? Milchweiß ein köstlich Perlenband. Er legt'S ihr um ihr schwarzes Haar, Sie sah wie eine Fürstin gar.

Er springt ihr nach, er faßt sie keck, Frau'Done reißt sie beide weg.

Frau Done hat ihr Schmuck gereut, Das büßt der Jüngling und die Maid. Das Schifflein leer hinunterwallt; Die Sonne sinkt hinter die Berge bald. Und als der Mond am Himmel stand, Die Liebchen schwimmen todt ans Land, Er hüben und sie drüben. _____

16.

Mörike.

Der gestrichene Scheffel.

„O weh, o weh, ich armer Mann, Ich hab' kein Geld, was fang' ich an? Und kann ich's nicht erschwingen. So mag's der Teufel bringen!"

Da kam der Teufel, bot dem Mann Von Gold einen ganzen Scheffel an Gehäuft und sprach mit Tücke: „Gieb ihn im Jahr zurücke!

Legende. Du kriegst das Maß gehäufelt, Mann;

Gestrichen nehm' ich'S wieder an." Er denkt: Das muß verführen; Er wird's verjubiliren!

77

Ich hab' eS abgestrichen; So sind wir ausgeglichen!" Noch beut der Teufel unserm Mann Krumm, dumm und stumm den Scheffel an;

„Gern nehm' ich's", sprach darauf der Mann Doch der sagt frisch und heiter: „Ich dank', ich brauch' nichts weiter!" Darf ich dir's denn nur eben Seit dieser Zeit steht seinen Mann Nicht eher wiedergeben?" Der Teufel sich viel besser an; „Auch eher! Ja, mein lieber Mann!" Gar raffinirt im Takte „Gut, schön! so nimm eS jetzo an; Sind jetzt Kontrakt' und Pakte. Kopisch.

Und schrieb am Pakt; „doch sag' mir an:

2. Die Legende. Legende, eigentlich „eine zur Vorlesung in den ersten christlichen Versammlungen bestimmte Schrift", heißt diejenige Erzählung, welche ihren Stoff dem Sagenkreise der christlichen Kirche entnimmt. Sie erzählt von den frommen, heiligen Männern und Frauen vorzugsweise aus den ersten Zeilen der christlichen Kirche und von den ergreifen­ den, oft wunderbaren Wirkungen frommer Gesinnung. Man unterscheidet die ernste Legende von der komischen, die jedoch niemals das

fromme Gemüth verletzen, also nicht zum Spotte ausarten darf.

1.

Wie Joseph mit der Jungfrau und dem Kinde floh.

ES ging der Kön'ge Zug hinaus. Und manche Nacht kam ohne Stern, Und öde war's im dunklen HauS: Da trat der Engel ein des Herrn. Sein Auge, schauend in der Nacht, Ruht auf der Jungfrau, auf dem Sohn, Den selig schlummernden, und sacht

DaS Knäblein schläft an ihrer Brust; Er wandelt, an dem Zaum die Hand, Und mit der Morgensonne Lust Sind sie schon weit im offnen Land. Der Jnderschätze reiches Gut, Es hat sich wunderlich geschmiegt;

In einem Bündelein es ruht, Das auf deS Thieres Rücken liegt. „Fleuch nach Ägypten, Mann, geschwind; Und leicht und fröhlich geht die Fahrt,

Berührt des Balers Ohr sein Ton:

Harr' aus, bis ich dich rufe dort!

Und überall auf ihrer Spur

Herodes' Mordstahl sucht das Kind. Mit ihm und mit der Mutter fort!"

Die Menschen werden beff'rer Art,

In Josephs Traume spiegelt sich

Des Boten selige Gestalt; Der Schlaf entfloh, der Engel wich: Auf steht er mit Marien bald.

Und freundlicher wird die Natur.

Die Lüfte bleiben warm und rein, Der Berg wird eben ihrem Schritt,

Und in den öden Wüstenei'n

Entsprossen Rosen ihrem Tritt.

DaS Es'lein auS dem Stall er führt, Er löst es mit dem Opfergold, Und sorgsam dann, wie sich'S gebührt,

Und stehen wo im Heidenland Die Götzenbilder ruhig, stumm: Wo nur ihr Pfad sich hingewandt,

Hebt er hinauf die Jungfrau hold.

Da wanken sie und stürzen um.

Epische Poesie.

78

Und nach der zwölften Tagfahrt schon Winkt aus Ägyptens heißem Sand

Dort athmen sie des Balsam- Duft,

Und beut den kühlen Blumenthron Ein selig blühend Jnselland:

Dort ruhen sie am schatt'gen Quell Und harren, bis der Engel ruft.

Dort ist der Himmel ewig hell.

Schwab.

2.

Petrus.

„Weil versteckt der Jude Simon RomaS Götter hat geschmähet,

Weil verbotenen Bund er stiftet, Zwietracht in die Geister säet. Weil er einen Miffethäter aller Reiche König glaubt:

Geb' ich morgen preis dem Volke an dem Kreuz sein frevelnd Haupt." Kaiser Nero hat's gesprochen.

PetruS kniet zu Nacht im Kerker.

Betend wächst deS Greises Glaube, Himmelssehnsucht regt sich stärker; Morgen wird daS Wort erfüllet, das der Herr prophetisch sprach:

„Fremde Hand wird einst dich gürten, Simon, folge dann mir nach!" Da — welch' leis' vorsichtig Klopfen? Durch die Riegel ächzt die Feile,

Und die alte Pforte weichet vor dem eingeklemmten Beile! Wird's zu lange dem Tyrannen? Sendet er die Schlächter schon?

Nein, eS spricht ein kühnes Wagnis seinem tollen Wüthen Hohn.

Freunde sind's.

Die Christen lagen im Gebet an heil'ger Stätte,

Daß den alten, treuen Diener noch einmal der Herr errette. Doch umsonst Gebet und Zähre! Diesmal, ach! kein Engel naht. Da beschließen drei der Kühnsten frisch auf eig'ne Hand die That. Stark wohl sind die Römerkrieger, Wache haltend vor den Thüren, Stärker doch der Wein von Chios, den die dreie mit sich führen; Mächtig sind des Kerkers Riegel, doch dem Eifer allzu schwach; Schau', mit stolzverklärten Blicken stehn die drei schon im Gemach.

„Rettung, Rettung, alter Vater! Stärker als der Tod ist Treue, Unsrer Lieb' und Christi Kirche ist dein Haupt geschenkt aufs neue!

Hier nur droht der Tod dir; auf denn, gürte deine Lenden, flieh! Schiffe, stets bereit zur Abfahrt, triffst du in Puteoli."

Alter Jünger, kannst du wanken, den der Herr den Felsen nannte?

Der so eben in der Sehnsucht heil'gen Liebesflammen brannte? Ja, er giebt sich hin den Freunden, überrascht und halb im Traum; Frei schon auf dem Forum steht er, und er selber glaubt eS kaum. Eilends zu der Pforte lenken nun die vier die leisen Schritte; Unterm Thore kurzer Abschied, Bruderkuß nach Christensitte.

Jene kehren zu den Ihren, Frohes kündend, schnell im Lauf;

Diesen nimmt die Nacht beschirmend in den weiten Mantel auf. Auf der Gräberstraße zieht er; wegeweisend stehn die Sterne; Neros goldneS Haus verdämmert schon in nächtlich blauer Ferne.

Aber hat die tiefe Mittnacht solcher leisen Wandrer mehr? Ihm entgegen kommt ein andrer auf dem schmalen Weg daher.

Legende.

79

Und eS graust dem Alten; seitwärts biegt er auS mit schwankem Fuße; Schnell vorüber an dem Fremden schmiegt er sich mit flücht'gem Gruße; Grüßend schaut ihm der ins Antlitz, daß der Sternglanz auf ihn fällt. Petrus, wie doch starrst du seltsam? Sprich, was deine Flucht verhält!

Auf deS Mannes hoher Stirne glänzen blut'gen Schweißes Tropfen;

Wohl nicht von des Weges Mühe mag so bang das Herz ihm klopfen;

Bleich zum Tod das schöne Antlitz.

Petrus, kennst du die Gestalt?

Schon einmal vor deinen Augen ist sie also hiugewallt. Grüßend neigt er sich zum Jünger; seiner Augen Helle Sonnen

Sind von eines stillen Grames Regenwolken mild umronnen; Fest nun ruhn sie auf dem Flüchtling. Petrus, kennst den Blick du nicht? Schon einmal rief er dich Schwachen wieder zur vergeff'nen Pflicht.

Ja, das ist der Herr! So stand er vor dem ungerechten Heiden; So blieb still und klar sein Antlitz mitten in den wilden Leiden. Und der Jünger sinkt zur Erde; doch das Herz läßt ihm nicht Ruh'! Und er ruft: „Mein Herr und Heiland, rede, wohin gehest du?

Und der Heiland spricht, das Auge unverwandt auf ihn gerichtet, Mit dem Blick, der an der Tage letztem Falsch und Wahrheit sichtet: „Meine Kirche steht verödet, meine Treuen sind verirrt. Zu der Stadt ist meine Straße, wo man neu mich kreuzigen wird!"

Und der Herr verschwand; doch eil'ger, als er erst den Tod geflohen, Flieht der Jünger jetzt das Leben, dem des Meisters Blicke drohen. Schnell den Lauf zurückgewendet! Über Hellas graut es schon;

Neros geldnes HauS erglänzet bald als goldner Sonnenthron.

Und die Sonne, die jetzt Freuden ausgießt über allen Landen, Trifft die Christen laut noch jubelnd, den Apostel doch in Banden.

Lauter weinend sah sie jene, als sie wieder sank zu Thal, Doch ein seligsterbend Antlitz traf am Kreuz ihr letzter Strahl. Kinkel.

3.

Der gerettete Jüngling.

Eine schöne Menschenseele finden, Ist Gewinn; ein schönerer Gewinn ist,

Stehst du mir für ihn!

Hierüber zeuge

Mir und dir vor Christo die Gemeine."

Sie erhalten, und der schönst' und schwerste, Und der Bischof nahm den Jüngling zu sich, Sie, die schon verloren war, zu reiten. Unterwies ihn, sah die schönsten Früchte Sankt Johannes, aus dem öden Patmos In ihm blühn, und weil er ihm vertraute. Wiederkehrend, war, was er gewesen, Ließ er nach von seiner strengen Aufsicht. Seiner Herden Hirt. Er ordnet' ihnen Und die Freiheit war ein Netz des Jüng­ Wächter, auf ihr Innerstes aufmerksam. lings. In der Menge sah er einen schönen Angelockt von süßen Schmeicheleien, Jüngling; fröhliche Gesundheit glänzte Ward er müßig, kostete die Wollust, Bom Gesicht ihm, und aus seinen Augen Dann den Reiz des fröhlichen Betruges,

Sprach die liebevollste Feuerseele.

Dann der Herrschaft Reiz; er sammelt' um sich

„DiesenJüngling," sprach er zu dem Bischof, Seine Spielgesellen, und mit ihnen Zog er in den Wald, ein Haupt der Räuber. „9iimni in deine Hut! Mit deiner Treue

Epische Poesie.

80

AlS Johannes in die Gegend wieder

Kam, die erste Frag' an ihren Bischof

Kann ich nicht.

Ich habe dir vertrauet,

Dich mit meiner Seele Gott verpfändet."

War: „Wo ist mein Sohn?" „Er ist gestor­ Weinend schlang der Jüngling seine Arnre ben!" Um den Greis, bedeckete sein Antlitz, Sprach der Greis und schlug die Augen nieder. Stumm und starr; dann stürzte statt der „Wann und wie?" „Er ist Gott abgestorben, Antwort Ist, mit Thränen sag' ich es, ein Räuber." AuS den Augen ihm ein Strom von Thränen.

„Dieses Jünglings Seele," sprach Johannes,

Auf die Kniee sank Johannes nieder, „Fordr' ich einst von dir. Jedoch wo ist er?" Küßte seine Hand und seine Wange, „Auf dem Berge dort." „Ich muß ihn sehen." Nahm ihn neu geschenket vom Gebirge, Und Johannes, kaum dem Walde nahend, Läuterte sein Herz mit süßer Flamme. Ward ergriffen; eben dieses wollt' er. Jahre lebten sie jetzt unzertrennet „Führet," sprach er, „mich zu eurem Führer!" Mit einander; in den schönen Jüngling

Vor ihn trat er. Und der schöne Jüngling Goß sich ganz Johannes' schöne Seele. Wandte sich, er konnte diesen Anblick Sagt, was war es, was das Herz des Jüng­ Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling, lings Nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater, Also tief erkannt' und innig festhielt Einen Greis! Ich habe dich gelobet Und es wiederfand und unbezwingbar Meinem Herrn und muß für dich antworten. Rettete? Ein Sankt-Johannes-Glaube, Gerne geb' ich, willst du es, mein Leben Zutrau'n, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit. Für dich hin; nur dich fortan verlassen Herder.

4.

Die wiedergefundenen Söhne.

Was die Schickung schickt, ertrage!

Wer ausharret, wird gekrönt. Reichlich weiß Herrlich lohnt Tapfer ist der Tapfer ist der

sie zu vergelten, sie stillen Sinn. Löwensieger, Weltbezwinger,

Tapfrer, wer sich selbst bezwang. Placidus, ein edler Feldherr,'

Reich an Tugend und Verdienst, Beistand war er jedem Armen, Unterdrückten half er auf. Wie er einst den Feind bezwungen,

Wie er einst das Reich gerettet, Rettet' er, wer zu ihm floh.

Aber ihn verfolgt das Schicksal, Armuth und der Bösen Neid.

„Laß dem Neid uns und der Armuth

Trennen Vater, Mutter, Kinder; Lange sucht der Held sie auf. Placidus, rief eine Stimme Ihm im tiefbedrängten Busen, Dulde dich, du findest sie!

Und er kam vor eine Hütte. „Kehre, Wandrer, bei mir ein!" Sprach der Landmann; „du bist traurig; Auf und fasse neuen Muth. Wen das Schicksal drückt, den liebt es, Wem'S entzieht, dem wiü's vergelten;

Wer die Zeit erharret, siegt." Und er ward deS Mannes Gärtner,

Dient' ihm unerkannt und treu, Pflegend tief in seinem Herzen Eine bittre Frucht, Geduld. Placidus, rief eine Stimme

Still entgehn!" sprach Placidus. „Auf, laßt uns dem Fleiße dienen!" Sprach sein Weib, „und gute Knaben,

Ihm im tiefbedrängten Busen, Dulde dich, du findest sie!

Tapfre Knaben, folget und!"

Bis ein wilder Krieg entsprang.

Also gingen sie; im Walde Traf sie eine Räuberschaar,

So verstrichen Jahr auf Jahre, „Wo ist Placidus, mein Feldherr?" Sprach der Kaiser; „suchet ihn!"

Legende. Und man sucht ihn nicht vergebens; Denn die Prüfzeit war vorüber, Und des Schicksals Stunde schlug.

Zween seiner alten Diener Kamen vor der Hütte Thür,

81

Nachbarlich in dieser Hütte, Komm und schau'! erzog ich sie; Glaubte dich unS längst verloren. Deine Söhne mir statt deiner, Deiner werth erzog ich sie. Als die Post erscholl vom Kriege,

Sahn den Gärtner und erkannten An der Narb' ihn im Gesicht,

Rufend deinen Namen aas,

An der Narbe, die dem Feldherrn

Statt der Schätze, statt der Lorbeer» Einzig blieb als Ehrenmal.

Alsobald ward er gerufen; Es eriauchzt' das ganze Heer. Vor ihm ging der Feinde Schrecken, Ihm zur Seite Sieg und Ruhm.

Stillen SinnS nahm er den Palmzweig, Gab die Lorbeer» seinen Treuen, Seinen Tapfersten im Heer. Als nach ausgesocht'nem Kriege

Auferweckt vom Todtentraume, Rüstet' ich die Jünglinge:

Zieht, verdienet euren Vater!

Streitet unerkannt und werdet,

Werdet eures Vaters werth! Und ich seh', sie tragen Kränze, Ehrenkränze dir zum Ruhm, Die du unerkannt den Söhnen Nicht als Söhnen zuerkannt. Vater, nimm jetzt deine Kinder!

Feldherr, sieh hier deine Söhne

Jetzt der Siegestanz begann, Drängt mit zween seiner Helden Eine Mutter sich hervor.

Und dein Weib Eugenia!"

„Vater, nimm hier deine Kinder! Feldherr, sieh hier deine Söhne, Mich, dein Weib Eugenia! Wie die Löwin ihre Jungen

Placidus, der Stillgesinnte, Lebet noch in Hymnen jetzt; Christlich wandt' er seinen Namen; Seinen Namen nennt die Kirche

Jagt' ich sie den Räubern ab;

Preisend Sankt Eustachius.

Was die Schickung schickt, ertrage!

Wer auSharret, wird gekrönt.

Herder.

5.

Chri

Den Niesen Kanaans entsprossen,

o p h o r u s.

Den Herren sucht' er unverdrossen, Und gerne fügt' er sich dem Joch;

Da trat am frohen Siegesfeste Ein Spielmann in der Helden Kreis; Der sang dem Schwarm entzückter Gäste DeS starken Überwinders Preis,

Doch nur dem Mächtigsten auf Erden Gedacht' er Unterthan zu werden.

Des bösen Feindes Namen klingen.

War OssernS ein Heide noch.

Da hört' er von dem Kaiser sagen,

Und manchmal ließ er in sein Singen

Der Kaiser schlug des Kreuzes Zeichen,

Er wär' der höchste Herr der Welt. Gleich eilt' er, Dienst ihm anzntragen.

So oft der Böse ward genannt. „Ich sehe dich zwei Striche streichen

„Gebiete mir, wie dir gefällt!

Die Kreuz und Quer mit schneller Hand;

Dem Allgewaltigen zu dienen, Bin ich, dein treuer Knecht, erschienen."

Sag' an, was soll das Spiel bedeuten?" Frug er den Kaiser vor den Leuten.

Der Kaiser ließ eö sich gefallen, So starker Dienstmaun war ihm recht. Ihn schickt' er vor den andern allen, Wo schwankend tobte daß Gefecht.

Der sprach: „So schirm' ich Herz und Sinne, Daß er, der aller Menschen Feind,

Nicht über sie Gewalt gewinne."

Und immer war der Kampf entschieden,

„§ö," rief er, „ist es so gemeint? Du fürchtest dich vor einem andern?

Da solchen Feind die Feinde mieden.

So laß mick, dem zu dienen, wandern!

Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aust.

6

Epische Poesie.

82

Die frommen Pilger allzumal!

Wer sagt mir an, wo ich ihn finde, Vor welchem dieser sich entsetzt, Daß ich mich seinem Dienst verbinde. Ob man ihn gleich für böse schätzt?

So leih' dem Herrn der Glieder Stärke, Daß er des Dieners Eifer merke!"

Für böse gilt mir nur der Feige; Hier harr' ich sein, daß er sich zeige."

Die Hütte baut' er am Gestad',

Es war im tiefen Waldesdunkel; Da sprengt' ein schwarzer Ritter an,

Die Augen glühendes Gefunkel. „Du riefest mir; ich bin der Mann, Vor dem die Menschen alle beben; Mir sollst du dich zu eigen geben." Da freute sich der Ungeschlachte Und gab sich ihm mit Haut und Haar; Das Herz in seinem Leibe lachte,

Daß er des Stärksten Diener war. Und jedem Winke seiner Augen

Gehorcht' er, möcht' es auch nicht laugen. Doch einst in seines Herrn Geleite Sah er am Weg ein Kreuzesbild.

Da riß der Teufel aus ins „Herr, warum trabt ihr ins Der wollt' es erst ihm nicht Er sprach: „So müssen wir

Weite. Gefild?" bekennen; unS trennen."

„Mariens Sohn hing an den: Holze, Laß unS geschwind vorüberziehn!" „Mariens Sohn," versetzt der Stolze, „Du armer Schächer fürchtest ihn? So fand ich hier den rechten Meister, Vor dem sich scheun die bösen Geister." Da fragt' er nach Mariens Sohne.

„Ich dient' ihm, wüßt' ich nur, womit." Doch Antwort ward ihm nie zum Lehne, Als die ihm gab ein Eremit. Der sprach: „Mit Beten und mit Fasten Mußt du daS Herz der Sünd' entlasten."

„Viel Beten ist nicht meine Sache; DaS Fasten halt' ich gar nicht ans; Weißt du nicht anders, wie ich's mache, So find' ich nie des Herren HauS. Sonst will ich jedes Dienstes pflegen.

Das that er gern in Gottes Namen;

Und alle, die zum Ufer kamen, Die trug er trocken durch das Bad. Den knot'gen Stab in starker Rechte, Sah man ihn waten Tag' und Nächte.

Einst ruht' er müde sich vom Gange,

Da weckt' ihn einer Stimme Ton, Ein starker Ton mit hellem Klange: „Hol' mich hinüber, Riesensohn!" Hin schritt er durch des Stromes Rauschen Und fand ein Kind am Ufer lauschen. Das hob er auf den breiten Rücken,

Durchschritt die Flut und fühlte schwer Das Kind auf seinem Nacken drücken, Als ob es Blei und Eisen wär'; Und schwerer lastete die Bürde, AlS ob es gar zum Berge würde. Auch schwoll das Wasser wild gehoben Und stieg ihm schier bis an den Mund.

Mit DaS „Ei, Mir

Mühe hielt er sich noch oben;

erste Fürchten ward ihm kund. Kind, du bist so schwere Plage; ist, alö ob die Welt ich trage."

Da sprach es: „Nicht die Welt alleine, Du trägst auch den, der sie erschuf." Da drückt ihn in den Strem rer Kleine

Und grüßt ihn mit dem Segensruf: „Christophorus will ich dich laufen; DaS ew'ge Leben sollst du kaufen. Du wolltest nur dem Größten dienen; Am schwersten ward des Kleinsten Last.

Der Herr der Welt ist dir erschienen. Weil du dich treu erwiesen hast.

Nun stoß den Stab in Gottes Erde Und warte, ob er grünen werde!"

Magst mir den schwersten auferlegen."

Verschwunden war der goldne Knabe, Der auf der Achsel schwer geruht. Christophorus an seinem Stabe

„Wohlan, dort gießt sich ohne Brücke Ein Wasser durch das Felsenthal,

Entstieg der schnell gesunk'nen Flut. Da stieß er ihn in Gotteö Erde,

Da trag hinüber und zurücke

Ob er am Morgen grünen werde.

Legende.

83

Am Morgen trat er zum Gestade, Jetzt schien ihm alles nur ein Traum;

Da sank er nieder an dem Stamme, Beseligt sank der müde GreiS;

Doch Schatten fiel auf seine Pfade, Und Bienen schwärmten durch den Raum;

Und Lieder stimmte, wundersame, Die Nachtigall zu Gottes Preis;

Die Stütze sah er ausgeschlagen

Bald hört er in die zauberischen Der Engel Jubelchor sich mischen.

Und roth wie Mandeln Blüten tragen.

Stmrock.

6.

Das Brot des heiligen Jodokus.

Zu prüfen seines Dieners Lauterkeit, Kam einst der Herr vor Sankt Jodokus Thür

In ärmlicher Gestalt und bat um Brot.

Der Herr wird sorgen." Und der Schaffner gab's. Nicht lang', und lahm, blind, nackt und bloß

„Gieb," sprach Jodokus, „gieb ihm, guter erschien Zum vierten Mal der Herr und fleht' um Schaffner!" „Herr," sprach der Schaffner, „nur ein Brot Brot. Jodokus sprach: „Gieb ihm deS Hundes ist übrig.

Stücklein! Der Herr wird sorgen, der die Raben speist." Hunde?" „Gieb immer!" sprach der Abt, „der Herr Der Schaffner gab das Stück. Der Arme ging. Und eine Stimm' erscholl: „Groß ist dein wird sorgen." Der Schaffner nahm das Meffer, zirkelte Glaube, Mit Fleiß und schnitt genau das eine Brot Du, deines Meisters echter Jünger, groß. In vier ganz gleiche Stücke, reichte eins Und wie du glaubtest, so soll dir geschehen." Dem Bettler hin und sprach nicht allzu­ Der Schaffner trat ans enge Fenster. Schau', Was bleibt denn dir und mir und unsrem

freundlich: Da landeten im nahen Fluß vier Schifflein, „Eins dir, eins mir, dem Abt eins, eins dem Mit Brot und Obst und Öl und Wein be­ Hunde." Jodokus lächelt", und der Bettler ging. Nicht lang", und in noch ärmlichrer Gestalt Kam abernlalö der Herr und bat um Brot. „Gieb," sprach Jodokus, „gieb mein Stücklein ihm!

frachtet. Der Schaffner eilte freudig an den Strand; Von Menschen fand er keinen, fand dafür

Am Ufer eine weiße Flagge wehn, Woran in Goldschrift diese Worte flammten: „Vier Schisflein sendet, der die Raben speist.

Der Herr wird sorgen." Und der Schaffner Dem Abt, der heute ihn gespeiset, Ihm eins, dem Schaffner eins und eins dem gab"s. Nicht lang", und noch verhungerter erschien Hunde; Zum dritten Mal der Herr und fleht' um Brot. Das vierte bleibt des Sender- armer Sipp­ „Gieb," sprach Jodokus, „gieb dein Stücklein

7.

schaft." Kosegarten.

ihm!

Das Amen der Steine.

Vom Alter blind, fuhr Beda dennoch fort, Einst leitet' ihn sein Knabe in ein Thal, Zu predigen die neue, frohe Botschaft. Das übersä't war mit gewalt'gen Steinen.

Von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorfe wallte Leichtsinnig mehr als boshaft sprach der Knabe: An seines Führers Hand der fromme Greis „Ehrwürd'ger Baler, viele Menschen sind Und predigte das Wort mit Jünglingsfeuer. Versammelt hier und harren auf die Predigt." 6*

Epische Poesie.

84

DerKnab'erschrak; reumüthig kniet'er nieder Der blinde Greis erhub sich alsobald, Wählt' einen Text, erklärt' ihn, wandt" ihn an, Und beichtete dem Heiligen die Sünde. „Sohn," sprach der Greis, „hast du denn Ermahnte, warnte, strafte, tröstete nicht gelesen:

So herzlich, daß die Thränen mildiglich

Ihm niederfloffen in den grauen Bart.

Wenn Menschen schweigen, werden Steine

schrein?

AIS er beschließend drauf das Vaterunser,

Nicht spotte künftig, Sohn, mit GottcS Wort! Wie sich'S geziemt, gebetet und gesprochen: „Dein ist daS Reich und dein die Kraft und dein Lebendig ist es, kräftig, schneidet scharf, Wie kein zweischneidig Schwert. Und sollte Die Herrlichkeit bis in die Ewigkeiten!" gleich DaS Menschcnherz sich ihm zu Trotz versteinen, men: „Amen, ehrwürd'ger Vater! Anien! Amen!" So wird im Stein ein Menschenherz sich regen."

Da riefen rings im Thal viel tausend Stim­

K o s e g 2 r t e n.

8. Der Mönch zu Heisterbach. Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach Er sagt's; da murmelt man durchs Heiligthum: Lustwandelt an des Gartens fernstem Ort; „Dreihundert Jahre hieß so niemand mehr." Der Ewigkeit sinnt tief und still er nach Und forscht dabei in GotteS heil'gem Wort.

„Der letzte dieses Namens," tönt es dann, „Er war ein Zweifler und verschwand im

Er liest, was Petrus, der Apostel, sprach: Wald; Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr', Man gab den Namen keinem mehr fortan!" Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag. Er hört daS Wort, es überläuft ihn kalt. Doch, wie er sinnt, eS wird ihm nimmer klar. Er nennet nun den Abt und nennt das Jahr. Und er verliert sich zweifelnd in den Wald; Man nimmt das alte Klosterbuch zur Hand; WaS um ihn vorgeht, hört und sieht er nicht. Da wird ein großes Gotteswunder klar: Erst wie die fromme Besperglocke schallt, Er ist's, der drei Jahrhunderte verschwand. Gemahnt eS ihn der ernsten Klostcrpflicht. Da, welche Lösung! plötzlich graut sein Im Lauf erreichet er den Garten schnell. Haar, Ein Unbekannter öffnet ihm das Thor; Er sinkt dahin und ist dem Tod geweiht. Er stutzt. Doch sieh', schon glänzt die Kirche hell! Und sterbend mahnt er seiner Brüder Schaar: Und drauS ertönt der Brüder heil'ger Chor. „Gott ist erhaben über Ort und Zeit.

Nach seinem Stuhle gehend, tritt er ein; Doch wunderbar! ein andrer sitzet dort! Er überblickt der Mönche lange Reihn, Nur Unbekannte findet er am Ort.

WaS er verhüllt, macht mir ein Wunder

klar! Drum grübelt nicht, denkt meinem Schicksal

nach! Der Staunende wird angestaunt ringsum, Ich weiß, ihm ist ein Tag wie tausend Jahr',

Man fragt nach Namen, fragt nach dem Be- Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag!" gehr.

Wolfg. Muller.

9. Die heilige Regiswind von Laufen. Herr Ritter Ernst, der war ergrimmt zu einer bösen Stund',

Er schlug die falsche Dienerin mit seinen Fäusten wund. Er schlug die falsch« Dienerin, er stieß sie mit dem Fuß. „Herr Ritter Ernst! und wißt fürwahr, daß euch dies reuen muß!"

Legende.

85

ES war die falsche Dienerin, die eilte durch den Saal,

Sie eilte durch den weiten Hof hinab ins grüne Thal. Da faß Herrn Ernst fein Töchterlein, ein Fräulein fromm und zart; ES spielt mit bunten Blümelein nach andrer Kinder Art. Da pflückt die falsche Dienerin drei RöSlein auf dem Plan, Zu locken dieses stille Kind zum wilden Strom hinan.

„Komm, liebes Kind! komm, füßeS Kind! da blühen Röslein rund!" Sie faßt es an dem goldnen Haar, sie schleudert's in den Grund. Eine Weil' das Kind die Tiefe barg, eine Weil' eS oben schwamm; Auflacht die falsche Dienerin; doch bald ihr Reue kam.

Sie flieht von dem unsel'gen Strom, flieht über Berg und Thal, Sie irrt so viele hundert Jahr', kann ruh» kein einzig Mal. ES sah Herr Ernst von hoher Burg, sah in den grünen Grund; Sie brachten todt sein süßes Kind, auf Rosen man eS fund. ES blüht wie eine Rose roth, wie eine Lilie weiß;

Er legt's in einen goldnen Sarg, bestattet eS mit Fleiß.

Manch' Mutter kniet' mit ihrem Kind auf RegifwindeS Gruft, Doch wenn Herr Ernst, der Vater, kam, entstieg ihr Rosenduft.

Seitdenl erscheint zur TodeSnacht gar manchem fromme« Kind,

Bekränzt mit duft'gen RöSlein roth, die heil'ge Regiswind. Auch liegt seitdem manch frommes Kind, daS nachts erlitt den Tod, Am Morgen in der Wieg' umkränzt mit jungen RöSlein roth.

Kerner.

10.

Rosen.

In einer tödtend schweren Hungersnoth Versagte Rosa von Viterbo sich Den kleinsten Überfluß und bracht' ihn still

Die Schürze auf, und sieh! es waren Rosen. Kaum aber hatt' der Karge sich gewandt. War, waS ihm Rose schien, erquickend Brot.

Den Armen. Einst traf unversehens sie Ihr kargen Vater, die ihr auch nur Rosen Der karge Bater auf dem Wege. „Kind, WaS hast du da?" „Es sind nur Rosen, Verleihn und Rosen, Rosen sehen wollt In harter HungerSnoth, seht, waS ihr wünschet! Vater!" „So zeige sie!" Voll Schrecken that daS Kind Dem Armen werde jede Rose Brot.

____

11.

Herder.

Sankt Peter mit der Geiß.

Da noch auf Erden ging Christus,

Und auch mit ihm wandert' Petrus, Ein's Tag's in ein Dorf mit ihm ging.

Bei einer Wegscheid' Petrus anfing: „O Herr Gott und Meister mein,

Mich wundert sehr der Güte dein, Weil du doch Gott allmächtig bist, Läßt eS doch gehn zu aller Frist In aller Welt, gleich wie eS geht,

Wie Habakuk sagt, der Prophet: Frevel und Gewalt geht vor Recht,

Der Gottlos' übervortheilt schlecht Mit Schalkheit den Gerechten und Frommen, Auch könn' kein Recht zu End' mehr kommen.

Sollt' ich ein Jahr Gott sein, wie du.

Ich wollt' ander- schaun dazu, Wollt' führen eilt bester Regiment Im Erdenreich durch all« Ständ.

Epische Poesie.

86

Der Herr sprach: „Peter, sag' mir eben:

Daß du die Geiß nimmst in dein' Hut,

Wie sie von Herzen bitten thut." Petrus nahm nach deS Herren Wort All' Ding' auf Erd' baß ordiniren, Die Frommen schützen, die Bösen plagen?" Die Geiß in seine Hut an dem Ort Und trieb sie auf die Weid' hindann. Sankt Peter that hinwieder sagen: Nun fing Sankt Petri Unruh' an. „Ja, es müßt' in der Welt baß stehn, Meinst du wohl je besser regieren,

Die Geiß war muthig, jung und frech Nicht also durch einander gehn; Und blieb ja gar nicht in der Nech (Nähe), Ich wollt' viel besser Ordnung hallen." Der Herr sprach: „Nun so sollst verwalten, Lief auf der Weide hin und wieder, Stieg ein' Berg auf, den andern nieder Peter, die hohe Herrschaft mein: Heut den Tag sollst du Herr Gott sein!"

Damit reicht der Herr fein' Stab

Und schlüpft' hin und her durch die Stauden. Petrus mit Ächzen, Blas'n und Schnauben,

Petro, ihn in seine Hände gab. Petrus war deß gar wohlgemuth, Däucht sich der Herrlichkeit sehr gut. Indem kam her ein armes Weib, Ganz dürr, mager und bleich vom Leib, Barfuß in einem zerrissen Kleid,

Muß immer nachtrollen der Geiß,

Der Herr zu Petro sagte das: „Petre, hast das Gebet der Armen Gehört? Du mußt dich ihr' erbarmen! Weil ja den Tag bist Herr Gott du, So stehet dir auch billig zu,

Dieweil ich leb', nicht reden ein. Der Herr sprach: „Petre, dasselbe thu',

Und schien die Sonn' gar überheiß.

Der Schweiß über den Leib ihm rann, Mit Unruh' verbringt der alte Mann Den Tag bis auf den Abend spat Machtlos, hellig, ganz müd' und matt. Die trieb ihr Geiß hin auf die Weid'. Die Geiß jedoch er heimbracht'. Als sie mit ihr auf die Wegscheid' kam. Der Herr sah Petrum an und lacht, Sprach: „Petre, willst mein Regiment Sprach sie: „Geh' hin in Gottes Nam', Gott hüt' und schütz' dich immerdar, Noch länger halten in deinen Händ'?" Daß dir kein Übel widerfahr' Petrus sprach: „Lieber Herre mein, Von Wölfen oder Ungewitter. Nimm wieder hin den Stabe dein Gott hüte dich mit seiner Hand!" Und dein' Gewalt; ich begehr' mit nichten. Darauf die Frau wieder umwandt' Forthin dein Amt mehr auszurichten. Ins Dorf. So ging die Geiß ihr' Straß'. Ich will jetzt der Regierung dein.

So lebst du fort in stiller Ruh', Und vertrau' mir in meine Händ' Das allmächtige Regiment!" HanS Sachs.

12.

Legende.

Als noch verkannt und sehr gering, Unser Herr auf der Erde ging

So schlendert' er in Geistes Ruh

Mit ihnen einst einem Städtchen zu,

Und viele Jünger sich zu ihm fanden,

Sah etwas blinken auf der Straß',

Die sehr selten sein Wort verstanden, Liebt' er sich gar über die Maßen,

Das ein zerbrochen Hufeisen was.

Seinen Hof zu halten auf der Straßen, Weil unter des Himmels Angesicht Man immer besser und freier spricht. Er ließ sie da die höchsten Lehren Aus seinem heiligen Munde hören;

Besonders durch Gleichnis und Exempel Macht' er einen jeden Markt zum Tempel.

Er sagte zu Sankt Peter drauf: „Heb' doch einmal daö Eisen auf!"

Sankt Peter war nicht aufgeräumt; Er hatte soeben im Gehen geträumt So was vom Regiment der Welt, Was einem jeden wohlgefällt;

Denn im Kopf hat das keine Schranken. Das waren so seine liebsten Gedanken.

Märchen. Nun war der Fund ihm viel zu klein; Hätte müssen Kron' und Szepter sein! Aber wie sollt' er seinen Rücken Nach einem halben Hufeisen bücken? Cr also sich zur Seite kehrt

Und thut, als hätt' er's nicht gehört.

Der Herr nach seiner Langmuth drauf Hebt selber das Hufeisen auf Und thut auch weiter nicht dergleichen.

Als sie nun bald die Stadt erreichen.

87

Auch war der Weg von Bäumen bloß;

Die Sonne schien, die Hitz' war groß, So daß man viel an solcher Stätt' Für einen Trunk Wasser gegeben hätt'. Der Herr geht immer voraus vor allen,

Läßt unverseh'ns eine Kirsche fallen. Sankt Peter war gleich dahinter her,

Als wenn es ein goldner Apfel wär'; Das Beerlein schmeckte seinem Gaum. Der Herr nach einem kleinen Raum Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,

Geht er vor eines Schmiedes Thür, Wonach Sankt Peter schnell sich bückt. Nimmt von dem Mann drei Pfennig' dafür. So läßt der Herr ihn seinen Rücken Und als sie über den Markt nun gehen, Gar vielmal nach den Kirschen bücken. Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen, DaS dauert eine ganze Zeit. Kauft ihrer so wenig oder so viel, Dann sprach der Herr mit Heiterkeit: Als man für einen Dreier geben will, „Thät'st du zur rechten Zeit dich regen, Die er sodann nach seiner Art Hätt'st du's bequemer haben mögen. Ruhig im Ärmel aufbewahrt. Wer geringe Dinge wenig acht't, Nun ging's zum andern Thor hinaus Sich um geringere Mühe macht." Goethe. Durch Wies' und Felder ohne HauS;

3. Das Märchen. Das Märchen ist eine phantastisch gehaltene Sage; es ist also eine erdichtete Er­ zählung, die sich jedoch bisweilen auf einen geschichtlichen Grund stützt. Ohne sich an die Wahrheit der Natur und des Lebens zu halten, entwickelt sich diese Erzählung unter der Einwirkung wunderbarer Mittel nnb wunderbarer Wesen (Amberer, Feen, Hexen, Nixen, Kobolde). Ein gutes Märchen darf der künstlerischen Einheit und der kindlichen Einfalt und Naivität nicht entbehren.

Das Märchen als selbständige Dichtungsart erscheint meist in Prosa, oft aber auch in dichterischer Form. ___________

1. Aus den Abasfiden. Dem Kalifen Harun al Raschid wird von einem Mohren ein Zauberpferd von Holz um den Preis der Würde eines Wessirs und der Verheiratung mit des Kalifen Tochter zum Kaufe Ange­ boten. Der älteste von den Söhnen Haruns, Amin, steigt mit dem Pferde in die Lüfte, kehrt aber nicht wieder zurück. Seine Brüder Assur und Assad verlassen Bagdad, um ihn zu suchen; in einer Stadt der Magier wird Assur in eine Kerkerhöhle geworfen, Assad aber Gemahl der Prinzessin Diwisade und Schübling der Fee Melinda, die ihn veranlaßt, schon am folgenden Morgen zu Schiffe den Zweck seiner Reise zu verfolgen.

Aber wenden wir den Blick zurück nun

Grün und flach, vor ihrem Blick. Sie steigen

Nach dem Schiss, auf dem befand sich Assad. Dort ans Land, weil eben Meeresstille

Jenes zog gen Indien, Elfenbein dort

Eingetreten war; sie nehmen alles Einzuhandeln. Alle Segel schwollen; Kochgeräth mit sich und schüren Feuer. Glücklich schien die Fahrt. In weniger Tage Aber plötzlich schreckt ein heftiger Erdstoß,

Frist erhob sich ein geringes Eiland,

Also schien's, sie auf, und ihren Irrthum

88

Epische Poesie.

Sehn sie voll Entsetzen: was ein Eiland

Allen dünkte, war ein ruhig schlafend Hingestreckter, ungeheurer Walfisch. Nach und nach durch jenes FeuerS Hitze Wach geworden, dehnt er seine- Leibes Riesenmasie, schleudert ab die Mannschaft,

Ging am andern Morgen nach der Wohnung

Eines Kaufmanns, welcher wohlbegütert Wie ein Fürst in jenem Städtchen herrschte. „Herr," begann er, „Mißgeschick und Schiff­ bruch Warfen mich an dies Gestad', den Fremdling;

Stürzt ergrimmt sich auf das Schiff, zer­ Noth bezwingt die Besten; nicht des Bettlers Loos verdien' ich; aber euch, dem Neichen, schlägt es, Daß die Trümmer nach den Wolken flogen; Der der Menschenhände viel beschäftigt,

Dann verfolgt er seine stolze Reise. Zween Matrosen blos, mit ihnen Aflad,

Biet' ich meinen jugendlichen Arm an."

Lange strich das bärt'ge Kinn der Kaufmann Retten schwimmend auf das öde Wrack sich. Sinnend hin und wieder; dann versetzt' er: Ohne Hoffnung, zwischen Tod und Leben „Weißt du Pfeil und Bogen wohl zu führen?" Bringen dort die Nacht sie zu; der tiefste Ihm erwiderte drauf der Sohu des Harun:

Friede lag, wie brütend, auf dem Wasser.

„Als ich einst mich bessrer Tage rühmte,

Gegen Morgen aber blies der Wind sie

Heftig an; zu ihrem Glück erhalten War das Steuer, und so gut sie konnten,

War die Jagd mein auserwählt Vergnügen; Unter allen meinen Freunden aber Kam als Bogenschütze keiner gleich mir."

Lenkten sie's, das mastenlose Fahrzeug Fürder treibend. Einige Fässer WeineS

„Eine Probe gelt' es," sprach der Kaufmann; „Jene Waldungen gen Westen dienen

Lagen noch im untern Raum und karge Lebensmittel; doch der Wind beharrte

Oft zum Aufenthalt Elephantenschwärmen. Dort begieb dich morgen hin, versuche

Günstig. Assad saß am Steuerruder, Seine zwei Gefährten aber schöpften Unablässig aus dem Wrack das Wasser. Als zu graun begann der zweite Morgen, Sahn sie Land in duftiger Nebelferne; Doch das Fahrzeug war zu leck, und jeder Augenblick schien ihres Lebens letzter. Endlich zeigt sich einer Barke weiße-

Dein Geschick und deine Kunst! Erlegst du Wirklich einen, schneide dann die beiden

Segeltuch. In ihre Hände klatschten Alle drei vor Freuden unwillkürlich.

Jene Barke nähert sich; sie rufen. Bald am Steuer zeigt ein alter Mann sich

Vorderzahn' ihm aus und bringe diese Mir zurück; und vom Gewinne jeder Jagd bewahr' ich dir getreu die Hälfte." Als zu graun begann der nächste Morgen, Nahm den Bogen auf die Schulter, schnallte Sich den Köcher um der Sohn des Harun. Durch die Haide streift' er nach der öden, Riesigen Waldung, halb in Gram verloren, Wann er dachte seiner Diwisade, Halb im Kraftgefühl der Jugend fröhlich,

Silberhaarig; aber vorne standen Zwei gebräunte, lockige Knaben, welche Mit Harpunen nach den Fischen warfen. Als das Wrack sie gewahrten, griffen diese

Freien Schritts auf Gottes Erde wandelnd, Seinen Lebensunterhalt erwerbend. Völlig elend ist der thätige Mensch nie,

Gegen Abend langt er an im Hafen Einer kleinen, handelsthätigen Seestadt.

Aus dem Dickicht zween Elephanten annahn,

Und Natur in ihrer wilden Schönheit Schnell zum Ruder, und in kurzer Frist sieht Stärkt die Seele selbst dem leidenvollsten. Sammt den Freunden sich gerettet Assad. Als er dies im Geist erwägt, da sieht er

Bald verdungen jene zween Matrosen

Ihren Dienst an einen reichen Fischer, Der mit korkbehangenen Netzen ausfuhr. Assad aber auf den Rath des alten Mannes, dem er schuldig war das Leben,

Ihre Rüssel hin und her bewegend, Und den Boden, daß es dröhnte, stampfend.

Hinter einem Myrtenbusch verbirgt sich

Unser Jäger, auf des Bogens Rinne Le^t den Pfeil er, zielt und trifft das Unthier; Dieses stürzt und brüllt, daS andere flüchtet.

M ärchen.

89

Als das Leben aus der schwerverletzten

Am Begräbnisorl der mächtigen Thiere,

Körperlast gewichen war, beraubt sie

Wo sie hinzuschleppen ihre Todten

Ihres Elfenbeins der freudige Jüngling. Triumphirend kehrt er heim und seinen Herrn beschenkt er mit der stolzen Beute.

Pflegten.

Aufgehäuft zu ganzen Hügeln

Lag das Elfenbein; es bürdet Assad Eine Last sich auf, so viel die Schulter

Manche Woche strich vorbei, das Glück blieb Tragen mochte, Pfeil und Bogen aber Stets dem Jäger hold, und gleich dem eignen Wirft er weg, denn keiner Jagd bedurft' eS Sohn behandelte ihn der greise Kaufmann. Fürder mehr. Er pflanzt die Todeswaffen Als ein Denkmal auf, den klugen Thieren Aber als er eines Morgens wieder Die Stelle Durch die Wälder schweifte, kommt entgegen AlS ein Zeichen seines Danks. Ihm ein Schwarm der riesigen Ungethüme.

Prägt er wohl sich ein, bezeichnet seinen

Hurtig stürzt ins tiefste Dickicht Assad;

Weg mit Steinen, bis derselbe wieder

Eins jedoch der klugen Thiere scheint ihn

Ihn zurückführt nach bekanntern Plätzen.

Wahrzuuehmen und verfolgt ihn.

Dann im Sturmschritt eilt zur Stadt der Jüngling. Ihm entfliehn durch Schnelligkeit der Füße Hocherfreut empfängt der greise Freund ihn; War undenkbar; aber es klimmt der Jüngling Täglich neue Schätze bringt er diesem. Rasch empor an einer schlanken Palme.

Wie ein Vogel auf den Vogelsteller, Blickt er schelmisch aus dem sichren Gipfel Auf das grimmige Thier hinab, und dieses

Neuen Reichthum ihm zurück. Der Kaufmann Theilt die Hälfte seines Guts mit Assad;

Aber Asiad suchte nicht Bereich'rung;

Nur so viel behält er, um ein Fahrzeug Auszurüsten. Seine glühenden Wünsche Klugen Menschenaugen. Endlich sägt es Treiben nach der Magierstadt zurück ihn. Voll geschäftiger Rührigkeit und eifrig Mit den Zähnen ab den Stamm der Palme; Eine Ladung Elfenbeins befrachtet Seinen Schiffsraum; denn mit Gold am ersten Diese kracht, und ihre Krone zittert

Blickt den Jüngling wieder an mit großen,

Wie der Wimpel eines Schiffs, und Assad

Diwisaden auszulösen, hofft er. Glich dem Seemann, der im höchsten Mastkorb Frohe Tage seinem Herrn und Vater Nistet, wenn der Sturm int Wachsen: jede Wünscht er dankbar. Ihm versetzt der Kauf­

Welle schreckt ihn, und er sieht im Geist schon mann: „Lebe wohl! Wo keines Wiedersehens Eine kommen, die herunterschleudernd Taucht ins Meer ihn, das bacchantisch auf­ Ferne Hoffnung schimmert, schmerzt der Ab­

schwillt. schied. Doch zum Glücke für den kecken JägerDoch getrost! Ich preise jene glücklich, Brach der Baum allmählich, neigte langsam Deren Küste dich empfängt, und deren Seine Wipfel niederwärts, und Asiad Freunde deine Freunde sind: es wuchert Mit verwegenem Sprung berührt den Boden Glück und Segen, wo du weilst, o Jüngling!" Unversehrt. Allein das Thier ergreift ihn Mit dem Rüssel, ihn erhebend setzt es

So der Greis. Die Anker sind gelichtet, AuS dem Hafen schwebt das Schiff, die Segel

Ihn als Reiter auf den breiten Rücken. Drauf im Trabe jagt es fort, und endlich

Werden aufgezogen. Sanfte Lüfte Wehn in Assads jugendliche Locken.

Sieht der Prinz in einem wiesigen Thal sich,

Aber als die zweite Nacht herbeikam,

Welches baumfrei mitten in öder Wildnis

Wölkt der Himmel schwer sich an, die Sterne

Wie von Wäldern lag umzäumt. Das Unthier Leuchten einsam durch gehäufte Nebel, Wirft den Reiter ab und eilt von dannen. Dann verlöschen alle; finster schwärzt sich Staunend blickt der Prinz umher, und staunend Jede Purpurwoge, heftige Windsbraut Sieht die Erde rings er mit Gebeinen Peitscht die Flut, und aus der fadenlosen Übersäet und weißgebleicht; er sieht sich Tiefe rollen ungeheure Donner.

90

Epische Poesie.

Wetterleuchtend zuckt die Luft, die Wellen Sonst das Schiff zusammenhält, es trennt sich Wälzen meilenlang beschäumte Kämme, Aus den Fugen, durch den mächt'gen Zauber Wie ein Heer zur Schlacht gereiht, dem Jenes Klippensteines angezogen!"

Jammernd

Schiffskiel Dumpf entgegen; dieser steigt, gehoben

hört die

ganze Schaar die Botschaft;

Durch den aufgethürmten Schwall, zu Berge.

Alles strengt sich an, es bietet Assad Alles auf, durch Ruderkraft das Fahrzeug Abzulenken, das der sausende Nordwind Nach dem untern Raun: des Schiffs, eö möge Pfeilgeschwind in schräger Lage fertjagt. Nun zerschmettern oder nicht zerschmettern. Nein und heiter war die Luft geworden;

Trotzend länger nicht der riesigen Obmacht, Eilt die Mannschaft todesmatt und triefend

Lange wirft es hin und her sich unstet; Aber als der erste Morgenschimmer Dunkelroth im wolkigen Osten aufging,

Jene kahle Klippe stand im klarsten, Schroffen Umriß vor den Blicken Affads:

Eine schmale Felseninsel war es. Legte die See sich, heftig blies der Wind noch, Steil und pflanzenlos, ein Herd der Sonne. Sieh, und plötzlich wich das ganze Fahr­ Doch geregelt. Aufs Verdeck begiebt sich

Schnell der Steuermann; allein mit Grausen zeug Schlägt er vor die Stirne sich und jammert: Aus den Fugen feines Baus und theilte Seinen mächtigen Busen; nicht mit Krachen „Wehe, weh' uns! Alles ist verloren! Barst eö, friedlich öffnete sich's und langsam, Unaufhaltsam jagt der tückische Wind uns Wie die Flügel eines Thors sich öffnen. Zum Magnetberg jene Strömung nieder! Bretter fluteten, Ruder, Maste, Segel, Nahn wir diesem, löst das ganze Fahrzeug Weit zerstreut, wo mancher rüstige Schwimmer Ohne Frist sich auf, und jede Klammer, Jeder Eisenstift, und was Metall'nes

Sicherm Untergang entgegenkämpfte. Platen.

2.

Abdallah.

Abdallah liegt behaglich am Quell der Wüste und ruht; ES weiden um ihn die Kameele, die achtzig, sein ganzes Gut. Er hat mit Kaufmannöwaaren Balsora glücklich erreicht; Bagdad zurückzugewinnen wird, ledig, die Reise ihm leicht.

Da kommt zur selben Quelle zu Fuß am Wanderstab Ein Derwisch ihm entgegen den Weg von Bagdad herab.

Sie grüßen einander, sie setzen beisammen sich zum Mahl Und loben den Trunk der Quelle und loben Allah zumal. Sie haben um ihre Reise theilnehmend einander gefragt, Was jeder verlanget zu wissen, willfährig einander gesagt, Sie haben einander erzählet von dem und jenem Ort, Da spricht zuletzt der Derwisch ein gar bedächtig Wort:

„Ich weiß in dieser Gegend, ich kenne wohl den Platz

Und könnte dahin dich führen, den unermeßlichsten Schatz. Man könnte daraus belasten mit Gold und Edelgestein Wohl achtzig, wohl tausend Kameele; eö würde zu merken nicht sein." Abdallah lauscht betroffen, ihn blendet des Goldes Glanz, Es rieselt ihm kalt durch die Adern, und Gier erfüllt ihn ganz. „Mein Bruder, hör', mein Bruder, o führe dahin mich gleich! Dir kann der Schatz nicht nützen, mich machst du glücklich und reich.

Märchen. Laß dort mit Gold uns beladen die achtzig Kameele mein, Nur achtzig Kameeleslasten, eS wird zu merken nicht sein.

Und dir, mein Bruder, verheiß' ich zu deines Dienstes Sold Das beste von allen, das stärkste, mit seiner Last von Gold." Darauf der Derwisch: „Mein Bruder, ich hab' es anders gemeint, Dir vierzig Kameele, mir vierzig, das ist, was billig mir scheint;

Den Werth der vierzig Thiere empfängst du millionenfach; Und hätt' ich geschwiegen, mein Bruder, o denke, mein Bruder, doch nach!" „Wohlan, wohlan, mein Bruder, laß gleich uns ziehen dahin,

Wir theilen gleich die Kameele, wir theilen gleich den Gewinn!" Er sprach's, doch thaten ihm heimlich die vierzig Lasten leid: Dem Geiz in seinem Herzen gesellte sich der Neid.

Und so erhoben die beiden vom Lager sich ohne Verzug,

Abdallah treibt die Kameele, der Derwisch leitet den Zug. Sie kommen zu den Hügeln; dort öffnet, eng und schmal, Sich eine Schlucht zum Eingang in ein geräumig Thal.

Schroff überhangend umschließet die Felswand rings den Raum; Noch drang in diese Wildnis des Menschen Fuß wohl kaum.

Sie halten; bei den Thieren Abdallah sich verweilt. Der sie, der Last gewärtig, in zwei Gefolge vertheilt. Indessen häuft der Derwisch am Fuß der Felsenwand

Verdorrtes GraS und Reisig und steckt den Haufen, in Brand; Er wirft, so wie die Flamme sich prasselnd erhebt, hinein Mit seltsamem Thun und Reden viel' kräftige Spezerei'n.

In Wirbeln wallt der Ranch auf, verfinsternd schier den Tag, Die Erde bebt, es dröhnet ein starker Donnerschlag, Die Finsternis entweichet, der Tag bricht neu hervor; Es zeigt sich in dem Felsen ein weitgeöffnet Thor.

Es führt in prächtige Hallen, wie nimmer ein Aug' sie geschaut, Aus Edelgestein und Metallen von Geistern der Tiefen erbaut; Es tragen goldne Pilaster ein hohes Gewölb' von Krystall,

Hellfunkelnde Karfunkeln verbreiten Licht überall. Es lieget zwischen den goldnen Pilastern unerhört Das Gold hoch aufgespeichert, deß Glanz den Menschen bethört; Es wechseln mit den Haufen deS Goldes die Hallen entlang Demanten, Smaragden, Rubinen; dazwischen nur schmal der Gang.

Abdallah schaut'S betroffen, ihn blendet des Goldes Glanz; Es rieselt ihm kalt durch die Adern, und Gier erfüllt ihn ganz. Sie schreiten zum Werk; der Derwisch hat klug sich Demanten erwählt,

Abdallah wühlet im Golde, im Golde, das nur ihn beseelt. Doch bald begreift er den Irrthum und wechselt die Last und tauscht Für Edelgestein und Demanten das Gold, deß Glanz ihn berauscht,

Und was er fortzutragen die Kraft hat, minder ihn freut, Als was er liegen muß laffen, ihn heimlich wurmt und reut.

91

92

Epische Poesie. Beladen sind die Kameele schier über ihre Kraft;

Abdallah sieht mit Staunen, was ferner der Derwisch schafft; Der geht den Gang zu Ende und öffnet eine Truh'

Und nimmt daraus ein Büchschen und schlägt den Deckel zu. ES ist von schlichtem Holze, und was darin verwahrt, Gleich werthloS, scheint nur Salbe, womit man salbt den Bart. Er hat eS prüfend betrachtet, das war das rechte Geschmeid';

Er steckt es wohlgefällig in sein gefaltet Kleid.

Drauf schreiten hinaus die beiden, und draußen auf dem Plan Vollbringt der Derwisch die Bräuche, wie er'S beim Eintritt gethan. Der Schatz verschließt sich donnernd; ein jeder übernimmt Die Hälfte der Kameele, die ihm daS LooS bestimmt.

Sie brechen auf und wallen zum Quell der Wüste vereint, Wo sich die Straßen trennen, die jeder zu nehmen meint; Dort scheiden sie und geben einander den Bruderkuß; Abdallah zeigt sich erkenntlich mit tönender Worte Erguß. Doch wie er abwärts treibet, schwillt Neid in seiner Brust. Des andern vierzig Lasten, sie dünken ihm eigner Verlust,

Ein Derwisch solche Schätze, die eignen Kameele — das kränkt! Und was bedarf der Schätze, wer nur an Allah denkt?

„Mein Bruder, hör', mein Bruder!" so folgt er seiner Spur, „Nicht um den eignen Vortheil, ich denke an deinen nur!

Du weißt nicht, welche Sorgen, und weißt nicht, welche Last Du, Guter, an vierzig Kameelen dir aufgebürdet hast! Noch kennst du nicht die Tücke, die in den Thieren wohnt!

O glaub' es mir: der Mühen von Jugend auf gewohnt, Versuch' ich's wohl mit achtzig, dir wird's mit vierzig zu schwer, Du führst vielleicht noch dreißig, doch vierzig nimmermehr!" Darauf der Derwisch: „Ich glaube, daß Recht du haben magst! Schon dacht' ich bei mir selber, was du, mein Bruder, mir sagst; Nimm, wie dein Herz begehret, von diesen Kameelen noch zehn,

Du sollst von deinem Bruder nicht unbefriedigt gehn."

Abdallah dankt und scheidet und denkt in seiner Gier: Und wenn ich zwanzig begehrte, der Thor, er gäbe sie mir! Er kehrt zurück im Laufe; es muß versuchet sein. Er ruft; ihn hört der Derwisch und harret gelaffen sein.

„Mein Bruder, hör', mein Bruder! o traue meinem Wort, Du kommst, unkundig der Wartung, mit dreißig Kameelen nicht fort; Die widerspenstigen Thiere sind störriger, denn du denkst,

Du machst es dir bequemer, wenn du mir zehn noch schenkst." Darauf der Derwisch: „Ich glaube, daß Recht du haben magst! Schon dacht' ich bei mir selber, was du, mein Bruder, mir sagst; Nimm, wie dein Herz begehret, von diesen Kameelen noch zehn,

Du sollst von deinem Bruder nicht unbefriedigt gehn.".

Märchen. Und wie so leicht gewähret, waS kaum er sich gedacht, Da ist in seinem Herzen erst recht die Gier erwacht. Er hört nicht auf, er fordert, wohl ohne sich zu scheun.

Noch zehen von den zwanzig und von den zehen neun.

Das eine nur, das letzte, dem Derwisch übrig bleibt. Noch dies ihm abzufordern, des Herzens Gier ihn treibt;

Er wirst sich ihm zu Füßen, umfasset seine Snie':> „Du wirst nicht nein mir sagen, noch sagtest du nein mir nie." „So nimm das Thier, mein Bruder, wonach dein Herz begehrt. Es ist, daß trauernd du scheidest von deinem Bruder, nicht werth; Sei fromm und weis' im Reichthum und beuge vor Allah dein Haupt,

Der, wie er Schätze spendet, auch Schätze wieder raubt."

Abdallah dankt und scheidet und denkt in seinem Sinn: Wie mochte der Thor verscherzen so leicht den reichen Gewinn? Da fällt ihm ein das Büchschen, daö ist daS rechte Geschmeiß!

Wie barg er's wohlgefällig in sein gefaltet Kleid! Er kehrt zurück. „Mein Bruder, mein Bruder! auf ein Wort! Was nimmst du doch das Büchschen, das schlechte, mit dir noch fort? Was soll dem frommen Derwisch der weltlich eitle Tand?"

„So nimm eS!" spricht der Derwisch und legt es in seine Hand.

Ein freudiges Erschrecken den Zitternden befällt, Wie er auch noch das Büchschen, das räthselhafte, hält; Er spricht, kaum dankend, weiter: „So lehre mich nun auch, Was hat denn diese Salbe für einen besondern Gebrauch?" Der Derwisch: „Groß ist Allah, die Salbe wunderbar! Bestreichst du dein linkes Auge damit, durchschauest du klar

Die Schätze, die schlummernden, alle, die unter der Erde sind; Bestreichst du dein rechtes Auge, so wirst du aus beiden blind." Und selber zu versuchen die Tugend, die er kennt. Der wunderbaren Salbe, Abdallah nun entbrennt. „Mein Bruder, hör', mein Bruder, du machst eS bester, traun! Bestreiche mein Auge, das linke, und laß die Schätze mich schaun!"

Willfährig thut's der Derwisch; da schaut er unterwärts Das Gold in Kammern und Adern, das gleißende, schimmernde Erz; Demanten, Smaragden, Rubinen, Metall und Edelgestein, Sie schlummern unten und leuchten mit seltsam lockendem Schein. Er schaut's und starrt betroffen, ihn blendet des GoldeS Glanz, Es rieselt ihm kalt durch die Adern, und Gier erfüllt ihn ganz;

Er denkt: Würd' auch bestrichen mein rechte- Auge zugleich, Vielleicht besäß' ich die Schätze und würd' unermeßlich reich. „Mein Bruder, hör', mein Bruder, zum letzten Mal mich an: Bestreich' mein rechtes Auge, wie du dem linken gethan!

Noch diese meine Bitte, die letzte, gewähre du mir, Dann scheiden unsere Wege, und Allah sei mit dir!"

SS

Epische Poesie.

94

Darauf der Derwisch: „Mein Bruder, nur Wahrheit sprach mein Mund,

Ich machte dir die Kräfte von deiner Salbe kund: Ich will nach allem Guten, das ich dir schon erwies,

Die strafende Hand nicht werden, die dich ins Elend stieß." Nun hält er fest am Glauben und brennt vor Ungeduld;

Den Neid, die Schuld des Herzens, giebt er dem Derwisch schuld. Daß dieser so sich weigert, daS ist für ihn der Sporn;

Der Gier in seinem Herzen gesellet sich der Zorn. Er spricht mit höhnischem Lachen: „Du hältst mich für ein Kind; Was sehend auf einem Auge, macht nicht auf dem andern mich blind;

Bestreiche mein rechtes Auge, wie du dem linken gethan, Und wiffe, daß, falls du mich reizest, Gewalt ich brauchen kann."

Und wie er noch der Drohung die That hinzugefügt, Da hat der Derwisch endlich stillschweigend ihm genügt; Er nimmt zur Hand die Salbe, sein rechtes Aug' er bestreicht:

Die Nacht ist angebrochen, die keinem Morgen weicht. „O Derwisch, arger Derwisch, du doch die Wahrheit sprachst!

Nun heile. Kenntnisreicher, was selber du verbrachst." „Ich habe nichts verbrochen, dir ward, was du gewollt, Du stehst in Allahs Händen, der alle Schulden zollt."

Er fleht und schreit vergebens und wälzet sich im Staub;

Der Derwisch abgewendet bleibt seinen Klagen taub. Der sammelt die achtzig Kameele und gen Balsora treibt, Derweil Abdallah verzweifelnd am Quell der Wüste verbleibt. Die er nicht schaut, die Sonne vollbringet ihren Lauf; Sie ging am andern Morgen, am dritten wieder auf; Noch lag er da verschmachtend, ein Kaufmann endlich kam, Der nach Bagdad aus Mitleid den blinden Bettler nahm.

3.

Chamissc.

Das Schlaraffenland.

DaS Königreich Schlaraffenland

Ist faulen Leuten wohlbekannt; Der Eingang aber ist gar schwer;

Denn um die ganze Gegend her Liegt ein Gebirg von Hirsebrei, Breit wohl zwei Meilen oder drei;

Boll Sekt sind alle Bäch' und Flüsse, Und wenn es schloßt, schloßt's Pfeffernüsse. Auf Tannen, Fichten, Birken, Eichen Giebt's Mandeln, Brezeln und dergleichen.

Ein Schinkenschnitt ist jedes Blatt

Wer einziehn will, muß sich vermessen, Durch dies Gebirg sich durchzueffcn.

Und ausgepflastert jede Stadt Mit Eierkuchen und mit Torten; Bon Marzipan sind Thor und Pforten;

Die Dächer sind von Zuckerfladen, Und Honigkuchen Thür und Laden,

Ein Schweizerkäs' ist jeder Stein, Und wenn eS regnet, regnet's Wein.

Speckkuchen aber Diel' und Wände. Um jedes Haus zieht man behende

Auf Weidenbäumen Semmeln stehn An Bächen MilchS; die Winde wehn:

Rings einen hohen, schönen Zaun

Die Semmeln fallen plumps hinein,

Bon Leberwürsten fett und braun.

Und alles schmaust, so groß als klein.

Märchen.

95

Hast du gespeiset solchen Braten,

Gekocht, gesalzt, gebraten gehen Die Fisch' in Teichen und in Seen,

So zahlt man dir gleich vier Dukaten.

Am Ufer stehn sie alle still, Man fängt, so viel man immer will.

Vor einem nur mußt du dich wahren,

Vernunft allhier zu offenbaren. Wer Sinn und Witz gebrauchen wollt', Dem wär' kein Mensch im Lande hold;

Auch fliegen um, ihr könnt es glauben,

Gebrat'ne Hühner, Gans' und Tauben;

Wer Lust an Zucht und Arbeit hat, Dem untersagt man Land und Stadt;

Wer, sie zu fangen, ist zu faul, Dem fliegen schnurr! sie in das Maul. Die Menschen wachsen an den Ästen

Wer aber thut, was Weisheit tadelt, Der wird in diesem Land geadelt.

Wie Pflaumen, flugs mit Stiefeln, Westen

Und Kleidern von Damast und Drap

Wer seinen Tag vollbringt mit Schlafen,

Und fallen, wenn sie reif sind, ab.

Den macht man hier alsbald zum Grafen; Wer trefflich ficht mit Leberwürsten, Der wird allhier gemacht zum Fürsten;

Die Sau' alljährlich wohl gerathen,

Sie gehn umher und sind gebraten;

Ein Messer steckt in ihrem Rücken, Der erste nimmt die besten Stücken,

Wer aber dümmer ist als alle,

Steckt drauf das Messer wieder ein

Den ruft man bald mit großem Schalle Zum Landesherrn und Kaiser aus;

Und läßt auch andern was vom Schwein.

Sein Wappen ist das „Schellenhaus".

9?ad) HanS Sachs.

4.

Vom Däumchen. 1.

Lauten Jammers, Thränen gießend, Sitzt die Mutter da und schluchzt; Tritt der Gatte zu ihr, fragt sie: „Theure, was stört deine Ruh?" „Ach," beginnt sie seufzend, leise, „Meinen Kummer kennst wohl du.

Daß uns immer noch kein Kindlein Lächelt, lieblich kosend, zu."

Und der Mann beginnt zu trösten; Aber sie klagt jede Stund'. Endlich wird ein Sohn geboren; Laut verkündigt man eö rund.

Thoms wird er im Tauf benamset;

Wie er älter, spricht er klug; Doch sie neunen ihn nur Däumchen, Weil er klein blieb, wenig wuchs.

Auf die Wiese geht die Mutter, Weidet selbst die braune Kuh, Nimmt das Söhnlein mit ins Freie, In die grünende Natur. Sommer war, und schöne Blumen Prangten schimmernd auf der Flur;

Und sie nimmt den hänf'nen Faden,

Bindet an der Distel Schmuck

Ihren Knaben, daß kein Wind, kein Bienlein ihn von dannen trug.

Lustig spielt er um die Distel; Weidend naht die braune Kuh. Unversehens frißt dieselbe Distel, Faden, ihn dazu. Merkt nicht, daß sie mit dem Grase Ihren künft'gen Herrn verschluckt.

Und die Mutter kömmt zurücke; Wie sie nach dem Jüngling sucht. Findet sie die Stätte nicht mehr, Und sie schlägt sich Haupt und Brust.

Er erhört ihr lautes Klagen, Ruft ihr tröstend „Mutter!" zu. „Ei, wo bist du, Liebchen?" „Mutter,

Ich bin in der braunen Kuh."

Und die Kuh, deß nngewöhnet, Wie er springet, lauter ruft.

Geht mit ihm zu Wald in Ängsten.

Aufzufahn ihr liebstes Gut,

Epische Poesie.

96

Folgt die Mutter. Sieh, da fällt er: Sie hebt ihn vom Gras; der Schurz Hüllt ihn ein. Zu Hause Zauber Sie den Knaben wieder wusch. Da begab sich'S, daß man wirkte,

Und die Hausfrau ach! verwirkt den Sohn hinab in jene Wurst.

Drauf hängt sie sie in den Schornstein, Daß der Rauch soll Dienste thun Und sie beizen und sie würzen, Schmackhaft machen dem Genuß.

Hackte, kochte, stopfte Wurst;

Und der kleine Thoms, das Däumchen, Fleißig in die Töpfe guckt.

Horch, da ruft cd „Mutter! Mutter!" Aus der angerauchten Wurst; Da vermißt sie ihren Kleinen,

Das Gemengsel wird zum Kochen Hingesetzt an Feuers Glut. Keinem ist, daß an des Kessels

Fragt: „Wo steckst du wiederum?" „In der Wurst," so sagt die Stimme;

Rand der Kleine klebt, bewußt. Und ein Schwindel stürzt ihn jählings Nieder in des Fettes Flut. Abgehoben wird der Kessel Und gestopft das Fleisch und Blut.

„Fleisch und Speck umgeben rund Mich von allen Seiten, minder Nicht des Schweines rothes Blut."

Und sie nehmen auS dem Rauchfang Ab die Blutwurst länglich rund: Ausgeschnitten, ihnen schnelle

Er will sprechen; Keffel siedet;

Däumling ThomS entgegen sprung.

Da wird nicht gehört sein Ruf;

ÜberS Feld geht hin er schwitzend,

Als er nun das Land errettet, Durch Britannien klang sein Name, Sprach der König: „Liebes Däumchen,

Durch den Wald hin ächzt er wandernd,

Viel hab' ich dir zu bezahlen.

Und am Abend spät noch klopft er An die Hütte laut und tapfer.

Deine Eltern, hör' ich, wohnen Fern im Dorfe, sind verarmet; Nimm aus meinem Schatze, was du Nur vermagst davon zu tragen."

„Aufgemacht! Ich bringe Hülfe, Bringe aus des Königs Schatze, Was ich nur erheben konnte; Fast zerbrachen mir die Arme."

Däumchen danket; mit dem Marschall

Geht er in die Silberkammer, Tritt dann wieder aus der Thüre

Hoch aufspringend kommt die Mutter; Und er wirft hin vor die Alte Einen ganzen Silberdreier, Spricht: „Nun dürft ihr nicht mehr sparen." Tieck.

Tief aufkeuchend, schwer beladen.

5.

Dornröschen.

Helena, König Markulfs Gemahlin, ist eines lieblichen Töchterchens genesen. Der glückliche Vater ladet zur Festfeier zwölf in seiner Nähe wohnende Feen. Die von ihm nicht geladene Königin der Nacht, Ardiwa, erscheint während des Festes und droht, die neugeborene Prinzessin solle vor ihrem fünfzehnten Zabre im Schlosse durch eine Spindel ihren Tod finden. Sogleich wendet die Fee Ida, welche ihr Geschenk dem Kinde noch nicht dargebracht hat, einen Theil des Unheils durch den Wunsch ab, daß das Kind durch die Verwundung nicht getödtet, sondern nur in einen tiefen Schlaf versenkt und nach hundert Jahren durch den Kuß eines reinen Jünglings aus demselben erweckt werden solle. Schon vierzehn schöne Jahre verrauschten und verrannen; Treu liebten ihren König die Fürsten und die Mannen. ES war die schöne Helene des Landes Sonnenschein; Geliebt am allermeisten war doch ihr Töchterlein.

Märchen.

97

Dornröschen war entfaltet in ihrer Gaben Fülle, In königlicher Größe, in frauenhafter Stille; Dornröschen ward allmählich vom Kinde nun ein Weib;

Es zierte keusche Schönheit den wonniglichen Leib. Der Glanz deS Königshofes erhielt fein schönstes Licht

Von ihrem sonnigen Wesen, von ihrem Angesicht; In jedem häuslichen Wirken sie leuchtete voran; Nur spann sie nicht; denn Spindeln, die durften dem Schlöffe nicht nahn. Da ist sie eine- Tages treppauf, treppab gesprungen Und hat geneckt, gejubelt, getanzt, gelacht und gesungen. Da ist sie endlich auch an einen Thurm gekommen,

Den sie noch nie gesehen, von dem sie nie vernommen.

Er stand im stillen Hofe, tief hinten eingebaut. Und hatte wohl lange Tage kein Menschenantlitz geschaut; Es ruhte ohne Regung ringS um ihn her die Lust,

Es spendeten Lindenblüten zauberisch berauschenden Dust. Die tief ergrauten Mauern umfloß der Abendschein; Dornröschen trat allmählich ins Erdgeschoß hinein,

Sie hörte fallende Tropfen, verborgener Waffer Lauf; Eine steinerne Wendeltreppe, die führte höher hinauf. Zuletzt kam eine Fallthür, und als sie die durchschritten. Befand sie sich in einer halbdunklen Kammer mitten;

Ringsum da hatten die Spinnen die düstren Wände bestrickt, Mit ihren Hieroglyphen die blinden Scheiben geschmückt.

In einem Fensterwinkel der Fallthür nebenan Saß eine aste Zwergin zu Boden gekauert und spann; Es zogen von der Spindel den Faden die dürren Finger. Sonst war hier alles öde in diesem engen Zwinger. „WaS ist daS für ein Spielzeug, du alte, graue Frau?" Das Weib sah lauernd aufwärts, wie waren die Augen so schlau! „Das ist eine Spindel, mein Goldkind, daS ist eine Spindel, mein Herz,

Das ist daS schönste Spielzeug der Mädchen allerwärts!" „Gieb mir einmal die Spindel!"

Schon hält sie sie in der Hand

Und starrt nun auf den Faden, den glatten, unverwandt. Geheimnisvolle Bilder durchrauschen ihre Brust, In tiefster Seele regen sich Leidenschaft und Lust.

Die ersten irdischen Sorgen und Schmerzenslaute tönen, Der Busen schwillt von heißem, von übermächt'gem Sehnen; Sie zieht die zarten Hände anS hochaufpochende Herz; Da fühlt sie an der Linken so leise stechenden Schmerz. Und gleich ist sie in tiefen und schweren Schlaf verfallen

Und mit ihr Herren und Frauen und Schloß und Wald und Hallen. ES schlafen die Lüfte und flüstern nicht mehr im Lindenbaum,

ES schlafen die Wogen im Strome und murmeln wie im Traum. Dielitz u. Heinrich-, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aust.

7

98

Epische Poesie.? Der Hofherr, der so eben zur Dame sich geneigt Mit wohlgestellten Worten, entschläft wie sie und schweigt; Der Page, der den Becher voll süßen WeineS gießt. Schenkt schlafend immer weiter, ob der auch überfließt. CS schlafen die Jägerburschen, daS Waldhorn nah' am Munde, Die Stoffe unter den Sätteln und in der Koppel die Hunde,

Die Tauben, wie sie sich schnäbeln, die Hähne im Gefecht, Den Fuß im Bügel der Ritter, die Hand am Zügel der Knecht.

Und eine Dornenhecke beginnt sich zu erheben, Thurmhoch und mauermächtig die Hofburg zu umgeben; Kein Blick kann sie durchdringen, kein Schwert kann sie durchhauen, Und aus den Zweigen athmet ein wundersames Grauen.

Held Reinhart, von seinem alten Pflegevater Arnold im Walde einsam erzogen, zieht hinaus in die Welt, besteht glücklich alle seine Abenteuer, kehrt in die Heimat zurück und erlöst Dornröschen. Da hält sein Roß am Strome an eines Berges Hang,

Die Wellen flüstern und murmeln mit wunderbarem Klang; Die Luft liegt ringsum schlummernd und regt kein Blatt am Baum, Kein Blatt: es ruht die Gegend in tiefem, tiefem Traum. Reinhart schaut auf zum Berge. Da glühn im Westlicht prächtig Gewalt'ge Dornenhecken, thurmhoch und mauermächtig; Und über die höchsten Wipfel, getaucht in Purpurduft, Erheben sich schlanke Thürme in blaue Juniluft.

„Dornröschen!" flüstert Reinhart. Wie drängt und treibt sein Sinn Bei diesem süßen Namen ihn zu den Thürmen hin. Zu jenem sonnigen Räthsel, daS ihm entgegenglüht. Entfaltet sich freud'geS Bertrauen erfrischend im Gemüth. Er springt vom Roß. Die Wellen beginnen sich leise zu regen. Die lauen Lüste schwellen ihm sanftbewegt entgegen. Der letzte Mißton schwindet aus freiem Geiste fort, Der reingestimmt empfindet, hier schlumm're ein heil'ger Hort. Er klimmt bergan. Den Hecken naht er sich ohne Graus; Doch keine Äste strecken sich mörd'risch nach ihm auS.

Nein! Hell und heiter steigen viel' hunderttausend Stofen Thauperlend auS den Zweigen, darin die Winde kosen.

Und wie sich Knospenhüllen vor warmen Frühlingsküffen Halb spröde, halb mit Willen aufblühend öffnen müssen,

So muß sich ohne Ringen die Dornwand ihm erschließen, So muß eS ihm gelingen, Dornröschens Schloß zu grüßen.

Frei geht er durch die Hecken. Im Hof herrscht überall Die tiefste Zauberstille; nur seiner Tritte Schall. Klingt von den Mauern wieder; und doch ist ringsumher

Der Hof gefüllt; kein Winkel, kein Platz ist lebensleer. Doch alles schläft: die Jäger, daS Waldhorn nah' am Munde, Die Rosse unter den Sätteln und in der Koppel die Hunde,

Märchen.

Die Tauben, wie sie sich schnäbeln, die Hahne im Gefecht,

Den Fuß im Bügel der Ritter, die Hand am Zügel der Knecht. Er tritt in die Burg, in lange und hohe Gallerien; ES hangen Ahnenbilder an düst'ren Wanden hin.

Hier grüßen ihn KönigShäupter, die güldne Kronen schmücken.

Dort Frauen, die süß und milde wie holde Blumen blicken.

Er schreitet durch die Säle. Strahlt funkelnd ihm entgegen.

Vergangener Tage Glanz In edler Damen Kranz

Schläft still die schöne Helene, von süßen Träumen trunken;

Der diamantene Fächer ist ihrer Hand entsunken. Der Hofherr, der sich schmeichelnd zum schönsten Fräulein neigt. Schläft nun seit hundert Jahren so tief wie sie und schweigt. Der Page, der den Becher voll süßen WeineS goß,

Schenkt weiter, ob auch längst schon der Goldkelch überfloß.

Nun öffnet er glänzende Pforten.

DaS ist der Rittersaal!

Da prangt und blitzt und funkelt Gestein und Gold und Stahl. In seiner Großen Mitte in hellem Glanz der Krone Schläft ruhig König Markulf auf seiner Väter Throne. Er tritt in die Kapelle; das Licht fällt farbig klar Durch hohe, bunte Fenster hell auf den Hochaltar. Er tritt in den innersten Schloßhof; da strebt ein Thurm empor. Es wächst aus seinen Zinnen ein Rosenbusch hervor. Die tiefergrauten Mauern umfließt der Abendschein; Reinhart tritt unwillkürlich ins Erdgeschoß hinein.

Da hört er fallende Tropfen, verborg'ner Waffer Lauf; Eine steinerne Wendeltreppe, die führt ihn höher hinauf.

Zuletzt kommt eine Fallthür, und als er die durchschritten,

Steht er in einer engen, halbdunklen Kammer mitten. Rings haben fleißige Spinnen die mächtigen Pfeiler umstrickt. Und das Gesims mit dichtem, uraltem Gewebe geschmückt.

Doch an der Fensternische in höchster Lieblichkeit,

Da schlummert auf den Fliesen die allersüßeste Maid. DaS Abendroth strömt duftig durchs schmale Fensterlein; Auf Stirn und Mund spielt lustig ein rosiger, gaukelnder Schein.

O Reinhart! Deiner Seele verborgenes Ideal, Jetzt ruht es himmlisch Helle vor dir im Sonnenstrahl! Dein Herz schlägt laut und innig wie in der Jugendzeit;

ES regt sich mild und minnig der Liebe Herrlichkeit! Doch ungesehn von Reinhart bricht funkelnder, purpurner Schein Hoch oben durch die Wölbung rubinenhell herein;

Da naht im Kranz der Schwestern die Feenkönigin Und wandelt durch die Stille deS Thurmgemaches hin. Sie alle breiten die Hände der Jungfrau grüßend entgegen; Sie singen: „Lebensspende bringt Reinhart, Lebenssegen!

SS

Episch« Poesie.

100

Nun siegen Acht und Liebe!"

Und leise verwehn sie in Luft;

Doch in deS Zwingers Trübe verbleibt ihr Glanz und Duft. Dornröschen schlummert nur leise.

ES hebt sich ReinhartS Brust,

Er naht dem Zauberkrcise; er wagt fast unbewußt Und doch mit tiefstem Entzücken, berauscht in Herzensgrund, Auf rosige Lippen zu drücken den eigenen, flammenden Mund.

Er küßt sie! und eS fächelt ihr Odem feine Wangen;

Er küßt sie! und sie lächelt in ahnendem Verlangen. I» ihre Brust strömt wounig erfrischten Blutes Lauf. Dornröschen!

Hell und sonnig schlägst du die Augen auf! AuS «Reinhart" von JähnS.

4. Die Lallade und Romanze. In der Ballade und Romanze ist der musikalische Charakter vorherrschend; in beiden ist das epische Element mit dem lyrischen gemischt. Der Stoff, in der Regel der

Sagenwelt entlehnt, kann ebensowohl wirklich, wie erfunden sein. Die Ballade, deren Name von dem Alt'Britischen gwaelawd (spr. walad) ab­ geleitet wird und eigentlich „Lied in der Volkssprache" bedeutet, stammt aus dem Norden. Sie liebt eS, wie die schottischen und skandinavischen Volkslieder, die Begebenheit als durch

übermenschliche Kraft bewirkt darzustellen. Auch führt sie die That in fast dramatischer Weise vor, wobei sie jedoch, minder Wesentliches übergehend, der Phantasie des Hörers große Freiheit läßt. Eigenthümlich ist ihr die oft vorhandene mysteriöse Behandlung, so daß von Anfang an auf einen mehr oder weniger düsteren, unheimlichen, tragischen Aus­ gang hingedeutet wird. Verschmäht sie diesen Charakter, so sucht sie unser Herz durch das

Großartige, Erhabene, Bedeutende der That zu ergreifen und zu erregen. Die Ballade verlangt eine für den Gesang geeignete Form und erscheint daher meist in einer einfachen Strophe, die aus gleichen Versen mit vorzugsweise jambischem oder jambisch-anapästischem Rhythmus besteht. Die Sprache der Ballade als einer Volks­ dichtung muß volksthümlicb, d. h. einfach und leicht verständlich sein; sie bedient sich aber auch der im Munde deS Volkes gebräuchlichen Mittel, wie Alliteration, Annomination und

Binnenreim. Die Romanze, eigentlich ein in romanischer Sprache abgefaßtes Volkslied, stammt aus dem Süden und unterscheidet sich von der Ballade nur durch ihren Ursprung. Daher sind auch diese beiden Namen von den meisten unserer Dichter als gleichbedeutend gebraucht

worden.

Aber gemäß dem sehr verschiedenen Charakter der nördlichen und südlichen Völker

ist der ganze Ton der nördlichen und südlichen Volkslieder ein sehr verschiedener, und dies

hat die Veranlassung gegeben zu der häufig gemachten Unterscheidung zwischen der Ballade und Romanze. Will man dieselbe aufrecht erhalten, so hat man zu verlangen, daß die Romanze deS romantischen Charakters nicht entbehre. Das Romantische aber, wie eS sich zuerst zur Zeit der Kreuzzüge und zwar vorzugsweise unter den romanischen Völkern ent­

wickelte, besteht in dem durch das Christenthum geläuterten Elemente der Liebe. In dieser Gestalt ist die Liebe dem Heidenthume, da es nur mit dem Allgemeinmenschlichen zu thun hatte, fremd und mußte ihm fremd sein, da von dieser Macht der Liebe nur bei den Nationen die Rede sein kann, bei denen die Liebe dadurch, daß das Weib neben den Mann

Ballade und Romanze.

101

erhoben und ihm gleichgestellt wird, da» ganze gesellige Leben bewegt und durchdringt. Da» Romantische fand seine eigenthümliche Ausprägung zunächst in dem Ritterthume deS Mittelalters, und wir Pflegen daher auch alles dasjenige romantisch zu nennen, was in

dem charakteristischen Geiste dieses Ritterthumes begründet ist oder an denselben lebhaft erinnert, falls eS einer späteren Zeit angehört.

Wie die Ballade, verlangt auch die Romanze eine für den Gesang paffende, einfache und gereimte Strophe aus gleichen Versen mit vorherrschend trvchäischem Rhythmus.

Die Sprache ist gewählter, kunstmäßiger. Die Vernachlässigung der deutschen Volksdichtung, welche fast bis gegen das Ende

des vorigen Jahrhunderts reichte, trägt die Schuld, daß uns so manche alte, herrliche Ballade verloren gegangen ist. Herder erst erweckte durch seine unübertrefflichen Be­

arbeitungen nordischer Balladen und spanischer Romanzen („der Cid") wieder daS Interesse für diese Dichtungsgattung, für welche Bürger durch seine „Lenore" unter den Deutschen die Bahn brach.

1.

Edward.

Dein Schwert, wie ist'S von Blut so roth?

Edward, Edward! Dein Schwert, wie ist'S von Blut so roth, Und gehst so traurig her? O! „O, ich hab' geschlagen meinen Geier todt,

Mutter, Mutter! O, ich hab' geschlagen meinen Geier todt, Und keinen hab' ich, wie er! O!" Dein'S GeierS Blut ist nicht so roth, Edward, Edward! Dein'S GeierS Blut ist nicht so roth; Mein Sohn bekenn' mir frei. O!

„O, ich hab' geschlagen mein Rothroß todt,

Mutter, Mutter! O, ich hab' geschlagen mein Rothroß todt; Und'S war so stolz und treu. O! " Dein Roß war alt und hast'S nicht noth,

Edward, Edward! Dein Roß war alt und Hast'S nicht noth; Dich drückt ein andrer Schmerz. O! „O, ich hab' geschlagen meinen Vater todt,

Mutter, Mutter! O, ich hab' geschlagen meinen Vater todt, Und weh, weh ist mein Herz.

O!"

Und was für Buße willst du nun thun, Edward, Edward? Und waS für Buße willst du nun thun?

Mein Sohn bekenn' mir mehr. O! „Auf Erden soll mein Fuß nicht ruhn,

Mutter, Mutter! Auf Erden soll mein Fuß nicht ruhn, Will gehn fern überS Meer. O!" Und was soll werden dein Hof und Hall, Edward, Edward?

Und was soll werden dein Hof und Hall, So herrlich sonst und schön? O! „Ich laß eS stehn, bis eS sink' und fall',

Mutter, Mutter! Ich laß eS stehn, bis eS sink' und fall'. Mag nie eS Wiedersehn. O!" Und waS soll werden dein Weib und Kind, Edward, Edward?

Und waS soll werden dein Weib und Kind, Wenn du gehst LberS Meer? O! „Die Welt ist groß, laß sie betteln drin,

Mutter, Mutter! Die Welt ist groß, laß sie bettel« drin.

Ich such' sie nimmermehr. O!" Und waS willst du laffen deiner Mutter

theu'r, Edward, Edward? Und waS willst du laffen deiner Mutter theu'r? Mein Sohn, das sage mir. O!

„Fluch will ich euch laffen und höllisch Feu'r, Mutter, Mutter! Fluch will ich euch laffen und höllisch Feu'r, Denn ihr, ihr riethet'S mir.

O!" Herder.

102

Episch« Poesie.

2. Lenore fuhr umS Morgenroth Empor aus schweren Träumen. „Bist untreu, Wilhelm, oder todt? Wie lange willst du säumen?" Er war mit König Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrieben. Ob er gesund geblieben. Der König und die Kaiserin, DeS langen Haders müde, Erweichten ihre» harte» Sinn Und machten endlich Friede; Und jedes Heer mit Sing und Sang, Mit Paukenschlag und Kling und Klang, Geschmückt mit grünen Reisern, Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall, allüberall, Auf Wegen und auf Stegen Zog alt und jung dem Jubelschall Der Kommenden entgegen. „Gottlob!" rief Kind und Gattin laut, „Willkommen!" manche frohe Braut. Ach, aber für Lenoren War Gruß und Kuß verloren.

Sie frug den Zug wohl auf und ab Und frug nach allen Namen; Doch keiner war, der Kundschaft gab, Bon allen, so da kamen. Al« nun da« Heer vorüberwar, Zerraufte sie ihr Rabenhaar Und warf sich hin zur Erde Mit wüthiger Geberde.

* Die Mutter lief wohl hin zu ihr. „Ach, daß sich Gott erbarme! Du traute- Kind, was ist mit dir?" Und schloß sie in die Arme. „O Mutter, Mutter! Hin ist hin! Nun fahre Welt und alles hin! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen!"

„O Mutter, Mutter! Eitler Wahn! Gott hat an mir nicht wohlgethan! Was half, waS half mein Beten? Nun ist's nicht mehr vonnöthen." „Hilf, Gott, hilf! Wer den Vater kennt. Der weiß, er hilft den Kindern. DaS hochgelobte Sakrament Wird deinen Jammer lindern." „O Mutter, Mutter! Was mich brennt, DaS lindert mir kein Sakrament! Kein Sakrament mag Leben Den Todten wiedergeben."

„Hör', Kind! Wie, wenn der falsche Mann Im fernen Ungarlande Sich seines Glaubens abgethan Zum neuen Ehebande? Laß fahren, Kind, sein Herz dahin! Er hat eS nimmermehr Gewinn! Wann Seel' und Leib sich trennen, Wird ihn sein Meineid brennen."

„O Mutter, Mutter! Hin ist hin! Verloren ist verloren! Der Tod, der Tod ist mein Gewinn! O wär' ich nie geboren! Lisch auS, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen!" „Hilf, Gott, hilf! Geh' nicht ins Gericht Mit deinem armen Kinde! Sic weiß nicht, was die Zunge spricht, Behalt' ihr nicht die Sünde! Ach, Kind, vergiß dein irdisch Leid Und denk' an Gott und Seligkeit; So wird doch deiner Seelen Der Bräutigam nicht fehlen."

„O Mutter! WaS ist Seligkeit? O Mutter! WaS ist Hölle? Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit Und ohne Wilhelm Hölle! „Hilf, Gott, hilf! Sieh uns gnädig an! Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin in Nacht und GrauS! Kind, bet' ein Vaterunser! Was Gott thut, das ist wohlgethan. Ohn' ihn mag ich auf Erden, Gott, Gott erbarmt sich unser!" Mag dort nicht selig werden."

Ballade und Romanze.

103

So wüthete Verzweifelung Ihr in Gehirn und Adern; Sie fuhr mit Gottes Vorsehung

Ich bringe dich, zur Wette, Noch heut' inS Hochzeitbette."

Vermessen fort zu hadern, Zerschlug den Busen und zerrang

Wo? wie dein Hochzeitbettchen?" „Weit, weit von hier! Still, kühl und klein!

Die Hand bis Sonnenuntergang, Bis auf am Himmelsbogen

Sechs Bretter und zwei Brettchen!" „Hat's Raum für mich?" „Für dich und mich!

Die goldnen Sterne zogen.

Komm, schürze, spring' und schwinge dich!

„Sag' an, wo ist dein Kämmerlein?

Und außen, horch! ging's trapp trapp trapp. Die Hochzeitgäste hoffen. Die Kammer steht uns offen!" Als wie von Rosseshufen,

Und klirrend stieg ein Reiter ab An des Geländers Stufen;

Und horch und horch den Pfortenring, Ganz lose, leise, klinglingling!

Dann kamen durch die Pforte Vernehmlich diese Worte:

Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang Sich auf das Roß behende; Wohl um den trauten Reiter schlang

Sie ihre Lilienhände; Und hurre hurre, hopp hopp hopp, Ging's fort in sausendem Galopp,

„Holla, Holla! Thu' auf, mein Kind! Schläfst, Liebchen, oder wachst du? Wie bist noch gegen mich gesinnt?

Daß Roß und Reiter schnoben Und Kies und Funken stoben.

Und weinest oder lachst du?" „Ach, Wilhelm, du? So spät bei Nacht?

Vorbei vor ihren Blicken Wie flogen Anger, Haid' und Land,

Geweinet hab' ich und gewacht, Ach, großes Leid erlitten!

Wie donnerten die Brücken! „Graut Liebchen auch? Der Mond scheint hell;

Wo kommst du hergeritten?"

Hurrah, die Todten reiten schnell! Graut Liebchen auch vor Todten?" „Ach nein! Doch laß die Todten!"

„Wir satteln nur um Mitternacht; Weit ritt ich her von Böhmen. Ich habe spät mich aufgemacht Und will dich mit mir nehmen." „Ach Wilhelm, erst herein geschwind!

Den Hagedorn durchsaust der Wind, Herein, in meinen Armen,

Herzliebster, zu erwärmen!" „Laß sausen durch den Hagedorn, Laß sausen, Kind, laß sausen! Der Rappe scharrt; es klirrt der Sporn; Ich darf allhier nicht Hausen. Komm, schürze, spring' und schwinge dich Auf meinen Rappen hinter mich! Muß heut' noch hundert Meilen

Mit dir ins Brautbett eilen."

„Ach! Wolltest hundert Meilen noch

Mich heut' inS Braulbett tragen? Und horch! es brummt die Glocke noch,

Zur rechten und zur linken Hand,

Was klang dort für Gesang und Klang? Was flatterten die Raben? Horch Glockenklang! Horch Todtensang! Laßt uns den Leib begraben! Und näher zog ein Leichenzug, Der Sarg und Todtenbahre trug. Das Lied war zu vergleichen Dem Unkenruf in Teichen.

„Nach Mitternacht begrabt den Leib

Mit Klang und Sang und Klage! Jetzt führ' ich heim mein junge- Weib;

Mit, mit zum Brautgelage! Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor

Und gurgle mir da- Brautlied vor! Komm, Pfaff, und sprich den Segen, Eh' wir zu Bett' uns legen!"

Süll Klang und Sang; die Bahre schwand.

Gehorsam seinem Rufen, Die elf schon angeschlagen!" „Sieh hin, sieh her! Der Mond scheint hell, Kam's, hurre hurre! nachgerannt, Wir und die Todten reiten schnell. Hart hinter's Rappen Hufen.

Epische Poesie.

104 Und immer weiter, hopp hopp hopp,

Rapp, Rapp! Ich witt're Morgenluft;

Ging'S fort in sausendem Galopp,

Rapp, tummle dich von hinnen! Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!

Daß Roß und Reiter schnoben Und KieS und Funken stoben.

DaS Hochzeitbette thut sich auf! Die Todten reiten schnelle! Wir sind, wir sind zur Stelle."

Wie flogen rechts, wie flogen links

Gebirge, Bäum' und Hecken!

Wie flogen links und rechts und links Rasch auf ein eisern Gitterthor Die Dörfer, Stadt' und Flecken! Ging'S mit verhängtem Zügel; „Graut Liebchen auch? Der Mond scheint hell! Mit schwanker Gert' ein Schlag davor Hurrah! Die Todten reiten schnell! Zersprengte Schloß und Riegel. Graut Liebchen auch vor Todten?" Die Flügel flogen klirrend auf. „Ach! Laß sie ruhn, die Todten!"

Sieh da!

Und über Gräber ging der Lauf. ES blinkten Leichensteine Rundum im Mondenscheine.

Sieh da! Am Hochgericht

Tanzt um des RadeS Spindel, Halb sichtbarlich bei Mondenlicht,

Ha sieh! Ha sieh! Im Augenblick,

Ein luftiges Gesindel. „Sasa! Gesindel, hier! Komm hier!

Huhu, ein gräßlich Wunder! Des Reiters Koller, Stück für Stück, Fiel ab wie mürber Zunder.

Gesindel, komm und folge mir!

Tanz' uns den Hochzeitreigen,

Zum Schädel ohne Zopf und Schopf,

Wann wir zu Bette steigen!"

Zum nackten Schädel ward sein Kopf, Sein Körper zum Gerippe Mit Stundenglas und Hippe.

Und das Gesindel, husch husch husch, Kam hinten nachgepraffelt, Wie Wirbelwind am Haselbusch

Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp Und sprühte Feuerfunken; Und hui! war's unter ihr hinab

Durch dürre Blätter raffelt. Und weiter, weiter, hopp hopp hopp.

Ging's fort in sausendem Galopp, Daß Roß und Reiter schnoben Und KieS und Funken stoben. Wie flog, was rund der Mond beschien, Wie flog eS in die Ferne! Wie flogen oben über hin

Verschwunden und versunken. Geheul, Geheul aus hoher Luft, Gewinsel kam auS tiefer Gruft. LenorenS Herz mit Beben Rang zwischen Tod und Leben.

Nun tanzten wohl bei Mondenglanz Der Himmel und die Sterne! Rundum herum im Kreise „Graut Liebchen auch? DerMond scheint hell! Die Geister einen Kettentanz Hurrah! Die Todten reiten schnell! Und heulten diese Weise: Graut Liebchen auch vor Todten?" „Geduld, Geduld, wenn'S Herz auch bricht! „O weh! Laß ruhn die Todten!" Mit Gott im Himmel hadre nicht! Mich dünkt, der Hahn DeS Leibes bist du ledig, Gott sei der Seele gnädig!" schon ruft, Bald wird der Sand verrinnen. „Rapp, Rapp!

3. Der

Wild-

und

Rheingraf

Bürger.

Der wilde Jäger. stieß

Horn „Halloh, halloh, zu Fuß und Roß!"

Sein Hengst erhob sich wiehernd vorn,

ins Laut raffelnd stürzt' ihm nach der Troß;

Laut klifft' und klafft' es, frei vom Koppel, Durch Korn und Dorn, durch Haid' und Stoppel.

Ballade und Romanze. Bom Strahl der Sonnlagsfrühe war DeS hohen Domes Kuppel blank. Zum Hochamt rüste dumpf und klar Der Glocken ernster Feierklang. Fern tönten lieblich die Gesänge Der andachtsvollen Christenmenge. Risch, rasch quer übern Kreuzweg ging's Mit Horrido und Huffasa. Sieh da, sieh da! Kam rechts und links Ein Reiter hier, ein Reiter da. Des Rechten Roß war Silberblinken, Ein Feuerfarbner trug den Linken.

Wer waren Reiter links und rechts? Ich ahn' es wohl, doch weiß ich's nicht. Lichthehr erschien der Reiter rechts Mit mildem Frühlingsangesicht, Graß, dunkelgelb der linke RitterSchoß Blitz' vom Aug' wie Ungewitter.

„Willkommen hier zu rechter Frist, Willkommen zu der edlen Jagd! Auf Erden und int Himmel ist Kein Spiel, das lieblicher behagt." Er rief'S, schlug laut sich an die Hüfte Und schwang den Hut hoch in die Lüfte.

105

Stets ritten Reiter recht- und links Zu beiden Seiten nebenan. Auf sprang ein weißer Hirsch von ferne Mit sechzehnzackigem Gehörne. Und lauter stieß der Graf ins Horn, Und rascher flog's zu Fuß und Roß; Und sieh, bald hinten und bald vorn Stürzt einer todt dahin vom Troß. „Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen! Das darf nicht Fürstenlust verwürzen!" DaS Wild duckt sich ins Ährenfeld

Und hofft da sichern Aufenthalt. Sieh da! Ein armer Landmann stellt Sich dar in kläglicher Gestalt. „Erbarmen^ lieber Herr, Erbarmen! Verschont den sauern Schweiß des Armen!" Der rechte Ritter sprengt heran Und warnt den Grafen sanft und gut; Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmuth. Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen.

„Hinweg, du Hund!" schnaubt fürchterlich Der Graf den armen Pflüger an; „Schlecht stimmet deines Hornes Klang," „Sonst hetz' ich selbst, beim Teufel! dich; Sprach der zur Rechten sanften Muths, Hallo, Gesellen, drauf und dran! „Zu Feierglock' und Chorgesang. Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen, Kehr' um! Erjagst dir heut' nichts Gut's. Knallt ihm die Peitsche um die Ohren!" Laß dich den guten Engel warnen Gesagt, gethan. Der Wildgraf schwang Und nicht vom Bösen dich umgarnen!" Sich übern Hagen rasch voran „Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!" Und hinterher bei Knall und Klang Fiel rasch der linke Ritter ein. Der Troß mit Hund und Roß und Mann; „Was Glockenklang! WaS Chorgeplärr! Und Hund und Mann und Roß zerstampfte Die Jagdlust mag euch baß erfreun! Die Halmen, daß der Acker dampfte. Laßt mich, was fürstlich ist, euch lehren Vom nahen Lärm emporgescheucht, Und euch von jenem nicht bethören!" Feldein und -aus, bergab und -an „Ha, wohlgesprochen, linker Mann! Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht, Du bist ein Held nach meinem Sinn; Ereilt daS Wild des Angers Plan Wer nicht des Waidwerks pflegen kann. Und mischt sich, da verschont zu werden, Der scher' ans Paternoster hin! Schlau mitten zwischen zahme Herden. Mag's, frommer Narr, dich baß verdrießen, Doch hin und her durch Flur und Wald, So will ich meine Lust doch büßen!" Und her und hin durch Wald und Flur Und hurre hurre, vorwärts ging's Verfolgen und erwittern bald Feldein und -aus, bergab und -an; Die raschen Hunde seine Spur.

106

Epische Poesie.

Der Hirt, voll Angst für seine Herde, Wirst vor dem Grafen sich zur Erde. „Erbarmen, Herr, Erbarmen! Laßt Mein armes, stilles Vieh in Ruh'! Bedenket, lieber Herr, hier grast So mancher armen Wittwe Kuh. Ihr Eins und Alles spart der Armen! Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!"

Der rechte Ritter sprengt heran Und warnt den Grafen sanft und gut; Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmuth. Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen.

„Verweg'ner Hund, der du mir wehrst! Ha, daß du deiner besten Kuh Selbst um- und angewachsen wärst Und jede Bettel noch dazu! So sollt' eS baß mein Herz ergötzen. Euch stracks ins Himmelreich zu hetzen! Hallo, Gesellen, drauf und dran! Jo! Doho! Hufsasasasa!" Und jeder Hund fiel wüthend an, WaS er zunächst vor sich ersah. Bluttriefend sank der Hirt zur Erde, Bluttriefend, Stück für Stück die Herde.

Dem Mordgewühl entrafft sich kaum DaS Wild mit immer schwächrem Lauf. Mit Blut besprengt, bedeckt mit Schaum, Nimmt jetzt deS Waldes Nacht es auf. Tief birgt sich's in deS Waldes Mitte In eines Klausners Gotteshütte. Risch ohne Rast mit Peitschenknall, Mit Horrido und Hussasa Und Kliff und Klaff und Hörnerschall Berfolgt's der wilde Schwarm auch da. Entgegentritt mit sanfter Bitte Der fromme Klausner vor die Hütte.

„Laß ab, laß ab von dieser Spur! Entweihe GotteS Freistatt nicht! Zum Himmel ächzt die Kreatur Und heischt vork Gott dein Strafgericht. Zum letzten Male laß dich warnen, Sonst wird Verderben dich umgarnen!"

Der Rechte sprengt besorgt heran Und warnt den Grafen sanft und gut, Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmuth. Und wehe! Trotz des Rechten Warnen Läßt er vom Linken sich umgarnen. „Verderben hin, Verderben her! „DaS," ruft er, „macht mir wenig Graus! Und wenn'S im dritten Himmel wär', So acht' ich's keine Fledermaus! Mag's Gott und dich, du Narr, verdrießen, So will ich meine Lust doch büßen!"

Er schwingt die Peitsche, stößt ins Horn. „Hallo, Gesellen, drauf und dran!" Hui, schwinden Mann und Hütte vorn, Und hinten schwinden Roß und Mann; Und Knall und Schall und Jagdgebrülle Verschlingt auf einmal Todtenstille.

Erschrocken blickt der Graf umher; Er stößt ins Horn, es tönet nicht; Er ruft und hört sich selbst nicht mehr; Der Schwung der Peitsche sauset nicht; Er spornt sein Roß in beide Seiten Und kann nicht vor-, nicht rückwärtsreiten. Drauf wird es düster um ihn her Und immer düstrer wie ein Grab; Dumpf rauscht es wie ein fernes Meer. Hoch über seinem Haupt herab Ruft furchtbar mit Gewittergrimme Dies Urtheil eine Donnerstimme:

„Du Wüthrich teuflischer Natur, Frech gegen Gott und Mensch und Thier! Das Ack und Weh der Kreatur Und deine Miffethat an ihr Hat laut dich vor Gericht gefedert, Wo hoch der Rache Fackel lodert. Fleuch, Unhold, fleuch und werde jetzt Bon nun an bis in Ewigkeit Von Höll' und Teufel selbst gehetzt Zum Schreck der Fürsten jeder Zeit, Die, um verruchter Lust zu frohnen, Nicht Schöpfer, noch Geschöpf verschonen!"

Ein schwefelgelber Wetterschein Umzieht hierauf deS Waldes Laub.

Ballade und Romanze.

107

Angst rieselt ihm durch Mark und Bein;

Doch durch die ganze weite Welt

Ihm wird so schwül, so dumpf und taub;

Rauscht bellend ihm die Hölle nach Bei Tag tief durch der Erde Klüfte,

Entgegenweht ihm kaltes Grausen, Dem Nacken folgt Gewittersausen.

Um Mitternacht hoch durch die Lüste.

Das Grausen weht, das Wetter saust.

Im Nacken bleibt sein Antlitz stehn;

Und aus der Erd' empor, huhu! Fährt eine schwarze Riesenfaust;

So rasch die Flucht ihn vorwärts reißt,

Sie spannt sich auf, sie krallt sich zu, Hui, will sie ihn beim Wirbel packen, Hui, steht sein Angesicht im Nacken.

Laut angehetzt vom bösen Geist,

ES stimmt und flammt rund um ihn her Mit grüner, blauer, rother Glut;

Das ist des wilden Heeres Jagd, Die bis zum jüngsten Tage währt Und oft dem Wüstling noch bei Nacht

Er muß die Ungeheuer sehn.

Es wallt um ihn ein Feuermeer,

Darinnen wimmelt Höllenbrut. Jach fahren tausend Höllenhunde, Laut angehetzt, empor vom Schlunde. Er rafft sich auf durch Wald und Feld Und flieht, laut heulend Weh und Ach;

4.

Muß sehn das Knirschen und das Jappen Der Rachen, welche nach ihm schnappen.

Zu Schreck und GrauS vorüberfährt. DaS könnte, müßt' er sonst nicht schwei­ gen, Wohl manche- Jägers Mund bezeugen.

Bürger.

Der Schatzgräber.

Arni am Beutel, krank am Herzen, Schleppt' ich meine langen Tage. Armuth ist die größte Plage, Reichthum ist daö höchste Gut!

Und da galt kein Vorbereiten; Heller ward's mit einem Male Von dem Glanz der vollen Schale, Die ein schöner Knabe trug.

Und zu enden meine Schmerzen, Ging ich, einen Schatz zu graben. „Meine Seele sollst du haben!"

Holde Augen sah ich blinken Unter dichtem Blumenkränze;

Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis' um Kreise,

Stellte wunderbare Flammen, Kraut und Knochenwerk zusammen. Die Beschwörung war vollbracht. Und auf die gelernte Weise Grub ich nach dem alten Schatze Auf dem angezeigten Platze. Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten.

Und es kam gleich einem Sterne Hinten aus der fernsten Ferne, Eben als es zwölfe schlug.

In deS Trankes Himmelsglanze Trat er in den Kreis herein. Und er hieß mich freundlich trinken;

Und ich dacht': ES kann der Knabe Mit der schönen, lichten Gabe Wahrlich nicht der Böse sein. „Trinke Muth des reinen Lebens!

Dann verstehst du die Belehrung, Kommst mit ängstlicher Beschwörung Nicht zurück an diesen Ort. Grabe hier nicht mehr vergebens! Tages Arbeit, abends Gäste!

Saure Wochen, frohe Feste! Sei dein künftig Zauberwort." Goethe.

Epische Poesie.

108

5.

Der Fischer.

DaS Wasser rauscht', daS Wasser schwoll;

Labt sich die liebe Sonne nicht,

Ein Fischer saß daran,

Der Mond sich nicht im Meer?

Sah nach der Angel ruhevoll. Kühl bis anS Herz hinan. Und wie er sitzt, und wie er lauscht,

Kehrt wellenathmend ihr Gesicht Nicht doppelt schöner her?

Lockt dich der tiefe Himmel nicht,

Theilt sich die Flut empor;

DaS feuchtverklärte Blau?

AuS dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.

Lockt dich dein eigen Angesicht Nicht her in ew'gen Thau?"

„WaS lockst du meine Brut

DaS Wasser rauscht', daS Wasser schwoll. Netzt' ihm den nackten Fuß;

Mit Menschenwitz und Menschenlist Hinauf in TodeSglut? Ach, wüßtest du, wie'S Fischlein ist

Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm,

So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist.

Da war'S um ihn geschehn; Halb zog sie ihn, halb sank er hin

Und würdest erst gesund.

Und ward nicht mehr gesehn.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:

Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,

Äceth«.

6.

Der König in Thule. Er saß beim Königsmahle,

ES war ein König in Thule Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen goldnen Becher gab.

Die Ritter um ihn her, Auf hohem Vätersaale Dort auf dem Schloß am Meer.

ES ging ihm nichts darüber, Er leert' ihn jeden SchmauS; Die Augen gingen ihm über. So oft er trank daraus.

Trank letzte Lebensglut Und warf den heiligen Becher Hinunter in die Flut.

Dort stand der alte Zecher,

Und als er kam zu sterben, Zählt' er seine Stadt' im Reich, Gönnt' alles seinem Erben, Den Becher nicht zugleich.

7. Hat der alte Hexenmeister Sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben.

Seine Wort' und Werke Merkt' ich und den Brauch,

Und mit Geistesstärke Thu' ich Wunder auch. Walle, walle

Manche Strecke,

Er sah ihn stürzen, trinken

Und sinken tief ins Meer. Die Augen thaten ihm sinken; Trank nie einen Tropfen mehr. (Äoerhe.

Der Zauberlehrling. Daß zum Zwecke

Wasier fließe

Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen, Nimm die schlechten Lumpenhüllen; Bist schon lange Knecht gewesen;

Nun erfülle meinen Willen! Auf zwei Beinen stehe,

Oben sei ein Kopf,

Ballade und Nomanze. Eile nun und gehe

Ein verruchter Besen,

Mit dem Wasiertepf! Walle, walle

Der nicht hören will! Stock, der du gewesen, Steh' doch wieder still! Willst's am Ende

Manche Strecke, Daß zum Zwecke Wasier fließe

Gar nicht lassen?

Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße.

Will dich fassen, Will dich halten

Und daS alte Holz behende

Seht, er läuft zum Ufer nieder;

Mit dem scharfen Beile spalten.

Wahrlich! ist schon an dem Flusie, Und mit Blitzesschnelle wieder Ist er hier mit raschem Guffe.

Seht, da kommt er schleppend wieder! Wie ich mich nur auf dich werfe. Gleich, o Kobold! liegst du nieder. Krachend trifft die glatte Sckärfe.

Schon zum zweiten Male!

Wie das Becken schwillt! Wie sich jede Schale Voll mit Wasier füllt!

Wahrlich, brav getroffen! Seht, er ist entzwei!

Stehe, stehe! Denn wir haben Deiner Gaben

Und nun kann ich hoffen. Und ich athme frei!

Bollgemesien! Ach, ich merk' eS! Wehe, wehe! Hab' ich doch daS Wort vergessen! Ach! daS Wort, worauf am Ende

Wehe, Beide Stehn Schon

wehe! Theile in Eile als Knechte

Völlig fertig in die Höhe! Helft mir, ach, ihr hohen Mächte!

Er daS wird, was er gewesen. Ach, er läuft und bringt behende! Wärst du doch der alte Besen! Immer neue Güsse Bringt er schnell herein; Ach, und hundert Flüsse Stürzen auf mich ein!

Und sie laufen! Naß und nässer Wird's im Saal und auf den Stufen. Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister, hör' mich rufen! Ach, da kommt der Meister! Herr, die Noth ist groß! Die ich rief, die Geister,

Nein, nicht länger Kann ich's lassen,

Werd' ich nun nicht los.

Will ihn fassen! DaS ist Tücke!

Ach, nun wird mir immer bänger! Welche Miene! Welche Blicke! O du Ausgeburt der Hölle!

„In die Ecke, Besen! Besen,

Seid'S gewesen! Denn als Geister Ruft euch nur zu seinem Zwecke

Soll das ganze HauS ersaufen? Seh' ich über jede Schwelle

Erst hervor der alte Meister."

Goethe.

Doch schon Wasserströme laufen.

8. Freude war in Trojas Hallen, Eh' die hohe Feste fiel;

109

Ka s a n d r a.

Jubelhymnen hört man schallen

Alle Hände ruhen müde Von dem thränenvollen Streit, Weil der herrliche Pelide

In der Saiten goldneS Spiel.

PriamS schöne Tochter freit.

110 Und geschmückt mit Lorbeerreisern,

Festlich wallet Schaar auf Schaar Nach der Götter heil'gen Häusern, Zu des ThymbrierS Altar. Dumpf erbrausend durch die Gassen

Wälzt sich die bacchantische Lust,

Und in ihrem Schmerz verlassen War nur eine traurige Brust.

Epische Poesie. Das Verhängte muß geschehen, Das Gefürchtete muß nahn. Frommt's, den Schleier aufzuheben, Wo das nahe Schrecknis droht? Nur der Irrthum ist das Leben,

Und das Wissen ist der Tod. Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit, Mir vom Aug' den blut'gen Schein!

Ungesellig und allein,

Schrecklich ist eS, deiner Wahrheit Sterbliches Gefäß zu sein.

Wandelte Kassandra stille In Apollos Lorbeerhain. In des Waldes tiefste Gründe

Und den fröhlich dunklen Sinn; Nimmer sang ich freud'ge Lieder,

Freudlos in der Freuden Fülle,

Flüchtete die Seherin, Und sie warf die Priesterbinde

Zu der Erde zürnend hin. „Alles ist der Freude offen, Alle Herzen sind beglückt. Und die alten Eltern hoffen. Und die Schwester steht geschmückt. Ich allein muß einsam trauern, Denn mich flieht der süße Wahn, Und geflügelt diesen Mauern

Seh' ich das Verderben nahn.

Eine Fackel seh' ich glühen. Aber nicht in Hymens Hand; Nach den Wolken seh' ich's ziehen, Aber nicht wie Opferbrand. Feste seh' ich froh bereiten; Doch im ahnungsvollen Geist Hör' ich schon deS Gottes Schreiten, Der sie jammervoll zerreißt. Und sie schelten meine Klagen,

Und sie höhnen meinen Schmerz; Einsam in die Wüste tragen Muß ich mein gequälte- Herz,

Meine Blindheit gieb mir wieder

Seit ich deine Stimme bin. Zukunft hast du mir gegeben. Doch du nahmst den Augenblick, Nahmst der Stunde fröhlich Leben, Nimm dein falsch Geschenk zurück.

Nimmer mit dem Schmuck der Braut; Kränzt' ich mir das duft'ge Haar, Seit ich deinem Dienst mich weihte An dem traurigen Altar. Meine Jugend war nur Weinen,

Und ich kannte nur den Schmerz, Jede herbe Noth der Meinen Schlug an mein empfindend Herz.

Fröhlich seh' ich die Gespielen; Alles um mich lebt und liebt In der Jugend Lustgefühlen; Mir nur ist das Herz getrübt. Mir erscheint der Lenz vergebens. Der die Erde festlich schmückt; Wer erfreute sich deS Lebens, Der in seine Tiefen blickt!

Selig preis' ich Polyxenen In deS Herzens Irunk'nem Wahn;

Von den Gücklichen gemieden

Denn den Besten der Hellenen,

Und den Fröhlichen ein Spott! Schweres hast du mir beschieden, Pythischer, du arger Gott;

Hofft sie, bräutlich zu umfahn. Stolz ist ihre Brust gehoben,

Dein Orakel zu verkünden, Warum warfest du mich hin In die Stadt der ewig Blinden

Mit dem aufgeschlosfnen Sinn? Warum gabst du mir zu sehen, WaS ich doch nicht wenden kann?

Ihre Wonne faßt sie kaum; Nicht euch Himmlische dort oben Neidet sie in ihrem Traum. Und auch ich hab' ihn gesehen, Den daS Herz verlangend wählt; Seine schönen Blicke flehen. Von der Liebe Glut beseelt.

Ballade und Romanze. Gerne möcht' ich mit dem Gatten In die heim'sche Wohnung ziehn;

Doch eS tritt ein styg'scher Schatten Nächtlich zwischen mich und ihn.

Ihre bleichen Larven alle

111

Nicht zur Rechten, nicht zur Linken Kann ich vor dem Schrecknis fliehn; Nicht die Blicke darf ich wenden,

Mistend, schauend, unverwandt Muß ich mein Geschick vollenden, Fallen in dem fremden Land."

Sendet mir Proserpina; Wo ich wandre, wo ich walle,

Und noch hallen ihre Worte, Horch! da dringt verworrner Ton

Stehen mir die Geister da. In der Jugend frohe Spiele

Fernher auS des Tempels Pforte; Todt lag Thetis' großer Sohn! Eris schüttelt ihre Schlangen,

Drängen sie sich grausend ein. Ein entsetzliches Gewühle! Nimmer kann ich fröhlich sein.

Alle Götter fliehn davon.

Und den Mordstahl seh' ich blinken

Und des Mörders Auge glühn;

Und des Donners Wolken hangen Schwer herab auf Ilion. Schiller.

9.

Die Kraniche des Jbykus.

Zum Kampf der Wagen und Gesänge, Der auf KorinthuS' LandeSenge

Der Griechen Stämme froh vereint.

Zog Jbykus, der Götterfreund. Ihm schenkte des Gesanges Gabe, Der Lieder süßen Mund Apoll; So wandert' er am leichten Stabe Aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken Akrokorinth des Wandrers Blicken, Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein. Nichts regt sich um ihn her; nur Schwärme Von Kranichen begleiten ihn, Die fernhin nach des Südens Wärme In graulichtem Geschwader ziehn.

Zum Kampfe muß er sich bereiten,

Doch bald ermattet sinkt die Hand; Sie hat der Leier zarte Saiten, Doch nie des Bogens Kraft gespannt. Er ruft die Menschen an, die Götter, Sein Flehen dringt zu keinem Retter; Wie weit er auch die Stimme schickt.

Nichts Lebendes wird hier erblickt. „So muß ich hier verlassen sterben, Auf fremdem Boden, unbeweint,

Durch böser Buben Hand verderben, Wo auch kein Rächer mir erscheint!"

Und schwer getroffen sinkt er nieder. Da rauscht der Kraniche Gefieder;

Er hört, schon kann er nicht mehr sehn, Die nahen Stimmen furchtbar krähn. „Seid mir gegrüßt, befreund'te Schaaren, „Bon euch, ihr Kraniche dort oben.

Die mir zur See Begleiter waren! Zum guten Zeichen nehm' ich euch; Mein Loos, eS ist dem euren gleich.

Wenn keine andre Stimme spricht.

Sei meines Mordes Klag' erhoben!" Er ruft es, und sein Auge bricht.

Von fern her kommen wir gezogen

Der nackte Leichnam wird gefunden. Und flehen um ein wirthlich Dach; Und bald, obgleich entstellt von Wunden, Sei unS der Gastliche gewogen. Erkennt der Gastfreuud in Korinth Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!" Die Züge, die ihm theuer sind. Und munter fördert er die Schritte „Und muß ich so dich wiederfinden Und sieht sich in des Waldes Mitte:

Und hoffte, mit der Fichte Kranz

Da sperren auf gedrangem Steg Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.

DeS Sängers Schläfe zu umwinden,

Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

112

Epische Poesie.

Und jammernd hören's alle Gäste, Versammelt bei Poseidon- Feste, Ganz Griechenland ergreift der Schmerz,

Es steigt das Riesenmaß der Leiber Hoch über Menschliches hinaus.

Verloren hat ihn jedes Herz.

Sie schwingen in entfleischten Händen

Und stürmend drängt sich zum Prytanen Das Volk, es fordert seine Wuth,

Der Fackel düsterrothe Glut; In ihren Wangen fließt kein Blut.

Zu rächen des Erschlagnen Manen,

Und wo die Haare lieblich flattern,

Zu sühnen mit des Mörders Blut.

Um Menschenstirnen freundlich wehn. Da sieht man Schlangen hier und Nattern

Doch wo die Spur, die aus der Menge,

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,

Der Völker flutendem Gedränge,

Die giftgeschwoll'nen Bäuche blähn.

Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Thäler kenntlich macht? Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen? That's neidisch ein verborgner Feind?

Beginnen sie des Hymnus Weise, Der durch das Herz zerreißend dringt, Die Bande um den Sünder schlingt.

Nur Helios vermag's zu sagen, Der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte

Und schauerlich, gedreht im Kreise,

Besinnungraubend, herzbethörend

Schallt der Erinnyen Gesang, Er schallt, des Hörers Mark verzehrend,

Jetzt eben durch der Griechen Mitte,

Und duldet nicht der Leier Klang.

Und während ihn die Rache sucht, Genießt er seines Frevels Frucht.

„Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele! Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,

Auf ihres eignen Tempels Schwelle Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt Sich dreist in jene Menschenwelle,

Die dort sich zum Theater drängt. Denn Bank an Bank gcdränget sitzen, Es brechen fast der Bühne Stützen,

Herbeigeströmt von fern und nah. Der Griechen Bölter wartend da, Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen. Von Menschen wimmelnd wächst der Bau In weiter stets geschweiftem Bogen Hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen, Die gastlich hier zusammenkamen? Von Theseus' Stadt, von Aulis' Strand, Bon Phocis, vom Spartanerland, Von Asiens entlegner Küste,

Von allen Inseln kamen sie

Und horchen von dem Schaugerüste DeS Chores grauser Melodie,

Der, streng und ernst, nach alter Sitte Mit langsam abgemess'nem Schritte Hervortritt aus dem Hintergrund,

Umwandelnd des Theaters Rund. So schreiten keine ird'schen Weiber! Die zeugete kein sterblich Haus!

Er wandelt frei des Lebens Bahn.

Doch wehe, wehe, wer verstohlen DeS Mordes schwere That vollbracht! Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht. Und glaubt er, fliehend zu entspringen. Geflügelt sind wir da, die Schlingen Ihm werfend um den flücht'gen Fuß, Daß er zu Boden fallen muß. So jagen wir ihn ohn' Ermatten,

Versöhnen kann unS keine 9teu', Ihn fort und fort bis zu den Schatten Und geben ihn auch dort nicht frei." So singend,, tanzen sie den Reigen, Und Stille, wie des Todes Schweigen, Liegt überm ganzen Hause schwer, Als ob die Gottheit nahe wär'.

Und feierlich nach alter Sitte Umwandelnd des Theaters Rund, Mit langsam abgemess'nem Schritte Verschwinden sie im Hintergrund.

Und zwischen Trug und Wahrheit schnebet Noch zweifelnd jede Brust und bebet

Und huldiget der furchtbar'n Macht, Die richtend im Verborgnen wacht,

Ballade und Romanze. Die unerforschlich, unergründet Des Schicksals dunklen Knäuel flicht.

113

WaS ist's mit dem? was kann er meinen? WaS ist's mit diesem Kranichzug?"

Dem liefen Herzen sich verkündet.

Und immer lauter wird die Frage,

Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage Durch alle Herzen: „Gebet Acht,

Da hört man auf den höchsten Stufen Auf einmal eine Stimme rufen:

Das ist der Eumeniden Macht!

„Sieh da, sieh da, Timotheus,

Die Kraniche des JbykuS!" Und finster plötzlich wird der Himmel,

Der fromme Dichter wird gerochen, Der Mörder bietet selbst sich dar. Ergreift ihn, der daS Wort gesprochen,

Und über dem Theater hin

Und ihn, an den'S gerichtet war!"

Sieht man in schwärzlichem Gewimmel Ein Kranichheer vorüberziehn.

Doch dem war kaum daS Wort entfahren. Möcht' er'S im Busen gern bewahren.

„Des JbykuS!"

Der theure Name

Rührt jede Brust mit neuem Grame, Und wie im Meere Well' auf Well', So läuft's von Mund zu Munde schnell: „Des Jbykus? den wir beweinen? Den eine Mörderhand erschlug?

Umsonst! Der schreckenbleiche Mund Macht schnell die Schuldbewußten kund.

Man reißt und schleppt sie vor den Richter,

Die Szene wird zum Tribunal, Und eS gestehn die Bösewichter, Getroffen von der Rache Strahl. Schiller.

10.

Der Ring des Polykrates.

Er stand auf seines DacheS Zinnen, Er schaute mit vergnügten Sinnen Auf das beherrschte Samos hin. „Dies alles ist mir unterthänig," Begann er zu Ägyptens König,

„Gestehe, daß ich glücklich bin!"

„Du hast der Götter Gunst erfahren! Die vormals deinesgleichen waren, Sie zwingt jetzt deines Szepters Macht. Doch einer lebt noch, sie zu rächen; Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen, So lang deö Feindes Auge wacht." Und eh' der König noch geendet, Da stellt sich, von Milet gesendet, Ein Bote dem Tyrannen dar. ,Laß, Herr, des Opfers Düfte steigen, llnd mit des Lorbeers muntren Zweigen Lekränze dir dein festlich Haar!

Getroffen sank dein Feind vom Speere;

Nich sendet mit der frohen Märe Dein treuer Feldherr Polydor!" Ind nimmt ans einem schwarzen Becken, lkoch blutig, zu der beiden Schrecken Sin wohlbekanntes Haupt hervor. Tielitz u. Hein»ich?, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aufl.

Der König tritt zurück mit Grauen. „Doch warn' ich dich, dem Glück zu trauen!" Versetzt er mit besorgtem Blick. „Bedenk', auf ungetreuen Wellen (Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen!) Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück." Und eh' er noch daS Wort gesprochen. Hat ihn der Jubel unterbrochen, Der von der Rhede jauchzend schallt; Mit fremden Schätzen reich beladen, Kebrt zu den heimischen Gestaden Der Schiffe mastenreicher Wald.

Der königliche Gast erstaunet.

„Dein Glück ist heute gut gelaunet; Doch fürchte seinen Unbestand! Der Kreter waffenkund'ge Schaaren Bedräuen dich mit Kriegsgefahren; Schon nahe sind sie diesem Strand."

Und eh' ihm noch das Wort entfallen, Da sieht man'S von den Schiffen wallen. Und tausend Stimmen rufen: „Sieg! Bon Feindesnoth sind wir befreiet,

Die Kreter hat der Sturm zerstreuet; Vorbei, geendet ist der Krieg!"

Epische Poesie.

114

Das hört der Gastfreund mit Entsetzen. „Fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen; Doch," spricht er, „zittr' ich für dein Heil.

Mir grauet vor der Götter Neide; Des Lebens ungemischte Freude

Ward keinem Irdischen zutheil.

Und jener spricht, von Furcht beweget: „Von allem, was die Insel heget, Ist dieser Ring mein höchstes Gut. Ihn will ich den Erinnen weihen, Ob sie mein Glück mir dann verzeihen!" Und wirft das Kleinod in die Flut.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,

Auch mir ist alles wohlgeraten;

Bei allen meinen Herrscherthaten Begleitet mich des Himmels Huld.

Da tritt mit fröhlichem Gesichte

Doch hatt' ich einen theuren Erben; Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben; Dem Glück bezahlt' ich meine Schuld.

„Herr, diesen Fisch hab' ich gefangen, Wie keiner noch ins Netz gegangen;

Ein Fischer vor den Fürsten hin.

Drum willst du dich vor Leid bewahren,

Dir zum Geschenke bring' ich ihn."

Und als der Koch den Fisch zertheilet, Kommt er bestürzt herbeigeeilet

So flehe zu den Unsichtbaren, Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.

Und ruft mit hocherstauntem Blick:

Noch keinen sah ich fröhlich enden,

„Sieh, Herr! den Ring, den du getragen, Ihn fand ich in des Fisches Magen; O ohne Grenzen ist dein Glück!"

Auf den mit immer vollen Händen Die Götter ihre Gaben streun.

Und wenn's die Götter nicht gewähren, So acht' auf eines Freundes Lehren Und rufe selbst das Unglück her.

Und waS von allen deinen Schätzen Dein Herz am höchsten mag ergötzen, Das nimm und wirf's in dieses Meer!"

11.

Hier wendet sich der Gast mit Grausen.

„So kann ich hier nicht ferner hausen, Mein Freund kannst du nicht weiter sein. Die Götter wollen dein Verderben; Fort eil' ich, nicht mit dir zu sterben!" Und sprach's und schiffte schnell sich ein. Sckiller.

Ritter Toggenburg.

„Ritter, treue Schwesterliebe Widmet euch dies Herz; Fordert keine andre Liebe, Denn es macht mir Schmerz.

Ruhig mag ich euch erscheinen, Ruhig gehen sehn; Eurer Augen stilles Weinen Kann ich nicht verstehn." Und er hört's mit stummem Harme,

Ihres Helmes Büsche wehen In der Feinde Schwarm. Und des ToggenburgerS Name Schreckt den Muselmann; Doch das Herz von seinem Grame Nicht genesen kann. Und ein Jahr hat er'S getragen, Trägt's nicht länger mehr; Ruhe kann er nicht erjagen

Reißt sich blutend los. Preßt sie heftig in die Arme,

Und verläßt das Heer.

Schwingt sich auf sein Roß,

Das die Segel bläht,

Schickt zu seinen Mannen allen

Sieht ein Schiff an JoppeS Strande,

Schiffet heim zum theuren Lande,

In dem Lande Schweiz;

Wo ihr Athem weht.

Nach dem heil'gen Grab sie wallen,

Und an ihres Schloßes Pforte Klopft der Pilger an,

Auf der Brust das Kreuz.

Große Thaten dort geschehen Durch der Helden Arm;

Ach! und mit dem Donnerworte Wird sie aufgethan:

Ballade und Romanze. „Die ihr suchet, trägt den Schleier, Ist des Himmels Braut.

Gestern war des Tage- Feier, Der sie Gott getraut!"

Da verläffet er auf immer

Nach dem Fenster feftier Lieben,

Bis da- Fenster klang,

Bis die Liebliche sich zeigte, Bis das theure Bild Sich ins Thal herunterneigte,

Seiner Bäter Schloß;

Ruhig, engelmild.

Seine Waffen sieht er nimmer, Noch sein treues Roß.

Schlief getröstet ein,

Bon der Toggenburg hernieder

115

Und dann legt' er froh sich nieder, Still sich freuend, wenn eS wieder

Steigt er unbekannt. Denn es deckt die edlen Glieder

Morgen würde fein.

Härenes Gewand.

Saß viel' Jahre lang, Harrend ohne Schmerz und Klage, Bis daS Fenster Üang,

Und er baut sich eine Hütte Jener Gegend nah, Wo das Kloster aus der Mitte

Und so saß er viele Tage,

Bis die Liebliche sich zeigte,

Düstrer Linden sah.

Bis das theure Bild

Harrend von des Morgens Lichte Bis zu Abends Schein, Stille Hoffnung im Gesichte,

Sich ins Thal herunterneigte.

Saß er da allein.

Blickte nach dem Kloster drüben,

Ruhig, engelmild.

Und so saß er, eine Leiche, Eines Morgens da; Nach dem Fenster noch das bleiche,

Stille Antlitz sah.

Blickte stundenlang

Schiller.

12.

Der Gang nach dem Eisenhammer.

Ein frommer Knecht war Fridolin Und in der Furcht des Herrn Ergeben der Gebieterin, Der Gräfin von Savern. Sie war so sanft, sie war so gut; Doch auch der Lannen Übermuth

Ihr klare- Auge mit Vergnügen Hing an den Wohlgestalten Zügen.

Hätt' er geeifert zu erfüllen Mit Freudigkeit um GotteS willen.

Dem längst von böser Schadenlust

Sie hielt ihn nicht als ihren Knecht, Es gab sein Herz ihm Kindesrecht;

Darob entbrennt in Roberts Brust, DeS Jägers, gift'ger Groll, Die schwarze Seele schwoll; Und trat zum Grafen, rasch zur That

Früh von des Tages erstem Schein, Bis spät die Vesper schlug, Lebt' er nur ihrem Dienst allein,

Und offen deS Verführers Rath, Als einst vom Jagen heim sie kamen.

That nimmer sich genug.

Streut' ihm ins Herz des Argwohns Samen.

Und sprach die Dame: „Mach' dir's leicht! Da würd' ihm gleich das Auge feucht.

Hub er voll Arglist an,

Und meinte, seiner Pflicht zu fehlen, Durft' er sich nicht im Dienste quälen.

Drum vor dem ganzen Dienertroß

Die Gräfin ihn erhob;

Aus ihrem schönen Munde stoß Sein unerschöpftes Lob.

„Wie seid ihr glücklich, edler Graf,"

„Euch raubet nicht den goldnen Schlaf Des Zweifels gift'ger Zahn; Denn ihr besitzt ein edleS Weib, Es gürtet Scham den keuschen Leib;

Die fromme Treue zu berücken, Wird nimmer dem Versucher glücken." 8*

Epische Poesie.

116

Da rollt der Graf die finstern Brau'n.

„WaS red'st du mir. Gesell?

Werd' ich auf Beweglich wie Leicht locket sie Mein Glaube

Weibeslugend bau'n, die Well'? des Schmeichlers Mund; steht auf festerm Grund;

Vom Weib des Grafen von Saverne Bleibt, hoff' ich, der Versucher ferne." Der andre spricht: „So denkt ihr recht. Nur euren Spott verdient

Der Thor, der, ein geborner Knecht,

Ein solches sich erkühnt Und zu der Frau, die ihm gebeut,

Der Funke sprüht, die Bälge blasen.

Als gält' es, Felsen zu verglasen. Des Wassers und des Feuers Kraft Verbündet sieht man hier;

Das Mühlrad, von der Flut gerafft, Umwälzt sich für und für; Die Werke klappern Nacht und Tag,

Im Takte pocht der Hämmer Schlag, Und bildsam von den mächt'gen Streichen Muß selbst das Eisen sich erweichen. Und zweien Knechten winket er, Bedeutet sie und sagt:

„Was?" fällt ihm jener ein und bebet,

„Den ersten, den ich sende her, Und der euch also fragt: Habt ihr befolgt deS Herren Wort?

„Red'st du von einem, der da lebet?"

Den werft mir in die Hölle dort.

Erhebt der Wünsche Lüsternheit."

„Ja doch, was aller Mund erfüllt,

Das barg' sich meinem Herrn? Doch, weil ihr's denn mit Fleiß verhüllt, So unterdrück' ich's gern." „Du bist des Tode-, Bube, sprich!"

Ruft jener streng und fürchterlich. „Wer hebt das Aug' zu Kunigonden?" „Nun ja, ich spreche von dem Blonden. Er ist nickt häßlich von Gestalt,"

Fährt er mit Arglist fort, Jndem's den Grafen heiß und kalt Durchrieselt bei dem Wort. „Jst'S möglich, Herr? Ihr saht es nie,

Wie er nur Augen hat für sie? Bei Tafel euer selbst nicht achtet, An ihren Stuhl gefesselt, schmachtet! Seht da die Verse, die er schrieb

Und seine Glut gesteht" — „Gesteht?" „Und sie um Gegenlieb', Der freche Bube, fleht. Die gnäd'ge Gräfin, sanft und weick,

AuS Mitleid wohl verbarg sie'S euch;

Mich reuet jetzt, daß mir's entfahren; Denn, Herr, waS habt ihr zu befahren?" Da ritt in feines Zornes Wuth

Der Graf inS nahe Holz, Wo ihm in hoher Öfen Glut Die Eisenstufe schmolz.

Daß er zu Asche gleich vergehe Und ihn mein Aug' nicht weiter sehe!" Deß freut sich das entmenschte Paar Mit roher Henkerslust; Denn fühlloS wie das Eisen war DaS Herz in ihrer Brust.

Und frischer mit der Bälge Hauch Erhitzen sie des OfenS Bauch Und sckicken sich mit Mordverlangen, DaS Todesopfer zu empfangen.

Drauf Robert zum Gesellen spricht Mit falschem Heuchelschein: „Frisch auf, Gesell, und säume nicht, Der Herr begehret dein." Der Herr, der spricht zu Fridolin: „Mußt gleich zum Eisenhammer hin,

Und frage mir die Knechte dorten, Ob sie gethan nach meinen Worten?"

Und jener spricht: „Es soll geschehn!" Und macht sich flugs bereit. Doch sinnend bleibt er plötzlich stehn. „Ob sie mir nichts gebeut?" Und vor die Gräfin stellt er sich.

„Hinaus zum Hammer schickt man mih; So sag', waS kann ich dir verrichten? Denn dir gehören meine Pflichten."

Darauf die Dame von Savern

Versetzt mit sanftem Ton:

Hier nährten früh und spat den Brand

„Die heil'ge Messe hört' ich gern,

Die Knechte mit geschäft'ger Hand;

Doch liegt mir krank der Sohn;

Ballade und Romanze. So gehe denn, mein Sohn, und sprich

WaS Brauch ist in dem Gotteshaus,

In Andacht ein Gebet für mich,

Er hat es alles hm*

Und denkst du reuig deiner Sünden, So laß auch mich die Gnade finden."

Und wird nicht müde bis zum Schluß, Bis beim BobiScum Dominus

Und froh der vielwillkommnen Pflicht, Macht er im Flug sich auf,

Der Priester zur Gemein' sich wendet. Die heil'ge Handlung segnend endet.

Hat noch deS Dorfes Ende nicht Erreicht im schnellen Lauf,

Da stellt er jedes wiederum In Ordnung säuberlich;

Da tönt ihm von dem Glockenstrang

Erst reinigt er das Heiligthum, Und dann entfernt er sich

Hellschlagend deS Geläutes Klang, DaS alle Sünder hochbegnadet Zum Sakramente festlich ladet. „Dem lieben Gotte weich' nicht aus, Find'st du ihn auf dem Weg!" Er spricht's und tritt inS Gotteshaus; Kein Laut ist hier noch reg'!

Und eilt in deS Gewissens Ruh' Den Eisenhütten heiter zu, Spricht unterwegs, die Zahl zu füllen, Zwölf Paternoster noch im Stillen.

Und als er rauchen sieht den Schlot

Und sieht die Knechte stehn,

Denn um die Ernte war's, und heiß

Da ruft er: „WaS der Graf gebot,

Im Felde glüht' der Schnitter Fleiß. Kein Chorgehülfe war erschienen,

Ihr Knechte, ist's gescheh'«?"

Die Messe kundig zu bedienen.

Und grinsend zerren sie den Mund Und deuten in deS OfenS Schlund.

Entschlossen ist er alsobald Und macht den Sakristan; „DaS," spricht er, „ist kein Aufenthalt,

„Der ist besorgt und aufgehoben, Der Graf wird seine Diener loben."

WaS fördert himmelan." Die Stola und das Cingulum Hängt er dem Priester dienend um,

In schnellem Lauf zurück. Als der ihn kommen sieht von fern, Kaum traut er seinem Blick.

Bereitet hurtig die Gefäße, Geheiliget zum Dienst der Messe.

„Unglücklicher, wo kommst du her?" „Vom Eisenhammer." „Nimmermehr!

Und als er dies mit Fleiß gethan, Tritt er als Ministrant Dem Priester zum Altar voran, DaS Meßbuch in der Hand, Und knieet rechts und knieet links Und ist gewärtig jedes Winks;

So hast du dich im Lauf verspätet?"

Und als des Sanktus Worte kamen, Da schellt er dreimal bei dem Namen.

Drauf als der Priester fromm sich neigt Und, zum Altar gewandt. Den Gott, den gegenwärt'gen, zeigt

In hocherhobner Hand, Da kündet eS der Sakristan Mit Hellem Glöcklein klingend an.

Die Antwort bringt er seinem Herrn

„Herr, nur so lang, bis ich gebetet.

Denn als von eurem Angesicht Ich heute ging, verzeiht! Da fragt' ich erst nach meiner Pflicht Bei der, die mir gebeut. Die Messe, Herr, befahl sie mir Zu hören; gern gehorcht' ich ihr Und sprach der Rosenkränze viere Für euer Heil und für das ihre."

In tiefes Staunen sinket hier Der Graf, entsetzet sich. „Und welche Antwort wurde dir Am Eisenhammer? sprich!"

Und alles kniet und schlägt die Brüste,

„Herr, dunkel war der Rede Sinn,

Sich fromm bekreuzend vor dem Christe.

Zum Ofen wies man lachend hm; Der ist besorgt und aufgehoben. Der Graf wird seine Diener loben."

So übt er jedes pünktlich auö Mit schnellgewandtem Sinn;

117

Epische Poesie.

118

„Und Robert?" fällt der Graf ihm ein.

Es überläuft ihn kalt, „Sollt' er dir nicht begegnet sein? Ich sandt' ihn doch zum Wald."

Und gütig, wie er nie gepflegt, Nimmt er des Dieners Hand,

Bringt ihn der Gattin tiefbewegt,

„Herr, nicht im Wald, nicht in der Nur

Die nichts davon verstand. „Dies Kind, kein Engel ist so rein,

Fand ich von Robert eine Spur." „Nun," ruft der Graf und steht vernichtet,

Laßt's eurer Huld empfohlen sein!

„Gott selbst im Himmel hat gerichtet!"

Mit dem ist Gott und seine Schaaren." Schiller.

13.

Wie schlimm wir auch berathen waren,

Der Taucher.

„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp', Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,

Zu tauchen in diesen Schlund? Einen goldnen Becher werf' ich hinab;

Und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt

Und will sich nimmer erschöpfen und leeren, Verschlungen schon hat ihn der schwarzeMund. Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Wer mir den Becher kann wiederzeigen.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,

Er mag ihn behalten, er ist sein Eigen."

Und schwarz aus dem weißen Schaum Der König spricht es und wirft von der Höh' Klafft hinunter ein gähnender Spalt Grundlos, als ging's in Den Höllenraum, Der Klippe, die schroff und steil Hinaushängt in die unendliche See, Und reißend sieht man die brandenden Wogen Den Becher in der Charybde Geheul. Hinab in den strudelnden Trichter gezogen. „Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,

Zu tauchen in diese Tiefe nieder?" Und die Ritter, die Knappen um ihn her Vernehmen's nnd schweigen still, Sehen hinab in das wilde Meer,

Jetzt schnell, eh' die Brandung wiederkehrt, Der Jüngling sich Gott befiehlt,

Und — ein Schrei des Entsetzens wird rings

gebärt, Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült

Und keiner den Becher gewinnen will.

Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwim­ Und der König zum dritten Mal wieder fraget: mer „Ist keiner, der sich hinunter waget?" Schließt sich der Rachen, er zeigt sich nimmer. Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor,

Und ein Edelknecht, sanft und keck,

Und stille wird's über dem Wasserschlund,

In der Tiefe nur brauset es hohl,

Tritt aus der Knappen zagendem Chor,

Und bebend hört man von Mund zu Mund: Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg, „Hochherziger Jüngling, fahre wohl!" Und alle die Männer umher und Frauen Und hohler und hohler hört man's heulen, Auf den herrlichen Jüngling verwundert Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem schauen.

Und wie er tritt an des Felsens Hang Und blickt in den Schlund hinab,

Weilen. Und wärfst die Krone du selber hinein Und sprächst: Wer mir bringet die Kron',

Die Wasser, die sie hinunterschlang,

Er soll sie tragen und König sein!

Die Charybde jetzt brüllend wiedergab.

Mich gelüstete nicht nach dem theuren Lohn. Was die heulende Tiefe da unten verhehle,

Und wie mit des fernen Donners Getose

Entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße. Das erzählt keine lebende, glückliche Seele.

Und es wallet und siedet und brauset und Zischt, Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt;

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel ge­ faßt, Schoß jäh in die Tiefe hinab;

Ballade und Romanze. Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und

119

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief

In der höchsten, schrecklichen Noth, Mast Hervor aus dem alles verschlingenden Grab. Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff, Und heller und heller wie Sturmes Sausen Das erfaßt' ich behend und entrann dem Tod, Hört man's näher und immer näher brausen. Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen, Und es wallet und siedet und brauset und Sonst wär' er ins Bodenlose gefallen. Denn unter mir lag's noch bergetief Zischt,

In purpurner Finsternis da, Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, Und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief, Und Well' auf Well' sich ohn' Ende drängt, Das Auge mit Schaudern hinuntersah,

Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt;

Und wie mit des fernen Donners Getose Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Wie's von Salamandern und Molchen und

Drachen

Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß, Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen. Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch, Da hebet sich's schwanenweiß. Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird Zu scheußlichen Klumpen geballt. Der stachlichte Roche, der Klippenfisch, bloß,

Und es rudert mitKraft und mit emsigem Fleiß. Des Hammers gräuliche Uugestalt, Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne Und er ist's, und hoch in seiner Linken Schwingt er den Becher mit freudigem Winken Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne. Und athmete lang und athmete tief Und begrüßte das himmlische Licht.

Und da hing ich und war's mir mit Grausen

bewußt, Von der menschlichen Hülfe so weit. Mit Frohlocken es einer dem andern rief: „Er lebt! er ist da! es behielt ihn nicht! Unter Larven die einzige fühlende Brust, Aus dem Grab, au8 der strudelnden Wafser- Allein in der gräßlichen Einsamkeit, höhle Tief unter dem Schall der menschlichen Rede Hat der Brave gerettet die lebende Seele." Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und er kommt, eS umringt ihn die jubelnde

Und schaudernd dacht' ich's, da kroch's heran,

Schaar, Zu des Königs Füßen er sinkt, Den Becher reicht er ihm knieend dar, Und der König der lieblichen Tochter winkt; Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum

Regte hundert Gelenke zugleich, Will schnappen nach mir; in des Schreckens

Wahn Laß ich los der Koralle umklammerten Zweig;

Gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Rande; Toben, Und der Jüngling sich also zum König wandte: Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach „Lang lebe der König! Es freue sich, Wer da athmet im rosigen Licht! Da unten aber ist's fürchterlich,

oben." Der König darob sich verwundert schier Und spricht: „Der Becher ist dein,

Und der Mensch versuche die Götter nicht

Und diesen Ring noch bestimm' ich dir. Und begehre nimmer und nimmer zu schauen, Geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein, Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen. Versuchst du's noch einmal und bringst mir Es riß mich hinunter blitzesschnell: Da stürzt mir auS felsigem Schacht

Wildflutend entgegen ein reißender Quell;

Mich packte des Doppelstroms wüthende Macht, Und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen

Kunde, Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem

Grunde."

DaS hörte die Tochter mit weichem Ge­

fühl, Trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehen. Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:

Epische Poesie.

120

„Laß, Vater, genug sein daS grausame Spiel!

Da ergreift's ihm die Seele mit Himmels­

Er hat euch bestanden, waS keiner besteht; gewalt, Und könnt ihr deS Herzens Gelüste nicht zäh­ Und es blitzt aus den Augen ihm kühn; Und er siehet erröthen die schöne Gestalt, men. So mögen die Ritter den Knappen beschä­ Und er sieht sie erbleichen und sinken hin;

men." Drauf der König greift nach dem Becher

schnell, In den Strudel ihn schleudert hinein. „Und schaffst du den Becher mir wieder zur

Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu er­ werben, Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt

sie zurück, Sie verkündigt der donnernde Schall; Stell', So sollst du der trefflichste Ritter mir sein, Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick, Und sollst sie als Eh'gemahl heut noch um­ Es kommen, es kommen die Waffer all',

Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder, armen, Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen." Den Jüngling bringt keines wieder. Schiller.

14.

Der Kampf mit dem Drachen.

Was rennt daS Volk? WaS wälzt sich dort Und jener nimmt daS Wort und spricht:

Die langen Gaffen brausend fort? Stürzt RhoduS unter Feuersflammen? ES rottet sich im Sturm zusammen, Und einen Ritter, hoch zu Roß, Gewahr' ich aus dem Menschentroß; Und hinter ihm, welch Abenteuer! Bringt man geschleppt ein Ungeheuer; Ein Drache scheint eS von Gestalt Mit weitem Krokodilesrachen; Und alles blickt verwundert bald Den Ritter an und bald den Drachen.

„Ich hab' erfüllt die Ritterpflicht. Der Drache, der das Land verödet,

Und nach dem Kloster geht der Zug, Wo Sankt Johanns des Täufers Orden, Die Ritter deS Spitals, im Flug

„Und diese Pflicht, mein Sohn," versetzt Der Meister, „hast du frech verletzt; Den Kampf, den das Gesetz versaget,

Zu Rathe sind versammelt worden.

Hast du mit frevlem Muth gewaget! " „Herr, richte, wenn du alles weißt!"

Er liegt von meiner Hand getödtet. Frei ist dem Wanderer der Weg, Der Hirte treibe ins Gefilde, Froh walle auf dem Felsensteg Der Pilger zu dem Gnadenbilde."

Doch strenge blickt der Fürst ihn an Und spricht: „Du hast als Held gethan; Der Muth ist's, der den Ritter ehret, Du hast den kühnen Geist bewähret. Und tausend Stimmen werden laut. Doch sprich! was ist die erste Pflicht „DaS ist der Lindwurm, kommt und schaut, DeS Ritters, der für Christum ficht, Der Hirt und Herden uns verschlungen! Sich schmücket mit des Kreuzes Zeichen?" DaS ist der Held, der ihn bezwungen! Und alle rings umher erbleichen. Viel' andre zogen vor ihm aus, Doch er mit edlem Anstand spricht, Zu wagen den gewalt'gen Strauß, Indem er sich erröthend neiget: Doch keinen sah man wiederkehren; „Gehorsam ist die erste Pflicht, Den kühnen Ritter soll man ehren!" Die ihn des Schmuckes würdig zeiget."

Und vor den edlen Meister tritt Der Jüngling mit bescheid'nem Schritt; Nach drängt das Volk mit wildem Rufen,

Erfüllend des Geländers Stufen.

Spricht jener mit gesetztem Geist;

„Denn des Gesetzes Sinn und Willen

Vermeint' ich treulich zu erfüllen.

Ballade und Romanze. Getreu den wohlbemertten Zügen,

Nicht unbedachtsam zog ich hin, Das Ungeheuer zu bekriegen; Durch List und kluggewandten Sinn

Ein Drachenbild zusammenfügen. Auf kurzen Füßen wird die Last

Versucht' ich's in dem Kampf zu siegen.

De- langen Leibes aufgethürmet;

Fünf unsers Orden- waren schon. Die Zierden der Religion,

Des kühnen Muthe- Opfer worden: Da wehrtest du den Kampf dem Orden. Doch an dem Herzen nagten mir Der Unmuth und die Streitbegier! Ja, selbst im Traum der stillen Nächte

Fand ich mich keuchend im Gefechte.

Und wenn der Morgen dämmernd kam Und Kunde gab von neuen Plagen, Da faßte mich ein wilder Gram,

Und ich beschloß, es frisch zu wagen.

121

Ein schuppicht Panzerhemd umfaßt Den Rücken, den eS furchtbar schirmet.

Lang strecket sich der HalS hervor. Und gräßlich wie ein Höllenthor, Als schnappt' eS gierig nach der Beute,

Eröffnet sich deS Rachens Weite.

Und aus dem schwarzen Schlunde dräun Der Zähne stachelichte Reihn; Die Zunge gleicht des Schwerte- Spitze, Die kleinen Augen sprühen Blitze.

In eine Schlange endigt sich DeS Rückens ungeheure Länge,

Rollt um sich selber fürchterlich. Daß eS um Mann und Roß sich schlänge. Was schmückt den Jüngling, ehrt den Mann? Was leisteten die tapfern Helden, Und alles bild' ich nach genau Und zu mir selber sprach ich dann:

Von denen uns die Lieder melden, Die zu der Götter Glanz und Ruhm

Erhob das blinde Heidenthum? Sie reinigten von Ungeheuern Die Welt in kühnen Abenteuern, Begegneten im Kampf dem Leu'n Und rangen mit den Minotauren, Die armen Opfer zu befrein.

Und ließen sich das Blut nicht dauern.

Ist nur der Sarazen' es werth, Daß ihn bekämpft des Christen Schwert? Bekriegt er nur die falschen Götter? Gesandt ist er der Welt zum Retter;

Und kleid' es in ein scheußlich Grau; Halb Wurm erschien's, halb Molch und Drache, Bezeuget in der gifl'gen Lache.

Und als das Bild vollendet war, Erwähl' ich mir ein Doggenpaar, Gewaltig, schnell, von flinken Läufen, Gewohnt, den wilden Ur zu greifen; Die hetz' ich auf den Lindwurm an, Erhitze sie zu wildem Grimme, Zu fassen ihn mit scharfem Zahn,

Und lenke sie mit meiner Stimme. Und wo deS Bauches weiche- Vließ

Von jeder Noth und jedem Harm

Den scharfen Bissen Blöße ließ, Da reiz' ich sie, den Wurm zu packen,

Befreien muß sein starker Arm.

Die spitzen Zähne einzuhacken.

Doch seinen Muth muß Weisheit leiten, Und List muß mit der Stärke streiten.

Ich selbst, bewaffnet mit Geschoß,

So sprach ich oft und zog allein,

Des RaubthierS Fährte zu erkunden. Da flößte mir der Geist es ein, Froh rief ich aus: Ich hab's gefunden. Und trat zu dir und sprach das Wort:

Mich zieht es nach der Heimat fort!

Du, Herr, willfahrtest meinen Bitten,

Besteige mein arabisch Roß, Von adeliger Zucht entstammet.

Und al- ich seinen Zorn entflammet. Rasch auf den Drachen spreng' ich loUnd stachl' eS mit den scharfen Sporen Und werfe zielend mein Geschoß,

Als wollt' ich die Gestalt durchbohren. Ob auch das Roß sich grauend bäumt

Und glücklich ward das Meer durchschnitten. Und knirscht und in den Zügel schäumt, Kaum stieg ich aus am heim'schen Strand, Und meine Doggen ängstlich stöhnen, Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand, Nicht rast' ich, bis sie sich gewöhnen.

122

Epische Poesie.

So üb' ich'S aus mit Emsigkeit,

Hin kniet' ich vor dem Christuskinde

Bis dreimal sich der Mond erneut;

Und reinigte mein Herz von Sünde. Drauf gürt' ich mir im Heiligthum

Und als sie jedes recht begriffen.

Führ' ich sie her auf schnellen Schiffen. Der dritte Morgen ist eS nun.

Daß mir's gelungen, hier zu landen;

Den Gliedern gönnt' ich kaum zu ruhn, Bis ich das große Werk bestanden. Denn heiß erregte mir das Herz

DeS Landes frisch erneuter Schmerz: Zerrissen fand man jüngst die Hirten, Die nach dem Sumpfe sich verirrten.

Den blanken Schmuck der Waffen um,

Bewehre mit dem Spieß die Rechte, Und nieder steig' ich zum Gefechte. Zurücke bleibt der Knappen Troß;

Ich gebe scheidend die Befehle Und schwinge mich behend aufs Roß, Und Gott empfehl' ich meine Seele.

Kaum seh' ich mich im ebnen Plan,

Und ich beschließe rasch die That, Nur von dem Herzen nehm' ich Rath.

Flugs schlagen meine Doggen an, Und bang beginnt das Roß zu keuchen Und bäumet sich und will nicht weichen.

Flugs unterricht' ich meine Knappen, Besteige den versuchten Rappen,

Denn nahe liegt zum Knäul geballt

Und von dem edlen Doggenpaar Begleitet, auf geheimen Wegen, Wo meiner That kein Zeuge war. Reit' ich dem Feinde frisch entgegen.

Auf jagen ihn die flinken Hunde; Doch wenden sie sich pfeilgeschwind,

Das Kirchlein kennst du, Herr, das hoch Auf eines Felsenberges Joch,

Der weit die Insel überschauet. Des Meisters kühner Geist erbauet. Verächtlich scheint es, arm und klein, Doch ein Mirakel schließt es ein, Die Mutter mit dem Jesusknaben, Den die drei Könige begaben. Auf dreimal dreißig Stufen steigt Der Pilgrim nach der steilen Höhe; Doch hat er schwindelnd sie erreicht, Erquickt ihn seines Heilands Nähe.

Tief in den Fels, auf dem eS hängt, Ist eine Grotte eingesprengt,

Vom Thau des nahen MoorS befeuchtet, Wohin des Himmels Strahl nicht leuchtet. Hier hausete der Wurm und lag, Den Raub erspähend, Nacht und Tag. So hielt er wie der Höllendrache Am Fuß deS Gotteshauses Wache;

Und kam der Pilgrim hergewallt

Des Feindes scheußliche Gestatt Und sonnet sich auf warmem Grunde.

Als es den Rachen gähnend theilet Und von sich haucht den gift'gen Wind Und winselnd wie der Schakal heulet. Doch schnell erfrisch' ich ihren Muth;

Sie fassen ihren Feind mit Wuth, Indem ich nach des Thieres Lende Aus starker Faust den Speer versende. Doch machtlos wie ein dünner Stab Prallt er vom Schuppenpanzer ab; Und eh' ich meinen Wurf erneuet, Da bäumet sich mein Pferd und scheuet Au seinem Basiliskenblick Und seines Athems gift'gem Wehen, Und mit Entsetzen springt's zurück.

Und jetzo war's um mich geschehen! Da schwing' ich mich behend vom Roß; Schnell ist des Schwertes Scheide bloß,

Doch alle Streiche sind verloren, Den Felsenharnisch zu durchbohren. Und wüthend mit des Schweifes Kraft Hat es zur Erde mich gerafft, Schon seh' ich seinen Rachen gähnen,

Und lenkte in die Unglücksstraße,

Es haut nach mir mit grimmen Zähnen:

Hervorbrach aus dem Hinterhalt

Als meine Hunde wuthentbrannt An seinen Bauch mit grimm'gen Bissen

Der Feind und trug ihn fort zum Fraße.

Den Felsen stieg ich jetzt hinan, Eh' ich den schweren Strauß begann;

Sich warfen, daß es heulend stand, Von ungeheurem Schmerz zerrissen.

Ballade und Romanze. Und eh' es ihren Bissen sich Entwindet, rasch erheb' ich mich, Erspähe mir des Feinde- Blöße Und stoße tief ihm ins Gekröse, Nachbohrend bis ans Heft, den Stahl.

123

Die Schlange, die das Herz vergiftet. Die Zwietracht und Verderben stiftet. Das ist der widerspenst'ge Geist,

Der gegen Zucht sich frech empöret, Der Ordnung heilig Band zerreißt;

Schwarzquellend springt des Blutes Strahl; Denn er ist's, der die Welt zerstöret! Hin sinkt es und begräbt im Falle Muth zeiget auch der Mameluck; Mich mit des Leibes Riesenballe, Gehorsam ist des Christen Schmuck! Daß schnell die Sinne mir vergehn. Denn wo der Herr in seiner Größe Und als ich neugestärkt erwache. Gewandelt hat in Knechtesblöße, Seh' ich die Knappen um mich stehn, Da stifteten auf heil'gem Grund Und todt im Blute liegt der Drache."

Des Beifalls lang gehemmte Lust

Befreit jetzt aller Hörer Brust, So wie der Ritter dies gesprochen; Und zehnfach am Gewölb' gebrochen, Wälzt der vermischten Stimmen Schall Sich brausend fort im Wiederhall.

Laut fordern selbst deS Ordens Söhne, Daß man die Heldenstirne kröne. Und dankbar im Triumphgepräng' Will ihn das Volk dem Volke zeigen: Da faltet seine Stirne streng

Die Väter dieses Ordens Bund, Der Pflichten schwerste zu erfüllen,

Zu bändigen den eignen Willen. Dich hat der eitle Ruhm bewegt, Drum wende dich aus meinen Blicken!

Denn wer des Herren Joch nicht trägt, Darf sich mit seinem Kreuz nicht schmücken." Da bricht die Menge tobend aus, Gewalt'ger Sturm bewegt das HauS,

Um Gnade flehen alle Brüder: Doch schweigend blickt der Jüngling nieder; Still legt er von sich daS Gewand

Der Meister und gebietet Schweigen

Und küßt des Meisters strenge Hand Und spricht: „Den Drachen, der dies Land Und geht. Der folgt ihm mit dem Blicke, Verheert, schlugst du mit tapfrer Hand; Dann ruft er liebend ihn zurücke Ein Gott bist du dem Volke worden, Und spricht: „Umarme mich, mein Sohn! Ein Feind kommst du zurück dem Orden! Dir ist der härt're Kampf gelungen. Und einen schlimmern Wurm gebar Nimm dieses Kreuz! Es ist der Lohn Dein Herz, als dieser Drache war. Der Demuth, die sich selbst bezwungen!" Schiller.

15.

Der Wirthin Töchterlein.

Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein;

„Ach, lebtest du noch, du schöne Maid!

Bei einer Frau Wirthin, da kehrten sie ein. Ich würde dich lieben von dieser Zeit." „Frau Wirthin, hat sie gut Bier und Wein?

Wo hat sie ihr sckönes Töchterlein?"

„Mein Bier und Wein ist frisch und klar. Mein Töcherlein liegt auf der Todtenbahr." Und als sie traten zur Kammer hinein. Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

Der erste, der schlug den Schleier zurück

Und schaute sie an mit traurigem Blick.

Der zweite deckte den Schleier zu Und kehrte sich ab und weinte dazu.

„Ach, daß du liegst auf der Todtenbahr! Ich hab' dich geliebet so manches Jahr."

Der dritte hub ihn wieder sogleich Und küßte sie an den Mund so bleich. „Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut Und werde dich lieben in Ewigkeit!" U h l a n d.

Epische Poesie.

124

16. Das Schloß am Meere. Hast du das Schloß gesehen,

DaS hohe Schloß am Meer? Golden und rosig wehen

Die Wolken drüber her.

„Die Winde, die Wogen alle, Lagen in tiefer Ruh'; Einem Klagelied aus der Halle Hört' ich mit Thränen zu."

Es möchte streben und steigen

Sähest du oben gehen Den König und sein Gemahl? Der rothen Mäntel Wehen,

In der Abendwolken Glut.

Der goldnen Kronen Strahl?,

Es möchte sich nieder neigen In die spiegelklare Flut;

DaS hohe Schloß am Meer,

Führten sie nicht mit Wonne Eine schöne Jungfrau dar.

Und den Mond darüber stehen Und Nebel weit umher."

Herrlich wie eine Sonne, Strahlend im goldnen Haar?

„Wohl hab' ich eS gesehen,

Gaben sie frischen Klang?

„Wohl sah ich die Eltern beide Ohne der Kronen Licht

Vernahmst du aus hohen Hallen Saiten und Festgesang?

Im schwarzen Trauerkleide; Die Jungfrau sah ich nicht."

Der Wind und des Meeres Wallen,

Uhland.

17. Das Glück von Edenhall. Von Edenhall der junge Lord

Erst klingt eS milde, tief und voll,

Läßt schmettern Festdrommetenschall, Er hebt sich an des Tisches Bord Und ruft in trunkner Gäste Schwall:

Gleich dem Gesang der Nachtigall, Dann wie des WaldstromS laut Geröll, Zuletzt erdröhnt wie Donnerhall

„Nun her mit dem Glücke von Edenhall!"

DaS herrliche Glück von Edenhall.

Der Schenk vernimmt ungern den Spruch, Des Hauses ältester Vasall, Nimmt zögernd aus dem seidnen Tuch DaS hohe Trinkglas von Krystall, Sie nennen's das Glück von Edenhall.

„Zum Horte nimmt ein kühn Geschlecht Sich den zerbrechlichen Krystall;

Darauf der Lord: „Dem Glas zum Preis Schenk' rothen ein aus Portugal!" Mit Händezittern gießt der Greis, Und purpurn Licht wird überall, JB6 strahlt aus dem Glücke von Edenhall.

Er dauert länger schon alS recht; Stoßt an! Mit diesem kräft'gen Prall Versuch' ich daS Glück von Edenhall." Und als daS Trinkglas gellend springt, Springt das Gewölb' mit jähem Knall,

Und auS dem Riß die Flamme dringt.

Die Gäste sind zerstoben all' Mit dem brechenden Glücke von Edenhall.

Da spricht der Lord und schwingt's dabei: Einstürmt der Feind mit Brand und Mord, „DieS GlaS von leuchtendem Krystall Der in der Nacht erstieg den Wall. Gab meinem Ahn am Quell die Fei, Vom Schwerte fällt der junge Lord, Drein schrieb sie: Kommt dies Glas zu Fall, Hält in der Hand noch den Krystall,

Fahr' wohl dann, o Glück von Edenhall! Ein Kelchglas ward zum Loos mit, Fug Dem freud'gen Stamm von Edenhall; Wir schlürfen gern in vollem Zug,

DaS zersprungene Glück von Edenhall. Am Morgen irrt der Schenk allein,

Der Greis, in der zerstörten Hall';

Wir läuten gern mit lautem Schall;

Er sucht des Herrn verbrannt Gebein, Er sucht im grausen Trümmerfall

Stoßt an mit dem Glücke von Edenhall!"

Die Scherben des Glücks von Edenhall.

Ballade und Romanze.

125

„Die Steinwand," spricht er, „springt zu Glas ist der Erde Stolz und Glück,

Stück, Die Hohe Säule muß zu Fall,

In Splitter fällt der Erdenball Einst gleich dem Glücke von Edenhall. Uhland.

Graf Eberhard der Rauschebart.

18. 1.

Der Überfall im Wildbad.

In schönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn. Die Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn, Da ritt auS Stuttgarts Thoren ein Held von stolzer Art, Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauschebart. Mit wenig Edelknechten zieht er ins Land hinaus; Er trägt nicht Helm, noch Panzer: nicht geht's auf blut'gen Strauß;

JnS Wildbad will er reiten, wo heiß ein Quell entspringt. Der Sieche heilt und kräftigt, der Greise wieder jüngt. Zu Hirsau bei dem Abte, da kehrt der Ritter ein Und trittst bei Orgelschalle den kühlen Klosterwein; Dann geht's durch Tannenwälder ins grüne Thal gesprengt,

Wo durch ihr Felsenbette die EnS sich rauschend drängt.

Zu Wildbad an dem Markte, da steht ein stattlich HauS, Es hängt daran zum Zeichen ein blanker Spieß heraus: Dort steigt der Graf vom Roffe, dort hält er gute Rast; Den Quell besucht er täglich, der ritterliche Gast. Wann er sich dann entkleidet und wenig au-geruht Und sein Gebet gesprochen, so steigt er in die Flut; Er setzt sich stets zur Stelle, wo auS dem Felsenspalt Am heißesten und vollsten der edle Sprudel wallt.

Ein angeschosi'ner Eber, der sich die Wunde wusch, Verrieth vereinst den Jägern den Quell in Kluft und Busch;

Nun ist'S dem alten Recken ein lieber Zeitvertreib, Zu waschen und zu strecken den narbenvollen Leib. Da kommt einstmals gesprungen sein jüngster Edelknab'. „Herr Graf, es zieht ein Haufe das ob're Thal herab; Sie tragen schwere Kolben; der Hauptmann führt im Schild

Ein Röslein roth von Golde und einen Eber wild."

„Mein Sohn! daS sind die Schlegler, die schlagen kräftig drein; Gieb mir den Leibrock, Junge! DaS ist der Eberstein.

Ich kenne wohl den Eber: er hat so grimmen Zorn; Ich kenne wohl die Rose: sie führt so scharfen Dorn." Da kommt ein armer Hirte in athemlosem Lauf. „Herr Graf, es zieht 'ne Rotte daS unsre Thal herauf; Der Hauptmann führt drei Beile; sein Rüstzeug glänzt und gleißt, Daß mir'S wie Wetterleuchten noch in den Augen beißt."

„DaS ist der Wunnensteiner, der gleißend' Wolf genannt! Gieb mir den Mantel, Knabe! Der Glanz ist mir bekannt;

Epische Poesie.

126

Er bringt mir wenig Wonne; die Beile hauen gut; Bind' mir das Schwert zur Seite! Der Wolf, der lechzt nach Blut!"

Da spricht der arme Hirte: „Deß mag noch werden Rath; Ich weiß geheime Wege, die noch kein Mensch betrat,

Kein Roß mag sie ersteigen, nur Geißen klettern dort; Wollt ihr sogleich mir folgen, ich bring' euch sicher fort." Sie klimmen durch das Dickicht den steilsten Berg hinan,

Mit seinem guten Schwerte haut oft der Graf sich Bahn;

Wie herb das Fliehen schmecke, noch hatt' er's nie vermerkt; Viel lieber möcht' er fechten, das Bad hat ihn gestärkt.

In heißer Mittagsstunde bergunter und bergauf! Schon muß der Graf sich lehnen auf seines Schwertes Knauf;

Darob erbarmt's den Hirten des alten hohen Herrn; Er nimmt ihn auf den Rücken. „Ich thu's von Herzen gern." Da denkt der alte Greiner: Es thut doch wahrlich gut.

So sänftlich sein getragen von einem treuen Blut. In Fährden und in Nöthen zeigt erst das Volk sich echt:

Drum soll man nie zertreten sein altes, gutes Recht. Als drauf der Graf gerettet zu Stuttgart sitzt im Saal,

Heißt er eine Münze prägen als ein Gedächtnismal: Er giebt dem treuen Hirten manch blankes Stück davon, Auch manchem Herrn vom Schlegel verehrt er eins zum Hohn.

Dann schickt er tücht'ge Maurer ins Wildbad alsofort. Die sollen Mauern führen rings um den offnen Ort, Damit in künft'gen Sommern sich jeder greise Mann, Von Feinden ungefährdet, im Bade jüngen kann.

2.

Die drei Könige zu Heimsen.

Drei Könige zu Heimsen, wer hätt' es je gedacht! Mit Rittern und mit Rossen, in Herrlichkeit und Pracht! Es sind die hohen Häupter der Schlegelbrüderschaft; Sich Könige zu nennen, das giebt der Sache Kraft.

Da thronen sie beisammen und halten eifrig Rath, Bedenken und besprechen gewalt'ge Waffenthat,

Wie man den stolzen Greiner mit KriegSheer überfällt Und bester als im Bade ihm jeden Schlich verstellt,

Wie man ihn dann verwahret und seine Burgen bricht, Bis er von allem Zwange die Edlen ledig spricht. Dann fahre wohl, Landfriede! Dann, Lehndienst, gute Nacht!

Dann ist's der freie Ritter, der alle Welt verlacht. Schon sank die Nacht hernieder, die Kön'ge sind zur Ruh'; Schon krähen jetzt die Hähne dem nahen Morgen zu; Da schallt mit scharfem Stoße das Wächterhorn vom Thurm.

Wohlauf, wohlauf, ihr Schläfer! Das Horn verkündet Sturm!

Ballade und Romanze. In Nacht und Nebel draußen, da wogt es wie ein Meer Und zieht von allen Seiten sich um das Stadtlein her; Verhaltene Männerstimmen, verworrener Gang und Drang, Hufschlag und RosseSschnauben und dumpfer Waffenklang. Und als das Frühroth leuchtet, und als der Nebel sinkt, Hei, wie es da von Speeren, von Morgensternen blinkt!

Des ganzen Gaues Bauern stehn um den Ort geschaart, Und mitten hält zu Roffe der alte Rauschebart.

Die Schlegler möchten schirmen das Städtlein und das Schloß: Sie werfen von den Thürmen mit Steinen und Geschoß. „Nur sachte!" ruft der Greiner, „euch wird das Bad geheizt! Aufdampfen soll's und qualmen, daß euch's die Augen beizt!"

Rings um die alten Mauern ist Holz und Stroh gehäuft. In dunkler Nacht geschichtet und wohl mit Theer betraust; Drein schießt man glüh'nde Pfeile: wie raschelt's da im Stroh!

Drein wirft man feur'ge Kränze: wie flackert's lichterloh! Und noch von allen Enden wird Vorrath zugeführt.

Von all den rüst'gen Bauern wird emsig nachgeschürt,

Bis höher, immer höher die Flamme leckt und schweift Und schon mit lust'gem Praffeln der Thürme Dach ergreift.

Ein Thor ist freigelassen: so hat'S der Graf beliebt; Dort hört man, wie der Riegel sich leise, lose schiebt;

Dort stürzen wohl verzweifelnd die Schlegler jetzt heraus? Nein! Friedlich zieht's herüber als wie ins Gotteshaus. Voran drei Schlegelkön'ge zu Fuß, demüthiglich, Mit unbedecktem Haupte, die Augen unter sich; Dann viele Herrn und Knechte, gemachsam, Mann für Mann,

Daß man sie alle zählen und wohl betrachten kann! „Willkomm!" so ruft der Greiner, „Willkomm in meiner Haft!

Ich traf euch gut beisammen, geehrte Brüderschaft! So konnt' ich wieder dienen für den Besuch im Bad. 9^ur einen mist' ich, Freunde, den Wunnenstein. 's ist Schad!"

Ein Bäuerlein, das treulich am Feuer mitgefacht, Lehnt dort an seinem Spieße, nimmt alles wohl in Acht. „Drei Könige zu Heimsen," so schmollt eS, „das ist viel! Erwischt man noch den vierten, so ist'S ein Kartenspiel."

3.

Die Schlacht beiReu Hingen.

Zu Achalm auf dem Felsen, da haust manch kühner Aar, Graf Ulrich, Sohn des Greiners, mit seiner Ritierschaar;

Wild rauschen ihre Flügel um Reutlingen die Stadt, Bald scheint sie zu erliegen, vom heißen Drange matt. Doch plötzlich einst erheben die Städter sich zur Nacht, Ins Urachthal hinüber sind sie mit großer Macht;

127

128

Epische Poesie. Bald steigt von Dorf und Mühle die Flamme blutig roth, Die Herden weggetrieben, die Hirten liegen todt.

Herr Ulrich hat's vernommen; er ruft im grimmen Zorn: „In eure Stadt soll kommen kein Huf und auch kein Horn!" Da sputen sich die Ritter; sie wappnen sich in Stahl,

Sie heischen ihre Roffe, sie reiten stracks zuthal.

Ein Kirchlein stehet drunten, Sankt Leonhard geweiht, Dabei ein grüner Anger; der scheint bequem zum Streit;

Sie springen von den Pferden, sie ziehen stolze Reih'n; Die langen Spieße starren. Wohlauf! wer wagt sich drein? Schon ziehn vom Urachthale die Städter fern herbei. Man hört der Männer Jauchzen, der Herden wild Geschrei, Man sieht sie fürder schreiten, ein wohlgerüstet Heer.

Wie flattern, stolz die Banner! Wie blitzen Schwert und Speer! Nun schließ' dich fest zusammen, du ritterliche Schaar!

Wohl hast du nicht geahnet so dräuende Gefahr. Die übermächt'gen Rotten, sie stürmen an mit Schwall: Die Ritter stehn und starren wie Fels und Mauerwall.

Zu Reutlingen am Zwinger, da ist ein alte- Thor, Längst wob mit dichten Ranken der Epheu sich davor, Man hat es schier vergeffen: nun kracht's mit einmal auf, Und auS dem Zwinger stürzet gedrängt ein Bürgerhaus.

Den Rittern in den Rücken fällt er mit grauser Wuth; Heut' will der Städter baden im heißen Ritterblut. Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt! Wie haben da die Färber so purpurroth gefärbt!

Heut' nimmt man nicht gefangen, heut' geht eS auf den Tod, Heut' spritzt das Blut wie Regen, der Anger blümt sich roth. Stets drängender umschlossen und wüthender bestürmt,

Ist rings von Bruderleichen die Ritterschaar umthürmt. Das Fähnlein ist verloren; Herr Ulrich blutet stark;

Die noch am Leben blieben, sind müde bis ins Mark. Da haschen sie nach Rossen und schwingen sich darauf, Sie hauen durch, sie kommen zur festen Burg hinauf.

„Ach Allm—!" stöhnt' einst ein Ritter: ihn traf des Mörder- Stoß; „Allmächt'ger!" wollt' er rufen; man hieß davon das Schloß. Herr Ulrich sinkt vom Sattel, halb tobt, voll Blut und Qualm; Hätt' nicht das Schloß den Namen, man hieß' es jetzt Achalm!

Wohl kommt am andern Morgen zu Reutlingen ans Thor Manch trauervoller Knappe, der seinen Herrn verlor. Dort auf dem Rathhaus liegen die Todten all' gereiht, Man führt dahin die Knechte mit sicherem Geleit. Dort liegen mehr denn sechzig, so blutig und so bleich:

Nicht jeder Knapp' erkennet den todten Herrn sogleich.

Ballade und Romanze.

129

Dann wird ein jeder Leichnam von treuen Diener- Hand

Gewaschen und gekleidet in weiße- Grabgewand. Auf Bahren und auf Wagen getragen und geführt, Mit Eichenlaub bekränzet, wie'- Helden wohl gebührt, So geht es nach dem Thore die alte Stadt entlang,

Dumpf tönet von den Thürmen der Todtenglocken Klang.

Götz Weißenheim eröffnet den langen Leichenzug;

Er war es, der im Streite des Grafen Banner trug; Er halt' es nicht gelaffen, bis er erschlagen war:

Drum mag er würdig führen auch noch die todte Schaar. Drei edle Grafen folgen, bewährt im SchildeSamt,

Von Tübingen, von Zollern, von Schwarzenberg entstammt. O Zollern, deine Leiche umschwebt ein lichter Kranz; Sahst du vielleicht noch sterbend dein HauS im künft'gen Glanz?

Von Sachsenheim zween Ritter, der Vater und der Sohn, Sie liegen still beisammen in Lilien und in Mohn; Auf ihrer Stammburg wandelt von Alters her ein Geist,

Der längst mit Klaggeberden auf schwere- Unheil weist.

Einst war ein Herr von Lustnau vom Scheintod auferwacht, Er kehrt' im Leichentuche zu seiner Frau bei Nacht; Davon man sein Geschlechte die Todten hieß zum Scherz:

Hier bringt man ihrer einen, den traf der Tod ins Herz. Das Lied, es folgt nicht weiter; de- Jammer- ist genug; Will jemand alle wiffen, die man von dannen trug, Dort auf den Rathhausfenstern in Farben bunt und klar Stellt jedes Ritters Name und Wappenschild sich dar. Als nun von seinen Wunden Graf Ulrich auSgeheilt, Da reitet er nach Stuttgart, er hat nicht sehr geeilt; Er trifft den alten Vater allein am Mittag-mahl; Ein frostiger Willkommen! Kein Wort ertönt im Saal.

Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an dem Tisch; Er schlägt die Augen nieder; man bringt ihm Wein und Fisch: Da faßt der Greis ein Messer und spricht kein Wort dabei

Und schneidet zwischen beiden das Tafeltuch entzwei.

4.

Die Döffinger Schlacht.

Am Ruheplatz der Todten, da pflegt e- still zu fein: Man hört nur leises Beten bei Kreuz und Leichenstein;

Zu Döffingen war'S anders: dort scholl den ganzen Tag Der feste Kirchhof wieder von Kampfruf, Stoß und Schlag. Die Städter sind gekommen; der Bauer hat sein Gut Zum festen Ort geflüchtet und hält'- in tapfrer Hut;' Mit Spieß und Karst und Sense treibt er den Angriff ab;

Wer todt zu Boden sinket, hat hier nicht weit ins Grab. Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Ausl.

9

130

Epische Poesie. Graf Eberhard der Greiner vernahm der Seinen Noth: Schon kommt er angezogen mit starkem Aufgebot; Schon ist um ihn versammelt der besten Ritter Kern, Vom edlen Löwenbunde die Grafen und die Herrn. Da kommt ein reis'ger Bote vom Wolf von Wunnenstein. „Mein Herr mit seinem Banner will euch zu Dienste sein!" Der stolze Graf entgegnet: „Ich hab sein nicht begehrt; Er hat umsonst die Münze, die ich ihm einst verehrt!" Bald sieht Herr Ulrich drüben der Städter Schaaren stehn. Von Reutlingen, von Augsburg, von Ulm die Banner wehn: Da brennt ihn seine Narbe, da gährt der alte Groll. „Ich weiß, ihr Übermüthigen, wovon der Kamm euch schwoll!"

Er sprengt zu seinem Vater, ,,§eut' zahl' ich alte Schuld! Will's Gott, erwerb' ich wieder die väterliche Huld! Nicht darf ich mit dir speisen auf einem Tuch, du Held! Doch darf ich mit dir schlagen auf einem blut'gen Feld!" Sie steigen von den Gäulen, die Herrn vom Löwenbund, Sie stürzen auf die Feinde, thun sich als Löwen kund. Hei, wie der Löwe Ulrich so grimmig tobt und würgt! Er will die Schuld bezahlen, er hat sein Wort verbürgt. Wen trägt man aus dem Kampfe dort auf den Eichenstumpf? „Gott sei mir Sünder gnädig!" Er stöhnt's, er röchelt's dumpf. O königliche Eiche, dich hat der Blitz zerspellt! O Ulrich, tapfrer Ritter, dich hat das Schwert gefällt! Da ruft der alte Recke, den nichts erschüttern kann: „Erschreckt nicht! Der gefallen, ist wie ein andrer Mann! Schlagt drein! Die Feinde fliehen!" Er ruft's mit Donnerlaut; Wie rauscht sein Bart im Winde! Hei, wie der Eber haut! Die Städter han vernommen das seltsam list'ge Wort. „Wer flieht?" so fragen alle; schon wankt es hier und dort. Das Wort hat sie ergriffen gleich einem Zauberlied; Der Graf und seine Ritter durchbrechen Glied auf Glied.

Was gleißt und glänzt da droben und zuckt wie Wetterschein? Das ist mit seinen Reitern der Wolf von Wunnenstein! Er wirft sich auf die Städter, er sprengt sich weite Bucht: Da ist der Sieg entschieden, der Feind in wilder Flucht. Im Erntemond geschah es; bei Gott, ein heißer Tag! Was da der edlen Garben auf allen Feldern lag! Wie auch so mancher Schnitter die Arme sinken läßt! Wohl halten diese Ritter ein blutig Sichelfest.

Noch lange traf der Bauer, der Hinterm Pfluge ging, Auf rost'ge Degenklingen, Speereisen, Panzerring; Und als man eine Linde zersägt und niederstreckt, Zeigt sich darin ein Harnisch und ein Geripp versteckt.

Ballade und Romanze. Als nun die Schlacht geschlagen und Sieg geblasen war, Da reicht der alte Greiner dem Wolf die Rechte dar. „Hab' Dank, du tapfrer Degen, und reit' mit mir nach Haus, Daß wir uns gütlich pflegen nach diesem harten Strauß!" „Hei!" spricht der Wolf mit Lachen, „gefiel euch dieser Schwank?

Ich stritt aus Haß der Städte und nicht um eitern Dank! Gut' Nacht und Glück zur Reise!

Es steht im alten Recht!"

Er spricht's und jagt von dannen mit Ritter und mit Knecht.

Zu Döffingen im Dorfe, da hat der Graf die Nacht

Bei seines Ulrich Leiche, des einz'gen SohnS, verbracht.

Er kniet zur Bahre nieder, verhüllet sein Gesicht. Ob er vielleicht im Stillen geweint, man weiß eS nicht. DeS Morgens mit dem frühsten steigt Eberhard zu Roß, Gen Stuttgart fährt er wieder mit seinem reis'gen Troß.

Da kommt des WegS gelaufen der Zuffenhauser Hirt. „Dem Mann ist's trüb zu Muthe! Was der uns bringen wird?" „Ich bring' euch böse Kunde: nächt ist in unsern Trieb Der gleißend Wolf gefallen; er nahm so viel ihm lieb." Da lacht der alte Greiner in seinen grauen Bart. „Das Wölflein holt sich Kochfleisch, das ist deS WölfleinS Art!"

Sie reiten rüstig fürder; sie sehn aus grünem Thal Das Schloß von Stuttgart ragen, es glänzt im Morgenstrahl; Da kommt deS Wegs geritten ein schmucker Edelknecht. „Der Knab' will mich bedünken, als ob er Gute- brächt'!" „Ich bring' euch gute Märe: Glück zum Urenkelein!

Antonia hat geboren ein Knäblein, hold und fein." Da hebt er hoch die Hände, der ritterliche Greis. „Der Fink hat wieder Samen; dem Herrn fei Dank und Preis!" Ubland.

19.

Deß Sängers Fluch.

Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr, Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer, Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,

Drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich, Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich; Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wuth, Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edleS Sängerpaar, Der ein' in golduen Locken, der andre grau von Haar; Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß, Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß. Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn!

Denk' unsrer tiefsten Lieder, stimm' an den vollsten Ton,

132

Epische Poesie. Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!

ES gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz." Schon.stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal, Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl, Der König furchtbar prächtig wie blut'ger Nordlichtschein,

Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll; Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor. Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit, Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit;

Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,

Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. Die HöflingSschaar im Kreise verlernet jeden Spott, DeS Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott. Die Königin, zerfloffen in Wehmuth und in Lust, Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust. „Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?"

Der König schreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib, Er wirft sein Schwert, das blitzend deS Jünglings Brust durchdringt, Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all' der Hörer Schwarm. Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm; Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf daS Roß, Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm daS Schloß.

Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis, Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis, An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt; Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt: „Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang, Nein! Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt, Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt! Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht! Euch zeig' ich dieses Todten entstellte- Angesicht, Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt.

Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.

Weh dir, verruchter Mörder, du Fluch des SängerthumS! Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen RuhmS; Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht.

Sei, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!" Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat'S gehört, Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;

Ballade und Romanze.

133

Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht, Auch diese, schon geborsten, kann Mrzen über Nacht.

Und ring- statt duft'ger Gärten ein ödeS Haideland; Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand. Des König- Namen meldet kein Lied, kein Hcldenbuch; Versunken und vergeffen! das ist de- Sängers Much. u h l a n d.

20.

Bertran de Born.

Droben auf dem schroffen Steine

AuS des ÖlbaumS Schlummerschatten

Raucht in Trümmern Autafort,

Fuhr dein bester Sohn empor.

Und der Burgherr steht gefesselt Bor des Königs Zelte dort.

Als mit zorn'gen Schlachtgesängen Ich bestürmen ließ sein Ohr.

„Kommst du, der mit Schwert und Liedern

Schnell war ihm sein Roß gegürtet.

Aufruhr trug von Ort zu Ort, Der die Kinder aufgewiegelt

Und ich trug das Banner vor

Gegen ihre« Vaters Wort?

Jenem TodeSpfeil entgegen, Der ihn traf vor Montforts Thor.

Steht vor mir, der sich gerühmet In vermeff'ner Prahlerei, Daß ihm nie mehr als die Hälfte

Blutend lag er mir im Arme; Nicht der scharfe, kalte Stahl — Daß er sterb' in deinem Fluche,

Seines Geistes nöthig sei?

DaS war seines Sterbens Qual. Strecken wollt' er dir die Rechte Über Meer, Gebirg und Thal;

Nun der halbe dich nicht rettet.

Ruf' den ganzen doch herbei, Daß er neu dein Schloß dir baue, Deine Ketten brech' entzwei!" „Wie du sagst, mein Herr und König,

Steht vor dir Bertran de Born, Der mit einem Lied entflammte Perigord und Bentadorn,

Der dem mächtigen Gebieter Stets im Auge war ein Dorn,

Als er deine nicht erreichet. Drückt' er meine noch einmal. Da, wie Autafort dort oben. Ward gebrochen meine Kraft; Nicht die ganze, nicht die halbe Blieb mir, Saite nicht, noch Schaft.

Dem zu Liebe Königskinder

Leicht hast du den Arm gebunden, Seit der Geist mir liegt in Hast; Nur zu einem Tranerliede

Trugen ihres BaterS Zorn.

Hat er noch sich aufgerafft."

Deine Tochter faß im Saale Festlich, eines Herzogs Braut,

Und da sang vor ihr mein Bote, Dem ein Lied ich anvertraut.

Sang, was einst ihr Stolz gewesen, Ihres Dichters Sehnsuchtslaut, Bis ihr leuchtend Brautgeschmeide Ganz von Thränen war bethaut.

Und der König senkt die Stirne.

„Meinen Sohn hast du verführt, Hast der Tochter Herz verzaubert, Hast auch meines nun gerührt.

Nimm die Hand, du Freund des Todten, Die verzeihend ihm gebührt! Weg die Fesseln! Deines Geistes Hab' ich einen Hauch verspürt." Uhland.

Epische Poesie.

134

21. In einem Reich gen Morgen, Da glühte der Sonne Brand, Da schaut' in schweren Sorgen Der König auf sein Land.

„ES lechzen alle Felder, Versiegen geht der Fluß, Es dorren ab die Wälder, Weh, daß ich es schauen muß! Was hilft mir Szepter tragen?

Kann ich zum Strome: fleuß!

Das Opfer. Gebt mir ein gnädig Zeichen; Vor keiner Last will ich, Bor keiner Schmach erbleichen,

Nur, eh'rner Himmel, sprich!" Da sprachen zu ihm die Götter

Durch seiner Priester Mund: „Du wirst des Landes Retter Und schleuß'st mit uns den Bund, Wenn zu des Volkes Heile

Kann ich zur Wolke sagen:

DaS Opfer du gestellt, Das unter des Priesters Beile

Die kühle Flut ergeuß?"

UnS recht willkommen fällt!"

So hat er lang in Kummer

Er läßt Altäre zieren.

Von Tag zu Tag gedacht,

Der Hundert führt man drei

So seufzt' er ohne Schlummer

Von Schafen und von Stieren, Die stattlichsten, herbei. Kein Hauch vom Berge wehet.

Bon Nacht zu heißer Nacht.

Und als nun ohne Wolke Sechs Monden glänzte die Luft,

Tritt er hinaus zum Volke, Das zu den Göttern ruft. Es schallten Trauerpsalme,

Davon kein Strauch genas, Und welk stand jede Palme, AIS wäre sie junges Gras. Die fetten Äcker darben.

Kein Dampf steigt aus dem Kraut, Verblüht stehn, ohne Garben Die Blumen, wohin er schaut. Nicht weht ein Strom von Düften Aus den Gewürzen mehr, Nicht singt mehr in den Lüften Der bunten Vögel Heer.

Und unter den Zelten lagen

Die Menschen krank und matt,

Keine Wölk' am Himmel stand.

Mit lautem Schalle flehet Der König und fein Land. Doch als die Priester hoben Den blanken Opserstahl, Die Thiere begannen zu toben Und starben in Wuth und Qual.

Es schaut auf das Gewimmel Und auf daS Blut, das floß. Mit blauem Auge der Himmel Hernieder erbarmungslos. Der König in tiefer Trauer Ging wieder in sein HauS,

Durchwachte die Nacht in Schauer

Und trat frühmorgens heraus. „Ich weiß," sprach er mit Stöhne»,

Bon glüh'nder Pest geschlagen. Auf schwüler Lagerstatt.

„Nicht anders kommt uns Heil, Eh' von des Landes Söhnen Zween fallen von dem Beil!"

Und war die Sonne gesunken Nach langem, heißem Lauf,

Bringt man, der Jugend Licht.

So sprühten die trüben Funken

„Weh!" ruft der König bebend,

Der Scheiterhaufen auf. Da deckte mit beiden Händen

Zween Knaben widerstrebend

„Der Himmel will sie nicht!

Der König sein Gesicht.

Die Opferflamme dunkelt, Der Rauch verhüllt sie ganz.

„Ihr Götter, kann ich wenden

Da droben aber funkelt

Vom Volke den Jammer nicht?

Die Sonn' in hellerm Glanz!"

135

Ballade und Romanze. Den König faßt ein Grauen, Doch spricht er auS das Wort: h@o bringt mir drei Jungfrauen, Tie Knaben führet fort!" Drei Mägdlein, jung, unschuldig, Führt man herbei bekränzt; Sie neigen sich geduldig, Nur ihre Thräne glänzt. „Laßt ab, laßt ab!" ruft wieder Der König zagend aus. „Die Flamme sinket nieder, Erlischt in Dampf und Graus!" Und gräßlich tönt die Klage Des Volkes in die Luft; Der König verschließt drei Tage Sich in der Väter Gruft. Und an dem vierten Morgen Tritt er ans Tageslicht, Gewichen sind die Sorgen Von seinem Angesicht; Dem Purpur und der Krone Hat er den Glanz erlaubt, Er sitzt auf seinem Throne Mit hohem, frohem Haupt. Er spricht: „Ich hab' ein Zeichen, Ich weiß, was ich soll thun! Mir sagten's der Väter Leichen, Die in der Halle ruhn. ES liegt in Balsamdüften, Jung, fröhlich von Gestalt, Dort mancher in den Grüften, Und ich bin grau und alt!"

Er stieg von seinem Throne, Zu Boden warf er sich: Bleich wurde da die Krone, Der Sonne Schimmer wich.

Und wie er vor dem Volke Inbrünstig betend fleht. Da flog empor als Wolke Sein heiliges Gebet.

Er sprach: „Ihr Götter! Funden Hab' ich das Opfer gut; Man heilt des Volkes Wunden Nicht mit des Volkes Blut; Empfangt, empfangt mein Leben, Und laßt von eurem Sitz Die Wolken segnend beben. Mir aber schictt den Blitz!" Und als er aufstand fertig, Den Tod erfleh'nd als Gunst, Umarmt allgegenwärtig Den Himmel dunkler Dunst. Kein Blitz zuckt ihm entgegen, Es legt sich nur der Staub, Es säuselt nur der Regen Still durch der Bäume Laub.

Die Menge staunt und lauschet, Der Wind kühlt ab die Glut; Der Regen strömt und rauschet. Er wird zu Guß und Flut. Dyrch Bart und graue Locken Der Strom dem König quillt; Sein Auge bleibt nicht trocken. Von sel'ger Thrän' es schwillt.

Die Vögel fangen zu singen, Die Kräuter zu duften an. Der Fluß sich zu schwellen, zu schlingen In seiner alten Bahn. Es tönen der Priester Lieder, Der Dichter Harfe klingt. Das Volk, es wirft sich nieder. Den Szepter der König schwingt. Schwad.

22. Graf Guarinos' Rettung. Übel traft ihr eö, Franzosen, auf der Jagd bei RonceSvall: Kaiser Karl verlor die Ehre und die zwölf PairS dazumal, Und Guarinos ward gefangen, der zur See war Admiral; Sieben Könige der Mohren brachten ihn in ihre Haft. Siebenmal das Loos sie warfen, wer ihn hätt' in seiner Macht: Auf MarloteS, den Infante«, traf eS alle sieben Mal.

136

Epische Poesie. Höher schätzt' er ihn als Arabien, so das Land wie seine Stadt, Sprach ihn an mit diesen Worten, redet' also und begann: „Bitt' dich bei Allah, Guarinos, werde Mohr auf meinen Rath, Von den Gütern dieser Welt geb' ich dir, was dir behagt! Beide Töchter, die ich habe, übergeb' ich deiner Hand; Eine, welche dir die Schuhe, Schuh' und Kleider ziehet an,

Dein Gemahl sei dir die andre, dein natürlich Ehgemahl; Geb' als Brautgeschenk Arabien, so das Land wie seine Stadt, Wenn du mehr verlangst, Guarinos, geb' ich dir weit mehr als das."

Da erwiderte Guarinos; wohl vernehmt ihr, was er sprach: „DaS verhüte Gott im Himmel und Maria, heil'ge Magd,

Daß ich ließ von Christi Glauben um die Lehre Mahomas! Hab' in Frankreich schon ein Bräutlein, das ich nehme zum Gemahl!"

Drob entrüstet schickt Marlotes in den Kerker ihn hinab. „Thut ihm Fesseln an die Hände, daß er nie mehr streiten kann, Wasser bis hinauf zum Gürtel, daß er nie mehr reiten kann, Sieben Zentner Eisen trag' er von dem Hals zur Fers' hinab!" Überdies ward er gezüchtigt an drei Festen jedes Jahr,

Als das erste Mal auf Pfingsten, auf Weihnacht zum andern Mal, Dann am Blumen-Ostertage, jenem Fest, so weit bekannt. Tage gehen. Tage kommen, kommt auch Sankt Johannis Tag, Wo die Christen und die Mohren große Feier stellen an: Myrten streuen dann die Mohren und die Christen Zypergras, Und die Juden streuen Binsen, hoch zu ehren diesen Tag.

Ein Gerüste ließ errichten voller Freude der Jnfant, Nicht geringer und nicht größer,-daß es bis an Himmel ragt. Drauf bereiten sich die Mohren, werfen frohgemuth danach: Dieser schleudert, jener schleudert, keiner reicht nur halb hinan. Drob entrüstet hat Marlotes ein Gebot bekannt gemacht, Kleine sollten nicht mehr saugen, Großen sei das Brot versagt, Bis das mächtige Gerüste läge nieder auf dem Plan. DaS Getös vernahm Guarino- in dem Kerker, drin er lag. „O so helf' mir Gott im Himmel und Maria, heil'ge Magd!

Heut verlobt man Königs Tochter oder giebt ihr den Gemahl, Oder 'S ist der Tag erschienen, wo die Zücht'gung wird vollbracht!" DaS vernahm der Kerkermeister, der sich in der Näh' befand. „Nicht verlobt man Königs Tochter, noch giebt man ihr den Gemahl, Auch ist Ostern nicht gekommen, wo die Geiß'lung wird vollbracht. Nein, es ist ein Tag gekommen, den sie heißen Sankt Johann,

Wann sein Brot mit Freuden iffet, wer zufrieden leben kann. Ein Gerüste ließ errichten voller Freude der Jnfant,

Seine Höh' ist so gewaltig, daß es bis an Himmel ragt; Ob die Mohren danach schleudern, keiner bringt es je zu Fall. Drob entrüstet hat Marlotes ein Gebot bekannt gemacht.

Niemand dürfte wieder essen, bis es wär' zu Fall gebracht." Da erwiderte Guarinos; wohl vernehmt ihr, was er sprach:

„Wolltet ihr mein Roß mir geben, drauf ich manchen Ritt gethan,

Ballade und Romanze.

137

Und mir geben meinen Harnisch, den ich sonst hatt' angehabt,

Und mir geben meine Lanze, die ich sonsten mit mir nahm: Das erhabene Gerüste, dünkt mich, würf' ich auf den Plan,

Und werf' ich es nicht herunter, sei der Tod mir angethan."

Wohl vernahm'S der Kerkermeister, redet' also und begann: „Sieben Jahre sind es, sieben, daß du liegst an diesem Platz, WaS kein Mensch auf Erden, dünkt mich, auch ein Jahr nur war' im Stand, Und du meinst, noch Kraft zu haben, es zu werfen auf den Plan! Aber warte du, Guarinos, ich bericht' es alsobald An Marlotes, den Jnfanten, um zu sehen, was er sagt." Jetzo geht der Kerkermeister, jetzo geht er seinen Gang; Als er zum Gerüst gekommen, spricht er den Marlotes an: „Eine Zeitung bringe ich euch, und ich bitt' euch, hört mich an!

Wißt hiermit, daß der Gefangne so zu mir geredet hat: Würd' ihm nur sein Roß gegeben, drauf er manchen Ritt gethan, Und sein Harnisch ihm gegeben, den er sonst hätt' angehabt,

Dies erhabene Gerüste, dünk' ihn, werf' er auf den Plan."

Der Jnfant, als er das hörte, läßt ihn bringen auf den Platz, Um zu schauen, ob daS Roß er noch zu reiten sei im Stand. Er gebeut, daS Roß zu suchen, übergiebt es seiner Hand: Sieben Jahr' sind nun verstrichen, während deffen trug es Kalk. Angelegt wird ihm der Harnisch, der schon ganz verrostet war. Als Marlotes solches schaute, sprach er lachend und zum Spaß, Gehen mög' er zum Gerüste und es werfen auf den Platz.

Drauf mit großer Wuth Guarinos einen Wurf dawider that, Daß er gleich mehr als die Hälfte auf den Boden niederwarf.

Als die Mohren solches schauten, fielen sie ihn grimmig an; Doch GuarinoS der Beherzte, nun begann er einen Kampf Mit den Mohren, die so zahlreich, daß der Tag verdüstert ward.

Dergestalt hat er gefochten, daß er sich hat frei gemacht Und nach jenem Reich gelangt ist, Frankreich, seinem Vaterland! Große Ehr' ward ihm erwiesen, als man ihn erscheinen sah. Aus dem Spanischen übersetzt von Dtez.

23. Es tritt ein Wandersmann Herfür

Die Warnung. „Heda, Herr Wirth, und gebt uns frisch,

An eines Dorfes Schenke,

Was kauzt ihr in den Stuben?

Er setzt sich vor des Hauses Thür-

Diese Nacht so durchgeschwärmt, Heute von morgens früh gelärmt! Wir wollen nicht nüchtern werden!"

Im Schatten auf die Bänke, Legt sein Bündel neben sich, Bittet den Wirth bescheidentlich, Mit einem Trunk ihn zu laben.

Da zechen an dem nächsten Tisch Zwei wilde, rohe Buben.

„Ha, Bruder, war das nicht ein Spaß! Es geht mir nichts darüber. Und lieb' ich schon daS volle GlaS, Hab' ich doch Unfug lieber.

138

Epische Poesie.

Ach, wie wird verwundert sein All die werthe Christengemein’!

Wie wird der Pfaffe nicht toben! Da draußen erst den Nepomuk

„Mich schlägt ein andrer wohl als ihr, Ihr mögt kein Haar mir kränken. Ich bin auf kurze Frist nur hier,

Doch sollt ihr mein gedenken.

Mit seinen sieben Sterken,

Junges Blut hat Frevelmuth;

Ich schob ihn an den Rand zuruck.

Thut nicht ferner, so wie ihr thut, Und laßt bei Zeiten euch warnen.

Bald muß er schwimmen lernen! Schütteri was, so plumpt er ’nein,

Rudert wohl mit dem Jesulein, Den hält der Narr in den Armen.

Alsdann hinunter längs dem Thal Der Wallfahrt Stationen,

Die dreizehn Steine allzumal Mit Christi Passionen, So beschmiert, verziert aufs Fest, Daß daS Lachen kein Einziger läßt. Wenn sie zum Beten da knieen!"

Sonst schließt ihr einen Bund der Treu’

Mit Judas’ falscher Rotte, Den Heiland kreuzigt ihr aufs neu Mit solchem kecken Spotte." „Ja doch, da geschäh’ ihm Recht, Weil sich der einfältige Knecht DaS erste Mal kreuzigen laffen!"

„Ich weiß gewiß, ihr sprächt nicht so,

Wärt ihr einst mitgegangen; Ihr hättet nicht, der Qualen froh. Am Kreuz ihn sehen hangen,

Der andre sprach: „Wenn’s prahlen gilt, Wie aus bittren Wunden quoll, So steh’ ich alle Wetten: Aller Lieb’ und Erbarmung voll, Der Schnurrbart am Marienbild Sein heilig, göttliches Leben. Und dann die Kron’ aus Kletten, Wie um ihn, ewig hoffnungslos, Die ich ihm zu Nacht beschert. Die Freund’ und Mutter standen Sind wohl deine Geschichten werth, Und er im Busen trug ihr Loos Und es ist noch nicht das Beste. Bei grimmen Todesbanden, Dort auf dem Fels am hohen Kreuz Neigt sein Haupt in Finsternis, Statt Christi leid’ger Fratze, Durch die Himmel geschieht ein 91$, Hängt nun, o in der Seel’ erfreut’S! Und innerlich schauert die Erde." DeS Nachbars todte Katze. „Ei seht, der macht uns glauben gar. Wenn sie nun auf ihrer Bahn Er wär’ dabeigewesen! Ziehn die Stufen zur Kirch’ hinan, Was er erzählt, kann man fürwahr

Das wird was Erbauliches werden!"

In alten Tröstern lesenDer Wandersmann schaut ernst und still, Sagt unS doch, wie alt ihr seid, Da sie die Red’ erhuben; Daß ihr saht, waö vor ew’ger Zeit Sie achten erst nicht, waö er will, Und nimmer vielleicht ist geschehen!" In ihrem Rausch, die Buben. „Ich bin nicht alt, ich bin nicht jung,

Beide riefen dann zugleich: „Kümmert euch, Duckmäuser, um euch!

Mein Leben ist kein Leben.

Was soll das Gaffen und Horchen?"

Muß ich hier unten schweben. Greiser wird das Haar mir nicht,

Der Wandersmann sagt nicht ein Wort Und schaut nur unbeweglich; Und ihnen wurde fort und fort Sein Blick mehr unerträglich.

Wie rastlos kreist der Sonnen Schwung,

Nicht gerunzelter mein Gesicht,

Das niemals lachet, noch weinet. Ich war, wie ihr, von frechem Muth

,-,Wenn ihr nicht die Frechheit laßt, —" Sagten sie, „solchen Heuchlergast,

In meinen ersten Tagen.

Den muß man mit Schlägen verjagen."

Kein Warnen half, noch Sagen.

An mir that keine Lehre gut,

Ballade und Romanze.

139

Als der Hohenpriester Amt

Es schirmt mich vor der Seele Mord,

Heuchlerisch nun den Christ verdammt,

Doch wehrt's mein leiblich Sterben. Und mich treibt's von Land zu Land,

Da wollt' ich mein Müthchen auch kühlen. Und als mit schwerer Kreuzeslast Zum Thor ihn schleppt' die Menge, Da hatt' ich vor den andern Hast

Und bin manchem zum Graun bekannt, Der ewig wandernde Jude." Der Fremdling sprach es alles aus Mit unbewegter Miene; Doch brennend durch die Stirn heraus

Und stieß ihn im Gedränge. Matt und lechzend, ohne Schrei'n Wollt' er rasten auf einem Stein; Da schlug ich ihn mit den Fäusten.

Ein blutroth Kreuz erschiene. Als die zwei das Zeichen sahn,

Geh, rief ich, Jesus! fort mit dir! Zum Tod dich endlich schicke! Der Heiland sah sich um nach mir

Fällt sie an der Verzweiflung Wahn, Sie glaubten sich schon in der Hölle. Und eh' sie Seel' und Leibeskraft

Und sprach mit stillem Blicke:

Und Sinne wiederfunden, Hat er sein Bündel aufgerafft

Ich zwar gehe bald zur Ruh',

Aber wandern sollst nun du Und warten, bis ich komme!

Und ist schon weit verschwunden.

Dies Wort, dies Wort, dies eine Wort War Heil mir und Verderben.

An des letzten Hügels Rand Sehn sie noch, den Stab in der Hand,

Die irre Gestalt hinwanken. -l. W. v. Schlegel.

24. Arion war der Töne Meister, Die Zither lebt' in seiner Hand;

Damit ergötzt' er alle Geister, Und gern empfing ihn jedes Land. Er schiffte goldbeladen Jetzt von Tarents Gestaden, Zum schönen Hellas hingewandt.

Zum Freunde zieht ihn sein Verlangen, Ihn liebt der Herrscher von Korinth. Eh' in die Fremd' er ausgegangen, Bat der ihn, brüderlich gesinnt: „Laß dir's in meinen Hallen Doch ruhig Wohlgefallen!

Viel kann verlieren, wer gewinnt." Arion sprach: „Ein wandernd Leben

A r i o n. „O Periander, eitle Sorgen! Vergiß sie nun in meinem Arm! Wir wollen mit Geschenken Die Götter reich bedenken Und jubeln in der Gäste Schwarm."

Es bleiben Wind und See gewogen, Auch nicht ein fernes Wölkchen graut; Er hat nicht allzuviel den Wogen, Den Menschen allzuviel vertraut. Er hört die Schiffer flüstern, Nach seinen Schätzen lüstern; Doch bald umringen sie ihn laut.

„Du darfst, Arion, nicht mehr leben; Begehrst du auf dem Land ein Grab,

So mußt du hier den Tod dir geben;

Gefällt der freien Dichterbrust. Die Kunst, die mir ein Gott gegeben,

Sonst wirf dich in das Meer hinab!" „So wollt ihr mich verderben?

Sie sei auch vieler Tausend' Lust. An wohlerworb'nen Gaben

Ihr mögt mein Gold erwerben, Ich kaufe gern mein Blut euch ab."

Wie werd' ich einst mich laben,

DeS weiten Ruhmes froh bewußt!" Er steht im Schiff am zweiten Morgen, Die Lüfte wehen lind' und warm.

„Nein, nein, wir laffen dich nicht wandern, Du wärst ein zu gefährlich Haupt.

Wo blieben wir vor Periandern, Verriethst du, daß wir dich beraubt?

140

Epische Poesie.

UnS kann dein Gold nicht frommen,

Wenn wieder Heimzukommen

Ich muß hinab, ich will nicht zagen! Die Götter schauen aus der Höh'.

UnS nimmermehr die Furcht erlaubt."

Die ihr mich wehrlos habt erschlagen,

„Gewährt mir denn noch eine Bitte,

Gilt, mich zu retten, kein Vertrag, Daß ich nach Zitherspieler-Sitte, Wie ich gelebet, sterben mag.

Wann ich mein Lied gesungen, Die Saiten ausgeklungen. Dann fahre hin des Lebens Tag!" Die Bitte kann sie nicht beschämen, Sie denken nur an den Gewinn; Doch solchen Sänger zu vernehmen, Das reizet ihren wilden Sinn.

„Und wollt ihr ruhig lauschen, Laßt mich die Kleider tauschen; Im Schmuck nur reißt Apoll mjch hin." Der Jüngling hüllt die schönen Glieder In Gold und Purpur wunderbar; Bis auf die Sohlen wallt hernieder

Ein leichter, faltiger Talar; Die Arme zieren Spangen, Um Hals und Stirn und Wangen

Fliegt duftend das bekränzte Haar.

Die Zither ruht in seiner Linken, Die Rechte hält das Elfenbein; Er scheint erquickt die Luft zu trinken. Er strahlt im Morgensonnenschein. Es staunt der Schiffer Bande.

Erblasset, wenn ich untergeh'!

Den Gast, zu euch gebettet, Ihr Nereiden, rettet!" So sprang er in die tiefe See. Ihn decken alsobald die Wogen,

Die sichern Schiffer segeln fort. Delphine waren nachgezogen, Als lockte sie ein Zauberwort;

Eh' Fluten ihn ersticken. Beut einer ihm den Rücken Und trägt ihn sorgsam hin zum Port. Des Meers verworrenes Gebrause Ward stummen Fischen nur verliehn;

Doch lockt Musik aus salz'gem Hause Zu frohen Sprüngen den Delphin. Sie konnt' ihn oft bestricken,

Mit sehnsuchtsvollen Blicken Dem falschen Jäger nachzuziehn.

So trägt den Sänger mit Entzücken Das menschenliebend sinn'ge Thier. Er schwebt auf dem gewölbten Rücken, Hält im Triumph der Leier Zier,

Und kleine Wellen springen, Wie nach der Saiten Klingen, Rings in dem bläulichen Revier.

Er schreitet vorn zum Rande Und sieht inS blaue Meer hinein.

Wo der Delphin sich sein entladen, Der ihn gerettet uferwärts, Da wird dereinst an Felsgestaden Das Wunder aufgestellt in Erz.

Er sang: „Gefährtin meiner Stimme! Komm, folge mir ins Schattenreich! Ob auch der Höllenhund ergrimme.

Jetzt, da sich jedes trennte Zu seinem Elemente, Grüßt ihn ArionS volles Herz.

Die Macht der Töne zähmt ihn gleich.

„Leb' wohl, und könnt' ich dich belohnn,

Elysiums Heroen, Dem dunklen Strom entflohen,

Du treuer, freundlicher Delphin! Du kannst nur hier, ich dort nur wohnar;

Ihr Friedlichen, schon grüß' ich euch!

Gemeinschaft ist uns nicht verliehn.

Doch könnt ihr mich des Grams entbinden? Dich wird auf feuchten Spiegeln Noch Galatea zügeln, Ich lasse meinen Freund zurück. Du wirst sie stolz und heilig ziehn." Du gingst, Eurydicen zu finden; Der Hades barg dein süßes Glück. Arion eilt nun leicht von hinnen, Da wie ein Traum zerronnen, WaS dir dein Lied gewonnen,

Wie einst er in die Fremde fuhr; Schon glänzen ihm Korinthus' Zinnen,

Verfluchtest du der Sonne Blick.

Er wandelt singend durch die Flur.

Ballade und Romanze.

141

Gehüllt sind seine schönen Glieder

Mit Lieb' und Lust geboren, Vergißt er, waS verloren, Bleibt ihm der Freund, die Zither, nur.

Er tritt hinein. „Vom Wanderleben Nun ruh' ich, Freund, an deiner Brust. Die Kunst, die mir ein Gott gegeben, Sie wurde vieler Tausend' Lust.

Zwar falsche Räuber haben Die wohlerworb'nen Gaben, Doch bin ich mir des Ruhms bewußt."

Dann spricht er von den Wunderdingen,

In Gold und Purpur wunderbar;

Bis auf die Sohlen wallt hernieder Ein leichter, faltiger Talar;

Die Arme zieren Spangen, Um Hals und Stirn und Wangen Fliegt duftend das bekränzte Haar.

Die Zither ruht in seiner Linken, Die Rechte hält das Elfenbein. Sie müssen ihm zu Füßen sinken, ES trifft sie wie des Blitzes Schein.

Daß Periander staunend horcht.

„Ihn wollten wir ermorden.

„Soll jenen solch ein Raub gelingen? Ich hätt' umsonst die Macht geborgt.

Er ist zum Gotte worden! O fchläng' uns nur die Erd' hinein!"

Die Thäter zu entdecken. Mußt du dich hier verstecken, So nahn sie wohl sich unbesorgt." Und als im Hafen Schiffer kommen, Bescheidet er sie zu sich her. „Habt von Arion ihr vernommen?

Mich kümmert seine Wiederkehr." „Wir ließen recht im Glücke

„Er lebet noch, der Töne Meister; Der Sänger steht in heil'ger Hut. Ich rufe nicht der Rache Geister, Arion will nicht euer Blut.

Fern mögt ihr zu Barbaren, Des Geizes Knechte, fahren; Nie labe Schönes euren Muth!" *1. W. v. Schlegel.

Ihn zu Tarent zurücke." Da, siehe! tritt Arion her.

25.

Die Löwenbraut.

O wär' ich das Kind noch und bliebe bei dir, Mein starkes, getreue-, mein redliche- Thier! Tritt ein in den Zwinger des Löwen; er liegt Ich aber muß folgen, sie thaten's mir an. Der Herrin zu Füßen, vor der er sich schmiegt. Hinaus in die Fremde dem fremden Mann.

Mit der Myrte geschmückt und dem Braut-

geschmeid', Des Wärters Tochter, die rosige Maid,

Es fiel ihm ein, daß schön ich sei. Der Gewaltige, wild und unbändig zuvor, Schaut fromm und verständig zur Herrin Ich wurde gefreiet, es ist nun vorbei. Der Kranz im Haare, mein guter Gesell, empor; Und nicht vor Thränen die Blicke mehr hell. Die Jungfrau, zart und wonnereich, Liebstreichelt ihn sanft und weinet zugleich. Verstehst du mich ganz? Schaust grimmig

„Wir waren in Tagen,

die nicht mehr

sind. Gar treue Gespielen, wie Kind und Kind

dazu; Ich bin ja gefaßt, sei ruhig auch du!

Dort seh' ich ihn kommen, dem folgen ich muß, Und hatten uns lieb und hatten uns gern; So geb' ich denn, Freund, dir den letzten Kuß." Die Tage der Kindheit, sie liegen uns fern. Und wie ihn die Lippe des Mädchens be­ Du schütteltest machtvoll, eh' wir's geglaubt, rührt,

Dein mähnenumwogtes, königlich Haupt; Ich wuchs heran, du siehst es, ich bin Das Kind nicht mehr mit kindischem Sinn.

Da hat man den Zwinger erschüttern gespürt; Und wie er am Gitter den Jüngling erschaut,

Erfaßt Entsetzen die bangende Braut.

Epische Poesie.

142

Er stellt an die Thür sich deS Zwingers

Die Unselige wagt's, sich der Thüre zu zur Wacht, nahn, Erschwinget denSchweif, er brüllet mitMacht; Da fällt er verwandelt die Herrin an; Sie flehend, gebietend und drohend begehrt Die schöne Gestalt, ein gräßlicher Raub, Hinaus; er im Zorn den Ausgang wehrt. Liegt blutig, zerrissen, entstellt in dem Staub. Und draußen erhebt sich verworren Geschrei.

Und wie er vergossen das theure Blut,

Der Jüngling ruft: „Bringt Waffen herbei! Er legt sich zur Leiche mit finsterem Muth;

Ich schieß' ihn nieder, ich treff ihn gut!" Er liegt so versunken in Trauer und Schmerz, Auf brüllt der Gereizte, schäumend vor Wuth. Bis tödtlich die Kugel ihn trifft in das Herz. 6 h a m i s s o.

26.

Die beiden Särge.

Zwei Särge einsam stehen In des alten Domes Hut; König Ottmar liegt in dem einen,

Man noch in seinen Händen Die fromme Harfe schaut.

In dem andern der Sänger ruht.

Schlachtruf tönt durch das Land; Das Schwert, das regt sich nimmer Da in des Königs Hand.

Der König, saß einst mächtig, Hoch auf der Väter Thron; Ihm liegt das Schwert in der Rechten

Und auf dem Haupte die Kron'. Doch neben dem stolzen König, Da liegt der Sänger traut.

Die Burgen rings zerfallen,

Blüten und milde Lüfte

Wehen das Thal entlang: Des Sängers Harfe tönet In ewigem Gesang. Kerner.

27.

Die nächtliche Heerschau.

Nachts um die zwölfte Stunde

Verläßt der Tambour sein Grab, Macht mit der Trommel die Runde, Geht wirbelnd auf und ab.

Und um die zwölfte Stunde Verläßt der Trompeter sein Grab Und schmettert in die Trompete Und reitet auf und ab.

Mit seinen entfleischten Armen Rührt er die Schlägel zugleich. Schlägt manchen guten Wirbel, Reveill' und Zapfenstreich.

Da kommen auf luftigen Pferden Die todten Reiter herbei. Die blutigen, alten Schwadronen In Waffen mancherlei.

Die Trommel klinget seltsam, Hat gar einen starken Ton;

Die alten, todten Soldaten Erwachen im Grab' davon. Und die im tiefen Norden

Es grinsen die weißen Schädel Wohl unter dem Helm hervor; Es halten die Knochenhände Die langen Schwerter empor.

Und um die zwölfte Stunde

Erstarrt in Schnee und Eis, Und die in Welschland liegen,

Verläßt der Feldherr sein Grab, Kommt langsam hergeritten,

Wo ihnen die Erde zu heiß,

Umgeben von seinem Stab.

Und die der Nilschlamm decket Die steigen aus ihren Gräbern,

Er trägt ein kleines Hütchen, Er trägt ein einfach Kleid, Und einen kleinen Degen

Sie nehmen's Gewehr zur Hand.

Trägt er an seiner Seit'.

Und der arabische Sand,

Ballade und Romanze. Der Mond mit gelbem Lichte Erhellt den weiten Plan;

Der Mann im kleinen Hütchen

Der Feldherr sagt dem nächsten JnS Ohr ein Wörtlein leis'.

Das Wort geht in die Runde,

Sieht sich die Truppen an.

Klingt wieder fern und nah;

Die Reihen Präsentiren

„Frankreich" ist die Parole, Die Losung „Sankt Helena".

Und schultern das Gewehr; Dann zieht mit klingendem Spiele

Vorüber das ganze Heer.

Die Marschall' und Generale Schließen um ihn den Kreis;

143

Dies ist die große Parade

Im elyseischen Feld, Die um die zwölfte Stunde

Der todte Cäsar hält. Zedlitz.

28.

Die Wallfahrt nach Kevlaar.

Am Fenster stand die Mutter,

Im Bette lag der Sohn. „Willst du nicht aufstehn, Wilhelm, Zu schaun die Prozession?"

Nach Kevlaar ging mancher auf Krücken,

Der jetzo tanzt auf dem Seil'; Gar mancher spielt jetzt die Bratsche,

Dem dort kein Finger war heil. Die Mutter nahm ein Wachslicht

„Ich bin so krank, o Mutter, Daß ich nicht hör' und seh';

Und bildete draus ein Herz.

Ich denk' an das todte Gretchen, Da thut das Herz mir weh."

„Bring' das der Mutter Gottes, Dann heilt sie deinen Schmerz."

„Steh' auf, wir wollen nach Kevlaar,

Nimm Buch und Rosenkranz; Die Mutter Gottes heilt dir

Dein krankes Herze ganz." Es flattern die Kirchenfahnen, Es singt im Kirchenton;

Das ist zu Köln am Rheine,

Da geht die Prozession.

Die Mutter folgt der Menge, Den Sohn, den führet sie; Sie singen beide im Chore:

Der Sohn nahm seufzend das Wachsherz, Ging seufzend zum Heiligenbild; Die Thräne quillt aus dem Auge, Das Wort aus dem Herzen quillt:

„Du Hochgebenedeite, Du reine Gottesmagd, Du Königin des Himmels, Dir sei mein Lied geklagt! Ich wohnte mit meiner Mutter Zu Köllen in der Stadt,

„Gelobt seist du, Marie!"

Der Stadt, die viele hundert Kapellen und Kirchen hat.

Die Mutter Gottes zu Kevlaar Trägt heut' ihr bestes Kleid; Heut' hat sie viel zu schaffen, Es kommen viel' kranke Leut'.

Und neben uns wohnte Gretchen, Doch die ist tobt jetzund; Marie, dir bring' ich ein Wachsherz, Heil' du meine Herzenswund'.

Die kranken Leute bringen

Ihr dar als Opferspend' Aus Wachs gebildete Glieder,

Heil' du mein krankes Herze, Ich will auch spät und früh

Biel' wächserne Füß' und Händ'.

Jnbrünstiglich beten und singen: Gelobt seist du, Marie!"

Und wer eine Wachshand opfert, Dem heilt an der Hand die Wund';

Der kranke Sohn und die Mutter, Die schliefen im Kämmerlein;

Und wer einen Wachsfuß opfert, Dem wird der Fuß gesund.

Da kam die Mutter Gottes Ganz leise geschlichen herein.

Epische Poesie.

144

Sie beugte sich über den Kranken

Da lag dahingestrecket Ihr Sohn, und der war tobt;

Und legte ihre Hand Ganz leise auf sein Herze

Es spielt auf den bleichen Wangen

Und lächelte milb und verschwand.

Das lichte Morgenroth.

Die Mutter schaut alles im Traume

Die Mutter faltet die Hände,

Und hat noch mehr geschaut;

Ihr war, sie wußte nicht wie.

Sie erwachte aus dem Schlummer, Die Hunde bellten zu laut.

Andächtig sang sie leise: „Gelobt seist du, Marie!" Heine.

29.

B l s a z a r.

Die Mitternacht zog näher schon;

Und der König ergriff mit frevler Hand

In stummer Ruh' lag Babylon.

Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand.

Nur oben in des Königs Schloß, Da flackert's, da lärmt des Königs Troß.

Und rufet laut mit schäumendem Mund:

Dort oben in dem Königßsaal

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund „Jehova, dir künd' ich auf ewig Hohn, Ich bin der König von Babylon!"

Belsazar hielt sein KönigSmahl.

Die Knechte saßen in schimmernden Reih'n Doch kaum das grause Wort verklang, Und leerten die Becher mit funkelndem Wein. Dem König ward's heimlich im Busen bang. Es klirrten die Becher,

es jauchzten die

Das gellende Lachen verstummte zumal,

Knecht'; So klang es dem störrigen Könige recht.

Es wurde leichenstill im Saal.

Des Königs Wangen leuchten Glut; Im Wein erwuchs ihm kecker Muth.

Da kam'S hervor wie Menschenhand

Und sieh! und sieh! An weißer Wand,

Und schrieb und schrieb an weißer Wand Und blindlings reißt der Muth ihn fort, Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand. Und er lästert die Gottheit mit sündigem Der König stieres Blicks dasaß, Wort. Mit schlotternden Knieen und todtenblaß.

Und er brüstet sich frech und lästert wild; Die Knechteschaar saß kalt durchgraut Die Knechteschaar ihm Beifall brüllt. Und saß gar still, gab keinen Laut.

Der König rief mit stolzem Blick; Der Diener eilt und kehrt zurück.

Die Magier kamen, doch keiner verstand Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Er trug viel gülden Geräth auf dem Haupt; Belsazar ward aber in selbiger Nacht DaS war auS dem Tempel JehovaS geraubt. Bon seinen Knechten umgebracht.

Heine.

30.

Die Glocken zu Speier. i.

Zu Speier im letzten Häuselein,

Da liegt ein Greis in Todespein; Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart, Biel' Thränen rinnen in seinen Bart. ES hilft ihm keiner in seiner Noth, Es hilft ihm nur der bittre Tod!

Die Kaiserglocke, die lange verstummt, Von selber dumpf und langsam summt, Und alle Glocken groß und klein Mit vollem Klange fallen ein.

Da heißt's in Speier weit und breit:

Und als der Tod ans Herze kam,

„Der Kaiser ist gestorben heul'! Der Kaiser starb, der Kaiser starb!

Da tönt's auf einmal wundersam.

Weiß keiner, wo der Kaiser starb?"

Ballade und Romanze.

145

2. Zu Speier, der alten Kaiserstadt,

Die kleine Glocke, die lange verstummt,

Da liegt auf goldener Lagerstatt Mit mattem Aug' und matter Hand Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt.

Die Diener laufen hin und her, Der Kaiser röchelt tief und schwer;

Die Armesünderglocke summt,

Und keine Glocke stimmet ein, Sie summet fort und fort allein. Da heißt's in Speier weit und breit: „Wer wird denn wohl gerichtet heut? Wer mag der arme Sünder sein?

Und als der Tod ans Herze kam, Da tönt'S auf einmal wundersam.

Sag' an, wo ist der Nabenstein?" Oer.

31.

Die Tauben von San Marko.

Um die Kuppeln von San Marko

In den Saal des hohen Rathe-

Flattern silberweiße Tauben;

Tritt er ein zur selben Stunde;

Himmelsboten, Gnade bringend, Sind sie nach des Volkes Glauben.

Schwarz auf schwarzen Stühlen sitzen Dort die Greis' in ernster Runde.

War ein Knabe zu Venedig, Holder Sproß von edlem Stamme;

„Füllt aufs neu die Ampeln," ruft er; „Eh' ihr heut den Rath geschloffen.

Ach, zu rasch nur im Gemüthe Lodert ihm des Zornes Flamme.

Denn ich habe Blut vergossen."

Sollt ihr mir das Urtheil sprechen.

Wie er einst aus LiebeSarmeu

Staunend schaut auf ihn der Doge,

Nächtlich kehrt auf dunklen Wegen, Tritt voll Hohn fein Nebenbuhler,

Doch den Stahl, den blutgenetzten, Zeigt er dar und ruft die Zeugen,

Der verschmäht ward, ihm entgegen.

Und die Leiche zeugt am besten.

Auf die Dame seiner Liebe

Ob die Richter traurig zögern,

Lästert er mit frechen Scherzen; Zornerblaßt verstummt der Knabe, All sein Blut schießt heiß zum Herzen.

Allzuklar ist sein Verbrechen; Noch bevor der Morgen dämmert.

Jach dann zuckt er auf, die Rechte jFährt zum Dolch, zum Damaszener.

Und zum Kerker wallt der Jüngling Still und ernst mit festem Fuße;

Auf die Marmorstufen taumelt Nur zu wohlgetroffen jener.

Sieben Tage, sieben Nächte Ringt er dort in heißer Buße.

Müssen sie ihn schuldig sprechen.

DumpfeS Röcheln, leises Winseln,

Abschied nimmt er von den Seinen, Abschied dann von Lieb' und Leben,

Und vorüber ist'S auf immer. Aber lautlos starrt der Mörder Auf die Leich' im Mondenschimmer.

Fleht um eins nur, um ein Zeichen,

Daß ihm droben sei vergeben.

Mit deS Feindes düstrem Auge

Bei deS achten Frühlichts Schimmer

Ist gebrochen auch sein Grollen;

Mit dem Blut der Wunde fühlt er

Dumpf erdröhnt die Markusglocke, Zwischen den verfehmten Säulen

Seinen Frieden hingequollen.

Harrt der rothe Scherg' am Blocke.

Wohl ermahnen die Begleiter

Priester summen, Speere blitzen.

Ihn zur Flucht; doch trübe spricht er: „Kann ich auch entfliehn mir selber?

Sich zum langen Gitter fugend; Tausend schöne Augen weinen

Diese- Haupt gehört dem Richter." Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutscb. Lileratur.

Um deS Knaben blonde Jugend. 3. Auft.

10

Epische Poesie.

146 Einmal noch zur Sonne schauend.

Au- dem Zuge tritt der Bleiche, Küßt das Kreuz und beugt den Nacken Knieend dann zum Todesstreiche.

Horch, da klingt es in den Lüften,

Gnade! geht's von Mund zu Munde, Gnade! ruft das Volk im Kreise.

Doch der Doge, Stille heischend, Spricht zum Knaben hingewendet: „Da verstummt der Erde Satzung,

Horch, da rauscht eS wie Gefieder, Taubenschwarme, weiß wie Silber,

Wo der Himmel Zeichen sendet.

Schießen jach auf ihn hernieder,

Daß wir dessen Blut begehren; Geh' und wider Christi Feinde

Decken ihn vom Haupt zur Sohle,

Ferne sei's, wen Gott begnadigt,

Daß kein Hieb hindurch mag dringen; Wie ein weißer Unschuldsmantel

Kämpf' auf unsern KriegSgaleeren!"

Wallt um ihn der Schlag der Schwingen.

Ward ein Held im Schlachtenlarme. Doch noch heute bei San Marko

Und der Scherge starrt betroffen. Und die Richter flüstern leise.

Und zu Schiffe ging der Knabe,

Nisten jene Taubenschwärme.

Geibel.

32.

Des Deutschritters Ave.

Und als daS Kreuz auf dem Mantel weiß Noth, Nicht mehr zu kennen war. Nun zeigt, wie treu ihr'S meint! DaS Feld ist roth, und die Brüder sind todt, Da sauste schon auf Gäulen heiß Heran der Litthauer Schaar. Und hinter unS raffelt der Feind. „Herr Ott vom Bühl, nun drängt die

Und als der Mantel fern im Schwung Wohl klag' ich manch gebrochnen Speer, Nur schien wie ein fliegender Schwan, Manch Wappenschild zerspalten; Doch schmerzt'S um den heiligen Kelch mich Da fielen sie den Ritter jung Mit grimmigen Streichen an. noch mehr In meines Mantels Falten. Die krummen Schwerter blinkten frei, Im Schlachtfeld tranken wir alle daraus, ES raffelten dumpf die Keulen, Zu sühnen uns mit Gott; Dazwischen ging ihr Kampfgeschrei Soll nun beim wüsten SiegeSfchmauS Der Heid' ihn schwingen zum Spott?

Wie hungriger Wölfe Heulen.

Versucht mit scharfem Schwertesschwung

Mit durchgespaltnem Schlaf.

Herr Ott vom Bühl sprach: „Ave, Marie!" Herr Ott, und fühlt ihr euch stark und jung, Und führt' einen Hieb, der traf; Der Häuptling flog vom Sattel aufs Knie Noch einmal wendet. daS Roß! Noch einmal zu hemmen den Troß!

Und haltet ihr nur so lang' ihn auf,

AlS ihr ein Ave sagt. So rettet meine- Hengstes Lauf

Den Kelch, um den ihr'S wagt." Herrn OttS Besinnen war nicht groß, Sprach „Ja" und weiter nichts;

DaS zweite Wort der Held dann strach

Und hieb noch kräftiger schier; Der Bannerträger zusammenbrach.

Und über ihn fiel daS Panier.

Und Wort

um Wort und Streih um Stteich,

DeS Meisters Roß von dannen schoß

Das war ein tapfer Gebet; Bei jedem Spruch lag alfogleich

Im Strahl des Mondenlichts.

Ein Heide dahingemäht.

EpoS. Und eS klaffte dem Ritter daSStahlhemd weit, Und eS färbten die Ringe sich roth,

Er aber ward nicht laß im Streit,

147

Sein Mund ward stumm, sein Arm ward

schwer. Im Tode stand sein Herz;

Und jeder Schlag war Tod.

Nicht Amen! konnt' er sprechen mehr, Und eS barst fein Schild, und es sank sein DaS war sein letzter Schmerz.

Pferd, Doch dieLitthauer warfen dieRennerherum, Da kämpft' er fort zu Fuß; Kein Streit mehr lüstete sie. Mit beiden Händen schwang er das Schwert Gerettet war das Heiligthum Und betete weiter den Gruß. Durch deS Ritters: „Ave, Marie!" Gott geb' ihm droben selige Statt

Doch als zu Ende das Ave ging. Er führte noch einen Streich,

Aufs tosende Schlachtgetümmel!

Und in gethürmter Leichen Ring

Wer so auf Erden gebetet hat,

Hin sank er blutig und bleich.

Mag Amen! sagen im Himmel. Ä-ibel.

5.

Das Epos.

DaS Epos entsteht aus der künstlerisch gestalteten Vereinigung mehrerer, meist sagen­ hafter Begebenheiten, die in daS Leben einzelner hervorragender Helden oder ganzer Völker­

stämme bedeutsam eingreifen. ES erzählt auf lebendig veranschaulichende Weise, indem eS alle einzelnen Züge deS Gemäldes sorgfältig und genau ausmalt und dabei eine gewisse Breite der Darstellung liebt. Die Neben- und Zwischenhandlungen (Episoden), welche an die Haupthandlung sich anlehnen, dürfen daS Interesse an dieser nicht stören, son­ dern müssen eS fördern und daher zur Herbeiführung der Einheit der Handlung mit­ wirken. Diese wird zunächst durch den Helden der Erzählung bewirkt, der, gewappnet gegen alle Stürme deS Lebens, besonnen, tapfer und furchtlos gegen seine Feinde ankämpft und entweder über sie siegt oder auch ruhmvoll fällt. Der Held verlangt in noch höherem Grade als die Nebenpersonen eine scharfe Charakteristik und eine sorgfältige Begründung (Motivirung) seiner Handlungen. Die epische Dichtung gehört zu den schwierigsten zunächst wegen deS nicht immer­ vorhandenen ganz geeigneten Stoffes, da nicht jede Zeit und nicht jedes Volk Stoff für das Epos liefert. Obgleich nämlich bestimmte allgemeine Bestrebungen vorhanden sein müssen, so darf doch der gesammte Zustand deS Volkes nicht zu kultivirt sein; vielmehr muß daS Individuum in seiner Thätigkeit noch vorzugsweise auf sich selbst angewiesen sein, noch persönlich wirken.

Da ferner das Epos aus der Naturpoesie hervorgegangen ist,

so erfordert eS eine derartig künstlerische Behandlung, daß es als Volkseigenthum, als herausgewachsen auS dem Herzen des ganzen Volkes erscheint. Dem Inhalte muß die Form entsprechen. Wie die Thatsachen in einer gewissen Gleichförmigkeit ohne bedeutendere Abschnitte an einander gereihet werden, so muß auch in ähnlicher Einförmigkeit Vers auf Vers folgen und zwar ohne irgend eine andere Ein­

heit als diejenige, welche sich eben in der Wiederholung desselben Verses darbietet. diesem Grunde hat daS Alterthum im Epos ausschließlich den Hexameter angewendet.

AuS Die

Deutschen haben während deS Mittelalters die Nibelungenstrophe und etwa von der Zeit deS dreißigjährigen Krieges an bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts den Alexandriner,

10 *

Epische Poesie.

148

von da ab nach dem Vorgänge Klopstocks und dem Muster der Griechen und Römer den Hexameter, bisweilen auch die bei den Italienern übliche Stanze gebraucht. Man unterscheidet im Epos nach der Verschiedenheit des Stoffe- daS heroische, reli­ giöse, romantische, idyllische, komische und daS Thier-Epos.

a.

DaS heroische Epos.

DaS heroische EpoS oder das eigentliche Heldengedicht, auch wohl Epopöe genannt, entnimmt seinen Stoff auS dem heroischen Mythen- und Sagenkreise oder auS der Ge­ schichte, am häufigsten aus der Jugendzeit der Völker. Es zeigt wegen der Großartigkeit

und hohen Bedeutung der erzählten Begebenheit stets den Charakter des Erhabenen, der fich auch in der ganzen Art und Weise der Behandlung ausprägt. Es ist das eigentlichste Geschichtsbuch des ganzen Volkes, daher die Darstellung einfach, aber kraftvoll.

Wie in

der Jugend des einzelnen Menschen, so ist auch in der Jugend der Völker die Phantasie besonders rege; daraus erklärt sich die bedeutende Rolle, welche die Mythe im heroischen

EpoS spielt.

1.

Aus Homers Ilias. Nachdem von Zeus und Here der Untergang Trojas bescbloffen worden, beredet Athene, welche die Trojaner gegen den Eidschwur zum Beginne des Kampfes mit den Griechen anregen soll, in der Gestalt des Laodokos den Pandaros, einen Pfeil auf den MenelaoS abzuschießen. Die Verwundung des MenelaoS durch PandaroS. Schnell entblößt er den Bogen, geschnitzt von des üppigen SteinbockSchönem Gehörn, dem er selber die Brust von unten getroffen.

Als er dem Felsen entsprang; am gewähleten Ort ihn erwartend, Zielt' und durchschoß er die Brust, daß rücklings am Fels er hinabsank. Sechzehn Handbreit ragten empor am Haupte die Hörner. Solche schnitzt' und verband der Hornarbeitende Künstler, Glättete alles genau und beschlug's mit goldener Krümmung. Den nun stellt' er geschickt, nachdem er ihn spannt', auf die Erde Angelehnt; und mit Schilden bedeckten ihn tapfere Freunde, Daß nicht zuvor anstürmten die streitbaren Männer Achaias, Eh' er gefällt MenelaoS, den streitbaren Fürsten AchaiaS.

Jetzo des Köchers Deckel eröffnet' er, wählte den Pfeil dann, Ungeschnellt und gefiedert, den Urquell dunkeler Qualen. Eilend ordnet' er nun das herbe Geschoß auf der Senne; Und er gelobt' Apollon, dem lytischen, bogenberühmten, Eine Dankhekatombe der ErstlingSlämmer zu opfern, Wann er zu Hause gekehrt in die heilige Stadt Zeleia. Und dann zog er die Kerbe zugleich und die Nerve des Rinde-,

Daß die Senne der Brust annaht' und daS Eisen den Bogen. Als er nunmehr kreisförmig den mächtigen Bogen gekrümmet, Schwirrte das Horn, und tönte die Senn', und sprang da- Geschoß hin.

Scharfgespitzt, in den Haufen hineinzufliegen verlangend. Doch nicht dein, MenelaoS, vergaßen die seligen Götter, Ewig an Macht, vor allen des Zeus siegprangende Tochter,

EpoS. Welche, vor dich hintretend, das TodeSgeschoß dir entfernte.

Gleich so wehrete sie's vom Leibe dir, wie wenn die Mutter Wehrt vom Sohne die Flieg', indem süßschlummernd er daliegt. Dorthin lenkt' eS gerade die Herrscherin, wo sich des GurteS

Goldene Spang' anschloß und zwiefach hemmte der Harnisch. Stürmend traf das Geschoß den festanliegenden Leibgurt, Sieh', und hinein in den Gurt, den künstlichen, bohrte die Spitze; Auch in das Kunstgeschmeide des Harnisches drang sie geheftet Und in das Blech, das er trug zur Schutzwehr gegen Geschosse, Welches zumeist ihn schirmte; doch ganz durchbohrte sie dies auch! Und nun ritzte der Pfeil die obere Haut deS Atreiden,

Daß ihm sogleich vorströmte das dunkelnde Blut auS der Wunde. Schauer durchdrang urplötzlich den Herrscher des Volks Agamemnon, Als er daS Blut anschaute, das schwarz hinfloß aus der Wunde;

Schauer durchdrang ihn selber, den streitbaren Held Menelaos. Aber sobald er die Schnur auswärts und den Haken erblickte, Ward von neuem mit Muth sein männliches Herz ihm erfüllet.

Schwer aufseufzend, begann der Völkerfürst Agamemnon, Haltend die Hand Menelaos'; eS seuszeten mit die Genossen. „O du theurer Bruder, zum Tode dir schloß ich das Bündnis, Dich allein darstellend, für unS zu bekämpfen die Troer! Denn dich schossen die Feind' und zertraten das heilige Bündnis! Aber umsonst ist nimmer der Eidschwur oder der Lämmer Blut, noch der lautere Wein und der Handschlag, dem wir vertrauet. Wenn auch jetzo sogleich der Olympier nicht eS vollendet. Doch vollendet er spät! Und hoch einst werden sie büßen Selbst mit eigenem Haupt, mit den Gattinnen und mit den Kindern! Denn daS erkenn' ich gewiß in des Herzens Geist und Empfindung: Einst wird kommen der Tag, da die heilige JlioS hinsinkt, Priamos selbst und daS Volk deS lanzenkundigen Königs! Dann wird ZeuS, der Kronid', aus strahlender Höhe des ÄtherS, Gegen sie all' erschüttern das Graun der umnachteten ÄgiS,

Zürnend ob solchem Betrug! Ja, geschehn wird dieses unfehlbar! Aber in bitteren Schmerz versenkst du mich, o Menelaos, Wenn du stirbst und das Maß der LebenStage gefüllt hast! Ha, wie schmachvoll würd' ich zur durstigen Argos zurückziehn!

Denn alsbald gedächten deS Vaterlands die Achaier; Und wir ließen zum Ruhm dem Priamos hier und den Troern Helena, Argos' Kind; es moberten deine Gebeine,

Liegend im Troergefild', am unvollendeten Werke! Ja dann spräche vielleicht ein übermüthiger Troer, Über dem Grab aufhüpfend dem rühmlichen Held MenelaoS:

Daß doch so bei allem den Zorn vollend' Agamemnon,

Wie er jetzt umsonst herführte das Volk der Achaier! Denn schon kehret' er heim zum lieben Lande der Väter, Leer die sämmtlichen Schiss' und ohne den Held MenelaoS!

Also spräche man einst! Dann reiße sich weit mir die Erd' auf!"

149

150

Epische Poesie. Doch ihn tröstete so der bräunliche Held MenelaoS:

„Sei getrost und schrecke noch nicht das Volk der Achaier. Nicht zum Tod hat jetzo daS scharfe Geschoß mich verwundet;

Sondern mich schützte der Gurt voll künstlicher Pracht und darunter Auch die Bind' und das Blech, daS Erzarbeiter gebildet."

Ihm antwortete drauf der Herrscher des Volks Agamemnon: „Möcht' es doch also sein, du Geliebtester, o MenelaoS! Aber ein Arzt nun prüfe die Wund' und lege darauf dir

Linderung, welche vielleicht die dunkelen Qualen bezähmet." Sprach's; und Talthybios rief er sofort, den göttlichen Herold. „Auf, Talthybios, schnell den Machaon rufe daher mir,

Daß MenelaoS er schaue, den streitbaren Fürsten AchaiaS, Den nun traf mit Geschoß ein bogenkundiger Troer Oder ein Lykier auch, zum Ruhme sich, unS zur Betrübnis." Jener sprach's; da gehorchte deS Königs Worte der Herold; Schnell durchging er die Schaaren der erzumschirmten Achaier,

Schaute forschend umher und fand den Helden Machaon Stehend und rings um den Herrscher die starke, geschildete Heerschaar Seines Volks, daS ihm folgt' aus der rossenährenden Trikka.

Nahe trat er hinan und sprach die geflügelten Worte: „Auf, Asklepios' Sohn! dich ruft der Fürst Agamemnon, Daß MenelaoS du schauest, den streitbaren Sohn des AtreuS, Den nun traf mit Geschoß ein bogenkundiger TroerOder ein Lykier auch, zum Ruhme sich, unS zur Betrübnis." Jener sprach's; ihm aber das Herz im Busen erregt' er. Schnell durchwandelten sie daS Gedräng' in den Schaaren AchaiaS. Als sie nunmehr hinkamen, wo Atreus' Sohn, MenelaoS,

Blutend stand und um jenen die Edelsten alle versammelt Rings, er selbst in der Mitte, der götterähnliche Streiter, Zog er sofort das Geschoß aus dem festanliegenden Leibgurt; Und wie er auszog, bogen die spitzigen Haken sich rückwärts.

Hierauf löst' er den Gurt voll künstlicher Pracht und darunter Auch die Bind' und das Blech, das Erzarbeiter gebildet. Als er die Wunde geschaut, wo daS herbe Geschoß ihm hineindrang, Sog er das quellende Blut und legt' ihm mildernde Salb' auf. Während sie dort umeilten den Rufer im Streit Menelaos, Zogen bereits die Troer heran in geschildeten Schlachtreih'n.

Jen' auch hüllten sich wieder in Wehr und entbrannten von Streitlust. Jetzt nicht hättest du schlummern gesehn Agamemnon, den Herrscher, Nicht hinab sich schmiegen und nicht unwillig zu kämpfen, Sondern mit Macht hineilen zur männerehrenden Feldschlacht. Denn dort ließ er die Rost' und den erzumschimmerten Wagen; Und sein Genoß hielt jene, die muthig schnaubenden, abwärts,

Held Eurhmedon, Sohn von PiraoS' Sohn, PtolemäoS.

Diesen ermahnt' er mit Ernst, daß er nahete, würden ihm etwa

Matt die Glieder vom Gang, die Ordnungen rings zu durchwalten. Selbst dann eilt' er zu Fuß und umwandelte Schaaren der Männer.

EpoS.

151

Wo er nunmehr streitfertig erfand Gaultummler AchaiaS, Eifrig ermuntert er die mit kräftigen Worten genährt. „Auf, Argeier, gedenkt rastlos einstürmender Abwehr; Denn nicht wird dem Betrüge mit Hülf' erscheinen Kronion;

Sondern, welche zuerst niißhandelten wider den Eidschwur, Denen fürwahr wird sinken der Leib zum Fraße der Geier; Aber die blühenden Frau'n und noch unmündigen Kinder Führen wir selbst in Schiffen, nachdem die Stadt wir erobert!"

Die er sodann saumselig erfand zur traurigen Feldschlacht, Eiferig tadelt' er die mit wild anfahrenden Worten. „Argos' Volk, Pfeilkühne, Verworfene, schämt ihr euch gar nicht?

Warum stehet ihr dort so betäubt wie die Jungen der Hindin,

Die, nachdem sie ermattet vom Lauf durch ein weite- Gefilde,

Dastehn, nicht- im Herzen von Kraft und Stärke noch fühlend? Also steht ihr jetzo betäubt und starrt vor der Feldschlacht!

Säumt ihr, bi- erst die Troer herannahn, wo wir die Schiffe Stellten mit prangendem Steuer, am Strand deS graulichen Meere-, Daß ihr seht, ob euch mit der Hand ja decke Kronion?"

So mit Herrschergebot umwandelt' er Schaaren der Männer. Übersetzt vcn Boß. Auch Apollo und AreS betheiligen sich, den Troern helfend, am Kampfe, während Here und Athene den Achäern beistehen, die bereits zurückweichen. Da beginnt auch der mit seiner Wund« am Arme beschäftigte DiomedeS den Kampf wieder, von Athene dazu angefeuert, die an des Sthe­ nelos Stelle zu ihm auf den Wagen steigt.

Are - wird vom DiomedeS verwundet.

Kaum gesagt, und sofort den Sthenelos trieb sie vom Wagen, Ihn mit der Hand abreißend, und willige- Muthes entsprang er. Sie dann trat in den Seffel zum göttlichen Held DiomedeS, Heiß in Begierde deS Kampf-; laut stöhnte die buchene Achse, Lastvoll, tragend die Graungöttin und den stärksten der Männer. Geißel sofort und Zügel ergriff nun Pallas Athene,

Eilt' und lenkt' auf AreS zuerst die stampfenden Roffe. Jener entwaffnete dort der Aitolier tapfersten Krieger, PeriphaS, groß und gewaltig, OchestoS' glänzenden Sprößling: Diesen enthüllt' jetzt AreS, der blutige. Aber Athene Barg sich in AideS' Helm vor dem Blick deS gewaltsamen AreS. So wie der mordende AreS ersah DiomedeS, den edlen,

Ließ er PeriphaS schnell, den gewaltigen, dort in dem Staube

Liegen, allwo er zuerst deS Erschlagenen Seele geraubet;

Selbst dann eilt' er gerad' auf den reisigen Held DiomedeS. Als sie nunmehr sich genaht, di« Eilenden, gegen einander, Vorwärts streckte der Gott sich über da- Joch und die Zügel Mit erzblinkender Lanz' in Begier, ihm die Seele zu rauben. Aber die Herrscherin Palla- Athen', mit der Hand sie ergreifend.

Stieß sie hinweg vom Seffel, daß nichtiges Schwung- sie vorbeiflog. Wieder erhub sich darauf der Rufer im Streit DiomedeS

Mit erzblinkender Lanz'; und eS drängte sie Pallas Athene

Epische Poesie.

152

Gegen die Weiche deS Bauchs, wo die eherne Binde sich anschloß:

Dorthin schwang er den Stoß, und die blühende Haut ihm zerriß er;

Zog dann die Lanze zurück. Da brüllte der eherne AreS, Wie wenn zugleich neuntausend daherschrien, ja zehntausend Rüstige Männer im Streit, voll Muth anrennend und Mordlust. Und es zitterten rings die Troer umher und Achaier, Bange vor Angst. So brüllte der rastlos wüthende AreS.

Jetzo wie hoch auS Wolken umnachteteS Dunkel erscheinet, Wenn nach der Schwül' ein Orkan mit brausender Wuth sich erhebet: Also dem Held Diomedes erschien der eherne AreS, Als er, in Wolken gehüllt, auffuhr zum erhabenen Himmel. Eilenden Schwungs erreicht' er die seligen Höh'n deS OlympoS.

Dort nun saß er bei Zeus, dem Donnerer, traurige- Herzens, Zeigte das göttliche Blut, das niedertroff auS der Wunde. Übersetzt von Voß.

Die Achäer dringen nun wieder vor, und Hektor eilt in die Stadt, um seine Mutter Hekabe zu bewegen, daß sie zur Athene um Erbarrnung für Troja flehe. Darauf sucht er seine Gemahlin auf, die er am skaischen Thore trifft. Hektor und Andromache. Als er das skäische Thor, die gewaltige Feste durchwandelnd,

Jetzo erreicht, wo hinaus ihn führte der Weg inS Gefilde,

Kam die reiche Gemahlin Andromache eilendes LaufeGegen ihn her, des edlen Eetion blühende Tochter. Diese begegnet' ihm jetzt; die Dienerin aber, ihr folgend. Trug an der Brust das zarte, noch ganz unmündige Knäblein,

Hektors einzigen Sohn, dem schimmernden Sterne vergleichbar. Hektor nannte den Sohn Skamandrios, aber die andern Nannten Astyanax ihn, denn allein schirmt' Ilios Hektor. Siehe, mit Lächeln blickte der Vater still auf daS Knäblein. Aber neben ihn trat Andromache, Thränen vergießend, Drückt' ihm freundlich die Hand und redete, also beginnend:

„Seltsamer Mann, dich tödtet dein Muth noch! Und du erbarmst dich Nicht deS stammelnden Kindes, noch mein, des elenden WeibeS, Ach, bald Wittwe von dir! Denn dich todten gewiß die Achaier, Alle mit Macht anstürmend!

Allein mir wäre das Beste,

Deiner beraubt, in die Erde hinabzusinken; denn weiter Bleibt kein Trost mir übrig, wenn du dein Schicksal erreicht hast;

Gram nur!

Und nicht mehr hab' ich ja Vater und liebende Mutter!

Siehe, den Vater erschlug mir der göttliche Streiter Achilleus, Und er verheerte die Stadt, die kilikische Männer bevölkert, Thebe mit ragendem Thor: den Eötion selber erschlug er, Doch nicht nahn: er die Waffen; denn graunvoll war der Gedauk' ihm; Nein, er verbrannte den Held mit dem künstlichen Waffengeschmeide.

Sieben auch waren der Brüder mir dort in unserer Wohnung; Und die wandelten all' am selbigen Tage zum MS; Denn sie all' erlegte der muthige Renner Achilleus Bei weißwolligen Schafen und schwerhinwandelnden Rindern.

EpoS. Meine Mutter, die Fürstin am waldigen Hange deS Plako-, Führet er zwar hieher mit anderer Beute deS Kriege-; Doch befreit' er sie wieder und nahm unendliche Lösung: Aber im Baterpalast erlegte sie Artemis' Bogen. Hektor, o du bist jetzo mir Vater und liebende Mutter, Auch mein Bruder allein, o du mein blühender Gatte! Aber erbarme dich nun und bleib' allhier auf dem Thurme! Mache du nicht zur Waise das Kind und zur Wittwe die Gattin!

Stelle daS Heer dorthin an den Feigenhügel; denn dort ist Leichter die Stadt zu ersteigen und frei die Mauer dem Angriff. Dreimal haben ja dort es versucht die tapfersten Krieger,

Kühn um die AiaS beid' und den hohen JdomeneuS strebend.

Auch um des Atreus Söhn' und den starken Held DiomedeS, Ob nun jenen vielleicht ein kundiger Seher geweisiagt, Oder auch selbst ihr Herz aus eigener Regung sie antrieb."

Ihr antwortete drauf der delmumflatterte Hektor: „Mich auch härmt das alles, o Trauteste; aber ich scheue Trojas Männer zu sehr und die saumnachschleppenden Weiber, Wenn wie ein Feiger entfernt ich hier auSweiche der Feldschlacht. Auch verbeut es mein Herz; denn ich lernete, biederes Muthe-

Immer zu sein und zu kämpfen im Borderkampfe der Troer, Schirmend zugleich des Vaters erhabenen Ruhm und den meinen!

Zwar daS erkenn' ich gewiß in des Herzens Geist und Empfindung: Einst wird kommen der Tag, da die heilige JlioS hinsinkt, Priamos selbst und daS Volk des lanzenkundigen Königs.

Doch nicht geht mir so nahe der Troer Leid in der Zukunft, Nicht der Hekabe selbst, noch Priamos' auch, deS Beherrscher-, Noch der leiblichen Brüder, die dann, so viel' und so tapfer,

All' in den Staub hinsinken, von feindlichen Händen getödtet, AlS wie deins, wenn ein Mann der erzumschirmten Achaier Weg die Weinende führt, der Freiheit Tag dir entreißend; Wenn du in ArgoS webst für die Herrscherin oder auch mühsam Wasser trägst auS dem Quell Hypereia oder Messet-, Sehr unwilliges Muths; doch hart belastet der Zwang dich!

Künftig sagt dann einer, die Thränenvergießende schauend:

Hektors Weib war diese, deS tapfersten Helden im Volke Roffebezähmender Troer, da Ilios Stadt sie umkämpften! Also redet man einst; und neu erwacht dir der Kummer,

Solchen Mann zu vermiffen, der Abwehr böte der Knechtschaft! Aber es decke mich Todten der aufgeworfene Hügel, Ehe von deinem Geschrei ich gehört und deiner Entführung!"

Also der Held, und hin nach dem Knäblein streckt' er die Arme; Aber zurück an den Busen der schöngegürteten Amme Schmiegte sich schreiend daS Kind, erschreckt von dem liebenden Vater, Bange zugleich vor dem Erz und der flatternden Mähne deS Busche-,

Welchen eS fürchterlich sah vom oberen Helme herabwehn. Lächelnd schaute der Vater das Kind, auch die zärtliche Mutter.

IBS

154

Epische Poesie.

Schleunig vom Haupte sich nahm er den Helm, der strahlende Hektor, Legte dann auf die Erde den schimmernden; aber er selber Küßte sein liebes Kind und wiegt' es sanft in den Armen;

Laut dann flehet' er also dem Zeus und den anderen Göttern: „Zeus und ihr anderen Götter, o laßt doch dieses mein Knäblein

Werden hinfort, wie ich selbst, vorstrebend im Volke der Troer, Auch so stark an Gewalt und Ilios mächtig beherrschen! Und man sage dereinst: Der ragt noch weit vor dem Vater!

Wann er vom Streit heimkehrt, mit der blutigen Beute beladen Eines erschlagenen Feinds! Dann freue sich herzlich die Mutter!" Also sprach er und reicht' in die Arme der liebenden Gattin

Seinen Sohn; und sie nahm in das duftende Busengewaud ihn, Lächelnd mit Thränen im Blick; und ihr Mann voll inniger Wehmuth Streichelte sie mit der Hand und redete, also beginnend: „Armes Weib, nicht mußt du zu sehr mir trauern im Herzen!

Nie wird gegen Geschick mich ein Mann hinsenden zum Ais. Doch dem Verhängnis entrann niemand von den Sterblichen, mein' ich, Edeler so wie Geringer, nachdem er einmal gezeugt ward. Auf, zum Gemach hingehend, besorge du deine Geschäfte, Spindel und Webestuhl, und gebeut den dienenden Weibern, Fleißig am Werke zu sein. Für den Krieg liegt Männern die Sorg' ob,

Allen, mir ja zumeist, die Ilios Feste bewohnen."

Dieses gesagt, erhob er den Helm, der strahlende Hektor, Bon Roßhaaren umwallt; heim ging die liebende Gattin, Rückwärts häufig gewandt und herzliche Thränen vergießend. Übersetzt von Voß.

2. Aus Homers Odyssee. Lange hat die Nymphe Kalypso den auf der Rückkehr in seine Heimat begriffenen Odysseus aus Liebe zu ihm auf ihrer Insel zurückgehalten: da befiehlt ihr auf die Fürbitte Athenes Zeus durch den Götterboten Hermes, ihn zu entlassen, und sie gehorcht dem Befehle, nachdem Odysseufich selber ein Floß gebaut hat.

OdysseuS entfernt sich von der Kalypso. Jetzt war der vierte Tag, an dem ward alles vollendet. Aber am fünften entsandt' ihn die herrliche Göttin Kalypso, Wohl in Kleider gehüllt voll süßes Geruchs und gebadet. Einen Schlauch in das Floß, mit dunkelem Weine gefüllet,

Legte sie, einen mit Wasser, den größeren; dann ihm zur Nahrung Gab sie den Korb, der voll muthstärkender Speisen gedrängt war.

Fahrwind sandte sie dann, unschädliches, laues Gesäusels.

Freudig spannt' im Winde die schwellenden Segel OdhffeuS; Selbst dann saß er am Ruder und steuerte kunstverständig Über die Flut. Nie deckte der Schlaf ihm die wachsamen Auge». Siebzehn Tage nunmehr durchschifft' er des Meeres Gewäffer;

Am achtzehnten darauf erschienen ihm schattige Berge Bon dem phäakischen Lande, wo es zunächst ihm gestreckt war; Trübe lag's wie ein Schild in der dunkelwogenden Meerflut.

Epos. Aber Poseidon, zurück von den Äthiopen sich wendend, Schaut' ihn fern von den Bergen der Solymer. Eben erkannt' er Ihn, der die Wogen befuhr; und noch heftiger tobte der Zorn ihm.

Ernst bewegt' er das Haupt und sprach in der Tiefe deS HerzenS: „Wunder, gewiß, daß die Götter sich anderen Rath um OdyffeuS AuSgedacht, weil ich bei den Äthiopen entfernt war!

Aber ich mein’, er soll noch genug mir bestehen des JammerS!" Sprach’s und versammelte Wolken sogleich und empörte die Meerflut, Schwingend der Macht Dreizack in der Hand; auch erregt’ er Orkane Rings mit Orkanen zum Kampf, und ganz in Gewölke verhüllt’ er Erde zugleich mit Gewäffer; gedrängt vom Himmel entsank Nacht.

Unter sich stürmten der Ost und der Süd und der sausende Westwind,

Auch hellwehender Nord und wälzt’ unermeßliche Wogen. Aber dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee; UnmuthSvoll nun sprach er zu seiner erhabenen Seele: „Weh mir, ich elender Mann! Was werd' ich noch alle- erleben!

Ach, ich sorge, die Göttin verkündete lautere Wahrheit,

Als sie mir in dem Meer, eh’ das Vaterland ich erreichte, Leiden die Fülle verhieß! Das wird nun alles vollendet! Ha, wie er ganz in Gewölke den weiten Himmel umher hüllt, Zeus, und die Fluten empört! Wie sausen gedrängt die Orkane Rings mit Orkanen im Kampf! Nun naht mein grauseS Verhängnis! Dreimal selig und viermal, o Danaer, die ihr in Trojas Weitem Gesild’ umkamt, für AtreuS’ Söhn’ euch beeifernd!

Hätt’ ich so doch gefunden den Tod und das endende Schicksal Jenen Tag, da auf mich riugsher erzblinkende Lanzen Schwang ein Troergewühl um den Peleionen, der hinsank! Wohl dann wär’ ich bestattet, es feierten mich die Achaier!

Doch nun ward, zu sterben den schmählichsten Tod, mir geordnet!" Als er noch redete, schlug die entsetzliche Woge von oben Hoch anrauschend herab, daß im Wirbel das Floß sich herumriß. Weit vom erschütterten Floß enttaumelt' er; aber das Steuer Fuhr aus den Händen hinweg; und es stürzte den Mast mit Gekrach ihm Aller gemischten Orkan' im Tumult antobende Windsbraut; Weit entflog auch die Raa und das flatternde Segel ins Meer hin. Ihn nun hielt’s lang’ untergetaucht, und er strebte vergebens, Schleunig empor sich zu heben, im Sturz der gewaltigen Brandung; Denn das Gewand beschwert’ ihn, geschenkt von der hehren Kalypso. Spät nun taucht’ er empor und spie aus dem Munde des Salzes

Bittere Flut, die häufig ihm auch von dem Scheitel herabfloß. Gleichwohl nicht vergaß er das Floß, wie bekümmert das Herz war, Sondern, im Schwung nacheilend durch Brandungen, faßt’ er eS wieder, Setzte sich mitten hinein und entfloh dem Todesverhängnis.

Dorthin trieben das Floß und dorthin flutende Wogen. Wie wenn ein herbstlicher Nord hintreibt die verdorreten Disteln

Durch das Gesild’ und dicht in einander gewirrt sie umherfliehn: So durch den Meerschwall trieben Orkan’ ihn dorthin und dorthin;

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Epische Poesie. Bald daß stürmend ihn Nolos dem Boreas gab zur Verfolgung, Bald daß wieder ihn Euros des Zephyros' Sturme zurückwarf. Aber Leukothea sah ihn, des Kadmos blühende Tochter, Ino vordem, als sterblich sie war, ein melodisches Mägdlein, Jetzt in des Meers Salzflulen der göttlichen Ehre genießend;

Diese sah mit Erbarmen den irrenden Dulder Odysseus; Und wie ein Wasserhuhn flog schnell sie empor aus dem Strudel,

Setzte sich dann auf des Floßes Gebälk und redete also: „Armer, warum denn ergrimmte der Erderschütt'rer Poseidon Dir mit so schrecklichem Zorn, daß der Leiden so viel' er dir anhäuft? Doch nicht soll dich verderben der Gott, wie sehr er auch eif're! Auf, und handele so; du scheinst nicht ohne Bedacht mir. Zeuch auS diese Gewand' und laß in dem Sturme daS Floß nur

Treiben; du selbst erstrebe mit schwimmenden Händen dir AuSgang An der Phäakier Land, allwo dir Rettung bestimmt ist. Da, umgürte dich schnell mit diesem unsterblichen Schleier Unter der Brust und verachte die drohenden Schrecken des Todes. Aber sobald mit den Händen daS feste Land du berührest,

Wirf alsdann den gelösten zurück in die dunkele Meerflut Fern hinweg vom Gestade mit abgewendetem Antlitz." Also redete sie und gab ihm den Schleier, die Göttin;

Sie dann tauchte zurück in des MeerS aufwogenden Abgrund, Ähnlich dem Wasserhuhn; und die dunkele Woge verbarg sie. Doch viel sann er umher, der herrliche Dulder Odysseus; UnmuthSvoll nun sprach er zu seiner erhabenen Seele: „Wehe mir, daß nur nicht der Unsterblichen eine mir anspinn' Anderen Trug, daß sie jetzo vom Floß mir zu steigen gebietet! Aber fürwahr, noch folg' ich ihr nicht; denn eben erblickt' ich

Weit in der Ferne daS Land, wo mir soll Rettung bevorstehn. Also Handl' ich vielmehr, denn solches scheint mir das Beste; Weil annoch das Gebälk festhält in den bindenden Klammern, Bleib' ich hier und erwarte mit duldender Seele mein Schicksal. Aber sobald mir daS Floß die Gewalt des Meeres zertrümmert,

Schwimm' ich; denn nicht ist jetzo ein besserer Rath zu ersinnen." Während er solche- erwog in des Herzens Geist und Empfindung, Sandt' ihm die mächtige Woge der Erdumstürmer Poseidon, Schrecklich und hoch und übergewölbt; und sie schlug mit Gewalt ihn.

Und wie wenn heftiger Wind die gedörrete Spreu auf der Tenne Plötzlich erregt' und umher sie zerstreuete, andere anders:

Also zerstreut' auch jener die Balken ihm. Aber Odysseus Schwang sich auf einen der Balken und saß wie ein Reiter de- RosseS;

Zog dann aus die Gewand', ihm geschenkt von der hehren Kalypso, Und umgürtete schnell sich unter der Brust mit dem Schleier. Vorwärts sprang er hinab in die Flut, und, die Hände verbreitend, Schwamm er in Eile dahin.

Ihn sah der starke Poseidon;

Ernst bewegt' er daS Haupt und sprach in der Tiefe deS HerzenS:

„Also jetzt, mit Jammer umringt, durchirre die Meerflut,

Epos. BiS du dem Volke genaht der gottbeseligten Männer; Dennoch wirst du mir schwerlich gering eS achten, da- Elend!" Sprach'- und geißelte drauf daö Gespann schönmähniger Rosse, BiS er gen Ägä kam, wo ein stolzer Palast ihm erbaut ist.

Aber ein andre- ersann Zeus' herrschende Tochter Athene. Siehe, den anderen Winden die Pfad' jetzt hemmte sie plötzlich. Allen umher zur Ruhe sich hinzulegen gebietend. Ließ dann ihm frisch wehen den Nord und brach die Gewässer,

Daß er an- Land der Phäaken, der ruderliebenden Männer, Käme, der Held Odysseus, den Tod und die Keren vermeidend.

Schon zween Tag' und der Nächte so viel' in dem wogenden Aufruhr

Irrt' er umher, und oft umschwebete Tod ihm die Seele. Doch wie den dritten Tag die lockige Eos vollendet, Jetzo ruhte der Sturm besänftiget; und das Gewässer Schimmerte ganz windlos; da schauet' er nahe das Ufer, Scharf anstrengend den Blick, als steigend die Well' ihn emporhub. Und wie zur Freude den Kindern erscheint des geretteten Vaters Leben, der lange, gequält von heftigen Schmerzen der Krankheit,

Niederlag und verging, denn ihn plagt ein feindlicher Dämon; Doch zur herzlichen Freud' erretten ihn Götter vom Elend: So zur Freud' erschien dem Odysseus Ufer und Waldung. Ringend schwamm er hinan, mit den Füßen das Land zu ersteigen. Al- er so fern noch war, wie erschallt volltönender AuSruf, Jetzo hört' er ein dumpfes Getös' an den Klippen de- Meere-. Hochauf donnerte an des Eilands Küste die Brandung, Grauuvoll spritzend empor, und bedeckt war alles von Salzschaum; Denn nicht Buchten empfingen die Schiff' und bergende Rheden, Nein nur Geklüft' umstarrte den Strand, Meerklippen und Felshöhn.

Aber dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee. UnmuthSvoll nun sprach er zu seiner erhabenen Seele: „Weh mir, nachdem dies Land mir Hoffnungslosen zu schauen Heu- darbot und die Wog' ich hindurcharbeitete sieghaft, Offnet sich nirgends Bahn aus des graulichen Meere- Gewässern;

Auswärts drohn ja gezackt Meerklippen empor, und umher rollt Stürmisch die brandende Flut, und glatt umläuft sie die Felswand. Aber tief ist nahe das Meer, und nimmer vermag ich, Dort mit den Füßen zu stehn und watend zu fliehn au- dem Elend.

Streb' ich durch, dann schmettert mich leicht an den zackigen Meerfels Raffend die mächtige Wog', und umsonst wird alles Bemühn sein; Schwimm' ich aber noch weiter herum, abhängige- Ufer Irgendwo zu erspähn und sichere Busen des MeereS, Ach, dann sorg' ich, daß wieder der Ungestüm des OrkaneDurch fischwimmelnde Fluten zurück mich Erseufzenden hinwirft, Oder ein Meerscheusal aus der Tiefe daher mir ein Dämon Reizt, wie sie häufig ernährt die Herrscherin Amphitrite!

Denn ich weiß, wie mir zürnt der mächtige Länderumstürmer!" Während er solches erwog in des Herzens Geist und Empfindung,

157

Epische Poesie.

158

Trug ihn schon hochrollend die Wog' an daS schroffe Gestad' hin.

Dort wär' ab ihm geschunden die Haut und zermalmt die Gebeine, Wenn sein Herz nicht regte die Herrscherin Pallas Athene. Hurtig mit beiden Händen umfaßt' er die Klipp' in dem Anschwung,

Hielt dann keuchend sich fest, bis die rollende Woge vorbeiging. Also entrann er ihr jetzt; doch zurück nun prallend vom Ufer,

Schlug sie daher mit Gewalt und schleudert' ihn fern in die Fluten, Und wie dem Meerpolypen, den einer hervor auS dem Lager

Aufzog, häufige Kiesel die ästigen Glieder umhangen: So am Gestein blieb jenem von festumklammernden Händen Abgeschunden die Haut; und die rollende Woge verbarg ihn. Jetzt wär' in Jammer vertilgt auch trotz dem Schicksal OdyffeuS,

Wenn nicht Klugheit gewährte die Herrscherin Pallas Athene. Aufgetaucht aus dem Schwall der am Strand' ausspritzenden Brandung, Schwamm er herum, hinschauend zum Land', abhängiges Ufer Irgendwo zu erspähn und sichere Busen deS MeereS.

Als er nunmehr die Mündung des schön herwallenden Stromes Schwimmend erreicht: hier endlich erschien ihm nach Wunsche daS Ufer,

Glatt ohn' einigen Fels; auch war vor dem Winde Bedeckung. Und er sah vorwallen den Strom und betete herzlich: „Höre mich, Gott, wer du seist! Dir sehnlich Erflehetem nah' ich,

Fliehend auS finsterem Meer vor den Drohungen PoseidaonS!

Ehrenwerth ja scheinet der Mann auch unsterblichen Göttern, Welcher um Schutz annaht, ein Irrender, so wie ich selbst nun Nahe zu deinem Strom und deinen Knien, ein Bedrängter! Aber erbarme dich, Herrscher; denn deinem Schutze vertrau' ich!" Jener sprach'-; gleich stillt' er den Lauf und hemmte die Wallung,

Und, vor ihm die Wasser besänftigend, rettet' er freundlich Ihn an deS Stroms Vorgrund. Hier endlich beugt' er die Kniee,

Auch die nervichten Arme, da matt von der Woge fein Herz war. Ganz auch schwoll ihm der Leib; es strömt ihm salzige Meerflut Häufig auS Mund' und Ras'; und der Stimme beraubt und deS AthemS, Sank er in Ohnmacht hin, kraftlos von der schrecklichen Arbeit. AIS er zu athmen begann und der Geist dem Herzen zurückkam, Jetzo löst er sich ab den heiligen Schleier der Göttin.

Diesen warf er zurück in die salzige Welle des Stromes; Weg dann trug ihn die Welle den Strom hinunter, und Ino Nahm ihn sofort mit den Händen. Doch er, aus dem Strome gesondert.

Warf sich unter die Binse» und küßte die fruchtbare Erde.

3.

übersetzt von Boß.

Aus Vergils Änels.

Die Zerstörung von Troja. Der Griechen Fürsten, aufgerieben Beglückte Wiederkehr, wie ihre List erdichtet, Vom langen Krieg, vom Glück zurückgetrieben, Dadurch zu flehen von der Götter Gunst. Erbauen endlich durch MinervenS Kunst

Ei» Roß auS Fichtenholz, zum Berge auf-

gerichtet,

Der Kern der Tapfersten birgt sich in dem

Gebäude, Und Waffen sind sein Eingeweide.

Epos.

169

Die absegelnde Flotte der Griechen stellt stch bei der Insel Tenedos auf; die Troer strömen au- der Stadt auf da- Schlachtfeld, um das nun verödete griechische Lager zu besehen. Mit Staunen wellt der überraschte Blick

Dies sagend, treibt er den gewalt'gen Speer

Beim Wnnderbau de- ungeheuren RosseS;

Mit starken Kräften in deS Rosses Lende;

Thymöt, sei'S böser Wille, sei'S Geschick,

ES schüttert durch und durch, und weit umher

Wünscht eS im innern Raum des Schlosses. Antworten dumpf die vollgestopften Wände;

Doch bang vor dem versteckten Feind,

Und hätte nicht daS Schicksal ihm gewehrt.

Räth KaphS an und wer es redlich meint,

Nicht eines Gottes Machtumnebelt feineSinne:

Den schlimmen Fund dem Meer, dem Feuer Jetzt hätte den Betrug fein Eisen aufgestört. Noch stünde Jlium und PergamS feste Zinne. zu vertrauen; Wo nicht, doch erst sein Jnn'reS zu beschauen. Indessen wird durch eine Schaar vonHirten, Die Stimmen schwankten noch in unge- Die Hände auf dem Rücken zugeschnürt.

wiffem Streite,

Mit lärmendem Geschrei ein Jüngling her­

geführt.

Als ihn der Priester des Neptun vernahm, Laokoon mit mächtigem Geleite

Der Jüngling spielte den Verirrten

Bon PergamS Thurm erhitzt herurtterkam.

Und bot freiwillig sich den Banden dar.

„Rast ihr, Dardanier?" ruft er voll banger Durch falsche Botschaft Troja zu verderben.

Sorgen, „Unglückliche, ihr glaubt,

Mit dreister Stirn gefaßt auf jegliche Gefahr

die Feinde fei'n Und gleich bereit zum Lügen oder Sterben.

geflohn?

Weß Stamms er sei, waS ihn hieherge-

Ein griechisches Geschenk, und kein Betrug verborgen?

bracht,

Ihm Lebenshoffnung ließ selbst in de- Feindes

So schlecht kennt ihr LaertenS Sohn?

Macht,

Wenn in dem Rosse nicht versteckte Feinde Soll er bekennen. lauern. So droht eS sonst Verderben unsern Mauern, So ist eS aufgethürmt, die Stadt zu überblicken,

Furcht und Angst ver­

schwanden.

„Was es auch sei," ruft er, „dir, König, sei'S gestanden!

So sollen stch die Mauern bücken

Empfange den Beweis von SinonS Redlichkeit.

Vor seinem stürzenden Gewicht,

Ich leugne nicht, zum Volk der Griechen zu

So ist's ein anderer von ihren tausend Ränken,

Der hier sich birgt.

gehören. Trojaner, trauet nicht! Hat mein Verhängnis gleich dem Elend mich

Die Griechen fürchte ich und doppelt, wenn sie schenken."

geweiht,

Zum Lügner soll eS nimmer mich entehren."

Da- griechische Heer sei, fährt Sinon fort, längst von Sehnsucht nach der Rückkehr in die Heimat erfüllt, an der Befriedigung dieser Sehnsucht durch ununterbrochen wüthende Stürme ver­ hindert und vom Orakel dahin beschieden worden, nur durch Opferung eines Griechen könne die Rückkehr erkauft werden. Da habe Kalchas im Bunde mit Odysseus ihn als das von den Göttern verlangte Opfer bezeichnet. Nur mit Mühe habe er stch flüchten können und flehe König Priamoum Gnade an. Diese wird ihm zutheil, und, nach dem Zwecke des Rosses befragt, berichtet er, durch dasselbe solle der Zorn der wegen einer Frevelthat des Odysseus und Diomedes auf die Griechen erbitterten Athene besänftigt werden. So groß aber sei es gemacht, damit es nicht in die Stadt gezogen werden und nicht auf diese die Huld der Göttin herablenken könne. Die Troer glauben dem Betrüger. Jetzt aber stellt sich den entsetzten Blicken Da kam (mir bebt die Zung', eS auSzudrücken) Ein unerwartet schrecklich Schauspiel dar.

Bon Tenedos ein gräßlich Schlangenpaar,

ES stand, den Opferfarren zu zerstücken,

Den Schweif gerollt in fürchterlichem Bogen,

Laokoon am festlichen Altar:

Dahergeschwommen auf den stillen Wogen.

ISO

Epische Poesie.

Die Brüste steigen auS dem Wellenbade, Entsetzen bleibt in jeder Brust zurück. Hoch an- den Wassern steigt der Kämme Gerechte Büßung heißt LaokoonS Geschick, Der frech und kühn daS Heilige und Hehre blut'ge Glut,

Und, nachgeschleift in ungeheurem Rade, Netzt sich der lange Rücken in der Flut; Laut rauschend schäumt eS unter ihrem Pfade,

Verletzt mit frevelhaftem Speere. „Zum Tempel," ruft das Volk, „mit dem

geweihten Bilde, Im blut'ge» Auge flammt des Hungers Wuth; Und flehet an der Göttin Milde!" Gewetzt am Rachen, zischen ihre Zungen: Sogleich strengt jeder Arm sich an; So kommen sie a»S Land gesprungen. Die Mauer wird getheilt, die Stadt ist auf­ gethan; Der bloße Anblick bleicht schon alle Wangen, Und auS einander flieht die furchtbeseelte Und auf der Walze künstlichen Wogen Rollt eS dahin, von Strängen fortgezogen; Schaar;

Der pfeilgerade Schuß der Schlangen Erwählt sich nur den Priester am Altar. Der Knaben zitternd Paar sieht man sie schnell

umwinden, De« ersten Hunger stillt der Söhne Blut; Der Unglückseligen Gebeine schwinden

Dahin von ihre- BisieS Wuth.

Verderbenträchtig, schwanger mit dem Blitz Der Waffen, rollt'S in PriamS Königssitz. Jndcsien wandelt sich des Himmels Bogen,

Und Nacht stürzt auf des Meeres Wogen, Mit breitem Schatten hüllt sie Land und Hain Und den Betrug der Myrmidonen ein.

Zum Beistand schwingt der Vater sein In TrojaS Mauern fängt eS an zu schweigen, Der Schlummer spannt die müden Glieder Geschoß;

los; Doch in dem Augenblick ergreifen Die Ungeheu'r ihn selbst; er steht bewegungs­ Da naht, den Mond allein zum stillen Zeugen, Der Griechen Flotte sich von TenedoS. los.

Geklemmt von ihres Leibes Reifen; Geleitet von dem Feuerbrande, Zwei Ringe sieht man sie um seinen Hals und Der aus dem königlichen Schiffe blitzt. noch Dringt sie hinan zum wohlbekannten Strande; Zwei andre schnell um Brust und Hüfte stricken, Und, von der Götter Grimm beschützt. Und furchtbar überrage« sie ihn doch Eröffnet Sinon still den Bauch der Fichte; Mit ihren hohen Hälsen und Genicken. Der Knoten furchtbares Gewinde

Gehorsam giebt das aufgethane Roß Die Krieger von sich, die sein Leib ver­

schloß. Gewaltsam zu zerreißen, strengt Der Arme Kraft sich an; des Geifers Schaum Und hoch erfreut entspringen sie zum Lichte.

besprengt Und schwarzes Gift die priesterliche Binde.

Herab am Seile gleiten schnell die Fürsten Theflandrus, StheneluS, Machaon, AkamaS;

Der Schmerze« Höllenqual durchdringt

Ihm folgt mit Blicken, die nach Blute dürsten, Der Wolken Schoß mit berstendem Geheule. Ulyß, Neoptolem, drauf ThoaS, MenelaS, So brüllt der Stier, wenn er, gefehlt vom Beile Zuletzt EpeuS, der daS Roß gefügt; Und blutend, dem Altar entspringt. Sie stürzen in die Stadt, die Wein und Schlaf Die Drache» bringt «in blitzgeschwinder besiegt; Die Wachen würgt ihr Stahl, indeß schon die Schuß Genosien, Zum Heiligthum der furchtbar'« Tritonide; Durchs Thor eindringend, zu den Fürsten Dort legen sie sich zu der Göttin Fuß, Beschirmt vom weiten Umkreis der Ägide. stoßen. Frei übersetzt von Schiller.

Epos-

4.

161

Das HildebrandSlied.

Ich hörte sagen, sich heischten zum Kampf Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Hildebrand und Hadubrand unter Heeren zwein,

Erzeugter: DeS SohnS und des Vaters. Sie sahn nach „Mit Geren (Speeren) soll man Gabe emder Rüstung, pfahen, Die Schlachtgewänder suchten sie, gürteten die Schärfe wider Schärfe. Du scheinst dir, aller Schwerter an. Henne, Die Recken, über die Ringe und ritten hin zum Doch allzulose, lockest mich

Kampfe.

Mit deinen Worten, willst mich mit deinem

Hildebrand erhob daSWort; er war der hehrere

Speere werfen. Bist so zum Alter kommen, daß du immer Mann, Erfahrener und weiser; zu fragen begann er trogst. Mit wenigen Worten, wer sein Vater wäre Mir aber sagten Seefahrende Der Helden im Volke, „oder welcher Herkunft Westlich über den Wendelsee, hinwegnahm ihn du seist. der Krieg. Sagst du mir nur einen, die andern weiß ich Todt ist Hildebrand, Heribrands Erzeugter."

mir: Hildebrand erhob das Wort, Heribrands Er­ Kind, im Königreiche kund ist mir da männigzeugter: lich." „Wohl hör' ich das und sehe an deinem Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Harnische, Erzeugter: Du habest daheim noch einen guten Herrn, „Das sagten vor alters mir unsere Leute, Mußtest nicht entrinnen noch aus diesem Alte und weise, die eher dahin sind. Reiche. Daß Hildebrand hieße mein Vater; ich heiße Weh' nun, wallender Gott, Wehgeschick er­ Hadubrand. füllt sich! Früh zog er gen Osten, floh vor OtackerS Zorn Ich wall'te der Sommer und Winter sechzig, Hin mit Dietrichen und seiner Degen viel. Daß man stets mich schaarte zu der Schießen­ Er ließ im Lande der Hülfe ledig sitzen den Volk: DaS Weib in der Wohnung und unerwach­ Vor keiner der Städte doch kam ich zu sterben;

senen Sohn, ErbloS daS Volk, da er ostwärts hinritt.

Nun soll mich mit dem Schwerte daS eigne Kind erschlagen.

Aber darben mußte Dietrich seitdem Meines BaterS, der freundlose Mann.

Mit der Waffe treffen, oder ich sein Tödter

Dem Otacker war er eifrigst erzürnt, Aber dem Dietrich der theuerste Degen,

werden. Doch magst du nun leichtlich, wenn dir langt

die Kraft, Immer an des Volkes Spitze: fechten war ihm Von so ehrwürd'gem Mann die Rüstung ge­

stets zu lieb. Kund war er allen kühnen Mannen;

Äch glaube nicht, daß er noch lebt."

winnen, Den Raub erbeuten, hast du irgend Recht dazu; Denn der sei doch der ärgste der Ostleute,

Der dir den Kampf nun weig're, nun dich so „Weiß eS Allvater oben im Himmel, Daß du nie hinfort mehr fährst zum Kampfe wohl deß lüstet. In handgemeiner Schlacht entscheide die Be­ Mit so gesipptem Mann." Da wand er vom Arme gewundene Ringe gegnung, ÄuS Kaisermünzen, wie der König sie ihm gab. Wer von uns heute die Harnische räumen müsse Der Herrscher der Heunen. „Daß ich mit Huld Oder dieser Brünnen (Panzer) beider wallen." dir'S gebe." Dielitz u. Heiillichs, Hcmdb. d. deutsch. Süteralur. 3. Ausl.

Da ließen sie zum ersten die Eschen schmettern 11

Epische Poesie.

162

In scharfen Schauern, daß eS in den Schilden Hieben harmlich die Hellen Schilde,

stand;

Bis ihnen die Linde« nicht mehr langten.

Dann stapften zusammen die Steinrandklaren, Zermalmt mit den Waffen--------------Übersetzt von Glmrock.

5.

Aus „Walther und Hildegunde".

Der Heunenkönig Etzel hatte von dem unterworfenen Frankenkönige Gibich Hagen von Tronje, vom Burgunderkönige Henich dessen Tochter Hildegunde und von Alpker, dem Könige der Gothen, dessen mit Hildegunde schon in frühester Jugend verlobten Sohn Walther als Geiseln empfangen, Hildegunde in die Hut seiner Gemahlin Helke befohlen, die beiden Jünglinge aber selber in den Künsten des Friedens und Krieges unterwiesen. Nach der Thronbesteigung Gunthers war der mit Walther innig befreundete Hagen nach Worms entflohen; Walther erwarb sich das Vertrauen des nun argwöhnisch gewordenen Etzel durch einen neuen Sieg über ein feindliches Grenzvolk und verabredete mit Hildegunde, die er im Königssaal allein angetroffen, die Flucht, welche er glücklich ausführte.

Wie Walther mit Hildegunden entrann.

AIS nun zur Siegesfeier erschien der frohe Tag,

Da war mit Pracht gerüstet das festliche Gelag. Der stolze Walther brauchte die Kosten nicht zu fcheun. Er wollte reicher Beute sich heut zuletzt noch erfreun.

Mit Sammet war umhangen die Halle wie der Saal,

Da König Etzel eintrat und Helke, fein Gemahl. In Seid' und Purpur prangte der beiden hoher Thron;

Bei ihnen faß Herr Walther: das ward dem Sieger zum Lohn. Bald hob man ab die Tafel, die Eßlust war gestillt,

ES blieb des Tranks Begierde, der schäumend überquillt. Weg stahlen sich die Frauen, wie man nach Sitte pflag:

Nun sollt' erst recht beginnen das frohe Zechergelag.

Da trat zum Heunenkönig Herr Walther bittend hin: „Wenn ich euch einer Gnade, Herr Etzel, würdig bin,

So sei mir das zum Lohne, daß ihr daS Eis unS brecht, Die fäum'gen Kampfgenossen ermahnt zu tapferm Gefecht."

Da nahm er einen Humpen, groß, rund und weit; Drauf standen eingegraben Geschichten alter Zeit.

Er war auS Gold gebildet, und golden war der Wein,

Mit dem ihn Walther füllte; schier ging ein Anker hinein. So reicht' er ihn dem König.

„ES war der Bäter Brauch

Wer diesen Kopf nicht leerte, der hieß ein feiger Gauch.

Ihr seid der Väter würdig, Herr Etzel, trinkt, und wir

Verachten den Verzagten, der nicht Bescheid thut wie ihr." Die Helden alle lachten; Herrn Etzel war nicht bang Vor einem vollen Becher: er nahm ihn in Empfang.

Mit beiden Händen hob er ihn mühsam an den Mund,

Mit einem Zuge leert' er den Humpen auS auf den Grund. „Folgt alle meinem Beispiel," so sprach der König hehr.

Der Becher war erleichtert, ihm war der Kopf nun schwer.

Epos.

163

Die schnellen Schenken nahmen da Faß auf Faß in Zapf;

Sie mußten oft noch füllen den riesenmäßigen Napf. Da sah man manchen sinken, der fest im Kampfe stand;

Man hörte Greise lalle» wie Kinder an Verstand.

Im Saale jauchzend tobte der Helden wilder Schwarm: Der sang, der sprang, der weinte, der lag schon in des Schlafes Arm.

So ließ der Wirth sie zechen bis in die tiefe Nacht; Wer ging, der wurde höfisch von ihm zurückgebracht.

DaS währte, bis sie alle, von Wein und Schlummer schwer. Zu Boden taumelnd sanken in alle Winkel umher. Da stand im weiten Saale Herr Walther ganz allein Mitten unter Schläfern bei heller Kerzen Schein. Hätt' er, die Fackel zündend, das Haus in Brand gesteckt. Den Thäter hätte keine- der armen Opfer entdeckt. Da sucht' er Hildegunden, die er im Hofe fand;

WaS er sie schaffen heißen, war alle- bei der Hand.

Er ging zum Stalle weiter und nahm das beste Pferd; ES ward der Leu geheißen und war deS Namens auch werth. Mit Wiehern stand'S und stampfte, wie ein Streitroß soll;

Dem Mund, als er eS zäumte, der weiße Schaum entquoll. Gern litt'S Gebiß und Sattel, die Schätze nicht so gern In den zwei schweren Schreinen: es trüge lieber den Herrn. Zu beiden Seiten hingen sie nun dem edlen Thier: So führt' er'S aus dem Stalle und gab die Zügel ihr.

Er selber ging sich wappnen, der Held von Riesenart; Der Panzer war gewaltig, mit dem die Brust er verwahrt.

Dann schließt er goldne Schienen sich um der Schenkel Kraft, Den Helm, den rothbebuschten, er schnell zu Häupten rafft, Umgürtet sich die Lende mit doppelschneid'gem Schwert; Nach Heunensitte ward auch die rechte Seite bewehrt.

ES war ein starkes Halbschwert, das grimme Wunden schnitt. Noch nahm er Schild und Lanze, der edle Held, und schritt, Von Haupt zu Fuß gerüstet, aus dem verhaßte« Land. Sie ging dem Roß zur Seite und hielt den Zaum in zarter Hand.

Dazu die Angelruthe hatt' er der Maid vertraut. Wohl mußt' er so beschweren die wunderschöne Braut: Genug zu tragen hatt' er an seiner Waffen Last,

Und stet- im Heunenlande hielt er auf Kampf sich gefaßt.

Simrock.

Walther ruhete während des Tages und reiste während der Nacht; Vögel und Fische dienten als Nahrung.,, Der Fährmann bei Worms am Rheine empfing zwei Fische aus der Donau als Lohn für die Überfahrt. König Gunther beanspruchte die von Walther aus dem Heunenlande mit­ genommenen Schätze als sein Eigenthum. Hagens Widerspruch frommte nicht: Gunther zog mit zwölf seiner besten Recken, unter ihnen Hagen, Walther nach, der im Wasgau in einer Schlucht sich aufstellte und elf der Feinde nach einander besiegte, während Hagen die Theilnahme am Kampfe verweigerte.

Epische Poesie.

164

Wie Walther die letzten vier Helden besteht. Das schreckte nicht die Franken, die jetzt auf Helmnot baun,

Den ungefügen neunten; man durft' ihm wohl vertraun:

Er warf den mächtigen Dreizack am dreifachen Seil Gewaltig durch die Lüfte, und, wen er traf, der ward nicht heil. DeS Seiles Enden sollten ihm der Gefährten drei.

Im Rücken stehend, Hallen: wenn eS gelungen fei Und die geworfnen Haken festsäßen in dem Schild, Daß sie aus Kräften zögen den Feind hinab ins Gefild. Bon solcher List erhofften sie den gewissen Sieg. Herr Helmnot ohne Säumen das Leichenfeld erstieg. „Dies Eisen lehrt dich sterben, Kahlkopf!" rief er auS. Da flog, die Lüfte theilend, der Dreizack hin im SauS.

Was weiter?

Nicht verfehlte der Wurf das nahe Ziel:

Das Schildgehäuse dröhnte, in das der Dreizack fiel, Tief bohrt' er in die Buckel sich mit den Haken ein, Vom Siegsgeschrei der Franken erscholl der Berg und der Hain.

Sie werfen Schild und Masse zu Boden unbedacht Und ziehen an den Seilen zumal mit ganzer Macht, Daß von den Stirnen triefend der Schweiß zu Boden fällt;

Der König hatte selber sich solcher Arbeit gesellt. Doch an dem Boden wurzelnd stand Walther als ein Baum, Der stolz die Krone breitet in freiem Himmelsraum. Zur Wette zogen jene und mahnten sich: „Den Schild Nur erst herab! so fangen wir uns lebendig das Wild."

Jetzt währt' es ihm zu lange; er ließ, des Helmes bloß. Auf Schwert und Panzer trauend, den Schildrand plötzlich loS: Da stürzten sie zu Boden, die vier am schnöden Seil. Frohlockend sah es Walther: da sprang er näher in Eil'. Den er zuerst erreichte, wer war es?

Helmnot.

Dem ward der Helm gespalten, und zu noch größrer Noth Durch Haupt und Nacken sauste der mörderische Stahl. Das Blut entfloß in Strömen und Leib und Leben zumal. Da wandt' er sich zu Drogo, der fest im Seile hing, Und dem des Freundes Sterben zu Herzen schreckvoll ging.

Doch größer war der Schrecken, als jetzt der grimme Feind

Dastand mit bloßem Schwerte, ihn selbst zu treffen gemeint.

Im Seil verstrickt, versucht' er zu fliehn und Schild und Schwert

Zu holen: also hätt' er des Helden sich erwehrt; Doch schneller war Herr Walther; auch stärker möcht' er sein, Er schwang das Schwert und hieb ihm die Wade nieder vom Bein. Dann lief er dem Gelähmten voraus, der schnelle Gast, Und eh' ihn der erreichte, hatt' er den Schild gefaßt. Der wunde Drogo sah eS; doch war er nicht so wund. Einen ungefügen Feldstein riß er empor aus dem Grund

EpoS.

165

Und warf ihn, daß in Stücke fein eigner Schildrand ging

Und nur noch an der Stierhaut das Holzgestelle hing. Dann kniet' er rasch zur Erde, ergriff sein Schwert und schwang ES aus der grünen Scheide, daß hell die Luft ihm erklang.

Herr Walther kam und schlug ihm den hochgeschwungnen Arm Danieder sammt dem Schwerte: so schuf eS ihm nicht Harm. Doch jetzt zum andern Hiebe sprang der Gewalt'ge vor: Der scheidenden Seele wollt' er erschließen daS Thor. Da kam, ihn zu beschirmen, der Freund, den er verlangt

(Er hatte mit dem König nach Schwert und Schild gelangt), Herr Tannast kam und deckte den Freund vor WaltherS Streich. Doch auf den Schirmer kehrte den Zorn der Schreckliche gleich

Und hieb ihm aus der Achsel heraus das Schulterblatt;

Dann fuhr, die Flanke spaltend, die Klinge scharf und glatt Ihm tief inS Eingeweide: da fiel er auf den Plan. „Leb' wohl!" so grüßt' er scheidend den Freund und blickt' ihn zärtlich an. Da fleht' umS liebe Leben Herr Drogo nicht, er schalt Und reizte noch den Sieger, der's mit dem Tod vergalt; .Er drückt' ihm um die Kehle der Kette Goldgeflecht.

„Der Hölle spar'S und melde, wie du die Brüder gerächt."

Da wälzte sich im Staube das FreundeSpaar gesellt Und schlug mit beiden Füßen daS blut'ge Leichenfeld. Mit Seufzen sah's Herr Gunther: er sprang zu Roß und maß Den kurzen Weg zu Hagen, der abseits trauernd noch saß. S i m r o ck.

Nun erst ließ auch Hagen durch die dringenden Bitten seines Königs und durch die Besorgnis vor dem Verluste seiner Ehre sich bewegen, gegen Walther zu kämpfen, der durch List von ihnen aus der Schlucht gelockt wurde, aber, ihren Anschlag vermuthend, sich auf den Widerstand in der Ebene vorbereitet hatte. Wie Hagen und Gunther mit Walther kämpften.

Zur zweiten Tagesstunde war's, als ihr Streit begann. Vereint die beiden Helden wider den einen Mann. Da brach zuerst den Frieden Hagen und warf den Speer Aus ganzer Macht, den scharfen, auf AlpkerS Sprößling daher.

Als Walther sah, er könne nicht stehn des Wurfes Kraft, Denn gleich der Windsbraut zischend und sausend fuhr der Schaft, Bog er den Schild entgegen mit Fleiß; vom blanken Erz Als wie von glattem Marmor glitt er danieder erdenwärts Und bohrte bis zum Nagel sich in den Boden ein.

Da warf mit kühnem Herzen, war feine Kraft auch klein, Der stolze König Gunther den eschenen Speer: Der fuhr kaum in den Schildrand; hernieder hing die Stange schwer. Leichtschüttelnd brachte Walther ihn aus dem wunden Holz. DaS Zeichen schlug danieder der Frankenhelden Stolz;

Doch wich der Schmerz dem Zorne: das Schwert sie zuckten wild

Und sprangen auf den Gothen mit vorgehaltenem Schild.

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Epische Poesie. Doch Walther, der den Angriff mit der Lanze von sich wie-,

Sein Antlitz drohte schrecklich, und schrecklich war sein Spieß: Die kurzen Schwerter reichten nicht an den kühnen Mann.

Es war nicht wohl ersonnen, was da Herr Gunther begann.

Seinen Speer, der an der Erde zu Walthers Füßen lag, Den hätt' er, dem ein zweiter zu Wurf und Stoß gebrach,

Gern heimlich aufgehoben: so stünd' er auch bewehrt, Wie jener, mit der Lanze statt mit dem armlangen Schwert. Da winkt' er dem Gefährten, den Helden zu bestehn:

So möcht' er unterdeffen den Diebstahl wohl begehn. Gar wohl verstand Herr Hagen des Königs stummen Wink:

Da schritt er vor geschwinde und war zum Angriffe flink. Da barg die Klinge Gunther im grünen SammethauS Und streckte nach der Lanze die Rechte mählich aus.

Und schon sie aufzüheben, gedacht' er, von dem Feld, Da gewahrte sein Beginnen der ungleich stärkere Held.

Der stets behutsam kämpfte mit Vorsicht und Geschick,

Er vergaß der Klugheit nimmer als einen Augenblick. Als sich der König bückte, merkt' er die Absicht gleich Und trieb den Hagen von sich mit einem dräuenden Streich,

Sprang dann zurück und setzte gemach den linken Fuß Auf die entzogne Lanze, die den König fangen muß. Schon wanken ihm die Kniee, da fährt ihn Walther an Und hebt das Schwert: nun war es um König Gunther gethan.

Der hungernden Hölle hätt' er ihn zugesandt; Doch Hagen kam und deckte den Herrn mit seinem Rand, Nach Walthers Antlitz schnellend der bloßen Schneide Stahl. Indem sich jener schirmte, erhob sich Gunther noch einmal Wie ein vom Tod Erstandner, zitternd und bleich vor Schreck. Den heißen Kampf erneuen doch gleich die beiden keck. Den Gewaltigen bedrängend bald einzeln, bald vereint. Und hat er jetzt dem einen das Haupt zu spalten gemeint,

So springt der andre drohend herbei und wehrt dem Streich. Er that dem wilden Bären und sie den Hunden gleich. So währt' ihr grimmeS Streiten wohl bis zum neunten Gang: Heiß schien die Sonne nieder; Herrn Walther dauert' es lang.

Simrock. Wie der Kampf zu Ende kam und die Helden Sühne tranken. Schier fühlt' er von der Sorge fein starkes Herz berührt; Er sprach: „Wenn andre Wege nicht bald das Glück uns führt,

So täuschen ihre Listen zuletzt mich müden Mann." Er sprach's, und drauf entsandte er seinen Speer mit Macht hindann. Der fuhr durch Hagens Schildrand und durch sein Eisenkleid;

Doch that er ihm am Leibe kein übermäßiges Leid:

Epos. Mit raschentblößter Klinge er nun auf Gunther sprang. Der Hieb war ungeheuer, der da dem Helden gelang. Der Schild war weggeschlagen, und durch die Hüfte glitt

Der Stahl und nahm dem König den ganzen Schenkel mit, Daß er zu Boden stürzte und lag auf seinem Schild

Dem Schrecklichen zu Füßen, der eS zu nutzen gewillt. Der Dienstmann sah erbleichend dem Herrn das Ende drohn.

Die blut'ge Klinge wieder erhob schon AlpkerS Sohn, Den Liegenden zu tödten, der unbehütet war; Doch Hagen lief, nicht achtend der eignen Lebensgefahr, Herbei, dem Streich zu wehren mit seinem eignen Haupt. Jetzt war »och einzuhalten Walthern nicht mehr erlaubt:

Die Klinge fuhr hernieder auf Hagens Eisenhut. Da sprühten helle Funken, doch war der Helm allzugut Geschmiedet und gehärtet, er brach nicht von dem Schlag:

Gebrochen war die Klinge, die halb am Boden lag.

Halb in der Luft noch blinkte.

Unwillig sah der Held

An HagenS starker Helmzier die gute Klinge zerspellt.

Er vergaß im Zorn der Vorsicht den einen Augenblick Und mußt' eS theuer büßen: so wollt' es das Geschick. Da er die Klinge mißte, verschmäht' er auch daS Heft;

ES auS der Hand zu werfen, daS war ihr letztes Geschäft. DaS künstliche Getriebe, hin flog's zu Boden weit. Da» sah der grimme Hagen und nutzte wohl die Zeit: Er schlug im Wurf ihm jubelnd herab die rechte Hand, So weit durch SiegeSthaten der Erde Völkern bekannt. Da lag der Kön'ge Schrecken, des Helden starke Faust. Herr Walther fah'S betroffen, doch ohne daß ihm graust. Er konnt' auch link nicht weichen; dazu fein Geist blieb hell: Da schob er in den Schildrand den Stumpf, den blutenden, schnell

Und zückte mit der Linken das kurze Heunenschwert, DaS chm die rechte Hüfte, wie ihr vernahmt, bewehrt. Grausame Rache nahm er an seinem Feinde damit,

DaS ihm, die Lippe spaltend, die rechte Schläfe durchschnitt. Sechs Backenzähne auSriß, dazu das Aug' entfließ. Da trug die Wund' ein jeder, die ihn wohl ruhen hieß: Sie streckten hin die Waffen des grimmen Kampfes satt. Mit heilen Gliedern keiner verließ die blutige Statt.

Die beiden saßen aufrecht, der dritte war zu schwach, Und trockneten mit Blumen des BluteS heißen Bach.

Herr Walther rief der Jungfrau; sie kam mit bleichem Mund: Mit linden Linnentüchern verband sie alles, was wund. Darauf gebot ihr Trauter dem schönen Mägdelein: „Kredenz' uns jetzt zur Sühne den kühlen Labewein.

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Epische Poesie. Der erste trinke Hagen, das ist ein guter Held, Wenn er, die er geschworen, die Schwüre redlich auch halt.

Dann reiche mir den Becher, der mehr als alle litt; Des Trankes Neige theile dem Frankenkönig mit:

Bei unsern Heldenspielen vergoß er wenig Schweiß; Wie nun die Wund' ihn kühle, vom Kämpfen ward ihm nicht zu heiß."

In allem ihm willfahrte die Tochter Herrichs. Obwohl des Tranks begierig, verbat der Franke sich's. „Nicht mir gebührt die Ehre, erst bring' ihn deinem Herrn: Er ist mir überlegen, der Braut gesteh' ich es gern." Wie sie zuvor die Hiebe gewechselt und den Speer, So lauschten sie nun Worte, der Witz flog hin und her. Der Franke sprach: „In Zukunft, wenn du den Hirsch erjagst,

Von dessen Leder Handschuh' du zahllos gewinnen magst. So fülle dir den rechten mit des Hirsche- zartem Haar: So glaubt man dich zweihändig, und doch ist eS nicht wahr. Es war so viel Gerede von deiner starken Faust; Es kann geschehn, daß manchem noch vor dem Scheinbilde graust.

Bald gilt an deinem Hofe ein nagelneuer Brauch: Du fichtst nun mit der. Linken, die Gothen werden's auch, Und wer noch mit der Rechten sein Weib umarmt und küßt,

Der ist ein Hochverräther, der zappeln muß am Gerüst." Nun war die Reih' an Walther, daß er die Lanze warf. „Wie blickst du in die Zukunft mit einem Aug' so scharf! Ich kann mit meinen beiden doch bester prophezein: Vernimm, du sollst ein König unter Blinden künftig sein. Du wirst auf einer Seite dem Dienervolk mißtraun, Beim Gruß mit queren Blicken auf deine Helden schaun. Wenn ich den Hirsch erjage, verfehlt die Sau dein Spieß. Aus alter Freundschaft rathen will ich, Trojaner, dir dieö:

Sobald du heimkommst, hole dir Milch und Mehl herbei; Die laß zusammen kochen, so giebt es einen Brei. Dein Auge wird dich schmerzen, da kommt der Brei dir recht; Beginnt dich dann zu hungern, so schmeckt die Pappe nicht schlecht."

So erneun sie unter Scherzen im Blut die Brüderschaft, Und immerdar bewährte sie fürder ihre Kraft.

Den lahmen König hoben die beiden dann aufs Pferd, Bevor gen Worms die Franken, der Held zur Heimat sich kehrt. Da empfing man wohl den Kühnen mit seiner schönen Braut; Auch ward ihm Hildegunde bald festlich angetraut. Sie liebten ihn im Lande, wo nach deS BaterS Tod Er dreißig Jahre glücklich dem Volk der Gothen gebot. Simreck.

169

Epos.

6.

Aus dem Nibelungenlied. Kriemhild und Siegfried.

Es träumte Kriemhilden in der Tugend, der sie pflag, Sie hab' einen wilden Falken erzogen manchen Tag; Den griffen ihr zwei Aare, daß sie das mußte sehn: Ihr konnt' auf dieser Erde größer Leid nicht geschehn.

Den Traum hat sie der Mutter gesagt, Frau Uten; Die wußt' ihn nicht zu deuten als so der Guten:

„Der Falke, den du ziehest, das ist ein edler Mann; Ihn wolle Gott behüten, sonst ist es bald um ihn gethan."

„Was sprecht ihr mir vom Manne, vielliebe Mutter mein? Ohne Reckenminne will ich immer sein;

So schön will ich verbleiben bis an meinen Tod, . Daß ich von keinem Manne je gewinnen möge Noth."

„Verred' es nicht so völlig," sprach da die Mutter so;

„Willst du je von Herzen auf Erden werden froh, DaS kommt von Mannesminne; du wirst ein schönes Weib,

So Gott dir noch vergönnet eines schönen Ritters Leib." Übersetzt von Stmrock.

Da wuchs in Niederlanden ein edles KönigSkind (Sein Vater hieß Siegmund, seine Mutter Siegelind) In einer reichen Feste, wohl weit und breit bekannt, Drunten bei dem Rheine, Xanten war sie genannt. Ich sag' euch von dem Degen, wie stattlich schön er ward, Sein Leib war vor der Schande wohl immer gut bewahrt.

Voll Stärk' und weiten Ruhmes war bald der kühne Mann.

Hei, was für große Ehre er auf der Welt gewann! Mit Namen hieß er Siegfried, derselbe Degen gut. Er besuchte viel' der Reiche in hochbeherztem Muth. Durch seines Leibes Stärke ritt er in manches Land. Hei, was er schneller Degen bei den Burgunden fand! Übersetzt von Beta. Siegfried zieht trotz der Abmahnungen seiner Eltern Hand zu bewerben, ragt in allen Heldenspielen weit vor Starke hervor, besiegt für Gunther die Könige Liudger und sieht danach Kriemhild, bleibt in Worms auf ihre Einladung zur Brunbild.

nach Worms, sich um Kriemhildens den burgunder Helden an Muth und Liudgast von Sachsen und Dänemark, und zieht mit dem Könige gen Island

Wie Gunther zur Brunhild nach Island fuhr. ES war eine Königstochter gesessen überm Meer, Ihr zu vergleichen war keine andre mehr. Schön war sie aus der Maßen und mächtig ihre Kraft; Sie schoß mit schnellen Degen um ihre Minne den Schaft.

Den Stein warf sie ferne, nach dem sie weithin sprang; Wer ihrer Minne gehrte, der mußte sonder Wank Drei Spiel' ihr abgewinnen, der Frauen wohlgeboren; Gebrach eS ihm an einem, so war daS Haupt ihm verloren.

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Epische Poesie. Da sprach der Vogt vom Rheine: „Ich will an die See Hin zu Brunhilden, wie eS mir ergeh'. Ich will um ihre Minne verwagen meinen Leib, Und de» will ich verlieren, gewinn' ich sie nicht zum Weib."

Er sprach: „Vieledler Siegfried, willst du mein Helfer sein, Zu werben um die Schöne? Th«' nach der Bitte mein; Und gewinn' ich mir zur Trauten das herrliche Weib,

So vermag' ich deinetwegen Ehre, Leben und Leib." Zur Antwort gab ihm Siegfried, Siegmundens Sohn:

„Ich thu' eS; versprichst du die Schwester mir zum Lohn, Die schöne Kriemhilde, eine Königin hehr,

So begehr' ich keines Lohnes nach meinen Arbeiten mehr." „Das gelob' ich," sprach da Gunther, „Siegfried, an deine Hand, Und kommt die schöne Brunhild her in dieses Land, So will ich dir zum Weibe meine Schwester geben;

So magst du mit ihr immer in Freuden leben." Deß schwuren sie sich Eide, die Ritter kühn und hehr,

Ihnen schuf eS in der Ferne der Sorgen desto mehr. Eh' sie die Wohlgethane brachten an den Rhein. Da mußten bald die Kühnen darum in großen Nöthen sein.

Siegfried mußte führen die Tarnkappe mit. Die der kühne Degen mit Sorgen einst erstritt Von einem Gezweige, mit Namen Alberich.

Da schickten sich zur Reise Recken kühn und ritterlich.

Die goldrothen Schilde trug man an den Strand Und schaffte zu dem Schiffe all ihr Rüstgewand; Ihre Roffe ließ man bringen; sie wollten nun hindan«. Alsbald von schönen Frauen großes Weinen begann. Da stand in den Fenstern manch minniglicheS Kind; DaS Schiff mit seinem Segel ergriff ein hoher Wind. Die stolzen Heergesellen saßen auf dem Rhein;

Da sprach der König Gunther: „Wer soll nun Schiffsmeister sein?" Eine Ruderstange Siegfried gewann: Vom Gestad' zu schieben mit Kraft hub er an.

Gunther der Kühne ein Ruder selber nahm. Da huben sich vom Lande die schnellen Ritter lobesam.

Sie führten reiche Speise, dazu guten Wein,

Den besten, den sie finden mochten um den Rhein. Die Roffe standen eben; sie hatten gute Ruh'.

DaS Schifflein auch ging eben; wenig Leid stieß ihnen zu. An dem zwölften Morgen, wie wir hören sagen, Da hatten sie die Winde weit hinweggetragen

Nach Zsenstem, der Feste, in BrunhildenS Land:

Die war ihrer keinem als nur Siegfriede» bekannt.

EpoS. Sechsundachtzig Thürme sahn sie darin zumal,

Drei weite Pfalzen und einen schönen Saal Von edlem Marmelsteine, so grün als wie das GraS, Darin Brunhilde selber mit ihrem Ingesinde saß. Die Pforte stand erschlossen, die Burg war aufgethan; Entgegenliefen ihnen die in BrunhildenS Bann, Die Kühnen zu empfangen in ihrer Herrin Land.

Die Rosse nahm man ihnen und die Schilde von der Hand. AIS die Königstochter Siegfrieden sah, Wohlgezogen sprach sie zu dem Gaste da: „Seid willkommen, Siegfried, hier in diesem Land.

WaS meint eure Reise?

Das macht mir, bitt' ich, bekannt."

„Er ist geheißen Gunther, ein König reich und hehr;

Erwirbt er deine Minne, nichts weiter wünscht er mehr. Mit ihm bin ich gefahren in dieses Land um dich: Wenn er mein Herr nicht wäre, ich unterließ eS sicherlich."

Sie sprach: „Ist er dein Herre, stehst du in seinem Lehn; Kann er, die ich ertheile, meine Spiele dann bestehn Und bleibt darin der Meister, so werd' ich sein Weib: Gewinn' ich aber eine-, es geht euch allen an den Leib.

Den Stein soll er werfen und springen danach, Den Speer mit mir schießen: drum sei euch nicht zu jach. Ihr könnt hier leicht verlieren die Ehr' und auch den Leib; DaS mögt ihr wohl bedenken!" sprach das minnigliche Weib.

Siegfried der Schnelle ging vor den König hin Und bat ihn, frei zu reden mit der Königin Ganz nach seinem Willen; angstlvs sollt' er sein: „Ich will dich wohl behüten vor ihr mit den Listen mein." Da sprach der König Gunther: „Königstochter hehr. Ertheilt mir, was ihr wollet, und wär' eS auch noch mehr,

DaS bestünd' ich alles um euern schönen Leib. Mein Haupt will ich verlieren, so ihr nicht werdet mein Weib." AIS da seine Rede vernahm die Königin, Bat sie, wie ihr geziemte, das Spiel nicht zu verzieh«. Sie ließ sich zum Streite bringen ihr Gewand,

Einen festen PanM und einen guten SchildeSrand.

Derweilen war auch Siegfried, der waidliche Mann, An das Schiff gegangen, eh' wer darüber sann. Wo er die Tarnkappe verborgen liegen fand, In die er hurtig schlüpfte; da war er niemand bekannt.

Er eilte bald zurücke und sah da Recken viel'; Die Königin ertheilte da ihr hohes Spiel. Er ging hinzu verstohlen, und daß ihn niemand sah Von allen, die da waren; gar listiglich das geschah.

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Epische Poesie. Da brachte man der Frauen, schwer und übergroß Einen scharfen Wurfspieß, den sie stets verschoß. Stark und ungefüge, mächtig und breit zumal; Der hatt' an seinen Seiten zwei Schneiden von scharfem Stahl. BrunhildenS Stärke zeigte sich nicht Nein:

Man trug ihr zu dem Kreise einen schweren Stein,

Groß und ungefüge, rund und stark und breit. Ihn trugen kaum zwölfe dieser Degen kühn im Streit.

An ihre weißen Arme sie die Ärmel wand, Sie begann zu faffen den Schild mit der Hand, Sie schwang den Spieß zur Höhe: da ging es an den Streit.

Die fremden Gäste bangten vor BrunhildenS Zorn und Neid. Und wär' ihm da Siegfried zu Hülfe nicht gekommen. So hätte sie das Leben Günthern wohl benommen. Er nahte sich verstohlen und rührte seine Hand; Gunther seine Künste mit großen Sorgen befand.

Er sprach: „Gieb aus den Händen den Schild, laß mich ihn tragen. Behalte wohl im Sinne, was du mich hörest sagen;

Du habe die Geberde, ich will das Werk bestehn." AlS er ihn erkannte, da war ihm Liebes geschehn.

Da schoß mit großen Kräften die herrliche Maid Auf einen neuen Schildrand mächtig und breit, Den trug an seiner Linken der Sieglinde Kind; DaS Feuer sprang vom Stahle, als ob eS wehte der Wind. DeS starken Spießes Schneide den ganzen Schild durchdrang, Daß das Feuer lohend aus den Ringen sprang. Von dem Schuffe strauchelten die kraftvollen Degen. War nicht die Tarnkappe, sie wären beide todt erlegen.

Siegfried dem Kühnen vom Munde brach das Blut. Bald sprang er auf die Füße: da nahm der Degen gut Den Speer, den sie geschossen ihm hatte durch den Rand; Den warf ihr bald zurücke deS starken Siegfrieds Hand.

DaS Feuer stob vom Panzer, als trieb' eS der Wind. Es hatte wohl geschossen König Siegmunds Kind; Ihr reichten nicht die Kräfte, vor solchem Schuß zu stehn.

DaS wär' von König Günthern in Wahrheit nimmer geschehn. Brunhild die schöne bald auf die Füße sprang.

„Edler Ritter Gunther, deS SchufleS habe Dank!" Sie wähnte noch, er hätt' es mit seiner Kraft gethan; Nein, gefället hatte sie ein weit stärkerer Mann. Da trat sie hin geschwinde, zornig war ihr Muth;

Den Stein hoch erhub sie, die edle Jungfrau gut; Sie schwang ihn mit Kräften weithin von der Hand, Dann sprang sie nach dem Wurfe, daß laut erklang ihr Gewand.

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Epos.

Der Stein war gefallen zwölf Klafter weit von dem Schwung; Die Jungfrau wohlgeschaffen erreicht" ihn doch im Sprung.

Hin ging der schnelle Siegfried, wo der Stein nun lag; Gunther mußt' ihn wägen, des Wurfs der Verhol'ne Pflag.

Siegfried war verwogen, kräftig und lang; Den Stein warf er ferner, dazu er weiter sprang; Von seinen schönen Künsten empfing er Kraft genug,

Daß er in dem Sprunge den König Gunther noch trug. Zu ihrem Ingesinde laut sprach sie da, Als sie gesund den Helden an des Kreises Ende sah:

„Ihr, meine Freund' und Mannen, tretet gleich heran, Ihr sollt dem König Gunther alle werden Unterthan." Da legten die Kühnen die Waffen von der Hand

Und boten sich zu Füßen von Burgundenland Gunther dem Reichen, so mancher kühne Mann; Sie wähnten all', er hätte das Spiel mit seiner Kraft gethan.

Er grüßte sie gar minniglich: wohl war er lugendreich. Da nahm ihn bei der Rechten das Mägdlein ohnegleich;

Sie erlaubt' ihm, zu gebieten in ihrem ganzen Land; Deß freuten sich alle die Degen kühn und gewandt.

Siegfried der Schnelle weise war genug,

Daß er die Tarnkappe zum Schiffe wieder trug; Dann ging er zu dem Saale, wo manche Fraue saß Und er mit andren Degen alles Leides vergaß. „Nun wohl mir dieser Märe," sprach Siegfried der Degen,

„Daß hier eure Hochfahrt also ist erlegen Und jemand lebt, der euer Meister möge sein. Nun sollt ihr, edle Jungfrau, uns hinnen folgen an den Rhein." Übersetzt von Simrock.

Gunther giebt nach seiner Vermählung mit Brunhild Siegfried seine Schwester Kriemhild zur Frau, bedarf aber der Hülfe desselben gegen die in seiner Gemahlin sich regende dämonische Kraft noch einmal. Den in dem neuen Kampfe der Königin abgenommenen Gürtel und Ring schenkt Siegfried seiner Frau und veranlaßt dadurch einen heftigen Streit, der sich zwischen den beiden Königinnen nach zehn Jahren erhebt. Die aufs heftigste erzürnte Brunhild beschließt mit Hagen Siegfrieds Tod, in den auch Gunther willigt. Falsche Boten bringen die Nachricht von einem beabsichtigten Angriffe Liudgers und Liudgasts; dem bekümmerten Gunther verspricht Sieg­ fried seine Theilnahme am Kampfe, in welchem er, wie Hagen hofft, seinen Tod finden soll.

Wie Siegfried verrathen ward.

Als man sie mit den Knechten sich sah zur Fahrt anschicken,

Um Siegfried und die Seinen mit Listen zu bestricken, Befahl er auch die Rüstung den Helden aus Niederland Und sich wohl zu versehen mit Waffen und Gewand.

Auch sprach der starke Siegfried zum Vater Siegemund: „Ihr bleibet hier zu Lande, wir kommen bald gesund Mit Gottes Hülfe wieder zurück an den Rhein, Ihr mögt hier unterdessen beim König fröhlich sein."

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Epische Poesie. Man rüstete die Fahnen, als ginge die Fahrt nun an, Und solche gab's zur Gnüge in König Gunthers Bann, Die davon gar nichts wußten, warum dies sollte geschehn.

Bei Siegfried war ein großes Heergefolge zu sehn. Als man nun Helm' und Panzer auf die Roste band Und viele starke Ritter fort wollten aus dem Land, Da mochte Hagen, zu Kriemhild zu gehen, nicht versäumen Und Urlaub zu erbitten: sie wollten's Land jetzt räumen.

„Wohl mir," sprach Kriemhilde, „daß ich den Held gewann, Der meine lieben Freunde so wohl beschützen kann, So wie der starke Siegfried es meinen Brüdern thut; Ich bin deshalb auch wahrlich von Herzen wohlgemuth.

Nun bitt' ich euch, Freund Hagen, daß ihr daran gedenkt, Daß ich euch gerne diene und euch noch nie gekränkt, DaS laßt zu gute kommen nun meinem lieben Mann Und laßt ihn nicht entgelten, was ich Brunhilden gethan."

Er sprach: „Ihr söhnet euch wohl noch aus in diesen Tagen; Nun mögt ihr, liebe Franc, mir jetzund offen sagen, Wie ich euch dienen könne an Siegfried, eurem Herrn; Ich gönn' es niemand bester und thu' cS herzlich gern." „Ich wär' ohn' alle Sorge," sprach das edle Weib, „Daß ihm jemand nähme im Kampfe seinen Leib, Wenn er nicht folgen wollte seinem Übermuth;

Sonst wäre der wackere Ritter in immer sichrer Hut." „Besorgt ihr, edle Franc," erwiderte ihr Hagen, „Daß man ihn verwunde, so mögt ihr mir nur sagen, Auf welche Weis' ich dieses mit Listen mag umgehn; Ich will, ihn zu beschützen, ihm immerdar zu Diensten stehn."

Sie sprach: „Wir beide, Hagen, sind Verwandte durch das Blut;

Drum geb' ich meinen Lieben auf Treu' in deine Hut, Daß du mir behütest den lieben, holden Mann." WaS sie bester hätte verschwiegen, vertraute sie nun ihm an. Sie sprach: „Mein Mann ist tapfer und dazu stark genug.

Als er an dem Berge den Linddrachen erschlug, Da badete sich im Blute des Drachen der kühne Mann, Weshalb ihn keine Waffe im Kampf verwunden kann.

Jedennoch hab' ich Sorge, wenn er im Streite steht Und von der Helden Händen so mancher Speerwurf geht. Daß ich da noch verliere meinen lieben Mann. Ach, was für Sorg' und Kummer kam mich um ihn schon an!

Viellieber Freund, ich melde eS dir auf Gnade nun, Auf daß du deine Treue mir kund mögest thun; Drum trau' ich dir in Gnaden das Geheimnis an,

Wo man meinen lieben Gatten doch verwunden kann.

Epos. AIS auS de- Drachen Wunden floß da- heiße Blut Und sich darinnen badete der Ritter kühn und gut. Da fiel ihm zwischen die Schultern ein Lindenblatt gar breit; Hier ist er zu verwunden, deswegen trag' ich Sorg' und Leid."

Da sprach von Tronje Hagen: „So näht auf sein Gewand Ein kleine- Merkzeichen; dadurch ist mir bekannt, Wo ich ihn schützen müsse, wenn wir im Kampfe stehn." Sie wähnt', ihn so zu sichern, doch war eS nun um ihn geschehn. Sie sprach: „Mit feiner Seide näh' ich auf sein Gewand Ein fein versteckte- Kreuzchen, und deine Heldenhand Soll ihn da wohl beschützen, wenn's ins Gedränge geht Und er im heißen Kampfe mit seinen Feinden steht."

Zur Antwort gab ihr Hagen: „Das will ich gerne thun." Und ob sie gleich nun hoffte, er wäre sicher nun. So war er doch verrathen, der vielgeliebte Mann. Hagen nahm nun Abschied und ging fröhlich von dann.

Am andern Morgen frühe ritt mit tausend Mannen Der Herre Siegfried frohen Muthes gleich von dannen Im Wahn, er sollte rächen seiner Freunde Leid. Hagen ritt ihm nahe und beschaute sich sein Kleid. MS er das Kreuz gesehen und sich davon gestohlen, Da schickt' er andre Boten, Siegfried zurückzuholen, Da friedlich bleiben solle König Gunthers Land, Und daß sie Lüdeger zum Könige habe gesandt. Wie ungern ritt da Siegfried zurücke von dem Streit, Eh' er gerochen hatte seiner Freunde Leid. Kaum konnten sie ihn halten, die aus Günthers Bann; Nun ritt er zu dem König, der ihm zu danken begann:

„Nun lohn' euch Gott für euren freundschaftlichen Willen; Daß ihr meine Bitte so willig wolltet erfüllen, DaS will ich euch vergelten nach Recht und Billigkeit; Bor allen meinen Freunden vertrau' ich euch noch weit.

Da wir vom Kriegeszuge konnten uns befrein, So wollen wir, zu jagen Bären und wilde Schwein', In die Vogesen reiten, wie ich schon oft gethan." DaS hatte Hagen gerathen, der ungetreue Mann.

„Ich denke früh zu reiten, das soll man allen sagen Unter meinen Gästen; die mit mir wollen jagen. Die sollen sich fertig halten; und wer zurücke bleibt, Der sorge, daß er höflich den Frauen die Zeit vertreibt." Da sprach der starke Siegfried in seiner Gefälligkeit: „Wollt ihr zu jagen reiten, so bin ich auch bereit; Doch bitt' ich, mir zu leihen einen Treibermann Nebst mehren Bracken, so reit' ich in den Wald sodann."

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Epische Poesie. „Wollt ihr nur einen?" fragte der König alsobald;

„Ich leih' euch gerne viere, denen Steg' und Wald, Wo die Thiere stecken, am besten sind bekannt. Daß ihr nicht zur Herberge reiten müßt mit leerer Hand." Jetzt ritt zu seinem Weibe der unverzagte Mann. Indeß vertraute Hagen dem König heimlich an.

Wie er besiegen wollte den theuern, wackern Degen.

Solch großer Untreue sollte niemand wieder pflegen^

Übersetzt von Beta. Wie Siegfried erschlagen ward. Gunther und Hagen, die Recken Wohlgestalt, Versprachen mit Untreuen ein Pirschen in den Wald. Mit ihren scharfen Spießen wollten sie Bär und Schwein Und Buckelochsen jagen; was konnte kühner sein?

Sie hießen Herberg' nehmen hinter dem Walde grün Wider des Wildes Ablauf, die Jäger stolz und kühn, Auf einem breiten Anger; allda wollten sie jagen.

Auch Siegfried war gekommen; das eilten sie, Günthern zu sagen. Von den Jagdgesellen wurde da umstellt Der Wald an allen Enden. Da sprach der kühne Held, Siegfried, der starke Degen: „Wer führt uns auf den Wegen

Im Walde nach dem Wilde, ihr kühnen, schnellen Degen?"

„Wollen wir uns theilen," sagte darauf Hagen, „Eh' daß wir beginnen hie im Walde zu jagen? So wird es sich uns zeigen, mir und den Herren mein, Wer die besten Jäger bei dieser Waldreise sei'n.

Wir wollen uns in die Leute und in die Hunde theilen, Dann mag, wohin'S gelüstet, dahin ein jeder eilen. Wer dann am besten jaget, der erntet Preis und Dank." Die Jäger bei einander weilten nicht mehr lang. Da sprach der Degen Siegfried: „Der Hunde habe ich Rath.

Ich will nur einen Bracken, der so genossen hat. Daß er im Walde die Fährte der Thiere zeigen kann.

Wir kommen wohl zum Jagen!" sagte Kriemhildens Mann. Da nahm ein alter Jäger einen Spürhund Und brachte den edlen Herren dahin in kurzer Stund', Wo sie viel Wildes fanden. Was sich da mochte regen,

DaS jagten die Gesellen, wie noch gute Jäger pflegen. ES geschah, daß der Bracke einen großen Eber fand;

Als der begann zu fliehen, da kam er unverwandt, Der edle Jägermeister, und warf sich ihm entgegen: ES lief das Schwein im Zorne wider den kühnen Degen. Da schlug ihn mit dem Schwerte Kriemhildens Mann: Kein andrer Jäger ginge so leicht wie er daran.

EpoS. Nachdem er ihn gefallet, fing man den Spürhund:

Da ward fein reiches Jagen allen Burgunden kund. Sie hörten allenthalben Lärmen und GetoS;

Von Leuten und von Hunden ward der Schall so groß. Daß ihnen Antwort gaben der Berg und auch der Wald;

Vierundzwanzig Koppeln hatten die Jäger losgeschnallt. Cs mußten viele Thiere lasien dort das Leben.

Da meinten die Burgunden, man würde ihnen geben

Den Preis bei diesem Jagen: das konnte nicht geschehn, Als man den starken Siegfried bei der Feuerstatt gesehn.

Die Jagd war nun vorüber, doch noch nicht ganz und gar. Die zur Feuerstatt wollten, die brachten mit sich dar

Viel mancher Thiere Häute und des Wildes auch genug. Hei, was man zu der Küchel vor das Gesinde trug! Da hieß der König künden den guten Jägern sein, Daß er zum Imbiß wollte: man stieß ins Horn hinein Einmal; an diesem Zeichen ward jedermann bekannt.

Daß man den edlen Fürsten bei der Herberge fand.

Da sprach der Degen Siegfried: „Nun räumen wir den Tann!" Sein Roß trug ihn gemächlich; sie eilten ihm nach fortan. Mit ihrem Schalle scheuchten sie ein Thier gar fürchterlich, Einen wilden Bären; da sprach der Degen hinter sich:

„Ich will uns Jagdgesellen eine Lust gewähren. Ihr sollt den Bracken lösen, ich sehe einen Bären; Der soll mit uns von hinnen zu den Herbergen fahren. Flieht er nicht gar behende, kann er sich nicht bewahren."

Der Bracke ward gelöset, der Bär lief zu entweichen. Der Mann KriemhildenS dachte, ihn reitend zu erreichen. Er kam in ein Gestrüppe, da konnte es nicht geschehn; DaS starke Thier, das wähnte, dem Jäger zu entgehn. Da sprang von seinem Roste der Ritter auserkoren Und begann ihm nachzulaufen. Das Thier war nun verloren, Es konnte ihm nicht entrinnen: er fing es unverwandt; Ohne alle Wunden der Held eS eilig band.

Weder kratzen, noch beißen konnte es den Mann; Er band es zu dem Sattel. Auf saß der Schnelle dann; Er brachte es an die Feuerstatt durch seinen hohen Muth Um eines Scherzes willen, der Degen kühn und gut. Als er vom Roß gesprungen, nahm er von Fuß und Munde Dem Bären ab die Bande. Da erhuben bald die Hunde Ein überlautes Bellen, als sie den Bären erkannt. DaS Thier wollte zu Walde, woraus groß Ungemach entstand.

Als von dem Lärm zur Küche der starke Bär gerieth, Hei, was er Küchenknechte da von dem Feuer schied! Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Ausl.

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Epische Poesie. Manch ein Kessel ward gestoßen, zerriffen manch ein Brand. Hei, was man guter Speise in der Asche liegen fand! Da sprangen von den Sesseln die Herrn und ihre Mannen. Der Bär begann zu zürnen: der König hieß von dannen

Alle Hunde lassen, was noch an Seilen lag; Und nähm's ein gutes Ende: sie hätten fröhlichen Tag. Sie ließen es nicht länger: mit Bogen und mit Speeren Folgten die schnellen Degen, wo er lief, dem Bären;

Doch niemand schoß, von Hunden war es dort zu voll. So laut war das Getöse, daß Berg und Thal erscholl.

Als vor den Hunden eilig der Bär zu fliehn begann, Konnte ihm niemand folgen als nur Kriemhildens Mann, Der ihn mit dem Schwerte ereilte und erschlug,

Worauf man zu dem Feuer wieder den Bären trug. Da sprachen, die das sahen, er wäre ein starker Mann. Man rief die Jagdgesellen zu Tische nun heran. Auf einem schönen Anger saßen ihrer da genug;

Hei, waS man Ritterspeise den stolzen Jägern trug!

Da sprach der edle Siegfried: „Mich wundert es mit Fug; Bringt man uns aus der Küche so mancherlei genug. Was bringen uns die Schenken dazu nicht auch noch Wein? Pflegt man nicht baß der Jäger, will ich nicht Jagdgeselle sein." Da sprach Hagen von Tronje: „Ihr edlen Ritter schnell,

Ich weiß hier in der Nähe einen kühlen Quell: Daß ihr nicht zürnen möget, dahin lasset uns gehn." Der Rath war manchem Degen zu großen Sorgen geschehn. Als sie von dannen wollten zu einer Linde breit, Da sprach Hagen von Tronje: „Ich hörte allezeit. Dem Manne Kriemhildens, versuche er sich im Rennen, Könne niemand folgen; ließe er uns das erkennen!" Da sprach von Niederlanden der Degen kühn und schnell: „Das möget ihr wohl versuchen, wollet ihr zu dem Quell Mit mir die Wette laufen. Wenn solches nun geschehn, Soll man dem, den gewinnen man sah, den Preis zugestehn."

„So laßt eS uns versuchen!" sagte Hagen der Degen. Da sprach der starke Siegfried: „So will ich mich legen

Vor eure Füße nieder in das Gras." Als er solches hörte, wie lieb war Günthern das!

Da sprach der kühne Degen: „Ich will euch mehr noch sagen: All mein Jagdgeräthe will ich mit mir tragen, Den Spieß zusamntt dem Schilde und auch mein Pirschgewand." Worauf er schnell den Köcher zum Schwerte um sich band.

Drauf zogen sie die Kleider von dem Leibe da: In zwei weißen Hemden man beide stehen sah.

Epos. Gleich zween wilden Pardeln liefen sie durch den Klee, Doch sah man bei dem Brunnen den kühnen Siegfried eh'. Er trug in allen Dingen den Preis vor manchem Mann. Er legte schnell bei Seite das Schwert, den Köcher dann Und lehnte seinen starken Spieß an der Linde Ast: Bei der rieselnden Quelle stand der herrliche Gast. Siegfriedens Tugenden, die leuchteten wohl hell.

Er legte auch zur Erde den Schild noch bei dem Quell. Wie sehr der Durst ihn brannte, entsagte er doch dem Trank, Bevor der König getrunken. Ihm ward ein böser Dank!

Der Brunnen, der war kühle, war rein und gut und hell; Es neigte König Gunther sich nieder zu dem Quell.

Als er getrunken hatte, wandte er sich zu gehn.

Dasselbe wäre auch gerne vom kühnen Siegfried geschehn. Er büßte seine Tugend. Es eilte alles Hagen, Sein Schwert und seinen Bogen, von ihm wegzutragen, Und sprang alsbald zurücke, wo er den Jagdspieß fand.

Er sah nach einem Zeichen an des kühnen Helden Gewand. Als der edle Siegfried aus dem Brunnen trank, Schoß er ihn durch das Kreuze, und aus der Wunde sprang DaS Blut aus seinem Herzen mit Macht auf Hagens Kleid. Nein, solche Schandthat übet kein Held zu dieser Zeit! Da sprang er wild und rasend von dem Born empor: Eine Speerstange ragte ihm zwischen den Schultern vor.

Der Fürst wähnte zu finden Bogen oder Schwert; So würde nach seinem Dienste Hagen der Lohn gewährt. Als der zum Tode Wunde nicht Schwert und Bogen fand, Da hatte er nichts weiter als seinen Schildesrand. Er riß ihn von dem Brunnen empor, lief Hagen an: Da konnte ihm nicht entrinnen König Gunthers Mann. Wie wund er war zum Tode, so kräftig schlug er drein,

Daß von seinem Schilde viel edeles Gestein Zur Erde niederflirrte; der Schild war ganz zerbrochen. Der herrliche Fremdling hätte sich gern gerochen. Bon seiner Hand war Hagen zum Boden hingefallen, Von den starken Schlägen hörte das Thal man hallen: Hätte er sein Schwert in Händen, so war es Hagens Tod; Groß war deS Wunden Zürnen, ihn zwang die herbe Noth.

Erblichen war sein Antlitz, er konnte nicht mehr stehn, Seines Leibes Stärke mußte ganz zergehn, Weil er des Todes Zeichen in bleicher Farbe trug.

Es haben schöne Frauen ihn noch beweinet genug. Da fiel in die Blumen Kriemhildens Mann,

Man sah, wie aus der Wunde das Blut mit Macht ihm rann. 12*

179

Epische Poesie.

180

Da begann er zu schelten (wohl zwang ihn große Noth)

Auf die, welche treulos gerathen zu seinem Tod. Da sprach der Todtwunde: „Weh ihr bösen Zagen! Was helfen meine Dienste, nachdem ihr mich erschlagen? Ich war euch treu, für Treue habe ich den Lohn empfangen:

Weh euch!

Ihr habet Frevel an euren Freunden begangen."

Die Ritter liefen alle, wo er erschlagen lag; Es hatten ihrer viele einen freudenlosen Tag.

Die irgend Treue kannten, die klagten seinetwegen; Wohl hatte es um alle verdient der herrliche Degen.

Der König von Burgunden beklagte auch seinen Tod; Da sprach der Todwunde: „Das ist ohne Noth, Daß der um Schaden weinet, der selber ihn betrieben, Den mag man hart wohl schelten; bester, es wäre geblieben."

Da sprach der grimme Hagen: „Ich weiß nicht, was ihr klagt; Nun hat es all ein Ende, was je uns mißbehagt.

Nun giebt es ihrer wenige, die zu bestehn uns wagen. Wohl mir, daß ich des Helden und habe jetzt entschlagen." „Ihr habet leicht euch rühmen!" sprach Siegfried der Degen: „Hätte ich gewußt, ihr könntet der Mördersitte pflegen. Ich hätte wohl bewahret vor euch meinen Leib. Nichts giebt's, was mehr mich grämet, als wie Kriemhild, mein Weib.

Nun müsse es Gott erbarmen, daß ich gewann den Sohn; Der wird hören müssen die Schmach, den bittern Hohn, Daß seine Sippen jemand mörderlich erschlagen. Hätt' ich Zeit und Weile, darum sollte ich wohl klagen." Da sprach in seinem Jammer der todwunde Held: „Wollt ihr, edler König, an jemand auf der Welt Noch eure Treue zeigen, laßt euch befohlen sein Auf eure Huld und Gnade die liebe Huldin mein.

Lasset sie deß genießen, daß sie eure Schwester sei, Durch aller Fürsten Tugenden steht ihr mit Treue bei. Mein Vater, meine Mannen, die harren lange mein; Es that noch niemand übler am lieben Freunde sein." Es waren allenthalben die Blumen vom Blute naß. Da rang er mit dem Tode, nicht lange that er das. Denn deS Todes Waffen schnitt immer allzusehr: So mußte auch ersterben dieser Necke kühn und hehr.

Als die Herren sahen, daß der Held war todt, Legten sie ihn auf einen Schild, der war von Golde roth.

Und pflegten dann des Rathes, wie eS möchte gehn. Daß man verhehlte, daß es durch Hagen geschehn.

Da sprachen ihrer viele: „Wir sind mit Noth geschlagen! Ihr sollet eS alle hehlen und sollet alle sagen:

EpoS.

181

Als er jagen ritt alleine, KriemhildenS Mann, Erschlugen ihn die Schächer, wie er fuhr durch den Tann."

Da sprach Hagen von Tronje: „Ich bringe ihn in daS Land. Mich soll es wenig grämen, so es ihr wird bekannt, Ihr, die so schwer betrübet BrunhildenS Herz. Ich achte eS geringe, wie sie nun weint vor Schmerz." Da harrten sie der Nachtzeit und fuhren über Rhein. Bon Helden konnte nimmer schlimmer gejaget sein. Das Wild, das sie erschlagen, beklagte manch ein Weib;

Sein mußte noch entgelten manch gutes Recken Leib. Übersetzt von Marbach.

Nach der Bestattung des Helden zieht sein Vater in die Heimat zurück, Kriemhild dagegen verbleibt in Worms, ganz ihrem Schmerze hingegeben, versöhnt sich nach vierthalb Jahren mit Gunther, nicht aber mit Hagen und läßt, vom Könige dazu beredet, den Nibelungenhort nach Worms kommen. Dieser wird auf Hagens Rath in den Rhein versenkt und Kriemhildens Herz dadurch mit Zorn erfüllt. Um ihre Rache zu befriedigen, vermählt sie sich nach dreizehn Jahren mit dem Könige Etzel vom Heunenlande, wird aber, selbst nachdem sie einen Sohn geboren, in der Fremde nicht heimisch. Auf ihre und Etzels dringende Einladung ziehen die Burgunder, jetzt Nibelungen genannt, nach abermals dreizehn Jahren trotz, der Warnungen Hagens nach Ofen. Der Troß des Zuges wird in einer Herberge untergebracht; die übrigen begeben sich in Etzels Palast. Der Aufforderung Kriemhildens, die Waffen ihr zur Verwahrung anzuvertrauen, entsprechen die Helden nicht; Hagen und Volker, die kühnsten unter ihnen, halten vielmehr Wache. Durch Hagen wird die Königin auf das entsetzlichste gereizt: offen trägt er Siegfrieds Schwert, gesteht seine Frevelthat, tobtet ihren Sohn. Sie wird zur Furie. Der Kampf beginnt. Ihre Rache erstreckt sich anfangs nur auf Hagen; aber der Kamps wird allmählich allgemeiner. Dietrich von Bern nimmt endlich Hagen und Gunther gefangen und führt sie gefesselt vor Kriemhild.

Wie Gunther und Hagen und Kriemhild erschlagen wurden. Da nahm der Herre Dietrich selbst sein Streitgewand; Ihm half, daß er sich waffnete, der alte Hildebrand. Da klagte also schmerzlich der kräftige Mann,

Daß daS HauS zu schüttern von seiner Stimme begann.

Da gewann er wieder balde rechten Heldenmuth. Im Grimme ward gewaffnet nun der Degen gut? Den Schild, den gar festen, nahnl er in die Hand. Sie gingen bald von dannen, er und Meister Hildebrand. Da sprach von Tronje Hagen: „Sieh', dorten kömmt heran

Dieterich, der Herre; der greift uns sicher an Ob des starken Leides, das ihm hier geschehn. Man soll das heute schauen, wem mau den Preis mag zugestehn."

Die Rede hörte Dietrich und auch Hildebrand;

Er kam, wo er die Gäste beide stehend fand Bor dem HauS, gelehnet an des Saales Wand.

Herr Dietrich setzte nieder seinen guten Schilvesrand.

In leidvollen Sorgen rief Dietrich ihm entgegen: „Wie habt ihr so gehandelt, Gunther, edler Degen, Wider mich Landverwies'nen?

Was hab' ich euch gethan?

Beraubt all meines Trostes, bin ich ein ganz verlaff'ner Mann.

182

Epische Poesie. Euch dünkt' eS nicht genugsam an der großen Noth, Da ihr unS Rüdigeren, den Helden, schlugt zu Tod; Nun habt ihr meine Mannen alle mir benommen. Don mir wär' euch Helden solche- Leid nie gekommen."

„Wohl sind wir nicht so schuldig," sprach Hagen ihm entgegen; „Denn zu diesem Hause kamen eure Degen, Gewaffnet wohl mit Fleiße, in breitem Kriegeszug.

Man sagt' euch, will mich dünken, die Mären wohl nicht treu genug." Da sprach der Held von Berne: „Es mußte wohl so sein.

Gunther, hehrer König, bei der edlen Sitte dein. Vergüte mir die Leiden, die du mir angethan, Und sühn' eS, kühner Ritter, auf daß ich dir'S erlassen kann.

Ergieb dich mir als Geisel, du und dein LehenSmann:

So will ich dich behüten, wie ich aufS beste kann, Daß hier bei den Hennen dir niemand etwas thut; Du sollst an mir nichts finden, als was getreulich und gut." „Nicht woll' eS Gott vom Himmel," sprach Hagen ihm entgegen, „Daß sich dir ergeben zwei so gute Degen,

Die wehrhaft noch bewaffnet dir gegenüberstehn Und noch vor ihren Feinden also frei und ledig gehn." „Laßt hören, Recke Hagen," hub Dietrich wieder an,

„Was ihr zwei kühne Degen für Reden habt gethan. Da ihr zu euch gewaffnet mich kommen gesehn.Jhr sagtet, ihr alleine wolltet mich mit Streit bestehn."

„Auch leugnet das euch niemand," sprach Hagen, der Degen,

„Daß ich'S versuchen wolle allhie mit starken Schlägen; ES sei denn, mir zerbreche Nibelungen- Schwert. Mir ist Zorn, daß man unS beide allhie zu Geiseln begehrt." Da Dieterich gehöret HagenS grimmen Muth, Den Schild gar eilig zückte der schnelle Degen gut.

Wie bald ihm von der Stiege entgegen Hagen sprang I

NiblungenS Schwert, das gute, gar laut auf Dietrichs Helm erklang. Da merkte wohl Herr Dietrich, daß der kühne Mann Gar grimmen Muthes wäre; zu schirmen da begann

Sich der Herr von Berne vor schrecklichen Schlägen. Gar wohl kannt' er Hagen, den gewaltigen Degen.

Auch fürchtet' er den Balmung, eine Waffe stark genug. Unterweilen Dietrich mit Kunst entgegenschlug, Bis daß er endlich Hagen im Streite doch bezwang.

Er schlug ihm eine Wunde, die war tief wohl und lang.

Dietrich band da Hagenen und bracht' ihn, wo er fand Kriemhild, die edle Fürstin, und gab ihr in die Hand

Den tapfersten Recken, der ein Schwert je trug.

Nach ihrem harten Leide, da ward sie fröhlich genug.

Epos.

183

„Ihr sollt ihn leben lassen," so sprach Herr Dieterich, „Edle KönigSfraue. Gewiß, es füget sich, Daß er euch noch vergütet, waS euch von ihm geschehn. Er soll deß nicht entgelten, daß ihr ihn seht gebunden stehn." Hinführen ließ sie Hagenen, wo man ihn übel pflag. Wo ihn niemand schaute und er verschloffen lag. Gunther, der edle König, zu rufen er begann:

„Wohin kam der Held von Berne?

Der hat mir Leides gethan."

Entgegen ging ihm Dietrich, der Degen heldenhaft. Da war auch preisenswürdig König Gunthers Kraft.

Er harrte nun nicht länger; er stürzte vor das Haus: Da hub sich von den beiden gewaltig ein SchwertersauS.

Wie sehr man Dietrichs Stärke seit lange mochte loben, Da war der grimme Gunther in solchem Zornestoben

Und war nach hartem Leide ihm so feindlich gram. Man nannt' eS wohl ein Wunder, daß Dietrich lebend noch entkam.

Kraft und Stärke waren gar groß den beiden Degen; Palast und Thürme schütterten von ihren jähen Schlägen, Da ihre Schwerter hieben auf die Helme gut.

Es hatte König Gunther einen herrlichen Muth. Bald zwang ihn der von Berne, wie es Hagen erst geschah. DaS Blut man durch den Panzer des Helden fließen sah Bon einem starken Schwerte, das trug Herr Dieterich. Doch hatte Gunther sich gewehrt in seiner Müde tugendlich.

Der Herr ward in Bande von Dieterich geschlagen, Ob Könige auch nie sollten solche Band' ertragen.

Er dachte, ließ er Günthern und seinen Dienstmann frei, Daß es allen, die sie fänden, zu Tod und Verderben sei. Dieterich von Berne, der nahm ihn bei der Hand;

Hin führt' er ihn gebunden, wo er Kriemhilden fand. Sie sprach: „Willkommen, Gunther, du Held auS Burgund!" „Nun lohn' euch Gott, Kriemhilde, thut ihr mir daS in Treue kund." „Vieledle KönigSfraue," sprach da der Held von Bern, „Es wurden nie zu Geiseln so ritterliche Herrn,

Als ich euch, hehre Fraue, gab an diesen Degen. Nun mögt ihr diesen Fremden milde sein um meinetwegen." Sie ließ sie gesondert liegen, daß ihnen Leid's geschah,

Und von nun an keiner den andern wiedersah, Bis sie das Haupt des Bruders hin vor Hagen trug. Der Rache Kriemhildens ward an den beiden genug. Da ging die edle Kriemhild alsbald zu Hagen hin. Wie feindlich zu dem Recken sprach da die Königin:

„Wollt ihr mir wiedergeben, was ihr mir habt genommen,

So mögt ihr wohl noch lebend heim zu den Burgunden kommen."

184

Epische Poesie. Da sprach der grimme Hagen: „Die Bitt' ist ganz verloren,

Vieledle Königsfraue. Traun, ich hab'S geschworen, Daß ich den Hort nicht zeige, derweilen noch am Leben Einer meiner Herren; so wird er niemand gegeben." Da sprach Kriemhild: „So will ich dem Ding ein Ende geben." Da hieß sie ihrem Bruder nehmen Leib und Leben.

Man schlug sein Haupt herunter; bei den Haaren sie es trug Vor den Held von Tronje: da ward ihm Leides genug.

Als seines Herren Haupt ersah der unmuthvolle Mann, Zu Frau Kriemhilden hub der Ritter an: „Du hast's nach deinem Willen zum Ende nun gebracht;

Und ist auch ganz ergangen, wie ich mir hatte gedacht.

Nun ist von Burgunden der edle König todt, Giselher der junge und auch Gerenot. Den Schatz, den weiß nun keiner als ich und Gott allein;

Er soll dir bösem Unhold immer ganz verhohlen sein." Sie sprach: „So habt ihr übel Vergeltung mir gewährt. Nun will ich doch behalten Siegfrieds gutes Schwert;

Das trug mein holder Liebster, da ich zuletzt ihn sah, An welchem mir ein Herzleid vor allem Leide geschah." Das zog sie aus der Scheide; was konnt' ihr widerstreben?

Da dachte sie zu rauben des starken Ritters Leben; Sie hub's zu einem Hiebe, der sein Haupt herunterschlug. Das sah der König Etzel; da ward ihm Leides genug. „O Jammer!" sprach der Fürste; „wie ist zu Tod erlegen Von eines Weibes Händen der allerbeste Degen, Der je kam zum Streite und einen Schild je trug! Wie feind ich war dem Recken, es ist mir wahrlich leid genug."

Da sprach der alte Hildebrand: „Traun, sie genießt eS nicht, Daß sie ihn zu schlagen wagte. WaS mir halt geschicht, Ob er mich selbst auch brachte in angstvolle Noth, Jedoch so will ich rächen nun des kühnen TronjerS Tod." Hildebrand der alte zu Kriemhilden sprang; Er schlug der Königsfrauen einen Schwertesschwang.

Wohl ward ihr Angst und Wehe vor Hildebrandens Groll; Was möcht' eS ihr da helfen, daß sie schrie so schreckenvoll? Da waren rings am Boden die Sterbenden zu schaun;

Da lag die edle Fürstin, in Stücken schier zerhaun.

Dieterich und Etzel, zu weinen sie begannen; Sie klagten da von Herzen um ihre Sippen und Mannen.

Da war die höchste Ehre gesunken in den Tod; Es hatten dort die Leute Jammer all' und Noth. 'Mit Leide war beendet deö Königs Festlichkeit,

Wie stets am allerletzten vergilt die Liebe mit Leid.

185

Epos.

Ich kann euch nicht bescheiden, waS weiter da geschah; Nur daß man Frau'n und Ritter dorten weinen sah,

Dazu die edlen Knechte, um lieber Freunde Tod. Hier hat die Mär' ein Ende. DaS ist der Nibelungen Noth. Übersetzt von BraunfelS.

7.

Aus dem Gudrunliede.

Um die Hand der schönen Gudrun, der Tochter des Hegelingenkönigs Hetel und seiner Ge­ mahlin Hilde, bewerben sich Siegfried von Morlande und Hartmut, Ludwigs, des Normannen­ königs, und Gerlindens Sohn, vergeblich, während Herwig, der König von Seeland, nach einem siegreichen Zweikampfe mit Hetel ihr verlobt wird.

Wie Herwig Gudrun im Kampfe errang. Dem Seelandskönig Herwig, dem war so liebeweh Wie dem Recken Hartmut, nach Gudruns holder Minne; Mit seinen Mannen strebt' er, daß er die schöne Maid gewinne.

Hetel hieß ihn lassen das Werben um die Maid; Da sandte Herwig zürnend dem König den Bescheid, Er werde nimmer weichen, mit Schwertern und mit Schilden Werd' er gerüstet kommen zu Schaden ihm und auch Frau Hilden. Herr Hetel und die Seinen säumten allzulang, Bis der König Herwig heran zum Streite drang. Einst in der Morgenfrühe erschienen schlimme Gäste Vor HetelS Burg; darunter Herr Herwig war der allerbeste. Noch schlummerten die Recken in König Hetels Saal, Da riesen laut die Wächter von der Burg zu Thal: „Wacht auf, wacht auf, ihr Helden! das Schwert zur Hand genommen! Ich sehe Helme glänzen! Es sind unS schlimme Gäste kommen."

Es griffen zu den Waffen hundert oder mehr; Gern schwang Herr Hetel selber im Kampfe die scharfe Wehr, Doch konnt' er seiner kühnen Leute nicht entrathen. Sie zürnten, daß Herr Herwig dem König that so großen Schaden.

Aus manchem Helme sprühten Funken hell im Wind Unter Herwigs Streichen. Das sah das Königskind, Gudrun, die schöne, holde, zu ihrer Augenweide. Daß der Held so wacker, das war ihr beides, lieb und leide.

Vor ihren Mannen liefen die Könige sich an In heißem Rittermuthe. Wie da zu sprühn begann Glut von den festen Spangen, die ihre Hände trugen! Bald wurden sie nun inne, wie sie sich rothe Wunden schlugen.

Gudrun, die Jungfrau, sah es und hörte wohl den Schall. Das Glück ist wankelmüthig und dreht sich wie ein Ball.

Gern hätte sie die Kämpfer alsobald geschieden; Dem Vater und dem Fremden, sie gönnte beiden Heil und Frieden.

186

Epische Poesie.

Sie rief mit lauter Stimme durch den Königssaal: „Mein Herr und Vater Hetel, roth springt des Blutes Strahl AuS Panzerhemden, purpurn gefärbt sind alle Wände. O weh des bösen Nachbarn!

Gott wehre von und seine Hände!

Um meinetwillen lasset ab vom schweren Streit!

Den Herzen und den Gliedern vergönnt zu rasten Zeit, Bis mir Herr Herwig Antwort giebt auf meine Frage, Ob er aus edlem Stamme, der eine Fürstenkrone trage?" Da sprach der edle Ritter: „Ihr könnt nicht Fried' empfahn, Bis ich mich ungewaffnet euch darf, o Jungfrau, nahn.

Dann will ich herzlich gerne von meinem Stamme sagen. Wird Frieden mir zu Theile, so mögt ihr mich nach allem fragen." So ward Gudrun zu Liebe geschieden nun der Streit, Die müden Kämpfer warfen den Harnisch ab erfreut.

Sie trockneten die Stirne und wuschen ihre Wunden; Das war gar schön zu schauen, wie aufrecht noch die Helden stunden.

Mit hundert seiner Mannen trat Herwig vor Gudrun, Die mit dem eignen Herzen fast in Zwiespalt nun.

Sie empfing ihn freundlich mit mehren ihrer Frauen;

Doch möcht' der edle Degen dem Frieden noch nicht völlig trauen. Herr Herwig sprach zur Jungftau: „Es ward mir angesagt, Und meine Mühe hätt' ich fast darum beklagt, Ich sei von euch verschmähet niedern Stammes wegen;

Doch hat um Konigsfrauen geworben mancher arme Degen."

Sie sprach: „Wo wär' die Jungfrau, die solchem Helden werth Mit Haß vergelten könnte, der minnend sie begehrt? Nein, glaubet mir, sprach Gudrun, ich werd' euch nicht verschmähen; Ich bin euch hold, wie keine Jungfrau ihr hold euch je gesehen. Ja, wollten eS erlauben die Verwandten mein, Wie gern würd' ich euch folgen und immer bei euch sein!" Er sah ihr in die Augen mit frohem LiebeShossen; Sie trug ihn in dem Herzen und sprach's vor allen frei und offen. Wie's ihm die Helden riethen, die ihm treu gesinnt, Frug nun König Hetel Fran Hildens holdes Kind, Ob sie den edlen Herwig zum Gemahl begehre.

Da sprach die Maid, daß niemals ihr ein vielliebrer Freier wäre. Da ward die Braut des Recken Gudrun, die schöne Maid, Die mit ihm trug die Krone. Wohl ward ihm manches Leid

Bei mancher Liebeswonne.

Daß sie ihm ward gegeben,

DaS büßten gute Helden im Kampfe bald mit Leib und Leben. Übersetzt von Köhler.

Bald darauf wird während Herwigs Abwesenheit Seeland von Siegfried angegriffen. Herwig eilt, sein Land zu schützen, und Hetel zieht ihm mit einem Heere zu Hülfe. Der Krieg zieht fich in die Länge. Inzwischen überfallen Ludwig und Hartmut Hetels Burg und führen Gudrun mit zweiundsechzig Mädchen nebst vielem Golde und Edelgestein nach ihrer Burg Kassian fort. Der von König Ludwig beabsichtigten Zerstörung der Burg wehrt Hartmut. Hetel, von diesem Raube

Epos.

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benachrichtigt, verfolgt auf Schiffen, die sein starker Vasall Wate Pilgern abgenommen hat, die Normannen und holt sie auf dem Wülpensande ein.

Von der Schlacht auf dem Wülpensand. ES war ein breiter Werder, der hieß der Wülpensand, Da lagerten die Helden aus Normannenland ; Sie waren mit den Rosien süßer Rast beflissen. Mit bitterm Schaden wurden sie bald aus ihrer Ruh' geriffen. Man führte die Gefangnen aus Hegelingenland, Gudrun und die Gespielen, auf den öden Strand; Dort standen nun in Trauer all' die edlen Frauen Und ließen ihre Thränen den dürren Ufersand bethauen.

Ein Schiffsmann sah da plötzlich auf den Wellen nahn Ein Schiff mit reichen Segeln; dem König sagt' er'S an. Der König kam und schaute und mit ihm all' die Seinen; Sie sprachen: „Es sind Pilger; man sieht das Kreuz im Segel scheinen." Die Schiffe kamen näher, daß man die Helme sah Im Sonnenscheine glänzen; das Heer erhob sich da. Vorbei war nun das Rasten, das konnte nicht mehr frommen. Auf, auf, Herr König Hartmut! Zum Kampf! die grimmen Feinde kommen!

Hartmut und Ludwig nahmen die Schilde in die Hand; Sie wären wohl viel sanfter gekommen in ihr Land, Hätten sie zu lange der Ruhe nicht gepflogen, Weil sie in ihrem Hochmuth sich über ihres Feindes Macht betrogen. Wie flogen da die Speere! Es dauerte gar lang, Bis sie das Land gewannen. Der alte Wate sprang Gewaltig in die Feinde, seinen Zorn zu stillen; Sie mochten wohl errathen des edlen Kämpen guten Willen.

Herrn Ludwig schlug da Wate durch den Helm den Stahl, Daß auf seinem Haupte er erklang zumal. Und hätt' er nicht 'ne Haube von abaliner Seiden Getragen unterm Helme, hätt' müssen er den Tod erleiden. Ludwig vor dem Feinde wich zurück in Hast; Er mochte kaum sich retten. Das war ein schlimmer Gast, Herr Wate, wenn er wollte Schlachtensieg erwerben; Man sah von seinen Händen da manchen wackern Helden sterben. Hartmut jetzt auf Jrolt und der auf Hartmut sprang, Daß unter ihren Streichen beider Helm erklang, So daß man's hören mochte weithin durch die Schaaren. Jrolt und Hartmut beide gar unverzagte Recken waren.

Der Seelandskönig Herwig, der Held berühmt und gut. Erreichte nicht das Ufer; da sprang er in die Flut; Bis an die Schultern mußte er tief im Wasser stehen. Wie hart oft Frauendienst ist, da- konnte da Herr Herwig sehen.

Es mochten ihn die Feinde ertränken gern im Meer, Den königlichen Helden; mancher starke Speer

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Epische Poesie. Zerbrach an seinem Schilde; hinauf zum Ufergrunde Drang er dem Feind entgegen; da büßte mancher mit des Todes Wunde.

Als sie erreicht das Ufer, sah man die Meeresflut In lichtem Purpur färben der Recken edles Blut; Roth flössen allenthalben am Strande da die Wogen, So weit als reichen mochte ein Pfeil, geschnellt von einem Bogen. Größer Mühsal wurde Helden nimmer kund. Von der Flut verschlungen ward mancher todeswund, Doch waren es auch viele, die ohne Wunden starben In den salz'gen Wellen; auch viele von den Feinden wohl verdarben.

Stets tiefer sank der Abend. Da mehrte sich die Noth, Und mehr der Hegelingen sanken in den Tod. Des alten Ludwig Mannen konnten nicht entrinnen; Sie schlugen viele Wunden zum Schutz der schönsten aller Königinnen. Hetel und Ludwig schwangen hoch in der Hand das Schwert: Da konnte jeder messen im Kampf des andern Werth. Lang blieb es unentschieden, wer der stärkere wäre; Darauf schlug Ludwig Hetel: das war eine schlimme Märe.

Als der grimme Wate erfuhr des Königs Tod, Auf brüllt' er wie ein Eber; da sah man Abendroth Leuchten auf den Helmen von der Schwerter Streichen. Da mußte mancher Mutter Sohn noch von des Helden Grimm erbleichen. Da rief der König Herwig: „Es wird der Kampf zum Mord, Seit das Licht des Tages ist gegangen fort! Wir tobten unsre Feinde sammt dem Freund daneben; Währt das bis zum Morgen, so wird der dritte nicht mehr leben." Ungern die grimmen Kämpfer ließen ab vom Streit, Obwohl ihre Hände müd' schon lange Zeit; Doch blieben ihre Schaaren nah genug beisammen, Daß sie Schild' und Helme leuchten sahen in den Flammen. Die Normannenfürsten hielten heimlich Rath, Herr Ludwig und Herr Hartmut; der alte König trat Dann wieder vor die Seinen und sprach, warum man solle Bleiben bei Herrn Wate, wenn man nicht gerne sterben wolle.

Drauf rieth er ihnen listig: „Nun legt euch allzumal, Nehmt unters Haupt die Schilde und machet großen Schall; Dann, ohne daß es merken die von Hegelingen, Versuch' ich's, ob es glücke, euch heimlich von hier sortzubringen."

Laut schrieen auf die Jungfraun in hellem Klageton; Man mußte Ruh' gebieten mit Schelten und mit Drohn: Wer nicht schweigen wolle, den werde man ertränken, Und die man ferner höre, erbarmungslos ins Meer versenken. Mit solcher List gelangten wieder auf die See Die vom Normannenreiche. Den Frauen war es weh,

Epos.

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Daß man von ihren Freunden sie so still entsandte, Die noch argloS schliefen dort auf dem blut'gen Wülpensande. Eh' der Tag erschienen, waren sie schon weit, Indeß der Sinn der Dänen stand nach neuem Streit;

ES ließ der alte Wate sein Heerhorn mächtig schallen; Nach seiner Meinung sollte noch mancher seiner Feinde fallen. Zu Roß und Fuß die Helden von Hegelingenland Sah man am frühen Morgen hinziehen nach dem Strand, Um dem Normannenkönig Ludwig und seinen Mannen Neue Schlacht zu bieten; die waren lange schon von dannen.

Der alte Wate wollte verfolgen sie geschwind, Doch Frute begann zu spähen zuvor noch nach dem Wind. Er sprach zu den Genosien: „WaS hilft es, , daß wir eilen? Glaubt mir, sie sind von dannen gewiß schon über dreißig Meilen. Drum laßt die wunden Freunde bringen schnell an Bord

Und schaffet unsre Todten auch von dem Sande fort Und lasset sie zusammen am öden Strand bestatten; Sie sollen eS genießen, daß sie so viele treue Freunde hatten."

Da sie nun Ruhe hatten nach langer Kampfesnoth, Begruben sie den König, der einen schönen Tod Dem Kind zu Liebe hatte gefunden auf dem Strande. Und also that man allen, wie sie auch hießen, und aus welchem Lande.

Mit Bangen drauf ritt Wate nach Hegelingenland, Was nicht die andern wagten; es hatte seine Hand

Den König nicht zu schützen vermocht vor dem Verderben; Er fürchtete, so bald nicht die Gunst Frau Hilden- wieder zu erwerben. „Weh mir!" sprach da Frau Hilde.

„WaS ist uns geschehn?

Mit zerbrochnen Schilden seh' ich die Mannen gehn! Die Rosse schreiten langsam wie unter schweren Massen. Da muß es übel stehen!

Wo haben sie den König denn gelassen?"

Herr Wate sprach: „Ich kann euch verschweigen nicht die Noth, Ich will euch nicht betrügen: die Helden all' sind todt." Darob erschraken alle vom Alten bis zum Kinde; Man konnte nimmer finden in aller Welt so trauriges Gesinde. „O weh deS bittren Leides!" rief des Königs Weib. „Warum im Tod erblichen ist meines Liebsten Leib,

Der kühne Degen Hetel!

Die Ehre sank darnieder!

Und sie ist auch verloren!

Es sieht Gudrun mein Auge nimmer wieder!"

Da sprach der kühne Wate: „Laßt, edle Frau, die Klage! Sie kommen nimmer wieder; doch giebt eS bess're Tage! Sind erst in diesem Lande erwachsen neue Helden,

Dann wollen wir Herrn Ludwig und Hartmut diese Schmach vergelten!" „Sollt' ich das noch erleben," sprach da die Königin, „Ich gäbe meine Schätze mit Freuden dafür hin,

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Epische Poesie. Daß mir die Rache würde, wie immer das geschähe, Und daß ich arme Mutter Gudrun die tugendreiche wiedersähe."

ES sprach der alte Wate: „Nicht eher kann'S geschehn, BiS unsre Kinder einstenS in Männerwaffen stehn Und reif zu SchwerteSkämpfen. Wohl manch' edle Waise Wird, eingedenk der Todten, unS dann ein Helfer auf der Reife."

Da sprach die edle Hilde: „So laß mich'S, Gott, erleben, Ist allzulang mir Armen das Sein auch schon gegeben. Wer meiner je gedenket und Gudrun auch der armen,

Der wird, daS weiß ich sicher, sich unsres tiefen Leids erbarmen!"

Übersetzt von Köhler. Wie eS Gudrun in der Fremde erging.

Als sie vom Wülpensande gefahren in die See, Da war so vielen Recken von ihren Wunden weh, Die sie auf der Wahlstatt nach dem Kampf gelaffen. Das mußten bald beweinen in ihrem Land die Waisen ohne Maßen.

Die Winde waren günstig und führten sie zum Strand; Da freuten sich die Recken vom Normannenland,

Daß sie noch kommen sollten zu Weibern und zu Freunden, Die ihren Tod beim Scheiden gefürchtet und sie bisher beweinten.

Als Ludwig der Normanne seine Burgen sah, Zu der schönen Gudrun sprach der König da: „Seht ihr die Burg dort, Jungfrau? die werdet ihr bewohnen; Wollt ihr unS Gnade schenken, so wollen wir mit reichem Land euch lohnen."

Da sprach in großer Trauer die edle KönigSmaid: „Wie soll ich Gnade üben? Ist von mir selber weit

Ob eueres Verschuldens die Gnade doch geschieden; So glaub' ich, daß in Zukunft nur Jammer sei mein Theil hienieden." Von neuem sagte Ludwig: „Laßt euch daS leid nicht sein!

Schenkt Hartmut eure Minne, dem Sohn und Erben mein. Und alles, was wir haben, das soll euch angehören. So mögt ihr mit dem Degen in Wonne leben und in Ehren!" Da sprach Frau Hildens Tochter: „Entlaßt mich dieser Noth! Eh' ich Herrn Hartmut nähme, wär' ich viel lieber todt. Er ist nicht solchen Stammes, daß ick ihn möchte minnen; Ich will viel eher sterben, als ihn zum Eh'gemahl gewinnen."

Es that dem König Ludwig die stolze Rede weh; Er griff sie bei den Haaren und warf sie in die See. Doch solcherlei Beginnen war Hartmut nicht gewogen;

An ihren blonden Flechten hat er sie in das Schiff zurückgezogen. In eine Barke brachte sie drauf Hartmut der Degen; Ludwig verstand es übel, zarte Frau'n zu Pflegen. Sie saß im Hemd, wie Hartmut sie aus dem Wasser brachte; Fremd war ihr solche Sitte. O wie der Heimat schmerzlich sie gedachte!

Epos.

191

Inzwischen waren Boten gekommen in frohem Muth Zur Königin Gerlinde; Dienstwillen, Leib und Gut Entboten sie der Fürstin von Hartmut, ihrem Kinde,

Daß sie ihn wohl empfange mit seinem guten Heergesinde.

An dem dritten Morgen zogen Weib und Mann, Das ganze Hofgesinde der Königin heran. Alle wohlgerüstet zum festlichen Empfange; Sie ritten aus dem Schlöffe und säumten an dem Hofe nicht gar lange.

Herr Hartmut führte selber Gudrun an der Hand;

Hätte sich's gefüget, gern hätt' sie's abgewandt, Doch nahm die arme Jungfrau eö an der Ehre wegen;

Er aber that eS gerne und kam mit jedem Dienste ihr entgegen. Herrn Hartmuts Schwester Ortrun neben zwei Fürsten ging,

Hildens schöne Tochter grüßend sie empfing; Sie drückte ihre Hände und küßte ihre Wangen; Ortrun weinte Thränen wohl um die Jungfrau, die gefangen. Drauf wollte sie auch Hissen die Königin Gerlind'; Darüber war entrüstet des Königs Hetel Kind. Sie sprach zur alten Fürstin: „Was wollt ihr so mir nahen? Wenn ich auch gefangen, es ziemt euch nicht, mich also zu empfahen." Ortrun war gegen Gudrun von aller Arglist frei;

WaS ihr geschehen mochte, stets stand sie gern ihr bei Und suchte zu erheitern sie im Normannenlande; Doch nach den Freunden sehnte die Königsmaid sich, die verbannte. Übersetzt von Köhler.

Gerlinde unternimmt es nun, wahrend Hartmuts Abwesenbeit Gudrun ihrem Sohne geneigt zu machen; aber obwohl diese Gerlindens „Zimmer beizen und die Feuerbrände schüren" muß, obwohl sie von ihren Jungfrauen getrennt und endlich sogar gezwungen wird, im Winter cm Meeresstrande zusammen mit Hildburg, einer ihrer Gespielinnen/für Gerlinde und ihr Gesinde zu waschen, bleibt sie doch ihrem Verlobten treu. Dreizehn Jahre sind unterdeß verflossen, die Zu­ rüstungen zur Heerfahrt von den Hegelingen beendigt; die Schiffe segeln ab nach der Normandie. Ein schöner, mit menschlicher Stimme begabter Vogel kündet der am Strande waschenden Dulderin ihre nahe Erlösung an und giebt ihr Nachricht von allen ihren Lieben.

Wie Ortwein und Herwig zu Gudrun kamen.

Nach Gewohnheit gingen sie dann hinaus zum Strand. Da standen sie und wuschen wieder manch Gewand, Das sie selbst getragen von der Burg hernieder; Bei aller frohen Hoffnung mußten sie doch klagen wieder.

Sie sendeten hinüber auf deS Meeres Flut Voll Sehnsucht ihre Blicke, woher die Boten gut Zu ihnen kommen sollten, die von ihrem Lande Die mächtige Frau Hilde hieher den schönen Jungfraun sandte. Nach langem Harren sahen fahren sie daher

Zwei Mann in einer Barke, doch dabei niemand mehr.

Da sprach die schöne Hildburg zur Königsmaid der reichen: „Dort seh' ich zwei herfahren, die mögen deinen Boten gleichen."

Epische Poesie.

192

Da sprach die Kummerreiche: „Ich unglückselige Maid, Alles macht mir Kummer, neben Freude Leid. Soll ich von hinnen weichen, daß man mich hier nicht finde

In dieser Schmach?

Eh' will ich, daß immer man mich zähle zum Gesinde."

Da wandten sie sich beide und gingen eilend fort.

Doch waren schon so nahe die Manner an dem Ort, Daß sie am Ufer sahen wohl die Wäscherinnen Und merkten, daß sie eilig von den Gewänden wollten Flucht gewinnen. Sie sprangen aus der Barke und riefen hinterher: „Ihr schönen Wäscherinnen, warum eilt ihr so sehr?

Ihr seht, wir sind als Fremde nach diesem Land gekommen, So werden diese reichen Gewände leicht euch all' genommen."

In nassen Hemden blieben die beiden Frauen stehn. Die edlen Mägdlein hatten sonst beff're Zeit gesehn; Es flatterten die Haare im kalten Wind deS Märzen, Im Regen oder Schneefall, sie fühlten bittres Weh im Herzen.

Der edle Ritter Herwig drauf guten Morgen bot Den heimatlosen Kindern. Wohl war der ihnen Noth;

Denn ihrer bösen Herrin macht' es wenig Sorgen, Den minniglichen Maiden zu bieten guten Abend und guten Morgen. „Ihr sollt unS lasten wissen," sprach da der Held Ortwein,

„Wem diese reichen Kleider am Strande mögen sein, Oder wem ihr waschet? Ihr seid so schön allbeide; Gott mög' an dem es strafen, der euch, ihr Mädchen, solches thut zu Leide." Da sprach in tiefer Trauer das arme Königskind: „Er hat noch viele schönre, als wir beiden sind. Fragt uns, was ihr wollet; doch wird's die Meist'rin inne, So müssen wir's entgelten, sieht sie uns mit euch sprechen von der Zinne."

„Laßt es euch nicht verdrießen, nehmt unser rothes Gold!

Bier gute goldne Spangen seien euer Sold. Wir geben euch das gerne, doch sollt ihr treu unS sagen, Ihr minniglichen Frauen, Antwort auf alle unsre Fragen." „Gott lasse eure Spangen euch selber wohl gedeihn;

Wir nehmen nichts zum Lohne!" sprach das Mägdelein. „Doch fraget, was ihr wollet, wir müssen schnell von hinnen. Sieht man unS mit euch beiden, so nlöchten wir des Leides viel gewinnen." „So sagt, wer ist der Herrscher in diesem reichen Land?

Wem sind die guten Burgen, und wie ist der genannt, Der euch, so schlecht bekleidet, läßt waschen hier am Meere? Er würde deß sich schämen, so mein' ich, wäre lieb ihm seine Ehre." „Der Fürsten einer," sprach sie, „heißet Herr Hartmut; Ihm dienen weite Lande und Burgen fest und gut.

Der andre nennt sich Ludwig von den Normannenreichen; Ihm dienen in dem Laude viel' tapfre Helden ohne gleichen."

193

Epos. Ost blickte König Herwig die edle Jungstau an; Sie schien dem wackern Degen so schön und wohlgethan, Daß es manchen Seufzer im Herzen ihm erregte; Sie glich so sehr der einen, die er im treuen Angedenken hegte.

Von neuem sagte Ortwein: „Ist euch das nicht bekannt, Daß einst Gefangne kamen fernher in dieses Land? In mächt'ger Heerfahrt brachte man übers Meer die Frauen, Die armen, heimatlosen, die vielen Jammer hatten da zu schauen."

Sie sprach: „Die ihr da suchet, die hab' ich wohl gesehn In großer Noth und Drangsal, das will ich euch gestehn." War sie doch deren eine, die man gefangen brachte; Ich glaube wohl, daß Gudrun am besten jenes Unglücks dachte.

Da sprach der König Herwig: „Nun sehet, Herr Ortwein! Sollt' eure Schwester Gudrun noch am Leben sein

In irgend einem Lande in allen Erdenreichen, So ist es diese Jungfrau; nie sah ich irgendeine ihresgleichen."

Sie sprach: „Wie ihr auch heißet, ihr scheinet edel mir, Und einem, den ich kannte, dem seid sehr ähnlich ihr; Er war von Seeland König, Herwig war er geheißen;

Wenn der noch lebte, würd' er gewiß der Knechtschaft uns entreißen." Da sprach der edle Ritter: „So schauet meine Hand,

Ob ihr das Gold erkennet; Herwig bin ich genannt. Ich ward mit diesem Ringe vermählt, Gudrun zu minnen; Und seid ihr meine Gattin, so führ' ich euch als solche nun von hinnen."

Da lächelte in Wonne und sprach das Mägdelein: „Ich muß daS Gold wohl kennen, da es gewesen mein. Nun sollt ihr das auch sehen, was mein Geliebter sandte, Als ich noch glücklich lebte daheim in meines Vaters Lande."

Als er an ihrem Finger den Goldreif glänzen sah, Herwig, der edle Ritter, zu Gudrun sagte da: „Es hat dich niemand anders als Fürstenblut getragen; So hab' ich Freud' und Wonne nach vielem Leid und langen Schmerzestagen."

Er schloß sie in die Arme, die hehre Königsmaid;

Was sie einander sagten, war ihnen lieb und leid. Er gab zahllose Küffe der armen Königinne Und auch der schönen Hildburg, der Maid von minniglichem Sinne. Da sprach der König Herwig: „Das müssen wir gestehn. Uns ist auf dieser Heerfahrt so großes Glück geschehn, Daß es uns besser konnte nimmermehr gelingen. Nun laßt uns eilen, daß wir sie schleunig weg von diesem Schlosse bringen."

„Bewahre Gott," sprach Ortwein, „uns thut nicht Eile noth! Und hätt' ich hundert Schwestern, ich ließ' sie eher tobt,

Als daß ich meine Stärke in diesem Land verhehle Und meinem Feinde, was er im Sturm genommen, heimlich stehle." Delitz u. Heinrich-, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Aust.

13

Epische Poesie.

194

So rasch sie konnten, fuhren sie durch die weite See. Der Abschied, den sie »ahmen, ihnen that so weh. Wie eS sich für theure Freunde mochte schicken. Die Jungfrau sie begleiteten, so weit sie konnte«, mit den Blicken.

Übersetzt von Köhler. Wie Gudrun lachte.

Zu Gudrun sprach Frau Hildburg, die Maid von Jreland: „Warum, o Fürstin, laßt ihr hier liegen daS Gewand? Wollt ihr nicht waschen Kleider für König Ludwigs Degen? Gewahrt es Frau Gerlinde, so büßen wir's am Ende noch mit Schlägen." Da sprach die Tochter HildenS: „Ich bin dazu zu hehr;

Ich will der bösen Gerlind' nun waschen nimmermehr. Zu solchem Dienste lass' ich mich nun nicht mehr zwingen,

Da mich zwei Könige küßten und mit den Armen mich umfingen.

Ich will die Kleider tragen zu der MeereSflut. Sie sollen daS erfahren," sprach die Jungfrau gut, „Daß ich mich darf vergleichen mit allen Königinnen.

Ich werfe sie ins Wasser, damit sie schwimmen lustiglich von hinnen." WaS Hildburg sagen mochte, Gudrun trug in die See Die Kleider; zornig dachte sie an erlittnes Weh.

Sie schleuderte sie heftig in die Wogen nieder;

Sie schwammen eine Weile.

Ich weiß nicht, ob sie je sich fanden wieder.

Es war schon spät geworden, als sie erreicht daS Thor Der Burg deS Königs Ludwig. Gerlinde stund davor, In grimmem Zorn erwartend ihr edeleS Gesinde; Die schönen Wäscherinnen mit hartem Worte grüßte sie geschwinde.

ES rief die böse Wölfin: „Wo sind die Schleier mein? Warum hast in den Schoß du gelegt die Hände dein? Und bösen Trotz noch seh' ich dabei in deinen Mienen! Leb' ich noch eine Weile, so sollst du mir wohl besser lernen dienen." Da sprach die Enkelin Hagens: „Dort unten an dem Meer

Hab' ich sie liegen lassen; sie waren mir zu schwer, Als ich sie heben wollte, um sie heraufzutragen. Seht ihr sie nimmer wieder, so werd' ich wenig danach fragen."

Da sprach die böse Teufelin:

„DaS kommt dir hoch zu stehn.

Eh' ich mich schlafen lege, soll es dir übel gehn." Sie hieß die Maid entkleiden und Dornenruthen binden; Mit solcher Strafe wurde Gudrun bedroht von Frau Gerlinden.

Gar listig sprach da Gudrun: „Dies Wort sei euch gesagt:

Wenn ihr mit diesen Ruthen in eurem Zorn mich schlagt,

So soll'S euch, wenn ein Auge mich sieht bei Kön'gen stehen. Und wenn ich Krone trage, für diese Schmach nicht wohl ergehen."

Da sagte Frau Gerlinde:

„Und hättest du verlor'n

Auch lausend meiner Schleier, so ließ' ich meinen Zorn

Epos.

195

Und wollte sie verschmerzen, und dir wär'S zum Gewinne, Wenn du dem Normannfürsten nun endlich schenken wolltest deine Minne." Die da die Rede hörten, sie liefen eilig fort. Dem tapfern Helden Hartmut zu künden Gudruns Wort. ES saßen bei ihm viele von seines Vaters Mannen;

Da brachte man die Märe, er solle zu Gudrunen gleich von dannen. Da sagte König Hartmut den Boten seinen Dank.

Hei, wie von seinem Sitze der Held voll Freude sprang! Er wähnte, daß beschieden ihm Gudruns Minne wäre; Drauf zu der Jungfrau Kammer mit frohem Sinn der Recke ging, der hehre.

Da stand in nassem Hemde das edle Königskind, Mit Thränen in den Augen grüßte sie ihn geschwind.

Sie ging ihm selbst entgegen und war so nah gegangen. Daß er mit seinen Armen die schöne Gudrun wollte schon umfangen.

Sie sagte: „Nein, Herr Hartmut! Laßt da- noch heute sein; Denn sähen es die Leute, brächte euch nicht Ehren ein.

Ihr seid ein reicher König und solltet wohl es lasten, Die Wäscherin, die arme, als eure Braut in Liebe zu umfassen." Gehorsam trat zurücke der ritterliche Mann Und sprach zur schönen Jungfrau: „O Gudrun wohlgethan, Schenkst du mir deine Minne, will ich dir's hoch vergelten; Gebiete, was du immer nur willst von mir und meinen Helden."

Da sprach die edle Jungfrau: „Ich hörte beff'res nie! Soll ich, die Gottverlast'ne, nun gebieten hie, So soll mein erst Gebot sein, nach viel Mühseligkeiten, Eh' ich zum Schlafe gehe, ein schönes Bad mir zu bereiten.

Und ferner soll, Herr Hartmut, von mir geboten sein, Daß man sogleich hersende mir meine Jungfräulein, Die jetzt sind bei den Frauen der Königin Gerlinde, Daß man nicht deren eine int Mägdesaale fürder finde." „Das will ich gern vollbringen!" erwiderte Hartmut.

AuS den Kammern suchte man manches Mägdlein gut, DaS mit verwirrtem Haare und in geringem Kleide Zu Hofe ging; es hatte Gerlinde ihnen viel gethan zu Leide. Der Frauen dreiundsechzig sah König Hartmut nahn; Da sprach die edle Gudrun in Zucht den Helden an: „Wie man sie hat gehalten, mögt ihr nun selber sehen; Kann euch dies Ehre bringen?" Er sprach darauf: „Das soll nicht mehr geschehen.

Ich will sie schön gekleidet euch zur Seite schaun."

Da rüstete man eilig die Bäder für die Fraun, Hartmuts Verwandte sah man als Kämmerlinge walten; Sie eilten, ihr zu dienen, um ihre Gunst und Gnade zu erhalten.

AIS sie gebadet hatten, brachte man ihnen Wein, Wie im Normannenlande nicht bestrer mochte fein.

196

Epische Poesie."

Auch süßen Meth befahl man den Frauen einzuschenken. Wie die ihm danken wollten, daS konnte Hartmut nimmer denken.

Bei Gudrun, ihrer Frauen, da saßen sie in Thränen; Es fühlten viele Maide nach Haus ein mächtig Sehnen. Sie dachten ihrer Sorgen und ihres Kummers Schwere

Und weinten, doch eS lachte darob Gudrun die schöne, hehre. Sie wähnten, daß sie sollten nun bleiben immerdar.

Dieweil es doch der Wille Frau Gudruns nimmer war, Daß sie nur noch vier Tage hier ließe gern sich finden. Daß Hetels Tochter lachte, man hinterbracht' eS alsobald Gerlinden. Die Königin ging eilends hin, wo sie Hartmut fand, Und sprach: „Es werden kommen, so ahn' ich, übers Land

Und über deine Helden viel Drangsal und viel Jammer. Ich weiß nicht, warum lachte die schöne Gudrun dort in ihrer Kammer." Er sprach: „Laßt's nur geschehen! Ich gönne gern der Maid, Wenn sie bei ihren Frauen heut pflegt der Fröhlichkeit. Es wohnen ja so ferne GudrunenS Blutsverwandte; Wie sollten sie wohl Fehde mir bringen hieher in die Lande?" Es bat nun ihre Frauen die Jungfrau nachzusehn, Ob ihr gebettet wäre, sie wolle schlafen gehn. Zum ersten Mal geschieden war sie die Nacht von Kummer. Des König Hartmuts Kämmerer geleiteten die schöne Maid zum Schlummer.

Sie saßen nun beisammen und tranken guten Wein. Da sprach die Königstochter: „Wohl mögt ihr fröhlich sein, Ihr meine Frauen alle, nach langem, schwerem Leide; Ihr werdet morgen haben an euren Lieben eure Augenweide. Ich habe heut' geküffet Herrn Herwig, meinen Mann, Und meinen Bruder Ortwein; drum hört und denket dran: Die reich durch mich will werden und frei von allen Sorgen, Die trachte, zu verkünden zuerst uns nach der Nacht den Morgen."

Da legten sie sich schlafen und waren frohgemuth. Sie wußten, daß bald käme so mancher Ritter gut, Mit voller Freiheit ihnen die Sorgen zu versüßen. Darauf stand all ihr Wünschen, die Ihrigen am Morgen zu begrüßen. Übersetzt von Köhler.

Am nächsten Morgen zieht das Heer der Hegelingen heran und erobert nach einem gewaltigen Kampfe, in welchem Herwig den König Ludwig tödtet, die Burg Kassian. Hartmut wird aus Gudruns Fürsprache von Wate nicht gctödtet, sondern nur gefangen genommen; auch Ortrun wird gerettet, Gerlinde dagegen für ihre Grausamkeit mit dem Tode gestraft.

Wie Gerlinde gestraft ward. Da kam herzugeeilet die böse Frau Gerlind'; Die bot sich dar zu eigen Hildes schönem Kind.

„Nun rett' uns, Königstochter, aus Wales grimmen Händen!

Nur du allein, o Gudrun, kannst unser böses Schicksal wenden!"

EpoS.

197

Da sprach Frau Hildes Tochter: „Wie möget ihr begehren,

Daß ich euch Gnad' erweise?

Nicht kann ich's euch gewähren!

Nie habt ihr eine Bitte gewähret mir im Grolle;

Wie mögt ihr nun verlangen, daß ich euch Dank noch dafür zolle?"

Der alte Wate schaute da die Königin; Er knirschte mit den Zähnen und eilte zu ihr hin. Der Held mit Flammenaugen und ellenbreitem Barte War furchtbar allem Volke, das ihn allda gewahrte.

Er faßte sie beim Arme und zog sie zu sich hin; Da fing sie an zu zittern, die böse Königin. Er rief in wildem Zorne: „Frau Königin Gerlinde,

Nun laßt ihr nimmer waschen von Frau Hildens holdem Kinde!" Auf schrieen alle Frauen, ein Grauen faßte sie. Schon kam der Alte wieder: „Ist jemand noch allhie

Von Frau Gerlindens Sippe? die sollt ihr mir nur zeigen. So theuer ist mir keine, daß sie das Haupt nicht sollte neigen." Da sprach mit hellen Thränen König Hetels Kind: „Laßt mir zu Liebe leben das arme Hofgesind', Die mich um Frieden flehten und seither dagestanden, Es ist die edle Ortrun und ihr Gesind' von den Normannenlanden." Zur Neige war gegangen der Streit nun überall. Da trat der König Herwig herein in Ludwigs Saal, Mit seinen Kampfgenoffen blutroth kam er gegangen.

Als ihn erschaute Gudrun, hat sie ihn minniglich empfangen. Sein Schwert der edle Degen von der Seite band Und warf sein Rüstgezeuge in seines Schildes Rand, Und also eisenrostig ging er zu den Frauen, Um die er auf der Wahlstatt so manchen guten Streich gehauen. Übersetzt vcn Köhle r.

Nach glücklicher Heimkehr in das Land der Hegelingen wird Herwigs Vermahlung mit Gudrun gefeiert und zugleich ihr Bruder Ortwcin mit Hartmuts Schwester Ortrun und dieser selbst mit Gudruns treuer Gefährtin Hildburg verbunden.

8.

Aus dem Rosengarten zu Worms.

Kriemhild, König Gibichs Tochter, läßt Dietrich von Bern auffordern, mit zwölf seiner Helden gegen die zwölf Hüter ihres Rosengartens in Worms zu kämpfen; den Siegern solle ein Rosenkranz, eine Umarmung und ein Kuß von ihr als Preis zutbcilwerden. König Dietrich nimmt die Aufforderung an; elf Helden sind zum Zuge bereit, auch der alte Hildebrand; der zwölfte soll Hildebrands Bruder, der Mönch Jlsan, fein.

Wie der Mönch Jlsan aus dem Kloster genommen ward. Auf saßen bald die Herren, die Recken allbereit;

Dietrichens Reisen war gar manchem leid. Da huben sich gen Isenburg die Herren auf die Fahrt, Wo der Mönch um Rosen dem Kloster entnommen ward.

198

Epische Poesie. An dem fünften Morgen, eine Weile noch davor,

Waren die Herren gekommen gen Isenburg anS Thor, Da der Mönch die Messe wollt' singen in der Früh;

Die Herren mit den Schilden stapften eilends hinzu. Da trat vor die Pforte der Mönch Jlsan. Eine graue Kutte hatt' er über den Ringen an, An den Beinen trug er zwei dicke, graue Hosen; So trat er vor die Pforte, der Märe wollt' er losen.

„Benedicite, Bruder," sprach Meister Hildebrand. „Nun geleite dich der Teufel," sprach der Mönch zuhand, „Daß du das Jahr lang reitest und kommst nicht unter Dach! Du fändest bei Frau Uten sicher besser Gemach."

„DaS thät' ich, wenn ich könnte," sprach Meister Hildebrand;

„Kriemhild die schöne hat nach uns gesandt, Daß wir kommen sollen zu ihrer Lustbarkeit." „Es scheint wohl, lieber Bruder, daß ihr ein Narre seid. Ihr würdet es im Ernste nicht sprechen, dünket mich. Geschieht euch was zu Berne, mein Herr Dieterich?" „Mein Herr will dich bitten," sprach Meister Hildebrand, „Daß du die Fahrt ihm leistest, die ihm gelobt' deine Hand."

„Ich will euch gerne helfen," sprach der Mönch Jlsan. „Nun schaut, lieber Herre, was ich zum Streit gewann." Da zog er ab die Kutte und warf sie in das Gras; Hei, wie gute Waffen Jlsan der Mönch noch besaß!

„Geruhet abzusteigen, lieber Herre mein. Und wollt ihr bei mir essen, ich geb' euch guten Wein. Die Mönche müssen's zahlen, die hier int Kloster sind: Die andern essen Gerste; ich sah daran mich blind." Da ward gesetzt zu Tische von Bern Herr Dieterich Und jenseits ihm entgegen, daS wisset sicherlich, Hildebrand der alte, ein auSerwählter Mann. Da pflag der beiden fleißig der gute Mönch Jlsan. Da kam der Abt zusammen mit seiner Bruderschaft,

Sie hatten zu gebieten über deS Mönches Kraft. Da sprach der von Berne, ein Fürst so tugendlich: „Laßt ihr ihn nicht ziehen, ich zerstör' euch sicherlich." Da sprach der Abt: „Herr Dietrich, eS ist nicht unser Recht, Daß wir fechten sollen, es ziemt kei'm Gottesknecht.

Wir sollen spät und frühe zu dienen sein bereit Dem Gott, der unS geschaffen hat; der Mönch soll nicht zum Streit."

Der Mönch Jlsan versetzte: „Herr Abt, auf meinen Eid, Geschieht dort in den Rosen diesen werthen Recken leid (Ich wollt' es wohl verhindern, ließt ihr mich auf den Plan),

DaS entgelten hier die Brüder, wenn ich eS fügen kann."

199

Epo

Da erschrak der Abt der Rede: „Lieber Bruder mein, Wollt ihr mir dannen bringen ein Rosenkränzelein,

So büß' ich eure Sünden, dieweil ihr reitet fern."

Der Rede mußte lachen Herr Dieterich von Bern. Da gab der Mönch zur Antwort: „Habt das auf meinen Eid,

Euch soll bei meiner Heimkehr ein Kränzlein sein bereit. Mich wolle denn im Garten niemand mit Streit bestehn; Und kann ich Rosen pflücken, die sollen euch nicht entgehn. Nun laßt mich Urlaub nehmen, ich muß an den Rhein. Schließt mich in eur' Gebete, ihr lieben Brüder mein,

Und bittet Gott vom Himmel, daß er mir gebe Heil,

So bring' ich euch vom Rheine der Rosen ein gutes Theil. Euer sind zweiundfünfzig, hab' ich es recht ersehn: Just so manchen Recken will ich dort bestehn. Schickt mich denn Gott herwieder, ihr lieben Brüder mein,

So bring' ich euer jedem ein Rosenkränzelein."

Da sprachen sie einhellig, die ganze Bruderschaft, Daß sie ihm Heil erwünschten und Glück durch GotteS Kraft.

Als sie gegesien hatten und getrunken überall. Da zog man SchimmingS Bruder, ein Roß, ihm auS dem Stall. Mit einem Schwert umgürtet stand bald der Mönch Jlsan; Über den Harnisch zog er eine Kutte wohlgethan. Dann ließ er sich bringen einen Schild und einen Speer:

Die hatt' er oft geschwungen, das war nun lange her. DaS gute Roß Benig ward jetzt von ihm beschritten; Die Herren nahmen Urlaub, eh' sie von dannen ritten. Ihm folgte vor das Kloster der Abt mit manchem Mann: Sie begannen all' zu fluchen dem starken Mönch Jlsan. „Der Mann hat solche Stärke, wir sind an ihm betrogen: Er hat unS bei den Ohren so oft umhergezogen, Wenn wir nicht leisten wollten, waS er unS gebot, Er bracht' uns in dem Kloster in Angst und große Noth."

Da sprach ein alter Bruder: „Gott will ich immer loben! Er hat mich an dem Barte so oft umhergezogen, Er that mir an dem Leibe jämmerliche Pein, Daß ich zu allen Zeiten in Sorgen mußte sein." An dem fünften Morgen, da sich erhob der Tag, Da kamen sie gen Berne, wo das Gesinde lag. Nur Wolfhart lag alleine zur Wart den andern fern, Fremder Mär' zu harren, die sollt' er melden den Herrn. Übersetzt von Sim rock.

Nach einem Kampfe Jlsans mit dem Fährmann langen die Helden vor WormS an und werden gastlich ausgenommen. Der Kampf beginnt. Dietrichs Helden besiegen die Burgunder; Dietrich selbst aber verweigert den Zweikampf mit Siegfried und muß durch eine List Hildebrandzum Streite gezwungen werden.

200

Epische Poesie. Wie Dietrich in Zorn gerieth und Siegfried besiegt ward. Hildebrand der alte ließ seinen Herren stehn, Er war in großem Zorne, so war ihm nie geschehn.

Die hellen Thränen liefen ihm auf den grauen Bart. „Warum weint ihr, Oheim?" so frug ihn Wolfhart. „Willst du mir helfen. Wolfhart?" sprach da Hildebrand. „So wappne dich geschwinde und komm' uns nachgerannt. Wir reiten aus der Ebne in einen tiefen Grund:

Mir und meinem Herren wird da großes Zürnen kund. Doch stehst du ihn im Zorne noch nicht so sehr wie mich; Doch bald werd' ich erboßen den Herren Dieterich. So bin ich der erste, der auf die Erde fällt: Hörst du sein Schwert erklingen, so hilf mir, junger Held."

Da ging er zu dem Berner zurück so trauriglich. „Wie ist euch nun zu Muthe, edler Dieterich?" Der Berner sprach: „Ich habe mich anders nicht bedacht: Hast du mir in den Garten einen andern Kämpen gebracht?" „Wo sollt' ich den finden?" sprach Meister Hildebrand;

„Niemand ist mehr übrig als der Held von Niederland, Ein jeder stand dem Seinen: steht ihr dem Euern nicht?" „Ich kämpfe nicht mit Siegfried, was einer auch thut und spricht." Er sprach: „Lieber Herre, so folgt mir in den Tann: Bielleicht, daß ich euch beiden einen Frieden finden kann. Da ihr den Niederländer nicht zu bestehen wagt, So sagt, ihr wäret ungesund; ich beschwöre, was ihr sagt." Sie ritten mit einander einen Weg, der war so schmal: Sie sahn zu beiden Seiten nur Berg und tiefes Thal. „Laßt unS absitzen," sprach Meister Hildebrand. Herr Dietrich sprang vom Rosse und gab eS ihm an die Hand.

„Sagt mir auf eure Treue, seid ihr Herr Dieterich, Dem Dietmar ließ sein Erbe, seid ihr es sicherlich?"

„Wohl bin ich derselbe, der Berner Dieterich; Was soll das, guter Meister, du fragst so wunderlich."

„Helf' mir Gott, ihr lüget," sprach Meister Hildebrand: „Es giebt der Leute viele, die Dietrich sind genannt. Ihr wurdet nie mein Herre, verzagter Dieterich, Ihr gleicht nicht dem von Berne, dem Fürsten tugendlich.

Den sah ich immer gerne nach hoher Ehre streben; Ihr dürft vor wilden Thieren wohl wagen euer Leben: Oft allein im Walde wart ihr der Mannheit voll; Ihr fechtet nicht vor Frauen, wo man Preis erwerben soll.

Besteht ihr nicht den Euern, ich mach' euch ungesund."

„Wie willst du das verrichten?" „Das thu' ich dir kund." Da zwang die Faust zusammen der edle Meister gut, Er schlug dem Herrn ins Antlitz in seinem zürnenden Muth.

EpoS. Er schlug ihn so gewaltig, er fiel auf daS Land.

Dietrich begann zu zürnen: da entgalt es Hildebrand. DaS Schwert mit dem Knaufe der Held zu Händen nahm; Da schlug er so geschwinde auf seinen Dienstmann. Mit dem flachen Schwerte gab er ihm Schläge viel'; Schier kam der alte Meister an seines Lebens Ziel. Als Wolfhart erhörte, daß sein Schwert erklang, Da ritt er ihnen näher; um den Meister war ihm bang.

Er rief: „Mein Herre Dietrich, erschlagt ihr euern Mann

Und wagt dem fremden Recken vor den Frauen nicht zu nahn? Ihr streitet mit den Euern, die stehn in eurer Pflicht; Siegfried den Niederländer, den besteht ihr aber nicht."

Da sprach der Held von Berne: „Nun laß das, junger Mann,

Ich hab' in meinem Leben nicht so verzagt gethan. Nun bring' mir meinen Falken, das gute Roß, daher:

Er wird von mir bestanden, und wenn er stählern wär'." Er bracht' ihm seinen Falken; er gürtete nicht lang: Ohne Stegreifen er in den Sattel sprang. Der Degen war im Zorne, er faßte seinen Schild: Bald sah den Degen kommen die Königin Kriemhild.

Da ritt in den Garten der Berner allzuhand: Ihm kam alsbald entgegen Siegfried von Niederland Auf einem guten Rosse, so hören wir sagen; Es hatt' ihn oft in Streiten zu hohen Ehren getragen.

Sie trieben ihre Roste, daß sie zusammenflogen, Ihre Speere beide brachen, sich ihre Schilde bogen. Sie sprangen von den Rosten herab zu gleicher Zeit: Da hob im Rosengarten sich erst ein grimmer Streit.

Sie sprangen zu einander wohl auf den Platz der Wahl, Sie zogen von den Seilen zweier Klingen lichten Stahl, Sie bargen Hinterm Schilde sich: ein Fechten hub da an, Daß ihnen durch die Ringe der Schweiß geronnen kam. Da mehrten sie sich beide des heißen Kampfes Noth, Daß ihre lichten Helme von Feuer wurden roth, Es sprang zu beiden Seiten aus ihres Helmes Wand: Wie der Schmied an der Esse, so schürten sie den Brand.

Siegfried der edle war ein starker Mann, Jetzt lief er gewaltig Dietrichen an: Er schlug ihm eine Wunde durch seinen Eisenhut, Daß man herniederrinnen ihm sah das rothe Blut.

„Wie hält sich unser Herre?" frug heimlich Hildebrand. „Er ficht leider übel," sprach Wolfhart allzuhand „Eine tiefe Wunde hat er durch seinen Eisenhelm, Er ist mit Blut beronnen, er ficht recht wie ein Schelm."

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Epische Poesie. „Er ist noch nicht im Zorne," sprach da Hildebrand. „Nun ruf' in den Garten, du kühner Weigand, Und sag', ich sei gestorben, er habe mich erschlagen: Wenn daS ihn nicht erzürnet, dann mögen wir wohl klagen." Wolfhart rief in den Garten, daß weit die Luft erscholl:

„O weh mir meine- Leides, das ist so groß und voll! Hilbrand ist erstorben, wir müssen ihn begraben: O weh, du Vogt von Berne, was hast du ihn erschlagen!"

„Ist Hildebrand gestorben," rief der Berner gleich, „So findet man an Treue keinen, der ihm gleich. Nun hüte deines Lebens, Siegfried, kühner Mann,

ES ist mein Scherz gewesen, waS ich noch stritt bis heran.

Wehr' dich auS allen Kräften, es thut dir wahrlich Noth.

UnS beide scheidet niemand als des einen Tod. Ich hab' um deinetwillen verloren einen Mann, Den ich bis an mein Ende nimmer verwinden kann." Wie ein HauS, das dampfet, wenn man eS zündet an,

So mußte Dietrich rauchen, der zornige Mann.

Eine rothe Flamme sah man gehn aus seinem Mund: Siegfrieds Horn erweichte; da ward ihm Dietrich erst kund.

Er brannte wie ein Drache, Siegfrieden ward so heiß, Daß ihm vom Leibe nieder durch die Ringe floß der Schweiß. Den edlen Vogt von Berne ergriff sein grimmer Zorn, Er schlug dem kühnen Siegfried durch Harnisch und durch Horn, Daß ihm das Blut das rothe herabsprang in den Sand: Siegfried mußte weichen, wie kühn er eben stand. Er hatt' ihn hin getrieben, jetzt trieb ihn Dietrich her: Das sah die schöne Kriemhild, die begann zu trauern sehr. Der Berner schnitt die Ringe, als wär' eS faules Stroh; Zum ersten Mal im Leben sah man, daß Siegfried floh. Da jagt' ihn durch die Rosen der Berner unverzagt.

Nun säumte sich nicht länger die kaiserliche Magd. Sie sprang von ihren: Sitze, ein Kleid sie von sich schwang,

Kriemhild in großer Eile hin durch die Rosen drang. Da rief mit lauter Stimme die Königstochter her: „Nun laßt von euerm Streite, Dietrich, ich fleh' euch sehr.

Steht ab um meinetwillen und laßt das Kämpfen sein:

Euch ist der Sieg geworden zu WormeS an dem Rhein." Da that der Bogt von Berne, als hätt' er'S nicht gehört, Er schlug mit seinem Schwerte, schier hätt' er ihn bethört.

Er hörte nichts von allem, waS die Königstochter sprach,

Bis er dem kühnen Siegfried vollends den Helm zerbrach.

Wie viel man der Stühle zwischen die Streiter warf, Die zerhieb der Berner mit seinem Schwert so scharf.

203

E p o S.

Alles, was im Garten war, wollt' er erschlagen, Dietrich in seinem Zorne, wie wir eS hören sage». Hildebrand der alte that als ein Biedermann,

Er sprang in den Garten und rief seine» Herren an. Er sprach: „Lieber Herre, laßt ab von euerm Zorn:

Ihr habt den Sieg gewonnen, nun bin ich neu gebor'n." Dietrich der kühne sah Hilbranden an,

Da erweicht' ihm sein Gemüthe, da er stehen sah den Mann.

Der Berner ließ sein Toben, er küßt' ihn ayf den Mund. „Gott will ich heute loben, daß du noch bist gesund!"

Da sprach Frau Kriemhild«: „Ihr seid ein biedrer Mann, Dem man seinesgleichen in der Welt nicht finden kann." Auf setzte sie dem Berner ein Rosenkränzelein, Ein Halsen und ein Küsten gab ihm daS Mägdelein. Sie sprachen einhellig: „DaS mag man euch gestehn, ES ward in allen Reichen kein Mann wie ihr gesehn." Übersetzt von Etmrock.

Als nun noch nach siegreich bestandenem Kampfe mit 52 Burgundern Jlsan 52 Kränze und ebenso viele Küsse von Kriemhild empfangen hatte, kehrten die Berner Helden in ihre Heimat und der Mönch in sein Kloster zurück.

Wie Jlsan heimkehrte. Er segnete den Berner und den alten Hildebrand Und kam in großer Eile gen Isenburg gerannt. Da er anS Kloster klopfte, daS hörten drin die Lagen; Da erschraken seine Brüder, daß er nicht war erschlagen.

Da ließ er vor sich kommen die Brüder allzumal. „Die Rosenkränze bring' ich, zweiundfünfzig an der Zahl. Die will ich euch geben, ihr lieben Brüder mein, Daß eure Häupter alle gekrönet sollen sein." Auf setzt' er da den Brüdern die Rosenkränzelein, Sie mußten alle schreien, so drückt' er sie hinein

Jeglichem in die Platte; die Herrn bekreuzten sich: WaS sie gebeten hatten, ging alles hinter sich. Über Stirn und Ohren rann ihnen rothes Blut. „Ich mußt' auch Noth erleiden, wenn eS euch wehe thut,

Da wir Gebrüder heißen, wohl billig dünkt eS mich, Daß ihr auch Pein erduldet um die Kränze so wie ich.

Nähmt ihr sie ohne Schmerzen, die Rosenkränzelein, Es wär' euch große Sünde, ihr lieben Brüder mein. Nun seid ihr hübsche Knaben, die Krone steht euch fein;

Wer mehr begehrt zu haben, der hole sie sich am Rhein."

That er ihnen wehe, gar schmerzlich Ungemach, Sie durften's nicht gestehen, ihm keiner widersprach.

Im Zorne zu den Brüdern sprach der Mönch Jlsan: „Nun helft mir die Sünden büßen, die ich gethan."

Epische Poesie.

204

Das mußten ihm geloben die Brüder lobesam, Daß er nicht sollte toben und wieder würde zahm. Doch waren etliche, die wollten nicht daran; Er sprach im großen Zorne: „Ihr sollt den Lohn empfahn.

Habt ihr die Kränz' empfangen und treibt nun solch ein Wesen,

Ich häng' euch über Stangen, will euch andre Vesper lesen." Er knüpfte sie zusammen mit ihren Bärten greis Und hing sie an die Stange. „Da hängt ihr reihenweis."

Die Brüder in dem Orden, sie schrieen alle laut: „Er wird uns noch ermorden, das böse Teufelskraul." Ihr Schreien half mit Nichten, er kehrte sich nicht dran, Sie mußten sich verpflichten zu beten für den Mann. Sie sprachen: „Lieber Herre, es muß euch sicher frommen,

Wir haben eure Sünden zumal auf uns genommen. Deß freut sich unser Herze, daß es euch so gerieth." Hiermit so hat ein Ende das Rosengartenlied. Übersetzt von Sim rock.

b.

Das religiöse Epos.

Das religiöse Epos schöpft seinen Stoff aus der Kirchengeschichte.

Es ist aber

sehr fraglich, ob und inwieweit ein solcher Stoff für die Dichtkunst sich eignet, da er der sagenhaften Behandlung auf gleiche Weise, wie der Erweiterung durch die Phantasie widerstrebt und die poetische Bearbeitung leicht das fromme Gemüth verletzen kann. Jedenfalls gehört der Genius'eines Klopstock dazu, um ein so erhabene- und zugleich so schwieriges Werk mit Würde zu Ende zu führen.

Da dieser aber sich so häufig nicht

findet, so ist das wiederholte Mißlingen der gemachten Versuche (Bodmers Moses und Noah, Wielands geprüfter Abraham, LavaterS Messias) leicht erklärlich.

Nach Dantes Vorgang („Die göttliche Komödie") bearbeitete Milton die biblische Erzählung von dem durch den ersten Sündenfall verlorenen Paradiese („Das verlorene Paradies") als Epos und Klopstock auf unübertroffene und wohl auch unübertreffliche Weise in seinem „Messias" die Erlösung des Menschengeschlechtes durch Christi Tod.

1.

Aus Dantes göttlicher Komödie. Graf Ugolino. (Aus dem 32. und 33. Gesang der Hölle.)

Wie Tydeus einst, geweiht dem Tode zwar, Wir gingen fort, und etwas weiter vor War, Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar Doch seine Zähn' in Menalipp geschlagen. zu finden, Das fest in einem Loch zusammenfror.

Und wie man nagt an hartem Brot und

So macht' es der mit Schädel, Fleisch und

Haar. „O du, der du mit viehischem Behagen

Den Haß an diesem stillst, den du verzehrst, Rinden, Weshalb," begann ich, „magst du dich be­ So nagt' am untern der, der oben war, klagen? Da, wo sich Nacken und Gehirn verbinden.

Epo«.

205

Mit Hunden, mager, schnell, von gier'gem Sinn, lehrst, Und- wer er sei, und was dein Nagen räche. Und mit Lanfrank, Gualand und mit SisSo mach' ich, daß du dort zu Ehren kehrst, munden Wemn diese nicht verdorrt, mit der ich Zog dieser vor der wilden Jagd dahin.

Und wenn du mich von deinem Recht be-

spreche!" Den

Mund

erhob

vom

Bald schien im Lauf des Wolfes Kraft

schaudervollen

geschwunden Schmaus Und seiner Jungen Kraft, und bis zum Tod Deo Sünder jetzt und wischt' ihn mit den Sah ich von scharfen Zähnen sie verwunden. Locken Als ich erwacht' im ersten Morgenroth,

DeS angefressnen Hinterkopfes auS.

Da jammerten im Schlafe noch die Meinen, Er sprach: „Du willst zum Reden mich Die bei mir waren, und verlangten Brot. verlocken? Theilst du nicht meinen Schmerz, so theilst

Verzweiflungsvollen Schmerz soll ich erneun, du keinen! Bei deß Erinn'rung schon die Pulse stocken. Und denkst du, was mein Herz mir kund­ Doch, darf ich hoffen, Saaten auszustreun. gethan. Die Schmach als Frucht für den Verräther Und weinest nicht, wann pflegst du denn zu bringen. weinen?

Nicht Worte werd' ich dann, noch Thränen

Schon wachten sie; die Stunde naht heran.

scheun!

Wo man uns sonst die Speise bracht', und Zwar, wer du bist, wie dir hierher zu jeden dringen Weht' ob dem Traume Unglücksahnung an. Gelungen, weiß ich nicht; doch schien vorhin Verriegeln hört' ich unter mir den öden, Wie Florentiner-Laut dein Wort zu klingen; Graunvollen Thurm, und ins Gesicht sah ich Drum höre jetzt: Ich war Graf Ugolin, Den Kindern allen, ohn' ein Wort zu reden. Erzbischof Roger er, den ich zerbissen. Ich weinte nicht, so starrt' ich innerlich; Nun horch, warum ich solch ein Nachbar bin. Sie weinten, und Anselm, mein Kleiner, fragte: Zwar, daß er mich, der ich auf sein Du blickst so, Vater! Ach, was hast du? sprich! Gewissen Doch weint' ich nicht; und diesen Tag lang Vertraute, fing durch seinen argen Rath sagte Und dann mich tödtete, daS wirst du wissen; Ich nichts und nichts die Nacht, bis abermal

Dock wie der Tod mir qualenvoll genaht, Des Morgens Licht der Welt im Osten tagte. DaS weißt du nicht; so hör' es, um zu schauern, Als in mein jammervoll Verließ sein Strahl Und sprich, ob Haß mir ziemt für solche Ein wenig fiel, da schien eS mir, ich fände That! Auf vier Gesichtern meins und meine Qual; Ein engeS Loch in des VerließeS Mauern, Da biß ich mich vor Schmerz in beide Hände, Durch mich benannt vom Hunger, wo gewiß Und jene, wähnend, daß ich es aus Gier Fortan noch manche fest verschlossen trauern, Nach Speise thät', erhoben sich behende

ES zeigte kaum nach nächt'ger Finsternis DaS erste Zwielicht, als ein Traum voll Grauen

Und schrien: Iß uns, dann leiden minder

wir! Wie wir von dir die arme Hüll' erhalten, Er jagt' als Herr und Meister durch die O so entkleid' uns, Vater, auch von ihr! Da sucht' ich ihrethalb mich still zu halten; Auen Den Wolf und seine Brut zum Berge hin, Stumm blieben wir den Tag, den andern noch, Und du, o Erde, konntest dich nicht spalten? Der Pisa hindert, Lucca zu erschauen; Der dunklen Zukunft Schleier mir zerriß:

Epische Poesie.

206

AlS wir den vierten Tag erreicht, da kroch O Pisa! du, des schönen Landes Schmach, Mein Gaddo zu mir hin mit leisem Flehen: In dem das Si erklingt mit süßem Tone, WaS hilfft du nicht? Mein Vater, hilf mir Sieht träg dein Nachbar deinen Freveln

doch! Dort starb er.

nach,

Und so hab' ich sie gesehen,

So schwimme her Capraja und Gorgone,

Wie du mich siehst, am fünften, sechsten Tag, Des Arno Mund zu stopfen, daß die Flut Jetzt den, jetzt den hinsinken und vergehen. Dich ganz ersäuf und keiner Seele schone!

Schon blind, tappt' ich dahin, wo jeder lag, Denn, wenn auch Ugolinos Frevelmuth Rief sie drei Tage, seit ihr Blick gebrochen, Wie man gesagt, die Schlösser dir verrathen. BiS Hunger that, was Kummer nicht vermag." Was schlachtete die Kinder deine Wuth? O neues Theben! War an solchen Thaten Und scheelen Blickes fiel er, dieS gesprochen, Unschuldig nicht das zarte Knabenpaar, Den Schädel an, den er zerriß, zerbrach, Mit Zähnen wie des Hundes, stark für Das ich genannt? Nicht Hugo sammt BriKnochen. gaten? Übersetzt von Streckfuh.

2. Aus Klopstocks Messias. Der Messias zieht sich vom Volke auf den Ölberg zurück und verspricht Gott noch einmal in feierlichem Gebete, die Erlösung zu übernehmen. Christi Gelöbnis. Gegen die östliche Seite Jerusalems liegt ein Gebirge, Welches auf seinem Gipfel schon oft den göttlichen Mittler Wie in daS Heilige Gottes verbarg, wenn er einsame Nächte

Unter deS Vaters Anschaun ernst in Gebeten durchwachte. Jesus ging nach diesem Gebirg. Der fromme Johannes, Er nur folgt' ihm dahin bis an die Gräber der Seher,

Wie sein göttlicher Freund, die Nacht im Gebete zu bleiben. Und der Mittler erhub sich von dort zu dem Gipfel des Berges. Da umgab von dem hohen Moria ihn Schimmer der Opfer, Die den ewigen Vater noch jetzt im Bilde versöhnten. Ringsum nahmen ihn Palmen inS Kühle. Gelindere Lüfte, Gleich dem Säuseln der Gegenwart Gottes, umflosien sein Antlitz.

Und der Seraph, der Jesus zum Dienst' auf der Erde gesandt war, Gabriel nennen die Himmlischen ihn, stand feiernd am Eingang Zwoer umdufteter Zedern und dachte dem Heile der Menschen Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als jetzt der Erlöser Seinem Vater entgegen vor ihm im Stillen vorbeiging. Gabriel wußte, daß nun die Zeit der Erlösung herankam. Diese Betrachtung entzückt' ihn; er sprach mit leiserer Stimme: „Willst du die Nacht, o Göttlicher, hier im Gebete durchwachen? Oder verlangt dein ermüdeter Leib nach seiner Erquickung?

Soll ich zu deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten? Siehe, schon streckt der Sprößling der Zeder den grünenden Arm aus Und die weiche Staude des Balsams.

Am Grabe der Seher

Wächst dort unten ruhiges Moos in der kühlenden Erde;

Epo

207

Soll ich davon, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten? Ach, wie bist du, Erlöser, ermüdet!

Wie viel erträgst du

Hier auf der Erd' aus inniger Liebe zu Adams Geschlechte!" Gabriel sagt'S. Der Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken, Steht voll Ernst auf der Höhe deS Bergs am näheren Himmel.

Dort war Gott.

Dort betet' er.

Unter ihm tönte die Erde,

Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten deS Abgrunds,

Als sie von ihm tief unten die mächtige Stimme vernahmen; Denn sie war eS nicht mehr, deS FlucheS Stimme, die Stimme, Angekündet in Sturm und in donnerndem Wetter gesprochen, Welche die Erde vernahm; sie hörte des Segnenden Rede, Der mit unsterblicher Schöne sie einst zu erneuen beschloffen. Ringsum lagen die Hügel in lieblicher Abenddämmrung, Gleich als blühten sie wieder, nach Edens Bilde geschaffen.

Jesu- redete.

Er und der Vater durchschauten den Inhalt

GrenzloS; dies nur vermag deS Menschen Stimme zu sagen: „Göttlicher Vater, die Tage deS Heils und des ewigen Bundes Nahen sich mir, die Tage, zu größeren Werken erkoren Als die Schöpfung, die du mit deinem Sohne vollbrachtest.

Sie verklären sich mir so schön und herrlich als damals, Da wir der Zeiten Reih' durchschauten, die Tage der Zukunft

Durch mein göttliches Schaun bezeichnet und glänzender sahen. Dir nur ist es bekannt, mit was für Einmuth wir damals, Du, mein Vater, und ich und der Geist, die Erlösung beschloffen. In der Stille der Ewigkeit, einsam und ohne Geschöpfe,

Waren wir bei einander. Voll unsrer göttlichen Liebe, Sahen wir auf die Menschen, die noch nicht waren, herunter. EdenS selige Kinder, ach, unsre Geschöpfe, wie elend Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub und entstellt von der Sünde! Vater, ich sah ihr Elend, du meine Thränen. Da sprachst du: Lasset der Gottheit Bild in dem Menschen von neuem unS schaffen! Also beschloffen wir unser Geheimnis, das Blut der Versöhnung Und die Schöpfung der Menschen, erneut zu dem ewigen Bilde!

Hier erkor ich mich selbst, die göttliche That zu vollenden. Ewiger Vater, da- weißt du, das wissen die Himmel, wie innig Mich seit diesem Entschluß nach meiner Erniedrung verlangte! Erde, wie oft warst du in deiner niedrigen Ferne

Mein erwähltes, geliebtereS Augenmerk! Und, o Kanan, Heiliges Land, wie oft hing ungewendet mein Auge An dem Hügel, den ich von des Bundes Blute schon voll sah! Und wie bebt mir mein Herz von süßen, wallenden Freuden,

Daß ich so lange schon Mensch bin, daß schon so viele Gerechte Sich mir sammeln und nun bald alle Geschlechter der Menschen Mir sich heiligen werden! Hier lieg' ich, göttlicher Vater, Noch nach deinem Bilde geschmückt mit den Zügen der Menschheit, Betend vor dir; bald aber, ach, bald wird dein tödtend Gericht mich

Blutig entstellen und unter den Staub der Todten begraben.

208

Epische Poesie. Schon, o Richter der Welt, schon hör' ich fern dich und einsam

Kommen und unerbittlich in deinen Himmeln dahergehn. Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Geistergeschlechte

Unempfindbar, und wenn du sie auch mit dem Zorne der Gottheit Tödtetest, unempfindbar! Ich seh' den nächtlichen Garten Schon vor mir liegen, sinke vor dir in niedrigen Staub hin,

Lieg' und bet' und winde mich, Vater, im Todesschweiße. Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will deS Allmächtigen Zürnen,

Deine Gerichte will ich mit tiefem Gehorsam ertragen. Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat daS Zürnen der Gottheit,

Keiner je den Unendlichen tödtend mit ewigem Tode Ganz gedacht und keiner empfunden. Gott nur vermochte, Gott zu versöhnen. Erhebe dich, Richter der Welt! Hier bin ich! Tödte mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Versöhnung. Noch bin ich frei, noch kann ich dich bitten: so thut sich der Himmel Mit Myriaden von Seraphim auf und führet mich jauchzend,

Vater, zurück im Triumph zu deinem erhabenen Throne! Aber ich will leiden, was keine Seraphim fasien, WaS kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht; Ich will leiden, den furchtbarsten Tod ich Ewiger leiden!" Weiter sagt' er und sprach: „Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf,

Meine Hand in die Wolken und schwöre dir bei mir selber, Der ich Gott bin, wie du: Ich will die Menschen erlösen." Jesus sprach's und erhub sich. In seinem Antlitz war Hoheit, Seelenruh' und Ernst und Erbarmung, als er vor Gott stand. Aber, unhörbar den Engeln, nur sich und dem Sohne vernommen, Sprach der ewige Vater und wandte sein schauende- Antlitz Nach dem Versöhner hin: „Ich breite mein Haupt durch die Himme!, Meinen Arm aus durch die Unendlichkeit, sage: Ich bin

Ewig! und schwöre dir, Sohn: Ich will die Sünde vergeben." Also sprach er und schwieg. Indem die Ewigen sprachen, Ging durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.

Der Engel Gabriel bringt das Gebet vor Gott und wird von Eloa, dem erhabensten aller Engel, zum Altare des Messias geführt, wo er das Gebet deS Mittlers singt. Auf Gottes Wink verkündet Eloa den Himmeln die Befehle desselben. Der Engel Gabriel steigt darauf zum Messias zur Erde hinab, dessen nahendes Erlösungswerk er den Engeln der Erde und den Seelen der Väter auf der Sonne verkündet. Jesus begiebt sich danach zu den Gräbern am Ölberge. SammaS Erlösung.

Jesus stieg an dem Olberg nieder.

An seiner Mitte

Standen Palmen, vor allen auf niedrigen Hügeln erhaben, Von leichtschimmernden Wolken des Morgennebels umflossen. Unter den Palmen vernahm der Messias den Engel Johannis,

Raphael ist sein Name, der ihn hier betend verehrte. „Raphael, komm'," rief ihm der Messias mit freundlichem Anblick, „Wandle mir hier ungesehn zu der Seite.

Wie hast du die Nacht durch

Unsres lieben Johannes unschuldige Seele bewachet? Welche Gedanken, die deinen Gedanken, Raphael, glichen,

Epos. Hatt' er?

Wo ist er jetzt?"

209

„Ich bewacht' ihn," sagte der Seraph,

„Wie wir die Erstlinge deiner Erwählten, o Mittler, bewachen. Doch jetzt ist er dort unten in traurigen, nächtlichen Gräbern, Klaget einen beseffenen Mann, der im Staube der Todten Fürchterlich bleich, wie bebend Gebein, herübergestreckt liegt.

Mittler, du solltest ihn sehn, du solltest den zärtlichen Jünger Neben ihm voll mitleidiges Kummers und Wehmuth erblicken, Wie vor Menschenliebe das Herz ihm erbarmend zerfließet, Wie er bebet. Mir selbst drang eine Thräne der Wehmuth Zitternd inS Auge. Da wandt' ich mich weg. Das Leiden der Geister, Die du zur Ewigkeit schufst, ist mir stets durch die Seele gedrungen."

Raphael schwieg.

Der Göttliche sah mit Zorne gen Himmel.

„Vater, erhöre mich! Es werde der Hasser der Menschen Deinem Gericht' ein ewiges Opfer, das jauchzend der Himmel,

Das mit Bestürzung und Schänd' und Schmach die Hölle betrachte!"

Also sagt' er und näherte sich den Gräbern der Todten. Unten am mitternächtlichen Berge waren die Gräber In zusammengebirgte, zerrüttete Felsen gehauen. Dicke, finsterverwachsene Wälder verwahrten den Eingang

Vor des fliehenden Wanderers Blick. Ein trauriger Morgen Stieg, wenn der Mittag schon sich über Jerusalem senkte. Dämmernd noch in die Gräber mit kühlem Schauer hinunter. Samma, so hieß der besessene Mann, lag neben dem Grabe Seines jüngsten, geliebteren SohnS in kläglicher Ohnmacht. Satan ließ ihnr die Ruh', ihn desto ergrimmter zu quälen. Samma lag bei des Knaben Gebein in modernder Asche; Neben ihm stand sein anderer Sohn und weinte zu Gott auf. Jenen Todten, den der Vater beweint' und der Bruder, Brachte die zärtliche Mutter einst, erweicht durch sein Flehen, Mit in die Gräber zum Vater hinab, zu dem Vater im Elend, Den jetzt Satan in grimmiger Wuth bei den Todten Herumtrieb. „Ach, mein Vater!" so rief der kleine, geliebte Benoni Und entflöhe der Mutter Arm, die ängstlich ihm nachlief, „Ach, mein Vater, umarme mich doch!" und krümmt' um die Hand sich, Drückte sie an sein Herz. Der Vater umfasiet ihn, bebet. Da mit kindlicher Inbrunst nun der Knab' ihn umarmte,

Da er mit sanft liebkosendem Lächeln ihn jugendlich ansah, Warf ihn der Vater an einen entgegenstehenden Felsen, Daß sein zartes Gehirn an blutigen Steinen herabrann Und mit leisem Röcheln entfloh die Seele voll Unschuld. Jetzo klagt er ihn trostlos und faßt da- kalte Behältnis Seiner Gebeine mit sterbendem Arm.

„Mein Sohn, Benoni!

Ach, Benoni, mein Sohn!" so sagt er, und jammernde Thränen Stürzen vom Auge, das bricht und langsam starrend dahinstirbt.

Also lag er, beklommen von Angst, da der Mittler hinabkam.

Joel, der andere Sohn, verwandte sein thränendes Antlitz

Von dem Vater und sah den Messias die Gräber herabgehn. Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aufl.

14

210

Epische Poesie. „Ach, mein Vater," erhub er froh vor Verwundrung die Stimme,

„Jesus, der große Prophet, kommt in die Gräber hernieder." Satan hört' es und sah bestürzt durch die Öffnung des Grabmals. So sehn Gottesleugner, der Pöbel, aus dunkeln Gewölben, Wenn am donnernden Himmel das hohe Gewitter heraufzieht

Und in den Wolken der Rache gefürchtete Wagen sich wälzen.

Satan hatte bisher aus der Fern' nur Samma gepeinigt; AuS den tiefsten, entlegensten Enden des nächtlichen Grabmals Sandt' er langsame Plagen hervor. Jetzt erhub er sich wieder, Rüstete sich mit des Todes Schrecken und stürzt' auf Samma. Samma sprang auf, dann fiel ohnmächtig von neuem er nieder. Sein erschütterter Geist (er rang noch kaum mit dem Tode) Riß ihn, von dem mörd'rischen Feind' empöret zum Unsinn,

Felsenan. Hier wollt' ihn, vor deinen göttlichen Augen, Richter der Welt, am Hangenden Felsen Satan zerschmettern. Aber du wärest schon da, schon trug voreilend die Gnade Dein verlaff'nes Geschöpf auf treuen, allmächtigen Flügeln, Daß er nicht sank. Da ergrimmte der Geist des Menschenverderberß

Und erbebte. Ihn schreckte von fern die kommende Gottheit. Jetzo richtete Jesus sein helfendes Antlitz auf Samma, Und belebende, göttliche Kraft, mit dem Blicke vereinet, Ging von ihm aus. Da erkannte der bange, verlaffene Samma Seinen Retter. JnS bleiche Gesicht voll Todesgestalten Kam die Menschheit zurück; er schrie und weinte gen Himmel, Wollte reden, allein kaum konnt' er, von Freuden erschüttert, Bebend stammeln. Doch breitet' er sich mit sehnlichen Armen Nach dem Göttlichen aus und sah mit getröstetem Auge, Voll Entzückung, nach ihm von seinem Felsen herunter.

Jetzo sprach der Messias mit mächtiger Stimme zu Satan: „Geist deS Verderbens, wer bist du, der du vor meinem Antlitz Dies zur Erlösung erwählte Geschlecht, die Menschen, so quälest?" „Ich bin Satan," antwortet' ein zorniges, tiefes Gebrüll, „bin König der Welt, die oberste Gottheit unsklavischer Geister, Die mein Ansehn etwas Erhabnerem als den Geschäften Himmlischer Sänger bestimmt. Dein Ruf, o sterblicher Seher, Denn Maria wird wohl Unsterbliche niemals gebären.

Dieser dein Ruf drang, wer du auch bist, zu der untersten Hölle. Selber ich verließ sie, sei stolz ob meiner Heraufkunft! Dich, von himmlischen Sklaven verkündigten Retter, zu sehen. Doch du wurdest ein Mensch, ein götterträumender Seher, Wie die, welche mein mächtiger Tod hinab in die Erde Gräbt. Drum gab ich nicht acht, was die neuen Unsterblichen thaten; Aber, nicht müßig zu sein, so plagt' ich, das hast du gesehen, Deine Geliebten, die Menschen. Da schau' die Todesgestalten, Meine Geschöpfs auf diesem Gesicht! Jetzt eil' ich zur Hölle. Unter mir soll mein allmächtiger Fuß das Meer und die Erde,

Mir zu bahnen gehbaren Weg, gewaltsam verwüsten.

Epos.

211

Dann soll schauen die Höll' im Triumph mein königlich Antlitz. Willst du was thun, so thu' es alsdann; denn ich kehre wieder, Hier auf der Welt mein erobertes Reich als König zu schützen.

Stirb indeß noch, Verlass'ner, vor mir!" Er sprach's, und er stürzte Stürmend auf Samma. Allein des ruhig schweigenden Mittlers Stille, verborgne Gewalt kam, gleich des Vaters Allmacht, Wenn er Untergang unerforscht auf Welten herabwinkt, Satan in Zorne zuvor. Er floh und vergaß im Entfliehen,

Unter allmächtigem Fuß zu verwüsten das Meer und die Erde. Samma stieg indeß von seinem Felsen hernieder. Also entfloh von dem hohen Euphrates Nebukadnezar,

Da ihm der Rath der heiligen Wächter die Bildung des Menschen Wiedergab und, von neuem den Himmel zu schaun, ihn erhöhte. Gottes Schrecknisse gingen nicht mehr mit dem Rauschen EuphrateS'

Ihm in Wettern vorüber, als wären's des Sinai Wetter. Nebukadnezar erhub sich auf Babylons Hangende Höhen;

Jetzo kein Gott mehr, lag er gen Himmel ausgebreitet. Dankbar im Staube gebeugt, den Ewigen anzubeten. So kam Samma zu Jesus herab und fiel vor ihm nieder. „Darf ich dir folgen, du heiliger Mann?

Ach, laß mich mein Leben,

DaS du von neuem mir gabst, bei dir, Mann Gottes, vollenden!" Also sagt' er und schlang sich mit brünstigen, zitternden Armen Um den Erlöser, der ihm mit menschenfreundlichen Blicken Dies erwiderte: „Folge mir nicht, doch verweile dich künftig Oft an der Höh' der Schädelstätte: da wirst du die Hoffnung Abrahams und der Propheten mit deinen Augen erblicken." Als der Mittler zu Samma so sprach, da wandte sich Joel Zu Johannes und sagte zu ihm mit schüchterner Unschuld: „Lieber, ach, führe du mich zu Gottes großem Propheten, Daß er mich höre, du kennest ihn ja!" Der zärtliche Jünger Nahm ihn und führt' ihn zu JesuS; da sagt' er in seiner Unschuld: „Gottes Prophet, so kann denn mein Vater und ich dir nicht folgen? Aber, o darf ich es sagen? warum verweilest du jetzo, Wo mein jugendlich Blut erstarrt vor der Todten Gebeinen? Komm', Mann Gottes, ins Haus, wohin mein Vater zurückkehrt; Dort soll meine verlassene Mutter mit Demuth dir dienen. Milch und Honig, die lieblichste Frucht von unseren Bäumen Sollst du genießen; die Wolle der jüngsten Lämmer der Aue

Soll dich decken. Ich selber will dich, o Gottes Prophet, dann, Kömmt der Sommer, unter der Bäume Schalten begleiten, Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni!

Ach, Benoni, mein Bruder! dich lass' ich zurück in dem Grabe! Ach, nun wirst du mit mir die Blumen künftig nicht tränken, Wirst am kühlenden Abend mich niemals brüderlich wecken!

Ach, Benoni!

Ach, Gottes Prophet, da liegt er im Staube!"

JesuS sah mit Erbarmen ihn an und sprach zu Johannes: „Trockne dem Knaben die Zähren vom Aug': ich hab' ihn viel edler 14 *

212

Epische Poesie.

Und rechtschaffner als viele von seinen Vätern erfunden." Also sagt' er und blieb mit Johannes allein in den Gräbern. Satan veranlaßt mit Adramelech zusammen „trotz der Einwendungen Abadonas die Höllen­ fürsten, zur That zu schreiten, und eilt auf den Ölberg zurück. Während Jesus in den Gräbern die Leiden der Erlösung in sich zunehmen fühlt und der Engel Selia durch die Schutzengel der Jünger mit dem Charakter derselben bekannt gemacht wird, empfindet Jschariot die Wirrungen der Eingebungen Satans, der ihm im Traume unter der Gestalt seines Vaters erschienen ist. Das Synedrium, welches den Tod Jesu beschlossen, belohnt Judas, während der Messias auf dem Wege nach Jerusalem sich bei der Schädelstätte verweilr, an seinen Tod und die Erlösung denkend. In der Stadt feiert er mit seinen Jüngern das letzte Mahl, nimmt Abschied von ihnen und begiebt sich auf den Ölberg. Gott steigt auf den Tabor, hält Gericht über den Messias und kehrt dann zu seinem Throne zurück. Unterdeß naht Judas mit seiner Schaar, um Christum zu fangen, der dann vor das Synedrium geführt, zum Tode verurtheilt und von der Wache gemißhandelt wird. Pilatus verhört den zu ihm geführten Mittler im Nichthause und beschließt, während Judas sich getödtet hat, ihn zu Herodes zu senden. Maria wendet sich an Portia und fleht sie an, ihren Ge­ mahl zu warnen und ihn zu bitten, daß er des Unschuldigen schone.

Maria und Portia.

Unterdeß kam die Mutter deS liebsten unter den Söhnen Nach durchwachter einsamer Nacht mit dem Schauer der Dämmrung

Nach Jerusalem, fand ihn im Tempel nicht, wo sie ihn suchte, Fand den göttlichen Sohn nicht. Versenkt in ängstliches Staunen, Höret sie von den Palästen der Römer herüber ein dumpfes, Tiefaufsteigend Getöse. Sie ging dem Getös' entgegen, Ohne daran zu denken, woher es entstünde. Nun geht sie Unter dem Volke, das rings durch Jerusalem gegen den Richtstuhl Drang. Beklommen, allein noch ruhig wegen des Aufruhrs Ursach, naht sie dem Richtstuhl sich. Hier sieht sie LebbäuS. Doch kaum sah Lebbäus die Mutter, da floh er. „Ach, flieht er? Warum wendet er sich?" so dachte Maria. Die Vorsicht Zückt' auf sie mit diesem Gedanken das Schwert, das bestimmt war, Ihr durch die Seele zu gehn. Maria erhub sich und sahe Jesus. Ihr Engel, als er die Todesbläffe, mit der sie Bleich ward, als er die starrenden Augen der Mutter erblickte, Wandt' er sein Antlitz. Doch sie, da ihrem Auge das Dunkel, Ihrem Ohr die Betäubung entsank, ging vorwärts und bebte Näher zum Richtstuhl hin und sah noch einmal den Sohn stehn, Sah die mächtigen Kläger um ihn und den richtenden Römer, Hörte die Stimme des Volks, die rings mit Wuth von dem Tode

Wiederhallte.

Was sollte sie thun?

Zu welcher Erbarmung

Sollte sie flehn? Sie schaute sich um, da war kein Erbarmer! Schaute gen Himmel empor, auch er verstummte der Mutter!

Jetzo betet ihr blutendes Herz: „O, der ihn durch Engel Mir verkündigen ließ, mir ihn in Bethlehems Thal gab, Daß ich mit Mutterfreuden mich freute, mit denen der Mütter Keine sich jemals freute, mit Freuden, die selber die Engel In dem Liede von seiner Geburt nicht alle besangen, Du, der Samuels Mutter erhörte, da sie am Altare

Stand und weint' und betet': erhör', Erbarmer, den Jammer

Epos. Meiner Seele, vernimm die Angst, die mehr mich erschüttert Als der Gebärerin Angst! Das mütterlichste der Herzen Gäbest du mir und den besten der Söhne, den besten von allen Erdegebornen. Laß ihn nicht sterben, ist anders mein Flehen

Deinem göttlichen Willen gemäß, o du, der die Himmel Schuf und der Thräne gebot, zu dir um Erbarmung zu flehen!" Hier verstummt' ihr Herz.

Der Strom der kommenden Schaaren

Trieb sie seitwärts und nahm ihr des SohnS Anblick. Sie entriß sich Jetzt dem Gedränge, sie stand, sie ging, sie suchet, fand nicht,

Nicht die Jünger.

Zuletzt verhüllte sie sich und weinte

Sprachlos. Als sie darauf ihr Aug' aufhebt, da erblickt sie Sich an dem Seitenpalaste des Römers. Vielleicht, daß hier Menschen

Wohnen, denkt sie, vielleicht, daß selbst in der Schwelger Palästen Eine Mutter gebar, der eS, Mutterliebe zu fühlen,

Nicht zu klein ist.

O wenn es wäre, was viele der Mütter

Von dir, Portia, sagen, daß du ein menschliches Herz hast; O, ihr Engel, die ihr bei der Krippe seiner Geburt sangt,

Wenn das wäre! Sie denkt's. Schon eilt sie die Marmorgeländer Unverhüllter hinaus und geht in den schweigenden Sälen. Aber nicht lang, so kommt aus einem fernen Gewölbe In des Palastes Seite, die sich zu dem Richtstuhl hinzog, Eine Römerin her und sieht Maria. Die junge, Bleiche Römerin blieb, so wie gelöst ihr das Haar floß Und das leichte Gewand die bebenden Glieder herunter, Voll Bewunderung stehn; denn die Mutter des Unerschaffnen Zeigte, wiewohl der Schmerz sie verhüllte, in ihren Geberden Eine Hoheit, von Engeln, weil die auch dann sie verstanden, Noch bewundert; verhüllt vom Schmerze, stieg sie am tiefsten Zu den Menschen hinab, von ihnen bewundert zu werden:

Denn die kannten nicht, was an der Heitern die Himmlischen sahen. Endlich redet die Römerin: „Sag', o sage, wer bist du? Wer du auch seist, noch nie hab' ich diese Hoheit gesehen. Diesen göttlichen Schmerz!" Da unterbrach sie Maria: „Wenn du wirklich das Mitleid, das du in deinem Gesicht hast, Auch in dem Herzen empfindest, so komm', o Römerin, führe

Mich zu Portia!"

Mehr noch erstaunt, antwortet mit leiser, „Du bist

Sanfter Stimme die Römerin: „Ich bin Portia."

Portia selbst? Ein geheime-, ein linderndes, stilles Verlangen Wünschte mir Portia so, da ich dich sahe. Du bist eS Also selber, o Römerin? Zwar du kennest die Schmerzen Einer Mutter nicht ganz, die zu einem Volke gehöret, Welche- ihr haßt; doch Israelitinnen selber erzählen.

Daß dein Herz voll Menschlichkeit sei. Der Mann, den PilatuS Richtet, er hat kein Übel gethan, den Tyrannen verklagen! Maria hat es gesprochen." Portia blieb vor ihr stehen und sah mit sanftem Erstaunen,

Ich bin seine Mutter!

Mit Entzückung sie an; denn über den Kummer des Mitleids

213

Epische Poesie.

214

Siegte der höhere Gedanke. Sie konnte jetzt nur bewundern. Endlich rief sie: „Er ist dein Sohn? Glückselige, du bist Diese- Göttlichen Mutter? Du bist Maria?" Dann wendet Sie sich von ihr und richtet gen Himmel ihr staunendes Auge.

„Sie ist seine Mutter, ihr Götter! Euch mein’ ich, ihr höh’re, Bessere Götter, die mir in dem Traume voll Ernst sich entdeckten. Jupiter heißt ihr nicht, ihr heißet nicht Phöbus Apollo. Aber, wie euer Name auch heißt, ihr seid es, ihr sandtet Mir die Mutter des größten der Menschen, wenn er ein Mensch ist! Und mich bittet sie? mich?

Nein, bitte mich nicht!

O, führe

Mich vielmehr zu ihm hin, zu deinem erhabenen Sohne, Daß er der Dunkelheit mich, den Zweifeln entreiße, von fern nur Auf mich blicke und mir die Lehre der Gottheit entfalte!" Portia hatte zuletzt sich gewandt. Mit Augen voll Liebe Suchte Maria der Römerin Aug’ und redete wieder:

„Wie ist deine Seele bewegt!

Ja, Portia liebt mich!

Portia! o, ich war es auch, war der glücklichen Mütter Glücklichste. So hat keine der Mütter geliebt, wie ich liebe! Aber bei deinem Herzen voll Mitleids, o Römerin, rufe Deine Götter nicht an! Hilf selbst, sie können nicht helfen! Und auch du vermagst nicht zu helfen, wenn GotteS Rathschluß,

Daß er sterbe, beschloß! Allein es würde PilatuS, Wenn deS Unschuldigen Blut nicht seine Seele befleckte, Freudiger stehen vor dem Gericht des Gottes der Götter." Portia schaut' auf sie hin und sing an leise zu reden: O, was sag’ ich zuerst, was zuletzt? Wie voll ist mein Herz mir! Erst sei dieses dein Trost, ist es anders Trost dir: Ich will dir Helfen, du Theure! Dann wisse, die Götter, welche du meintest, Fleht’ ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich jetzt aufsteh', Lehrte mich bessere Götter, zu denen hab' ich gebetet, Sieh’, ein Traum, wie noch keiner um meine Seele geschwebt hat,

Ach, ein himmlischer, schreckender Traum! Ich würde dir helfen, Wärst du auch nicht, Maria, gekommen. Der Traum, den ich sahe, Hatte mir schon für dich mit mächtiger Stimme gesprochen; Aber er endete fürchterlich, und ich verstand ihn zuletzt nicht. Da erwacht' ich und fand mich in kalten Schweißen.

Ich eilte

Gleich, den erhabnen Verklagten zu sehen. Da hatten die Götter Mir deS Verlangten Mutter gesandt!" Hier schwieg sie und winkte

Einer Sklavin, die ferne von ihr in der Tiefe des Gangs stand; Denn sie gab den Befehl, da aus ihren Hallen sie eilte, Eine Sklavin sollte sie nur in der Ferne begleiten.

Diese nahete jetzt und empfing die neuen Befehle: „Geh’ zu Pilatus und sag’ ihm: Er ist ein großer, gerechter, Göttlicher Mann, den du richtest! verdamme du nicht den Gerechten! Um deS Göttlichen willen, Pilatus, hat ein Gesicht mich Heut im Schlafe geschreckt! So stille denn, liebende Mutter, Deine Schmerzen und komm’, daß ich unter die Blumen dich führe

Epos.

215

Dort in die Morgensonne, damit wir die Menge nicht hören Und ich dir sage, was mich die ernste Stunde gelehrt hat." Portia sprach's, und sie stiegen hinab. Die edlere Heidin Sieht mit ernstem Angesicht nieder. Noch schweigt sie, voll WundernÜber den Traum und vertieft in neue Gedanken. Ihr Engel

Hatt' in ihre Seele den Traum gegossen und immer

Aus den Lieblingsgedanken, die sie am feurigsten dachte, Neue Gedanken entwickelt, in ihrem Herzen die feinsten. Zartesten Saiten gewiffer zu treffen und ganz sie zu rühren.

c.

DaS romantische Epos.

Das romantische Epos entnimmt seinen Stoff aus der romantischen Zeit deMittelalters. ES verherrlicht nicht die natürliche Kraft des von natürlichen Beweggründen getriebenen Menschen, sondern den von schwärmerischer Liebe, Frömmigkeit und Tapferkeit beseelten Ritter, indem es Thaten erzählt, die aus solchen Empfindungen hervorgehen müssen.

Es gewährt daher auch der Phantasie freiesten Spielraum, zieht daS wunder­

reiche Morgenland zur Hülfe heran und verschmäht den Beistand mannigfacher guter und böser Geister nicht. Den Mittelpunkt des romantischen Epos bildet nicht eine für daBolk bedeutsame und bedeutungsvolle Begebenheit, sondern der Held mit seinen wunder­ baren, mehr oder weniger abenteuerlichen Geschicken, der meist zugleich der Repräsentant der Empfindungen und Bestrebungen seiner Zeit ist.

1.

Aus Hartmanns von Aue „armem Heinrich".

ES macht die Sage uns bekannt, ES sei dereinst im Schwabenland Ein edler Herr gesessen, An welchem nichts vergessen Bon Herrlichkeit und Tugend, Die eines Ritters Jugend In vollem Maße zieren soll. DaS Land war seines Lobes voll.

Ein Musterbild der Tugend, Ein Blüthenreis der Jugend, Der Welt ein fröhlich Spiegelglas, Der steten Treu' ein Adamas, Ein Ehrenkranz der edlen Zucht Und der Bedrängten Hort und Flucht, Den Seinen all ein sichrer Schild, Dabei in rechtem Maße mild.

An Adel manchem Fürsten gleich, An Gütern wie ein König reich

Geehrt um manche Heldenthat, Ein reicher Quell von weisem Rath,

Und reicher noch an Ruhme

Ein Sänger edler Frauen

Im edlen Ritterthume:

Und herrlich anzuschauen Bon Angesicht und von Gestalt:

So war der stolze Herr bekannt, Heinrich, von Aue zubenannt.

Falschheit und rohes Wesen

Sind ihm verhaßt gewesen,

Er mied nach einem theuren Eid Sie alle seine Lebenszeit.

Was fehlt ihm, um mit Allgewalt Die Herzen alle zu begeistern Und jedes Ruhms sich zu bemeistern? Ach, all die stolze Herrlichkeit Bersank in herzzerbrechend Leid! Herr Heinrich, der in Fröhlichkeit,

Es war sein ganzes Leben Der Ehre nur ergeben;

In Wonne und in Würdigkeit

Drum möcht' er auch im Leben

Gelebt, der ward von GotteS Macht

Nach hohen Ehren streben.

Um allen Preis und Ruhm gebracht.

216

Epische Poesie.

Hart war die Prüfung, die ihn traf,

Ein Wetterstrahl int süßen Schlaf. Sein schöner Leib ward aller Welt Zu Schmach und Abscheu ganz entstellt

Von Schwären und von giftigen Wunden,

Die sich als Aussatz bald bekunden. ES ließ der Herr mit gleicher Pein Den Hiob einst geschlagen sein, Um ihn zu prüfen, ob im Leid Er hielt' an der Gerechtigkeit. Herr Heinrich, einst von Weib und Mann

Geliebt, geehrt, der ward fortan

Die Seele ihm zu retten Aus eitler Weltlust Ketten. Er lobte Gott und freute sich

Der schweren Prüfung inniglich. So that der arme Heinrich nicht, Sein Herz vergaß der höchsten Pflicht. Sein fröhlich Herz erstarrte ganz, Es schwand der Angen heitrer Glanz, Und seines Geistes Muth erlag:

Ein allzuschwerer Donnerschlag Warf ihn danieder, dunkle Nacht

Umhüllte seiner Sonne Pracht.

Gestöhn, verworfen ganz und gar.

Es trug sein übermüthig Herz

Ach, Menschengunst ist wandelbar! Als nun der arme Heinrich sah,

Mit Noth und Mühe nur den Schmerz,

Wie dieses Leid an ihm geschah. Und wie die Menschen vor ihm flohn,

Daß er der Ehre Tagen Nun sollte Abschied sagen; Des Tags, der ihn ans Licht gebracht.

Oft seiner Pein noch sprachen Hohn, Da ging eS ihm, wie's manchem geht.

Ward oft von ihm mit Fluch gedacht. Der einz'ge Trost in seiner Pein

Dem unversehen Leid ersteht: ES schied ihn sein wohl schweres Leid

War nur die Hoffnung noch allein;

Bon Hiobs Gottergebenheit; Denn Hiob nahm mit frommem Sinn

Mit seinem Reichthum zu bezwingen Die Noth, in die ihn Gott gebracht. Ach, zu gering war seine Macht, Um wider den zu streiten!

Die schwere Prüfung GotteS hin, Die ihn zur Schmach vor aller Welt, Zu Fluch und Schande hingestellt,

Er dacht', es müsse ihm gelingen,

Übersetzt vrn Koch.

Auch die besten Ärzte vermögen ihn nicht zu heilen; ein berühmter Meister in Salerno theilt ihm endlich mit, er sei nur durch eine reine Jungfrau zu retten, die bereit wäre, ihr Herzblut für ihn hinzugeben. Da erkennt er, daß ihm nicht geholfen werden könne, und vertheilt all sein Gut an seine Freunde, an die Armen und an Gotteshäuser mit einziger Ausnahme eines kleinen Hofes, auf dem er von aller Welt geschieden lebt, treu gepflegt von einem Bauern, dem er den Nießbrauch der zum Hofe gehörigen Felder gegeben. Der Bauer diente seinem Herrn

Für seine Güte treu und gern; Er nahm mit frohem, leichtem Sinn Die Mühe und die Arbeit hin, Die neu an jedem neuen Morgen Er hatte, um für ihn zu sorgen. Es schaute Gott den braven Mann Mit seinem Wohlgefallen an; Er gab ihm einen starken Leib,

Ein frohes Herz, ein braves Weib Und schöne Kinder, die mit Lust Erfüllen eine- Menschen Brust. Darunter war ein Mägdelein, Gar lieblich, munter, zart und fein,

Das nun im zehnten Jahre war. Mit einem klaren Augenpaar Und rothen Wänglein, lichtem Haar Und holden Zügen wunderbar. Es war das gute, liebe Kind Dem kranken Herrn so treu gesinnt, Daß selten sie von seinen Füßen

Entwich und für ein freundlich Grüßen Ihm willig diente allezeit.

Die andern alle flohen weit Den kranken, beulenvollen Mann; Sie aber ging zu ihm heran, So oft es ihr nur möglich war.

Ihr kindlich Herz war immerdar

217

EpoS. Ihm zugethan und stets bereit,

Die schwere Pein, das harte Leid Mit Zärtlichkeit ihm zu versüßen,

Der eure Krankheit heben kann. Warum, o Herr, fragt ihr nicht an? "

Da drängten aus des Kranken Herzen

Und lächelnd saß sie ihm zu Füßen. Er liebte auch das gute Kind,

Viel' Seufzer sich mit bangen Schmerzen; Sie wollten schier das Herz ihm brechen,

Das ihm so hold und treu gesinnt, Und kaufte oft ihr bunte Sachen,

Als er begann, wie folgt, zu sprechen: „Ich habe dieses schwere Leid

Wie sie den Kindern Freude machen. Die einz'ge Freude seiner Brust War ihre kindlich reine Lust.

Von Gott verdient zu seiner Zeit. Es stand mein Sinn auf eitle Dinge;

Ich sann nur, wie es mir gelinge,

Sie war so dankbar, war so froh. Daß wohl auch ihn der Kummer floh

Um Ehre vor der Welt zu haben. DaS brachte mich um Gottes Gnade

Und er zu scherzen selbst begann, Sie sei sein Frauchen, er ihr Mann; Sie ließ ihn selten nur allein Und linderte ihm seine Pein Durch Lieb' und kindliches Vertraun,

Und schloß mir zu des Himmels Pfade,

Und, immer fröhlich anzuschaun,

War sie ein Balsam seiner Brust Und seiner Augen süße Lust. Drei Jahre waren schon vergangen, Seit über ihn das Leid verhangen.

Und immer noch brach nicht sein Leib. Da saß der Bauer und sein Weib Und auch ihr beider Töchterlein Beisammen einst im Dämmerschein Und sprachen da von ihrem Herrn, Und wie sie hülfen ihm so gern. Sie trugen um ihn große Noth Und fürchteten, daß sie jein Tod In große Trübsal bringen werde. Sie meinten, daß es ans der Erde

Nicht solchen Herrn noch möchte geben. Und müßten sie eS dann erleben, Daß einst ein andrer ihn beerbe, Daß dann mit ihm ihr Glück ersterbe. Da sprach der Bauer zu dem Herrn: „Mein lieber Herr, ich fragte gern,

So daß ich, hier wie dort verloren. Zu Schmach und Elend ward erkoren.

Wie tief bin ich verloren! Der ich dein Herr geboren, Ich muß zu dir nun flehen, Mich gnädig anzusehen; Doch Gott wird dich mit Segen Beglücken meinetwegen. Weil du dich ob deS Armen So christlich läßt erbarmen. Doch was du fragst, bescheid' ich dir.

Ich suchte wohl den Arzt, der mir. In meinem Leide beizustehn Verstünde, ach und mußte sehn, Daß keine Hülfe ist auf Erden, Durch die mir mag geholfen werden. Zwar giebt's ein Mittel, aber nie Erlang' ich das auf Erden hie. Ein weiser Arzt hat mir gesagt, Es müsse eine reine Magd Um mich den bittern Tod erleiden, Der müsse man ins Herze schneiden; Von ihrem Blut würd' ich gesunden Von meines Leibes bösen Wunden. Wie aber mag die Maid ich finden,

Wenn ihr's erlaubt, auS welchem Grunde

Die gern ihr Leben ließe schwinden,

Ihr mcht schon längst bis diese Stunde Mit Ärzten euch berathen,

Um mich zu retten?

Drum verzagen

Die doch von ihren Thaten

Muß ich an Heilung und ertragen Den Zorn des Höchsten, meine Noth.

So großen Ruhm erheben.

Ach löste bald mich doch der Tod!"

ES wird doch einer leben,

Übersetzt von Koch.

Auch das reine, keusche Mägdlein hat dies gehört. Sie beschließt fest in ihrem Herzen, für ihren Herrn ihr Leben hinzugeben, beharrt bei ihrem Entschlüsse trotz der dringenden Bitten und der strömenden Thränen ihrer Eltern und erlangt endlich von ihnen und von Heinrich die Ein-

Epische Poesie.

218

willigung in ihr Opfer. Fröhlich zieht sie mit ihm nach Salerno und verlangt ihren Tod auch den Mahnungen des warnenden Meisters gegenüber, der endlich sich darein fügen muß, der Jung­ frau Bitte zu erfüllen.

Hin führt' er ohne Aufenthalt In sein entlegnes Zimmer sie, Daß es ihr Herr nicht sähe hie,

Und vor ihm schloß er zu die Thür Und warf dann einen Riegel für.

Dahier in einem Kämmerlein, Das er mit seinen Arzenein Beständig wohlberathen fand, Hieß er die Jungfrau ihr Gewand, So viel sie trug, vom Leibe thun. Sehr froh und heiter ward sie nun, Und schnell riß sie die Kleider auf; Entblößet stand sie bald darauf.

Und durch den Spalt die Traute

Nackt und gebunden schaute. Ihr Leib, der war so minniglich, Er sah sie an und sah auf sich Und änderte den Willen nun.

Er meinte, übel dran zu thun, Wozu er erst entschlossen war; Und schnell verkehrt' er ganz und gar Den Willen, den er anfangs hegte,

Da ihn das Mitleid so bewegte. Als er die Maid so reizend sah. In seinem Herzen meint' er da:

Daß ihm beinahe war sein Herz

Wie thöricht hast du doch gedacht, Daß du nicht dessen hattest acht, Dem niemand widerstehen mag,

Vor seinem schweren Werk verzagt.

Und ohne ihn meinst einen Tag

Nun sah die reine, gute Magd

Zu leben.

Dort eine hohe Tafel stehn;

Auf die hieß sie der Meister gehn.

Da du mußt einmal sterben nun. Daß du bei diesem siechen Leben,

Alsdann er auf den Tisch sie band

Was dir von deinem Gott gegeben,

Und nahm ein Messer in die Hand, Ein scharfes, das dort lag bereit

Zumal sehr zu bezweifeln ist.

Zu solchen Dingen alle Zeit.

Ob dir des Kindes Tod mag frommen.

Doch nicht genügt' es ganz und gar

Das Leid, das dir von Gott gekommen,

Er fühlte um sie großen Schmerz,

Eitel ist dein Thun,

Geduld und Ruhe ganz vergißt;

Dem Arzt, so lang und breit es war,

Geduldig laß es dir geschehn.

Da es nicht gut genug ihm schnitt.

Ich will des Kindes Tod nicht sehn.

Da sie zum bittern Tode schritt, Erbarmte er sich ihrer Noth

So that er drauf Verzicht alsbald Und pochte an nun mit Gewalt,

Und gönnt' ihr einen sanften Tod. Nun lag in seiner Nähe dort

Man sollte öffnen ihm sogleich. Der Meister sprach: „Geduldet euch;

Ein Schleifstein, den er nahm sofort.

Denn noch ist nicht das Werk geschehn,

Das Messer strich er nun daran Und fing mit großem Fleiße an,

Daß ich herein euch ließe gehn." „Nein, Meister, sprecht zuvor mit mir."

Es scharf zu machen.

Dieses hörte

„Ich kann nicht, Herr, bleibt an der Thür

Der arme Heinrich; denn nach ihr

Und harret, bis das Werk gethan." „Nein, erst sollt ihr mein Wort empfahn."

War er gekommen vor die Thür,

„So sagt es mir durch diesen Spalt."

Und es erbarmete ihn sehr, Daß er sie sollte nimmermehr

„Die Sache ist nicht dergestalt." Da öffnete er ihm die Thür.

Lebendig wiedersehen. Nun fing er an zu spähen,

Der arme Heinrich ging zu ihr,

Bis daß er eine Ritze fand,

Und zu dem Meister sprach er da:

Die durchging durch des Zimmers Wand,

„Laßt wieder frei die gute Magd.

Jemand, der ihre Freude störte,

Die er am Tisch gebunden sah,

219

Epos.

Wie viel sie bat und flehte

Was ich euch habe zugesagt, Das Silber will ich geben.

Ihr sollt sie lassen leben." Als dies die gute Maid vernahm,

Und schalt mit bittrer Rede, All' ihre Mühe war vergebens:

Sie ward nicht ledig ihres Lebens.

Daß es zum Tod nicht mit ihr kam,

Wie weit sie auch im Schelten ging,

Sehr bitter schrie sie zum Erbarmen: „O wehe mir, o weh mir Armen!

Wie es ein braver Ritter soll,

Der arme Heinrich es empfing,

Wozu bin ich erkoren?

Geduldig, ohne allen Groll,

So hab' ich nun verloren

Der feine Zucht und Sitte hegt.

Die reiche Himmelskrone? Die wäre mir zum Lohne Gegeben für die kurze Noth.

Zur Gnade ward er nicht bewegt Und kleidete das Mägdlein an

Nun bin ich erst so gut wie todt. O wehe, du gewalt'ger Christ,

Was Ehren uns benommen ist, Herrn Heinrich und mir armen Maid!

Und gab den Lohn dem Arzte dann, So viel er hatte ihm verheißen,

Und dann begann er abzureisen Schnell nach dem Heimaislande.

Hin sind die Ehren alle Zeit,

Wiewohl er alles kannte, Daß er daheim von jedermann

Die erst uns waren zugedacht.

Schmähungen nur und Leid gewann

Wär' dieses Werk von uns vollbracht,

Und ihn Verachtung traf und Spott, Traut' er doch lediglich auf Gott.

So wäre ihm der Leib genesen

Und ich zum Heile auserlesen."

Übersetzt von Koch.

Schnell reist er heim, genest durch Christi Erbarmen unterwegs von seinen Leiden, wird von seinen Landsleuten mit Gütern überreich beschenkt und heiratet mit Zustimmung aller seiner Ver­ wandten die treue Jungfrau, die für ihn sich in den Tod hatte geben wollen.

Aus Wielands Oberon.

2.

Der Befehl des Kaisers.

Der Paladin, mit dessen Abenteuern

„Sohn," sprach er, als er ihm den Ablaß

Wir euch zu ergötzen (sofern ihr noch ergötz­

bar seid)

„Zeuch hin in Frieden!

segnend gab, Es wird dir wohl­

Entschlossen sind, war seit geraumer Zeit

gelingen, Gebunden durch sein Wort, nach Babylon zu Was du beginnst. Allein vor allen Dingen, Wenn du nach Joppe kommst, besuch' das steuern. heil'ge Grab!"

Was er in Babylon verrichten sollte, war Halsbrechend Werk sogar in Karls des Großen

Tagen; In unsern würd' es auf gleiche Gefahr

Um allen Ruhm der Welt kein junger Ritter-

Der Ritter küsset ihm in Demuth den Pan­

toffel, Gelobt Gehorsam an und zieht getrost dahin.

Schwer war das Werk,

wozu der Kaiser

wagen.

ihn „Sohn," sprach sein Oheim zu ihm, der Verurtheilt hatte; doch mit Gott und Sankt heilige Vater in Rom, Christophel Zu dessen Füßen, mit einem reichlichen Strom Hofft er, zu seinem Ruhm sich schon heraus-

Bußfert'ger Zähren angefeuchtet,

zuziehn.

Er als ein frommer Christ erst seine Schuld Er steigt zu Joppe aus, tritt mit dem Pilger­ gebeichtet, stabe

Epische Poesie.

220

Die Wallfahrt an zum werthen heil'gen Grabe Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget,

Und fühlt sich nun an Muth und Glauben So wie der Pfad sich senket oder steiget. zwiefach kühn.

Auf einmal gähnt im tiefsten Felsengrund

Ihn eine Höhle an, vor deren finstrem Schlund Auf Bagdad los. Stets denkt er: kommt es Ein prasselnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten bald? Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Allein da lag noch mancher steile Hügel Gestein, Und manche Wüstenei und mancher dicke Wald

Drauf geht es mit verhängtem Zügel

Schlimm genug, daß in den Mit wildem Gebüsche versetzt, das auS den schwarzen Spalten Heidenlanden Die schöne Sprache von Oc was Unerhörtes Herabnickt und im Wiederschein Als grünes Feuer brennt. Mit lustvermeng­ war.

Dazwischen.

tem Grauen Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzu­ fragt er zwar An jedem Thore, doch von keiner Seele ver­ schauen.

„Ist dies der nächste Weg nach Bagdad?"

standen.

Indem schallt auS dem Bauch der Gruft ein

donnernd Halt! Auf einen Wald. Er ritt bei Sturm und Regen Und plötzlich stand vor ihm ein Mann von rauher Gestalt, Bald links, bald rechts den ganzen langen Tag Und mußt' oft erst mit seinem breiten Degen Mit einem Mantel bedeckt von wilden Katzen­

Einst traf der Weg, der eben vor ihm lag,

DurchswildeGebüsch sich einenAuSgang Haun. fellen, Der, grob zusammengeflickt, die rauhen Schen­ Er ritt bergan, um freier umzufchaun; kel schlug; Weh ihm! derWaldfcheintsich von allen Seiten, Ein graulich schwarzer Bart hing ihm in Je mehr er schaut, je weiter auszubreiten. krausen Wellen WaS ganz natürlich war, däucht' ihm ein Bis auf den Magen herab, und auf der Zauberspiel. Schulter trug Wie ward ihm erst, da in so wilden Gründen, Er einen Zedernast als Keule, schwer genug, Woraus kaum möglich war, bei Tage sich zu Den größten Stier auf einen Schlag zu fällen. finden, Zuletzt die Nacht ihn überfiel! Der Ritter, ohne vor dem Mann Sein Ungemach erreichte nun den Gipfel. Und seiner Zeder und seinem Bart zu er­ Kein Sternchen glimmt durch die verwachs'nen schrecken, Wipfel; Beginnt in der Sprache von Oe, der einz'gen, Er führt sein Pferd, so gut er kann, am Zaum die er kann. Und stößt bei jedem Schritt die Stirn an Ihm seinen Nothstand zu entdecken. einen Baum.

„Was hör' ich?" ruft entzückt der alte Wald­

mann auS, Er war nicht lange fortgezogen. So glaubt er, in der Fern' den Schein von „O süße Musik vom Ufer der Garonne! Schon sechzehnmal durchläuft den Sternen­ Feuer zu sehn. kreis die Sonne, Der Anblick pumpt sogleich mehr Blut in seine Wangen, Und zwischen Zweifel und Verlangen, Ein menschlich Wesen vielleicht in diesen öden

Und all' die Zeit entbehr' ich diesen Ohren­ schmaus."

Der Held, dem dieser Gruß gar große

Höh'n Zu finden, fährt er fort, dem Schimmer nach­ Folgt zugehn,

Freude gab, ungesäumt dem Landsmann in die

Grotte,

EPo Legt traulich Helm und Panzer ab

221

Daß ScheraSmin bei eurem Namen euch

Und steht entwaffnet da gleich einem jungen nenne!" Gotte. „Mein Nam' ist Hüon, Erb' und Sohn

Dem Waldmann wird, als rühr' ihn AlquifS DeS braven Siegewin, einst Herzogs von Stab, Guyenne!" Da jener jetzt den blanken Helm entfchnallet „O!" ruft der Alte, der ihm zu Füßen fällt, Und ihm den schlanken Rücken hinab „So log mein Herz mir nicht. O tansendnial Sein langes, gelbes Haar in großen Ringen willkommen wallet.

Ju diesem einsamen, unwirthbar'n Theil der

Welt! Stück für Stück! Willkommen, Sohn deS ritterlichen, frommen, Stirn, Auge, Mund und Haar!" „Wem ähn­ Preiswerthen Herrn, mit dem in meiner bessern Zeit lich?" fragt der Ritter. „Verzeihung, junger Mann, es war ein Ich manches Abenteu'r in Schinipf und Ernst bestanden! Augenblick, Ein Traum auS beff'rer Zeit, so süß und auch Ihr hüpftet noch im ersten Flügelkleid, AIS wir juut heil'gen Grab zu fahren uns so bitter! „Wie ähnlich," ruft er, „o wie ähnlich

ES kann nicht sein!

Und doch, wie euch dieS

verbanden.

schöne Haar Wer hätte dazumal gedacht. Den Rücken herunterfiel, war mir'S, ich seh' Wir würden unS in diesen Felscnschlünden ihn selber Auf Libanon nach achtzehn Jahren finden? Bon Kopf zu Fuß. Bei Gott! sein Abdruck Verzweifle keiner je, dem in der trübsten Nacht ganz und gar; Der Hoffnung letzte Sterne schwinden! Nur «r von breit'rer Brust und eure Locken Doch, Herr, verzeiht, daß mich die Freude gelber. Plaudern macht! Ihr seid der Sprache nach auS meinem Laßt mich vielmehr vor allen Dingen fragen, WaS für ein Sturmwind euch in dieses Land Lande; vielleicht verschlagen!" Jst'S licht umsonst, daß ihr dem guten Herrn so gleicht. Um dm ich hier in diesem wilden Haine,

Der junge Mann erzählt nach Art der

lieben Jugend So fern von meinem Volk, schon sechzehn Jahre Ein wenig breit, wie seine Mutter ihn weine. Bei Hofe (dem wahren Ort, um Prinzen zu Ach, pn zu überleben, war erziehn) Mein Schicksal! DieseHand hat ihm die Augen Gar fleißig zu guter Lehr' und ritterlicher zugeschlossen, Tugend DieS Aug' sein frühes Grab mit treuen Erzogen; wie schnell der Kindheit lieblicher

Zähren begossen. Traum Und xtzt ihn wieder in euch zu sehn, wie Vorübergefloge», und wie, sobald ihm etwas wunderbar!" Flaum Durchs Kinn gestochen, man ihn zu Bordeaux „D>r Zufall spielt zuweilen solche Spiele,"

von den Stufen „Sei eS denn!" Fährt jener fort; genug, mein wackrer junger DeS Schlosses mit großem Pomp zum Herzog auSgerufen; Mann,

Bersest der Jüngling.

Die Lrbe, womit ich mich zu euch gezogen fühle.

Und wie sie drauf in eitel Lust und Pracht Ist, tarnt! kein Wahn, und gönnet ihr den Mit Jagen, Turnieren, Banketten, Saus und Lohn, Brause

Episcke Poesie.

222

Zwei volle Jahre wie einzelne Tage verbracht, Ha! schrie mir jener zu, bist du'S? Dich sucht'

BiS Amory, der Feind von seinem Hause, ich just. Beim Kaiser (dessen Huld sein Vater schon Schon lange dürst' ich nach der Lust, Mein racheglühend Herz in deinem Blut zu verscherzt) Ihn hinterrücks gar böslich angeschwärzt. kühlen! Und wie ihn Karl zum Schein in allen Gnaden Kennst du mich nicht, so wisst, ich bin der Nach Hofe zum Empfang der Lehen vorge­ Sohn laden; Des Herzogs Dietrich von Ardennen! Wie sein besagter Feind, der listige Baron Dein Vater Siegewin (mög' er im Abgrund brennen!) DeS großen Karl, dem schlimmsten Fürsten­ Trug über meinen einst bei einem offnen

Bon Hohenblat, mit Scharlot, zweitem Sohn

Rennen knaben Mit Hinterlist den Sieg davon, Im Christenthum (als der schon lange Lust Und durch die Flucht allein entging er seinem gehegt

Lohn. Auf seinem Zuge nach Hof ihm eine Grube Doch Rache hab' ich ihm geschworen; Du sollst mir zahlen für ihn! Da, sieh zu zu graben;

Zu HüonS Land), eS heimlich angelegt,

Und wie sie eines Morgens früh Ihm aufgepaßt im Wald bei Montlery.

deinen Ohren!

Und mit dem Worte rennt er gegen mich, „Mein Bruder," fuhr er fort, „der junge Der, unbereit zu solchem Tanze, Sich dessen nicht versah, mit eingelegter Lanze. Gerard, machte Zum Glück parirt' ich seinen Stich Mit seinem Falken auf der Hand

Mit meinem linken Arm, um den ich in der Die Reise mit. Aus frohem Unverstand Eile Entfernt der Knabe sich, da niemand ArgeS Den Mantel schlug, und auf der Stell' empfing dachte. Von unserm Trupp, läßt seinen Falken los Mit meinemDegenknopf der Unhold eine Beule Und rennt ihm nach. Wir andern alle zogen Am rechten Schlaf, wovon der Athem ihm Jndeffen unsern Weg und achteten's nicht groß, AlS Falk' und Knab' aus unserm Blick ent­

verging.

Er fiel, mit einem Wort, um nimmer auf­

flogen.

zustehen. Auf einmal dringt ein klägliches Geschrei Da ließen Plötzlich sich im Walde Reiter sehen In unser Ohr. Wir eilen schnell herbei, In großer Zahl; doch des Erschlagnen Tod Und siehe da! mein Bruder liegt, vom Pferde Zu rächen, war dem feigen Troß nicht Noth. Gestürzt, beschmutzt und blutend auf der Erde. Sie hielten, während wir deS Knaben Wunde Ein Edelknecht (von keinem unsrer Schaar banden,

Erkannt, wiewohl es Scharlot selber war) Sich still und fern, bis wir aus ihren Augen Stand im Begriff, ihn weidlich abzuwalken, schwanden. Und seitwärts hielt ein Zwerg mit seinem Drauf legten sie den Leichnam auf ein Roß Falken.

Von Zorn entbrannt, rief ich: Du Grobian,

Und zogen eilends fort zum kaiserlichen Schloß. Unwissend, wie bei Karl mein Handel sich

WaS hat der Knabe dir gethan, verschlimmert, Der wehrlos ist, ihm also mitzuspielen? Verfolg' ich meinen Weg, des Vorgangs un­ Zurück! Und rühr' ihn noch mit einem bekümmert. Finger an, Wir langen an. Mein alter Oheim, Abt Wofern's dich juckt, mein Schwert in deinem Zu Saint Denis, ein Mann, mit Weisheit

Wanst zu fühlen!

hochbegabt,

EpoS.

223

Führt beim Gehör da- Wort.

Wir werden Ein wetterleuchtender Glanz von hundert bloßen Wehren wohl empfangen, Und alle- wär' erwünscht für uns ergangen; Scheint stracks in jeder Brust die Mordlust Doch wie man eben sich zur Tafel setzen will,

aufzustören.

Hält Hohenblat am Schloß mit Scharlots Die Hall' erdonnert von Geschrei,

Leiche still.

DaS Estrich bebt, die alten Fenster klirren; Indem tritt Amory hervor, hebt von der Aus jedem Mund schallt Mord! Verrätherei! Die Sprachen scheinen sich aufs neue zu ver­ Leiche DaS blutige Tuch und: Sieh! (ruft er dem wirren;

Man schnaubt, man rennt sich an, man zückt Kaiser zu) die drohende Hand. Die- ist dein Sohn und hier der Frevler, der Der Abt, den noch allein Sankt Benedikts dem Reiche Gewand Vor Frevel schützt, hält endlich unsern Degen Ruh'! Mit aufgehob'nem Arm sein Skapulier ent­ Weh mir! Ich kam zu spät dazu! Sich nichts versehend, fiel dein Scharlot int gegen.

Und dir die Wunde schlug, der Mörder unsrer

Gesträuche Durch Meuchelmord, nicht wie in offnem Feld

Nun trug der Abt den ganzen Verlauf der

Von Rittershand ein ritterlicher Held.

Dem Kaiser vor.

Sache Die Überredung saß

Mein Will' ist Auf seinen Lippen. Allein was half mir das? Die Leiche des Sohns liegt da und schreit ohne Schuld. Er gab sich für den Sohn des Herzogs von um Rache. Hier, ruft der Vater, sieh und sprich Ardennen; Herr, rief ich, höre mich!

Und was er that, bei Gott!

es hätte die Dem Mörder meines Sohns das Urtheil!

Sprich's für mich! Geduld Ja, rachedürstender Geist, dein Gaumen soll Bon einem Heil'gen morden können! Er schlug den Knaben dort, der ihm kein Leid sich laben An seinem Blut! Er sterb' und mäste die gethan,

Sprach lästerlich von meines Vaters Ehre, Fiel ungewarnt mich selber mörd'risch an. Den möcht' ich sehn, der kalt geblieben wäre!

Raben! Jetzt schwoll mein Herz empor. Ich bin kein

Mörder! schrie Ha, Bösewicht! schreit Karl, mich hörend, Ich überlaut. Der Richter richtet nicht billig springt entbrannt In eigner Sache. Der Kläger Amory Boa Leichnam auf mit Löwengrimm im Ist ein Verräther, Herr! Hier steh' ich, frei Retzt

einem

Knecht

Blicke, das Eisen

aus

und willig, der Will in sein falsches Herz mit meine- Leben-

Fahr Hand, Und, hielten ihn mit Macht die Fürsten nicht Beweisen, daß er ein Schalk und Lügner ist

zurücke, . und war Er hätt' in seiner Wuth mich durch und durch Und bleiben wird, so lang sein Hauch die Luft vergiftet. gerannt. Auf einmal rüttelt sich der ganze Ritterstand; Sein Werk ist alles dies, er hat es angestiftet!

Karl, durch diese- rasche Wort noch mehr erbittert, befiehlt der Wache, Hüon zu ergreifen; diesr aber wird durch die Ritter mit den vorgehaltenen Schwertern geschützt.

Epische Poesie.

224

DeS Reiches Schicksal schien an einem Haar Und zum begehrten Kampf deS Kaisers Urlaub zu schweben, schwöret." Die grauen Räthe flehn den Kaiser auf den Herr Hüon fährt dann zu erzählen fort, Knien, Wie stracks auf dieses einz'ge Wort Dem Recht der Ritter nachzugeben. Je mehr sie flehn, je minder rührt eS ihn;

Der Aufruhr sich gelegt, die Ritter alle zurücke Gewichen und Karl, wiewohl im Herzen er­

Bis endlich Herzog NaimS (der oft in seinem

grimmt, Mit stiller Wuth int halbentwölkten Blicke, Leben, Wenn Karl den Kopf verlor, den seinen ihm Den achten Tag zum Urtheilskampf bestimmt; Wie beide Theile sich mit großer Pracht gerüstet geliehn) Den Mund zum Ohr ihm hält, dann gegen Und, des Triumphs gewiß, sich Amory ge­ unS sich kehret brüstet.

Der Tag des Zweikampfes erscheint; der Kampf beginnt; Hüon siegt über den stolzen Amory. Der Stolze sinkt zu seines Gegners Füßen, Das Blut zu stillen, das an des Panzers Seiten Herab ihm quillt, und ihn zum Kaiser zu Und Hüon mit gezücktem Schwert Dringt auf ihn ein. „Entlade dein Gewissen," begleiten. Ruft er, „wenn noch daS Leben einen Werth

„Doch Karl," so fährt der junge Ritter fort Gesteh' es auf der Dem Mann vom Felsen zu erzählen, Stelle." „Karl hielt noch seinen Groll. Kann dieser „Bandit!" schreit Amory, indem er alle Kraft neue Mord

In deinen Augen hat.

Zum letzten Stoß mit Grimm zusammen­ Mir, rief er, meinen Sohn beseelen? rafft, Ist Hüons Unschuld anerkannt? „Nimm dies und folge mir zur Hölle!" Ließ Hohenblat ein Wort von Widerruf ent­ fallen? Auf ewig sei er denn aus unserm Reich ver­ Hand bannt Bom Boden auf geführt, durch eine schnelle Und all sein Land und Gut der Krone heim­ Wendung, gefallen! Die Hüon macht, unschädlich nur den Rand DeS linken Arms. Allein mein Ritter in der Streng war dies Urtheil, streng der Mund, Blendung Aus dem es ging; allein was konnten wir DeS ersten Zorns vergißt, daß Hohenblat, dagegen? Um öffentlich vor Karln die Wahrheit kund­ Das einzige Mittel war, aufs Bitten uns

Zum Glücke streift der Stoß, mit ungewisser

zumachen, zu legen. Noch etwas Athem nöthig hat, Die PairS, die Ritterschaft, wir alle knieten Und stößt sein breites Schwert ihm wüthend rund in den Rachen. Um seinen Thron uns schier die Kniee wund

Der Frevler speit in Wellen rother Flut Die schwarze Seele aus.

Der Sieger steht

entsündigt Und rein gewaschen in des Klägers Blut Vor allen Augen da.

Des Herolds Ruf ver­

Und gaben's endlich auf, ihn jemalszu bewegen, AIS Karl zuletzt sein langes Schweigen brach: Wohlan, ihr Fürsten und Ritter, ihr wollt's, wir geben nach. Doch höret den Beding, den nichts zu

widerrufen kündigt Es laut dem Volk. Ein helles Jubelgeschrei Vermögend ist! (Hier neigt' er gegen mich Schallt an die Wolken. Die Ritter eilen Herunter zu deS Thrones Stufen herbei. Den Szepter.) Ich begnadige dich!

EpoS.

225

Alleinr aus allen meinen Reichen

Ein jeder sah, daß so gewogen bleiben Soll wein verbannter Fuß zur Stunde stracks Nichts besser als ein Todesurtheil sei. entweichen, Und nun kraft dieses Worts, mein guter Und, bis du Stück für Stück mein kaiserlich Scherasmin, Gebot Siehst du mich hier, nach Babylon zu reisen, Vollbracht, ist Wiederkunft unmittelbarer Tod. Entschlossen. Willst du mir dahin Zcmch hin nach Babylon, und in der fest­ Den nächsten Weg auS diesen Bergen weisen,

So habe Dank! wo nicht, so mach' ich's, lichen Stunde, Wenm der Kalif im Staat an seiner Tafel­ wie ich's kann." „Mein bester Herr," versetzt der Felsenmann, runde Mit seinen Emirn sich beim hohen Mahl Indem die Zähren ihm am Bart herunter­

beben, vergnügt, Tritt Hin und schlage dem, der ihm zur Linken „Ihr ruft wie aus dem Grab mich in ein liegt, Den Kopf ab, daß sein Blut die Tafel über­

neues Leben!

Hier schwör' ich euch (und da zum heil'gen spritze! Pfand Ist dies gethan, so nahe züchtig dich Ist diese alte zwar, doch nicht entnervte Der Erbin seines Throns zunächst an seinem Hand!), Sitze Mit euch, dem theuren Sohn und Erben Und küss' als deine Braut sie dreimal öffentlich! Von meinem guten Herrn, zu leben und zu Und wenn dann der Kalif, der einer solchen sterben. Das Werk, wozu der Kaiser euch gesandt, Szene In seiner eignen Gegenwart Ist schwer; doch ist damit auch Ehre zu er­ Sich nicht versah, vor deiner Kühnheit starrt, werben ! So wirf dich an der goldnen Lehne Genug, ich führ' euch hin und steh' euch festen Vor seinem Stuhle hin nach Morgenländerart Muths Und zum Geschenk für mich, das unsre Freund­ Bis auf den letzten Tropfen Bluts!"

schaft kröne. Erbitte dir von ihm vier seiner Backenzähne Und eine Handvoll Haar aus seinem grauen Bart!

Der

junge

Fürst,

gerührt

von

solcher

Treue, Füllt dankbarlich dem Alten um den Hals. Drauf legen sich die beiden auf die Streue,

Geh hin, und, wie gesagt, eh' du aufS Und Hüon schläft, als wär' es Flaum.

Und

als Haar vollzogen, Was ich dir hier von Wort zu Wort gebot, Der Tag erwacht, erwacht mit muntern Blicken Ist deine Wiederkunft unmittelbarer Tod! Wir bleiben übrigens in Gnaden dir gewogen. Der Ritter auch, schnallt seine Rüstung an; Der Kaiser sprach's und schwieg. Allein, wie Der Alte nimmt den Quersack auf den Rücken,

uns dabei Zu Muthe war, ist nothloS zu beschreiben.

Den Knüttel in die Hand und wandert frisch voran.

Unterwegs wird Hüon von Oberon mit einem Pokale, der von selbst sich füllt, sobald er an den Mund gesetzt wird, und mit einem Hörne ausgestattet, dessen sanfter Ton alle, die ihn ver­ nehmen, tanzen macht, während der laute Ton Oberon selber zur Hülfe Herbeimst. Nach mancherlei Abenteuern gelangt er nach Bagdad, wo des Kalifen Tochter Rezia ihn bereits mit Sicherheit er­ wartet, da ein Traum ihr die nahe Ankunft des Ritters verkündet hat, für den sie infolge eines früheren Traumes in Liebe glüht. Seine Ankunft in Bagdad erfolgt gerade zu der Zeit, da des Kalifen Tochter mit dem Drusenfürsten Babekan vermählt werden soll. Durch Oberon empfängt er alles, was zur Ausrüstung eines Sultans gehört, und begiebt sich in den Palast des Kalifen. Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Aust.

15

Epische Poesie.

226

Die Ausführun g des Befehls. Schon ist er durch den ersten Hof gezogen, Auch der Kalif, den Becher just zu leeren, Im zweiten steigt er ab und geht zum dritten Beschäftigt, läßt sich nichts in seinem Opferein. stören: Er scheint ein Hochzeitsgast vom ersten Rang Nur Babekan, den seines nahen Falls Kein guter Geist verwarnt, dreht seinen lan­ zu sein,

Und überall, von diesem Schein betrogen, Macht ihm die Wache Platz. Er schreitet frei

gen Hals. Sogleich erkennt der Held den losen Mann

und stolz von gestern, Daher und nähert sich dem Thor von Eben­ Der sich vermaß, der Christen Gott zu lästern: holz. Er ist's, der links am goldnen Stuhle sitzt Zwölf Mohren, Riesen gleich, stehn mit ge­ Und seinen Nacken selbst der Straf' entgegen­ zücktem Eisen, bieget. Die Unberechtigten vom Eingang abzuweisen. Rasch wie des Himmels Flamme blitzt Allein des Ritters Staat und königlicher Der reiche Säbel auf, der Kopf des Heiden Blick flieget, Drückt, wie er sich der hohen Pforte zeiget, Und hoch aufbrausend überspritzt Die Säbelspitzen schnell zurück, Sein Blut den Tisch und den, der ihm zur

Die fernher sich entgegen ihm geneiget. Die Flügel rauschen auf.

Seite lieget.

Hoch schlägt sein

Wie der Gorgone furchtbar Haupt Heldenherz, In Perseus' Faust den wild empörten Schaaren Indem sie hinter ihm sich wieder wehend Das Leben stracks durch seinen Anblick schließen. raubt; Drauf führt ein Säulengang, an welchen Noch dampft die Königsburg, noch schwillt der Gärten stießen, Aufruhr, schnaubt Ihn noch zu einer Thür von übergüld'tem Die Mordlust ungezähmt im Busen der Bar­

Erz.

baren; Schon tönen Zymbeln, Trommeln, Pfeifen, Doch Perseus schüttelt kaum den Kopf mit Gesang und Saitenspiel vom Hochzeitsaale Schlangenhaaren, her; So starrt der Dolch in jeder blut'gen Hand, Schon nickt des Sultans Haupt von Weindunst Und jeder Mörder steht, zum Felsen hinge­

doppelt schwer, Und freier schon beginnt die Freude auszu­

bannt :

So stockt auch hier beim Anblick solcher schweifen; kecken, Der Braut allein theilt sich die Lust nicht mit, Verrätherischen That des frohen Blutes Die in des Bräutigams Augen glühet: Lauf Als eben, da sie starr auf ihren Teller stehet, In jedem Gast. Sie fahren allzuhauf, Herr Hüon in den Saal mit edler Freiheit Als sähn sie ein Gespenst, von ihren Sitzen

tritt. auf Er naht der Tafel sich, und alle Augen­ Und greifen nach dem Schwert; allein, gelähmt brauen vom Schrecken, Ziehn sich erstaunt empor, den Fremden an­ Erschlafft im Ziehn der Arm, und jedes Schwert

zuschauen. Die schöne Rezia, die ihre Träume denkt,

blieb stecken; Unmächt'gen Grimm im starren Blick

Hält auf den Teller noch den ernsten Blick Sank sprachlos der Kalif in seinen Stuhl gesenkt;

zurück.

Epos.

227

Den Auftuhr, der den ganzen Saal em­ Den zum Gemahl das Schicksal mir gegeben, O spart mein Blut in euer beider Leben!" pöret, Schrerckt Rezien auS ihrer Träumerei:

Umsonst! Des Sultans Wuth und Dräun Sie scchaut bestürzt sich um, was deffen Ursach Nimmt überhand, die Heiden dringen ein. sei, Der Ritter läßt sein Schwert vergeben­ Und, wie sie sich nach Hüons Seite kehret, blitzen, Wie wird ihm, da er sie erblickt! Noch hält ihm Rezia den Arm. Ihr ängstlich „Sie iist's, sie ist's," ruft er und läßt entzückt Den Llut'gen Stahl und seinen Turban fallen Durchbohrt sein Herz. Und wird von ihr erkannt, wie seine Locken wallen.

Schrein WaS bleibt ihm, sie

zu schützen, Noch übrig als sein Horn von Elfenbein?

„Er ist's!" beginnt auch sie zu rufen, doch Er seht es an den Mund und zwingt mit sanftem Hauche die Scham Den schönsten Ton aus seinem krummen Ersticke den Ton in ihrem Rosenmunde. Bauche. Wie schlug das Herz ihr erst, da er geflogen kam, Im Angesicht der ganzen Tafelrunde Sie UebeSkühn in seine Arme nahm

Auf einmal fällt der hochgezückte Stahl Aus jeder Faust; in raschem Taumel schlingen

Der Emirn Hände sich zu tänzerischen Rin­

Und, da sie glühend bald, bald blaß wie eine

gen; Büste, Ein laute- Husia schallt bacchantisch durch Sich zwischen Lieb' und jnngferlichem Gram den Saal, In fernen Armen wand, sie auf die Lippen Und jung und alt, wa- Füße hat, muß küßte! springen; Des Hornes Kraft läßt ihnen keine Wahl; Auf einmal blitzen hundert Klingen In Hüons Aug', und kaum erhascht er noch, Nur Rezia, bestürzt, dieS Wunderwerk zu

sehen, Eh' sie im Sturm auf ihn von allen Seiten Bestürzt und froh zugleich, bleibt neben Hüon dringen, stehen. Sein hingeworfnes Schwert. Er schwingt es

dräuend. Doch Der ganze Divan dreht im Kreis Die schöne Rezia, von Lieb' und Angst ent­ Sich schwindelnd um; die alten Basien geistert. schnalzen Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust Den Takt dazu; und wie auf glattem zum Schild Eis Der seinigen, der andre Arm bemeistert Sieht man den Imam selbst mit einem HammSich seines Schwerts. „Zurück, Verwegne!" ling walzen. schreit sie wild.

Noch Stand, noch Alter wird gespart;

zu diesem Sogar der Sultan kann der Lust sich nicht erwehren. Busen Als mitten durch den meinen!" ruft sie laut; Faßt seinen Großwessir beim Bart Und ihr, noch kaum so sanft, wie Amors holde Und will den alten Mann noch einen BockSsprung lehren. Braut,

„Zurück!

ES

ist kein Weg

Giebt die Verzweiflung jetzt die Augen von

Die nie erhörte Schwärmerei

Medusen. Lockt bald aus jedem Vorgemache „Vermeff'ne, haltet ein!" ruft sie denEmirn zu, Der Kämmerlinge Schaar herbei. „Zurück! O, schone sein, mein Vater! und, Sodann da- Frauenvolk und endlich gar die Wache. o du, 15*

Epische Poesie.

228 Sic all' ergreift die lust'ge Raserei.

Beginnt er: „Kaiser Karl, von dem ich Dienst­

Der Zaubertaumel setzt den ganzen Harem

mann bin. frei; Läßt seinen Gruß dem Herrn der Morgen­ Die Gärtner selbst in ihren bunten Schür­ länder melden Und bittet dich — verzeih! Mir fällt's zu zen Sieht man sich in den Reihn mit jungen sagen hart; Nymphen stürzen. Doch, meinem Herrn den Mund, sowie den

Arm zu lehnen. Ist meine Pflicht! — um vier von deinen Hornes nach; Backenzähnen Die Kopfe schwindelten, die Beine wurden Und eine Hand voll Haar aus deinem Silber­ schwach, Allmählich

ließ nunmehr die Kraft des

bart."

Kein Faden war an allen Tänzern trocken.

Und, in der athemlosen Brust Er spricht's und schweigt und steht gekästen, Geschwellt, begann das dicke Blut zu stocken. DeS Sultans Antwort abzupasten; Zur Marter ward die unfreiwill'ge Lust. Allein wo nehm' ich Athem her, den Grimm Durchnäßt, als stieg' er gleich auö einer Bade­ DeS alten Herrn mit Worten euch zu schil­

wanne, Schwankt der Kalif auf seine Ottomanne.

dern? Wie seine Züge sich verwildern,

Mit jedem Augenblick fällt, starr und ohne Wie seine Nase schnaubt? mit welchem Un­ gestüm Sinn, Da, wo rings um die Wand sich Polster- Er auf vom Throne springt? wie seine Augen glotzen. schwellend heben, Und wie vor Ungeduld ihm alle Adern strotzen? Ein Tänzer nach dem andern hin. Emirn und Sklaven stürzen zappelnd neben Göttinnen deö Serails, so wie's dem Zufall

Er starrt umher, will fluchen, und die Wuth

däucht. Bricht schäumend jedes Wort an seinen blauen sie hingeschüttelt Lippen. hätte. „Auf, Sklaven, reißt daS Herz ihm aus den So daß zugleich auf einem Ruhebette Nippen! Als ob

ein

Wirbelwind

Der Stallknecht und die Favoritin keucht.

Zerhackt ihn Glied für Glied!

Herr Hüon macht die Stille sich zu nutze, Die auf dem ganzen Saale ruht, Mit Pfriemen ab! Läßt seine Königin nah bei der Thür' im

Zapft sein

verruchtes Blut Weg mit ihm in die

Flammen! Schutze Die Asche streut in alle Winde aus, DeS treuen Scherasmin, dem er auf seiner Und seinen Kaiser Karl, den möge Gott ver­

Hut Zu sein gebeut, giebt ihm auf alle Fälle

DaS Horn von Elfenbein und naht sodann

WaS?

solchen

Antrag

dammen! mir? in meinem

eignen HauS?"

der Stelle, „Hier steh' ich, Herr, ein Sterblicher wie du Wo der Kalif, vom Ball noch schwach und Und steh' allein, mein Wort trotz allen deinen matt, Wachen Auf einen Polsterthron sich hingewvrfen hat. Mit meinem Leben gut zu machen;

Er läßt sich auf ein Knie vor dem Monar­ Doch läßt die Ehre mir noch einen Antrag zu. chen hin. Entschließe dich, von Mahomed zu weichen, Und mit dem sanften Ton und kalten Blick Erhöh' daS heil'ge Kreuz, das edle Christen­ des Helden

zeichen,

Epos.

229

In Babylon und nimm den wahren Glauben Doch bald zerstreut den angenehmen Wahn DeS Fräuleins Angstgeschrei; er sieht der an, So hast du mehr, als Karl von dir begehrt, Heiden Rasen,

gethan. Dann nehm' ich's auf mich selbst, dich völlig

Sieht seines Herrn Gefahr, setzt flugs das Hifthorn an

Und bläst, als läg' ihm ob, die Todten auf­ loszusprechen zublasen. Von jeder andern Forderung, Und der soll mir zuvor den Nacken brechen. Die ganze Burg erschallt davon und kracht, Der mehr verlangt! So einzeln und so jung Und stracks verschlingt den Tag die fürchter­ Du hier mich siehst, was du bereits erfahren. lichste Nacht; Verkündigt laut genug, daß einer mit mir ist, Gespenster lassen sich wie schnelle Blitze sehen, Der mehr vermag als alle deine Schaaren.

Und unter stetem Donner schwankt Wähl' jetzt das beste Theil, wofern du weise Des Schlosses Felsengrnnd. Der Heiden Herz bist!" erkrankt; Herr Hüon hatte kaum das letzte Wort ge­ Sie taumeln Trunknen gleich. Gehör, Gesicht

vergehen, sprochen, Der schlaffen Hand entglitschen Schwert und So fängt der alte Schach wie ein Besess'ner an Speer, Zu schrein, zu stampfen und zu pochen, Und sein Verstand tritt gänzlich aus der Und gruppenweis liegt alles starr umher.

Bahn. Die Heiden all' in tollem Eifer springen

Der Sultan, übertäubt von so viel Wun­ derdingen,

Von ihren Sitzen auf mit Schnauben und Scheint mit dem Tod den letzten Kampf zu ringen: mit Dräun, Und Lanzen, Säbel, Dolche dringen Sein Arm ist nervenlos, sein Athen: schwer, Auf MahomS Feind von allen Seiten ein.

Sein Puls schlägt matt und endlich gar nicht mehr. Doch Hüon, eh' sie ihn erreichen, reißt in Auf einmal schweigt der Sturm; ein lieblich Eile säuselnd Wehen Der Männer einem rasch die Stange aus der Erfüllt den Saal mit frischem titienbuft', Hand, Schlägt um sich her damit als wie mit einer Und, wie ein Engelsbild ob einer Todtengruft, Läßt Oberou sich jetzt auf einem Wölkchen Keule

Und zieht, stets fechtend, sich allmählich an die Wand. Ein großer, goldner Napf, vom Schenktisch

sehen. Ein lauter Schrei des Schreckens und der Lust Entfährt der Perserin; ein unfreiwillig Grauen

weggenommen. Dient ihm zugleich als Schild und als Ge­ Bekämpft in ihr das schüchterne Vertrauen. Die Arme über ihre Brust wehr;

Schor zappeln viel' am Boden um ihn her. Gefaltet, steht sie glühend neben Die sünem Grünn: zu nah gekommen. Den: Jüngling da, dem sie ihr Herz gegeben, De: gute ScheraSmin, der au der Thüre Und wagt, der süßen Schuld jungfräulich sich bewußt, fern Zum Schutz der Schönen steht, glaubt seinen Zn ihrem Retter kaum die Augen aufzuheben. Und Oberon bewegt den Lilienstab ersten Herrn Im Schlachtgedräng zu sehn und überläßt Sanft gegen sie, als wollt' er seinen Segen voll Freude Auf ihrer Herzen Bündnis legen, Sich anen Augenblick der süßen Augenweide: Und eine Thräne fällt aus seinem Aug' herab

230

Epische Poesie.

Auf beider Stirn. „So eil' auf Liebesschwin­ Regiert von einem Kind! Wie schaudert ihr

gen," die Haut, Spricht er, „du holdes Paar! Mein Wagen Da sie emporgelupft und durch die Luft ge­

steht bereit, tragen Bevor das nächste Licht der Schalten Heer Sich fühlt und kaum zu athmen sich getraut Und nicht begreifen kann, wie, ohne umzu­ zerstreut, Euch sicher an den Strand von Askalon zu schlagen, bringen." So schwer bepackt, der Wagen sich erhebt Er sprach's, und eh' deS letzten Wortes Laut Und steter als ein Kahn auf leichten Wolken

Verklungen war, entschwand er ihren Augen.

schwebt!

Wie einem Traum' erwacht, steht Hüons schöne Bald findet auch mit Fatme sich bei ihnen Braut, Sein Alter ein, entschlossen, er und sie, Den süßen Duft begierig aufzusaugen. Bis auf den letzten Hauch dem lieben Paar Der noch die Luft erfüllt. Drauf sinkt ein zu dienen. scheuer Blick Kaum hatte Scherasmin im Grünen Auf ihren Vater hin, der wie in Todesschlum­ Bei seinem Herrn und Fatme nah' am Knie mer Der jungen Dame Platz genommen, Zu starren scheint. Sie seufzt, und wehmuths- Schnell wie ein Blitz der Phantasie voller Kummer Kam durch die Luft der schöne Zwerg ge­

Mischt Bitterkeit in ihres Herzens Glück.

Sie hüllt sich ein.

schwommen.

Herr Hüon, dem die

Aus seinen Augen brach durch sanft be­ Liebe wölkten Gram Die Sinne schärft, sieht nicht so bald Der Freundschaft mildes Licht, und als er Ihr Herz beklemmt, ihr schönes Auge trübe. näher kam, So drückt er sie mit zärtlicher Gewalt, Sahn sie ciu Kästchen, dicht besetzt mit Edel­ Den rechten Arm um ihren Leib gewunden, steinen, Zum Saal hinaus. „Komm," spricht er, „eh' In seinem linken Arm wie eine Sonne scheinen. die Nacht „Freund Hüon," sprach der Geist, „nimm dies Uns überrascht und jeder Arm erwacht, aus meiner Hand, Den uns zu Lieb der Geist mit Zauberschlaf Wiewohl dich Karl dazu ausdrücklich nicht gebunden. verpflichtet: Komm, laß uns fliehn, eh' uns den Weg Wenn du ihn wiederstehst, so dien' es ihm zum zur Flucht Ein neuer Feind zu sperren sucht, Und sei gewiß, sind wir nur erst geborgen,

Pfand, Daß du, was er begehrt, buchstäblich aus­

gerichtet!"

Wird unser Schützer auch für diese Schläfer

Ihr merkt (wiewohl in Rezias Gegenwart sorgen." Nicht schicklich war, es laut zu offenbaren). Dies sprechend, trägt er sie mit jugendlicher Daß des Kalifen Zähn' und Bart, Kraft In Baumwoll' eingepackt, in diesem Kästchen Die Marmortrepp' hinunter bis zum Wagen, waren. Den Oberon zu ihrer Flucht verschafft, Es hatte, während daß der Sultan noch erstarrt Und eine süß're Last hat nie ein Mann getragen. In seinem Lehnstuhl lag, von Oberons un­ Wie wird ihr, da sie rückwärts schaut sichtbaren Und sieht, an Pferde Statt vier Schwanen vor Trabanten einer sich behend ans Werk gemacht dem Wagen,

Und alles ohne Scher' und Pelikan vollbracht.

EpoS.

3.

231

Aus Herders Cid.

Der Herdersche Eid ist eine Bearbeitung spanischer, aus dem vierzehnten Jahrhundert stammen­ der Romanzen, deren Held Don Rodrigo Diaz (Sohn des Diego) in der letzten Halste des elften Jahrhunderts (von 1040 bis 1099) unter den Königen Ferdinand I., Sancho dem Starken und Alfons VI. lebte. Der Beiname Cid, den ihm die Araber gaben, bedeutet Herr. Die Seinigen nannten ihn Kampeador (Kampfheld).

Der Cid unter Ferdinand dem Großen. 1.

Trauernd tief saß Don Diego. Wohl war keiner je so traurig; Gramvoll dacht' er Tag' und Nächte Nur an seines Hauses Schmach,

Als der jüngste seiner Söhne,

An die Schmach des edlen, alten, Tapfren Hauses der von Lainez,

Don Rodrigo, seinem Muthe Freud' und Hoffnung wiedergab.

DaS die Inigos an Ruhme,

Mit entflammten Tigeraugen Tritt er von dem Vater rückwärts.

Alle, Thränen in den Augen, Flehen um Barmherzigkeit.

Fast schon ist er ohne Hoffnung,

Die AbarkoS übertraf. Tief gekränket, schwach vor Alter,

„Vater," spricht er, „ihr vergesset,

Fühlt er nahe sich dem Grabe, Da indeß sein Feind Don Gormaz

Wer ihr seid, und wer ich bin!

Ohne Gegner triumphirt.

Meine Waffenwehr empfangen, Ahndet' ich mit einem Dolche

Hätt' ich nicht aus euren Händen

Sonder Schlaf und sonder Speise

Schlaget er die Augen nieder, Tritt nicht über seine Schwelle, Spricht mit seinen Freunden nicht,

Die mir jetzt gebot'ne Schmach!" Strömend stossen Freudenthränen

Auf die väterlichen Wangen.

Höret nicht der Freunde Zuspruch,

„Du," sprach er, den Sohn umarmend, „Du, Rodrigo, bist mein Sohn!

Wenn sie kommen, ihn zu trösten; Denn der Athem deS Entehrten, Glaubt er, schände seinen Freund.

Ruhe giebt dein Zorn mir wieder, Meine Schmerzen heilt dein Unmuth! Gegen mich nicht, deinen Vater, Gegen unsers Hauses Feind

Endlich schüttelt er die Bürde LoS deS grausam stummen Grames, Lässet kommen seine Söhne, Aber spricht zu ihnen nicht;

Hebe sich dein Arm!" „Wo ist er?" Rief Rodrigo, „wer entehret

Bindet ihrer aller Hände Ernst und fest mit starken Banden.

Unser Haus?" Er ließ dem Vater Kaum, eS zu erzählen, Zeit. 3.

Auf dem Platze des Palastes Traf Rodrigo auf Don Gormaz; Einzeln, niemand war zugegen.

Redet' er den Grafen an: „Kanntet ihr, o edler Gormaz,

Daß nichts reiner und nichts edler Als sein Blut ist und sein Schild?

Wußtet ihr, daß, weil ich lebe, Ich, sein Sohn, kein Mensch auf Erden, Kaum der mächt'ge Herr des Himmels

Mich, den Sohn des Don Diego,

Dies ihm thäte ungestraft?"

Als ihr eure Hand ausstrecktet Auf sein ehrenwerth Gesicht?

„Weißt du," sprach der stolze Gormaz, „Was wohl sei des Lebens Hälfte,

Wußtet ihr, daß Don Diego Ab von Lahn Calvo stamme,

Jüngling?"

„Ja," sprach Don Rodrigo,

„Und ich weiß es sehr genau.

232

Epische Poesie.

Eine Hälfte ist, dem Edlen

Ehr' erzeigen, und die andre,

Den Hochmüthigen zu strafen. Mit dem letzten Tropfen Bluts Abzuthun die angethane

„Nun, was willst du, rascher Jüngling?"

„Deinen Kopf will ich, Graf Gormaz!" Sprach der Cid; „ich hab's gelobet!"

„Streiche willst du, gutes Kind!"

Sprach Don Gormaz; „eines Pagen Streiche hättest du verdient."

Schande!" Als er dies gesagt, Sah er an den stolzen Grafen,

O ihr Heiligen des Himmels,

Der ihm diese Worte sprach:

Wie ward Cid auf dieses Wort!

Thränen rannen, stille Thränen Rannen auf des Greises Wangen, Der, an seiner Tafel sitzend, Alles um sich her vergaß. Denkend an die Schmach des Hauses,

Bis er zutritt, ihm die Rechte Schüttelnd.

„Iß, o guter Greis!"

Spricht er, weisend auf die Tafel.

Reicher floffen nun Diego Seine Thränen. „Du, Rodrigo,

Denkend an des Sohnes Jugend,

Sprachst du, sprichst du mir dies Wort?"

Denkend an des Sohns Gefahren Und an seines Feindes Macht.

„Ja, mein Vater! Und erhebet Euer edles, werthes Antlitz!"

Den Entehrten flieht die Freude, Flieht die Zuversicht und Hoffnung;

„Ist gerettet unsre Ehre?"

„Edler Vater, er ist todt."

Alle kehren mit der Ehre Froh und jugendlich zurück.

Gerne will ich mit dir speisen.

Noch versenkt in tiefe Sorge, Sieht er nicht Rodrigo kommen,

Wer den Mann erlegen konnte, Ist der Erste seines Stamms!"

Der, den Degen unterm Arme Und die Händ' auf seiner Brust,

Weinend knieete Rodrigo, Küffend seines Vaters Hände; Weinend küßte Don Diego Seines Sohnes Angesicht.

Lang ausieht den guten Vater, Mitleid tief im Herzen fühlend,

Heulen und Geschrei und Rufen, Roffetritk und Menschenstimmen Mit Geräusch der Waffen tönte Zu Burgos vor Königs Hof.

Niederstieg aus seiner Kammer Don Fernando, er, der König; Alle Großen seines Hofes Folgten ihm bis an das Thor.

Vor dem Thore stand Nmene; Aufgelöst daS Haar in Trauer Und in bittren Thränen schwimmend, Sank sie zu des Königs Knie.

„Setze dich, mein Sohn Rodrigo!

Auf Maulthieren ritten alle, Er allein auf einem Roß;

Bisamhandschuh' trugen alle. Er allein den Reiterhaudschuh; Alle reich in Gold und Seide, Er allein in Waffenwehr. Und das Volk, den Zug ersehend,

Und der Hof, als an sie kamen, Alle riefen: „Schaut den Knaben,

Der den tapfren Gormaz schlug!" Rings umher sah Don Rodrigo Ernst und fest: „Ist euer einer.

GegenseitS kam Don Diego

Den des Grafen Tod beleidigt.

Mit dreihundert edlen Männern, Unter ihnen Don Rodrigo,

Freund, Verwandter, wer er ist,

Er, der stolze Kastilianer.

Stell' er sich!"

Sei's zu Fuße, sei's zu Roffe, Sie riefen alle:

233

Epos. Don Rodrigo.

„Steige nieder,

„Dir mag sich der Teufel stellen, Er nmr, wenn eS ihm beliebt!"

Sohn Rodrigo," sprach der Vater,

M von ihren Mäulern stiegen

„Deines Königs Hand zu küssen!"

„Wenn ihr es befehlt, o Vater, Euerthalben thu' ich's gern!"

Die dreihundert edlen Knappen,

Ihres Königs Hand zu süssen; Sitzem blieb auf seinem Roß

8. Ei.ngefallen in Kastilien

Noch war er nicht zwanzig Jahre,

Warren Könige der Mauren

Doch an Muth war er ein Mann.

Fünf..

Auf sein Roß, es hieß Babiexa, Stieg er, wie hoch in den Wolken

Verwüstung, Lärm und Feuer,

Mord und Tod zog ihnen vor. Über Burgos schon hinüber,

Montes d'Oka, Belsorado, San Domingo und Naxara Steht verheeret alle- Land. Weggetrieben werden Herden

Gott auf seinen Donnerwagen, Und durchrannte rings das Land. Die Vasallen seines Vaters

Bot er auf; sie waren alle Angelangt zu Montes d'Oka

Schafe, Christen, Christenkinder,

Und erwarten ihren Feind.

Männer, Weiber, Knaben, Mädchen;

Guter Himmel! Bon den Mauren Zog fortan nicht einer weiter.

Jene weinen, diese fragen: „Mutter, wohin ziehen wir?"

Ruhmreich sammeln schon die Mauren Ihren Raub, zurückzukehren; Denn niemand begegnet ihnen, Niemand, auch der König nicht. Zu Vivar auf seinem Schlosse Hörte diese Noth Rodrigo;

Aber die geraubten Herden, Männer, Weiber, Christenkinder, Alle ziehen ihres Wegs

Froh und frei.

Die fünf gefangnen

Mohrenkönige, dem König Don Fernando schickt Rodrigo Die Gefangnen zum Geschenk.

15. Als der König Don Fernando Von Rodrigo und Ximenen Beider Wort und Treu' empfangen, Zu vergessen allen Haß

Und deshalb sich vor dem guten, Frommen Bischof Luyn Calvo

Zu vermählen — denn die Liebe, Sie allein verzeihet ganz —, Gab er, um den Cid Ximenen Gleichzumachen an Vermögen, Balduerna und Saldanna, Belsorado und San Pedro De Cordonna gab er ihm.

Echt' Walloner Pantalone, Mit Scharlach gezackte Schuhe, Fein an Leder — zween Stifte Hefteten sie fest und enge An den kleinen, netten Fuß —; Jetzo zog er an die Weste, Eng' anliegend, ohne Borten; Dann die schwarze Atlas^-Jacke, Wohlgepusft, mit weiten Ärmeln

(Wenig hatte sie sein Vater Nur getragen); auf den Atlas Fiel von ausgezacktem Leder Breit anständig daS Kollet.

Herrlich ging am Hochzeittage Auf die Sonne.

Don Rodrigo,

Abgelegt die Waffenrüstung, Kleidet sich mit seinen Brüdern

Hochzeitlich und fröhlich an.

Und ein Netz von goldnen Fäden, Eingewirkt in grüne Seide, Schloß sein Haar ein. Auf dem Hute Von Kortrayer feinem Tuche

234

Epische Poesie.

Hob sich eine Hahnenfeder,

Wunderbarlich hoch und roth.

Ihren Hals umschlang ein Halsband; An ihm hingen acht Medaillen,

Schönbefranzt bis auf die Hüfte Reichet ihm die Jazerine;

Und die reichste unter ihnen,

Und um seine Schultern spielet

AuSgeplüscht ein Hermelin.

Und der unverzagte Degen, Tizonada war sein Name, Er, das Schrecken aller Mauren,

Hängt in schwarzen Sammetbändern An dem festen, tapfern Gurt. Ausgezackt, gefaßt mit Silber War der Gurt; ein feines Schnupftuch Wohlgefaltet hing an ihm.

So gekleidet ging der edle Cid, begleitet von den Brüdern, Hin zum weiten Kirchenplatz,

Wo der König und der Bischof Und die Herrn des Hofes alle Mit Ximenen ihn erwarten.

Mit Ximenen, seiner Braut. Sittsam stand sie da, Ximene;

Von elastisch feiner Leinwand Puffte ihre Flügelhaube;

Von dem feinsten Loudner Tuche, Wohl garnirt war ihre Kleidung, Die von Schultern zu den Füßen Barg und zeigte ihren Wuchs. Auf zwei rosigen Pantoffeln Stand als Königin sie da.

Einer Stadt an Werthe gleich;

Den Sankt Michael darstellend. Schwer von Perlen und Juwelen, Hing Ximenen an der Brust. So begaben die Verlobten Zum Altar sich; vorm Altare, Eh' der Braut die Hand er reichte,

Sah er mit dem Blick der Liebe Und sprach zu ihr tiefbeschämt: „Fräulein, einen Mann von Ehre Leider hab' ich euch getödtet!

Denn eS wollt' eS Ehr' und Pflicht. Diesen Mann geb' ich euch wieder, Und was ihr mit ihm verlöret, Vater, Freund, Verwandte, Diener, Alles geb' ich euch, mit allem Mich euch, euren Ehgemahl." AuS zog er den kühnen Degen Vorm Altare, kehrt zum Himmel Seine Spitze: „Mich zu strafen," Sprach er, „diene dieser da, Wenn mein Lebenlang den Eidschwur Ich verletze, euch zu lieben Und euch alles zu ersetzen, Wie ich euch vor Gott gelobt. — Und nun auf, mein guter Onkel, Luyn Calvo, segnet uns!

18. Gen Zamora, wo der König Eben Hof hielt mit den Edlen, Kamen maurische Gesandte Zum Rodrigo von Vivar. Von fünf Königen der Mauren, Die er einst in Pflicht genommen,

Waren sie die Abgesandten, Ihm zu reichen den Tribut:

Allesammt mit reichen Decken Überlegt und stolz gezäumt. Für Donna Xintena brachten Reichen Schmuck sie an Juwelen, Zwei kostbare Hyazinthen, Auch zwei Kisten Seidenstoffe

Ihren Knappen zur Livrei. Ehrerbietig wie Vasallen

Edle Rosse, drunter zwanzig Weiße, zart wie Hermelin,

Nahelen sie ihrem Lehnsherrn, Nannten ihn Gebieter, Cid. „Freunde," sprach der Cid, „ihr irret;

Zwanzig apfelfarbne, graue,

Wo mein Herr, der König, Hof hält.

Dreißig rothe, dreißig braune,

Bin ich selber ein Vasall.

Hundert Pferd' Araberstammes,

Epos. Der Tribut, den ihr mir bringet,

Er gehöret meinem Herrn."

Nichts, waS ich nicht ihm verdanke, Meinem Feldherrn, eurem Cid."

„Sagt," erwiderte der König, „Euren Herren, daß ihr Lehnsherr Kein Monarch zwar sei, doch leb' er

Mit Monarchen.

Ich besitze

Also kehrten die Gesandten Rückwärts, ohne recht zu wissen. Wer Basall und König sei.

Der Cid unter Don Sancho dem Starken.

24. Lange führeten die Brüder,

König Sancho in Kastilien, In Galizien Don Garzia, An der Reiche Grenzen Krieg. Endlich trafen sie zusammen;

Und von beiden Seiten fielen Tapfre Männer, bis Don Sancho,

Denn der Cid ist da! Willkommen, Cid! Ihr kommt zu rechter Zeit." Ernst antwortet ihm Rodrigo:

„Und ihr, Herr, zu sehr unrechter, Träfet ihr auf diesen Platz. Besser wäret ihr am Grabe

Nahe war's, daß, der mit Unrecht Krieg begonnen, ihn mit Schande

Eures Baters stehn geblieben. Betend, mit gefaltnen Händen, Als im ungerechten Kriege Mit dem Bruder einzuernten

Endigte; denn unter allen

Eures Vaters harten Fluch."

Sancho selbst gefangen ward.

Streitenden war König Sancho Wohl an Leibeskraft der stärkste,

Doch der feigeste an Muth.

„Ungern nehm' ick Don Garzia Jetzt gefangen; für die Ehre, Für den Dienst muß ich eS thun,

Alvar Fannez, er, der erste Freund des Cid, kaum sieht den König

Muß ihn nehmen oder sterben Als ein Kriegsmaun. Euch, o König,

Er gefangen, drängt er stürmend An den Platz des Unglücks ein. „Laßt den König, ihr Berräther!" Ruft er wüthend, und sie flohen.

Bringet hier in diesem Felde Weder Sieg, noch Niederlage Ruhm; euch schändet dieser Krieg."

Die harten Asturier.

Eben trat Garzia singend Auf den Kampfplatz tief unwissend,

Frei stand also König Sancho. Doch die Schlacht, sie war verloren; Übrig waren dem Befreiten Kaum sechshundert Kastilianer. Wie? sechshundert Kastilianer?

Was geschehn war und geschah. Stracks erklangen die Drommeten, Die Drommeten und die Zinken, Neue Brüderschlacht begann.

Für die ganze weite Erde

Und in Mitte seiner Edlen

Sind sie gnug, wenn Cid sie führt!

Ward Garzia bald gefangen.

An kommt er.

Auf feinem Rosse

Als ihn Sancho kommen siehet, Ruft er laut zu seinem Heer: „Auf! von neuem in das Treffen! Bald ist jetzt das Schlachtfeld unser! Trauer war noch in Zamora

Um den Tod des großen Königs Don Fernando, tiefe Trauer.

„Ach, was thut ihr, edler Cid?" „König, was für euch ich thäte,

Wenn ihr mein Gebieter wäret. Jetzt will es das Schicksal also;

Unterzieht euch ihm, wie ich."

Überhängt mit schwarzen Tüchern Waren Kirchen und Altäre. Kein Gesang, kein Ton der Freude,

235

236

Epische Poesie.

Auch kein Instrument der Liebe Ließ sich hören auf den Gassen;

Noch beweint im tiefsten Herzen Einen andern Wunsch, Uraka.

Die Infantin Donna Uraka, Schmerzlich bitter weinte sie

Den Verlust wird sie beweinen,

Wenn sie jeden längst vergaß.

Um den Tod des großen Vaters, Um den Gram, den sie ihm sterbend

Denn dem Glück geliebt zu werden Gleicht kein ander Glück auf Erden;

Noch in seiner letzten Stunde Zugefügt, um seine Güte,

Die geliebte Schäferin, Sie allein ist Königin.

Um das Unglück ihrer Schwester, Der Vertriebnen Donna Elvira,

In dergleichen Gramgedanken

Um das Unglück ihrer Brüder

Tief versenket saß Uraka,

Don Garzia, Don Alfonso; Und wer sollt' und könnt' es glauben?

Als auf einmal vor den Thoren Von Zamora Cid erscheint.

28. Grad einreiten in Zamora Will der Eid, als ihn die Wache,

Ihn mit seinen fünfzehn Kriegern,

Anhalt draußen vor dem Thor. Laut und lauter wird der Lärmen,

Er vergaß die schönen Jugendtage,

Die an meines Vaters Hof er lebte — Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren!

Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!

Lauter das Geschrei der Straßen, Bis es zur Infantin drang.

Meine Mutter selbst den Zelter zuführt',

Und in ihren Trauerkleidern Eilet schnell sie auf die Mauer,

Ich anschnallete die goldnen Sporen, Knieend auf dem Marmor; er bemerkte

Als das Schrecken von Kastilien Sie, den Cid, da vor sich sieht.

Damals nicht, was jedes Mädchen merket;

Dem mein Vater Ritterwaffen reichte.

Thränen; an die Mauer drücket

Er vergisset, was er war, und denkt nur, Was er ist. Auch ich, so manches dacht' ich, Was der Himmel mir um meiner Fehler-

Sie die Brust, enthüllt ihr Antlitz,

Willen nicht vergönnte!

Und, vorbreitend ihre Arme, Rufet sie ihm furchtbar zu:

Hoben ihn: er stürzte mich hernieder.

Ihre schönen Augen netzen

„Da du uns zu Feinden haben wolltest.

Warum klopfest du an unsre Thore?

Meine Eltern

Weil ich denn um seinetwillen weine — Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!

Da durch dich wir hier im Jammer leben, Ich, ein Weib, dazu noch jung und zärtlich, Warum kommst du, und was willst du weiter? Kann ihm zwar kein Leid vom Himmelwünschen; Da der Freundschaft Maske weggeworfen, Hat er mich mit seinem Stolz beleidigt, Du dem Unrecht deinen Arm geliehen — Hat er innig mir das Herz verwundet, Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Kommen von ihm alle meine Leiden: Deine Ehre ist verloren! So komm' auf ihn meine Güt' und Gnade, Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid! Ich verzeih' ihm! Er darf mich beleid'gen

Seit er seinen Eid an mir gebrochen, Den er zuschwur einer Königstochter,

Ohne Strafe: denn des jungen Ritters,

Seiner, in der prächt'gen Kirche zu Koinlbra Werd' ich stets gedenken. Aber dennoch — Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Ehrt, in Mauern, die er kommt zu stürmen; Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid! Seit, von einem neuen Glücke trunken,

Mich zu schirmen, mich, die einst ihn liebte Und noch jetzt sein Bild in diesen Mauern

Epos. Daß er nicht den Bruch des Eids verhindert',

237 Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo!

Den Don Sancho meinem Vater zuschwur; Daß er seinem Raube nicht gewehret,

Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!"

Der dem Don Garzia, Don Alfonso

Ihre Reiche nahm; der eine schmachtet Im Gefängnisse, der andre mußte

Also sprach, gepreßt den Busen An die Mauer, Donna Uraka, So antwortet sie dem Cid.

Zu Ungläubigen fliehen, zu den Heiden; Daß Don Sancho meiner armen Schwester, Er, betroffen von der Antwort, Die im Kloster jetzt von Milde lebet, Hält verworren; dann auf einmal Toro, ihr rechtmäßig Erbtheil, raubte Lenkt er um sein Roß Babie§a. Und der Cid auch dieses ihm nicht wehrte; „Rückwärts!" höret man ihn murmeln,

Daß mein Bruder nicht und auch der Cid nicht „Rückwärts!" zwischen seinen Lippen, Reitend nach dem Lager stumm. Tief erröthen, mich hier zu bekämpfen, Mich, die Schwester, mich, ein schwaches Und so kommt er von Zamora, Weib nur, Wohl von manchem Pfeil verwundet, Die zu Waffen nichts sonst hat als Thränen, Der, auch ohne Spitz' und Eisen, Deshalb — Tief im Herzen bohrend glüht.

36. Nah' der Mauer von Zamora

Pedro Arias stürzt vom Rosse

Zubereitet schon der Platz;

In den Staub hin. Don Diego Hebt den Degen und die Stimme

Schon durchritt ihn Don Diego

Fürchterlich hin gen Zamora.

War zum grausen Todeskampfe

Mit der Stärke des Meiden,

„Sendet einen andren!" rief er,

Seine jungen Feind' erwartend.

„Dieser liegt!"

Schweigt, unglückliche Drommeten!

Eines Vaters Eingeweide

Wenden sich bei eurem Hall! Der den väterlichen Segen

Erst empfing, es war Don Pedro, Er der Brüder ältester. Als er vor Diegos Antlitz Kam, begrüßt' er ihn bescheiden

Als den ältren Kriegesmann: „Möge Gott, euch vor Verräthern

Schützend, eure Waffen segnen, Don Diego!

Ich erschein' hier,

Von dem Schimpfe des Verrathes

Mein Zamora zu befrein." „Schweig!" erwidert Don Diego,

„Denn Verräther seid ihr alle!" Und so trennen beide sich, Raum zu nehmen; beide rennen Mächtig los; es sprühen Funken.

Ach! das Haupt des jungen Kriegers Trifft Diego; er zerspaltet Seinen Helm, durchbohrt sein Hirn:

Es kam der andre,

Kam der dritte, der auch siel. Schweigt, unglückliche Drommeten! Eines Vaters Eingeweide Wenden sich bei eurem Hall! Thränen flössen, stille Thränen Auf des guten Greises Wangen,

Als er seinen jüngsten Sohn,

Seines Lebens letzte Hoffnung, Waffnete zum Todeskampf. „Auf," sprach er, „mein Sohn Fernando!

Mehr als du an meiner Seite Noch im letzten Kampf geleistet. Mehr verlang' ich nicht von dir. Eh' du in die Schranken eintrittst.

So umarm' erst deine Brüder Und dann blick' auf mich zurück!"

„Weint ihr, Vater?"

„Sohn, ich weine!

So weint' über mich mein Vater Einst, beleidiget vom König

Zu Toledo; seine Thränen Gaben mir des Löwen Stärke,

238

Epische Poesie.

Und ich bracht' ihm, welche Freude!

Tedverwundet, seinem Roffe Griff er um den Hals und hält sich An der Mähn' ihm; Hölleneifer Giebt zum letzten Streich ihm Kraft.

Seines stolzen Feindes Haupt." Mittag war es, als der letzte Sohn des Grafen AriaS, Don Fernando, auf den Platz trat;

Diesen Streich, er thut ihn tapfer;

Dem Besieger seiner Brüder, Seinem stolzen Blick, begegnet'

Aber weil das Blut des Hauptes Sein Gesicht bedeckt, so trifft er

Er mit Ruh' und Festigkeit.

Ach! die Zügel nur des Rosses,

Sie durchhau'nd: es bäumt das Roß sich, Wirft den Reiter aus den Schranken.

Dieser, spielend mit dem jungen

Krieger, nahm den ersten Streich auf Auf die Brust; er war nicht tödtlich;

„Sieg!" schrien alle Zamoraner; Das Gericht des Kampfes schwieg.

Aber bald lag mit den Trümmern Ihrer Rüstungen der Kampfplatz Überdeckt. Gebrochen lagen

Arias Gonsalo, zum Kampfplatz Eilend, fand den Kampfplatz leer,

Schon die Schranken, beide Roffe Keuchen, durch und durch im Schweiß:

Sah den jüngsten Sohn verblühen, Ihn verblühn wie eine Rose, Eh' sie sich entfaltete.

Als man ihnen Morgensterne,

Kolben brachte, deren Eisen Blitzt' in ihrer beider Hand. Und der erste Schlag des Eisens In der stärkern Hand OrdonnaS Traf des edlen Jünglings Haupt.

Schweigt, unglückliche Drommeten! Eines Vaters Eingeweide Wenden sich bei eurem Hall!

34. Auf die Forderung des edlen Don Diego Ordonno Lara, Mehr von ihres Bruders Tode, AIS vom Vorwurf auf Zamora Tief betroffen und verwirrt,

Rief in größter Eil' zusammen Donna Uraka ihren Rath.

Niederträcht'ge nur verschonet Feige Niederträchtigkeit; Auf die edelsten Gemüther

Spritzet sie zuerst ihr Gift. „Warum zögert denn der Alte?" Murmelt in der Rathsversammlung Der und jener. „Nicht aus Kleinmuth —

Zögert er wohl auS geheimem Mitbewußtsein deS VerrathS?" Niederträchtiger, du lügest!

Murmelnd bleibe die Verleumdung, Daß er wohl auS Mitbewußtsein

Majestätisch ein der Graf. Ganz in schwarze Trauerkreppe Eingekleidet, als beweinten Die begrabne Ehre sie. Vor der königlichen Tochter Ließ der Greis aufs Knie sich nieder, Und also sprach er zu ihr: „Königstochter und ihr edlen

Helden dieser Rathsversammlung, Don Diego Ordonno Lara, (Seinen Namen nur zu nennen Ist zum Ritterruhm ihm gnug) Statt des Cids ist er erschienen, Uns des Mordes an dem Kön'ge Von Kastilien laut zu zeihn. Diese Schmach von uns zu wälzen, Stell' ich mich und meine Söhne. Nicht mehr ist es Zeit zu sprechen,

Zeit ist es, das Schwert zu zücken;

Zögre, dir in deinem Bart!

Schon zu lange säumten wir."

In den Saal der Rathsversammlung Tritt mit allen seinen Söhnen

Er und seine vier Begleiter,

In dem Augenblick zerriß er,

Epos.

239

Ihrem Trauerschmuck; in blanken

Ihren Mangel an Erfahrung

Waffeen standen sie gerüstet,

Heb' und stütze eure Gnade; Deß zum Zeichen reichet ihnen Eure königliche Hand.

Alle (fünf gerüstet da. Niedrer senkten sich die Häupter

AuS 'dem Auge der Infantin

Eine leichte Gunst, wie diese, Ist der Sporn für edle Krieger;

Flostem Thränen.

Für gemeine ist's der Sold."

Arias sprach: „Und> nun, edelste Infantin,

Huldreich reichte die Infantin Den vier jungen, edlen Kriegern

Würdigt, mich und meine Söhne Anzumehmen, sie als Kämpfer

Ihre königliche Hand.

Der »erst ulurmelnden Versammlung.

Feuer drang in ihre Adern,

Für die Ehre von Zamora,

Stärke drang in ihre Glieder --

Mich den Greis als ihren Rath.

Auf brach die Versammelung.

Der Cid unter Alfons VI. dem Tapfern.

37. „Eilt, getreue Boten, flieget

Zu Alfonso, meinem Bruder!" Sprach Uraka; „er vergisset Seines Glückes in Toledo, Da sein Glück ihn nicht vergißt.

Sagt ihm, daß der Feind nicht mehr Ist; Daß sein Bruder, Don Garzia, AuS dem Kerker in das Grabmal Seiner Ahnen wanderte; Sagt ihm, daß die Kastilianer, Die Asturier, die Leoner Ihn erwarten, ihren König, Wie die Schwester ihren Bruder; Sagt eS ihm und flieget schnell!"

„WaS zu thun?" sprach Don Alfonso; „Ali Maimon, dieser gute Sarazene, that mir Gutes.

Was dem Flüchtling man erzeiget, Thut man das auch einem König? Ob mein neuer Stand dem Mauren Wohlgefalle, weiß der Himmel; Eines, weiß ich, ist mir nöthig: Mit Vorsicht geheime Flucht." „In der Rundung dieser Mauern Ist ein Ort," sprach der Gesandte;

„Niedersteigen wir zur Nacht. Auf rückwärts beschlagnen Pferden Eilen sicher wir davon."

Angekommen in Zamora, Zog Alfonso dann nach Burgos, Und die Reichsversammlung sprach: „Erbe seid ihr aller Throne

Unsres großen Don Fernando; Niemand streitet sie euch jetzt. Aber, ohn' euch zu mißfallen. Fordern wir von euch den Eidschwur, An dem Morde des Don Sancho Theilgenommen nie zu haben Mittel- und unmittelbar, Solchen Eidschwur uns zu leisten, Förmlich, wie eS uns gefällt, Und bekräft'gen ihn zu lasten Von zwölf eurer Edelsten." „Dieser Wunsch sei euch gewähret!" Sprach Alfonso; „morgen schwör' ich

In der Kirche der Gadea

Vor dem heiligen Altar; Heut' begehr' ich nur zu wissen, Wer von euch mir diesen Eidschwur Abzunehmen dann gedenkt?"

„Ich!" sprach Cid.

„Ihr, Don Rodrigo?

Denket ihr daran, daß morgen Ihr ein Unterthan mir seid?" „Noch nicht! Daran werd' ich denken,

Herr, wenn ihr mein König seid."

240

Epische Poesie. 47.

Könige wollen ihre Diener Nur an ihrem Platze sehen.

Als des CidS ruhmreichen Abzug

Don Alfonsos Ohr vernahm, Sprach, in Mitte seines Hofes Sprach er also: „Weggewandt Hat sich heut von unsern Fahnen

Wohl der tapferste der Ritter, Der je maurisch Blut vergoß!" „Schien zuweilen seine Freiheit

Schrankenlos und nah der Kühnheit, Ihm vielleicht war diese Freiheit

Zu erlauben seiner Treue,

Seiner alten Liebe wegen,

Die für unser HauS er trug."

„Jetzo geht er, und auf lange — Ein einfacher Mann; und lausend, Tausend Herzen gehn mit ihm. Ein einfacher Mann, verliert er Mit dem Hofe, wo er nichts war, Etwas? Einzig schon sein Name

Macht ihm einen andern Hof, Wo er alles ist. Vom Schlöffe, Wenn ein hoher Stein sich loSreißt,

„Könige sind nie in Ruhe.

Dieser will und der den Degen; Und an alles soll der König Denken, prüfen, widerstehn — Sagt' ich dem gesammten Hofe, Daß der Cid mir für euch alle Gilt, nahm' ich euch das Vergnügen

Seines Falles, und ihr nähmet Meine Red' als Vorwurf auf Oder sprächet: Das sind Launen,

Launen sind's der Könige." „Summa: Cid, der erste Krieger, Edel, auf der Ehre Gipfel, Treu, verständig, mannhaft, klug — Ohne Beugung vor dem Herren,

Was kann er vom Herrn erwarten? Also bleib' es, wie es ist.

Damit auch die fremden Völker

(Hört es alle, die umherstehn). Damit auch die fremden Völker Sagen, daß König Alfonsos Ahndung keiner seiner Diener, Selbst der Cid auch nicht, entging."

Folgen bald ihm andre nach." 48.

Daß er Cid beleidigt habe. Reuet jetzt König Alfonso; Doch der Cid, er steht in Waffen, ES geht nach Valencia.

Dasteht nun der Cid gerüstet; Aufgestützt auf seinen Degen, Spricht zuletzt er mit Ximenen; Babieya beißt die Zügel, Heiß erwartend ihren Reiter,

Leistet man sie pflichtenmäßig. Undankbaren schenkt man sie.

Muth und Sinn ist euer Erbtheil;

Tochter eines Heldenstammes, Die Gemahlin eines Kriegers, Frei von jeder WeibeSfchwachheit,

So, Timene, fass' ich euch.

Jeden Augenblick des Tages

In der Luft, erwartend ihn.

Wendet wohl an, nähend, stickend; Singt am Abend mit den Töchtern,

„Warum weinet ihr, Limene? Ist so schwach denn unsre Liebe,

Und, um euer Haus zu ordnen, Wachet mit Auroren auf!

Daß sie nicht ertragen könne Einige Abwesenheit?

Zu Vergnügungen verlass' ich Euch die Sorge für die Herden, Für die Wolle, fürs Gefieder;

Und des CidS Paniere rauschen

Jeder Edle ist dem König Dienste schuldig; dem Gerechten

Nie, Nmene, nie seid müßig!

EpoS.

241

Nehmet Rath von keinem Manne!

Arbeit ist des Blutes Balsam,

Fragt, waS ich euch rathen würde, Wär' ich da, und folgt dem Rath, Und in schweren Dingen schreibet!

Arbeit ist der Tugend Quell.

Eure reiche Kleidung schließet Ein bis auf mein Wiederkommen,

Nie verläßt euch meine Feder, Wie mein Degen und mein Herz.

Nicht darin mir zu gefallen, Sondern mir zur Ehre dann! In Abwesenheit des Mannes

Zweiundzwanzig Maravedis Last' ich euch zur TageSausgab';

Kleidet einfach sich die Frau.

Haltet euch danach; der wahre Adel steht nicht im Ersparen,

Zeigt den Hausgenoffen Würde, Euren Frauen seid gesprächig,

Gegen Freunde seid bescheiden, Gegen euch und eure Kinder

Doch auch im Vergeuden nicht.

Unnachgebend streng und fest!

Einen nur, ich bringe keinen

Keiner Freundin, auch der besten, Zeiget einen meiner Briefe,

AuS den Schlachten dir zurück. Lebe wohl, meine Limene!

Lebet wohl! und einen Kuß noch!

Die Krieger möchten sagen,

Wie ich keinem meiner Freunde

Fort!

Einen eurer Briefe zeige;

Ich sei hier dein Bräutigam."

Denn daS Band der Eh'genoffen Ist ein zart vertraulich Band.

Der Cid zu Valencia und im Tod. 55.

Wohlgeordnet seine Völker, Die zu Fuß und die zu Rosse, Zog der Cid jetzt aus Valencia; Aus dem Thor der Wasserschlange Zogev sie hinaus inS Feld.

Seine Fahne trug Bermudes; Hierorymus, der Bischof, Zog in Rüstung mit dem Heere

Geger den Barbarenkönig, Miranamolin genannt, Der lem Cid die schöne Beute,

Sein erworbnes Reich Valencia, Mit vohl fünfzigtausend Reitern Trotzt; abzunehmen kam.

Als einander gegenüber Mauren nun und Christen standen,

So vel Mauren, Christen wenig. War alles in Furcht und Angst, Bis cuf seinem Roß Babieya Cid erschien in reichen Waffen

Und nit lauter Stimme rief: „Gott mit uns und San Jago!" Sprergte dann ein in die Feinde, Hieb and tödtete.

Gebadet

Diittz u. Heinrich-, Handb. d. deutsch. Literatur. 8. «ufL

War sein Arm in Heidenblut. Wer sich ihm zu nahen wagte, Jeder Maur' galt einen Hieb. Endlich fand den Maurenkönig Selbst er auf im Schlachtgetümmel. Dreimal traf er; dreimal schützte Den Barbaren nur die Rüstung,

Bis er sich, erst Hintern Hügel Schleichend, dann in ein Kastell zog Und dem Cid das Feld verließ.

Von dem Volk, mit ihm gezogen, Blieben wenig' ihm der Tausend'; Was nicht todt lag, ward gefangen, Und daS Lager, reich an Silber, Reich an Pferden, ward erbeutet; Und im allerreichsten Zelte, Das die Christenheit je sah, Fand sich Alvar SalvadoreS. Hocherfreuet war der Cid;

Hocherfreuet kehrten alle Nach Valencia.

Mutter, Töchter,

Die vom Thurm die Schlacht geschauet, Froh empfingen sie den Cid. 16

242

Epische Poesie. 62.

Eingeschlummert, matt vor Alter, Saß auf seinem hölzern Stuhle

Sendet er dir die Geschenke." Ihm antwortete der Cid:

Cid, der Feldherr; neben ihm Saß Limene mit den Töchtern, Stickend eine feine Leinwand.

„Sagt dem Sultan, eurem Herren, Daß die Ehre seiner Botschaft Ich empfange unverdient.

Ihnen winkte mit dem Finger

Was ich that, es war nur wenig;

Sie, des Vaters süßen Schlummer

Was ich bin, ward oft verleumdet.

Nicht zu stören; alles schwieg,

Hätt' er sich bei unS erkundet, Wer ich sei, er hätte schwerlich Mir die Ehre wohl erzeigt.

Als zwei persische Gesandten, Den ruhmvollen Cid zu grüßen. Kommen mit Geräusch und Pracht; Denn der Ruf von seinen Thaten, Von der Größe seines Werthes

Drang durch Mauren und Araber Hin ins ferne Persien.

Von des Helden Ruhm ergriffen, Sandt' der Sultan ihm Geschenke, Seidenstoffe, Spezerein.

Indeß, wär' er Christ, ich machte Ihn zum Richter meines Werths." Also sprach der Cid und zeigte Ihnen darauf seine Schätze: Die Gemahlin und die Töchter, Zwar nicht überdeckt mit Perlen,

Ohne Schmuck und Edelsteine, Doch des Herzens Güt' und Unschuld

Sprach aus jeglichem Gesicht.

Angelanget mit Kameelen

Traten vor ihn die Gesandten. „Ruy Diaz," sprach der eine Mit hinabgeseuktem Blick, „Ruy Diaz, tapfrer Feldherr! Unser mächtig großer Sultan Beut dir seine Freundschaft an. Bei dem Leben MahomS schwur er, Hätt" er dich in seinem Lande, Wohl die Hälfte seines Reiches Gab' er gerne dir als Freund. Seine Achtung dir zu zeigen,

Über seiner Töchter Schönheit Waren beide hoch erstaunet. Und noch mehr, noch mehr erstaunet Über seine schlichten Sitten,

Über sein einfaches Haus. Auch in Spanien besiegte Bald sein Ruhm die ärgsten Neider. Seine schönen, edlen Töchter Donna Sol und Donna Elvira Fand der Lohn; an zwei Jnfanten

Aragoniens und NavarraS Wurden glücklich sie vermählt.

67. Fahnen, gute, alte Fahnen,

Lebet wohl, ihr schönen Höhen,

Die den Cid so oft begleitet, In und siegreich aus der Schlacht, Rauschet ihr nicht in den Lüften

Und du, Aussicht auf das Meer hin! Ach, der Tod, er raubt unS alles, Wie ein Habicht raubt er unS.

Traurig, daß euch Stimm' und Sprache,

Seht, eS brechen feine Augen! Er blickt hin zum letzten Mal.

Daß euch eine Thräne fehlt? Denn es brechen seine Blicke, Er sieht euch zum letzten Mal.

Lebet wohl, ihr schönen Berge

Was hat er gesagt, der gute Cid? Er liegt auf seinem Lager.

Wo ist seine Eisenstimme?

Teruel und Albaracin,

Kaum noch kann man ihn verstehen.

Ew'ge Zeugen seines Ruhmes, Seines Glückes, seines Muths!

Daß er seinen Freund Babieya, Ihn noch einmal sehen will.

Epos.

243

Bmbieya kommt, der treue MitMefährt' deS wackren Helden

Gerne hätt' sich Alvar Fannej Mit dem Tode jetzt geschlagen;

In fio mancher, mancher Schlacht. Als cer die ihm wohlbekannten

Ohne Sprache sitzt Timene;

Gutem, alten Fahnen siehet, Die ffonst in den Lüften wehten, Hingtebeugt aufs Sterbelager, Unten: ihnen seinen Freund:

Füihlt er seinen Lauf des Ruhmes Auch geendet, steht mit großen

Augem stumm da wie ein Lamm. Sein Herr kann zu ihm nichts sprechen,

Er a uch nichts zu seinem Herrn.

Traurig sieht ihn an Babieya, Cid i.hn an zum letzten Mal.

4.

Cid, er drückt ihr noch die Hand.

Und nun rauschen die Paniere Stärker; durch daS offne Fenster Weht ein Wind her von den Höhen. Plötzlich schweigen Wind und Fahnen

Edel; denn der Eid entschläft.

Auf! nun auf! Drommeten, Trommeln, Pfeifen, Klarinetten, tönet, Übertönet Klag' und Seufzen!

Denn der Cid befahl es da; Ihr geleitet auf die Seele Eines Helden, der entschlief!

Aus E. Schulzes „Bezauberter Rose".

Alpino, der Sohn des Königs LeonteS und der Fee Janthe, wird von der Feenkönigin den Eltern entrissen bis dahin, daß er versöhnt, was die Eltern im Wahne gefehlt und „durch die Kraft der reichen Brust nach oben das, was er liebt, zu seinem Kreis' erhoben." Nachdem er, „der Sänger zarter Lieder," die weite Welt durchstreift hat, sieht er in der Nähe des ihm unbe­ kannten Schlosses seines Vaters König Astolfs schöne Tochter Klotilde, die von ihrem Vater wegen eines Krieges zum Freunde Leontes gefluchtet worden, einem Schmetterlinge nachjagen. Schon hat die Liebe Alpinos und Klotildens Herz verbunden, da endet der Krieg, und die Jungfrau wird in ihre Heimat zurückgeholt, ohne dem Geliebten Kunde davon geben zu können. Da zieht er nun auf „ungewählten Pfaden" ihr nach „durch Stadt und Feld, durch Schlösser und durch Hütten." Nach einem Jahre kommt er zu einer Burg von weißem Marmor. Im Thale rings umher sieht er bunte Zelte aufgespannt und ein lebendiges Gewoge von Fürsten und Frauen. Auf seine Frage, welches Fest hier gefeiert werde, erwidert ihm ein Hirt also:

„Der reiche Fürst, den diese Länder ehren, Bis endlich uns, des Landes Ruh' zu stören, Ein böses Glück drei Kaiser zugeführt. Erzog ein einz'geS, wunderschönes Kind. Zwar wollte man in unserm Dorfe schwören, Der eine herrscht, wo sich in fernen Meeren Ein jeder werd' in ihrer Nähe blind; Der Indus hier, der Ganges dort verliert, Doch wähn' ich, dies ist so nur zu verstehen: Der zweite kam von Taprobanas Strande,

Wer sie gesehn, der mag nichts andres sehen. Der dritte war aus Sabas duft'gem Lande.

Schon war sie wohl ein Kind von achtzehn

Doch wie eS ihr schon früher ging mit allen,

So wollt' auch jetzt, da diese Meldung kam. Jahren, Als sie nach langer Reis' ihm doppelt werth Kein einziger der Kaiser ihr gefallen, Und fromm und klug, wie sie hinweggefahren, WaS minder uns als diese Wunder nahm. Sie mochte gern im tiefsten Haine wallen Und schöner noch ins Land zurückgekehrt. Da kamen nun die großen Herrn in Schaaren, Und nährte still, so schien's, verborgnen Gram. Weil alle Welt von ihrem Reiz gehört, Auch sang sie oft, halb träumend, fremde Lieder Und Könige, ja Kaiser selbst erschienen.

Und seufzte dann und sang sie immer wieder.

Der holden Jungfrau ritterlich zu dienen.

Nicht härter ward ihr Herz und nicht ge­ Wohl wurde viel der Herrscherin zu Ehren linder, Gespielt, getanzt, geritten und turniert, Ob jeder auch nach bester Kraft sich müht, 16*

244

Epische Poesie.

Wie thöricht oft ein Haufen Keiner Kinder

Wie zischend oft die ungeheure Schlange

Der TriS folgt, die durch die Wolken flieht. Mit weitem Schwung vom Baume nieder­ fährt: Da- Spiel verdrießt den stolzen Herrn der So brach, umringt von seiner wilden Horde, Inder,

Der Inder Fürst hervor zum Raub und Morde. Der heißer noch als seine Zone glüht, Und was ihm Recht und Sitte nicht erlauben, Wie sollten wir, ein wehrlos schwacher Beschließt er bald mit frecher Macht zu rauben. Haufen, Er hatte sich den Tag dazu ersehen, Wo jährlich man ihr Wiegenfest beging.

Man tanzte dann auf jenen Wiesenhöhen,

Dem blanken Schwert der Krieger widerstehn? Wir konnten nichts als zittern und entlaufen; Wer denkt, vom Wolf ein Lamm zurückzuflehn?

Man ritt und focht und sprang und stach Schon wähnt der Feind, den Sieg um nichts zu kaufen, den Ring. Da läßt sich ihm ein kühner Gegner sehn; Auch durfte man im Garten sich ergehen, Der glänzend dann voll bunter Lampen hing, Denn plötzlich nahn den hohen Gartenthoren

Und wo, geschmückt mit einer goldnen Krone, Zum wilden Kampf die Taprobaner Mohren.

Die Schöne saß auf reichgewirktem Throne. Allein wie schlau er auch die Zeit erkoren,

Und während kaum die Schaaren nun zum Streite

Wie alles auch des RäuberS Wunsch ent­ DaS Schwert gezückt, den scharfen Speer ge­ senkt, spricht, Kommt Sabas Heer von einer andern Seite Er täuschte doch den Taprobaner Mohren, Den braunen Herrn von SabaS Fluren nicht. Gleich einem Sturm laut raffelnd angesprengt. Dem Argwohn dient die Sorge statt der So kämpfen nun drei Räuber um die Beute, Und jeder sieht von zweien sich bedrängt. Ohren, Das Fünkchen wird der Eifersucht ein Licht; Der Waffen Klang, der Stimmen fremdes Und jeder denkt: Laß ihn daS Spiel beginnen; Schallen WaS er gewagt, kannst du vielleicht gewinnen. Läßt weit umher Gebirg und Thal erhallen. So rüsten sich nun alle drei verstohlen. Doch plötzlich schwieg daS wilde Drohn und Und jeder schleicht auf unbetret'nem Pfad Toben, Mit seinem Heer, vom dichten Hain verhohlen, Der laute Hain ward stiller als ein Grab; Sich leis' heran zum schändlichen Verrath. Durch dunkle Nacht schwamm wunderbar von Da stehn sie nun und glühn wie heiße Kohlen, oben Bis endlich sich die Abenddämm'rung naht. Wie ein Gewölk ein leichter Kahn herab. Sie alle sind vereint zu einem Werke: Und drinnen saß, von Mondenglanz umwoben, Doch keiner glaubt, daß ihn der andre merke. Die schönste Fee mit goldnem Zauberstab;

Den schwang sie hoch in ihren zarten Händen, Bald nahte sich bei lieblichem Gesänge Und Blitze schien seinSchwung umherzusenden. Die Herrscherin dem zauberischen Hain. Ein wenig trüb' und bleich schien ihre Wange, Nun war es wohl der Mühe werth zu schauen, Doch möcht' eS wohl vom vielen Lichte sein; Wie irr' und wirr hier alles lag und stand. Und schön geschmückt, mit sittsam stillem Gange Der schwang den Speer, ein andrer schien zu Umringten sie viel zarte Jungfräulein; hauen, Dann folgten Knaben, die die Schleppe trugen, Ein dritter hielt die Bogenschnur gespannt; Und Sänger dann, die süß die Laute schlugen. Der sprang hervor, und jenem schien zugrauen, Doch während nun mit lieblichem Gesänge Den sah man schrein, wenn auch die Stimm'

Der Sänger Chor die schöne Herrin ehrt. ihm schwand; Wird plötzlich rings von rauhem Waffenklange, Denn so wie grad' ein jeder sich befunden, So stand er jetzt, als wär' er festgebunden. Von wüstem Lärm daS holde Fest gestört.

245

Epos.

Schon hatt' indeß die Fee den Thron be- Kaum konnte man ihr Antlitz noch erspähen, Zu Duft zerrann ihr seidenes Gewand, stiegen

Und an ihr Herz das schöne Kind gedrückt, Das halb betäubt mit leisen Athemzügen

Zu ihr empor und dann zur Erde blickt. So sah ich oft die zarte Lilie liegen, Die früh im Hain der feuchte Sturm zerknickt.

Und drinnen schien's zu wirken und zu walten Mit bunter Schwing' in mancherlei Gestalten.

Schon sah man Zweig' und Blätter sich ver­ weben,

Schon blickte scheu die Knosp' aus grünem Noch konnte sie vom Schreck sich nicht besinnen, Laub; Da hört' ich so die schöne Fee beginnen: Die Krone, die der Herrin Stirn umgeben. Die Freiheit wird im Kampfe wohl erstritten, Umhüllte sich mit goldnem Blütenstaub; Dem Bösen wehrt des Guten tapfres Schwert; Und muß als Thau die Perl' auch kürzer­ Wer Fesseln liebt, dem ziemen zarte Bitten,

leben. Was uns beseelt, wem schiene das ein Raub? Und Holdes ist dem Frieden nur gewährt. Drum laßt den Kampf, zu dem ihr hergeschritten, Nun wurde noch das Haar zum weichen Moose, Ein schönrer wird von eurem Muth begehrt, Und vor uns stand die schönste Maienrose.

Und daß ihr ringt mit treuerem Bemühen, Soll meine Hand den Preis euch jetzt ent­ ziehen.

Denn

also

steht

im Schicksalsbuch

schrieben: Der Rose gleicht dies jungfräuliche Bild,

Halb

war vom Grün die Knospe noch

umfangen Und sah schon scheu aus ihrem zarten Flor,

ge­ Als strebte sie mit zärtlichem Verlangen Dem Lichte zu und dürfte nicht hervor.

Die lange schon ihr zartes Laub getrieben,

So ist nun j?eut' ein Jahr vorbeigegangen,

Seit nichts an Form und Farbe sie verlor.

Kein Sturm versehrt, kein Frost, kein Hagel­ Bis liebend sich der duft'ge Kelch enthüllt. Die Rose kann den hellen Strahl nur lieben, wetter Den leisen Thau, die Lüftchen lau und mild; Den duft'gen Kelch, die ewig grünen Blätter. Bei solchem Gruß, bei solchem holden Walten Wird auch dies Kind ihr reiches Herz entfalten.

Doch jene, die sich um den Raub geschlagen,

Sie merkten wohl, als nun ihr Zauber schwand, Dies ist der Spruch. Jetzt mögt ihr selbst Nicht räthlich sei's, sein Leben dran zu wagen, Wo nichts damit sich zu gewinnen fand. ergründen, Auf welchem Pfad ihr euch die Braut gewinnt. Drum schwuren sie, sich friedlich zu vertragen Könnt ihr für sie so schöne Gaben finden, Und heimzuziehn ein jeder in sein Land,

Als Licht und Thau und leise Lüftchen sind, Bis sie vielleicht die schönen Gaben fänden, So wird von ihr der stille Zauber schwinden, Die nöthig sind, den Zauberbann zu enden.

Der heimlich schon durch ihre Glieder rinnt, Um wunderbar des Schicksals dunklen Willen

Zugleich im Sinn nnd Bilde zu erfüllen. So sprach die Fee.

Und heute grad' ist jene Zeit verschwunden, Worüber sie beim Scheiden sich vereint.

Ob sie daheim die Gaben aufgefunden,

Und was wir jetzt Das weiß ich nicht, wiewohl es jeder meint.

Wir werden selbst es sehn nach wenig Stunden, gesehen, Sah keiner wohl, so lang' die Welt auch stand; Weil bald die Zeit der sichern Prob' erscheint. Denn leis' umfloß ein grünes Nebelwehen Wenn diesen Berg die Abendstrahlen röthen, Das holdeKind, das nach und nach verschwand. Dann werden sie den Rosenhain betreten." Die Probe beginnt. Der Jnderfürst opfert Gold, der Mohrenfürst Perlen, Sabas Herr Weihrauch, Myrrhen und Zimmt. Doch „tief versteckt in ihrem reichen Moose, steht unbewegt und unenthüllt die Rose." Alpinos Bitte, ein Lied fingen zu dürfen, wird vom Fürsten mild gewährt.

Epische Poesie.

246

ES sang Alpin. Und als er auSgesungen, Und als gemach der bunte Zauberreigen Und weit umher noch Welle, Lust und Grün Von Duft und Klang verdämmert und verhallt, Im glatten See und in den Dämmerungen Steht zart und schlank in ahnungsvollem Des stillen Hains entzückt zu lauschen schien,

Schweigen Beginnt der Ton, noch eh' er ganz verklungen, Mit irrem Blick die blühende Gestalt.' Zum sichtbar holden Leben aufzublühn; Man sieht die zarte Brust tief athmend steigen, Nicht weiß man mehr, ob noch das leise Dom ersten Hauch des Lebens neu durchwallt, Schallen Der Klänge bebt, ob zarter Düfte Wallen.

Bang regen sich die kaum gelösten Glieder, Sie hebt den Fuß und senkt ihn schüchtern wieder.

Und wie, gelockt von hellen Frühlingstagen, Und bunter stets verschweben und zerrinnen, Die Vögelein verzagt zum ersten Mal Wie Welle sich an Welle spielend bricht, Die Klänge jetzt, und lieblich zittert's drinnen AuS weichem Nest von Zweig zu Zweig sich Wie Heller Thau, wie Duft und Morgen­ wagen, licht; Von Busch zu Busch mit zweifelhafter Wahl: Gestalt und Form strebt alles zu gewinnen, So lenkt auch sie im Staunen und im Zagen Und blühend tritt ins Leben das Gedicht; Bald hier, bald dort der Blicke lichten Strahl Denn waS das Herz einst tief und wahr Und sieht entzückt bei zarter Mondenhelle Wald, Wies' und Flur, Laub, Blüten, Wölk' empfunden,

DaS lebt und bleibt dem großen All verbunden.

und Welle.

Und sieh, esschwilltauS ihremweichenMoose Doch als sie jetzt mit ungewisien Blicken Stets blühender die reiche Knosp' empor. Alpin erkennt, der schweigend vor ihr kniet, Und lieblich schaut jetzt aus der offnen Rose Welch Zauberband mag da ihr Haupt umMit goldüer Kron' ein holdes Haupt hervor; stricken, Und ringS umher verwebt sich leis' und lose Da sie auf ihn, auf ihn allein nur sieht? Der Blätter Grün zum weichen, seidnen Flor; O wie von Scham, von Liebe, von Entzücken

Schon scheint der Thau, der hell am Kelch Ihr Busen wallt, ihr holdes Antlitz glüht! gehangen, Und sucht auch oft ihr Auge sich zu wenden, Als Perlenschnur am weißen Hals zu prangen. Stets muß es nur noch süßre Strahlen senden. Drauf erscheint die Feenkönigin mit AlpinoS Eltern, und der holde Sänger wird mit der Geliebten vermählt.

5.

Aus Rückerts Rostem und Suhrab.

Laß auS dem Königsbuch der Perser dir berichten Don Rostem und Suhrab die schönste der Geschichten.

Rostem (Tehemten), der Held von Iran, hatte einen Sohn Suhrab, der fern von ihm bei seiner Mutter Tehmina aufwuchs. Suhrab will seinen Vater aufsuchen und rüstet ein Heer gegen Iran. Afrasiab, der Schah von Turan, sendet ihm ein Heer zu Hülfe und befiehlt Barumai, dem Führer desselben, zu verhindern, daß Rostem und Suhrab einander erkennen, damit so die grim­ migsten Feinde Turans sich selbst vernichten. Auf einem Grenzschloß erwartet Suhrab das persische Heer; das persische Heer erwartet Rostem. Als dieser endlich anlangt, geht er als Türke verleidet auf das Schloß, um Suhrab zu sehen. Send, den Tehmina ihrem Sohn mitgegeben, damit dieser von ihm d,en Vater kennen lerne, sieht den Fremden im Dunklen sitzen, greift ihn an und wi:d von ihm erschlagen.

Er ritt hinaus, wo ihn der gleichgeartete, Ein Kämpe seines Bluts, sein Sohn erwartete. Auf Bogenschuß hinan ritt er, da hielt er an,

Da wieherten sich laut die beiden Kampfross' an,

EpoS. RachS, der den Rostem trug, und jener, der Suhrab, Den Sohn deS Rostem, jetzt entgegentrug dem Grab. Der trug des Rostem Sohn, war selbst vom RachS ein Sohn, Und doppelt kam zum Kampf ein Vater und ein Sohn.

Doch eh' zum Tode nun die Reiter sich an rannten.

Wieherten erst sich an die Rosse, die sich kannten;

Das Wiehern war der Gruß der beiden Blutsverwandten. So in den Thieren dort, o Wunder, sprach die Stimme Des Blutes, die erstickt ward von der Männer Grimme. So viel ist blinder als das blindgeborne Thier

Der Mensch, der sehende, geblendet von Begier. Die Reiter sahen an das Wiehern für ein Zeichen,

Daß ihre Roste selbst an Kampflust ihnen gleichen, Und selber wollten sie nun nicht den Rossen weichen;

Doch riefen sie sich nicht mit lautem Schlachtgruß an. Entgegen hielten sie stillschweigend auf dem Plan, Und Sohn und Vater sahn sich stumm, todblickend an. Nun kamen auch heran die Zeugen ihrer Schlacht,

Von beiden Seiten die und jene Heeresmacht: Die Heermacht Irans hier, gewaffnet und geschmückt, Vom Feldherrn TuS geführt, vom Lager ausgerückt;

Die Heermacht Turans dort, den Berg herabgedehnt. Von Barman aufgestellt und an die Burg gelehnt. Entgegen standen sich die beiden Heere schweigend. Die Kampfbegier vereint nur in zwei Kämpfern zeigend. Wie auf dem weiten Hof ein zahlreich Volk von Hennen Unthätig zusieht, wie zum Kanipf zwei Hähne rennen. Die, für ihr ganz Geschlecht von Kampfbegier entbrannt. Wenn sie erst zum Gefecht zusammen sind gerannt, Lebendig alle zwei nicht mehr zu trennen sind; So sehr macht Eifersucht und heißes Blut sie blind; Die Hennen sehen zu, wie sie zusammen rennen,

Und warten, welchen sie als Herrn des Hofs erkennen: So dort erwarteten die beiden Heere nun, Wer als des Schlachtfelds Herr hervor sich würde thun, Und sahen zu bewehrt, als ob sie wehrlos wären; Für alle ließen sie das eine Paar gewähren.

Doch näher kamen an die beiden Helden licht Geritten nun und sahn einander ins Gesicht.

Suhrab, den Ungeduld hinan zum Vater trieb, Sprach, während eine Hand er in der andern rieb: „Komm, alter Held, wie ich gesehn noch keinen habe,

Nicht übel nimm eS mir! dich will bestehn ein Knabe. Von Iran brauchen wir und Turan hier dazu Sonst keinen außer uns, genug sind ich und du. An Wüchse bist du hoch, an Schultern bist du stark,

247

Epische Poesie.

248

Die Jahre haben doch versehrt bereits dein Mark; Du wirst mich nicht bestehn in diesem Waffengange!"

Er sprach's, und Rostem blickt' auf seine Rosenwange Und sprach zu ihm: „Gemach, feuriges Heldenkind! Die Erd' ist kalt und hart, die Luft ist lau und lind. Wohl, Alters halb hab' ich gesehn genug Wahlstätten Und half manch stolzes Heer im kalten Staube betten. Die schlafen tief genug, die meinem Streich erlagen; Und wo ich selber schlug, da ward ich nie geschlagen. Nun komm heran, blick' her, wie ich dich morden will!

Entkommst du mir, so fürcht' hinfort kein Krokodil; Allein eS fühlt mein Herz mit dir, Kind, ein Mitleiden, Vom schönen Leib will ich nicht deine Seele scheiden.

Gar einem Türken gleichst du nicht, o schlanker Baum! DeinSgleichen viele wüßt' ich auch in Iran kaum."

Wie Suhrab hörte, daß so sanfter Rede pflegte Der Recke, fühlte er, wie sich sein Herz bewegte, Und sprach:

„O alter Held, ich will ein Wort dich fragen,

Du aber mußt nun auch mir alle Wahrheit sagen! Vermelde mir, eh' wir uns schlagen, dein Geschlecht! So, hör' ich, hielten eS die Alten im Gefecht. Ich glaube wirklich, daß du niemand auf der Welt

Als Rostem bist, der Fürst im grünen Heergezelt!" So sprach er, und so nah daran war's, daß gewendet Würd' alles Weh in Lust und aller Streit geendet! Da kam ein finstrer Geist auf Rostem, und er sprach: „Ich bin nicht Rostem! WaS fragst du dem Rostem nach? Er ist ein Ritter, ist ein Fürst, ich bin ein Knecht; Mit ihm nicht, nur mit mir ist dir der Kampf gerecht. Ich bin der Späher, der dir auf der Burg erschlug Den Späher dort, der Lust mich auSzuspähen trug! Nun komm zum Kampf, mein Sohn! Des Schwatzens ist genug."

Als beide Kämpfer nun erschienen auf dem Plan, Da kamen ihres Kampfs Zuschauer auch heran: Die Heermacht Irans hier, gewaffnet und geschmückt, Vom Feldherrn TuS geführt, vom Lager ausgerückt; Die Heermacht TuranS dort, den Berg herabgedehnt.

Von Barman aufgestellt und an die Burg gelehnt. Vor diesen Zeugen ritt zu seinem Gegner hin Suhrab, und, mit dem Mund anlächelnd, grüßt' er ihn: „Wie hast du in der Nacht geruht und bist erwacht Am Morgen? Früh, o Greis, hast du dich aufgemacht! Das Aug' und jeden Sinn erlabend ist der Morgen:

Doch welchen Abend er uns bringt, das ist verborgen.

Der Berge Häupter sind vom Strahl der Frühe golden, Mit Morgenwein gefüllt sind alle Blumendolden.

Epos.

249

Die Morgenlüfte gehn, die Schläfer einzuladen, Schnell aufzustehn und sich im Maienthau zu baden. Die Bögel singen laut, die klaren Bäche fließen,

Die Anger sonnen sich, und alle Blumen sprießen; Das ist durchaus kein Tag zu Mord und Blutvergießen, Ein Tag, das kurze Glück des Lebens zu genießen. Komm, lieber Alter, steig' herab von deinem Drachen Ins grüne GraS und laß uns Waffenstillstand machen!

Im Angesichte des und jenes Heeres laß, Daß froh sie staunen, uns ablegen Groll und Haß! DeS Krieges Schauplatz sei in eine Friedensbühne

Verwandelt, und ein Fest erblüh' uns auf dem Grüne.

Ich wink', und Saitenspiel und Wein kommt zum Gelag; Ich feir' im Rosenhag mit dir den Frühlingstag.

Bom Haupte legest du des schweren Helmes Glanz, Und um dein Haar leg' ich von Rosen einen Kranz. Dann sitzen wir beim Wein und plaudern vom Gefecht; Und alles, was ich weiß von mir, sag' ich dir recht: Du selber sagest auch mir Stammbaum und Geschlecht. Nach deinem Namen hab' ich ohne Rast und Ruh Gefragt, und niemand sagt ihn mir.

O sag' ihn du!

Nicht ziemt es zwischen uns, so Herz und Mund verschlossen Zu halten, denn wir sind von gestern Kampfgenossen." So sprach das Kind; eS hatt' auS Wasser, Luft und Flur

Gesprochen an sein Herz die Sprache der Natur. Wie eine Knospe war daS Herz ihm aufgegangen. Und daS Verlangen blüht' anf seinen Rosenwangen; Doch wie die KnoSp' am Strauch, vom Frühlingsstrahl geweckt, Zurück vom kalten Hauch des Nordwinds wird geschreckt, Und wie die Blume, die den Kelch geöffnet hält Dem Frühthau, wenn auf sie der gift'ge Mehlthau fällt: So schrumpfte SuhrabS Herz zusammen, und eS brach Der Hoffnung grüner Stiel ihm ab, als Rostem sprach: „Nicht also haben wir, o liebeS Kind, gewettet.

Zu ruhn in FriedenSruh', auf Frühlingsgrün gebettet. Wir haben uns bestellt, im Ringkampf unS zu tummeln,

Nicht stachellos umherzuschwärmen wie die Hummeln. Wenn du ein Jüngling bist, so bin ich doch kein Knabe; Du siehst, daß ich den Gurt geschnallt zum Ringen habe. Du hast mich lang genug aufs Tagwerk lassen warten, Rosen zu brechen, wie sie blühn in unserm Garten.

Der Hauch deS Morgens ist belobt zu jedem Werke,

Und mir erneuet er der alten Glieder Stärke.

Drum, eh' des Mittags Glut der Sehnen Kraft abspannt, Zeig', ob du bist ein Mann, wann ich dich übermannt!

Ich habe nicht gehört, daß auf dem Kampfplatz plaudern

250

Epische Poesie. Kampflustige, wenn froh die Hengff im Frühwind schaudern.

Ich habe mich versucht mit Männern hier und dort; Ich bin ein Mann der That, kein Mann von vielem Wort. Drum meinen Namen nenn ich eh'r nicht, sei verbürgt! AIS bis du liegst: dann sollst du wissen, wer dich würgt'." Sie gürteten sich fest die Mitte, stülpten dicht Die Ärmel um den Arm und furchten das Gesicht. Zwei Löwen gleich an Wuth, her schossen sie zumal;

Vom Leibe Schweiß und Blut vergossen sie zumal. Zwei Leiber wurden da ein Leib, indem sie rangen.

Um den vier Arm' im Knaul wie Schlangen sich verschlangen.

Wie eine Goldspang' eng den Frauenarm umschmiegt, Und wie fest an dem Leib ein nasses Kleid anliegt: So mit den Armen eng umschmiegten sich die beiden; An strengten hin und her und wiegten sich die beiden; An Kraft nicht, noch an Kunst besiegten sich die beiden. Sie hätten Stein und Erz zerdrückt in ihren Armen;

Sich drückten sie umsonst und drückten ohn' Erbarmen. Angst fühlte Brust an Brust und Glied um Glieder Schmerz, Als Vater dort und Sohn sich drückten so ans Herz. Indessen oben sie sich mit den Armen klemmten,

Den Odem in der Brust, das Blut im Herzen hemmten: Indessen hielten sie am Boden die gestemmten Füß' eingewurzelt. So rang Suhrab mit Tehemten! Mit mächtigem Umfahn, gewaltigem Umschlingen Vermochten sie sich doch zu Boden nicht zu ringen, Vermochten sie sich nicht vom Grund emporzubringen.

Vermochten sie sich auch vom Platz nicht wegzudringen. Umsonst umschlangen sie, umsonst umflochten sie; Vergebens rangen sie, vergebens fochten sie. Voll Muth an drangen sie, voll Wuth auf kochten sie; Sich nicht bezwangen sie, noch übermochten sie. Nun wollten sie's anstatt mit Ringen und mit Dringen Mit Schwingen in die Lust vollbringen und erzwingen.

Los ließen Vater sich und Sohn, und seine Hand Aus streckte jeder nach des andern Gürtelband. Und Rostem schwang den Sohn empor mit einem Schwünge Am Gürtel; fast erlag dem Alten da der Junge. Doch dieser fiel, vom Glück geschleudert, auf die Brust

DeS Gegners schwer und warf ihn nieder in den Dust. Da kniet' er auf der Brust des VaterS und besann Sich selber nicht, wie er die Oberhand gewann;

Da zuckt' er rasch den Dolch, und, ohne dran zu denken. Wollt' er den kalten Stahl ins Herz des Vaters senken.

Rostem auf blickend sah daS nahe Ungemach Schweben ob seinem Haupt und rief: „Gemach, gemach!

EpoS. Gemach! WaS willst du thun? Bist du aus Heldensamen, So schände deinen Ruhm jetzt nicht und deinen Namen!

Du kommest her und stammst aus wilder Türken Mitte; Nach Iran kommst du, kämpfst und kennst nicht Iran- Sitte. Die Sitt' ist hier zu Land, daß, wer den Kampf mit Ringen

Beginnen mag und in den Staub den Gegner bringen,

Das erste Mal, da er ihn an den Boden legt, Um bringet er ihn nicht, wie sehr ihn Zorn bewegt. Ihn schelten würde man und seinem Namen fluchen. Mit einem zweiten Gang läßt er's den Feind versuchen;

Vermag er dann zum Fall ihn wiederum zu bringen:

Dann ist's erlaubt, ist's Sitt' und Recht, ihn umzubringen." So sprach er, ob vielleicht er sei durch List errettet Vom Gegner, unter dem er unsanft lag gebettet. Suhrab hielt zweifelnd inn' und sprach: „Ich habe nicht

Bon dieser Sitt' im Land vernommen den Bericht.

Sag' an, ob wirklich so es alle Helden halten, Ob's so gehalten wird von Rostem auch, dem alten?" Doch Rostem sprach: „Was geht dich's an, wie'S Rostem macht?

Nun ja doch! Diesen Brauch hat Rostem aufgebracht." Wie Rostems Sohn aus Rostems Mund dies Wort gehört, Das Schwert zog er zurück und ließ ihn los, bethört Einmal von Selbstvertraun, sodann von Schicksalsfug, Am meisten aber, weil sein Herz von Großmuth schlug; Sonst hätt' ihn nicht allein bethört des Vaters Trug. Rostem sah froh erstaunt sich los vom Feind gekettet, Doch war er unmuthSvoll, daß ihn nur List gerettet. Vom Boden sprang er auf und schüttelte die Glieder Vom Staub, und ein die ausgerenkten renkt' er wieder. Doch Suhrab wendete von ihm sich inS Gefild

Und jagte vor sich her ein aufgesprungnes Wild. Auf dieses macht' er Jagd zur Kurzweil und vergaß DeS Mannes ganz, mit dem er erst im Kampf sich maß.

Doch Rostem, als er war entbunden seiner Qual, Ging an dem Bach hinauf dort in ein Felsenthal, Wo er vor langer Zeit einmal mit einem Geiste Zusammen traf, als er des Wegs aus Turan reiste;

Als er dort aus dem Krieg, mit Beute schwer beladen, Zurück kam, mühsam ging er da auf seinen Pfaden. Dem Rostem damals war solch eine Kraft verliehn, Die nicht nur seinen Feind, die drückte selber ihn;

Denn wo er auf dem Grund mit seines Leibs Gewicht Auf trat, gab nach der Grund und widerstand ihm nicht. Den Fußtritt drückt' er tief auch härterem Gestein,

Nicht lockrem Sande nur und weichem Boden ein: So wehrlos schon, vielmehr wann er die Waffen trug;

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Epische Poesie. Und nun trug er dazu noch schweren Raubs genug. Im Melme sank ihm ein der Fuß bis an den Knöchel; Da lachte neben ihm der Berggeist mit Geröchel.

„Wer," fragte Rostem, „lacht?" Dumpf sprach der Berggeist: „Ich!" „Worüber?" „Weil ich seh' im Grund einsinken dich. Die dir die Mutter gab, die Kraft ist lästig dir. Du bist zu schwach für sie, gieb sie zu tragen mir,

Und brauchst du sie einmal, wenn matt sind deine Glieder, So komm und ruf'! So geb' ich deine Kraft dir wieder." Da gab der Pehlewan dem Berggeist in Verwahr Den Überfluß der Kraft, die ihm beschwerlich war.

Jetzt aber kam er her, daß nicht im Berge modern Er ließe seine Kraft, sie nun zurückzufodern; Denn gegen Suhrab war der Sieg ihm zweifelhaft,

Wenn er nicht nähme ganz zusammen seine Kraft. Noch unterhandelten sie dort um RostemS Kraft; Doch RostemS Sohn sah sich im Feld um zweifelhaft Und wußte nicht, waS er vom Gegner denken sollte, Der nicht erschien, und ob er heimwärts lenken sollte. Ob warten noch, bis doch vielleicht er wieder käme. Damit er heute noch das Leben hier ihm nähme!

Am Ende dünkt' eS doch das Beste seiner Meinung, Im Feld zu warten noch auf seines Feinds Erscheinung. „Denn," sprach er, „heute früh hat er auf mich gewartet,

Nun wart' ich spät auf ihn, so ist eS wohlgeartet. Der Abend ist so schön nicht, als eS uns versprach Der Morgen; in der Welt kommt Herbes Frohem nach. Die Sonne sinkt und läßt ein blut'geS Abendroth Zurück als AbschiedSgruß, den sie dem Leben bot. Wo aber bleibt der Mann, den ich nicht missen kann? Ich tötet’ ihn in der Nacht, weil er am Tag entrann!"

So sprechend, blickt' er auf und sah den Rostem kommen, AlS wie ein Meteor trübröthlich angeglommen. Dem Suhrab schien er ganz verwandelt zauberhaft, Von wunderbarem Glanz, in voller Jugendkraft. Mit Staunen grüßt' er ihn, mit Zittern und Verzagen;

Wo er gewesen sei, hatt' er nicht Muth zu fragen. Er fragt': „Und ringen wir noch heute vor der Nacht?"

Und Rostem sprach: „Ei ja! es ist geschwind vollbracht." Da traten an zum Kampf der Vater und der Sohn; Der angethan mit Kraft, die diesem war entflohn. Wie, wann die Sonne sinkt, die Nacht Sieg jauchzen mag, Und wann die Nacht erliegt, so triumphirt der Tag:

So mochte Rostem leicht ob Suhrab triumphiren. Gewinnen konnt' er nicht und jener nicht verlieren.

Da zog die Dämmerung aus Abendwolkenflor

EpoS. Dem Schauplatz diese- Weh- den dichten Vorhang vor; Daß von dem Doppelheer, da- al- Zuschauer nah Dem Schauspiel war, wa- da geschah, kein Auge sah. Da griffen an die zwei, da war es schon gethan; Vom Vater war es ab- und um den Sohn gethan.

Rostem that einen Ruck, und Suhrab lag im Dust;

Rostem that einen Zuck: sein Dolch traf Suhrab- Brust. Suhrab sprach tode-wund: „O ungetreuer Mann! Da- ist der Schonung Lohn, den ich von dir gewann.

Von Rostem hast du mir ein Märchen vorgelogen. In Rostem- Namen um mein Leben mich betrogen. Doch sei ein Fisch im Meer, ein Vogel in der Lust, Die Rach' ereilet dich, wo ich lieg' in der Gruft. Wenn Rostem da- erfährt (und er wird e- erfahren.

Nicht wird ihm da- Gerücht die Trauerkund' ersparen). Wenn Rostem eS erfährt, so giebt er dir den Lohn Dafür, daß du erschlugst sein und Tehminas Sohn." Er sprach's, und, von dem Wort getroffen, Rostem schrak Zusammen, als ob ihm der Dolch im Busen stak.

Er rief: „O Unglückskind, was sagst du? sag'S geschwind, Sag's recht, wer deine unglücksel'gen Eltern sind!" Doch Suhrab sprach mit Stolz und Trauer in der Miene: „Ich bin Suhrab, der Sohn von Rostem und Tehmine, Er Irans Hort und sie Semengans Frauenzier; Die Mutter hat mich hergesandt, den Vater hier Zu suchen, weil er dort so lang' nicht kam zu ihr. Die Spange gab sie mir mit als Erkennungszeichen, Die Spange, die er ihr einst gab, sollt' ich ihm reichen. Die Spange trug ich nicht am Arme; vor Verlust

Sie zu bewahren, trag' ich hier sie auf der Brust. Reiß das Gewand hier auf am Busen, da- mich drückt, Und sieh das Zeichen, das den Sohn von Rostem schmückt!"

So sprach er, und vor Weh dem Vater wollt' entweichen

Die Seel' und harrte nur noch aufs Erkennungszeichen. Weg riß er daS Gewand und sah, wie einen Molch In Rosen, in der Brust dort sitzen seinen Dolch; Der stak noch in der Wund' als Scheide, die er schloß; Nun zog ihn Rostem aus, und SuhrabS Leben floß. In Purpurwellen floß das Leben hin und tränkte

DaS Gold der Spange, die Tehminen Rostem schenkte. Er zog der Spange Gold, besetzt mit den Rubinen

Von Sohnes Blut, hervor, selbst mit blutlosen Mienen Und rief: „Suhrab, mein Sohn! Weh Rostem und Tehminen!"

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Epische Poesie.

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6.

Aus Anastasius Grüns Letztem Ritter". Die MartinSwand.

Willkommen, Tyrolerherzen, die ihr so bieder schlagt! Willkommen, Tyrolergletscher, die ihr den Himmel tragt! Ihr Wohnungen der Treue, ihr Thäler voller Dust, Willkommen, Quellen und Tristen, Freiheit und BergeSluft!

Wer ist der kecke Schütze im grünen Iagdgewand, Den Gemsbart auf dem Hütlein, die Armbrust in der Hand, Deß Aug' so flammend glühet wie hoher Königsblick, Deß Herz so still sich freuet am kühnen Jägerglück? Das ist der Max von Habsburg auf lust'ger Gemsenjagd; Seht ihn auf Felsen schweben, wo's kaum die Gemse wagt! Der schwingt sich auf und klettert in pfeilbeschwingtem Lauf.

Hei, wie das geht so lustig durch Kluft und Wand hinauf! Jetzt über Steingerölle, jetzt über tiefe Gruft, Jetzt kriechend hart am Boden, jetzt fliegend durch die Luft! Und jetzt? Halt ein, nicht weiter! Jetzt ist er festgebannt, Kluft vor ihm, Kluft zur Seite und oben jähe Wand!

Der Aar, der sich schwingt zur Sonne, hält hier die erste Rast; DeS Fittigs Kraft ist gebrochen, und Schwindel hat ihn erfaßt; Wollt' einer von hier zum Thale hinab ein Stieglein baun, Müßt', traun, ganz Throl und Steier die Steine dazu behaun. Wohl hatt' die Amm' einst Maxen erzählt von der Martinswand, Daß schon beim leisen Gedanken das Aug' in Nebeln schwand. Jetzt kann er sehn, ob dem Bilde sie treue Farben geborgt; Daß er's nicht weiter plaudre, dafür ist schon gesorgt. Da steht der Kaisersprosse, Fels ist sein Throngezelt, Sein Szepter MooSgeflechte, an das er schwindelnd sich hält; Auch ist eine Aussicht droben, so schön und weit zu sehn, Daß ihm vor lauter Schauen die Sinne fast vergehn. Tief unten ein grüner Teppich, das schöne Thal des Inn; Wie Fäden durchs Gewebe ziehn Straß' und Strom dahin. Die Bergkolofle liegen rings eingefchrumpft zu Häuf

Und fchaun wie Friedhofhügel zu Maxen mahnend auf. Jetzt stößt er, Hülfe rufend, mit Macht hinein ins Horn, Daß eS in Lüften gellet, als dröhnte Gewitterzorn;

Ein Teufelchen, das kichert im nahen Felsenspalt: „Es dringt ja nicht zu Thale des HülferufS Gewalt." JnS Horn nun stößt er wieder, daß es fast platzend bricht. Hoho, nicht so gelärmet!

Da hilft das Schreien nicht!

Denn liebte ihn sein Volk nicht, was er auch bieten mag, Herr Max, er bliebe sitzen bis an den jüngsten Tag! Was nicht das Ohr vernommen, das hat das Aug' erkannt; Die unten sahn ihn schweben auf pfadlos steiler Wand; Gebet und Glocken rufen für ihn zum Himmelsdom;

Von Kirche zu Kirche wallfährt der bange Menschenstrom.

Epos.

255

Jetzt an dem Fuß deS Felsens erscheint ein bunter Chor,

Ein Priester inmitten, weisend daS Sakrament empor. Max sieht nicht daS bunte Wimmeln auf ferner Thalesflur, Er sieht das blitzende Glänzen der Goldmonstranze nur. „Fahr wohl nun, Welt und Leben! Schwer fällt der Abschied mir;

O unerforschlich Wesen, du winkst, ich folge dir! Ich schien ein Baum voll Blüten, dein Blitz hat ihn erschlagen! Ach gerne hätt' er früher noch süße Frucht getragen! Ich schien ein Bauherr, thürmend den Dom zu deinem Ruhm

(Nicht durft' er ganz vollenden der Liebe Heiligthum),

Ein Priester, plötzlich stürzend todt an deS Altars Stufen,

Er hätte gern erst Segen noch überS Volk gerufen! So mag dies Herz denn brechen, von Lieb' und Segen voll!

So modre nun, mein Busen, der thatenschwanger schwoll! Verwelke, Hand, denn nimmer krönt deine Müh' Gedeihn! Nur GotteS bester Engel kann hier mein Retter sein!"

Er spricht's und hebt zum Himmel nun Angesicht und Arm, Und in die Kniee sinkt er und betet still und warm; Da klopft's auf seine Schulter, er fährt erschreckt empor; „Komm heim, du bist gerettet!" so ruft es an sein Ohr. Und einen Bergmann sieht er frohlächelnd vor sich stehn.

Der faßt ihn fest beim Arme und winkt ihm fürder zu gehn; Mit Leitern, Stahl und Seilen wird kühn ein Pfad gebahnt:

Wo Maxens Fußtritt strauchelt, stützt ihn des RetterS Hand. Der lädt ihn auf den Rücken, wo Klüfte schwindelnd drohn;

Wohl sind der Treue Schultern des Fürsten schönster Thron. Rasch geht's zu Thal, wo jauchzend Tyrol empfängt die zwei; Kein Spötter kann belächeln die seltne Reiterei. Wohl kündet unS die Sage aus grauer Ahnenzeit Von einem Himmel-boten, der schützend ihn befreit; Ja wohl, ein Engel war es, ein Schutzgeist, stark und kühn. Des treuen Volkes Liebe, so nennt zu deutsch man ihn. Ein Kreuz auf hohem Felsen blickt nieder in das Land Und zeigt den Ort, wo bebend einst Habsburgs Sprosse stand; Noch lebt die edle Kunde und jubelt himmelwärts Aus manches Sängers Munde durch aller Tyroler Herz.

Deutscher Brauch. Zur Gruft sank Kaiser Friedrich.

Gott geb' ihm sanfte Ruh!

Max faßt' sein gülden Szepter. Ei, Sonnenaar, Glück zu! Zu WormS nun hielt er Reichstag. Auf, Fürstenschaar, herbei, Zu rathen und zu fördern, daß Recht und Licht gedeih'!

Einst in dem dumpfen Rathsaal sprang Max empor in Hast, Der Staub der Pergamente nahm ihm den Odem fast; Die spitzen, klugen Reden, die machten toll ihn schier,

Da rief er seinen Narren: „Freund Kunze, komm mit mir!"

256

Epische Poesie. Den Treuen liebt' er vor allen, wohl einem Gärtner gleich, Der jeden Baum mit Liebe pflegt in dem Gartenreich, Doch einen sich erkoren, in dessen Schattenhut

Nach schwüler Tagesmüh' er am liebsten abends ruht. Es wallten nun die beiden die Straßen ein und aus, Dort auf dem großen Marktplatz sahn sie ein stattlich Haus;

Da rief der Kunz: „Mein König, schließt eure Augen schnell! Denn, traun, schon las manch einer sich blind an dieser Stell'. Französisch ist's; ihr wißt ja, wie's Frankreichs Söhne treiben,

Die anders schreiben als sprechen und anders lesen als schreiben Und anders sprechen als denken und anders setzen als singen, Die groß in allem Kleinen und klein in großen Dingen."

Ein RitterSmann auS Frankreich wohnt in dem stolzen HauS, Sein Wappenschild, hellglänzend, hängt hoch zur Pfort' heraus; Mit Schnörkelzügen zierlich in blankem Goldesschein Schrieb rings ums bunte Wappen er diese Worte ein:

„Erst Gott zum Gruß, wer'S liefet! Auf, Deutscher, kühn und werth.

Hier harrt ein Schild des deinen, wenn kampfesfroh dein Schwert, Und magst du mich bezwingen nach Ritterbrauch und Recht, Will ich mich dir verdingen als letzter Rüdenknecht." Ernst schritt der König fürder; doch an des Ritters Schild Hängt bald ein Edelknappe der Habsburg Wappenbild;

Und mit dem Frühroth harrend auf sand'gem Kampfesrund, Der König gegenüber dem fränk'schen Ritter stund. Und höher stieg die Sonne; der Franzmann lag im Sand, DaS Siegesschwert, hellleuchtend, ragt hoch in Maxens Hand. „So schlägt ein deutscher Ritter!" Er sprach's und stand verklärt Wie Sankt Michael, der Sieger, mit seinem Flammenschwert. „Ihr habt euch mir ergeben als letzter Rüdenknecht, Wohlan, ihr sollt erfahren nun meines Amtes Recht!"

Sein Schwert nun schwang er dreimal. „Steht auf, mein Ritter werth! So schlägt ein deutscher König, seid brav wie euer Schwert!" Singt's allem Land, ihr Sänger, des Fürsten That und Wort, Neigt euer Schwert, ihr Ritter, vor eures Kaisers Hort,

Bekränzt des Siegers Schläfe, ihr schönsten deutschen Fraun! Jauchzt auf, ihr deutschen Herzen, in allen deutschen Gaun! Viel saft'ge Trauben schwellen ringsher um Worms am Rhein,

„Milch unsrer lieben Frauen", so heißt dort jener Wein;

Saugt jene Milch, ihr Greise, sie macht euch wieder zum Kind, O Herr, gieb unsrem Lande viel Milch, so süß und lind! AuS Goldgefäßen quoll sie an Maxens Abendtisch Gleichwie aus goldnen Eutern, so labend, klar und frisch;

Wie zecht an MaxenS Seite der fränk'sche RitterSmann! Wie wärmend da der Glühborn durch Kunzens Kehle rann! Der Franzmann hob den Becher, begeistert flammt sein Blut. „Heil, Max, dir, edler Deutscher, so bieder und so gut!"

EpoS. „Hoho!" rief Kunz halb grimmig, „jetzt bindet mit mir an, Wer auf dies Wohl herzinn'ger und besser trinken kann!" Wie Schilde klangen die Becher zusammen jetzt mit Macht, Die Blicke blitzten genüber wie Lanzen in der Schlacht.

Wer fiel, wer stand int Wettkampf, wohl kam es nie ans Licht; Frug man am Morgen die beiden, sie wußten's selber nicht.

Max und Dürer. Fürst, Troßbub', Ritter, Gauner durchwimmelnd Augsburgs Straßen,

Im Saal die Rathsherrn zankend und zankend Volk auf den Straßen, Hier doppelt volle Schenken, doch Armuth rings im Land! Wie mögt ihr solche- heißen? Reichstag war's deutsch genannt.

Max sah vom Fenster düster inS tolle Gewühl hinein, Da trat in schlichtem Wamse ein Mann gar schüchtern ein.

„Gott grüß' dich, Meister Dürer!" rief Max so freudig schnell, „Wie kommt die Kunst zum Reichstag, nach Babel mein Apell?"

„Nur eine Gnade wollt' ich, o Herr, von euch erflehn," Erwidert drauf der Meister, „laßt freundlich es geschehn!

Ach, gerne malt' ich einmal noch euer Konterfei, Hellstrahlend wie sein Urbild, doch auch so wahr und treu." Da faßte sanft der Kaiser deS Künstlers Hand gerührt. „Bei mir ist's Abendroth schon; drum, eh' es Nacht ganz wird, Willst du die Landschaft zeichnen, vom Spätlicht karg verklärt!

Gelt, Freund, so ist's gemeinet? Wohlan, gern sei's gewährt!" Der Maler nimmt den Pinsel, Leinwand und Farbenschrein. „Noch bitt' ich eins, mein Kaiser, seht nicht so finster drein." Starr auf die graue Leinwand ist MaxenS Blick gebannt. „Ich denk' an Staub und Asche, auch grau wie diese Wand." Der Maler zeichnet weiter, Mund, Wange, Ras' und Blick, Der Kaiser sinkt vor Lachen jetzt in den Stuhl zurück. „Hoho, da droht sie wieder, als ob sie der Spiegel wie-, Die ungeheure Nase, die sich so oft schon stieß!" Und Färb' auf Färb' entlodert wie Frühlingsblütenglanz, Und Leben, Frühlingsleben, durchschwillt den Farbenkranz, Aufblüht' die Färb', umkosend als Lächeln hier den Mund, Als Ernst gar finster thronend dort auf dem Stirnenrund. Seht da den ganzen Menschen, dies alte, treue HauS. Schmerz sieht zum einen Fenster wehmüth'gen Blicks hinaus. Die Freude steht am andern und nickt und läcbelt mild,

Nur hängt an diesem Hause die Kron' als Aushängschild.

„Leb' wohl nun, Bruder Albrecht, ja Bruder nenn' ich dich; Ein König heiß' ich, König bist du so gut als ich; Ein Stückchen Gold mein Szepter, mein Reich ein Stück grün Land, Dein Szepter Stift und Kohle, dein Reich die Leinewand.

Die Heere bunter Farben sind Unterthanen dir,

Wohl treuer dir ergeben, traun, als die meinen mir! Di e r.

5.

Das Gesicht des Arsenins.

Arsenins hört' eine Stimm' ihm rufen: „Komm, und ich will der Menschen Thun

Ansprengen gegen eines Tempels Thor. Umsonst! Anrennend mit den Balken, prallten Sie stets zurück und blieben ewig draußen. dir zeigen!" Der Klausner ging hinaus zum ersten Da sprach Arsenins: „Herr, deute mir, WaS ich gesehn!" Und dieses war die Deu­ Mal; Und einen Mohren sah er, welcher, emsig tung: Holz hackend, einen schweren Bündel häufte, Der Mohr, der immerfort sein Bündel Und da er ihn zu heben nicht vermochte, Ihn immerfort mit neuen Scheitern mehrte. Das Der Klausner ging hinaus zum andern

ist der Mensch,

häuft, der manche Sünde

that, Und weil er solche abzuthun verzweifelt. Mal, Und einen Menschen sah er, welcher Waffer Die alte Sünde stets mit neuer häuft. AuS einem Teich in eine löchrige Der Thor, der Wasser schöpft wie in ein Zisterne goß. Verloren war die Mühe: Sieb, Das Waffer floß zurück, der Teich blieb immer DaS ist der Mensch, der Gutes thut, doch Gefüllt und immer die Zisterne leer. immer

Der Klausner ging hinaus zum dritten Dazwischen mehr des Bösen. Mal Und sah gestreckten Laufs zwei trotz'ge Reiter- Und Mil starken, in die Quer gelegten Balken

Müh' und Ar­

beit auch des Guten Frucht verliert solcher.

ein

Allegorie, P arabel und Paramythie. Die tollen Reiter, die mit Unverstand

365

Des Himmels zu erstürmen drohn! Umsonst!

DaS Thor zu sprengen meinen, daS sind die, ES öffnet sich daS diamantne Thor Die mit Gewalt und Übermuth die Burg Der Demuth nur, dem Glauben und der Liebe. ______________

6.

Kosegarten.

Salomon und der Säemann.

Im Feld der König Salomon Schlägt unterm Himmel auf den Thron; Da sieht er einen Säemann schreiten,

Der Säemann, seinen Arm gesenkt, Unschlüssig steht er still und denkt;

Dann fährt er fort, ihn rüstig hebend. Der Körner wirst nach allen Seiten. Dem weisen König Antwort gebend: „Was machst du da?" der König spricht; „Ich habe nichts als dieses Feld, „Der Boden hier trägt Ernte nicht.

Geackert hab' ich's und bestellt.

Laß ab vom thörichten Beginnen, Du wirst die Aussaat nicht gewinnen!"

Was soll ich weiter Rechnung pflegen? DaS Korn von mir, von Gott der Segen!" Rückert.

c.

Die Paramythie.

Die Paramythie (eigentlich „nach Art des Mythos"), eine Abart der Parabel, bezweckt wie diese die Versinnlichung einer höheren Wahrheit, bedient sich aber zur Er­ reichung dieses Zweckes höherer, besonders göttlicher Wesen der Mythologie oder des christ­

lichen Glaubens.

1.

Die Schutzwehr.

Als die Natur die lieblichste der Blumen, die Rose, durch ihren allmächtigen SchöpfungShauch hervorgebracht hatte, da sprach der Geist des Rosenstrauches zu dem Engel der Blu­ men: „Wirst du denn nicht auch dem edlen Gewächs eine Schuhwehr verleihen, die gegen Verletzung und Frevel sie sichere? Gab doch die Natur dem Dornbusch die großen und spitzigen Stacheln!" „Der Dornbusch," antwortete der Engel der Blumen, „gehört nicht zu den Edlen, sondern zu den Dienern im Reiche der Schöpfung. Seine Bestimmung ist, die zarten Gewächse gegen daS vernunftlose Thier zu beschützen, und dazu verlieh die Natur ihm die spitzigen Stacheln. Doch soll dein Wunsch dir gewährt werden!" So sprach er und umgab die Rosenstaude mit zarten Stacheln! Da sagte der Geist der Rose: „Wozu sollen diese zarten Spitzen? Sie werden die herrliche Blume nicht schirmen!" Ihm antwortete der Engel der Blumen:

„Sie sollen auch nur der unbesonnenen Hand deS

Kindes wehren! Den Frevel würde der Widerstand nur noch stärker anlocken. DaS Heilige und Schöne hat seinen Schutz in sich selber; darum verlieh die Natur ihm die zarteste

Schutzwehr, die nur warnt, nicht aber verwundet.

Denn zu dem Schönen darf nur das

Zarte sich gesellen!"

So verlieh sie der Unschuld die Schamhaftigkeit und das Erröthen. K r u m m a ch e r.

2.

Davids Harfe.

Eines Tages saß David, der König von Israel, auf der Höhe von Sion; seine Harfe ruhete vor ihm, und er lehnte sein Haupt auf die Harfe. Gad zu ihm und sprach: „Wem sinnest du nach, mein König?"

sprach: „Meinem ewig wechselnden Schicksal.

Da trat der Prophet David antwortete und

Wie viel Dank- und Freudengesäuge, aber

Epische Poesie.

366

auch wie viele Trauer- und Klagelieder hab' ich dieser Harfe gesungen!" der Harfe," sagte der Prophet. „Wie meinest du?" fragte der König.

„Sei du gleich „Siehe," ant­

wortete der Mann GotteS, „dein Schmerz, wie deine Freude entlockte der Harfe himmlische Töne und beseelte die Saiten: so bilde Leid und Freude dein Herz und Leben zur himm­ lischen Harfe." Da erhob sich David und griff in die Saiten.

3.

Krumm ach er.

Zeus und das Schaf.

Vollendet hatte ZeuS daS SchöpfungSwerk. Leicht kräuselt sich der Wolle weißes Vließ In taufen Löckchen um den runden Leib.

Auf seiner Tatze lag der Löw' und schlief.

So stehest du in Unschuld schön. Getrost! Der Elephant hob drohend seinen Rüffel, Ein höher Herz nimmt deiner wohl sich an." Ein Eber wetzte seinen Zahn, der Stier WieS seine- HorneS Kraft mit wildem Blick, So sprach der Wesen Vater. Sieh', eS kam Sie sahn daS Rings um den Igel starrt' ein Stachelwald. DaS erste Menschenpaar. Nur flehend hob das neugeborne Lamm Lamm Den Blick zu Jovis Thron.

„WaS fehlet Und trugen eS auf sanftem Arm zur Hütte, Bereiteten ein Lager ihm und sagten: dir?" Sprach Vater ZeuS, „du scheinst zu klagen; „DaS hat gewißlich Zeus uns zugedacht, Drum hat er ihm die Unschuld angebildet." rede!" So ward der Mensch des LammeS Schirm Da sprach daS fromme Lamm: „WaS soll mich schützen? und Wehr. Nur mir allein ward keine Waff' und Wehr." Der Menschenunschuld Schirm und Wehr ist

„In deinen Augen ruht der Unschuld Blick;

Gott. K r u in m a ch e r.

12.

Das Kathsel.

Das Räthsel gehört gewissermaßen zur Allegorie und ist nur dann zur Poesie zu rechnen, wenn eS nicht blos die poetische Ferm an sich trägt, sondern auch durch

sinnige Behandlung seine- Gegenstandes daS Gemüth ergreift.

Es umschreibt den Gegen­

stand, indem eS interessante Merkmale desselben anführt. Behält es dabei das ganze Wort im Auge, so ist eS daS Räthsel im engeren Sinne, während die Charade, das Silbenräthsel, dasselbe in seine Silben zerlegt, also eigentlich eine Verkettung mehrerer Räthsel ist.

DaS Räthsel wird im besonderen Logogryph genannt, wenn daS zum Räthsel

benutzte Wort durch Wegnahme einzelner Buchstaben ein neues Wort giebt, Homonyme,

wenn dasselbe Wort einen Doppelsinn bietet, Palindrom, wenn dasselbe Wort, vor­

wärts und rückwärts gelesen, als Rathselwort benutzt ist, und Anagramm, wenn die versetzten Buchstaben deS Räthselwortes ein neues zum Räthsel benutztes Wort ergeben.

Räthsel.

1.

Räthsel.

367

DeS SängerS vermähl' ich die Harmonie.

Ein Zeichen hinweg noch, und Leben entquillt. Kennst du daS Bild auf zartem Grunde? Wenn keimend die Kraft im Innern mir ES giebt sich selber Licht und Glanz; schwillt. Ein andres ist'S zu jeder Stunde, Körner. Und immer ist eS frisch und ganz. Im engsten Raum ist's auSgeführet,

Der kleinste Rahmen faßt eS ein; Doch alle Größe, die dich rühret.

Kennst du durch dieses Bild allein. Und kannst du den Krystall mir nennen? Ihm gleicht an Werth kein Edelstein;

Er leuchtet, ohne je zu brennen, DaS ganze Weltall saugt er ein. Der Himmel selbst ist abgemalet In seinem wundervollen Ring;

Und doch ist, waS er von sich strahlet,

Noch schöner, als was er empfing. Schiller.

2.

Charade.

In stiller Anmuth kommt's gezogen, Wie Rosenhecken blüht eS auf, Und durch des Äthers blaue Wogen

Steigt es mit goldner Pracht herauf. Kannst du des Räthsels Lösung finden?

Zwei Silben werden mir's verkünden. Wohl giebt es eine rnächt'ge Herde, Von keinem Sterblichen gezählt; Sie weidet herrlich, fern der Erde, Vom Glanz des ew'gen Lichts beseelt. Willst du der Lämmer Namen kennen? Die dritte Silbe wird ihn nennen. Am frühen Tag erscheint das Ganze Und steigt empor mit heiterm Sinn, Und in deS Morgens jungem Glanze

4.

Homonyme.

Wir sind'S gewiß in vielen Dingen, Im Tode aber sind wir's nicht;

Die sind'S, die wir zu Grabe bringen. Und eben diese sind es nicht. Denn weil wir leben.

Sind wir's eben Von Geist und Angesicht; Und weil wir leben, Sind wir's eben Zur Zeit noch nicht. Sch leier mach er.

5.

Palindrom.

Still empfangen im zarten Keime,

Tritt es hervor in des Himmels Räume, Formt sich zur blühenden, schönen Gestalt. Die Gottheit segnet's mit heiliger Weihe, Daß es im Drange der Zeiten gedeihe, Reife mit leiser, geheimer Gewalt. Endlich zwar muß eS verblühn und erkalten. Muß versinken zurück in die Nacht. Doch strahlt eS verjüngt durch deS Grabes Spalten Im neuen Frühling mit seliger Pracht. Liest man eS rückwärts: ein Kind der Erde, Umarmt eS die Mutter mit trüber Geberde, Still widerstrebend dem frühen Strahl.

Und wie an des Mädchens rosige Wangen Verkündet'S die Gebieterin Der Schleier sich schmiegt wie mit zartem Und folgt ihr nach durch alle Weiten. Verlangen, Sprich, kannst du nun das Räthsel deuten? So webt eS sich innig um Berg und Thal. Körner. Doch wächst nun mächt'ger die Flamme der

3.

Logogryph.

Sonnen, Dann flieht es zerstreut durch das bläuliche

Haus. Mein Ganzes webt sich mit stillem Ver­ So ist auch daS Räthsel zur Klarheit zer­ langen ronnen. Oft innig um rosige Mädchenwangen. Sprichst du der Deutung Zauberwort auS. Drei Zeichen hinweg, und der Phantasie Körner.

Epische Poesie.

368

6.

Der Räthselwann.

Macht er schöne, bunte Sachen; Alein ungeschickter Mensch Da runzelte der Räthselmann die Brauen Läßt er alle- mit sich machen." Und sprach daS Räthsel vom Grauen: Dann sprach er kecker „Wenn daS des Morgens angeglommen. DaS Räthsel „Lecker": Wird daS der Nächte dir benommen; „Wer eS ist, der ißt Doch daS des Lebensabends siehst du, Gern daS, was eS ist. Wenn daS ist auf dein Haar gekommen." Nennt mir'S, wenn ihr'S wißt!" Nun lächelt' er schlau Er war noch nicht am Ziel, Und sprach daS Räthsel vom Tau und Thau: Da er sprach das Räthsel vom Kiel: „AuS drei Theilen ist'S geflochten; „Sieh, welch ein Dreister Ist eS stark, so hält eS. Und Weitgereister! Doch es kommt ein Hauch dazwischen. Mit Vögeln fliegt er. Und vom Himmel fällt eS." Mit Schiffen kreist er; Dann sprach er wie zum Hohn Sodann beschreibend DaS Räthsel vom Ton und Thon: Die Welt dir weist er. „Mit drei Lauten schreibt man eS, Wenn auf den Blättern Daß ein Laut eS werde; Ihn lenkt ein Meister. Schieb einen vierten stummen ein, Den Westen kennt er, So wird's zu stummer Erde." Den Osten preist er; Dann bracht' er dar Mit Süd umglüht er, Das Räthsel vom Staar: Mit Nord umeist er. „Man läßt ihn sprechen. Bald rührt und schmelzt er, Man läßt ihn stechen; Bald scherzt und beißt er; ES ist ein Vogel Mit Wundern spielt er, Und ein Gebrechen." Mit Räthseln speist er. Dann gab er zu lesen Er schafft Gestalten DaS Räthsel vom verwesen: Und wecket Geister. „ES ist mehr als veralten Wenn eure wach sind, Und soviel als verwalten; So sagt, wie heißt er?" Es erhält uns die Güter Hier ward er unterbrochen, Und zerstört die Gestalten." Nun taucht' auS seiner Weisheit Meer als Vom Klatschen oder Pochen; Sonst hätt' er Jahr' und Wochen Insel In Räthseln fortgesprochen. DaS Räthsel vom Pinsel: Rudert. „In geschickter Künstlerhand

369

Lied.

n.

Die lyrische Dichtung.

a. Das Lied. Das eigentliche Lied.

1.

Daö Lied drückt in einer für den Gesang bestimmten Form die Empfindung aus, welche durch die Einwirkung irgendeines Ereignisses auf das Gemüth des Dichters erzeugt wird. Demnach wird es auch nur dann auf den Hörer wirken, wenn dessen Gemüth ganz ebenso gestimmt ist, wie das Gemüth des Dichters es war, als er seiner individuellen Em­

Je nach der Art der Empfindung, welche in dem Liede sich offen­ bart, nennen wir das Lied geistliches oder weltliches Lied. Unter Volksliedern

pfindung Ausdruck gab.

versteht man solche Lieder, welche im Volke die größte Verbreitung gefunden haben; sie

sind meist so sehr Eigenthum desselben geworden, daß der Name des Verfassers unbekannt geblieben ist.

«.

Geistliche Lieder.

1.

Gebet.

Herr, den ich tief im Herzen trage, Gieb deinen Geist zu meinem Liede, Sei du mit mir. Daß rein es sei, Du Gnadenhort in Glück und Plage, Und daß kein Wort mich einst verklage, Sei du mit mir! Sei du mit mir! Im Brand des Sommers, der dem Manne Dein Segen ist wie Thau den Reben; Die Wange bräunt, Nichts kann ich selbst; Wie in der Jugend Rosentage, Doch daß ich kühn daS Höchste wage. Sei du mit mir! Sei du mit mir! Behüte mich am Born der Freude O du mein Trost, du meine Stärke, Vor Übermuth, Mein Sonnenlicht, Und wenn ich an mir selbst verzage, Sei du mit mir!

Bis an das Ende meiner Tage Sei du mit mir! Geibel.

2.

Gebet um Frieden.

Du hoher Gott im Himmel,

Mach's gnädiglich mit mir! Es ruft aus dem Getümmel Dein armes Kind zu dir. Das treiben wilde Wellen

Nur einen treuen Rather

Weiß ich in solchem Streit: Das bist du, ew'ger Vater, So nahe und so weit.

Ich will dich liebend fassen,

Und treiben mit ihm Spiel.

Du bist eS, der mich hält;

Herr, laß mich nicht zerschellen,

Wirst mich ja nicht verlassen In dieser wüsten Welt.

Herr, weise mich zum Ziel!

Im mermann.

Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aufl.

24

Lyrische Poesie.

370

3.

Osterfest.

Das Osterfest, das ist das Fest der Freude; O Osterfest, du Fest der Freud' und Wonne! Da wird die Erde frei vom Winterkleide, O Jesu Christ, du ew'ge LebenSsonne, Da wacht die Knospe auf, mit frohem Leben Wie strahlest du in deinem Lichtgewande

Zum Licht zu streben.

Durch alle Lande!

Zu Ostern muß das Leben auferstehen;

Sonst sahn dich wen'ge nur im engen Kreise,

Denn dieses Fest hat sich der Herr ersehen, Jetzt bist du allen nah zu Gottes Preise

Daß seinen Sieg es soll durch Ewigkeiten Glorreich verbreiten.

Und zeigst uns mit verklärtem Angesichte Den Weg zum Lichte.

So wie die Welt vom Winterschlaf umwunden, O laß auch mich der kleinen Knospe gleichen. So lag auch er von kurzer Nacht gebunden; Die froh ersteht, wenn du das Lebenszeichen Dann brach er siegreich durch des Todes Ihr heimlich giebst! Laß, Herr, mich aufwärts

streben

Banden

Zum neuen Leben!

Und ist erstanden.

Agnes Franz.

____________

4.

Die Auferstehung. Der dunkle Weg, den er betrat, Geht in den Himmel auö,

Ich sag' es jedem, daß er lebt Und auferstanden ist. Daß er in unsrer Mitte schwebt

Und wer nun hört auf seinen Rath,

Kommt auch in Vaters Haus. Nun weint auch keiner mehr allhie,

Und ewig bei unS ist.

Ich sag' eS jedem, jeder sagt Es seinen Freunden gleich, Daß bald an allen Orten tagt

Wenn eins die Augen schließt; Vom Wiedersehn, spät oder früh,

Das neue Himmelreich. Jetzt scheint die Welt dem neuen Sinn

Erst wie ein Vaterland; Ein neues Leben nimmt man hin

Wird dieser Schmerz versüßt. Es kann zu jeder guten That Ein jeder frischer glühn; Denn herrlich wird ihm diese Saat In schönren Fluren blühn. Er lebt und wird nun bei uns sein, Wenn alles uns verläßt!

Entzückt auS seiner Hand. Hinunter in das tiefe Meer

Versank des TodeS Graun, Und jeder kann nun leicht und hehr In seine Zukunft schaun.

Und so soll dieser Tag uns sein Ein Weltverjüngungsfest. Novalis.

5.

Die sieben Tage der Woche.

Sprich, liebes Herz, in deines Tempels Und wie ich dienen soll mit rechten Sitten.

Zum vierten Tag: Du sollst mich nicht ver-

Mitten Für sieben Wochentage sieben Bitten. Zum ersten Tag: Laß deine Sonne tagen

In

meiner Woch',

in

lassen meines Tagwerks

Und Licht verleihn der Erd' und meinen Mitten! Schritten! Zum fünften Tag :O donnr'ins Herz mir deine Zum zweiten Tag: O laß nach dir mich Gebote, wann sie meinem Sinn entglitten! wandeln. Zum sechsten Tag: O laß mich freudig fühlen, Wie Mond der Sonne nach, mit leisen Tritten! Wodurch du mir die Freiheit hast erstritten! Zum dritten Tag: Lehr' deinen Dienst mich Zum siebenten: Die Sonne sinkt am Abend;

kennen,

O dürft' ich mir so hellen Tod erbitten! ____________

Rückert.

Lied.

371

6. Die Ehre Gottes aus der Natur. Die Himmel rühmen deS Ewigen Ehre,

Kannst du der Wesen unzählbare Heere,

Den kleinsten Staub sühllos beschaun? Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort. Ihn rühmt der Erdkreis, ihn Preisen die Meere; Durch wen ist alles? O gieb ihm

die

Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort! Ehre! Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne? Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun. Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Wer führt die Sonn' aus ihrem Zelt? Sie kommt und leuchtet und lacht uns von ferne Und läuft den Weg gleich als ein Held.

Vernimm's

und

siehe

die Wunder

Werke, Die die Natur dir aufgestellt! Verkündigt Weisheit und Ordnung

Erde; An meinen Werken kennst du mich. Ich bin's und werde sein, der ich sein werde,

der Dein Gott und Vater ewiglich. Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte, und Ein Gott der Ordnung und dein Heil.

Ich bin's! Mich liebe von ganzem Gemüthe Stärke Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt? Und nimm an meiner Gnade Theil! Gellert.

7. Gott im Ungewitter. Du Schrecklicher, wer kann vor dir Und deinem Donner stehn?

Der Herr ist groß; was trotzen wir?

Und, was um sie, erschüttert rund Und in der Tiefe lebt.

Den Herrn und seinen Arm erkennt

Er winkt, und wir vergehn.

Die zitternde Natur, Da weit umher der Himmel brennt

Er lagert sich in schwarzer Nacht; Die Völker zittern schon.

Und weit umher die Flur.

Geflügeltes Verderben wacht Um seinen furchtbar'« Thron. Rothglühend schleudert seine Hand Den Blitz aus finstrer Höh', Und Donner stürzt sich auf daS Land In einer Feuersee, Daß selbst der Erde fester Grund Vom Zorn des DonnerS bebt

Wer schützt mich Sterblichen, mich Staub, Wenn, der im Himmel wohnt Und Welten pflückt wie dürres Laub, Nicht huldreich mich verschont?

Wir haben einen Gott voll Huld, Auch wenn er zornig scheint; Er herrscht mit schonender Geduld,

Der große Menschenfreund! uz.

8.

V e r trauen.

Und wenn sie, wie sein Sturm sie schleu­ dert, wieder trauen, Ich will mein Heil auf diesen Felsen bauen; In ihrer Meere tiefste Tiefen nieder Auch in den nächsten, schrecklichsten Gefahren Sich wie Gebirge stürzen, will ich's wagen. Kann er bewahren. Nicht zu verzagen. Wo ich auch bin, will ich dem Herrn ver­

In seinen Donnern, in den Ungewittern,

Sei alles Sturm und Aufruhr und Ge­

Vor denen selbst der Welten Säulen zittern,

tümmel: Er schuf daS Meer, den Erdkreis und den Himmel; 24*

Und da, wo Bergen gleich empörte Wellen Zum Himmel schwellen,

Lyrische Poesie.

372

Was er gebeut im Himmel und auf Erden, Und ruft:

„Frohlockt mit mir dem Herrn,

ihr Brüder! Er ist der Herr des Meeres ; Gott ist Retter Zum Sturme spricht er: „Ruh'!" und Im Sturm, im Wetter! ruft der Stille: Das, daS muß werden!

„Komm' wieder!" Allgewaltig ist sein Wille; Sturm gehorcht, die Wogen sinken

Im Donner ist er's, und wenn Erd' und

Der

nieder

Und ruhen wieder. Wer taumelnd niedersank

Himmel Schon einzustürzen drohn, und im Getümmel Empörter Wogen! Gott, demHerrnderMeere,

und angstvoll

Sei Preis und Ehre!

klagte, Anbetung sei ihm! Auch in Ozeanen Den Abgrund offen sah und schon verzagte. Bahnt Menschen seine Güte sichre Bahnen. Frohlockt, belastet mit der Völker Segen, Frohlockt, frohlocket ihm! Dem Herrn der Dem Land entgegen Meere Und sinkt am friedevollen Ufer nieder

Sei Preis und Ehre!" Cramer.

9.

Zuflucht.

Der du mit Thau und Sonnenschein ernährst die Lilien auf dem Feld, Der du der jungen Raben nicht vergiffest unterm Himmelszelt, Der du zu Wasierbächen führst den Hirsch, der durstig auf den Tod, O gieb, du Allbarmherziger, auch unsrer Zeit, was ihr so noth! Um Frieden, Frieden flehen wir, nicht jenen, der deö Sturms entbehrt. Der sicher in der Scheide Haft gefesselt hält das scharfe Schwert,

Nein, um den Frieden in der Brust, benfd mitten in der Schlacht nicht graut. Weil auf den Felsen deines Worts mit festen Pfeilern er gebaut. Gieb uns die Hoffnung, Herr, zu dir, die nie zu Schanden werden läßt, Gieb uns die Liebe, die im Tod und überm Tode noch hält fest, Gieb uns den Glauben löwenstark, den Glauben, der die Welt bezwingt Und auf dem Scheiterhaufen noch dir helle Jubelpsalmen singt. Wohl sind wir sündig, arm und schwach und nimmer solcher Gnaden werth;

Doch du erbarmst dich, wo ein Herz voll Angst und Sehnsucht dein begehrt; So hör' uns denn gleich Israel, da er dich dringend hielt umfaßt: „Ich laß dich nicht, ich laß dich nicht, Herr, bis du mich gesegnet hast!"

Nein, du verstößest nimmermehr den, der da flüchtet in dein Haus, Zerbrichst nicht das geknickte Rohr und lösch'st den matten Docht nicht aus;

Die Arme thust du auf und sprichst auch zu den Herzen unsrer Zeit: „Kommt her zu mir, die ihr im Geist mühselig und beladen seid."

So kommt denn all', in deren Ohr die hohe Freudenbotschaft klang, Die einst den Hirten auf dem Feld der Chor der Engelsstimmen sang; Kommt! Süßer Frieden ist in ihm und Licht, das keinem Dunkel weicht,

Das Leben ist er, und sein Joch ist sanft, und seine Last ist leicht. Getbel.

Lied.

10. Es steht im Meer ein Felsen, Die Wellen kreisen herum:

373

Gottes Treue. ES zeucht einher ein Welter

Die Wellen brausen am Felsen;

Und raffelt am starken Baum: Zur Erde sinken wohl Blätter;

Doch fällt der Fels nicht um.

Doch eisern steht der Baum.

Ein Thurm ragt überm Berge Und schaut in das Thal hinab.

Steht fester denn Fels und Thurm

Die Winde rasen am Berge; Doch fällt kein Stern herab.

Des Höchsten ewige Treue

Und grünt und blühet aufs neue Und trotzt dem rasenden Sturm. Meyer.

11. Du süße, wahre Minne,

Geleite schwache Sinne: Bei deinem Anbeginne Hilf, Sohn, der Christenheit, Der, uns zum Heil gesendet. Der Erde Weh gewendet, Der Waisen Tröstung spendet, Hilf rächen dieses Leid! Erlöser aus den Sünden, Laß uns dein Reich begründen; Dein Geist mag uns entzünden, Wenn er uns reuig fand!

Kreuzlied. Dort ward das Kreuz dem Sohne, Als sich sein Leib ergab. Sein Geist mög' uns durchdringen, Daß wir die Völker zwingen. Die nie die Tauf' empfingen;

Nun schrecke sie der Stab,

Dem auch die Juden fallen; Man hört ihr Schrein erhallen, Manch Lob dem Kreuz erschallen. Erlösen wir das Grab! Gott sei mit uns im Bunde

Dein Blut hat uns begoffeu,

Und send' uns frohe Kunde In jener schweren Stunde,

Den Himmel aufgeschloffen. Nun löset unverdrossen Des Sohnes Heimatland! Verpfändet Gut und Leben, Gott wird uns Hülfe geben. Daß wir der Furcht entschweben

Da uns der Geist entgeht: Der Hölle Glutenwallen, Daß wir darein nicht fallen. Es ist wohl kund uns allen. Wie jämmerlich es steht DaS hehre Land, das reine,

Bor ew'ger Strafe Brand! Dies kurze Leben schwindet, Der Tod uns sündig findet:

So hülflos und alleine:

Wer sich zu Gott gesindet, Entgeht der Hölle Leid.

Die übermüth'gen Heiden An deiner Schmach sich weiden. Nun laß dich diese Leiden

Für Noth wird Gnad' ertheilet. Auf! Christi Wunden heilet,

Bereitet euch und eilet! Sein Land wird bald befreit. Du aller Frauen Krone,

Bist mit uns zweifelsohne;

Jerusalem, nun weine. Wie dein vergessen ist!

Erbarmen, Jesu Christ! Die Noth, womit sie ringen,

Die deinem Grab lobsingen.

Die möcht' auch uns bezwingen: Das wend' in kurzer Frist! Walther von der Vogelweide. Übersetzt von Simrock.

Lyrische Poesie.

374

12.

Via crucis. via lucis.

Und wenn das grause Dunkel Auch rings um dich die Schöpfung hüllt: Getrost! getrost! Auf mitternächtlich Dunkel Folgt Sonnenaufgang, lieb und mild. Durch Sturm zur Ruh'! Und wenn auch Erd' und Himmel Der Windsbraut donnernd Rad durchrollt: Getrost! getrost! Auf lautes Sturmgetüm­ mel Folgt linde Stille, leis' und hold. Durch Frost zum Lenz! Und wenn vor Eurus' Blasen Auch alles Mark der Erd' erstarrt: Getrost! getrost! Auf wildes Winterrasen Folgt Frühlingssäuseln, jung und zart. Durch Streit zum Sieg! Und wenn im Speergemenge Auch tausend Tode dich umdräun: Getrost! getrost! Auf heißes Schlachtgedräuge Folgt Siegsgeschrei und Friedensreihn. Durch Nacht zum Licht!

Durch Schweiß zum Schlaf! Und wenn die Mittagsschwüle Auch schwer ermattend auf dir liegt: Getrost! getrost! Bald weht die Abendkühle, Die dich in süßen Schlummer wiegt. Durch Kreuz zum Heil! Und wenn des Lebens Plagen Auch stark wie Riesen dich bedräun: Getrost! getrost! Auf jammervolles Klagen Soll Friede Gottes dich erfreun. Durch Weh zur Wonn'! Und weinst du auch am Morgen, Und weinst du auch um Mitternacht: Getrost! getrost! Laß nur den Vater sorgen, Der über dir im Himmel wacht. Durch Tod zum Leben! Durch die Thränenthale Der Erde, durch das Distelfeld DeS Lebens hoch hinauf zum großen Abend­ mahle, Zur Herrlichkeit der beffern Welt! K o s e ü a r t e n.

ß.

Vaterlands- und Heldenlieder.

1. Sehnsucht nach dem Vaterlande. Vaterland, auf deiner Erde Athm' ich leichter; wenn ich sie Wieder einst betreten werde, Vaterland, dann küff' ich sie!

Deine Nachtigallen schlagen Stärker ihren Nachtgesang.

Herz, beklommnes, hochbetrübtes. Schwimm' in Thränen! Strafe mich, Vaterland, o du geliebtes, Ach, warum verließ ich dich!

Schöner grün sind deine Felder, Deine Berge schöner blau, Schöner dunkel deine Wälder, Schöner perlenhell dein Thau!

Deine Kirchenglocken tragen Weiter ihren Silberklang;

Süßer labt dein Bach den Matten, Der an ihm sich niederließ; Und in deinem kühlen Schatten Schläft sich's, ach, so süß, so süß! Deine Sonne, wie so Helle Schien sie mir und nicht so heiß; Über meines Vaters Schwelle Ging ich noch so menschlich weiß. Diese brennt mich noch zur Kohle, Halb schon hat sie mich verbrannt! Ach, mit halbversengter Sohle Wandr' ich in mein Vaterland!

Gleim.

2.

An mein Vaterland.

Wie fern, wie fern, o Vaterland, Bist du mir nun zurück! Dein liebes Angesicht verschwand Mir wie mein Jugendglück!

Ich steh' allein und denk' an dich, Ich schau' ins Meer hinaus, Und meine Träume mengen sich Ins nächtliche Gebraus.

Lied. Und lausch' ich recht hinab zur Flut,

375 Der Bogel im Gezweige singt.

Ergreift mich Freude schier;

Wehmüthig rauscht der Hain,

Da wird so heimisch mir zu Muth,

Als hört' ich was von dir.

Und jedes Blatt am Baume klingt Und ruft: Gedenke mein!

Mir ist, ich hör' im Winde gehn Dein heilig Eichenlaub,

Still stand auf deinem Saum,

Wo die Gedanken still verwehn

Den süßen Stundenraub. Im ungestümen Wogendrang

Als ich am fremden Grenzefluß

Als ich zum trüben Scheidegruß Umfing den letzten Baum Und meine Zähre trennungsscheu

Braust mir dein Felsenbach, Mit dumpfem, vorwurfsvollem Klang

In seine Rinde lief: Gelobt' ich dir die ew'ge Treu'

Ruft er dem Freunde nach.

In meinem Herzen tief.

Und deiner Herden Glockenschall

Nun denk' ich dein so sehnsuchtschwer,

Zu mir herüberzieht

Wo manches Herz mir hold,

Und leise der verlorne Hall Bon deinem Alpenlied.

Und ströme dir ins dunkle Meer

Den warmen Thränensold. Lenau.

3.

Frühlingsgruß an das Vaterland.

Wie mir deine Freuden winken Nach der Knechtschaft, nach dem Streit! Baterland, ich muß versinken Hier in deiner Herrlichkeit. Wo die hohen Eichen sausen, Himmelan das Haupt gewandt. Wo die starken Ströme brausen, Alles das ist deutsches Land.

Anger, wo die Herde weidet, Hügel, wo man Trauben bricht. Vaterland, in tausend Jahren Kam dir solch ein Frühling kaum; Was die hohen Väter waren, Heißet nimmermehr ein Traum.

Liebessterne mild und hell. Niedersteigen will ich, strahlen

Aber einmal müßt ihr ringen Noch in ernster Geisterschlacht Und den letzten Feind bezwingen, Der im Innern drohend wacht: Haß und Argwohn müßt ihr dämpfen, Geiz und Neid und böse Lust; Dann nach schweren, langen Kämpfen

Soll von mir der Freudenschein

Kannst du ruhen, deutsche Brust.

In des Neckars frohen Thaten Und am silberblauen Main.

Segen Gottes auf den Feldern, In des Weinstocks heil'ger Frucht, Manneslust in grünen Wäldern, In den Hütten frohe Zucht;

Von dem Rheinfall hergegangen Komm' ich, von der Donau Quell,

Und in mir sind aufgegangen

Weiter, weiter mußt du dringen, Du mein deutscher Freiheitsgruß,

Sollst vor meiner Hütte klingen An dem fernen Memelfluß. Wo noch deutsche Worte gelten, Wo die Herzen, stark und weich, Zu dem Freiheitskampf sich stellten,

Ist auch heil'geS deutsches Reich. Alles ist in Grün gekleidet. Alles strahlt im jungen Licht,

In der Brust ein frommes Sehnen,

Ew'ger Freiheit Unterpfand; Liebe spricht in zarten Tönen Nirgends wie im deutschen Land.

Ihr in Schlösiern, ihr in Städten, Welche schmücken unser Land,

Ackersmann, der auf den Beeten Deutsche Frucht in Garben band,

Lyrische Poesie.

376

Nimmer wird daS Reich zerstöret.

Traute deutsche Brüder, höret Meine Worte alt und neu:

Wenn ihr einig seid und treu! _____ Schenkrndors.

Unsere Muttersprache.

4.

In den Reichthum, in die Pracht;

Muttersprache, Mutterlaut,

Ist mir's doch, als wenn mich riefen

Wie so wonnesam, so traut! Erstes Wort, das mir erschallet,

Väter aus des Grabes Nacht.

Süßes, erstes LiebeSwort,

Klinge, klinge fort und fort,

Erster Ton, den ich gelallet. Klingest ewig in mir fort.

Heldensprache, Liebeswort, Steig' empor aus tiefen Grüften, Längst verschollnes, altes Lied!

Ach, wie trüb' ist meinem Sinn, Wenn ich in der Fremde bin.

Leb' aufs neu' in heil'gen Schriften,

Wenn ich fremde Zungen üben.

Daß dir jedes Herz erglüht.

Fremde Worte brauchen muß, Die ich nimmermehr kann lieben, Die nicht klingen als ein Gruß!

Heilig ist wohl mancher Brauch; Aber soll ich beten, danken,

Überall weht Gottes Hauch,

Geb' ich meine Liebe kund, Meine seligsten Gedanken, Sprech' ich, wie der Mutter Mund! Schenkendes.

Sprache, schön und wunderbar, Ach, wie klingest du so klar! Will noch tiefer mich vertiefen

5.

In der Fremde.

Oft hab' ich dich rauh gescholten,

Muttersprache, so vertraut! Höher hätte mir gegolten Südlicher Sirenenlaut. Und nun irr' ich in der Ferne Freudenlos von Ort zu Ort

Such' ein Echo der Natur;

Und vernähn^ ach gar zu gerne! Nur ein einzig deutsches Wort. Manches regt sich mir im Innern, Doch wie schaff' ich hier ihm Luft?

6.

All mein kindliches Erinnern Findet in mir seine Gruft. Einsam schweif' ich in die Felder,

Aber Bäche, Winde, Wälder Rauschen fremd auf dieser Flur. Unverstanden, unbeachtet, Wie mein deutsches Lied verhallt. Bleibt es, wenn mein Busen schmachtet Und in bangem Sehnen wallt. ?L W. v. Schlcgel.

Deutschlands Ehre.

Heißt mich froh willkommen sein;

Noch begier'ger wird zu schauen.

Der euch Neues bringet, das bin ich; Eitle Worte sind's allein,

Dafür nehm' ich weder Gut, noch Gell. Was wollt' ich von den Süßen?

Die ihr noch vernahmt: jetzt fraget mich. Wenn ihr Lohn gewähret

Sie sind mir zu hehr: Drum bescheid' ich mich und bitte sie richts

Und den Sold nicht scheut. mehr. Will ich manches sagen, was die Herzen freut. Als daß sie mich freundlich grüßen. Seht, wie ihr mich würdig ehret! Lande hab' ich viel gesehn, Ich verkünde deutschen Frauen Nach dem Besten blickt' ich allerwärtS: Übel möge mir geschehn, Solche Dinge, daß sie alle Welt

377

Lied. Wenn sich je bereden ließ mein Herz,

Helf' mir Gott, so schwör' ich, sie sind bester

hier Daß ihm wohlgefalle Als der andern Völker Frauen. Fremder Lande Brauch: Züchtig ist der deutsche Mann, Wenn ich lügen wollte, lohnte es mir auch? Deutsche Frau'n sind engelschön und rein; Deutsche Zucht geht über alle.

Thöricht, wer sie schelten kann. Anders wahrlich mag es nimmer sein:

Bon der Elbe bis zum Rhein Und zurück bis an der Ungern Land Mögen wohl die besten sein, Die ich irgend auf der Erden fand.

Zucht und reine Minne,

Wer die sucht und liebt. Komm' in unser Land, wo es noch beide giebt;

Weiß ich recht zu schauen Schönheit, Huld und Zier,

Lebt' ich lange nur darinne! Walther von der Vogelweide. Übersetzt von Simrock.

W e h e l i e d.

7.

Stimmt an mit hellem, hohem Klang,

Stimmt an das Lied der Lieder,

Wir lieben deutsches Fröhlichsein

Und alte deutsche Sitten. Die Barden sollen Lieb' und Wein,

Des Vaterlandes Hochgesang! DaS Waldthal hall' ihn wieder!

Doch öfters Tugend Preisen Und sollen biedre Männer sein

Der alten Barden Vaterland,

Dem Vaterland der Treue, Dir, niemals ausgesungneS Land, Dir weihn wir uns aufs neue! Zur Ahnentugend wir uns weihn,

In Thaten und in Weisen. Ihr Kraftgesang soll himmelan

Zum Schutze deutscher Hütten;

Soll Freund und Bruder heißen!

Mit Ungestüm sich reißen, Und jeder echte deutsche Mann Claudiu,?.

8.

Den t s ch l a n d.

Zu welch hohem Heldenleibe Einer Riesin voller Mark Könntest du aus schwachem Weibe, Deutschland, wachsen groß und stark; Da vom Moder der Verwesung,

Wo du lägest schwer und tief, Gott zu plötzlicher Genesung Dich des neuen Lebens rief: Wenn nur auf dem Bau der Glieder Gleich ein kriegerisches Haupt

Oben wollte wachsen wieder, Das man dir im Schlaf geraubt! Wenn nur Glieder nicht, die kleinen, Statt ein Leib zu sein vereint, Selber Leiber wollten scheinen Oder gar dem Ganzen feind!

Zu welch hohem Heldenleibe Einer Riesin voller Mark Könntest du aus schwachem Weibe Wachsen, Deutschland, groß und stark! Rückert.

9. Das gegen Frankreich vereinigte Deutschland. Die Deutschen sind recht gute Leut', Sind sie einzeln, sie bringen's weit; Nun sind ihnen auch die größten Thaten

Zum ersten Mal im ganzen gerathen.

Ein jeder spreche Amen darein. Daß eS nicht möge das letzte Mal sein. Goethe.

Lyrische Poesie.

378

Ein Deutschland.

10.

Und hörst du daS mächtige Klingen Von der Ostsee bis über den Rhein, DaS Lied mit den sausenden Schwingen? Tief dringt es durch Mark und durch Bein ! Was brauchen wir weiter zu fragen? Die klopfenden Pulse, sie sagen: Es ist das Lied vom deutschen Vaterland. Ob Meer auch und alpige Halden Vielmarkig zertheilen die Flur, Ihr Banner viel' Fürsten entfalten: Ein Deutschland an Herzen ist's nur!

11.

Rinne.

Der Rhein.

Wo solch ein Feuer noch gedeiht Und solch ein Wein noch Flammen speit, Da kaffen wir in Ewigkeit Uns nimmermehr vertreiben. Stoßt an! stoßt an! Der Rhein, Und wär'ö nur um den Wein, Der Rhein soll deutsch verbleiben! Herab die Büchsen von der Wand, Die alten Schläger in die Hand, Sobald der Feind dem welschen Land Den Rhein will einverleiben! Haut, Brüder, muthig drein! Der alte Vater Rhein, Der Rhein soll deutsch verbleiben! Das Recht und Link, das Link und Recht, Wie klingt es falsch, wie klingt es schlecht! Kein Tropfen soll, ein seiger Knecht, Des Franzmanns Mühlen treiben.

12.

Wohin sich der Sinn uns auch wende, Millionen, sie schlingen die Hände Zum großen Bund dem ein'gen Vaterland. Von Saaten die Thäler sich regen, Bon Reben die Bergwand erglüht. Ein Gut ist's, das alle wir Pflegen, Daö ewig dem Geiste erblüht: Die Freiheit in sonniger Weihe! Kein Deutschland, es sei denn das freie! Hoch, hoch das freie deutsche Vaterland!

Stoßt an! stoßt an! Der Rhein, Und wär's nur um den Wein, Der Rhein soll deutsch verbleiben! Der ist sein Nebenblut nicht werth, Das deutsche Weib, den deutschen Herd, Der nicht auch freudig schwingt sein Schwert, Die Feinde aufzureiben. Frisch in die Schlacht hinein! Hinein für unsern Rhein! Der Rhein soll deutsch verbleiben! O edler Saft, o lauter Gold, Du bist kein ekler Sklavensold! Und wenn ihr Franken kommen wollt, So laßt euch vorher schreiben. Hurrah! hurrah! Der Rhein, Und wär's nur um den Wein, Der Rhein soll deutsch verbleiben! Herwegh.

Der deutsche Rhein.

Sie sollen ihn nicht haben, Den freien, deutschen Rhein, Ob sie >ie gier'ge Raben Sich heiser danach schrein. So lang' er, ruhig wallend, Sein grünes Kleid noch trägt, So lang' ein Ruder schallend Noch seine Woge schlägt! Sie sollen ihn nicht haben, Den freien, deutschen Rhein,

So lang' sich Herzen laben An seinem Feuerwein; So lang' an seinem Strome Noch fest die Felsen stehn, So lang' sich hohe Dome In seinem Spiegel sehn! Sie sollen ihn nicht haben, Den freien, deutschen Rhein, So lang' dort kühne Knaben Um schlanke Dirnen frein;

Lied. So lang' die Flosse hebet

379 Sie sollen ihn nicht haben,

Ein Fisch auf seinem Grund, So lang' ein Lied noch lebet

Den freien, deutschen Rhein,

In seiner Sänger Mund.

Des letzten Manns Gebein.

Bis seine Flut begraben Becker.

13. Freiheit, die ich meine. Die mein Herz erfüllt. Komm' mit deinem Scheine, Süßes Engelbild! Magst du nie dich zeigen Der bedrängten Welt? Führest deinen Reigen

Nur am Sternenzelt?

Auch bei grünen Bäumen In dem lust'gen Wald, Unter Blütenträumen Ist dein Aufenthalt. Ach, daS ist ein Leben,

Wenn es weht und klingt, Wenn dein stilles Weben Wonnig uns durchdringt, Wenn die Blätter rauschen Süßen Freundesgruß, Wenn wir Blicke tauschen, LiebeSwort und Kuß. Aber immer weiter Nimmt das Herz den Lauf, Auf der Himmelsleiter

Steigt die Sehnsucht auf. Aus den stillen Kreisen Kommt mein Hirtenkind, Will der Welt beweisen. Was es denkt und minnt.

Blüht ihm doch ein Garten, Reift ihm doch ein Feld Auch in jener harten, Steinerbauten Welt.

Freiheit. Wo sich Gottes Flamme

In ein Herz gesenkt.

Das am alten Stamme Treu und liebend hängt, Wo sich Männer finden, Die für Ehr' und Recht

Muthig sich verbinden, Weilt ein frei Geschlecht. Hinter dunklen Wällen,

Hinter eh'rnem Thor Kann das Herz noch schwellen Zu dem Licht empor. Für die Kirchenhallen, Für der Väter Gruft, Für die Liebsten fallen, Wenn die Freiheit ruft. Das ist rechtes Glühen Frisch und rosenroth!

Heldenwangen blühen Schöner auf im Tod. Wollest auf uns lenken Gottes Lieb' und Lust, Wollest gern dich senken In die deutsche Brust! Freiheit, die ich meine,

Die mein Herz erfüllt, Komm' mit deinem Scheine, Süßes Engelbild! Freiheit, holdes Wesen,

Gläubig, kühn und zart, Hast ja lang' erlesen Dir die deutsche Art. Schenkendorf.

14. Die Fünf des ersten Freiheitskämpfer Deutsche Zecher, hebt die Becher, Martin Luther lebe hoch!

Deutsche Zecher, hebt die Becher!

Lebe Meister Philipp hoch!

Als sie hart uns unterjochten,

Was der Martin groß begonnen,

Da hat er es durchgefochten. Er hat Deutschland frei gemacht.

Hat der Philipp wohl durchsonnen Und in rechten Schick gebracht.

Lyrische Poesie.

380 Deutsche Zecher, hebt die Becher! Ritter Ulrich lebe hoch!

Deutsche Zecher, hebt die Becher!

Kann das Wort nicht länger frommen, Muß eS zu dem Schwerte kommen: Ritter Ulrich Hutten hoch! Deutsche Zecher, hebt die Becher!

Auch HanS Sachs vergesset nicht! Der manch heitern Schwank gesungen, Hat auch tapfer mitgerungen, Als es Freiheit galt und Licht. Amen! Amen! Gottes Namen Loben wir, wie allezeit;

Meister Albrecht Dürer hoch! Der hat deutsche Kunst gegründet

Gott hat unS die Fünf gegeben; Deutsches Volk soll fröhlich leben. Noch viel' tausend Jahr' wie heut!

Und vor aller Welt verkündet. Daß uns welsches Zeug nicht noth.

Gtesebrecht.

15.

HeU Friedrich.

Held Friedrich zog mit seinem Heer

Ob auch die Welt send't Schaar auf Schaar,

In Feindesland die Kreuz und Quer.

Das macht dem Fritz kein graues Haar.

Prinz Karl kommt wie ein Löwe schnell, Dem gerbt bei Frjedberg er das Fell. Drob dringt der Franzmann übern Rhein Dem tapfren Fritz ins Land hinein; Held Friedrich aber ist nicht faul Und schlägt bei Roßbach ihn aufs Maul. Von Norden stürzt der Bär dann her Und tobt und brummt und mault gar sehr. Held Friedrich lacht und haut, pardauz!

Auf alle fährt er wie ein Blitz; So macht es unser alter Fritz!

Dem Meister Braunpelz auf die Schnauz'. Da kommt auch gar der Schwede noch Und sinnt für Friedrich Schmach und Joch; Dem wäscht er aber bald den Kopf Und schickt ihn heim mit einem Zopf.

Und beißen soll er rheinisch Kraut. DeS Rheines Reben feur'ge Glut

Drum denken wir, wir wollen auch Stets üben Friedrichs guten Brauch: Der Preußen Schwert sei wie ein Blitz, Wie's war beim alten Vater Fritz. Und fällt's dem Franzmann wieder ein, Zu kommen an den deutschen Rhein, Dann brennen wir ihm auf die Haut,

Wächst nur für echtes deutsches Blut;

Doch lüstert'S ihn nach unserm Wein, Er komme nur, wir schenken ein. Firmenich.

16.

Zur Feier des 18. Oktober.

Sei hoch uns gefeiert, der Deutschen Tag, Hoch steige die flammende Säule empor Du Tag des Siegs, der Befreiung! Und strahle am Himmelszelt wieder; Du tilgtest die lange, die blutige Schmach, Gern schaut ja der ewigen Sterne Chor Des deutschen Bodens Entweihung! Auf freie Gefilde hernieder; Du brachst der Fremdlinge Stolz und Glück, Und ohne Erröthen zum Himmel kann Und auf Flügeln deö Siegs kam die Freiheit Den Blick aufheben der deutsche Mann. Und den Edlen Preis, die mit freudigem Muth zurück. Drum laßt uns auf luftigen Höhen die Glut Den Tod fürs Vaterland fanden! AuS ihrer Asche, aus ihrem Blut Der jauchzenden Flammen entzünden, Daß sie Thälern und Hügeln der Deutschen Ist Freiheit und Sieg unS erstanden,

Und sie schauen nun lächelnd vom Himmel herab, Muth, Denn freie Brüder bekränzen ihr Grab. Der Deutschen Stärke verkünden; Und daß fürder möge das theure Land Denn es hat sich ihr Arm, es hat sich ihr Schwert Der Väter herrlich unS blühen, So herrlich im Völkerkampfe bewährt.

Lied.

381

Geloben wir heut' mit dem Druck der Hand, Und schwören, zu wahren das deutsche Blut

Und die deutsche Treue, den deutschen Muth. ____________ Hey.

Für der Väter Sitte zu glühen.

17.

Scharnhorst. „Grüß' euch Gott, ihr theuren Helden!

In dem wilden Kriegestanze

Brach die schönste Heldenlanze,

Kann euch frohe Zeitung melden:

Preußen, euer General. Lustig auf dem Feld bei Lützen

Unser Volk ist aufgewacht! Deutschland hat sein Recht gefunden!

Sah er Freiheitswaffen blitzen,

Schaut, ich trage Sühnungswunden

Doch ihn traf der Todesstrahl. „Kugel, raffst mich doch nicht nieder?

Aus der heil'gen Opferschlacht!"

Dien' euch blutend, meine Brüder! Bringt in Eile mich nach Prag: Will mit Blut um Östreich werben;

Heer, aus seinem Geist geboren,

Jäger, die sein Muth erkoren. Wählet ihn zum Feldgeschrei! Zu den höchsten Bergesforsten,

Jst's beschlossen, will ich sterben,

Wo Schwerin im Blute lag." Arge Stadt, wo Helden kranken,

Wo die freien Adler horsten, Hat sich früh sein Blick gewandt; 9Zm‘ dem Höchsten galt sein Streben,

Heil'ge von den Brücken sanken. Reißest alle Blüten ab; Nennen dich mit leisen Schauern, Heil'ge Stadt! Zu deinen Mauern Zieht uns manches theure Grab.

9Zur in Freiheit konnt' er leben,

Scharnhorst ist er drum genannt. Keiner war wohl treuer, reiner, Näher stand dem König keiner,

Aus dem irdischen Getümmel Haben Engel in den Himmel Seine Seele sanft geführt Zu dem alten deutschen Rathe, Den im ritterlichen Staate Ewig Kaiser Karl regiert.

18.

Doch dem Volke schlug sein Herz! Ewig auf den Lippen schweben Wird er, wird im Volke leben, Besser als in Stein und Erz! Schenkendors

Blücher am Rhein.

Die Heere blieben am Rheine stehn: Soll man hinein nach Frankreich gehn? Man dachte hin und wieder nach, Allein der alte Blücher sprach:

„Generalkarte her! Nach Frankreich gehn, ist nicht so schwer. Wo steht der Feind? " „Der Feind? dahier!"

19.

Solches hat er dort verkündet, Und wir alle stehn verbündet, Daß dies Wort nicht Lüge sei!

„Den Finger drauf! Den schlagen wir! Wo liegt Paris?" „Paris? Dahier!" „Den Finger drauf! Das nehmen wir! Nun schlagt die Brücken übern Rhein,

Ich denke, der Champagnerwein Wird, wo er wächst, am besten sein!" Kopisch.

Am dritten September 1870.

Nun laßt die Glocken von Thurm zu Thurm Durchs Land frohlocken im Jubelsturm!

Des Flammenstoßes Geleucht' facht an! Der Herr hat Großes an uns gethan.

Ehre fei Gott in der Höhe!!

Es zog von Westen der Unhold aus, Sein Reich zu festen in Blut und GrauS;

Mit allen Mächten der Höll' im Bund, Die Welt zu knechten, daS schwur sein Mund.

Furchtbar dräute der Erbfeind!

Lyrische Poesie.

382

Vom Rhein gefahren kam fromm und stark Mit Deutschlands Schaaren der Held der Mark; Die Banner flogen, und über ihm In Wolken zogen die Cherubim. Ehre sei Gott in der Höhe! Drei Tage brüllte die Völkerschlacht, Ihr Bluthauch hüllte die Sonn' in Nacht; Drei Tage rauschte der Würfelfall, Und bangend lauschte der Erdenball; Furchtbar dräute der Erbfeind. Da hub die Wage des Weltgerichts Am dritten Tage der Herr des Lichts Und warf den Drachen vom güldnen Stuhl

Mit Dounerkrachen hinab zum Pfuhl! Ehre sei Gott in der Höhe! Nun bebt vor Gottes und Deutschlands Schwert Die Stadt des Spottes, der Blutschuld Herd; Ihr Blendwerk lodert, wie bald! zu Staub Und heimgefodert wird all ihr Raub. Nimmermehr dräut uns der Erbfeind. Drum laßt die Glocken von Thurm zu Thurm Durchs Land frohlocken im Jubelsturm! DeS Flammenstoßes Geleucht' facht an! Der Herr hat Großes an unS gethan. Ehre fei Gott in der Höhe! Geibel.

KrregSlieder.

1. Morgenlied. Sei gegrüßt, du hohe, Lichte Sonnenbahn! Jubelt laut: der frohe Morgen bricht heran! Seht, die Firnen glühen Freiheitsflammenpracht, Seht, die Blumen blühen. Aus dem Schlaf erwacht! Seht, die Fahnen wehen Deutscher Herrlichkeit, Seht, die Männer stehen Muthig, kampfbereit! Auf den Hellen Wangen Freiheitsmorgenroth;

3. Erhebt euch von der Erde, Ihr Schläfer, aus der Ruh': Schon wiehern unS die Pferde Den guten Morgen zu. Die lieben Waffen glänzen So hell im Morgenroth; Man träumt von Siegeskränzen, Man denkt auch an den Tod. Du reicher Gott, in Gnaden Schau her vom blauen Zelt:

Seine Rosen prangen Schön noch selbst im Tod. Und die Hörner schmettern, Lieder jauchzen drein: Fort, auf Flammenwettern In die Schlacht hinein! Losung ist die Freiheit, Vaterland und Recht; Diese heil'ge Dreiheit Schützt uns im Gefecht. Deutschland, darfst nicht sorgen, Bald ist's ja gethan, Und dein großer Morgen Glanzvoll bricht heran. 0

Soldaten-Morgenlied. Du selbst hast uns geladen In dieses Waffenfeld. Laß uns vor dir bestehen, Und gieb uns heute Sieg! Die Christenbanner wehen; Dein ist, o Herr, der Krieg. Ein Morgen soll noch kommen, Ein Morgen mild und klar, Sein harren alle Frommen, Ihn schaut der Engel Schaar.

Köhler.

Lied. Bald scheint er sonder Hülle

383

Und Ruhe nach den Stürmen Und Lieb' und Lebenslust!

Auf jeden deutschen Mann; O brich, du Tag der Fülle, Du FreiheitStag, brich an!

ES schallt auf allen Wegen

Dann frohes SiegSgeschrei; Und wir, ihr wackern Degen,

Dann Klang von allen Thürmen

Und Klang aus jeder Brust

Wir waren auch dabei! Schenkendorf.

3.

Reiterlied.

Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd! aufs Er gräbt und schaufelt, so lange er lebt, Pferd! Und gräbt, bis er endlich sein Grab sich JnS Feld, in die Freiheit gezogen! gräbt. Im Feld, da ist der Mann noch was werth. Da wird das Herz noch gewogen. Da tritt kein anderer für ihn ein,

Der Reiter und sein geschwindes Roß,

Sie sind gefürchtete Gäste! Es flimmern die Lampen im Hochzeitschloß;

Auf sich selber steht er da ganz allein. Ungeladen kommt er zum Feste! Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist, Er wirbt nicht lange, er zeiget nicht Gold: Man sieht nur Herren und Knechte; Im Sturm erringt er den Minnesold. Die Falschheit herrschet, die Hinterlist Warum weint die Dirn' und zergrämet sick­ Bei dem feigen Menschengeschlechte. schier? Der dem Tod inS Angesicht schauen kann, Laß fahren dahin, laß fahren! Der Soldat allein ist der freie Mann. Er hat auf Erden kein bleibend Quartier, Des Lebens Ängsten, er wirft sie weg, Kann treue Lieb' nicht bewahren. Hat nicht mehr zu fürchten, zu sorgen! Er reitet dem Schicksal entgegen keck, Trisft's heute nicht, trifft es doch morgen;

DaS rasche Schicksal, es treibt ihn fort:

Seine Ruhe läßt er an keinem Ort. Drum frisch, Kameraden, den Rappen ge-

Und trifft es morgen, so lastet uns heut zäumt, Roch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit. Die Brust im Gefechte gelüftet! Bon dem Himmel fällt ihm sein lustig Loos, Die Jugend brauset, daö Leben schäumt: Braucht's nicht mit Müh' zu erstreben; Frisch auf, eh' der Geist noch verdüftet! Der Fröhner, der sucht in der Erde Schoß, Und setzet ihr nicht daS Leben ein. Da meint er den Schatz zu erheben. Nie wird euch das Leben gewonnen sein. Schiller.

4.

Gebet vor der Schlacht.

Hör' uns, Allmächtiger! Hör' uns, Allgütiger!

Himmlischer Führer der Schlachten! Vater, dich preisen wir! Vater, wir danken dir. Daß wir zur Freiheit erwachten! Wie auch die Hölle braust,

Führ' uns, Herr Zebaoth! Führ' uns, dreiein'ger Gott,

Führ' unS zur Schlacht und zum Siege! Führ' uns! Fall' unser LooS Auch tief in Grabes Schoß, Lob doch und Preis deinem Namen! Reich, Kraft und Herrlichkeit

Gott, deine starke Faust

Sind dein in Ewigkeit!

Stürzt das Gebäude der Lüge.

Führ' unS, Allmächtiger! Amen. Körner.

Lyrisch« Poesie.

384

5. Trinklied vor der Schlacht. Vaterlands Hort, Woll'n wir auS glühenden Ketten

Schlacht, du brichst an!

Grüßt sie in freudigem Kreise Laut nach germanischer Weise!

Brüder, heran! Noch perlt der Wein: Eh' die Posaunen erdröhnen. Laßt unS daS Leben versöhnen.

Todt oder siegend erretten. Handschlag und Wort!

Hört ihr sie nahn? Liebe und Freuden und Leiden,

Brüder, schenkt ein!

Tod, du kannst uns nicht scheiden! Brüder, stoßt an!

Gott Vater hört, WaS an des Grabes Thoren

Schlacht ruft! Hinaus! Horch, die Trompeten werben!

Vaterlands Söhne geschworen:

Vorwärts auf Leben und Sterben!

Brüder, ihr schwört!

Brüder, trinkt aus! Körner.

6.

Gebet während der Schlacht.

Vater, ich rufe dich! Vater, du segne mich! Brüllend umwölkt mich der Dampf der Ge- In deine Hand befehl' ich mein Leben! schütze, Sprühend umzucken mich rasselnde Blitze.

Lenker der Schlachten, ich rufe dich!

Vater, du führe mich!

Du kannst es nehmen, du hast eö gegeben. Zum Leben, zum Sterben segne mich!

Vater, ich preise dich! Vater, ich preise dich! 's ist ja kein Kampf für die Güter der Erde,

Vater, du führe mich! Führ' mich zum Siege, führ' mich zum Tode: Das Heiligste schützen wir mit dem Schwerte; Drum fallend und siegend preis' ich dich. Herr, ich erkenne deine Gebote. Gott, dir ergeb' ich mich! Herr, wie du willst, so führe mich! Gott, ich erkenne dich! Gott, dir ergeb' ich mich! Wenn mich die Donner des TodeS begrüßen. Gott, ich erkenne dich!

So im herbstlichen Rauschen der Blätter,

Als im Schlachtendonnerwetter, Urquell der Gnade, erkenn' ich dich! Vater, du segne mich!

7.

Wenn meine Adern geöffnet fließen: Dir, mein Gott, dir ergeb' ich mich! Vater, ich rufe dich! Körner.

Siegeslied nach der Schlacht bei Lowositz. Den 1. Oktober 1756.

Gott donnerte, da floh der Feind! Singt, Brüder, singet Gott!

Denn Friederich, der Menschenfreund, Hat obgesiegt mit Gott. Bei Außig sahen wir den Held; Wie feurig brannten wir,

Und schlug, wo Feind zu schlagen war,

Und macht' uns reine Bahn! Auf einer Trommel saß der Held Und dachte seine Schlacht, Den Himmel über sich zum Zelt Und um sich her die Nacht.

Zu stehn mit ihm im Siegesfeld; Nun stehen wir es hier. Er ging mit einer kleinen Schaar

Fast billig ist ihr Spott. Allein wär' ihrer noch so viel',

Den SiegeSweg voran

So schlag' ich sie mit Gott!"

Er dachte: „Zwar sind ihrer viel',

Lied. DaS dacht' er, sahe Morgenroth, Verlangen im Gesicht. Der gute Morgen, den er bot, Wie munter war er nicht! Sprang auf von seinem Heldensitz, Sprach: „Eh' noch Sonne scheint, Kommt, Helden, hinter Lowositz Zu sehen meinen Feind!" Da kamen Wilhelm, Bevern, Keith Und Braunschweigs Ferdinand, Vier große Helden, weit und breit Durch ihren Muth bekannt. Frei wie ein Gott von Furcht und Graus, Voll menschlichen Gefühls, Steht er und theilt die Rollen aus DeS großen Trauerspiels! „Dort," spricht er, „stehe Reiterei, Hier Fußvolk!" Alles steht In großer Ordnung, schreckenfrei, Indem die Sonn' aufgeht. So stand, als Gott der Herr erschuf. Das Heer der Sterne da; Gehorsam stand es seinem Ruf In großer Ordnung da. Die Sonne trat mit Riesenschritt Auf ihrer Himmelsbahn Hervor, daß wir mit ihrem Tritt Auf einmal vor und sahn Ein unaufhörlich KriegeSheer Hoch über Berg und Thal, Panduren, wie der Sand am Meer, Kanonen ohne Zahl! Und alsobald gedachten wir An Gott und Vaterland; Stracks war Soldat und Offizier Voll Löwenmuth und stand Und näherte dem Feinde sich Mit gleichem, großem Schritt. „Halt!" sagte König Friederich, „Halt!" Da war es ein Tritt. Er stand, besah den Feind und sprach, Was zu verrichten sei. Wie Gottes Donnerwetter brach Hervor die Reiterei.

Dielitz n. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Anfl.

385

Zu muthig jagte sie, zu weit Den zweimal flücht'gen Feind, Der mehr durch Trug als Tapferkeit Uns zu bezwingen meint'; Denn ihrer Hitze viel zu früh Hemmt ihres Schwerts Gewalt Kartätschenfeuer unter sie AuS tück'schem Hinterhalt! Wie boshaft freut der Ungar sich. Dem List, nicht Muth gelang! Sie flieht zurück, und Friederich Hält ihre Musterung. „Ha, Vater Bevern!" riefen wir; „Uns, uns Patronen her! Denn deinem armen Grenadier Ist schon die Tasche leer; Wenn er nicht Pulver wieder hat, So hat er hier sein Grab! Die Hunde regnen Kugelsaat Von ihrem Thurm herab!" „Stürzt," sprach er, „sie von ihrem Thurm Mit Bajonnett herab!" Wir thaten es, wir liefen Sturm; Wir stürzten sie herab! Wir rissen Mauern ein, Pandur, Erstiegen deinen Schutz Und boten, Tiger von Natur, Dir in die Nase Trutz. Du liefest, was man laufen kann, Du sprangest in die Stadt! Wir riefen: „Alles hinterdran, Was Herz im Leibe hat!" Und Brüder! Braun, der Kluge, wich, Voll Heldeneifersucht, Ließ uns und unserm Friederich Das Schlachtfeld, nahm die Flucht. Wer aber hat durch seine Macht Dich, Braun, und dich, Pandur, In Angst gesetzt, in Flucht gebracht? Gott, der auf Wolken fuhr! Sein Donner zürnte deinem Krieg Bis spät in schwarze Nacht. Wir aber singen unsern Sieg Und preisen seine Macht. Gleim.

25

Lyrische Poesie.

386 8.

Der Landsturm.

Der Landsturm! Der Landsturm! Wer hat das schöne Wort erdacht? Das Wort, daS donnert, blitzt und kracht, Daß einem daS Herz im Leibe lacht! Wenn ganz ein Land zum Sturm erwacht, Wer hat den Landsturm aufgebracht? Der Landsturm! Der Landsturm! Der Bau'r ist nur ein schlechter Schuft, Der nach Soldatenhülfe ruft; Der Bauer, der sich selbst macht Lust, Den Feind, den Schuft, selbst pufft und knufft. Der Bauer ist kein schlechter Schuft. Der Landsturm! Der Landsturm! Der König giebt mir keinen Sold, Und ich bin ihm nicht minder hold. Eu'r Acker, sprach er, ist eu'r Gold, Drum, wenn ihr den bewahren wollt, So schlagt den Feind, das ist eit'r Sold. Der Landsturm! Der Landsturnl! Der Feind ist blind und taub, der Wicht, Er kennt ja Weg' und Stege nicht. Er sind't ja keinen Führer nicht; DaS Land ist mein, wie kennt' ich's nicht? Drum fürcht' ich auch vorm Feind mich nicht. Der Landsturm! Der Landsturm!

9. Vorwärts! Fort und immer fort! Rußland rief das stolze Wort: Vorwärts Preußen hört das stolze Wort, Hört es gern und hallt eS fort: Vorwärts ! Auf, gewalt'ges Österreich!

Vorwärts! Thus den andern gleich! Vorwärts! Auf, du alteS Sachsenland! Immer vorwärts, Hand in Hand! Vorwärts! Baiern, Hessen, schlaget ein! Schwaben, Franken, vor zum Rhein! Vorwärts!

Vo

Der Feind, der Wicht, ist blind und taub, Er zittert, wenn sich regt ein Laub, Er zittert, wenn sich rührt ein Staub; Denn für ihn ist nicht Treu' und Glaub', Und jeder List wird er zum Raub. Der Landsturm! Der Landsturm! Der Feind, der Wicht, ist taub und blind, Und seine Schlachten sind ein Wind, Er weiß ja nicht, wofür sie sind. Ich hab' im Rücken Weib und Kind, Ich weiß, wofür die Schlachten sind. Der Landsturm! Der Landsturm! Die Glocke, die zur Tauf' mich trug, Die Glock, die mir zur Hochzeit schlug, Die Glocke rüst mit lautem Zug; Der Glocke Ruf ist niemals Trug; Die Glocke ruft, daS ist genug! Der Landsturm! Der Landsturm! Hörst du'S vom Kirchthurm stürmen, Frau? Siehst du die Nachbarn wimmeln? schau! Und drüben stürmt eö auch im Gau. Ich muß hinaus! Auf Gott vertrau'! Des FeindeS Blut ist Morgenthau. Der Landsturm! Der Landsturm! Rückert.

w ä r t s. Vorwärts, Holland, Niederland! Hoch das Schwert in freier Hand! Vorwärts! Grüß' euch Gott, du Schweizerbund, Elsaß, Lothringen, Bnrgund! Vorwärts! Vorwärts, Spanien, Engelland! Reicht den Brüdern bald die Hand! Vorwärts! Vorwärts! Fort und immer fort! Guter Wind und naher Port! Vorwärts! Vorwärts heißt ein Feldmarschall! Vorwärts, tapfre Streiter all'! Vorwärts! Nhland.

Lied.

10.

387

Kriegslied für die freiwilligen Jäger.

Frisch auf zum fröhlichen Jagen, Es ist nun an der Zeit;

O Wonne, die zu schützen. Die uns die Liebsten sind!

Es fängt schon an zu tagen,

Hei, laßt Kanonen blitzen!

Der Kampf ist nicht mehr weit!

Auf, laßt die Faulen liegen,

Ein frommer Muth gewinnt. Die meisten ziehn einst wieder

Laßt sie in ihrer Ruh! Wir rücken mit Vergnügen Dem lieben König zu!

Dann tönen Jubellieder, Das wird ’ne Freude sein!

Zurück in Siegerreihn;

Wie glühn davon die Herzen

Der König hat gesprochen: „Wo sind die Jäger nun?" Da sind wir aufgebrochen.

So froh und stark und weich! Wer fällt, der kann’s verschmerzen, Der hat das Himmelreich.

Ein wackres Werk zu thun. Wir woll’n ein Heil erbauen

Ins Feld, inS Feld gezogen Zu Roß und auch zu Fuß!

Für all das deutsche Land

Im frohen Gottvertrauen Mit rüstig starker Hand. Schlaft ruhig nun, ihr Lieben, Am väterlichen Herd, Derweil mit Feindeshieben Wir ringen, keck bewährt.

Gott ist unS wohlgewogen. Schickt manchen hohen Gruß. Ihr Jäger allzufammen. Dringt lustig in den Feind!

Die Freudenfeuer flammen. Die LebenSfonne scheint. ___

11.

FonquL.

Lützows wilde Jagd.

Was glänzt dort vom Walde im Sonnen­ Was braust dort im Thale die laute Schlacht, Was schlagen die Schwerter zusammen? schein? Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht, Hör’s näher und näher brausen. Es zieht sich herunter in düsteren Reihn, Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht Und lodert in blutigen Flammen. Und gellende Hörner schallen darein Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt: Und erfüllen die Seele mit Grausen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht, Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Was zieht dort rasch durch den finstern Wald Unter winselnde Feinde gebettet?

Und streift von Bergen zu Bergen? Cs zuckt der Tod auf dem Angesicht, Doch die wackern Herzen erzittern nicht; Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt; DaS Hurrah jauchzt, und die Büchse knallt. DaS Vaterland ist ja gerettet! Und wenn ihr die schwarzen Gefallenen fragt: Es fallen die fränkischen Schergen. Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt: DaS war Lützows wilde, verwegene Jagd. Die wilde Jagd und die deutsche Jagd Das ist LützowS wilde, verwegene Jagd. Wo die Reben dort glühen, dort braust Auf HenkerSblut und Tyrannen! Drum, die ihr unS liebt, nicht geweint und der Rhein,

Der Wüthrich geborgen sich meinte; Da naht es schnell mit Gewitterschein Und wirft sich mit rüstigen Armen hinein

geklagt; Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt.

Wenn wir’s auch sterbend gewannen! Und von Enkeln zu Enkeln sei’S nachgesagt: Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt: DaS war Lützows wilde, verwegene Jagd. Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Körner. Und springt ans Ufer der Feinde.

Lyrische Poesie.

388

12.

Die Leipziger Schlacht.

„Wo kommst du her in dem rothen Kleid Die Welschen hat Gott verweht wie den Sand: Und stirbst das Gras auf dem grünen Plan? " Viel' Tausende decken den grünen Rasen, Ich komme her aus dem Männerstreit, Ich komme roth von der Ehrenbahn. Wir haben die blutige Schlacht geschlagen,

Die übrig geblieben, entflohen wie Hasen, Napoleon mit.

„Nimm Gottes Lohn, hab' Dank, Gesell! Drob müssen die Mütter und Braute klagen; Das war ein Klang, der das Herz erfreut! Das klang wie englische Zymbeln hell! Da ward ich so roth.

„Sag' an, Gesell, und verkünde mir, Hab' Dank Wie heißt das Land, wo ihr schlugt die

Schlacht?" Bei Leipzig trauert das Mordrevier, Das manches Auge voll Thränen macht; Da flogen die Kugeln wie Winterflocken, Und Tausenden mußte der Athem stocken Bei Leipzig, der Stadt. „Wie heißen, die zogen ins Todtenfeld Und ließen fliegende Banner aus?" Die Völker kamen der ganzen Wett

der Mär'

von

dem blutigen

Streit! Laß Wittwen und Bräuten die Todtenklagen, Wir singen noch fröhlich in späten Tagen Die Leipziger Schlacht." D Leipzig, du freundliche Lindenstadt, Dir ward ein leuchtendes Ehrenmal;

Solange rollet der Zeiten Rad, Solange scheinet der Sonnenstrahl, Solange die Ströme zum Meere reisen,

Wird noch der späteste Enkel preisen Die Leipziger Schlacht. Und zogen gegen Franzosen auS, O Leipzig! Gastlich versammelst du Die Russen, die Schweden, die tapferen AuS allen Enden der Völker Schaar. Preußen, Und die nach dem Kaiser von Östreich heißen, Auf, ruft's dem Osten und Westen zu, Daß Gott der Helfer der Freiheit war. Die zogen all' aus. „Wem ward derSieg in dem harten Streit? Daß Gott der Tyrannen Gewalt zerstoben. Wer griff den Preis mit der Eisenhand?" Damit sie im Osten und Westen loben Die Leipziger Schlacht. Die Welschen hat Gott wie Spreu zerstreut, Arndt.

13.

Auf die Schlacht von Leipzig.

Kann denn kein Lied Krachen mit Macht, So laut, wie die Schlacht Hat gekracht um Leipzigs Gebiet? Drei Tag' und drei Nacht Ohn' Unterlaß

Und nicht zum Spaß Hat die Schlacht gekracht. Drei Tag' und drei Nacht Hat man gehalten Leipziger Messen,

Ei, eS ist gut. Daß sich nicht können die Russen brüsten, Daß allein sie ihre Wüsten Tränken können mit FeindeSblut! Nicht im kalten Rußland allein, Auch in Meißen, Auch bei Leipzig an der Pleißen,

Kann der Franzose geschlagen sein.

Die seichte Pleiß' ist von Blut geschwollen, Die Ebenen haben

Hat euch mit eiserner Elle gemessen. So viel' zu begraben. Die Rechnung mit euch inS Gleiche gebracht. Daß sie zu Bergen uns werden sollen. Drei Tag' und drei Nacht Wenn sie uns auch zu Bergen nicht werden. Währte der Leipziger Lerchenfang; Wird der Ruhm

Hundert fing man auf einen Gang,

Zum Eigenthum

Tausend auf einen Schlag.

Auf ewig davon unS werden auf Erden. Rückert.

Lied.

14.

389

Geharnischte Sonette.

Der Mann ist wacker, der, sein Pfund be­ Im eignen Wald mehr, dich zu stützen, Memme,

Daß du nicht stehn kannst als auf fremdem nutzend, Zum Dienst des Vaterlands kehrt seine Kräfte: Fuße? Du, die du liegst am Boden ausgestrecket, Nun denn, mein Geist, geh' auch an dein Ge­ Du schäfte, Den Arm mit den dir eignen Waffen putzend.

stehst nicht

auf

in

kräft'ger

Selbst­

aufraffung, Wie kühne Krieger jetzt, mit Glutblick trutzend, Ein fremder Retter hat dich aufgeschrecket.

In Reih'n sich stellend, heben ihre Schäfte,

Wird er durch seines nord'schen Armes

So stell' auch Krieger, zwar nur nackgeäffte,

Straffung Dein Siechthum kräft'gen oder, angestecket Geharnischter Sonette ein paar Dutzend. Auf denn, die ihr aus meines Busens Ader Auch selbst von dir, heimtragen die Er­ Aufquellt, wie Riesen aus des Stromes Bette, schlaffung? Stellt euch in eure rauschenden Geschwader! Schließt eure Glieder zu vereinter Kette 4.

Und tust mithadernd in dem großen Hader Erst: Waffen! Waffen! und dann: Rette! rette!

Nicht schelt' ich sie, die mit dem fremden Degen Zerfleischen meines Busens Eingeweide, Denn Feinde sind's, geschaffen uns zum Leide;

2. Wenn nicht ein Zaub'rer mit Medeas Künsten

Wenn sie uns todten, wissen sie weswegen. Allein was sucht denn ihr auf diesen Wegen?

Das matte Haupt euch schneidet ab vom Rumpfe, WaS hofft denn ihr für glänzend Ruhm­ Eh' es in Alterschwäche gar verschrumpfe, geschmeide, Und neu es füllt mit jungen Lebensdünsten; Ihr Zwitterfeinde, die ihr eure Schneide Wenn nicht ein Alchymist mit Feuersbrünsten Statt für das Vaterland sie hebt dagegen? Ganz eu'r Geschlecht einschmelzt mit Stiel Ihr Franken und ihr Baiern und ihr

und Stumpfe: Schwaben, So wächst euch nie aus eurem todten Sumpfe Ihr Fremdlingen Verdungene zu Knechten! Die Kraft; denn faul von euch sind selbst die Was wollt ihr Lohns für eure Knechtschaft grünsten. haben? O daß ein schlagender Gewitterfunken, Eu'r Adler kann vielleicht noch Ruhm er­ Vom Einfluß schwanger aller Kraftgestirne, fechten, Euch träfe, die ihr kraftlos seid versunken.

Doch sicher ihr, sein Raubgefolg, ihr Raben, Euch zuckte so durch euer schlaff Gehirne, ErfechtetSchmach bei kommenden Geschlechten. Daß ihr neulebend stündet oder trunken Ganz niedertaumeltet mit todter Stirne!

5. 3. Sprengt eure Pforten auf, ihr Kaukasuffe,

Bei Gott!

Kein Nichts ist's, deö ihr euch

verwegnet! Und speietWaffen! Brecht durch eure Dämme, Ein Etwas ist's, wofür den Arm ihr höbet, Ihr Wolgaströme, macht auS Felsen Ein Etwas, das die Welt und Nachwelt lobet, Ein Etwas, dem der Himmel Gnade regnet. Schwämme, Drum, eh' ihr auszieht und dem Feind be­ Braust über Deutschland hin im Siegsergusie! WaS will auf deinen Feldern denn der Russe,

Deutschland? dir beistehn?

gegnet, Hast du keine Steht erst vor dem, deß Aug' die Herzen

Stämme

probet:

Lyrische Poesie.

390

Nicht eh'r zieht, als dem Höchsten anverlobet, Und dachte, weil den Busen Seufzer hoben,

Nicht eh'r zieht, als vom Priester eingesegnet. An sein einst freies Volk, das ward zu Knechten. Der Feinde Lanzen müssen vor euch splittern. Da kam, solange vondes Schicksals Mächten Im irdischen Stand des Lebens aufgehoben, Und seine Donner müssen ihm versagen, Wenn für euch selbst Gott spricht aus den Sein alter Bruder kam jetzt her von droben, Den sah er und hub an: „Will Preußen Gewittern. Ja, Gottes Flügel, um euch her geschlagen, fechten?" Der aber sprach mit Siegesglanz im Blicke: Müssi, ob ihr fallet, selbst den Tod entbittern. Daß ihr sein Antlitz sehn könnt ohne Zagen. „Ich komme dir als Bote, daß erschienen Nun ist die Stunde, wo es bricht die Stricke." Da sprang der alte König auf mit Mienen, 6. Frau'n Preußens, nehmt für eure Opfer­ Als ob er selbst zum neuen Kampf sich schicke, Und sprach: „Jetzt will ich wieder sein mit gaben,

DaS Opfer an deS Lieds, das ich euch bringe,

ihnen!"

Ihr, die ihr gabt vom Finger eure Ringe, So wie ihr gabt vom Busen eure Knaben

8.

Wir schlingen unsre Hand' in einen Knoten, Dem Vaterland! In Erzschrift sei gegraben Eu'r Preis, daß ihn kein Mund der Zeit ver­ ZumHimmelheben wir die Blick'und schwören! Ihr alle, die ihr lebet, sollt eö hören, schlinge! DeS RuhmS, den eurer Männer blut'ge Klinge Und wenn ihr wollt, so hört auch ihr's, ihr Erfechten wird, sollt ihr die Hälfte haben. Todten! Denn wenn sie selbst im Sturm des FeindeS Wir schwören, stehn zu wollen den Geboten Des Lands, deß Mark wir tragen in den Wunden

Erbeuteten, so habt ihr mit dem Kleide Röhren, Von euren Schultern ihnen sie verbunden; Und diese Schwerter, die wir hier empören, Und wenn der Freiheit Tempel aus dem Leide Nicht eh'r zu senken, als vom Feind zerschroten. Nun steigt durch sie, so soü's die Welt er­ Wir schwören, daß kein Vater nach dem Sohne kunden. Daß, ihn zu schmücken, ihr gabt eu'r Geschmeide. Soll fragen und nach seinem Weib kein Gatte, Kein Krieger fragen soll nach seinem Lohne, Nochheimgehn, eh'derKrieg,dernimmersatte, 7. Der alte Fritz saß drunten in den Nächten Ihn selbst entläßt mit einer blut'gen Krone, Auf einem Thron, aus Thatenglanz gewoben. Daß man ihn heile oder ihn bestatte. Rückert.

IS.

Kri

g s l i e d.

Empor, meinVolk! DaSSchwert zurHand, Da bricht den Hader er vom Zaun, Und brich hervor in Haufen! Von Gift und Neid geschwollen. Vom heil'gen Zorn umS Vaterland Komm' über ihn und seine Brut

Mit Feuer laß dich taufen! DaS frevelhaft vergoss'ne Blut! Der Erbfeind beut dir Schmach und Spott, Vorwärts! DaS Maß ist voll, zur Schlacht mit Gott! Wir träumen nicht von raschem Sieg, Vorwärts! Dein Haus in Frieden auszubaun,

Stand all dein Sinn und Wollen;

Von leichten RuhmeSzügen;

Ein Weltgericht ist dieser Krieg Und stark der Geist der Lügen.

Lied.

Doch der einst unsrer Väter Burg, Getrost, er führt auch unS hindurch. Vorwärts! Schon läßt er klar bei Tag und Nacht Uns seine Zeichen schauen; Die Flammen hat er angefacht In allen deutschen Gauen; Bon Stamm zu Stamme lodert's fort. Kein Mainstrom mehr, kein Süd und Nord! Vorwärts! Voran denn, kühner Preußenaar, Voran durch Schlacht und Grausen!

16.

391

Wie Sturmwind schwellt dein Flügelpaar Vom Himmel her ein Brausen; DaS ist des alten Blücher Geist, Der dir die rechte Straße weist. Vorwärts! Flieg, Adler, flieg! Wir stürmen nach, Ein einig Volk in Waffen, Wir stürmen nach, ob tausendfach Des Todes Pforten klaffen. Und fallen wir: flieg, Adler, flieg! Aus unsrem Blute wächst der Sieg. Vorwärts! Geibel.

Hurrah, Germania!

Schwaben und Preußen Hand in Hand; Der Nord, der Süd ein Heer! Was ist des Deutschen Vaterland? Wir fragen's heut nicht mehr! Ein Geist, ein Arm, ein einz'ger Leib, Ein Wille sind wir heut! ' Hurrah, Germania, stolzes Weib! Hurrah, du große Zeit! Mag kommen nun, was kommen mag: Fest steht Germania! Dies ist Alldeutschlands Ehrentag: Nun weh dir, Gallia! Weh, daß ein Räuber dir daS Schwert Frech in die Hand gedrückt! Die Garben fuhrst du ein: Fluch ihm! Und nun für Heim und Herd Da plötzlich, borch, ein andrer Tanz! Das Kriegshorn überm Rhein! DaS deutsche Schwert gezückt! Für Heim und Herd, für Weib und Kind, Da warfst die Sichel du ins Korn, Den Ährenkranz dazu; Für jedes theure Gut, Dem wir bestellt zu Hütern sind Da fuhrst du auf in Hellem Zorn, Vor fremdem Frevelmuth! Tief athmend auf im nu; Für deutsches Recht, für deutsche- Wort, Schlugst jauchzend in die Hände dann: Willst du's, so mag eS sein! Für deutsche Sitt' und Art, Für jeden heil'gen deutschen Hort, Auf, meine Kinder, alle Mann! Zum Rhein! zum Rhein, zum Rhein! Hurrah! zur Kriegesfahrt! Da rauscht das Haff, da rauscht der Belt, Auf, Deutschland auf und Gott mit dir! Ins Feld, der Würfel klirrt! Da rauscht das deutsche Meer; Da rückt die Oder dreist ins Feld, Wohl schnürt's die Brust unS, denken wir Die Elbe greift zur Wehr. DeS Bluts, daS fließen wird! Neckar und Weser stürmen an. Dennoch das Auge kühn empor! Sogar die Flut des Mains! Denn siegen wirst du ja: Vergessen ist der alte Span: Groß, herrlich, frei, wie nie zuvor! Das deutsche Volk ist eins! Hurrah, Germania! yreuigrath.

Hurrah, du stolzes, schönes Weib, Hurrah, Germania! Wie kühn mit vorgebeugtem Leib Am Rheine stehst du da! Im vollen Brand der Juliglut Wie ziehst du rasch dein Schwert! Wie trittst du zornig frohgemuth Zum Schutz vor deinen Herd! Du dachtest nicht an Kampf und Streit; In Fried' und Freud' und Ruh' Auf deinen Feldern, weit und breit, Die Ernte schnittest du. Bei Sichelklang, im Ährenkranz

Lyrische Poesie.

392

blicken. Ein frischer Ostwind kam von den Eisspitzen des benachbarten Mulhacen über das Thal von Granada herab und trieb seine säuselnden Zephyre durch die hohen Wipfel der Schwarzpappeln, dieser wunderbaren Kronenbäume, der Zierde des Thals von Granada und seiner herrlichen Spaziergänge. Die Frische des erquickenden Windes verband sich mit der Kühle der ringsum rauschenden Gewässer, und alle Blätter glänzten gleich denen des Lorbeers. Rechts von mir zog sich jener wunderbare Rosengarten hin, in welchem Millionen

rother Rosen von Zypressen durchwebt sind.

Die Rosensträuche sind in Baumeshöhe zu

großen Bouquets gebunden, und mehrere fächerähnliche, wasserreiche Fontänen brechen ihren Strahl, vom lebhaften Winde gepeitscht, in weitverbreitetem Staubregen, der sich

belebend über alle Rosenbeete ausbreitet. Die Sonnenstrahlen lösten sich in diesem Perlen­ dufte in unzählige Regenbogen auf, deren mannigfaltig bunte Farben sich mit der herr­ schenden der Rose verbanden.

Gleich Palmen neigten die hohen schwarzen Pappeln ihre

schönen Häupter sich zu; alle Blätter, die ganze Natur bebte von dem Hauche des erquicken­ den Windes. Über den Südabhang der Alhambra stieg ich hinab, wo über den hochaufgemauerten Terrassen Garten an Garten sich reiht. Weinreben, über Baumspaliere hingebreitet, bilden das natürliche Dach dieser Gärten, alles von Rosen und Oleander

durchzogen. Herrliche Rosen von Granada, ihr duftet bei jedem Schritte, auf den Balkönen und in den Straßen, ihr dient zum Putz der Gärten und Häuser, ziert das rabenschwarze

Haar der schönen Andalusierin, ihr seid überall in Granada; denn ganz Granada ist nur eine Rose!

Aus Hailbronners Morgen- und Abendland.

19.

Lissabon.

Lissabon (portugiesisch und spanisch Lisboa), Hauptstadt des Reiches, Residenz seiner

Könige, Sitz der Regierung und des Patriarchen, des Hauptes der portugiesischen Kirche, große, blühende und opulente Stadt von 224000 Einwohnern, das Zentrum des portu­ giesischen Handels und

einer der wichtigsten Handels- und Hafenplätze Europas, liegt

prachtvoll auf sieben Hügeln am nördlichen Ufer der herrlichen, von der Tajomündung gebildeten Bai in einer unbeschreiblich reizenden Gegend, umringt von vielen freundlichen und wohlhabenden Flecken und Klöstern und von mehr als 6000 Landhäusern.

Am 1. November 1755 wurden zwei Drittheile der gewaltigen Stadt durch das berühmte, von einem furchtbaren Brande und noch gräßlicheren Überflutungen des Meeres begleitete Erdbeben gänzlich zerstört und der Rest bedeutend beschädigt, nachdem schon im Jahre 1531 ein acht Tage anhaltendes Erdbeben furchtbare Verheerungen angerichtet hatte.

Infolge der kräftigen Maßregeln des Marquis von Pombal erhob sich die Stadt rasch wie ein Phönix aus ihrer Asche und wurde nach einem ganz neuen Plane wieder auf­ gebaut. Das jetzige Lissabon liegt ungemein malerisch in amphitheatralischer Form theils eben

dicht am Ufer der Bai, theils auf und zwischen drei großen und vier kleinen Hügeln und bietet mit seinen 43000 Häusern, 246 Kirchen und Kapellen (die Kirchen der Klöster mit eingerechnet), mit seinen vielen Palästen und großen öffentlichen Gebäuden, mit den lieb­ lichen Terrassen von S. Pedro de Alcantara und seinem großartigen Aquädukt, unter dessen

702

Historische Prosa.

höchsten, über die am westlichen Ende der Stadt befindliche Thalschlucht von Alcantara gespannten Bogen ein Lmienschiff mit vollen Segeln hinwegfahren kann, von der Bai auS einen unbeschreiblich prachtvollen und imposanten Anblick dar. Diese Ansicht würde noch großartiger sein, besäße die Stadt höhere Thürme; allein aus Furcht vor neuen heftigen

Erderschütterungen hat man keine Kirche mit einem hohen Thurme versehen. Lissabon ist von sehr verschiedener Bauart.

Der bei dem großen Erdbeben stehen

gebliebene östliche Stadttheil, welcher sich an den Abhängen deS von einem alten maurischen Kastell gekrönten Monte de Castello, deS höchsten Hügels, hinzieht, besteht auS engen,

krummen, schlecht gepflasterten, steil ansteigenden Gassen und finstern, schmalen, hohen, mit gothischen Zieraten überladenen Häusern, die neuern Stadttheile dagegen sind regelmäßig und gut gebaut. Den schönsten Theil Lissabons bildet die in der Ebene dicht am Tajoufer gelegene Neustadt, in welcher sich stolze Paläste befinden.

Dennoch besitzt Lissabon wenige

oder gar keine Gebäude von edler und wahrhaft schöner Architektur. Das großartigste Bauwerk Lissabons ist aber der unter Johann V. erbaute Aquädukt von Alcantara, welcher die 20 öffentlichen Brunnen der Stadt und viele Privatbrunnen mit Trinkwasser versorgt, das durch ihn über eine Meile weit von Bellas hergeleitet wird. Diese gänzlich auS Mar­ morquadern erbaute Wasserleitung ruht beim Übergange über das Alcäntarathal auf 35 Bogen, von denen der mittelste 76 m hoch und 32 m breit ist. Lissabon war früher, nach dem Erdbeben und noch zu Anfänge dieses Jahrhunderts,

wegen der Unsicherheit seiner Gassen besonders bei Nachtzeit sehr berüchtigt. Die Gassen wurden nämlich damals nicht beleuchtet, lagen zum Theil noch voll Schutt und Steinen, und diese Umstände begünstigten im Vereine mit der großen Unregelmäßigkeit und Un­

ebenheit der Stadt das schlechte Gesindel, welches sich massenhaft in Lissabon aufhäufte, bei Nacht oft bandeuweise die Straßen durchzog, raubte und mordete. Fast kein Morgen brach an, ohne daß nicht mehrere Leichname von Beraubten und Ermordeten gefunden wurden; ja selbst am Hellen, lichten Tage gehörten Naubanfälle auf offener Gasse in den älteren und einsameren Stadtvierteln keineswegs zu den Seltenheiten. Dabei starrten die Gassen selbst in den neuen Stadttheilen von Schmutz und Unflat, indem der Abfall der Küchen, todte Katzen, Hunde, Ratten, Mäuse, Vögel, Fische und aller Unrath der Häuser, fester wie flüssiger, auf die Gassen geworfen wurde und niemand daran dachte, dieselben zu reinigen. Dort begünstigte die Sonnenhitze die Fäulnis der animalischen Stoffe, und viele Gassen waren daher häufig mit pestilenzialischem Gestanke erfüllt und der Herd typhöser Fieber. Zu diesen Übelständen gesellte sich ein Heer von herrenlosen, halbwilden Hunden, die sich

in den Gassen herumtummelten, wo sie von dem Abfalle der Häuser sich ernährten und niemand daran dachte, diese Bestien zu entfernen, da sie allein es waren, welche die Gassen bis zu einem gewissen Grade von Unrath reinigten. Zu Anfänge dieses Jahrhunderts schätzte man die Zahl der herrenlosen Hunde auf 60000! Noch jetzt ist es nicht gelungen, dieselben ganz zu entfernen; doch hat sich ihre Zahl bedeutend verringert, so daß dieselbe nicht mehr als einige Tausende beträgt. Sie ganz zu entfernen, wird unmöglich sein, so lange in den alten und vom Proletariat bewohnten Stadttheilen, die noch immer sehr schmutzig sind, nicht gewaltsam eine Änderung deS Zustandes herbeigeführt wird. Die

neueren Stadttheile sind jetzt ziemlich reinlich, und die Unsicherheit der Gassen hat fast ganz aufgehört, seitdem durchweg eine gute Beleuchtung und eine bewaffnete, zahlreiche

Straßenpolizei, die bei Nacht in den verdächtigen Stadttheilen patrouillirt, eingeführt

worden ist. Auch das Proletariat ist jetzt nicht mehr so schreckenerregend wie früher, wo die Hälfte der Einwohnerzahl aus Proletariern bestanden haben soll, von denen mindestens ein Zehntheil ein herrenloses Gesindel ohne Dach und Fach war, daö keinen andern

Beschreibung.

703

Wohnort hatte als die Gasse und kein anderes Geschäft als unstetes Herumlungern; aber noch immer ist Lissabon der Sammelplatz des Abschaums der portugiesischen Nation und alles fremden Gesindels und die einzige Stadt der pyrenäischen Halbinsel, die ernste sozialistische oder kommunistische Bewegungen zu besorgen Ursache hat. Es giebt daher auch ein Heer von Bettlern. Unter den Mittelklassen der Bevölkerung Lissabons herrscht ziemlicher

Wohlstand und mehr Bildung als im ganzen übrigen Portugal, Oporto ausgenommen;

die höheren Stände zeichnen sich durch feine Weltsitte aus, sind aber entsetzlich demoralisirt.

Lissabon besitzt keine eigentlichen Vorstädte, indem die äußeren Stadttheile, die vor­

dem Erdbeben die Vorstädte bildeten, jetzt unmittelbar mit dem Zentrum der Stadt Zu­ sammenhängen und in entgegengesetzter Richtung ganz allmählich in den breiten Gürtel von Landsitzen übergehen, welcher die Hauptstadt Portugals schon in einer Entfernung von mehreren Meilen ankündigt und das Gebiet von Lissabon bildet. Lissabon hat daher auch

keine Thore. Innerhalb des Stadtgebietes, welches 7V2 Meile lang und 272 Meile breit ist, und nahe bei dessen Grenzen liegen mehrere blühende, ebenfalls mit stattlichen Land­ sitzen, Schlössern, Klöstern geschmückte Dörfer, Flecken und Villas.

Der in den Jahren 1717 bis 1731 erbaute Klosterpalast von Mafra, das pracht­ vollste Bauwerk Portugals und eines der schönsten und großartigsten Europas, bildet ein Viereck von 253 m Länge und 223 m Breite und enthält 866 Gemächer und 5200 Fenster.

Die das Zentrum einnehmende, ganz und gar aus Marmor in Form eines Kreuzes erbaute Kirche ist 62 m lang, im Kreuze 45 m breit, inwendig mit 58 Statuen aus karrarischem Marmor und vielen Kunstschätzen und Kostbarkeiten geschmückt und besitzt eine imposante Kuppel und an der prächtigen Fa§ade zwei 72 in hohe Glockenthürme. Das weitläufige

Kloster enthält 300 gewölbte Zellen. Dasselbe gehörte den Franziskanern von der strengen

Observanz dos Arrabidos.

Unter Joseph I. wurde in ihm eine Erziehungsanstalt für die

männliche Jugend angelegt, die aber längst eingegangen ist. Nach Willkomms Halbinsel der Pyrenäen.

20.

Jerusalem und die umliegenden heiligen Orte.

Es war ein feierliches Erwachen am ersten Morgen, der mich in Jerusalem begrüßte. Kaum graute der Tag, so zitterte meine Seele schon vor Erwartung dessen, was ich sehen

sollte. Nur ein paar Schritte noch, und das Ziel der Reise war erreicht; das heilige Grab hatte zum Anblick mich empfangen. Langsam ging uns die erste Stunde des Morgens vor­ über; wir drangen in unsern Führer, nicht zu säumen und uns einzulassen in das Heiligthum. Aber wie bitter traf mich die Antwort, die mir auf mein Drängen zu Theil wurde,

daß die Grabeskirche nur zu gewissen Stunden sichtbar und daß die Erlaubnis zum Ein­ tritt erst von den Türken einzuholen sei! Da erwachte in meiner Seele der Grimm, und ich verstand in diesem Augenblicke das Geheimnis, über welches die Geschichtsschreiber­

aller Zeiten sich verwunderten, das Geheimnis des heiligen Triebes, der Millionen hierher ins ferne Land geführt, um auf dem fremden Boden ihr Herzblut zu verspritzen.

Endlich traten wir in die Grabeskirche; mir bangte fast, festen Fußes aufzutreten, und ich wußte, warum der Prophet, als sein großer Beruf ihn in die Nähe Gottes riß, die Füße entblößte, ehe er sich dem Heiligsten näherte. Ich schweige von den Formen der

Kirche, welche schon von so vielen Reisenden beschrieben wurden; auch waren meine Augen wie getrübt und meine Seele so voll in diesen Stunden, daß mir das steinerne Schnitzwerk

und alle kolossale Pracht des heiligen Hauses nur etwa so zum Bewußtsein kam wie die

Historische Prosa.

704

Zinne einer Burg, welche der Wanderer erschaut, wenn sie an den fernen Bergen aus dem Nebel steigt. Ohne daß ich wußte, wie mir geschah, war ich auS dem Grabesmysterium herausgestiegen und hatte die Terrasse der Kirche erstiegen, von welcher man ganz Jerusalem übersieht. Betäubend wie Opferdampf stiegen mir da Gedanken aus der Seele auf, und

dem Griechen gleich, der in Delphi in stummem Sinnen auf die verhängnisvolle Antwort deS befragten Gottes harrte, lehnte ich mich an die Kuppel des Doms zurück. Da lag sie

vor mir, die Stadt der Jahrtausende, und erschien mir wie die Wittwe in ihrer Trauer; denn die Jahrhunderte, welche auf ihr liegen, die vor Alter sinkenden Ölbäume, die Grab­ male mit den weißen Steinen, die durchlöcherten Felsen, daö zerstreute Gemäuer und alle Schwere der Erinnerungen mahnen genugsam an die Last von Begebnissen und Verlusten, die sie schon in Zeiten, wohin das Denken der Geschichte kaum reicht, getragen. Der Fremdling vermeint darum, es sollte still sein in ihrer Mitte wie in einem Trauerhause, und die Menschen auf ihren Gassen sollten mit verhüllten Häuptern gehen; aber auch

dieses Trauerhaus von Jahrhunderten ist vom Getümmel der Erde nicht verschont, und wo man nur stille Klage erwartet und frommes Sehnen, drängen sich Käufer und Ver­ käufer, zudringliche Führer und gieriges Gesindel. „Sehen Sie," sagte mein Führer zu mir, „dieser Weg, der zur Grabeskirche führt,

ist die via dolorosa." Und auch auf dem SchmerzenSwege dasselbe Getriebe! Hier ist kein Stein und keine Platte, die nicht Zeugen einer großen Begebenheit wären. Dieser Raum hat den Heiligen gesehen in aller seiner Schmach, ihn den Verurtheilterr und Leidenden, den Dorngekrönten und unter der Last des Kreuzes zum Tode Geführten! Welch heilige Erinnerungen sind in diese Steine eingebaut, wie viel lausend Herzen seit Konstantins

und Helenas Zeiten haben über diesen Anblick geblutet, sind von diesem Anblick getröstet wieder von dannen gezogen! „Was willst du klagen, kleine Seele?" so sprach ich zu mir, „waS ist doch all dein Leid, das du groß nennst über Vermögen, gegen den Jammer, der auf dieser Bahn der Leiden und Erniedrigungen von dem Edelsten aller freiwillig ist ge­ tragen worden?" So sind wir armseliges Geschlecht! dachte ich und athmete freier bei dem

Gedanken: Jeder mit seinem kleinen Leide wähnt in seiner Blindheit, er leide das Höchste, und zuletzt ist es mit all den großen Schmerzen Täuschung nur gewesen. Doch sei eS, wie

es will, die via dolorosa endigt am gewissen Ziel.

Da wollte der Gedanke mich eben in die Heimat führen, als mein Begleiter mich aus den Träumereien mit den Worten weckte: „Dort im Süden liegt Bethlehem." Bethlehem, die anmuthigste unter den Städten! Sie liegt so gottgeliebt und friedlich auf dem Berge, und die hohe Sonne schaut so ruhig auf sie, daß ich mich nicht erinnere, irgendwo einen Ort gesehen zu haben, der mit solcher Anmuth solche Majestät verbände.

Zur Linken

zwischen den Hügeln dehnt sich daö Thal der Hirten; eng und stille liegt es zwischen den

Bergen, und nur wenige Bäume bekränzen seinen Saum. Dort haben in der heiligen Nacht die Heerschaaren des Himmels zuerst den Ärmsten unter dem Volke das neue Heil verkündet. Viele Klöster erheben sich über die Häuser von Bethlehem, und die Kuppel, welche am höchsten hervorragt, gehört der durch die Kaiserin Helena erbauten Kirche an, welche über der heiligen Grotte steht, wo Christus geboren ist. Vom unscheinbarsten An­ fang liebt das Größte aufzuwachsen, und auf den kleinsten Schauplatz mag das umfassendste Leben sich zusammendrängen. Aber nicht allein durch die Geburt Christi ist daS kleine Bethlehem zur größten unter den Städten geworden; auch durch die Geschichte der späteren Zeit ist es geadelt; denn auf dem bei Bethlehem liegenden Frankenberg haben die Helden unter den Christen gegen die Übermacht der Sarazenen sich bis aufs äußerste gehalten und

in der Tapferkeit ihres

felsenfesten Glaubens den letzten Blutstropfen verspritzt.

Der

Beschreibung.

705

Himmel war ohne Wolke und das schönste Wetter begünstigte die Fernsicht.

Erscheint mir

Jerusalem wie eine Wittwe in ihrer Trauer, so liegt Bethlehem auf seinen Bergen still und schicksalloS wie ein jungfräuliches Kind und in ruhigem Stolze wie eine Propheten­

tochter. „Welches Namens ist dort die Burg," fragte ich den Begleiter, „welche nur einige hundert Schritte von hier auf dem Gipfel jenes Hügels steht?

Jene Gruppe von Gebäuden

gemahnt mich heimatlich an die Bauart in dem Welttheil, in welchem mein Vaterland sich

findet." „Das ist die Davidsburg auf Zion," sagte eintönig der Führer, nur bestätigend, was ich zuvor schon selbst gedacht. Also hier hat der Mann gehaust, der größte seiner Zeit, der ein Prophet war, ein Dichter und ein König! Der Himmel ist zu karg geworden in

unserer Zeit; so große Spenden theilt er nimmer aus, daß er demselben Manne, dem er die Worte der göttlichen Offenbarung in das Herz giebt und von den Lippen rauschen läßt,

eine Leier in die Hand drückt, deren Saiten weithin, ja durch Jahrtausende hallen, und ihm zugleich ein Diadem um das Haupt windet. Von Zion aus konnte der König Jeru­ salem beschauen, seine Stadt, der Dichter ungestört deö Flusses strömende Welle und das stille, grünende Thal, die Terebinthen und Oliveubäume betrachten, wie sie die Häupter der Hügel schmücken, der Prophet aber von der Höhe der Burg den Willen des Himmels erlauschen und in ihren stillen Räumen den Geheimnissen der göttlichen Weisheit nach­

forschen. „Dort außerhalb der Stadt," sagte mein Begleiter weiter, „sehen Sie daö Haus, wo Christus das Abendmahl stiftete." Gegen Südost dehnt die Aussicht sich weiter. Vor­

dem Auge des Betrachters liegt das Thal Josaphat, die Moschee auf Morija und weiterhin der Keffel des todten Meeres. Es giebt wohl keinen andern Anblick, der die Seele mit so trüben Gedanken zu füllen vermag, wie das Thal Josaphat; ein enges Thal zwischen zwei Hügeln, deren einer den Ölberg, der andere die Stadt Jerusalem auf seiner Höhe trägt, von dem fast wafferlosen Kidron durchschlichen; und was eS an Zierde hat, sind die Grabmältr, die in seinem Schoße liegen. Niemals scheint die Sonne in diese düstre Tiefe; morzenS verbirgt sie sich dem Thale hinter dem Ölberg und nachmittags hinter Morija. Es :fl das Thal der Schatten und der Gräber, und wer über die Brücke geht, die dort den Kidwn überbaut, wird unwillkürlich von allen Schauern deö Orkus beschlichen. Rechts von der Kidronbrücke befinden sich die Gräber Aosalons, Josaphats und Sacharjas. Betmde liegen in der Nähe dieser Gräber hingestreckt, und eine Masse aufgeschichteter Stene, namentlich vor AbsalonS Grab, vermehrt noch das Traurige dieser Stätte. Der Zorr der Türken hat diese Steine vor das Grab Absalons geworfen. Indern sie die Steine hinnerfen vor seine Gruft, sprechen sie einen Fluch aus wider den gottlosen Sohn und wider jeden, der seinen Eltern nicht gehorcht. Ein hoher sittlicher Ernst liegt in diesem Gebrauche, und der Orientale, der mit dem durch daS Thal hallenden Fluch einen Stein

vor dieses Mausoleum wirft, gemahnt aufs lebhafteste an den Ernst des Gottes, der mit dem Arme seiner Stärke die böse That des Menschen rächt. In der Nähe von dem Grab­ mal Sacharjas befindet sich eine Grotte, in welche sich Jakobus mit einigen andern Jüngern wählend der Gefangenschaft Jesu geflüchtet und verborgen haben soll. Doch hinweg von dieser Gräbern, hinweg von dieser Schlucht, hinüber zum Teiche Bethesda, hinauf zur Quelle Siloah!

Der Teich Bethesda erinnert an die heilende Kraft der Matur und läßt

im Lnblick seiner von Mauern überbauten Tiefe die von Schrecknissen erfüllte Seele sich einigermaßen wieder beruhigen. Am Ende deS Thales Josaphat liegt die Quelle Siloah. Könge und Propheten haben auf das Nieseln dieses Quells gehorcht; wenn sie Trost suchar wollten in der Bekümmernis, setzten sich die Edeln in seine Kühle. Delitz u. Heinrichs Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aust.

Nirgends in der

45

Beschreibung. 21.

707

Kairo.

Kairo, die jetzige Hauptstadt Ägyptens, ist zugleich auch die vornehmste arabische Stadt

unserer Zeit.

Sie giebt den Ton an, so weit arabische Sitte und Sprache herrscht; in

ihr sehen wir, was die Kalifenperiode Großes erzeugte, und was noch jetzt das arabische Wesen Höheres in sich trägt. Gelbgrau gleich dem Grunde, der sie trägt, erhebt sich die

Sarazenenstadt, wie keine andere, auf den kühnen Ausläufern des Mokattam-Gebirges.

Ihr gegenüber thronen auf den starren Felsenhügeln der libyschen Wüste die königlichen Pyramiden der Pharaonen, die ewigen Wächter des zauberischen Nilthals. Kairo ist die Pforte von Oberägypten. Zwischen Gebirg und Strom, zwischen Wüste und Wüste gebaut, ist sie würdig, die Nachfolgerin von Theben und Memphis, den ältesten und größten Königsstädten der Welt, zu sein. Nur wer sich einmal in seinem Leben durch die belebtesten Stadttheile von Paris oder

London gewunden hat, kann sich einen Begriff von dem Gedränge in den Straßen Kairos machen. Diese sind dazu noch sehr schmal, und der Lärm ist wegen der unglaublichen Leb­ haftigkeit der arabischen Bevölkerung mit dem Getöse keiner andern Stadt zu vergleichen. Ich brachte in der ersten Zeit stets Kopfschmerz von den Straßen mit nach Hause. Es ist, wie wenn alles im Zustande von Aufruhr und Kampf sich befände. Kameelzüge mit schweren

Lasten, flüchtige Reiter auf arabischen Pferden, Packträger ohne Barmherzigkeit, Herden von Büffeln und Ochsen, ägyptische Aufzüge mit den eintönigen Pauken und gellenden Pfeifen, Tausende dieser leise tretenden Esel, die einem auf den Fersen sind, ehe man sie auf den ungepflasterten Straßen hört: alles das kreuzt sich in unentwirrbarem Knäuel und

unter ohrenzerreißendem Geschrei und Gesang durch die schmalen Gasten, und es wäre noth, Augen hinten und vorn zu haben, um nicht ewig umgerannt und gestoßen zu werden. Tausendfach wechseln die Bilder in dieser eigenthümlichen Stadt. Das unwissende, Kindern gleiche Volk vergnügt sich an den albernsten Vorstellungen, und jeden Augenblick stößt man auf Springer, Seiltänzer und Ringkämpfer, die eine erstaunliche Gewandtheit

und Körperkraft entwickeln. Die rohen Späße und schlechten Witze der Postenreißer brin­ gen alle zu heftigem Lachen. Derwische, die durch geheimnisvolle Künste Schlangen aus den Häusern locken, Magier, die den Dieb mittelst des berühmten Zauberspiegels entdecken, die sinnreichsten Taschenspieler, von deren Geschwindigkeit man sich bei uns keinen Begriff machen kann, das Geschrei der Kameeltreiber, die den Fußgängern zurufen, das Gebrüll

und die Beschwörungen der Gaukler, die malerisch gekleideten, ernst einherschreitenden hohen Beduinengestalten, die glänzenden rothen Uniformen der durch die Straßen spren­ genden ägyptischen Offiziere, die Menge abyssinischer und äthiopischer Sklaven, das Ge­ heul der Klageweiber, welche die Todten zum Grabe geleiten, indem sie sich die Haare zerreißen und die Brüste zerschlagen, der traurig tönende Ruf der Muezzins von 400 Mi­ narets, der nie endende Tumult in 1100 Kaffeebuden, nackte Menschen und Kinder, halb­

verhungerte, herrenlose Hunde, in großen Banden herumschweifend und alles angreifend: all dieser sinnverwirrende Spektakel windet sich den ganzen Tag durch Straßen, die oft so schmal sind, daß man mit ausgespreizten Armen beide Häuserreihen erreichen kann. Wenn es unendlich mühsam ist, sich durch diesen Menschenknäuel durchzuarbeiten, so ist

es gewiß eben so wunderbar, daß nicht mehr, ja daß nicht unausgesetzt große Unglücksfälle aus solcher Verwirrung entstehen. Grau in Grau getaucht, erheben sich die Sarazenenschlöster des alten Kairo längs

den Höhen des Gebirges, welche das Kastell krönt. geschloffen.

Feindlich ist alles gegen einander ab­

Wie die Florentiner ihre Paläste verschanzten, im nächsten Nachbar den Feind 45*

Beschreibung.

21.

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Kairo.

Kairo, die jetzige Hauptstadt Ägyptens, ist zugleich auch die vornehmste arabische Stadt unserer Zeit. Sie giebt den Ton an, so weit arabische Sitte und Sprache herrscht; in ihr sehen wir, was die Kalifenperiode Großes erzeugte, und was noch jetzt das arabische Wesen Höheres in sich trägt. Gelbgrau gleich dem Grunde, der sie trägt, erhebt sich die Sarazenenstadt, wie keine andere, auf den kühnen Ausläufern des Mokattam-Gebirges.

Ihr gegenüber thronen auf den starren Felsenhügeln der libyschen Wüste die königlichen Pyramiden der Pharaonen, die ewigen Wächter des zauberischen Nilthals. Kairo ist die Pforte von Oberägypten. Zwischen Gebirg und Strom, zwischen Wüste und Wüste gebaut, ist sie würdig, die Nachfolgerin von Theben und Memphis, den ältesten und größten Königsstädten der Welt, zu sein. Nur wer sich einmal in seinem Leben durch die belebtesten Sladttheile von Paris oder London gewunden hat, kann sich einen Begriff von dem Gedränge in den Straßen Kairos machen. Diese sind dazu noch sehr schmal, und der Lärm ist wegen der unglaublichen Leb­ haftigkeit der arabischen Bevölkerung mit dem Getöse keiner andern Stadt zu vergleichen.

Ich brachte in der ersten Zeit stets Kopfschmerz von den Straßen mit nach Hause.

Es ist,

wie wenn alles im Zustande von Aufruhr und Kampf sich befände. Kameelzüge mit schweren Lasten, flüchtige Reiter auf arabischen Pferden, Packträger ohne Barmherzigkeit, Herden von Büffeln und Ochsen, ägyptische Aufzüge mit den eintönigen Pauken und gellenden Pfeifen, Tausende dieser leise tretenden Esel, die einem auf den Fersen sind, ehe man sie auf den ungepflasterten Straßen hört: alles das kreuzt sich in unentwirrbarem Knäuel und

unter ohrenzerreißendem Geschrei und Gesang durch die schmalen Gassen, und es wäre noth, Augen hinten und vorn zu haben, um nicht ewig umgerannt und gestoßen zu werden. Tausendfach wechseln die Bilder in dieser eigenthümlichen Stadt. Das unwissende, Kindern gleiche Volk vergnügt sich an den albernsten Vorstellungen, und jeden Augenblick stößt man auf Springer, Seiltänzer und Ringkämpfer, die eine erstaunliche Gewandtheit

und Körperkraft entwickeln. Die rohen Späße und schlechten Witze der Possenreißer brin­ gen alle zu heftigem Lachen. Derwische, die durch geheimnisvolle Künste Schlangen aus

den Häusern locken, Magier, die den Dieb mittelst des berühmten Zauberspiegels entdecken, die sinnreichsten Taschenspieler, von deren Geschwindigkeit man sich bei uns keinen Begriff machen kann, das Geschrei der Kameeltreiber, die den Fußgängern zurufen, das Gebrüll und die Beschwörungen der Gaukler, die malerisch gekleideten,

ernst einherschreitenden hohen Beduinengestalten, die glänzenden rothen Uniformen der durch die Straßen spren­ genden ägyptischen Offiziere, die Menge abyssinischer und äthiopischer Sklaven, das Ge­ heul der Klageweiber, welche die Todten zum Grabe geleiten, indem sie sich die Haare

zerreißen und die Brüste zerschlagen, der traurig tönende Ruf der Muezzins von 400 Mi­ narets, der nie endende Tumult in 1100 Kaffeebuden, nackte Menschen und Kinder, halb­ verhungerte, herrenlose Hunde, in großen Banden herumschweifend und alles angreifend: all dieser sinnverwirrende Spektakel windet sich den ganzen Tag durch Straßen, die oft so schmal sind, daß man mit ausgespreizten Armen beide Häuserreihen erreichen kann.

Wenn es unendlich mühsam ist, sich durch diesen Menschenknäuel durchzuarbeiten, so ist es gewiß eben so wunderbar, daß nicht mehr, ja daß nicht unausgesetzt große Unglücksfälle aus solcher Verwirrung entstehen. Grau in Grau getaucht, erheben sich die Sarazenenschlösser des allen Kairo längs

den Höhen des Gebirges, welche das Kastell krönt. Feindlich ist alles gegen einander ab­ geschlossen. Wie die Florentiner ihre Paläste verschanzten, im nächsten Nachbar den Feind 45*

Historische Prosa.

708

erblickend, so ist die Kalifenstadt in hundert Festungen gespalten, durch dicke Mauern und mächtige Thore verwahrt und nur durch enge Gänge unter sich verbunden, die sich gleich Laufgräben durch sie fortwinden. Eine Stadt ohne Fenster ist gewiß eine eigenthümliche Erscheinung. Die Öffnungen nach der Straße, welche sie vertreten, sind mit festem, dichtem Holzgitterwerk verschlossen. Kleinere Häuser sind ganz ohne Fenster und Gitterwerk, und alle empfangen das Licht

von dem oben offenen Hofraume, in dessen Innerem sich das ganze Leben der Wohnung bewegt. Dahin aber zu dringen, blieb mir lange ein unerfüllter Wunsch. Viele Tage wanderte ich an diesen sprachlosen Wänden herum, vom Gewühl der Straßen fortgetrieben;

manche Nacht besah ich mit Erstaunen die unheimlichen Gebäude, die kein Lichtstrahl er­ leuchtete, aus denen kein Ton der Freude hervordrang, die todte, ausgestorbene Stadt mit ihren dunkeln hohen Häusern, die gleich Statuen ohne Augen mich anstarrten, die näm­ liche Stadt, die des TageS so laut, so schrecklich laut sich hatte vernehmen lassen! Nach Hailbrcniiers Morgen- und Abendland.

22.

Der südliche Sternhimmel in der heissen Zone.

Seit wir in die heiße Zone eingetreten waren, konnten wir jede Nacht die Schönheit des südlichen Himmels nicht genugsam bewundern, welcher in dem Maß, als wir nach

Süden vorrückten, neue Sternbilder unsern Augen entfaltete. Man hat ein wunderbar unbekanntes Gefühl, wenn man bei der Annäherung gegen den Äquator und besonders,

wenn man von der einen Halbkugel in die andere übergeht, allmählich die Sterne niedriger werden und zuletzt verschwinden sieht, welche man von seiner ersten Kindheit an kennt. Nichts erinnert einen Reisenden lebhafter an die unermeßliche Entfernung seines Vater-

landcs als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppirung der großen Sterne, einige zerstreute Nebelsterne, welche an Glanz mit der Milchstraße wetteifern, und Räume, welche durch eine außerordentliche Schwärze ausgezeichnet sind, geben dem südlichen Himmel eine eigenthümliche Physiognomie. Dieses Schauspiel setzt selbst die Einbildungskraft derjenigen in Bewegung, welche ohne Unterricht in den höheren Wissenschaften das Himmelsgewölbe gern betrachten, wie man eine schöne Landschaft oder eine majestätische Aussicht bewundert. Man hat nicht nöthig, Botaniker zu fein, um die heiße Zone bei dem bloßen Anblick der Vegetation zu erkennen; ohne Kenntnis in der Astronomie erlangt zu haben, ohne mit den Himmelskarten von Flamsteed und La Caille vertraut zu sein, fühlt man, daß man nicht in Europa ist, wenn man das ungeheure Sternbild des Schiffs oder die selbstleuchtenden Wolken Magellans am Horizont aussteigen sieht. Die Erde und der Himmel, alles nimmt in der Äquinoktialgegend einen fremden Charakter an.

Die niedern Gegenden der Luft waren seit einigen Tagen mit Dämpfen angefüllt. Wir sahen erst in der Nacht vom 4. zum 5. Juli (1199) im sechzehnten Grade der Breite das Kreuz des Südens zum ersten Male deutlich; es war stark geneigt und erschien von Zeit zu Zeit zwischen Wolken, deren Mittelpunkt, von dem Wetterleuchten gefurcht, ein

silberfarbenes Licht zurückwarf. Wenn es einem Reisenden erlaubt ist, von seinen persön­ lichen Rührungen zu reden, so setze ich hinzu, daß ich in dieser Nacht einen der Träume meiner ersten Jugend in Erfüllung gehen sah. Wenn man anfängt, den Blick auf geographische Karten zu heften und die Beschrei­ bungen der Reisenden zu lesen, so fühlt man eine Art von Vorliebe für gewisse Länder und Klimate, von welcher man sich in einem höheren Alter nicht wohl Rechenschaft geben

kann.

Diese Eindrücke haben einen merkbaren Einfluß auf unsere Entschlüsse, und wir

Beschreibung.

709

suchen uns wie instinktmäßig mit den Gegenständen in Beziehung zu setzen, welche seit langer Zeit einen geheimen Reiz für uns hatten. In einer Epoche, wo ich den Himmel studirte, nicht um mich der Astronomie zu widmen, sondern um die Sterne kennen zu ler­ nen, wurde ich von einer Furcht in Bewegung gesetzt, welche denjenigen unbekannt ist, die eine sitzende Lebensart lieben. Es schien mir schmerzhaft, der Hoffnung zu entsagen, die

schönen Sternbilder zu sehen, welche in der Nähe des Südpols liegen. Ungeduldig, die Gegenden deS Äquators zu durchwandern, konnte ich die Augen nicht gegen das gestirnte Gewölbe des Himmels erheben, ohne an das Kreuz des Südens zu denken und ohne mir die erhabene Stelle des Dante in das Gedächtnis zurückzurufen, welche die berühmtesten

Kommentatoren auf dieses Sternbild bezogen haben:

Zur Rechten kehrt' ich mich, den Geist gewandt, Zum andern Pol und sah vier Stern' im Schimmer, Die niemand als das erste Paar erkannt. Den Himmel letzt' ihr funkelndes Geflimmer; O du verwaistes Land, du öder Nord, Du siehst den Glanz der schönen Lichter nimmer! Die Befriedigung, welche wir bei der Entdeckung dieses Kreuzes des Südens empfan­ den, wurde lebhaft von denjenigen Personen der Schiffsmannschaft getheilt, welche die Kolonien bewohnt hatten. In der Einsamkeit der Meere grüßt man einen Stern wie einen

Freund, von dem man lange Zeit getrennt war. Bei den Portugiesen und Spaniern scheinen noch besondere Gründe dieses Interesse zu vermehren; ein religiöses Gefühl macht ihnen ein Sternbild lieb, dessen Form ihnen das Zeichen des Glaubens ins Gedächtnis

ruft, welches von ihren Voreltern in den Wüsten der neuen Welt aufgepflanzt wurde. Da die beiden großen Sterne, welche die Spitze und den Fuß des Kreuzes bezeichnen, ungefähr die nämliche gerade Aufsteigung haben, so muß das Sternbild in den: Augenblick, wo eS durch den Meridian geht, beinahe senkrecht stehen. Diesen Umstand kennen alle Völker, welche jenseits deS Wendekreises oder auf der südlichen Halbkugel wohnen. Man hat beobachtet, um welche Zeit in der Nacht iu den verschiedenen Jahreszeiten das Kreuz im Süden gerade oder geneigt ist. Es ist dies eine Uhr, welche ziemlich regelmäßig, nahezu um vier Minuten täglich, vorrückt, und kein anderes Sternbild bietet bei dem bloßen An­ blick eine so leicht anzustellende Beobachtung der Zeit dar. Wie oft hörten wir in den Savannen von Venezuela oder in der Wüste, welche sich von Lima nach Trujillo erstreckt,

unsere Wegweiser sagen: Mitternacht ist vorbei, das Kreuz fängt an sich zu neigen. A. v. Humboldt.

23.

Ein Tag unter dem Äquator.

Wie glücklich bin ich hier, wie tief und innig kommt hier so manches zu meinem Verständnisse, das mir vorher unerreichbar stand! Die Heiligkeit dieses Ortes, wo alle Kräfte sich harmonisch vereinen, zeitiget Gefühle und Gedanken. Ich meine, besser zu verstehm, waS es

heiße, Geschichtschreiber der Natur zu sein. Ich versenke mich täglich in

das große und unaussprechliche Stillleben der Natur, und vermag ich auch nicht, es ganz zu rrfassen, so erfüllt mich doch die Ahnung seiner Herrlichkeit mit nie gefühlter Wonne. Es ist drei Uhr morgens; ich verlasse meine Hangmatte, denn der Schlaf flieht mich Auf­ geregten; ich öffne die Läden und sehe hinaus in die dunkle, hehre Nacht. Feierlich flimmern die Sterne, und der Strom glänzt im Wiederscheine des untergehenden Mondes zu mir herrber.

Wie geheimnisvoll und stille ist alles um mich her! Ich wandle mit der Blend-

710

Historische Prosa.

latente hinaus in die kühle Veranda und betrachte meine trauten Freunde: Bäume und

Gesträuche, die um die Wohnung her stehen. Manche schlafen mit dicht zusammengelegten Blättern, andere aber, die Tagschläfer sind, ragen ruhig auSgebreitet in die stille Nacht auf; wenige Blumen stehen geöffnet; nur ihr, süßduftende Paullinien-Hecken, begrüßet mit feinstem Wohlgeruche den Wanderer, und du, erhabene, düsterschattende Manga, deren dichtbelaubte Krone mich gegen den Nachtthau schützet. Gespensterhaft flattern große Nacht­ schmetterlinge um die verführenden Lichter meiner Laterne. Immer stärker durchnäßt der Thau die frisch aufathmenden Wiesen, und die Nachtluft legt sich feucht auf die erwärmten

Glieder. Eine Zikade, die im Hause wohnet, lockt mich mit heimischem Gezirpe wieder hinein und leistet dem glücklichen Halbträumer Gesellschaft, der den Tag erwartet, vom Gesumse der Moskiten, den paukenähnlichen Schlägen eines OchsenfroscheS oder dem klagen­ den Rufe des Ziegenmelkers wach erhalten. Um fünf Uhr seh' ich ringsum den Morgen dämmern; ein feines, gleichmäßiges Grau, mit Morgenroth verschmolzen und davon erheitert,

umzieht den Himmel; nur der Zenith ist dunkler. Die Formen der Bäume treten näher und näher; der Landwind, der im Osten aufsteht, bewegt sie langsam; schon schimmern rosenrothe Lichter und Reflexe um die Gipfel der Bäume. Die Zweige, die Blätter regen sich; Käfer fliegen, Mücken summen, Vögel rufen, Affen klettern schreiend ins Dickicht zu­

rück; die Nachtschmetterlinge suchen, lichtscheu taumelnd, ihre Waldnacht wieder; auf den Wegen regt sich's, die Nagethiere laufen ins Gemäuer zurück und die hinterlistigen Marder­ arten schleichen sachte vom Geflügel, dem der prunkende Haushahn den Morgen anruft. Immer Heller wird's in der Luft; der Tag bricht an. Eine unbeschreibliche Feier liegt über der Natur; wie rothe Blitze leuchtet der Sonnenrand; jetzt steigt die Sonne empor, in einem nu ist sie ganz über dem Horizonte, auftauchend auö feurigen Wellen, und wirft glühende Strahlen über die Erde hin. Die magische Dämmerung weicht, große Reflexe flüchten sich, verfolgt von Dunkel zu Dunkel, und auf einmal steht rings um den entzückten Beschauer die Erde in frischem Thauglanz festlich, jugendlich heiter. Kein Wölkchen am Himmel, ungetrübt wölbt er sich über der Erde. Alles ist Leben; Thiere und Pflanzen im Genuß, im Kampf. Um sieben Uhr beginnt der Thau zu verschwinden, der Landwind läßt etwas nach, schon wird die zunehmende Wärme bemerklich. Die Sonne steigt schnell und senkrecht am klaren und durchsichtig blauen Himmel auf, in welchem alle Dünste gleich­ mäßig aufgelöst sind, bis sich späterhin niedrig am westlichen Horizonte kleine, weißflockige Wolken bilden; diese spitzen sich gegen das Tagesgestirn zu und verlängern sich allmählich

weithin am Firmamente. Um die neunte Stunde wird die Wiese ganz trocken; der Wald steht im Glanze seiner Lorbeerblätter; andere Blüten entfalten sich, andere hat die schnellere Entwickelung bereits hinweggerafft. Noch eine Stunde später, und die Wolken wölben sich hoch auf; sie gestalten sich zu breiten, dichteren Masten und ziehen, bisweilen verdunkelnd und kühlend, unter der Sonne hin, die in leuchtender Fülle die Landschaft beherrscht. Es zucken die Pflanzen unter den sengenden Strahlen der Sonne; ganz selbst verloren geben sie sich dem mächtigen Reize hin. Goldbeschwingte Käfer und Kolibris schwirren lustig

näher; ein lebendiges Farbenspiel, gaukeln bunte Schmetterlinge und Libellen am Ufer durch einander; die Wege wimmeln von Ameisen, die in ausgedehnten Zügen Blätter zu ihren Bauwerken schleppen. Aber auch die trägeren Thiere empfinden den Sonnenreiz; das Krokodil steigt vom Schlamme des untern Ufers weiter herauf und lagert sich in den heißen

Sand; Schildkröten und Eidechsen werden aus ihrem feuchten Schatten hervorgelockt; buntschillernde und düsterfarbige Schlangen schleichen in die warm beleuchteten Fußwege. Die Wolken senken sich tief, sie sondern sich schichtenweise ab, immer schwerer, dichter, düsterer umhüllen sie bläulichgrau den Horizont; gegen den Zenith thürmen sie sich an zu

Beschreibung.

711

Hellern, weitverbreiteten Massen, ein Abbild riesiger Gebirge in der Luft.

Auf einmal

überzieht sich der ganze Himmel; nur hie und da blickt noch die tiefe Bläue zwischendurch; die Sonne verbirgt sich, aber um so heißer liegt die Glut der Luft auf der Landschaft. Mittag ist vorüber; trüb, schwer, melancholisch hängt diese Stunde über der Natur; immer tiefer greift die Spannung, und das Wehe ist da, welches die Lust des Tages ge­ zeugt hat.

Hunger und Durst jagen die Thiere umher; nur die ruhigen, die trägen, in

die Schatten des Waldes geflüchteten ahnen nichts von der gewaltigen Krise der Natur; aber sie kommt; schon erkältet sich die Luft, die Winde fahren wild gegen einander; sie wühlen den Wald auf und dann das Meer, das immer schwärzer einherwogt, und die

Flüsse, die dunkler und, vom Winde übertönt, lautlos dahinzufließen scheinen. Der Sturm ist da! Zwei-, dreimal reißt ein fahler Blitz dnrch die Wolken; zwei-, dreimal rollt der Donner, rollt langsam, ruhig, erbebend. Tropfen fallen. Die Pflanzen athmen aus der Ermattung neu auf; ein neuer Donner, und — nicht Regen, sondern Wasserströme

gießt nun der erschütterte Himmel aus.

Der Wald erseufzt; das lispelnde Plätschern der

bewegten Blätter wächst zum Rauschen an, zum weithin tönenden dumpfen Getrommel. Blumen schwanken, Blätter fallen, zerrissene Äste, morsche Stämme stürzen; mit Gewalt

nimmt der Orkan den letzten Reiz der Zartheit von den niedergedrückten Pflanzengeschlech ­ tern. Auch die Thierwelt hat diese furchtbare Stunde ergriffen; verstummt, entsetzt flattert das Gefieder des Waldes am Boden; zitternd suchen die zahllosen Geschlechter der Insekten unter Blättern, an Stämmen Schutz; von Krieg und Mord abgemahnt, läßt das Säuge­

thier nach in der Verfolgung; nur die kaltblütigen Amphibien freuen sich der herab­

stürzenden Flut, und tausendstimmig singen die Chöre der Frösche und Unken aus den feuchten Wiesen auf. In Bächen rauscht das trübe Wasser durch die engen Waldwege dem Strome zu oder ergießt sich in die Risse des Bodens.

Mehr und mehr nimmt dabei die

Temperatur der Luft ab, die Wolken entleeren sich allmählich; aber nur noch kurze Zeit,

und der Sturm ist vorüber. In verjüngtem Glanze tritt die Sonne aus langgedehnten Wolkenschichten hervor, die mehr und mehr auseinanderziehen, nach Süden und Norden sich senken und wie am

Morgen in dünnen, leichten Gestalten den azurnen Grund des Firmaments umsäumen. Schon lächelt der Himmel aus tiefblauem Auge die Erde wieder an, und bald hat sie den

Schreck vergessen. Eine Stunde länger, und keine Spur des Sturms ist mehr vorhanden; in neuer Frische, vom warmen Sonnenstrahl abgetrocknet, stehen die Pflanzen, und das Thier bewegt sich wieder nach alter Weise, den angestammten Trieben folgeleistend. So zieht der Abend heran, und neue Wolken erscheinen zwischen den weißen Flocken am Hori­ zonte; sie führen bald einen violetten, bald einen fahlgelben Schein in die Landschaft ein,

der harmonisch den Hintergrund der hohen Waldung, den Strom und das Meer verbindet. Die Sonne sinkt und tritt, umgeben vom buntesten Farbenschmelze, aus dem westlichen Thore des Firmaments. Mit ihr verschwinden die unruhigen Bewegungen der Thierwelt, welche nun, stille werdend, sich der nächtlichen Ruhe überläßt. Noch schimmern einzelne Lichtblicke im Abglanz der untergegangenen Sonne um die Firsten: da steigt in stiller

Kühle ruhig, mild und geisterhaft der silberweiße Mond über den dunkeln Wald hervor, und in neue, weichere Formen verschmelzen sich die Gestalten. Es kommt die Nacht; in Schlaf und Traum sinkt die Natur, und der Äther, sich in ahnungsvoller Unermeßlichkeit

über die Erde wölbend, von zahllosen Zeugen fernster Herrlichkeit erglänzend, strahlt Demuth und Vertrauen in das Herz des Menschen, die göttlichste Gabe nach einem Tage des Schauens und des Genießend.

Aus Martins' Reise in Brasilien.

712

Historische Prosa.

24. Die Hauptstadt Mexiko. Mexiko, im Jahre 1524 durch Cortez auf derselben Stelle gegründet, auf der einst Tenochtitlan, die glänzende Hauptstadt der Herrscher von Anahuak, inmitten des SeeS von

Tezkuko sich erhob, bildet ein fast genaues Quadrat und ist so orientirt, daß die einander

beinahe überall in rechten Winkeln durchschneidenden Straßen fast genau von Süd nach Nord und von Ost nach West gerichtet sind. Nur in den Vorstädten trifft man hie und

da anders laufende, nirgends aber eigentlich krumme Straßen an. Beinahe alle Straßen der eigentlichen Stadt sind sehr breit, größtentheils wohl breiter als die Hauptstraßen der größten Städte Europas. Dabei sind sie schnurgerade und bei einer Länge von 2000 bis 3000 m so vollkommen eben, daß sie das Auge mit einem einzigen Blicke überfliegt und ausruht auf den düsteren Gebirgen, welche das Thal von Mexiko rings umgeben und in der dünnen und klaren Atmosphäre so nahe erscheinen, als erhöben sie sich unmittelbar am

Ende der Straßen. Kaum dürfte es irgend eine andere Stadt auf dem Erdboden geben, welche hinsichtlich der Ebene des BodenS, der Regelmäßigkeit und Breite der Straßen und der Großartigkeit der öffentlichen Plätze den Vergleich mit Mexiko auöhielte. Die meisten

Straßen haben bedeckte, einige aber auch offene Kanäle, welche das Regenwasser abzusühren bestinlmt sind, sich aber jeden Augenblick verstopfen, da sie nur wenig Fall haben und haben können, weil das Bett und mit ihm der Wafferstand des Sees von Tezkuko, an dessen Ufern die Stadt liegt, sich jährlich erhöht. Der Unterschied zwischen dem Niveau der Stadt

und dem gewöhnlichen höchsten Wasserstande des Sees beträgt jetzt kaum noch 18 spanische Zoll. Die bedeckten Kanäle sind mit dicken Steinplatten nicht gar dicht zugelegt. Bei starkem Regenwetter vermögen sie die vom Himmel herabströmende Wassermasse nicht zu

fassen, und die Straßen werden überschwemmt, während bei trockenem und warmem Wetter der in den Kanälen angehäufte Schlamm übelriechende Dünste auöhaucht, die von den fast jeden Nachmittag eintretenden Winden selten ganz vertrieben werden. Schmutziger noch sind die Straßen, in welchen statt der bedeckten Kanäle offene dimneii die Mitte des Fahrweges durchziehen. In ihnen herrscht, wenn nicht etwa das Wetter lange Zeit sehr trocken war, ein Morast, der oft bis zur Höhe mehrerer Zentimeter daö Pflaster bedeckt. Schmutziger noch als die eigentliche Stadt, selbst elend sind die Vorstädte der soge­

nannten Barrios. Der Reisende, welcher zum ersten .Male nach Mexiko kommt, kann, da er sie stets zuerst betritt, kaum glauben, daß er sich wirklich in der berühmten, reichen Hauptstadt Neu-Spaniens, dieses vermeintlichen Dorado, befinde. Ich erstieg einen der Thürme der Kathedrale, von denen herab man eines aus­ gedehnten Überblickes über die Stadt genießt. Unmittelbar zu meinen Füßen lag der große Hauptplatz, auf dem eine Menge Menschen gleich Ameisen durch einander gingen, liefen, ritten und fuhren. Lange, volkreiche Straßen dehnen nach allen Richtungen sich aus. Nasch überfliegt das Auge die terrassenförmig, bald niedriger, bald höher sich erhebenden platten Dächer der Häuser, die nicht entstellt sind durch unförmliche Schornsteine, deren Qualm die Atmosphäre verfinstert. Hell und glänzend lagen sie da im glühenden Sonnen­ scheine des Südens, und wenn ja hie und da ein einzelnes Rauchwölkchen rasch aufwirbelte, so hatte es doch keinen Einfluß auf die tiefe, klare Bläue des Himmels über ihm, in dessen

unendlichen Weiten es bald verschwand. Hie und da erblickt man ein Dach, besetzt mit Blumenvasen und Kübeln voll blühender Sträuche, unter denen nach altspanischer Sitte am Abende der Klang der Guitarren ertönt. Kuppeln und Thürme in großer Anzahl erheben sich allenthalben, weit hinausragend über die platten Dächer. Ein Amerikaner zählte 105 Kuppeln, Dome und Thurmspitzen. Über die Stadt hinaus erblickt man die

713

Beschreibung.

großen Ebenen deS Thales von Tenochtitlan mit den von der Stadt weit sich hinziehenden Alleen und Landstraßen, mit seinen spiegelglatten, in der Sonne blitzenden Seen, von Deichen durchschnitten, mit seinen freundlichen Dörfern, Meiereien und Landhäusern und mit seinen isolirten, kegelförmigen Hügeln, umgürtet von düsteren, wolkenumlagerten Ge­ birgen. Leider hatten die Vulkane, der Popokatepetl und Jztaccihuatl, neidisch ihre glän­ zenden Häupter verhüllt und dem vor mir ausgebreiteten prachtvollen Panorama damit eine

seiner herrlichsten Schönheiten geraubt; aber dennoch war es ein großer, ein unaussprechlich

erhabener Anblick! Kein Panorama irgend einer anderen Stadt, am wenigsten einer euro­ päischen, dürste dem von Mexiko an erhabener, majestätischer Schönheit gleichkommen. Lange stand ich da, verloren in den Anblick der zu meinen Füßen ausgebreiteten Pracht. Humboldt hat Recht. Es sind nicht seine Gebäude und Monumente, ich setze hinzu, es ist auch nicht seine Regelmäßigkeit und die Breite seiner endlosen Straßen, durch welche Mexiko jenen großartigen Eindruck hervorbringt, der ewig unverlöschlich in der Erinnerung des Reisenden fortdauert, den auch ich empfand und mit mir forttrug in bewegter Brust; nicht

vergängliche Werke der Menschen sind es, es ist die Erhabenheit, die Majestät der die Stadt

umgebenden hohen, unvergleichlich prachtvollen Natur! Man darf hier nicht an eine schöne

europäische Gegend denken. Mexiko ist etwas ganz Anderes. Nichts Einzelnes zieht hier das Auge an. Dies ist oft traurig, häßlich. Es ist die unbeschreibliche, fremdartige Er­ habenheit des großen Ganzen, welche mit unwiderstehlicher Gewalt eindringt auf den Be­ schauer und ihn fortreißt zu Bewunderung und Entzücken. Unter den öffentlichen Plätzen Mexikos ist der, dessen eine Seite die Kathedrale ein­

nimmt, und welcher Plaza mayor genannt wird, der größte.

Er ist vielleicht größer als

irgend ein ähnlicher in einer andern Stadt der Welt, von Nord nach Süd 384 m lang und von Ost nach West 256 m breit. Auf dem nördlichen Theile desselben steht die

Kathedrale, ein schönes Gebäude im reinsten dorischen Stil, erbaut auf derselben Stelle, auf welcher einst der Haupttempel der Azteken sich erhob. Ein reges Leben und Treiben bewegt sich vom frühen Morgen bis in die späte Nacht unter den Arkaden und Säulengängen, welche die West- und Südseite des großen Platzes umgeben und sich von ersterer noch weit in die Straßen de los Tlapaleros und del Coliseo viejo hinabziehen. Kaufläden, Speise-, Wein- und Kaffeehäuser befinden sich unter diesen Hallen. Kleine Krämer in Galanteriewaaren, Büchern, Wachsfiguren, Spielsachen, Obst

und hundert anderen Gegenständen haben unter ihuen ihre Stände, und Verkäufer von Zeitungen und Flugschriften drängen sich schreiend durch die hier beständig auf- und ab­

wogende Menge. Beutelschneider und Taschendiebe haben hier ebenfalls ihr Standquartier. Geputzte Herren aller Stände drängen und stoßen einander oder sitzen, Erfrischungen nehmend, in den glänzenden, lockenden, stets offenen Sälen der Restaurationen und Kaffee­ häuser. In zerrißene Mäntel und Decken gewickelt, lehnt das Volk der Leperos und Bettler an den Pfeilern, die Vorübergehenden anbettelnd oder bestehlend. Die Verkäufer sind meist Azteken, und das Ausrufen geschieht in ihrer Muttersprache, nicht in der spanischen, so daß nur die in der Stadt Mexiko Einheimischen verstehen, was ausgeboten wird. Die Ver­

käufer tragen gemeinhin alles auf den Köpfen in Körben und anderen Gefäßen.

Eine

andere Art von Menschen, welche ebenfalls gleich mit Anfang des Tages rege werden, sind die Wafferträger (Aguadores), Männer, durch welche die Haushaltungen der Vornehmeren mit ihrem Bedarf an Wasser für den Tag versehen werden. Sie tragen das flüssige Ele­ ment in großen, fast kugelrunden Flaschen von gebranntem Thon, von welchen die eine,

größere, an einem breiten, über die Stirn des Trägers laufenden Bande befestigt, auf

dessen Rücken hängt, während die zweite, bei weitem kleinere, durch Stricke mit jener ver-

Historische Prosa.

714

bunden und ihr als Gegengewicht dienend, vorn vor der Brust schwebt. Gegen neun Uhr morgens ist das Geschäft dieser Leute beendet; sie haben ihren geringen Lohn bekommen und überlassen sich nun größtentheilS während der übrigen Dauer des Tage- dem Müßig­ gänge. Welcher Fremde hätte nicht auch auf der Plaza mayor und in deren Nähe jene wohlgekleideten Männer bemerkt, welche, versehen mit Feder, Dinte und Papier, unter Sonnenschirmen von Matten sitzen oder unter der Menge umherwandeln und den darin Unerfahrenen ihren Beistand in der edlen Schreibkunst anbieten? Vielleicht dürfte eine

ähnliche Menschenklaffe

außer Mexiko

nirgend gefunden werden.

Diese Leute heißen

Evangelistas; sie schreiben mit gleicher Fertigkeit einen Liebesbrief, eine Bittschrift, eine Rechnung, eine Klageschrift oder Vorstellung an einen Gerichtshof oder waS sonst immer nieder und besitzen das Talent, die verworrensten, oft kaum halb ausgesprochenen Gedanken

und Andeutungen zu einem verständlichen und gefälligen Aufsatze zusammenzustellen. Nach Mühlenpfordts Schilderung der Republik Mexiko.

25.

Die Llanos des Orinoko.

Am Fuße des hohen Granitrückens, welcher im Jugendalter unseres Planeten bei Bildung des antillischen Meerbusens dem Einbruch des Wassers getrotzt hat, beginnt eine weite, unabsehbare Ebene. Wenn man die Bergthäler von Caracas und den inselreichen See Takarigua, in dem die nahen Pisang-Stämme sich spiegeln, wenn man die Fluren, welche mit dem zarten und lichten Grün des tahitischen Zuckerschilfes prangen, oder den ersten Schatten der Kakao-Gebüsche zurückläßt: so ruht der Blick im Süden auf Steppen, die, scheinbar ansteigend, in schwindender Ferne den Horizont begrenzen. Aus der üppigen Fülle des organischen Lebens tritt der Wanderer betroffen an den öden Rand einer baum­ losen, pflanzenarmen Wüste. Kein Hügel, keine Klippe erhebt sich inselförmig in dem un­ ermeßlichen Raume. Nur hier und dort liegen gebrochene Flözschichten von zweihundert Quadratmeilen Oberfläche, bemerkbar höher als die angrenzenden Theile. Bänke nennen die Eingebornen diese Erscheinung, gleichsam ahnungsvoll durch die Sprache den alten Zustand der Dinge bezeichnend, da jene Erhöhungen und Tiefen, die Steppen selbst aber

der Boden eines großen Mittelmeeres waren. Von der Äüstenkette von Caracas erstreckt sich die Steppe bis zu den Wäldern der Guiana, von den Schneebergen von Merida, an deren Abhange der Natrum-See Urao ein Gegenstand des religiösen Aberglaubens der Eingebornen ist, bis zu dem großen Delta, welches der Orinoko an seiner Mündung bildet. Südwestlich zieht sie sich gleich einem Meeresarme jenseits der Ufer des Meta und des Vichada bis zu den unbesuchten Quellen des Guaviare und bis zu dem einsamen Gebirgsstock hin, welchen spanische Kriegsvölker im Spiel ihrer regsamen Phantasie den Paramo de Ja Suma Paz, gleichsam den schönen Sitz

des ewigen Friedens, nannten. Diese Steppe nimmt einen Raum von 16000 Quadrat­ meilen ein. Aus geographischer Unkunde hat man sie oft in gleicher Breite als ununter­ brochen bis an die Magellanische Meerenge fortlaufend geschildert, nicht eingedenk der waldigen Ebene des Amazonenfluffes, welche gegen Norden und Süden von den Grassteppen des Apure und des La Plata-StromS begrenzt wird. Die Andeskette von Cochabamba und die brasilianische Berggruppe senden zwischen der Provinz ChiquitoS und der Landes­ enge von Viüabella einzelne Bergjoche sich entgegen. Eine schmale Ebene vereinigt die Hyläa des Amazonenfluffes mit den Pampas von Buenos-Ayres. Letztere übertreffen die Llanos von Venezuela dreimal an Flächeninhalt. Ja, ihre Ausdehnung ist so wundervoll groß, daß sie auf der nördlichen Seite durch Palmengebüsche begrenzt und auf der südlichen

Beschreibung.

715

fast mit ewigem Eise bedeckt sind. Der kasuarähnliche Iut)u,(Struthio Rhea) ist diesen Pampas eigenthümlich wie die Kolonien verwilderter Hunde, welche gesellig in unterirdischen

Höhlen wohnen, aber oft blutgierig den Menschen anfallen, für dessen Vertheidigung ihre Stammvater kämpften. Gleich dem größten Theile der Wüste Sahara liegen die LlanoS oder die nördlichste Ebene von Südamerika in dem heißen Erdgürtel; dennoch erscheinen sie in jeder Hälfte des Jahres unter einer verschiedenen Gestalt: bald verödet wie das libysche Sandmeer, bald als eine Grasflur wie so viele Steppen von Mittelasien. Seit der Entdeckung deS neuen Kontinents sind die Ebenen (LlanoS) dem Menschen bewohnbar geworden. Um den Verkehr zwischen der Küste und der Guiana (dem OrinokoLande) zu erleichtern, sind hier und da Städte an den Steppenflüssen erbaut. Überall hat Viehzucht in dem unermeßlichen Raume begonnen. Tagereisen von einander entfernt liegen einzelne, mit Rindsfellen gedeckte, aus Schilf und Riemen geflochtene Hütten. Zahllose Schaaren verwilderter Stiere, Pferde und Maulesel (man schätzte sie zur friedlichen Zeit meiner Reise noch auf anderthalb Millionen Köpfe) schwärmen in der Steppe umher. Die ungeheuere Vermehrung dieser Thiere der alten Welt ist um so bewunderungswürdiger, je

mannigfaltiger die Gefahren sind, mit denen sie in diesen Erdstrichen zu kämpfen haben. Wenn unter dem senkrechten Strahl der nie bewölkten Sonne die verkohlte Grasdecke in Staub zerfallen ist, klafft der erhärtete Boden auf, als wäre er von mächtigen Erdstößen

erschüttert. Berühren ihn dann entgegengesetzte Luftströme, deren Streit sich in kreisender Bewegung ausgleicht, so gewährt die Ebene einen seltsamen Anblick. Als trichterförmige

Wolken, die mit ihren Spitzen an der Erde hingleiten, steigt der Sand dampfartig durch die luftdünne, elektrisch geladene Mitte des Wirbels empor gleich den rauschenden Wasserhosen, die der erfahrene Schiffer fürchtet. Ein trübes, fast strohfarbiges Halblicht wirft die

nun scheinbar niedrigere Himmelsdecke auf die verödete Flur. Der Horizont tritt plötzlich näher. Er verengt die Steppe wie daS Gemüth des Wanderers. Die heiße, staubige Erde, welche im nebelartig verschleierten Dunstkreise schwebt, vermehrt die erstickende Luft­ wärme. Statt Kühlung führt der Ostwind neue Glut herbei, wenn er über den lang erhitzten Boden hinweht. Auch verschwinden allmählich die Lachen, welche die gelb gebleichte Fächer­ palme vor der Verdunstung schützte. Wie im eisigen Norden die Thiere durch Kälte er­ starren, so schlummert hier unbeweglich das Krokodil und die Boa-Schlange. Überall verkündet Dürre den Tod, und doch überall verfolgt den Dürstenden im Spiele des ge­ brochenen Lichtstrahls das Trugbild des wellenschlagenden Wasserspiegels. Ein schmaler Luftstreif trennt das ferne Palmengebüsch vom Boden. Es schwebt durch Kimmung gehoben bei der Berührung ungleich erwärmter und also ungleich dichter Luftschichten. In finstere Staubwolken gehüllt, von Hunger und brennendem Durste geängstigt, schweifen Pferde und Rinder umher, diese dumpf aufbrüllend, jene mit langgestrecktem Halse gegen den Wind

anschnaubend, um durch die Feuchtigkeit des Luftstroms die Nähe einer nicht ganz verdampften Lache zu errathen. Bedächtiger und verschlagener sucht das Maulthier auf andere Weise

seinen Durst zu lindern.

Eine kugelförmige und dabei vielrippige Pflanze, der Melonen-

Kaktus, verschließt unter seiner stachligen Hülle ein wasserreiches Mark.

Mit dem Vorder­

fuße schlägt das Maulthier die Stacheln seitwärts und wagt es dann erst, die Lippen be­ hutsam zu nähern und den kühlen Distelsaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieser lebendigen, vegetabilischen Quelle ist nicht immer gefahrlos; oft sieht man Thiere, welche von Kaktus-Stacheln am Hufe gelähmt sind. Folgt auf die brennende Hitze des Tages die

Kühlung der hier immer gleich langen Nacht, so können Rinder und Pferde selbst dann nicht der Ruhe sich erfreuen. Ungeheure Fledermäuse saugen ihnen während des Schlafes

716

Historische Prosa.

vampirartig das Blut aus oder hängen sich an dem Rücken fest, wo sie eiternde Wunden erregen, in welchen Moskitos und eine Schaar stechender Insekten sich ansiedeln. So führen die Thiere ein schmerzenvolles Leben, wenn vor der Glut der Sonne das Waffer

auf dem Erdboden verschwindet. Tritt endlich nach langer Dürre die wohlthätige Regenzeit ein, so verändert sich plötzlich die Szene in der Steppe. Das tiefe Blau des bis dahin nie bewölkten Himmels wird lichter. Kaum erkennt man bei Nacht den schwarzen Raum int Sternbild des süd­ lichen Kreuzes. Der sanfte, phosphorartige Schimmer der Magellanischen Wolken verlischt. Selbst die scheitelrechten Gestirne des Adlers und des Schlangenträgers leuchten mit zittern­ dem, minder planetarischem Lichte. Wie ein entlegenes Gebirge erscheint einzelnes Gewölk im Süden, senkrecht aufsteigend am Horizonte. Nebelartig breiten allmählich die vermehrten

Dünste sich über den Zenith aus. Den belebenden Regen verkündigt der ferne Donner. Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich die duftende Steppe mit Khllin-

gien, mit vielrispigem Paspalum und mannigfaltigen Gräsern.

Vom Lickte gereizt, ent­

falten krautartige Mimosen ihre gesenkt schlummernden Blätter und begrüßen die aufgehende Sonne wie der Frühgesang der Vögel und die sich öffnenden Blüten der Wasserpflanzen.

Pferde und Rinder weiden nun in frohem Genusse des Lebens. Das hoch aufschießende Gras birgt den schön gefleckten Jaguar. Im sichern Versteck auflauernd und die Weite des eigenen Sprunges vorsichtig messend, erhascht er die vorüberziehenden Thiere katzenartig wie der asiatische Tiger.

Bisweilen sieht man (so erzählen die Eingebornen) an den Ufern

der Sümpfe den befeuchteten Letten sich langsam und schollenweise erheben. Mit heftigem Getöse wie beim Ausbruche kleiner Schlammvulkane wird die aufgewühlte Erde hoch in die Luft geschleudert. Wer des Anblicks kundig ist, flieht die Erscheinung; denn eine riesen­

hafte Wasserschlange oder ein gepanzertes Krokodil steigen aus der Gruft hervor, durch den ersten Regenguß aus dem Scheintede erweckt. Schwellen nun allmählich die Flüsse, welche die Ebene südlich begrenzen, der Arauka, der Apure und der Payara, so zwingt die Natur dieselben Thiere, welche in der ersten Jahreshälfte auf dem wasserleeren, staubigen Boden vor Durst verschmachteten, als Amphibien zu leben. Ein Theil der Steppe erscheint nun wie ein unermeßliches Binnenwasser. Die Mutterpferde ziehen sich mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche inselförmig über dem Seespiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengt sich der trockene Raum. AuS Mangel an Weide schwimmen die zusammen­ gedrängten Thiere stundenlang umher und nähren sich kärglich von der blühenden Gras­ rispe, die sich über dem braun gefärbten, gährenden Master erhebt. Viele Füllen er­

trinken, viele werden von den Krokodilen erhascht, mit dem zackigen Schwänze zerschmettert und verschlungen. Nicht selten bemerkt man Pferde und Rinder, welche, dem Rachen dieser blutgierigen, riesenhaften Eidechsen entschlüpft, die Spur des spitzigen Zahnes am Schenkel tragen.

Ein solcher Anblick erinnert unwillkürlich den ernsten Beobachter an die Biegsamkeit, mit welcher die alles aneignende Natur gewisse Thiere und Pflanzen begabt hat. Wie die

mehlreichen Früchte der Ceres, so sind Stier und Roß dem Menschen über den ganzen Erdkreis gefolgt vom Ganges bis an den Platastrom, von der afrikanischen Meeresküste bis zur Gebirgsebene des Antisana, welcher höher als der Kegelberg von Teneriffa liegt.

Hier schützt die nordische Birke, dort die Dattelpalme den ermüdeten Stier vor dem Strahl der Mittagssonne. Dieselbe Thiergattung, welche im östlichen Europa mit Bären und Wölfen kämpft, wird unter einem anderen Himmelsstriche von den Angriffen der Tiger und der Krokodile bedroht. . Aber nicht die Krokodile und der Jaguar allein stellen den südamerikanischen Pferden

Beschreibung.

717

nach; auch unter den Fischen haben sie einen gefährlichen Feind.

Die Sumpfwasser von

Vera und Rastro sind mit zahllosen elektrischen Aalen gefüllt, deren schleimiger, gelb ge­ fleckter Körper aus jedem Theile die erschütternde Kraft nach Willkür aussendet.

Gymnoten haben 12A bis 2 m Länge.

Sie sind mächtig genug,

Diese

die größten Thiere zu

tobten, wenn sie ihre nervenreichen Organe auf einmal in günstiger Richtung entladen. Die Steppenstraße von Urituku mußte einst verändert werden, weil sich die Gymnoten in

solcher Menge in einem Flüßchen angehäuft hatten, daß jährlich vor Betäubung viele Pferde Auch fliehen alle anderen Fische die Nähe dieser furchtbaren Aale.

in der Furt ertranken.

Selbst den Angelnden am hohen Ufer schrecken sie, wenn die feuchte Schnur ihm die Erschüt­ terung aus der Ferne zuleitet. So bricht hier elektrisches Feuer aus dem Schoße der Ge­ wässer aus. Ein malerisches Schauspiel gewährt der Fang der Gymnoten. Man jagt Maulthiere und Pferde in einen Sumpf, welchen die Indianer eng umzingeln, bis der ungewohnte Lärmen die muthigen Fische zum Angriff reizt.

Schlangenartig sieht man sie

auf dem Wasser schwimmen und sich verschlagen unter den Bauch der Pferde drängen.

Von diesen erliegen viele der Stärke unsichtbarer Schläge; mit gesträubter Mähne, schnau­ bend, wilde Angst im funkelnden Auge, fliehen andere das tobende Ungewitter; aber die

Indianer, mit langen Bambusstäben bewaffnet, treiben sie in die Mitte der Lache zurück. Allmählich läßt die Wuth des ungleichen Kampfes nach. Wie entladene Wolken zerstreuen

sich die ermüdeten Fische. Sie bedürfen einer langen Ruhe und einer reichlichen Nahrung, um zu sammeln, was sie an galvanischer Kraft verschwendet haben. Schwächer und

schwächer erschüttern nun allmählich ihre Schläge.

Vom Geräusch der stampfenden Pferde

erschreckt, nahen sie sich furchtsam dem Ufer, wo sie durch Harpunen verwundet und mit dürrem, nicht leitendem Holze auf die Steppe gezogen werden. Dies ist der wunderbare Kampf der Pferde und Fische. Was unsichtbar die lebendige Waffe dieser Wasserbewohner ist; was, durch die Berührung feuchter und ungleichartiger Theile erweckt, in allen Organen der Thiere und Pflanzen umtreibt; was die weite Himmelsdecke donnernd entflammt; was

Eisen an Eisen bindet und den stillen, wiederkehrenden Gang der leitenden Nadel lenkt:

alles, wie die Farbe des getheilten Lichtstrahls, fließt aus einer Quelle; alles schmilzt in eine ewige, allverbreitete Kraft zusammen.

Ich könnte hier den gewagten Versuch eines Naturgemäldes der Steppe schließen;

aber wie auf dem Ozean die Phantasie sich gern mit den Bildern ferner Küsten beschäftigt, so werfen auch wir, ehe die große Ebene uns entschwindet, vorher einen flüchtigen Blick auf die Erdstriche, welche die Steppe begrenzen. Afrikas nördliche Wüste scheidet die beiden Menschenarten, welche ursprünglich dem­ selben Welttheil angehören, und deren unausgeglichener Zwist so alt als die Mythe von

Osiris und Typhon scheint.

Nördlich vom Atlas wohnen schlicht- und langhaarige Völker­

stämme von gelber Farbe und kaukasischer Gesichtsbildung; dagegen leben südlich vom Senegal gegen Sudan hin Negerhorden, die auf mannigfaltigen Stufen der Zivilisation gefunden werden.

In Mittel-Asien ist durch die mongolische Steppe sibirische Barbarei

von der uralten Menschenbildung auf der Halbinsel von Hindostan getrennt.

südamerikanischen Ebenen begrenzen das Gebiet europäischer Halbkultur.

Auch die Nördlich zwischen

der Gebirgskette von Venezuela und dem antillischen Meere liegen gewerbsame Städte,

reinliche Dörfer und sorgsam bebaute Fluren an einander gedrängt.

Selbst Kunstsinn,

wissenschaftliche Bildung und die edle Liebe zur Bürgerfreiheit sind längst darinnen erwacht. Gegen Süden umgiebt die Steppe eine schaudervolle Wildnis. Tausendjährige Wälder, ein undurchdringliches Dickicht erfüllen den feuchten Erdstrich zwischen dem Orinoko und dem Amazonenstrome.

Mächtige, bleifarbige Granitmassen verengen das Bett der schäu-

Historische Prosa.

718

wenden Flüffe. Berge und Wälder hallen wieder von dem Donner der stürzenden Master, von dem Gebrüll des tigerarligen Jaguar, von dem dumpfen, regenverkündenden Geheul der bärtigen Affen. Wo der seichte Strom eine Sandbank übrig läßt, da liegen mit offenem Rachen, unbeweglich wie Felsstücke hingestreckt, oft bedeckt mit Vögeln, die unge­

schlachten Körper der Krokodile. Den Schwanz um einen Baumast befestigt, zusammenge­

rollt, lauert am Ufer, ihrer Beute gewiß, die schachbrett-fleckige Boa-Schlange. Schnell entrollt und vorgestreckt, ergreift sie in der Furt den jungen Stier oder das schwächere Wildbret und zwängt den Raub, in Geifer gehüllt, mühsam durch den schwellenden Hals. In dieser großen und wilden Natur leben mannigfaltige Geschlechter der Menschen.

Durch wunderbare Verschiedenheit der Sprachen gesondert, sind einige nomadisch, dem Ackerbau fremd, Ameisen, Gummi und Erde genießend, ein Auswurf der Menschheit; an­

dere angesiedelt, von selbsterzielten Früchten genährt, verständig und sanfter Sitten. Große Räume zwischen dem Kassiquiare und dem Atabapo sind nur vom Tapir und von geselligen Affen, nicht von Menschen bewohnt. In Felsen gegrabene Bilder beweisen, daß auch diese Einöde einst der Sitz höherer Kultur war. Sie zeugen für die wechselnden Schicksale der Völker, wie es auch die ungleich entwickelten, biegsamen Sprachen thun, welche zu den ältesten und unvergänglichsten Denkmälern der Menschheit gehören. Wenn aber in der Steppe Tiger und Krokodile mit Pferden und Rindern kämpfen, so sehen wir an ihrem waldigen Ufer in den Wildnisten der Guiana ewig den Menschen

gegen den Menschen gerüstet.

Mit unnatürlicher Begier trinken hier einzelne Völkerstämme das ausgesogene Blut ihrer Feinde: andere würgen, scheinbar waffenlos und doch zum Morde vorbereitet, mit vergiftetem Daumnagel. Die schwächeren Horden, wenn sie das

sandige Ufer betreten, vertilgen sorgsam mit den Händen die Spur ihrer schüchternen Tritte. So bereitet der Mensch auf der untersten Stufe thierischer Roheit, so im Scheinglanze seiner höheren Bildung sich stets ein mühevolles Leben. So verfolgt den Wanderer über den weiten Erdkreis, über Meer und Land, wie den Geschichtsforscher durch alle Jahr­

hunderte, das einförmige, trostlose Bild des entzweiten Geschlechts. Darum versenkt, wer im ungeschlichteten Zwist der Völker nach geistiger Ruhe strebt, gern den Blick in das stille Leben der Pflanzen und in der heiligen Naturkraft inneres

Wirken; oder, hingegeben dem angestammten Triebe, der seit Jahrtausenden der Menschen Brust durchglüht, blickt er ahnungsvoll aufwärts zu den hohen Gestirnen, welche in un­ gestörtem Einklang die alte, ewige Bahn vollenden. «. v. Humboldt.

26.

Die Südsee-Jnseln (Ozeanien).

Die Südsee bietet eine ungeheure Menge Inseln dar; doch zeigt sich ein verschiedener Charakter bei denjenigen, welche sich an die Festländer zunächst anschließen, und denen, die in größerer Entfernung von ihnen liegen. Lasten wir alle zu den Festländern gehörigen Inselgruppen außer Betracht, so bleibt in der Südsee nur die unendliche Menge kleiner Inseln übrig, welche zwischen den Wendekreisen oder ein wenig außerhalb derselben (die Pitcairninsel, die Osterinsel bis 27° südl. Breite) liegen, und eben diese sind eö, die wir

Ozeanien oder die Südsee-Jnseln in engerer Bedeutung nennen. Was diese Inselwelt auszeichnet, ist fürs erste die unendliche Menge von Inseln, dann, daß sie alle so klein sind. Man vergleiche West-Indien, den griechischen Archipel, Polynesien (die Inseln zwischen

Die größte von den Südsee-Jnseln in diesem Sinne ist Owaihi, eine der Sandwichs-Jnseln, welche, obwohl nur ein halb Mal größer als Seeland, doch im

Asien und Neu-Holland).

Beschreibung. Vergleich mit den übrigen Inseln sehr groß ist.

719

Ozeanien stellt sich auf der Karte als eine

Wasserfläche mit einer unendlichen Menge ganz kleiner, hingespritzter Flecken Landes dar. Hieraus folgt, daß Ozeanien in Hinsicht auf Klima, Pflanzenwelt, Thierwelt, Verkehrs­

verhältnisse und Lebensart der Bewohner in hohem Grade vom Meere abhängig ist.

Beim ersten Blick nimmt man keine Ordnung oder Regelmäßigkeit in der Vertheilung der Inseln wahr; doch nördlich vom Äquator sind die Inseln mehr in Reihen, südlich von demselben mehr in rundliche Gruppen geordnet.

Demnächst wird man bemerken, daß

sämmtliche Inseln einen Bogen von Norden nach Südosten, von den nördlichen Marianen bis zur Osterinsel bilden. Die Sandwichs-Inseln liegen in bedeutender Entfernung von

den übrigen mitten vor dem Bogen. Die Ausdehnung von Ost nach West, je nach der Breite verschieden, beträgt nach einem mittleren Verhältnis 800 Meilen, von Norden nach Süden 700 Meilen. In Hinsicht der geognostischen Verhältnisse der Südsee-Jnseln müssen wir zuerst die Korallenbildungen erwähnen, welche hier eine wichtige Rolle spielen, und unter diesen zu­ nächst die sogenannten Atolls (Lagunen-Jnseln). Es sind ganz kleine Inseln, welche einen Ring oder Theile eines Ringes rings um einen See im Innern, eine Lagune, bilden. Der Ring ist entweder ganz geschlossen oder läßt eine oder mehrere Öffnungen; er ist indeß

auch oft länglich, statt kreisförmig; die ganze Insel erhebt sich nur sehr wenig über das Meer, zwei, vier, höchstens zehn Meter; sie wird ausschließlich aus Korallen und Korallen­

bruchstücken gebildet; die Breite des Ringes beträgt 333

Theil zur Flutzeit überschwemmt.

bis 666 m und

wird zum

Die Lagune hat keine bedeutende Tiefe; sie wird all­

mählich von den Bruchstücken, die vom Meere ausgeworfen werden, angefüllt, und das Waffer wird, wenn der Ring geschlossen ist und eine gewisse Höhe erreicht hat, Süßwasser. Die Atolls sind vornehmlich in einem Gürtel von den Karolinen über die Mulgraves-Jnseln bis zu den niedrigen Inseln, also von Nordwest nach Südost, herrschend und machen den größten Theil von Ozeanien aus.

Ein Beispiel eines Atolls giebt die Pfingstinsel unter

den niedrigen Inseln. Die zweite Art von Korallenbildungen zeigt sich als Korallenriffe, welche in einiger Entfernung von Inseln liegen, verschiedene Größe und geognostische Zusammensetzung haben, aber den Umrissen der Küste folgen. Ein Beispiel ist Borraborra und Rajatea unter den Gesellschafts-Inseln. Diese Riffe sind ganz klein, ringförmig und niedrig und gleichen insofern wesentlich den Atolls im Bau, besonders wenn die Insel, welche umgeben wird, klein ist. Das Wasser oder der Kanal zwischen der Insel und den Riffen ist selten ganz abgeschlossen, sondern es sind an sich darin mehr oder weniger Öffnungen. Die

Tiefe des Kanals übersteigt nicht 50 Faden, während sich oft außer dem Kreise der Riffe kein Grund findet.

Hierzu gehören die Gesellschafts-Inseln, die Fidji-Inseln und einige

kleinere Gruppen. Endlich kommen Korallenbildungen als Korallenbänke vor, welche sich

der Küste

größerer oder kleinerer Inseln entweder unmittelbar oder mit dazwischenliegendem Grund­ wasser anschließen; so die Sandwichs-Jnseln, die Marianen und einige kleinere.

Die Koralleninseln zunächst unter der Meeresfläche werden durch die Korallenthiere

gebildet. Es sind kleine schleimige Polypen mit vielen runden Fangarmen, welche in großen Kolonien leben, indem das eine Thier aus dem anderen wie Knospen auf den Bäumen hervorwächst.

Solche Kolonien zeigen sich daher bald verzweigt wie Bäume,

bald in

niedrigen Haufen oder halbkugeligen Massen. Das Klima ist im höchsten Grade angenehm und dabei sehr gesund.

Die vielen

gefährlichen und verheerenden Krankheiten, welche in anderen Klimaten zwischen den Wende-

720

Historische Prosa.

kreisen, wie auf Java, in Guinea, auf West-Indien, vorkommen, findet man hier nicht. Man genießt einer frischen Seeluft. Wo ein hoher Wärmegrad und hinreichende Feuchtigkeit sich vereinigen, pflegt eine üppige und an Formen reiche Flora zu sein, wie in Brasilien, Java, Indien. Üppig ist die

Vegetation zwar auch hier, wenigstens auf den gebirgigen Inseln, obschon man eine so große Fülle von Gewächsen, wie in anderen tropischen Gegenden, nicht findet; aber an Formen sind die Südsee-Jnseln arm, und die hervortretenden sind nicht sehr eigenthümlich. Die Flora stimmt am meisten mit der von Asien, weniger mit der Neu-Hollands, am wenigsten mit der von Amerika, und zwar selbst auf den Inseln, die diesem Festlande näher als Asien liegen, überein. Merkwürdig ist die verhältnismäßig große Anzahl von Farrnkräutern und Lykopodien. Ist Ozeanien arm an Pflanzenarten, so ist eö noch weit ärmer an Land-Säugethieren,

ja, es entbehrt deren fast gänzlich.

Als die Europäer zuerst nach diesen Inseln kamen,

fanden sie keine anderen Land-Säugethiere als das Schwein, den Hund und die Ratte,

Thiere, von welchen man annehmen muß, daß sie entweder mit oder gegen ihren Willen dahin gebracht worden sind; sie fanden sich auch nicht auf allen Inseln. Die neueren Naturforscher erwähnen außerdem die Maus, welche wohl mit europäischen Schiffen dahin gekommen ist, ein paar Arten Fledermäuse und ein kleines Nagethier. Die Anzahl der Land-Säugethiere ist also außerordentlich gering. Die Ursache davon muß wohl in der Schwierigkeit, welche das Meer der Ausbreitung der Land-Säugethiere entgegengestellt, gesucht werden. Seehunde, Fische, Schildkröten, Krebse, Mollusken und andere Seethiere sind dagegen im Überfluß vorhanden.

Die Südsee-Bewohner gehören alle zu einer Race, welche sogar die Neuseeländer unter sich begreift, eine 9iace von übereinstimmendem Körperbau und mit derselben Sprache, so daß sie einander gegenseitig verstehen. W. v. Humboldt hat dargethan, daß diese Sprache ein Zweig der Malahensprache ist, weshalb die Neueren auch die Ozeaniten als einen Hauptzweig der malahischen Menschenrace betrachten, welche vermuthlich trotz des im Passatwinde liegenden Hindernisses allmählich den größten Theil dieser Inseln bevölkert habe. Sie sind eher groß als klein, von kräftigen, muskulösen und abgerundeten Formen, welche in passenden Verhältnissen zu einander stehen. Der Schädel ist nicht sehr abweichend von dem indisch-europäischen Bau, doch ist die Stirn etwas zurücktretend, die Backen sind ein wenig mehr vorstehend und das Gesicht etwas breiter. Die Lippen sind etwas dicker, die Augen groß und nicht schräge gestellt. Das Haar ist gewöhnlich glatt oder lockig, schwarz, braun, ja hier und da sogar röthlich. Die Hautfarbe ist gelbbraun oder schmutzig­ gelb, bei einigen, namentlich den Otaheitern, verhältnismäßig hell, nicht dunkler als bei den

Süd-Europäern, besonders bei denen, die nicht in freier Luft arbeiten. Auch Sitten und Gebräuche sind sehr übereinstimmend; so daS Tätowiren, welches darin besteht, daß man Linien in die Haut punktirt und dadurch Verzierungen über den ganzen Körper oder ein­ zelne Theile desselben aubringt. Diese Punktirungen werden mit einem Flügelknochen gemacht, fressen Ende kammförmig mit vielen Spitzen ausgeschnitten wird; die dadurch

hervorgebrachten Wunden werden mit Kohle von der sogenannten Brenn-Nuß eingerieben. Die Operation dauert mehrere Wochen. Von den Geschickteren werden diese Verzierungen mit Kunst, Zierlichkeit, Symmetrie und Geschmack ausgeführt, z. B. Schilde auf den Waden, Streifen auf Armen und Beinen.

Als die Europäer zuerst nach den Südsee-Jnseln kamen, fanden sie auf den meisten einen gewissen Grad von Zivilisation.

Ackerbau, zum Theil mit künstlicher Bewässerung, und Gartenbau waren allgemein; Bereitung von Zeugen, besonders von dem Papier-Maul-

Philosophie.

721

beerbaume, Farbestoffe, hübsch verzierte Holzgeräthe, mancherlei Putz, Doppelbote.

Kunst

verrieth sich in diesen Gerathen und im Tätowiren.

ES gab Sanger; Beredsamkeit wurde in Volksversammlungen geübt; eine geordnete Regierungsform, Häuptlinge und Fürsten

waren vorhanden.

Doch war eS nicht ungewöhnlich, die Feinde zu verzehren, ein Ge­

brauch, der wohl in Verbindung mit dem Mangel an Hausthieren stand. Die Ozeaniten, die von Natur aufgeweckt und wohlbegabt sind, zeigen eine seltene Empfänglickkeit für europäische Bildung, und auf den Inseln, welche die Europäer unaufhörlich besuchen, sind die Bewohner des Landes schon fast unkenntlich geworden. Die Eingeborenen kleiden sich

europäisch, bedienen sich europäischer Möbel, kennen Kanonen und Schießgewehre, haben Kirchen und Schulen, bauen Schiffe nach europäischer Weise, legen Straßen an. Wo man

Pferde eingeführt hat, sind die Bewohner, Männer und Frauen, ausgezeichnete Reiter geworden. Sie haben zum Theil mit Enthusiasmus die europäischen Bildungsmittel aus­ genommen. Als die Bewohner der Sandwichs-Inseln erfuhren, daß man mit Hülfe der Schreibekunst einander seine Gedanken mittheilen könne, machte dies einen solchen Eindruck

auf sie, daß alle, groß und klein, mit Schreibebüchern nach den Schulen eilten und diese

wahrhaft bestürmten. Ein ähnlicher Auftritt bot sich bei Ankunft der ersten Druckerei auf Eimeo, einer der Gesellschafts-Inseln, dar. In Honolulu erscheinen vier Zeitschriften in der englischen Sprache und in der Sprache der Eingeborenen (Kanak-Sprache). Auf den Sandwichs-Jnseln, wo vor 72 sjetzt 100] Jahren Cook von den Eingeborenen getödtet wurde, sieht man jetzt europäische Trachten und Wohnungen, Packhäuser, Kaffeehäuser, Billards, Gast­ häuser, Schildwachen in Uniform, montirte Batterien und mehrere hundert Schiffe, die alljährlich von Nord-Amerika und Europa kommen. Wären die Inseln nicht so zahlreich

und so zerstreut, so würde die Zeit nicht mehr fern sein, in welcher die nationalen Sitten und Gebräuche der Ozeaniten in Alterthums-Museen studirt werden müßten, so wie wir jetzt die Sitten unserer heidnischen Vorfahren dort studiren. Zu dieser großen Umwälzung

in den Sitten der Ozeaniten haben vor allem die englischen Missionäre von den Sekten der Diffenters beigetragen. «us Schouws Proben einer Erdbeschreibung.

II. Die wissenschaftliche Arosa. a. 1.

Philosophie.

Die Unsterblichkeit der Seele.

Wie beklagenswert ist das Schicksal eines Sterblichen, der sich durch unglückliche Sophistereien um die tröstliche Erwartung eines zukünftigen Lebens gebracht hat! Er muß über seinen Zustand nicht nachdenken und wie in einer Betäubung dahinleben oder ver­ zweifeln. Was ist der menschlichen Seele schrecklicher als die Zernichtung und was elender als ein Mensch, der sie mit starken Schritten auf sich zukommen sieht und in der trostlosen Furcht, mit der er sie erwartet, sie schon vorher zu empfinden glaubt? Im Glücke schleicht

sich der entsetzliche Gedanke vom Nichtsein zwischen die wollüstigen Vorstellungen wie eine

Schlange zwischen Blumen und vergiftet den Genuß des Lebens; und im Unglück schlägt er den Menschen ganz hoffnungslos zu Boden, indem er ihm den einzigen Trost verküm­ mert, der das Elend versüßen kann, die Hoffnung einer besseren Zukunft.

Ja der Begriff

einer bevorstehenden Zernichtung streitet so wider die Natur der menschlichen Seele, daß Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Aufl,

46

722

Wissenschaftliche Prosa.

wir ihn mit seinen nächsten Folgen nicht zusammenreimen können und, wohin wir unS wenden, auf tausend Ungereimtheiten und Widersprüche stoßen. Was ist daS Leben mit allen seinen Mühseligkeiten, besonders wenn die angenehmen Augenblicke deffelben von der

Angst vor einer unvermeidlichen Zernichtung vergällt werden?

WaS ist eine Dauer von

gestern und heute, die morgen nicht mehr sein wird? Eine höchst verächtliche Kleinigkeit, die uns die Mühe, Arbeit, Sorgen und Beschwerlichkeiten, mit welchen sie erhalten wird,

sehr schlecht belohnt! Und gleichwohl ist dem, der nichts Besseres zu hoffen hat, diese Kleinig­ keit alles. Seiner Lehre zufolge müßte ihm das gegenwärtige Dasein das höchste Gut sein,

dem nichts in der Welt die Wage halten kann, müßte das schmerzlichste, daS gequälteste Leben dem Tode als der völligen Zernichtung seines Wesens unendlich vorzuziehen sein, seine Liebe zum Leben müßte schlechterdings von nichts überwunden werden können. Welcher BewegungSgrund, welche Betrachtung würde mächtig genug sein, ihn in die geringste Lebensgefahr zu führen? Ehre und Nachruhm? Diese Schalten verschwinden, wenn von wirklichen Gütern die Rede ist, die mit ihnen in Vergleichung kommen sollten. Es betrifft das Wohl seiner Kinder, seiner Freunde, seines Vaterlandes? Und wenn eS daS Wohl deS

ganzen menschlichen Geschlechts wäre: ihm ist der armseligste Genuß weniger Augenblicke

alles, was er sich zu getrösten hat, und daher von unendlicher Wichtigkeit.

Wie kann er

sie in die Schanze schlagen? Was er wagt, ist mit dem, was er zu erhalten hofft, gar­ nicht in Vergleichung zu bringen; denn daS Leben ist nach dem Gedanken dieser Sophisten in Vergleichung mit allen anderen Gütern unendlich groß. Hat eS aber keine Heldengeister gegeben, die, ohne von ihrer Unsterblichkeit überführt zu sein, für die Rechte der Menschlichkeit, Freiheit, Tugend und Wahrheit ihr Leben hin­ gegeben? O ja und auch solche, die es um weit minder löblicher Ursachen willen auf daS Spiel gesetzt. Aber gewiß hat sie das Herz und nicht der Verstand dahin gebracht. Sie

haben, ohne es zu wissen, durch diese That ihre eigenen Grundsätze verleugnet.

Wer ein

künftiges Leben hofft und das Ziel seines Daseins in der Fortschreitung zur Vollkommen­ heit setzt, der kann zu sich selber sagen: Siehe, du bist hierher gesendet worden, durch Be­ förderung des Guten dich selbst vollkommener zu machen; du darfst also daS Gute, wenn es nicht anders erhalten werden kann, selbst auf Unkosten deines Lebens befördern. Drohet die Tyrannei deinem Vaterlande den Untergang, ist die Gerechtigkeit in Gefahr unter­ drückt, die Tugend gekränkt und Religion und Wahrheit verfolgt zu werden, so mache von deinem Leben den Gebrauch, zu welchem es dir verliehen worden: stirb, um dem mensch­

lichen Geschlechte diese theuren Mittel zur Glückseligkeit zu erhalten! Das Verdienst, mit so vieler Selbstverleugnung das Gute befördert zu haben, giebt deinem Wesen einen unaussprechlichen Werth, der zugleich von unendlicher Dauer sein wird. Sobald mir der

Tod daS gewähret, was das Leben nickt gewähren kann, so ist es meine Pflicht, mein Beruf, meiner Bestimmung gemäß zu sterben. Nur alsdann läßt sich der Werth dieses

Lebens angeben und mit anderen Gütern in Vergleich bringen, wann wir es als ein Mittel zur Glückseligkeit betrachten. Sobald wir aber mit dem Leben auch unser Dasein verlieren, so hört es auf, ein bloßes Mittel zu sein; es wird der Endzweck, das letzte Ziel unserer Wünsche, das höchste Gut, wonach wir streben können, daS um sein selbst willen

gesucht, geliebt und verlangt wird, und kein Gut in der Welt kann mit ihm in Ver­ gleichung kommen, viel weniger ihm vorgezogen werden; denn es übertrifft alle anderen

Betrachtungen an Wichtigkeit.

Ich kann daher unmöglich glauben, daß ein Mensch, dem

mit diesem Leben alles aus ist, sich nach seinen Grundsätzen dem Wohl des Vaterlandes oder deS ganzen menschlichen Geschlechtes aufopfern könne.

Ich bin vielmehr der Meinung,

daß, so oft die Erhaltung des Vaterlandes z. B. unumgänglich erfordert, daß ein Bürger

Philosophie.

723

das Leben verliere oder auch nur in Gefahr komme, es zu verlieren, nach dieser Voraus­

setzung ein Krieg zwischen dem Vaterlande und diesem Bürger entstehen muß und, was das Seltsamste ist, ein Krieg, der auf beiden Seiten gerecht ist; denn hat das Vater­ land nicht ein Recht, von jedem Bürger zu verlangen, daß er sich dem Wohl des Ganzen aufopfere?

Wer wird dieses leugnen?

Allein dieser Bürger hat das gerade entgegen­

gesetzte Recht, sobald das Leben sein höchstes Gut ist.

Er kann, er darf den Untergang

seines Vaterlandes suchen, um sein allertheuerstes Leben einige Tage zu verlängern. Jedem moralischen Wesen kommt nach dieser Voraussetzung ein entschiedenes Recht zu, den Unter­ gang der ganzen Welt zu verursachen, wenn es sein Leben, sein Dasein nur fristen kann.

Ebendaffelbe Recht haben alle seine Nebenmenschen. Welch ein allgemeiner Aufstand! Welche Zerrüttung, welche Verwirrung in der sittlichen Welt! Ein Krieg, der auf beiden Seiten gerecht ist, ein allgemeiner Krieg aller moralischen Wesen, wo jedes in Wahrheit das Recht auf seiner Seite hat; ein Streit, der an und für sich selbst auch von dem aller­

gerechtesten Richter der Welt nicht nach Recht und Billigkeit entschieden werden kann!

Was kann ungereimter sein? Offenbar hat der Staat, wie jede andere sittliche Person, ein Recht, denjenigen zu strafen, der ihn beleidigt, und wenn es leichtere Strafen nicht thun, ihn sogar am Leben zu strafen.

Wenn dies der Fall ist, so muß der Beleidiger auch nach der Strenge der

Gerechtigkeit verbunden sein, die Strafe zu dulden.

Ohne diese leidende Verbindlichkeit

wäre jenes Recht ein leerer Ton, Worte ohne Sinn und Bedeutung. So wenig es in der physischen Welt ein Wirken ohne ein Leiden giebt: ebensowenig kann in der sittlichen

Welt ein Recht auf eine Person ohne eine Verbindlichkeit von Seiten dieser Person gedacht werden. Aber so könnten wir nicht denken, wenn das Leben uns alles wäre. Dieser irrigen Meinung zufolge käme dem abscheulichen Verbrecher nicht die Obliegenheit zu, die wohlverdiente Strafe zu leiden, sondern wenn er bei der Republik sein Leben verwirkt hat, so ist er befugt, das Vaterland, das seinen Untergang will, zu Grunde zu richten. Das Geschehene ist nicht mehr zu ändern. Das Leben ist sein höchstes Gut; wie kann er ihm das Wohl der Republik vorziehen?

Wie kann ihm die Natur eine Pflicht vor­

schreiben, die nicht auf sein höchstes Gut abzielet?

Wie kann er verbunden sein, etwas

zu thun oder zu leiden, das mit seiner ganzen Glückseligkeit streitet?

Es wird also ihm

nicht unerlaubt sein, ja sogar obliegen, den Staat durch Feuer und Schwert zu verwirren, wenn er sein Leben dadurch retten kann. Wodurch aber hat der Bösewicht diese Befugnis erlangt?

Bevor er das zu bestrafende Verbrechen begangen, war er als Mensch verbun­

den, das Wohl der Menschen, als Bürger, das Wohl seiner Mitbürger zu befördern. Was kann ihn nunmehr von dieser Verbindlichkeit befreien und ihm dagegen das entgegen­ gesetzte Recht gegeben haben, alles neben sich zu vernichten?

in seinen Pflichten verursacht?

Was hat diese Veränderung

Wer untersteht sich zu antworten:

das begangene Ver­

brechen selbst! Eine andere unglückselige Folge von dieser Meinung ist, daß ihre Anhänger genötihgt sind, die Vorsehung Gottes zu leugnen. Da nach ihren Gedanken das Leben der Menschen zwischen die engen Grenzen von Geburt und Tod eingeschränkt ist, so können sie den Lauf

desselben mit ihren Augen verfolgen und ganz übersehen.

Sie haben also Kenntnis der

Sache genug, die Wege der Vorsehung, wenn es eine giebt, zu beurtheilen.

Nun bemerken

sie in den Begebenheiten dieser Welt vieles, das offenbar mit dem Begriffe, den wir uns von den Eigenschaften Gottes machen müssen, nicht übereinstimmt.

Manches widerspricht

seiner Güte, manches seiner Gerechtigkeit, und bisweilen sollte man glauben, das Schicksal der Menschen sei von einer Ursache angeordnet worden, die am Bösen Vergnügen gefunden. 46*

Wissenschaftliche Prosa.

724

In dem physischen Theile des Menschen entdecken sie lauter Ordnung, Schönheit und Har­ monie, die allerweisesten Absichten und die vollkommenste Übereinstimmung zwischen Mittel

und Endzweck: lauter sichtbare Beweise der göttlichen Weisheit und Güte; aber in dem gesellschaftlichen und sittlichen Leben der Menschheit, soviel wir allhier davon übersehen können, sind die Spuren dieser göttlichen Eigenschaften ganz unkenntlich. Triumphirende Laster, gekrönte Übelthaten, verfolgte Unschuld, unterdrückte Tugenden sind wenigstens nicht selten. Die Unschuldigen und Gerechten leiden nicht seltener als die Übelthäter; Meuterei gelingt so oft als die weiseste Gesetzgebung und ein ungerechter Krieg so gut als die Ver­ tilgung der Ungeheuer oder jede andere wohlthätige Unternehmung, die zum Besten des menschlichen Geschlechts gereicht; Glück und Unglück trifft Gute und Böse ohne merklichen

Unterschied und müssen in den Augen dieser Sophisten wenigstens ganz ohne Rücksicht auf Tugend und Verdienst unter die Menschen vertheilt zu sein scheinen. Wenn sich ein weises,

gütiges und gerechtes Wesen um daö Schicksal der Menschen bekümmerte und es nach seinem Wohlgefallen ordnete: würde nicht in der sittlichen Welt eben die weise Ordnung herrschen, bie jvir in der physischen bewundern?

Zwar dürfte mancher sagen:

„Diese Klagen rühren nur von unzufriedenen Gemü­

thern her, denen es weder Götter, noch Menschen recht machen können.

Erfüllet ihnen

alle ihre Wünsche, setzet sie auf den Gipfel der Glückseligkeit: sie finden in den düsteren Winkeln ihres Herzens noch allemal Eigensinn und üble Laune genug, sich über ihre Wohl­

thäter selbst zu beklagen. In den Augen eines mäßigen und genügsamen Menschen sind die Güter dieser Welt so ungleich nicht ausgetheilt, als man glaubt. Die Tugend hat mehrentheilS eine innere Selbstberuhigung zur Gefährtin, welche eine süßere Belohnung für sie ist als Glück, Ehre und Reichthum. Die unterliegende Unschuld würde sich viel­ leicht selten an die Stelle des Wüthrichs wünschen, der ihr den Fuß in den Nacken setzt; sie würde das in die Augen fallende Glück nur allzutheuer durch innere Unruhen erkaufen müssen. Überhaupt wer mehr auf die Empfindungen der Menschen Achtung giebt als

auf ihre Urtheile, der wird ihren Zustand lange so beklagenswerth nicht finden, als sie ihn in ihren gemeinen Reden und Unterhaltungen machen." So dürfte mancher vorgeben, um die Wege einer weisen Vorsehung in der Natur zu rette«. Allein alle diese Gründe haben nur alsdann ein Gewicht, wenn mit diesem Leben nicht alles für uns anS ist, wenn sich die Hoffnungen vor uns hin inS Unendliche erstrecken. In diesem Falle kann eS, ja es muß für unsere Glückseligkeit weit wichtiger sein, wenn wir hienieden mit dem Unglück ringen, wenn wir Geduld, Standhaftigkeit und Ergebung in den göttlichen Willen lernen und üben, als wenn wir uns im Glück und Überfluß vergefien. Wenn ich auch das Leben unter tausend Martern endige, was thut dieses?

Hat nur meine Seele dadurch

die Schönheit der leidenden Unschuld erworben, so ist sie für alle ihre Pein mit Wucher bezahlt. Die Qual ist vergänglich und der Lohn von ewiger Dauer. Aber was hält den schadlos, der unter diesen Qualen sein ganzes Leben aufgiebt und mit dem letzten Odem auch alle Schönheiten seines Geistes fahren läßt, die er durch diesen Kampf er­ worben? Ist das Schicksal eines solchen Menschen nicht grausam? Kann der gerecht und gütig fein, der es so geordnet?

Und gesetzt, daö Bewußtsein der Unschuld hielte allen

schmerzhaften Empfindungen, der Todesqual selbst, die der Unschuldige von den Händen seines Verfolgers leidet, das Gleichgewicht: soll jener Gewaltthäter, jener Beleidiger der

göttlichen und menschlichen Rechte so dahinfahren, ohne jemals aus der blinden Verstockt­ heit, in welcher er gelebt, geriffen zu werden und vom Guten und Bösen richtigere Be­

griffe zu erlangen, ohne jemals gewahr zu werden, daß diese Welt von einem Wesen regiert wird, welches an der Tugend Wohlgefallen findet?

Wenn kein zukünftiges Leben

725

Philosophie.

zu hoffen ist, so ist die Vorsehung gegen den Verfolger so wenig zu rechtfertigen als gegen

den Verfolgten. Unglücklicherweise werden viele durch diese anscheinenden Schwierigkeiten verführt, die Vorsehung zu leugnen. Das allerhöchste Wesen, wähnen sie, bekümmere sich um das

Schicksal des Menschen gar nicht, so sehr es sich auch die Vollkommenheit seiner physischen Natur hat angelegen sein lassen.

Tugend und Laster, Unschuld und Verbrechen, wer ihm

dienet, und wer ihn lästert, sprechen sie, seien dem allgemeinen Weltgeist vollkommen gleich, und was dergleichen so lächerliche als strafbare Meinungen mehr sind, auf die man noth­ wendig gerathen muß, sobald man den Weg zur Wahrheit verfehlt.

Ich halte

es für

überflüssig, von dem Ungrunde dieser Meinungen viele Worte zu machen, da wir alle ver­ sichert sind, daß wir unter der göttlichen Obhut stehen und das Gute von seinen Händen,

sowie das Böse nicht anders als mit seiner Zulassung empfangen. Hingegen wissen wir einen sichreren und leichteren Weg, uns aus diesem Labyrinthe zu finden. In unseren Augen verleugnet das Sittliche so wenig als das Physische dieser Welt die Vollkommenheit ihres Urhebers. So wie sich in der physischen Welt Unordnung in den Theilen, Stürme, Ungewitter, Erdbeben, Überschwemmung, Pest u. s. w. in Voll­

kommenheit des unermeßlichen Ganzen auflösen: eben also dienen in der sittlichen Welt, in dem Schicksale und den Begegnissen des geselligen Menschen, alle zeitlichen Mängel zu

ewigen Vollkommenheiten; vergängliches Ungemach und die Leiden selbst verwandeln sich in bloße Übungen, die zur Seligkeit unentbehrlich sind. Das Schicksal eines einzigen Menschen in seinem gehörigen Lichte zu betrachten, müßten wir es in seiner ganzen Ewig­

keit übersehen können.

Alsdann erst könnten wir die Wege der Vorsehung untersuchen und

beurtheilen, wenn wir die ewige Fortdauer eines vernünftigen Wesens unter einen einzigen, unserer Schwachheit angemessenen Gesichtspunkt bringen könnten; aber alsdann würden

wir weder tadeln, noch murren, noch unzufrieden sein, sondern voller Verwunderung die Weisheit und Güte des Weltherrschers verehren und anbeten.

Aus allen

diesen Beweisgründen zusammengenommen erwächst die

zuverlässigste

Gewißheit von einem zukünftigen Leben, die unser Gemüth vollkommen befriedigen kann. Das

Vermögen zu

empfinden ist keine

Beschaffenheit des Körpers und seines feinen

Baue-, sondern hat seine Bestandtheile für sich. einfach und folglich unvergänglich.

Das Wesen dieser Bestandtheile ist

Auch die Vollkommenheit, die diese einfache Substanz

erworben, muß in Rücksicht auf sie selbst von unaufhörlichen Folgen sein und sie immer­ Insbesondere gehört

tüchtiger machen, die Absichten Gottes in der Natur zu erfüllen.

unsere Seele als ein vernünftiges und nach der Vollkommenheit strebendes Wesen zu dem Geschlechte der Geister, die den Endzweck der Schöpfung enthalten und niemals aufhören,

Beobachter und Bewunderer der göttlichen Werke zu sein.

Der Anfang ihres Daseins

ist, wie wir sehen, ein Bestreben und Fortgehen von einem Grade der Vollkommenheit zum andern; ihr Wesen ist des unaufhörlichen Wachsthums fähig; ihr Trieb hat die augenscheinliche Anlage zur Unendlichkeit, und die Natur beut ihrem nie zu löschenden Durste eine unerschöpfliche Quelle an. Ferner haben sie als moralische Wesen ein System von Pflichten und Rechten, das voller Ungereimtheiten und Widersprüche sein würde, wenn

sie auf dem Wege zur Vollkommenheit gehemmt und zurückgestoßen werden sollten.

Und

endlich verweiset uns die anscheinende Unordnung und Ungerechtigkeit in beut Schicksale der Menschen auf eine lange Reihe von Folgen, in welcher sich alles auflöset, was hier­

verschlungen scheinet. Wer hier mit Standhaftigkeit und gleichsam dem Unglücke zum Trotz seine Pflicht erfüllet und die Widerwärtigkeiten mit Ergebung in den göttlichen Willen erduldet, muß den Lohn seiner Tugenden endlich genießen; und der Lasterhafte

Wissenschaftliche Prosa.

726

kann nicht dahinfahren, ohne auf eine oder die andere Weise zur Erkenntnis gebracht zu sein, daß die Übelthaten nicht der Weg zur Glückseligkeit sind. Mit einem Worte, allen Eigenschaften Gottes, seiner Weisheit, seiner Güte, seiner Gerechtigkeit, würde es wider­ sprechen, wenn er die vernünftigen und nach der Vollkommenheit strebenden Wesen nur

zu einer zeitlichen Dauer geschaffen hätte.

2.

Aus Mendelssohns Phädon.

Das Temperament.

Physiologisch betrachtet, versteht man, wenn vom Temperament die Rede ist, die

körperliche Konstitution (den starken oder schwachen Bau) und Komplexion (das Flüssige, durch die Lebenskraft gesetzmäßig Bewegliche im Körper; worin die Wärme oder Kälte in Bearbeitung dieser Säfte mit begriffen ist).

Psychologisch aber erwogen, d. i. als

Temperament der Seele (Gefühls- und Begehrungsvermögen) werden jene von der Blut­

beschaffenheit entlehnten Ausdrücke nur als nach der Analogie des Spiels der Gefühle und

Begierden mit körperlichen bewegenden Ursachen (worunter das Blut die vornehmste ist)

vorgestellt. Da ergiebt sich nun, daß die Temperamente, die wir blos der Seele beilegen, doch wohl insgeheim das Körperliche im Menschen auch zur mitwirkenden Ursache haben mögen;

ferner daß, da sie erstlich die Obereintheilung derselben in Temperamente des

Gefühls und der Thätigkeit zulassen, zweitens jede derselben mit Erregbarkeit der Lebens­ kraft (intensio) oder Abspannung (remissio) derselben verbunden werden kann, gerade nur vier einfache Temperamente (wie in den 4 syllogistischen Figuren durch den medius terminus) aufgestellt werden können: das sanguinische, das melancholische, das cholerische und das phlegmatische; wodurch dann die alten Formen beibehalten werden können und nur eine dem Geist dieser Temperamentenlehre angepaßte, bequemere Deutung erhalten. Hierbei dient der Ausdruck der Blutbeschaffenheit nicht dazu, die Ursache der Phäno­

mene des sinnlich affizirten Menschen anzugeben (es sei nach der Humoral- oder der Nerven­

pathologie),

sondern sie nur den beobachteten Wirkungen nach zu klassifiziren; denn man

verlangt nicht vorher zu wissen, welche chemische Blutmischung es sei, die zur Benennung einer gewissen TemperamentSeigenschaft berechtige, sondern welche Gefühle und Neigungen

man bei der Beobachtung des Menschen zusammenstellt, um für ihn den Titel einer beson­

deren Klasse schicklich anzugeben. Die Obereintheilung der Temperamentenlehre kann also die sein: in Temperamente des Gefühls und Temperamente der Thätigkeit, und diese kann durch Untereintheilung

wiederum in zwei Arten zerfallen, die zusammen die 4 Temperamente geben. Zu den Temperamenten des Gefühls zähle ich nun das sanguinische und sein Gegenstück, daS melancholische. Das erstere hat nun die Eigenthümlichkeit, daß die Empfindung schnell und stark affizirt wird, aber nicht tief eindringt (nicht dauerhaft ist), dagegen in dem zweiten die Empfindung weniger auffallend ist, aber sich tief einwurzelt.

Hierin muß

man diesen Unterschied der Temperamente deS Gefühls und nicht in den Haug zur Fröh­ lichkeit oder Traurigkeit setzen; denn der Leichtsinn des Sanguinischen diSponirt zur Lustigkeit, der Tiefsinn dagegen, der über einer Empfindung brütet, benimmt dem Froh­

sinn seine leichte Veränderlichkeit, ohne darum eben Traurigkeit zu bewirken.

Weil aber

alle Abwechselung, die man in seiner Gewalt hat, das Gemüth überhaupt belebt und stärkt, so ist der, welcher alles, was ihm begegnet, auf die Achsel nimmt, wenn gleich nicht weiser, doch gewiß glücklicher, als der an Empfindungen klebt, die seine Lebenskraft starren machen.

Philosophie.

727

Temperamente deö Gefühls.

Der Sanguinische giebt seine Sinnesart an folgenden Äußerungen zu erkennen.

Er

ist sorglos und von guter Hoffnung, giebt jedem Dinge für den Augenblick eine große

Wichtigkeit, und den folgenden mag er daran nicht weiter denken.

Er verspricht ehrlicher­

weise, aber hält nicht Wort, weil er nicht vorher tief genug nachgedacht hat, ob er eS

auch zu halten vermögend sein werde.

Er ist gutmüthig genug, anderen Hülfe zu leisten,

ist aber ein schlimmer Schuldner und verlangt immer Fristen.

Er ist ein guter Gesell­

schafter, scherzhaft, aufgeräumt, mag keinem Dinge gerne große Wichtigkeit geben (vive

la bagatelle!) und hat alle Menschen zn Freunden. Er ist gewöhnlich kein böser Mensch, aber ein schlimm zu bekehrender Sünder, den etwas zwar sehr reuet, der aber diese Reue

(die nie ein Gram wird) bald vergißt.

Er ermüdet unter Geschäften und ist doch rastlos

beschäftigt in dem, was blos Spiel ist, weil dieses Abwechselung bei sich führt und das

Beharren seine Sache nicht ist. Der zur Melancholie Gestimmte (nicht der Melancholische; denn das bedeutet einen Zustand, nicht den bloßen Hang zu einem Zustande) giebt allen Dingen, die ihn selbst angehen, eine große Wichtigkeit, findet allerwärts Ursache zu Besorgnifien und richtet seine

Aufmerksamkeit zuerst auf die Schwierigkeiten, so wie dagegen der Sanguinische von der Hoffnung des Gelingens anhebt; daher jener auch tief, so wie dieser nur oberflächlich denkt. Er verspricht schwerlich, weil ihm das Worthalten theuer, aber das Vermögen dazu bedenk­ lich ist. Nicht daß dieses alles aus moralischen Ursachen geschähe (denn es ist hier von sinnlichen Triebfedern die Rede), sondern weil ihn: das Widerspiel Ungelegenheit und ihn

eben darum besorgt, mißtrauisch und bedenklich, dadurch aber auch für den Frohsinn unempfänglich macht. Übrigens ist diese Gemüthsstimmung, wenn sie habituell ist, doch

der des Menschenfreundes, welche mehr ein Erbtheil deS Sanguinischen ist,

wenigstens

dem Anreize nach entgegen, weil der, welcher selbst die Freude entbehren muß, sie schwer­

lich anderen gönnen wird. Temperamente der Thätigkeit. Man sagt von dem Warmblütigen: er ist hitzig, brennt schnell auf wie Strohfeuer,

läßt sich durch Nachgeben deö anderen bald besänftigen, zürnt alsdann, ohne zu Haffen, und liebt wohl gar den noch desto mehr, der ihm bald nachgegeben hat. Seine Thätigkeit ist rasch, aber nicht anhaltend. Er ist geschäftig, aber unterzieht sich selbst ungern den

Geschäften, eben darum weil er es nicht anhaltend ist, und macht also gern den bloßen Befehlshaber, der sie leitet, aber selbst nicht aussühren will. Daher ist seine herrschende

Leidenschaft Ehrbegierde; er hat gern mit öffentlichen Geschäften zu thun und will laut gepriesen sein.

Er liebt daher den Schein und den Pomp der Formalitäten, nimmt gerne

in Schutz und ist dem Scheine nach großmüthig, aber nicht aus Liebe, sondern aus Stolz;

denn er liebt sich mehr selbst. Er hält auf Ordnung und scheint deshalb klüger, als er ist. Er ist habsüchtig, um nicht filzig zu sein, ist höflich, aber mit Ceremonie, steif und geschroben im Umgänge und hat gerne irgend einen Schmeichler, der das Stichblatt seines Witzes ist, leidet mehr Kränkungen durch den Widerstand anderer gegen seine stolzen Anmaßungen, als je der Geizige durch seine habsüchtigen, weil ein bißchen kaustischen

Witzes ihm den Nimbus seiner Wichtigkeit ganz wegbläst, indessen daß der Geizige doch durch den Gewinn dafür schadlos gehalten wird. Mit einem Wort das cholerische Tem­ perament ist unter allen am wenigsten glücklich, weil es am meisten den Widerstand gegen

sich aufruft.

Wissenschaftliche Prosa.

728

Phlegma bedeutet Affektlosigkeit, nicht Trägheit (Leblosigkeit), und man darf den

Mann, der viel Phlegma hat, darum sofort nicht einen Phlegmatiker oder ihn phlegmatisch nennen und ihn unter diesem Titel in die Klaffe der Faulenzer setzen. Phlegma als Schwäche ist Hang zur Untätigkeit, sich durch selbst starke Trieb­ federn zu Geschäften nicht bewegen zu lassen.

Die Unempfindlichkeit dafür ist willkürliche

Unnützlichkeil, und die Neigungen gehen nur auf Sättigung und Schlaf. Phlegma als Stärke ist dagegen die Eigenschaft, nicht leicht oder rasch, aber wenngleich langsam, doch anhaltend bewegt zu werden.

Der, welcher eine gute Dosis von Phlegma in seiner

Mischung hat, wird langsam warm, aber er behält die Wärme länger.

Er geräth nicht

leicht in Zorn, sondern bedenkt sich erst, ob er nicht zürnen solle, wenn andererseits der Cholerische rasend werden möchte, daß er den festen Mann nicht aus seiner Kaltblütigkeit

bringen kann.

Mit einer ganz gewöhnlichen Dosis der Vernunft, aber zugleich diesem

Phlegma von der Natur ausgestattet, ohne zu glänzen und doch von Grundsätzen, nicht vom Instinkt ausgehend, hat der Kaltblütige nichts zu bereuen. Sein glückliches Tempe­

rament vertritt bei ihm die Stelle der Weisheit, und man nennt ihn selbst im gemeinen Leben oft den Philosophen. Durch dieses ist er anderen überlegen, ohne ihre Eitelkeit zu kränken.

Man nennt ihn auch oft durchtrieben; denn alle auf ihn losgeschnellte Ballisten

und Katapulten prallen von ihm als einem Wollsack ab.

Er ist ein verträglicher Ehe­

mann und weiß sich die Herrschaft über Frau und Verwandle zu verschaffen, indessen daß er scheint allen zu Willen zu sein, weil er durch seinen unbiegsamen, aber überlegten

Willen den ihrigen zu dem seinigen umzustimmen versteht, wie Körper, welche mit kleiner

Masse und großer Geschwindigkeit den Stoß ausüben, durchbohren, mit weniger Geschwin­ digkeit aber und größerer Masse das ihnen entgegenstehende Hindernis mit sich fortführen, ohne es zu zertrümmern. Wenn ein Temperament die Beigesellung eines andern sein soll, wie das gemeiniglich

geglaubt wird, so widerstehen sie entweder einander, oder sie neutralisiren sich. Das erstere geschieht, wenn daS sanguinische mit dem melancholischen, ingleichen wenn das cholerische mit dem phlegmatischen in einem und demselben Subjekt als vereinigt gedacht werden will; denn sie stehen gegen einander im Widerspruch. Das zweite, nämlich die Neutralisirung, würde in der (gleichsam chemischen) Mischung des sanguinischen mit dem cholerischen

und deS melancholischen mit dem phlegmatischen geschehen; denn die gutmüthige Fröhlich­ keit kann nicht in demselben Akt mit dem abschreckenden Zorn zusammenschmelzend gedacht werden, ebensowenig wie die Pein des Selbstquälers mit der zufriedenen Ruhe des sich selbst genügsamen Gemüths. Soll aber einer dieser zwei Zustände in demselben Subjekt mit dem andern wechseln, so giebt daS bloße Launen, aber kein bestimmtes Temperament ab. Also giebt es keine zusammengesetzten Temperamente, z. B. ein sanguinisch-cholerisches (welches die Windbeutel alle haben wollen, indem sie alsdann gnädige, aber doch auch strenge Herrn zu sein vorgaukeln), sondern eS sind in allem deren nur vier und jedes der­ selben einfach, und man weiß nicht, was aus dem Menschen gemacht werden soll, der sich ein gemischtes zueignet. Frohsinn und Leichtsinn, Tiefsinn und Wahnsinn, Hochsinn und Starrsinn, endlich

Kaltsinn und Schwachsinn sind nur als Wirkungen des Temperaments in Beziehung auf ihre Ursache unterschieden. Welchen Einfluß die Verschiedenheit des Temperaments auf die öffentlichen Geschäfte oder umgekehrt diese (durch die Wirkung, die die gewohnte Übung

in diesen auf jene) hat, will man dann auch theils durch Erfahrung, theils auch mit Bei­ hülfe der mutmaßlichen Gelegenheitsursachen erklügelt haben. So heißt es z. B.: in der Religion ist der Choleriker orthodox, der Sanguinische Freigeist, der Melancholische

729

Philosophie.

Schwärmer, der Phlegmatische Jndifferentist; allein das sind so hingeworfene Urtheile, die für die Charakteristik so viel gelten, als skurrilischer Witz ihnen einräumt (valent, quantunft pOSSUDt).

Aus Kants Anthropologie.

3.

Das Gefühl vom Erhabenen und Schönen.

Die verschiedenen Empfindungen des Vergnügens oder des Verdrusses beruhen nicht

so

sehr auf der Beschaffenheit der äußern Dinge, die sie erregen, als auf dem jedem

Menschen eigenen Gefühle, dadurch mit Lust oder Unlust gerührt zu werden.

Daher

kommen die Freuden einiger Menschen, woran andere einen Ekel haben, die verliebte Leidenschaft, die öfters jedermann ein Räthsel ist, aber auch der lebhafte Widerwille, den der eine woran empfindet, was dem andern völlig gleichgültig ist.

Das Feld der Beob­

achtungen dieser Besonderheiten der menschlichen Natur erstrecket sich sehr weit und ver­ birgt annoch einen reichen Borrath von Entdeckungen, die eben so anmuthig als lehrreich sind.

Ich werfe vorjetzt meinen Blick nur auf einzelne Stellen, die sich in diesem Bezirke

besonders auszunehmen scheinen, und auch auf diese mehr das Auge eines Beobachters als

des Philosophen. Weil ein Mensch sich nur insofern glücklich findet, als er eine Neigung befriedigt, so ist das Gefühl, welches ihn fähig macht, große Vergnügen zu genießen, ohne dazu

ausnehmende Talente zu bedürfen, gewiß nicht eine Kleinigkeit. Wohlbeleibte Personen, deren geistreicher Autor ihr Koch ist, und deren Werke von feinem Geschmacke sich in ihrem Keller befinden, werden bei gemeinen Zoten und einem plumpen Scherze in ebenso lebhafte Freude gerathen, als diejenige ist, worauf Personen von edeler Empfindung so stolz thun. Ein bequemer Mann, der die Vorlesung der Bücher liebt, weil es sich sehr wohl dabei einschlafen läßt, der Kaufmann, dem alle Vergnügen läppisch scheinen, das­ jenige ausgenommen, was ein kluger Mann genießt, wenn er seinen Handlungsvortheil überschlägt, der Liebhaber der Jagd, er mag nun Fliegen jagen, wie Domitian, oder wilde Thiere, wie A------- : alle diese haben ein Gefühl, welches sie fähig macht, Ver­

gnügen nach ihrer Art zu genießen, ohne daß sie andere beneiden dürfen oder auch von andern sich einen Begriff machen können; allein ich wende vorjetzt darauf keine Aufmerk­ samkeit. Es giebt noch ein Gefühl von feinerer Art, welches entweder darum so genennet wird, weil man es länger ohne Sättigung und Erschöpfung genießen kann, oder weil es, so zu sagen, eine Reizbarkeit der Seele vorauösetzt, die diese zugleich zu tugendhaften Regungen geschickt macht, oder weil sie Talente und Verstandesvorzüge anzeigt, da im Gegentheile jene bei völliger Gedankenlosigkeit stattfinden können. Dieses Gefühl ist es, wovon ich eine Seite betrachten will.

Doch schließe ich hiervon die Neigung aus, welche

auf hohe Verstandeseinsichten geheftet ist, und den Reiz, deffen ein Kepler fähig war, wenn er, wie Bayle berichtet, eine seiner Empfindungen nicht um ein Fürstenthum'würde ver­ kauft haben. Diese Empfindung ist gar zu fein, als daß sie in gegenwärtigen Entwurf

gehören sollte, welcher nur das sinnliche Gefühl berühren wird, dessen auch gemeinere

Seelen fähig sind. Das feinere Gefühl, das wir jetzt erwägen wollen, ist vornehmlich zwiefacher Art: das Gefühl des Erhabenen und des Schönen. Die Rührung von beiden ist angenehm,

aber auf sehr verschiedene Weise.

Der Anblick eines Gebirges, dessen beschneite Gipfel

sich über Wolken erheben, die Beschreibung eines rasenden Sturmes oder die Schilderung deS höllischen Reiches von Milton erregen Wohlgefallen, aber mit Grausen; dagegen die Aussicht auf blumenreiche Wiesen, Thäler mit schlängelnden Bächen, bedeckt von weidenden

Wissenschaftliche Prosa.

730

Herden, die Beschreibung deS ElysiumS oder Homers Schilderung von dem Gürtel der

Venus veranlassen auch eine angenehme Empfindung, die aber fröhlich nnd lächelnd ist. Damit jener Eindruck auf unS in gehöriger Stärke geschehen könne, so müssen wir ein Gefühl des Erhabenen und, um die letztere recht zu genießen, ein Gefühl für daS Schöne

haben. Hohe Eichen und einsame Schatten im heiligen Haine sind erhaben. Blumenbeete, niedrige Hecken und in Figuren geschnittene Bäume sind schön. Die Nacht ist erhaben, der Tag ist schön.

Gemüthsarten, die ein Gefühl für daS Erhabene besitzen, werden durch die

ruhige Stille eines Sommerabends, wenn das zitternde Licht der Sterne durch die braunen Schatten der Nacht hindurchbricht und der einsame Mond im Gesichtskreise steht, allmählich in hohe Empfindungen gezogen von Freundschaft, von Verachtung der Welt, von Ewig­

keit.

Der glänzende Tag flößt geschäftigen Eifer und ein Gefühl von Lustigkeit ein. Das

Erhabene rührt, das Schöne reizt.

Die Miene des Menschen, der im vollen Gefühle deS

Erhabenen sich befindet, ist ernsthaft, bisweilen starr und erstaunt. Dagegen kündigt sich die lebhafte Empfindung des Schönen durch glänzende Herrlichkeit in den Augen, durch Züge des Lächelns und oft durch laute Lustigkeit an. DaS Erhabene ist wiederum ver­ schiedener Art. Das Gefühl desielben ist bisweilen mit einigem Grausen oder auch Schwermuth, in einigen Fällen blos mit ruhiger Bewunderung und in noch andern mit einer über einen erhabenen Plan verbreiteten Schönheit begleitet. Das erstere will ich daS

Schreckhafterhabene, das zweite das Edle und das dritte das Prächtige nennen. Tiefe Einsamkeit ist erhaben, aber auf eine schreckhafte Art; daher große, weitgestreckte Ein­ öden, wie die ungeheure Wüste Schamo in der Tartarei, jederzeit Anlaß gegeben haben, fürchterliche Schalten, Kobolde und Gespensterlarven dahin zu versetzen. Das Erhabene muß jederzeit groß, daS Schöne kann auch klein sein. Das Er­ habene muß einfältig, das Schöne kann geputzt und geziert sein. Eine große Höhe ist ebensowohl erhaben, als eine große Tiefe; allein diese ist mit der Empfindung des Schau­

derns begleitet, jene mit der Bewunderung; daher diese Empfindung schreckhaft erhaben und jene edel sein kann. Der Anblick einer ägyptischen Pyramide rührt, wie Haselquist berichtet, weit mehr, als man sich aus aller Beschreibung es vorstellen kann; aber ihr Bau ist einfältig und edel. Die Peterskirche in Nom ist prächtig. Weil auf diesen Entwurf, der groß und einfältig ist, Schönheit, z. B. Gold, mosaische Arbeit u. s. w., so verbreitet ist, .daß die Empfindung des Erhabenen doch am meisten hindurchwirkt: so heißt der Gegenstand prächtig. Ein Arsenal umß edel und einfältig, ein Residenzschloß Prächtig und ein Lustpalast schön und geziert sein. Eine lange Dauer ist erhaben. Ist sie von vergangener Zeit, so ist sie edel. Wird sie in einer unabsehlichen Zukunft vorausgesehen, so hat sie etwas vom Schreckhaften an sich.

Ein Gebäude aus dem entferntesten Alterthum ist ehrwürdig.

Hallers Beschreibung

von der künftigen Ewigkeit flößt ein sanftes Grausen und von der vergangenen starre Bewunderung ein. Kant.

3 a. keit.

Was ist Aufklärung?

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen auS seiner selbstverschuldeten Unmündig­ Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern

zu bedienen.

Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht

am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner

Philosophie. ohne Leitung eines andern zu bedienen.

Sapere aude!

731 Habe Muth, dich deines eigenen

Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter maiorennes), denwoch gerne zeitlebens unmündig bleiben, und warum es andern so leicht wird, sich zu

deren Vormündern aufzuwerfen.

Es ist so bequem, unmündig zu sein.

Habe ich ein Buch,

daS für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurtheilt u. s. w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich

habe nicht nöthig zu denken, wenn ich mir bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft für mich schon übernehmen. Daß der bei weitem größte Theil der Menschen (darunter daS ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außerdem daß er be­ schwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Obe-raufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben.

Nachdem sie ihr HauSvieh zuerst

dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen

Schritt aus dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen, allein zu gehen.

Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeinig­ lich von allen fernern Versuchen ab. ES ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich auS der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen und ist vor­ der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn nie­ mals den Versuch davon machen ließ.

Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werk­

zeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr MißbrauchS seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde den­ noch auch über den schmälsten Graben einen nur unsichern Sprung thun, weil er zu der­ gleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher giebt es nur wenige, denen es gelun­ gen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich auS der Unmündigkeit herauszuwickeln

und dennoch einen sichern Gang zu thun. Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja, es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich; denn da werden sich immer einige Selbst-

denkende sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche,

nachdem sie daS Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünf­ tigen Schätzung des eigenen Werths und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken,

um sich verbreiten werden. Besonders ist hierbei, daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es, Vorurtheile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird viel­ leicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger Bedrückung,

aber niemals wahre Reform der Denkungsart zu Stande kommen, sondern neue Vorur­ theile werden, ebensowohl als die alten, zum Leitbande deS gedankenlosen großen Haufens dienen.

Zu dieser Aufklärung wird nichts erfordert als Freiheit und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die, von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen:

Wissenschaftliche Prosa.

732 Räsonnirt nicht!

Der Offizier sagt: Räsonnirt nicht, sondern exerzirt! der Finanzrath:

Räsonnirt nicht, sondern bezahlt! der Geistliche: Räsonnirt nicht, sondern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: Räsonnirt, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt! aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? — Ich

antworte: Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung son­

Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der derlich zu hindern.

Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf. Nun ist zu manchen Geschäften, die in daö Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser

Mechanismus nothwendig, vermittelst dessen einige Glieder des gemeinen WesenS sich blos passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Negierung zu öffent­ lichen Zwecken gerichtet oder wenigstens von der Zerstörung dieser Zwecke abgehalten zu werden. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räsonniren, sondern man muß gehorchen. Sofern sich aber dieser Theil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehr­ ten, der sich au ein Publikum im eigentlichen Verstände durch Schriften wendet, kann er allerdings räsonniren, ohne daß dadurch die Geschäfte leiden, zu denen er zum Theil als

passives Glied angesetzt ist.

So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem

von seinem Obern etwas anbefohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit oder Nütz­ lichkeit dieses Befehls laut vernünfteln wollte; er muß gehorchen. Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter über die Fehler im Kriegsdienste Anmerkungeu zu machen und diese seinem Publikum zur Beurtheilung vorzulegen. Der Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten; sogar kann ein vorwitziger Tadel solcher Auflagen, wenn sie von ihm geleistet werden sollen, als ein Skan­ dal, daö allgemeine Widersetzlichkeiten veranlassen könnte, bestraft werden. Ebenderselbe handelt demungeachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er alö Gelehrter wider die Unschicklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen öffentlich seine

Gedanken äußert. Ebenso ist ein Geistlicher verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeinde nach dem Symbole der Kirche, der er dient, seinen Vortrag zu thun; denn er ist auf diese Bedingung angenommen worden; aber als Gelehrter hat er volle

Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeinenden Ge­ danken über das Fehlerhafte in jedem Symbole und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchenwesens dem Publikum mitzutheilen. ES ist hierbei auch nichts,

was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte; denn was er zufolge seines Amtes als Geschäftsträger der Kirche lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eines andern verzutragen angestellt ist. Er wird sagen: Unsere Kirche lehrt

dieses oder jenes; das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient. Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Überzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, daß darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der innern Religion Widersprechendes darin angetroffen wird; denn glaubte er, das letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Gewissen

Philosophie.

733

nicht verwalten können; er müßte es niederlegen. Der (gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist blos ein Privatgebrauch, weil diese immer nur eine häusliche, ob zwar noch so große Versammlung ist; und in Ansehung

dessen ist er als Priester nicht frei und darf es auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet. Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publi­ kum, nämlich zu der Welt, spricht, mithin der Geistliche im öffentlichen Gebrauche seiner Vernunft genießt einer uneingeschränkten Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen; denn daß die Vormünder des Volks (in geist­ lichen Dingen) selbst wieder unmündig sein sollen, ist eine Ungereimtheit, die auf Verewi­

gung der Ungereimtheiten hinausläuft. Aber sollte nicht eine Gesellschaft von Geistlichen, etwa eine Kirchenversammlung oder eine ehrwürdige Klassis (wie sie sich unter den Holländern selbst nennt) berechtigt sein, sich ridlich auf ein gewisses unveränderliches Symbol zu verpflichten, um so eine unaufhörliche Obervormundschaft über jedes ihrer Glieder und vermittelst ihrer über das Volk zu führen und diese sogar zu verewigen?

Ich sage: Das ist ganz unmöglich.

Ein solcher Kontrakt,

der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte abzuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig, und sollte er auch durch die oberste Gewalt, durch Reichstage und die feierlichsten Friedensschlüsse bestätigt sein.

Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen,

darin es ihm unmöglich werden muß, seine (vornehmlich so sehr angelegentlichen) Erkennt­ nisse zu erweitern, von Irrthümern zu reinigen und überhaupt in der Aufklärung weiter­

zuschreiten. Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesen Fortschritten besteht, und die Nachkommen sind also vollkom­ men dazu berechtigt, jene Beschlüsse als unbefugter und frevelhafter Weise gefaßt zu ver­

werfen.

Der Probirstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden

kann, liegt in der Frage, ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte? Nun wäre dieses wohl gleichsam in der Erwartung eines bessern auf eine bestimmte kurze

Zeit möglich, um eine gewisse Ordnung einzuführen, indem man es zugleich jedem der Bürger, vornehmlich dem Geistlichen, freiließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d. i. durch Schriften, über das Fehlerhafte der dermaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu machen, indessen die eingeführte Ordnung noch immer fortdauerte, bis die Einsicht in die Beschaffenheit dieser Sachen öffentlich so weit gekommen und bewährt worden, daß sie

durch Vereinigung ihrer Stimmen (wenngleich nicht aller) einen Vorschlag vor den Thron bringen könnte, um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begriffen der bessern Einsicht zu einer veränderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim Alten wollten bewenden lassen; aber auf

eine

beharrliche, von niemand öffentlich zu bezweifelnde Religionsverfassung

auch nur

binnen der Lebensdauer eines Menschen sich zu einigen und dadurch einen Zeitraum in dem Fort­

gänge der Menschheit zur Verbesserung gleichsam zu vernichten und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenschaft nachteilig zu machen, ist schlechterdings unerlaubt. Ein Mensch kann zwar für seine Person und auch alsdann nur auf einige Zeit in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber Verzicht zu thun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Mensch­ heit verletzen und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst be­

schließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein

gesetzgebendes Ansehn beruht eben darauf, daß er den gesammten Volkswillen in dem seinigen vereinigt. Wenn er nur darauf sieht, daß alle wahre oder vermeinte Verbesserung

734

Wissenschaftliche Prosa.

mit der bürgerlichen Ordnung zusammen bestehe, so kann er seine Unterthanen übrigennur selbst machen lasten, was sie um ihre- Seelenheils willen zu thun nöthig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, daß nicht einer den andern gewaltthätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach allem seinem Vermögen zu arbeiten. Es thut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mischt, indem er die Schriften,

wodurch seine Unterthanen ihre Einsichten ins Reine zu bringen suchen, seiner Regierungs­ aufsicht würdigt, sowohl wenn er dieses aus eigener höchster Einsicht thut, wo er sich dem Borwurfe aussetzt: Caesar non est supra grammaticos, als auch noch weit mehr, wenn er seine oberste Gewalt so weit erniedrigt, den geistlichen Despotismus einiger Tyrannen

in seinem Staate gegen seine übrigen Unterthanen zu unterstützen. Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen,

wie die Sachen jetzt stehen, im ganzen genommen, schon jm Stande wären

oder darein

auch nur gesetzt werden konnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein daß

jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten und der Hinderniffe der allgemeinen Aufklärung oder deS Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündig­ keit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeichen. In diesem Be­ trachte ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert Friedrichs. Ein Fürst, der eS seiner nicht unwürdig findet zu sagen, daß er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmüthigen Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbst aufgeklärt und verdient, von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu

werden, der zuerst daS menschliche Geschlecht der Unmündigkeit wenigstens von Seiten der Regierung entschlug und jedem freiließ, sich in allem, was Gewistensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen. Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geistliche unbeschadet

ihrer Amtspflicht ihre vom angenommenen Symbol hier oder da abweichenden Urtheile und Einsichten in der Qualität der Gelehrten frei und öffentlich der Welt zur Prüfung darlegen, nochmehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist. Dieser Geist der Freiheit breitet sich auch außerhalb auS, selbst da, wo er mit äußeren Hinder­ nisten einer sich selbst mißverstehenden Regierung zu ringen hat; denn eS leuchtet dieser doch ein Beispiel vor, daß bei Freiheit für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen Wesens nicht das mindeste zu besorgen sei. Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Roheit heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten. Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, die deS Ausganges der Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt, weil in An­ sehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vor­ mund über ihre Unterthanen zu spielen; überdem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist; aber die Denkungsart eines Staats­ oberhaupts, der die erstere begünstigt, geht noch weiter und sieht ein, daß selbst in An­ sehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr sei, seinen Unterthanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere

Abfassung derselben, sogar mit einer freimüthigen Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren ^Friedrich d. Gr.j.

Aber auch nur derjenige,

der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldisziplinirteS

Philosophie.

735

zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, kann das sagen, was ein Freistaat nicht wagen darf: Räsonnirt, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht!

So zeigt sich hier ein befremdlicher, nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge;

so wie auch sonst, wenn man ihn im Großen betrachtet, darin fast alles paradox ist.

Ein

größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks Vortheilhaft

und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hin­ gegen diesem Raum, sich nach allem seinem Vermögen auszubreiten. Wenn denn die

Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den

Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat, so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dies der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird) und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträg­

lich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln. K a n t.

4. Über die Verbindung der deutschen Völker und Provinzen zur Humanität. Ein Athanasium, ein Mnemeion Deutschlands?

Wahrlich unser Vaterland ist zu

beklagen, daß es keine allgemeine Stimme, keinen Ort der Versammlung hat, wo man sich sämmtlich höret.

Alles ist in ihm zertheilt, und so manches schützet diese Zertheilung:

Religionen, Sekten, Dialekte, Provinzen, Regierungen, Gebräuche und Rechte. Nur auf dem Gottesacker kann uns etwa eine Stelle gemeinsamer Überlegung und Anerkennung gestattet werden.

Aber warum nur hier? Arbeiten nicht in allen vom höchsten bis zu den niedrigsten Ständen sichtbare und unsichtbare Kräfte, diese gemeinsame Überlegung und Anerkennung

zu erleichtern, zu bewirken? Ein Theil Deutschlands hatte sich vor dem andern mit unleug­ baren Fortschritten ein großes Voraus gegeben; der andere Theil eifert ihm nach, und wir können bald an der Stelle sein, ein Ebenmaß zu finden. Jeder biedere Mensch muß sich bestreben, dieses zu fördern, und glücklicherweise scheinen mir diejenigen, die die biedersten Deutschen sein sollen, die Fürsten, auf denselben Weg zu treten. Gewiß, der Unterschied der Religionen macht es nicht;

es aufgeklärte, gute Menschen.

denn in allen Religionen Deutschlands giebt

Der Unterschied von Dialekten, von Bier- und Wein­

ländern macht es auch nicht, was uns von einander hält und sondert; ein leidiges Staats­ interesse, eine Anmaßung mehreren Geistes, mehrerer Kultur auf der einen, auf der anderen Seite mehreren Gewichts, mehreren Reichthums u. s. f. war es, was uns entzweiet; und dem,

dünkt mich, muß und wird die allmächtige Zeit obsiegen.

Denn was hindert uns Deutsche,

uns allesammt als Mitarbeiter an einem Bau der Humanität anzuerkennen, zu ehren und einander zu helfen? Haben wir nicht alle eine Sprache, ein gemeinschaftliches Interesse, eine Vernunft, ein und dasselbe menschliche Herz? Der Philosophie und Kritik hat man

nirgend den Weg versperren können; sie arbeitet sich überall durch, sie wird in allen

guten Köpfen rege; ihre Regeln sind allenthalben dieselben, ihr Zweck allenthalben nur einer. Auch der Wetteifer verschiedener Provinzen gegen einander kann nicht anders als diesen Zweck befördern.

Ruhm und Dank verdient also ein jeder, der die Gemein­

schaft der Länder Deutschlands durch Schriften,

Gewerbe und Anstalten zu befördern sucht; er erleichtert die Zusammenwirkung und Anerkennung mehrerer und der verschieden­ sten Kräfte; er bindet die Provinzen Deutschlands durch geistige und also die stärksten

Bande.

Daß uns eine Hauptstadt fehle, thut zu unserer Sache gewiß nichts.

Der Ausbil-

Wissenschaftliche Prosa.

736

düng des Geschmacks mag ihr Mangel ein Hindernis sein; und auch der Geschmack kann durch sie ebensowohl verderbt und gefesielt werden, als sie ihm anfangs Politur und Flügel verleihen möchte. Einsichten aber, ruhige Überlegungen, thätige Versuche, Empfindungen

und Äußerungen dessen, was örtlich und allenthalben zu unserm Frieden dienet, sie ver­ schmähen die Mauern einer Hauptstadt und suchen das freie Land; ihre Werkstätte ist das

gesammte Deutschland.

Je mehrere und leichtere Boten allenthalben her-, allenthalben

hingelangen, destomehr wird die Mittheilung der Gedanken befördert, und kein Fürst, kein

König wird diese zu hemmen suchen, der die unendlichen Vortheile der Geistesindustrie, der

Geisteskultur, der gegenseitigen Mittheilung von Empfindungen, Gedanken, Vorschlägen,

selbst von begangenen Fehlern und Schwächen einsieht. Jedes dieser Stücke kommt der Menschennatur, mithin auch der Gesellschaft zu gut; der Fehler wird entdeckt, der Irrthum wird gebessert, Gedanke weckt Gedanken, Empfindungen und Entschlüsse regen und treiben; denn das ist eben die große und gute Einrichtung der menschlichen Natur, daß in ihr, wenn ich so sagen darf, alles im Keim da ist und nur auf seine Entwicklung wartet. Ent­

schließet sich die Blüte nicht heute, so wird sie sich morgen zeigen. Auch alle möglichen Antipathien sind in der menschlichen Natur da; jedem Gift ist nicht nur sein Gegengift gewachsen, sondern die ewige Tendenz der waltenden lebendigen Kraft geht dahin, aus dem schädlichsten Gift die kräftigste Arznei zu bereiten. Ach, die Extreme liegen in unserer engbeschräukten Natur so nahe, so dicht bei einander, daß es oft nur auf einen geschickten

Fingerdruck ankommt, aus dem Einfalls- den Absprungswinkel zu machen, da unabänder­ lichen Gesetzen nach beide in ihrem Verhältnis einander gleich sind. Gedanken zu hemmen, dies Kunststück hat noch keine irdische Politik erfunden; ihr selbst wäre eS auch sehr unzu­

träglich; aber Gedanken zu sammeln, zu ordnen, zu lenken, zu gebrauchen: dies ist ihr für alle Zeiten hinaus unabsehlicher, großer Vortheil. Doch die Seite des Verstandes ist'S nicht allein, in Absicht welcher ich Deutschland einen gemeinsamen Zusammenhang wünsche; vielmehr ist's die Seite des Charakters, der Entschlüsse, der Unternehmung. Wir wissen alle, daß die Deutschen von jeher mehr gethan, als von sich reden gemacht haben; das thun sie auch noch. In jeder Provinz Deutschlands leben Männer, die ohne französische Eitelkeit, ohne englischen Glanz gehorsam, oft leidend Dinge thun, deren Anblick jedermann schönen und großen Muth einspräche,

wenn sie bekannt wären.

Denen vollends wünsche ich keinen Hof, keine Hauptstadt, einen

Altar der Biedertreue wünsche ich ihnen, an dem sie sich mit Geist und Herzen versammeln. Er kann nur im Geist existiren, d. i. in Schriften; und o daß ausgezeichnet vor allen eine

solche Schrift da wäre! An ihr würden sich Seelen entflammen und Herzen stärken. Der deutsche Name, den jetzt viele Nationen geringzuhalten sich anmaßen, würde vielleicht als der erste Name Europas erscheinen, ohne Geräusch, ohne Anmaßung, nur in sich selbst stark, fest und groß. AuS Herders Briefen zur Beförd. der Humanität.

5. Roms Einrichtungen zu einem herrschenden Staats- und Kriegsgebände. Der römische Senat, wie das römische Volk waren von frühen Zeiten an Krieger:

Rom von seinem höchsten bis im Nothfall zum niedrigsten Gliede war ein Kriegsstaat. Der Senat rathschlagte: er gab aber auch in seinen Patriziern Feldherrn und Gesandte; der wohlhabende Bürger von seinem 17. bis zum 46. oder gar 50. Jahr mußte zu Felde dienen. Wer nicht zehn Kriegszüge gethan hatte, war keiner obrigkeitlichen Stelle würdig. Daher also der Staatsgeist der Römer im Felde, ihr Kriegsgeist im Staat. Ihre Be-

Philosophie.

737

rathschlagungen waren über Sachen, die sie kannten, ihre Entschlüsse wurden Thaten. Der römische Gesandte prägte Königen Ehrfurcht ein; denn er konnte zugleich Heere führen und im Senat sowohl, als im Felde das Schicksal über Königreiche entscheiden. DaS Volk der oberen Zenturien war keine rohe Masse deS Pöbels; es bestand aus kriegs-, länder-, geschäfts­ erfahrenen, begüterten Männern. Die ärmeren Zenturien galten mit ihren Stimmen auch minder und wurden in den besseren Zeiten Roms des Kriegs nicht einmal fähig geachtet. Dieser Bestimmung ging die römische Erziehung insonderheit in den edlen Geschlech­

tern entgegen. Man lernte rathschlagen, reden, seine Stimme geben oder daS Volk lenken; man ging früh in den Krieg und bahnte sich den Weg zu Triumphen oder Ehren­ geschenken und Staatsämtern.

Daher der so eigne Charakter der römischen Geschichte

und Beredsamkeit, selbst ihrer Rechtsgelehrsamkeit und Religion, Philosophie und Sprache; alle hauchen einen Staats- und Thatengeist, einen männlichen, kühnen Muth, mit Ver­ schlagenheit und Bürgerurbanität verbunden. Es läßt sich beinahe kein größerer Unter­ schied gedenken, als wenn man eine chinesische oder jüdische und eine römische Geschichte oder

Beredsamkeit mit einander vergleichet.

Auch vom Geiste der Griechen, Sparta selbst nicht

ausgenommen, ist der römische Geist verschieden, weil er bei diesem Volke gleichsam auf einer Härtern Natur, auf älterer Gewohnheit, auf festeren Grundsätzen ruhet. Der römische Senat starb nicht aus; seine Schlüffe, seine Maximen und der von Romulus her

geerbte Römercharakter war ewig. Die römischen Feldherrn waren oft Konsuls, deren Amt und Feldherrnwürde ge­ wöhnlich nur ein Jahr dauerte: sie mußten also eilen, um im Triumph zurückzukehren, und der Nachfolger eilte seines Vorfahren Götterehre nach. Daher der unglaubliche

Fortgang und die Vervielfältigung der römischen Kriege; einer entstand auS dem andern, wie einer den andern trieb. Man sparte sich sogar Gelegenheit auf, um künftige Feld­ züge zu beginnen, wenn der jetzige vollendet wäre, und wucherte mit denselben wie mit

einem Kapital der Beute, des Glücks und der Ehre.

Daher das Interesse, das die

Römer so gern an fremden Völkern nahmen, denen sie sich als Bundes- und Schutzver­ wandte oder als Schiedsrichter gewiß nicht aus Menschenliebe aufdrängten. Ihre BundeSfreundschaft ward Vormundschaft, ihr Rath Befehl, ihre Entscheidung Krieg oder Herr­ schaft. Nie hat es einen kälteren Stolz und zuletzt eine schamlosere Kühnheit des befehlen­ den Ausbringens gegeben, als diese Römer bewiesen haben; sie glaubten, die Welt sei die

ihre, und darum ward fie’6. Auch der römische Soldat nahm an den Ehren und am Lohne des Feldherrn theil. In den ersten Zeiten der Bürgertugend Roms diente man um keinen Sold: nachher ward er sparsam ertheilt; mit den Eroberungen aber und der Emporhebung deS Volks durch seine Tribunen wuchsen Sold, Lohn und Beute. Oft wurden die Äcker der Überwundenen unter die Soldaten vertheilt, und es ist bekannt, daß die meisten und ältesten Streitigkeiten der römischen Republik über die Austheilung der Äcker unter daS Volk entstanden. Später­ hin bei auswärtigen Eroberungen nahm der Soldat an der Beute und durch Ehre sowohl,

als durch reiche Geschenke am Triumph seines Feldherrn selbst theil.

Es gab Bürger-,

Mauer-, Schissskronen, und L. DentatuS konnte sich rühmen, daß, da er hundertundzwanzig Treffen beigewohnt, achtmal im Zweikampf gesiegt, vorn am Leibe fünfundvierzig Wunden

und hinten keine erhalten, er dem Feinde fünfunddreißigmal die Waffen abgezogen und mit achtzehn unbeschlagenen Spießen, mit fünfundzwanzig Pferdezieraten, mit dreiundachtzig

Ketten, hundertundsechzig Armringen, mit sechsundzwanzig Kronen, nämlich vierzehn Bürger-, acht goldnen, drei Mauer- und einer Errettungskrone, außerdem mit baarem Gelde, zehn

Gefangenen und zwanzig Ochsen beschenkt sei. Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Aufl.

47

Wissenschaftliche Prosa.

738

Der größte Theil der gepriesenen Römertugend ist uns ohne die enge, harte Ver-

faffung ihres Staats unerklärlich; jene siel weg, sobald diese wegsiel. in die Stelle der Könige und

Die Konsuls traten

wurden nach den ältesten Beispielen gleichsam gedrungen,

eine mehr als königliche, eine römische Seele zu beweisen; alle Obrigkeiten, insonderheit des Censors, nahmen an diesem Geiste theil. Man erstaunt über die strenge Unparteilich­ keit, über die uneigennützige Großmuth, über das geschäftsvolle bürgerliche Leben der alten Römer vom Anbruch des Tages an, ja noch vor Anbruch desielben, bis in die späte Dämmerung. Kein Staat der Welt hat es vielleicht in dieser ernsten Geschäftigkeit, in

dieser bürgerlichen Härte soweit als Rom gebracht, in welchem sich alles nahe zusammen­ drängte. Der Adel ihrer Geschlechter, der sich auch durch Geschlechtsnamen glorreich auSzeichnete, die immer erneuerte Gefahr von außen und daS unaufhörlich kämpfende Gegen­

gewicht zwischen dem Volk und den Edlen von innen, wiederum daö Band zwischen beiden durch Klientele und Patronate, das gemeinschaftliche Drängen an einander auf Märkten,

in Häusern, in politischen Tempeln, die nahen und doch genau abgetheilten Grenzen zwischen dem, was dem Rath und dem Volk gehörte, ihr enges häusliches Leben, die Erziehung der Jugend im Anblick dieser Dinge von Kindheit auf: alles trug dazu bei, daS römische Volk zum stolzesten, ersten Volk der Welt zu bilden. Ihr Adel war nicht, wie bei andern Völkern, ein träger Landgüter- oder Namenadel; es war ein stolzer Familien-, ein Bürger­ und Römergeist in den ersten Geschlechtern, auf welchen das Vaterland als auf seine

stärkste Stütze rechnete; in fortgesetzter Wirksamkeit, im dauernden Zusammenhänge desielben ewigen Staats erbte er von Vätern auf Kinder und Enkel hinunter. Ich bin gewiß, daß in den gefährlichsten Zeiten kein Römer einen Begriff davon gehabt habe, wie Rom

untergehen könne; sie wirkten für ihre Stadt, als sei ihr von den Göttern die Ewigkeit beschieden, und als ob sie Werkzeuge dieser Götter zur ewigen Erhaltung derselben wären. Nur als das ungeheure Glück den Muth der Römer zum Übermuth machte, da sagte schon

Scipio beim Untergange Karthagos jene Verse Homers, die auch seinem Vaterlande daS Schicksal TrojaS weisiagten. Die Art, wie die Religion mit dem Staat in Rom verwebt war, trug allerdings zu seiner bürgerlich-kriegerischen Größe bei. Da sie von Anbeginn der Stadt und in den

tapfersten Zeiten der Republik in den Händen der angesehensten Familien, der Staats- und KriegSmänner selbst war, sodaß auch noch die Kaiser sich ihrer Würde nicht schämten, so bewahrte sie sich in ihren Gebräuchen vor jener wahren Pest aller Landesreligionen, der Verachtung, die der Senat auf alle Weise von ihr abzuhalten strebte. Der staatskluge Polybius schrieb also einen Theil der Römertugenden, vornehmlich ihre unbestechliche Treue und Wahrheit, der Religion zu, die er Aberglaube nannte, und wirklich sind die Römer bis an die späten Zeiten ihres Verfalls diesem Aberglauben so ergeben gewesen, daß auch einige Feldherrn vom wildesten Gemüth sich die Geberde eines Umganges mit den Göttern

gaben und durch ihre Begeisterung, wie durch ihren Beistand nicht nur über die Gemüther deS Volks und HeerS, sondern selbst über das Glück und den Zufall Macht zu haben

glaubten. Mit allen Staats- und Kriegshandlungen war Religion verbunden, also daß jene durch diese geweihet wurden; daher die edlen Geschlechter für den Besitz der Religions­

würden als für ihr heiligstes Vorrecht gegen das Volk kämpften. Man schreibt dieses gemeiniglich blos ihrer Staatsklugheit zu, weil sie durch die Auspizien und Aruspizien als durch einen künstlichen Religionsbetrug den Lauf der Begebenheit in ihrer Hand hatten;

aber wiewohl ich nicht leugne, daß diese auch also gebraucht worden, so war dies die ganze

Sache nicht. Die Religion der Väter und Götter Roms war dem allgemeinen Glauben nach die Stütze ihres Glücks, das Unterpfand ihres Vorzugs vor andern Völkern und das

Philosophie.

geweihte Heiligthum ihres in fremden Götter aufnahmen, sollte auch ihren Göttern der Hierin etwas verändern, hieß

739

der Welt einzigen Staats. Wie sie nun im Anfang keine ob sie wohl die Götter jede- fremden Landes fchoneten, so alte Dienst, durch den sie Römer geworden waren, bleiben. die Grundsäule des Staats verrücken.

Was soll ich von der römischen Kriegskunst sagen, „nie nachzulaffen, bis der Feind im Staube lag, und daher immer nur mit einem Feinde zu schlagen; nie Frieden anzu­

nehmen im Unglück, wenn auch der Friede mehr, als der Sieg brächte, sondern festzustehen und desto trotziger zu sein gegen den glücklichen Sieger; großmüthig und mit der Larve der Uneigennützigkeit anzufangen, als ob man nur Leidende zu schützen, nur Bundesverwandte zu gewinnen suchte, bis man zeitig genug den BundeSgenoffen befehlen, die Be­

schützten unterdrücken und über Freund und Feind als Sieger triumphiren konnte"? Diese und ähnliche Maximen römischer Insolenz oder, wenn man will, felsenfester, kluger Großmuth machten eine Welt von Ländern zu ihren Provinzen und würden eS immer thun, wenn ähnliche Zeiten mit einem ähnlichen Volke wiederkämen. Aus Herders Ideen zur Philos. der Gesch. der Menschheit.

6.

Der Übergang der Feudalherrschaft in die Monarchie.

Der Fortschritt der praktischen Bewegungen im Staate ist wesentlich negativ und besteht im Brechen der subjektiven Willkür der Vereinzelung der Macht.

DaS Affirmative ist daS Hervorgehen einer Obergewalt, die ein Gemeinsames ist, einer Staatsmacht als

solcher, deren Angehörige gleiche Rechte erhalten, und worin der besondere Wille dem

substantiellen Zweck unterworfen ist. DaS ist der Fortschritt der Feudalherrschaft zur Mcnarchie. In der Feudalherrschaft gilt nur daS Prinzip der Dynasten, und es sind nur Verpflichtungen der Persönlichkeiten vorhanden: die Untergebenen werden zu ihrer Pflicht entveder mit Gewalt gezwungen oder durch Vergünstigungen dazu bewogen. Der Wille des Herrn ist nur persönliche Willkür, daS monarchische Prinzip dagegen ist daS Entgegmgesetzte: es ist die Obergewalt über solche, die keine selbständige Macht für ihre Will­ kür besitzen; die Obergewalt der Monarchie ist wesentlich eine Staatsgewalt und hat in sich den substantiellen, rechtlichen Zweck. Die Feudalherrschaft ist eine Polyarchie: es sind lawer Herren und Knechte; in der Monarchie dagegen ist einer Herr und keiner Knecht,

dem die Knechtschaft ist durch sie gebrochen, und in ihr gilt das Recht und das Gesetz; aus ihr geht die reelle Freiheit hervor. In der Monarchie wird also die Willkür der EilHelnen unterdrückt und ein Gesammtwesen der Herrschaft aufgestellt. Die Dynasten wewen Staatsbeamte und bilden ein Staatswesen, das einen Zusammenhang in sich hat. Die Monarchie geht auS dem Feudalismus hervor und trägt zunächst noch den Charakter desi.'lben an sich: die Individuen, welche dem Oberhaupte nahe stehen, gehen aus ihrer

Eirzelberechtigung in Stände und Korporationen über; die Vasallen werden Stände; die Stcdte bilden Mächte im Gemeinwesen, und auf diese Weise kann die Macht deS Herr­ schers keine blos willkürliche mehr sein. Es bedarf der Einwilligung der Stände und Korporationen, und will der Fürst diese haben, muß er nothwendig das Gerechte und Bilige wollen. Wir sehen jetzt eine Staatenbildung beginnen, während die Feudalherrschaft keine Skaten kennt. Der Übergang von ihr zur Monarchie geschieht auf dreifache Weise:

1) ndem der Lehnsherr Meister über seine unabhängigen Vasallen wird, indem er ihre

parikulare Gewalt unterdrückt, so daß die einzelnen nicht mehr als selbständig gelten; 2) ndem die Fürsten sich ganz vom LehnsverhältniS frei machen und selbst Landesherren

740

Wissenschaftliche Prosa.

über eigene Staaten werden, oder endlich 3) indem der oberste Lehnsherr auf eine wahrhaft friedliche Weise die besonderen Herrschaften mit seiner eigenen vereinigt und so Herrscher über das Ganze wird. Die geschichtlichen Übergänge sind zwar nicht immer so rein, wie sie hier vorgestellt

worden sind: oft kommen mehrere zugleich vor; aber der eine oder der andere bildet immer das Überwiegende. Die Hauptsache ist, daß für solche Staatsbildung eine partikulare Nationalität erfordert wird, indem man eine bestimmte Nation sein muß, um einen eigen­

thümlichen und unterschiedenen Staat vorzustellen. Das Erste, was wir hier zu betrachten haben, ist das römische Kaiserreich, wozu Deutschland überhaupt und Italien gehört. Der Zusammenhang von Deutschland und Italien geht aus der Vorstellung des Kaiserreichs hervor: die weltliche Herrschaft sollte

verbunden mit der geistlichen ein Ganzes ausmachen, aber diese Formation war immer mehr Kampf, als daß sie wirklich geschehen wäre. In Deutschland und Italien geschah der Übergang vom Feudalverhältnis zur Monarchie so, daß das Feudalverhältnis gänzlich ver­ drängt wurde: die Vasallen wurden selbständige Monarchen. In Deutschland war nach dem Untergange der Hohenstaufen das allgemeine Zerfallen

zur völligen Gewalt gekommen: es war Maxime der Kurfürsten, nur schwache Fürsten zu Kaisern zu wählen, ja sie haben die Kaiserwürde an Ausländer verkauft. So verschwand die Einheit des Staates der Sache nach. ES bildeten sich eine Menge Punkte, deren jeder ein Raubstaat war: das Feudalrecht ist zur förmlichen Räuberei übergegangen, und die mächtigen Fürsten haben sich als Landesherren konstituirt. Jene vollkommene Anarchie wurde aber endlich durch Affoziationen für allgemeine Zwecke gebrochen. Kleinere Assoziationen waren schon die Städte selbst; jetzt aber bildeten sich Städtebündnisie im gemein­

schaftlichen Interesse gegen die Räuberei: so der Hansebund im Norden, der rheinische Bund aus den Städten längs dem Rhein, der schwäbische Städtebund. Diese Bündnisse waren sämmtlich gegen die Dynasten gerichtet, und selbst Fürsten traten den Städten bei, um dem Fehdezustand enttzegenzuarbeiten und den allgemeinen Landfrieden herzustellen. Es ist alsdann gegen jene Übermacht der Bewaffnung noch ein anderes, technisches Mittel

gefunden worden, das Schießpulver. Die Menschheit bedurfte seiner, und alsobald war eS da. Es war ein Hauptmittel zur Befreiung von der physischen Gewalt. Zwar hat man bedauert, daß nun der Tapferste und Edelste sein Leben, wie jeder andere, ohne persönlichen Widerstand verliere; aber nur durch dieses Mittel konnte eine wahre Tapferkeit hervorgehn, eine Tapferkeit ohne Leidenschaft, ohne Rache, Zorn u. s. w. Mit vollkommener Ruhe geht nun der Krieger dem Tode entgegen und opfert sich für daö Allgemeine auf. DaS ist aber die Tapferkeit gebildeter Nationen, die nur wesentlich in Gemeinschaft mit anderen wirksam ist. Auch die Festigkeit der Burgen hat das Schießpulver gebrochen. In Italien wiederholt sich, wie oben schon gesagt ist, dasselbe Schauspiel, das wir in Deutschland gesehen, daß nämlich die einzelnen Punkte zur Selbständigkeit gelangt sind. Das Kriegführen wurde dort durch die Condottieri zu einem förmlichen Handwerk. Die Städte mußten auf ihr Gewerbe sehen und nahmen deshalb Söldner in Dienst, deren

Häupter häufig Dynasten wurden; Verwirrung und Krieg war nicht minder wie in Deutschland vorhanden. In Florenz wurden die Medici, eine Familie von Kaufleuten, herrschend; ebenso war es auch mit den anderen größeren Städten Italiens; aber jene großen Städte unterwarfen sich wiederum eine Menge von kleineren und von Dynasten. Ebenso bildete sich ein päpstliches Gebiet. Auch hier hatte sich eine unzählige Menge von Dynasten unabhängig gemacht; nach und nach wurden sie sämmtlich der einen Herrschaft

des Papstes unterworfen.

Wie zu dieser Unterwerfung int sittlichen Sinne durchaus kein

Philosophie.

741

Recht vorhanden war, ersieht man aus der berühmten Schrift Macchiavellis „der Fürst".

Oft hat man dieses Buch, als mit den Maximen der grausamsten Tyrannei erfüllt, mit

Abscheu verworfen, aber in dem hohen Sinne der Nothwendigkeit einer Staatsbildung hat Macchiavelli die Grundsätze aufgestellt, nach welchen in jenen Umständen die Staaten ge­ bildet werden sollten. Die einzelnen Herren und Herrschaften sollten durchaus unterdrückt

werden, und wenn wir mit unserem Begriffe von Freiheit die Mittel, die er uns als die einzigen und vollkommen berechtigten zu erkennen giebt, nicht vereinigen können, weil zu ihnen die rücksichtsloseste Gewaltthätigkeit, alle Arten von Betrug, Mord u. s. w. gehörte, so müssen wir doch gestehen, daß die Dynasten, die niederzuwerfen waren, nur so ange­ griffen werden konnten, da ihnen unbeugsame Gewissenlosigkeit und eine vollkommene Ver­

worfenheit durchaus zu eigen waren. Durch so elende Häupter wurde Italien zerriffen, unterdrückt und mit allen Greueln angefüllt, bis sich nach und nach ein besserer Zustand bildete. In Frankreich ist der umgekehrte Fall als in Deutschland und Italien eingetreten. Mehrere Jahrhunderte hindurch besaßen die Könige von Frankreich nur ein sehr kleines Territorium, so daß viele der ihnen untergebenen Vasallen mächtiger als sie selbst waren. Der König von Frankreich wurde deshalb auch vom Auslande geringgeschätzt; aber sehr

Vortheilhaft war eS für die königliche Würde in Frankreich, daß sie als erblich festgesetzt war. Auch gewann sie dadurch Ansehn, daß die Korporationen und Städte von dem Könige ihre Berechtigungen und Privilegien bestätigen ließen und die Berufungen an den obersten

LehnShof, den Pairshof, aus zwölf Pairs bestehend, immer häufiger wurden. Philipp der Schöne berief im Jahre 1302 zum ersten Male Repräsentanten der Städte zu Reichs­ versammlungen und befestigte durch eine bessere Einrichtung deS Gerichtswesens ganz außerordentlich seine Macht. Auch kam der König in das Ansehn, daß bei ihm vor den Umerdrückern Schutz zu suchen sei. Was aber dem Könige wesentlich auch bei den mächtigen Vasallen zu Ansehn verhalf, war seine sich vermehrende Hausmacht: auf mannigfache Weise durch Beerbung, durch Heirat, durch Gewalt der Waffen u. s. w. waren die Könige in den Beütz vieler Grafschaften und mehrerer Herzogtümer gekommen. Die Herzöge der Nor­ mandie waren jedoch Könige von England geworden, und es stand so eine starke Macht

Frcnkreich gegenüber, welcher durch die Normandie das Innere geöffnet war. Ebenso blieben mächtige Herzogtümer übrig; aber der König war trotzdem ein Landesherr ge­ worden: er hatte eine Menge vou Baronen und Städten unter sich, die seiner unmittel­ baren Gerichtsbarkeit unterworfen waren, ja er hatte das Recht, seinen Städten Steuern aufiuerlegen. Die Barone und Städte erhoben sich alsdann zu Ständen. Wenn nämlich der König Geld brauchte und alle Mittel, wie Steuern und gezwungene Kontributionen aller Art, erschöpft waren, so wandte er sich an die Städte. Wenn sie auch auf diese Weise nickt direkt an der Gesetzgebung theilnahmen, so bekamen sie dennoch eine Bedeutung und Mccht im Staate und so auch einen Einfluß auf die Gesetzgebung. Besonders auffallend ist.'s, daß die Könige von Frankreich erklärten, daß die leibeigenen Bauern für ein Ge-

rinzes in ihrem Kronlande sich freikaufen könnten.

Auf diese Weise kamen die Könige

von Frankreich sehr bald zu einer großen Macht, und die Blüte der Naturpoesie durch die Troubadours, sowie die Ausbildung der scholastischen Theologie, deren eigentlicher Mittel­

punkt Paris war, gaben Frankreich eine Bildung, welche es vor den übrigen europäischen Stiaten voraus hatte, und welche demselben im Auslande Achtung verschaffte. England wurde von Wilhelm dem Eroberer, Herzog der Normandie, unterworfen. Dilfer führte daselbst die Lehnsherrschaft ein und theilte das Königreich in Lehnsgüter, die

er -ast nur seinen Normannen verlieh.

Er selbst behielt sich bedeutende Kronbesitzungen

vor; die Vasallen waren verpflichtet, in den Krieg zu ziehen und bei Gericht zu sitzen; der

Wissenschaftliche Prosa.

742

König war Vormund der minderjährigen unter seinen Vasallen: sie durften sich nur nach erhaltener Zustimmung verheiraten. Erst nach und nach kamen die Barone und die Städte

zu einer Bedeutsamkeit.

Besonders bei den Streitigkeiten und Kämpfen um den Thron

erlangten sie ein großes Gewicht. Als der Druck und die Anforderungen von Seiten des König- zu groß wurden, kam es zu Zwistigkeiten, selbst zum Kriege: die Barone zwangen den König Johann, die magna Charta, die Grundlage der englischen Freiheit, besonders

der Privilegien des Adels, zu beschwören.

Unter diesen Freiheiten stand das Eigenthums­

recht obenan: keinem Engländer sollte eS ohne ein gerichtliches Urtheil von seinesgleichen genommen werden. Der König sollte ferner keine Steuern auflegen ohne Zustimmung der

Vasallen, Grafen und Barone; auch den Städten wurden ihre alten Gewohnheiten und Freiheiten bestätigt.

Dennoch war der König immer sehr mächtig, wenn er Charakterstärke

besaß: seine Krongüter verschafften ihm ein gehöriges Ansehn; später jedoch wurden dieselbigen nach und nach veräußert und verschenkt, so daß der König dazu kam, vom Par­

lamente Subsidien zu empfangen. Das Nähere und Geschichtliche, wie die Fürstenthümer den Staaten einverleibt worden

sind, und die Mißverhältniffe und Kämpfe bei solchen Einverleibungen berühren wir hier nicht näher. Nur das ist noch zu sagen, daß die Könige, als sie durch die Schwächung der LehnSverfaffung zu einer größeren Macht gelangten, diese nun gegen einander im bloßen Jntereffe ihrer Herrschaft gebrauchten. So führten Frankreich und England hundertjährige Kriege gegen einander. Immer versuchten es die Könige, nach außenhin Eroberungen zu

machen; die Städte, welche meist die Beschwerden und Auflagen zu tragen hatten, lehnten sich dawider auf, und die Könige räumten ihnen, um sie zu beschwichtigen, wichtige Vor­ rechte ein. Aus Hegelö Dcrles. über d. Philcs. der Geschichte.

7.

Unser Bildungsweg.

Ein weiter Bildungsweg liegt hinter uns, seine Dauer zählt nach Jahrtausenden; denn unser Weg setzt den fort, den andere Völker vor uns gegangen sind. Insofern sind wir freilich Epigonen und müssen uns klar bewußt werden, welches Loos und welche Auf­ gabe uns damit zugefallen ist. In der Aufeinanderfolge der Kulturvölker ist zugleich eine Fortsetzung und Überliefe­

rung des geistigen Erwerbes gegeben. Die Summe dessen, was von einem Geschlecht und Volk zum andern vererbt wird, ist in stetem Wachsen und in dem Fortschritt vom Ein­

fachen zu immer größerer Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit. Verfolgen wir etwa die Linie, die von Ägypten über Griechenland und Rom nach Deutschland führt, und versetzen unS zurück in die ersten Zeiten, von denen wir Kunde haben, so macht eS uns im Gegensatz zu der Vielseitigkeit geistiger Bestrebungen, der oft unbesinnlichen Unruhe und athemlosen Be­

triebsamkeit, die unS in der Gegenwart umgiebt, den Eindruck, daß damals gleichsam noch eine Stille auf der Welt lag und die Sitte, sowie daS gesammte Leben der Menschen in seiner Beschlossenheit auf enge Kreise des ThunS und Begehrens eine in sich befriedigte Einfachheit

hatte. In einem der platonischen Gespräche erzählt Sokrates, einst habe einer der alten Götter deS Landes dem Könige von Ägypten allerlei neue Künste für das Volk gebracht, darunter die Schreibekunst, mit der ja auch das Lesen gegeben ist; der König habe sie aber keineswegs mit dem erwarteten Dank ausgenommen, weil das ein Mittel sei, die Menschen mehr nach außen als nach innen zu führen und ihnen die Einbildung zu geben, als wür­ den sie dadurch an Wissen reicher, ohne eS wirklich zu sein.

WaS würde der König erst

Philosophie.

743

von der Buchdruckerkunst gesagt haben! und dennoch war jene wie diese

ein Gottes­

geschenk. Wer kennt nicht die glückliche Einfachheit aller Lebensverhältnisse in der homerischen

Welt? und als auf diese in der späteren griechischen Zeit ein nach vielen Seiten durch Kunst und Wissenschaft bereichertes Dasein folgte, wußte sich das Volk der Hellenen doch

durch ein wunderbares Vermögen, womit es das Fremde seiner nationalen Eigenart assimilirte, wenn nicht die Einfachheit, so doch die innere Einheit seiner Bildung zu bewahren; sie behielt in allem den Charakter einer Ursprünglichkeit, als ob nichts vor ihnen gewesen

wäre.

Die Römer dann setzten sich zu Universalerben aller bis dahin erworbenen geistigen

Habe des Alterthums ein ohne die eben gerühmte Kraft und Kunst selbständiger Aneignung. Sie sammelten und häuften auf, um zu besitzen und um sich zu schmücken, waren jedoch zugleich die Vermittler der überkommenen und der eigenen Kultur an die neueren Völker und so auch an das germanische. Zu den Eigenschaften unsers Volks hat von jeher eine außerordentliche Rezeptivität,

große Bereitwilligkeit, das Fremde aufzunehmen, und innerlicher Antheil an allem geistigen Leben gehört.

Von Jahrhundert zu Jahrhundert führte ein kosmopolitischer Zug immer­

weiter und endlich dahin, daß dem deutschen Wissenstriebe alle Weiten aufgeschlossen waren. Wie die ersten Reiche und der erste Handelsverkehr auf Flußthäler sich beschränkten, dieser sich dann hinauswagte auf Binnenmeere und endlich übers Weltmeer sich erstreckte, so ist

es auch mit den Fortschritten der Wissenskultur gegangen, die gegenwärtig keine Schranken mehr fennt. In dem heutigen Bildungsstoff vereinigt sich mit dem aus langer Vergangen­ heit Überkommenen das Eigene und das aller Orten in der Gegenwart von anderen

Hervorgebrachte, woran wir durch die verschiedenartigen Kommunikationsmittel, welche uns jetzt auch das Entfernteste bald nahe bringen, theilhaben. Ist dies nun eine Entwickelung, in welcher der Baum der Menschheit nach dem innern

Gesetz seines Wachsthums naturgemäß nur das seiner Vollendung Dienende zu Saft und Kraft verarbeitet, alles andere aber zu seiner Zeit abstößt? und ist nicht gerade dem deut­ schen Volk, um diesen organischen Verlauf einzuhatten,

in den

großen Epochen seines

Geisteslebens, vor allem im Christenthume und in der Reformation, eine Direktion dazu gegeben? Gewiß; aber die Geschichte zeigt, wie diese Entwickelung dennoch immer wieder­ tief eingreifende Störungen erfahren hat, und wie keineswegs blos der bleibende Reinertrag des in einem Zeitalter Erworbenen dem nächsten überliefert wird.

eines im gesunden Wachsthum und reicher Verzweigung

Darum will das Bild emporstrebenden Baumes doch

nicht Passen; vielmehr sehen wir auf ein Neben- und Durcheinander der verschiedenartigsten Bildungsstoffe, auf große im Laufe der Jahrhunderte gesammelte Massen, an denen wir

zu tragen haben.

Was war Salomos gerühmte Weisheit, der reden konnte von der Zeder

des Libanon bis an den Ysop, der aus der Wand wächst, gegen das Wissen unserer Tage!

Bei erwachendem Bewußtsein findet sich jeder von zahllosen Resultaten der Thätigkeit früherer Geschlechter und von einer unermeßlich reichen Erfahrung umgeben; es gilt nun für ihn,

seine Stellung dazu zu nehmen,

sich

darin zurechtzufinden und davon zu

er­

werben, um es selbst zu besitzen oder zu mehren und weiterzuführen.

Gegenüber dieser Massenhaftigkeit möchte man die Griechen glücklich preisen, die wie ohne Gepäck leichten und fröhlichen Schritts dem Triebe der Ursprünglichkeit ihres Geistes folgen konnten und eine aufspeichernde Gelehrsamkeit, wie sie für uns unentbehrlich ge­ worden ist, in ihrer besten Zeit nicht kannten, Philologie nicht zu studiren brauchten; und

was war für sie die Geschichte? Aber ist es denn kein Vorzug, um so viel reicher geworden zu sein und einen so viel

Wissenschaftliche Prosa.

744

weiteren Gesichtskreis zu haben?

Ja; eS fragt sich nur, ob uns der Reichthum und die

Fülle nicht arm macht, ob wir im Stande und geschickt sind, die Masten zu bewältigen und

so zu beherrschen, daß der Bildungszweck nicht verfehlt wird. Es ist Thorheit, über Unvermeidliches zu klagen; unsre gesammte Bildung hat mit Nothwendigkeit einen überwiegend historischen Charakter, und an die Stelle der Einfachheit und glücklichen Beschränkung alter Zeiten mußte eine vielseitige Mannigfaltigkeit treten. Aber wie steht es um die zusammenhaltende Einheit?

Sie ist in der That bei den Deutschen

geringer als bei den anderen europäischen Völkern, welche erstlich Wistensschätze zu sam­ meln und den Kulturprozeß früherer Zeiten nachzuleben viel weniger bemüht sind als wir, sodann aber allem, was sie aufnehmen, schneller das Gepräge ihres nationalen Geiste- zu geben wissen.

8.

Wiese.

Alterthum und Neuzeit — Synthesis und Analysis.

Ebenso wie der einzelne Mensch mit seiner Geburt in eine gewordene, fertige Welt eintritt und anschauend ihre Erscheinungen in seine Seele aufnimmt, wie er lange unter dem Eindruck deö Ganzen steht, ehe er daran denkt, sich diesen Zusammenhang zu zerlegen, im Einzelnen zu erforschen und darüber zu reflektiren, so ist es auch mit den Völkern in

ihrer Aufeinanderfolge. In den Anfängen der Geschichte begegnen uns überall Zeichen der hingebenden Bewunderung, mit der die Erscheinungen der Natur in ihrem Ineinander­ wirken von den Menschen ausgenommen werden; erst sehr allmählich entwickelt sich der Trieb zu wissen, wie daS geworden und wie es in seinen Theilen beschaffen ist. Von der­

selben Hingebung an das Ganze zeugt auch alles daS, was die nachschaffenden menschlichen Kräfte in den ersten Zeiten hervorbrachten. Im Beginn aller geschichtlichen Entwickelung sind schöpferische Gedanken wirksam. Die Poesie war wie alle Kunst früher da als ihre Theorie und als eine Aufstellung metrischer Gesetze; diese wurden erst viel später auf analytischem Wege gefunden, während in den Gedichten selbst die unreflektirte volle Empfindung des Ganzen spricht und die Seele auf den Flügeln der Phantasie frei über der unzertrennten lebendigen Einheit und Fülle des Daseins schwebt. Das ganze Alterthum, besonders das hellenische, trägt überwiegend den Charakter der Synthese. Das läßt sich nachweisen an seiner Sprache, seiner Kunst, seiner gesummten Bildung und Lebensauffassung. Wie die eigentlich hellenische Kunst die Plastik ist, so hat bei den Griechen alles auch im Gebiet des geistigen und sittlichen Lebens den Trieb nach plastischer Ausgestaltung, nach Darstellung in schmuckloser Einfachheit und anschaulicher Einheit. Was wir aus ihrer Sprache Idee nennen, und was bei uns so oft ein sehr un­

klares Gedankending ist, heißt ihnen nichts anderes als Bild und Gestalt.

Kritische Unter­

suchungen lagen ihnen fern; wie hätten sie an einem persönlichen Homer zweifeln können? und wie sie sich mit der Etymologie, der Erforschung des Entstehens und der ursprüng­ lichen Zusammensetzung der Wörter, wenig oder nicht beschäftigten, so auch nicht mit der Anatomie, namentlich des menschlichen Körpers, und vollends nicht mit Experimenten an den Kräften der Natur, was alles zu den wirksamsten Mitteln der wissenschaftlichen Thä­ tigkeit unserer Zeit gehört. Aus diesem Gegensatz wird es verständlich sein, daß an

plastischen Kunstwerken, die auf uns gekommen sind, z. B. Pferden, zwar die anatomische

Betrachtung Fehler entdeckt, das Ganze aber einen naturgemäßen, lebensvollen Eindruck macht, während neuere Künstler, die auf Grund anatomischer Studien alle diese Fehler vermieden hatten, von ihrer daneben gestellten Kopie gestehen mußten: ja, meines ist in

Philosophie.

745

allem richtiger, jene- ist wahrer; jenes lebt, meines ist todt; eS hatte bei aller Genauigkeit im Einzelnen an der schöpferischen Kraft gefehlt, ein beseeltes Ganzes darzustellen, die sich

nur am Ganzen bildet. Das gesammte Leben des griechischen Volks hatte die innere Übereinstimmung, daß eS

nach allen Richtungen und wie in naturnothwendiger Entwickelung von der nationalen

Der stillen, einfachen Größe, die wir an entsprach das Ebenmaß und der Rhythmus in ihren anderen

Religion, Kunst und Sitte durchdrungen war.

ihrer Kunst bewundern,

Geisteserzeugnissen. Sittliche Güte und Schönheit waren in ihrer Vorstellung untrennbar eins, und die Übereinstimmung von Erkenntnis und Handeln bei jedem freien Manne

etwas Selbstverständliches.

Ich meine, gegenüber der Vielgestaltigkeit und Verworrenheit

der neueren Zeit muß es jeder als eine Wohlthat erkennen, daß unsere Jugend in den Gymnasien einige Jahre im Anschauen und jedenfalls unter dem Eindruck jener so viel einfacheren und zu ruhiger Objektivität und harmonischer Einheit abgeschlossenen Verhält­ nisse und ethischen Wahrheiten lebt. Nur Unkenntnis kann den Werth leugnen, den das Alterthum dadurch als eine pädagogische Vorstufe für die unendlich tiefere, aber darum

auch um so viel schwieriger zu erreichende Einheit der christlichen Geistesbildung hat.

Natürlich hat auch daS Alterthum seine zersetzenden Tendenzen gehabt, und es ist an ihnen zu Grunde gegangen; aber lange Zeit war die angegebene Richtung die vorherr­ schende; und der Philosoph, der die eigentlich klassische Zeit des Hellenismus abschließt, ein bewunderungswürdiger Geist auch schon in der analytischen Einzelforschung, Aristoteles,

spricht in echt hellenischer Anschauung z. B. den Satz aus:

„Der Staat ist eher als der

Einzelne"; d. h. die Idee des Ganzen ist vorhanden, ehe sie sich als geschichtliches Werden im Einzelnen realisirt, wie der wahre Künstler erst dann an die Ausführung geht, wenn

die Idee des Werkes voll und ganz in seiner Seele lebt. Das Christenthum emanzipirte die Persönlichkeit des Einzelnen von der Übermacht

deS Staates, die im Alterthum Unterwerfung und Hingebung an das Ganze und Allgemeine bis zur Selbstlosigkeit forderte und erlangte; aber andererseits, was in der Welt hat mehr den Einheitsgedanken der Menschheit, die wahre Humanität, gelehrt und in das sittliche Bewußtsein und Thun der Menschen gebracht als der christliche Glaube? Im Mittelalter, so weit es auch hinsichtlich der Form hinter der plastischen Beschlossenheit und Einfachheit der alten Welt zurückblieb, gestaltete sich unter dem Einfluß der Kirche wiederum eine groß­ artige Einheit und Übereinstimmung des ganzen Lebens und Strebens in Kunst und Wissenschaft, in öffentlichen und Privatverhältnissen: in allem wurde der Zusammenhang mit der übersinnlichen Welt festgehalten und zum Ausdruck gebracht; auch der nationale Gedanke stand mit dem religiösen noch in inniger Verbindung. Lange über das Reformationszeitalter hinaus dauerte auf vielen Gebieten der ein­ heitliche Charakter deS deutschen Lebens fort, bis allmählich die Wirkungen eines falschen Protestantismus hervortraten, der sich 'von den zusammenhaltenden objektiven Mächten abwandte und in allem die Selbstgerechtigkeit deS einzelnen Subjekts begünstigte. Zugleich erhielt der analysirende Forschungstrieb an dem durch zahlreiche Entdeckungen wachsenden

Wissensmaterial immer neue Nahrung. Der Natur stand man nicht mehr mit den Voraus­ setzungen überlieferter allgemeiner Begriffe beobachtend gegenüber, sondern man drang mit Hülse des Experiments in sie ein und nöthigte diese Sphinx, auf ihre Räthsel eins nach

dem andern selbst die Antwort zu geben.

Verhängnisvoll waren die Folgen des dreißig­

jährigen Krieges, seit welcher Zeit die Grundlagen unserer Bildung, nämlich das national Deutsche, das Christliche und die aus dem Alterthum aufgenommenen Kulturelemente, ihre vorherige Verbindung allmählich lösten und in ein unklares, zum Theil feindliches Ver-

Wissenschaftliche Prosa.

746 hältnis zu einander traten.

Die zweite Hälfte deS vorigen Jahrhunderts brachte sodann

unter dem Einfluß der Philosophie mit dem Vorherrschen der Verstandesbildung eine Schärfung deS kritischen Bewußtseins und Vermögens, deffen unerbittlicher Konsequenz sich

kein geistiger Besitz des Menschen entzog; zugleich führte die Erweiterung aller WissenSprovinzen mit Nothwendigkeit immer mehr zu dsr Theilung der Arbeit, welche ihr Anbau

und ihre Beherrschung erfordert. Das sind die Elemente, an welchen im Gebiet des geistigen Kulturlebens die Sig­

natur unserer Zeit erkennbar ist. Zu der Ausdehnung des Wiffensstoffs, die an sich schon die Synthese erschwert, tritt als weiteres Hindernis die einseitige Verstandesbildung hinzu. Die Wirkungen davon werden überall fühlbar und treten bei einer Vergleichung des Sonst

Wiese.

und Jetzt noch schärfer hervor.

9.

Über die zunehmende Verminderung der Allgemeingüttigkeit

Micher Begriffe. Es ist eine merkwürdige Wahrnehmung, daß die Allgemeingültigkeit sittlicher Begriffe, die Summe von Wahrheiten, die allen zugehören, worin alle einig sind, sich immer mehr vermindert. Kommen wir uns nicht bisweilen wie in einer Sprachverwirrung lebend vor, in der einer den andern nicht mehr versteht, weil sie über die Vordersätze, welche die all­

gemeinen und nothwendigen Voraussetzungen alles Verständnisses über daS Einzelne bilden,

uneinig sind, oder solche überhaupt nicht haben? Daher so viel ungerechtes Aburtheilen von willkürlichen Jsolirpunkten aus, daher so viel Zwietracht und Parteiung auf den Ge­ bieten des Staatslebens und der Kirche bei der menschlichen Geneigtheit, das, waS trennt, das Einzelne, schärfer zu betonen, als was uns verbindet und gemeinsam ist. Wovon ist im politischen Leben jetzt mehr die Rede als von Rechten? DaS ist gleich so ein Begriff, bei dem viel Mißverständnis und unberechtigter Anspruch vermieden werden würde, wenn man ihn in seinem organischen Zusammenhänge faffen und nicht ifoliren, nicht gleichsam seiner Heimat entfremden wollte. Recht gehört zusammen mit Pflicht; es ist ein sich gegenseitig ergänzendes Begriffspaar. Wie verhalten sich beide zu einander,

welches ist die Voraussetzuug des andern, welches daS frühere?

Ich weiß nicht, ob wir

alle dieselbe Antwort auf diese Frage haben. Meines Dafürhaltens ist die Pflicht daS Ursprüngliche und ihre Anerkennung die Vorbedingung deS Rechts. DaS Grundgefühl von dem, was an sich recht ist, das Gewissen, spricht mir wohl von Pflichten, die ich habe, nicht von Rechten. Und man sehe auf die Entwickelung des Menschen; eine ver­ nünftige Erziehung beginnt nicht mit der Überweisung von Rechten, sondern mit der Ge­

wöhnung an die Pflicht deS Gehorsams.

Die umgekehrte Anschauung, welche daS Recht

vor die Pflicht stellt, ist weder aus dem Geiste des Christenthums, daS auch die Rechte des Menschen alsbald in Pflichten verwandelt, noch ist sie ursprünglich deutsch, sondern importirt. Das starke Betonen und Voranstellen der isolirten Rechts führt überall noth­ wendig zu dem Egoismus, der, auch auf dem sittlichen Gebiet, das Recht leicht zur Will­

kür macht und die Menschen trennt, während die entgegengesetzte Auffassung sie vereinigt.

Aber noch ein weiterer Zusammenhang ist festzuhalten: wie der Menschengeist seine Wahr­

heit überall nur an Gottes Geiste hat, so kann sich auch daS sittliche Leben, soll eS Be­ stand haben, nicht von den Ordnungen Gottes ifoliren; darum haben alle Menschen-Pflichten und -Rechte ihre Weisung und ihr Maß nicht in sich selbst, sondern in dem ewigen Ge­ setze Gottes.

Philosophie.

747

Wie bei dem Recht die Auflösung deS ursprünglichen und nothwendigen Zusammen­ hanges Irrthum und Unheil mit sich führt, ebenso ist eS mit einer ganzen Reihe anderer sittlicher Begriffe, die gleichsam zu unserm täglichen Brot gehören. Sie verlieren ihre nährende Kraft, wenn sich, wie häufig infolge der Jsolirung, ihr positiver Gehalt in eine negative Auffassung verkehrt. Pflicht und Recht setzen beide die Freiheit voraus. Diese nun, was wird auS ihr, wenn man sie auf sich selbst stellt? Die Karikatur, daß ich, von keinerlei Autorität abhängig, thun kann, waS mir beliebt, und meine Willkür für daS Maß deS Rechten und Erlaubten halte, während im Wesen der Freiheit das Wollen un­ trennbar ist von einem Sollen, das wiederum nach einem ewigen und heiligen Gesetze sich

bestimmt. Die wahre Freiheit ist nichts als das ungehinderte Vermögen, das Rechte und Gute zu thun; sie ist nicht ein Zustand, sondern eine Kraft und eine Tugend, die geübt sein will, um zu wachsen und sicherer Besitz zu werden. Daß zwischen Wissen und Gewissen die schon an der Wortform erkennbare Verbin­

dung auch in der Sache besteht, also Klarheit der Erkenntnis von der Reinheit der Ge­ sinnung abhängig ist und wahre Intelligenz von Hause aus immer auch einen sittlichen Zusammenhang hat, kann nur von denen bestritten werden, welche eine innere Einheit der

Menschennatur nicht anerkennen. Aus dem kirchlichen Gebiet will ich nur an die herkömmliche Auffassung des Pro­ testantismus erinnern.

Wer diesen Begriff in dem Zusammenhänge seiner Geschichte und

seines Wesens kennt, weiß, wie falsch eS ist, ihn zu einer Negation und Opposition zu stempeln. Sein Grundwesen ist die positive Berufung auf die Wahrheit. Erst daraus erwuchs bei Luther die Kraft und der Muth, daS Entgegengesetzte zu bestreiten. Das Ja ist vor dem Nein, wie das Gute vor dem Bösen, und ist die Voraussetzung desselben. Die landläufige irrige Vorstellung vou dem, was Protestantismus sei, ist einS der größten Hindernisse der Einigkeit des Geistes in der evangelischen Kirchengemeinschaft. Der er­ wähnte Irrthum hängt aber bei den Meisten zusammen mit der Unklarheit religiöser Grund­ begriffe überhaupt.

Wie kann eS auch anders sein, wenn die ganze Einsicht vom Wesen

und Inhalt der christlichen Religion, dem mächtigsten Faktor, den die Weltgeschichte und

das Leben der Völker kennt, nur etwa in verworrenen Reminiscenzen aus der Schulzeit und gelegentlich aufgenommenen vereinzelten Notizen besteht, eine zusammenhängende und begründete Erkenntnis aber darin niemals erstrebt oder erlangt worden ist? Gegenüber dieser heutzutage so verbreiteten Halbheit der Geistesbildung hat die ungleich größere Har­ monie, die wir nach der religiösen Seite bei fast allen bedeutenden Männern deS Alter­ thums wahrnehmen, etwas Beschämendes.

10. a.

Schwärmerei.

Wiese.

Synonyma.

Fanatismus.

Enthusiasmus.

Begeisterung.

Ich nenne Schwärmerei eine Erhitzung der Seele von Gegenständen, die entweder gar nicht in der Natur sind oder wenigstens das nicht sind, wofür die berauschte Seele sie ansieht. So schwärmt z. B. Horaz, wenn ihn Bacchus, von dessen Gottheit er voll ist, in unbekannte Haine und Felsenhöhlen fortreißt. Dem Worte Schwärmerei, in dieser

Bedeutung genommen, entspricht das Wort Fanatismus ziemlich genau, wiewohl dies

letztere durch den Gebrauch und die Ableitung (von fanum) einer besonderen Gattung von Schwärmerei, nämlich der religiösen, zugeeignet worden ist. Der Fanatiker geht in der Schwärmerei bis zur Wuth der Zerfleischung seiner selbst und anderer im physischen und

Wissenschaftliche Prosa.

748

moralischen Sinne und bewaffnet darum gern den weltlichen Arm gegen Andersdenkende. Aber es giebt auch eine Erhitzung der Seele, die nicht Schwärmerei ist, sondern Wirkung

des unmittelbaren Anschauens des Schönen und Guten, Vollkommenen und Göttlichen in der Natur und unserm Innersten, ihrem Spiegel, eine Erhitzung, die der menschlichen Seele, sobald sie mit gesunden, unerschlafften, unverstopften äußern und innern Sinnen sieht, hört und fühlt, was wahrhaft schön und gut ist, ebenso natürlich ist als dem Eisen,

im Feuer glühend zu werden. Namen als Enthusiasmus.

Diesem Zustande der Seele weiß ich keinen angemesseneren

Das Wort bezeichnet nämlich nach seiner Etymologie den

erhöhten Zustand der Seele, worin sie ganz außergewöhnliche Kräfte zeigt und Wirkungen

äußert, und den sich die Alten nicht anders erklären konnten als aus dem Jnwohnen eines

Gottes in der Seele, dem Einwirken eines Gottes auf dieselbe. Propheten schrieb man daher Enthusiasmus zu. illo, sagt Ovid.

Besonders Dichtern und

Est deus in nobis, agitante calescimus

Das, wovon die enthusiastisch erregte Seele glüht, ist göttlich, ist, nach

Menschenweise zu reden, Strahl, Ausfluß, Berührung von (Sott; und diese feurige Liebe zum Wahren, Schönen und Guten ist ganz eigentlich Einwirkung der Gottheit oder, wie Plato sagt, Gott in uns. Hebet eure Augen auf und sehet! Was sind Menschenseelen, die diesen Enthusiasmus nie erfahren haben? Und was sind die, deren gewöhnlichster,

natürlichster Zustand er ist? Wie frostig, düster, unthätig, wüst und leer jene!

wie heiter

und warm, wie voller Leben, Kraft und Muth, wie gefühlvoll und anziehend, fruchtbar und wirksam für alles, was edel und gut ist, diese! Schwärmerei ist Krankheit der Seele,

eigentliches Seelensieber; Enthusiasmus ist ihr wahres Leben.

wesentlicher Beschaffenheit, Ursache und Wirkung!

Welch ein Unterschied in

Ich vergesse hier gar nicht, daß die

Grenzen des Enthusiasmus und der Schwärmerei in jedem Menschen schwimmen, daß der

Enthusiast oft schwärmt, daß weder wir, noch er selbst allemal mit Gewißheit sagen können, was von allem, was in ihm vorgeht, der einen oder der andern Ursache zuzuschreiben ist.

Beiläufig merk' ich noch an, daß Enthusiasmus wenigstens niemals, wo man sich ganz

bestimmt auszudrücken hat, durch Begeisterung übersetzt werden sollte.

Dies letzte Wort

hat eine weitere Bedeutung, denn der Geister sind mancherlei. Der Schwärmer ist be­ geistert wie der Enthusiast, nur daß diesen ein Gott begeistert und jenen ein Fetisch. Man

kann wohl Begeisterung zum Mittelpunkt machen.

Dem Begeisterten zur einen Seite steht

der Enthusiast, zur andern der Schwärmer. Jener erglüht für eine Idee, dieser für eine Chimäre. Jeder will sie anerkannt, realisirt wissen und ist eifrig darin. Der Enthusiast

wählt nur gute Mittel; dem Schwärmer wird das Mittel durch den Zweck geheiligt.

Enthusiast ist allezeit mit der Vernunft in Einklang, der Schwärmer nicht.

Der

Enthusiasmus

ist ein Affekt, Schwärmerei eine Leidenschaft, und daher das Schwärmen d. i. das Umher­ schweifen mit lautem Getös und zwar in Masse; der Schwärmer will auch Schwarm machen. Endlich sollt' ich kaum hinzusetzen dürfen, daß es, was man auch über den wesent­ lichen Unterschied zwischen Enthusiasmus und Schwärmerei und den verschiedenen Gebrauch dieser Wörter festsetzen will, immer hohe Zeit wäre, die Namen Enthusiast und Schwärmer nicht länger als Schimpfwörter zu gebrauchen. Ein Schwärmer sein ist nicht schimpflicher,

als ein hitziges Fieber haben; ein Enthusiast sein ist das Liebenswürdigste, Edelste und

Beste sein, was ein Sterblicher sein kann.

Aber freilich wer wird die frostigen, lichtlosen,

öden und leeren Seelen jemals dahin bringen, dies zu fühlen? b.

Beherzt.

Muthig.

Kühn.

Tapfer.

Wieland.

Herzhaft.

Aus der Verachtung der Gefahr und des Widerstandes überhaupt, indem man sie, es sei aus welchen Gründen,

für gering hält, entsteht die Kühnheit.

Die Kühnheit kann

Philosophie.

749

daher auch oft auS der Unbekanntschaft mit der Gefahr entstehen.

Ein neuer Soldat

wagt oftmals kühnere Unternehmungen, weil er die damit verknüpften Gefahren nicht kennt. Vertrauen auf seine Kräfte, indem man gewiß hofft, den Widerstand überwinden und der Gefahr entgehen zu können, giebt Muth. Ein geschlagenes Heer ist muthlos, es hat kein

Vertrauen auf seine Stärke; es erhält einen Theil seines Muthes wieder, wenn es Ver­ stärkung erhält; der Überwinder hat Muth bekommen zu neuen Unternehmungen, denn der erfochtene Sieg hat ihm daS Gefühl seiner Kräfte gegeben und ihn mit neuern Ver­ trauen auf dieselben belebt. Das Ertragen der Übel, die die Menschen am meisten zu

scheuen pflegen, ist Tapferkeit. Es gehört eine große Tapferkeit dazu, mitten in einem Kanonenfeuer sich zu halten, ohne weder zu rasch vorwärts zu gehen, noch zurückzuweichen.

Der Kühne wagt, der Muthige greift an, der Tapfere weicht nicht. Zu gefährlichen Unter­ nehmungen, wenn sie glücklich sollen ausgeführt werden, gehört geschwinde Entschließung ohne langes Bedenken der Gefahr und deS bevorstehenden Übels, verbunden mit kräftigen Handlungen, die durch keine Furcht gelähmt werden; diese Eigenschaft ist die Herzhaftigkeit. Herzhaft ist derjenige, der nicht gewohnt ist, sich zu fürchten; beherzt auch der, den in diesem Augenblicke die Furcht verläßt, ob er gleich gewöhnlich nicht herzhaft ist. Selbst ein furchtsames Weib kann eine heftige Leidenschaft auf eine kurze Zeit beherzt machen, ob sie gleich von Natur nicht herzhaft ist.

In einem Sturme zur See kann die Verzweif­

lung einen Menschen, der von Natur nicht herzhaft ist, beherzt machen.

Beherzt würde

also blos das furchtlose Handeln anzeigen, herzhaft die gewohnte Gemüthseigenschaft der Furchtlosigkeit. Hierin liegt wohl auch der Grund, warum der Herzhafte die Furcht, der

Beherzte den Schrecken überwindet. Der Herzhafteste kann nämlich auch einen augenblick­ lichen Schrecken empfinden; wenn er sich aber ermannet, so geht er wieder beherzt dem Tode entgegen.

Charlotte Corday, so herzhaft sie war, erblaßte bei dem Anblicke von den

Zurüstungen zu ihrem nahen Tode auf dem Richtplatze, als man ihr den Hals entblößte; der Gedanke aber, daß der geringste Beweis von Furcht ihr schimpflich sein würde, machte sie so beherzt, daß sie zu den Umstehenden sagte: „Wenn ich erblasse, so ist eS nicht vor Furcht, sondern vor Scham."

c.

Ehrgeiz.

Ehrliebe.

Ehrbegierde.

Ehrsucht.

Die Ehrliebe ist der gemäßigtste Grad des Verlangens nach Ehre. Sie schätzt die Ehre als ein kostbares Gut und sucht es durch eine untadelhafte Aufführung unverletzt mit) unvermindert zu erhalten.

Die Ehrbegierde bestrebt sich, durch immer neue und größere

Verdienste seinen Werth in den Augen der Menschen zu vergrößern. Der Ehrgeiz sucht sich immer mehrerer und größerer Zeichen der Ehre mit Ausschließung anderer zu versichern

und in seiner Person zusammenzuhäufen.

So wie der Geldgeiz unersättlich ist in der

Anhäufung von Sckätzen, die bloße Zeichen von dem Werthe der Dinge sind, deren Genuß er sich selbst versagt: so jagt der Ehrgeiz blos nach äußern Ehrenzeichen. Ehrsucht zeigt

ein Verlangen nach Ehre an, welches wie das Gelüste eines Kranken nicht allein im höchsten Grade quälend, sondern auch so heftig ist, daß es selbst nicht durch die Vorstellung

von der Gefährlichkeit und Strafbarkeit der Mittel seiner Befriedigung bezwungen werden kann. Die Ehrliebe hält sich in den Schranken der Rechtschasienheit, der Sittsamkeit und Anständigkeit, um nicht die Achtung der Menschen zu verlieren; die Ehrbegierde spornt den

Menschen zu der Anstrengung seiner Kräfte an, um sich durch immer neue Verdienste hervorzuthnn; der Ehrgeiz drängt sich vor andern hervor, um sich in die höchsten Stellen zu schwingen und sich aller möglichen Ehrenzeichen zu bemächtigen; die Ehrsucht treibt zu den

Wissenschaftliche Prosa.

750

äußersten Aufopferungen, zu den gefahrvollsten Unternehmungen, ja zu den größten Ver­ brechen, wenn sie ihre Befriedigung durch keine anderen Mittel finden kann.

d.

Geist.

Seele.

Gemüth.

Herz.

Seele bezeichnet das empfindende und bewegende Prinzip in dem Menschen.

Geist

war ursprünglich so viel als Hauch; eS ist also das Unsichtbare, Feinste, Subtilste, das in der sichtbaren, fühlbaren, groben Materie thätig ist. Und aus dieser ursprünglichen Be­ deutung sind in der Folge, so wie die Bedeutung des Wortes Geist immer unsinnlicher

geworden, die Nebenbegriffe entstanden, wodurch es sich von Seele unterscheidet.

In der

gegenwärtigen Sprache ist die lebendige Seele dem todten Körper und der feine, unsicht­

bare Geist der groben Materie entgegengesetzt. Die Seele als lebendiges und belebendes Prinzip empfindet und bewegt. Seele bezeichnet also zuvörderst den Sitz und das aus­ nehmende Subjekt der Empfindungen, nicht aber Geist. „Die Hälfte unserer Reizungen geht an ihnen verloren, weil sie keine Seele haben, um die Schönheiten einer Seele zu

empfinden." Wieland. Seele bezeichnet hiernächst das innere Prinzip der Bewegung des Körpers. Diese Bewegungen sind, wenn sie sich am stärksten und merklichsten äußern, Wirkungen des innern Gefühls und der daraus entstehenden Leidenschaften. Der Geist

ist zunächst das feine Wesen, welches die gröbere Materie in Thätigkeit setzt. Der Wein hat vielen Geist, wenn er viele dieser feinen Theile hat, die ihm seine Kraft geben. Von

dieser Bedeutung hat man sogleich einen uneigentlichen Gebrauch gemacht, indem man den wesentlichen Inhalt einer Rede, ihre Absicht und die Kraft, womit sie wirkt, ihren Geist

nennt.

„Vorausgesetzt, daß die VerSart dem Geist und Ton des Ganzen angemeffen

sei." Wieland. Ebenso wird die Absicht, der Grund des Gesetzes, dasjenige, wodurch es seine wohlthätige und vernünftig verbindende Kraft erhält, sein Geist genannt. Der Geist deS Gesetzes ist also sein unsichtbarer Grund, seine wohlthätige Absicht, die nur durch vernünftiges Nachdenken erkannt wird; er ist dem Buchstaben oder dem in der Vor­ schrift bekannt gemachten Willen deS Gesetzgebers entgegengesetzt. „Der Buchstabe tödtet, der Geist aber macht lebendig." 2. Kor. 3, 6. Dieser Begriff des Feinsten, Unsichtbarsten

und Subtilsten hat dann auch die Bedeutung des Wortes Geist in dem innern, thätigen Prinzip des Menschen bestimmt und sie auf den Verstand eingeschränkt; denn die Be­ griffe des Verstandes sind desto feiner und unsinnlicher, je abgezogener und höher sie sind. Wenn man unter der Seele den Sitz des Empfindens und des stärker» Begehrens ver­ standen, so hat man sich unter dem Geiste das Werkzeug deS Denkens, deS Forschens und Überlegens vorgestellt. Cromwell war kein großer Geist, aber er hatte eine starke Seele. Es ist zweifelhaft, ob der Kanzler Franz Bacon ein großer Geist kann genannt werden; aber gewiß hatte er eine schwache Seele; Friedrich der Große war ein großer Geist und hatte eine starke Seele. Gemüth bezeichnet daS innere Prinzip des Menschen von der Seite seiner gesammten Begehrnngsvermögen, der vernünftigen und sinnlichen,

und dadurch unterscheidet eS sich sowohl von Geist als von Seele.

„Nieder am Staube

zerstreuen sich unsere gaukelnden Wünsche, eins wird unser Gemüth droben, ihr Sterne, bei euch." Schill. Musenalm. 1796. Dieser Begriff deS gesammten Begehrungsvermögens

nach seinen verschiedenen Mischungen liegt auch in den Zusammensetzungen Gemüthsart, Gemüthscharakter zum Grunde. DaS Herz bezeichnet die geselligen Neigungen, womit wir an dem Wohl und Weh anderer theilnehmen.

Es unterscheidet sich also zuvörderst von

dem Geist dadurch, daß eS zum Begehrnngsvermögen gehört.

Der Anblick der Natur

giebt unserm Geiste Nahrung zu Betrachtungen, so wie unserm Herzen zu theilnehmendem Vergnügen. Von Seele unterscheidet eS sich dadurch, daß es nicht das ganze sinnliche

Philosophie.

751

Begehrungsvermögen, sondern nur die geselligen Neigungen, die sich durch Liebe äußern,

in sich begreift.

„Hab' ich treu im Busen dich getragen, dich geliebt, wie je ein Herz ge­

liebt." Horen.

e.

Müssen.

Sollen.

Diese Wörter werden zuvörderst von der Bestimmung physischer Kräfte gebraucht.

Wenn ein frei handelndes Wesen die Wirklichkeit von etwas will, so sagt es: Es soll sein; wenn die Gewalt wirkender Ursachen oder das Übergewicht zureichender Gründe etwas

nothwendig macht, so muß es geschehen.

Der Müller will, daß seine Mühle gehen soll,

weil er etwas zu mahlen hat. Wenn man ihm sagte: Die Mühle wird sich an dein Wollen nicht kehren, so wird er antworten: Wenn ich das Schützbrett aufziehe, so muß sie wohl gehen; und er hat Recht, denn er macht alsdann die wirkende Ursache von der Bewegung des Mühlrades wirklich. Diese ist der Anstoß des strömenden Wassers an die Schaufeln deffelben.

Beide Ausdrücke werden aber auch von vernünftigen und moralischen

Ich soll das thun, was ich nicht lassen darf; ich muß das thun, was ich nicht lassen kann. Insonderheit müssen wir das thun, was wir sollen, wenn wir es Wesen gebraucht.

ungern thun und also dazu gezwungen werden, der Zwang mag ein physischer oder mo­ ralischer sein. Man sagt: Du wirst wohl müssen, ich will dir den Willen machen. Das, was den Willen bestimmt, ist die Vernunft und die Empfindung.

Wenn beide mit ein­

ander harmoniren oder die Bewegungsgründe der Vernunft stärker auf den Willen wirken als unsere Triebe, Neigungen und Leidenschaften, so thun wir, was wir sollen; wenn aber die letztern das Übergewicht haben und den erstern entgegengesetzt sind, so thun wir nicht,

was wir sollen, wir fühlen oft mit Bedauern, daß wir der Gewalt der Leidenschaften haben nachgeben müssen. Wenn das Sittengesetz uns nur bekannt macht, was wir thun sollen, und nicht durch die vernünftigen Bewegungsgründe, daß das, was es vorschreibt, das Beste ist, auf den Willen wirkt, wenn die Vernunft nicht mit so überwiegender Kraft wirkt, daß der Wille seine Vorschriften befolgen muß, so ist es unkräftig. Aus Eberhards synonym. Handwörterbuch.

11.

Über Fußreisen.

Viele griechische Weise konnten mit Goethe sagen: „Was ich nicht erlernt habe, das habe ich erwandert," und die griechischen Gymnasien bildeten wie die Kraft, Gewandtheit und Ausdauer des Körpers überhaupt, so auch die Marschfertigkeit in hohem Grade aus. Die gewöhnliche Weite eines Tagemarsches betrug bei den griechischen Heeren drei bis

vier deutsche Meilen; doch kommt in besondern Fällen eine Steigerung bis zu sechs, ja bis zu zehn Meilen vor. Nach der Schlacht bei Salamis lief der Platäer Euchidas, um von Apollons Altar reines Feuer zu holen, den Weg vou Platää nach Delphi und zurück, also tausend Stadien oder fünfundzwanzig Meilen, an einem Tage; er wurde freilich ein Opfer dieser patriotischen Anstrengung. Bei so großen Anstrengungen, wie sie die grie­

chische Gymnastik dem Körper zumuthete, erschien dagegen das Spazierengehen als ein erschlaffendes Sichgehenlassen, und Man erzählt: Als die Ephoren zu Lacedämon erfuhren,

daß ihre Truppen, die in Decelea als Besatzung lagen, Abendspaziergänge zu machen pflegten, entboten sie ihnen: Gehet nicht spazieren! Denn ihre Ansicht war, es sei dies ein Vergnügen, nicht aber eine körperliche Anstrengung, und die Lacedämonier sollten nicht durch Spaziergänge, sondern durch Leibesübungen für ihre Gesundheit sorgen."

Eine Fußreise unterscheidet sich von einem Spaziergange hauptsächlich durch die Ver­

schiedenheit des erstrebten Ziels und demnächst durch ihre längere Dauer, woraus die

Wissenschaftliche Prosa.

752

übrigen Unterschiede von selbst folgen.

Der Spaziergänger sucht in bekannter, gewohnter

Umgebung, die zugleich den Geist angenehm berührt, ohne ihn aufzuregen, in wenig an­ strengender Bewegung lediglich Erholung von geistiger Anstrengung oder auch von ein­

seitiger körperlicher Thätigkeit.

Der Reisende hingegen verfolgt ein bestimmtes Ziel,

welches jenseits der gewohnten Umgebung liegt und zugleich im Stande ist, die größere Anstrengung und die längere oder kürzere Verzichtleistung auf die gewohnte Lebensordnung

zu belohnen, ohne welche es nicht erreicht werden kann.

Ein Gang nach einer mehrere

Stunden entfernten Höhe, einem Strom, einer Burg oder einem anziehenden Punkte anderer Art, wenn Hin- und Herweg einen vollen Tag in Anspruch nehmen, kann schon als eine

kleine Fußreise betrachtet werden.

Noch bester, wenn die Entfernung so groß ist, daß an

einem oder mehreren fremden Orten übernachtet werden muß. Es wäre zu beklagen, wenn Dampfschiffe und Dampfwagen diesen namentlich für

Knaben und Jünglinge, besonders wenn sich dieselben zu einer kleinen Reisegesellschaft zu-

sammenschaaren, so genußreichen, so wohlthätigen Wanderungen Eintrag thun sollten. Welches Vergnügen gewährt schon die Zurüstung zur Wanderfahrt! Mit welcher Spannung wird der Reiseplan entworfen, eines jeden Tages Aufgabe und Ziel festgesetzt! Welche Lust, am Abend vor dem Aufbruch das Ränzel und den Beutel mit der leichten Last zu füllen, welche Wonne, am frischen Morgen in der muntern Schaar unter heiterem Lieder­

klang muthig nnd erwartungsvoll wie ein Abenteurer mit auszurücken einer friedlichen, niemand beeinträchtigenden, sicheren Eroberung entgegen! Da thut schon nach ein paar Stunden eine neue Welt sich auf, wo alles die Aufmerksamkeit wunderbar anregt, zumal da, was viele Augen entdeckt haben, doch einem jeden Einzelnen zu gute kommt. Wie

schließen sich alle Reisegenosten im Gefühle gleichen Genusses und gleicher Anstrengung bald innig und immer inniger an einander! Aus Reisebrüdern werden Herzensfreunde, welche lebenslang Zusammenhalten. Wie werden in dem jugendfrischen Kreise alle Unannehmlich­ keiten und Beschwerden mit Muth, ja mit fröhlichem Übermuth ertragen, wie bald begreift

ein jeder, daß doppelt leide, wer bei Regenwetter und schlechter Kost noch sauer sieht! Wie werden andrerseits die Freuden, welche die schöne Natur oder irgend ein heiteres Erlebnis bereitet, durch die Kameradschaft gewürzt, wie sprudeln alle, auch die sonst schüchternen, stilleren, in sich gekehrten Naturen von munterem Zuruf und Gespräch, von neckendem Scherz und jauchzender Lust! Freilich nicht die einförmigen Ebenen, wo man alles so lange voraussieht, wo keine Überraschung, keine Neuheit der Gegenstände das Gefühl der Ermüdung zerstreut und der Verdruß, nur langsam aus der Stelle zu kommen, leicht die Oberhand gewinnt, son­ dern nur unmuthige Landschaften, besonders die hohen Gebirgsgegenden, können den Genuß

des Wanderns in seiner ganzen Fülle verschaffen. Wer begrübe im Gebirge nicht alsbald mit dem Dichter den selbst schon zum „treuen Gefährten" gewordenen Trübsinn? Die Beschwerden sind zwar anfänglich für den Weichlichen und Ungeübten nicht gering; der steinige Boden verletzt seine Füße, das Hinanklimmen erschöpft seinen Athem, ihm schwin­

delt auf dem schmalen Pfade über unermeßlichen Abgründen.

Allein bald wird man für

das Vergnügen empfänglich, etwas blos mit eigenen Kräften errungen zu haben; man nimmt einen ganz anderen Maßstab der Entfernungen und Schwierigkeiten an als für die gewohnten Spaziergänge; man unterzieht sich gleichmüthig tagelang dem Ungemach einer Witterung, welcher man bei der zum Sitzen nöthigenden Lebensart der Städte auch nur auf eine Stunde sich auszusetzen vermeidet. Über alles geht das Gefühl der Rückkehr in

die unmittelbare Pflege der Natur.

oft gepriesen; überall

Wie die reine Bergluft stärke und belebe, hat man

ist ein erquickender Trunk bereitet in den unzähligen Quelladern,

Philosophie.

753

welche den Alpen entrieseln, wenn man anders die heilsamen Gewässer von den schädlichen, aus geschmolzenem Schnee zusammengelaufenen gehörig zu unterscheiden weiß; Kühlung weht um die Wasserfälle, aus den Schluchten und von den beschneiten Firnen herab; würzige Erdbeeren reifen am Wege, und in den Sennhütten findet man Überfluß an süßem Rahm.

Mit solchem Genuß erringt sich der Fußreisende aber zugleich auch einen unschätz­

baren Segen für Leib und Seele. Vor allen Dingen erweisen sich die Wanderungen für körperliche Kräftigung und Übung ersprießlich. Gerade darin liegt für unser sitzendes und lesendes und schreibendes Zeitalter der Hauptwerth dieser Reisen.

Sie helfen die

verloren gegangene Gleichmäßigkeit der menschlichen Bildung wiederherstellen, indem sie der einseitigen Sorge für die geistige'Entwickelung das Streben nach einer gesunden, kräf­ tigen Leibesbeschaffenheit als nicht minder berechtigt zuordnen und der Überfeinerung in

der wiedergewonnenen Männlichkeit das nothwendige Gegengewicht geben. Wenn die Turnkunst vorzugsweise die gleichmäßige Stärkung und Übung des Muskel­

systems erzielt, während beim Gehen die oberen Theile des Körpers und deren Muskulatur nicht in demselben Grade wie die Beine in Thätigkeit versetzt werden: so hat dagegen das

Wandern den Vorzug, daß es zugleich den Körperwuchs fördert, gegen die Einflüsse der Witterung und der Nahrung in höherem Grade abhärtet und zur Schärfung und Übung der Sinne die vielseitigste Gelegenheit darbietet. Nicht nur die Fernsicht wird ge­ schärft, zu deren Übung sich sonst nur wenig Gelegenheit findet, sondern auch die Aufmerk­

samkeit des Stadtbewohners auf die Erscheinungen der ländlichen Natur und des ländlichen Lebens hingezogen und ihm dadurch ein weites Gebiet zur Weide und Beschäftigung der

Sinne eröffnet. Das Auge lernt die Getreidearten, die Feld- und Waldbäume, überhaupt Thiere, Pflanzen und Gesteine aus der Nähe und Ferne unterscheiden, und dem Ohre erschallt bei ausdauernder Beobachtung keine Vogelstimme mehr, die nicht ihre richtige

Deutung erführe. Mit der Kräftigung und Übung des Körpers steht die Stärkung des Willens in dem unmittelbarsten Zusammenhänge.

Auch von dem Fußwanderer gelten die Worte des

Schillerschen Reiterliedes: „Da tritt kein anderer für ihn ein, auf sich selber steht er da ganz allein." Nichts dient so sehr zur Erregung eines kräftigen, gesunden Selbstgefühls als das Bewußtsein, durch tüchtige Anstrengung die Länge und die Beschwerden des Weges

üderwunden und ein lohnendes Ziel erreicht zu haben, das Bewußtsein, unabhängig von Lokomotiven und Kutschern, Eseltreibern und Packträgern, auf eigenen Füßen gehn und stehn zu können. Dem durch Fußreisen geübten rüstigen Knaben und Jünglinge werden Wind und Wetter allmählich zu eingebildeten Übeln, ja zu willkommenen Herausforderungen, mit der Kraft des Körpers und des Willens den Kampf gegen sie zu versuchen.

Ferner sind Fußreisen ein vortreffliches Mittel zur Bereicherung und namentlich zur Belebung des Wissens. Wie gewinnen da der Wirklichkeit gegenüber die Lehren der Natur­ wissenschaft, der Erdkunde und Geschichte erst rechtes Leben! Aus Phantasiebildern werden feste, kräftige Gestalten. Pflanzen-, Mineralien- und Jnsektensammlungen erhöhen den Reiz und den Nutzen der Reise; nicht nur erhalten die geographischen Grundbegriffe von Berg, Thal und Ebene, Gebirgszug, Bergrücken und Wasserscheide, Quelle, Bach und Fluß u. dgl. erst ihren vollen Inhalt, sondern auch die Verhältnisse, welche den Gegenstand

der politischen Geographie bilden, die verschiedene Dichtigkeit der Bevölkerung, der Unter­ schied der städtischen und ländlichen Beschäftigungen, die Verschiedenheit der Bodenbeschaffen­ heit und der Bodenkultur werden klar. Der Besuch gewerblicher und künstlerischer Werk­

häuser und Anlagen erweitert den Blick und die Einsicht in das Gebiet menschlicher Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur.

3. Aust.

48

Wissenschaftliche Prosa.

754

Betriebsamkeit; ganz besonders aber geben die Denkmale der Vorzeit zu geschichtlicher Be­ So bleiben die Worte deS alten Turnerliedes: »Und

lehrung einen trefflichen Anlaß.

uns allen wohlbekannt wird das deutsche Vaterland" nicht mehr bloße Worte; daß ihm das deutsche Vaterland bekannt und lieb wird, ist der schönste und werthvollste Gewinn deS

rüstigen Wanderers. Dies führt uns auf den letzten Punkt, auf den Einfluß, welchen Fußreisen auf die

Bildung deS Gemüthes üben. Vor allem kommt nur der Fußreisende der Natur und ihren Schönheiten recht nahe; nur er kann sich ihr völlig ungestört hingeben; aber auch den Menschen kommt er näher.

Er kann sie ruhig beobachten in ihrer Arbeit, in ihrer Noth

und in ihrem Genuß, und zu dem eingehenden Gespräche mit den Begegnenden, welches daS Gesehene erläutert und deutet, findet nur er Gelegenheit.

Und wie die glückliche,

heitere Reisegesellschaft für die bittende Armuth Herz und Hand offen haben wird, so bietet sich auch reichlicher Anlaß, die Gefühle der auf der Reise angeknüpften oder befestigten Freundschaft in wechselseitiger AuShülfe und in der Unterstützung schwächerer Kameraden zu bewähren. DaS freudig bewegte Gemüth aber findet seinen Ausdruck im Gesänge; ein frisches Lied läßt augenblickliche Beschwerden vergessen, und unwillkürlich folgen die ermüdeten Füße seinem munteren Takte. Gar manche deutsche Männer, welche den Ruf rüstiger Fußwanderer erworben haben,

mahnen durch ihr Beispiel zur Nachahmung: vor allen Goethe, der in seinen jungen Jahren vom Wandern ein so großer Freund war, daß er sich selbst den Namen Wanderer beilegte, und dessen schönste Lieder die auf den frischen Wanderfahrten empfangenen Natureindrücke wiederspiegeln; ferner Arndt, welcher in trüber Zeit einen großen Theil Europas mit dem Stabe in der Hand durchzog; Schleiermacher, welcher mit sokratischer Herrschaft über sich

selbst einen oft kränklichen Körper zu den Anstrengungen der Fußreise zu zwingen, an ihre Beschwerden zu gewöhnen und so seinem Geiste den erfrischenden Einfluß dieser naturgemäßesten Bewegung zu verschaffen wußte; endlich Seume, der rüstige „Spaziergänger nach SyrakuS," welcher die Vorzüge des Wanderns vor dem Fahren etwa mit folgenden Worten kurz bezeichnet hat: „Wer geht, sieht von der Welt und vom Menschenleben mehr, als wer fährt. Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft. Der Fahrende kann niemand mehr fest und rein ins Angesicht sehen, wie man soll. Der Gang ist das Ehrenvollste für den selbständigen Mann, und alles würde besser gehen, wenn man mehr ginge." Nach Baur.

b. Sprache und Literatur. 1.

Poesie und Prosa.

Die erste und natürlichste menschliche Mittheilung war Poesie, unabhängig von aller Literatur und UrtypuS derselben. Auf literarischem Wege bildete sich die Prosa, ein Kind künstlerischer Sitten, verständigen und praktischen Lebensforschungen sich anschließend. Von dem poetischen Zeitalter der Sprache selbst in ihrem frühesten Naturbau haben wir schon

früher gesprochen und die beginnende Epoche der Prosa in dem genetischen Leben der Wörter

angedeutet. Herder behauptete, die Sprache in ihrer ersten Schöpfung rein nach Natur­ lauten und Interjektionen ausgenommen, sei immer eine Art von Gesang gewesen; gewiß aber ist, daß auch die erste Aufzeichnung der Rede bei allen Völkern einen rhythmischen

Charakter an sich trug, der sich bald an eigenthümliche Bersgebilde fesselte.

Das Metrum

Sprache und Literatur.

755

war zugleich eine natürliche Form für das Gedächtnis, und alles,

Bedarf schriftlicher Mittheilung gehörte,

Gesetze,

was zu dem ersten

moralische Lebens- und Tagesregeln,

selbst Rezepte und die ersten wissenschaftlichen Kenntnisse fügten sich wie von selbst in poetische Gewandung. Denn alle Schreibart war an sich schon poetisch, weil es keine andern Formen der Aufzeichnung gab, geordnete Rede und Metrum aber dasselbe waren. Die Produktion jedoch überlieferte sich im eigentlichsten Sinne des Wortes durch den Ge­

sang von Mund zu Mund, und in diesem Naturzustand ihrer Verbreitung war ihr der Vers ebenfalls nothwendiges Gliederwerk, ohne das sie nicht gedacht werden kann. Diesen Charakter poetischer Naturstufe zeigt noch immer alle Versdarstellung zugleich darin auf, daß sie nur der allereinfachsten Satzbildung fähig ist.

Die kunstvollere Komposition des

Satzes gehört der Bildnerei der Prosa an.

Das Metrum ist gleichwohl aus dem Satz entstanden.

Der Rhythmus des einfachsten

Satzes, dem man den Wellenschlag seiner Hebungen und Senkungen ablauscht, krystallisirt sich durch den Takt, welcher ihn an bestimmte Bewegungen bindet, zum entschiedenen Vers­ bild.

Die Prosa, welche die höchste Entwickelung des Satzes ist, schwebt darum ebenfalls

in den Gesetzen des Rhythmus, aber ohne vom Metrum abhängig zu werden, indem sie vielmehr die metrischen Formen, in denen auch ihre Vielfachheit und Verschlungenheit sich

individualisirt, nach den wandelnden Bewegungen des Gedankens zu bestimmen und zu

wechseln vermag. Die Metra der Poesie haben ihre Geschichte und können daher ver­ alten und aussterben; das metrische Wesen der Prosa ist etwas Geistiges, das den innern Gesetzen der Darstellung folgt und auf den eigenthümlichen Grundcharakter der Sprachen sich mit Freiheit gründet. Die modernen Sprachen sind für die Prosa günstiger organisirt als für die metrische Poesie.

Daher die vorwaltende Neigung der neuern Literatur, die Poesie in die Prosa

übergehen zu lassen, oder vielmehr der völlige Mangel einer ausgebildeten Verschiedenheit zwischen poetischem und

prosaischem Sprachgebrauch, der sich in den alten Sprachen

sowohl grammatisch als literarisch so scharf und fest sonderte.

Eine Grundursache scheint

mir darin zu liegen, daß die modernen Sprachen vorwallend accentuirte sind, während die Sprachen des Alterthums die Quantität und damit den eigensten Grund und Boden besaßen, auf dem eine entschieden ausgeformte und gußfeste Metrik, die zugleich an diese

starke Form einen besondern Sprachgebrauch fesselte, entstehen konnte. Dagegen gewährt die Accentuation der neuern Sprachen, die in der deutschen vornehmlich auf der Wurzel ruht, der metrischen Form keine tiefgreifende Stätte, dem Gedanken aber den allerweitesten und willkürlichsten Spielraum, ja jedes Übergewicht über die leicht verwischbare Form.

Die Betonung der Silbe, deren Mesiung gleichgültig wird, steht sofort unter dem Einfluß des Gedankens, der Accent ist der lautwerdende Verstand des Wortes. Graf Schlabren-

dorf, dessen genialer Betrachtungssinn überall hinreichte, hat in seinen Bemerkungen über die Sprache die innerliche Bedeutsamkeit der accentuirten Sprachen sehr treffend mit folgen­ den Worten hervorgehoben: „Der Accent, die unendliche Abwechselung der Töne, spricht das Tiefste deS Gemüths an; das Silbengewicht wird dabei nicht überhört, aber zur Nebensache. Ist es somit nicht ein Vorzug der neuern Sprachen, daß in ihnen die Be­ tonung Hauptsache geworden ist? Die alten schmückten hauptsächlich die Vorhalle der

Gemüthswelt; die neuern dringen in das Allerheiligste. Hat nicht also auch die Sprache der Menschen jetzt höhere Bedeutung und höhern Charakter angenommen, indem sie sich aus der Sinnenwelt in das Gebiet des Geistigen erhob?

Ich möchte fast sagen, das altes

Christenthum wirkte auf das Innere des Sprachwesens ein und schied auch hier und neues.

Der durch das Silbengewicht gewonnene Rhythmus kann der extensive, der 48 *

Wissenschaftliche Prosa.

7K6

durch Betonung entspringende der intensive genannt werden. dieser die Kraft.

Jener bezeichnet die Dauer,

Alle neuern Völker haben vorzugsweise für den letztem Empfänglichleit;

selbst die Neugriechen haben auS ihrer alten quantitirenden Sprache eine neue accentuirmde gemacht." Daß jedoch auch die deutsche Sprache ursprünglich das Gesetz der Quantität beseffen

und erst später eingebüßt habe, ist durch Jakob Grimm wahrscheinlich geworden. DaS Streben der Sprachen zur Vergeistigung, das sich nach Verlöschung deS sinnlichen NaturlebenS der Wörter durch die Accentuation von neuem ein festes Gepräge schafft, muß die Metra der Quantität immer zu Grunde richten; es ist aber auch möglich, daß eS einmal in eine Periode ausläuft, in der die Poesie auch das letzte Eigenthum ihrer Formen, worin sie der Prosa noch getrennt gegenüber steht, aufgeben muß, z. B. den Reim. Grimm

bemerkt einmal, daß es Zeiten gebe, wo die Kunst des ReimeS aussterbe, weil sich die

sinnliche Zartheit der wurzelärmeren Sprache verhärte und neugebildete Zusammensetzungen eine von Natur steifere Bewegung hätten; aber bis jetzt ist noch keine moderne Sprache auf dieser Stufe völliger Verschmelzung von Poesie und Prosa angelangt, obwohl einige, vornehmlich die deutsche, ihr nahe stehen. Auf der einen Seite zeigt sich jetzt eine große

Verarmung und Nacktheit der deutschen Metrik, eine Erschlaffung und Monotonie in For­ men, die kaum noch für metrisch gelten können, sondern, wie gerade bei den Tonangebern der neuesten Lyrik, dem Numerus der Prosa angenähert werden, während die pointirten, geistreichen und spekulativen Stichwörter der Zeitbildung, an denen sich die Sprache vor­ herrschend weiter entwickelt, immer weniger für den Reim taugen, welcher auch in diesen

Gedichten fast immer nur auf die unbedeutendsten Endsilben sich wirft.

Die antiken

Metra, dann die südlichen Maße und zuletzt auch orientalische Weisen sind durch unsere Dichtersprache nach einander erklungen, alle haben ihr genützt und sogar den Sprachschatz

bereichert, obwohl viel thörichtes und vergebliches Bemühen damit verbunden gewesen; aber jetzt weiß man nicht, ob unsere Metrik, nachdem ihr diese schönen fremden Kleider zerriffen und schlotterig geworden, mit einem völligen Bankerott endigen oder irgendwie

neue Quellen, sich zu bewässern und zu befruchten, entdecken wird. Auf der andern Seite entfaltet sich dagegen eine höchste und ausgebildetste Form der Prosa, die sich keine Poesie des Inhalts mehr versagt, in ihrem gedankenfreien Lauf den kecksten Wendungen der Rede sich hingiebt und an rhythmischer Schönheit und Melodie der Verskunst fast nicht mehr nachsteht, sie vielmehr auf ihrer gegenwärtigen Verfallsstufe bald an tonvoller Gediegen­ heit deS Numerus übertreffen wird. Die Schranke zwischen Poesie und Prosa ist im Gedanken durchbrochen; sie bezeichnen nicht mehr verschiedene Jdeenkreise, und wenn man auch dem Verse seinen poetischen Heiligenschein und die Berechtigung für einen gewissen Inhalt nie wird ableugnen können, so büßt dagegen die Prosa durch dessen Entbehrung keine innerlichen poetischen Vortheile der Darstellung mehr ein. Die dynamische Ver­ schiedenheit hat sich ausgeglichen. Aus Mundis Kunst der deutschen Prosa.

2.

Homer, verglichen mit andern Epikern.

Vergleichen wir daS hohe Werk der homerischen Gesänge mit andern, indischen und persischen oder nordischen und altdeutschen, Helden- und Göttergedichten, so sind eS vor­ züglich zwei Eigenschaften, welche dasselbe vor jenen auszeichnen. Zuerst ist es das harmo­ nische Ebenmaß in der heitern Lebensansicht und in der ganzen Darstellungsweise selbst und die in beiden vorwaltende künstlerische Klarheit des Verstandes, welche nebst jenem Ebenmaß der Harmonie wie den Homer, so auch den Charakter der griechischen Geistes-

Sprache und Literatur.

757

bildung überhaupt vorzüglich bezeichnet und im Ganzen derselben vvrwaltet. Sodann ist eS die in dem Maße wenigstens nicht eben wesentlich in der Natur deS epischen Gedicht­ begründete, wohl aber in der besonderen Anlage deS griechischen Geiste- liegende reiche dramatische Entfaltung im Einzelnen der homerischen Gesänge und die damit zusammen­

hängende episodische Verflechtung deS Ganzen.

Ebendaher entspringt auch oder ist nahe

verwandt damit jene- entschiedene Hervortreten deS rhetorischen Bestandtheils, wozu sich die dem Griechen angeborene Hinneigung und Meisterkraft, zwar noch ganz natürlich und

wie sie dem klaren Lebensspiegel freier Poesie durchaus angemeflen ist, die sich daher auch von der falschen Rhetorik der spätern Dichtkunst so ganz unterscheidet, hier schon in bewundernSwerther Fülle und Kunst der Rede und deS Geiste- entfaltet; wie denn auch in

manchen Ansichten und Gesinnungen durch die Darstellung deS heroischen Leben- selbst Durch eben

der aufkeimende republikanische Sinn schon sehr sichtbar hindurchschimmerte.

diese Eigenschaften nur in geringerem Maße der Verschiedenheit bleibt Homer auch vor

den andern Rhapsoden der jonischen Zeit und vor den übrigen epischen Dichtern der Griechen ausgezeichnet, statt deren aller unS Hesiodus zum Beispiel dienen kann, und steht allein und einzig unter den andern da, obwohl alle diese geringeren heroischen oder mythi­ schen Dichter in unzähligen einzelnen Manieren der epischen Weise unter einander gleich und dem Homer ganz ähnlich sind.

Eine chaotische Sagensülle von oft gigantischem Inhalt besingt HesioduS in jener Weise oder in jenem Stil, welchen die Alten als den mittel­ mäßigen bezeichnen, weil zwar kein Übermaß der verwilderten Kraft, aber auch keine be­ sondere Größe und Erhabenheit deS Geistes darin sichtbar ist.

Es fehlt der homerische

Reichthum jener herrlichen dramatischen Entfaltung, obwohl sich, den Hesiodus al- Sitten­ gemälde betrachtet, Züge genug darin vorfinden von dem sehr merkwürdig emporwachsen­

den republikanischen Geiste, der bald das heroische Leben mehr und mehr verdrängen und endlich ganz überwältigen sollte.

Äuö 5- Schlegels Gesch. der alten und neuen Liter.

3. Die zwei klassischen Perioden unserer Rattonalliteratur. Unsere Literatur hat eine Erscheinung aufzuweisen, welche die Literatur keines Volkes der Erde mit ihr theilt: sie hat zweimal in dem Glanze einer heitern, frischen, kräftigen Jugend gestrahlt, mit einem Worte, sie hat nicht wie die Literaturen der übrigen Nationen

nur eine, sie hat zwei klassische Perioden gehabt; zweimal ist eS unS vergönnt gewesen, auf der Höhe der Zeiten zu stehen und in dem vollen Bewußtsein reicher Lebenskräfte unser gesammteS inneres und äußeres Leben in dichterischen Kunstwerken mit einfacher Treue und großartiger Wahrhaftigkeit abzuspiegeln; zweimal hat der edelste und reinste Lebensinhalt unserer Nation sich in gleich edle und reine, in naturgemäße und darum

vollendete Formen gegossen, und die eine dieser Glanzperioden, welche an Fülle und Frische der Formen, an Gediegenheit und Reichthum des Stoffes der andern, von uns erlebten, nicht das geringste nachgiebt, ja dieselbe in mehrfacher Hinsicht weit überbietet, liegt eben in jenen scheinbar so weit entlegenen, so unbekannten und vermeintlich öden Regionen.

Vielleicht dürfte der gerechte Stolz auf diesen Nationalvorzug, welchen in seinem vollen Umfange nicht einmal die Griechen mit uns theilen, eine genaue Erwägung desselben, mit­ hin ein etwas eindringenderes Eingehen auf jenen ersten Glanzpunkt unserer literarischen

Existenz nicht allein rechtfertigen, sondern sogar gebieterisch fordern.

Wessen Selbstgefühl

hätte es nicht verletzt, wenn uns, wie gar oft von Unkundigen geschehen, bei aller Aner­ kennung unserer Klopstock, Lessing, Schiller und Goethe vorgehalten worden ist, daß wir

758

Wissenschaftliche Prosa.

doch nur durch die Voltaire, Corneille und Racine, durch die Shakespeare, die Taffo und Ariost das geworden seien, was wir wirklich sind, und daß wir, nachdem alle anderen Nationen längst ihr Blütenalter gefeiert, erst spät und gar langsam als die allerletzten, gleichsam als träge Nachzügler und nur angefeuert durch den Stachel der Treiber, uns

auch auf die Höhe unseres literarischen Selbstbewußtseins erhoben hätten? Wenn es sich

aber ausweist, daß längst vor dem Blütenalter unserer westlichen und südlichen Nachbarn die Zeit unserer ersten und frischesten Jugend gelegen hat, daß längst nicht allein vor

Taffo und Ariost, sondern auch vor Dante und Petrarca wir unsern Walther von der Vogelweide, unsern Wolfram von Eschenbach, unsere Gudrun und unser Lied von der Nibelungen Not gehabt haben, Dichter und Dichtungen, mit denen sich die Fremden kaum und, was das Epos betrifft, gar nicht messen können, da nur die Griechen eine Ilias und nur wir ein Lied von den Nibelungen besitzen, daß wir also nicht die letzten, sondern die

ersten oder vielmehr die ersten und die letzten sind, verjüngt wie die Adler und dem Phönix gleich aus der Asche zu neuem Leben erstehend: dann werden wir zwar nicht auf undeutsche

Weise prahlen mit unsern Leistungen, wohl aber mit hoher und inniger und darum desto stillerer Freude unserer bevorzugten Stellung unter den Nationen der Erde und der reichen Gaben inne werden, die uns geworden sind, wie es denn überall der höchste Preis des

Lebens ist, mit dem sichersten Selbstgefühle und dem edelsten Stolze die einfachste Beschei­ denheit und die stillste Demuth zu verbinden. Die Bedingungen, unter welchen die imponirende Erscheinung einer zweimaligen klassischen Blüte unserer Literatur möglich und wirklich wurde, liegen in der innersten

Natur und dem eigenthümlichen welthistorischen Berufe unseres Volkes.

Den Griechen

war es vergönnt, sich rein aus sich selbst, aus der ursprünglichen Triebkraft ibreS natio­ nalen Geistes allein zu entwickeln, ohne durch fremde Einflüffe bald gehindert, bald

gefördert zu werden; überall sind sie selbst, ihrer eigenthümlichen Stoffe und der naturgemäßesten Formen, der festesten und sichersten Maße gewiß; versagt war ihnen die'Fähigkeit, sich fremden Elementen zu öffnen, sich ihnen liebend hinzugeben, um wiederum sie

liebend zu durchdringen, die Fähigkeit, an einer fremden, stärkeren Volköpersönlichkeit, an einem höheren, kräftigeren Geiste sich aufzuerbauen, zu erfrischen, zu verjüngen und die erlöschende Flamme deS eigenen Nationallebens durch neuen, von außen zugeführten Brenn­ stoff zu erneuerter Glut anzufachen. Ihr Leben war eine heitere, unbesorgte Jugend, ein lachender, in wunderbarer Blütenpracht glänzender Frühling, welchem nicht die heiße Arbeit des Sommers, der kühle Schauer deS Herbstes, das eisige Erstarren deS Winters, aber auch kein zweiter Frühling mit neuem Grün und frischen Blüten gefolgt ist. Als daS Leben fremder Nationen auf das griechische eindrang, erlag dieses wehrlos und kampflos dem doch nur Physisch überlegenen Gegner, und selbst das Christenthum hat die griechische Nationalität nicht zu beleben vermocht oder, richtiger, sie nicht erhalten und neu beleben wollen. Ganz anders ist dies alles bei unS. Vom Anfänge an zum umfaffendsten geistigen Weltverkehr, über ein Jahrtausend lang auch zur äußeren Weltherrschaft berufen, haben wir nie daS Zusammenstößen mit fremden Nationalitäten, nie den Kampf mit fremden

Geistern gefürchtet; ja, wie Kampf und Krieg, wie Streiten und Stürmen die beste Freude unserer Altväter war und sie keine höhere Lust kannten, als wenn Schild an Schild rannte und daS scharfe Schwert in kräftigem Hiebe auf dem Eisenhelm erklang, so ist eS unsere höchste Lust gewesen und ist eS noch, die Geister, um mit Luthers Worten zu reden, auf

einander platzen zu lassen. In diesem Kampfe haben wir bald gesiegt und den starken Fuß auf des Feindes Nacken gesetzt, bald haben wir Schrammen und Narben, die wir nie ver­ bergen, davon getragen; ja wir sind in die Gefangenschaft deS Gegners gerathen und haben

Sprache und Literatur. in schwächlicher Botmäßigkeit Sklavenketten geschleppt;

759

bald haben wir wie OfferuS, der

heidnische Riese, uns der weltbezwingenden Macht und Herrlichkeit unsers Gegners freiwillig ergeben und sind Christusträger geworden, wie OfferuS zum Christophorus wurde.

Berufen

zu Trägern des Evangeliums, hatte das deutsche Volk niemals in einseitiger Abgeschlossenheil, hochmüthiger Selbstbespiegelung und eigensinnigem Naüonaldünkel sich gefallen können, vielmehr willig und offen sich hingegeben und jedem fremden Eindruck sich bloßgestellt, willig das Fremde anerkannt und ausgenommen zuweilen bis zum Selbstvergessen deS eigenen Werthes;

fähig, alle eigenen Ansprüche an das Objekt fahren zu lasten und sich

ganz in daffelbe zu versenken, ist das deutsche Volk durch diese erste und größte Dichter­ fähigkeit das eigentliche Dichtervolk unter den Nationen der Erde. Jener Kampf, jenes gewaltige Ringen mit fremden Geistern, diese Fähigkeit, sich

aufzuschließen und hinzugeben, Fremdes zu empfangen, dasselbe in fortwährendem, kräftigem

AneignungSprozeffe dem eigenen Selbst zu assimiliren und dann wieder in freier Schöpfung

als volles Eigenthum zu reproduziren, dies ist eS, durch welches unsere Literatur gekenn­ zeichnet, durch welches ihre Geschichte bedingt und die Perioden derselben bestimmt werden. So oft einer jener Kämpfe siegreich ausgekämpft, ein solcher Aneignungsprozeß vollendet

war, trat die neue Schöpfung in reicher Fülle und reinen Formen an den Tag, erreichte

unser geistiges, zumal dichterisches Nationalleben seinen Höhepunkt und seine klassische Voll­ endung. Zweimal ist ans diese Weise unser Selbst von fremden Elementen durchdrungen worden, um wiederum sie innig zu durchdringen: das erste Mal von dem Geiste des Christen­ thums, deffen volle und ganze Aneignung die erste klassische Periode im 13. Jahrhundert schrf; das zweite Mal von dem Geiste deS griechisch-römischen Alterthums und dem unsrer Nachbarvölker, am Ende deS vorigen Jahrhunderts.

Im Anfänge, als zuerst unser Volt in die Geschichte der geistigen Entwicklung des MmschengeschlechteS eintritt, sehen wir daffelbe in allen seinen Stämmen in heftiger Gähruiß begriffen. In wilder Wanderlust und roher Kampsesgier drängte Volk an Volk, Strmm an Stamm vorwärts nach dem Süden und dem Westen, also daß die Völkerbande sich zu lösen und unsere Velksstämme in zügelloser KriegeSwuth sich selbst zu verzehren drrhten; da wurde von dem Süden und dem Westen, wohin die ungezählten Schaaren drcngten, mit mächtiger Stimme der Friede Gottes deS Herrn tief in den Norden und Ofen hinein und über die wogenden Bölkerschaaren hinausgerufen: und es ward still in der Wäldern und auf den Haiden, und die Schaaren lauschten ehrerbietig dem Worte der GotteSfriedenS; daS Kreuz wurde aufgepflanzt an den Scheidewegen der Völkerstraßen,

uw die wandernden Heere standen und baueten Hütten und Burgen und Städte um die Krmze. Der Gesang von den Göttern, von Wuotan, von Donar und Ziu verstummte,

abr der Heldengesang, der Gesang von den alten Stammeshäuptern, von den Königen uw Volksherzogen dauerte fort und vermischte sich nun mit den Stimmen der Gläubigen, welche Gott den Herrn lobten und den Gekreuzigten priesen. Die alte Wildheit wich christlicher Sitte und christlicher Milde, und nur die Tapferkeit und die Treue, die Frei-

geffgkeit und die Dankbarkeit, die Keuschheit und die Fanlilienliebe, die ältesten und echtesten Zige des deutschen Charakters, sie blieben nicht allein ungeschmälert und ungebrochen, fordern sie wuchsen an dem Stamm des Kreuzes, diesem „lebendigen Holze", wie der alte

kaholische Kirchengesang wenigstens in dieser Beziehung höchst treffend sagt, aus dem sie neu Nahrung sogen, nur kräftiger und herrlicher heran. Es war daS Christenthum nihtS, was dem Deutschen fremd und widerwärtig gewesen wäre; vielmehr bekam der dettsche Charakter durch das Christenthum nur die Vollendung seiner selbst; er fand sich in der Kirche Christi selbst, nur gehoben, verklärt und geheiligt, wieder; und wenn von

Wissenschaftliche Prosa.

760

einem Kampfe deS deutschen Gemüthes und Lebens mit dem Christenthum bei der Ein­ führung desselben die Rede ist, so kann davon nur als von einem Kampfe der Liebe die

Rede fein: die apostolische Darstellung von der Gemeinde als der Braut deS Herrn hat in der Gemeinde der Deutschen ihr vollstes und wahrhaftiges Gegenbild gefunden. Da­ her denn auch, als die Vermählung des deutschen Geistes mit dem christlichen Geiste voll­ zogen war, dieser Charakter der Liebe, der Zartheit, der Innigkeit, welcher die Poesien unserer ersten klassischen Periode in so hohem Grade auszeichnet, daß unsere nur allzuliebe­ leere Zeit eben um dieser Eigenschaft willen der Fähigkeit fast entbehrt, sich ganz einzutauchen

in das Verständnis jener Dichtungen, die nur begriffen werden können von einem gleich­

gesinnten Herzen, von einem Herzen, welches zugleich ganz deutsch und ganz christlich ist. Unter wesentlich verschiedenen Bedingungen bereitete sich die zweite klassische Periode unserer Literatur feit der Mitte deS fünfzehnten Jahrhunderts vor und trat dieselbe int Laufe des achtzehnten Jahrhunderts ein; es war dies nicht, wie vorher, ein Kampf der

Liebe, sondern ein Krieg auf Tod und Leben, in welchem früher im sechzehnten und weit mehr im siebzehnten Jahrhundert unser eigenstes deutsches Bewußtsein, unser National­ leben, unsere Eigenthümlichkeit und Selbständigkeit als Deutsche, später im achtzehnten Jahrhundert das christliche Bewußtsein und die Geltung und Würde der christlichen Kirche von allen Seiten angegriffen, bekämpft und zeitweise besiegt, ja sogar scheinbar zer­ stört und vernichtet wurde. Erst nach langem Ringen und heißem Kampfe gelang es uns,

unser selbst wieder bewußt, der feindseligen Elemente Herr und der reichen Beute aus dem langen, gefahrbringenden und verwüstenden Kriege der Geister froh zu werden. Darum trägt unsere zweite klassische Periode etwas vorzugsweise Kriegsfertiges und Kampfgerüstetes an sich; die hingebende Liebe der ersten Zeit ist dahin, die Traulichkeit und Heimlichkeit

der Minnesänger und den herzbewegenden Gesang unseres Epos von der Treue deS Die­

ners gegen die Herren bis in den Tod suchen wir umsonst; die Kritik ist die stete Beglei­ terin, ja sie ist die Mutter und Ernährerin des größten Theiles unserer modernen klassischen Literatur; Weltverstand und Weltgewandtheil haben wir eingetauscht für die jugendliche, oft rührende Befangenheit und Naivität jener älteren Zeiten; war ehedem der Blick beschränkt auf Haus und Hof und die dunkeln Wälder und grünen BergeShalden, welche die friedliche Stätte der Heimat umkränzen, so schweift er jetzt sonnenhell und frei weit

hinaus über die Grenzen deS väterlichen Gaues, über die Marken deS Vaterlandes in die entlegensten Regionen der Erde, um sich an Indiens und Chinas Wundern, an der wüsten Ode des Polarmeeres, wie an den glühenden Steppen Afrikas mit gleicher Lust zu weiden. Aus Vilmars Gcsch. d. deutsch. Nation.-Liter.

4.

Aus Lessings Hamburger Dramaturgie. a.

Die Schauspielkunst.

Wenn Shakespeare nicht ein ebenso großer Schauspieler in der Ausübung gewesen ist, als er ein dramatischer Dichter war, so hat er doch wenigstens ebenso gut gewußt, was zu der Kunst des einen, als was zu der Kunst des andern gehört. Ja vielleicht hatte er über die Kunst des erstern um so viel tiefer nachgedacht, weil er so viel weniger Genie

dazu hatte.

Wenigstens ist jedes Wort, das er dem Hamlet, wenn er die Komödianten

abrichtet, in den Mund legt, eine goldene Regel für alle Schauspieler, denen an einem vernünftigen Beifall gelegen ist.

„Ich bitte euch," läßt er ihn unter anderm zu den Ko­

mödianten sagen, „sprecht die Rede so, wie ich sie euch vorsagte; die Zunge muß nur eben

Sprache und Literatur.

761

darüber hinlaufen; aber wenn ihr mir sie so heraushalset, wie es manche von unsern Schauspielern thun, seht, so wäre mir es ebenso lieb gewesen, wenn der Stadtschreiber meine Verse gesagt hätte.

Auch durchsägt mir mit eurer Hand nicht so sehr die Luft,

sondern macht alles hübsch artig; denn mitten in dem Sturme, mitten, so zu reden, in dem Wirbelwinde der Leidenschaften müßt ihr noch einen Grad von Mäßigung beobachten, der ihnen das Glatte und Geschmeidige giebt."

Man spricht so viel von dem Feuer des Schauspielers; man zerstreitet sich so sehr,

ob ein Schauspieler zu viel Feuer haben könne. Wenn die, welche es behaupten, zum Beweise anführen, daß ein Schauspieler ja wohl am unrechten Orte heftig oder wenigstens heftiger sein könne, als es die Umstände erfordern: so haben die, welche es leugnen. Recht zu sagen, daß ht solchem Falle der Schauspieler nicht zu viel Feuer, sondern zu wenig Verstand zeige. Überhaupt aber kommt es wohl darauf an, was wir unter dem Worte

Feuer verstehen. Wenn Geschrei und Kontorsionen Feuer sind, so ist es wohl unstreitig, daß der Akteur darin zu weit gehen kann. Besteht aber das Feuer in der Geschwindig­

keit und Lebhaftigkeit, mit welcher alle Stücke, die den Akteur ausmachen, das ihrige dazu beitragen, um seinem Spiele den Schein der Wahrheit zu geben: so müßten wir diesen Schein der Wahrheit nicht bis zur äußersten Illusion getrieben zu sehen wünschen, wenn es möglich wäre, daß der Schauspieler allzuviel Feuer in diesem Verstände anwen­ den könnte. Es kann also auch nicht dieses Feuer sein, dessen Mäßigung Shakespeare

selbst in dem Strome, in dem Sturme, in dem Wirbelwinde der Leidenschaften verlangt: er muß bloß jene Heftigkeit der Stimme und der Bewegung meinen; und der Grund ist leicht zu finden, warum auch da, wo der Dichter nicht die geringste Mäßigung beobachtet hat, dennoch der Schauspieler sich in beiden Stücken mäßigen müsse.

Es giebt wenig

Stimmen, die in ihrer äußersten Anstrengung nicht widerwärtig würden; und allzuschnelle, allzustürmische Bewegungen werden selten edel sein. Gleichwohl sollen weder unsere Augen, noch unsere Ohren beleidigt werden; und nur alsdann, wenn man bei Äußerungen der

heftigen Leidenschaften alles vermeidet, was diesen oder jenen unangenehm sein könnte, haben sie das Glatte und Geschmeidige, welches ein Hamlet auch noch da von ihnen ver­ langt, wenn sie den höchsten Eindruck machen und ihm das Gewissen verstockter Frevleraus dem Schlafe schrecken sollen. Die Kunst des Schauspielers steht hier zwischen den bildenden Künsten und der Poesie mitten inne.

Als sichtbare Malerei muß zwar die Schönheit ihr höchstes Gesetz sein; doch

als transitorische Malerei braucht sie ihren Stellungen jene Ruhe nicht immer zu geben,

welche die alten Kunstwerke so imponirend macht. Sie darf sich, sie muß sich das Wilde eines Tempesta, das Freche eines Bernini öfters erlauben; es hat bei ihr alles das Aus­

drückende, welches ihm eigenthümlich ist, ohne das Beleidigende zu haben, das es in den bildenden Künsten durch den permanenten Stand erhält.

Nur muß sie nicht allzulange

darin verweilen; nur muß sie es durch die vorhergehenden Bewegungen allmählich vorbe-

reiten und durch die darauffolgenden wiederum in den allgemeinen Ton des Wohlanstän­ digen auflösen; nur muß sie ihm nie alle die Stärke geben, zu der sie der Dichter in seiner Bearbeitung treiben kann; denn sie ist zwar eine stumme Poesie, aber die sich unmittelbar

unseren Augen verständlich machen will; und jeder Sinn will geschmeichelt sein, wenn er die Begriffe, die man ihm in die Seele zu bringen giebt, unverfälscht überliefern soll. b.

Von den dramatischen Charakteren.

Weswegen wählt der tragische Dichter wahre Namen? Nimmt er seine Charaktere aus diesen Namen, oder nimmt er diese Namen, weil Charaktere, welche ihnen die Ge-

762

Wissenschaftliche Prosa.

schichte beilegt, mit den Charakteren, die er in Handlung zu zeigen sich vorgenommen, mehr oder weniger Gleichheit haben? Ich rede nicht von der Art, wie die meisten Trauerspiele vielleicht entstanden sind, sondern wie sie eigentlich entstehen sollten. Oder, mich mit der gewöhnlichen Praxis der Dichter übereinstimmender auszudrücken, sind eS die bloßen Fakta,

die Umstände der Zeit und des Orts, oder sind es die Charaktere der Personen, durch welche die Fakta wirklich geworden, warum der Dichter lieber diese als eine andere Be­ gebenheit wählt? Wenn es die Charaktere sind, so ist die Frage gleich entschieden, wie

weit der Dichter von der historischen Wahrheit abgehen könne: in allem, was die Charaktere nicht betrifft, so weit er will. Nur die Charaktere sind ihm heilig; diese zu verstärken, diese in ihrem besten Lichte zu zeigen, ist alles, was er von dem Seinigen dabei hinzuthun

darf; die geringste wesentliche Veränderung würde die Ursache aufheben, warum sie diese und nicht andere Namen führen; und nichts ist anstößiger, als wovon wir uns keine Ursache angeben können.

Ich habe mich vielmehr schon dahin geäußert, daß die Charaktere dem

Dichter weit heiliger sein müssen als die Fakta; einmal weil, wenn jene genau beobachtet

werden, diese, insofern sie eine Folge von jenen sind, von selbst nicht viel anders ausfallen können, da hingegen einerlei Faktum sich aus ganz verschiedenen Charakteren herleiten läßt; zweitens weil das Lehrreiche nicht in bloßen Faktis, sondern in der Erkenntnis besteht,

daß diese Charaktere unter diesen Umständen solche Fakta hervorzubringen pflegen und hervorbringen müssen. Gleichwohl hat es Marmontel gerade umgekehrt. Daß eS einmal in dem Seraglio eine europäische Sklavin gegeben, die sich zur gesetzmäßigen Gemahlin des Kaisers zu machen gewußt: das ist das Faktum. Die Charaktere dieser Sklavin und dieses Kaisers bestimmen die Art und Weise, wie dieses Faktum wirklich geworden, und da

es durch mehr als eine Art von Charakteren hat wirklich werden können, so steht es freilich bei dem Dichter als Dichter, welche von diesen Arten er wählen will: ob die, welche die Historie bestätigt, oder eine andere, so wie der moralischen Absicht, die er mit seiner Er­ zählung verbindet, das eine oder das andere gemäßer ist. Nur sollte er sich, im Fall daß er andere Charaktere als die historischen oder wohl gar diesen völlig entgegengesetzte wählt, auch der historischen Namen enthalten und lieber ganz unbekannten Personen das bekannte Faktum beilegen, als bekannten Personen nicht zukommende Charaktere andichten. Jenes

vermehrt unsere Kenntnis oder scheint sie wenigstens zu vermehren und ist dadurch ange­ nehm; dieses widerspricht der Kenntnis, die wir bereits haben, und ist dadurch unange­

nehm. Die Fakta betrachten wir als etwas Zufälliges, als etwas, das mehreren Personen gemein sein kann, die Charaktere hingegen alö etwas Wesentliches und Eigenthümliches. Mit jenen lassen wir den Dichter umspringen, wie er will, so lange er sie nur nicht mit den Charakteren in Widerspruch setzt; diese dagegen darf er wohl inS Licht stellen, aber nicht verändern; die geringste Veränderung scheint unS die Individualität aufzuheben und

andere Personen unterzuschieben, betrügerische Personen, die fremde Namen usurpiren und sich für etwas auSgeben, was sie nicht sind. Aber dennoch dünkt es mich immer ein weit verzeihlicherer Fehler, seinen Personen nicht die Charaktere zu geben, die ihnen die Geschichte giebt, als in diesen freiwillig ge­ wählten Charakteren selbst, eS sei von Seiten der inneren Wahrscheinlichkeit oder von

Seiten des Unterrichtenden, zu verstoßen; denn jener Fehler kann vollkommen mit dem Genie bestehen, nicht aber dieser. Dem Genie ist es vergönnt, tausend Dinge nicht zu wissen, die jeder Schulknabe weiß: nicht der erworbene Vorrath seines Gedächtnisses, son­ dern das, was eS aus sich selbst, auS seinem eigenen Gefühl hervorzubringen vermag, macht seinen Reichthum auS; waS es gehört oder gelesen, hat es entweder wieder vergessen oder mag es weiter nicht wissen, als insofern eS in seinen Kram taugt; es verstößt also

763

Sprache und Literatur.

bald aus Sicherheit, bald aus Stolz, bald mit, bald ohne Vorsatz, oft so gröblich, daß

wir anderen guten Leute uns nicht genug darüber verwundern können; wir stehen und staunen und schlagen die Hände zusammen und rufen: „Aber, wie hat ein so großer Mann nicht wissen können! Wie ist es möglich, daß ihm nicht beifiel! Überlegte er denn nicht?"

O laßt uns ja schweigen! Wir glauben, ihn zu demüthigen, und wir machen uns in seinen Augen lächerlich; alles, was wir besser wissen als er, beweiset blos, daß wir

fleißiger zur Schule gegangen als er; und das hatten wir leider nöthig, wenn wir nicht vollkommene Dummköpfe bleiben wollten. Denn nach dem angedeuteten Begriffe, den wir uns von dem Genie zu machen haben, sind wir berechtigt, in allen Charakteren, die der Dichter ausbildet oder sich schafft, Übereinstimmung und Absicht zu verlangen, wenn er von uns verlangt, in dem Lichte eines Genies betrachtet zu werden; Übereinstimmung: nichts muß sich in den Charakteren wider-

sprechen; sie müssen immer einförmig, immer sich selbst ähnlich bleiben; sie dürfen sich jetzt stärker, jetzt schwächer äußern, je nachdem die Umstände auf sie wirken; aber keine von diesen Umständen müssen mächtig genug sein können, sie von schwarz auf weiß zu ändern. Ein

Türke und Despot muß, auch wenn er verliebt, noch Türke und Despot sein.

5.

Über Schiller und den Gang seiner Geistesentwickelung.

Schillers Dichtergenie kündigte sich gleich in seinen ersten Arbeiten an; ungeachtet aller Mängel der Form, ungeachtet vieler Dinge, die dem gereiften Künstler sogar roh erscheinen mußten, zeugten die Räuber und Fiesko von einer entschiednen großen Natur­

kraft. Es verrieth sich nachher durch die bei ganz verschiedenartigen philosophischen und historischen Beschäftigungen immer durchbrechende, auch in diesen Briefen so oft ange­

deutete Sehnsucht nach der Dichtung wie nach der eigenthümlichen Heimat seines Geistes; es offenbarte sich endlich in männlicher Kraft und geläuterter Reinheit in den Stücken, die

gewiß noch lange der Stolz und Ruhm der deutschen Bühnen bleiben werden. Aber dies Dichtergenie war auf das engste an das Denken in allen seinen Tiefen und Höhen ge­ knüpft, es tritt ganz eigentlich auf dem Grunde einer Jntellektualität hervor, die alles er­ gründend spalten und alles verknüpfend zu einem Ganzen vereinen möchte. Darin liegt Schillers besondere Eigenthümlichkeit. Er forderte von der Dichtung einen tieferen Antheil des Gedankens und unterwarf sie strenger einer geistigen Einheit; letzteres auf zwiefache

Weise, indem er sie an eine festere Kunstform band, und indem er jede Dichtung so be­ handelte, daß ihr Stoff unwillkürlich und von selbst seine Individualität zum Ganzen einer Idee

erweiterte.

Auf diesen

charakteristisch bezeichnen.

Eigenthümlichkeiten beruhen die Vorzüge, welche Schiller

Aus ihnen entsprang es, daß er, das Größeste und Höchste her­

vorzubringen, dessen er fähig war, erst eines Zeitraums bedurfte, in welchem sich seine

ganze Jntellektualität, an die sein Dichtergenie unauflöslich geknüpft war, zu der von ihm geforderten Klarheit und Bestimmtheit durcharbeitete.

Diese

Eigenthümlichkeiten endlich

erklären die tadelnden Urtheile derer, die in Schillers Werken, ihm die Freiwilligkeit der Gabe der Musen absprechend, weniger die leichte, glückliche Geburt des Genies als die sich ihrer selbst bewußte Arbeit des Geistes zu erkennen meinen; worin allerdings das Wahre

liegt, daß nur die intellektuelle Größe Schillers die Veranlassung zu einem solchen Tadel darbieten konnte. Ich würde es für überflüssig halten, zur Rechtfertigung dieser Behauptungen in eine Zergliederung der Schillerschen Werke einzugehen, die jedem zu gegenwärtig sind, um nicht,

764

Wissenschaftliche Prosa.

welche- auch seine Meinung sein möchte, die Anwendung selbst zu machen. Dagegen ist es vielleicht dem Leser deS Briefwechsels angenehm, wenn ich mit wenigem zu entwickeln versuche, wie diese meine Ansicht von Schillers Eigenthümlichkeit zugleich und besonders

durch meinen Umgang mit ihm, durch Erinnerungen aus seinen Gesprächen, durch die Ver­ gleichung seiner Arbeiten in ihrer Zeitfolge und die Nachforschungen über den Gang seines Geistes entstand. Was jedem Beobachter an Schiller am meisten als charakteristisch bezeichnend auf­

fallen mußte, war, daß in einem höheren und prägnanteren Sinn als vielleicht je bei

einem andern der Gedanke das Element seines Lebens war. Anhaltend selbstthätige Be­ schäftigung des Geistes verließ ihn fast nie und wich nur den heftigeren Anfällen seines körperlichen Übels. Sie schien ihm Erholung, nicht Anstrengung. Dies zeigte sich am

meisten im Gespräch, für das Schiller ganz eigentlich geboren schien. Er suchte nie nach einem bedeutenden Stoff der Unterredung, er überließ es mehr dem Zufall, den Gegen­ stand herbeizuführen; aber von jedem aus leitete er das Gespräch zu einem allgemeinen Gesichtspunkt, und man sah sich nach wenigen Zwischenreden in den Mittelpunkt einer den Geist anregenden Diskussion versetzt.

Er behandelte den Gedanken immer als ein

gemeinschaftlich zu gewinnendes Resultat, schien immer des Mitredenden zu bedürfen, wenn

dieser auch sich bewußt blieb, die Idee von ihm allein zu empfangen, und ließ ihn nie müßig werden. Hierin unterschied sich sein Gespräch am meisten von dem Herderschen. Nie vielleicht hat ein Mann schöner gesprochen als Herder, wenn man, was bei Berührung irgend einer leicht bei ihm anklingenden Saite nicht schwer war, ihn in aufgelegter Stim­ mung antraf. Alle seltenen Eigenschaften dieses mit Recht bewunderten Mannes schienen, so geeignet waren sie für dasselbe, int Gespräch ihre Kraft zu verdoppeln. Der Gedanke verband sich mit dem Ausdruck, mit der Anmuth und Würde, die, da sie in Wahrheit allein der Person angehören, nur vom Gegenstände herzukommen «scheinen. So floß die

Rede ununterbrochen hin in der Klarheit, die doch noch dem eignen Erahnen übrig läßt, und in dem Helldunkel, das doch nicht hindert, den Gedanken bestimmt zu erkennen. Aber wenn die Materie erschöpft war, so ging man zu einer neuen über. Man förderte nichts

durch Einwendungen, man hätte eher gehindert. Man hatte gehört, man konnte nun selbst reden, aber man vermißte die Wechselthätigkeit deS Gesprächs. Schiller sprach nicht eigent­

lich schön, aber sein Geist strebte immer in Schärfe und Bestimmtheit einem treuen geistigen Gewinne zu; er beherrschte dies Streben und schwebte in vollkommener Freiheit über seinem Gegenstände.

Daher benutzte er in leichter Heiterkeit jede sich darbietende Nebenbeziehung,

und daher war sein Gespräch so reich an den Worten, die das Gepräge glücklicher Ge­ burten des Augenblicks an sich tragen.. Die Freiheit that aber dem Gange der Untersuchung keinen Abbruch. Schiller hielt immer den Faden fest, der zu ihrem Endpunkt führen mußte, und wenn die Unterredung nicht durch einen Zufall gestört wurde, so brach er

nicht leicht vor Erreichung des Zieles ab.

So wie Schiller im Gespräche immer dem Gebiete des Denkens neuen Boden zu gewinnen suchte, so war überhaupt seine geistige Beschäftigung immer eine von angestrengter Selbstthätigkeit. Auch seine Briefe zeigen dies deutlich. Er kannte sogar keine andere. Bloßer Lektüre überließ er sich nur spät abends und in seinen leider so häufig schlaflosen Nächten. Seinen Tag nahmen seine Arbeiten ein oder bestimmte Studien für dieselben,

wo also der Geist durch die Arbeit und die Forschung zugleich in Spannung gehalten wird. DaS bloße, von keinem andern unmittelbaren Zweck als dem des Wissens geleitete Studiren, das für den damit Vertrauten einen so unendlichen Reiz hat, daß man sich ver­

wahren muß, dadurch nicht zu sehr von bestimmterer Thätigkeit abgehalten zu werden,

Sprache und Literatur.

765

kannte er nicht und achtete es nicht genug. Das Wissen erschien ihm zu stoffartig und die Kräfte des Geistes zu edel, um in dem Stoffe mehr zu sehen als ein Material zur Be­

arbeitung.

Nur weil er die allerdings höhere Anstrengung des Geistes, welche selbstthätig

aus ihren eigenen Tiefen schöpft, mehr schätzte, konnte er sich weniger mit der geringeren befreunden.

Es ist aber auch merkwürdig, aus welchem kleinen Vorrath des Stoffes, wie

entblößt von den Mitteln, welche andern ihn zuführen, Schiller eine sehr vielseitige Welt­ ansicht gewann, die, wo man sie gewahr wurde, durch genialische Wahrheit überraschte; denn man kann die nicht anders nennen, die durchaus auf keinem äußerlichen Wege ent­

standen war.

Selbst von Deutschland hatte er nur einen Theil gesehen, nie die Schweiz,

von der sein Tell doch so lebendige Schilderungen enthält. Wer einmal am Rheinfall steht, wird sich beim Anblick unwillkürlich an die schöne Strophe des Tauchers erinnern, welche dies verwirrende Wassergewühl malt, das den Blick gleichsam fesselnd verschlingt; doch lag auch dieser keine eigne Ansicht zu Grunde; aber was Schiller durch eigne Er­

fahrung gewann, das ergriff er mit einem Blick, der ihm hernach auch das anschaulich machte, was ihm blos fremde Schilderung zuführte. Dabei versäumte er nie, zu jeder Arbeit Studien durch Lektüre zu machen; auch was er in dieser Art Dienliches zufällig

fand, prägte sich seinem Gedächtnis fest ein, und seine rastlos angestrengte Phantasie, die

in beständiger Lebendigkeit bald diesen, bald jenen Theil des irgend je gesammelten Stoffes

bearbeitete, ergänzte das Mangelhafte einer so mittelbaren Auffassung. Auf ganz ähnliche Weise eignete er sich den Geist der griechischen Dichtung an, ohne sie je anders als aus Übersetzungen zu kennen. Er scheute dabei keine Mühe; er zog die Übersetzungen vor, die darauf Verzicht leisten, für sich zu gelten; am liebsten waren ihm die wörtlichen lateinischen Paraphrasen.

So übersetzte er die Szenen und die Hochzeit der

Thetis aus dem Euripides. Ich gestehe, daß ich diesen Chor immer mit großem Vergnügen wieder lese. Es ist nicht blos eine Übertragung in eine andere Sprache, sondern in eine andere Gattung von Dichtung. Der Schwung, in den die Phantasie von den ersten Versen

an versetzt wird, ist ein verschiedener, also gerade das, was die poetische Wirkung aus­ macht. Denn diese kann man nur in die allgemeine Stimmung der Phantasie und des Gefühles setzen, die der Dichter, unabhängig von dem Ideengehalte, blos durch den seinen

Werken beigegebenen Hauch seiner Begeisterung im Leser hervorruft. Der antike Geist blickt wie ein Schatten durch das ihm geliehene Gewand. Aber in jeder Strophe sind einige Züge des Originals so bedeutsam herausgehoben und so rein hingestellt, daß man dennoch vom Anfang bis zum Ende beim Antiken festgehalten wird. Ich meinte indeß nicht vorzugsweise diese Übersetzung, wenn ich von Schillers Eingehen in den griechischen Dichter­ geist sprach, sondern zwei seiner späteren Stücke.

Auch

hierin hatte Schiller bedeutende

Fortschritte gemacht. Die Kraniche des Jbykus und das Siegesfest tragen die Farben des Alterthums so rein und treu an sich, als man es nur von irgend einem modernen Dichter

erwarten kann, und zwar auf die schönste und geistvollste Weise.

Der Dichter hat den

Sinn des Alterthums in sich ausgenommen, er bewegt sich darin mit Freiheit, und so ent­

springt eine neue, in allen ihren Theilen nur eine athmende Dichtung. Beide Stücke stehen aber wieder in einem merkwürdigen Gegensatz gegen einander.

Die Kraniche des Jbykus

erlaubten eine ganz epische Ausführung; was den Stoff dem Dichter innerlich werth machte, war die daraus entspringende Idee der Gewalt künstlerischer Darstellung über die

menschliche Brust.

Diese Macht der Poesie, einer unsichtbaren, blos durch den Geist ge­

schaffnen, in der Wirklichkeit verfliegenden Kraft, gehörte wesentlich in den Jdeenkreis, der Schiller lebendig beschäftigte. Schon acht Jahre, ehe er sich zur Ballade in ihm gestaltete, schwebte ihm dieser Stoff vor, wie deutlich aus den Künstlern aus den Versen hervorgeht:

766

Wissenschaftliche Prosa. Dom Eumenidenchor geschrecket, Zieht sich der Mord, auch nie entdecket, Das Loos des Todes aus dem Lied.

Diese Idee erlaubte aber auch eine vollkommen antike Ausführung; daS Alterthum befaß alles, um sie in ihrer ganzen Reinheit und Stärke hervortreten zu lassen. Daher ist

alles in der ganzen Erzählung unmittelbar aus ihm entnommen, besonders das Erscheinen und der Gesang der Eumeniden. Der Äschyleische bekannte Chor ist so kunstvoll in die

moderne Dichtungsform, in Reim und Silbenmaß verwebt, daß nichts von seiner stillen Größe aufgegeben scheint.

Das Siegesfest ist lyrischer und betrachtender Natur.

Hier­

konnte und mußte der Dichter aus der Fülle seines BusenS hinzufügen, waS nicht im Jdeen-

und Gefühlskreise deS Alterthums lag; aber im übrigen ist alles im Sinne der home­ rischen Dichtung ebenso rein als in dem andern Gedicht. Das Ganze ist nur wie in einer

höheren, mehr abgesondert gehaltenen Geistigkeit ausgeprägt, als dem alten Sänger eigen ist, und erhält gerade dadurch seine größesten Schönheiten. An einzelnen, aus den Alten entnommenen Zügen, in die aber ost eine höhere Be­ deutung gelegt ist, sind auch frühere Gedichte Schillers reich. Ich erwähne hier nur die Schilderung des Todes aus den Künstlern: „den sanften Bogen der Nothwendigkeit," der so schön an die dyava ßtkta (die sanften Geschosse) bei Homer erinnert, wo aber die Übertragung des Beiworts vom Geschoß auf den Bogen selbst dem Gedanken einen zarteren

und tieferen Sinn giebt. Die Zuversicht in daS Vermögen der menschlichen Geisteskraft, gesteigert zu einem dichterischen Bilde, ist in den „Kolumbus" überschriebenen Distichen ausgedrückt, die zu dem Eigenthümlichsten gehören, waS Schiller gedichtet hat. Dieser Glaube an die dem Menschen unsichtbar inwohnende Kraft, die erhabene und so tief wahre Ansicht, daß es eine innere geheime Übereinstimmung geben muß zwischen ihr und der das ganze Weltall

ordnenden und regierenden, da alle Wahrheit nur Abglanz der ewigen, ursprünglichen fein kann, war ein charakteristischer Zug in Schillers Jdeensystem. Ihm entsprach auch die Beharrlichkeit, mit der er jeder intellektuellen Aufgabe so lange nachging, bis sie be­ friedigend gelöst war. Schon in den Briefen Raphaels an Julius in der Thalia in dem kühnen, aber schönen Ausdruck: „als Kolumbus die bedenkliche Wette mit einem unbefah­ renen Meer einging," findet sich der gleiche Gedanke an dasselbe Bild geknüpft.

Dem Inhalte und der Form nach waren Schillers philosophische Ideen ein getreuer Abdruck seiner ganzen geistigen Wirksamkeit überhaupt. Beide bewegten sich immer im

nämlichen Gleise und strebten dem gleichen Ziele zu, allein auf eine Weise, daß die leben­ digere Aneignung immer reicheren Stoffs und die Kraft des ihn beherrschenden Gedankens

sich unaufhörlich zu wechselseitiger Steigerung bestimmten. Der Endpunkt, an den er alles knüpfte, war die Totalität in der menschlichen Natur durch das Zusammenstimmen ihrer geschiedenen Kräfte in ihrer absoluten Freiheit. Beide dem Ich, das nur eins und ein

untheilbares sein kann, angehörend, aber die eine Mannigfaltigkeit und Stoff, die andre Einheit und Form suchend, sollten sie durch ihre freiwillige Harmonie schon hier auf einen über alle Endlichkeit hinausliegenden Ursprung hindeuten. Die Vernunft, unbedingt herr­ schend in der Erkenntnis und Willensbestimmung, sollte die Anschauung und Empfindung

mit schonender Achtung behandeln und nirgends in ihr Gebiet übergreifen; dagegen sollten diese sich auS ihrem eigenthümlichen Wesen und auf ihrer selbstgewählten Bahn zu einer Gestalt emporbilden, in welcher jene bei aller Verschiedenheit des Prinzips sich der Form

nach wiederfände. Diese, nicht auf entdeckbaren Wegen entstehende, sondern wie durch plötzliches Wunder überraschende Übereinstimmung zu vermitteln, den in sich unabweisbaren

Sprache und Literatur.

767

Widerspruch beider Naturen durch einen in ihrer Wechselbeziehung auf einander gegründeten Schein aufzuheben und dem Menschen dadurch in der Erscheinung ein Bild desjenigen zu

geben, was außer aller Erscheinung liegt, vermag allein die Richtung in ihm, welche wir die ästhetische nennen; denn sie behandelt den Stoff mit einer auf dem Gebiete der Sinn­ lichkeit entsprungenen, nicht von der Idee erborgten und dennoch als Freiheit erscheinenden

Selbstthätigkeit.

Aus W. v. Humboldts Vorerinnerung zu seinem Briefwechsel mit Schiller.

6.

Wallensteins Lager von Schiller.

Über Wallensteins Lager schreibt der Verfasser im Briefwechsel mit Goethe, das ganze Verdienst dieser Dichtung könne blos Lebhaftigkeit sein; aber gerade, weil sie nur dieses

Verdienst haben sollte, ist sie so vortrefflich geworden. Der Dichter wollte einmal mit seinem Werke nichts anderes als das Werk selbst; darum erreichte er in dieser Gattung

das Höchste. Das Stück ist an keinen höheren Zweck, an kein sonstiges Interesse seines Urhebers gebunden; so weht uns denn aus ihm zur rechten Erquickung der freie Geist der Poesie an. An einer andern Stelle jenes Briefwechsels sagt Schiller von Shakespeare, er habe in seinem Julius Cäsar das gemeine Volk mit einer ungemeinen Großheil behandelt; der Stoff habe ihn bei der Darstellung des Volkscharakters gezwungen, mehr ein poetisches Abstraktum vor Augen zu haben; mit einem kühnen Griffe nehme Shakespeare aus der

bedeutungsvollen Menge und Masse ein paar Figuren oder vielmehr ein paar Stimmen

heraus und lasse sie für das ganze Volk gelten, und das gelten sie wirklich, so glücklich habe er sie gewählt. Man kann dasselbe mit vollem Rechte von den Figuren in Wallensteins Lager behaupten; ja der Dichter ist offenbar in der Wahl und Zeichnung seiner Personen bewußt oder unbewußt von dieser Bemerkung über den englischen Dramatiker ausgegangen. Der Kroate, welcher sich in seiner Dummheit übertölpeln läßt und „das Sprüchel des

Pfäffleins" gläubig anhört, repräsentirt den niedrigsten Haufen des Heeres, der wie das blöde Vieh zur Schlachtbank geführt wird.

Von einem solchen Volke ist dann Jsolani, der

roheste und leichtsinnigste aller Generale Wallensteins, der würdige Anführer. Der erste Jäger, „der lange Peter aus Itzehoe", und sein Kamerad, „des Friedländers wilde Jagd",

vertreten die große Masse der Abenteurer und Glücksritter im Wallensteinschen Heere und

vergegenwärtigen also

im allgemeinen das wilde,

wüste,

unstete Kriegshandwerk der

damaligen Zeit. Daher ist dieser Stimmführer des Allgemeinen auch der Hauptsänger im Reiterliede am Ende des Stücks. Der Arkebusier, welcher dem betrügerischen Bauern das Wort spricht, weil er doch „auch ein Mensch sei, so zu sagen," der den Gehorsam gegen den Kaiser schon gefährdet glaubt und die Marketenderin nach seiner Zeche fragt, als die anderen auch nur eine gemeinschaftliche Abrede wegen einer Bittschrift treffen wollten, und von dem der Jäger sagt: „Das denkt wie ein Seifensieder," dieser Arkebusier gehört ja dem Tiefenbachschen Regimente

an, von welchem Octavio bezeugt:

„Dies Regiment ist

treu," und er spielt ganz die Rolle seines schwerfälligen und einfältigen, aber ehrlichen „deutschen Herrn". Gerade so, wie von diesem Deutschen der erste Kürassier spricht: „Schad' um die Leut'!

Sie sind sonst wackre Brüder," urtheilt Jsolani (Wallensteins Tod,

Akt 2, Sz. 5) von ihren Anführern: „Es sind nicht eben schlechte Männer."

Den Gegen­

satz zu ihm bildet der Trompeter und ist durch seine unbedingte Hingabe an Wallenstein

die Stimme der Terzkyschen Regimenter:

Landsmann,

„Aber wir halten ihn aufrecht, wir."

Sein

der breitstilige Pedant, welcher den feinen Griff und den rechten Ton „von

768

Wissenschaftliche Prosa.

deS Feldherrn Person gelernt hat," der „urkundlich" deffen Worte herzusagen weiß, der gravitätisch einen Rekruten einweiht: „Sieht Er! das hat Er wohlerwogen! Einen neuen Menschen hat Er angezogen", dieses „Befehlsbuch", welches weiter als andere sieht, der unvergleichliche Wachtmeister, ist offenbar eine Karikatur von Wallenstein selbst. Er ist

eme so individuell gezeichnete Gestalt, wie sich nicht manche mehr findet in sämmtlichen Werken Schillers. Er ahmt seinen General nach, wie Don Quijote die alte Ritterzeit.

Dann charakterisirt der Dragoner durch einen einzigen VerS: „Der Irländer folgt deS Glückes Stern" nicht allein sich selbst, sondern auch die Unzuverlässigkeit des Buttlerschen Regiments. Der erste Kürassier endlich ist aus dem Pappenheimschen Regimente, welches

der jüngere Piccolomini befehligt, und hiermit ist alles gesagt.

Er stellt die noble, edle

Der Geist des Max spricht aus ihm. Ungeachtet er seine Eltern nicht nennen kann, ist er ein Adliger unter den Gemeinen. Gleich sein Seite des damaligen Kriegslebens dar.

erstes Auftreten mit den Worten: „Friede! Was giebt's mit dem Bauern da?" und wie

er den Scharfschützen schilt, daß er sich so wegwerfen und blamiren konnte, mit einem Bauern sein Glück zu Probiren, kündigt sein geistiges Übergewicht und stolzes Ehrgefühl an, und diesen Charakter führt er auf eine herrliche Weise durch. So sind die Figuren des Stücks die Stimmführer ihrer Regimenter und die Vorbilder

ihrer Führer; aber auch ihre Nationen charakterisiren einige Soldaten.

Der zweite Scharf­

schütze sagt: „Der Tyroler dient nur dem Landesherrn." Der ebenfalls treue zweite Arkebusier ist aus der Schweiz, dem Vaterlande der Treue; der leichtsinnige erste Scharf­ schütze, der den Kroaten prellt und dagegen sich im Spiele vom Bauern betrügen läßt, ist

ein Lothringer: „Der Lothringer geht mit der großen Flut, wo der leichte Sinn ist und lustiger Muth." Wie verschieden aber die Soldaten sich auch charakterisiren, so vereinigen sich doch alle in der vollsten Anhänglichkeit an Wallenstein und in dem förmlichen Beschlusse, ihn nicht zu verlassen, welcher nur in dem stumpfen Blödsinne der Kroaten und der ängstlichen Treue

der ehrlichen Deutschen eine Grenze findet. Dieser Beschluß, eine Bittschrift zum Unter­ zeichnen in Umlauf zu bringen und einzureichen, daß die Regimenter nicht getrennt werden, ist auch die Handlung, in welcher sich die bunten Gespräche, Vorfälle, Szenen und die mancherlei Personen deS Stücks vereinigen. Eine solche Willensäußerung kann in der Sphäre, in welcher sich das Gemälde hält, füglich als die That selbst gelten, und man möchte überhaupt in einem Drama, in welchem die Ansichten und Gesinnungen, daS Trachten und

Streben der Menschen so lebendig vor die Augen gemalt sind, die Handlung nicht ver­ missen; denn diese hat ja doch eigentlich keinen andern Zweck als den, welchen der Dichter hier auch ohne Handlung im engsten und äußern Sinne des Wortes so vortrefflich erreichte. Mit dieser ernsten Angelegenheit sammelt sich daS Zerstreute zur Einheit, steigert sich die Darstellung zum Wichtigen und Großen. Schillers Natur trug alles zum Hohen empor, wie ja auch seine lyrische und epische Poesie einen vorherrschend erhabenen Charakter hat.

So entwickelt in dem letzten Auftritte der erste Kürassier, der Wallone, eine so hohe Denk­ weise, wie sie mit dem gemeinen Kriegshandwerke nur immer verträglich ist. Wallensteins Lager ist ein abgeschlossenes Bild, und daher möchte ihm, obgleich es noch einen höhern Zweck außer sich hat, der Name einer selbständigen Dichtung nicht verweigert werden

können. Wie der dem Schreibpulte entlaufene Jäger seinen Dienst wechselte, so erfahren wir eS auch von dem ersten Kürassier, daß er in der ganzen Welt sein Glück versuchte; und von der Marketenderin hören wir mit Vergnügen, wie sie „der rauhe Kriegesbesen gefegt und

geschüttelt von Ort zu Ort."

Die Gustel aus Blasewitz ist eine heitere Reminiscenz

Kunst.

769

Schillers an seinen anmuthigen Aufenthalt an dem Elbufer zu Loschwitz. Namen war nämlich die hübsche Gastwirthstochter des seiner Wohnung

Unter diesem geradeüber auf

dem jenseitigen Ufer recht einladend gelegenen Dörfchens Blasewitz in der Gegend bekannt.

Es heiratete das artige Mädchen späterhin ein angesehener und sehr geachteter Mann in

Dresden, wo sie noch vor kurzer Zeit als hochbejahrte Wittwe lebte.

Man sieht es, daß

Schiller, wenn auch scherzhafter Weise, nun die Gewohnheit Goethes nachahmte, Personen aus seiner Bekanntschaft in die Dichtung zu bringen; mußte sich doch später sogar Goethe abkonterfeien lassen!

Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß dem Dichter zur Schilderung

dieses SoldatenlebenS sein Aufenthalt in der Karlsschule zu Hülfe kam.

DaS Lager machte gleichsam eine isolirte Welt aus, wie sie Schiller in dem Johan­ niterorden auf Malta gefunden zu haben glaubte. Damit aber auch die Bezüge nach

außen anschaulich würden, ist ein ruinirter Bauer eingeführt, der sich nun aufs Betrügen legt; dann erscheint ein Bürgerssohn als Rekrut, den der jammernde Vater vergebens bei

ihm zu bleiben bittet, und endlich der Kapuziner.

Sie sind Repräsentanten des Bauern-,

Bürger- und geistlichen Standes. Überall im Stücke sind Nachrichten und Winke gegeben, welche uns mit Wallenstein und den hauptsächlichsten anderen Anführern, mit dem Zustande des Heeres, den Verhält­ Aber nichts ist gesucht und herbeigezogen; das

nissen der Zeit vorläufig bekannt machen.

Gedicht entwickelt sich wie eine Naturbegebenheit von selbst; jede Person scheint nur um ihrer selbst willen da zu sein, jedes Wort nur in sich zu gelten, und doch ist jedes Einzelne nur ein Beitrag für das Ganze, und alles zeigt gleichsam symbolisch auf einen größer«

Hintergrund hin.

Die Darstellung setzt eine außerordentliche Anschauung und die sicherste

Kenntnis der Zeit voraus und gewährt sie uns.

Da im Stücke eine Steigerung stattfindet

vom Gemeinen und Unbedeutenden bis zur höchsten Auffassung des Kriegerlebens, die sich dramatisch in den Worten des herrlichen Wallonen und lyrisch in dem Reiterliede entfaltet,

so scheidet der Zuhörer wirklich mit einer erweiterten Ansicht und gehobenen Stimmung. Aber ungeachtet das Gedicht in das Ideale ausläuft, bleibt doch die Behandlung durchweg

real.

Von Sentimentalität hat die Dichtung durchaus keine Spur.

leicht, originell.

Alles ist kräftig, heiter,

Das Drama schließt sich hinsichtlich seiner objektiven Gestaltung an die

besten Balladen an, ja eS hat vielleicht am meisten plastische Form von allem, was Schiller geschrieben hat. Man kann nicht müde werden, das Gedicht immer wieder von neuem zu

lesen und zu genießen.

Es steht in makelloser Schöne vor uns wie ein vollkommenes Na­

turprodukt und übertrifft in seiner Art die beiden nachfolgenden Stücke.

ihr Unvermögen nicht besser ein als einem solchen Meisterwerke gegenüber.

motiv des Ganzen ist die Hingebung an Wallenstein.

Die Kritik sieht DaS Grund­

Sein Geist beseelt die Personen und

das Stück selbst, und die Verehrung des Feldherrn läßt die Beschlußnahme hervortreten,

in welcher man sich zuletzt vereinigt.

c.

Aus Schillers Leben von Karl Hoffmeister.

Kun st. 1. Laokoon.

Laokoon ist eine Statue im höchsten Schmerze, nach dem Bilde eines Mannes ge­

macht, der die bewußte Stärke des Geistes gegen denselben zu sammeln sucht; und indem sein Leiden die Muskeln aufschwellet und die Nerven anzieht, tritt der mit Stärke bewaff­

nete Geist in der aufgetriebenen Stirn hervor, und die Brust erhebt sich durch den beDielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Literatur. 3. Aust.

49

Wissenschaftliche Prosa.

770

klemmten Athem und durch Zurückhaltung des Ausbruchs der Empfindung,

Schmerz in sich zu fassen und zu verschließen.

um den

Das bange Seufzen, welches er in sich, und

der Athem, den er an sich zieht, erschöpft den Unterleib und macht die Seiten hohl, welches

uns gleichsam von der Bewegung seiner Eingeweide urtheilen läßt. Sein eignes Leiden aber scheint ihn weniger zu beängstigen als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zu ihrem Vater wenden und um Hülfe schreien; denn daö väterliche Herz offenbart sich in

den wehmüthigen Augen, und daS Mitleiden scheint in einem trüben Dufte auf denselben zu schwimmen. Sein Gesicht ist klagend, aber nicht schreiend, seine Augen sind nach der höheren Hülfe gewandt.

Der Mund ist voll Wehmuth und die gesenkte Unterlippe schwer

von derselben; in der überwärts gezogenen Oberlippe aber ist dieselbe mit Schmerz ver­

mischt, welcher mit einer Regung von Unmuth wie über ein unverdientes unwürdiges Leiden in die Nase hinauf tritt, dieselbe schwülstig macht und sich in den erweiterten und aufwärts gezogenen Nüstern offenbart.

Unter der Stirn ist der Streit zwischen Schmerz

und Widerstand, wie in einem Punkte vereinigt, mit großer Weisheit gebildet; denn indem der Schmerz die Augenbrauen in die Höhe treibet, so drückt das Sträuben wider denselben daS obere Augenfleisch niederwärts und gegen das obere Augenlid zu, so daß dasselbe durch daS übergetretene Fleisch beinahe ganz bedeckt wird. Die Natur, welche der Künstler nicht verschönern konnte, hat er ausgewickelter, angestrengter und mächtiger zu zeigen gesucht; da, wohin der größte Schmerz gelegt ist, zeigt sich auch die größte Schönheit.

Die linke

Seite, in welche die Schlange mit dem wüthenden Bisse ihr Gift ausgießet, ist diejenige,

welche durch die nächste Empfindung zum Herzen am heftigsten zu leiden scheint; und dieser Theil deS Körpers kann ein Wunder der Kunst genannt werden. Seine Beine wollen sich erheben, um seinem Übel zu entrinnen; kein Theil ist in Ruhe; ja die Meißelstriche selbst helfen zur Bedeutung einer erstarrten Haut.

2. a.

Nus Dinckelmanns Geschichte der Kunst.

Aus Lessings Laokoon.

Die

Gruppe deS Laokoon.

ES giebt Kenner deS Alterthums, welche die Gruppe Laokoon zwar für ein Werk griechischer Meister, aber aus der Zeit der Kaiser halten, weil sie glauben, daß der Virgilische Laokoon dabei zum Vorbilde gedient habe. Sie fanden ohne Zweifel zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung deS Dichters eine so besondere Übereinstimmung, daß

eS ihnen unmöglich dünkte, daß beide von ungefähr auf einerlei Umstände sollten gefallen sein, die sich nichts weniger als von selbst darbieten. Dabei setzten sie voraus, daß, wenn eS auf die Ehre der Erfindung und des ersten Gedankens ankomme, die Wahrscheinlichkeit für den Dichter ungleich größer sei als für den Künstler. Nur scheinen sie vergessen zu

haben, daß ein dritter Fall möglich sei. Denn vielleicht hat der Dichter ebenso wenig dem Künstler, als der Künstler dem Dichter nachgeahmt, sondern beide haben aus einerlei ältern Quellen geschöpft.

Bewiesen oder nicht bewiesen, daß die Bildhauer dem Virgil nachgear­

beitet haben: ich will eS blos annehmen, um zu sehen, wie sie ihm sodann nachgearbeitet hätten. Über daS Geschrei habe ich mich schon erklärt. Vielleicht, daß mich die weitere

Vergleichung auf nicht weniger unterrichtende Bemerkungen leitet. Der Einfall, den Vater mit seinen beiden Söhnen durch die mörderischen Schlangen in einen Knoten zu schürzen, ist ohnstreitig ein sehr glücklicher Einfall, der von einer un­

gemein malerischen Phantasie zeugt.

Wem gehört er? dem Dichter oder den Künstlern?

Der Dichter hat die Schlangen von einer wunderbaren Länge geschildert.

Sie haben die

Kunst.

771

Knaben umstrickt, und da der Vater ihnen zu Hülfe kommt, ergreifen sie auch ihn.

Nach

ihrer Größe konnten sie sich nicht auf einmal von den Knaben loswinden; es mußte also

einen Augenblick geben, da sie den Vater mit ihren Köpfen und Vordertheilen schon an­

gefallen hatten und mit ihren Hintertheilen die Knaben noch verschlungen hielten. Dieser Anblick ist in der Fortschreitung des poetischen Gemäldes nothwendig; der Dichter läßt ihn empfinden; nur ihn auszumalen, dazu war jetzt die Zeit nicht.

Daß ihn die alten

Ausleger auch wirklich empfunden haben, scheint eine Stelle des Donatus zu bezeugen.

Wie viel weniger wird er den Künstlern entwischt sein, in deren verständiges Auge alles, was ihnen Vortheilhaft werden kann, so schnell und deutlich einleuchtet?

In den Win­

dungen selbst, mit welchen der Dichter die Schlangen um den Laokoon führt, vermeidet er sorgfältig die Arme, um den Händen alle ihre Wirksamkeit zu lassen. Hierin mußten ihm die Künstler nothwendig folgen. Nichts giebt mehr Ausdruck und Leben als die Bewegung

der Hände; im Affekte besonders ist das sprechendste Gesicht ohne sie unbedeutend.

Arme,

durch die Ringe der Schlangen fest an den Körper geschlossen, würden Frost und Tod über die ganze Gruppe verbreitet haben. Also sehen wir sie an der Hauptfigur sowohl, als an den Nebenfiguren in völliger Thätigkeit und da am meisten beschäftigt, wo gegenwärtig der

heftigste Schmerz ist.

Weiter aber auch nichts als diese Freiheit der Arme fanden die Künstler zuträglich

in Ansehung der Verstrickung der Schlangen von dem Dichter zu entlehnen.

Virgil läßt

die Schlangen doppelt um den Leib und doppelt um den Hals des Laokoon sich winden und

hoch mit ihren Köpfen über ihn hinausragen.

Dieses Bild füllt unsere Einbildungskraft

vortrefflich; die edelsten Theile sind bis zum Ersticken gepreßt, und das Gift geht gerade nach dem Gesichte. Dessenungeachtet war es kein Bild für Künstler, welche die Wirkungen des Giftes und des Schmerzes in dem Körper zeigen wollten; denn um diese bemerken zu

können, mußten die Haupttheile so frei sein als möglich, und durchaus mußte kein äußerer

Druck auf sie wirken, welcher das Spiel der leidenden Nerven und arbeitenden Muskeln verändern und schwächen könnte.

Die doppelten Windungen der Schlangen würden den

ganzen Leib verdeckt haben, und jene schmerzliche Einziehung des Unterleibes, welche so sehr ausdrückend ist, würde unsichtbar geblieben sein.

Was man über oder unter oder zwischen

den Windungen von dem Leibe noch erblickt hätte, würde unter Pressungen und Aufschwel­ lungen erschienen sein, die nicht von dem innern Schmerze, sondern von der äußern Last

gewirkt worden.

Der eben so oft umschlungene Hals würde die pyramidalische Zuspitzung

der Gruppe, welche dem Auge so angenehm ist, gänzlich verdorben haben; und die aus

dieser Wulst ins Freie hinausragenden spitzen Schlangenköpfe hätten einen so plötzlichen Abfall von Mensur gemacht, daß die Form des Ganzen äußerst anstößig geworden wäre. Es giebt Zeichner, welche unverständig genug gewesen sind, sich dessenungeachtet an den Dichter zu binden. Was denn aber auch daraus geworden, läßt sich unter anderm aus einem Blatte des Franz Clehn mit Abscheu erkennen. Die alten Bildhauer übersahen es mit einem Blicke, daß ihre Kunst hier eine gänzliche Abänderung erforderte.

alle Windungen von dem Leibe und Halse um die Schenkel und Füße.

Sie verlegten

Hier konnten diese

Windungen dem Ausdrucke unbeschadet so viel decken und Pressen, als nöthig war.

Hier

erregten sie zugleich die Idee der gehemmten Flucht und einer Art von Unbeweglichkeit, die der künstlichen Fortdauer des nämlichen Zustandes sehr Vortheilhaft ist. Ich weiß nicht, wie es gekommen, daß die Kunstrichter diese Verschiedenheit, welche

sich in den Windungen der Schlangen zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters so deutlich zeigt, gänzlich mit Stillschweigen übergangen haben. Sie erhebt die Weisheit der Künstler eben so sehr als die andere, auf die sie alle fallen, die sie aber nicht

49 *

Wissenschaftliche Prosa.

-72

sowohl anzupreisen wagen, als vielmehr nur zu entschuldigen suchen. Ich meine die Ver­ schiedenheit in der Bekleidung. Virgils Laokoon ist in seinem priesterlichen Ornate, und in der Gruppe erscheint er mit seinen beiden Söhnen völlig nackend. Man sagt, es gebe Leute, welche eine große Ungereimtheit darin fänden, daß ein Königssohn, ein Priester bei einem Opfer nackend vorgestellt werde. Und diesen Leuten antworten Kenner der Kunst in allem Ernste, daß es allerdings ein Fehler wider daS Übliche sei, daß aber die Künstler dazu gezwungen worden, weil sie ihren Figuren keine anständige Kleidung geben können.

Die Bildhauerei, sagen sie, könne keine Stoffe nachahmen; dicke Falten machten eine üble Wirkung; aus zwei Unbequemlichkeiten habe man also die geringste wählen und lieber gegen die Wahrheit selbst verstoßen, als in den Gewändern tadelhaft werden müssen.

Wenn die

alten Artisten bei dem Einwurfe lachen würden, so weiß ich nicht, was sie zu der Beant­

wortung sagen dürften.

Man kann die Kunst nicht tiefer herabsetzen, als es dadurch ge­

schieht. Denn gesetzt, die Skulptur könnte die verschiedenen Stoffe eben so gut nachahmen als die Malerei: würde sodann Laokoon nothwendig bekleidet sein müssen? würden wir unter dieser Bekleidung nichts verlieren? Hat ein Gewand, daS Werk sklavischer Hände, eben so viel Schönheit als daS Werk der ewigen Weisheit, ein organisirter Körper?

Er­

fordert eS einerlei Fähigkeiten, ist es einerlei Verdienst, bringt es einerlei Ehre, jenes oder diesen nachzuahmen? Wollen unsere Augen nur getäuscht sein, und ist es ihnen gleichviel, womit sie getäuscht werden? Bei dem Dichter ist ein Gewand kein Gewand, es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft sieht überall hindurch, Laokoon habe eS bei dem Virgil

oder habe eS nicht; fein Leben ist ihr an jedem Theile seines Körpers einmal so sichtbar, wie das andere. Die Stirne ist mit der priesterlichen Binde für sie umbunden, aber nicht umhüllt. Ja sie hindert nicht allein nicht, diese Binde, sie verstärkt auch noch den Begriff, den wir uns von dem Unglücke deS Leidenden machen. Nichts hilft ihm seine priesterliche

Würde, selbst das Zeichen derselben, das ihm überall Ansehn und Verehrung verschafft, wird von dem giftigen Geifer durchnetzt und entheiligt. Aber diesen Nebenbegriff mußte der Artist aufgeben, wenn das Hauptwerk nicht leiden sollte. Hätte er dem Laokoon auch nur diese Binde gelassen, so würde er den Ausdruck um ein großes geschwächt haben. Die Stirne wäre zum Theil verdeckt worden, und die Stirne ist der Sitz des Ausdrucks. Wie er also dort, bei dem Schreien, den Ausdruck der Schönheit aufopferte, so opferte er hier das Übliche dem Ausdrucke auf. Überhaupt war daS Übliche bei den Alten eine sehr geringschätzige Sache. Sie fühlten, daß die höchste

Bestimmung ihrer Kunst sie auf die völlige Entbehrung desselben führte. Schönheit ist diese höchste Bestimmung; Noth erfand die Kleider, und was hat die Kunst mit der Noth zu thun? Ich gebe eS zu, daß eS auch eine Schönheit der Bekleidung giebt; aber was ist sie gegen die Schönheit der menschlichen Form? Und wird der, der das Größere erreichen kann, sich mit dem Kleinern begnügen? Ich fürchte sehr, der vollkommenste Meister in

Gewändern zeigt durch diese Geschicklichkeit selbst, woran eS ihm fehlt.

b.

Über homerische Gemälde.

Wenn HomerS Werke gänzlich verloren wären, wenn wir von seiner Ilias und Odyssee nichts übrig hätten als eine ähnliche Folge von Gemälden, dergleichen Cahlus daraus vor­

geschlagen: würden wir wohl aus diesen Gemälden, sie sollen aus der Hand deS voll­ kommensten Meisters sein, ich will nicht sagen, von dem ganzen Dichter, sondern blos von seinem malerischen Talente uns den Begriff bilden können, den wir jetzt von ihm haben? Man mache einen Versuch mit dem ersten dem besten Stücke.

Es sei das Gemälde der

Kunst. Pest (II. I. 44—53).

773

Was erblicken wir auf der Fläche deS Künstlers? Todte Leichname,

brennende Scheiterhaufen, Sterbende mit Gestorbenen beschäftigt, den erzürnten Gott auf einer Wolke, seine Pfeile abdrückend. Der größte Reichthum dieses Gemäldes ist Armuth des Dichters. Denn sollte man den Homer aus diesem Gemälde wieder herstellen, waS

könnte man ihn sagen lassen: „Hierauf ergrimmte Apollo und schoß seine Pfeile unter daS Heer der Griechen. Viele Griechen starben, und ihre Leicheu wurden verbrannt." Nun lese man den Homer selbst. So weit das Leben über das Gemälde ist, so weit ist der Dichter hier über den Maler. Ergrimmt, mit Bogen und Köcher steigt Apollo von den Zinnen des Olympus. Ich sehe ihn nicht allein herabsteigen, ich. höre ihn. Mit jedem Tritte erklingen die Pfeile um die Schultern des Zornigen. Nacht.

Er geht einher gleich der

Nun sitzt er gegen den Schiffen über und schnellt (fürchterlich erklingt der silberne

Bogen) den ersten Pfeil auf die Maulthiere und Hunde.

Sodann faßt er mit dem giftigeren

Pfeile die Menschen selbst; und überall lodern unaufhörlich Holzstöße mit Leichnamen. Es ist unmöglich, die musikalische Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören laffen, in

eine andere Sprache überzutragen. Es ist ebenso unmöglich, sie aus dem materiellen Ge­ mälde zu vermuthen, ob sie schon nur der allerkleinste Vorzug ist, den das poetische Gemälde vor selbigem hat.

Der Hauptvorzug ist dieser, daß unö der Dichter zu dem, was das

materielle Gemälde auS ihm zeigt, durch eine ganze Galerie von Gemälden führt.

Aber vielleicht ist die Pest kein 'vortheilhafter Vorwurf für die Malerei.

Hier ist

ein anderer, der mehr Reize für das Auge hat, die rathpflegenden, trinkenden Götter

(II. IV. 1—4). Ein goldener, offener Palast, willkürliche Gruppen der schönsten und verehrungswürdigsten Gestalten, den Pokal in der Hand, von Hebe, der ewigen Jugend, bedient. Welche Architektur, welche Massen von Licht und Schatten, welche Kontraste,

welche Mannigfaltigkeit deö Ausdrucks!

Wo fange ich an, wo höre ich auf, mein Auge zu

weiden? Wenn mich der Maler so bezaubert, wie vielmehr wird es der Dichter thun? Ich schlage ihn auf, und ich finde mich betrogen. Ich finde vier gute, plane Zeilen, die zur Unterschrift eines Gemäldes dienen können, in welchen der Stoff zu einem Gemälde

liegt, aber die selbst kein Geniälde sind. Das würde ein Apollonius oder ein noch mittelmäßigerer Dichter nicht schlechter gesagt haben; und Homer bleibt hier eben so weit unter dem Maler, wie der Maler dort unter ihm blieb. Noch dazu findet Caylus in dem ganzen vierten Buche der JliaS sonst kein einziges Gemälde als nur eben in diesen vier Zeilen. So sehr sich, sagt er, das vierte Buch durch die mannigfaltigen Ermunterungen zmn Angriffe, durch die Fruchtbarkeit glänzender und abfechender Charaktere und durch die Kunst ausnimmt, mit welcher unö der Dichter die Mmge, die er in Bewegung setzen will, zeigt: so ist es doch für die Malerei gänzlich un^ brauchbar. Er hätte dazu setzen können: so reich es sonst auch an dem ist, was man poetische Gemälde nennt. Denn, wahrlich, es kommen deren in dem vierten Buche so härfige und so vollkommene vor als nur in irgend einem andern. Wo ist ein ausgeführteres, täuschenderes Gemälde als das vom Pandarus, wie er auf Anreizen der Minerva den

Wcsfenstillstand bricht und seinen Pfeil auf den Menelaus losdrückt;

als

das von dem

Arrücken des griechischen HeereS; als daö von dem beiderseitigen Angriffe; als daS von der Thrt des Ulysses, durch die er den Tod seines Leukus rächt? Was folgt aber hieraus, daß nickt wenige der schönsten Gemälde deS Homer kein Gemälde für den Artisten geben; daß

der Artist Gemälde aus ihm ziehen kann, wo er selbst keine hat; daß die, welche er hat uni der Artist gebrauchen kann, nur sehr armselige Gemälde sein würden, wenn sie nicht

me)r zeigten, als der Artist zeigt? waS sonst als die Verneinung meiner obigen Frage? Dcß aus den materiellen Gemälden, zu welchen die Gedichte des Homer Stoff geben,

Wissenschaftliche Prosa.

774

wenn ihrer auch noch so viele, wenn sie auch noch so vortrefflich wären, sich dennoch auf daS malerische Talent des Dichters nicht schließen läßt. Ist dem aber so, und kann ein Gedicht sehr ergiebig für den Maler, dennoch aber

selbst nicht malerisch, hinwiederum ein anderes sehr malerisch und dennoch nicht ergiebig für den Maler sein: so ist es auch um den Einfall des Grafen Caylus gethan, welcher die Brauchbarkeit für den Maler zum Probirsteine der Dichter machen und ihre Rangordnung

nach der Anzahl der Gemälde, die sie dem Artisten darbieten, bestimmen wollen. Fern sei eS, diesen Einfall auch nur durch unser Stillschweigen das Ansehn einer Regel gewinnen zu lassen. Milton würde als das erste unschuldige Opfer derselben fallen. Denn eS scheint wirklich, daß das verächtliche Urtheil, welches Caylus über ihn spricht, nicht

sowohl Nationalgeschmack, als eine Folge seiner vermeinten Regel gewesen. Der Verlust des Gesichts, sagt er, mag wohl die größte Ähnlichkeit sein, die Milton mit dem Homer gehabt hat.

Freilich kann Milton keine Galerien füllen.

Aber müßte, so lange ich das leibliche

Auge hätte, die Sphäre desselben auch die Sphäre meines innern Auges sein, so würde ich, um von dieser Einschränkung frei zu werden, einen großen Werth auf den Verlust des erstem legen.

Das verlorne Paradies ist darum nicht weniger die erste Epopöe nach dem

Homer, weil es wenig Gemälde liefert, als die Leidensgeschichte Christi deswegen ein Poem ist, weil man kaum den Kopf einer Nadel in sie setzen kann, ohne auf eine Stelle zu treffen, die nicht eine Menge der größten Artisten beschäftigt hätte. Die Evangelisten erzählen das Faktum mit aller möglichen trockenen Einfalt, und der Artist nutzt die mannigfaltigen Theile desselben, ohne daß sie ihrerseits den geringsten Funken von malerischem Genie gezeigt haben.

Es giebt malbare und unmalbare Fakta, und der Geschichtschreiber kann die malbarsten eben so unmalerisch erzählen, als der Dichter die unmalbarsten malerisch darzustellen vermögend

ist. Man läßt sich blos von der Zweideutigkeit des Wortes verführen, wenn man die Sache anders nimmt. Ein poetisches Gemälde ist nicht nothwendig das, was in ein materielles Gemälde zu verwandeln ist; sondern jeder Zug, jede Verbindung mehrerer

Züge, durch die uns der Dichter seinen Gegenstand so sinnlich macht, daß wir unS dieses Gegenstandes deutlicher bewußt werden als seiner Worte, heißt malerisch, heißt ein Ge­ mälde, weil es uns dem Grade der Illusion näher bringt, dessen daS materielle Gemälde

besonders fähig ist, der sich von dem materiellen Gemälde am ersten und leichtesten abstrahiren läßt. Nun kann der Dichter zu diesem Grade der Illusion, wie die Erfahrung zeigt, auch die Vorstellungen anderer als sichtbarer Gegenstände erheben. Folglich müssen nothwendig

dem Artisten ganze Klaffen von Gemälden abgehen, die der Dichter vor ihm im voraus hat.

Drydens Ode auf den Cäcilientag ist voller musikalischer Gemälde, die den Pinsel müßig lassen. Doch ich will mich in dergleichen Exempel nicht verlieren, aus welchen man am Ende doch nicht mehr lernt, als daß die Farben keine Töne und die Ohren keine Augen sind.

Ich will bei den Gemälden blos sichtbarer Gegenstände stehen bleiben, die dem Dichter und Maler gemein sind. Woran liegt es, daß manche poetische Gemälde von dieser Art für den Maler unbrauchbar sind und hinwiederum manche eigentliche Gemälde unter der Behandlung des Dichters den größten Theil ihrer Wirkung verlieren? Exempel mögen mich leiten. Ich wiederhole es: das Gemälde des Pandarus im vierten

Buche der Ilias ist eines von den ausgeführtesten, täuschendsten im ganzen Homer.

Von

dem Ergreifen des Bogens bis zum Fluge des PfeileS ist jeder Augenblick gemalt, und alle

diese Augenblicke sind so nahe und doch so unterschieden angenommen, daß, wenn man nicht

wüßte, wie mit dem Bogen umzugehen wäre, man es aus diesem Gemälde allein lernen könnte (II. IV. 105 ff.).

Pandarus zieht seinen Bogen hervor, legt die Sehne an, öffnet

Kunst.

775

den Köcher, wählt einen noch ungebrauchten, wohlbefiederten Pfeil, setzt den Pfeil an die

Sehne, zieht die Sehne sammt dem Pfeile unten an dem Einschnitte zurück, die Sehne naht

sich der Brust, die eiserne Spitze des Pfeiles dem Bogen, der große,

gerundete Bogen

schlägt tönend aus einander, die Sehne schwirrt, ab sprang der Pfeil, und gierig fliegt er

nach seinem Ziele. Übersehen kann Caylus dieses treffliche Gemälde nicht haben.

Was fand

darin, warum er es für unfähig achtete, seinen Artisten zu beschäftigen?

er also

Und was war es,

warum ihm die Versammlung der rathpflegenden, zechenden Götter zu dieser Absicht taug­

licher dünkte?

Hier sowohl als dort sind sichtbare Vorwürfe, und was braucht der Maler

mehr als sichtbare Vorwürfe, um seine Fläche zu füllen? Der Knoten muß dieser sein. Obschon beide Vorwürfe als sichtbar der eigentlichen Malerei ganz fähig sind, so findet sich

doch dieser wesentliche Unterschied unter ihnen, daß jener

eine sichtbare,

fortschreitende

Handlung ist, deren verschiedene Theile sich nach und nach in der Folge der Zeit ereignen, diese hingegen eine sichtbare, stehende Handlung, deren verschiedene Theile sich neben ein­

ander im Raume entwickeln.

Wenn nun aber die Malerei vermöge ihrer Zeichen oder

der Mittel ihrer Nachahmung, die sie nur im Raume verbinden kann, der Zeit gänzlich

entsagen muß: so können fortschreitende Handlungen als fortschreitend unter ihre Gegen­ stände nicht gehören; sondern sie muß sich mit Handlungen neben einander oder mit bloßen Körpern, die durch ihre Stellungen eine Handlung vermuthen lassen, begnügen.

Die Poesie

hingegen --------Doch ich will versuchen, die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten.

so.

Ich schließe

Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder

Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber arükulirte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu

dem Bezeichneten haben müssen:

so können neben einander geordnete Zeichen auch nur

Gegenstände, die neben einander oder deren Theile neben einander existiren, auf einander

folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander oder deren Theile auf einander folgen. Gegenstände, die neben einander oder deren Theile neben einander existiren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigent­

lichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, welche auf einander oder deren Theile auf einander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche

Gegenstand der Poesie. Doch alle Körper existiren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit.

Sie

dauern fort und können in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen und in anderer Verbindung stehen.

Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die

Wirkung einer vorhergehenden und kann die Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein.

Folglich kann die Malerei auch Handlungen nach­

ahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper.

Auf der andern Seite können Handlungen

nicht für sich selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen anhangen.

Insofern nun diese

Wesen Körper sind oder als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.

Die Malerei kann in ihren koexistirenden Kom­

positionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen und muß daher den präg­ nantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird.

Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen und muß daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erweckt, von welcher sie ihn braucht. Hieraus fließt die Regel von der Einheit der malerischen Beiwörter und der Spar-

776

Wissenschaftliche Prosa.

samkeit in den Schilderungen körperlicher Gegenstände.

Ich würde in diese trockene Schluß­

kette weniger Vertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homer vollkommen bestätigt fände, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis deS Homer selbst wäre, die mich Nur aus diesen Grundsätzen läßt sich die große Manier des Grie­ chen bestimmen und erklären, so wie der entgegengesetzten Manier so vieler neuern Dichter

darauf gebracht hätte.

ihr Recht ertheilen, die in einem Stücke mit dem Maler wetteifern wollen, in welchen sie

nothwendig von ihm überwunden werden müssen. Ich finde, Homer malt nichts als fort­ schreitende Handlungen, und alle Körper, alle einzelnen Dinge malt er nur durch ihren

Antheil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit einem Zuge. Was Wunder also, daß der Maler da, wo Homer malt, wenig oder nichts für sich zu thun sieht, und daß seine Ernte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schöner Körper in schönen Stellungen in einem der Kunst vortheilhaften Raume zusammenbringt, der Dichter selbst mag diese Kör­

per, diese Stellungen, diesen Raum so wenig malen, als er will?

Man gehe die Folge

der Gemälde, wie sie Caylus aus ihm vorschlägt, Stück vor Stück durch, und man wird in jedem den Beweis von dieser Anmerkung finden. Ich laste also hier den Grafen, der den Farbenstein deS Malers zum Probirsteine des Dichters machen will, um die Manier deS Homer näher zu erklären.

Für ein Ding, sage ich, hat Homer gemeiniglich nur einen Zug. Ein Schiff ist ihm bald daS schwarze Schiff, bald das hohle Schiff, bald das schnelle Schiff, höchstens das wohlberuderte schwarze Schiff.

Weiter läßt er sich in die Malerei des Schiffes nicht ein.

Aber wohl das Schiffen, das Abfahren, das Anlanden des Schiffes macht er zu einem

ausführlichen Gemälde, zu einem Gemälde, aus welchem der Maler fünf, sechs besondere Gemälde machen müßte, wenn er es ganz auf seine Leinwand bringen wollte. Zwingen

den Homer ja besondere Umstände, unsern Blick auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand

länger zu heften, so wird demohngeachtet kein Gemälde daraus, dem der Maler mit dem Pinsel folgen könnte; sondern er weiß durch unzählige Kunstgriffe diesen einzelnen Gegen­ stand in eine Folge von Augenblicken zu setzen, in deren jedem er anders erscheint, und in deren letztem ihn der Maler erwarten muß, um unö entstanden zu zeigen, was wir bei dem Dichter entstehen sehen. Zum Exempel: Will Homer uns den Wagen der Juno sehen taffen, so muß ihn Hebe vor unsern Augen Stück vor Stück zusammensetzen. Wir sehen die Räder, die Achsen, den Sitz, die Deichsel und dtiemen und Stränge, nicht sowohl, wie eS

beisammen ist, als wie eS unter den Händen der Hebe zusammenkömmt. Auf die Räder allein verwendet der Dichter mehr als einen Zug und weist uns die ehernen acht Speichen, die goldenen Felgen, die Schienen von Erz, die silberne Nabe, alles insbesondere. Man sollte sagen: da der Räder mehr als eines war, so mußte in der Beschreibung ebenso viel Zeit mehr auf sie gehen, als ihre besondere Anlegung deren in der Natur mehr erforderte (II. V. 722—731). Will unö Homer zeigen, wie Agamemnon gekleidet gewesen, so muß sich der König vor unsern Augen seine völlige Kleidung Stück vor Stück umthun: das weiche

Unterkleid, den großen Mantel, die schönen Halbstiefeln, den Degen; und so ist er fertig und ergreift das Szepter. Wir sehen die Kleider, indem der Dichter die Handlung des Bekleidens malt: ein anderer würde die Kleider bis auf die geringste Franze gemalt haben, und von der Handlung hätten wir nichts zu sehen bekommen (II. II. 43—47). Und wenn wir von diesem Szepter, welches hier blos das väterliche, unvergängliche Szepter heißt, so wie ein ähnliches ihm an einem andern Orte blos xQiadoiQ fjXotoi ntnaQj.uvov, daö

mit goldenen Stiften beschlagene Szepter, ist, wenn wir, sage ich, von diesem wichtigen Szepter ein vollständigeres, genaueres Bild haben sollen: was thut sodann Homer? malt

er uns außer den goldenen Nägeln nun auch das Holz, den geschnitzten Knopf? Ja, wenn

Kunst.

777

die Beschreibung in eine Heraldik sollte, damit einmal in den folgenden Zeiten ein anderes

genau darnach gemacht werden könne.

Und doch bin ich gewiß, daß mancher neuere Dichter

eine solche Wappenkönigs-Beschreibung daraus würde gemacht haben in der treuherzigen Meinung, daß er wirklich selber gemalt habe, weil der Maler ihm nachmalen kann. Was bekümmert sich aber Homer, wie weit er den Maler hinter sich läßt? Statt einer Abbildung giebt er uns die Geschichte des Szepters: erst ist es unter der Arbeit des Vulkan; nun glänzt es in den Händen des Jupiter; nun bewirkt es die Würde Merkurs; nun ist es der Kommandostab des kriegerischen Pelops, nun der Hirtenstab des friedlichen Atreus u. s. w.

(II. II. 101—108). So kenne ich endlich dieses Szepter besser, als mir es der Maler vor Augen legen oder ein zweiter Vulkan in die Hände liefern könnte. Es würde mich nicht befremden, wenn ich fände, daß einer von den alten Auslegern des Homer diese Stelle

als die vollkommenste Allegorie von dem Ursprünge, dem Fortgänge, der Befestigung und

unendlichen Beerbfolgung der königlichen Gewalt unter den Menschen bewundert hätte. Ich würde zwar lächeln, wenn ich läse, daß Vulkan, welcher das Szepter gearbeitet, als das Feuer, als das, was dem Menschen zu seiner Erhaltung das Unentbehrlichste ist, die Ab­

stellung der Bedürfnisse überhaupt anzeige, welche die ersten Menschen, sich einem Einzigen zu unterwerfen, bewogen; daß der erste König ein Sohn der Zeit (Zevq Kgovluv), ein ehrwürdiger Alter gewesen sei, welcher seine Macht mit einem beredten, klugen Manne, mit einem Merkur (tiiaxTÖga)

theilen oder gänzlich auf ihn übertragen wollen;

daß der kluge Redner zur Zeit, als der junge Staat von auswärtigen Feinden bedroht worden, seine oberste Gewalt dem tapfersten Krieger (Jlllom nXrs£t7inw) überlassen habe;

daß der tapfere Krieger, nachdem er die Feinde gedämpft und das Reich gesichert, es seinem Sohne in die Hände spielen können, welcher als ein friedliebender Regent, als ein wohl­ thätiger Hirte seiner Völker (noi/Lrrjv Xawv), sie mit Wohlleben und Überfluß bekannt

gemacht habe, wodurch nach seinem Tode dem reichsten seiner Anverwandten (nolvagvi

QvtoTrfi der Weg gebahnt worden, das, was bisher das Vertrauen ertheilt und das Ver­ dienst mehr für eine Bürde als Würde gehalten hatte, durch Geschenk und Bestechungen an

sich zu bringen und es hernach als ein gleichsam erkauftes Gut seiner Familie auf immer zu versichern. Ich würde lächeln, ich würde aber demohngeachtet in meiner Achtung für den

Dichter bestärkt werden, dem man so vieles leihen kann.

Doch dieses liegt außer meinem

Wege, und ich betrachte jetzt die Geschichte des Szepters blos als einen Kunstgriff, uns bei einem einzelnen Dinge verweilen zu machen, ohne sich in die frostige Beschreibung seiner Theile einzulassen.

Auch wenn Achilles bei seinem Szepter schwört, die Geringschätzung,

mit welcher ihm Agamemnon begegnet, zu rächen, giebt uns Homer die Geschichte dieses

Szepters.

Wir sehen ihn auf den Bergen grünen, das Eisen trennt ihn vom Stamme,

entblättert und entrindet ihn und macht ihn bequem, den Richtern des Volks zum Zeichen ihrer göttlichen Würde zu dienen (II. I. 234—239).

Dem Homer war nicht sowohl daran

gelegen, zwei Stäbe von verschiedener Materie und Figur zu schildern, als uns von der Verschiedenheit der Macht, deren Zeichen diese Stäbe waren, ein sinnliches Bild zu machen.

Jener ein Werk des Vulkan, dieser von einer unbekannten Hand auf den Bergen ge­

schnitten; jener der alte Besitz eines edlen Hauses, dieser bestimmt, die erste die beste Faust zu füllen; jener von einem Monarchen über viele Inseln und über ganz Argos erstreckt, dieser

von einem aus dem Mittel der Griechen geführt, dem man nebst andern die Bewahrung der Gesetze anvertraut hatte. Dieses war wirklich der Abstand, in welchem sich Agamemnon und Achill von einander befanden, ein Abstand, den Achill selbst bei allem seinem blinden

Zorne einzugestehen nicht umhin konnte. Doch nicht blos da, wo Homer mit seinen Beschreibungen dergleichen weitere Ab-

Wissenschaftliche Prosa.

778

sichten verbindet, sondern auch da, wo es ihm um das bloße Bild zu thun ist, wird er dieses Bild in eine Art von Geschichte des Gegenstandes verstreuen, um die Theile des­

selben, die wir in der Natur neben einander sehen, in seinem Gemälde ebenso natürlich auf einander folgen und mit dem Schluß der Rede gleichsam Schritt halten zu lasten. Z. E. er will uns den Bogen des PandaruS malen: einen Bogen von Horn von der und

der Länge, wohl polirt und an beiden Seiten mit Goldblech beschlagen. Was thut er? Zählt er uns diese Eigenschaften so trocken eine nach der andern vor? Mit Nichten; das

würde einen solchen Bogen angeben, vorschreiben, aber nicht malen heißen. Er fängt mit der Jagd des Steinbocks an, aus desten Hörnern der Bogen gemacht worden; Pandarus hat

ihm in den Felsen aufgepaßt und ihn erlegt; die Hörner waren von außerordentlicher Größe, deswegen bestimmte er sie zu einem Bogen; sie kommen in die Arbeit, der Künstler verbindet sie, polirt sie, beschlägt sie. Und so, wie gesagt, sehen wir bei dem Dichter ent­ stehen, was wir bei dem Maler entstanden sehen können (II. IV. 105—111). Ich würde nicht fertig werden, wenn ich alle Exempel dieser Art ausschreiben wollte. Sie werden jedem, der seinen Homer inne hat, in Menge beifallen.

d.

Naturwissenschaft.

1.

Der gestirnte Himmel.

Die gruppenweise so mannigfaltigen Ortsveränderungen der Gestirne, nicht die parallaktischen, der Ortsveränderung des Beobachters unterworfenen, sondern die wirklichen, im Weltraum unausgesetzt fortschreitenden, offenbaren uns auf das unwidersprechlichste

durch eine Klaffe von Erscheinungen, durch die Bewegungen der Doppelsterne, durch das Maß ihrer langsameren oder schnelleren Bewegung in verschiedenen Theilen ihrer elliptischen Bahnen das Wallen der GravitatienSgesetze auch jenseits unsers Sonnensystems, in den fernsten Regionen der Schöpfung. Die menschliche Neugier braucht nicht mehr auf diesem Felde in unbestimmten Vermuthungen, in der ungemestenen Ideenwelt der Analogieen Be­

friedigung zu suchen.

Sie ist durch die Fortschritte der beobachtenden und rechnenden

Astronomie endlich auch hier auf sicheren Boden gelangt. Es ist nicht sowohl die Erstaunen erregende Zahl der bereits aufgefundenen, um einen außer ihnen liegenden Schwerpunkt kreisenden, doppelten und vielfachen Sterne (an 2800 bis zum Jahre 1837); es sind die Erweiterung unseres Mistens von den Grundkrästeu der ganzen Körperwelt, die Beweise von der allverbreiteten Herrschaft der Mastenanziehung, welche zu den glänzendsten Ent­ deckungen nuferer Epoche gehören. Die Umlaufszeit zweifarbiger Deppelsterne bietet die

mannigfaltigsten Unterschiede dar; sie erstrecken sich von 43 Jahren, wie in 77 der Krone, bis zu mehreren Tausenden, wie bei 66 deö Walfisches, 38 der Zwillinge und 100 der Fische. Seit Herschels Mestungen im Jahr 1782 hat in dem dreifachen Systeme von £

des Krebses der nähere Begleiter nun schon mehr als einen vollen Umlauf zurückgelegt. Durch geschickte Kombination der veränderten Distanzen und Positionswinkel werden die

Elemente der Bahnen gefunden, ja Schlüffe über die absolute Entfernung der Doppelsterne von der Erde und die Vergleichung ihrer Maste mit der Maste der Sonne gezogen. Ob aber hier und in unserm Sonnensystem die Quantität der Materie das alleinige Maß der anziehenden Kräfte sei, oder ob nicht zugleich spezifische, nicht der Maste proportionale Attraktionen wirksam sein können, wie Beste! zuerst erwiesen hat, ist eine Frage, deren faktische Lösung der späteren Zukunft vorbehalten bleibt.

Naturwissenschaft.

779

Wenn wir in der linsenförmigen Sternenschicht, zu der wir gehören, unsre Sonne mit den andern sogenannten Fixsternen, also mit anderen selbstleuchtenden Sonnen, ver­

gleichen, so finden wir wenigstens bei einigen derselben Wege eröffnet, welche annäherungs­ weise innerhalb gewisser äußerster Grenzen zu der Kenntnis ihrer Entfernung, ihreBolumS, ihrer Masse und der Geschwindigkeit der OrtSveränderung leiten können.

Nehmen

wir die Entfernung des Uranus von der Sonne zu 19 Erdweiten, d. h. zu 19 Abständen der Sonne von der Erde, an, so ist der Zentralkörper unsres Planetensystems vom Sterne

a int Sternbilde des Zentauren 11900, von 61 im Sternbilde des Schwans fast 31300, von « im Sternbilde der Leier 41600 Uranusweiten entfernt. Die Vergleichung deS Volums der Sonne mit dem Volum der Fixsterne erster Größe ist von einem äußerst unsichern optischen Elemente, dem scheinbaren Durchmesser der Fixsterne, abhängig.

Nimmt

man nun mit Herschel den scheinbaren Durchmesser des Arkturus auch nur zum zehnten

Theil einer Sekunde an, so ergiebt sich daraus doch der wirkliche Durchmesser dieses Sterns

noch elfmal größer als der der Sonne.

Die durch Bessel bekannt gewordene Entfernung

deS 61. Sterns des Schwans hat annäherungsweise zu der Kenntnis der Menge von kör­

perlichen Theilen geführt, welche derselbe als Doppelstern enthält.

Ohnerachtet seit Bradleys

Beobachtungen der durchlaufene Theil der scheinbaren Bahn noch nicht groß genug ist, um daraus mit Genauigkeit auf die wahre Bahn und den größten Halbmesser derselben schließen zu können, so ist es doch dem großen Königsberger Astronomen wahrscheinlich geworden,

„daß die Masse jenes Doppelsterns nicht beträchtlich kleiner oder größer ist als die Hälfte der Masse unsrer Sonne." Dieö ist das Resultat einer wirklichen Messung. Analogieen, welche von der größeren Masse der mondenbegleiteten Planeten unsres Sonnensystems und von der Thatsache hergenommen werden, daß Struve sechsmal mehr Doppelsterne unter den helleren Fixsternen als unter den teleskopischen findet, haben andere Astronomen vermuthen lassen, daß die Masse der größeren Zahl der Sternenpaare im Durchschnitt die

Sonnenmasse übertrifft. Allgemeine Resultate sind bier noch lange nicht zu erlangen. In Bezug auf eigene Bewegung im Welträume gehört unsre Sonne nach Argelander in die Klasse der stark bewegten Fixsterne. Der Anblick des gestirnten Himmels, die relative Lage der Sterne und Nebelflecke,

wie die Vertheilung ihrer Lichtmassen, die landschaftliche Anmuth des ganzen Firmaments, wenn ich mich eines solchen Ausdrucks bedienen darf, hangen im Lauf der Jahrtausende

gleichmäßig ab von der eigenen wirklichen Bewegung der Gestirne und Lichtnebel, von der Translation unsres Sonnensystems im Welträume, von dem einzelnen Auflodern neuer

Sterne und dem Verschwinden oder der Plötzlich geschwächten Lichtintensüät der älteren, endlich und vorzüglich von den Veränderungen, welche die Erdachse durch die Anziehung der Sonne und des Mondes erleidet. Die schönen Sterne des Zentaur und des südlichen Kreuzes werden einst in unseren nördlichen Breiten sichtbar werden, während andere Sterne Der ruhende Nordpol wird nach

(Sirius und der Gürtel des Orion) dann niedersinken.

und nach durch Sterne des Cepheus (ß und «) und deS Schwans (, 137, 139, 376. Luden 666. Schlegel, F., 756. Luise, Königin, 814. Schleiermacher 367, 792. Luther 345, 428. Schlosser 576. Schnezler 72. Schouw 718. Mahlmann 430. Schubart 431. Marheineke 607. Schulze, Ernst, 243. Martius 709. Schwab 77, 134, 297, 299. Masius 671. Seidl 305, 306, 431. Matthisson 398, 411. Shakespeare 506, 512, 518, 539, 545. Meinhold 328. Simrock 81. Mendelssohn 670, 721. Sophokles 498. Menzel 68. Spitta 399, 404. Meper 373, 664. Stöber 330. Miller 413. Stolberg, F. L. Graf zu, 408, 420. Mommsen 572, 574. Strachwitz 69. 324. Mörike 76, 441. Sturm 361. Mügge 680, 687. Mühlenpfordt 712. Thorbecke 392. Müller, Johannes v., 601. Tieck 95, 394, 396, 406. Müller, Wilhelm, 311, 489. Tiedge 482. Müller, Wolfgang, 84, 327. Tschudi 682, 685. Mundt 754.

Oör, Max v., 144. Opitz, Martin, 416. Overbeck 414. Pfeffel 358. Pfizer 570. Pirch 675.

Varnhagen von Ense 644. Vergil 158. Dilmar 66, 757. Vogl 306, 328. Voigt, Johannes, 581, 588. Vollmer 62, 61. Voß, Joh. Heinrich, 263, 334.