Handbuch der deutschen Litteratur für die oberen Klassen höherer Lehranstalten: Eine nach Gattungen geordneten Sammlung poetischer und prosaischer Musterstücke nebst einem Abriss der Metrik, Poetik, Rhetorik und Litteraturgeschichte [4. Aufl. Reprint 2019] 9783111643281, 9783111260365


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German Pages 854 [856] Year 1888

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Table of contents :
Vorrede zur ersten Auflage
Aus der Vorrede zur zweiten Auflage
Aus der Vorrede zur dritten Auflage.
Vorrede zur vierten Auflage
Inhalt
Einleitung
A. Poesie
I. Die epische Dichtung
a. Epische Dichtungen, die ihren Stoff aus der Sagenwelt schöpfen
b. Epische Dichtungen, die ihren Stoff aus dem wirklichen Leben schöpfen
c. Episch-didaktische Dichtungen
II. Die lyrische Dichtung
a. Das Lied
b. Die elegische Dichtung
III. Die dramatische Dichtung
B. Prosa
I. Die historische Prosa
II. Die wissenschaftliche Arosa
III. Die oratorische Prosa
Anhang
Sprachproben
Verzeichnis der Verfasser
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Handbuch der deutschen Litteratur für die oberen Klassen höherer Lehranstalten: Eine nach Gattungen geordneten Sammlung poetischer und prosaischer Musterstücke nebst einem Abriss der Metrik, Poetik, Rhetorik und Litteraturgeschichte [4. Aufl. Reprint 2019]
 9783111643281, 9783111260365

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Handbuch der

deutschen Litteratur für

die oberen Klassen höherer Lehranstalten.

Eine nach den Gattungen geordnete Sammlung poetischer und prosaischer Musterstücke nebst einem Abriß der Metrik, Poetik, Rhetorik und Litteraturgeschichte.

Bon

Dielitz und Heinrichs. Vierte Auflage, (nach den Regeln und dem Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung

zum Gebrauch in preuß. Schulen umgearbeitet) besorgt von

Dr. 3. E. Heinrichs, Professor.

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1888.

Borrede zur

er ft en

Auflage.

Bei der Bearbeitung des vorliegenden Handbuchs der deutschen Litteratur ist

es unser Bestreben gewesen, das erforderliche Material für den gesamten deutschen Unterricht in den oberen Klassen höherer Lehranstalten zu liefern und in dieser Beziehung namentlich denjenigen Anforderungen zu genügen, welche in dem den deutschen Unterricht auf den preußischen Gymnasien betreffenden Ministerial-Reskript vom 13. Dezember 1862 und in den erläuternden Bemerkungen zu der Unterrichts­

und Prüfungsordnung der Real- und der höheren Bürgerschulen vom 6. Oktober

1859

[unb in den Lehrplänen für die höheren Schulen vom 31. März 1882s

gestellt werden.

Demnach haben wir als Einleitung zuerst einen Abriß der

Metrik, Poetik, Rhetorik und Litteraturgeschichte gegeben und auf diesen mehr als

fünfhundert poetische und prosaische Musterstücke folgen lassen, welche als Beispiel­

sammlung für die Poetik und Litteraturgeschichte und gleichzeitig als Stoff zu

Übungen im Lesen und im Vortrage, zum Teil auch als Vorbilder für stilistische Arbeiten dienen sollen.

Wir haben diese Musterstücke nach den Gattungen der

Litteratur geordnet und jedem Abschnitte eine kurze Charakteristik der betreffenden

Gattung vorangeseht.

Diese Einleitungen find in der Weise abgefaßt worden,

daß sie dem Lehrer nur als Leitfaden für den Vortrag und als Grundlage für die mit den Schülern anzustcllenden Erörterungen dienen sollen, 'während die weitere Ausführung und die Begründung der mündlichen Erklärung vorbehalten

bleiben.

Aus diesem Grunde sind z. B. in der Metrik nur die gebräuchlicheren?

Versmaße und die im Deutschen häufig angewandten Odenstrophen angeführt

worden, während wir uns in dem Abrisse der Litteraturgeschichte darauf beschränkt haben, eine übersichtliche Darstellung des Entwickelungsganges unserer National-

Litteratur zu geben und die Bedeutung, welche die ausgewählten Leseftücke für

IV

Vorrede.

denselben haben,

kurz nachzuweisen.

In betreff

der Zweckmäßigkeit derartiger

Mustersammlungen bemerken wir, daß durch sie keineswegs die Lektüre vollstän­ diger klassischer Werke ausgeschlossen werden soll, daß sie aber das einzige Mittel

sind, die Jugend mit den Schätzen unserer epischen und lyrischen Poesie in um­

fassender Weise bekannt zu machen, während sie zugleich den großen Vorteil ge­ währen, daß der Lehrer die Proben, Beispiele und Muster, die er bei seinem

Vortrage über die Litteraturgeschichte mitzuteilen für nötig findet,

nicht selbst

vorzulesen braucht, sondern von den Schülern lesen lassen kann, wodurch nicht

allein das Verständnis derselben, sondern gleichzeitig auch die namentlich in den oberen Klassen sehr vernachlässigte Fertigkeit im schönen und sinngemäßen Lesen gefördert wird.

Was aber die von uns getroffene Auswahl betrifft, so sind wir

bemüht gewesen, auf allen Gebieten der Litteratur dasjenige auszuwählen, was

den wissenschaftlichen Sinn der Jugend zu fördern, ihren Charakter zu bilden und

sie für das Gute, Wahre und Schöne zu begeistern geeignet ist. Grundsätze sind wir nur in den Fällen abgewichen,

Von diesem

wo die Rücksicht auf die

Litteraturgeschichte uns auch zur Aufnahme solcher Stücke bewogen hat, die jetzt vor einer strengen ästhetischen Kritik nicht mehr bestehen können.

Wie auf dem

Gebiete der Poesie der epischen Dichtung, so ist auf dem der Prosa der historischen Darstellung mit Rücksicht auf die in der Jugend vorherrschende Neigung für das

Thatsächliche ein größerer Umfang eingeräumt worden.

Dagegen find die dem

Drama entnommenen Proben auf ein geringes Maß beschränkt worden, weil der Charakter der dramatischen Werke das Abtrennen einzelner Teile nicht wohl ge­ stattet.

Lieder, welche in weitverbreiteten Liederbüchern oder im Gesangbuche Auf­

nahme gefunden haben, haben wir von unserer Sammlung ausgeschlossen, wäh­ rend bei der Auswahl der prosaischen Lesestücke auf die von den Schülern zu

bearbeitenden Aufsätze besondere Rücksicht genommen worden ist.

In einzelnen

Fällen haben wir der Raumersparnis wegen oder aus pädagogischen Rücksichten eine Kürzung der ausgewählten Stücke vorgenommen; doch haben wir uns wesent­

liche Änderungen nur äußerst selten erlaubt. Die Aufnahme einiger mittelhochdeutscher Lesestücke, die wir int Anhänge zusammengestellt haben, rechtfertigt sich durch das

gegenwärtig allgemein hervortretende Streben unseres Volkes, mit seinem ursprüng­ lichen Wesen und Geiste sich näher bekannt zu machen, und durch die wiederholentlich fundgegebenen Forderungen angesehener und erfahrener Schulmänner nach Aufnahme

des Mittelhochdeutschen in den Lehrplan der höheren Lehranstalten.

Doch glaubten

wir die Mitteilung solcher Proben aus das geringste Maß zurückführen zu müssen, da zu einer eingehenderen Beschäftigung mit dem Mittelhochdeutschen auf unseren

Schulen schwerlich die nötige Zeit zu beschaffen sein wird.

Durch die Auswahl

solcher Stücke, welche vorher bereits in der Übersetzung mitgeteilt worden sind, ist

die Hinzufügung eines Glossariums überflüssig geworden. Wenn unser Handbuch auch nicht als der zweite Teil des im vorigen Jahre

in'demselben Verlage von uns herausgegebenen snunmehr bereits in 5. Auflage bei G. Reimer in Berlin erschienenen^ deutschen Lesebuchs auftritt, so findet es doch eine gewisse Ergänzung durch dasselbe, insofern diejenigen Stücke, die ihrem

Inhalte nach sich mehr zur Lektüre in den unteren Klassen eigneten und deshalb dem Lesebuche zugcteilt wurden, nicht auch in das Handbuch der Litteratur herüber­

genommen worden sind.

So sind die Dichtungen Arndts, um nur einige berühm­

tere Dichter hervorzuheben, im Lesebuch stärker vertreten als in dem vorliegenden

Handbuche; ebenso sind drei Gedichte Bürgers ersterem zngewiesen worden und aus gleichem Grunde haben auch einige Dichtungen Gellerts, Gleims, Goethes, Herders, Rückerts, Schillers und Uhlands dem Lesebuche zugeteilt werden müssen.

Übrigens hoffen wir, daß das Handbuch, obwohl zunächst für die Schule

berechnet, doch auch außerhalb derselben den Freunden der deutschen Litteratur zu

eingehender Beschäftigung mit den Schätzen derselben geeigneten Stoff darbicten wird. Berlin, nm I. Mni 18(>3.

Dielitz.

Heinrichs.

Aus der Borrede zur zweiten Auflage. Der Abriß

sichtlich

der Litteraturgeschichte hat eine durchgreifende Änderung rück­

der Darstellung besonders

durch Kürzung der zu ausgedehnten Sätze,

rücksichtlich des Inhalts durch noch größere Beschränkung auf das Wesentlichste

und Wichtigste erfahren. Berlin, am 30. Juli 1872.

Heinrichs.

VI

Vorrede.

Aus der Borrede zur dritten Auflage. Neu ausgenommen sind in die Sammlung der Musterstücke die Abhandlung

Immanuel Kants: „Was ist Aufklärung?" und ein Brief Schillers an Th. Körners Vater.

Die aus Herders Cid bisher mitgcteilten Proben sind vermehrt worden.

Berlin, den 17. Oktober 1879.

Heinrichs.

Borrede zur vierten Auflage. Die neue Auflage erscheint insofern in einer sehr veränderten Gestalt, als

die Orthographie durchweg nach den Regeln und dem Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung (unter Benutzung des von Prof. Dr. Gemß herausgegebenen

kleinen deutschen Wörterbuches für die deutsche Rechtschreibung) berichtigt worden ist.

Im übrigen habe ich auch diesesmal wieder bei der Durchsicht und Berich­

tigung der Einleitung genau den Grundsatz im Auge behalten, daß dieselbe dem

Lehrer nur als Leitfaden für seinen Vortrag dienen solle.

Fortgelassen habe ich

aus verschiedenen Gründen den Abschnitt „Graf Ugolino" aus Dantes göttlicher

Komödie, ferner Rückerts Rätselmann und das kleine Lied desselben „Deutschland", neu ausgenommen dagegen Schillers „Siegesfest", Tenners „Gruß dem deutschen

Volk", König Wilhelms I. von Preußen Thronrede an den norddeutschen Reichs­ tag (1870) und einen Abschnitt aus der Rede des Reichskanzlers Fürsten Bismarck

vom 6. Februar 1888. Dem herzlichen Danke für die freundliche Aufnahme, welche dies Handbuch

der Litteratur bis hierher gefunden hat, füge ich den innigen Wunsch hinzu, daß es diesem Buche auch ferner beschieden sein möge, zu seinen bisherigen Freunden sich wiederum recht viele neue zu gewinnen und zu immer eingehenderer Beschäf­ tigung mit den köstlichen Schätzen unserer National-Litteratur lebhaft anzuregen. Berlin, den 26. Februar 1888.

Heinrichs

Inhalt. Die mit einem f versehenen Stücke sind neu hinzugefngt. Seite Seite Einleitung......................................................... 1 C. Von der Darstellung............................... 19 Erster Abschnitt. Poesie und Prosa ... 1 Der Stil . . ....................................19 Zweiter Abschnitt. Die Lehre von der Vers­ Die Tropen...................... ... 20 kunst (Metrik)........................................ 2 Die Figuren............................................ 21 A. Von der Silbenmessung (Prosodie) . 2 D. Von dem Vortrage................................... 22 B. Von den Versfüßen............................ 4 Fünfter Abschnitt. Übersicht der Litteratur­ ( -. Von den Versen.................................. 5 geschichte ......................................................... 22 D. Von den Versmaßen und den gebräuchEinleitung..........................................................22 licheren Sttophen............................... 6 Erster Hauptabschnitt. Die alte Zeit. . 25 E. Von den Odenstrophen........................... 10 Erste Periode. Bis zur Mitte des 12ten Dritter Abschnitt. Die Lehre üoii den Gat­ Jahrhunderts........................................ 25 tungen der Dichtkunst(Poettk) ... 11 Zweite Periode. Bis zum Anfänge der A. Die Poesie ................................................. 12 Reformation........................................ 27 I. Die epische Poesie.............................. 12 Erster Zeitraum. Bis zum Schluß des II. Die lyrische Poesie.......................... 12 13teii Jahrhunderts.......................... 27 111. Die dramatische Poesie...................... 13 Zweiter Zeitraum. Bis zur Refor­ B. Die Prosa................................................ 15 mation ............................................ 31 I. Die historische Prosa.......................... 15 Zweiter Hauptabschnitt. Die neue Zeit. 33 II. Die wissenschaftliche Prosa ... 15 Erste Periode. Bis zur Thronbesteigung III. Die oratorische Prosa...................... 15 - Friedrichs des Großen...................... 33 Vierter Abschnitt. Die Lehre von der Rede­ Erster Zeitraum. Bis zum Anfänge des 17ten Jahrhunderts... 34 kunst (Rhetorik)............................................ 15 A. Von der Erfindung................................... 16 Zweiter Zeittaum. Bis zur Thron­ a. Der Eingang....................................... 16 besteigung Friedrichs des Großen 36 b. Die Darlegung.......................................16 Zweite Periode. Bis auf die Gegenwart 40 c. Die Begründung..................................16 Erster Zeittaum. Bis zum Ende der . Rosen. Herder 11. Sankt Peter mit der Geiß. Hans Sachs 12. Legende. Goethe

3.

Seite 69 70 71 72

Die Ballade und Romanze.

Einleitung 1. Edward. Herder 2. Leonore. Bürger 3. Der wilde Jäger. Bürger 4. Der Schatzgräber. Goethe.................. 5. Der Fischer. Goethe 6. Der König in Thule. Goethe .... 7. Der Zauberlehrling. Goethe 8. Kassandra. Schiller...............................

8a. -s-Das Siegesfest. Schiller.................. 9. Die Kraniche des Jbykus. Schiller. . 10. Der Ring des Polykrates. Schiller. . 11. Ritter Loggenburg. Schiller .... 12. Der Gang nach dem Eisenhammer. Schiller 13. Der Kanlpf Taucher.mitSchiller 14. Der dem Drachen. Schiller 14. Der Kanlpf’ mit dem Drachen. Schib . ........ ........................... 15. Der Wirthin Töchterlein. Uhland . . 16. Das Schloß am Meere. Nhland. . . 17. Das Glück von Edenhall. Nhland . 18. Graf Eberhard der Rauschebart. Nhland 19. Des Sängers Fluch. Nhland .... 20. Bertran de Bom. Nhland 21. Das Opfer. Schwab

5.

77 I l Einleitung

77 i

Das Epos. 149

a.

Das heroische Epos.

78 150 70 Einleitung 150 801 1. Ans Homers Ilias Die Perwuudung des Meuelaos durch 81; Pandaros I5o 83 i Ares wird vom Diomedes verwundet 153 83 1 Hettor und Andromache 154 84 2. Ans Homers Odyssee 156 84 Odysseus entfernt sich von der Calypso 156 85 3. Ans Pergils Äneis 85 Die.Berftönini] von Troja.................. 86 4. Das Hildebrandslied i 5. Ans „Walther imb Hildegunde" . . . G. Aus dem Nibelungenlied 87 ! xrienünld imb Siegfried .................. 87 Wie (Günther zur Brunhild nach Island 90 suhl’ -................................................ 171 94 Wie Siegfried verraten ward.... 17") 95 | Wie Siegfried erschlagen ward . . . 178 96 i Wie Günther und Hagen und Kriemhild i 183 erschlagen wurden 100 I 7. Aus dem Gudrunliede ...... 187 Wie Herwig Gudrun im Kampfe errang 187 101 I Von der Schlacht ans dem Wülpensand 189 102 i Wie es Gudrun in der Fremde erging 192 104 j Wie Ortwein und Herwig zu Gudrun 107 j kamen 193 108 I Wie Gudrun lachte 196 108 Wie Gerlinde gestraft ward . . . . 198 108 S. Ans dem .Rosengarten zu Worms . . 199 109 Wie der Mönch Jsan ans dem Kloster 111 genommen ward........................... - 199 113 Wie Dietrich in Zorn geriet und Sieg­ 115 fried besiegt ward 2ol 116 Wie Jlsau heimkehrte 205 b. Das religiöse Epos. 117 120 Einleitung 122 Aus Ktopstocks Messias .... 125 Christi Gelöbnis 126 Sammas Erlösung 126 .Maria und Pvrtia.................

206 206 206 208 212

127 e. Das romantische Epos. 133 Einleitung 215 135 1. AusHartmaunsvouAue„ArmemHeinrich" 215 136

Inhalt.

ix

seite •

Seite

2. Aus Wielands Oberan........................... *219; Der Befehl des .Kaisers........................ 219 \ Die Ausft'chrung des Befehls .... 22G ; 3. Aus Herders Cid...................... t. 231 Der Cid unter Ferdinand d. G. . . 231 Der Cid unter Dan Sancho .... 235 Der Cid unter Alfons VI..................... 239 ! Der Cid zu Valencia und im Lod . 241 4. Aus E. Schulzes bezauberter Rose . . 243 | 5. Aus Rückerts Rostem undSuhrab . . 246 | G. Aus Grüns letztem Ritter................... 254 ■ Die Martinswand..............................254 Deutscher Brauch.................................. 255 Mar und Dürer.................................. 257 Abfahrt von Innsbruck..................... 258 i

7. Aus Kinkels Otto der Schütz .... 259 Mann und Jüngling.............................259 Der Meisterschuß.......................... 261

1).

(L Das idyllische Epos. Einleitung............................................................263 1. Aus I. H. Boß' Luise.............................263 2. Aus Goethes Hermann und Dorothea . 268

e. Das komische Epos. Einleitung............................................................288 Aus Zacharias Renommist........................ 288 f. Das Tierepos. Einleitung........................................................... 292 Aus Goethes Reineke Fuchs. Reinekes An­ kläger ...... ............................... 292

Epische Dichtungen, die ihren Stoff aus dem wirklichen Leben schöpfen. 29. Die Sonne bringt es an den Tag. Cha­ in isso ........................................................... 318 30. Francias Tod. Chamisso........................ 319 31. Eppelin von Geilingen. Prntz. . . . 319 32. Der Ränder und das .Kruzifix. Prntz . 321 33. Boleslav. Gruppe................................. 322 34. Die Exekution. Scheren berg .... 323 35. Die Jagd des Mogul. Strachwitz . . 321 3,6. Psaumis und Puras. Kopifch.... 325 37. Ein Weihnachtsfest. Dyherrn .... 326 38. Wickher. Wolfg. Mütter........................ 327 39. Magyarentod. Vogl................................. 328 40. Atari XII. und der pommersche Bäcker Müsebäck. Meinhold.............................328 41. Der Todestag des Herrn. Stöber . . 330 42. Der 19. Juli 1870. Hesekiel .... 331 43. Albrecht Dürer und .Kaiser Marimilian. Witte....................................................... 332 44. Deutscher Witz. Fischer.............................333

6. Die poetische Erzählung. Einleitung............................................................297 1. Deutsche Treue. Schiller........................ 297 2. Johannes Kant. Schwab. . .^. . . 297 3. Der Reiter und der Bodensee. Schwab 299 4. Der Dechant. Jmmermann................. 300 5. Simonides. Apel...................................300 G. Die drei Zigeuner. Lenau................. 302 7. Der Postillon. Lenau..........................302 8. Die drei Indianer. Lenau.................303 9. Botenart. Grün.................................. 303 10. Am Strande. Grün.............................. 304 11. Der treue Gefährte. Grün.................304 12. Zwei Heimgekehrte. Grün.................304 13. Hans Euler. Seidl.............................. 305 14. Der tote Soldat. Seidl..................... 306 15. Das Licht am Strande. Vogl.... 306 16. Schwerting, der Sachsenherzog. K. E. Ebert ........................................................307 17. Die nackten Weisen. Rückert .... 308 18. Der Tod des Carns. Platen.... 309 19. Harmosan. Platen.............................. 309 20. Das Grab des Bnsento. Platen . . . 310 21. Die Türkenkugel. Geibel..................... 310 22. Alexander Ypsilanti auf Mnnkacs. Wilh. Müller.................................................... 311 23. Schelm von Bergen. Heine . . . . 312 24. Ein eisernes Kreuz. Dyhen-n . . . . 312 25. Das Gesicht des Reisenden. Freiligrath 313 26. Unter den Palmen. Freiligrath . . . 3,14 27. Der Löwenritt. Freiligrath................ 314 28. Die letzten Worte des Pfarrers zu Drottning auf Seeland. Schelling . . . 3,15

c.

7.

8.

Die Fabel.

Der Roman.

Einleitung............................................................340

9. Die Rovelle. Einleitung............................................................341 Irrtum. Zschokke......................................341

Episch-didaktische Dichtungen.

5. 6. Einleitung.......................................................... 344 j 7. 1. Von einem Schneider. Burkard Waldis 344 8. 9. 2. Der Anteil des Löwen. Luther . . . 3,45 3. Der Hirsch und der Eber. Hagedorn . 345 10. 4. Das Gespenst. Gettert........................... 345 , 11. 10.

Die Idylle.

Einleitung............................................................333 1. Amyntas. Gegner............................... . 333 2. Der siebzigste Geburtstag. Bog . . . 331 3. Das Fischermädchen in Burano. Platen 339

j

Der Maler. Gellert................................. 346 Die Geschichte von dem Hute. Gellert. 346 Die junge Schwalbe. Lessing .... 347 Der Rabe und der Fuchs. Lessing . . 348 Der Rangstreit der Tiere. Lessing . . 348 Der.Knabe und die Schlange. Lessing . 349 Zeus und das Pferd. Lessing .... 349

12. 13. 14. 15.

Die Der Die Die

Seite Eiche und das Schwein. Lessing. 349 Hänfling. Lichtwer........................ 350 Sonne und die Tiere. Willamow 350 Frösche. Goethe................................. 350

16. Lebensworte. 17. Wiederfinden.

Fröhlich........................... 361 Fröhlich............................. 361

b. Die Parabel. Einleitung........................................................... 361 1. Der Jüngling. Gellert........................ 362 11. Die Allegorie, Parabel und 2. Drei Freunde. Herder........................ 362 Paramythie. 3. Die ewige Bürde. Herder............... 363 4. Der Sturmvogel und die Schiffenden. a. Die Allegorie. Krummacher.......................................... 364 Einleitung............................................................351 5. Das Gesicht des Arsenius.Kosegarten 364 1. Die drei Ringe Lessing........................ 351 6. Salomon und der Säemann. Rückert. 365 2. Das Kind der Sorge. 'Herder.... 352 3. Der Strom. (Mahomets Gesang.) Goethe 353 c. Die Paramythie. 4. Adler und Taube. Goethe . . . . . 353 5. Seefahrt. Goethe..................................... 354 Einleitung......................................................... 365 1. Die Schuhwehr. Krummacher.... 365 6. Zueignung. Goethe................................. 355 2. Davids Harfe. Krummacher .... 365 7. Das'verschleierte Bild zu Sais. Schiller 356 3. Zeus und das Schaf. Krummacher . . 366 8. Die Teilung der Erde. Schiller ... 357

9. Das Mädchen aus der Fremde. Schiller 358 12. Das Rätsel. 10. Die Pilger. Pfeffel................................. 358 11. Das Bergungen und der Schmerz. Wil­ Einleitung........................................................... 366 1. Das Auge. Rätsel. Schiller .... 367 lamow ....................................................... 358 2. Morgenstern. Charade. Körner . . . 367 12. Die Ulme zu Hirsau. Nhland.... 359 3. Schleier. Logogryph. Körner.... 367 13. Tod und Leben. Rückert........................ 359 4. Verschieden. Homonyme. Schleiermacher 367 14. Baumpredigt. Grün................................. 360 5. Leben. Palindrom. Körner .... 367 15. Symbol. Sturm..................................... 361

II.

Die lyrische Dichtung.

a.

Das Lied.

9. Das gegen Frankreich vereinigte 1. Das eigentliche Lied. Einleitung .....'..................................... 368 Deutschland. Goethe........................... 376 10. Ein Deutschland. Rinne....................377 «. Geistliche Lieder.......................................... 368 11. Der Rhein. Herwegh........................ 377 1. Gebet. Geibel.............................. 368 12. Der deutsche Rhein. Becker. . . .377 2. Gebet um Frieden. Jmmermann . 368 13. Freiheit. Schenkendorf........................ 378 3. Osterfest. Agnes Franz............. 369 14. Die Fünf des ersten Freiheitskampfes. 4. Die Auferstehung. Novalis .... 369 Giesebrecht..........................................378 5. Die sieben Tage der Woche. Rückert . 369 15. Held "Friedrich. Firmenich . . . . 379 6. Die Ehre Gottes aus der Natur. Gel­ 16. Zur Feier des 18. Oktober. Hey . . 379 lert ....................................................... 370 17. Scharnhorst. Schenkendorf .... 380 7. Gott im Ungewitter. Uz..................... 370 18. Blücher am Rhein. Kopisch.... 380 8. Bertrarien. Cramer.............................370 19. An: dritten September 1870. Geibel 380 9. Zuflucht. Geibel................................. 371 10. Gottes Treue. Meyer........................ 372 Y- Kriegslieder.................................................. 381 1. Morgenlied. Köhler.............................381 11. .Kreuzlied. Walther v. d. Vogelweide. Übersetzt von Simrock........................ 372 2. Soldaten-Morgenlied. Schenkendorf. 381 3. Reiterlied. Schiller............................ 382 12. Via crucis, via lucis.Kosegarten . 373 4. Gebet vor der Schlacht. Körner. . 382 ß. Vaterlands- und Heldelllieder....................373 5. Trinklied vor der Schlacht. Körner. 383 1. Sehnsucht nach dem Vaterlande. Gleim 373 6. Gebet während der Schlacht. Körner 383 2. An mein Vaterland. Lenau.... 373 7. Siegeslied ilach der Schlacht bei Lowo3. Frühlingsgrujz an das Vaterland. sih. Gleim...................................... 383 Schenkendorf..................................... 374 8. Der Landsturm. Rückert................385 4. Unsere Muttersprache. Schenkendorf. 375 9. Vorwärts. Uhland........................ 385 5. In der Fremde. A. W. v. Schlegel. 375 10. Kriegslied für die freiwilligen Jäger. 6. Deutschlands Ehre. Walther von der Vogelweide. Überseht voil Silllrock 375 Fouque.................................................. 386 11. Lützows wilde Jagd. Körner . . . 386 7. Weihelied. Claudius............................. 376 12. Die Leipziger Schlacht. Arndt... 387 8. -fGruß dem deutscheil Volke. Temler 376

Z ii h a l t.

13. 14. 15. 16.

8.

Seite ■ Auf die Schlacht von Leipzig. Rückert 387 | Geharnischte Sonette. ?Hliefert . . . 388 1 Kriegslied. Geibel.................................389 Hurra, Germania! Freiligrath . . . 390

Wanderlieder................................................ 391 1. Der Mai ist gekommen! Geibel . . 391 2. Fröhlichen Wanderers Vieh. Thorbecke 391 3. Wanderlied. Goethe............................ 392 4. Ins Freie! Grüneisen........................ 392 5. Wanderlied. Rückert .............................392 6. Zuversicht. Tieck.................................393 7. Wanderlied. Kugler ....... 393 8. Der wandernde Musikant. Eichendorff 393 9. Morgenlied. Wolf ............................ 394 10. Morgenwanderung. Geibel .... 394 11. Das Schifflein. Uhland.................... 394

e. Lebensernst und Lebenslust in Liedern . 395 1. Andacht. Tieck..................................... 395 2. Gottes Nähe. Armin . . . ... 395 3. Das letzte Gericht. Dies irae. Wessenberg.................................................. 395 4. Wanderers Nachtlied. Goethe . . . 396 5. Wanderers Nachtlied. Goethe . . . 396 6. Hoffnung. Geibel.................................396 7. Hoffnung. Schiller.................................396 8. Ermunterung. Salis............................ 396 9. Lebenslied. Matthiffon........................ 397 10. Nachklang. Eichendorfs........................ 398 11. Abschied. Spitta................................. 398 12. Abschiedslied. Volkslied....................398 13. Abschied. Heine..................................... 399 14. Scheiden. Volkslied............................ 399 15. Wiedersehn. Goering........................ 399 16. Die reinen Frauen. Walther von der Vogelweide. Übersetzt von Born . 400 17. Liebesreim. Wernher von Tegernsee . 400 j 18. Rastlose Liebe. Goethe...... 400 ! I 19. Nähe des Geliebten. Goethe . . . 400 20. Segen. Heine..................................... 401 21. Des Mädchens Klage. Schiller . . 401 22. Schäfers Klagelied. Goethe.... 401 23. Thränen. Horn..................... 402 24. Trost in Thränen. Goethe .... 402 25. Der Liebe Däner. Freiligrath . . . 402 26. Ein getreues Herze wissen. Flemming 403 27. An das Herz. Bürger........................ 403 28. Sonntagsfrühe. Spitta........................ 403 29. Morgendämmerung. Eichen dorff . . 404 30. Morgenlied eines Landmanns. Claudius.......................................................404 31. Morgenlied. Reinick............................ 405 32. Abendlied. Claudius............................ 405 33. Die 'Nacht. Lenau.......................... 405 34. Die Nacht. Tieck................................. 405 35. Zauber der Nacht. Lenau .... 406 36. Um Mitternacht. Rückert....................406 37. An den Mond. Goethe.................... 406 38. An die Natur. ' F. L. v. Stolberg . 407 39. Meeresstille und glückliche Fahrt. Goethe................................................... 107 40. Im Walde. Eichendorfs.....................107

41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58.

59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69.

XI

Seite Waldlieder. K. E. Ebert....................408 Im Gebirge. Lenau............................ 408 Der Jäger Abschied. Eichendorff . . 409 Frühling ist da. Hammer .... 409 Frühlingswiederkehr. Liber .... 409 Frühlingslied. Gruppe........................ 409 Im Frühling. Lenau........................ 410 Der Frühlingsabend. Matthiffon. . 410 Frühlingsahnung. Uhland .... 410 Frühlingsruhe. Uhland........................ 410 Frühlingslob. Uhland........................ 410 Frühlingstrost. Uhland........................ 410 Künftiger Frühling. Uhland . . . 411 Maienwonne. Walther von der Vogel­ weide. Übersetzt von Simrock . . 411 Mailied. Goethe............................. 411 Herbstlied. Geibel............................. 411 Nebel. Lenau......................................412 Sehnsucht nach dem Hochlande. Burns. Überseht von Freiligrath................412 Lied des Lebens. Herder . . \ . . 412 Zufriedenheit. Miller.........................412 Die Gunst des Augenblicks.Schiller 413 Fischerlied. Overbeck............................ 413 Aufmunterung zur Freude. Hölty . 414 Bundeslied. Goethe..............................414 Geselligkeit. Dach ............................. 415 Trinklied. Opitz..................................... 415 Rheinweinlied. Claudius....................416 Ermahnung zur Weisheit. Gleim . 416 Tischlied. Goethe................................. 416

2.

Die Ode.

Einleitung..................................... 417 1. An den Grosphus. Horaz. Überseht von Ramler....................................................... 417 2. Das Landleben. Holty.............................418 3. Der Harz. F. L. v. Stolberg . . . . 419 4. An die Stadt Berlin. Ramler . . . 419 5. An Ebert. Klopstock................................. 420 6. Der Zürichersee. Klopstock.................... 422 7. Dem Erlöser. Klopstock.........................423 8. Der Eislauf. Klopstock.............................424 9. Die frühen Gräber. Klopstock .... 425 10. Heidelberg. Hölderlin.............................425 11. .Rückkehr in die Heimat. Hölderlin . . 425 12. Ehemals und jetzt. Hölderlin .... 426 13. Der Vesuv im Dezember 1830. Platen 426

3.

Der Dithyrambus.

Einleitung........................................................... 426 Dithyrambe. Schiller................................. 426

4.

Der Hymnus.

Einleitung........................................................... 427 1. Der 67. Psalm. Luther........................ 427 2. Lob der Gottheit. Gellert......................... 427 3. Psalm. Klopstock.................................... 428

XH

Inhalt. Seite

Seite

4. Das Gebet des «Derrn. Klop stock . . . 429 7. Friedrich der Große. Schubart . . . 430 5. Vater unser. Mahlmann ...... 4*29 . s. Scharnhorst, Blücher und Gneisenau. Bercht 433 6. Herr, bn bist groß. Seidl 430

b. Die elegische Dichtung. 466 434 I 4. Der epische Heranieter. Schiller' . ■ 5. '» Die nrhtipilim» 466 achtzeilige (^tiiiue. Stanze. Srfiilspr Schiller . 466 6. Der Kaufmann, . Kaufmann. schiller Schiller ...... 5. Die Elegie im weiteren Sinne. 466 7. Die Johanniter. Schiller. . (Pcetiscke Schilderung; bffcbreibcnbcÄ Gedickt.) 466 8. Der Säemann. Schiller Einleitung 435 9. Lessings Nathan. Platen 467 1. Pompeji und Herkulamuu. Schiller . 435 10. Die Ebene von Marathons Geibel. . 467 2, Venedig. Plateu 11. Grab des Themistokles am Piräeus. Sanssouci. Geibel 467 Geibel 4* Auf dem Schlachtfelde von Asperu. . 467 439 12. Piger. Logan Grün 467 440 13. Pravns. Logan Die schöne Buche. Mörike .... 467 441 14. Auf Kepler. Kästner 6. Die Eichbäume. Hölderlin .... 441! 15. WasHippotrene auf deutsch heißt. Kästner 467 7. Begrüßung des Meeres. Grün . . 16. Auf einen Trauerspiel-Dichter. Kästner 468 442 8. Das Lied von der Glocke. Schiller. 468 17. Die alternden Dichter. Kästner . ! 446 9. Der Spaziergang. Schiller .... 468 18. Bavs Gast. Lessing 451 i 19. Auf die Galathee. Lessing . . . 10. Das eleusische Fest. Schiller . . . 468 11. Siebente römische Elegie. Goethe . ' j 20. ,, v .... *20. An 91ii einen t»int»n Lügner. Viinner. Lessing 468 12. Ter Wanderer. Hölderlin .... .a j 21. Ans den Tod eines Affen. Lessing . . 468 122. Das schlimmste Tier. Lessing . . . . 468 6. Die Elegie im engeren Sinne. 469 i 23. Knnz und Hinz. Lessing 456 i 24. Die Sinngedichte an den Leser. Lessing 469 Einleitung 469 i 25. Der Redner. Göckingk I. Elegie bei dem Grabe meines Vaters. 469 HM).................................................... 450 I 2i; Kritik ...................... über ein Drama. Göckingk" 2. Die Sänger der Vonvelt. Schiller . . 456 ; 27 Ans den Seinen. Goethe und Schiller . 469 An einen Überseher Buttons. Haug . 472 Vor Rauchs Büste der Königin Luise. ' Prozesse. Hang 472 Körner 457 ; .. Klage um drei junge Helden. Arndt. 457 i 4. 5. Die Gräber zu Ottensen. Rückert . . 459 I 10. Das Lehrgedicht. 6. Epilog zn Schillers Glocke. Goethe . 460' Einleitung 473 1. Die Macht des Gesanges. Schiller. . 473 7. Die Heroide. 2. Ana 'Kcnbecfb Gesundbrunnen . . . . 473 461 Einleitung a. Vob des Eisens 473 b. Vob der Bewegung 475 3. Aus Goethes Metamorphose der Tiere 476 8. Die Satire. 478 462 4. Aus Schefers Laienbrevier Einleitung 1. Philisters Begeisterung. Jmmermann. 462 5. Der Weg der Erde. Rückert .... 480 6. Der Mensch im Wollen. Aus Tiedges 2. Spiudetmanus Recension der Gegend. Urania 481 Kenier .............................................. 463 3. Der Recensent. Uhland 463 7. Ans Rückerts Weisheit des Brahmanen 481 4. Zweite Parabase aus der verhängnis­ vollen Gabel. Platen 463 11. Die Gnome. 5. Abendentzückungen. Gruppe 464 Einleitung .............................................. . . 483 6. Dummheit. Kopisch 464 1. Sprüche von Logan..................... . . 483 2. In ein Stammbuch. Lessing . . . . 484 9. Das Epigramm. 3. Spruch. Lessing . . 484 Einleitung........................................................ 465 4. Sprüche von Herder..................... . . 484 1. Fluch und Segeu. Walther von der 5. Sprüche von Goethe..................... . . 484 Vogelweide............................................ 465 6. Sprüche von Schiller'................. . . 486 2. Gott als Kläger. Walther von der 7. Sprüche von Wilhelm Müller . . . . 488 Vogelweide i 465 8. Sprüche von Rückert..................... . . 488 3. Auf eine Degenklinge. Kästner . . . 466 9. Perlen von Rückert . . 489

Einleitung

3 ttha! t.

XIII

Leite ; „ Seite 10. Im Regen. Kerner................................ 489 i 1. Uber das Lesen. Goethe......................... 490 11. Wirklichkeit. Bauernfeld........................ 490, 2. An Goethe. Platen..................................494 12. Spruch. Bodenstedt................................ 490 : 3. An Georg Herwegh.Geibel. . - . • 494 I 4. An Wolfgang im Felde. Freiligrath . 495 12. Die poetische Epistel. j Einleitung......................................................... 490 |

111. Die dramatische Dichtung. 2. Die Komödie (das Lustspiel) 1. Die Tragödie. Einleitung............................................................496 und die Posse. 1. Aus Sophokles' Antigone.................. 497 2. Aus Shakespeares Julius Eäsar . . . 505 i Einleitung............................................................553 1. Aus Lessings Minna von Barnhelm . 554 3. Aus Shakespeares König Johann . . 511 2. Aus Raupachs Schleichhändlern . . . 556 4. Ans Shakespeares König Heinrich VI. 1. Teil................................................ 517 5. Aus Lessings Emilia Galotti .... 522 6. Aus Schillers Wallenstein.............. 527 a. Wallensteins Lager.............................527 3. Das musikalische Drama. b. Die Piccolomini................................. 531 c. Wallensteins Tod................................. 535 Einleitung........................................................... 558 1 a. Die Oper. Einleitung.............................558 Das Schauspie l. b. Die Operette. Einleitung ..... 558 c. Die Kantate und das Oratorium. Ein­ Einleitung........................................................... 538 leitung ....................................................... 558 1. Aus Shakespeares Kaufmann von Vene­ dig ........................................................... 538 d. Das Singspiel (Vaudeville). Ein­ leitung ....................................................... 558 2. Aus Shakespeares König Heinrich IV. c. Das Melodrama Einleitung.... 558 . 1. Teil....................................................... 544 3. Ans Goethes Iphigenie auf Tauris. . 547

B. P rosa. . I. Die histo rische Prosa. a.

Die erzählende Prosa.

1. Die athenische Erziehung nach den Ge­ setzen Solons. Duncker........................ 559 2. Die olympischen Spiele. E. Eurtius . 562 3. Die Schlacht bei Marathon. Duncker. 567 4. Die Schlacht am Granikus. Pfizer . . 569 5. Der Krieg gegen die Seeräuber. Momm­ sen ........................................................... 571 6. Julius Cäsar. Mommsen.................... 573 7. Tiberius. Schlosser................................. 575 8. Die politischen Parteien in der Rennbahn zu Konstantinopel. Wilken .... 576 9. Die Sachsen und die Wenden. Giesebrecht....................................................... 579 10. Heinrichs IV. Jugend. Voigt .... 580 11. Die Schlacht bei Hastings. Lappenberg 584 12. Der deutsche Orden. Voigt ..... 587 13. Walther von der Dogelweide. Nhland 588 14. Konradin, der letzte Hohenstaufe. Rau­ mer .............................. 594 15. Deutscher Anbau in Schlesien im 13. Jahr­ hundert. Freytag............................... 598 |

16. Der Bund im Rütli. I. v. Mütter . 600 17. Karl V. Ranke..........................................603 18. Luther auf dem Reichstage zu Worms. Marheineke.............................................. 606 19. Gefangennehmung der Grafen Egmont und Hoorn. Schiller. .........................609 20. Die Schlacht bei Lützen. Schiller . . 611 21. Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst. Häusser....................................................... 618 22. Friedrich der Große bei Prag. Heine! §19 23. Friedrich der Große bei Zorndorf. Hei­ ne! ............................................................621 24. Der Überfall bei Hochkirch. Archen­ holz ........................................................... 622 25. Friedrich der Große. Eylert.................. 626 26. Der Fluchtversuch Ludwigs XVI. Dahl­ mann ....................................................... 631 27. Die Völkerschlacht bei Leipzig. Kohl­ rausch ....................................................... 635 28. Die Erstürmung des Montmartre. Droysen............................................................640 29. Die Schlacht bei Belle-Alliance. Varnhagen v. Ense.......................................... 643

3 ii h o l t.

XIV

Leite

30. Charakter Friedrich Wilhelms UI Eylert 649 9. Der Petersburger Winter. Xidjl . . . 675 ,, Walde von Sadowa am 10. Norwegens Natur. Mügge............. 679 31. Der Karnpf im 3. Juli 1866. v. Zychlinski.... 652 11. Die Wasserwelt der Alpen. Tschndi . 681 32. DieErstürmur,gWeißenburgsam4.Attgust '12. Der Steinadler. Tschndi 684 1870. Heinrichs. . 654 13. Die Kantone am Vierwaldstätter See. 33. Bei Mars la Tour am 16. August 1870. Mügge 686 F. v. Koppen 657 14. Eintritt in Italien. Knapp 689 I 15. Genua. Knapp und £eo 691 16. Neapel. Kephalides 692 17. Das neapolitanische Volk. Goethe . . 694 h. Die beschreibende Prosa. 18. Granada. Hailbronner 698 1. Das Gewitter. Muller 662 19. Lissabon. Willkomm ........ 700 663 20 Jerusalem und die umliegenden heiliget, 2. Das Pferd. Meyer . 6651 Orte. Hackländer . ’’....................... . . . 7 . 702 3. Deutschland. 2itbei, . 3a. Die Erleuchtung Berlins am 21. Sep­ 21. Kairo, dailbronner ... . . ... 706 tember 1866. Holtze 666 22. Der südliche Sternhimmel in der heißen Sorte. A. v. Huntbold t 707 4. Brockenreise. Heine 668 5. Der Rhein und die Donau. Mendelssohn 669 23. Ein Tag unter dem Äquator. Martins 708 24, Die Hauptstadt Mexico. Mühlenpwrdt 711 6. Deutschlands vorzüglichste 'Laubhölzer, Eiche, Buche und l'mbe. Masius. . 670 25 Die Llanos des Orinoco. A. v. Hum­ 7. Die Pfalz. Hallesche Jahrbücher. . . 672 boldt ..................................................... .713 674 i 26. Die Südsee-Jnseln (Ozeanien) Schonw 717 8. Triest. Pirch

II. Die wissenschaftliche Prosa. a.

Philosophie.

1. DieUnsterblichkeit der Seele. Mendelssohn 720 2. Das Temperament. Kant 725 3. Das Gefühl vorn Erhabenen und Scho­ nen. Kaiü 728 I 3a. Was ist Aufklärung? Kant . . . .729! 4. Uber die Verbindung der deutschen Völker und Provinzen zur Humanität. HerI der 734 5. Roms Einrichtungen zu einem herrschen­ der, Staats- und Kriegsgebände. Her> ber„........................... ’.......................... 735 i 6. Der Übergang der Feudalherrschaft in die Monarchie. Hegel 738 7. Unser Bildungsweg. Wiese 741 8. Altertum und Neuzeit — Synthesis .. und Analysis. Wiese . . . . . . .743 9.. Uber die zunehmende Verminderung der ! Allgemeingültigkeit sittlicher Begriffe. ; Wiese 745' 10. Synonyma 746 I a. Schwärmerei. Fanatismus. En thui siasmus. Begeisterung. Wieland 746 | b. Beherzt. Mutig. Kühn. Tapfer. i Herzhaft. Eberhard 747 j c. Ehrgeiz. Ehrliebe. Ehrbegierde. Ehri sucht. Eberhard 748 d. Geist. Seele. Gemüt. Herz. Eber­ hard ...................................................749 e. Müssen. Sollen. Eberhard . . . 750 i 11. Über Fußreisen. Baur 750 |

I>.

Sprache und Litteratur.

1. Poeüe und Prosa. Mundt 753 2. Homer, verglichen mit andern Epikern. F. Schlegel 755 3. Die beiden klassischen Perioden unsrer National-Litteratur. Vilmar 756 4. Ans Lessings Hamburger Dran,atnrgie 759 a. Die Schauspielkunst 759 b. Von den dramatischen Charakteren . 760 5. Über Schiller und den Gang seiner Geisteset,twickelung. W. v. Humboldt . .762 6. Wallensteitts Lager vor. Schiller. Hoff­ meister 766

c.

Kunst.

1. Laokoon- Winckelmann 2. Ans Lessings Laokoon a. Die Gruppe des Laokoon h. Über homerische Gemälde

(I.

768 769 . . . . 769 . . . . 771

Natnrwissenscha ft.

1. Der gestirnte Himmel. A. v. Humboldt 777 2. Die Schwefelsäure. Liebig 780 3. Der Instinkt. Baer 784

3 n h a l t.

xv

III. Die oratorische Prosa. Leite

Seite

1. Betrachtungen über den gestirnten Him­ mel. Zollikofer....................................787 2. Rede an Nathanaels Grabe. Schleier­ macher ....................................................... 791 I

2. Friedrich Wilhelm 1IL an sein Volk . 795 3. Die Vaterlandsliebe. Fichte.................... 797 3a. 1-ThronredeKönig Wilhelms l. vonPreußerr an den norddeutschen Reichstag . 803 4. Kaiser Wilhelm an das deutsche Volk . 804 5.. -s-Aus der Rede des Reichskanzlers Für­ sten Bismarck am 6. Febr. 1888 . . 804

a.

b. 1.

Geistliche Beredsamkeit-

Weltliche Beredsamkeit.

!

Anrede Friedrichs II. an seine Generale • vor der Schlacht bei Leuthen .... 794 \

Anhang. Briefe. 1. C. Plinius seinem Cornelius Tacitns . 806 2. Rabener an Gellert................................. 808 3. Gellert an Rabener.................................809 3a. Schiller an Körner (Vater).................... 810 4. Goethe an Schiller..................................... 811 5. Schiller an Goethe..................................... 812

6. 7. 8. 9. 10.

W. v. Humboldt an Schiller .... Schiller an W. v. Humboldt . . . . Die Königin Luise an ihren Vater . . Theodor Körner an seinen Vater . . . Blücher an den Kaiser Alexander . .

813 814 816 817 818

Sprachproben. 1. Ans Ulsilas Bibelübersetzung. Das : Vater unser 819 j 2. Das Lied von Hildebrand und Hadnbrand 819 !

3. Aus dem Nibelungenlied........................ 820 4. Aus Hartmanns von Aue armem Heinrich 832 5. Lieder Walthers von der Vogelweide . 835

Einleitung Erster Abschnitt.

Poesie und Prosa. § 1.

Die Litteratur ist im weiteren Sinne der Inbegriff alles deffen, was von

einem Volke geschrieben worden, im engeren Sinne die Sammlung derjenigen Schriftwerke,

welche von der allmählichen Geistesentwickelung desselben Zeugnis ablegen.

Sie hat zu

ihren Grundlagen die Sprache (das Werkzeug für die Darstellung der Empfindung und

des Gedankens), deren für das Auge erkennbares Abbild die Schrift ist, und den Jdeeenstoff, der aus der Natur und aus der Geschichte genommen ist.

Das Geschehen aber, die Ge­

schichte, ist nicht bloß ein äußeres; es giebt auch ein inneres Geschehen, welches die philo­ sophischen Vorstellungen bildet.

§ 2.

Die Sprache und der Jdeeenstoff können je nach ihrer Verschiedenheit sehr

verschiedene Verbindungen eingehen; dadurch werden die Gattungen der Litteratur erzeugt, zunächst der oberste Gegensatz Poesie und Prosa.

Beide haben denselbm Stoff ge-

meinsam, unterscheiden sich aber in der Att und Weise, wie dieser Stoff ersaßt und be-

handelt wird.

Die Poesie erfaßt ihn mit der Phantasie, die Prosa mit dem Verstände, so

daß Gegenstand der ersteren nicht der Gedanke selbst, sondern sein Bild (sein Symbol), also der Gedanke im Bilde, in der Nachahmung, Gegenstand der Prosa aber der Gedanke selbst,

der Begriff ist.

Diese Verschiedenheit des Inhalts bedingt auch die Verschiedenheit der

Form, der Sprache.

Die Poesie, auf der Phantasie beruhmd, verlangt „geflügelte Wotte",

verlangt eine freiere, doch aber durch die Gesetze deS Rhythmus gebundene Sprache,

eine rhythmisch-melodische Sprache, zu welcher bisweilen die Musik als ein fast notwen­ diges Erfordernis Hinzutritt.

Die Prosa dagegen als die Darstellung des Thatsächlichen

der Begriffe durch den Verstand und für den Verstand erfordett eine Sprache, welche, durch

die Gesetze des Verstandes geregelt und in dieser Weise gefesselt, aber von den Banden

des Rhythmus und der Melodie entbunden ist. Anm. Die Phantasie als die geistige Kraft des Menschen, vermöge deren er sich vorzustellen ver­ mag, was seine äußeren Sinne nicht wahrnehmen, ist entweder produzierend (schaffend) oder reproduzierend, d. h. durch die Erinnerung das neu erzeugend, »das die Sinne schon früher einmal wahrgenommen. Ihre Gebllde, entweder wahr oder doch wahrscheinlich, unterscheiden sich streng von den phantastischen als solchen, die von der vemunftgemäßen Wahrheit der Natur und des LebeuS abweichen.

§ 3.

Unbeschadet ihrer Verschiedenheit

eine gleiche doppelte Weise auffaffen.

können Poesie und Prosa ihren Stoff auf

Sie bringen ihn entweder als einen gegebenen, mit

ben Sinnen ergriffenen (receptiv) auch mit vorherrschender Sinnlichkeit zur Darstellung, oder sie verarbeiten ihn mehr selbstthättg, innerlich und stellen ihn danach als selbstthätig,

innerlich erzeugt (produktiv) auch mit überwiegender Innerlichkeit (Empfindung, BewußtDieN, li. Heinrichs, Handb. d. deutschen Litteratur.

4. Ausl.

1

2

Einleitung.

sein) hin.

Die erstere Art der Darstellung, die objektive, kehrt mehr die Thatsache

hervor, gleichviel ob diese sagenhaft oder geschichtlich ist, die letztere, die subjektive, bringt mehr die innerliche Verarbeitung des thatsächlich Gegebenen, die durch letzteres her­ vorgerufene Empfindung, das Gefühl, zum Ausdruck. Sinnt. Wie die objektive Darstellung sich auch auf das Gefühl, die Empfindung, den Begriff erstrecken kann, doch so, daß sie als Äußerliches aufgefaßt und vorgetragen werden, so kann die subjektive Darstellung zu ihrem Gegenstände sich die Thatsache wählen; sie muß dieselbe aber als innerlich neu verarbeitet oder in neuer, eigentümlicher Verbindung (Kombination) zur Darstellung bringen. § 4. Die Poesie als die Thätigkeit der Phantasie will den Menschen ergreifen, be-

geistern, erheben und dadurch das Leben selbst verschönern.

Sie wendet sich deshalb stets

dem Schönen zu, d. h. allem, was verhältnismäßig und vollendet in seinen Teilen ist und

zugleich eine höhere Idee veranschaulicht.

Sie erwählt zu ihrem Gegenstände alles, was

poetisch, d. h. imstande ist, den Menschen zu begeistern, und treibt den Begeisterten zur Mitteilung, um auch in anderen Teilnahme für das zu erwecken, wovon er selber erregt

worden ist.

Giebt der Begeisterte (poetisch Erregte) diesem Drange nach, giebt er ihm

Ausdruck, so wird er zum Künstler (Maler, Bildhauer, Musiker, Dichter), der sich eines Materials (der Farben, des Erzes oder Steines, der Töne, der Sprache) bedienen muß,

um seine innerlichen Gebilde zu versinnlichen, zu veranschaulichen. Sinnt. Der Name Poesie bezeichnet vielerlei, nicht bloß die natürliche, angeborene Anlage zum Dichten, sondern auch deren Produkte, nicht bloß gewisse Momente im Leben und Erschei­ nungen in der Natur, welche besonders ergreifen und eine der Wirkung eines guten Ge­ dichtes ähnliche Wirkung zeigen, sondern auch die Kunst des Dichtens selbst. § 5. Die Poesie als Kunst (Dichtkunst) bezweckt zunächst die lebendige Gestaltung

eines Bildes für die Phantasie vermittelst der Sprache.

Sie gehört also zu den redenden

Künsten; sie unterscheidet sich aber von der Geschichtschreibung, Beredsamkeit und Philo­ sophie dadurch, daß sie nicht auf einen äußeren Zweck, nicht auf Belehrung über wirkliche Zwecke, nicht auf Anregung zum Handeln unmittelbar gerichtet ist, sondem einzig und

allein auf die Versinnlichung deö Schönen vermittelst der Sprache. Anm. Kunst ist die aus der Vereinigung von Wisien und Vermögen (Können) entspringende Fertigkeit (Kunst des Arztes; Sprachkunst, Redekunst). § 6. Die Sprache, deren die Poesie sich bedient, ist durchaus verschieden von der

Sprache der Prosa (vgl. § 2).

Die Poesie verschmäht die Sprache des gewöhnlichen Le­

bens und tritt in eigenen Formen auf, die besonderen Gesetzen unterworfen sind, in den

poetischen Formen.

Die Kenntnis derselben, die zum klaren Verständnis des Wesens der

Poesie durchaus notwendig ist, wird durch die Lehre von der Verskunst (Metrik) vermittelt.

Anm. Obgleich die Poesie bisweilen in dem Gewände der Prosa auftritt, so ist doch ihre Sprache, meist poetische Prosa genannt, sehr von der wirklich prosaischen Darstellung verschieden, die auf Klarheit und Deullichkeit ausgeht; auch ihr oberstes Gesetz ist die Schönheit. Umgekehrt erscheinen oft in den Formen der Poesie Produkte, die nur durch diese Formen der Poesie angehören, während sie um ihres Inhaltes willen durchaus zur Prosa gezählt werdm müssen.

Zweiter Abschnitt.

Die Lehre von der Verskunst (Metrik). A. § 7.

Von der Silbenmessung (Prosodie).

Die Prosodie oder Silbenmeffung lehrt den Wert der Silben rücksichtlich der

Zeit oder Kraft erkennen, die zu ihrer Aussprache erforderlich ist. § 8.

Die Silben gleichen in dieser Beziehung den Noten in der Musik.

Die Lehre von der Verskunst (Metrik).

3

§ 9. Je nach der zu ihrer Aussprache erforderlichen Zeil werden die Silben in lange (Zeichen:-; Mond), kurze (Zeichen:^; der Mond) und in mittelzeitige Silben (Zeichen:^odero) eingeteilt. § 10.

Die Zeit, welche zur Aussprache der Silben erforderlich ist, hängt von der

Bedeutsamkeit der Silben ab. Anm. Die griechische und lateinische Prosodie bestimmt den Wert der Silben nach der Länge oder Kürze des in ihnen befindlichen Vokals, nach der Quantität desselben (wie die deutsche in dem einen im § 16 erwähnten Falle). In der französischen Metrik werden die Silben nur gezählt. (Quantitierender, accentuierender, numerierender Rhythmus.)

§ 11. Ihrer! Bedeutsamkeit nach zerfallen die Silben in Haupt- und Nebenfilben, § 12. Hauptsilben sind diejenigen, in denen die Grundbedeutung des Wortes liegt, während die Nebensilben nur zur Bildung der verschiedenen Wörterklassen desselben Wort­ stammes dienen. Anm. Die einfachen und abgeleiteten Wörter haben nur eine Hauptsilbe; die zusammengesetzten haben deren mehrere, von denen die erste am stärksten betont ist.

§ 13. Die Hauptsilben erfordern wegen ihrer größeren Bedeutsamkeit zu ihrer Aussprache doppelt so viel Zeit wie die Nebensilben; sie werden derünach mit dem vollen Accent gesprochen und sind lang (hochtonig). 1. Anm. Eine Ausnahme machen die Adjektiva lebendig und wahrhaftig, die Endsilben ei, ter (ieren), sowie die Vorsilbe ant, welche stets den Hauptton auf sich ziehen. 2. Anm. Demnach werden auch die Nebensilben lang gebraucht werden müssen, welche durch den scharfen Accent besonders hervorgehoben werden.

§ 14. Den Hauptsilben gegenüber sind die Nebensilben, welche nicht mit dem vollen Accent gesprochen, vielmehr in der Umgangssprache gewöhnlich unbetont gelassen werden, kurz (tieftonig). 1. Anm. Daher, daß die Nebensilben unbetont gelassen werden, kommt das sogenannte Ver­ schlucken derselben, wovor nicht genug gewarnt werden kann. 2. Anm. Während die Länge zwei Zeitteile (zwei Morä) enthält, enthält die Kürze nur einen Zeitteil (eine Mora); erstere gleicht also der Viertelnote ut der Musik, letztere der Achtelnote.

§ 15.

Jedes einsilbige Wort ist lang (hochtonig); doch sind diejenigen einsilbigen

Wörter kurz (tieftonig), welche schon in der Aussprache mit dem Worte, zu welchem sie ge­ hören, eng verbunden werden, da sie für sich allein keinen vollständigen Begriff ausdrücken,

besonders a) die einsilbigen Formen des Geschlechtswortes, b) die einsilbigen Formen der persönlichen Fürwörter, c) die meisten der einsilbigen Verhältniswörter, nämlich diejenigen, welche weder einen gedehnten Vokal, noch einen Umlaut oder Diphthongen enthalten, d) die Präposition zu vor dem Infinitiv.

§ 16.

Andrerseits aber gelten einige Nebensilben, besonders: at, bar, haft, heit,

fett, lein, lings, sal, sam, schäft, tum, wärts durchaus für lang (hochtonig), weil in ihnen ein sehr gedehnter Vokal enthalten und darum zu ihrer Aussprache mehr Zeit erforderlich ist als zu der Aussprache der übrigen Nebenfilben. § 17. Andere Nebensilben werden nur dann lang gebraucht, wenn sie im Verse neben mehreren kurzen Silben und an einer Stelle stehen, an welcher eine lange Silbe erforderlich ist; sie erhalten also erst durch ihre Stellung im Verse ihre jedesmalige Gel­ tung und heißen mittelzeitig. § 18) Die Fremdwörter sind entweder unverändert oder verändert in die deutsche Sprache herübergenommen. Ist in den ersteren die vorletzte Silbe (penultima) lang, so

Einleitung.

4

wird sie betont und daher auch im Deutschen lang gebraucht; ist sie aber kurz, so erhält die drittletzte Silbe (antepennltima) den Ton und wird lang. Die veränderten Fremd­ wörter haben entweder ihre fremde Endung verloren oder eine deutsche Endung erhalten; im ersteren Falle wird die nunmehrige letzte Silbe betont und lang, im anderen Falle aber

werden fie wie ursprüngliche deutsche Wörter behandelt.

B. § 19.

Von den Versfüßen.

Versfüße find die einzelnen Teile deS Verses, welche durch das Longe-

wicht für sich ein Ganzes bilden.

m -in -in -in - - in - in Wenn ich mein Werk gethan,

3ch sehe oft um Mitternacht,

§ 20.

-

-II -

- II -

-IP

-

Und niemand mehr im Hause wacht,

V

- || v

|| M

Die Stern' am Himmel an. Claudius.

Der Versfuß besteht aus mindestens zwei Silben und entweder auS gleichen

oder ungleichen Zeitteilen.

Sinnt. Versfüße mit gleichen Zeitteilen sind im Deutschen eigentlich unmöglich; denn selbst in Wörtern wie Mondschein hat die erste Silbe wegen der auf ihr ruhenden stärkeren Be­ tonung eine größere Zeitdauer, so daß die beiden Längen keineswegs von gleichem Wette sind. § 21.

Nach der Anzahl der Silben werden die Versfüße in zweisilbige, dreisilbige

und mehrsilbige eingeteilt. § 22. Die im Deutschen gebräuchlicheren Versfüße sind: a. die zweisilbigen:

-- Spondeus: Mondschein, Postpferd, sattsam. v- Jambus: Gesang, erhebt, gethan. Trochaeus: leben, Hülfe, heilig. (wm Pyrrhichiusi ftöh-lkchkr, ftoh-er Gk-sang.) b. die dreisilbigen:

c.

Dactylus: lieblicher, kräftigen, Kinderchen. Anapaestus: Kamerad, Geograph, es gelang. Creticus oder Amphimacer: Rebensaft, Himmelfahrt, silberhell. Amphibrachys: ergießen, Gerede, Karosse.

der viersilbige:

Choriambus: Dogelgefang, Kindergeschrei. 1. Anm. Da jedes zweisilbige Wott eine Hauptsilbe haben muß, die der stärkeren Betonung wegen lang ist, so bildet kein deutsches Wott für sich allein einen Pyrrhichius. 2. Anm. Die int Deutschen weniger gebräuchlichen Versfüße sind: ----- Molossus: Heimatland, Kirchturmuhr, Abschiedsschmaus. v v v Tribrachys: liebl-lckkr Gk-sang. — Antibaccbius: freudvolle, heimatlich, Tonkünstler. (v--v Antispastus: heworragetld, emporziehend.) § 23.

Jeder Versfuß muß eine Tonhebung (Arfis) und

eine Tonsenkung

(Thesis) haben. Die Tonhebung, welche durch einen von der Rechten zur Linken gezogenen Strich (-^v) bezeichnet wird, muß im Deutschen immer die hochtonige Silbe treffen. § 24. Je nach der Stellung der Arsis im Versfüße unterscheidet man steigende und fallende Versfüße. (Steigende Versfüße: Jambus Anapäst""^, fallende: Trochäus

Daktylus

Anm. Der Spondeus kann je nach der Stellung der Arsis (-z oder z -) zu den steigenden oder fallenden Versfüßen, gerechnet werden. § 25.

Von dem Metrum, der Zusammenstellung von Versfüßen zu einem Ganzen,

muß man den Rhythmus, die Gleichmäßigkeit der Zeitdauer in der Tonhebung und Tonsenkung, wohl unterscheiden.

Anm. Um den Rhythmus ttchttg zu erkennen, bedarf es einer sorgfältigen Prüfung des Metrums.

5

Die Lehre von der Verskunst (Metrik).

0. § 26.

Von den Versen.

Der Vers ist eine rhythmische Reihe, welche ein Ganzes bildet und in ihrem

Anfang und Ende durch das Ohr geregelt ist.

§ 27.

An dem Ende des Verses tritt, um denselben als ein Ganzes zu bezeichnen,

eine meist nicht bedeutende Pause ein.

Durch diese Pause wird die letzte Silbe des Verses

mittelzeitig (anceps), kann daher ebenso gut eine Länge, wie eine Kürze sein.

§28.

Von den Versfüßen werden die Wort süße des Verses unterschieden, welche

durch die einzelnen Wörter gebildet werden; der Artikel mit dem Hauptwort, das Fürwort mit seinem Zeitwort, die Präposition mit ihrem Kasus werden als ein Wort gerechnet. §29.

Auf dem Widerstreit der Vers- und Wortfüße beruht zum Teil die Schön­

heit der Verse.

Das wiederholte Zusammenfallen der VerS- und Wortfüße macht die

Verse eintönig. Eintönig sind Verse, wie die folgendm: Lieben Freunde, es gab schönre Zeiten. . . . Traute Heimat meiner Lieben. . . . Junges Sinngrün drängt sich dichter. . . . Schön in dieser Beziehung sind die folgenden Verse:

Ich hätte Herzzerreißendes zu singen, Wollt' ich enthüllen, was ttef in mir lodert. . . .

Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe Sturm aufwühlt und den Kiel in den Wallungen schaukelnd dahinreißt. . . . § 30. Der Widerstreit der Vers- und Wortfüße bewirkt den Verseinschnitt oder

die Cäsur.

Diese entsteht dann, wenn das Ende des WortfußeS in den Versfuß hinein­

fällt und zugleich ein größerer Ruhepunkt im Gedanken stattfindet.

Jeder längere VerS

bedarf einer Cäsur. Hast du Capri gesehn || und des felsenumgürteten Eilands Schroffes Gestab || als Pilger besucht, || dann weißt du, || wie selten Dorten || ein Landungsplatz || für nahende Schiffe || zu spähn ist. Wie rasche Pfeile | sandte mich Archilochus Vermischt mit fremden Zeilen, || doch im reinsten Maß, Im Rhythmenwechsel meldend jj seines Mutes Sturm. Hoch trat und fest ans || dein Kothurngang, || AschYluS. § 31. Die Cäsur wird männlich genannt, wenn der Einschnitt nach einer Länge,

weiblich, wenn er nach einer Kürze eintritt. Auf die Posttlle gebückt, | zur Seite des wärmenden Oiens Saß der redliche Tämm_| in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk Und braunnarbichtem Jucht', | voll schwellender Haare, geziert war, Tämm, | seit vierzig Jahren in Stolp, | dem gesegneten Freidorf, Organist, | Schulmeister zugleich | und ehrsamer Küster. § 32. Fällt aber das Ende des Versfußes mit dem Ende des WortfußeS zusammen, und ist dabei zugleich ein größerer Ruhepunkt im Gedanken vorhanden, so entsteht der Versabschnitt oder die Diärese.

Ost nun faltend die Händ' und ost mit lauterem Murmeln Las er die ttöstenden Sprüch' und Er^mähnüngkn: || aber allmählich Starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagsschlummer. § 33. Die Schönheit der Verse wird auch befördert durch möglichste Vermeidung

des Hiatus, der Elision und der Konsonantenhäusungen.

Der Hiatus entsteht

dmch das Zusammentreffen zweier Wörter, von denen das erste mit einem Vokale aus­ lautet, das zweite mit einem Vokale anlautet.

Die Elision oder Ausstoßung eines Vokals

und zwar des ersten von zwei auf einander folgenden Vokalen ist besonders ungeschickt, wenn

6

Einleitung.

sie in der Wegwerfung eines nicht tonlosen Vokals vor einem Konsonanten besteht. Zu bedeutende Konsonantenhäufungen rufen gewöhnlich einen starken Mißklang hervor. § 34. Die Wortstellung im Verse ist eine freiere; sie darf aber, wenn sie auch von der Wortstellung in der Prosa vielfach abweicht, doch nicht unnatürlich sein.

.

Welchen König der Gott über die Könige Viel zu teuer durchs Blut blühender Jünglinge Mit einweihendem Blick, als er geboren ward, Und der Muttex und Braut nächtliche Thrän'erkauft, Sah vom hohen Olymp, dieser wird Menschenfteund Lockt mit Silbergetön ihn die Unsterblichkeit Sein und Vater des Vaterlands! In das eiserne Feld umsonst! Klopstock.

§ 35. Die Verse heißen vollständig (akatalektisch), wenn der letzte Versfuß unver­ kürzt, unvollständig (katalektisch), wenn er verkürzt ist. Den zweisilbigen Versfüßen kann nur eine Silbe fehlen, den dreisilbigen aber entweder zwei (katalektisch in sillabam) oder auch nur eine (katalektisch in disillabum). § 36. Die Verse sind entweder äußerlich unverbunden an einander gereiht oder durch den Reim mit einander verbunden. Man unterscheidet drei Arten des Reims: die Allitteration, die Assonanz und den eigentlichen Reim. § 37. Die Allitteration, der Anreim oder Stabreim, besteht in einem Gleich­ klange, welcher dadurch bewirkt wird, daß die bedeutendsten Wörter zweier Verse mit dem­ selben Konsonanten anlauten. Er hält die Verse wie Stäbe zusammen. In der altdeutschen Litteratur wurde er bis auf Otftied (9. sec.) gebraucht, in der Neuzeit aber nur hin und wieder in einzelnen Strophen und Versen versucht. Roland der Ries', am Rathaus zu Bremen Steht er im Standbild standhaft und wacht; Roland der Rief am Rathaus zu Bremen, Kämpfer einst Kaiser Karls in der Schlacht. Rückert.

Wonne weht von Thal und Hügel, Weht von Flur und Wiesenplan, Weht vom glatten Wasierspiegel; Wonne weht mit weichem Flügel Des Piloten Wange an. Bürger,

§ 38. Assonanz ist der Gleichklang, welcher darin besteht, daß verschiedene auf einander folgende Wörter eines Verses oder auch die Schlußwörter der Verse denselben

Vokal enthalten. Dringe tief zu Berges Klüften, Wolken folge hoch zu Lüsten, Muse ruft zu Bach und Thale Tausend aber tausend Male.

Betrogen wird gar leicht, wer aus den Freund gehofft. Wie selten ist der Treuste treu bis in den Tod! Es tötet unaufhaltsam ost ein schnelles Wort: Doch in der Liebe blüht für alle Schmerzen Trost.

Goethe.

§ 39. Reim im eigentlichen Sinne nennen wir den Gleichklang in der Endsilbe, welcher aus der Gleichheit der Vokale und Konsonanten hervorgeht. Durch Otfried in unsere Sprache eingeführt, wirkt er wahrhaft harmonisch, wenn er rein ist, d. h. wenn die sich deckenden Konsonanten und Vokale durchaus gleichartig sind. Man unterscheidet die männlichen (stumpfen) Reime von den weiblichen (klingenden — zweisilbig — oder glei­ tenden — dreisilbig). Gut — Blut — Wut. Reitend — streitend. Veraltete — gestaltete — verwaltete.

§ 40. Die Verse folgen entweder in derselben Gestalt auf einander, oder mehrere Verse von mehr oder minder verschiedener Form werden zu einem Ganzen verbunden, welches Strophe genannt wird. D.

Von den Versmaßen und den gebräuchlicheren Strophen.

§ 41. Die gebräuchlichsten Versmaße sind die trochäischen und jambischen, die daktylischen und anapästischen. § 42. Die längeren trochäischen, jambischen und anapästischen Versmaße werden (nach dem Muster der griechischen und römischen Metrik) meist bipedisch gemessen, so daß

7

Die Lehre von der Verskunst (Metrik).

zwei Versfüße zu einem Ganzen vereinigt werden. Die daktylischen Versmaße werden monopodisch gemeßen, so daß'jeder Versfuß für sich gezählt wird. Die Verse heißen, jenachdem sie ein, zwei, drei u. s. w. Dipodieen enthalten, Monometer, Dimeter, Trimeter, Tetrameter, Pentameter, Hexameter. Jambischer Dimeter \vxmTrochäischer „ 2w-w|2w-u Anapästischer „ uv2uv-|w2uuDaktylischer „

§ 43. Die trochäischen Versmaße werden in sehr verschiedener Länge gebraucht und fast immer gereimt. Merkenswert sind besonders der trochäische Tetrameter: nach dessen zweiter Dipodie eine Diärese erforderlich ist, und die Hendekasillaben, die statt des zweiten Trochäus einen Daktylus enthalten. Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen, Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre; Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore. Freiligrctth.

_ Hendekasillaben. Schwalben hatten an meinen: Haus gesiedelt, Haben lärmend gescheucht die frommen Vögel, Jeden Morgen mich weckend mit Gezwitscher; Die auswanderten, wie mit Sack und Packe Handwerksleute, bestellt vom Herrn des Hauses, Musen wandern, wo aufgeschlagen werden Anzutünchen das Haus und auszuflicken, Philosophische Lehrsystemsgerüste. Rückert.

§ 44. Unter den jambischen Versmaßen sind die gebräuchlichsten: die NibelungenStrophe, der Senarius oder Sechsfüßler, der Alexandriner, der fünffüßige Jambus, die Terzine, die Stanze, das Sonett und das Ritornell. §45. Die Nibelungen.Strophe, wie sie jetzt gebraucht wird, enthält in jeder ihrer vier Zeilen zwei durch eine Cäsur scharf von einander gettennte Teile, deren erster ein dimeter iamb. catal. ist, während der zweite aus drei Jamben besteht. In beiden Teilen sind Anapästen zulässig. Ist denn im Schwabenlande verschollen aller Sang, Wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang? Und wenn er nicht verschollen, warum vergißt er ganz Der tapfren Völker Thaten, der alten Waffen Glanz? uhland. Anm. Die mittelalterliche Nibelungen-Strophe enthält in jedem der beiden Teile der vier Zeilen drei Hebungen mit Ausnahme des zweiten Abschnittes der letzten Zeile, welcher deren vier hat. Die Senkungen sind fakultativ bis auf diejenige nach der dritten Hebung des ersten Teiles. Ez troumde Kriemhilte in lugenden, der si pflac, wie si einen valken wilden züge manegen tac, den ir zwen am erkrummen, daz si das muoste sehen: ir enkunde in dirre werlde nimmer leider sin geschehen. Nibelungen-Lied.

§ 46. Der sechsfüßige Jambus, Senarius oder jamb. Trimeter, der von den Griechen und Römern vorzugsweise in ihren Tragödien verwandt worden ist, besteht aus drei jambischen Dipodieen, an deren ungeraden Stellen statt der Kürze auch eine Länge (Spondeus statt Jambus) zulässig ist. Er verlangt die Cäsur gegen die Mitte, am liebsten hinter der ersten Silbe der zweiten Dipodie und wird nicht gereimt. | °IIZv- | 1. Anm. Die griechischen und römischen Dichter haben den Tribrachys für den Jambus häufiger, den Daktylus und Anapäst sehr selten zugelassen. Die Deutschen haben sich eine ähnliche Freiheit nur in den Eigennamen erlaubt. Der Jambe. Wie rasche Pfeile sandte mich Archilochus, Vermischt mit stemden Zeilen, doch im reinsten Maß, Im Rhythmenwechsel meldend seines Mutes Sturm.

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Einleitung.

Hoch trat und fest auf dein Kothurngang, Äschylus; Großart'gen Nachdruck schafften Doppellängen mir Samt angefchwellten Wörterpomps Erhöhungen. Fröhlicheren Festtanz lehrte mich Aristophanes, Labyrinthischeren: die verlarvte Schar anführend ihm, Hingaukl' ich zierlich in der beflügelten Füßchen Eil'. Schlegel.

2. Anm. Der in satirischen Gedichten (nicht gar häufig) gebrauchte Choliambe (hinkender Jam­ bus) ist eine Abart des Trimeters insofern, als er statt des letzten Jambus einen Trochäus hat. Geht diesem ein reiner Jambus vorauf, so ist die bezweckte Wirkung um so auffälliger.

Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstrichter, Die immerfort voll Naseweisheit mitsprechen Und eins nur wissen sollten: daß sie nichts wissen. Wo die Kritik hinkt, muß ja auch der Vers lahm sein. Wer fehl Gemüt labt ant Gesang der Nachteulen Und, wenn die Nachtigall beginnt, das Ohr zustopft, Dem sollte man's mit scharfer Dissonanz abhaun. Schlegel.

§ 47. Aus dem jambischen Trimeter wird der sogenannte Alexandriner, wenn statt der erwähnten Cäsur die Diärese hinter dem dritten Versfüße einrritt. Dieser in scharf getrennte Hälften ^^-^-||«-^-^-(^) auseinanderfallende und deshalb in längeren Gedichten unerttägliche Vers wird auch gereimt und wächst dann um des weib­ lichen Reimes willen öfter um eine Silbe. Von Opitz bis auf Klopstock im Epos und Drama fast ausschließlich gebraucht, mußte er endlich dem Hexameter und dem fünffüßigen Jambus weichen; er ist aber,'besonders durch Rückert und Freiligrath, in der neueren Zeit wieder angewandt worden. Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein. Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein, Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden. Was itzund prächtig blüht, soll bald zertteten werden; Was itzt so pocht uud ttotzt, ist morgen Asch' und Bein, Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein. GryphiuS.

§ 48. Für das deutsche Drama ist seit Lessings Nathan der fünffüßige Jambus gebräuchlich geworden. Er besteht bald aus 5, bald aus 5*/3 Füßen und entbehrt gewöhn­ lich deS Reimes. An allen Stellen sind Spondeen, bei Eigennamen ist auch der Datthlus und rücksichtlich der Cäsur große Freiheit gestattet. Vor grauen Jahren lebt' ein Mann im Osten, Der einen Ring von unschützbarem Wert Aus lieber Hand besaß. • Der Stein war ein Opal, der hundett schöne Farben spielte,

Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Au- Lessing- Nathan.

§ 49. Die Terzine besteht aus drei zur Strophe verbundenen Zeilen, deren jede ein trim. iamb. catal. ist. Die erste und dritte Zeile find gereimt, während die zweite stets den Reim für die erste und dritte Zeile der folgenden Sttophe angiebt (aba, beb, ede, ded u. s. w.). Der letzten Strophe wird ost behufs des Abschlusses eine vierte Zeile hin­ zugefügt und mit der zweiten durch den Reim verbunden. Das Meer, wie es von tausend Perlen triefe, Die Glut zu löschen auf dem Feuerherde Das Meer kann sich nicht messen mit der Erde, Im Erdenhaus, hat stürmend sich verbündet Ob auch den Himmel es zum Richter riefe. Der grimmen Wogengeister nasse Herde; Doch sturmfest ist das Erdenhaus gegründet, Und durch Gebirgesschlöte, feuerspei'nde, Ist seiner Feueressen Kraft verkündet. Rückert.

§ 50. Die Stanze oder Ottaverime besteht aus acht Zeilen, deren jede ein trim. iamb. catal. ist. Sie werden derartig verbunden, daß die erste, dritte und fünfte, ebmso

9

Die Lehre von der Verskunst (Metrik).

die zweite, vierte und sechste, endlich die siebente und achte Zeile auf einander reimen (abababcc). Oft sind die zweite, vierte und sechste Zeile um eine Silbe kürzer und dann durch männlichen Reim zusammengeschloffen. Dem Schwane, der, sein eigner Leichensänger, Die Seele läßt in seinem Lied entschweben, Vergleicht der Dichter sich, wiewohl er länger Scheint nach gesungnem Liede noch zu leben; Doch ringet sich vom Leben, ihrem Dränger, Die Seel' in jedem Liede los: nur eben, Daß böser Zauber gleich zurück sie zwinget, Wo sie von neuem stets zu sterben ringet. Rückert.

Wohl mancher mag die weiße Atos erheben, Die füll im Schoß den keuschen Frieden trügt; Ich werde stets den Preis der roten geben. Aus welcher hell des Gottes Flamme schlägt. So feuchten Glanz, solch glühend Liebesleben, So lauen Dust, der Sehnsucht weckt und hegt, Solch kämpfend Weh, verhüllt in tiefe Röte, Ich acht' es süß, ob's auch verzehr' und töte. Schulze.

§ 51._ Das Sonett besteht aus vierzehn durch Sinn und Reim zu einem Ganzen verbundenen Zeilen, deren jede ein trim. iamb. catal. ist, und zerfällt in zwei Hauptteile. Der erste Hauptteil enthält zwei Sttophen von je vier Zeilen, von denen die erste, viette, fünfte und achte, ebenso die zweite, dritte sechste und siebente durch den Reim verbunden sind. Der zweite Hauptteil besteht aus zwei dreizeiligen Sttophen, in denen die erste, dritte, fünfte, ferner die zweite, viette und sechste Zeile sich reimen. Bisweilen wird auch ein dreifacher Reim in den beiden letzten Sttophen gebraucht. Gewöhnliche Reimstellung: abba abba ede dcd. Anm. In dem ersten Hauptteil haben einige Dichter die zweite, dritte, sechste und siebente Zeile um eine Silbe kürzer gemacht und durch den männlichen Reim verbunden. Zwei Reime heiß' ich viermal kehren wieder Und stelle sie geteilt in gleiche Reihen, Daß hier und dott zwei eingefaßt von zweien Zm Doppelchore schweben auf und nieder; Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder Sich freier wechselnd, jegliches von dreien. In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen Die zattesten und stolzesten der Litt>er. Den werd' ich nie mit meinen Zeilen ttänzen, Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket Und Eigensinn die künstlichen Gesetze; Doch, wem in mir geheimer Zauber winktt, Dem leih' ich Hoheit, Füll' in engen Grenzen Und reines Ebenmaß der Gegensätze. Schlegel. Anm. Der Sonettenkranz besteht aus fünfzehn Sonetten, die so gebildet sind, daß die Schlußzeile des vorhergehenden die Anfangszeile des folgenden, die Anfangszeile des ersten aber die Schlußzeile des vierzehnten ist. Das fünfzehnte Sonett (das Meistersonett) ist aus den ersten Zeilen der vierzehn vorhergehenden Sonette zusammengesetzt.' Durch alle fünfzehn zieht sich ein Hauptgedanke hindurch.

§ 52. Das Ritornell enthält drei Zeilen, deren jede ein trim. iamb. catal. ist. Die erste und dritte Zeile werden auf einander gereimt, während die zweite an diesen Reim durch Affonanz und Allitteration nur anklingt. O Herrin unbegrenzter Schönheitsreiche! Ich meffe meiner Liebe Himmelsstriche Und fürchte nicht, daß ich an Macht dir weiche.

Geschmückt an Anmut und getont an Treue! So schön ist keine Blum' im Frühlingstaue, Wie du mir ewig gleich und immer neue. Rückert.

Anm. Von den übrigen der Fremde entlehnten jambischen Maßen dürsten noch zu erwähnen sein 1) die (besonders von Zedlitz in seinen „Totenkranzen" gebrauchte) Kanzone; ihre aus abwechselnd elf- und siebensilbigen Jamben gebildeten Zeilen sind zwar rückflchtlich ihrer Anzahl keinem Zwange unterworfen (es werden deren gewöhnlich sechzehn, dreizehn oder elf zu einer Strophe verbunden), werden aber doch zu durchaus gleichmäßig gebildeten Sttophen vereinigt. Diese bestehen aus drei Teilen, nämlich aus den beiden Füßen, aus dem Schweife oder der coda, die sich mit ungetrenntem Reim an den durch eine logische Pause von ihr getrennten zweiten Fuß anlehnt, und aus der Schlußsttophe, die rücksichtlich der Verszahl meist mit der coda übereinstimmt. Die Wahl der Reimverschlinaung in den „Füßen" ist dem Dichter überlassen; 2) das Triolett, welches meist aus acht bis zwölf

10

Einleitung. jambischen oder auch trochäischen Versen besteht. Die beiden ersten Verse, welche dm Hauptgedanken enthalten, werden am Schluß der Strophe wiederholt, der erste auch in ihrer Mitte. Das Triolett eignet sich besonders zu scherzhaften Gedichten.

Triolett. Umsonst.

Und wird ihm auch den ganzen Tag „Freut euch des Lebens!" vorgesungen. Wer einmal sich nicht freuen mag, Dem fruchten nicht Ermunterungen.

Wer einmal sich nicht freuen mag, Dem fruchten nicht Ermunterungen. Es flieht der Freude Huldigungm, Wer einmal sich nicht freuen mag,

Naßmann.

Z 53. Unter den daktylischen Versen ist der Hexameter der gebräuchlichste. Er besteht eigentlich aus sechs Daktylen; doch ist an die Stelle des letzten ein Trochäus

oder wegen der sillaba anceps am Ende ein Spondeus getreten. Der fünfte Daktylus wird in der Regel rein erhalten, während die vier anderen mit Spondeen (Trochäen sind möglichst zu vermeiden!) vertauscht werden können. Der Hexameter hat entweder in dem dritten oder in dem zweiten und viertm Fuße die Hauptcäsur. ist eine Diärese hinter dem viertm Fuße.

Die bukolische Cäsur

Der Hexameter. Gleichwie sich dem, der die See durchschifft, auf offener Meerhöh' Rings Horizont ausdehnt und der Ausblick nirgend umschränkt ist, Daß der umwölbende Himmel die Schar zahlloser Gestirne Bei hell atmender Luft abspiegelt in bläulicher Tiefe: So auch trägt das Gemüt der Hexameter; ruhig umfaffend, Nimmt er des Epos Olymp, das aewaltige Bild, in den Schoß auf Kreisender Flut, iwväterlich so den Geschlechtern der Rhythmen, Wie vom Okeanos quellend, dem weithin strömenden Herrscher, Alle Gewässer auf Erden entrieselen oder entbrausen. Schleg-l.

§ 54. Mit dem Hexameter wird häufig der sogenannte daktylische Pentameter zur Zweizeile, dem Distichon, verbunden. Dieser sogenannte Pentameter besteht aus zwei durch eine Diärese scharf getrennten Teilen. Beide Teile enthaltm je zwei Daktylen und eine nachfolgende lange Silbe; während aber im ersteren die Daktylen mit Spondeen vertauscht werden dürfen, müssen im zweiten Teile die Daktylen durchaus rein erhalten werden. Sinnt.

Schema: Das elegische Versmaß besteht aus aufeinanderfolgenden Distichen. Im Hexameter steigt des Springqnells silberne Säule: 3m Pentameter drauf fällt sie melodisch herab. Schiller.

E. § 55.

Von d en Odenstrophen.

Unter den Odenstrophen sind die sapphische, die alkäische und die asklepia-

deische Strophe die gebräuchlichsten. § 56. Die sapphische Strophe enthält .vier Zeilen. Die drei ersten, die einander vollkommen gleich sind, bestehen aus zwei trochäischen Dipodieen, welche durch einen Daktylus von einander getrennt sind. Den Abschluß der Strophe bildet der adonische Vers (-cw-to), |Xvv| w |

v-G | -t v-O |

w | JL v - v

Zu vZü

Schön und glanzreich ist des bewegten Meeres WÄenschlag, wenn tobenden Lärms es anbraust; Doch dem Feu'r ist kein Element vergleichbar Weder an Allmacht,

Noch an Reiz fürs Auge. Bezeug' es jeder, Der zum Rand abschüssiger Kraterttefe, Während Nacht einhüllt die Natur, mit Vorwitz Staunend enlporklimmt. Platen/

Die Lehre von der Verskunst (Metrik).

11

§ 57. Die alkäische Strophe enthält ebenfalls vier Zeilen. Die beidm ersten enthalten nach vorangehendem Auftakt eine trochäifche Dipodie und zwei Daktylm; der dritte Vers ist aus zwei trochmschen Dipodieen mit vorgesetztem Austakt, der vierte aus

zwei Daktylen und nachfolgender trochäischer Dipodie gebildet. v|Zv-v|XwXvv ö|Xv_v|XwZvG

O | Zv-v | X v-C vXvv|Iv-ü

Der Seraph stammelt und die Unendlichkeit Bebt durch den Umkreis ihrer Gebilde nach Dein hohes Lob, o Sohn! Wer bin ich, Daß ich mich auch in die Jubel dränge?

Dom Staube Staub! Doch wohnt ein Unsterblicher Don hoher Abkunft in den Verwesungen Und denkt Gedanken, daß Entzückung Durch die erschütterte Nerve schauert!

Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung sein, Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut, Und andrer Schauer Trunkenheiten Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken. Anfang von Klopftocks Ode „Dem Erlöser".

§ 58. Von der asklepiadeischen Strophe giebt es vier Arten; doch werden von diesen im Deutschen meistens nur gebraucht die dritte, welche aus drei kleineren asklepiadeischen und dem nachfolgenden glykoneischen Verse besteht: XX | X X X j X

| X w vX | Xvvluü

XX|Xvv-|XwvXv2 xx|xwwxm^ (glyk. Vers) und die vierte, die aus zwei kleineren asklepiadeischen, dem sogenannten pherekrateischen

und dem glykoneischen Verse gebildet ist. XX|Xvv_ | X w -L v v

2X |Xvv_|XvvXuü

zz|12

(pherekrat. Vers)

XX|XuvXv2

Dritte asklepiadeische Strophe.

Vierte asklepiadeische Strophe.

Welchen König der Gott über die Könige Der verkennet den Scherz, hat von den Grazien Mit einweihendem Blick, als er geboren ward, Keine Miene belauscht, der es nicht fassen kann, Sah vom hohen Olymp, dieserwird Menschenfreund Daß der Liebling der Freude Sein und Vater des Vaterlands! Nur mit Sokrates' Freunden lacht. Anfang von KlovstockS Ode „Friedrich V*.

Anfang von Klopftock- Ode „An Gleim".

Dritter Abschnitt. Die Lehre von den Gattungen der Dichtkunst (Poetik). § 59. Durch die verschiedenen Arten, wie der Jdeeenstosf erfaßt und dargestellt wird (vgl. § 3), entstehen die verschiedenen Gattungen der Litteratur. Auf dem Gebiete der Porste erhalten wir zuerst das Epos im weiteren Sinne als die objektive Darstellung des Geschehenen, sodann die Lyrik als die subjektive Darstellung des Empfundenen, auf dem Gebiete der Prosa aber die Geschichtschreibung als die objektive Darstellung des Geschehenen und die wissenschaftliche (philosophische) Darstellung als die subjektive Darstellung des Gedachten. Die Verbindung der objektiven und subjektiven Darstellung läßt auf jenem Gebiete das Drama, auf diesem Gebiete die Beredsam­ keit entstehen. Wie im Drama unter vollständiger Aufhebung des Objektiven und Sub­ jektiven der Dargestellte zugleich dargestelltes Objekt und handelndes Subjekt ist, so stnd in

12

Einleitüng.

der Beredsamkeit das thatsächlich Gegebene und die denkende, wissenschaftliche (philosophische) Betrachtung aufs innigste verschmolzen.

§ 60. Da die Poesie (nach § 5) nicht den Zweck der Belehrung verfolgt, so ist zwar Lehrpoesie (didaktische Poesie) eigentlich keine Poesie; andrerseits aber ist die Zahl der guten und schönen Dichtungen, welche mit dem wahren Zwecke der Poesie auch die Be­ lehrung verbinden, so groß, daß die didaktische Poesie, in welcher die Belehrung als Zweck hervortritt, als berechtigt zur Aufnahme unter die Gattungen der Poesie erscheint. Die didaktischen Gedichte bilden nicht eine besondere Gattung, sondern sind der epischen, lyrischen oder dramatischen Poesie zuzuweisen, jenachdem in ihnen das epische, das lyrische oder das dramatische Element vorwiegt. Anm. Diejenigen sogenannten Gedichte, in denen die Lehre ohne alle poetische Auffassung, ohne jeden poetischen Gehalt vorgetragen wird, sind durchaus zur Prosa zu rechnen.

A. Die Poesie. I.

Die epische Poesie.

§ 61. Die epische Poesie bringt den äußerlich und sinnlich gegebenen Stoff äußerlich und sinnlich zur Darstellung. Dieser Stoff, den ihr teils die Natur, teils die Handlung des Menschen bietet, wird dabei so sehr die Hauptsache, daß der Dichter, ganz und gar der Idee des Großen und Ewigen in der Natur und Geschichte hingegeben, seines eigenen Wesens sich völlig entäußert und nur der Dolmetsch seines mit Begeisterung er­ griffenen Stoffes ist. Die That, Handlung, Begebenheit wird als schon vergangen erzählt, auch wenn der Dichter zu größerer Belebung der Darstellung dieselbe durch den sprachlichen Ausdruck bis­ weilen in die Gegenwart rückt. Die Menschenthätigkeit selber wird dargestellt, nicht die durch sie hervorgerufenen Empfindungen, der Gegenstand als ein gewordener, nicht als ein werdender, die That selbst, nicht die Eindrücke derselben auf des Dichters Gemüt. Der epische Dichter erzählt nicht nur, daß die Menschen und wie sie handeln; er beschreibt auch,

was ihnen begegnet, mit ihnen sich begiebt; er beschreibt zugleich die Lagen, Zustände und Umgebungen, in denen sie sich befinden. Bisweilen erscheinen diese Beschreibungen los­ gelöst von jeder Handlung, also als selbständig und bilden dann die Abart der lyrischen

Dichtung, welche man poetische Schilderung zu nennen pflegt. Es ist gleichgiltig, ob der Stoff, welchen der Dichter benutzt, wirklich oder durch die Phantasie des Dichters erfunden ist; doch muß er unter Vermeidung von Anachronismen auf natürliche Weise (ohne einen deus ex machina) entwickelt und durchweg objektiv dar­

gestellt werden. § 62. Die epischen Dichtungen, deren einige im Gewände der Prosa aufzutreten pflegm (Märchen, Roman, Novelle, Parabel), werden am zweckmäßigsten nach ihrem Inhalte eingeteilt: a) in solche, die ihren Inhalt vorzugsweise aus der Sagenwelt schöpfen: 1. Sage und Mythe; 2. Legende; 3. Märchen; 4. Ballade und Romanze; 5. Epos; b) in solche, die ihren Inhalt auS dem wirklichen Leben nehmen: 6. Poetische Erzählung; 7. Idylle; 8. Roman; 9. Novelle; c) in solche, die den epischen Stoff zum Träger bestimmter Gedanken machen (epischdidaktisch): 10. Fabel; 11. Allegorie, Parabel, Paramythie; 12. Rätsel.

II. § 63.

Die lyrische Poesie.

Die lyrische Poesie ist subjektiv und innerlich: sie stellt die ewigen Ideeen

des menschlichen Geschlechtes mit vorherrschender Empfindung dar.

Sie will nicht die Er-

Die Lehre von den Gattungen der Dichtkunst (Poetik).

13

scheinungm der äußeren Welt als solche darstellen, sondem die Empfindungen und Gedanken wiedergeben, die durch die Erscheinungen im Dichter hervorgerufen sind. Diese Empfin­ dungen aber müßen innere Wahrheit haben; denn nur solche erwecken in dem Hörer

das gleiche Gefühl und finden in aller Herzen den gewünschten Wiederhall. Den Unterschied zwischen der epischen und lyrischen Poesie bildet also die Art der Behandlung deS Gegenstandes. Die lyrische Poesie ist mehr sinnig, mehr reflexiv; nur ist die Reflexion nicht schlechthin und offen dargelegt wie in der Prosa, sondem eingehüllt in Bilder. Selbst das Thatsächliche ist aus der lyrischen Poesie nicht ausgeschlossen, wie ja auch der epische

Dichter wohl einmal seine Empfindungen über daS, was er erzählt, enthüllen darf (Ballade); aber cs ist nicht ihr Zweck; ffe verdeutlicht nur durch dasselbe den Gedanken. In der lyrischen Poesie herrscht eine größere Freiheit, eine mannigfaltigere Kombina­ tion, meist auch eine größere Tiefe der Gedanken.

Daher ist die Lyrik oft minder klar und

verständlich; sie deutet oft nur an und verlangt, daß man hinzudenke. Ihr ist daher auch ein kurzer Ausdmck angemessen; ihr paßt besonders diejenige Form, in der ein größerer Wechsel des Rhythmus stattfindet. Je größer dieser ist, desto größer müssen auch die Mittel

sein, um das Mannigfaltige zu einer Einheit zusammenzuschließen, und ebm der Ausdmck dieser Einheit der Mannigfaltigkeit im Rhythmus ist die Strophe. Im allgemeinen muß der lyrische Dichter auf die Form die größtmögliche Sorgfalt verwenden, weil er

zumeist durch sie vor der Vergessenheit sich schützen kann, die ihm besonders droht; denn die Jdeeen, Anschauungen und Bestrebungen seiner Zeit werden leicht der Nachwelt unver­ ständlich, wenn sie nicht auf Gegenstände sich beziehen, welche für die ganze Mmschheit ewig wichtig bleiben. Mit der lyrischen Poesie steht die Musik, die der durch den Ton gegebene unmittel­ bare Ausdmck der Empfindung ist, in enger Verbindung. § 64. Bei der Einteilung der lyrischen Poesie in ihre Arten bietet der Umstand einige Schwiettgkeit, daß viele lyrische Dichtungen nach ihrer äußeren Form benannt werden als: Sonett, Stanze, Terzine, Madrigal, Kanzone, Triolett, Ghasel u. s. w. Die äußere Form bietet aber keinen brauchbaren Einteilungsgmnd. Zweckmäßiger ist die Ein­ teilung, welche sich auf den Ursprung der Gefühle gründet, die dm Inhalt der Lyrik bilden, und die Behandlungsweise des Gegenstandes berücksichtigt, die durch bett Inhalt bedingt ist. Die Gefühle aber entspringen entweder aus dem erregten und bewegten Gemüte des Dichters oder aus der mhigen Betrachtung, bei welcher nicht selten die Reflexion

ganz besonders vorwiegt. Danach erhalten wir als die beiden Hauptarten der lyrischen Poesie a) das Lied, zu welchem 1. das eigentliche Lied, 2. die Ode, 3. der Dithyrambus, 4. der Hymnus zu rechnen sind; b) die elegische Dichtung, zu welcher 5. die Elegie im weiteren Sinne, 6. die Elegie tot engeren Sinne, 7. die Herolde — und mit vor­

herrschender Reflexion 8. die Satire, 9. das Epigramm, 10. das Lehrgedicht, 11. die Gnome und 12. die poetische Epistel gehören. III.

Die dramatische Poesie.

§ 65. Die dramatische Poesie ist die Verschmelzung der epischen und lyrischen Poesie, da sie einerseits eine Darstellung von Thatsachen ist, wie das Epos sie auch bietet, andrerseits aber auch die Tiefe des Gemüts der handelnden Personen mtzüllt. Sie unterscheidet sich jedoch auch von beiden wesentlich. Das im Zwiegespräch (Diverbium) enthaltene Faktische nämlich wird nicht als vergangen erzählt wie im Epos, sondem es geschieht, entwickelt sich, schreitet vor unfern Augm fort; es wird aus der Ver-

14

Einleitung.

gangenheit in die unmittelbare Gegenwart gerückt. Das Drama erzählt also nicht, schildert nicht — es stellt dar. Das lyrische Element besteht nicht in der unmittelbar zum Aus­ druck gebrachten Empfindung, sondern in der Äußerung des Willens, der zu den Hand­

lungen drängt und auS ihnen fich .erkennen läßt. Darin liegt zugleich die innige Ver­ schmelzung beider Elemente: aus der Empfindung geht das Faktische unmittelbar in der dramatischen Darstellung hervor, so daß beides fich gegenseitig Wurzel ist; die Empfindung (das Innere) und die Thatsache (das Äußere) sind wie Leib und Seele auf das innigste

mit einander verbunden. A n m. Nur in den sogenannten lyrischen Partieen, welche vereinzelt im Drama vorkommen, ge­ langen die Empfindungen, Gedanken und Reflexionen unmittelbar zum Ausdruck.

§ 66.

Die dialogische Darstellung ist ein ferneres und wesentliches Merkmal

des Dramas, welches durch sie die genaueste Nachahmung des Lebens wird. Sie bezweckt den Fortschritt und die Entwicklung der Handlung, die innere Verknüpfung der verschiedenen Elemente zu einem gemeinsamen Ganzen und bewirkt dadurch die Spannung in dem Ge­

müte des Zuschauers. Diese in sich geschlossene, lebhaft fortschreitende und stetig ent­ wickelte Handlung muß aber als die symbolische Darstellung einer höheren Idee auftreten, wenn das Drama ein poetisches Kunstwerk sein soll. Und weil nun jegliche Poesie Einheit

verlangt, so muß auch in dem Drama, in dem ja die Thatsache und die Empfindung ver­ bunden ist, die Einheit der Handlung und der Empfindung vorhanden sein. Diese Einheit der Handlung beschränkt sich darauf, daß der Konflikt der beiden einander entgegengesetzten

Haupthandlungen bis zu einem gewissen Ziele fortgeführt wird. Die (sogenannte aristo­ telische) Einheit des Raumes und der Zeit, welche von den Franzosen als unverbrüchliches Gesetz hingestellt wird, hat selbst bei den Alten niemals als ein unverbrüchliches Gesetz gegolten; doch pflegt aus der Einheit der Handlung meist mehr oder weniger auch die Einheit des Raumes und der Zeit zu folgen. § 67. Die umfangreichere Handlung bietet selbst Abschnitte, gewissermaßen Ruhe­ punkte in ihrem Fortschritte, in ihrer Entwicklung dar. Sie bedingt daher die Einteilung des Dramas in verschiedene Akte oder Aufzüge, die von den Alten durch eingefügte Chorgesänge, von den Neueren durch Pausen getrennt werden. Diese Akte sondem von einander zunächst die nähere Angabe (die Exposition) der Verhältnisse, in denen die gegenüberstehenden Parteien für sich und in ihrem Gegenüber sich befinden, und die erste Ein­ leitung der Handlung, sodann die Fortführung derselben, ihre Verwicklung und die Herbeisührung des Konflikts, endlich die Lösung dieses Konflikts, also die Ausgleichung der Wirkung und Gegenwirkung, die Katastrophe. Für weniger umfangreiche Handlungen genügen demnach drei Akte. Da aber meist die Darstellung des Kampfes selbst, die Fortführung und die Bewicklung der Handlungen eine ausgedehntere Veranschaulichung, also auch eine größere

Zett in Anspruch nehmen, so wird der zweite Abschnitt zumeist wieder in drei Teile zer­ legt, deren erster den Beginn der Handlungen, der zweite und dritte aber ihre Fortent­ wicklung und den Konflikt anzugeben haben. Dadurch ist die meist festgehaltene Fünfzahl

der Akte herbeigeführt worden. Die Akte selbst zerfallen wieder in Scenen oder Auf­ tritte, deren Anfang durch das Auftreten einer neuen Person bedingt wird. § 68. Das Drama zerfällt zunächst in zwei Hauptcharaktere, in die Tragödie und in die Komödie. Erstere ist die Darstellung des Menschen in seinem Ringen nach den höchsten Gütcm des Lebens, letztere die Darstellung des Menschen in seinem aus nichtige und gemeine Zwecke gerichteten Streben. Zu beiden haben die Neueren das

musikalische Drama, die Verbindung der Dichtkunst und der Tonkunst, hinzugesügt. Als eine Abart der Tragödie wird das Drama im engeren Sinne oder das Schauspiel,

Die Lehre von der Redekunst (Rhetorik).

15

als eine Abart der Komödie die Posie genannt. Das musikalische Drama umfaßt die Oper und Operette, deren Abarten die Kantate und das Oratorium, das Vaudeville oder Singspiel und das Melodrama sind.

B. Die Prosa. I.

§ 69.

Die historische Prosa.

Die historische Prosa bringt den Stoff zur Darstellung, welcher objektiv

vorhanden, von außen gegeben, bereits fertig ist. Ihre Aufgabe ist es, diesen Stoff über» sichtlich zu gruppieren und wohlgeordnet hinzustellen, damit er leicht überblickt, klar an­ geschaut und genau erfaßt werden kann. Sie wird eingeteilt in die beschreibende und in die erzählende Darstellung, jenachdem sie die Dauer oder den Wechsel, das Verharren oder die Veränderung, dm Raum

oder die Zeit, die Natur oder die Geschichte zu ihrem Gegenstände sich erwählt; immer aber bleibt sie auf das Wirkliche und Sinnliche, also auf die Thatsache selbst gerichtet.

II. Die wissenschaftliche Prosa.

§ 70. Die wissenschaftliche oder philosophische Prosa ist die Darstellung des zwar äußerlich gegebenen, von dem Darsteller aber innerlich (subjektiv) erfaßten Gegen­ standes, der infolge der geistigen Verarbeitung und Durcharbeitung als neu und eigen­ tümlich hervorgebracht erscheint. Der denkende Mensch macht wie die ganze Natur, so auch sich selbst zum Gegenstände seiner wisienschastlichen Betrachtungen. Dieser Gattung der Prosa, deren Aufgabe es ist, den Gedanken, die Idee durch deutlichen Ausdruck zu vollstem Verständnis zu bringen, fällt wie im allgemeinen die Philosophie, so im besondem die Philosophie der Geschichte anheim, welche auf die Jdeeen ihr Gewicht legt, die an der Hand der Thatsachen entwickelt werden. III. Die oratorische Prosa.

§ 71. Wie die dramatische Poesie eine Verschmelzung der epischen und lyrischen Poesie, so ist die oratorische Prosa eine Verschmelzung der historischm und wisienschast­ lichen (philosophischm) Prosa. Das Faktische, das thatsächlich Gegebene, also das Historische bildet die Grundlage, auf welcher sich das Denken, die Reflexion erhebt, so daß auS dieser Vereinigung ein neuer, eigentümlicher Stoff hervorgeht, der aber als augenblicklich erzeugt dargestellt, auf die Zukunft gerichtet wird. Der Redner will überreden oder überzeugen, immer aber zum Handeln, zur Thätigkeit antreiben und anreizen. Jenachdem der Gegenstand der Rede ein religiöser oder weltlicher ist, unterscheidet man die Beredsamkeit in eine geistliche und weltliche. Anm. Die Briefe gehören ihrem Inhalte nach entweder zu der historischen oder zu der philo­ sophischen oder zu der oratorischen Prosa.

Vierter Abschnitt. Die Lehre von der Redekunst (Rhetorik). § 72.

Die Rhetorik (ars bene dicendi) müßte eigentlich, wie die Poetik über die

drei Gattungen der Poesie, sich über alle drei Gattungen der prosaischen Darstellung ver­ breiten; sie faßt aber, schon von Aristoteles, Cicero und Quintilian in ihrm Grundzügen festgestellt, vorzugsweise die oratorische Prosa ins Auge und zerfällt in die Lehre von der

Erfindung, von der Anordnung, von der Darstellung und von dem Vortrage.

Einleitung.

16

A. Bon der Erfindung. § 73. Für die Rede, beren Gegenstand entweder ein ganz allgemeiner oder ein besonderer, und deren Zweck entweder ein erweisenber (oratio demonstrativa) oder berat­ schlagender (or. deliberativa) oder gerichtlicher (or. forensis) ist, wird der Stoff durch die Erfindung (inventio) ausgesucht und für die fünf Hauptteile der Rede verteilt. Diese sind: der Eingang (exordium), die Darlegung (expositio oder narratio), die Begründung (confinnatio oder probatio), die Widerlegung (confutatio oder reprehensio) und der Schluß (peroratio oder conclusio).

§ 74.

a) Der Eingang, durch welchen der Redner sich deS Hörers Zuneigung

gewinnm (captatio benevolentiae), ganz besonders aber ihn auf die zu behandelnde Sache aufmerksam machen will, muß einfach, natürlich und den Sachm, wie Personen angemeffen sein. Rücksichtlich seiner Ausdehnung muß er in richtigem Verhältniffe zu dem Hauptteile der Rede stehen, welcher die Darlegung, Begründung und Widerlegung umfaßt, und mit ihm eng zusammenhangen, ohne etwas vorwegzunehmen, was in den Hauptteil selber gehört. Den geeignetsten Stoff für den Eingang liefert daher entweder die Bedeut­

samkeit und Wichtigkeit der Sache selbst oder die Absicht und der Zweck des Redners oder endlich die näheren Umstände, welche den Ort, die Zeit und die Personen betreffen. Sehr häufig und mit gutem Erfolg wird der Eingang von dem Gegensatze des Themas selber

hergeleitet.

§ 75.

b) Die Darlegung der Sache, welche bei der gerichtlichen Rede in der

einfachen, klaren und übersichtlichen Erzählung der zu Gmnde liegenden Thatsache besteht, umfaßt zunächst die genaue, durchaus bestimmte Aufstellung des Hauptsatzes, unterscheidet denselben von seinem Gegensatze und schützt ihn vor etwa möglichen Mißverständniffen. Sodann umfaßt sie die Teilung des Gegenstandes, die entweder eine Einteilung (Division) ist, d. h. die Darstellung des Allgemeinen (des Begriffes) nach den unter ihm enthaltenen Geschlechtern, Gattungen, Arten, oder eine Zerteilung (Partttton), d. h. die Zerlegung deS Ganzen in seine äußeren, neben einander liegendm Teile. Die

Einteilung muß rücksichtlich des Teilungsgrunbes (fandamentum divisionis) fruchtbar und angemessen, hinsichtlich ihrer Glieder vollständig, richttg und möglichst beschränk, end­ lich auch stetig und folgerecht, braucht aber nicht immer streng logisch oder zweigliedrig (dichotomisch), sondern kann auch vielgliedrig (polytomisch) sein. Sie wird auf das Thema

selbst oder auf die Beweisgründe und die vermutlichen Gegengründe oder auch auf die nebensächlichen Verhältnisse angewandt, welche Zeit, Ort und Person betreffen. § 76. c) Die Begründung entnimmt ihre Beweisgründe, welche entweder sicher oder wahrscheinlich oder zweifelhaft find, «) aus den äu'ßeren Quellen (loci, ronot; daher die Topik). Zu diesen werden gerechnet: eine etwa früher schon ergangene Ent­ scheidung (praeiadicium), die allgemeine Annahme (fama), die Zeugenaussage (testimonhm)

und der Eid (iusiurandum); st) aus den inneren Quellen, deren hauptsächlichste folgmde

sind: 1. die Worterklärung (confinnatio per etymologiam), so daß die Bedeutung, Ab­ stammung, die Verwandtschaft, ja sogar der bloße Gleichklang des Wortes als Begrün­ dung bient; 2. bie Begriffserklärung ober Definition; biese besteht in bet Darstellung ber inneren Größe eines Begriffs ober in ber Angabe seines Inhalts, b. h. in ber Aufzählung sämtlicher wesentlicher Merkmale, bie in bem Begriffe enthalten sinb. Gewöhnlich

wirb sie ausführlicher gemacht als bie eigentlich philosophische Definitton; 3. bie Aufzählung ber Teile (c. per enumerationem partium), so daß von der Wahrheit des Ganzen auf die Wahrheit der Teile geschlossen wirb; 4. bie Angabe ber Ursachen unb ber Wirkungen;

Die Lehre von der Redekunst (Rhetorik).

17

6. die Angabe der mit der Sache verbundmen näherm Umstände, welche man in dem Verse quis? quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? genauer bezeichnet hat; 6. die Angabe des Gegensätzlichen oder auch des Ähnlichen und Unähnlichen, selbst

mit Anwendung von Fabeln und Parabeln; 7. die Anfühmng von bildlichen Dergleichen (c. per comparata), von entweder wirklichen oder erfundenen Beispielen; endlich 8. die An­ führung von Aussprüchen anderer (c. per testimonia). Die Begründung bedient sich vorzugsweise der verschiedenen Formen des Schlusses, d. h. der Vermittelung zweier Urteile durch ein drittes, welches zu beiden in einem be-

stimmten Verhältnisse steht. Der Schluß besteht aus dem Ober- und Untersatze (propositio maior und minor) und aus dem Schlußsätze (conclusio); er tritt aber nicht eben häufig in dieser Grundform auf: Alle Menschen können irren, Casus ist ein Mensch,

Casus kann irren.

Öfter tritt er in der hypothetischen Form auf, so daß dem Obersatze, der ein hypo­ thetisches Urteil enthält, ein kategorisches als Untersatz folgt, in welchem die Bedingung

entweder gesetzt oder verneint wird: Wenn in einem Dreiecke der eine der drei Winkel — 1 R ist, so ist das Dreieck rechtwinklig; nun ist im A ABC bet Z. A = 1 R; also ist A ABC rechtwinklig.

Ost tritt er auch in der disjunktiven Form auf, wonach von dem kontradiktorisch- oder konträr-disjunktiven Urteil, das im Obersatze enthalten ist, im Untersatze eins gesetzt und dadurch das andere im Schlußsätze aufgehoben, oder eins tret Untersatze aufgehoben und

das andere im Schlußsätze gesetzt wird: Zn dem A ABC ist der A A entweder ein rechter oder ein stumpfer oder ein spitzer ZA Nun ist er ein rechter z.;_________ also ist er weder stumpf, noch spitz.

Noch häufiger tritt der Schluß in der dilemmatischen Form auf; der Obersatz enthält ein hypothetisch-disjunktives Urteil, durch den Untersatz wird die Disjunktion und somit auch im Schlußsätze die Hypothese aufgehoben. Wenn in 2 A A ABC und abc der z_A nicht = z.a wäre, so müßte er entweder > oder < als Z_a sein; nun ist er aber weder > noch < als Z-a; folglich ist er — Z.a.

Die bisher genannten Schlußformen treten meist unvollständig oder abgekürzt auf, also als Enthymeme. Alle Menschen sind sterblich; folglich bin ich sterblich.

Am häufigstm aber erscheint «der Schluß in der Form entweder synthetisch oder analytisch aneinandergereiheter Schlüffe und zwar als Kettenschluß (sorites): Alle flüssigen Körper sind wägbar. Waffer ist ein flüssiger Körper.

Wasser ist wägbar. Nebel ist Wasser.

Nebel ist wägbar.

Der Kettenschluß läßt indeffen meist entweder die Untersätze aus bis auf den ersten, mit welchem dann der Kettensatz anfängt, oder die Obersätze bis auf den ersten, der voraus­ geht. Er erscheint aber auch als verschmolzener Schluß (Epicheirema), der dadurch entsteht, daß an einen der drei Sätze eines vollständigen Schluffes die Begründung

desselben durch einen besonderen Satz angeknüpft wird. Dielttz u. Heinrich-, Handb. b. deutsch. Litteratur.

4. Uuft.

Dieser aber bildet mit demjenigen,

2

18

Einleitung.

an den er geknüpft wird, und dem zur Ergänzung nötigen Satze,

den man auffinden

muß, wieder einen förmlichen Schluß (Nachschluß), so daß also jener angefügte Satz, der einen solchen vertritt, zugleich mit dem Hauptschluß verschmilzt.

Der Fleißige verdient Achtung, weil er seine Pflicht thut, Cajus ist fleißig. Cajus verdient Achtung.

Die Begründung geschieht auch durch den indirekten Beweis oder durch die Induktion. Während der indirekte Beweis (argumentatio apagogica oder deductio ad absurdum) von dem Gegensatze dessen ausgeht, was bewiesen werden soll, und dann nach­ weist, daß diese Annahme zu einer unwahren oder widersinnigen Folgerung führt, schließt

die Induktion aus vielen ähnlichen Fällen auf die Wahrheit entweder der allgemeinen Be­ hauptung oder des einzelnen, gerade erwähnten Falles, also von vielem auf alles oder auf einzelnes. In Rücksicht auf die JnduMon ist wohl zu beachten, daß eine Ausnahme von der zu beweisenden Thatsache bisher niemals vorgekommen sein darf. Übrigens muß

bei der Beweisfühmng die Trockenheit und Dürre, welche in der starren Schlußform liegt, durch mancherlei Hülfsmittel, besonders durch Erweiterung des Ausdrucks und durch Aus­

schmückung, z. B. durch Fabeln, Parabeln, Erzählungen, Sprichwörter, Gnomen, d. h. durch alles gemildert werden, was Lebendigkeit und Mannigfaltigkeit herbeiführt. Allein die Begründung, bei welcher nicht genug die Lehre eingeschärft werden kann, daß derjenige gar nichts beweise, der zu viel beweist (qui nimium probat, nihil probat), hat sich be­ sonders auch vor einigen bestimmten Fehlern zu hüten, so zunächst vor der Erschleichung

des Grundsatzes, der sogenannten petitio principii, welche einen Zusammenhang da setzt, wo er entweder gar nicht oder nur ungenügend vorhanden ist, Es ist ein Gewitter und zugleich Feller; folglich hat es eingeschlagen, oder auch als Beweisgrund auMhrt, was erst selbst bewiesen werden müßte. Sie muß sich

ferner hüten vor dem Kreisläufe im Beweise (circulus in demonstrando), welcher zur Be­ gründung eines Beweisgrundes (Prämisse) das anwendet, was überhaupt bewiesen werden soll (Schlußsatz), sodann vor dem Sprung im Beweise (saltus in demonstrando), welcher unerläßliche Beweisgründe sortläßt, endlich vor der Veränderung des Schlußsatzes (mutatio elenchi), welche darin besteht, daß schließlich etwas anderes bewiesen wird, als was be­ wiesen werden sollte. § 77. d) Die Widerlegung soll die Gegengründe, die entweder wirklich und bestimmt erhoben oder vom Redner selbst vorweg aufgestellt sind oder in gewissen Vor­

urteilen und allgemein verbreiteten Ansichten bestehen, mindestens schwächen, am liebsten aber völlig beseitigen. Sie wird im allgemeinen so ausgesührt wie die Begründung selbst; doch dürfen die Gegengründe, wenn sie in bestimmt erhobenen Gegenbehauptungen be­ stehen, durchaus nicht verändert, wenn es aber nur als möglich angenommene Einreden sind, nicht zu peinlich gesucht und zu weit hergeholt werden; auch müssen sie gehörig be­

wiesen sein und der Erfahrung nicht geradezu widersprechen. § 78. e) Der Schluß ist nach Quintilians Erklärung (eins duplex ratio est, posita

aut in rebus aut in affectibus. Rerum repetitio est quibusdam Latinorum enumeratio) dazu bestimmt, das Wesentliche und Hauptsächlichste des In­ halts kurz zusammenzusassen oder der Ausgabe des Redners gemäß (ut doceat ac moveat) auf das Gefühl der Zuhörer besonders einzuwirken. Er muß, wenn ersteres geschickt aus­ geführt werden soll, die Hauptpunkte kurz und klar, aber zugleich in einem wärmeren und

gehobnerem Tone und unter einem neuen Gesichtspunkte aufstellen, und wenn das zweite nicht zu leerer Phraseologie werden und seine Wirkung geradezu verfehlen soll, der Abglanz

Die Sehre von der Redekunst (Rhetorik). wahrhafter, wirklich empfundener Seelenstimmung sein.

IS

Übrigens gestattet das Wesen des

Schluffes es sehr wohl, von der Rekapitulation und der besonderen Gefühlserregung ganz und gar abzusehen und statt deffen die Rede (den Aufsatz) mit Folgerungen zu schließen, die

unmittelbar aus der Sache selbst sich ergeben, oder auch mit Betrachtungen, die an dieselbe sich eng anlehnen.

Die Gefühlserregung hängt eben nur mit den Sitten und Gebräuchen

des Altertums zusammen und ist in der neueren Zeit mindestens überflüssig geworden, zumal jeder einzelne Teil der Rede aus dem Herzen -des Redners strömen und in das Herz des Hörers eindringen soll.

B. § 79.

Von der Anordnung.

Ist der für die Rede (den Aufsatz) erforderliche Gedankenstoff durch Nach­

denken (Meditation) herbeigeschafft, so ist es die Aufgabe der.Disposition (Anordnung des Stoffs), diesen Gesamtstoff zu sortieren (d. h. das Gleichartige zusammenzustellen, das Unbrauchbare auszuscheiden, das Brauchbare nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen), für die einzelnen Teile der Rede zu sondem und. innerhalb derselben wiederum mit Rück­

sicht auf den Zweck des Ganzen zu gruppieren. Die Disposition also ist die planmäßige Anordnung des Stoffes für die Einleitung, für den Schluß und für die übrigen drei Teile, welche zusammen gewöhnlich die Abhandlung genannt werden. Wir behalten diese Be­ nennung gern bei, weil sich die Lehre von der Anordnung nicht bloß auf die Reden, sondern ganz allgemein auf jeden Auffatz bezieht. Sind die für den Eingang, die Einleitung, er­ forderlichen Gedanken ausgesondert und so geordnet worden, daß sie unmittelbar auf die Abhandlung und das in derselben zu behandelnde Thema hinführen, so wird für diese selber eine zweckmäßige, gute Disposition gemacht werden müffen. Diese verlangt zunächst,

daß die Teilung (je nach der Natur des Themas eine Partttion oder Division) geschickt

ausgeführt, daß also vor allem ein fruchtbarer und zweckgemäßer Teilungsgrund aus­

gesucht wird.

Dieser einmal gewählte Teilungsgrund muß sodann genau durchgeführt,

die einzelnen Einteilungsglieder müffen dem Ganzen genau subordiniert, sich selber gehörig koordiniert, endlich alle Glieder in sachgemäßer oder logischer Ordnung aufgeführt werden.

Dieselben Forderungen gelten für alle ferneren Teilungen. Eine weitere Anleitung für die Disposition zu geben, ist nicht gut möglich; die beste Übung im Disponieren gewährt die Zergliederung der Gedankenfolge in mustergültigen Reden und Aufsätzen. C.

Von der Darstellung.

§ 80. Die Darstellung (elociitio), welche dem gesammelten und wohlgeordneten Gedankenstoff den angemesienen sprachlichen Ausdruck geben soll, oder der Stil (stilus — Griffel) hängt ebensosehr von der ganzen Persönlichkeit des Redners wie von dem Gegenstände selber ab. Man unterscheidet den einfachen, den mittleren und

den erhabenen Stil (genas dicendi tenue, medium, sublime). Der Stil muß zunächst in Bezug auf die Grammatik vollkommen rein von Barbarismen (Lattnismen, Grä­ zismen u. s. w.), Solözismen, Provinzialismen und von Wörtern, Wort- und Satzverbin­ dungen sein, die ber betreffenden Sprache fremdartig sind oder gar ihr widerstreben. In Bezug auf die Logik muß die Darstellung erstens vollkommen klar und bestimmt sein, so daß der auszudrückende Gedanke nicht nur leicht erfaßt und verstanden werden kann, son­ dern auch kurz und genau (präzis) wiedergegeben wird unter Vermeidung jeder Zwei- oder Vieldeutigkeit, des Pleonasmus und der Tautologie, so wie der Unverständlichkeit, die durch

Häufung von Relativ-Sätzen oder von Partizipien hervorgebracht wird.

Zweitens aber

2*

20

Einleitung.

bedarf sie geschickter Gliederung, so daß das Thema oder der Grundgedanke und die Beziehung der ihm untergeordneten Gedanken auf dasselbe überall scharf hervortrete, Neben­ gedanken nicht zu Hauptgedanken gemacht und deshalb in zu großer Breite und Aus­ führlichkeit vorgetragen werden. In Bezug auf die Ästhetik muß die Darstellung Im allgemeinen einer schönen, lieblichen Hülle gleichen, mit welcher das Gerippe (die Disposition) umgeben worden ist, und daher durchweg die Gesetze des Schönen befolgen. Danach muß

sie zunächst dm für das Ganze angemessensten Ton wählen, beibehalten und, wo er geändert werden muß, allzuschroffe Übergänge möglichst vermeiden, stets die Würde bewahren und

natürlich sein (nichts ist widerlicher als der Schwulst oder Bombast!), ohne das Streben, neu und eigentümlich zu sein, allzusehr in den Hintergrund zu drängen. Sodann muß die Darstellung die Gesetze des Wohllautes genau beachten, der sich wie in dm Lantverhältnifsm der einzelnen Wörter (Euphonie), so in dem Bau ganzer Sätze und Periodm (Eurhythmie, Numems) bekundet und sich bei lauter Rezitation sofort vernehmlich macht.

Zuletzt mdlich ugb vor allem muß sie lebendig sein. Je lebmdiger aber, desto anschaulicher und wärmer wird sie sein; dmn das Leben weckt Leben und giebt Leben, und das warme,

erregte Gefühl weckt und erzeugt Gefühle. Dieser Lebendigkeit dienen besonders die Tropen und Figuren, die durch Abstraktion aus schöner, lebendiger Darstellung zu erlernen und nur dann wirksam sind, wenn sie, vom Darsteller ungesucht, wie unmittelbar und von selber mtstandm in der Darstellung sich zeigen. § 81. Die Tropen (rponoi, Wendungen) beruhen auf der Jdemasioziation, der Weckung einer Vorstellung durch eine zu ihr gehörige andere. Sie werden durch die Sprache selber veranlaßt, welche nicht Begriffe, sondem nur Vorstellungen zu bezeichnen vermag, und entstehen, wenn man ein Wort nicht zur Bezeichnung der von ihm eigentlich aus­ gedrückten Vorstellung, sondern zu einer anderen verwendet, die mit jener in Beziehung steht und von ihr geweckt wird. So erinnert uns die Ursache an die Wirkung, die Eigenschaft an den mit ihr behafteten Gegmstand, der Teil an das Ganze, das Besondere an das All­ gemeine, der Ort an das, was an ihm, die Zeit an das, was in ihr geschieht, das Konkrete überhaupt an das Abstrakte. Und darin eben liegt ihre Bedeutsamkeit: sie wollen und (ollen das Geistige, Abstrakte versinnlichen, veranschaulichen; zugleich aber auch nähren sie die

Phantasie; denn statt einer Vorstellung, wecken sie ihrer mindestens zwei. Unter dm Tropen sind besonders hervorzuheben die Metapher, die Metonynie

und die Synekdoche. a) Die Metapher (von fitratp^tiv, übertragen) drückt recht eigentlich das Wesen der Tropm aus, weil sie lediglich auf der Ähnlichkeit der Vorstellungen bemht; z. B. Blüte

deS Lebens für Jugend; der Schatten der Seele für Leib. Sie ist daher euch der gebräuchlichste Tropus und begreift die Personifikation (Der Ruh' Gespiclin, Stunde deS Todes, komml — Mein Lied besingt dm Helden) und die Allegorie, die bis in das Einzelne ausgeführte Metapher, unter sich (Das Schiff nur bin ich, Auf das er seine Hoffnung hat geladen, Mit dem er wohlgemut das freie Meer Durchsegelte;

er sieht eS über Klippen Gefährlich gehn und rettet schnell die Ware.

Sch., Wollenstän).

b) Die Metonymie oder Namenvertauschung setzt die Ursache für die Wirkung, oaö

Attribut für den Gegenstand, den Stoff für die daraus verfertigte, die Person für die ihr gehörige Sache, dm Ort und die Zeit für das, was an ihm und in ihr geschieht, (Kurfürst

Johann war ein Cicero. — Das Eisen traf ihn in die Brust. — Ganz Griechenland ergreift der Schmerz). Verwandt mit ihr ist der Euphemismus, der das Üble in

Gutes wandelt (das gastliche statt des ungastlichen Meeres; den letzten Tag feiern statt sterben), und die (allerdings meist spöttische) Ironie, die statt der Siche

Die Lehre von der Redekunst (Rhetorik). Klbst ihr Gegenteil giebt („Das ist ein großer Feldherr, ein tapferes Heer!

21 Ein einziges

Weib führen sie als Gefangene mit sich fort"). c) Die Synekdoche (von awtxdt'xonat, zusammenfassen) setzt den Teil für das Ganze (Haupt für Mensch; Dach für Haus. — „Wir flehen um ein wirtlich Dach"),

das Besondere statt des Allgemeinen (der Süd für Wind. — „Furcht soll das Haupt des Glücklichen umschweben"), das Bestimmte für das Unbestimmte (tausendmal für unzählig oft). Sie wird zur Hyperbel, wenn in dem zuletzt erwähnten Falle eine Übertreibung sich sichtbar macht („Nicht eine Welt in Waffen fürchten wir, Wenn sie

einher vor unsern Scharen zieht"), und zur Litotes, wenn durch eine Verkleinerung des Ausdrucks die Größe desselben hervorgehoben werden soll (eine nicht kleine Zahl für eine sehr große Zahl).

§ 82. Figuren nennt man im allgemeinen alle Abweichungen von dem ruhigen Fortschritte der Rede, durch welche der Ausdruck eine eigentümliche, charakteristische Ge­ stalt erhält (daher figurae, a/j/.iaia'). Sie sollen von stärkerer, heftigerer Gemütsbe­ wegung des Darstellenden zeugen und im Hörer (Leser) ebenfalls eine größere Wärme des Gefühls hervorrufen. Sie bemhen also auf der richtigen Erkenntnis, daß die größere

Erregtheit des Gemüts auch in der Sprache und zwar nicht bloß in dem Klange und der sondern auch in der Ver­

Bewegung der Wörter (Wortfiguren, figurae verborum),

bindung und Bewegung ganzer Sätze (Satzfiguren, figurae sententiarum), in letzterem Falle sich besonders darin zeigt, daß der Ausdruck bald eiligst dahinfliegt, bald bei der Sache, die ihn mehr zu fesseln scheint, länger verweilt, sie genauer ausdrückt, sie öfter wiederholt.

Was der Mime durch Mienen und Gesten, sucht der Sprachkünstler durch Wort

und Satz zu versinnlichen.

Gemäß der Natur der Sache sind der Figuren fast unzählige;

wir beschränken uns aber auf die Anführung der allerbedeutendsten und gebräuchlichsten.

Als solche sind unter den Wortfiguren besonders hervorzuheben und zwar a) als Klangfiguren: die Allitteration (Glück und Glas, Sprichwort wahr Wort. — Linde

Lüste, wehet leise!), die Assonanz (Muse mft zu Bach und Thale Tausend aber tausend Male), der Reim, die Onomatopöie (die Nachahmung des Hör- und Sichtbaren durch die Wörter, z. B. risch und rasch!); b) als Figuren der Wiederholung der Wörter: die Anaphora (Wiederholung desselben Wortes am Anfänge der Sätze, z. B. Gieb mir, die du mir gleich erschufst!

Ach, gieb sie mir, die leicht zu geben!), die Epiphora

(Wiederholung desselben Wortes am Ende der Sätze, z. B. Meine Ruh' ist hin, meine

Freud' ist hin!), die Symploke (die Verbindung der Anaphora und Epiphora, z. B. Dann will ich durch die ganze Natur ein tiefes Geheul hören, ein tiefes Geheul am buntlen, verfinsterten Throne und ein Geheul in der Seelen Gefild, ein Geheul in den

Stemen, da, wo der Ewige wandelt, das will ich hören und Gott sein!) und die Paronomasie (der Gleichklang der Wörter bei verschiedener Bedeutung), auf der auch das

Wortspiel beruht; c) als Figuren der Wortverbindung: das Polysyndeton (die Wieder­

holung des Verbindungswortes, z. B. Und es wallet und siedet und brauset und zischt,

wie wenn Feuer mit Wasser sich mengt), das Asyndeton (die Auslassung desselben, z. B.

Er ruft mit lechzender Zunge: Mich dürstet! Ruft's, trank, dürstete, bebte, ward bleicher, blutete, ruhte), die Ellipse (die Auslassung eines leicht zu ergänzenden Wortes), der Pleonasmus (der überflüssige Gebrauch eines leicht entbehrlichen Wortes), das Zeugma (die Beziehung eines Wortes, besonders des Prädikats, auf zwei oder mehrere, während es nur auf eines oder einzelne derselben paßt, z. B. Milch und Blumen auf das Grab

streuen) und die Inversion (die Abweichung von der gewöhnlichen und natürlichen Wort­ stellung, z. B. Er teilte mir mit das teuerste Geheimnis seines Lebens).

22

Einleitung. Unter den Satzsiguren sind a) von denen, welche eine Abweichung von der ge­

wöhnlichen Form der Behauptung und Erzählung zeigen, die Frage, die Antwort, der Zweifel, die Verbesserung, das Zugeständnis oder die Einräumung, die Vorwegnahme, die scheinbare Übergehung oder Auslassung, die Einschiebung

oder Parenthese,

der Ausruf, der Wunsch, das Gebet und die Anrede oder

Apostrophe, deren Abart die Vision ist, die bedeutendsten, b) Von den Satzfiguren, welche eine Steigerung oder Erweiterung des Gedankens ausdrücken, sind vorzugsweise zu nennen: das schmückende Beiwort (epitheton orqans), die Synonymie (Bezeichnung der Sache durch mehrere sinnverwandte Wörter), die Individualisierung (die genauere Bezeichnung des Gegenstandes nach seinem Umfange oder nach seinen Teilen), die.Häufung (cumulatio; Zusammenstellung gleichartiger Sätze), die Steigerung (gradatio) und zwar vom Größeren zum Kleineren oder vom Kleineren zum Größeren, c) Unter den Satz­ figuren, welche sich auf die Gegenüberstellung der Gedanken und Sätze beziehen, sind be­ sonders

erwähnenswert:

der Vergleich (comparatio:

Bild,

Gegenbild

und

tertium

comparationis), der Parallelismus (die Nebeueinanderstellung gleichartiger Gedanken), der Gegensatz (Antithese; die Zusammenstellung von Ungleichartigem) nebst dem

Kontraste (der Zusammenstellung von Gleichartigem unter Hervorhebung des Ungleichartigen) und das Paradoxon (die Zusammenstellung des scheinbar Unvereinbaren; z. B. Am größten ist der Große in dem Kleinen). Der Gebrauch der Tropen, wie der Figuren wird äußerst unangenehm, ja widerlich, wenn er nicht ganz vollkommen ungesucht erscheint; Anfänger können vor zu häufiger An­ wendung besonders der Frage, der Antwort und des Ausrufes nicht genug

gewarnt

werden.

D.

§ 83.

Von dem Vortrage.

Als Hauptbedingung eines guten Vortrages, welcher die Rede erst zu ihrer

vollen Bedeutung erhebt, aber von der ganzen Persönlichkeit des Redners vollständig ab­ hängt, muß vollkommene Wahrheit hingestellt werden. Wie jedes Wort, jeder Satz aus der vollstm Überzeugung des Redners, so muß jeder Ton, jede Miene, jede Handbewegung aus seinem Innern hervorgehen. Der Redner soll sich ganz in seinen Gegenstand ver­ senken, ihn ganz zu dem {einigen machen; dann wird er ihn auch als seinen Gegenstand vortragen, und der Vortrag wird ihm in den allermeisten Fällen gelingen. Die ins Ein­ zelne gehende Anweisung zu einem guten Vortrage giebt die Deklamatorik; die Schule leitet

durch Deklamations- und Redeübungen dazu an.

Fünfter Abschnitt. Übersicht der Litteratur-Geschichte. Einleitung.

§ 84.

Die Geschichte der deutschen Litteratur stellt den Entwicklungsgang

dar, den die Litteratur des deutschen Volkes mit Ausschluß der angelsächsischen und nordischen Litteratur, sowie auch der von Deutschen, aber in fremder Sprache verfaßten Schriften im

Laufe der Jahrhunderte genommen hat, um darin wie in einem untrüglichen Spiegel die geistige Ausbildung des Volkes in Bezug auf Familie und Staat einerseits, Wisienschast,

Kunst und Glauben andrerseits erkennen zu lassen.

Übersicht der Litteratur-Geschichte.

23

§ 85. Die deutsche Sprache hat mit der Entwicklung der Litteratur gleichen Schritt gehalten. Sie zerfiel schon in den ältesten Zeiten in mehrere Dialekte: in das Gotische, welches als die erste Gestaltung des Deutschen erscheint und sich nur in der Bibelübersetzung des Bischofs Ulfila erhalten hat, in das Angelsächsische und in das Nordische. Das

Angelsächsische, mit dem Romanischen gemischt, ist die Grundlage des Englischen, das Nordische aber die Grundlage des Dänischen und Schwedischen geworden. Im Jnnem Deutschlands teilte sie sich in das Oberdeutsche und Niederdeutsche. Das Ober­ deutsche umfaßte den südlichen und mittleren, also den gebirgigen Teil Deutschlands mit der allemannischen oder schwäbischen Mundart (im Südwesten), der bayrisch-östreichischen (!"

Dein s Geiers Blut ist nicht so rot, Edward, Edward! Dein's Geiers Blut ist nicht so rot; Mein Sohn bekenn' mir frei. O! „£); ich hab' geschlagen mein Rotroß tot;

Mutter, Mutter! O, ich hab' geschlagen mein Rotroß tot; Und 's war so stolz und treu.

O!"

Dein Roß war alt und hast's nicht not;

Edward, Edward! Dein Roß war alt und hast's nicht not; Dich drückt ein andrer Schmerz. O! „O, ich hab' geschlagen meinen Vater tot, Mutter, Mutter' O, ich hab' geschlagen meinen Vater tot,

Und weh, weh ist mein Herz.

O!"

Und was für Buße willst du nun thun? Edward, Edward? Und was für Buße willst du nun thun? Mein-Sohn bekenn' mir mehr. L! „Auf Erden soll mein Fuß nicht ruhn,

Mutter, Mutter! Auf Erden soll mein Fuß nicht ruhn,. Will gehn fern übers Meer. O!"

Und was soll werden dein Hof und Hall', Edward, Edward? Und was soll werben dein Hof und Hall',

So herrlich sonst und schön? £>! „Ich laß es stehn, bis es sink' und fall',

Mutter, Mutter! Ich laß es stehn, bis es sink' und fall', Mag nie es Wiedersehn.

O!"

Und was soll werden dein Weib und Kind, Edward, Edward? Und was soll werden dein Weib und Kind, Wenn du gehst übers Meer? O! „Die Welt ist groß, laß sie betteln drin

Mutter, Mutter! Die Welt ist groß, laß sie betteln drin, Ich such' sie nimmermehr.

£>!"

Und was willst du laffen deiner Mutter teu'r, Edward, Edward? Und was willst du laffen deiner Mutter teu'r? Mein Sohn, das sage mir. OI „Fluch will ich euch lassen und höllisch Feu'r,

Mutter, Mutter! Fluch will ich euch laffen und höllisch Feu'r, Tenn ihr, ihr rietet's mir.

O!" Herder.

Epische Poesie.

102

2.

Lenore.

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Träumen.

„O Mutter, Mutter! Eitler Wahn! Gott hat an mir nicht wohlgethan!

„Bist untreu, Wilhelm, oder tot? Wie lange willst du säumen?" Er war mit König Friedrichs Macht

Was half, was half mein Beten? Nun ist's nicht mehr vonnöten."

Gezogen in die Prager Schlacht

„Hilf, Gott, hilf! Wer den Vater kennt, Der weiß, er hilft den Kindern.

Und hatte nicht geschrieben, Ob er gesund geblieben.

Das hochgelobte Sakrament Wird deinen Jammer lindem."

Der König und die Kaiserin, Des langen Haders müde, Erweichten ihren hatten Sinn Und machten endlich Fttede: Und jedes Heer mit Sing und Sang, Mit Paukenschlag und Kling und Klang,

Geschmückt mit grünen Reisern, Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall, allüberall, Auf Wegen und auf Stegen Zog alt und jung dem Jubelschall

Der Kommenden entgegen. „Gottlob!" rief Kind und Gattin laut, „Willkommen!" manche frohe Braut.

Ach, aber für Lmoren War Gruß und Kuß verloren. Sie frug den Zug wohl auf und ab Und frug nach allen Namen; Doch keiner war, der Kundschaft gab, Von allen, so da kamen. Als nun das Heer vorüber war, Zerraufte sie ihr Rabenhaar Und warf sich hin zur Erde Mit wüttger Gebärde. Die Mutter lief wohl hin zu ihr.

„O Mutter, Mutter! Was mich brennt, Das lindert mir kein Sakrament!

Kein Sakrament mag Leben Den Toten wiedergeben." „Hör', Kind! Wie, wenn der falsche Mann Im fernen Ungarlande Sich seines Glaubens abgethan Zum neuen Ehebande? Laß fahren, Kind, sein Herz dahin! Er hat es nimmermehr Gewinn! Wann Seel' und Leib sich trennen, Wird ihn sein Meineid brennen."

„O Mutter, Mutter!

Hin ist hin!

Verloren ist verloren! Der Tod, der Tod ist mein Gewinn! O wär' ich nie geboren! Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen!"

„Hilf, Gott, hilf! Geh' nicht ins Gettcht Mit deinem armen Kinde! Sie weiß nicht, was die Zunge spricht, Behalt' ihr nicht die Sünde!

Ach, Kind, vergiß dein irdisch Leid

„Ach, daß sich Gott erbarme! Du trautes Kind, was ist mit dir?"

Und denk' an Gott und Seligkeit; So wird doch deiner Seelen

Und schloß sie in die Arme.

Der Bräutigam nicht fehlen."

„O Mutter, Mutter!

Hin ist hin!

Nun fahre Welt und alles hin; Bei Gott ist kein Erbarmen.

„O Mutter!

Was ist Seligkeit?

O Mutter! Was ist Hölle? Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit

O weh, o weh mir Armen!" „Hilf, Gott, hilf!

Und ohne Wilhelm Hölle! Sieh uns gnädig an! Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

Kind, bet' ein Vaterunser! Was Gott thut, das ist wolgethan.

Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus! Ohn' ihn mag ich auf Erden,

Gott, Gott erbarmt sich unser!"

Mag dott nicht selig werden."

Ballade und Romanze. So wütete Verzweifelung Ihr in Gehirn und Adem; Sie fuhr mit Gottes Dorfehung Vermessen fort zu Hadem,

Zerschlug den Busen und zerrang

Die Hand bis Sonnenuntergang, Bis auf am Himmelsbogm Die goldnen Sterne zogen.

103

Ich bringe dich, zur Wette, Noch heut ins Hochzeitsbette."

„Sag' an, wo ist dein Kämmerlein? Wo? wie dein Hochzeitsbettchen?" „Weit, weit von hier! Süll, kühl und klein! Sechs Bretter und zwei Brettchen!"

„Hat's Raum für mich?" „Mr dich und mich!

Komm, schürze, spring' und schwinge dich!

Und außen, horch! ging's trapp trapp trapp, Die Hochzeitsgäste hoffen, Als wie von Roffeshufen, Die Kammer steht unö offen!" Und klirrend stieg ein Reiter ab Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang An des Geländers Stufen; Sich aus das Roß behende; Und horch und horch den Pfortenring, Ganz lose, leise klinglingling!

Wohl um den trauten Reiter schlang

Dann kamen durch die Pforte Vernehmlich diese Worte:

Und hurre hurre hopp hopp hopp,

„Holla, Holla!

Thu' auf, mein Kind!

Schläfst, Liebchen, oder wachst du? Wie bist noch gegen mich gesinnt? Und weinest oder lachst du?"

„Ach, Wilhelm, du?

So spät bei Nacht?

Sie ihre Lilienhände;

Ging's fort in sausendem Galopp,

Daß Roß und Reiter schnoben Und Kies und Mnken stoben.

Zur rechten und zur linken Hand, Vorbei vor ihren Blicken Wie flogen Anger, Heid' und Land,

Geweinet hab' ich und gewacht, Ach, großes Leid erlitten!

Wie donnerten die Brücken! „Graut Liebchen auch? Der Mond scheint hell;

Wo kommst du hergeritten?"

Hurra, die Toten reiten schnell!

„Wir satteln nur um Mittemacht; Weit ritt ich her von Böhmen. Ich habe spät mich aufgemacht Und will dich mit mir nehmen." „Ach Wilhelm, erst herein geschwind! Den Hagedorn durchsaust der Wind, Herein in meinen Armen, Herzliebster, zu erwärmen!"

Graut Liebchen auch vor Toten? „Ach nein! Doch laß die Toten!"

„Laß sausen durch den Hagedom,

Laß sausen, Kind, laß sausen! Der Rappe scharrt; es klirrt der Spom;

Ich darf allhier nicht Hausen. Komm, schürze, spring' und schwinge dich Auf meinen Rappen hinter mich! Muß heut' noch hundert Meilen Mit dir ins Brautbett eilen." „Ach! Wolltest hundert Meilen noch

Was klang dort für Gesang und Klang? Was flatterten die Raben? Horch Glockenklang! Horch Totensang! Laßt uns den Leib begraben! Und näher zog ein Leichenzug, Der Sarg und Totenbahre trug. Das Lied war zu vergleichen Dem Unkenmf in Teichm. „Nach Mittemacht begrabt den Leib Mit Klang und Sang und Klage!

Jetzt führ' ich heim mein junges Weib; Mit, mit zum Brautgelage! Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor Und gurgle mir das Brautlied vor! Komm, Pfaff, und sprich den Segen,

Mich heut ins Brautbett tragen?

Eh' wir zu Bett' uns legen!"

Und horch! es brummt die Glocke noch, Die elf schön angeschlagen!"

Gehorsam seinem Rufen,

„Sieh hin, sieh her!

Still Klang und Sang; die Bahre schwand.

Der Mond scheint hell, Kam's, hurre hurre! nachgerannt, Hart hinter's Rappen Hufm.

Wir und die Toten reiten schnell.

Epische Poesie.

104

Rapp, Rapp!

Und immer weiter, hopp hopp hopp, Ging's fort in sausendem Galopp,

Ich witt're Morgenluft;

Daß Roß und Reiter schnoben

Rapp, tummle dich von hinnen! Vollbracht, vollbracht ist unser Laus!

Und Kies und Funken stoben.

DaS Hochzeitsbette thut sich auf! Die Toten reiten schnelle! Wir sind, wir sind zur Stelle."

Wie flogen rechts, wie flogen links Gebirge, Bäum' und Hecken! Wie flogen links und rechts und links Die Dörfer, Stadt' und Flecken!

Rasch auf ein eisem Gitterthor

Ging's mit verhängtem Zügel; „Graut Liebchen auch? Der Mond scheint hell! Mit schwanker Gert' ein Schlag davor

Huna!

Die Toten reiten schnell!

Zersprengte Schloß und Riegel.

Graut Liebchen auch vor Toten?" „Ach! Laß sie ruhn, die Toten!"

Die Flügel flogen klirrend auf, Und über Gräber ging der Lauf.

Sieh da! Sieh da! Am Hochgericht Tanzt um der Rades Spindel,

Es blinkten Leichensteine Rundum im Mondenscheine.

Halb sichtbarlich bei Mondenlicht, Ein luftiges Gesindel. „Sasa! Gesindel, hier! Komm hier!

Huhu, ein gräßlich Wunder! Des Reiters Koller, Stück für Stück,

Gesindel, komm und folge mir! Tanz' uns den Hochzeitsreigen, Wann wir zu Bette steigen!"

Fiel ab wie mürber Zunder. Zum Schädel ohne Zopf und Schopf, Zum nackten Schädel ward sein Kopf,

Und das Gesindel, husch husch husch, Kam hinten nachgeprasselt, Wie Wirbelwind am Haselbusch Durch dürre Blätter raffelt. Und weiter, weiter, hopp hopp hopp, Ging's fort in sausendem Galopp, Daß Roß und Reiter schnoben

Sein Körper zum Gerippe

Ha sieh!

Ha sieh!

Im Augenblick,

Mit Stundenglas und Hippe.

Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp Und sprühte Feuerfunken; Und hui! war's unter ihr hinab Verschwunden und versunken. Geheul, Geheul aus hoher Luft,

Und Kies und Funken stoben. Wie flog, was rund der Mond beschien, Wie flog es in die Ferne!

Gewinsel kam aus tiefer Gruft. Lenorens Herz mit Beben Rang zwischen Tod und Leben.

Wie flogen oben über hin Nun tanzten wohl bei Mondenglanz Der Himmel und die Sterne! Rundum hemm im Kreise „Graut Liebchen auch? Der Mond scheint hell! Die Geister einen Kettentanz Hurra! Die Toten reiten schnell! Und heulten diese Weise: Graut Liebchen auch vor Toten?" „Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht! „O weh! Laß ruhn die Toten!" Mit Gott im Himmel hadre nicht! Rapp,

Rapp!

Mich

dünkt,

der Hahn Des Leibes bist du ledig, Gott sei der Seele gnädig!"

schon ruft, Bald wird der Sand verrinnen.

3. Der Wild-

und Rheingraf

Bürger.

Der wilde Jäger.

stieß

Hom. „Hallo, hallo, zu Fuß und Roß!" Sein Hengst erhob sich wiehernd vom,

ins

Laut raffelnd stürzt' ihm nach der Troß; Laut klisft' und klafft' es, frei vom Kippei, Durch Korn und Dom, durch Heid' und Stoppel.

Ballade und Romanze. Dom Strahl der Sonntagsfrühe war Des hohen Domes Kuppel blank.

Zu beiden Seiten nebenan.

Zum Hochamt rüste dumpf und klar Der Glocken ernster Feierklang.

Auf sprang ein weißer Hirsch von ferne Mit sechzehnzackigem Gehörne.

Fern tönten lieblich die Gesänge

Der andachtsvollen Christenmenge. Risch, rasch quer übern Kreuzweg ging's Mit Horrido und Huffasa. Steh da, steh da! Kam rechts und links Ein Reiter hier, ein Reiter da. Des Rechten Roß war Silberblinken,

Ein Feuerfarbner trug den Linken. Wer waren Reiter links und rechts? Ich ahn' es wohl, doch weiß ich's nicht. Lichthehr erschien der Reiter rechts Mit mildem Frühlingsangesicht,

Graß, dunkelgelb der linke Ritter Schoß Blitz' vom Aug' wie Ungewitter.

„Willkommen hier zu rechter Frist,

Willkommen zu der edlen Jagd! Auf Erden und im Himmel ist Kein Spiel, das lieblicher behagt." Er rief's, schlug laut sich an die Hüfte Und schwang den Hut hoch in die Lüfte.

105

Stets ritten Reiter rechts und links

Und lauter stieß der Graf ins Horn, Und rascher flog's zu Fuß und Roß;

Und fleh, bald hinten und bald vorn Stürzt einer tot dahin vom Troß. „Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen! Das darf nicht Fürstenlust verwürzen!" Das Wild duckt sich ins Ährenfeld

Und hofft da sichem Aufenthalt. Sieh da! Ein armer Landmann stellt Sich dar in kläglicher Gestalt.

„Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen! Verschont ben sauren Schweiß des Armen!"

Der rechte Ritter sprengt heran Und warnt den Grafen sanft und gut; Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut.

Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen. „Hinweg, du Hund!" schnaubt fürchterlich

Der Graf den armen Pflüger an; „Schlecht stimmet deines Hornes Klang," „Sonst hetz' ich selbst, beim Teufel! dich; Hallo, Gesellen, drauf und dran! Sprach der zur Rechten sanften Muts, Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen, „Zu Feierglock' und Chorgesang. Knallt ihm die Peitsche um die Ohren!" Kehr' um! Erjagst dir heut nichts Gut's. Laß dich den guten Engel wamen Gesagt, gethan. Der Wildgraf schwang Und nicht vom Bösen dich umgarnen!" Sich übern Hagen rasch voran Und hinterher bei Knall und Klang „Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!" Der Troß mit Hund und Roß und Mann; Fiel rasch der linke Ritter ein. „Was Glockenklang! Was Chorgeplärr! Die Jagdlust mag euch baß erfreun! Laßt mich, was fürstlich ist, euch lehren

Und euch von jenem nicht bethören!" „Ha, wohlgesprochen, linker Mann! Du bist ein Held nach meinem Sinn;

Und Hund und Mann und Roß zerstampfte

Die Halmen, daß der Acker dampfte. Dom nahen Lärm emporgescheucht, Feldein und -aus, bergab und -an Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht, @reilt das Wild des Angers Plan Und mischt sich, da verschont zu werden,

Wer nicht des Weidwerks pflegen kann, Schlau mitten zwischen zahme Herden. Der scher' ans Paternoster hin! Mag's, frommer Narr, dich baß verdrießen, Doch hin und her durch Flur und Wald So will ich meine Lust doch büßen!" Und her und hin durch Wald und Flur

Und hurre hurre, vorwärts ging's Feldein und -aus, bergab und -an;

Verfolgen und erwittem bald

Die raschen Hunde seine Spur.

106

Epische Poesie.

Der Hirt, voll Angst für seine Herde,

Der Rechte sprengt besorgt heran

Wirft vor dem Grafen sich zur Erde.

Und warnt den Grafen sanft und gut,

„Erbarmen, Herr, Erbarmen! Saßt

Mein armes, stilles Vieh in Ruh'! Bedenket, lieber Herr, hier, grast

So mancher armen Wittwe Kuh. Ihr Eins und Alles spart der Armen! Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!" Der rechte Ritter sprengt heran

Und warnt den Grafen sanft und gut; Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut.

Der Graf verschmäht des Rechten Warnen Und läßt vom Linken sich umgarnen. „Verweg'ner Hund, der du mir wehrst!

Ha, daß du deiner besten Kuh Selbst um- und angewachsen wärst

Und jede Vettel noch dazu! So sollt' es baß mein Herz ergötzen, Euch stracks ins Himmelreich zu hetzen! Hallo, Gesellen, drauf und dran! Jo! Doho! Huffasasasa!" Und jeder Hund fiel wütend an, Was er zunächst vor sich ersah.

Bluttriefend sank der Hirt zur Erde, Bluttriefend Stück für Stück die Herde. Dem Mordgewühl entrafst sich kaum Das Wild mit immer schwächrem Lauf.

Mit Blut besprengt, bedeckt mit Schaum, Nimmt jetzt des Waldes Nacht es auf. Tief birgt sich's in des Waldes Mitte In eines Klausners Gotteshütte.

Risch ohne Rast mit Peitschenknall,

Mit Horrido und Huffasa Und Kliff und Klaff und Hörnerfchall Derfolgt's der wilde Schwarm auch da. Entgegentritt mit sanfter Bitte Der fromme Klausner vor die Hütte.

„Laß ab, laß ab von dieser Spur! Entweihe Gottes Freistatt nicht! Zum Himmel ächzt die Kreatur Und heischt von Gott dein Strafgericht. Zum letzten Male laß dich wamen,

Sonst wird Verderben dich umgarnen!"

Doch baß hetzt ihn der linke Mann Zu schadenfrohem Frevelmut. Und wehe! Trotz des Rechten Wamen Läßt er vom Linken sich umgarnen. „Verderben hin, Verderben her! „Das," ruft er, „macht mir wenig Graus!

Und wenn's im dritten Himmel wär', So acht' ich's keine Fledermaus! Mag's Gott und dich, du Narr, verdrießen,

So will ich meine Lust doch büßen!" Er schwingt die Peitsche, stößt ins Horn.

„Hallo, Gesellen, drauf und dran!" Hui, schwinden Mann und Hütte vorn, Und hinten schwinden Roß un- Mann; Und Knall und Schall und Jagdgebrülle Verschlingt auf einmal Totensttlle. Erschrocken blickt der Graf umher; Er stößt ins Horn, es tönet nicht; Er ruft und hört sich selbst nicht mehr; Der Schwung der Peitsche sauset nicht;

Er spomt sein Roß in beide Seiten Und kann nicht vor-, nicht rückwärtsreiten. Drauf wird es düster um ihn her Und immer düstrer wie ein Grab; Dumpf rauscht es wie ein fernes Meer.

Hoch über seinem Haupt herab Ruft furchtbar mit Gewittergrimme Dies Urteil eine Donnerstimme: „Du Wütrich teuflischer Statur, Frech gegen Gott und Mensch und Tierl

Das Ach und Weh der Kreatur

Und deine Miffethat an ihr Hat laut dich vor Gericht gefodert, Wo hoch der Rache Fackel lobert. Fleuch, Unhold, fleuch und werde jetzt

Von nun an bis in Ewigkeit Von Höll' und Teufel selbst gehetzt Zum Schreck der Fürsten jeder Zeit, Die, um verruchter Lust zu stöhnen, Nicht Schöpfer, noch Geschöpf verschonen!"

Ein schwefelgelber Wetterschein

Umzieht hierauf des Waldes Laub.

Ballade und Romanze.

107

Angst rieselt ihm durch Mark und Bein;

Doch durch die ganze weite Welt

Ihm wird so schwül, so dumpf und taub; Entgegenweht ihm kaltes Grausen,

Rauscht bellend ihm die Hölle nach Bei Tag tief durch der Erde Klüfte, Um Mitternacht hoch durch die Lüste.

Dem Nacken folgt Gewittersausen. Das Grausen weht, das Wetter saust, Und aus der Erd' empor, huhu! Fährt eine schwarze Riesenfaust;

Sie spannt sich auf, sie krallt sich zu, Hüi, will sie ihn beim Wirbel packen,

Hui, steht sein Angesicht im Nacken. Es stimmt und flammt mnd um ihn her

Mit grüner, blauer, roter Glut; Es wallt um ihn ein Feuermeer,

Er muß die Ungeheuer sehn, Laut angehetzt vom bösen Geist, Muß sehn das Knirschen und das Zappen Der Rachen, welche nach ihm schnappen/ Das ist des wilden Heeres Jagd,

Die bis zum jüngsten Tage währt Und oft dem Wüstling noch bei Nacht Zu Schreck und Graus vorüberfährt. DaS könnte, müßt' er sonst nicht schwei­

Darinnen wimmelt Höllenbrut. Jach fahren tausend Höllenhunde,

Laut angehetzt, empor vom Schlunde.

Er rafft sich auf durch Wald und Feld Und flieht, laut heulend weh und ach;

4.

Im Nacken bleibt sein Antlitz stehn; So rasch die Flucht ihn vorwärts reißt,

gen, Wohl manches Jägers. Mund bezeugen. Bürger.

Der Schatzgräber.

Arm am Beutel, krank am Herzen, Schleppt' ich meine langen Tage. Armut ist die größte Plage, Reichtum ist das höchste Gut! Und zu enden meine Schmerzen, Ging ich, einen Schatz zu graben. „Meine Seele sollst du haben!" Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und da galt kein Vorbereiten; Heller ward's mit einem Male Von dem Glanz der vollen Schale, Die ein schöner Knabe trag.

Holde Augen sah ich blinken Unter dichtem Blumenkränze; In des Trankes Himmelsglanze

Trat er in den Kreis herein. Und er hieß mich freundlich trinken;

Und so zog ich Kreis' um Kreise, Stellte wunderbare Flammen,

Und ich dacht': Es kann der Knabe

Kraut und Knochenwerk zusammen.

Mit der schönen, lichten Gabe

Die Beschwörung war vollbracht.

Wahrlich nicht der Böse sein.

Und auf die gelernte Weise Grub ich nach dem alten Schatze Auf dem angezeigten Platze. Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten, Und es kam gleich einem Steme Hinten aus der fernsten Ferne, Eben als es zwölfe schlug.

„Trinke Mut des reinen Lebens! Dann verstehst du die Belehrung,

Kommst mit ängstlicher Beschwörung

Nicht zurück an diesen Ort. Grabe hier nicht mehr vergebens! Tages Arbeit, abends Gäste! Saure Wochen, ftohe Feste! Sei dein künftig Zauberwort." Go ettyc

108

Epische Poesie.

5.

Der Fischer.

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll; Labt sich die liebe Sonne nicht, Ein Fischer saß daran, Der Mond sich nicht im Meer? Sah nach der Angel ruhevoll,

Kehrt wellenatmend ihr Gesicht

Kühl bis ans Herz hinan.

Und wie er sitzt, und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor;

Nicht doppelt schöner her? Lockt dich der tiefe Himmel nicht, Das feucht verklärte Blau?

Aus dem bewegten Wasser rauscht • Ein feuchtes Weib hervor.

Lockt dich ddin eigen Angesicht Nicht her in ew'gen Tau?"

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: „Was lockst du meine Brut Mit Menschenwitz und Menschenlist

Hinanf in Todesglut? Ach, wüßtest du, wie's Fischlein ist

So wohlig auf dem Grund, Du stiegst hemnter, rote du bist, Und würdest erst gesund.

DaS Wasser rauscht', das Wasser schwoll,

Netzt' ihm den nackten Fuß; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm, Da war's um ihn geschehn; Halb zog sie ihn, halb sank er hin Und ward nicht mehr gesehn. Goethe.

6. Der König in Thule. Es war ein König in Thule Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen goldnen Becher gab. Es ging ihm nichts betrüb er, Er leert' ihn jeden Schmaus; Die Augen gingen ihm über,

So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben, Zählt' er seine Städt' im Reich, Gönnt alles seinem Erben, Den Becher nicht zugleich.

Er saß beim Königsmahle, Die Ritter um ihn her, Auf hohem Vätersaale Dort auf dem Schloß am 9Jieer. Dort stand der alte Zecher, Trank letzte LebenSglut Und warf den heiligen Becher Hinunter in die Flut.

Er sah ihn stürzen, trinken Und sinken tief ins Meer. Die Augen thäten ihm sinken; Trank nie einen Tropfen mehr. c e t b c.

7.

Der Zauberlehrling.

Hat der alte Hexenmeister Sich doch einmal wegbegeben!

Daß zum Zwecke Wasser fließe

Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben.

Und mit reichem, vollem Schwalle Zn dem Bade sich ergieße.

Seine Wort' und Werke Merkt' ich und den Brauch,

Und nun komm, du alter Besen, Nimm die schlechten Lumpenhüllen;

Und mit Geistesstärke Thu' ich Wunder auch. Walle, walle

Bist schon lange Knecht gewesen; 9lun erfülle meinen Willen!

Manche Strecke,

Auf zwei Beinen stehe, Oben sei ein Kopf,

Ballade und Romanze. Eile nun und gehe Mit dem Waffertopf!

Ein verruchter Besen, Der nicht hören will!

Walle, walle Manche Strecke,

Stock, der du gewesen, Steh' doch wieder still! Willst's am Ende

Daß zum Zwecke

Waffer fließe

Gar nicht lassen?

Und mit reichem,'vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße.

Will dich fassen, Will dich halten

Und das alte Holz behende Mit dem scharfen Beile spalten.

Seht, er läuft zum Ufer nieder; Wahrlich! ist schon an dem Fluffe,

Und mit Blitzesschnelle wieder Ist er hier mit raschem Gusse.

Seht, da kommt er schleppend wieder! Wie ich mich nur auf dich werfe,

Schon zum zweiten Male!

Gleich, o Kobold! liegst du nieder. Krachend trifft die glatte Schärfe.

Wie das Becken schwillt! Wie sich jede Schale

Wahrlich, brav getroffen! Seht, er ist entzwei!

Voll mit Waffer füllt!

Stehe, stehe! Denn wir haben Deiner Gaben Vollgemeffen! Ach, ich merk' es! Wehe, wehe!

Und nun kann ich hoffen,

Hab' ich doch das Wort vergessen! Ach! das Wort, worauf am Ende

Und ich atme stet! Wehe, wehe! Beide Teile Stehn in Eile Schon als Knechte Völlig fertig in die Höhe! Helft mir, ach, ihr hohen Mächte!

Er das wird, was er gewesen. Ach, er läuft und bringt behende! Wärst du doch der alte Besen!

Und sie laufen! Naß und nässer

Immer neue Güsse Bringt er schnell herein; Ach, und hundert Flüffe

Wird's im Saal und auf den Stufen. Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister, hör' mich rufen! Ach, da kommt der Meister!

Stürzen auf mich ein! Nein, nicht länger Kann ich's lassen, Will ihn fassen!

Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister,

Das ist Tücke! Ach, nun wird mir immer bänger! Welche Miene! Welche Blicke!

Werd' ich nun nicht los. „In die Ecke, Besen I Besen, Seid's gewesen!

Denn als Geister Ruft euch nur zu seinem Zwecke

O du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze Haus ersaufen? Seh' ich über jede Schwelle

Erst hervor der alte Meister."

Doch schon Wasserströme laufen.

Goethe.

8. Freude war in TrojaS Hallen, Eh' die hohe Feste fiel; Jubelhymnen hört man schallen In der Saiten goldnes Spiel.

109

Kassandra. Alle Hände ruhen müde

Bon dem thränenvollen Streit,

Weil der herrliche Pelide Priams schöne Tochter freit.

Epische Poesie.

110 Und geschmückt mit Lorbeerreisern, Festlich wallet Schar auf Schar

Nach der Götter heil'gen Häusern, Zu des Thymbriers Altar. Dumpf erbrausend durch die Gassen

Das Verhängte muß geschehen, Das Gefürchtete muß nahn.

Frommt's, den Schleier aüfzuheben, Wo das nahe Schrecknis droht?

Wälzt sich die bacchant'sche Lust,

Nur der Irrtum ist das Leben, Und das Wissen ist der Tod.

Und in ihrem Schmerz verlasien War nur eine traur'ge Brust.

Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit, Mir vom Aug' den blut'gen Schein!

Freudlos in der Freuden Fülle,

Ungesellig und allein Wandelte Kassandra fülle

Schrecklich ist es, deiner Wahrheit Sterbliches Gefäß zu sein. Meine Blindheit gieb mir wieder Und den stöhlich dunklen Sinn;

In Apollos Lorbeerhain. In des Waldes tiefste Gründe . Flüchtete die Seherin,

Nimmer sang ich freud'ge Lieder, Seit ich deine Stimme bin.

Und sie warf die Priesterbinde Zu der Erde zürnend hin.

Zukunft hast du mir gegeben, Doch du nahmst den Augenblick,

„Alles ist der Freude offen, Alle Herzen sind beglückt,

Nahmst der Stunde stöhlich Leben;

Und die alten Eltern hoffen, Und die Schwester steht geschmückt.

Nimmer mit dem Schmuck der Bräute Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,

Ich allein muß einsam trauern, Denn mich flieht der süße Wahn, Und geflügelt diesen Mauern Seh' ich das Berderben nahn. Eine Fackel seh' ich glühen,

Aber Nach Aber Feste Doch Hör'

nicht in Hymens Hand; den Wolken seh' ich's ziehen, nicht wie Opferbrand. seh' ich froh bereiten; im ahnungsvollen Geist ich schon des Gottes Schreiten,

Der sie jammervoll zerreißt.

Und sie schelten meine Klagen, Und sie höhnen meinen Schmerz; Einsam in die Wüste tragen

Muß ich mein gequältes Herz, Bon den Glücklichen gemieden

Und den Fröhlichen ein Spott l Schweres hast du mir beschieden, Pythischer, du arger Gott. Dein Orakel zu verkünden,

Nimm dein falsch Geschenk zurück.

Seit ich deinem Dienst mich weihte An dem traurigen Altar. Meine Jugend war nur Weinen, Und ich kannte nur den Schmerz, Jede herbe Not der Meinen Schlug an mein empfindend Herz.

Fröhlich seh' ich die Gespielen; Alles um mich lebt und liebt In der Jugend Lustgefühlen; Mir nur ist das Herz getrübt. Mir erscheint der Lenz vergebens, Der die Erde festlich schmückt; Wer erfreute sich deS Lebens, Der in feine Tiefen blickt!

Selig preis' ich Polyxenen

In des Herzens ttunknem Wahn; Denn den Besten der Hellenen, Hofft sie, bräutlich zu umfahn. Stolz ist ihre Brust gehoben, Ihre Wonne faßt sie kaum; Nicht euch Himmlische dort oben

Warum warfest du mich hin

Neidet sie in ihrem Traum.

Zn die Stadt der ewig Blinden Mit dem aufgeschloss'nen Sinn?

Den das Herz verlangend wählt;

Warum gabst du mir zu sehen,

Seine schönen Blicke flehen,

Was ich doch nicht wenden kann?

Von der Liebe Glut beseelt.

Und auch ich hab' ihn gesehen,

Ballade und Romanze.

111

Gerne möcht' ich mit dem Gatten

Nicht zur Rechten, nicht zur Linken

In die heim'sche Wohnung ziehn;

Kann ich vor dem Schrecknis fliehn;

Doch es tritt ein styg'scher Schatten

Nicht die Blicke darf ich wenden,

Nächtlich zwischen mich und ihn.

Wissend, schauend, unverwandt Muß ich mein Geschick vollenden, Fallen in dem ftemden Land."

Ihre bleichen Larven alle Sendet mir Proserpina; Wo ich wandre, wo ich walle,

Und noch Hallen ihre Worte,

Stehen mir die Geister da.

Horch! da dringt verworr'ner Ton

In der Jugend ftohe Spiele

Fernher aus des Tempels Pforte; Tot lag Thetis' großer Sohn!

Drängen sie sich grausend ei», Ein entsetzliches Gewühle; Nimmer kann'ich fröhlich sein.

Eris schüttelt ihre Schlangen,

Und den Mordstahl seh' ich blinken

Alle Götter fliehn davon, Und des Donners Wolken hangen Schwer herab auf Ilion.

Und des Mörders Auge glühn;

Schiller.

8a. Das Siegesfest. Priams Feste war gesunken, Troja lag in Schutt und Staub, Und die Griechen, siegestmnken,

Reich beladen mit dem Raub, Saßen auf den hohen Schiffen Längs des Hellespontes Strand, Auf der frohen Fahrt begriffen Nach dem schönen Griechenland. Stimmet an die frohen Lieder!

Denn dem väterlichen Herd Sind die Schiffe zugekehrt, Und zur Heimat geht eS wieder. Und in langen Reihen, klagend

Saß der Trojerinnen Schar, Schmerzvoll an die Brüste schlagend, Bleich mit aufgelöstem Haar.

Pallas, die die Städte gründet

Und zertrümmert, ruft er an Und Neptun, der um die Länder Seinen Wogengürtel schlingt, Und den ZeuS den Schreckenscnder, Der die Ägis grausend schwingt. Ausgestritten, ausgerungen Ist der lange, schwere Streit, Ausgefüllt der Kreis der Zeit Und die große Stadt bezwungen. Atreus' Sohn, der Fürst der Scharen, Übersah der Völker Zahl,

Die mit ihm gezogen waren Einst in des Skamanders Thal; Und des Kummers finstre Wolke Zog sich um des Königs Blick;

In das wilde Fest der Freuden

Von dem hergeführten Volke

Mischten sie den Wehgesang,

Bracht' er wen'ge nur zurück. Drum erhebe ftohe Lieder,

Weinend um das eigne Leiden

In des Reiches Untergang. Lebe wohl, geliebter Boden! Von der süßen Heimat fern Folgen wir dem ftemden Herrn. Ach, wie glücklich sind die Toten!

Und den hohen ©Öttern zündet Kalchas jetzt das Opfer an.

Wer die Heimat wiedersieht,

Wem noch ftisch das Leben blüht! Denn nicht alle kehren wieder. Alle nicht, die wiederkehren, Mögen sich des Heimzugs freun:

An den häuslichen Altären Kann der Mord bereitet sein.

Epische Poesie.

112

Mancher fiel durch Freundestücke, Den die blut'ge Schlacht verfehlt! Sprach's Ulyß mit Warnungsblicke, Von Athenens Geist beseelt. Glücklich, wem der Gattin Treue Rein und keusch das Haus bewahrt!

Denn das Weib ist falscher Art, Und die Arge liebt das Neue.

Und des frisch erkämpften Weibes Freut sich der Atrid' und strickt Um den Reiz des schönen Leibes Seine Arme hochbeglückt. Böses Werk muß untergehen, Rache folgt der Frevelthat; Denn gerecht in Himmelshöhen

Waltet des Chroniden Rat! Böses muß mit Bösem enden; An dem ftevelnden Geschlecht Rächet Zeus das Gastesrecht, Wägend mit gerechten Händen. Wohl dem Glücklichen mag's ziemen,

Ruft Oileus' tapfrer Sohn, Die Regierenden zu rühmen Auf dem hohen Himmelsthron! Ohne Wahl verteilt die Gaben, Ohne Billigkeit das Glück, Denn Patroklus liegt begraben, Und Thersites kommt zurück! Weil das Glück aus seiner Tonnen Die Geschicke blind verstreut, Freue sich und jauchze heut, Wer das Lebenslos gewonnen!

Za, der Krieg verschlingt die Besten! Ewig werde dein gedacht, Bruder, bei der Griechen Festen, Der ein Turm war in der Schlacht. Da der Griechen Schiffe brannten,

War in deinem Arm das Heil; Doch dem Schlauen, Vielgewandten Ward der schöne Preis zu teil. Friede deinen heil'gen Resten!

Nicht der Feind hat dich entrafft, Ajax fiel durch Ajax' Kraft. Ach, der Zom verderbt die Besten! Dem Erzeuger jetzt, dem großen,

Gießt Neoptolem des Weins.

Unter allen ird'schen Losen, Hoher Vater, preis' ich deins.

Von des Lebens Gütern allen Ist der Ruhm das höchste doch:

Wenn der Leib in Staub zerfallen, L?bt der große Name noch. Tapfrer, deines Ruhmes Schimmer Wird unsterblich sein im Lied; Denn das ird'sche Leben flieht,

Und die Toten dauern immer. Weil des Liedes Stimmen schweigen

Von dem überwund'nen Mann,

So will ich für Hektorn zeugen, Hub der Sohn des Tydeus an,

Der für seine Hausaltäre Kämpfend ein Beschirmer fiel. Krönt den Sieger größre Ehre, Ehret ihn das schönre Ziel! Der für seine Hausaltäre Kämpfend sank ein Schirm und Hort,

Auch in Feindes Munde fort Lebt ihm seines Namens Ehre.

Nestor jetzt, der alte Zecher, Der drei Menschenalter sah, Reicht den laubumkränzten Becher

Der bethränten Hekuba. Trink ihn aus, den Trank der Labe, Und vergiß den großen Schmerz! Wundervoll ist Bacchus' Gabe, Balsam fürs zerrifl'ne Herz. Trink ihn aus, den Trank der Labe,

Und vergiß den großen Schmerz! Balsam fürs zerriff'ne Herz, Wundervoll ist Bacchus' Gabe.

Denn auch Niobe, dem schweren Zom der Himmlischen ein Ziel, Kostete die Frucht der Ähren Und bezwang das Schmerzgefühl. Denn so lang' die Lebensquelle

Schäumet an der Lippen Rand, Ist der Schmerz in Lethes Welle

Tief versenkt und fest gebannt! Denn so lang' die Lebensquelle

An der Lippen Rande schäumt, Ist der Jammer weggeträumt, Fortgespült in Lethes Welle.

Ballade und Romanze. Und von ihrem Gott ergriffen, Hub sich jetzt die Seherin,

Blickte von den hohen Schiffen

113

Schwinden alle Erdengrößen; Nur die Götter bleiben stät. Um das Roß des Reiters schweben,

Nach dem Rauch der Heimat hin. Rauch ist alles ird'sche Wesen;

Um das Schiff die Sorgen her;

Wie des Dampfes Säule weht,

Damm laßt uns heute leben!

Morgen können wir's nicht mehr, Schiller.

9.

Die Kraniche des Jbykus.

Zum Kampf der Wagen und Gesänge, Der auf Korinthus' Landesenge Der Griechen Stämme froh vereint,

Zog Jbykus, der Götterfreund. Ihm schenkte des Gesanges Gabe, Der Lieder süßen Mund Apoll;

So wandert' er am leichten Stabe Aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken Akrokorinth des Wandrers Blicken, Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein.

Wie weit er auch die Stimme schickt, Nichts Lebendes wird hier erblickt. „So muß ich hier verlaffen sterben Auf fremdem Boden unbeweint,

Durch böser Buben Hand verderben, Wo auch kein Rächer mir erscheint!" Und schwer getroffen sinkt er nieder. Da rauscht der Kraniche Gefieder;

Er hört, schon kann er nicht mehr sehn,

Die nahen Stimmen furchtbar krähn. „Von euch, ihr Kraniche dort oben, Wenn keine andre Stimme spricht,

Nichts regt sich um ihn her; nur Schwärme Sei meines Mordes Klag' erhoben!" Von Kranichen begleiten ihn, Er ruft es, und sein Auge bricht. Die fernhin nach des Südens Wärme Der nackte Leichnam wird gefunden, In graulichtem Geschwader ziehn. Und bald, obgleich entstellt von Wunden,

„Seid mir gegrüßt, befteund'te Scharen, Die mir zur See Begleiter waren! Zum guten Zeichen nehm' ich euch;

Erkennt der Gastfreund in Korinth

Die Züge, die ihm teuer sind. „Und muß ich so dich wiederfinden

Mein Los, es ist dem euren gleich.

Und hoffte, mit der Fichte Kranz

Von fern her kommen wir gezogen

Des Sängers Schläfe zu umwinden, Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und flehen um ein wirtlich Dach; Sei uns der Gastliche gewogen, Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter fördert er die Schritte Und sieht sich in des Waldes Mitte: Da sperren auf gedrangem Steg Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.

Zum Kampfe muß er sich bereiten,

Doch bald ermattet sinkt die Hand; Sie hat der Leier zarte Saiten, Doch nie des Bogens Kraft gespannt. Er ruft die Menschen an, die Götter,

Sein Flehen dringt zu keinem Retter; Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

Und jammernd hören's alle Gäste, Versammelt bei Poseidons Feste, Ganz Griechenland ergreift der Schmerz, Verloren hat ihn jedes Herz. Und stürmend drängt sich zum Prytanen Das Volk, es fordert seine Wut,

Zu rächen des Erschlagnen Manen, Zu sühnen mit des Mörders Blut. Doch wo die Spur, die aus der Menge, Der Völker flutendem Gedränge,

Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Thäter kenntlich macht?

114

Epische Poesie.

Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen? That's neidisch ein verborgner Feind? Nur Helios vermag's zu sagen, Der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit ftechem Schütte Jetzt eben durch der Güechen Mitte, Und während ihn die Rache sucht, Gmießt er seines Frevels Fmcht. Auf ihres eignen Tempels Schwelle Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt Sich dreist in jene Menschenwelle, Die doü sich zum Theater drängt.

Denn Bank an Bank gedränget sitzen, Es brechen fast der Bühne Stützen, Herdeigeströmt von fern und nah, Der Güechen Völker waüend da, Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen.

Von Menschen wimmelnd wächst der Bau In weiter stets geschweiftem Bogen Hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen, Die gastlich hier zusammenkamen? Von Theseus' Stadt, von Aulis' Strand, Von Phons, vom Spaüanerland, Von Asiens entlegner Küste, Von allen Inseln kamen sie Und horchen von dem Schaugerüste DeS Chores grauser Melodie,

Der, streng und ernst, nach alter Sitte Mit langsam abgemeff'nem Schütte Hervortütt aus dem Hintergrund, Umwandelnd des Theaters Rund. So schreiten keine ird'schen Weiber! Die zeuget« kein sterblich Haus! Es steigt das Riesenmaß der Leiber Hoch über Menschliches hinaus.

Der durch das Herz zerreißend bringt, Die Bande um den Sünder schlingt.

Besinnungraubend, herzbethörend Schallt der Erinnyen Gesang, Er schallt, des Hörers Mark verzehrend, llnd duldet nicht der Leier Klang. „Wohl dem,-der frei von Schuld und Fehle Bewahü die kindlich reine Seele! Ihm dürfen wir nicht rächend nahn, Er wandelt frei des Lebens Bahn.

Doch wehe, wehe, wer verstohlen Des Mordes schwere That vollbracht! Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht.

Und glaubt er, fliehend zu entspringen, ^Geflügelt sind wir da, die Schlingen Ihm werfend um den flücht'gen Fuß, Daß er zu Boden fallen muß.

So jagen wir ihn ohn' Ermatten, Versöhnen kann uns leine Reu', Ihn fort und fori bis zu den Schatten Und geben ihn auch dort nicht frei."

So singend, tanzen sie den Reigen, Und Stitze wie des Todes Schweigen Liegt überm ganzen Hause schwer, Alsob die Gottheit nahe wär'. Und feierlich nach alter Sitte Nmwandelnd des Theaters Rund Mit langsam abgemeff'nem Schütte,

Verschwinden sie im Hintergrund. Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet

Noch zweifelnd jede Brust und bebet Und huldiget der furchtbar'» Macht, Die richtend im verborgnen wacht, Die unerforschlich, unergründet Des Schicksals dunklen Knäuel flicht,

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden, Dem tiefen Herzen sich verkündet, Sie schwingen in entfleischten Händen Der Fackel düsterrote Glut;

Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

In ihren Wangen »fließt kein Blut. Und wo die Haare lieblich flattern, Um Menschenstirnen fteundlich wehn, Da sieht man Schlangen hier und Nattern

Auf einmal eine Stimme rufen:

Die gistgeschwollnen Bäuche blähn. Und schauerlich, gedreht im Krüse,

Beginnen sie des Hymnus Weise,

Da hört man auf den höchsten Stufen

„Sieh da, sieh da, Timotheus, Die Kraniche des Jbykus!" Und finster plötzlich wird der Himmel, Und über dem Theater hin Sieht man in schwärzlichem Gewimmel

Ein Kranichheer vorüberziehn.

Ballade und Romanze.

115

„Des Jbhkus!" Der teure Name Rührt jede Bmst mit neuem Grame,

Der fromme Dichter wird gerochen, Der Mörder bietet selbst stch dar.

Und wie im Meere Well' auf Well',

Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,

So läust's von Mund zu Munde schnell: „Des Jbhkus? den wir beweinen?

Und ihn, an den's gerichtet war!"

Den eine Mörderhand erschlug?

Doch dem war kaum das Wort entfahren, Möcht' er's im Busen gern bewahren.

Was ist's mit dem? was kann er meinen? Umsonst! Der schreckenbleiche Mund Was ist's mit diesem Kranichzug?" Macht schnell die Schuldbewußten kund. Und immer lauter wird die Frage, Man reißt und schleppt sie vor den Richter, Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage Die Scene wird zum Tribunal, Durch alle Herzen: „Gebet acht, Und es gestehn die Bösewichter, Das ist der Eumeniden Macht!

Getroffen von der Rache Strahl. Schiller.

10.

Der Ring des PolykrateS.

Er stand auf seines Daches Zinnen, Er schaute mit vergnügten Sinnen Auf daS beherrschte Samos hin. „Dies alles ist mir unterthänig," Begann er zu Ägyptens König,

„Gestehe, daß ich glücklich bin!"

Und eh' er noch das Wort gesprochen, Hat ihn der Jubel unterbrochen, Der von der Reede jauchzend schallt;

Mit ftemden Schätzen reich beladen, Kehrt zu den heimischen Gestaden Der Schiffe mastenreicher Wald.

„Du hast der Götter Gunst erfahren! Die vormals deinesgleichen waren, Sie zwingt jetzt deines Scepters Macht. Doch einer lebt noch, sie zu rächen;

Der königliche Gast erstaunet. „Dein Glück ist heute gut gelaunet; Doch fürchte seinen Unbestand! Der Kreter waffenkund'ge Scharen Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen, Bedräuen dich mit Kriegsgefahren; So lang' des Feindes Auge wacht." Schon nahe sind sie diesem Strand."

Und eh' der König noch geendet, Da stellt sich, von Milet gesendet,

Und eh' ihm noch das Wort entfallen, Da sieht man's von den Schiffen wallen,

Ein Bote dem Tyrannen dar. „Laß, Herr, des Opfers Düste steigen, Und mit des Lorbeers muntren Zweigen

Und tausend Stimmen rufen: „Sieg! Von Feindesnot sind wir befreiet, Die Kreter hat der Sturm zerstreuet;

Bekränze dir dein festlich Haar!

Vorbei, geendet ist der Krieg!"

Getroffen sank dein Feind vom Speere;

Mich sendet mit der ftohen Märe Dein treuer Feldherr Polydor!" Und nimmt aus einem schwarzen Becken, Noch blutig, zu der beiden Schrecken

Ein wohlbekanntes Haupt hervor.

Das hört der Gastfteund mit Entsetzen. „Fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen! Doch," spricht er, „zittr' ich für dein Heil.

Mir grauet vor der Götter Neide; Des Lebens ungemischte Freude Ward keinem Irdischen zu teil.

Der König tritt zurück mit Grauen. Auch mir ist alles wohlgeraten; „Doch warn' ich dich, dem Glück zu trauen!" Bei allen meinen Herrscherthaten

Versetzt er mit besorgtem Blick. „Bedenk', ans ungetreuen Wellen

Begleitet mich des Himmels Huld. Doch hatt' ich einen teuren Erben; (Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen!) Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben; Dem Glück bezahlt' ich meine Schuld. Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück."

8*

Epische Poesie.

116

Drum willst du dich vor Leid bewahren,

Und bei des nächsten Morgens Lichte,

So flehe zu den Unfichtbaren,

Da tritt mit fröhlichem Gesichte

Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.

Ein Fischer vor den Fürsten hin.

Noch keinen sah ich fröhlich enden,

„Herr, diesen Fisch hab' ich gefangen,

Auf den mit immer vollen Händen

Wie keiner noch ins Netz gegangen;

Die Götter ihre Gaben streun.

Dir zum Geschenke bring' ich ihn."

Und wenn's die Götter nicht gewähren,

Und als der Koch den Fisch zerteilet,'

So acht' auf eines Freundes Lehren

Kommt er bestürzt herbeigeeilet

Und rufe selbst das Unglück her.

Und ruft mit hoch erstauntem Blick:

Und was von allen deinen Schätzen

„Sieh, Herr! den Ring, den du getragen,

Dein Herz am höchsten mag ergötzen,

Ihn fand ich in des Fisches Magen;

Das nimm und wirf's in dieses Meer!"

O ohne Grenzen ist dein Glück!"

Und {etter spricht, von Furcht beweget:

Hier wendet sich der Gast mit Grausen.

„So kann ich hier nicht ferner hausen,

„Von allem, was die Insel heget, Ist dieser Ring mein höchstes Gut.

Mein Freund kannst du nicht weiter sein.

Ihn will ich den ©timten weihen,

Die Götter wollen dein Verderben;

Ob sie mein Glück mir dann verzeihen!"

Fort eil' ich, nicht mit dir zu sterben!"

Und wirft das Kleinod in die Flut.

Und sprach's und schiffte schnell sich ein. Schiller.

11.

Ritter Toggenburg.

„Ritter, treue Schwesterliebe

Widmet euch dies Herz; Fordert keine andre Liebe, Denn eö macht mir Schmerz.

Ruhig mag ich euch erscheinen, Ruhig gehen sehn; Eurer Augen stilles Weinen

Kann ich nicht verstehn." Und er hört's mit stummem Harme, Reißt sich blutend los,

Preßt sie heftig in die Arme,

Schwingt sich auf sein Roß, Schickt zu seinen Mannen allen

In dem Lande Schweiz; Nach dem heil'gen Grab sie wallen Auf der Brust das Kreuz. Große Thaten dort geschehen

Durch der Helden Arm; Ihres Helmes Büsche wehen

In der Feinde Schwarm. Und des Toggenburgers Name Schreckt den Muselmann;

Doch das Herz von seinem Grame

Nicht genesen kann.

Und ein Jahr hat er's getrogen, Trägt's nicht länger mehr;

Ruhe kann er nicht erjagen Und verläßt das Heer. Sieht ein Schiff an Joppes Strande,

Das die Segel bläht, Schiffet heim zum teuren Lande,

Wo ihr Atem weht. Und an ihres Schloffes Pforte

Klopft der Pilger an,

Ach! und mit dem Donnerworte Wird sie aufgethan:

„Die ihr suchet, trägt den Schleier, Ist des Himmels Braut. Gestem war des Tages Feier,

Der sie Gott getraut!" Da verlässet er auf immer Seiner Väter Schloß; Seine Waffen sieht er nimmer, Noch sein treues Roß.

Ballade und Romanze. Von der Toggenburg hernieder

Steigt er unbekannt,

117

Sich ins Thal herunterneigte Ruhig, engelmild.

Denn es deckt die edlen Glieder Härenes Gewand. Und er baut sich eine Hütte Jener Gegend nah,

Wo das Kloster aus der Mitte Düstrer Lindm sah.

Harrend von des Morgens Lichte Bis zu Abends Schein,

Und dann legt' er ftoh sich nieder, Schlief getröstet ein, SM sich freuend, wenn es wieder Morgen würde sein.

Und so saß er viele Tage, Saß viel' Jahre lang,

Harrend ohne Schmerz und Klage,

Bis das Fenster klang,

Stille Hoffnung im Gesichte,

Saß er da allein, Blickte nach dem Kloster drüben,

Blickte stundenlang Nach dem Fenster seiner Lieben, Bis das Fenster klang,

Bis die Liebliche sich zeigte, Bis das teure Bild

Bis die Liebliche sich zeigte, Bis das teure Bild Sich ins Thal herunterneigte Ruhig, engelmild. Und so saß er, eine Leiche, Eines Morgens da; Nach dem Fenster noch das bleiche,

Sülle Antlitz sah. Schiller.

12.

Der Gang nach dem Eisenhammer.

Ein frommer Knecht war Fridolin Und in der Furcht des Herrn

Ihr klares Auge mit Vergnügen Hing an den Wohlgestalten Zügen.

Ergebm der Gebieterin, Der Gräfin von Savern.

Darob entbrennt in Robetts Brust, Des Jägers, gift'ger Groll, Dem längst von böser Schadenlust

Sie war so sanft, fie war so gut; Doch auch der Launen Übermut Hätt' er geeifert zu erfüllen Mit Freudigkeit um Gottes willen.

Früh von des Tages erstem Schein, Bis spät die Vesper schlug,

Die schwarze Seele schwoll; Und trat zum Grafen, rasch zur That

Und offen des Verführers Rat, Als einst vom Jagen heim sie kamen, Streut’ ihm ins Herz des Argwohns Samen

Lebt' er nur ihrem Dienst allein, „Wie seid ihr glücklich, edler Graf," That nimmer sich genug. Hub er voll Arglist an, Und sprach die Dame: „Mach' dir's leicht!" „Euch raubet nicht den goldnen Schlaf Da würd' ihm gleich das Auge feucht, Des Zweifels gift'ger Zahn; Und meinte, seiner Pflicht zu fehlen, Denn ihr besitzt ein edles Weib, Durst' er sich nicht im Dienste quälen.

Es gürtet Scham den keuschen Leib;

Drum vor dem ganzen Dienerttoß Die Gräfin ihn erhob;

Die fromme Treue zu berücken, Wird nimmer dem Versucher glücken:"

Aus ihrem schönen Munde floß

Da rollt der Graf die finstem Brau'». „Was red'st du mir, Gesell?

Sein unerschöpftes Lob. Sie hielt ihn nicht als ihren Knecht,

Werd' ich auf Weibestugend baun,

Es gab sein Herz ihm Kindesrecht;

Beweglich wie die Well'?

e Poesie.

118 Leicht locket sie des Schmeichlers Mund; Mein Glaube steht auf festem Grund; Vom Weib des Grafen von Saverne

Bleibt, hoff' ich, der Versucher ferne."

Der andre spricht: „So denkt ihr recht. Nur euren Spott verdient Der Thor, der, ein geborner Knecht, Ein solches sich erkühnt Und zu der Frau, die ihm gebeut, Erhebt der Wünsche Lüsternheit."

„Was?" fällt ihm jener ein und bebet, „Red'st du von einem, der da lebet?" „Ja doch, was aller Mund erfüllt,

Das bürg' sich meinem Herrn? Doch, weil ihr's denn mit Fleiß verhüllt,

Das Mühlrad, von der- Flut gerafft, Umwälzt sich für und für; Die Werke klappern Nacht und Tag, Im Takte pocht der Hämmer Schlag,

Und bildsam von den mächt'gen Streichen Muß selbst das Eisen sich erweichen. Und zweien Knechten winket er, Bedeutet sie und sagt:

„Den ersten, den ich sende her,

Und der euch also fragt: Habt ihr befolgt des Herren Wort? Dm werft mir in die Hölle dort, Daß er zu Asche gleich vergehe Und ihn mein Aug' nicht weiter sehe!" Des freut sich das entmenschte Paar

So unterdrück' ich's gern." „Du bist des Todes, Bube, sprich!" Rust jener streng und fürchterlich. „Wer hebt das Aug' zu Kunigonden?" „Nun ja, ich spreche von dem Blonden.

Mit roher Henkerslust; Denn fühllos wie das Eisen war Das Herz in ihrer Brust. Und stischer mit der Bälge Hauch

Er ist nicht häßlich von Gestalt," Fährt er mit Arglist fort, Jndem's den Grafen heiß und kalt

Das Todesopfer zu empfangen.

Durchrieselt bei dem Wort. „Jst's möglich, Herr? Ihr saht es nie, Wie er nur Augen hat für sie? Bei Tafel euer selbst nicht achtet, An ihren Stuhl gefeffelt, schmachtet? Seht da die Verse, die er schrieb Und seine Glut gesteht" — „Gesteht?" „Und sie um Gegenlieb',

Der steche Bube, fleht. Die gnäd'ge Gräfin, sanft Aus Mitleid wohl verbarg Mich reuet jetzt, daß mir's Denn, Herr, was habt ihr

und weich, sie's euch; entfahren;

zu befahren?"

Da ritt in feines Zornes Wüt

Der Graf ins nahe Holz, Wo ihm in hoher Öfen Glut

Die Eisenstufe schmolz. Hier nährten früh und spät den Brand Die Knechte mit geschäft'ger Hand;

Der Funke sprüht, die Bälge blasen, Als gält' es, Felsen zu verglasen. Des Waffers und des Feuers Kraft

Verbündet sieht man hier;

Erhitzen sie des Ofens Bauch Und schicken sich mit Mordverlangen,

Drauf Robert zum Gesellen spricht Mit falschem Heuchelschein: „Frisch auf, Gesell, und säume nicht,

Der Herr begehret dein." Der Herr, der spricht zu Fridolin: „Mußt gleich zum Eisenhammer hin, Und frage mir die Knechte dorten, Ob sie gethan nach meinen Worten?" Und jener spricht: „Es soll geschehn!" Und macht sich flugs bereit. Doch sinnend bleibt er plötzlich stehn.

„Ob sie mir nichts gebeut?" Und vor die Gräfin stellt er sich. „Hinaus zum Hammer schickt man mich;

So sag', was kann ich dir verrichten? Denn dir gehören meine Pflichten." Darauf die Dame von Savem Versetzt mit sanftem Ton:

„Die heil'ge Meffe hört' ich gern, Doch liegt mir krank der Sohn; So gehe denn, mein Sohn, und sprich In Andacht ein Gebet für mich,

Und denkst du reuig deiner Sünden, So laß auch mich die Gnade finoen."

Ballade und Romanze. Und froh der viel willkammnen Pflicht,

Der Priester zur Gemein' sich wendet,

Macht er im Flug sich auf,

Die httl'ge Handlung segnend endet.

Hat noch des Dorfes Ende nicht Erreicht im schnellen Lauf,

Da stellt er jedes wiederum In Ordnung säuberlich; Erst reinigt er das Heiligtum,

Da tönt ihm von dem Glockenstrang Hell schlagend des Geläutes Klang, Das alle Sünder hoch begnadet

Zum Sakramente festlich ladet. „Dem lieben Gotte weich' nicht aus,

Find'st du ihn auf dem Weg!" Er spricht's und tritt ins Gotteshaus;

Und dann entfernt er sich Und eilt in des Gewissens Ruh' Den Eisenhütten heiter zu,

Spricht unterwegs, die Zahl zu füllen, Zwölf Patemoster noch im stillen. Und als er rauchen sieht den Schlot

Kein Laut ist hier noch reg'!

Und sieht die Knechte stehn,

Denn um die Ernte war's, und heiß Im Felde glüht' der Schnitter Fleiß. Kein Chorgehülfe war erschienen,

Da ruft er: „Was der Graf gebot, Ihr Knechte, ist's geschehn?"

Und macht den Sakristan;

Und gttnsend zerren sie den Mund Und deuten in des Ofens Schlund. „Der ist besorgt und aufgehoben, Der Graf wird seine Diener loben."

„Das," spricht er, „ist kein Aufenthalt, Was fördett himmelan." Die Stola und das Cingulum

Die Antwott bringt er seinem Herrn In schnellem Lauf zurück. Als der ihn kommen sieht von fern,.

Hängt er dem Priester dienend um, Bereitet hurttg die Gefäße, Geheiliget zum Dienst der Messe.

Kaurn traut er feinern Blick. „Unglücklicher, wo kommst du her?" „Vom Eisenhammer." „Nimmermehr!

Die Messe kundig zu bedienen. Entschloffen ist er alsobald

Und als er dies mit Fleiß gethan, Tritt er als Ministrant Dem Pttester zum Altar voran,

Das Meßbuch in der Hand, Und knieet rechts und knieet links Und ist gewättig jedes Winks; Und als des Sanctus Motte kamen,

Da schellt er dreimal bei dem Namen.

Drauf als der Pttester fromm sich neigt

So hast du dich im Lauf verspätet?" „Herr, nur so lang, bis ich gebetet.

Denn als von eurem Angesicht Ich heute ging, verzeiht! Da fragt' ich erst nach meiner Pflicht Bei der, die mir gebeut. Die Messe, Herr, befahl sie mir Zu hören; gern gehorcht' ich ihr Und sprach der Rosenkränze viere

Und, zum Altar gewandt,

Für euer Heil und für das ihre."

Den Gott, den gegenwätt'gen, zeigt Zn hoch erhobner Hand, Da kündet es der Sakttstan

In tiefes Staunen sinket hier Der Graf, entsetzet sich.

Mit Hellem Glöcklein klingend an, Und alles knitt und schlägt die Brüste, Sich fromm bekreuzend vor dem Chttste.

So übt er jedes pünttlich aus

„Und welche Antwott wurde dir Am Eisenhammer? sprich!" „Herr, dunkel war der Rede Sinn, Zum Ofen wies man lachend hin; Der ist besorgt und aufgehoben,

Mit schnellgewandtem Sinn; Was Brauch ist in dem Gotteshaus,

Der Graf wird seine Diener loben."

Er hat es alles inn' Und wird nicht müde bis zum Schluß,

Es überläuft ihn kalt,

Bis beim Vobiscum Dominus

119

„Und Robett?" fällt der Graf ihm ein,

„Sollt' er dir nicht begegnet sein? Ich sandt' ihn doch zum Wald."

120

Epische Poesie. Bringt ihn der Gattin tiefbewegt,

„Herr, nicht im Wald, nicht in der Flur Fand ich von Robert eine Spur."

Die nichts davon verstand. „Dies Kind, kein Engel ist so rein, Laßt's eurer Huld empfohlen sein! Wie schlimm wir auch beraten waren,

„Nun," ruft der Graf und steht vernichtet, „Gott selbst im Himmel hat gerichtet!"

Und gütig, wie er nie gepflegt, Nimmt er des Dieners Hand,

Mit dem ist Gott und seine Scharen." Schiller.

13. Der Taucher. Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, Und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt

„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp', Zu tauchen in diesen Schlund? Einen goldnen Becher werf' ich hinab; Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund. Wer mir den Becher kann wiederzeigen,

Und will sich nimmer erschöpfen und leeren, Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,

Er mag ihn behalten, er ist jtin eigen." *

Und schwarz aus dem weißen Schaum . Der König spricht es und wirst von der Höh' Klafft hinunter ein gähnender Spalt Der Klippe, die schroff und steil Grundlos, als ging's in den Höllenraum, Hinaushängt in die unendliche See, Und reißend sieht man die brandenden Wogen Den Becher in der Charybde Geheul. Hinab in den strudelnden Trichter gezogen. „Wer ist der Beherzte, ich frage wieder, Jetzt schnell, eh' die Brandung wiederkehrt, Zu tauchen in diese Liefe nieder?" Der Jüngling sich Gott befiehlt, Und die Ritter, die Knappen um ihn her Und — ein Schrei des Entsetzens wird rings Vernehmen's und schweigen ftiU, gehört, Sehen hinab in das wilde Meer, Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült

Und keiner den Becher gewinnen will. Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwim­ Und der König zum dritten Mal wieder fraget: mer >,Jst keiner, der sich hinunter waget?" Schließt sich der Rachen, er zeigt'sich nimmer. Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor, Und ein Edelknecht, sanft und keck, Tritt aus der Knappen zagendem Chor,

.

Und stille wird's über dem Wafferschlund, In der Tiefe nur brauset es hohl, Und bebend hött man von Mund zu Mund:

Und den Güttel wirst er, den Mantel weg, „Hochherziger Jüngling, fahre wohl!" Und alle die Männer umher und Frauen Und hohler und hohler hött man's heulen, Auf den herrlichen Jüngling verwundert Und es Harri noch mit bangem, mit schrecklichem schauen. Weilen. Und wie er tritt an des Felsens Hang Und wärfft die Krone du selber hinein Und blickt in den Schlund hinab, Und sprächst: Wer mir bringet die Kron', Die Waffer, die sie hinunterschlang, Er soll sie tragen und König sein! Die Charybde jetzt brüllend wiedergab, Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.

Und wie mit des fernen Donners Getose

Was die heulende Tiefe da unten verhehle, Entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße. Das erzählt keine lebende, glückliche Seele.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt, Wie wenn Waffer mit Feuer sich mengt;

Wohl manches Fahrzeug, vom Sttudel ge­

faßt, Schoß jäh in die Tiefe hinab;

Ballade und Romanze. Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und

121

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief

Mast In der höchsten, schrecklichen Not, Hervor aus dem alles verschlingenden Grab. Aus der Tiefe ragmd ein Felsenriff, Und heller und heller wie Sturmes Sausen Das ersaßt' ich behend und entrann dem Tod, Hört man's näher und immer näher brausen. Und da hing auchderBecheranspitzenKorallen,

Und es wallet und siedet und brauset und Sonst wär' er ins Bodenlose gefallen.

zischt, Wie wenn Waffer mit Feuer sich mengt; Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, Und Well' auf Well' sich ohn' Ende drängt, Und wie mit des fernen Donners Getose

Denn unter mir lag'S noch bergetief In purpurner Finsternis da, Und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief, Das Auge mit Schaudern hinuntersah, Wie's von Salamandern und Molchen und

Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Drachen Und fieh! aus dem finster flutenden Schoß, Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen. Da hebet sich's schwanenweiß, Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch, Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird Zu scheußlichen Klumpen geballt, bloß, Und es rudert mit Kraft und mit emfigem Fleiß. Und er ist's, und hoch in seiner Sinsen Schwingt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lang und atmete tief Und begrüßte das himmlische Licht. Mit Frohlocken es einer dem andern rief:

Der stachlichte Roche, der Klippenfisch,

Des Hammers gräuliche Nngestalt, Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und war's mir mit Grausen bewußt, Von der menschlichen Hülfe so weit,

„Er lebt! er ist da! es behielt ihn nicht! Unter Larven die einzige fühlende Brust, Aus dem Grab, aus der strudelnden Waffer- Allein in der gräßlichen Einsamkeit Tief unter dem Schall der menschlichen Rede höhle Hat der Brave gerettet die lebende Seele." Bei den Ungeheuern der traurigen Öde. Und er kommt, es umringt ihn die jubelnde Schar, Zu des Königs Füßen er sinkt, Den Becher reicht er ihm knieend dar,

Und schaudernd dacht' ich's, da kroch's heran, Regte hundert Gelenke zugleich, Will schnappen nach mir; in des Schreckens

Wahn Und der König der lieblichen Tochter winkt; Laß ich los der Koralle umklammerten Zweig; Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Gleich faßt mich der «Strubel mit rasendem Rande; Toben, Und der Jüngling sich also zum König wandte. Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach

„Lang' lebe der König! Es freue sich, Wer da atmet im rosigen Licht! Da unten aber ist's fürchterlich,

oben."

Der König darob sich verwundert schier

Und spricht: „Der Becher ist dein, Und der Mensch versuche die Götter nicht Und diesen Ring noch bestimm' ich dir, Und begehre nimmer und nimmer zu schauen, Geschmückt mit dem köstlichen Edelgestein, Was siegnädig bedecken mit Nacht und Grauen. Versuchst du's noch einmal und bringst mir

Es riß mich hinunter blitzesschnell: Da stürzt' mir aus felsigem Schacht Wild flutend entgegen ein reißender Quell;

Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,

Kunde, Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem

Grunde." Das hörte die Tochter mit weichem Ge­

Und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen fühl, Trieb ntich's um, ich konnte nicht widerstehen. Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:

Epische Poesie.

122

Da ergreift's ihm die Seele mit Himmels­ „Laß, Vater, genug sein das grausame Spiel! gewalt, Er hat euch bestanden, was keiner besteht; Und könnt ihr des Herzens Gelüste nicht Und es blitzt aus den Augen ihm kühn; Und er siehet erröten die schöne Gestalt, zähmen, So mögen die Ritter den Knappen beschä­ Und er sieht sie erbleichen und sinken hin; men." Drauf der König greift nach dem Becher

schnell,

Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu er­

werben, Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück, „Und schafft du den Becher mir wieder zur Sie verkündigt der donnernde Schall; Stell'. So sollst du der trefflichste Ritter mir sein, Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick,

In den Strudej ihn schleudert hinein.

Und sollst sie als Eh'gemahl heut noch um­ Es kommen, es kommen die Waffer all', Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder, armen, Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen." Den Jüngling bringt keines wieder. Schiller.

14.

Der Kampf mit dem Drachen.

Was rennt das Volk? Was wälzt sich dort Und jener nimmt das Wort und spücht: „Ich hab' erfüllt die Ritterpflicht. Die langen Gaffen brausend fort?

Stürzt Rhodus unter Feuersflammen? Es rottet sich im Sturm zusammen,

Der Drache, der das Land verödet, Er liegt von meiner Hand getötet.

Und einen Ritter, hoch zu Roß,

Frei ist dem Wanderer der Weg,

Gewahr' ich aus dem Menschentroß;

Und hinter ihm, welch Abenteuer! Bringt man geschleppt ein Ungeheuer;

Der Hirte treibe ins Gefilde, Froh walle auf dem Felsensteg Der Pilger zu dem Gnadenbilde."

Ein Drache scheint es von Gestalt Mit weitem Krokodilesrachen;

Und spricht: „Du hast als Held gethan;

Und alles blickt verwundert bald

Den Ritter an und bald den Drachen.

Doch strenge blickt der Fürst ihn an

Der Mut ist's, der den Ritter ehret, Du hast den kühnen Geist bewähret.

Doch spüch! was ist die erste Pflicht Und tausend Stimmen werden laut. „Das ist der Lindwurm, kommt und schaut, Des Ritters, der für Chüstum ficht, Sich schmücket mit des Kreuzes Zeichen?" Der Hirt und Herden uns verschlungen! Das ist der Held, der ihn bezwungen!

Und alle üngsumher erbleichen.

Viel' andre zogen vor ihm aus,

Zu wagen den gewalt'gen Strauß,

Doch er mit edlem Anstand spricht, Indem er sich errötend neiget:

Doch keinen sah man wiederkehren; Den kühnen Ritter soll man ehren!"

„Gehorsam ist die erste Pflicht, Die ihn des Schmuckes würdig zügel."

Und nach dem Kloster geht der Zug,

Wo Sankt Johanns des Täufers Orden, Die Ritter des Spitals, im Flug

Zu Rate sind versammelt worden.

Und vor den edlen Meister tritt Der Jüngling mit bescheid'nem Schütt;

Nach drängt das Volk mit wildem Rufen, Erfüllend des Geländers Stufen.

„Und diese Pflicht, mein Sohn," versetzt

Der Meister, „hast du stech verletzt; Den Kampf, den das Gesetz versaget, Hast du mit frevlem Mut gewaget!" „Herr, üchte, wenn du alles weißt!"

Spricht jener mit gesetztem Geist; „Denn des Gesetzes Sinn und Willen

Vermeint' ich treulich zu erfüllen.

Ballade und Romanze. Nicht unbedachtsam zog ich hin, DaS Ungeheuer zu bekriegen; Durch List und kluggewandten Sinn Versucht' ich's in dem Kampf zu siegen. Fünf unsers Ordens waren schon, Die Zierden der Religion,

Des kühnen Mutes Opfer worden: Da wehrtest du den Kampf dem Orden. Doch an dem Herzen nagten mir

Der Unmut und die Strettbegier! Ja, selbst im Traum der stillen Nächte Fand ich mich keuchend im Gefechte.

Und wenn der Morgen dämmernd kam Und Kunde gab von neuen Plagen, Da faßte mich ein wilder Gram, Und ich beschloß, es frisch zu wagen.

123

Getteu den wohlbemerkten Zügen, Ein Drachenbild zusammenfügen. Auf kurzen Füßen wird die Last

Des langen Leibes aufgetürmet; Ein schuppicht Panzerhemd umfaßt Den Rücken, den es furchtbar schirmet. Lang strecket sich der Hals hervor,

Und gräßlich wie ein Höllenthor,

Als schnappt' es gierig nach der Beute, Eröffnet sich des Rachens Weite.

Und Der Die Die

aus dem schwarzen Schlunde dräun Zähne stachelichte Reihn; Zunge gleicht des Schwertes Spitze, ■ kleinen Augen sprühen Blitze.

In eine Schlange endigt sich Des Rückens ungeheure Länge,

Rollt um sich selber fürchterlich, Und zu mir selber sprach ich dann: Was schmückt den Jüngling, ehrt den Mann? Daß es um Mann und Roß sich schlänge. Was leisteten die tapfern Helden, Von denen uns die Lieder melden, Die zu der Götter Glanz und Ruhm Erhob das blinde Heidentum?

Sie reinigten von Ungeheuern Die Welt in kühnen Abenteuern, Begegneten im Kampf dem Leu'n Und rangen mit den Minotauren, Die aunen Opfer zu befrein, Und ließen sich das Blut nicht dauern. Ist nur der Sarazen' es wert, Daß ihn bekämpft des Christen Schwert? Bekriegt er nur die falschen Götter? Gesandt ist er der Welt zum Retter;

Von jeder Not und jedem Harm Befteien muß sein starker Arm. Doch seinen Mut muß Weisheit leiten, Und List muß mit der Stärke streiten.

So sprach ich oft und zog allein, Des Raudtters Fährte zu erkunden. Da flößte mir der Geist es ein,

Und alles bild' ich nach genau Und kleid' es in ein scheußlich Grau; Halb Wurm erschien's, halb Molch undDrache, Gezeuget in der gift'gen Lache. Und als das Bild vollendet war, Erwähl' ich mir ein Doggenpaar, Gewalttg, schnell, von flinken Läufen, Gewohnt, den wilden Ur zu greifen; Die hetz' ich auf den Lindwurm an,

Erhitze sie zu wildem Grimme, Zu faffen ihn mit scharfem Zahn, Und lenke sie mit meiner «stimme.

Und wo des Bauches weiches Vließ Den scharfen Biffen Blöße ließ, Da reiz' ich sie, den Wurm zu packen, Die spitzen Zähne einzuhacken. Ich selbst, bewaffnet mit Geschoß, Besteige mein arabisch Roß, Von adeliger Zucht entstammet.

Froh rief ich aus: Ich hab's gefunden.

Und als ich seinen Zom entflammet, Rasch auf den Drachen spreng' ich los Und stachl' es mit den scharfen Sporen

Und trat zu dir und sprach das Wott: Mich zieht es nach der Heimat fort!

Und werfe zielend mein Geschoß, Als wollt' ich die Gestalt durchbohren.

Du, Herr, willfahttest meinen Bitten, Ob auch das Roß sich grauend bäumt Und glücklich ward das Meer durchschnitten. Und knirscht und in den Zügel schäumt Kaum stieg ich aus am heim'schen Sttand, Und meine Doggen ängstlich stöhnen, Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand, Nicht rast' ich, bis sie sich gewöhnen.

124

Epische Poesie.

So üb' ich's aus mit Emsigkeit, Bis dreimal sich der Mond- erneut;

Hin kniet' ich vor dem Christuskinde

Und als sie jedes recht begriffen,

Drauf gürt' ich mir im Heiligtum Den blanken Schmuck der Waffen um,

Führ' ich sie her auf schnellen Schiffen.

Der dritte Morgen ist es nun, Daß mir's gelungen, hier zu landen; Den Gliedern gönnt' ich kaum zu ruhn, Bis ich das große Werk bestanden.

Denn heiß erregte mir das Herz Des Landes frisch erneuter Schmerz: Zerrissen fand man jüngst die Hirten, Die nach dem Sumpfe sich verirrten. Und ich beschließe rasch die That, Nur von dem Herzen nehm' ich Rat. Flugs unterricht' ich meine Knappen, Besteige den versuchten Rappen,

Und reinigte mein Herz von Sünde.

Bewehre mit dem Spieß die Rechte, Und nieder steig' ich zum Gefechte. Zurücke bleibt der Knappen Troß;

Ich gebe scheidend die Befehle Und schwinge mich behend aufs Roß,

Und Gott empfehl' ich meine Seele. Kaum seh' ich mich im ebnen Plan, Flugs schlagen meine Doggen an,

Und bang beginnt das Roß zu keuchen

Und bäumet sich und will nicht weichen; Denn nahe liegt zum Knäul geballt Des Feindes scheußliche Gestalt

Und von dem edlen Doggenpaar Begleitet, auf geheimen Wegen,

Und sonnet sich auf warmem Grunde. Auf jagen ihn die flinken Hunde;

Wo meiner That kein Zeuge war,

Doch wenden sie sich pfeilgeschwind, Als es den Rachen gähnend teilet

Reit' ich dem Feinde frisch entgegen. Das Kirchlein kennst du, Herr, das hoch Auf eines Felsenberges Joch,

Der weit die Insel überschauet, Des Meisters kühner Geist erbauet.

Und von sich haucht den gist'gen Wind Und winselnd wie der Schakal heulet.

Doch schnell erfrisch' ich ihren Mut;

Verächtlich scheint es, arm und klein,

Sie faffen ihren Feind mit Wut, Indem ich nach des Tieres Lende

Doch ein Mirakel schließt es ein, Die Mutter mit dem Jesusknaben,

Doch machtlos wie ein dünner Stab

Den die drei Könige begaben. Auf dreimal dreißig Stufen steigt Der Pilgrim nach der steilen Höhe;

Aus starker Faust den Speer versende. Prallt er vom Schuppenpanzer ab;

Und eh' ich meinen Wurf erneuet, Da bäumet sich mein Pferd und scheuet

Doch hat er schwindelnd sie erreicht,

An seinem Basiliskenblick

Erquickt ihn seines Heilands Nähe.

Und seines Atems gift'gem Wehen, Und mit Entsetzen springt's zurück.

Tief in den Fels, auf dem es hängt,

Ist eine Grotte eingesprengt, Vom Tau des nahen Moors befeuchtet,

Und jetzo war's um mich geschehen!

Wohin des Himmels Strahl nicht leuchtet. Hier hausete der Wurm und lag, Den Raub erspähend, Nacht und Tag.

Schnell ist des Schwertes Schneide bloß, Doch alle Streiche sind verlörest, Den Felsenharnisch zu durchbohren.

So hielt er wie der Höllendrache

Und wütend mit des Schweifes Kraft

Am Fuß des Gotteshauses Wache;

Hat es zur Erde mich gerafft, Schon seh' ich seinen Rachen gähnen,

Und kam der Pilgrim hergewallt Und lenkte in die Unglücksstraße,

Hervorbrach aus dem Hinterhalt Der Feind und trug ihn fort zum Fraße.

Den Felsen stieg ich jetzt hinan, Eh' ich den schweren Strauß begann;

Da schwing' ich mich behend vom Roß;

Es haut nach mir mit grimmen Zähnen:

Als meine Hunde wutentbrannt An seinen Bauch mit grimm'gen Biffen Sich' warfen, daß es heulend stand, Von ungeheurem Schmerz zerriffen.

Ballade und Romanze.

125

Und eh' es ihren Bissen sich Entwindet, rasch erheb' ich mich,

Die Schlange, die das Herz vergiftet, Die Zwietracht und Verderben stiftet,

Erspähe mir des Feindes Blöße

Das ist der widerspenst'ge Geist,

Und stoße tief ihm ins Gekröse, Nachbohrend bis ans Heft, den Stahl.

Der gegen Zucht sich stech empöret,

So wie der Ritter dies gesprochen; Und zehnfach am Gewölb' gebrochen,

Dich hat der eitle Ruhm bewegt,

Der Ordnung heilig Band zerreißt; Schwarzquellend springt des Blutes Strahl; Denn er ist's, der die Welt zerstöret! Hin sinkt es und begräbt im Falle Mut zeiget auch der Mameluck; Mich mit des Leibes Riesenballe, Gehorsam ist des Christen Schmuck! Daß schnell die Sinne mir vergehn. Denn wo der Herr in seiner Größe Und als ich neugestärkt erwache, Gewandelt hat in Knechtesblöße, Seh' ich die Knappen um mich stehn, Da stifteten auf heil'gem Gmnd Und tot im Blute liegt der Drache." Die Väter dieses Ordens Bund, Des Beifalls lang gehemmte Lust Der Pflichten schwerste zu erfüllen, Befreit jetzt aller Hörer Brust, Zu bändigen den eignen Willen.

Wälzt der vermischten Stimmen Schall Sich brausend fort im Wiederhall. Laut fordern selbst des Ordens Söhne, Daß man die Heldenstime kröne. Und dankbar im Triumphgepräng'

Will ihn das Volk dem Volke zeigen: Da faltet seine Stirne streng

Der Meister und gebietet Schweigen

Dmm wende dich aus meinen Blicken! Denn wer des Herren Zoch nicht trägt,

Darf sich mit seinem Kreuz nicht schmücken." Da bricht die Menge tobend aus, Gewalt'ger Sturm bewegt das Haus,

Um Gnade flehen alle Brüder:

Doch schweigend blickt der Jüngling nieder; Süll legt er von sich das Gewand

Und küßt des Meisters strenge Hand Und spricht: „Den Drachen, der dies Land Und geht. Der folgt ihm mit dem Blicke, Verheert, schlugst du mit tapfrer Hand; Dann ruft er liebend ihn zurücke Ein Gott bist du dem Volke worden, Und spricht: „Umarme mich, mein Sohn! Ein Feind kommst du zurück dem Orden! Dir ist der härtre Kampf gelungen. Und einen schlimmem Wurm gebar Dein Herz als dieser Drache war.

Nimm dieses Kreuz! Es ist der Lohn

Der Demut, die sich selbst bezwungen!" Schiller.

15.

Der Wirtin Töchterlein.

Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein; „Ach lebtest du noch, du schöne Maid! Bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein. Ich würde dich lieben von dieser Zeit." „Frau Wirtin, hat sie gut Bier und Wein? Der zweite deckte den Schleier zu Wo hat sie ihr schönes Töchterlein?" Und kehrte sich ab und weinte dazu. „Mein Bier und Wein ist frisch und klar, „Ach, daß du liegst auf der Todtenbahr! Mein Töchterlein liegt auf der Todtenbahr." Ich hab' dich geliebet so manches Jahr."

Und als sie traten zur Kammer hinein, Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

Und küßte sie an den Mund so bleich.

Der erste, der schlug den Schleier zurück Und schaute sie an mit traurigem Blick.

Und werde dich lieben in Ewigkeit!"

Der brüte hub ihn wieder sogleich

„Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut Uh land.

Epische Poesie.

126

16.

Das Schloß am Meere.

Hast du das Schloß gesehen,

Das hohe Schloß am Meer?

„Die Winde, die Wogen alle, Lagen in tiefer Ruh';

Golden und rofig wehen

Einem Klagelied aus der Halle

Die Wolken drüber her.

Hört' ich mit Thränen zu."

Es möchte sich nieder neigen In die spiegelklare Flut;

Den König und sein Gemahl?

Es möchte streben und steigen

In der Abendwolken Glut.

„Wohl hab' ich es gesehen,

Sähest du oben gehen

Der roten Mäntel Wehen, Der goldnen Kronen Strahl?

Führten sie nicht mit Wonne

Das hohe Schloß am Meer, Und den Mond darüber stehen

Eine schöne Jungfrau dar, Herrlich wie eine Sonne,

Und Nebel weit umher."

Strahlend im goldnen Haar?

Der Wind und des Meeres Wallen,

„Wohl sah ich die Eltern beide

Gaben sie frischen Klang? Vernahmst du aus hohen Hallen

Ohne der Kronen Licht Im schwarzen Trauerkleide;

Saiten und Festgesang?

Die Jungfrau sah ich nicht." Uhland.

17.

Das Glück von Edenhall.

Von Edenhall der junge Lord Läßt schmettem Festdrommetenschall,

Er hebt sich an des Tisches Bord Und ruft in trunkner Gäste Schwall: „Nun her mit dem Glücke von Edenhall!" Der Schenk vemimmt ungern den Spruch, Des Hauses ältester Vasall, Nimmt zögernd aus dem seidnen Tuch Das hohe Trinkglas von Krystall, Sie nennen's das Glück von Edenhall.

Erst klingt es milde, tief und voll Gleich dem Gesang der Nachtigall, Dann wie des Waldstroms laut Geröll, Zuletzt erdröhnt wie Donnerhall Das herrliche Glück von Edenhall.

„Zum Horte nimmt ein kühn Geschlecht Sich den zerbrechlichen Krystall;

Er dauert länger schon als recht; Stoßt an! Mit diesem kräft'gen Prall Versuch' ich das Glück von Edenhall."

Darauf der Lord: „Dem Glas zum Preis Und als das Trinkglas gellend springt, Schenk' roten ein aus Portugal!" Springt das Gewölb' mit jähem Knall, Mit Händezittern gießt der Greis, Und ans dem Riß die Flamme dringt. Und purpurn Licht wird überall, Die Gäste sind zerstoben all' Es strahlt aus dem Glücke von Edenhall. Mit dem brechenden Glücke von Edenhall.

Da spricht der Lord und schwingt's dabei: Ein stürmt der Feind mit Brand und Mord, „Dies Glas von leuchtendem Krystall Der in der Nacht erstieg den Wall. Gab meinem Ahn am Quell die Fei, Vom Schwerte fällt der junge Lord, Drein schrieb sie: Kommt dies Glas zu Fall, Hält in der Hand noch den Krystall, Fahr' wohl dann, o Glück von Edenhall! Das zersprungene Glück von Evenhall. Ein Kelchglas ward zum Los mit Fug

Am Morgen irrt der Schenk allein,

Dem fteud'gen Stamm von Edenhall; Wir schlürfen gern in vollem Zug, Wir läuten gern mit lautem Schall;

Der Greis, in der zerstörten Hall'; Er sucht des Herrn verbrannt Gebein,

Stoßt an mit dem Glücke von Edenhall!"

Die Scherben des Glücks von Edenhall.

Er sucht im grausen Trümmerfall

Ballade und Romanze.

127

„Die Steinwand," spricht er, „springt zu Glas ist der Erde Stolz und Glück, Stück, Die hohe Säule muß zu Fall,

In Splitter fällt der Erdenball Einst gleich dem Glücke von Edenhall. Uhl and.

18.

Graf Eberhard der Rauschebart. 1.

Der Überfall im Wildbad.

Zn schönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn,

Pie Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn, Da ritt aus Stuttgarts Thoren ein Held von stolzer Art, Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauschebart.

Mit wenig Edelknechten zieht er ins Land hinaus; Er trägt nicht Helm, noch Panzer: nicht geht's auf blut'gen Strauß; Ins Wildbad will er reiten, wo heiß ein Quell entspringt, Der Sieche heilt und kräftigt, der Greise wieder jungt. Zu Hirsau bei dem Abte, da kehrt der Ritter ein Und trinkt bei Orgelschalle den kühlen Klosterwein; Dann geht's durch Tannenwälder ins grüne Thal gesprengt, Wo durch ihr Felsenbette die Enns sich rauschend drängt.

Zu Wildbad an dem Markte, da steht ein stattlich Haus, Es hängt daran zum Zeichen ein blanker Spieß heraus: Dort steigt der Graf vom Rosie, dort hält er gute Rast;

Den Quell besucht er täglich, der ritterliche Gast. Wann er sich dann entkleidet und wenig ausgemht Und sein Gebet gesprochen, so steigt er in die Flut; Er setzt sich stets zur Stelle, wo aus dem Felsenspalt Am heißesten und vollsten der edle Sprudel wallt.

Ein angeschosi'ner Eber, der sich die Wunde wusch, Bernet voreinst den Sägern den Quell in Kluft und Busch;

Nun ist's dem alten Recken ein lieber Zeitvertreib, Zu waschen und zu strecken den narbenvollen Leib. Da kommt einstmals gesprungen sein jüngster Edelknab'.

„Herr Graf, es zieht ein Haufe das ob're Thal herab; Sie tragen schwere Kolben; der Hauptmann führt im Schild Ein Röslein rot von Golde und einen Eber wild." „Mein Sohn! das sind die Schlegler, die schlagen kräftig drein; Gieb mir den Leibrock, Zunge! Das ist der Eberstein. Zch kenne wohl den Eber: er hat so grimmen Zom; Ich kenne wohl die Rose: sie führt so scharfen Dorn."

Da kommt ein armer Hirte in atemlosem Lauf.

„Herr Graf, es zieht 'ne Rotte das unsre Thal herauf; Der Hauptmann führt drei Beile; sein Rüstzeug glänzt und gleißt,

Daß mir's wie Wetterleuchten noch in den Augen beißt." „Das ist der Wunnensteiner, der gleißend' Wolf genannt!

Gieb mir den Mantel, Knabe! Der Glanz ist mir bekannt;

Epische Poesie.

128

Er bringt mir wenig Wonne; die Beile hauen gut; Bind' mir das Schwert zur Seite! Der Wolf, der lechzt nach Blut!" Da spricht der arme Hirte: „Des mag noch werden Rat;

Ich weiß geheime Wege, die noch kein Mensch betrat,

Kein Roß mag sie ersteigen, nur Geißen klettern dort; Wollt ihr sogleich mir folgen, ich bring' euch sicher fort." Sie klimmen durch das Dickicht den steilsten Berg hinan, Mit seinem guten Schwerte haut ost der Graf sich Bahn; Wie herb das Fliehen schmecke, noch hatt' er's nie vermerkt; Viel lieber möcht' er fechten, das Bad hat ihn gestärkt.

In heißer Mittagsstunde bergunter und bergauf! Schon muß' der Graf sich lehnen auf seines Schwertes Knauf;

Darob erbarmt's den Hirten des alten hohen Herrn; Er nimmt ihn auf den Rücken. „Ich thu's von Herzen gern." Da denü der alte Greiner: Es thut doch wahrlich gut, So sänstlich sein getragen von einem treuen Blut. In Fährden und in Nöten zeigt erst das Volk sich echt: Dmm soll man nie zertteten sein altes, gutes Recht.

Als drauf der Graf gerettet zu Stuttgart sitzt im Saal, Heißt er eine Münze prägen als ein Gedächtnismal:

Er giebt dem treuen Hirten manch blankes Stück davon, Auch manchem Herrn vom Schlegel verehtt er eins zum Hohn. Dann schickt er tücht'ge Maurer ins Wildbad alsofort, Die sollen Mauern führen rings um den offnen Ort, Damit in künst'gen Sommem sich jeder greise Mann,

Von Feinden ungefährdet, im Bade jungen kann.

2.

Die drei Könige zu Heimsen.

Drei Könige zu Heimsen, wer hätt' es je gedacht! Mit Rittern und mit Roffen, in Herrlichkeit und Pracht! Es sind die hohen Häupter der Schlegelbrüderschast; Sich Könige zu neunen, das giebt der Sache Kraft. Da thronen sie beisammen und halten eifrig Rat, Bedenken und besprechen gewalt'ge Waffenthät, Wie man den stolzen Greiner mit Kriegsheer überfällt

Und besser als im Bade ihm jeden Schlich verstellt, Wie man ihn dann verwahret und seine Burgen bricht, Bis er von allem Zwange die Edlen ledig spricht. Dann fahre wohl, Landfriede! dann, Lehndienst, gute Nacht!

Dann ist's der freie Ritter, der alle Welt verlacht.

Schon sank die Nacht hernieder, die Kön'ge sind zur Ruh'; Schon krähen jetzt die Hähne dem nahen Morgen zu; Da schallt mit scharfem Stoße das Wächterhorn vom Turm.

Wohlauf, wohlauf, ihr Schläfer! Das Horn verkündet Sturm!

Ballade und Romanze. In Nacht und Nebel draußen, da wogt es wie ein Meer Und zieht von allen Seiten sich um das Städtlein her; Verhalt'ne Männerstimmen, verworr'ner Gang und Drang,

Hufschlag und Roffesschnauben und dumpfer Waffenklang.. Und als das Frührot leuchtet, und als der Nebel sinkt, Hei, wie es da von Speeren, von Morgenstemen blinkt!

Des ganzen Gaues Bauem stehii um den Ort geschart,

Und mitten hält zu Rosse der alte Rauschebart. Die Schlegler möchten schirmen das Städtlein und das Schloß:

Sie werfen von den Türmen mit Steinen und Geschoß. „Nur sachte!" ruft'der Greiner, „euch wird das Bad geheizt!

Aufdampfen soll's und qualmen, daß euch's die Augen beizt!" Rings um die alten Mauem ist Holz und Stroh gehäuft, Zn dunkler Nacht geschichtet und wohl mit Teer behaust; Drein schießt man glühn'de Pfeile: wie raschelt's da im Shoh!

Drein wirft man feur'ge Kränze: wie flackert's lichterloh!

Und noch von allen Enden wird Vorrat zugeführt, Von all den rüst'gen Bauem wird emsig nachgeschürt, Bis höher, immer höher die Flamme leckt und schweift

Und schon mit lust'gem Praffeln der Türme Dach ergreift. Ein Thor ist fteigelaffen: so hat's der Graf beliebt; Dort hört man, wie der Riegel sich leise, lose schiebt; Dort stürzen wohl verzweifelnd die Schlegler jetzt heraus? Nein! Friedlich zieht's herüber als wie ins Gotteshaus.

Voran drei Schlegelkön'ge zu Fuß, demütiglich, Mit unbedecktem Haupte, die Augen unter sich; Dann viele Herm und Knechte gemachsam, Mann für Mann, Daß man sie alle zählen und wohl betrachten kann!

„Willkomm!" so nist der Greiner, „Willkomm in meiner Haft! Ich traf euch gut beisammen, geehrte Brüderschaft! So konnt' ich wieder tonen für den Besuch im Bad. Nur einen miff' ich, Freunde, den Wunnenstein. 's ist Schad!" Ein Bäuerlein, das heulich am Feuer mitgefacht, Lehnt dort an seinem Spieße, nimmt alles wohl in Acht.

„Drei Könige zu Heimsen," so schmollt es, „das ist viel! Erwischt man noch den vierten, so ist's ein Kartenspiel."

3.

Die Schlacht bei Reutlingen.

Zu Achalm auf dem Felsen, da haust manch kühner Aar, Graf Ulrich, Sohn des Greiners, mit seiner Ritterschar;

Wild rauschen ihre Flügel um Reutlingen die Stadt, Bald scheint sie zu erliegen, vom heißen Drange matt. Doch plötzlich einst erheben die Städter sich zur Nacht,

Ins Urachthal hinüber sind sie mit großer Macht; Dielitz u. Heinrichs, Hundb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aufl.

129

Epische Poesie.

130

Bald steigt von Dorf und Mühle die Flamme blutig rot, Die. Herden weggetrieben, die Hirten liegen tot. Herr Ulrich hat's vernommen; er ruft im grimmen Zorn: „In eure Stadt soll kommen kein Huf und auch kein Hom!"

Da sputen sich die Ritter; sie wappnen sich in Stahl, Sie heischen ihre Roffe, sie reiten straks zu Thal. Ein Kirchlein stehet brunten, Sankt Leonhard geweiht, Dabei ein grüner Anger; der scheint bequem zum Streit; Sie springen von den Pferden, sie zithm stolze Reihn;

Dir langen Spieße starren.

Wohlauf! wer wagt sich drein?

Schon ziehn vom Nrachthale die Städter fern herbei, Man hört der Männer Jauchzen, der Herden wild Geschrei, Man sieht sie fürder schreiten, ein wohlgerüstet Heer. Wie flattem stolz die Banner! Wie blitzen Schwert und Speer!

Nun schließ' dich fest zusammen, du ritterliche Schar! Wohl hast du nicht geahnet so dräuende Gefahr. Die übermächt'gen Rotten, sie stürmen an mit Schwall: Die Ritter stehn und starren wie Fels und Mauerwall. Zu Reutlingen am Zwinger, da ist ein altes Thor, Längs wob mit dichten Rankm der Epheu sich davor, Man hat es schier vergeffen: nun kracht's mit einmal auf, Und aus dem Zwinger stürzet gedrängt ein Bürgerhaus.

Den Rittern in den Rückm fällt er mit grauser Wut; Heut will der Städter baden tat heißen Ritterblut, Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt!

Wie haben da die Färber so purpurrot gefärbt!

Heut nimmt man nicht gefangen, heut geht es auf den Tod, Heut spritzt das Blut wie Regen, der Anger blümt sich rot.

Stets drängender umschloßen und wütmder bestürmt, Ist rings von Bmderleichen die Ritterschar uwtürmt. Das Fähnlein ist verloren; Herr Ulttch blutet stark;

Die noch am Leben bliebm, sind müde bis ins Mark. Da haschen sie nach Rossen und schwingen sich darauf, Sie hauen durch, sie kommm zur festen Burg hinauf.

„Ach Allm—!" stöhnt' einst ein Ritter: ihn ttaf des Mörders Stoß; „Allmächtiger!!' wollt' er rufen; man hieß davon das Schloß. Herr Ulttch statt vom Sattel, halb tot, voll Blut und Qualm; Hätt' nicht das Schloß dm Ramm, man hieß' es jetzt Achalm!

Wohl kommt am andem Morgm zu Reutlingen anS Thor Manch ttauervoller Knappe, der seinen Herm verlor. Dött aus dem Rathaus liegen die Totm all' gereiht, Man führt dahin die Knechte mit sicherem Geleit. Dott liegen mehr denn sechzig, so blutig und so bleich: Nicht jeder Knapp' erkmnet den totm Herm sogleich.

Ballade und Romanze. Dann wird ein jeder Leichnam von treuen Dieners Hand

Gewaschen und gekleidet in weißes Grabgewand. Auf Bahren und auf Wagen getragen und geführt, Mit Eichenlaub bekränzet, wie's Helden wohl gebührt, So geht es nach dem Thore die alte Stadt entlang, Dumpf tönet von den Türmen der Totenglocken Klang. Götz Weissenheim eröffnet den langen Leichenzug;

Er war es, der im Streite des Grafen Banner trug; Er hatt' es nicht gelassen, bis er erschlagen war:

Dmm mag er würdig führen auch noch die tote Schar.

Drei edle Grafen folgen, bewährt im Schildesamt, Von Tübingen, von Zollern, von Schwarzenberg entstammt. O Zollern, deine Leiche umschwebt ein lichter Kranz; Sahst du vielleicht noch sterbend dein Haus im künftigen Glanz? Von Sachsenheim zween Ritter, der Vater und der Sohn, Sie liegen still beisammen in Lilien und in Mohn;

Auf ihrer Stammburg wandelt von alterSher ein Geist, Der längst mit Klaggebärden auf schweres Unheil weist.

Einst war. ein Herr von Lustnau vom Scheintod auferwacht, Er kehrt' im Leichentuche zu seiner Frau bei Nacht; Davon man sein Geschlechte die Toten hieß zum Scherz:

Hier bringt man ihrer einen, den traf der Tod ins Herz.

‘ Das Lied, es folgt nicht weiter; des Jammers ist genug; Will jemand alle wissen, die man von dannen trug, Dort auf den Rathausfenstern in Farben bunt und klar Stellt jedes Ritters Name und Wappenschild sich dar. Als nun von seinen Wunden Graf Ulrich ausgeheilt, Da reitet er nach Stuttgart, er hat nicht sehr geeilt; Er trifft den alten Vater allein am Mittagsmahl; Ein frostiger Willkommen! Kein Wort ertönt im Saal.

Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an dem Tisch; Er schlägt die Augen nieder; man bringt ihm Wein und Fisch: Da faßt der Greis ein Messer und spttcht kein Wort dabei

Und schneidet zwischen beiden das Tafeltuch entzwei.

4.

Die Döffinger Schlacht.

Am Ruheplatz der Toten, da pflegt es still zu sein: Man hört nur leises Beten bei Kreuz und Leichenstein;

Zu Döffingen war's. anders: dort scholl den ganzen Tag

Der feste Kirchhof wieder von Kampfruf, Stoß und Schlag. Die Städter sind gekommen; der Bauer hat sein Gut Zum festen Ort geflüchtet und hält's in tapfrer Hut; Mit Spieß und Karst und Sense treibt er den Angriff ab;

Wer tot zu Boden sinket, hat hier nicht weit ins Grab.

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132

Epische Poesie. Graf Eberhard der Greiner vernahm der seinen Not: Schon kommt er angezogen mit starkem Aufgebot; Schon ist um ihn versammelt der besten Ritier Kern,

Vom edlen Löwenbunde die Grafen und die Herrn.

Da kommt ein reis'ger Bote vom Wolf von Wunnenstein. „Mein Herr mit seinem Banner will euch zu Dienste sein!" Der stolze Graf entgegnet: „Ich hab sein nicht begehrt; Er hat umsonst die Münze, die ich ihm einst verehrt!" Bald sieht Herr Ulrich drüben der Städter Scharen stehn, Von Reutlingen, von Augsburg, von Ulm die Banner wehn:

Da brennt ihm seine Narbe, da gährt der alte Groll. „Ich weiß, ihr Übermüt'gen, wovon der Kamm euch schwoll!"

Er sprengt zu seinem Vater.

„Heut zahl' ich alte Schuld!

Will's »Gott, erwerb' ich wieder die väterliche Huld!

Nicht darf ich mit dir speisen auf einem Tuch, du Held! Doch darf ich mit dir schlagen auf einem blut'gen Feld!" Sie steigen, von den Gäulen, die Herm vom Löwenbund, Sie stürzen auf die Feinde, thun sich als Löwen kund.

Hei, wie der Löwe Ulrich so grimmig tobt und würgt! Er will die Schuld bezahlen, er hat sein Wort verbürgt. Wen trägt man aus dem Kampfe dort auf den Eichenstumpf? - „Gott sei mir Sünder gnädig!" Er stöhnt's, er röchelt's dumpf. O königliche Eiche, dich hat der Blitz zerspellt! O Ulrich, tapfrer Ritter, dich hat das Schwert gefällt!

Da ruft der alte Recke, den nichts erschüttern kann: „Erschreckt nicht! Der gefallen, ist wie ein andrer Mann! Schlagt drein! Die Feinde fliehen!" Er ruft's mit Donnerlaut; Wie rauscht sein Bart im Windel

Hei, wie der Eber haut!

Die Städter han vemommen das seltsam list'ge Wort. „Wer flieht?" so fragen alle; schon wankt es hier und dort. Das Wort hat sie ergriffen gleich einem Zauberlted; Der Graf und seine Ritter durchbrechen Glied auf Glied. Was gleißt und glänzt da droben und zuckt wie Wetterschein?

Das ist mit seinen Reitem der Wolf von Wunnenstein!

Er wirst sich auf die Städter, er sprengt sich weite Bucht: Da ist der Sieg enffchieden, der Feind in wilder Flucht. Im Erntemond geschah es; bei Gott, ein heißer Tag! Was da der edlen Garben auf allen Feldern lag!

Wie auch so mancher Schnitter die Arme sinken läßt!

Wohl halten diese Ritter ein Mutig Sichelfest. Noch lange traf der Bauer, der Hinterm Pfluge ging,

Auf rost'ge Degenklingen, Speereisen, Panzerring;

Und als man eine Linde zersägt und niederstreckt, Zeigt sich darin ein Hämisch und ein Geripp versteckt.

Ballade und Romanze.

133

Als nun die Schlacht geschlagen und Sieg geblasen war, Da reicht der alte Greiner dem Wolf die Rechte dar. „Hab' Dank, du tapfrer Degen, und reit' mit mir nach Haus, Daß wir uns gütlich pflegen nach diesem harten Strauß!"

„Hei!" spricht der Wolf mit Lachen, „gefiel euch dieser Schwank? Ich stritt aus Haß der Städte und nicht um euern Dank! Gut' Nacht und Glück zur Reise!

Es steht im alten Recht!"

Er spricht's und jagt von bannen mit Ritter und mit Knecht. Zu Döffingen im Dorfe, da hat der Graf die Nacht Bei seines Ulrich Leiche, des einz'gen Sohns, verbracht. Er kniet zur Bahre nieder, verhüllet sein Gesicht. Ob er vielleicht im stillen geweint, man weiß es nicht. Des Morgens mit dem frühsten steigt Eberhard zu Roß,

Gen Stuttgart fährt er wieder mit seinem Reis'gen Troß. Da kommt des Wegs gelaufen der Zuffenhauser Hirt. „Dem Mann ist's trüb zu Mute! Was der uns bringen wird?" „Ich bring' euch böse Kunde: Nächt ist in unfern Trieb Der gleißend Wolf gefallen; er nahm, so viel ihm lieb." Da lacht der alte Greiner in seinen grauen Bart. „Das Wölflein holt sich Kochfleisch, das ist des Wölfleins Art!"

Sie reiten rüstig fürder; sie sehn aus grünem Thal Das Schloß von Stuttgart ragen, es glänzt im Morgenstrahl; Da kommt des Wegs geritten ein schmucker Edelknecht. „Der Knab' will mich bedünken, als ob er Gutes brächt'!" „Ich bring' euch gute Märe': Glück zum Urentelein! Antonia hat geboren ein Knäblein, hold und fein." Da hebt er hoch die Hände, der ritterliche Greis. „Der Fink hat wieder Samen; dem Herrn sei Dank und Preis!" Uhland.

19. Des Sängers Fluch. Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr, Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer, Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz, Drin sprangen ftische Brunnen im Regenbogenglanz.

Dott saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich, Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;

Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut, Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut. Einst zog nach diesem Schlöffe ein edles Sängerpaar,

Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar; Der Alte mit der Harfe, der faß auf schmuckem Roß, Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß. Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn! Denk' unsrer tiefsten Lieder, stimm' an den vollsten Ton,

134

Epische Poesie. Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinem Herz."

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,

Und auf dem Throne sitzen der König pnd sein Gemahl, Der König furchtbar prächtig wie blut'ger Nordlichtschein,

Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;

Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor, Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchör. Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit,

Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit; Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott.

Die Königin, zerfloffen in Wehmut und in Lust, Sie wirft den Sängem nieder die Rose von ihrer Brust.

„Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?" Der König schreit es wütend, er beßt am ganzen Leib; Er wirst sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchbringt, Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all' der Hörer Schwarm. Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm; Der. schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß, Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß. Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis, Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis, An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt; Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:

„Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,

Nein! Seufer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt, Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt! Weh euch, ihr dust'gen Gärten im holden Maienlicht! Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht,

Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,

Daß ihr in künst'gen Tagen versteint, verödet liegt. Weh dir, verruchter Mörder, du Fluch des Sängertums!

Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms;

Dein Name sei vergeflen, in ew'ge Nacht getaucht, Sei, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!" Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,

Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;

Ballade und Romanze.

135

Noch eine hohe Säule zeugt von verschwund'ner Pracht, Auch diese, schon geborsten, kann Mrzen über Nacht.

Und rings statt dust'ger Gärten ein ödes Heideland; Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand. Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch; Versunken und vergeffen! das ist des Sängers Fluch. Uhlaud.

20.

Bertran de Born.

Drovey auf dem schroffen Steine

Aus des Ölbaums Schlummerschatten

Raucht in Trümmem Autafort,

Fuhr dein bester Sohn empor,

Und der Burgherr steht gefeffelt Vor des Königs Zelte dort.

Als mit zom'gm Schlachtgesängen Ich beMrmen ließ sein Ohr. Schnell war ihm sein Roß gegürtet,

„Kommst du, der mit Schwert und Liebem Aufmhr trug von Ort zu Ort, Der die Kinder aufgewiegelt

Gegen ihres Vaters Wort? Steht vor mir, der fich gerühmet

In vermeff'ner Prahlerei, Daß ihm nie mehr als die Hälfte Seines Geistes nötig sei? Nun der halbe dich nicht rettet, Ruf' dm ganzen doch herbei, Daß er neu dein Schloß dir baue, Deine Setten brech' entzwei!" „Wie du sagst, mein Herr und König, Steht vor dir Bertran de Bom, Der mit einem Lied entflammte Perigord und Vmtadom, Der dem mächtigen Gebieter Stets im Aüge war ein Dom, Dem zu Liebe Königskinder Tmgen ihres Vaters Zom.

Deine Tochter saß im Saale Festlich, eines Herzogs Braut,

Und da sang vor ihr mein Bote, Dem ein Lied ich anvertraut, Sang, was einst ihr Stolz gewesen,

Und ich trug das Banner vor Jenem Todespfeil entgegen, Der ihn traf vor Montforts Thor.

Blutend lag er mir im Arme; Nicht der scharfe, kalte Stahl — Daß er sterb' in deinem Fluche, Das war seines Sterbens Qual. Strecken wollt' er dir die Rechte Über Meer, Gebirg und Thal; Als er deine nicht erreichet, Drückt' er meine noch einmal.

Da, wie Autafort dort oben, Ward gebrochen meine Kraft; Nicht die ganze, nicht die halbe Blieb mir Saite nicht, noch Schaft. Leicht hast du den Arm gebundm,

Seit der Geist'mir liegt in Hast; Nur zu einem Trauerliede Hat er noch fich aufgerafft." Und der König senkt die Stirne. „Meinm Sohn hast du verführt, Hast der Tochter Herz verzaubert, Hast auch meines nun gerührt.

Nimm die Hand, du Freund des Toten,

Ihres Dichters Sehnsuchtslaut, Bis ihr lmchtend Brautgeschmeide

Die verzeihend ihm gebührt! Weg die Feffeln! Deines Geistes

Ganz von Thränm war betaut.

Hab' ich einen Hauch verspürt." Uhland.

Epische Poesie.

136

21. In einem Reich gen Morgen,

Da glühte der Sonne Brand, Da schaut' in schweren Sorgen Der König auf sein Land.

„Es lechzen alle Felder,

Versiegen geht der Fluß, Es dorren ab die Wälder, Weh, daß ich es schauen muß! Was hilft mir Scepter tragen? Kann ich zum Strome: fleuß! Kann ich zur Wolke sagen:

Die kühle Flut ergeuß?" So hat er lang' in Kummer Don Tag zu Tag gedacht,

So seufzt' er ohne Schlummer Von Nacht zu heißer Nacht. Und'als nun ohne Wolke Sechs Monden glänzte die Lust,

Tritt er hinaus zum Volke, Das zu den Göttern ruft.

Das Opfer. Gebt mir ein gnädig Zeichen; Vor keiner Last will ich, Vor keiner Schmach erbleichen, Nur, eh'rner Himmel, sprich!" Da sprachen zu ihm die Götter Durch seiner Priester Mund: „Du wirst des Landes Retter Und schleußt mit uns den Bund, Wenn zu des Volkes Heile

Das Opfer du gestellt, Das unter des Priesters Beile Uns recht willkommen fällt!"

Er läßt Altäre zieren, Der Hundett fühtt man drei Von Schafen und von Stieren, Die stattlichsten, herbei. Kein Hauch vom Berge wehet, Keine Wölk' am Himmel stand, Mit lautem Schalle flehet Der König und sein Land.

ES schallten Trauerpsalme, Davon kein Strauch genas, Und welk stand jede Palme, Als wäre sie junges Gras.

Doch als die Priester hoben Den blanken Opferstahl,

Die fetten Äcker darben,

Es schaut auf das Gewimmel Und auf das Blut, das floß, Mit blauem Auge der Himmel

Kein Dampf steigt aus dem Kraut, Verblüht stehn, ohne Garben

Die Blumen, wohin er schaut. Nicht weht ein Strom von Düsten Aus den Gewürzen mehr, Nicht singt mehr in den Lüften Der bunten Vögel Heer.

Und unter den Zelten lagen Die Menschen krank und matt, Von glüh'nder Pest geschlagen,

Auf schwüler Lagerstatt. Und war die Sonne gesunken Nach langem, heißem Lauf, So sprühten die trüben Funken Der Scheiterhaufen auf.

Da deckte mit beiden Händen Der König sein Gesicht.

„Ihr Götter kann ich wenden Vom Volke den Jammer nicht?

Die Tiere begannen zu toben Und starben in Wut und Qual.

Hernieder erbarmungslos. Der König in tiefer Trauer Ging wieder in sein Haus, Durchwachte die Nacht in Schauer

Und trat ftühmorgens heraus. „Ich weiß," sprach er mit Stöhnen, „Nicht anders kommt uns Heil, Eh' von des Landes Söhnen Zween fallen von dem Beil!"

Zween Knaben widerstrebend Bringt man, der Jugend Licht.

„Weh!" ruft der König bebend, „Der Himmel will sie nicht! Die Opferflamme dunkelt,

Der Rauch verhüllt sie ganz. Da droben aber funkelt Die Sonn' in hellerm Glanz!"

Ballade und Romanze. Den König faßt ein Grauen,

Und wie er vor dem Volke

Doch spricht er, aus das Wort: „So bringt mir drei Jungftauen,

Inbrünstig betend fleht, Da flog empor als Wolke

Die Knaben führet fort!" Drei Mägdlein, jung, unschuldig,

Sein heiliges Gebet.

Führt man herbei bekränzt; Sie neigen sich geduldig,

Hab' ich das Opfer gut;

Er sprach: „Ihr Götter! Funden

Nur ihre Thräne glänzt.

„Laßt ab, laßt ab!" ruft wieder

Der König zagend aus. „Die Flamme sinket nieder,

Und laßt von eurem Sitz

Und als er aufstand fertig, Den Tod erfleh'nd als Gunst,

Der' König verschließt drei Tage

Umarmt allgegenwärtig Den Himmel dunkler Dunst. Kein Blitz zuckt ihm entgegen, Es legt sich nur der Staub,

Sich in der Väter ©ruft.

Und an dem vierten Morgen Tntt er ans Tageslicht, Gewichen sind die Sorgen

Es säuselt nur der Regen Still durch der Bäume Laub.

Von seinem Angesicht; Dem Purpur und der Krone Hat er den Glanz erlaubt, Er sitzt auf seinem Throne

Mit hohem, stohem Haupt.

Er spricht: „Ich hab' ein Zeichen, Ich weiß, was ich soll thun! Mir sagten's der Väter Leichen, Die in der Halle ruhn.

Dort mancher in den Grüften, Und ich bin grau und alt!" Er stieg von seinem Throne, Zu Boden warf er sich:

Bleich wurde da die Krone, Der Sonne Schimmer wich.

Man heilt des Volkes Wunden Nicht mit des Volkes Blut; Empfangt, empfangt mein Leben,

Die Wolken segnend beben, Mir aber schickt den Blitz!"

Erlischt in Dampf und Graus!" Und gräßlich tönt die. Klage Des Volkes in die Luft;

Es liegt in Balsamdüsten, Jung, ftöhlich von Gestalt,

137

Die Menge staunt und lauschet, Der Wind kühlt ab die Glut; Der Regen strömt und rauschet, Er wird zu Guß und Flut. Durch Bart und graue Locken Der Strom dem König quillt; Sein Auge bleibt nicht trocken, Von sel'ger Thrän' es schwillt.

Die Vögel fangen zu fingen, Die Kräuter zu duften an, Der Fluß sich zu schwellen, zu schlingen

In seiner alten Bahn. Es tönen der Priester Lieder,

Der Dichter Harfe klingt. Das Volk, es wirft sich nieder, Den Scepter der König schwingt. Schwab.

22.

Graf Guarinos' Rettung.

Übel traft ihr es, Franzosen, auf der Jagd bei Roncesvall:

Kaiser Karl verlor die Ehre und die zwölf PairS dazumal, Und Guarinos ward gefangen, der zur See war Admiral; Sieben Könige der Mohren brachten ihn in ihre Haft. Siebenmal das Los sie warfen, wer ihn hätt' in seiner Macht: Auf Marlotc-s, den Infante», traf es alle sieben Mal.

138

Epische Poesie. Höher schätzt' er ihn als Arabien, so das Land wie seine Stadt,

Sprach ihn an mit diesen Worten, redet' also und begann: „Bitt' dich bei Allah, Guarinos, werte Mohr auf meinen Rat,

Bon den Gütern dieser Welten geb' ich dir, was dir behagt! Beide Töchter, die ich habe, übergeb' ich deiner Hand; Eine, welche dir die Schuhe, Schuh' und Kleider ziehet an,

Dein Gemahl sei dir die andre, dein natürlich Ehgemahl; Geb' als Brautgeschenk Arabien, so das Land wie seine Stadt, Wenn du mehr verlangst,.Guarinos, geb' ich dir weit mehr als das." Da erwiderte Guarinos; wohl vemehmt ihr, was er sprach:

„Das verhüte Gott im Himmel und Mariä, heil'ge Magd, Daß ich ließ von Chttsti Glauben um die Lehre Mahomas! Hab' in Frankreich schon ein Bräutlein, das ich nehme zum Gemahl!" Drob entrüstet schickt Marlotes in den Kerker ihn hinab.

„Thut ihm Fesseln an die Hände, daß er nie mehr streiten kann, Wasser bis hinauf zum Gürtel, daß er nie mehr reiten kann,

Sieben Zentner Eisen ttag' er von dem Hals zur Fers' hinab!" Überdies ward er gezüchtigt an drei Festen jedes Jahr, Als das erste Mal auf Pfingsten, auf Weihnacht zum andem Mal, Dann am Blumm-Ostertage, jenem Fest, so weit bekannt.

Tage gehen, Tage kommen, kommt auch Santt Johannis Tag, Wo die Christm und die Mohren große Feier stellen an: Mytten streuen dann die Mohren und die Christm Cypergras, Und die Judm streuen Binsen, hoch zu ehrm diesen Tag. Ein Gerüste ließ errichten voller Freude der Jnfant, Nicht gettnger und nicht größer, daß es bis an Himmel ragt. Drauf bereiten sich die Mohren, werfen ftohgemut danach: Dieser schleudett, jener schleudert, keiner reicht nur halb hinan. Drob entrüstet hat Marlotes ein Gebot bekannt gemacht, Kleine sollten nicht mehr saugen, Großen sei das Brot versagt, Bis das mächfige Gerüste läge nieder auf dem Plan. Das Getös vemahm Guarinos in dem Kerker, drin er lag. „O so helf' mir Gott im Himmel und Maria, heil'ge Magd! Heut verlobt man Königs Tochter oder giebt ihr den Gemahl, Oder 's. ist der Tag erschimen, wo die Zücht'gung wird vollbracht!" Das vemahm der Kerkermeister, der sich in der Näh' befand. „Nicht verlobt man Königs Tochter, noch giebt man ihr dm Gemahl,

Auch ist Ostem nicht gekommen, wo die Geiß'kung wird vollbracht, Nein, es ist ein Tag gekommen, den sie heißen Santt Johann, Wann sein Brot mit Freuden iffet, wer zufrieden leben kann.

Ein Gerüste ließ errichten voller Freude der Jnfant, Seine Höh' ist so gewalttg, daß es bis an Himmel ragt;

Ob die Mohren danach schleudem, keiner bringt es je zu Fall. Drob entrüstet hat Marlotes ein Gebot bekannt gemacht, Niemand dürste wieder efien, bis es wär' zu Fall gebracht." Da erwidette Guarinos; wohl vemehmt ihr, was er sprach: „Wolltet ihr mein Roß mir geben, drauf ich manchen Ritt gethan,

Ballade und Romanze.

139

Und mir geben meinen Harnisch, den ich sonst hatt' angehabt,

Und mir geben meine Lanze, die ich sonsten mit mir nahm: Das erhabene Gerüste, dünkt mich, würf' ich auf dm Plan,. Und werf' ich es nicht herunter, sei der Tod mir angethan." Wohl vernahm's der Kerkermeister, redet' also und begann: „Sieben Jahre sind es, sieben, daß du liegst an diesem Platz,. Was kein Mensch auf Erden, düntt mich, auch ein Jahr nur wär' tmstand', Und du meinst, noch Kraft zu haben, es zu werfen auf den Plan!

Aber warte du, Guarinos, ich beucht' es alsobald An Marlotes, den Jnfanten, um zu sehen, was er sagt."

Jetzo geht der Kerkermeister, jetzo geht er seinen Gang; Als er zum Gerüst gekommen, spricht er den Äarlotes an: „Eine Zeitung bringe ich euch, und ich bitt' euch, hott mich an!

Wißt hiermit, daß der Gefangne so zu mir geredet hat: Würd' ihm nur sein Roß gegeben, drauf er manchen Ritt gethan, Und sein Harnisch ihm gegeben, den er sonst hätt' angehabt, Dies erhabme Gerüste, dünk' ihn, werf' er auf den Plan." Der Jnfant, als er das hätte, läßt ihn bringt« auf den Platz, Um zu schauen, ob das Roß er noch zu reiten sei imstand'.

Er gebeut, das Roß zu suchen, übergiebt eS seiner Hand: Sieben Jahr' sind nun verstrichen, währenddesien trog es Kalk. Angelegt wird ihm der Harnisch, der schon ganz verrostet war. Als Marlotes solches schaute, sprach er lachend und zum Spaß,

Gehen mög' er zum Gerüste und es werfen auf dm Platz. Drauf mit großer Wut Guarinos einen Wurf dawider that, Daß er gleich mehr als die Hälfte auf den Boden niederwarf. Als die Mohrm sylches schauten, fielen sie ihn grimmig an; Doch Guarinos der Beherzte, nun begann er einen Kampf Mit den Mohren, die so zahlreich, daß der Tag verdüstett ward.

Dergestalt hat er gefochten, daß er sich hat frei gemacht Und nach jenem Reich gelangt ist, Frankreich, seinem Vaterland! Große Ehr' ward ihm erwiesen, als man ihn erscheinen sah. Au- dem Spanischen übersetzt von Diez.

23. Es tritt ein Wandersmann Herfür An eines Dorfes Schenke,

Er setzt sich vor des Hauses Thür Im Schatten auf die Bänke, Legt sein Bündel neben sich, Bittet den Witt bescheidentlich, Mit einem Trunk ihn zu laben. Da zechm an dem nächsten Tisch Zwei wilde, rohe Buben.

Die Warnung. „Heda, Herr Witt, und gebt uns frisch, Was kauzt ihr in dm Stuben?

Diese Nacht so durchgeschwärmt, Heute von morgens früh gelärmt!

Wir wollen nicht nüchtern werden!"

„Ha, Bruder, war das nicht ein Spaß! Es geht mir nichts darüber. Und lieb' ich schon das volle Glas, Hab' ich doch Unfug lieber.

140

Epische Poesie.

Ach, wie wird verwundert sein

„Mich schlägt ein andrer wohl als ihr,

All die werte Christengemein' ! Wie wird der Pfaffe nicht toben!

Ihr mögt kein Haar mir tränten. Ich bin auf kurze Frist nur hier,

Da draußen erst den Nepomuk Mit seinen sieben Sternen,

Doch sollt ihr mein gedenken. Junges Blut hat Frevelmut; Thut nicht ferner, so wie ihr thut, Und laßt bei Zeiten euch warnen.

Ich schob ihn an den Rand zumck,

Bald muß er schwimmen lernen! Schultert was, so plumpt er 'nein,

Rudert wohl mit dem Jesulein, Den hält der Narr in den Armen. Alsdann hinunter längs dem Thal

Der Wallfahrt Stationen, Die dreizehn Steine allzumal Mit Christi Passionen,

So beschmiert, verziert aufs Fest, Daß das Lachen kein einziger läßt,

Sonst schließt ihr einen Bund der Treu' Mit Judas falscher Rotte, Den Heiland kreuzigt ihr aufs neu

Mit solchem kecken Spotte." „Ja doch, da geschäh' ihm recht, Weil sich der einfältige Knecht Das erste Mal kreuzigen taffen!"

„Ich weiß gewiß, ihr sprächt nicht so,

Wätt ihr einst mitgegangen; Ihr hättet nicht, der Qualen froh, Wenn sie zum Beten da knieen!" Am Kreuz ihn sehen hangen,' Der andre sprach: „Wenn's prahlen gilt, Wie aus bittren Wunden quoll, So steh' ich alle Wetten: Aller Lieb' und Erbarmung voll, Der Schnurrbart am Marienbild Sein heilig, göttliches Leben. Und dann die Kron' aus Kletten, Wie um ihn, ewig hoffnungslos, Die ich ihm zur Nacht beschert, Die Freund' und Mutter standen Sind wohl deine Geschichten wert, Und er im Busen trug ihr Los Und es ist noch nicht das Beste. Bei grimmen Todesbanden, Dort auf dem Fels am hohen Kreuz Neigt sein Haupt in Finsternis, Statt Christi leid'ger Fratze, Durch den Himmel geschieht ein Riß, Hängt nun, o in der Seel' erfreut's! Und innerlich schauett die Erde." Des Nachbars tote Katze. „Ei seht, der macht uns glauben gar, Wenn sie nun auf ihrer Bahn Er wär' dabei gewesen! Zieh« die Stufen zur Kirch' hinan, Was er erzählt, kann man fürwahr Das wird was Erbauliches werden!" In alten Tröstem lesen.

Der Wandersmann schaut ernst und still, Sagt uns doch, wie alt ihr seid, Daß ihr saht, was vor ew'ger Zeit Da sie die.Red' erhuben; Und nimmer vielleicht ist geschehen!" Sie achten erst nicht, was er will, In ihrem Rausch, die Buben. Beide riefen dann zugleich: „Kümmert euch, Duckmäuser, um euch! Was soll das Gaffen und Horchen?"

„Ich bin nicht alt, ich bin nicht jung, Mein Leben ist kein Leben. Wie rastlos kreist der Sonnen Schwunz,

Muß ich hier unten schweben.

Der Wandersmann sagt picht ein Wort Und schaut nur unbeweglich;

Greiser wird das Haar mir nicht, Nicht gerunzelter mein Gesicht,

Und ihnen wurde fort und fort

Das niemals lachet, noch weinet.

Sein Blick mehr unerträglich. „Wenn ihr nicht die Frechheit laßt,"

Ich war, wie ihr, von frechem Mut In meinen ersten Tagen.

Sagten sie, „solchen Heuchlergast, Den muß man mit Schlägen verjagen."

Kein Warnen half, noch Sagen.

An mir that keine Lehre gut,

Ballade und Romanze.

141

Es schirmt mich vor der Seele Mord,

Als der Hohenpriester Amt Heuchlerisch nun den Christ verdammt, Da wollt' ich mein Mütchen auch kühlen.

Doch wehrt's mein leiblich Sterben. Und mich treibt's von Land zu Land,

Und bin manchem zum Graun bekannt, Der ewig wandernde Jude."

Und als mit schwerer Kreuzeslast Zum Thor ihn schleppt' die Menge, Da hatt' ich vor den andem Hast

Der Fremdling sprach es alles aus Mit unbewegter Miene; Doch brennend durch die Stirn heraus

Und stieß ihn im Gedränge. Matt und lechzend, ohne Schrei'n

Wollt' er rasten auf einem Stein; Da schlug ich ihn mit den Fäusten.

Ein blutrot Kreuz erschiene.

Geh, rief ich, Jesus! fort mit dir! Zum Tod dich endlich schicke!

Fällt sie an der Verzweiflung Wahn, Sie glaubten sich schon in der Hölle.

Als die zwei das Zeichen sahn,

Der Heiland sah sich um nach mir

Und eh' sie Seel' und Leibeskraft

Und sprach mit stillem Blicke:

Und Sinne wiederfunden,

Ich zwar gehe bald zur Ruh', Aber wandern sollst nun du

Hat er sein Bündel aufgerafft Und ist schon weit verschwunden. An des letzten Hügels Rand

Und »arten, bis ich komme I

Sehn sie noch, den Stab in der Hand, Die ine Gestalt hinwanken.

Dies Wort, dies Wort, dies eine Wort War Heil mir und Verderben.

A. W. v. Schlegel.

24.

A r i o «.

Arion war der Töne Meister, Die Zither lebt' in seiner Hand; Damit ergötzt' er alle Geister,

„O Periander, eitle Sorgen! Vergiß sie nun in meinem Arm! Wir wollen mit Geschenken

Und gern empfing ihn jedes Land. Er schiffte goldbeläden

Die Götter reich bedenken Und jubeln in der Gäste Schwarm."

Jetzt von Tarents Gestaden, Zum schönen Hellas hingewandt.

Es bleiben Wind und See gewogen, Auch nicht ein femes Wölkchen graut; Er hat nicht allzuviel den Wogen,

Zum Freunde zieht ihn sein Verlangen, Ihn liebt der Herrscher von Korinth. Eh' in die Fremd' er ausgegangen,

Den Menschen allzuviel vertraut. Er hört die Schiffer flüstern,

Bat der ihn, brüderlich gesinnt: „Laß dir's in meinen Hallen

Nach seinen Schätzen lüstern; Doch bald umringen sie ihn laut.

Doch ruhig wohlgefallen! Viel kann verlierm, wer gewinnt." Arion sprach: „Ein wandernd Leben Gefällt der freien Dichterbrust.

„Du darfft, Arion, nicht mehr leben;

Begehrst du auf dem Land ein Grab, So mußt du hier den Tod dir geben; Sonst wirf dich in das Meer hinab!"

Die Kunst, die mir ein Gott gegeben,

„So wollt ihr mich verderben?

Sie sei auch vieler Tausend' Lust. An wohlerworb'nen Gaben

Ihr mögt mein Gold erwerben, Ich kaufe gern mein Blut euch ab."

Wie werd' ich einst mich laben, Des weiten Ruhmes ftoh bewußt!"

„Nein, nein, wir lassen dich nicht wandem, Du wärst ein zu gefährlich Haupt.

Er steht im Schiff am zweiten Morgen, Die Lüste wehen lind' und warm.

Wo blieben wir vor Periandern, Verrietst du, daß wir dich beraubt?

142

Epische Poesie.

Und kann dein- Gold nicht frommen, Wenn wieder Heimzukommen Uns nimmermehr die Furcht erlaubt."

„Gewährt mir denn noch eine Bitte,

Gilt, mich zu retten, kein Vertrag, Daß ich nach Zitherspieler-Sitte,

Wie ich gelebet, sterben mag. Wann ich mein Lied gesungen, Die Saiten,ausgeklungen, Dann fahre hin des Lebens Tag!"

Die Bitte kann sie nicht beschämen,

Sie denken nur an den Gewinn; Doch solchen Sänger zu vernehmen, Das reizet ihren Milden Sinn. „Und wollt ihr ruhig lauschen,

Laßt mich die Kleider tauschen; Sm Schmuck mft reißt Apoll mich hin."

Der Jüngling hüllt die schönen Glieder In Gold und Purpur wunderbar; Bis auf die Sohlen wallt hernieder Ein leichter falttger Talar; Die Arme zieren Spangen, Um Hals und Sttrn und Wangen

Fliegt duftend das bekränzte Haar.

Die Zither ruht in seiner Linken, Die Rechte hält das Elfenbein; Er scheint erquickt die Luft zu trinken, Er strahlt im Morgensonnenschein. Es staunt der Schiffer Bande. Er schreitet vorn zum Rande Und sieht ins blaue Meer hinein.

Er sang: „Gefährttn meiner (Stimme! Komm, folge mir ins Schattenreich! Ob auch der Höllenhund ergrimme, Die Macht der Töne zähmt ihn gleich. Elysiums Heroen, Dem dunklen «Strom entflohen,

Sch muß hinab, ich will nicht zagen!

Die Götter schauen aus der Höh'. Die ihr mich wehrlos habt erschlagen, Erblasset, wenn ich untergeh'! Den Gast, zu euch gebettet, Shr Nereiden, rettet!" So.sprang er in die tiefe See.

Shn decken alsobald die Wogen, Die sichem Schiffer segeln fort. Delphine waren nachgezogen, Als lockte sie ein Zauberwort: Eh' Fluten ihn ersticken, Beut einer ihm den Rücken

Und trägt ihn sorgsam hin zum Port. Des Meers verworrenes Gebrause

Ward stummen Fischen nur verliehn; Doch lockt Musik aus salz'gem Hause Zu frohen Sprüngen den Delphin; Sie konnt' ihn oft bestricken, Mit sehnsuchtsvollen Blicken Dem falschen Säger nachzuziehn.

So trägt den Sänger mit Entzücken Das menschenliebend sinn'ge Tier. Er schwebt auf dem gewölbten Rücken, Hält im Triumph der Leier Zier, Und kleine Wellen springen Wie nach der Saiten Klingen Rings in dem bläulichen Revier.

Wo der Delphin sich sein entladkn, Der ihn gerettet uferwärts, Da wird dereinst an Felsgestaden Das Wunder aufgestellt in Erz. Setzt, da sich jedes trennte Zu seinem Elemente, Grüßt ihn Arions volles Herz. „Leb' wohl, und könnt' ich dich belohnen,

Du treuer, fteundlicher Delphin! Du kannst nur hier, ich dort nur wohnm;

3hr Friedlichen, schon grüß' ich euch!

Gemeinschaft ist uns nicht verliehn. Doch könnt ihr mich des Grams entbinden? Dich wird auf feuchten Spiegeln Noch Galatea zügeln, Sch lasse meinen Freund zurück. Du wirst sie stolz und heilig ziehn." Du gingst, Eurydicen zu finden; Der Hades barg dein süßes Glück.

Arion eilt nun leicht von hinnen,

Da wie ein Traum zerronnen,

Wie einst er in die Fremde fuhr;

Was dir dein Lied gewonnm, Verfluchtest du der Sonne Blick.

Schon glänzen ihm Korinthus' Zinnen,

Er wandelt singend durch die Flur.

Ballade und Romanze. Mit Lieb' und Lust geboren,

Vergißt er, was verloren, Bleibt ihm der Freund, die Zither, nur.

143

Gehüllt sind seine schönen Glieder In Gold und Purpur wunderbar; Bis auf die Sohlen wallt Hemieder

Nun ruh' ich, Freund, an deiner Brust.

Ein leichter, faltiger Talar; Die Arme zieren Spangen,

Die Kunst, die mir ein Gott gegeben, Sie wurde vieler Tausend' Lust.

Um Hals und Stim und Wangen Fliegt duftend das bekränzte Haar.

Zwar falsche Räuber haben

Die Zither mht in seiner Linken, Die Rechte hält das Elfenbein. Sie müßen.ihm zu Füßen sinken, Es trifft sie wie des Blitzes Schein.

Er tritt hinein.

„Vom Wanderleben

Die wohlerworb'nen Gaben, Doch bin ich mir des Ruhms bewußt."

Dann spricht er von dm Wunderdingen, Daß Periander staunend horcht.

„Soll jenen solch ein Raub gelingen? Ich hätt' umsonst die Macht geborgt. Die Thäter zu entdeckm,

Mußt du dich hier verstecken, So nahn sie wohl sich unbesorgt." Und als im Hafm Schiffer kommen, Bescheidet er sie zu sich her. „Habt von Arion ihr vemommen? Mich kümmert seine Wiederkehr." „Wir ließen recht im Glücke Ihn zu Tarent zurücke."

„Ihn wollten wir ermorden, Er ist zum Gotte wordm!

O schläng' uns nur die Erd' hinein !"

„Er lebet noch, der Töne Meister; Der Sänger steht in heil'ger Hut. Ich rufe" nicht der Rache Geister, Arion will nicht euer Blut. Fem mögt ihr zu Barbaren, Des Geizes Knechte, fahren;

Nie labe Schönes euren Mut!" A. W. v. Schlegel.

Da, siehe! tritt Arion her.

25.

Die Löwenbraut.

Mit der Mytte geschmückt und dem Braut-

O wär' ich das Kind noch und bliebe bei dir, Mein starkes, getreues, mein redliches Tier! Tritt ein in dm Zwinger des Löwen; er liegt Ich aber muß folgen, sie thaten's mir an, Der Hetrin zu Füßen, vor der er sich schmiegt. Hinaus- in die Fremde dem ftemden Mann.

geschmeid', Des Wätters -Tochter, die rosige Maid,

Es fiel ihm ein, daß schön ich sei, Der Gewälttge, wild und unbändig zuvor, Schaut frojnm und verständig zur Herrin Ich wurde gefteiet, es ist nun vorbei, Dm Kranz im Haare, mein guter Gesell, empor;

Die Jungfrau, zart und wonnereich, Liebstreichelt ihn sanft und weinet zugleich. „Wir warm in Tagen, die nicht mehr

sind, Gar treue Gespielen, wie Kind und Kind

Und nicht vor Thränen die Blicke mehr hell.

Verstehst du mich ganz? schaust grimmig dazu; Ich bin ja gefaßt, sei mhig auch du! Dort seh' ich ihn kommen, dem folgen ich muß,

Und hatten uns lieb und hatten uns gern; So geb' ich denn, Freund, dir dm letztm Kuß." Die Tage der Kindheit,' sie liegen uns fem. Und wie ihn die Lippe des Mädchens be­

Du schütteltestmachtvoll, eh' wir's geglaubt, rührt, Dein mähnenumwogtes,' königlich Haupt; Da hat man dm Zwinger erschüttem gespürt; Ich wuchs heran, du stehst es, ich bin

Und wie er am Gitter den Jüngling erschaut, Das Kind nicht mehr mit kindischem Sinn. Erfaßt Entsetzm die bangende Braut.

Epische Poesie.

144

Er stellt an die Thür sich des Zwingers Die Unselige wagt's, sich der. Thüre zu zur Wacht, nahn, Er schwinget den Schweif, er brülletmit Macht; Da fällt er verwandelt die Herrin an; Sie flehend, gebietend und drohend begehrt Die schöne Gestalt, ein gräßlicher Raub, Liegt blutig, zerriffen, entstellt in dem Staub.

Hinaus; er im Zorn den Ausgang wehrt.

Und draußen erhebt sich verworren Geschrei. Und wie er vergoffen das teure Blut, Der Jüngling ruft: „Bringt Waffen herbei! Er legt sich zur Leiche mit finsterem Mut; Er liegt so versunken in Trauer und Schmerz, Ich schieß' ihn nieder, ich treff' ihn gut!" Auf brüllt der Gereizte, schäumend vor Wut. Bis tätlich die Kugel ihn trifft in das Herz. C h a m i s s o.

28.

Die beiden Särge. Man noch in seinen Händen

Zwei Särge einsam stehen

In des alten Domes Hut; König Ottmar liegt in dem einen, In dem andern der Sänger ruht. Der König saß einst mächtig Hoch auf der Bäter Thron; Ihm liegt das Schwert in der Rechten

Und auf dem Haupte die Kron'. Doch neben dem stolzen König, Da liegt der Sänger traut,

27.

Die fromme Harfe schaut. Die Burgen rings zerfallen, Schlachtmf tönt durch das Land; Das Schwert, das regt sich nimmer Da in des Königs Hand. Blüten und milde Lüste Wehen das Thal entlang; Des Sängers Harfe tönet In ewigem Gesang. ____

Kerner.

Die nächtliche Heerschau.

Nachts um die zwölfte Stunde Verläßt der Tambour sein Grab, Macht mit der Trommel die' Runde, Geht wirbelnd auf und ab.

Und um die zwölfte Stunde Verläßt der Trompeter sein Grab Und schmettert in die Trompete

Mit seinen entfleischten Armen Rührt er die Schlegel zugleich,

Da kommen auf lustigen Pferden Die' toten Reiter herbei,

Schlägt manchen guten Wirbel,

Die blutigen, alten Schwadronen

Reveill' und Zapfenstreich.

In Waffen mancherlei.

Die Trommel klinget seltsam, Hat gar einen starten Ton;

Und reitet auf und ab.

Es grinsen die weißen Schädel

Die alten, toten Soldaten

Wohl unter dem Helm hervor; Es halten die Knochenhände

Erwachen im Grab' davon.

Die langen Schwerter empor.

Und die im tiefen Norden, Erstarrt in Schnee und Eis,

Und um die zwölfte Stunde Verläßt der Feldherr fein Grab,

Und die in Welschland liegen,

Kommt langsam hergeritten,

Wo ihnen die Erde zu heiß,

Umgeben von seinem Stab.

Und die der Nilschlamm decket

Er trägt ein kleines Hütchen,

Und der arabische Sand, Die steigen aus ihren Gräbern,

Er trägt ein einfach Kleid, Und einen kleinen Degen

Sie nehmen's Gewehr zur Hand.

Trägt er an seiner Seit'.

Ballade und Romanze. Der Mond mit gelbem Lichte Erhellt bett weiten Plan; Der Mann im kleinen Hütchen Sieht sich die Truppen an.

145

Der Feldherr sagt dem nächste» Ins Ohr ein Wörtlein leis'. Das Wort geht in die Runde, Klingt wieder fern und nah;

Die Reihen präsentierm Und schultern das Gewehr;

„Frankreich" ist die Parole, Die Losung „Sankt Helena".

Dann zieht mit klingendem Spiele

Dies ist die große Parade Im elyseischen Feld, Die um die zwölfte Stunde

Vorüber das ganze Heer. Die Marschäll' und Generale Schließen um ihn den KreiS;

Der tote Cäsar hält. Zedlitz.

________

28.

Die Wallfahrt nach Kevlaar.

Am Fenster stand die Mutter, Im Bette lag der Sohn.

„Willst du nicht aufstehn, Wilhelm, Zu schaun die Prozession?" „Ich bin so krank, o Mutter, Daß ich nicht hör' und seh'; Ich denk' an das tote Gretchen,

Nach Kevlaar ging mancher auf Krücken,

Der jetzo tanzt auf dem Seil'; Gar mancher spielt jetzt die Bratsche, Dem dort kein Finger war heil.

Da thut das Herz mir weh."

Die Mutter nahm ein Wachslicht Und bildete draus ein Herz. „Bring' das der Mutter Gottes, Dann heilt sie deinen Schmerz."

„Steh' auf, wir wollen nach Kevlaar, Nimm Buch und Rosenkranz;

Der Sohn nahm seufzend das Wachsherz, Ging seufzend zum Heiligenbild;

Die Mutter Gottes heilt dir Dein krankes Herze ganz."

Die Thräne quillt aus dem Auge, Das Wort aus dem Herzen quillt:

Es flattern die Kirchenfahnen, Es singt im Kirchenton; Das ist zu Köln am Rheine, Da geht die Prozession.

Die Mutter folgt der Menge,

„Du Hochgebenedeite, Du reine Gottesmagd, Du Königin des Himmels, Dir sei mein Lied geklagt!

Den Sohn, den führet sie; Sie singen beide im Chore:

Ich wohnte mit meiner Mutter Zu Köllen in der Stadt, Der Stadt, die viele hundert

„Gelobt seist du, Marie!"

Kapellen und Kirchen hat.

Die Mutter Gottes zu Kevlaar Trägt heut ihr bestes Kleid;

Und neben uns wohnte Gretchen, Doch die ist tot jetzund; Marie, dir bring' ich ein Wachsherz,

Heut hat sie viel zu schaffen, Es kommen viel' kranke Leut'.

Die kranken Leute bringen Ihr dar als Opferspend' Aus Wachs gebildete Glieder, Viel' wächserne Füß' und Händ'.

Heil' du meine Herzenswund'. Heil' du mein krankes Herze, Ich will auch spät und früh Jnbrünstiglich beten und singen:

Gelobt seist du, Marie!"

Der kranke Sohn und die Mutter,

Und wer eine Wachshand opfert,

Dem heilt an der Hand die Wund';

Die schliefen im Kämmerlein;

Und wer einen Wachsfuß opfert, Dem wird der Fuß gesund.

Da kam die Mutter Gottes

Dtelitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

Ganz leise geschlichen herein. 4. Aufl.

10

Epische Poeshe.

146 Sie beugte sich über den Kranken Und legte ihre Hand Ganz leise auf sein Herze

Da lag dahtngestrecket Ihr Sohn, und der war tot; Es spielt auf den bleichen Wangen

Und lächelte mild und verschwand.

Das lichte Morgenrot.

Die Mutter faltet die Hände,

Die Mutter schaut alles im Traume

Ihr war, sie wußte nicht wie.

Und hat noch mehr geschaut; Sie erwachte aus dem Schlummer,

Andächtig sang sie leise: „Gelobt seist du, Marie!" ____

Die Hunde bellten zu laut.

29.

Heine.

Belsazar.

Die Mitternacht zog näher schon; In stummer Ruh' lag Babylon.

Und der König ergriff mit stevler Hand Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand.

Nur oben in des Königs Schloß, Da flackett's, da lärmt des Königs Troß.

Und rufet laut mit schäumendem Mund:

Dort oben in dem Königssaal Belsazar hielt sein Königsmahl.

„Jehovah, dir künd' ich auf ewig Hohn, Ich bin der König von Babylon!"

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund

Die Knechte saßen in schimmernden Reih'n Doch kaum das grause Wort verklang, Und leerten die Becher mit funkelndem Wein. Dem König ward's heimlich im Busen bang. Es klirrten die Becher,

es jauchzten die

Knecht'; So klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut; Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.

Das gellende Lachen verstummte zumal, Es wurde leichenstill im Saal.

Und sieh! und sieh! An weißer Wand, Da kam's hervor wie Menschenhand

Und schrieb und schrieb an weißer Wand Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand. Und blindlings reißt der Mut ihn fort, Und er lästert die Gottheit mit sündigem Der König stieres Blicks dasaß, Wort. Mit schlotternden Knieen und totenblaß.

Und er brüstet sich stech und lästert wild; Die Knechteschar ihm Beifall brüllt.

Die Knechteschar saß kalt durchgraut Und saß gar still, gab keinen Laut.

Der König rief mit stolzem Blick; Der Diener eilt und kehrt zurück.

Die Magier kamen, doch keiner verstand Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Belsazar ward aber in selbiger Nacht Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt; Das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt. Von seinen Knechten umgebracht. _____ Heine.

30.

Die Glocken zu Speier. i.

Zu Speier im letzten Häuseletn, Da liegt ein Greis in Todespein; Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,

Die Kaiserglocke, die lange verstummt, Bon selber dumpf und langsam summt, Und alle Glocken groß und klein

Viel' Thränen rinnen in seinen Bart.

Mit vollem Klange fallen ein.

Es hilft ihm keiner in seiner Not,

Und als der Tod ans Herze kam,

Da heißt's in Speier wett und breit: „Der Kaiser ist gestorben heut! Der Kaiser starb, der Kaiser starb!

Da tönt's auf einmal wundersam.

Weiß keiner, wo der Kaiser starb?"

Es hilft ihm nur der bittre Tod!

Ballade und Romanze. Zu Speier, der alten Kaiserstadt,

147

Da liegt auf gold'ner Lagerstatt

Die kleine Glocke, die lange verstummt, Die Armesünderglocke summt,

Mit mattem Aug' und matter Hand Der Kaiser, Heinrich der Fünfte genannt.

Und keine Glocke stimmet ein, Sie summet fort und fort allein.

Die Diener laufen hin und her,

Da heißt's in Speier weit und breit:

Der Kaiser röchelt tief und schwer;

„Wer wird denn wohl gerichtet heut?

Und als der Tod ans Herze kam, Da tönt's auf einmal wundersam.

Wer mag denn wohl der arme Sünder fein? Sag' an, wo ist der Rabenstein?" Der.

31.

Die Tauben von San Marco.

Um die Kuppeln von San Marco

Flattern silberweiße Tauben; Himmelsboten, Gnade bringend, Sind sie nach des Volkes Glauben.

War ein Knabe zu Venedig, Holder Sproß von edlem Stamme; Ach, zu rasch nur im Gemüte Lodert ihm des Zornes Flamme.

Wie er einst aus Liebesarmen Nächtlich kehrt auf dunklen Wegen, Tritt voll Hohn sein Nebenbuhler, Der verschmäht ward, ihm entgegen. Aus die Dame seiner Liebe Lästert er mit stechen Scherzen; Zornerblaßt verstummt der Knabe, All sein Blut schießt heiß zum Herzen. Jach dann zuckt er auf, die Rechte

Fährt zum Dolch, zum Damastener. Aus die Marmorstufen taumelt Nur zu wohlgetroffen jener.

Dumpfes Röcheln, leises Winseln, Und vorüber tst's auf immer. Aber lautlos starrt der Mörder Auf die Leich' im Mondenschimmer.

Mit des Feindes düstrem Auge Ist gebrochen auch sein Grollen; Mit dem Blut der Wunde fühlt er Seinen Frieden hingequollen. Wohl ermahnen die Begleiter

Ihn zur Flucht; doch trübe spricht er: „Kann ich auch entflieh» mir selber? Dieses Haupt gehört dem Richter."

In den Saal des hohen Rates Tritt er ein zur selben Stunde;

Schwarz auf schwarzen Stühlen sitzen Dort die Greis' in ernster Runde. „Füllt aufs neu die Ampeln," ruft er; „Eh' ihr heut den Rat geschloffen, Sollt ihr mir das Urteil sprechen,

Denn ich habe Blut vergossen." Staunend schaut auf ihn der Doge,

Doch den Stahl, den blutgenetzten, Zeigt er dar und tust die Zeugen, Und die Leiche zeugt am besten.

Ob die Richter traurig zögern, Allzuklar ist sein Verbrechen; Noch bevor der Morgen dämmert, Müssen sie ihn schuldig sprechen. Und zum Kerker wallt der Jüngling

Still und ernst mit festem Fuße; Sieben Tage, sieben Nächte Ringt er dort in heißer Buße. . Abschied nimmt er von den Seinen, Abschied dann von Lieb' und Leben, Fleht um eins nur, um ein Zeichen,

Daß ihm droben sei vergeben.

Bet des achten Frühlichts Schimmer Dumpf erdröhnt die Marcusglocke; Zwischen den verfehmten Säulen Harrt der rote Scherg' am Blocke.

Priester summen, Speere blitzen,

Sich zum langen Gitter fugend; Tausend schöne Augen weinen Um des Knaben blonde Jugend.

10'

Epische Poesie.

148 Einmal noch zur Sonne schauend,

Aus dem Zuge tritt der Bleiche, Küßt das Kreuz und beugt den Nacken Knieend dann zum Todesstreiche.

Horch, da klingt es in den Lüsten,

Horch, da rauscht es wie Gefieder, Taubenschwärme, weiß wie Silber, Schießen jach auf ihn hernieder,

Decken ihn vom Haupt zur Sohle, Daß kein Hieb hindurch mag dringen; Wie ein weißer Uuschuldsmantel Wallt um ihn der Schlag der Schwingen. Und der Scherge startt betroffen, Und die Richter fiüstern leise.

Gnade! geht's von Mund zu Munde, Gnade! ruft das Volk im Kreise. Doch der Doge, Sülle heischend, Spricht zum Knaben hingewendet: „Da verstummt der Erde Satzung, Wo der Himmel Zeichen smdet.

Ferne sei's, wen Gott begnadigt, Daß wir dessen Blut begehren; Geh' und wider Chttsti Feinde Kämpf' auf unfern Kriegsgaleeren!" Und zu Schiffe ging der Knabe, Ward ein Held im Schlachtenlärme. Doch noch heute bei San Marco Nisten jene Taubenfchwärme. Gelbes.

32.

Des Deutschritters Ave.

„Herr Ott vom Bühl, nun drängt die

Und

als

das

Kreuz

auf

dem Mantel

Not, weiß Nun zeigt, wie treu ihr's meint! Nicht mehr zu kennen war, Das Feld ist rot, und die Brüder find tot, Da sauste schon auf Gäulen heiß Und hinter uns rasselt der Feind. Heran der Litthauer Schar. Und als der Mantel fem im Schwung Wohl klag' ich manch gebrochnen Speer, Nur schien wie ein fliegender Schwan, Manch Wappenschild zerspalten; Doch schmerzt's um den heiligen Kelch mich Da fielen sie den Ritter jung Mit grimmigen Streichen an. noch mehr In meines Mantels Falten. Die krummen Schwerter blinken frei, Im Schlachtfeld tranken wir alle daraus, Es raffelten dumpf die Keulen, Dazwischen ging ihr Kampfgeschrei Zu sühnen uns mit Gott; Wie hungriger Wölfe Heulen. Soll nun beim wüsten Siegesschmaus Der Heid' ihn schwingen zum Spott?

Herr Ott vom Bühl sprach: „Ave, Marie!" Herr Ott, und fühlt ihr euch stark und jung, Und führt' einen Hieb, der traf; Noch einmal wendet das Roß! Der Häuptling flog vom Sattel aufs Knie Versucht mit scharfem Schwertesschwung Mit durchgespaltnem Schlaf. Noch einmal zu hemmen den Troß!

Und haltet ihr nur so lang' ihn auf, Als ihr ein Ave sagt, So rettet meines Hengstes Lauf

Den Kelch, um den ihr's wagt." Herm Otts Befinnen war nicht groß. Sprach „ja" und weiter nichts; Des Meisters Roß von dannen schoß 3m Strahl des Mondenlichts.

Das zweite Wort der Held dann sprach Und hieb noch kräftiger schier; Der Bannerträger zusammenbrach, Und über ihn fiel das Panier.

Und Wort um Wort und Stteich Stteich, Das war ein tapfer Gebet; Bei jedem Spruch lag allsogleich

Ein Heide dahingemäht.

um

Epos. Und es klaffte dem Ritter dasStahlhemd weit,

Und es färbten die Ringe sich rot,

Er aber ward nicht laß im «Streit, Und jeder Schlag war Tod.

149 Sein Mund ward stumm, sein Arm ward

schwer, Im Tode stand sein Herz; Nicht Amen! konnt' er sprechen mehr,

Und es barst sein Schild, und es sank sein Das war sein letzter Schmerz. Pferd, Doch dieLitthauer warfen die Renner hemm, Da kämpft' er fort zu Fuß; Kein Streit mehr lüftete sie. Mit beiden Händen schwang er das Schwert Gerettet war das Heiligtum Und betete weiter den Gruß. Durch des Ritters „Ave, Marie!" Doch als zu Ende das Ave ging,

Er fühtte noch einen Streich, Und in getürmter Seichen Ring Hin sank er Mutig und bleich.

Gott geb' ihm droben selige Statt Aufs tosende Schlachtgetümmel! Wer so auf Erden gebetet hat, Mag Amen! sagen im Himmel. Geibel.

5.

Das Epos.

Das Epos entsteht aus der künstlerisch gestalteten Vereinigung mehrerer, meist sagen­ hafter Begebenheiten, die in das Leben Einzelner hervorragender Helden oder ganzer Völker-

stämme bedeutsam eingreifen. Es erzählt auf lebendig veranschaulichende Weise, indem es alle einzelnen Züge deö Gemäldes sorgfältig und genau ausmalt und dabei eine gewiffe Breite der Darstellung liebt. Die Neben- und Zwischenhandlungen (Episoden), welche an die Haupt Handlung fich anlehnen, dürfen das Sittereffe an dieser nicht stören, sondem müffen eS fördem und daher zur Herbeiführung der Einheit der Handlung mit­ wirken. Diese wird zunächst durch den Helden der Erzählung bewirft, der, gewappnet gegen alle Stürme des Lebens, besonnen, tapfer und furchtlos gegen feine Feinde ankämpst und entweder über fie fiegt oder auch mhmvoll fällt. Der Held verlangt in noch höherem Grade als die Nebenpersonen eine scharfe Charatteristik und eine sorgfältige Begründung (Motivierung) seiner Handlungen. Die epische Dichtung gehört zu ben schwierigsten zunächst wegen deS nicht immer vorhandenen ganz geeigneten Stoffes, da nicht jede Zeit und nicht jedes Volk Stoff für

das Epos liefert. Obgleich nämlich bestimmte allgemeine Bestrebungen vorhanden sein müffen, so darf doch der gesamte Zustand des Volkes nicht zu kultiviert sein; vielmehr muß das Individuum in seiner Thätigkeit noch vorzugsweise auf sich selbst angewiesen sein, noch persönlich wirken. Da ferner das Epos aus der Naturpoesie hervorgegangen ist,

so erfordert es eine derartig künstlerische Behandlung, daß es als Volkseigentum, als herausgewachsm aus dem Herzen des ganzen Volkes erscheint. Dem Inhalte muß die Form entsprechen. Wie die Thatsachen in einer gewiffe« Gleichförmigkeit ohne bedeutendere Abschnitte an einander gereihet werden, so muß auch in ähnlicher Einförmigkeit Vers auf Vers folgen und zwar ohne irgend eine andere Ein­ heit als diejenige, welche sich eben in der Wiederholung desselben Verses darbietet. Aus diesem Grunde hat das Altertum im Epos ausschließlich den Hexameter angewendet. Die

Deutschen haben während des Mittelalters die Nibelungenstrophe und etwa von der Zeit

des dreißigjährigen Krieges an bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts den Alexandriner,

Epische Poesie.

150

von da ab nach dem Vorgänge Klopstocks und dem Muster der Griechen und Römer den

Hexameter, bisweilen auch die bei den Jtalienem übliche Stanze gebraucht. Man unterscheidet im Epos nach der Verschiedenheit des Stoffes das heroische, reli­

giöse, romantische, idyllische, komische und das Tier-Epos. a.

Das heroische Epos.

Das heroische Epos oder das eigentliche Heldengedicht,

auch wohl Epopöe ge-

nannt, entnimmt seinen Stoff aus dem heroischen Mythen- und Sagenkreise oder aus der Geschichte, am häufigsten aus der Jugendzeit der Völker.

Es zeigt wegen der Großartigkeit

und hohen Bedeutung der erzählten Begebenheit stets den Charakter des Erhabenen, der sich auch in der ganzen Art und Weise der Behandlung ausprägt.

Es ist das eigentlichste

Geschichtsbuch des ganzen Volkes, daher die Darstellung einfach, aber kraftvoll. der Jugend des einzelnen Menschen,

Wie in

so ist auch in der Jugend der Völker die Phantasie

besonders rege; daraus erklärt sich die bedeutende Rolle, welche die Mythe im heroischen Epos spielt.

1.

Aus Homers Ilias.

Nachdem von Zeus und Here der Untergang Trojas beschlossen worden, beredet Athene, welche die Trojaner gegen den Eidschwur zum Beginne des Kampfes mit den Griechen anregen soll, in der Gestalt des Laodokos den Pandaros, einen Pfeil auf den Menelaos abzuschießen. Die Verwundung des Menelckos durch Pandaros.

Schnell entblößt' er den Bogen, geschnitzt von des üppigen Steinbocks Schönem Gehörn, dem er selber die Bmst von unten getroffen, Als er dem Felsen entsprang; am gewähleten Ort ihn erwartend,

Zielt' und durchschoß er die Bmst, daß rücklings am Fels er hinabsank. Sechzehn handbreit ragten empor am Haupte die Hömer.

Solche schnitzt' und verband der homarbeitende Künstler,

Glättete alles genau und beschlug's mit goldener Krümmung.

Den nun stellt' er geschickt, nachdem er ihn spannt', auf die Erde

Angelehnt; und mit Schilden bedeckten ihn tapfere Freunde, Daß nicht zuvor anstürmten die streitbaren Männer Achaias, Eh' er gefällt Menelaos, den streitbaren Fürsten Achaias. Jetzo des Köchers Deckel eröffnet' er, wählte den Pfeil dann,

Ungeschnellt und gefiebert, den Urquell dunkeler Qualen. Eilend ordnet' er nun das herbe Geschoß auf der Senne;

Und er gelobt' Apollon, dem lykischen, bogenberühmten, Eine Dankhekatombe der Erstltngslämmer zu opfern,

Wann er zu Hause gekehrt in die heilige Stadt Zeleia. Und dann zog er die Kerbe zugleich und die Nerve des Rindes,

Daß die Senne der Bmst annaht' und das Eisen dem Bogen.

Als er nunmehr kreisförmig den mächtigen Bogen gekrümmet,

Schwirrte das Hom, und tönte, die Senn', und sprang das Geschoß hin, Scharf gespitzt, in den Haufen hineinzufliegeu verlangend.

Doch nicht dein, Menelaos, vergaßen die seligen Götter, Ewig an Macht, vor allen des Zeus siegprangende Tochter,

Welche, vor dich hintretend, das Todesgeschoß dir entfernte. Gleich so werete sie's vom Leibe dir, wie wenn die Mutter Wehrt dem Sohne die Flieg', indem süß schlummernd er daliegt. Dorthin lenkt' es gerade die Herrscherin, wo sich des Gurtes Goldene Spang' anschloß und zwiefach hemmte der Hämisch. Stürmend traf das Geschoß den fest anliegmden Leibgurt,

Sieh', und hinein in den Gurt, den künstlichen, bohrte die Spitze; Auch in das Kunstgeschmeide des Hämisches drang sie geheftet Und in das Blech, das er trug zur Schutzwehr gegen Geschosse,

Welches zumeist ihn schirmte; doch ganz durchbohrte sie dies auch. Und nun ritzte der Pfeil die obere Haut des Atreiden, Daß ihm sogleich vorströmte das dunkelnde Blut aus der Wunde. Schauer durchdrang urplötzlich den Herrscher des Bolls Agamemnon, Als er das Blut anschaute, das schwarz hinfloß aus der Wunde;

Schauer durchdrang ihn selber, den streitbaren Held Menelaos. Aber sobald er die Schnur auswärts und den Haken erblickte, Ward von neuem mit Mut sein männliches Herz ihm erfüllet. Schwer aufseuftend, begann der Bölkerfürst Agamemnon, Haltmd die Hand Menelaos'; es seufzeten mit die Genoffm.

„O du teiltet Bruder, zum Tode dir schloß ich das Bündnis, Dich allein darstellend, für uns zu bekämpfen die Troer! Denn dich schossen die Feind' und zertraten daS heilige Bündnis!

Aber umsonst ist nimmer der Eidschwur oder der Lämmer Blut, noch der lautere Wein und der Handschlag, dem wir vertrauet. Wmn auch jetzo sogleich der Olympier nicht es vollmdet, Doch vollendet er spät! Und hoch einst werden sie büßen Selbst mit eigenem Haupt, mit den Gattinnen und mit den Kindem! Denn das erkenn' ich gewiß in des Herzens Geist und Empfindung: Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt, Priamos selbst und das Volk des lanzenkundigen Königs! Dann wird Zeus, der Kronid', auS strahlender Höhe deS Äthers Gegen sie all' erschüttem das Graun der umnachtetm Ägis,

Zürnend ob solchem Betrug! Ja, geschehn wird dieses unfehlbar! Aber in bitteren Schmerz versenkst du mich, o Menelaos, Wenn du stirbst und das Maß der Lebenslage gefüllt hast! Ha, wie schmachvoll würd' ich zur durstigm Argos zurückziehn! Denn alsbald gedächten des Vaterlands die Achaier; Und wir ließen zum Ruhm dem Priamos hier und den Troem Helena, Argos' Kind; es moderten deine Gebeine, Liegmd im Troergefild', am unvollmdeten Werke! Ja dann spräche vielleicht ein übermütiger Troer, Über dem Grab aufhüpfend dem rühmlichen Held Menelaos: Daß doch so bei allem den Zom vollend' Agamemnon, Wie er jetzt umsonst herführte das Volk der Achaier!

Denn schon kehret er heim zum lieben Lande der Väter, Leer die sämtlichen Schiff' und ohne den Held Menelaos! Also spräche man einst! Dann reiße sich weit mir die Erd' auf!"

152

Epische Poesie. Doch ihn tröstete so der bräunliche Held Menelaos: „Sei getrost und schrecke noch nicht das Volk der Achaier. Nicht zum Tod hat jetzo das scharfe Geschoß mich verwundet; Sondern mich schützte der Gurt voll künstlicher Pracht und barunter Auch die Bind' und das Blech, das Erzarbeiter gebildet." Ihm antwortete drauf der Herrscher des Volks, Agamemnon:

„Möcht' es doch also sein, du Geliebtester, o Menelaos! Aber ein Arzt nun prüfe die Wund' und lege darauf dir Linderung, welche vielleicht die dunkelm Qualen bezähmet." Sprach's, und Talthybios rief er sofort, den göttlichen Herold.

„Auf, Talthybios, schnell den Machaon rufe daher mir, Daß Menelaos er schaue, den streitbaren Fürsten Achaias, Den nun traf mit Geschoß ein bogenkundiger Troer Oder ein Lykier auch zum Ruhme sich, uns zur Betrübnis." Jener sprach'S; da gehorchte des Königs Worte der Herold; Schnell durchging er die Scharen der erzumschirmten Achaier,

Schaute forschend umher und fand den Helden Machaon Stehend und rings um den Herrscher die starke, geschildete Heerschar Seines Volks, das ihm folgt' aus der roffenährenden Trikka. Nahe trat er hinan und sprach die geflügelten Worte: „Auf, Asklepios' Sohn! dich ruft der Fürst Agamemnon, Daß Menelaos du schauest, den streitbaren Sohn des Atreus, Den nun traf mit Geschoß ein bogenkundiger Troer Oder ein Lykier auch zum Ruhme sich, uns zur Betrübnis." Jener sprach'S; ihm aber das Herz im Busen erregt' er. Schnell durchwandelten sie das Gedräng' in den Scharen Achaias. Als sie nunmehr hinkamen, wo Atreus' Sohn, MenelaoS, Blutend stand und um jenen die Edelsten alle versammelt Rings, er selbst in der Mitte, der götterähnliche (Streiter, Zog er sofort das Geschoß aus dem fest anliegenden Leibgurt; Und wie er auszog, bogen die spitzigen Haken sich rückwärts. Hierauf löst er den Gurt voll künstlicher Pracht und darunter Auch die Bind' und daS Blech, das Erzarbeiter gebildet. AIS er die Wunde geschaut, wo das herbe Geschoß ihm hineindrang, Sog er daS quellende Blut und legt' ihm mildernde Salb' auf. Während sie dort umeilten den Rufer im Streit Menelaos, Zogen bereits die Troer heran in geschildeten Schlachtreih'n.

Jen' auch hüllten sich wieder in Wehr und entbrannten von Streitlust. Jetzt nicht hättest du schlummern gesehn Agamemnon, den Herrscher,

Nicht hinab sich schmiegen und nicht unwillig zu kämpfen, Sondern mit Macht hineilen zur männerehrenden Feldschlacht. Denn dort ließ er die Rost' und den erzumschimmerten Wagen; Und sein Genoß hielt jene, die mutig schnaubenden, abwärts, Held Eurymedon, Sohn von Piräos' Sohn, Ptolemäos.

Diesen ermahnt' er mit Ernst, daß er nahete, würden ihm etwa Matt die Glieder vom Gang, die Ordnungen rings zu durchwalten. Selbst dann eilt' er zu Fuß und umwandelte Scharen der Männer.

153

Epos.

Wo er nunmehr streitfertig erfand Gaultummler AchaiaS, Eifrig ermuntert er die mit kräftigen Worten genahet. „Auf, Argeier, gedenkt rastlos einstürmender Abwehr; Denn nicht wird dem Betrüge mit Hüls' erscheinen Kronion;

Sondern, welche zuerst mißhandelten wider den Eidschwur, Denen fürwahr wird sinken der Leib zum Fraße der Geier; Aber die blühenden Frau'n und noch unmündigen Kinder Führen wir selbst in Schiffen, nachdem die Stadt wir erobert!" Die er sodann saumselig erfand zur traurigen Feldschlacht, Eiferig tadelt' er die mit wild anfahrenden Worten. „Argos' Volk, Pfeilkühne, Verworfene, schämt ihr euch gar nicht?

Warum stehet ihr dort so betäubt wie die Zungen der Hindin, Die, nachdem sie ermattet vom Lauf durch ein weites Gefilde, Dastehn, nichts im Herzen von Kraft und Stärke noch fühlend? Also steht ihr jetzo betäubt und starrt vor der Feldschlacht l Säumt ihr, bis erst die Troer herannahn, wo wir die Schiffe Stellten mit prangendem Steuer, am Strand des graulichen Meeres, Daß ihr seht, ob euch mit der Hand ja decke Kronion?" So mit Herrschergebot umwandelt' er Scharen der Männer. Übersetzt von D oß.

Auch Apollo und Ares beteiligen sich, den Troern helfend, am Kampfe, während Here und Athene den Achäern beiftehen, die bereits zurückweichen. Da beginnt auch der mit seiner Wunde am Arme beschäftigte Diomedes den Kampf wieder, von Athene dazu angefeuert, die an des Sthe­ nelos Stelle zu ihm auf den Wagen steigt.

Ares wird vom Diomedes verwundet.

Kaum gesagt, und sofort den Sthenelos trieb sie vom Wagen, Ihn mit der Hand abreißend, und williges Mutes entsprang er. Sie dann trat in den Seffel zum göttlichen Held Diomedes, Heiß in Begierde des Kampfs; laut stöhnte die buchene Achse, Lastvoll, tragend die Graungöttin und den stärksten der Männer. Geißel sofort und Zügel ergriff nun Pallas Athme, Eilt' und lmkt' auf Ares zuerst die stampfendm Roffe. Jener entwaffnete dort der Aitolier tapfersten Krieger, Periphas, groß und gewaltig, Ochesios' glänzmden Sprößling: Diesen enthüllt' jetzt Ares, der blutige. Aber Athme Barg sich in Ai'des' Helm vor dem Blick des gewaltsamm Ares. So wie der mordende Ares ersah Diomedes, den edlen, Ließ er Periphas schnell, den gewaltigen, dort in dem Staube Liegen, allwo er zuerst des Erschlagenen Seele geraubet; Selbst dann eilt' er gerad' auf den reisigen Held Diomedes.

Als sie nunmehr sich genaht, die Eilenden, gegen einander, Vorwärts streckte der Gott sich über das Joch und die Zügel

Mit erzblinkender Lanz' in Begier, ihm die Seele zu rauben. Aber die Herrscherin Pallas Athen', mit der Hand sie ergreifend, Stieß sie hinweg vom Seffel, daß nichtiges Schwungs sie vorbeiflog. Wieder erhub sich darauf der Rufer im Streit Diomedes Mit erzblinkender Lanz'; und es drängte sie Pallas Athene

154

Epische Poesie.

Gegen die Weiche des Bauchs, wo die eheme Binde sich anschloß: Dorthin schwang er den Stoß, und die blühende Haut ihm zerriß er, Zog dann die Lanze zurück.

Da brüllte der eherne Ares,

Wie wenn zugleich neuntausend daherschrien, ja zehntausend Rüstige Männer im Streit, voll Mut anrennend und Mordlust.

Und es zitterten rings die Troer umher und Achaier, Bange vor Angst. So brüllte der rastlos wütende Ares. Jetzo wie hoch aus Wolken umnachtetes Dunkel erscheinet, Wenn nach der Schwül' ein Orkan mit brausender Wüt fich erhebet:

Also dem Held Diomedes erschien der eheme Ares, Als er, in Wolken gehüllt, auffuhr zum erhabenen Himmel.

Eilenden Schwungs erreicht' er die seligen Höh'n des Olympos. Dort nun saß er bei Zeus, dem Donnerer, trauriges Herzens, Zeigte das göttliche Blut, das niedertroff aus der Wunde. Übersetzt von Voß.

Die Achäer dringen nun wieder vor, und Hektor eilt in die Stadt, um seine Mutter Hekabe zu bewegen, daß sie zur Athene um Erbarmung für Troja flehe. Darauf sucht er seine Gemahlin auf, die er am Mischen Thore trifft.

Hektor und Andromache.

Als er das Mische Thor, die gewaltige Feste durchwandelnd, Jetzo erreicht, wo hinaus ihn führte der Weg ins Gefilde, Kam die reiche Gemahlin Andromache eilendes Laufes Gegen ihn her, des edlen Eetion blühende Tochter. Diese begegnet' ihm jetzt; die Dienerin aber, ihr folgend, Tmg an der Brust das zarte, noch ganz unmündige Knäblein, Hektors einzigen Sohn, dem schimmemden Sterne vergleichbar. Hektor nannte den Sohn Skamandrios, aber die andem Nannten Astyanax ihn, denn allein schirmt' Ilios Hektor. Siehe, mit Lächeln blickte der Vater still auf das Knäblein. Aber neben ihn trat Andromache, Thränen vergießend, Drückt' ihm freundlich die Hand und redete, also beginnmd: „Seltsamer Mann, dich tötet dein Mut noch I Und du erbarmst dich Nicht des stammelnden Kindes, noch mein, des elenden Weibes, Ach, bald Wittwe von dir! denn dich töten gewiß die Achaier, Alle mit Macht anMrmend! Allein mir wäre daS beste, Deiner beraubt, in die Erde hinabzusinken; denn weiter Bleibt kein Trost mir übrig, wenn du dein Schicksal erreicht hast; Gram nur! Und nicht mehr hab' ich ja Vater und liebende Mutter!

Siehe, den Vater erschlug mir der göttliche Streiter Achilleus, Und er verheerte die Stadt, die kilikische Männer bevölkert, Thebe mit ragendem Thor: den Eötion selber erschlug er, Doch nicht nahm er die Waffen; denn graunvoll war der Gedank' ihm; Nein, er verbrannte den Held mit dem künstlichen Waffengeschmeide. Sieben auch waren der Brüder mir dort in unserer Wohnung; Und die wandelten all' am selbigen Tage zum Als;

Denn sie all' erlegte der mutige Renner Achilleus Bei weißwolligen Schafen und schwer hinwandelnden Rindern.

Meine Mutter, die Fürstin am waldigen Hange des Plakos,

Führet' er zwar hieher mit anderer Beute des Krieges, Doch befreit' er sie wieder und nahm unendliche Lösung:

Aber im Vaterpalast erlegte sie Artemis' Bogen. Hektor, o du bist jetzo mir Vater und liebende Mutter, Auch mein Bruder allein, o du mein blühender Gatte! Aber erbarme dich nun und bleib' allhier auf dem Turme!

Mache du nicht zur Waise das Kind und zur Witwe die Gattin! Stelle das Heer dorthin an den Feigenhügel; denn dort ist Leichter die Stadt zu ersteigen und frei die Mauer dem Angriff. Dreimal haben ja dort es versucht die tapfersten Krieger,

Kühn um die Mas Beib’ und den hohen Zdomeneus strebend, Auch um des Atreus Söhn' und den starken Held Diomedes, Ob nun jenen vielleicht ein kundiger Seher gewetflagt, Oder auch selbst ihr Herz aus eigener Regung sie antrieb." Ihr antwortete drauf der helmumflatterte Hektor: „Mich auch härmt das alles, o Trauteste; aber ich scheue Trojas Männer zu sehr und die saumnachschleppenden Weiber,

Wenn wie ein Feiger entfernt ich hier ausweiche der Feldschlacht. Auch verbeut es mein Herz; denn ich lernete, biederes Mutes Immer zu sein und zu kämpfen im Vorderkampse der Troer, Schirmend zugleich des Vaters erhabenen Ruhm und den meinen I Zwar das erkenn' ich gewiß in des Herzens Geist und Empfindung: Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt, Priamos selbst und das Volk des lanzenkundigen Königs. Doch nicht geht mir so nahe der Troer Leid in der Zukunft, Richt der Hekabe selbst, noch Priamos' auch, des Beherrschers, Roch der leiblichen Brüder, die dann, so viel' und so tapfer, All' in den Staub hinsinken, von feindlichen Händen getötet, Als wie deins, wenn ein Mann der erzumschirmten Achaier Weg die Weinende führt, der Freiheit Tag dir entreißend, Wenn du in Argos webst für die Herrscherin oder auch mühsam Waffer trägst aus dem Quell Hypereia oder Messers Sehr unwilliges Muts; doch hart belastet der Zwang dich! Künftig sagt dann einer, die Thränenvergießende schauend: Hektors Weib war diese, des tapfersten Helden im Volke

Roffebezähmender Troer, da Ilios Stadt sie umkämpften! Also redet man einst; und neu erwacht dir der Kummer, Solchen Mann zu vermissen, der Abwehr böte der Knechtschaft! Aber es decke mich Toten der aufgeworfene Hügel, Ehe von deinem Geschrei ich gehört und deiner Entführung!" Also der Held, und hin nach dem Knäblein streckt' er die Arme; Aber zurück an den Busen der schön gegürteten Amme Schmiegte sich schreiend das Kind, erschreckt von dem liebenden Vater, Bange zugleich vor dem Erz und der flatternden Mähne des Busches,

Welchen es fürchterlich sah vom oberen Helme herabwehn. Lächelnd schaute der Vater das Kind, auch die zärtliche Mutter.

156

Epische Poesie. Schleunig vom Haupte sich nahm er den Helm, der strahlende Hektor, Legte dann auf die Erde den schimmernden; aber er selber

Küßte sein liebes Kind und wiegt' es sanft in den Armen; Laut dann siehet' er also dem Zeus und den anderen Göttern: „Zeus und ihr anderen Götter, o laßt doch dieses mein Knäblein Werden hinfort, wie ich selbst, vorstrebend im Volke der Troer, Auch so stark an Gewalt und Ilios mächtig beherrschen! Und man sage dereinst: Der ragt noch weit vor dem Vater! Wann er vom Streit heimkehrt, mit der blutigen Beute beladen Eines erschlagnen Feinds! Dann freue sich herzlich die Mutter!"

Also sprach er und reicht' in die Arme der liebenden Gattin Seinen Sohn; und sie nahm in das duftende Busengewand ihn,

Lächelnd mit Thränen im Blick; und ihr Mann voll inniger Wehmut Streichelte sie mit der Hand und redete, also beginnend: „Armes Weib, nicht mußt du zu sehr mir trauern im Herzen! Nie wird gegen Geschick mich ein Mann hinsenden zum Ms. Doch dem Verhängnis entrann niemand von dm Sterblichen, mein' ich,

Edeler so wie Geringer, nachdem er einmal gezeugt ward. Auf, zum Gemach hingehend, besorge du deine Geschäfte, Spindel und Webestuhl, und gebeut den dienendm Weibern, Fleißig am Werke zu sein. Für dm Krieg liegt Männern die Sorg' ob, Allen, mir ja zumeist, die Ilios' Feste bewohnen." Dieses gesagt, erhob er den Helm, der strahlende Hektor, Von Roßhaaren umwallt; heim ging die liebende Gattin, Rückwärts häufig gewandt und herzliche Thränen vergießmd. „ Übersetzt von Voß.

2. Aus Homers Odyssee. Lange hat die Nymphe Kalypso den auf der Rückkehr in seine Heimat begriffenen Odyffeus aus Liebe zu ihm auf ihrer Insel zurückgehaltm: da befiehlt ihr auf die Fürbitte Athmes Zeus durch den Götterboten Hermes, ihn zu entlasten, und sie gehorcht dem Befehle, nachdem Odysseus sich selber ein Floß gebaut hat. Odysseus entfernt sich von der Kalypso.

Jetzt war der vierte Tag, an dem ward alles vollmdet. Aber am fünften entsandt' ihn die herrliche Göttin Kalypso, Wohl in Kleider gehüllt voll süßes Geruchs und gebadet.

Einen Schlauch in das Floß, mit durlkelem Weine gefüllet, Legte sie, einen mit Wasser, den größerm; dann ihm zur Nahrung Gab sie den Korb, der voll mutstärkender Speisen gedrängt war. Fahrwind sandte sie dann unschädliches, lautes Gesäusels. Freudig spannt' im Winde die schwellendm Segel Odyffeus; Selbst dann saß er am Ruder und steuerte kunstverständig Über die Flut. Nie deckte der Schlaf ihm die wachsamen Augen.

Siebzehn Tage nunmehr durchschifft' er des Meeres Gewäffer; Am achtzehnten darauf erschienen ihm schattige Berge Von dem phäakischen Lande, wo es zunächst ihm gestreckt war; Trübe lag's wie ein Schild in der dunkelwogenden Meerflut.

Aber Poseidon, zurück von den Äthiopen sich wendend,

Schaut' ihn fern von den Bergen der Solymer. Eben erkannt' er Ihn, der die Wogen befuhr; und noch heftiger tobte der Zom ihm. Ernst bewegt' er das Haupt und sprach in der Tiefe des Herzens: „Wunder, gewiß, daß die Götter sich anderen Rat um Odysseus Ausgedacht, weil ich bei den Äthiopen entfernt war!

Aber ich mein', er soll noch genug mir bestehen des Jammers!" Sprach's und versammelte Wolken sogleich und empörte die Meerflut, Schwingend der Macht Dreizack in der Hand; auch erregt' er Orkane Rings mit Orkanen zum Kampf, und ganz in Gewölle verhüllt' er

Erde zugleich mit Gewässer; gedrängt vom Himmel entsank Nacht. Unter sich stürmten der Ost und der Süd und der sausende Westwind, Auch hellwehender Nord und wälzt' unermeßliche Wogen. Aber dem edlen Odysseus erzittertm Herz und Kniee; Unmutsvoll nun sprach er zu seiner erhabenen Seele: „Weh mir, ich elender Mann! Was werd' ich noch alles erleben!

Ach, ich sorge, die Göttin verkündete lautere Wahrheit, Als sie mir in dem Meer, eh' das Vaterland ich erreichte, Leiden die Fülle verhieß! Das wird nun alles vollendet! Ha, wie er ganz in Gewölle den weiten Himmel umher hüllt, Zeus, und die Fluten empört! Wie sausen gedrängt die Orkane Rings mit Orkanen im Kampf! Nun naht mein grauses Verhängnis! Dreimal selig und viermal, o Danaer, die ihr in Trojas Weitem Gefild' umkamt, für Atreus' Söhn' euch beeifernd! Hätt' ich so doch gefunden den Tod und das endende Schicksal Jenen Tag, da auf mich ringsher erzblinkende Lanzen

Schwang ein Troergewühl um den Peleionen, der hinsank! Wohl dann wär' ich bestattet, es feierten mich die Achaier! Doch nun ward, zu sterben den schmählichsten Tod, mir geordnet!" Als er noch redete, schlug die entsetzliche Woge von oben Hoch anrauschend herab, daß im Wirbel das Floß sich herumriß. Weit vom erschütterlen Floß enttaumelt' er; aber das Steuer Fuhr aus den Händen hinweg; und cs stürzte den Mast mit Gekrach ihm Aller gemischten Orkan' im Tumult antobende Windsbraut; Weit entflog auch die Raa und das flatternde Segel ins Meer hin. Ihn nun hielt's lang' untergetaucht, und er strebte vergebens, Schleunig empor sich zu heben im Sturz der gewaltigen Brandung; Denn das Gewand beschwett' ihn, geschenkt von der hehren Kalypso. Spät nun taucht' er empor und spie aus dem Munde des Salzes Bittere Flut, die häufig ihm auch von dem Scheitel herabfloß. Gleichwohl nicht vergaß er das Floß, wie bekümmett das Herz war, Sondern, im Schwung nacheilend durch Brandungen, faßt' er es wieder, Setzte sich mitten hinein und entfloh dem Todesverhängnis.

Dotthin trieben das Floß und dotthin flutende Wogen. Wie wenn ein herbstlicher Nord hintteibt die verdorretm Disteln

Durch das Gefild' und dicht in einander gewirtt sie umherfliehn; So durch den Meerschwall trieben Ottan' ihn dotthin und dotthin;

158

Epische Poesie. Bald daß stürmend ihn Notos dem Boreas gab zur Verfolgung, Bald daß wieder ihn Euros des Zephyros' Sturme zurückwarf. Aber Leukothea sah ihn, des Kadmos blühende Tochter,

Ino vordem, als sterblich sie war, ein melodisches Mägdlein, Jetzt in des Meers Salzfluten der göttlichen Ehre genießend; Diese sah mit Erbarmen dm irrenden Dulder Odyffeus;

Und wie ein Wafferhuhn flog schnell sie empor aus dem Strudel, Echte sich dann auf des Floßes Gebälk und redete also: „Armer, wamm denn ergrimmte der Erderschütt'rer Poseidon Dir mit so schrecklichem Zom, daß der Leiden so viel' er dir anhäuft? Doch nicht soll dich verderben der Gott, wie sehr"er auch eif're! Auf, und handele so; du scheinst nicht ohne Bedacht mir. Zeuch aus diese Gewand' und laß in dem Sturme das Floß nur Treiben; du selbst erstrebe mit schwimmenden Händen dir Ausgang An der Phäakier Land, allwo dir Rettung bestimmt ist. Da, umgürte dich schnell mit diesem unsterblichen Schleier Unter der Brust und verachte die drohenden Schrecken des Todes.

Aber sobald mit den Händen das feste Land du berührest, Wirs alsdann den gelösten zurück in die dunkele Meerflut Fem hinweg vom Gestade mit abgewendetem Antlitz." Also redete sie und gab ihm den Schleier, die Göttin; Sie dann tauchte zurück in des Meers aufwogenden Abgrund, Ähnlich dem Wafferhuhn; und die dunkele Woge verbarg sie. Doch viel sann er umher, der herrliche Dulder Odyffeus; Unmutsvoll nun sprach er zu seiner erhabenen Seele: „Wehe mir, daß nur nicht der Unsterblichen eine mir anspinn' Anderen Tmg, daß sie jetzo vom Floß mir zu steigen gebietet! Aber fürwahr, noch folg' ich ihr nicht; denn eben erblickt' ich Weit in der gerne das Land, wo mir soll Rettung bevorstehn. Also Handl' ich vielmehr, denn solches scheint mir das beste; Weil annoch das Gebälk festhält in den bindenden Klammern, Bleib' ich hier und erwarte mit duldender Seele mein Schicksal. Aber sobald mir das Floß die Gewalt des Meeres zertrümmert, Schwimm' ich; bernt nicht ist jetzo ein besserer Rat zu ersinnen."

Während er solches erwog in des Herzens Geist und Empfindung, Sandt' ihm die mächtige Woge der Erdumstürmer Poseidon, Schrecklich und hoch und übergewölbt; und sie schlug mit Gewalt ihn. Und wie wenn heftiger Wind die gedörrete Spreu auf der Tenne

Plötzlich erregt' und umher sie zerstreuete, andere anders: Also zerstreut' auch jener die Balken ihm. Aber Odyffeus

Schwang sich auf einen der Balken und saß wie ein Reiter des Roffes, Zog dann aus die Gewand', ihm geschenkt von der hehren Kalypso, Und umgürtete schnell sich unter der Brust mit dem Schleier. Vorwärts sprang er hinab in die Flut, und, die Hände verbreitend, Schwamm er in Eile dahin.

Ihn sah der starke Poseidon;

Ernst bewegt' er das Haupt und sprach in der Tiefe des Herzens: „Also jetzt, mit Jammer umringt, durchirre die Ateerflut,

Bis du dem Volke genaht der gottbeseligten Männer; Dennoch wirst du mir schwerlich gering es achten, das Elend!" Sprach's und geißelte drauf das Gespann schönmähniger Rosse, Bis er gen Ägä kam, wo ein stolzer Palast ihm erbaut ist.

Aber ein andres ersann Zeus' herrschende Tochter Athene. Siehe, den anderen Winden die Pfad' jetzt hemmte sie plötzlich, Allen umher zur Ruhe sich hinzulegen gebietend, Ließ dann ihm frisch wehen den Nord und brach die Gewässer, Daß er ans Land der Phäaken, der ruderliebenden Männer, Käme, der Held Odysseus, den Tod und die Keren vermeidend.

Schon zween Tag' und der Nächte so viel' in dem wogenden Aufruhr Irrt' er umher, und ost umschwebet« Tod ihm die Seele. Doch wie den dritten Tag die lockige Eos vollendet, Jetzo ruhte der Sturm besänftiget; und das Gewässer

Schimmette ganz windlos; da schauet' er nahe das Ufer, Scharf anstrengend den Blick, als steigend die Well' ihn emporhub. Und wie zur Freude den Kindem erscheint des geretteten Vaters Leben, der lange, gequält von heftigen Schmerzen der Krankheit, Niederlag und verging, denn ihn plagt ein feindlicher Dämon; Doch zur herzlichen Freud' erretten ihn Götter vom Elend: So zur Freud' erschien dem OdyffeuS User und Waldung. Ringend schwamm er hinan, mit den Füßen das Land zu ersteigen. Als er so fem noch war, wie erschallt volltönender Ausruf, Jetzo hött' er ein dumpfes Getös' an den Klippen des Meeres. Hochauf donnerte an des Eilands Küste die Brandung, Graunvoll sptttzend empor, und bedeckt war alles von Salzschaum; Denn nicht Buchten empfingen die Schiff' und bergende Reeden,

Nein nur Geklüft' umstartte den Sttand, Meerklippen und Felshöhn. Aber dem edlen Odyffeus erbitterten Herz und Kniee. Unmutsvoll nun sprach er zu seiner erhabenen Seele: „Weh mir, nachdem dies Land mir Hoffnungslosem zu schauen Zeus darbot und die Wog' ich hindurch arbeitete sieghaft, Öffnet sich nirgends Bahn aus des graulichen Meeres Gewässern; Auswärts drohen ja gezackt Meerklippen empor, und umher rollt

Stürmisch die brandende Flut, und glatt umläuft sie die Felswand. Aber tief ist nahe das Meer, und nimmer vermag ich, Dort mit den Füßen zu stehn und watend zu fliehn aus dem Elend.

Stteb' ich durch, dann schmettert mich leicht an den zackigen Meerfels Raffend die mächtige Wog', und umsonst wird alles Bemühn sein;

Schwimm' ich aber noch weiter herum, abhängiges Ufer Irgendwo zu erspähn und sichere Busen des Meeres, Ach, dann sorg' ich, daß wieder der Ungestüm des Orkanes Durch fischwimmelnde Fluten zurück mich Erseufzenden hinwirst, Oder ein Meerscheusal aus der Tiefe daher mir ein Dämon Reizt, wie sie häufig ernährt die Herrscherin Amphitrite! Denn ich weiß, wie mir zürnt der mächtige Länderumstürmer!" Während er solches erwog in des Herzens Geist und Empfindung,

Epische Poesie.

160

Trug ihn schon hochrollend die Wog' an das schroffe Gestad' hin. Dort wär' ab ihm geschunden die Haut und zermalmt die Gebeine, Wenn sein Herz nicht regte die Herrscherin Pallas Athene. Hurtig mit beidm Händen umfaßt' er die Klipp' in dem Anschwung, Hielt dann keuchend sich fest, bis die rollende Woge vorbeiging. Also entrann er ihr jetzt; doch zurück nun prallend vom Ufer,

Schlug sie daher mir Gewalt und schleudert' ihn fern in die Fluten, Und wie dem Meerpolypen, den einer hervor aus dem Lager Aufzog, häufige Kiesel die ästigen Glieder umhangen: So am Gestein blieb jenem von festumklammernden Händen

Abgeschunden die Haut; und die rollende Woge verbarg ihn. Jetzt wär' in Jammer vertilgt auch trotz dem Schicksal Odysseus, Wenn nicht Klugheit gewährte die Herrscherin Pallas Athene. Aufgetaucht aus dem Schwall der am Strand' aüffpritzenden Brandung, Schwamm er herum, hinschauend zum Land', abhängiges Ufer Irgendwo zu erspähn und sichere Busen des Meeres.

Als er nunmehr die Mündung des schön herwallenden Stromes Schwimmend erreicht: hier endlich erschien ihm nach Wunsche das Ufer

Glatt ohn' einigen Fels; auch war vor dem Winde Bedeckung. Und er sah vorwallen den Strom und betete herzlich: „Höre mich, Gott, wer du seist! Dir sehnlich Erflehetem nah' ich, Fliehend aus finsterem Meer vor den Drohungen Poseidaons! Ehrenwert ja scheinet der Mann auch unsterblichen Göttern, Welcher um Schutz annaht, ein Irrender, so wie ich selbst nun Nahe zu deinem Sttom und deinen Knien, ein Bedrängter! Aber erbarme dich, Herrscher; denn deinem Schutze vertrau' ich!" Jener sprach'S; gleich stillt' er den Lauf und hemmte die Wallung, Und, vor ihm die Wasser besänftigend, rettet' er fteundlich Ihn an des Stroms Vorgrund. Hier endlich beugt' er die Kniee, Auch die nervichten Arme, da matt von der Woge sein Herz war. Ganz auch schwoll ihm der Leib; es strömt ihm salzige Meerflul Häufig aus Mund' und Ras'; und der Stimme beraubt und des Atems,

Sank er in Ohnmacht hin, kraftlos von der schrecklichen Arbeit. Als er zu atmen begann und der Geist dem Herzen zurücktam, Jetzo löst er sich ab den heiligen Schleier der Götttn. Diesen warf er zurück in die salzige Welle des Sttomes; Weg dann trug ihn die Welle den Sttom hinunter, und Ino

Nahm ihn sofort mit den Händen.

Doch er, aus dem Sttome gesondert,

Warf sich unter die Binsen und küßte die fruchtbare Erde.

3.

übersät««»«°ß.

Aus Vergils Änels.

Die Zerstörung von Troja. Beglückte Wiederkehr, wie ihre List erdichtet, Der Griechen Fürsten, aufgerieben Dom langen Krieg, vom Glück zurückgetrieben, Dadurch zu flehen von der Götter Gunst. Der Kem der Tapfersten birgt sich in dem Erbaum endlich durch Minervens Kunst

Ein Roß aus Fichtenholz, zum Berge auf« •

gerichtet,

Gebäude, Und Staffen find sein Eingeweide.

EpoS.

161

Die absegelnde Flotte der Griechen stellt sich bei der Insel Tenedos auf; die Troer strömen aus der Stadt auf das Schlachtfeld, um das nun verödete griechische Lager zu besehen.

Mit Staunen weilt der überraschte Blick Beim Wunderbau des ungeheuren Rostes; Thymöt, sei's böser Wille, sei's Geschick,

Dies sagend, treibt er den gewalt'gen Speer Mit starken Kräften in des Roffes Lende; Es schüttelt durch und durch, und weit umher

Wünscht es im innern Raum des Schlosses. Antworten dumpf die vollgestopften Wände; Doch bang vor dem versteckten Feind, Und hätte nicht das Schicksal ihm gewehrt, Rät Kapys an und wer es redlich meint, Nicht eines Gottes Macht umnebelt seine Sinne: Den schlimmen Fund dem Meer, dem Feuer Jetzt hätte den Betrug sein Eisen aufgestört, Noch stünde Jlium und Pergams feste Zinne. zu vertrauen; Wo nicht, doch erst sein Jnn'res zu beschauen. Indessen wird durch eine Schar von Hirten, Die Stimmen schwankten noch in unge- Die Hände auf dem Rücken zugeschnürt,

wistem Streite, Als ihn der Priester des Neptun vernahm,

Laokoon mit mächtigem Geleite Von Pergams Turm erhitzt herunterkam.

Mit lärmendem Geschrei ein Jüngling her­

geführt. Der Jüngling spielte den Verirrten

Und bot freiwillig sich den Banden dar, „Rast ihr, Dardanier?" ruft er voll banger Durch falsche Botschaft Troja zu verderben, Sorgen, Mit dreister Stirn gefaßt auf jegliche Gefahr „Unglückliche, ihr glaubt, die Feinde sei'n Und gleich bereit zum Lügen oder Sterben.

geflohn? Ein griechisches Geschenk, und kein Betmg

Wes Stamms er sei, was ihn hieherge-

bracht, Ihm Lebenshoffnung ließ selbst in des Feindes Macht, Wenn in dem Roste nicht versteckte Feinde Soll er bekennen. Furcht und Angst ver­

verborgen? So schlecht kennt ihr Laertens Sohn?

lauern, schwanden. So droht es sonst Verderben unsern Mauem, „Was es auch sei," nist er, „dir, König, set's

So ist es aufgetürmt, die Stadt zu überblicken, gestanden I Empfange den Beweis von Sinons Redlichkeit. So sollen sich die Mauem bücken Ich leugne nicht, zum Volk der Griechen zu Vor seinem stürzenden Gewicht, gehören. So ist's ein anderer von ihren tausend Ränken, Hat mein Verhängnis gleich dem Elend mich Der hier sich birgt. Trojaner, trauet nicht!

Die Griechen fürchte ich und doppelt, wenn sie schenken."

geweiht, Zum Lügner soll es nimmer mich entehren."

Das griechische Heer sei, fährt Sinon fort, längst von Sehnsucht nach der Rückkehr in die Heimat erfüllt, an der Befriedigung dieser Sehnsucht durch ununterbrochen wütende Stürme ver­ hindert und vom Orakel dahin beschieden worden, nur durch Opferung eines Griechen könne die Rückkehr erkauft werde». Da habe Kalchas im Bunde mit Odysseus ihn als das von den Göttern verlangte Opfer bezeichnet. Nur mit Mühe habe er sich flüchten können und flehe König Priamos um Gnade an. Diese wird ihm zu teil, und, nach dem Zwecke des Rosses befragt, berichtet er, durch dasselbe solle der Zorn der wegen einer Frevelthat des Odysseus und Diomedes auf die Griechen erbitterten Athene besänftigt werden. So groß aber sei es gemacht, damit es nicht in die Stadt gezogen werde» und nicht auf diese die Huld der Göttin herablenken könne. Die Troer glauben dem Betrüger.

Jetzt aber stellt sich den entsetzten Blicken Da kam (mir bebt die Zung', es auszudrücken)

Ein unerwartet schrecklich Schauspiel dar. Es stand, den Opferfarren zu zerstücken,

Von Tenedos ein gräßlich Schlangenpaar, Den Schweif gerollt in fürchterlichem Bogen,

Laokoon am festlichen Altar:

Dahergeschwommen auf den stillen Wogen.

Dtelitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Allst.

11

Epische Poesie.

162

Die Brüste steigen aus dem Wellenbade, Entsetzen bleibt in jeder Brust zurück, Hoch aus den Wassern steigt der Kämme Gerechte Büßung heißt Laokoons Geschick,

Der stech und kühn das Heilige und Hehre

blut'ge Glut,

Verletzt mit frevelhaftem Speere. Und, nachgeschleift in ungeheurem Rade, Netzt sich der lange Rücken in-'der Flut; „Zum Tempel," ruft das Volk, „mit dem Laut rauschend schäumt es unter ihrem Pfade, geweihten Bilde,

Zm blut'gen Auge flammt des Hungers Wut; Und flehet an der Göttin Milde!" Gewetzt am Rachen, zischen ihre Zungen: Sogleich strengt jeder Arm sich an;

So kommen sie ans Land gesprungen.

Die Mauer wird geteilt, die Stadt ist auf­

Der bloße Anblick bleicht schon alle Wangen,

gethan;

Und auseinanderflieht die furchtbeseelte Schar; Und auf der Walze künstlichen Wogen Rollt es dahin, von Strängen fortgezogen; Der pfeilgerade Schuß der Schlangen Verderbenträchtig, schwanger mit dem Blitz Erwählt sich nur den Priester am Altar. Der Knaben zitternd Paar sieht man sie schnell Der Waffen, rollt's in Priams Königsitz. Jndeffen wandelt sich des Himmels Bogen, umwinden,

Den ersten Hunger stillt der Söhne Blut; Der Unglückseligen Gebeine schwinden

Hain

Dahin von ihres Biffes Wut. Zum Beistand schwingt

der Vater

Geschoß;

Und Nacht stürzt auf des Meeres Wogen,

Mit breitem Schatten hüllt sie Land und

Und den Betrug der Myrmidonen ein. sein In Trojas Mauern fängt es an zu schweigen, Der Schlummer spannt die müden Glieder

Doch in dem Augenblick ergreifen Die Ungeheu'r ihn selbst; er steht bewegungs­

los, Geklemmt von ihres Leibes Reisen;

los; Da naht, den Mond allein zum stillen Zeugen, Der Griechen Flotte sich von Tenedos.

Geleitet von dem Feuerbrande, Zwei Ringe sieht man sie um seinen Hals Der aus dem königlichen Schiffe blitzt, und noch Zwei andre schnell um Brust und Hüfte stricken, Düngt sie hinan zum wohlbekannten Strande; Und von der Götter Grimm beschützt, Und furchtbar überragen sie ihn doch Eröffnet Sinon still den Bauch der Fichte; Mit ihren hohen Hälsen und Genicken.

Gehorsam giebt das aufgethane Roß

Der Knoten furchtbares Gewinde

Die Krieger von sich, die sein Leib ver­ Gewaltsam zu zerreißen, strengt schloß, Der Arme Kraft sich an; des Geifers Schaum Und hocherfreut entspringen sie zum Lichte. besprengt Herab am Seile gleiten schnell die Fürsten Und schwarzes Gift die priesterliche Binde. Theffandrus, Sthenelus, Machaon, Akamas; Der Schmerzm Höllenqual durchdringt Ihm folgt mit Blicken, die nach Blute dürsten, Der Wolken Schoß mit berstendem Geheule; Ulyß, Neoptolem, drauf Thoas, Menelas, So brüllt der Stier, wenn er, gefehlt vom Beile Zuletzt Epeus, der das Roß gefügt; Und blutend, dem Altar entspringt. Sie stürzen in die Stadt, die Wein und Schlaf Die Drachen bringt ein blitzgeschwinder besiegt; Schuß Zum Heiligtum der furchtbar'n Tritonide;

Die Wachen würgt ihr Stahl, indes schon die Genoffen,

Dort legen sie sich zu der Göttin Fuß, Beschirmt vom weiten Umkreis der Ägide.

Durchs Thor eindringend, zu den Fürsten stoßen. Frei übersetzt von Schiller.

Epos.

4.

163

Das Hrldebrandslied.

Ich hörte sagen, sich heischten zum Kampf Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Hildebrand und Hadubrand unter'Heeren zwein, Erzeugter: Des Sohns und des Vaters. Sie sahn nach „Mit Geren (Speeren) soll man Gabe emder Rüstung, Pfahen, Die Schlachtgewänder suchten sie, gürteten die Schärfe wider Schärfe. Du scheinst dir, alter Schwerter an, Henne, Die Recken, über die Ringe und ritten hin zum Doch allzulose, lockest mich

Kampfe. Mit deinen Worten, willst mich mit deinem Hildebrand erhob das Wort; er war der hehrere Speere werfen. Mann, Bist so zum Alter kommen, daß du immer Erfahrener und weiser; zu fragen begann er trogst. Mit wenigen Worten, wer sein Vater wäre Mir aber sagten Seefahrende Der Helden im Volke, „oder welcher Herkunft Westlich über den Wendelsee, hinweg nahm ihn du seist. der Krieg. Sagst du mir nur einen, die andern weiß ich Tot ist Hildebrand, Heribrands Erzeugter."

mir: Hildebrand erhob daS Wort, Heribrands Er­ Kind, im Königreiche kund ist mir da männigzeugter: lich." „Wohl hör' ich das und sehe an deinem Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Harnische, Erzeugter: Du habest daheim noch einen guten Herm, „Das sagten voralters mir unsere Leute, Mußtest nicht entrinnen noch aus diesem Alte und weise, die eher dahin sind, Reiche. Daß Hildebrand hieße mein Vater; ich heiße Weh' nun, waltender Gott, Wehgeschick er«

Hadubrand. füllt sich! Früh zog er gen Osten, floh vor Otackers Zorn Ich wallte der Sommer und Winter sechzig, Hin mit Dietrichen und seiner Degen viel. Daß man stets mich scharte zu der Schießen­ Er ließ im Lande der Hülfe ledig sitzen den Volk: Das Weib in der Wohnung und unerwach­ Vor keiner der Städte doch kam ich zu sterben; Nun soll mich mit dem Schwerte das eigne senen Sohn, Kind erschlagen, Erblos das Volk, da er ostwärts hinritt. Mit der Waffe treffen, oder ich sein Töter Aber darben mußte Dietrich seitdem werden. Meines Vaters, der freundlose Mann. Doch magst du nun leichtlich, wenn dir langt die Kraft, Aber dem Dietrich der teuerste Degen, Immer an des Volkes Spitze: fechten war ihm Von so ehrwürd'gem Mann die Rüstung ge­ Dem Otacker war er eifrigst erzürnt,

stets zu Lieb. Kund war er allen kühnen Mannen; Ich glaube nicht, daß er noch lebt." „Weiß es Allvater oben im Himmel, Daß du nie hinfort mehr fährst zum Kampfe Mit so gesipptem Mann." Da wand er vom Arme gewundene Ringe

winnen, Den Raub erbeuten, hast du irgend Recht dazu;

Denn der sei doch der ärgste der Ostleute, Der dir den Kampf nun weig're, nun dich so wohl des lüstet. In handgemeiner Schlacht entscheide die Be-

gegnung, Aus Kaisermünzen, wie der König sie ihm gab, Wer von uns heute dieHarnische räumen müsse Der Herrscher der Heunen. „Daß ich mit Huld Oder dieser Brünnen (Panzer) beider walten." Da ließen sie zum ersten die Eschen schmettern dir's gebe." 11'

Epische Poesie.

164

In scharfen Schauern, daß es in den Schilden Hieben harmlich die Hellen Schilde,

stand; Bis ihnm die Linden nicht mehr langten, Dann stapften zusammen die Steinrandklaren, Zermalmt mit den Waffen------------Überseht von Simrock.

5.

Aus „Walther und Hildegunde".

Der Heunenkönig Etzel hatte von dem unterworfenen Frankenkönige Gibich Hagen von Tronje, vom Burgünderkönige Herrich besten Tochter Hildegunde und von Alpker, dem Könige der Goten, dessen mit Hildegunde schon in frühester Jugend verlobten Sohn Walther als Geiseln empfangen, Hildegunde in die Hut seiner Gemahlin Helke befohlen, die beiden Jünglinge aber selber in den Künsten des Friedens und Krieges unterwiesen. Nach der Thronbesteigung Gunthers war der mit Walther innig befreundete Hagen nach Worms entflohen: Walther erwarb sich daö Vertrauen des nun argwöhnisch gewordenen Etzel durch einen neuen Sieg über ein feindliches Grenzvolk und verabredete mit Hildegunde, die er im Königssaal allein angetroffen, die Flucht, welche er glücklich auSführte.

Wie Walther mit Hildegunden entrann. Als nun zur Siegesfeier erschien der ftohe Tag, Da war mit Pracht gerüstet das schliche Gelag. Der stolze Walther brauchte die Kosten nicht zu scheun, Er wollte reicher Beute sich heut zuletzt noch erfreun.

Mit Sammet war umhangen die Halle wie der Saal, Da König Etzel eintrat und Helke, sein Gemahl. In Seid' und Purpur prangte der beiden hoher Thron; Bei ihnen saß Herr Walther: das ward dem Sieger zum Lohn.

Bald hob man ab die Tafel, die Eßlust war gestillt, Es blieb des Tranks Begierde, der schäumend überquillt. Weg stahlen sich die Frauen, wie man nach Sitte pflag: Nun sollt' erst recht beginnen das ftohe Zechergelag. Da trat zum Heunenkönig Herr Walther bittend hin: „Wenn ich euch einer Gnade, Herr Etzel, würdig bin, So sei mir das zum Lohne, daß ihr das Eis uns brecht, Die säum'gen Kampfgenossen ermahnt zu tapferm Gefecht."

Da nahm er einen Humpen, groß, rund und weit;

Drauf standen eingegraben Geschichten alter Zeit. Er war aus Gold gebildet, und golden war der Wein, Mit dem ihn Walther füllte; schier ging ein Anker hinein.

So reicht' er ihn dem König.

„Es war der Väter Brauch,

Wer diesen Kopf nicht leerte, der hieß ein feiger Gauch. Ihr seid der Väter würdig, Herr Etzel, trinkt, und wir

Verachten den Verzagten, der nicht Bescheid thut wie ihr."

Die Helden alle lachten; Herrn Etzel war nicht bang Vor einem vollen Becher: er nahm ihn in Empfang. Mit beiden Händen hob er ihn mühsam an den Mund, Mit einem Zuge leert' er den Humpen aus auf den Grund. „Folgt alle meinem Beispiel," so sprach der König hehr. Der Becher war erleichtert, ihm war ber Kopf nun schwer.

165

Epos.

Die schnellen Schenken nahmen da Faß auf Faß in Zapf; Sie mußten oft noch füllen den riesenmäßigen Napf.

Da sah man manchen sinken, der fest im Kampfe stand; Man hörte Greise lallen wie Kinder an Verstand.

Im Saale jauchzend tobte der Helden wilder Schwarm:

Der sang, der sprang, der weinte, der lag schon in des Schlafes Arm. So ließ der Wirt sie zechen bis in die tiefe Nacht; Wer ging, der wurde höfisch von ihm zurückgebracht. Das währte, bis fie alle, von Wein und Schlummer schwer, Zu Boden taumelnd sanken in alle Winkel umher.

Da stand im weiten Saale Herr Walther ganz allein Mitten unter Schläfern bei heller Kerzen Schein. Hätt' er, die Fackel zündend, das Haus in Brand gesteckt,

Den Thäter hätte keines der armen Opfer entdeckt. Da sucht' er Hildegunden, die er im Hofe sand; Was er sie schaffen heißen, war alles bei der Hand. Er ging zum Stalle weiter und nahm das beste Pferd; Es ward der Leu geheißen und war des Namens auch wert.

Mit Wiehern stand's und stampfte, wie ein Streitroß soll; Dem Mund, als er es zäumte, der weiße Schaum entquoll. Gern litt's Gebiß und Sattel, die Schätze nicht so gern In den zwei schweren Schreinen: es trüge lieber den Herrn.

Zu beiden Seiten hingen sie nun dem edlen Tier: So führt' er's aus dem Stalle und gab die Zügel ihr. Er selber ging sich wappnen, der Held von Riesenart; Der Panzer war gewaltig, mit dem die Brust er verwahrt.

Dann schließt er goldne Schienen sich um der Schenkel Kraft, Den Helm, den rotbebuschten, er schnell zu Häupten rafft,

Nmgürtet sich die Lende mit doppelschneid'gem Schwert; Nach Heunensitte ward auch die rechte Seite bewehrt. Es war ein starkes. Halbschwert, das grimme Wunden schnitt. Noch nahm er Schild und Lanze, der edle Held, und schritt, Von Haupt zu Fuß gerüstet, aus dem verhaßten Land.

Sie ging dem Roß zur Seite und hielt den Zaum in zarter Hand. Dazu die Angelrute hatt' er der Maid vertraut. Wohl mußt' er so beschweren die wunderschöne Braut: Genug zu tragen hatt' er an seiner Waffen Last, Und stets im Heunenlande hielt er auf Kampf sich gefaßt. Simrock.

Walther ruhete während des Tages und reiste während der Nacht; Vögel und Fische dienten als Nahrung. „Der Fährmann bei Worms am Rheine empfing zwei Fische aus der Donau als Lohn für die Überfahrt. König Gunther beanspruchte die von Walther aus dem Heunenlande mit­ genommenen Schätze als sein Eigentum. Hagens Widerspruch frommte nicht: Gunther zog mit zwölf seiner besten Recken, unter ihnen Hagen, Walther nach, der im Wasgau in einer Schlucht sich aufstellte und elf der Feinde nach einander besiegte, während Hagen die Teilnahme am Kampfe verweigerte.

Epische Poesie.

166

Wie Walther die letzten vier Helden besteht. Das schreckte nicht die Franken, die jetzt auf Helmnot baun,

Den ungefügen neunten; man durft' ihm wohl vertraun: Er warf den mächt'gen Dreizack am dreifachen Seil Gewaltig durch die Lüfte, und wen er traf, der ward nicht heil.

Des Seiles Enden sollten ihm der Gefährten drei, Im Rücken stehend, halten: wenn es gelungen sei

Und die geworfnen Haken festsäßen in dem Schild, Daß fie aus Kräften zögen den Feind hinab ins Gefild. Von solcher List erhofften fie den gewiffen Sieg.

Herr Helmnot ohne Säumen das Leichenfeld erstieg. „Dies Eisen lehrt dich sterben, Kahlkopf!" rief er aus. Da flog, die Lüfte teilend, der Dreizack hin im Saus.

Was weiter?

Nicht verfehlte der Wurf das nahe Ziel:

Das Schildgehäuse dröhnte, in das der Dreizack fiel,

Ties bohrt' er in die Buckel sich mit den Haken ein, Vom Siegsgeschrei der Franken erscholl der Berg und der Hain.

Sie werfen Schild und Waffe zu Boden unbedacht Und ziehen an den Seilen zumal mit ganzer Macht, Daß von den Stirnen triefend der Schweiß zu Boden fällt;

Der König hatte selber sich solcher Arbeit gesellt. Doch an dem Boden wurzelnd stand Walther als ein Baum, Der stolz die Krone breitet in freiem Himmelsraum. Zur Wette zogen jene und mahnten sich: „Den Schild Nur erst herab! so fangen wir uns lebendig das Wild."

Jetzt währt' es ihm zu lange; er ließ, des Helmes bloß, Auf Schwert und Panzer trauend, den Schildrand plötzlich los: Da stürzten sie zu Boden, die vier am schnöden Seil. Frohlockend sah es Walther: da sprang er näher in Eil'. Den er zuerst erreichte, wer war es?

Helmnot.

Dem ward der Helm gespalten, und zu noch größrer Not Durch Haupt und Nacken sauste der mörderische Stahl. Das Blut entfloß in Strömen und Leib und Leben zumal.

Da wandt' er sich zu Drogo, der fest im Seile hing, Und dem des Freundes Sterben zu Herzen schreckvoll ging. Doch größer war der Schrecken, als jetzt der grimme Feind Dastand mit bloßem Schwerte, ihn selbst zu treffen gemeint.

Im Seil verstrickt, versucht' er zu fliehn und Schild und Schwert

Zu holen: also hätt' er des Helden sich erwehrt; Doch schneller war Herr Walther; auch stärker möcht' er sein, Er schwang das Schwert und hieb ihm die Wade nieder vom Bein. Dann lief er dem Gelähmten voraus, der schnelle Gast,

Und eh' ihn der erreichte, hatt' er den Schild gefaßt. Der wunde Drogo sah es; doch war er nicht so wund, Einen ungefügen Feldstein riß er empor ans dem Grund

Und warf ihn, daß in Stücke sein eigner Schildrand ging Und nur noch an der Stierhaut das Holzgestelle hing. Dann kniet' er rasch zur Erde, ergriff sein Schwert und schwang

Es aus der grünen Scheide, daß hell die Lust ihm erklang. Herr Walther kam und schlug ihm den hoch geschwungnen Arm Danieder samt dem Schwerte: so schuf es ihm nicht Harm.

Doch jetzt zum andern Hiebe sprang der Gewalt'ge vor: Der scheidenden Seele wollt' er erschließen das Thor.

Da kam, ihn zu beschirmen, der Freund, den er verlangt

(Er hatte mit dem König nach Schwert und Schild gelangt), Herr Tannast kam und deckte den Freund vor Walthers Streich. Doch auf den Schirmer kehrte den Zorn der Schreckliche gleich Und hieb ihm aus der Achsel heraus das Schulterblatt; Dann fuhr, die Flanke spaltend, die Klinge scharf und glatt Ihm tief ins Eingeweide: da fiel er auf den Plan. „Leb' wohl!" so grüßt' er scheidend den Freund und blickt' ihn zärtlich an. Da fleht' ums liebe Leben Herr Drogo nicht, er schalt Und reizte noch den Sieger, der's mit dem Tod vergalt; Er drückt' ihm um die Kehle der Kette Goldgeflecht.

„Der Hölle spar's und melde, wie du die Brüder gerächt." Da wälzte fich im Staube das Freundespaar gesellt Und schlug mit beiden Füßen das blut'ge Leichenfeld. Mit Seufzen sah's Herr Gunther: er sprang zu Roß und maß Den kurzen Weg zu Hagen, der abseits trauernd noch saß. Simrock.

Slun erst lieft auch Hagen durch die dringenden Bitten seines Königs und durch die Besorgnis vor dem Verluste seiner Ehre sich bewegen, gegen Walther zu käinpsen, der durch List von ihnen aus der Schlucht gelockt wurde, aber, ihren Anschlag vermutend, sich auf den Widerstand in der Ebene vorbereitet hatte.

Wie Hagen und Gunther mit Walther kämpften. Zur zweiten Tagesstunde war's, als ihr Streit begann, Vereint die beiden Helden wider den einen Mann. Da brach zuerst den Frieden Hagen und warf den Speer Aus ganzer Macht, den scharfen, auf Alpkers Sprößling daher.

Als Walther sah, er könne nicht stehn des Wurfes Kraft, Denn gleich der Windsbraut zischend und sausend fuhr der Schaft, Bog er den Schild entgegen mit Fleiß; vom blanken Erz Als wie von glattem Marmor glitt er danieder erdenwärts

Und bohrte bis zum Nagel sich in den Boden ein. Da warf mit kühnem Herzen, war seine Kraft auch klein, Der stolze König Gunther den eschenen Speer: Der fuhr kaum in den Schildrand; hernieder hing die Stange schwer.

Leicht schüttelnd brachte Walther ihn aus dem wunden Holz.

Das Zeichen schlug danieder der Frankenhelden Stolz;

Doch wich der Schmerz dem Zorne: das Schwert sie zuckten wild

Und sprangen auf den Goten mit vorgehaltenem Schild.

168

Epische Poesie.

Doch Walther, der den Angriff mit der Lanze von sich wies, Sein Antlitz drohte schrecklich, und schrecklich war sein Spieß: Die kurzen Schwerter reichten nicht an den kühnen Mann. Es war nicht wohl ersonnen, was da Herr Gunther begann. Seinen Speer, der an der Erde zu Walthers Füßen lag,

Den hätt' er, dem ein zweiter zu Wurf und Stoß gebrach, Gern heimlich aufgehoben: so stünd' er auch bewehrt, Wie jener, mit der Lanze statt mit dem armlangen Schwert.

Da winkt' er dem Gefährten, den Helden zu bestehn: So möcht er unterdeffen den Diebstahl wohl begehn. Gar wohl verstand Herr Hagen des Königs stummen Wink: Da schritt er vor geschwinde und war zum Angriffe flink.

Da barg die Klinge Gunther im grünen Sammethaus

Und streckte nach der Lanze die Rechte mählich aus. Und schon sie aufzuheben, gedacht' er, von dem Feld,

Da gewahrte sein Beginnen der ungleich stärkere Held. Der stets behutsam kämpfte mit Vorsicht und Geschick,

Er vergaß der Klugheit nimmer als einen Augenblick. Als sich der König bückte, merkt' er die Absicht gleich Und trieb den Hagen von sich mit einem dräuenden Streich, Sprang dann zurück und setzte gemach den linken Fuß Auf die entzogene Lanze, die den König fangen muß. Schon wanken ihm die Kniee, da fährt ihn Walther an

Und hebt das Schwert: nun war es um König Gunther gethan.

Der hungernden Hölle hätt' er ihn zugesandt; Doch Hagen kam und deckte den Herrn mit seinem Rand, Nach Walthers Antlitz schnellend der bloßen Schneide Stahl. Indem sich jener schirmte, erhob sich Gunther noch einmal Wie ein vom Tod Erstandner, zittemd und bleich vor Schreck. Den heißen Kämpf erneuen doch gleich die beiden keck, Den Gewaltigen bedrängend bald einzeln, bald vereint. Und hat er jetzt dem einen das Haupt zu spalten gemeint,

So springt der andre drohend herbei und wehrt dem Streich. Er that dem wilden Bären und sie den Hunden gleich.

So währt' ihr grimmes Streiten wohl bis zum neunten Gang: Heiß schien die Sonne nieder; Herrn Walther dauert' es lang. S i m r o ck.

Wie der Kampf zu Ende kam und die Helden Sühne tranken. Schier fühlt' er von der Sorge sein starkes Herz berührt; Er sprach: „Wenn andre Wege nicht bald das Glück uns führt, So täuschen ihre Listen zuletzt mich müden Mann." Er sprach's, und drauf entsandte er seinen Speer mit Macht hindann. Der fuhr durch Hagens Schildrand und durch sein Eisenkleid;

Doch that er ihm am Leibe kein übermäßiges Leid:

Epos. Mit rasch entblößter Klinge er nun auf Gunther sprang.

Der Hieb war ungeheuer, der da dem Helden gelang.

Der Schild war weggeschlagen, und durch die Hüfte glitt Der Stahl und nahm dem König den ganzen Schenkel mit, Daß er zu Boden stürzte und lag aus seinem Schild Dem Schrecklichen zu Füßen, der es zu nutzen gewillt.

Der Dienstmann sah erbleichend dem Herrn das Ende drohn. Die blut'ge Klinge wieder erhob schon Alpkers Sohn, Den Liegenden zu töten, der unbehütet war; Doch Hagen lief, nicht achtend der eignen Lebensgefahr,

Herbei, dem Streich zu wehren mit seinem eignen Haupt. Jetzt war noch einzuhalten Walthern nicht mehr erlaubt: Die Klinge fuhr hernieder auf Hagens Eisenhut. Da sprühten helle Funken, doch war der Helm allzugut

Geschmiedet und gehärtet, er brach nicht von dem Schlag: Gebrochen war die Klinge, die halb am Boden lag, Halb in der Luft noch blinkte.

Unwillig sah der Held

An Hagens starker Helmzier die gute Klinge zerspellt.

Er vergaß im Zorn der Vorsicht den einen Augenblick Und mußt' es teuer büßen: so wollt' es das Geschick. Da er die Klinge mißte, verschmäht' er auch das Heft;

Es aus der Hand zu werfen, das war ihr letztes Geschäft. Das künstliche Getriebe, hin flog's zu Boden weit. Das sah der grimme Hagen und nutzte wohl die Zeit: Er schlug im Wurf ihm jubelnd herab die rechte Hand, So weit durch Siegesthaten der Erde Völkern bekannt.

Da lag der Kön'ge Schrecken, des Helden starke Faust. Herr Walther sah's betroffen, doch ohne daß ihm graust. Er konnt' auch link nicht weichen; dazu sein Geist blieb hell: Da schob er in den Schildrand den Stumpf, den blutenden, schnell Und zückte mit der Linken das kurze Heunenschwert, Das ihm die rechte Hüfte, wie ihr vernahmt, bewehrt.

Grausame Rache nahm er an seinem Feinde damit, Das ihm, die Lippe spaltend, die rechte Schläfe durchschnitt, Sechs Backenzähne ausriß, dazu das Aug' entfließ. Da trug die Wund' ein jeder, die ihn wohl ruhen hieß: Sie streckten hin die Waffen des grimmen Kampfes satt. Mit heilen Gliedern keiner verließ die blutige Statt.

Die beiden saßen aufrecht, der dritte war zu schwach, Und trockneten mit Blumen des Blutes heißen Bach. Herr Walther rief der Jungfrau; sie kam mit bleichem Mund:

Mit linden Linnentüchern verband sie alles, was wund. Darauf gebot ihr Trauter dem schönen Mägdelein: „Kredenz' uns jetzt zur Sühne den kühlen Labewein.

169

170

Epische Poesie. Der erste trinke Hagen, das ist ein guter Held, Wenn er, die er geschworen, die Schwüre redlich auch hält.

Dann reiche mir den Becher, der mehr als alle litt;

Des Trankes Neige teile dem Frankenkönig mit: Bei unsern Heldenspielen vergoß er wenig Schweiß; Wie nun die Wund' ihn kühle, vom Kämpfen ward ihm nicht zu heiß." In allem ihm willfahrte die Tochter Herrichs. Obwohl des Tranks begierig, verbat der Franke sich's.

„Nicht mir gebührt die Ehre, erst bring' ihn deinem Herm: Er ist mir überlegen, der Braut gesteh' ich es gern." Wie sie zuvor die Hiebe gewechselt und den Speer, So tauschten sie nun Worte, der Witz flog hin und her.

Der Franke sprach: „In Zukunft, wenn du den Hirsch erjagst, Bon besten Leder Handschuh' du zahllos gewinnen magst,

So fülle dir den rechten mit des Hirsches zartem Haar: So glaubt man dich zweihändig, und doch ist es nicht wahr. Es war so viel Gerede von deiner starken Faust; Es kann geschehn, daß manchem noch vor dem Scheinbilde graust. Bald gilt an deinem Hofe ein nagelneuer Brauch: Du fichtst nun mit der Linken, die Goten werden's auch, Und wer noch mit der Rechten sein Weib umarmt und küßt, Der ist ein Hochverräter, der zappeln muß am Gerüst."

Nun war die Reih' an Walther, daß er die Lanze warf. „Wie blickst du in die Zukunft mit einem Aug' so scharf! Ich kann mit meinen beiden doch bester prophezein: Vernimm, du sollst ein König unter Blinden künftig sein. Du wirst auf einer Seite dem Dienervolk mißtraun,

Beim Gruß mit queren Blicken auf deine Helden schaun. Wenn ich den Hirsch erjage, verfehlt die Sau dein Spieß. Aus alter Freundschaft raten will ich, Trojaner, dir dies: Sobald du heimkommst, hole dir Milch und Mehl herbei;

Die laß zusammen kochen, so giebt es einen Brei. Dein Auge wird dich schmerzen, da kommt der Brei dir recht; Beginnt dich dann zu hungern, so schmeckt die Pappe nicht schlecht."

So erneun sie unter Scherzen im Blut die Brüderschaft, Und immerdar bewährte sie fürder ihre Kraft. Den lahmen König hoben die beiden dann aufs Pferd, Bevor gen Worms die Franken, der Held zur Heimat sich kehrt. Da empfing man wohl den Kühnen mit seiner schönen Braut; Auch ward ihm Hildegunde bald festlich angetraut. Sie liebten ihn im Lande, wo nach des Vaters Tod

Er dreißig Jahre glücklich dem Volk der Goten gebot. S i ni r o ck.

171

Epos.

6.

Aus dem Nibelungenlied. Kriemhild und Siegfried.

Es träumte Kriemhilden in der Tugend, der sie pflog, Sie hab' einen wilden Falken erzogen manchen Tag; Den griffen ihr zwei Aare, daß sie das mußte sehn: Ihr konnt auf dieser Erde größer Leid nicht geschehn.

Den Traum hat sie der Mutter gesagt, Frau Uten; Die wußt' ihn nicht zu deuten als so der Guten: „Der Falke, den du ziehest, das ist ein edler Mann; Ihn wolle Gott behüten, sonst ist es bald um ihn gethan." „Was sprecht ihr mir vom Manne, viel liebe Mutter mein?

Ohne Reckenminne will ich immer sein; So schön will ich verbleiben bis an meinen Tod, Daß ich von keinem Manne je gewinnen möge Not."

„Verred' es nicht so völlig," sprach da die Mutter so; „Willst du je von Herzen auf Erden werden ftoh, Das kommt von Mannesminne; du wirst ein schönes Weib,

So Gott dir noch vergönnet eines schönen Ritters Leib." Übersetzt von Sinirock.

Da wuchs in Niederlanden ein edles Königskind (Sein Vater hieß Siegmund, seine Mutter Siegelind) In einer reichen Feste, wohl weit und breit bekannt, Drunten bei dem Rheine, Xanten war sie genannt.

Ich sag' euch von dem Degen, wie stattlich schön er ward, Sein Leib war vor der Schande wohl immer gut bewahrt. Voll Stärk' und weiten Ruhmes war bald der kühne Mann.

Hei, was für große Ehre er auf der Welt gewann! Mit Namen hieß er Siegfried, derselbe Degen gut. Er besuchte viel' der Reiche in hochbeherztem Mut.

Durch seines Leibes Stärke ritt er in manches Land. Hei, was er schneller Degen bei den Burgunden fand! Übersetzt von Beta.

Siegfried zieht trotz der Abmahnungen seiner Eltern nach Worms, sich um Kriemhildens Hamd zu bewerben, ragt in allen Heldenspielen weit vor den Burgunder Helden an Mut und Stäirte hervor, besiegt für Gunther die Könige Liudger und Liudgast von Sachsen und Dänemark, siehtt danach Kriemhild, bleibt in Worms auf ihre Einladung und zieht mit dem Könige gen Island zur Bninhild.

Wie Gunther zur Brunhild nach Island fuhr.

Es war eine Königstochter geseflen überm Meer,

Ihr zu vergleichen war keine andre mehr.

Schön war sie aus der Maßen und mächtig ihre Kraft; Sie schoß mit schnellen Degen um ihre Minne den Schaft. Den Stein warf sie ferne, nach dem sie weithin sprang; Wer ihrer Minne gehrte, der mußte sonder Wank

Drei Spiel' ihr abgewinnen der Frauen wohlgeboren; Gebrach es ihm an einem, so war das Haupt ihm verloren.

172

Epische Poesie. Da sprach der Bogt vom Rheine: „Ich will an die See Hin zu Bmnhilden, wie es mir ergeh'.

Ich will um ihre Minne verwogen meinen Leib, Und den will ich verlieren, gewinn' ich sie nicht zum Weib."

Er sprach: „Diel edler Eiegftied, willst du mein Helfer sein, Zu werben um die Schöne? Thu' nach der Bitte mein; Und gewinn' ich mir zur Trauten das herrliche Weib, So vermag' ich deinetwegen Ehre, Leben und Leib."

Zur Antwort gab ihm Siegfried, Siegmundens Sohn: „Ich thu' es; versprichst du die Schwester mir zum Lohn,

Die schöne Kriemhilde, eine Königin hehr, So begehr' ich keines Lohnes nach meinen Arbeiten mehr." „Das gelob' ich," sprach da Gunther, „Siegfried an deine Hand,

Und kommt die schöne Bmnhild her in dieses Land, So will ich dir zum Weibe meine Schwester geben; So magst du mit ihr immer in Freuden leben."

Des schwuren sie sich Eide, die Ritter kühn und hehr, Ihnen schuf es in der Feme der Sorgen desto mehr, Eh' sie die Wohlgethane brachten an den Rhein. Da mußten bald die Kühnen dämm in großen Nöten sein.

Siegfried mußte führen Die der kühne Degen mit Bon einem Gezwerge, mit Da schickten sich zur Reise

die Tamkappe mit, Sorgen einst erstritt Namen Alberich. Recken kühn und ritterlich.

Die goldroten Schilde trug man an den Strand Und schaffte zu dem Schiffe all ihr Rüstgewand; Ihre Rosse ließ man bringen; sie wollten nun hindann. Alsbald von schönen Frauen großes Weinen begann.

Da stand in den Fmstern manch minnigliches Kind; Das Schiff mit seinem Segel ergriff ein hoher Wind.

Die stolzen Heergesellen saßen auf dem Rhein; Da sprach der König Gunther: „Wer soll nun Schiffsmeister sein?" Eine Ruderstange Siegfried gewann: Bom Gestad' zu schieben mit Kraft hub er an.

Gunther der Kühne ein Ruder selber nahm. Da huben sich vom Lande die schnellen Ritter lobesam. Sie führten reiche Speise, dazu guten SEBetn,

Den besten, den sie finden mochten um den Rhein. Die Roffe standen eben; sie hatten gute Ruh', Das Schifflein auch ging eben; wenig Leid stieß ihnen zu.

An dem zwölften Morgen, wie wir hören sagen, Da hatten sie die Winde weit hinweggetragen Nach Jsenstein, der Feste, in Bmnhildens Land: Die war ihrer keinem als nur Siegfrieden bekannt.

Epos. Sechsundachtzig Sünne sahn sie darin zumal, Drei weite Pfalzen und einen schönen Saal

Don edlem Marmelsteine, so grün als wie das Gras, Darin Bmnhilde selber mit ihrem Ingesinde saß. Die Pforte stand erschlossen, die Burg war aufgethan; Entgegen liefen ihnen die in Brunhildens Bann, Die Kühnen zu empfangen in ihrer Herrin Land.

Die Roste nahm man ihnen und die Schilde von der Hand. Als die Königstochter Siegfrieden sah, Wohlgezogen sprach sie zu dem Gaste da: „Seid willkommen, Siegfried, hier in diesem Land. Was meint eure Reise?

Das macht mir, bitt' ich, bekannt."

„Er ist geheißen Gunther, ein König reich und hehr; Erwirbt er deine Minne, nichts weiter wünscht er mehr. Mit ihm bin ich gefahren in dieses Land um dich:

Wenn er mein Herr nicht wäre, ich unterließ es sicherlich."

Sie sprach: „Ist er dein Herre, stehst du in seinem Lehn; Kann er, die ich erteile, meine Spiele dann bestehn Und bleibt darin der Meister, so werd' ich sein Weib: Gewinn' ich aber eines, es geht euch allen an den Leib.

Den Stein soll er werfen und springen danach, Den Speer mit mir schießen: drum sei euch nicht zu jach. Ihr könnt hier leicht verlieren die Ehr' und auch den Leib; Das mögt ihr wohl bedenken!" sprach das minnigliche Weib.

Siegfried der Schnelle ging vor den König hin Und bat ihn, frei zu reden mit der Königin Ganz nach seinem Willen; angstlos sollt' er sein: „Ich will dich wohl behüten vor ihr mit den Listen mein." Da sprach der König Gunther: „Königstochter hehr, Erteilt mir, was ihr wollet, und wär' es auch noch mehr, Das bestünd' ich alles um euern schönen Leib.

Mein Haupt will ich verlieren, so ihr nicht werdet mein Weib."

Als da seine Rede vernahm die Königin, Bat sie, wie ihr geziemte, das Spiel nicht zu verziehn.

Sie ließ sich zum Streite bringen ihr Gewand, Einen festen Panzer und einen guten Schildesrand. Derweilen war auch Siegfried, der weidliche Mann, An das Schiff gegangen, eh' wer darüber sann, Wo er die Tarnkappe verborgen liegen fand, In die er hurtig schlüpfte; da war er niemand bekannt.

Er eilte bald zurücke und sah da Recken viel'; Die Königin erteilte da ihr hohes Spiel. Er ging hinzn verstohlen, und daß ihn niemand sah Don allen, die da waren; gar listiglich das geschah.

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Epische Poesie. Da brachte man der Frauen schwer und übergroß

Einen scharfen Wurfspieß, den sie stets verschoß,

Stark und ungefüge, mächtig und breit zumal; Der hatt' an seinen Seiten zwei Schneiden von scharfem Stahl.

Brunhildens Stärke zeigte sich nicht klein: Man trug ihr zu dem Kreise einen schweren Stein,

Groß und ungefüge, rund und stark und breit. Ihn trugen kaum zwölfe dieser Degen kühn im Streit.

An ihre weißen Arme sie die Ärmel wand, Sie begann zu fasien den Schild mit der Hand, Sie schwang den Spieß zur Höhe: da ging es an den Streit.

Die fremden Gäste bangten vor Brunhildens Zorn und Neid.

Und wär' ihm da Siegfried zu Hülfe nicht gekommen, So hätte sie das Leben Günthern wohl benommen. Er nahte sich verstohlen und rührte seine Hand; Gunther seine Künste mit großen Sorgen befand.

Er sprach: „Gieb aus den Händen den Schild, laß mich ihn tragen. Behalte wohl im Sinne, was du mich hörest sagen; Du habe die Gebärde, ich will das Werk bestehn." Als er ihn erkannte, da war ihm Liebes geschehn. Da schoß mit großen Kräften die herrliche Maid Auf einen neuen Schildrand mächtig und breit, Den trug an seiner Linken der Sieglinde Kind; Das Feuer sprang vom Stahle, als ob es wehte der Wind. Des starken Spießes Schneide den ganzen Schild durchdrang, Daß das Feuer lohend aus den Ringen sprang. Von dem Schuffe strauchelten die kraftvollen Degen. War nicht die Tarnkappe, sie wären beide tot erlegen. Siegfried, dem kühnen, vom Munde brach das Blut. Bald sprang er auf die Füße: da nahm der Degen gut

Den Speer, den sie geschoffen ihm hatte durch den Rand; Den warf ihr bald zurücke des starken Siegfrieds Hand. Das Feuer stob vom Panzer, als trieb' es der Wind. Es hatte wohl geschoßen König Siegmunds Kind; Ihr reichten nicht die Kräfte, vor solchem Schuß zu stehn. Das wär' von König Gunther in Wahrheit nimmer geschehn.

Brundhild, die schöne, bald auf die Füße sprang. „Edler Ritter Gunther, des Schußes habe Dank!" Sie wähnte noch, er hätt' es mit seiner Kraft gethan;

Nein, gefället hatte sie ein weit stärkerer Mann.

Da ttat sie hin geschwinde, zornig war ihr Mut; Den Stein hoch erhub sie, die edle Jungfrau gut; Sie schwang ihn mit Kräften weithin von der Hand, Dann sprang sie nach dem Wurfe, daß laut erklang ihr Gewand.

Der Stein war gefallen zwölf Klafter weit von dem Schwung; Die Jungfrau wohlgeschaffen erreicht' ihn doch im Sprung. Hin ging der schnelle Siegftied, wo der Stein nun lag; Gunther mußt' ihn wägen, des Wurfs der Verhohl'ne pflag.

Siegfried war verwogen, kräftig und lang; Den Stein warf er ferner, dazu er weiter sprang; Von seinen schönen Künsten empfing er Kraft genug, Daß er in dem Sprunge den König Gunther noch trug.

Zu ihrem Ingesinde laut sprach sie da, Als sie gesund den Helden an des Kreises Ende sah: „Ihr, meine Freund' und Mannen, tretet gleich heran, Ihr sollt dem König Gunther alle werden Unterthan." Da legten die Kühnen die Waffen von der Hand Und boten sich zu Füßen von Burgundenland

Gunther, dem reichen, so mancher kühne Mann; Sie wähnten all', er hätte das Spiel mit seiner Kraft gethan. Er grüßte sie gar minniglich: wohl war er tugendreich. Da nahm ihn bei der Rechten das Mägdlein ohnegleich;

Sie erlaubt' ihm, zu gebieten in ihrem ganzen Land; Des freuten sich alle die Degen, kühn und gewandt. Siegfried, der schnelle, weise war genug, Daß er die Tarnkappe zum Schiffe wieder trug;

Dann ging er zu dem Saale, wo manche graue saß Und er mit andren Degen alles Leides vergaß. „Nun wohl mir dieser Märe," sprach Siegfried der Degen, „Daß hier eure Hochfahrt also ist erlegen Und jemand lebt, der euer Meister möge sein. Nun sollt ihr, edle Jungfrau, uns hinnen folgen an den Rhein." Übersetzt von Simrock.

Gunther giebt nach seiner Vermählung mit Brunhild Siegfried seine Schwester Kriemhild znr Frau, bedarf aber der Hülse desselben gegen die in seiner Gemahlin sich regende dämonische Kraft noch einmal. Den in hem neuen Kampfe der Königin abgenommenen Gürtel und Ring schenkt Siegfried seiner Frau und veranlaßt dadurch einen heftigen Streit, der sich zwischen den beiden Königinnen nach zehn Jahre» erhebt. Die aufs heftigste erzürnte Brunhild beschließt mit Hagen Siegfrieds Tod, in den auch Gunther willigt. Falsche Boten bringen die Nachricht von einem beabsichtigten Angriffe Liudgers und Äudgasts: dem bekümmerten Gunther verspricht Sieg­ ftied seine Teilnahme mit Kampfe, in welchem er, wie Hagen hofft, seinen Tod finden soll.

Wie Siegfried verraten ward. Als man sie mit den Knechten sich sah zur Fahft anschicken,

Um Siegfried und die Seinen mit Listen zu bestricken, Befahl er auch die Rüstung den Helden aus Niederland Und sich wohl zu versehen mit Waffen und Gewand. Auch sprach der starke Siegftied zum Vater Siegemund:

„Ihr bleibet hier zu Lande, wir kommen bald gesund

Mit Gottes Hülfe wieder zurück an den Rhein, Ihr mögt hier unterdeffen beim König ftöhlich sein."

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Epische Poesie. Man rüstete die Fahnen, als ginge die Fahrt nun an, Und solche gab's zur Genüge in König Günthers Bann,

Die davon gar nichts wußten, warum dies sollte geschehn. Bei Siegfried war ein großes Heergefolge zu sehn. Als man nun Helm' und Panzer auf die Rosse band Und viele starke Ritter fort wollten aus dem Land,

Da mochte Hagen, zu Kriemhild zu gehen, nicht versäumen

Und Urlaub zu erbitten: sie wollten's Land jetzt räumen. „Wohl mir," sprach Kriemhilde, „daß ich den Held gewann, Der meine lieben Freunde so wohl beschützen kann,

So wie der starke Siegfried cs meinen Brüdem thut; Ich bin deshalb auch wahrlich von Herzen wohlgemut.

Nun bitt' ich euch, Freund Hagen, daß ihr daran gedenkt, Daß ich euch gerne diene und euch noch nie gekränkt, Das laßt zu gute kommen nun meinem lieben Mann Und laßt ihn nicht entgelten, was ich Brunhilden gethan."

Er sprach: „Ihr söhnet euch wohl noch aus in diesen Tagen;

Nun mögt ihr, liebe Fraue, mir jetzund offen sagen, Wie ich euch dienen könne an Siegfried, eurem Herrn;

Ich gönn' es niemand bester und thu' es herzlich gern." „Ich wär' ohn' alle Sorge," sprach das edle Weib, „Daß ihm jemand nähme im Kampfe seinen Leib, Wenn er nicht folgen wollte seinem Übermut; Sonst wäre der wackere Ritter in immer sichrer Hut."

„Besorgt ihr, edle Fraue," erwiderte ihr Hagen, „Daß man ihn verwunde, so mögt ihr mir nur sagen, Auf welche Weis' ich dieses mit Listen mag umgehn; Ich will, ihn zu beschützen, ihm immerdar zu Diensten stehn."

Sie sprach: „Wir beide, Hagen, sind Verwandte durch das Blut; Drum geb' ich meinen Lieben auf Treu' in deine Hut, Daß du mir behütest den lieben, holden Mann." Was sie bester hätte verschwiegen, vertrante sie nun ihm an. Sie sprach: „Mein Mann ist tapfer und dazu stark genug. Als er an dem Berge den Linddrachen erschlug, Da badete sich im Blute des Drachen der kühne Mann, Weshalb ihn keine Waffe im Kampf verwunden kann.

Jedennoch hab' ich Sorge, wenn er im Streite steht

Und von der Helden Händen so mancher Speerwurs geht, Daß ich da noch verliere meinen lieben Mann. Ach, was für Sorg' und Kummer kam mich um ihn schon an! Viel lieber Freund, ich melde es dir auf Gnade nun, Auf daß du deine Treue mir kund mögest thun; Drum trau' ich dir in Gnaden das Geheimnis an, Wo man meinen lieben Gatten doch verwunden kann.

Epos. Als auS des Drachen Wunden floß daS heiße Blut Und sich darinnen badete der Ritter kühn und gut, Da fiel ihm zwischen die Schultem ein Lindenblatt gar breit;

Hier ist er zu verwunden, deswegen trag' ich Sorg' und Leid." Da sprach von Tronje Hagen: „So näht auf sein Gewand

Ein kleines Merkzeichen; dadurch ist mir bekannt, Wo ich ihn schützen müsse, wenn wir im Kampfe stehn." •

Sie wähnt', ihn so zu sichern, doch war es nun um ihn geschehn. Sie sprach: „Mit feiner Seide näh' ich auf sein Gewand Ein fein verstecktes Kreuzchen, und deine Heldenhand

Soll ihn da wohl beschützen, wenn's ins Gedränge geht Und er im heißen Kampfe mit seinen Feinden steht." Zur Antwort gab ihr Hagen: „Das will ich gerne thun."

Und ob jie gleich nun hoffte, er wäre sicher nun, So war er doch verraten, der viel geliebte Mann. Hagen nahm nun Abschied und ging ftöhlich von dann. Am andem Morgen frühe ritt mit tausend Mannen Der Herre Siegfried frohen Mutes gleich von dannen Im Wahn, er sollte rächen seiner Freunde Leid. Hagen ritt ihm nahe und beschaute sich sein Kleid.

Als er das Kreuz gesehen und sich davongestohlen, Da schickt' er andre Boten, Siegfried zurückzuholen, Da friedlich bleiben solle König Gunthers Land, Und daß sie Lüdeger zum Könige habe gesandt.

Wie ungern ritt da Siegfried zurücke von dem Streit, Eh' er gerochen hatte seiner Freunde Leid. Kaum konnten sie ihn halten, die aus Gunthers Bann; Nun ritt er zu dem König, der ihm zu danken begann: „Nun lohn' euch Gott für euren freundschaftlichen Willen; Daß ihr meine Bitte so willig wolltet erfüllen, Das will ich euch vergelten nach Recht und Billigkeit;

Vor allen meinen Freunden vertrau' ich euch noch weit. Da wir vom Kriegeszuge konnten uns befrein, So wollen wir, zu jagen Bären und wilde Schwein', In die Vogesen reiten, wie ich schon oft gethan."

Das hatte Hagen geraten, der ungetreue Mann. „Ich denke früh zu reiten, das soll man allen sagen

Unter meinen Gästen; die mit mir wollen jagen,

Die sollen sich fertig halten; und wer zurücke bleibt, Der sorge, daß er höflich den Frauen die Zeit vertreibt."

Da sprach der starke Siegfried in seiner Gefälligkeit: „Wollt ihr zu jagen reiten, so bin ich auch bereit;

Doch bitt' ich, mir zu leihen einen Treibermann Nebst mehren Bracken, so reit' ich in den Wald sodann." Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutschen Litteratur.

4. Aufl.

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Epische Poesie. „Wollt ihr nur einen?" fragte der König alsobald; „Ich leih' euch gerne viere, denen Steg' und Wald, Wo die Thiere stecken, am besten sind bekannt, Daß ihr nicht zur Herberge reiten müßt mit leerer Hand."

Jetzt ritt zu seinem Weibe der unverzagte Mann. Indes vertraute Hagen dem König heimlich an, Wie er besiegen wollte den teuern, wackern Degen.

Solch großer Untreue sollte niemand wieder pflegen. Überseht von Beta.

Wie Siegfried erschlagen ward.

Gunther und Hagen, die Recken Wohlgestalt, Versprachen mit Untreuen ein Pirschen in den Wald. Mit ihren scharfen Spießen wollten sie Bär und Schwein

Und Buckelochsen jagen; was konnte kühner sein? Sie hießen Herberg' nehmen hinter dem Walde grün Wider des Wildes Ablauf, die Jäger stolz und kühn, Auf einem breiten Anger; allda wollten sie jagen. Auch Siegfried war gekommen; das eilten sie, Gunthem zu sagen.

Von den Jagdgesellen wurde da umstellt Der Wald an allen Enden. Da sprach der kühne Held, Siegfried, der starke Degen: „Wer führt uns auf den Wegen Im Walde nach dem Wilde, ihr kühnen, schnellen Degen?" „Wollen wir uns teilen," sagte darauf Hagen, „Eh' daß wir beginnen hie im Walde zu jagen?

So wird es sich uns zeigen, mir und den Herren mein, Wer die besten Jäger bei dieser Waldreise sei'n. Wir wollen uns in die Leute und in die Hunde teilen, Dann mag, wohin's gelüstet, dahin ein jeder eilen.

Wer dann am besten jaget, der erntet Preis und Dank." Die Jäger bei einander weilten nicht mehr lang.

Da sprach der Degen Siegfried: „Der Hunde habe ich Rat. Ich will nur einen Bracken, der so genoffen hat, Daß er im Walde die Fährte der Thiere zeigen kann.

Wir kommen wohl zum Jagen!" sagte Kriemhildens Mann. Da nahm ein alter Jäger einen Spürhund Und brachte den edlen Herren dahin in kurzer Stund',

Wo sie viel Wildes fanden. Was sich da mochte regen, Das jagten die Gesellen, wie noch gute Jäger pflegen.

Es geschah, daß der Bracke einen großen Eber fand; Als der begann zu fliehe», da kam er unverwandt,

Der edle Jägermeister, und warf sich ihm entgegen: Es lief das Schwein im Zorne wider den kühnen Degen. Da schlug ihn mit dem Schwerte Kriemhildens Mann: Kein andrer Jgger ginge so leicht wie er daran.

Epos. Nachdem er ihn gefallet, fing man den Spürhund: Da ward sein reiches Jagen allen Burgunden kund.

Sie hörten allenthalben Lärmen und Getos; Don Leuten und von Hunden ward der Schall so groß, Daß ihnen Antwort gaben der Berg und auch der Wald; Viemndzwanzig Koppeln hatten die Jäger losgeschnallt. Es mußten viele Tiere taffen dort das Leben.

Da meinten die Burgunden, man würde ihnen geben

Den Preis bei diesem Jagen: das konnte nicht geschehn, Als man den starken Siegfried bei der Feuerstatt gesehn.

Die Jagd war nun vorüber, doch noch nicht ganz und gar.

Die zur Feuerstatt wollten, die brachten mit sich dar Diel mancher Tiere Häute und des Wildes auch genug. Hei, was man zu der Küchel vor das Gefinde trug! Da hieß der König künden den guten Jägern sein,

Daß er zum Imbiß wollte: man stieß ins Hom hinein Einmal; an diesem Zeichen ward jedermann bekannt, Daß man den edlen Fürsten bei der Herberge fand.

Da sprach der Degm Siegfried: „Nun räumen wir den Tann!" Sein Roß trug ihn gemächlich; sie eilten ihm nach fortan.

Mit ihrem Schalle scheuchten sie ein Tier gar fürchterlich, Einen wilden Bären; da sprach der Degen hinter sich:

„Ich will uns Jagdgesellen eine Lust gewähren. Ihr sollt den Bracken lösen, ich sehe einen Bären; Der soll mit uns von hinnen zu den Herbergen fahren. Flieht er nicht gar behende, kann er sich nicht bewahren."

Der Bracke ward gelöset, der Bär lief zu entweichen, Der Mann Kriemhildens dachte, ihn reitend zu erreichen. Er kam in ein Gestrüppe, da konnte es nicht geschehn; Das starke Tier, das wähnte, dem Jäger zu entgehn.

Da sprang von seinem Rosse der Ritter auserkoren Und begann ihm nachzulaufen. Das Tier war nun verloren, Es konnte ihm nicht entrinnen: er fing es unverwandt;

Ohne alle Wunden der Held es eilig band. Weder kratzen, noch beißen konnte es den Mann;

Er band es zu dem Sattel.

Auf saß der Schnelle dann;

Er brachte es an die Feuerstatt durch seinen hohen Mut Um eines Scherzes willen, der Degen kühn und gut.

Als er vom Roß gesprungen, nahm er von Fuß und Munde

Dem Bären ab die Bande. Da erhuben bald die Hunde Ein überlautes Bellen, als sie den Bären erkannt. Das Tier wollte zu Walde, woraus groß Ungemach entstand.

Als von dem Lärm zur Küche der starke Bär geriet, Hei, was er Küchenknechte da von dem Feuer schied!

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Epische Poesie. Manch ein Kessel ward gestoßen, zerrissen manch ein Brand. Hei, was man guter Speise in der Asche liegen, fand!

Da sprangen von den Sesseln die Herm und ihre Mannen.

Der Bär begann zu zümen: der König hieß von dannen Alle Hunde lassen, was noch an Seilen lag; Und nähm's ein gutes Ende: sie hätten fröhlichen Tag. Sie ließen es nicht länger: mit Bogen und mit Speeren Folgten die schnellen Degen, wo er lief, dem Bären; Doch niemand schoß, von Hunden war es dort zu voll.

So laut war das Getöse, daß Berg und Thal erscholl. Als vor den Hunden eilig der Bär zu fliehn begann, Konnte ihm niemand folgen als nur Kriemhildens Mann,

Der ihn mit dem Schwerte ereilte und erschlug, Worauf man zu dem Feuer wieder den Bären trug.

Da sprachen, die das sahen, er wäre ein starker Mann. Man rief die Jagdgesellen zu Tische nun heran. Auf einem schönen Anger saßen ihrer da genug; Hei, was man Ritterspeise den stolzen Jägern trug!

Da sprach der edle Siegfried: „Mich wundert es mit Fug; Bringt man uns aus der Küche so mancherlei genug, Was bringen uns die Schenken dazu nicht auch noch Wein? Pflegt man nicht baß der Jäger, will ich nicht Jagdgeselle sein." Da sprach Hagen von Tronje: „Ihr edlen Ritter schnell, Ich weiß hier in der Nähe einen kühlen Quell: Daß ihr nicht zümen möget, dahin lastet uus gehn." Der Rat war manchem Degen zu großen Sorgen geschehn.

Als sie von dannen wollten zu einer Linde breit, Da sprach Hagen von Tronje: „Ich hörte allezeit, Dem Manne Kriemhildens, versuche er sich im Rennen,

Könne niemand folgen; ließe er uns das erkennen!" Da sprach von Niederlanden der Degen kühn und schnell: „Das möget ihr wohl versuchen, wollet ihr zu dem Quell

Mit mir die Wette laufen. Wenn solches nun geschehn, Soll man dem, den gewinnen man sah, den Preis zugestehn." „So laßt es uns versuchen!" sagte Hagen der Degey.

Da sprach der starke Siegfried: „So will ich mich legen

Vor eure Füße nieder in das Gras." Als er solches hötte, wie lieb war Günthern das! Da sprach der kühne Degen: „Ich will euch mehr noch sagen:

All mein Jagdgeräte will ich mit mir tragen, Den Spieß zusamt dem Schilde und auch mein Pirschgewand." Worauf er schnell den Köcher zum Schwerte um sich band.

Drauf zogen sie die Kleider von dem Leibe da:

In zwei weißen Hemden man beide stehen sah.

Epos. Gleich zween wilden Pardeln liefen sie durch den Klee, Doch sah man bei dem Brunnen den kühnen Siegfried eh'.

Er trug in allen Dingen den Preis vor manchem Mann. Er legte schnell bei Seite das Schwert, den Köcher dann Und lehnte seinen starken Spieß an der Linde Ast:

Bei der rieselnden Quelle stand der herrliche Gast.

Siegsriedens Tugenden, die leuchteten wohl hell. Er legte auch zur Erde den Schild noch bei dem Quell. Wie sehr der Durst ihn brannte, entsagte er doch dem Trank,

Bevor der König getrunken.

Ihm ward ein böser Dank!

Der Bmnnen, der war kühle, war rein und gut und hell; Es neigte König Gunther sich nieder zu dem Quell. Als er getmnken hatte, wandte er sich zu gehn.

Dasselbe wäre auch gerne vom kühnen Siegfried geschehn.

Er büßte seine Tugend. Es eilte alles Hagen, Sein Schwert und seinen Bogen, von ihm weMtragen, Und sprang alsbald zurücke, wo er den Jagdspieß fand. Er sah nach einem Zeichen an des kühnen Helden Gewand.

Als der edle Siegfried aus dem Bmnnen trank, Schoß er ihn durch das Kreuze, und aus der Wunde sprang Das Blut aus seinem Herzen mit Macht auf HagenS Kleid.

Nein, solche Schandthat übet kein Held zu dieser Zeit!

Da sprang er wild und rasend von dem Born empor: Eine Speerstange ragte ihm zwischen den Schultem vor. Der Fürst wähnte zu finden Bogen oder Schwert;

So würde nach seinem Dienste Hagen der Lohn gewährt. Als der zum Tode Wunde nicht Schwert und Bogen fand, Da hatte er nichts weiter als seinen Schildesrand. Er riß ihn von dem Brunnen empor, lief Hagen an: Da konnte ihm nicht entrinnen König Gunthers Mann.

Wie wund er war zum Tode, so kräftig schlug er drein, Daß von seinem Schilde viel edeles Gestein

Zur Erde niederflirrte; der Schild war ganz zerbrochen. Der herrliche Fremdling hätte sich gern gerochen. Von seiner Hand war Hagen zum Boden hingefallen, Von den starken Schlägen hörte das Thal man hallen: Hätte er sein Schwert in Händen, so war es Hagens Tod; Groß war des Wunden Zümen, ihn zwang die herbe Not.

Erblichen war sein Antlitz, er konnte nicht mehr stehn, Seines Leibes Stärke mußte ganz zergehn, Weil er des Todes Zeichen in bleicher Farbe tmg. Es haben schöne Frauen ihn noch beweinet genug. Da fiel in die Blumen Kriemhildens Mann, Man sah, wie aus der Wunde das Blut mit Macht ihm rann.

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Epische Poesie. Da begann er zu schelten (wohl zwang ihn große Not) Auf die, welche treulos geraten zu seinem Tod. Da sprach der Todwunde: „Weh ihr bösen Zagen! Was helfen meine Dienste, nachdem ihr mich erschlagen? Ich war euch treu, für Treue habe ich den Lohn empfangen:

Weh euch! Ihr habet Frevel an euren Freunden begangen."

Die Ritter liefen alle, wo er erschlagen lag; Es hatten ihrer viele einen freudenlosen Tag.

Die irgend Treue kannten, die klagten seinetwegen; Wohl hatte es um alle verdient der herrliche Degen. • Der König von Burgunden beklagte auch seinen Tod;

Da sprach der Todwunde: „Das ist ohne Not, Daß der um Schaden weinet, der selber ihn betrieben, Den mag man hart wohl schelten; besser, es wäre geblieben." Da sprach der grimme Hagen: „Ich weiß nicht, was ihr klagt; Nun hat es all ein Ende, was je uns mißbehagt. Nun giebt es ihrer wenige, die zu bestehn uns wagen.

Wohl mir, daß ich des Helden uns habe jetzt entschlagen." „Ihr habet leicht euch rühmen!" sprach Siegfried der Degen: „Hätte ich gewußt, ihr könntet der Mördersitte pflegen,

Ich hätte wohl bewahret vor euch meinen Leib. Nichts giebtts, was mehr mich grämet als wie Kriemhild, mein Weib.

Nun müsie es Gott erbarmen, daß ich gewann den Sohn;

Der wird hören müßen die Schmach, den bittern Hohn, Daß feine Sippen jemand mörderlich erschlagen. Hätt' ich Zeit und Weile, darum sollte ich wohl klagen." Da sprach in seinem Jammer der todwunde Held: „Wollt ihr, edler König, an jemand auf der Welt Noch eure Treue zeigen, laßt euch befohlen sein Auf eure Huld und Gnade die liebe Huldin mein. Lastet sie des genießen, daß sie eure Schwester sei,

Durch aller Fürsten Tugenden steht ihr mit Treue bei. Mein Bater, meine Mannen, die harren lange mein; Es that noch niemand übler am lieben Freunde sein."

Es waren allenthalben die Blumen vom Blute naß. Da rang er mit dem Tode, nicht lange that er das,

Denn des Todes Waffen schnitt immer allzusehr: So mußte auch ersterben dieser Recke kühn und hehr. Als die Herren sahen, daß der Held war tot, Legten sie ihn auf einen Schild, der war von Golde rot,

Und pflegten dann des Rates, wie es möchte gehn, Daß man verhehlte, daß es durch Hagen geschehn. Da sprachen ihrer viele: „Wir sind mit Not geschlagen! Ihr sollet es alle hehlen und sollet alle sagen:

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Epos.

Als er jagen ritt alleine, Kriemhildens Mann, Erschlugen ihn. die Schächer, wie er fuhr durch den Tann." Da sprach Hagen von Tronje: „Ich bringe ihn in das Land.

Mich soll es wenig grämen, so es ihr wird bekannt, Ihr, die so schwer betrübet Brunhildens Herz. Ich achte es geringe, wie sie nun weint vor Schmerz."

Da harrten sie der Nachtzeit und fuhren übern Rhein. Von Helden konnte nimmer schlimmer gejaget sein. Das Wild, das sie erschlagen, beklagte manch ein Weib; Sein mußte noch entgelten manch gutes Recken Leib. Übersetzt von Marbach.

Nach der Bestattung des Helden zieht sein Vater in die Heimat zurück, Kriemhild dagegen verbleibt in Worms, ganz ihrem Schmerze hingegeben, versöhnt sich nach vierthalb Jahren mit Gunther, nicht aber mit Hagen und läßt, vom Könige dazu beredet, den Nibelungenhort nach Worms kommen. Dieser wird auf Hagens Rat in den Rhein versenkt und Kriemhildens Herz dadurch mit Zorn erfüllt. Um ihre Rache zu bestiedigen, vermählt sie sich nach dreizehn Jahren mit dem Könige Etzel vom Heunenlande, wird aber, selbst nachdem sie einen Sohn geboren, in der Fremde nicht heimisch. Auf ihre und Etzels dringende Einladung ziehen die Burgunder, jetzt Nibelungen genannt, nach abermals dreizehn Jahren trotz der Warnungen Hagens nach Ofen. Der Troß des Zuges wird in einer Herberge untergebracht; die übrigen begeben sich in Etzels Palast. Der Aufforderung Kriemhildens, die Waffen ihr zur Verwahrung anzuverttauen, entsprechen die Helden nicht; Hagen und Volker, die kühnsten unter ihnen, halten vielmehr Wache. Durch Hagen wird die Königin auf das entsetzlichste gereizt: offen trägt er Siegfrieds Schwert, gesteht seine Frevelthat, tötet ihren Sohn. Sie wird zur Furie. Der Kampf beginnt. Ihre Rache erstreckt sich anfangs nur auf Hagen; aber der Kampf wird allmählich allgemeiner. Dietrich von Bern nimmt endlich Hagen und Gunther gefangen und führt sie gefesselt vor Kriemhild.

Wie Gunther und Hagen und Kriemhild erschlagen wurden.

Da nahm der Herre Dietrich selbst sein Streitgewand; Ihm half, daß er sich waffnete, der alte Hildebrand. Da klagte also schmerzlich der kräftige Mann,

Daß das Haus zu schüttern von seiner Stimme begann. Da gewann er wieder balde rechten Heldenmut. Im Grimme ward gewaffnet nun der Degen gut;

Den Schild, den gar festen, nahm er in die Hand. Sie gingen bald von dannen, er und Meister Hildebrand. Da sprach von Tronje Hagen: „Sieh', dorten kömmt heran Dieterich, der Herre; der greift uns sicher an Ob des starken Leides, das ihm hier geschehn.

Man soll das heute schauen, wem man den Preis mag zugestehn." Die Rede hörte Dietrich und auch Hildebrand; Er kam, wo er die Gäste beide stehend fand

Vor dem Haus, gelehnet an des Saales Wand.

Herr Dietrich setzte nieder seinen guten Schildesrand. In leidvollen Sorgen ries Dietrich ihm entgegen:

„Wie habt ihr so gehandelt, Gunther, edler Degen, Wider mich Landverwies'nen? Was hab' ich euch gethan?

Beraubt all meines Trostes, bin ich ein ganz verlassener Mann.

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Epische Poesie. Euch dünkt' es nicht genugsam an der großen Not, Da ihr uns Rüdigeren, den Helden, schlugt zu Tod;

Nun habt ihr meine Mannen alle mir benommen. Von mir wär' euch Helden solches Leid nie gekommen." „Wohl sind wir nicht so schuldig," sprach Hagen ihm entgegen;

„'Denn zu diesem Hause kamen eure Degen, Gewaffnet wohl mit Fleiße, in breitem Kriegeszug. Man sagt' euch, will mich dünken, die Mären wohl nicht treu genug." Da sprach der Held von Berne: „Es mußte wohl so sein. Gunther, hehrer König, bei der edlen Sitte dein, Vergüte mir die Leiden, die du mir angethan, Und sühn' es, kühner Ritter, auf daß ich dir's erlassen kann.

Ergieb dich mir als Geisel, du und dein Lehensmann: So will ich dich behüten, wie ich aufs beste kann, Daß hier bei dm Hennen dir niemand etwas thut;

Du sollst an mir nichts finden, als was getreulich und gut."

„Nicht woll' es Gott vom Himmel," sprach Hagen ihm entgegen, „Daß sich dir ergeben zwei so gute Degen, Die wehrhaft noch bewaffnet dir gegenüberstehn Und noch vor ihrm Feindm also frei und ledig gehn."

„Laßt hören, Recke Hagen," hub Dietrich wieder an. „Was ihr zwei kühne Degen für Reden habt gethan,

Da ihr zu euch gewaffnet mich kommen gesehn. Ihr sagtet, ihr alleine wolltet mich mit Streit bestehn."

„Auch leugnet das euch niemand," sprach Hagen, der Degen, „Daß ich's versuchen wolle allhie mit starken Schlägen; ES sei denn, mir zerbreche Nibelungens Schwert. Mir ist Zorn, daß man uns beide allhie zu Geiseln begehrt." Da Dieterich gehöret Hagens grimmen Mut, Dm Schild gar eilig zückte der schnelle Degen gut. Wie bald ihm von der Stiege entgegen Hagen sprang! Niblungms Schwert, das gute, gar laut auf Dietrichs Helm erklang.

Da merkte wohl Herr Dietrich, daß der kühne Mann Gar grimmen Mutes wäre; zu schirmen da begann Sich der Herr von Berne vor schrecklichen Schlägen. Gar wohl tonnt’ er Hagen, den gewaltigen Degen.

Auch fürchtet' er dm Balmung, eine Waffe stark genug. Unterweilen Dietrich mit Kunst entgegenschlug, Bis daß er endlich Hagen im Streite doch bezwang.

Er schlug ihm eine Wunde, die war tief wohl und lang.

Dietrich band da Hagenen und bracht' ihn, wo er fand Kriemhild, die edle Fürstin, und gab ihr in die Hand Den tapfersten Recken, der ein Schwert je trug. Nach ihrem harten Leide, da ward sie ftöhlich genug.

Epos. „Ihr sollt ihn leben lasten," so sprach Herr Dieterich, „Edle Königsftaue. Gewiß, es füget sich, Daß er euch noch vergütet, was euch von ihm geschehn.

Er soll des nicht entgelten, daß ihr ihn seht gebunden stehn." Hinführen ließ sie Hagenen, wo man ihn übel pflag, Wo ihn niemand schaute und er verschloffen lag. Gunther, der edle König, zu rufen er begann: „Wohin kam der Held von Berne? Der hat mir Leides gethan."

Entgegen ging ihm Dietrich, der Degen heldenhaft. Da war auch preisenswürdig König Gunthers Kraft.

Er harrte nun nicht länger; er stürzte vor das Haus: Da hub sich von den beiden gewaltig ein Schwertersaus. Wie sehr man Dietrichs Stärke seit lange mochte loben,

Da war der grimme Gunther in solchem Zornestoben Und war nach hartem Leide ihm so feindlich gram, Man nannt' es wohl ein Wunder, daß Dietrich lebend noch entkam.

Kraft und Stärke waren gar groß den beiden Degen;

Palast und Thürme schüttelten »oq ihren jähen Schlägen, Da ihre Schwerter hieben auf die Helme gut. Es hatte König Gunther einen herrlichen Mut.

Bald zwang ihn der von Beme, wie es Hagen erst geschah. DaS Blut man durch den Panzer des Helden fließen sah Bon einem starken Schwerte, das trug Herr Dieterich. Doch hatte Gunther sich gewehrt in seiner Müde tugendlich. Der Herr ward in Bande von Dieterich geschlagen, Ob Könige auch nie sollten solche Band' ertragen. Er dachte, ließ er Günthern und seinen Dienstmann frei, Daß es allen, die sie fänden, zu Tod und Verderben sei. Dieterich von Berne, der nahm ihn bei der Hand; Hin führt' er ihn gebunden, wo er Knemhilden fand. Sie sprach: „Willkommen, Gunther, du Held aus Burgund!" „Nun lohn' euch Gott, Kriemhilde, thut ihr mir das in Treue kund."

„Viel edle Königsftaue," sprach da der Held von Bern, Es wurden nie zu Geiseln so ritterliche Herrn, Als ich euch, hehre graue, gab an diesen Degen. Nun mögt ihr diesen Fremden milde sein um meinetwegen."

Sie ließ sie gesondert liegen, daß ihnen Leid's geschah, Und von nun an keiner den andern wiedersah,

Bis sie das Haupt des Bruders hin vor Hagen trug. Der Rache Kriemhildens ward an den beiden genug. Da ging die edle Kriemhild alsbald zu Hagen hin. Wie feindlich zu dem Recken sprach da die Königin:

„Wollt ihr mir wiedergeben, was ihr mir habt genommen, So mögt ihr wohl noch lebend heim zu den Burgunden kommen."

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186

Epische Poesie. Da sprach der grimme Hagen: „Die Bitt' ist ganz verloren, Viel edle Königsfraue. Traun, ich hab's geschworen,

Daß ich den Hort nicht zeige, derweilen noch am Leben

Einer meiner Herren; so wird er niemand gegeben."

Da sprach Kriemhild: „So will ich dem Ding ein Ende geben." Da hieß sie ihrem Bruder nehmen Leib und Leben.

Man schlug sein Haupt hemnter; bei den Haaren sie es trug Vor den Held von Tronje: da ward ihm Leides genug. Als seines Herren Haupt ersah der unmutvolle Mann, Zu Frau Kriemhilden hub der Ritter an: „Du hast's nach deinem Willen zum Ende nun gebracht;

'Und ist auch ganz ergangen, wie ich mir hatte gedacht. Nun ist von Burgunden der edle König tot, Giselher der junge und auch Gerenot. Den Schatz, den weiß nun keiner als ich und Gott allein;

Er soll dir bösem Unhold immer ganz verhohlen sein." Sie sprach: „So habt ihr übel Vergeltung mir gewährt.

Nun will ich doch behalten Siegfrieds gutes Schwert; Das trug mein holder Liebster, da ich zuletzt ihn sah, An welchem mir ein Herzleid vor allem Leide geschah." Das zog sie aus der Scheide; was konnt' ihr widerstreben? Dir dachte sie zu rauben des starken Ritters Leben;

Sie hub's zu einem Hiebe, der sein Haupt herunterschlug. Das sah der König Etzel; da ward ihm Leides genug.

„O Jammer!" sprach der Fürste; „wie ist zu Tod erlegen Von eines Weibes Händen der allerbeste Degen, Der je kam zum Streite und einen Schild je trug! Wie feind ich war dem Recken, es ist mir wahrlich leid genug." Da sprach der alte Hildebrand: „Traun, sie genießt es nicht, Daß sie ihn zu schlagen wagte. Was mir halt geschicht,.

Ob er mich selbst auch brachte in angstvolle Not, Jedoch so will ich rächen nun des kühnen Tronjers Tod." Hildebrand, der alte, zu Kriemhilden sprang;

Er schlug der Königsftauen einen Schwertesschwang. Wohl ward ihr angst und wehe vor Hildebrandens Groll; Was möcht' es ihr da helfen, daß sie schrie so schreckenvoll? Da waren rings am Boden die Sterbenden zu schaun; Da lag die edle Fürstin, in Stücke schier zerhaun.

Dieterich und Etzel, zu weinen sie begannen; Sie klagten da von Herzen um ihre Sippen und Mannen. Ta war die höchste Ehre gesunken in den Tod; ES hatten dort die Leute Jammer all' und Not.

Mit Leide war beendet des Königs Festlichkeit, Wie stets am allerletzten vergilt die Liebe mit Leid.

Epos.

187

Ich kann euch nicht bescheiden, was weiter da geschah; Nur daß man Frau'n und Ritter dorten weinen sah, Dazu die edlen Knechte, um lieber Freunde Tod. Hier hat die Mär' ein Ende.

Das ist der Nibelungen Not. Übersetzt von BraunfelS.

7.

Aus dem Gudrunliede.

Um die Hand der schönen Gudrun, der Tochter des Hegelingenkönigs Hetel und seiner Ge­ mahlin Hilde, bewerben sich Siegfried von Morlande und Hartmut, Ludwigs, des Normannen­ königs, und Gerlindens Sohn, vergeblich, während Herwig, der König von Seeland, nach einem siegreichen Zweikampfe mit Hetel ihr verlobt wird.

Wie Herwig Gudrun im Kampfe errang. Dem Seelandskönig Herwig, dem war so liebeweh Wie dem Recken Hartmut nach Gudruns holder Minne; Mit seinen Mannen strebt' er, daß er die schöne Maid gewinne.

Hetel hieß ihn lasten das Werben um die Maid; Da sandle Herwig zürnend dem König den Bescheid, Er werde nimmer weichen, mit Schwertern und mit Schilden Werd' er gerüstet kommen zu Schaden ihm und auch Frau Hilden.

Herr Hetel und die Seinen säumten allzulang, Bis der König Herwig heran zum Streite drang. Einst in der Morgenfrühe erschienen schlimme Gäste Vor Hetels Burg; darunter Herr Herwig war der allerbeste.

Noch schlummerten die Recken in König Hetels Saal, Da riefen laut die Wächter von der Burg zu Thal: „Wacht auf, wacht auf, ihr Helden! das Schwert zur Hand genommen! Ich sehe Helme glänzen! ES sind uns schlimme Gäste kommen."

ES griffen zu den Waffen hundert oder mehr; Gern sckwang Herr Hetel selber im Kampfe die scharfe Wehr, Doch konnt' er seiner kühnen Leute nicht entraten. Sie zürnten, daß Herr Herwig dem König that so großen Schaden. Aus manchem Helme sprühten Funken hell im Wind Unter Herwigs Streichen. Das sah das Königskind, Gudrun, die schöne, holde, zu ihrer Augenweide. Daß der Held so wacker, das war ihr beides, lieb und leide.

Bor ihren Mannen liefen die Könige sich an In heißem Rittermute. Wie da zu sprühn begann Glut von den festen Spangen, die ihre Hände trugen! Bald wurden sie nun inne, wie sie sich rote Wunden schlugen.

Gudrun, die Jungfrau, sah es und hörte wohl den Schall. Das Glück ist wankelmütig und dreht sich wie ein Ball. Gern hätte sie die Kämpfer alsobald geschieden; Dem Vater und dem Fremden, sie gönnte beiden Heil und Frieden.

188

Epische Poesie.

Sie rief mit lauter Stimme durch den Königssaal:

„Mein Herr und Vater Hetel, rot springt des Blutes Strahl

Aus Panzerhemden, purpurn gefärbt sind alle Wände. O weh des bösen Nachbarn! Gott wehre von uns seine Hände! Um meinetwillen lasset ab vom schweren Streit! Den Herzen und den ©liebem vergönfft zu rasten Zeit,

Bis mir Herr Herwig Antwort giebt auf meine Frage, Ob er aus edlem Stamme, der eine Fürstenkrone trage?" Da sprach der edle Ritter: ,Zhr könnt nicht Fried' empfahn,

Bis ich mich ungewaffnet euch darf, o Jungfrau, nahn. Dann will ich herzlich gerne von meinem Stamme sagen. Wird Frieden mir zu teile, so Mögt ihr mich nach allem fragen."

So ward Gudmn zu Liebe geschiedm nun der Streit, Die müden Kämpfer warfen den Harnisch ab erfreut.

Sie trockneten die Stirne und wuschen ihre Wunden; Das war gar schön zu schauen, wie auftecht noch die Helden stunden. Mit hundert seiner Mannen trat Herwig vor Gudrun, Die mit dem eignen Herzen fast in Zwiespalt nun. Sie empfing ihn fteundlich mit mehren ihrer Frauen; Doch möcht' der edle Degen dem Frieden noch nicht völlig trauen.

Herr Herwig sprach zur Jungftau: „Es ward mir angesagt, Und meine Mühe hätt' ich fast darum beklagt, Ich sei von euch verschmähet niedern Stammes wegen;

Doch hat um Königsfrauen geworben mancher arme Degen."

Sie sprach: „Wo wär' die Jungftau, die solchem Helden wert Mit Haß vergelten könnte, der minnend sie begehrt? Nein, glaubet mir, sprach Gudmn, ich werd' euch nicht verschmähen; Ich. bin euch hold, wie keine Jungftau ihr hold euch je gesehen.

Ja, wollten es erlauben die Verwandten mein, Wie gern würd' ich euch folgen und immer bei euch sein!" Er sah ihr in die Augen mit frohem Liebeshoffen; Sie trag ihn in dem Herzen und sprach's vor allen frei und offen. Wie's ihm die Helden rieten, die ihm treu gesinnt, Frug nun König Hetel Frau Hildens holdes Kind,

Ob sie den edlen Herwig zum Gemahl begehre. Da sprach die Maid, daß niemals ihr ein viel liebrer Freier wäre. Da ward die Braut des Recken Gudrun, die schöne Maid, Die mit ihm trug die Krone. Wohl ward ihm manches Leid Bei mancher Liebeswonne. Daß sie ihm ward gegeben,

Das büßten gute Helden im Kampfe bald-mit Leib und Leben. Übersetzt von Köhler.

Bald darauf wird während Herwigs Abwesenheit Seeland von Siegfried angegriffen. Herwig eilt, sein Land zu schützen, und Hetel zieht ihm mit einem Heere zu Hülfe. Der Klneg zieht sich in die Länge. Inzwischen Überfalles Ludwig und Hartmut Hetels Burg und führen Gudrun mit zweiundsechzig Mädchen nebst vielem Golde und Edelgestein nach ihrer Burg Kassian fort. Der von König Ludwig beabsichtigten Zerstörung der Burg wehrt Hartmut. Hetel, von diesem Raube

Epos.

189

benachrichtigt, verfolgt auf Schiffen, die fein starker Vasall Wate Pilgern abgenommen hat, die Normannen und holt sie auf dem Wülpensande ein.

Von der Schlacht auf dem Wülpensand. Es war ein breiter Werder, der hieß der Wülpensand,

Da lagerten die Helden aus Normannenland; Sie waren mit den Rosien süßer Rast beflissen.

Mit bitterm Schaden wurden sie -bald aus ihrer Ruh' geriffelt. Man führte die Gefangnen aus Hegelingenland, Gudrun und die Gespielen, auf den öden Strand; Dort standen nun in Trauer all' die edlen Frauen Und ließen ihre Thränen den dürren Ufersand betauen. Ein Schiffsmann sah da plötzlich auf den Wellen nahn

Ein Schiff mit reichen Segeln; dem König sagt' er's an.

Der König kam und schaute und mit ihm all' die Seinen; Sie sprächen: „Es sind Pilger; man sieht das Kreuz im Segel scheinen."

Die Schiffe kamen näher, daß man die Helme sah Im Sonnenscheine glänzen; das Heer erhob sich da. Vorbei war nun das Rasten, das konnte nicht mehr frommen. Auf, auf, Herr König Hartmut! Zum Kampf die grimmen Feinde kommen!

Hartmut und Ludwig nahmen die Schilde in die Hand; Sie wären wohl viel sanfter gekommen in iht Land, Hätten sie zu lange der Ruhe nicht gepflogen, Weil sie in ihrem Hochmut sich über ihres Feindes Macht bettogen. Wie flogen da die Speere! Bis sie das Land gewannen.

Es bauerte gar lang, Der alte Wate sprang

Gewalttg in die Feinde, seinen Zorn zu Men; Sie mochten wohl erraten des edlen Kämpen guten Willen. Herrn Ludwig schlug da Wate durch den Helm den Stahl, Daß auf seinem Haupte er erklang zumal,

Und hätt' er nicht 'ne Haube von Abaliner Seiden Gettagen unterm Helme, hätt' müssen er den Tod erleiden.

Ludwig vor dem Feinde wich zurück in Hast; Er mochte kaum sich retten. Das war ein schlimmer Gast, Herr Wate, wenn er wollte Schlachtensieg erwerben;

Man sah von seinen Händen da manchen wackern Helden sterben. Hartmut jetzt auf Jrolt und bet auf Hartmut sprang,

Daß unter ihren Stteichen beider Helm erklang,

So daß man's hören mochte weithin durch die Scharen. Jrolt und Hartmut beide gar unverzagte Recken waren. .Der Seelandskönig Herwig, der Held berühmt und gut,

Erreichte nicht das Ufer; da sprang er in die Flut; Bis an die Schultern mußte er tief im Wasser stehen. Wie hart oft Frauendienst ist, das konnte da Herr Herwig sehen. Es mochten ihn die Feinde «tränten gern im Meer, Den königlichen Helden; mancher starke Speer

190

Epische Poesie. Zerbrach an seinem Schilde; hinauf znm Nfergrunde Drang er dem Feind entgegen; da büßte mancher mit des Todes Wunde. Als sie erreicht das Ufer, sah man die Meeresflut Zn lichtem Purpur färben der Recken edles Blut; Rot flössen allenthalben am Strande da die Wogen,

So weit als reichen mochte ein Pfeil, geschnellt von einem Bogen. Größer Mühsal wurde Helden nimmer kund. Von der Flut verschlungen ward mancher todeswund,

Doch waren es auch viele, die ohne Wunden starben In den salz'gen Wellen; auch viele von den Feinden wohl verdarben.

Stets tiefer sank der Abend. Da mehrte sich die Rot, Und mehr der Hegelingen sanken in den Tod. Des alten Ludwig Mannen konnten nicht entrinnen;

Sie schlugen viele Wunden zum Schutz der schönsten aller Königinnen.

Hetel und Ludwig schwangen hoch in der Hand das Schwert: Da konnte jeder messen im Kampf des andern Wert. Lang blieb es unentschieden, wer der stärk're wäre; Darauf schlug Ludwig Hetel; das war eine schlimme Märe.

Als der grimme Wate erfuhr des Königs Tod, Auf brüllt' er wie ein Eber; da sah man Abendrot Leuchten auf den Helmen von der Schwerter Streichen.

Da mußte mancher Mutter Sohn noch von des Helden Grimm erbleichen. Da rief der König Herwig: „Es wird der Kampf zum Mord, Seit das Licht des Tages ist gegangen fort!

Wir töten unsre Feinde samt dem Freund daneben; Währt das bis zum Morgen, so wird der dritte nicht mehr leben." Ungern die grimmen Kämpfer ließen ab vom Streit, Obwohl ihre Hände müd' schon lange Zeit; Doch blieben ihre Scharen nah genug beisammen,

Daß sie Schild' und Helme leuchten sahen in den Flammen.

Die Normannenfürsten hielten heimlich Rat, Herr Ludwig und Herr Hartmut; der alte König trat Dann wieder vor die Seinen und sprach, warum man solle

Bleiben bei Herm Wate, wenn man nicht gerne sterben wolle.

Drauf riet er ihnen listig: „Nun legt euch allzumal, Nehmt unters Haupt die Schilde und machet großen Schall; Dann, ohne daß es merken die von Hegelingen, Versuch' ich's, ob es glücke, euch heimlich von hier fortzubringen."

Laut schrieen auf die Jungftaun in hellem Klageton; Man mußte Ruh' gebieten mit Schelten und mit Drohn:

Wer nicht schweigen wolle, den werde man ertränken, Und die man ferner höre, erbarmungslos ins Meer versenken. Mit solcher List gelangten wieder auf die See Die vom Normannenreiche. Den Frauen war es weh,

EpoS. Daß man von ihren Freunden sie so jtitt entsandte, Die noch arglos schliefen dort auf dem blut'gen Wülpensande.

Eh' der Tag erschienen, waren sie schon weit, Indes der Sinn der Dänen stand nach neuem Streit; Es ließ der alte Wate sein Heerhorn mächtig schallen;

Nach seiner Meinung sollte noch mancher seiner Feinde fallen.

Zu Roß und Fuß die Helden von Hegelingenland

Sah man am frühen Morgen hinziehen nach dem Strand, Um dem Normannenkönig Ludwig und seinen Mannm Neue Schlacht zu bieten; die waren lange schon von dannen.

Der alte Wate wollte verfolgen sie geschwind, Doch Frute begann zu spähen zuvor noch nach dem Wind.

Er sprach zu den Genoffen: „Was hilft es, daß wir eilen? Glaubt mir, sie sind von dannen gewiß schon über dreißig Meilen. Drum laßt die wunden Freunde bringen schnell an Bord Und schaffet unsre Toten auch von dem Sande fort

Und lasset sie zusammen am öden Strand bestatten; Sie sollen es genießen, daß sie so viele treue Freunde hatten." Da sie nun Ruhe hatten nach langer Kampfesnot, Begruben sie den König, der einen schönen Tod Dem Kind zu Liebe hatte gefunden auf dem Strande.

Und also that man allen, wie sie auch hießen, und aus welchem Lande. Mit Bangen drauf ritt Wate nach Hegelingenland, Was nicht die andern wagten; es hatte seine Hand Den König nicht zu schützen vermocht vor dem Verderben; Er fürchtete, so bald nicht die Gunst Frau Hildens wieder zu erwerben.

„Weh mir!" sprach da Frau Hilde. „Was ist uns geschehn? Mit zerbrochnen Schilden seh' ich die Mannen gehn! Die Rosse schreiten langsam wie unter schweren Maffen. Da muß es übel stehen! Wo haben sie den König denn gelaffen?" Herr Wate sprach: „Ich kann euch verschweigen nicht die Not,

Ich will euch nicht betrügen: die Helden all' sind tot." Darob erschraken alle vom Alten bis zum Kinde; Man konnte nimmer finden in aller Welt so trauriges Gesinde. „O weh des bittren Leides!" rief des Königs Weib. „Warum im Tod erblichen ist meines Liebsten Leib,

Der kühne Degen Hetel? Die Ehre sank darnieder! Und sie ist auch verloren! es sieht Gudrun mein Auge nimmer wieder!" Da sprach der kühne Wate: „Laßt, edle Frau, die Klage! Sie kommen nimmer wieder; doch giebt es beff're Tage!

Sind erst in diesem Lande erwachsen neue Helden, Dann wollen wir Herrn Ludwig und Hartmut diese Schmach vergelten!"

„Sollt' ich das noch erleben," sprach da die Königin, „Ich gäbe meine Schätze mit Freuden dafür hin,

191

Epische Poesie.

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Daß mir die Rache würde, wie immer das geschähe,

Und daß ich arme Mutter Gudrun die tugendreiche wiedersähe." Es sprach der alte Wate: „Nicht eher kann's geschehn, Bis unsre Kinder einstens in Männerwaffen stehn Und reif zu Schwerteskämpfen. Wohl manch' edle Waise

Wird, eingedenk der Toten, uns dann ein Helfer auf der Reise."

Da sprach die edle Hilde: „So laß mich's, Gott, erleben, Ist allzulang mir Armen das Sein auch schon gegeben. Wer meiner je gedenket und Gudrun auch der armen, Der wird, das weiß ich sicher, sich unsres tiefen Leids erbarmen!" Übersetzt von'Köhl er. . Wie es Gudrun in der Fremde erging.

Als sie vom Wülpensande gefahren in die See, Da war so vielen Recken von ihren Wunden weh,

Die sie auf der Wahlstatt nach dem Kampf gelaflen. Das mußten bald beweinen in ihrem Land die Waisen ohne Maßen.

Die Winde waren günstig und führten sie zum Strand; Da freuten sich die Recken vom Normannenland, Daß sie noch kommen sollten zu Weibern und zu Freunden, Die ihren Tod beim Scheiden gefürchtet und sie bisher beweinten. Als Ludwig der Normanne seine Burgen sah, Zu der schönen Gudrun sprach der König da: „Seht ihr die Burg dort, Jungfrau? die werdet ihr bewohnen; Wollt ihr uns Gnade schenken, so wollen wir mit reichem Land euch lohnen."

Da sprach in großer Trauer die edle Königsmaid: „Wie soll ich Gnade üben? Ist von mir selber weit Ob eueres Verschuldens die Gnade doch geschieden;

So glaub' ich, daß in Zukunft nur Jammer sei mein Teil hienieden." Von neuem sagte Ludwig: „Laßt euch das leid nicht sein! Schenkt Hartmut eure Minne, dem Sohn und Erben mein,

Und alles, was wir haben, das soll euch angehören. So mögt ihr mit dem Degen in Wonne leben und in Ehren!" Da sprach Frau Hildens Tochter:, „Entlaßt mich dieser Not! Eh' ich Herrn Hartmut nähme, wär' ich viel lieber tot. Er ist nicht solchen Stammes, daß ich ihn möchte mimten; Ich will viel eher sterben, als ihn zum Eh'gemahl gewinnen."

Es that dem König Ludwig die stolze Rede weh; Er griff sie bei den Haaren und warf sie in die See. Doch solcherlei Beginnen war Hartmut nicht gewogen;

An ihren blonden Flechten hat er sie in das Schiff zurückgezogen.,

In eine Barke brachte sie drauf Hartmut der Degen; Ludwig verstand es übel, zarte grau’« zu pflegen. Sie saß im Hemd, wie Hartmut sie aus dem Waffer brachte; Fremd war ihr solche Sitte.

O wie der Heimat schmerzlich sie gedachte!

Epos.

193

Inzwischen waren Bolen gekommen in frohem Mut Zur Königin Gerlinde; Dienstwillen, Leib und Gut

Entboten sie der Fürstin von Hartmut, ihrem Kinde, Datz sie ihn wohl empfange mit seinem guten Heergesinde. An dem dritten Morgen zogen Weib und Mann, Das ganze Hofgesinde der Königin heran,

Alle wohlgerüstet zum festlichen Empfange;

Sie ritten aus dem Schlöffe und säumten an dem Hofe nicht gar lange. Herr Hartmut führte selber Gudmn an der Hand;

Hätte sich's gefüget, gern hätt' sie's abgewandt, Doch nahm die arme Jungfrau es an der Ehre wegen; Er aber that es gerne und kam mit jedem Dienste ihr entgegen.

Herrn Hartmuts Schwester Ortrun neben zwei Fürsten ging, Hildens schöne Tochter grüßend sie empfing; Sie drückte ihre Hände und küßte ihre Wangen; Ortrun weinte Thränen wohl um die Jungfrau, die gefangen.

Drauf wollte sie auch küffen die Königin Gerlind'; Darüber war entrüstet des Königs Hetel Kind. Sie sprach zur alten Fürstin: „Was wollt ihr so mir nahen?

Wenn ich auch gefangen, es ziemt euch nicht, mich also zu empfahen." Ortrun war gegen Gudrun von aller Arglist frei; Was ihr geschehen mochte, stets stand sie gern ihr bei Und suchte zu erheitern sie im Normannenlande; Doch nach den Freunden sehnte die Königsmaid sich, die verbannte. Übersetzt von Köhler.

Gerlinde unternimmt es nun, während Hartmuts Abwesenheit Gudmn ihrem Sohne geneigt zu machen, aber obwohl diese Gerlindens „Zimmer heizen und die Feuerbrände schüren" muß, obwohl sie von ihren Jungfrauen getrennt und endlich sogar gezwungen wird, im Winter am Meeresstrande zusammen mit Hildburg, einer ihrer Gespielinnen, für Gerlinde und ihr Gesinde zu waschen, bleibt sie doch ihrem Verlobten treu. Dreizehn Jahre sind unterdes verflossen, die Zu­ rüstungen zur Heerfahrt von den Hegelingen beendigt; die Schiffe segeln ab nach der Normandie. Ein schöner, mit menschlicher Stimme begabter Vogel kündet der am Strande waschenden Dulderin ihre nahe Erlösung an und giebt ihr Nachricht von allen ihren Lieben.

Wie Ortwein und Herwig zu Gudrun kamen.

Nach Gewohnheit gingen sie dann hinaus zum Strand. Da standen sie und wuschen wieder manch Gewand, Das sie selbst getragen von der Burg hernieder; Bei aller frohen Hoffnung mußten sie doch klagen wieder.

Sie sendeten hinüber auf des Meeres Flut Voll Sehnsucht ihre Blicke, woher die Boten gut

Zu ihnen kommen sollten, die von ihrem Lande Die mächtige Frau Hilde hieher den schönen Jungfrauil sandte.

Nach langem Hanen sahen fahren sie daher Zwei Mann in einer Barke, doch dabei niemand mehr. Da sprach die schöne Hildburg zur Königsmaid, der reichen:

„Dort seh' ich zwei herfahren, die mögen deinen Boten gleichen." Delitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aust.

13

Epische Poesie.

194

Da sprach die Kummerreiche: „Ich unglücksel'ge Maid,

Alles macht mir Kummer, neben Freude Leid. Soll ich von hinnen weichen, daß man mich hier nicht finde In dieser Schmach? Eh' will ich, daß immer mau mich zähle zum Gesinde." Da wandten sie sich beide und gingen eilend fort.

Doch waren schon so nahe die Männer an dem Ort,

Daß sie am Ufer sahen wohl die Wäscherinnen Und merkten, daß sie eilig von den Gewänden wollten Flucht gewinnen.

Sie sprangen aus der Barke und riefen hinterher: „Ihr schönen Wäscherinnen, warum eilt ihr so sehr? Ihr seht, wir sind als Fremde nach diesem Land gekommen, So werden diese reichen Gewände leicht euch all' genommen."

In nasien Hemden blieben die beiden Frauen stehn, Die edlen Mägdlein hatten sonst beff're Zeit gesehn; Es flatterten die Haare im kalten Wind des Märzen, Im Regen oder Schneefall, sie fühlten bittres Weh im Herzen.

Der edle Ritter Herwig drauf guten Morgen bot Den heimatlosen Kindern.

Wohl war der ihnen not;

Denn ihrer bösen Herrin macht' es wenig Sorgen,

Den minniglichen Maiden zu bieten guten Abend und guten Morgen.

„Ihr sollt uns lassen wissen," sprach da der Held Ortwein, „Wem diese reichen Kleider am Strande mögen sein, Oder wem ihr waschet? Ihr seid so schön allbeide;

Gott mög' an dem es strafen, der euch, ihr Mädchen, solches thut zu Leide." Da sprach in tiefer Trauer das arme Königskind: „Er hat noch viele schönre, als wir beiden sind. Fragt uns, was ihr wollet; doch wird's die Meist'rin inne, So müffen wir's entgelten, sieht sie uns mit euch sprechen von der Zinne." „Laßt es euch nicht verdrießen, nehmt unser rotes Gold! Vier gute goldne Spangen seien euer Sold. Wir geben euch das gerne, doch sollt ihr treu uns sagen, Ihr minniglichen Frauen, Antwort auf alle unsre Fragen."

„Gott laste eure Spangen euch selber wohl gedeihn;

Wir nehmen nichts zum Lohne!" sprach das Mägdelein. „Doch fraget, was ihr wollet, wir wüsten schnell von hinnen.

Sieht man uns mit euch beiden, so möchten wir des Leides viel gewinnen." ■ „So sagt, wer ist der Herrscher in diesem reichen Land? Wem sind die guten Burgen, und wie ist der genannt, Der euch, so schlecht bekleidet, läßt waschen hier am Meere?

Er würde des sich schämen, so mein' ich, wäre lieb ihm seine Ehre."

„Der Fürsten einer," sprach sie, „heißet Herr Hartmut; Ihm dienen weite Lande und Burgen, fest und gut. Der andre nennt sich Ludwig von den Normannenreichen; Ihm dienen in dem Lande viel' tapfre Helden ohnegleichen."

Epos.

195

Oft blickte König Herwig die edle Jungfrau an; Sie schien dem wackern Degen so schön und wohlgethan,

Daß es manchen Seufzer im Herzen ihm erregte;

Sie glich so sehr der einen, die er im treuen Angedenken hegte. Von neuem sagte Ortwein: „Ist euch das nicht bekannt,

Daß einst Gefangne tonten fernher in dieses Land? In mächt'ger Heerfahrt brachte man überS Meer die. Frauen, Die armen, heimatlosen, die vielen Jammer hatten da zu schauen."

Sie sprach: „Die ihr da suchet, die hab' ich wohl gesehn In großer Not und Drangsal, das will ich euch gestehn.".

War sie doch deren eine, die man gefangen brachte; Ich glaube wohl, daß Gudrun am besten jenes Unglücks dachte. Da sprach der König Herwig: „Nun sehet, Herr Ortwein!

Sollt' eure Schwester Gudrun noch am Leben sein In irgendeinem Lande in allen Erdenreichen, So ist es diese Jungftau; nie sah ich irgendeine ihresgleichen." . Sie sprach: „Wie ihr auch heißet, ihr scheinet edel mir, Und einem, den ich kannte, dem seid sehr ähnlich ihr; Er war von Seeland König, Herwig war er geheißen;

Wenn der noch lebte, würd' er gewiß der Knechtschaft uns entreißen."

Da sprach der edle Ritter: „So schauet meine Hand, Ob ihr das Gold erkennet; Herwig bin ich genannt.

Ich ward mit diesem Ringe vermählt, Gudrun zu Minnen; Und seid ihr meine Gattin, so führ' ich euch als solche nun von hinnen." Da lächelte in Wonne und sprach das Mägdelein: „Ich muß das Gold wohl kennen, da es gewesen mein.

Nun sollt ihr das auch sehen, was mein Geliebter sandte, Als ich noch glücklich lebte daheim in meines Vaters Lande." Als er an ihrem Finger den Goldreif glänzen sah, Herwig, der edle Ritter, zu Gudrun sagte da: „Es hat dich niemand anders als Fürstenblut getragen; So hab' ich Freud' und Wonne nach vielem Leid und langen Schmerzestagen."

Er schloß sie in die Arme, die hehre Königsmaid; Was sie einander sagten, war ihnen lieb und leid. Er gab zahllose Küsse der armen Königinne Und auch der schönen Hildburg, der Maid von minniglichem Sinne. Da sprach der König Herwig: „Das müssen wir gestehn, Uns ist auf dieser Heerfahrt so großes Glück geschehn,

Daß es uns besser konnte nimmermehr gelingen. Nun laßt uns eilen, daß wir sie schleunig weg von diesem Schlosse bringen."

,'Bewahre Gott," sprach Ortwein, „uns thut nicht Eile not! Und hätt' ich hundert Schwestern, ich ließ' sie eher tot, Als daß ich meine Stärke in diesem Land verhehle Und meinem Feinde, was er im Sturm genommen, heimlich stehle."

13'

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Epische Poesie. So rasch sie konnten, fuhren sie durch die weite See. Der Abschied, den sie nahmen, ihnen that so weh, Me es sich für teure Freunde mochte schicken. Die Jungfrau sie begleiteten, so weit sie konnten, mit den Blicken. Übersetzt von Köbler..

Wie Gudrun lachte.

Zu Gudmn sprach Frau Hildburg, die Maid von Jreland: „Warum, o Fürstin, laßt ihr hier liegen das Gewand? Wollt ihr nicht waschen Kleider für König Ludwigs Degen?

Gewahrt es Frau Gerlinde, so büßen wir's am Ende noch mit Schlägen." Da sprach die Tochter Hildens: „Ich bin dazu zu hehr; Ich will der bösen Gerlind' nun waschen nimmermehr. Zu solchem Dienste lass’ ich mich nun nicht mehr zwingen,

Da mich zwei Könige küßten und mit den Armen mich umfingen. Ich will die Kleider tragen zu der Meeresflut.

Sie sollen das erfahren," sprach die Jungftau gut, „Daß ich mich darf vergleichen mit allen Königinnen.

Ich werfe sie ins Waffer, damit sie schwimmen lustiglich von hinnen." Was Hildburg sagen mochte, Gudmn trug in die See Die Kleider; zomig dachte sie an erlitt'nes Weh. Sie schleuderte sie heftig in die Wogen nieder; Sie schwammen eine Weile. Ich weiß nicht, ob sie je sich fanden wieder.

Es war schon spät geworden, als sie erreicht das Thor Der Burg des Königs Ludwig. Gerlinde stund davor, In grimmem Zorn erwartend ihr edeles Gesinde; Die schönen Wäscherinnen mit hartem Worte grüßte sie geschwinde.

Es rief die böse Wölfin: „Wo sind die Schleier mein? Warum hast in den Schoß du gelegt die Hände dein? Und bösen Trotz noch seh' ich dabei in deinen Mienen! Leb' ich noch eine Weile, so sollst du mir wohl besser lernen dienen." Da sprach die Enkelin HagenS: „Dort unten an dem Meer Hab' ich sie liegen lassen; sie waren mir zu schwer,

AIs ich sie heben wollte, um sie heraufzutragen. Seht ihr sie nimmer wieder, so werd' ich wenig danach fragen." Da sprach die böse Teufelin: „Das kommt dir hoch zu stehn. Eh' ich mich schlafen lege, soll es dir übel gehn." Sie hieß die Maid entkleiden und Dornenruten binden; Mit solcher Strafe wurde Gudmn bedroht von Frau Gerlinden.

Gar listig sprach da Gudrun: „Dies Wort sei euch gesagt: Wenn ihr mit diesen Ruten in eurem Zom mich schlagt, So soll's euch, wenn ein Auge mich sieht bei Kön'gen stehen, Und wenn ich Krone trage, für diese Schmach nicht wohl ergehen." Da sagte Frau Gerlinde: „Und hättest du verlor'n Auch tausend meiner Schleier, so ließ' ich meinen Zom

Und wollte sie verschmerzen, und dir wär's zum Gewinne,

Wenn du dem Normannfürsten nun endlich schenken wolltest deine Dünne."

EpoS.

197

Die da die Rede hörten, sie liefen eilig fort,

Dem tapfern Helden Hartmut zu künden Gudruns Wort. Es faßen bei ihm viele von seines Baters Mannen;

Da brachte man die Märe, er solle zu Gudrunen gleich von dannen. Da sagte König Hartmut den Boten seinen Dank. Hei, wie von seinem Sitze der Held voll Freude sprang!

Er wähnte, daß beschieden ihm Gudruns Minne wäre; Drauf zu der Jungfrau Kammer mit frohem Sinn der Recke ging, der hehre.

Da stand in nassem Hemde das edle Königskind, Mit Thränen in den Augen grüßte sie ihn geschwind.

Sie ging ihm selbst entgegen und war so nah gegangen, Daß er mit seinen Armen die schöne Gudrun wollte schon umfangen. Sie sagte: „Rein, Herr Hartmut! Laßt das noch heute sein; Denn sähen es die Leute, brächt's euch nicht Ehren ein.

Ihr seid ein reicher König und solltet wohl es lassen, Die Wäscherin, die arme, als eure Braut in Liebe zu umfassen." Gehorsam trat zurücke der ritterliche Mann Und sprach zur schönen Jungftau: „O Gudrun wohlgethan,

Schenkst du mir deine Minne, will ich dir's hoch vergelten; Gebiete, was du immer nur willst von mir und meinen Helden."

Da sprach die edle Jungftau: „Ich hörte Beff'res nie! Soll ich, die Gottverlasi ne, nun gebieten hie, So soll mein erst Gebot sein, nach viel Mühseligkeiten, Eh' ich zum Schlafe gehe, ein schönes Bad mir zu bereiten. Und ferner soll, Herr Hartmut, von mir geboten sein,

Daß man sogleich hersende mir meine Jungftäulein, Die jetzt sind bei den Frauen der Königin Gerlinde, Daß man nicht deren eine im Mägdesaale fürder finde." „Das will ich gern vollbringm!" erwiderte Hartmut. Aus den Kammern suchte man manches Mägdlein gut,

Das mit verwirrtem Haare und in geringem Kleide Zu Hofe ging; es hatte Gerlinde ihnen viel gethan zu Leide. Der Frauen dreiundsechzig sah König Hartmut nahn;

Da sprach die edle Gudrun in Zucht den Helden an: „Wie man sie hat gehalten, mögt ihr nun selber sehen; Kann euch dies Ehre öringen?" Er sprach darauf: „Das soll nicht mehr geschehen.

Ich will sie schön gekleidet euch zur Seite schaun." Da rüstete man eilig die Bäder für die graun,

Hartmuts Verwandte sah man als Kämmerlinge walten; Sie eilten, ihr zu dienen, um ihre Gunst und Gnade zu erhalten. Als sie gebadet hatten, brachte man ihnen Wein, Wie im Normannenlande nicht beffrer mochte sein. Auch süßen Met befahl man den Frauen einzuschenken. Wie die ihm danken wollten, das konnte Hattmut nimmer denken.

198

Epische Poesie.

Bei Gudrun, ihrer Frauen, da saßen sie in Thränen;

Es fühlten viele Maide nach Haus' ein mächtig Sehnen. Sie dachten ihrer Sorgen und ihres Kummers Schwere Und weinten, doch es lachte darob Gudrun, die schöne, hehre. Sie wähnten, daß sie sollten nun bleiben immerdar,

Dieweil es doch der Wille Frau Gudruns nimmer war, Daß sie nur noch vier Tage hier ließe gern sich finden. Daß Hetels Tochter lachte, man hinterbracht' es alsobald Gerlinden.

Die Königin ging eilends hin, wo sie Hartmut fand, Und sprach: „Es werden kommen, so ahn' ich, übers Land Und über deine Helden viel Drangsal und viel Jammer. Ich weiß nicht, wamm lachte die schöne Gudrun dort in ihrer Kammer." Er sprach: „Laßt's nur geschehen!

Ich gönne gern der Maid,

Wenn sie bei ihren Frauen heut pflegt der Fröhlichkeit.

Es wohnen ja so ferne Gudrunens Blutsverwandte; Wie sollten sie wohl Fehde mir bringen hieher in die Lande?" Es bat nun ihre Frauen die Jungfrau nachzusehn, Ob ihr gebettet wäre, sie wolle schlafen gehn. Zum ersten Mal geschieden war sie die Nacht von Kummer. Des König Hartmuts Kämmerer geleiteten die schöne Maid zum Schlummer. Sie saßen nun beisammen und tranken guten Wein. Da sprach die Königstochter: „Wohl mögt ihr fröhlich sein,

Ihr meine Frauen alle, nach langem, schwerem Leide; Ihr werdet morgen haben an euren Lieben eure Augenweide.

Ich habe heut geküflet Herm Herwig, meinen Mann, Und meinen Bruder Ortwein; drum hört und denket dran: Die reich durch mich will werden und frei von allen Sorgen, Die trachte, zu verkünden zuerst uns nach der Nacht den Morgen."

Da legten sie sich schlafen und waren frohgemut. Sie wußten, daß bald käme so mancher Ritter gut, Mit voller Freiheit ihnen die Sorgen zu versüßen. Darauf stand all ihr Wünschen, die Ihrigen am Morgen zu begrüßen. Übersetzt von Köhler.

Am nächsten Morgen zieht das Heer der Hegelingen heran und erobert nach einem gewal­ tigen Kampfe, in welchem Herwig den König Ludwig tötet, die Burg Kassian. Hartmut wird auf Gudruns Fürsprache von Wate nicht getötet, sondern nur gefangen genommen; auch Ortrun wird gerettet, Gerlinde dagegen für ihre Grausamkeit mit dem Tode gestraft.

Wie Gerlinde gestraft ward. Da kam herzugeeilet die böse Frau Gerlind;

Die bot sich dar zu eigen Hildes schönem Kind. „Nun rett' uns, Königstochter, aus Wales grimmen Händen! Nur du allein, o Gudrun, kannst unser böses Schicksal wenden!" Da sprach Frau Hildes Tochter: „Wie möget ihr begehren,

Daß ich euch Gnad' erweise?

Nicht kann ich's euch gewähren!

Nie habt ihr eine Bitte gewähret mir im Grolle; Wie mögt ihr nun verlangen, daß ich euch Dank noch dafür zolle?"

Der alte Wate schaute da die Königin;

Er knirschte mit den Zähnen und eilte zu ihr hin. Der Held mit Flammenaugen und ellenbreitem Barte War furchtbar allem Volke, das ihn allda gewahrte.

Er faßte sie beim Arme und zog sie zu sich hin; Da fing sie an zu zittern, die böse Königin. Er rief in wildem Zome: „Frau Königin Gerlinde, Nun laßt ihr nimmer waschen von Frau Hildens holdem Kinde!"

Auf schrieen alle Frauen, ein Grauen faßte sie. Schon kam der Alte wieder: „Ist jemand noch allhie Von Frau Gerlindens Sippe? die sollt ihr mir nur zeigen.

So teuer ist mir keine, daß sie das Haupt nicht sollte neigen." Da sprach mit hellen Thränen König Hetels Kind: „Laßt mir zu Liebe leben das arme Hofgesind', Die mich um Frieden flehten und seither dagestanden,

Es ist die edle Ortrun und ihr Gesind' von den Normannenlanden." Zur Neige war gegangen der Streit nun überall.

Da trat der König Herwig herein in Ludwigs Saal,

Mit seinen Kampfgenoffen blutrot kam er gegangen. Als ihn erschaute Gudrun, hat sie ihn minniglich empfangen.

Sein Schwert der edle Degen von der Seite band lind warf sein Rüstgezeuge in seines Schildes Rand, Und also eisenrostig ging er zu den Frauen, Nm die er auf der Wahlstatt so manchen guten Streich gehauen. Übersetzt von Köhler.

Nach glücklicher Heimkehr in das Land der Hegelingen wird Herwigs Vermählung mitsGildrun gefeiert und zugleich ihr Bruder Ortwein mit Hartmuts Schwester Ortrun und dieser selbst mit Gudruns treuer Gefährtin Hildburg verbunden.

8.

Aus dem Rosengarten zu Worms.

Kriemhild, König GibichS Tochter, läßt Dietrich von Bern auffordern, mit zwölf seiner Helden gegen die zwölf Hüter ihres Roseilgartens in Worms zn kämpfen; den Siegern solle ein Rosenkranz, eine Umarmung und ein Kuß von ihr als Preis zu teil werden. König Dietrich nimmt die Aufforderung an; elf Helden sind zum Zuge bereit, auch der alte Hildebrand; der zwölfte soll Hildebrands Bruder, der Mönch Zlsan, sein.

Wie der Mönch Jlsan aus dem Kloster genommen ward.

Auf saßen bald die Herren, die Recken allbereit; Dietrichens Reisen war gar manchem leid. Da huben sich gen Isenburg die Herren auf die Fahrt, Wo der Mönch um Rosen dem Kloster entnommen ward.

An dem fünften Morgen, eine Weile noch davor. Waren die Herren gekommen gen Isenburg ans Thor, Da der Mönch die Meffe wollt' singen in der Früh;

Die Herren mit den Schilden stapften eilends hinzu. Da trat vor die Pforte der Mönch Jlsan. Eine graue Kutte hatt' er über den Ringen an,

An den Beinen trug er zwei dicke, graue Hosen; So trat er vor die Pforte, der Märe wollt' er losen.

200

Epische Poesie. „Benedicite, Bmder," sprach Meister Hildebrand. „Nun geleite dich der Teufel," sprach der Mönch zuhand, „Daß du das Jahr lang reitest und kommst nicht unter Dach! Du fändest bei Frau Uten sicher bester Gemach." „Das thät' ich, wenn ich könnte," sprach Meister Hildebrand; „Kriemhild, die schöne, hat nach uns gesandt,

Daß wir kommen sollen zu ihrer Lustbarkeit." „Es scheint wohl, lieber Bruder, daß ihr ein Narre seid.

Ihr würdet es im Ernste nicht sprechen, dünket mich. Geschieht euch was zu Beme, mein Herr Dieterich?" „Mein Herr will dich bitten," sprach Meister Hildebrand,

„Daß du die Fahrt ihm leistest, die ihm gelobt deine Hand." „Ich will euch gerne helfen," sprach der Mönch Jlsan. „Nun schaut, lieber Herre, was ich zum Streit gewann."

Da zog er ab die Kutte und warf sie in das Gras; Hei, wie gute Waffen Jlsan der Mönch noch besaß!

„Geruhet abzusteigen, lieber Herre mein, Und wollt ihr bei mir essen, ich geb' euch guten Wein. Die Mönche müsten's zahlen, die hier im Kloster sind:

Die andem eflen Gerste; ich sah daran mich blind." Da ward gesetzt zu Tische von Bem Herr Dieterich Und jenseits ihm entgegen, das mistet sicherlich, Hildebrand, der alte, ein auserwählter Mann. Da pflag der beiden fleißig der gute Mönch Jlsan.

Da kam der Abt zusammen mit seiner Bruderschaft, Sie hatten zu gebieten über des Mönches Kraft. Da sprach der von Berne, ein Fürst so tugendlich: „Laßt ihr ihn nicht ziehen, ich zerstör' euch sicherlich." Da sprach der Abt: „Herr Dietrich, es ist nicht unser Recht, Daß wir fechten sollen, es ziemt kei'm Gottesknecht.

Wir sollen spät und frühe zu dienen sein bereit Dem Gott, der uns geschaffen hat; der Mönch soll nicht zum Streit."

Der Mönch Jlsan versetzte: „Herr Abt, auf meinen Eid, Geschieht dort in den Rosen diesen werten Recken Leid (Ich wollt' es wohl verhindern, ließt ihr mich auf den Plan), Das entgelten hier die Brüder, wenn ich es fügen kann."

Da erschrak der Abt der Rede: „Lieber Bruder mein, Wollt ihr mir dannen bringen ein Rosenkränzelein, So büß' ich eure Sünden, dieweil ihr reitet fern." Der Rede mußte lachen Herr Dieterich von Bern.

Da gab der Mönch zur Antwort: „Habt das auf meinen Eid, Euch soll bei meiner Heimkehr ein Kränzlein sein bereit, Mich wolle denn im Garten niemand mit Streit bestehn; Und kann ich Rosen pflücken, die sollen euch nicht entgehn.

201

EpoS. Nun laßt mich Urlaub nehmen, ich muß an den Rhein. Schließt mich in cur’ Gebete, ihr lieben Brüder mein,

Und bittet Gott vom Himmel, daß er mir gebe Heil, So bring' ich euch vom Rheine der Rosen ein gutes Teil. Euer sind zweiundfünfzig, hab' ich es recht ersehn: Just so manchen Recken will ich dort bestehn.

Schickt mich denn Gott herwieder, ihr lieben Brüder mein,

So bring' ich euer jedem ein Rosenkränzelein." Da sprachen sie einhellig, die ganze Bruderschaft, Daß sie ihm Heil erwünschten und Glück durch Gottes Kraft.

Als sie gegeffen hatten und getrunken überall, Da zog man Schimmings Bruder, ein Roß, ihm aus dem Stall. Mit einem Schwert umgürtet stand bald der Mönch Jlsan; Über den Harnisch zog er eine 'Kutte wohlgethan. Dann ließ er sich bringen einen Schild und einen Speer: Die hatt' er oft geschwungen, das war nun lange her.

Das güte Roß Benig ward jetzt von ihm beschritten; Die Herren nahmen Urlaub, eh' sie von dannen ritten. Ihm folgte vor das Kloster der Abt mit manchem Mann: Sie begannen all' zu fluchen dem starken Mönch Jlsan. „Der Mann hat solche Stärke, wir sind an ihm betrogen: Er hat uns bei den Ohren so oft umhergezogen,

Wenn wir nicht leisten wollten, was er uns gebot, Er bracht' uns in dem Kloster in Angst und große Not." Da sprach ein alter Bruder: „Gott will ich immer loben! Er hat mich an dem Barte so oft umhergezogen, Er that mir an dem Leibe jämmerliche Pein, Daß ich zu allen Zeiten in Sorgen mußte sein." An dem fünften Morgen, da sich erhob der Tag,

Da kamen sie gen Berne, wo das Gesinde lag. Nur Wolfhart lag alleine zur Wart den andern fern, Fremder Mär' zu harren, die sollt' er melden den Herrn. Übersetzt von Simrock.

Nach einem Kampfe Jlsans mit bem Fährmann langen die Helden vor Worms an und werben gastlich ausgenommen. Der Kampf beginnt. Dietrichs Helden besiegen die Burgunder; Dietrich selbst aber verweigert den Zweikampf mit Siegfried und mich durch eine List Hildebrands zum Streite gezwungen werden. Wie Dietrich in Zorn geriet und Siegfried besiegt ward.

Hildebrand der alte ließ seinen Herren stehn, Er war in großem Zorne, so war ihm nie geschehn. Die hellen Thränen liefen ihm auf den grauen Bart.

„Warum weint ihr, Oheim?" so frug ihn Wolfhart.

„Willst du mir helfen, Wolfhart?" sprach da Hildebrand. „So wappne dich geschwinde und komm' uns nachgerannt.

Wir reiten aus der Ebne in einen tiefen Grund: Mir und meinem Herren wird da großes Zürnen kund.

202

Epische Poesie. Doch siehst du ihn im Zorne noch nicht so sehr wie mich; Doch bald werd' ich erbosen den Herren Dieterich.

So bin ich der erste, der auf die Erde fällt: Hörst du sein Schwert Engen, so hilf mir, junger Held."

Da ging er zu dem Berner zurück so trauriglich. „Wie ist euch nun zu Mute, edler Dieterich?"

Der Senter sprach: „Ich habe mich anders nicht bedacht: Hast du mir in den Garten einen andern Kämpen gebracht?" „Wo sollt' ich den finden?" sprach Meister Hildebrand; „Niemand ist mehr übrig als der Held von Niederland, Ein jeder stand dem seinen: steht ihr dem eitern nicht?" „Ich kämpfe nicht mit Siegfried, was einer auch thut und spricht."

Er sprach: „Lieber Herre, so folgt mir in den Tann: Vielleicht, daß ich euch beiden einen Frieden finden kann. Da ihr den Niederländer nicht zu bestehen wagt, So sagt, ihr wäret ungesund; ich beschwöre, was ihr sagt." Sie ritten mit einander einen Weg, der war so schmal:

Sie sahn zu beiden Seiten nur Berg und tiefes Thal. „Laßt uns absitzen," sprach Meister Hildebrand. Herr Dietrich sprang vom Roste und gab es ihm an die Hand.

„Sagt mir auf eure Treue, seid ihr Herr Dieterich,

Dem Dietmar ließ sein Erbe, seid ihr es sicherlich?" „Wohl bin ich derselbe, der Senter Dieterich! Was soll das, guter Meister, du fragst so wunderlich." „Helf' mir Gott, ihr lüget," sprach Meister Hildebrand:

„Es giebt der Leute viele, die Dietrich sind genannt. Ihr wurdet nie mein Herre, verzagter Dieterich, Ihr gleicht nicht dem von Seme, dem Fürsten tugendlich. Den sah ich immer gerne nach hoher Ehre streben; Ihr dürst vor wilden Tieren wohl wagen euer Leben:

Oft allein im Walde wart ihr der Mannheit voll; Ihr fechtet nicht vor Frauen, wo man Preis erwerben soll. Besteht ihr nicht den cuent, ich mach' euch ungesund."

„Wie willst du das verrichten?"

„Das thu' ich dir kund."

Da zwang die Faust zusammen der edle Meister gut, Er schlug dem Herrn ins Antlitz in seinem zürnenden Mut.

Er schlug ihn so gewalttg, er fiel auf das Land. Dietrich begann zu zürnen: da entgalt es Hildebrand. Das Schwert mit dem Knaufe der Held zu Händen nahm; Da schlug er so geschwinde auf seinen Dienstmann.

Mit dem flachen Schwerte gab er ihm Schläge viel;

Schier kam der alte Meister an seines Lebens Ziel. Als Wolfhart erhörte, daß sein Schwert erklang, Da ritt er ihnen näher; um den Meister war ihm bang.

Er rief: „Mein Hene Dietrich, erschlagt ihr eitern Mann Und wagt dem fremden Recken vor den Frauen nicht zu nahn?

EpoS.

Ihr streitet mit den Euern, die stehn in eurer Pflicht; Siegfried den Niederländer, den besteht ihr aber nicht."

Da sprach der Held von Seme: „Nun laß das, junger Mann, Ich hab' in meinem Leben nicht so verzagt gethan.

Nun bring' mir meinen Falken, das gute Roß, daher:

Er wird von mir bestanden, und wenn er stählern wär'." Er bracht' ihm seinen Falken; er gürtete nicht lang: Ohne Stegreifen er in den Sattel sprang. Der Degen war im Zorne, er faßte seinen Schild:

Bald sah den Degen kommen die Königin Kriemhild. Da ritt in den Garten der Berner allzuhand: Ihm kam alsbald entgegen Siegfried von Niederland

Auf eirtem guten Rosse, so hören wir sagen;

Es hatt' ihn oft in Streiten zu hohen Ehren getragen.

Sie trieben ihre Rosse, daß sie znsammenflogen, Ihre Speere beide brachen, sich ihre Schilde bogen. Sie sprangen von den Rossen herab zu gleicher Zeit: Da hob im Rosengarten sich erst ein grimmer Streit. Sie sprangen zu einander wohl auf den Platz der Wahl,

Sie zogen von den Seiten zweier Klingen lichten Stahl, Sie bargen Hinterm Schilde sich: ein Fechten hub da an, Daß ihnen durch die Ringe der Schweiß geronnen kam. Da mehrten sie sich beide des heißen Kampfes Not, Daß ihre lichten Helme von Feuer wurden rot, Es sprang zu beiden Seiten aus ihres Helmes Wand: Wie der Schmied an der Esse, so schürten sie den Brand.

Siegfried, der edle, war ein starker Mann, Jetzt lief er gewaltig Dietrichen an: Er schlug ihm eine Wunde durch feinen Eisenhut, Daß man herniederrinnen ihm sah das rote Blut. „Wie hält sich unser Herre?" frag heimlich Hildebrand. „Er ficht leider übel," sprach Wolfhart allzuhand;

„Eine tiefe Wunde hat er durch seinen Eisenhelm, Er ist mit Blut beronnen, er ficht recht wie ein Schelm."

„Er ist noch nicht im Zorne," sprach da Hildebrand. „Nun ruf' in den Garten, du kühner Weigand, Und sag', ich sei gestorben, er habe mich erschlagen: Wenn das ihn nicht erzürnet, dann mögen wir wohl klagen." Wolfhari rief in den Garten, daß weit die Lust erscholl: „O weh mir meines Leides, das ist so groß und voll!

Hilbrand ist erstorben, wir müssen ihn begraben: O weh, du Vogt von Berne, was hast du ihn erschlagen?"

„Ist Hildebrand gestorben," rief der Berner gleich, „So findet man an Treue keinen, der ihm gleich.

Nun hüte deines Lebens, Siegfried, kühner Mann, Es ist mein Scherz gewesen, waö ich noch stritt bis heran.

203

204

Epische Poesie. Wehr' dich aus allen Kräften, es thut dir wahrlich not. Uns beide scheidet niemand als des einen £ob. Ich hab' um deinetwillen verloren einen Mann,

Den ich bis an mein Ende nimmer verwinden kann." Wie ein Haus, das dampfet, wenn man es zündet an, So mußte Dietrich rauchen, der zornige Mann. Eine rote Flamme sah man gehn aus seinem Mund: Siegfrieds Horn erweichte; da ward ihm Dietrich erst kund.

Er brannte wie ein Drache, Siegfrieden ward so heiß, Daß ihm vom Leibe nieder durch die Ringe floß der Schweiß. Den edlen Vogt von Seme ergriff sein grimmer Zorn, Er schlug dem kühnen Siegfried durch Harnisch und durch Hom,

Daß ihm das Blut, das rote, herabsprang in den Sand:

Siegfried mußte weichen, wie kühn er eben stand. Er hatt' ihn hin getrieben, jetzt trieb ihn Dietrich her: Das sah die schöne Kriemhild, die begann zu trauern sehr.

Der Berner schnitt die Ringe, als wär' es faules Stroh; Zum ersten Mal im Leben sah man, daß Siegfried floh. Da jagt' ihn durch die Rosen der Berner unverzagt. Nun säumte sich nicht länger die kaiserliche Magd. Sie sprang von ihrem Sitze, ein Kleid sie von sich schwang, Kriemhild in großer Eile hin durch die Rosen drang.

Da rief mit lauter Stimme die Königstochter her: „Nun laßt von euerm Streite, Dietrich, ich fleh' euch sehr. Steht ab nm meinetwillen und laßt das Kämpfen sein:

Euch ist der Sieg geworden zu Wörmes an dem Rhein." Da that der Vogt von Berne, als hätt' er's nicht gehört, Er schlug mit seinem Schwerte, schier hätt' er ihn bethört.

Er hörte nichts von allem, was die Königstochter sprach, Bis er dem kühnen Siegfried vollends den Helm zerbrach.

Wie viel man der Stühle zwischen die Streiter warf, Die zerhieb der Berner mit seinem Schwert so scharf. Alles, was im Garten war, wollt' er erschlagen, Dietrich in seinem Zorne, wie wir es hören sagen. Hildebrand, der alte, that als ein Biedermann, Er sprang in den Garten und rief seinen Herren an.

Er sprach: „Lieber Herre, laßt ab von euerm Zorn: Ihr habt den Sieg gewonnen, nun bin ich neu gebor'n." Dietrich der kühne sah Hilbranden an,

Da erweicht' ihm sein Gemüte, da er stehen sah den Mann.

Der Berner ließ sein Toben, er küßt' ihn auf den Mund. „Gott will ich heute loben, daß du noch bist gesund!" Da sprach Frau Kriemhilde: „Ihr seid ein biedrer Mann, Dem man seinesgleichen in der Welt nicht finden kaun." Auf setzte sie dem Berner ein Rosenkränzelein, Ein Halfen und ein Küffen gab ihm das Mägdelein.

205

EpoS.

Sie sprachen einhellig: „Das mag man euch gestehn, Es ward in allen Reichen kein Mann wie ihr gesehn." Übersetzt von Sim rock.

Als nun noch nach siegreich bestandenem Kampfe mit 52 Burgundern Jlsan 52 Kränze und ebenso viele Küsse von Kriemhild empfangen hatte, kehrten die Berner Helden in ihre Heimat und der Mönch in sein Kloster zurück.

Wie Jlsan heimkehrte. Er segnete bett Bemer und den alten Hildebrand Und kam in großer Eile gen Isenburg gerannt.

Da er ans Kloster klopfte, das hörten drin die Zagen;

Da erschraken seine Brüder, daß er nicht war erschlagen. Da ließ er vor sich kommen die Brüder allzumal. „Die Rosenkränze bring' ich, zweiundfünfzig an der Zahl. Die will ich euch geben, ihr lieben Brüder mein, Daß eure Häupter alle gekrönet sollen sein." Auf fetzt er da den Brüdern die Rosenkränzelein, Sie mußten alle schreien, so drückt' er sie hinein

Jeglichem in die Platte; die Herrn bekreuzten sich: Was sie gebeten hatten, ging alles hinter sich. Über Stim und Ohren rann ihnen rotes Blut.

„Ich mußt' auch Not erleiden, wenn es euch wehe thut, Da wir Gebrüder heißen, wohl billig dünkt es mich,

Daß ihr auch Pein erduldet um die Kränze so wie ich.

Nähmt ihr sie ohne Schmerzen, die Rosenkränzelein, Es wär' euch große Sünde, ihr lieben Brüder mein.

Nun seid ihr hübsche Knaben, die Krone steht euch fein; Wer mehr begehrt zu haben, der hole sie sich am Rhein." That er ihnen wehe, gar schmerzlich Ungemach,

Sie durften's nicht gestehen, ihm keiner widersprach. Im Zorne zu den Brüdem sprach der Mönch Jlsan: „Nun helft mir die Sünden büßen, die ich gethan." Das mußten ihm geloben die Brüder lobesam,

Daß er nicht sollte toben und wieder würde zahm. Doch waren etliche, die wollten nicht daran; Er sprach in großem Zome: „Ihr sollt den Lohn empfahn.

Habt ihr die Kränz' empfangen und treibt nun solch ein Wesen, Ich häng' euch über Stangen, will euch andre Vesper lesen."

Er knüpfte sie zusammen mit ihren Bärten greis Und hing sie an die Stange. „Da hängt ihr reihenweis." Die Brüder in dem Orden, sie schrieen alle laut: „Er wird uns noch ermorden, das böse Teufelskraut."

Ihr Schreien hals mit Nichten, er kehrte sich nicht dran, Sie mußten sich verpflichten zu beten für den Mann.

Sie sprachen: „Lieber Herre, es muß euch sicher frommen, Wir haben eure Sünden zumal auf uns genommen.

206

Epische Poesie.

Des freut sich unser Herze, daß es euch so geriet."

Hiermit so hat ein Ende das Rosengartenlied. ____________

b.

Übersetzt von Sirnrock.

Das religiöse Epos.

Das religiöse Epos schöpft feinen Stoff aus der Kirchengeschichte.

Es ist aber

sehr fraglich, ob und inwieweit ein solcher Stoff für die Dichtkunst sich eignet, da er der

sagenhaften Behandlung auf gleiche Weise, wie der Erweiterung durch die Phantasie widerstrebt und die poetische Bearbeitung leicht das fromme Gemüt verletzen kann.

Jedenfalls gehört der Genius eines Klopstock dazu, um ein so erhabenes und zugleich so schwieriges Werk mit Würde zu Ende zu führen.

findet, so

Da dieser aber sich so häufig nicht

ist das wiederholte Mißlingen der gemachten Versuche (Bodmers Moses und

Noah, Wielands, geprüfter Abraham, Lavaters Messias) leicht erklärlich. Nach Dantes Vorgang („Die göttliche Komödie") bearbeitete Milton die biblische Erzählung von dem durch den ersten Sündensall verlorenen Paradiese („Das verlorene

Paradies") als Epos und Klopstock aus unübertroffene und wohl auch unübertreffliche Weise in seinem „Messias" die Erlösung des Menschengeschlechtes durch Christi Tod.

Aus Klopstocks Messias. Der Messias zieht sich vom Volke auf den Ölberg zurück und verspricht Gott noch einmal in feierlichem Gebete, die Erlösung zu übernehmen.

Christi Gelöbnis.

Gegen die östliche Seite Jerusalems liegt ein Gebirge, Welches auf seinem Gipfel schon oft den göttlichen Mittler Wie in das Heilige Gottes verbarg, wenn er einsame Nächte Unter des Vaters Anschaun ernst in Gebeten durchwachte.

Jesus ging nach diesem Gebirg.

Der fromme Johannes,

Er nur folgt' ihm dahin bis an die Gräber der Seher, Wie sein göttlicher Freund die Nacht im Gebete zu bleiben. Und der Mittler erhub sich von dort zu dem Gipfel des Berges. Da umgab von dem hohen Moria ihn Schimmer der Opfer,

Die den ewigen Vater noch jetzt im Bilde versöhnten. Ringsum nahmen ihn Palmen ins Kühle.

Gelindere Lüfte, Gleich dem Säuseln der Gegenwart Gottes, umfloffen sein Antlitz.

Und der Seraph, der Jesus zum Dienst auf der Erde gesandt war, Gabriel nennen die Himmlischen ihn, stand feiernd am Eingang Zwoer umdufteter Cedern und dachte dem Heile der Menschen Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als jetzt der Erlöser Seinem Vater entgegen vor ihm im stillen vorbeiging.

Gabriel wußte, daß nun die Zeit der Erlösung herankam. Diese Betrachtung entzückt' ihn; er sprach mit leiserer Stimme:

„Willst du die Nacht, o Göttlicher, hier im Gebete durchwachen?

Oder verlangt dein ermüdeter Leib nach seiner Erquickung?

Soll ich zu deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten? Siehe, schon streckt der Sprößling der Ceder den grünenden Arm aus

Und die weiche Staude des Balsams.

Am Grabe der Seher

Wächst dort unten ruhiges Moos in der kühlenden Erde;

EpoS. Soll ich davon, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten? Ach, wie bist du, Erlöser, ermüdet!

Wie viel erträgst du

Hier auf der Erd' aus inniger Liebe zu Adams Geschlechte!"

Gabriel sagt's.

Ter Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken,

Steht voll Ernst auf der Höhe des Bergs am näheren Himmel. Dort war Gott. Dort betet' er. Unter ihm tönte die Erde, Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten des Abgrunds,

Als sie von ihm tief unten die mächtige Stimme vernahmen; Denn sie war es nicht mehr, des Fluches Stimme, die Stimme,

Angekündet in Sturm und in donnerndem Wetter gesprochen, Welche die Erde vernahm; sie hörte des Segnenden Rede,

Der mit unsterblicher Schöne sie einst zu erneuern beschlossen. Ringsum lagen die Hügel in lieblicher Abenddämmrung, Gleich als blühten sie wieder, nach Edens Bilde geschaffen.

Jesus redete.

Er und der Vater durchschauten den Inhalt

Grenzlos; dies nur vermag des Menschen Stimme zu sagen:

„Göttlicher Vater, die Tage des Heils und des ewigen Bundes Nahen sich mir, die Tage, zu größeren Werken erkoren Als die Schöpfung, die du mit deinem Sohne vollbrachtest. Sie verklären sich mir so schön und herrlich als damals,

Da wir der Zeiten Reih' durchschauten, die Tage der Zukunft Durch mein göttliches Schaun bezeichnet und glänzender sahen. Dir nur ist es bekannt, mit was für Einmut wir damals, Du mein Vater, und ich und der Geist, die Erlösung beschlossen.

In der Stille der Ewigkeit, einsam und ohne Geschöpfe, Waren wir bei einander. Voll unsrer göttlichen Liebe, Sahen wir auf die Menschen, die noch nicht waren, hemnter. Edens selige Kinder, ach, unsre Geschöpfe, wie elend Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub und entstellt von der Sünde! Vater, ich sah ihr Elend, du meine Thränen. Da sprachst du: Lasset der Gottheit Bild in dem Menschen von neuem uns schaffen! Also beschlossen wir unser Geheimnis, das Blut der Versöhnung

Und die Schöpfung der Menschen, erneut zu dem ewigen Bilde! Hier erkor ich mich selbst, die göttliche That zu vollenden. Ewiger Vater, das weißt du, das wissen die Himmel, wie innig

Mich seit diesem Entschluß nach meiner Emiedrung verlangte! Erde, wie oft warst du in deiner niedrigen Feme Mein erwähltes, geliebteres Augenmerk! Und^o Kanan, Heiliges Land, wie oft hing ungewendet mein Auge An dem Hügel, den ich von des Bundes Blute schon voll sah!

Und wie bebt mir mein Herz von süßen, wallenden Freuden,

Daß ich so lange schon Mensch bin, daß schon so viele Gerechte

Sich mir sammeln und nun bald alle Geschlechter der Menschen Mir sich heiligen werden! Hier lieg' ich, göttlicher Vater,

Noch nach deinem Bilde geschmückt mit den Zügen der Menschheit, Betend vor dir; bald aber, ach, bald wird dein tötend Gericht mich

Blutig entstellen und unter den Staub der Toten begraben.

207

208

Epische Poesie. Schon, o Richter der Welt, schon hör' ich fern dich und einsam

Kommen und unerbittlich in deinen Himmeln dahergehn. Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Geistergeschlechte Unempfindbar, und wenn du sie auch mit dem Zome der Gottheit Tötetest, unempfindbar I Ich seh' den nächtlichen Garten

Schon vor mir liegen,, sinke vor dir in niedrigen Staub hin, Lieg' und bet' und winde mich, Vater, im Todesschweiße.

Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will des Allmächtigen Zürnen, Deine Gerichte will ich mit tiefem Gehorsam ertragen. Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat das Zürnen der Gottheit, Keiner je den Unendlichen tötend mit ewigem Tode Ganz gedacht und keiner empfunden.

Gott nur vermochte,

Gott zu versöhnen. Erhebe dich, Richter der Welt! Hier bin ich! Töte mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Versöhnung. Noch bin ich frei, noch kann ich dich bitten: so thut sich der Himmel Mit Myriaden von Seraphim auf und führet mich jauchzend, Vater, zurück im Triumph zu deinem erhabenen Throne!

Aber ich will leiden, was keine Seraphim fassen,

Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht; Ich will leiden, den furchtbarsten Tod ich Ewiger leiden!" Weiter sagt' er und sprach: „Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf, Meine Hand in die Wolken und schwöre dir bei mir selber, Der ich Gott bin wie du: Zch will die Menschen erlösen." Jesus sprach's und erhub sich. In seinem Antlitz war Hoheit, Seelenruh' und Ernst und Erbarmung, als er vor Gott stand. Aber, unhörbar den Engeln, nur sich und dem Sohne vernommen, Sprach der ewige Vater und wandte sein schauendes Antlitz Nach dem Versöhner hin: „Ich breite mein Haupt durch die Himmel, Meinen Arm aus durch die Unendlichkeit, sage: Ich bin

Ewig! und schwöre dir, Sohn: Ich will die Sünde vergeben."

Also sprach er und schwieg.

Indem die Ewigen sprachen,

Ging durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben. Der Engel Gabriel bringt das Gebet vor Gott und wird von Eloa, dem erhabensten aller Engel, zuni Altare des Messias geführt, wo er daS Gebet des Mittlers fingt. Auf Gottes Wink verkündet Eloa den Himmeln die Befehle desselben. Der Engel Gabriel steigt darauf zum Messias zur Erde hinab, dessen nahendes ErlvsungSwerk er den Engeln der Erde nnd „den Seelen der Väter auf der Sonne verkündet. Jesus begiebt sich danach zu den Gräbern am Olberge.

S^ammas Erlösung. Jesus stieg an dem Älberg nieder.

An seiner Mitte

Standen Palmen, vor allen auf niedrigen Hügeln erhaben,

Von leicht schimmernden Wolken des Morgennebels umfloffen. Unter den Palmen vernahm der Messias den Engel Johannis, Raphael ist sein Name, der ihn hier betend verehrte.

„Raphael, komm'," rief ihm der Messias mit freundlichem Anblick, „Wandle mir hier ungesehn zu der Seite. Wie hast du die Nacht durch

Unsres lieben Johannes unschuldige Seele bewachet? Welche Gedanken, die deinen Gedanken, Raphael, glichen,

Hatt' er? Wo ist er jetzt?" „Ich bewacht' ihn," sagte der Seraph. „Wie wir die Erstlinge deiner Erwählten, o Mittler, bewachen. Doch jetzt ist er dort unten in traurigen, nächtlichen Gräbem,

Klaget einen besessenen Mann, der im Staube der Toten Fürchterlich bleich wie bebend Gebein herübergestreckt liegt.

Mittler, du solltest ihn sehn, du solltest den zärtlichen Jünger Neben ihm voll mitleidiges Kummers und Wehmut erblicken,

Wie vor Menschenliebe das Herz ihm erbarmend zerfließet, Wie er bebet. Mir selbst drang eine Thräne der Wehmut Zitternd ins Auge. Da wandt' ich mich weg. Das Leiden der Geister, Die du zur Ewigkeit-schufst, ist mir stets durch die Seele gedrungen." Raphael schwieg. Der Göttliche sah mit Zorne gen Himmel. „Vater, erhöre mich! Es werde der Haffer der Menschen

Deinem Gericht ein ewiges Opfer, das jauchzend der Himmel, Das mit Bestürzung und Schänd und Schmach die Hölle betrachte!" Also sagt' er und näherte sich den Gräbern der Toten. Unten am mitternächtlichen Berge waren die Gräber In zusammengebirgte, zerrüttete Felsen gehauen.

Dicke, finsterverwachsene Wälder verwahrten den Eingang Vor deü fliehenden Wanderers Blick. Ein trauriger Morgen Stieg, wenn der Mittag schon sich über Jerusalem senkte, Dämmernd noch Samma, so hieß Seines jüngsten, Satan ließ ihm Samma lag bei

in die Gräber mit kühlem Schauer hinunter. der besessene Mann, lag neben dem Grabe geliebtereil Sohns in kläglicher Ohnmacht. die Ruh', ihn desto ergrimmter zu quälen.. des Knaben Gebein in modernder Asche; Neben ihm stand sein anderer Sohn und weinte zu Gott auf. Jenen Toten, den der Vater beweint und der Bruder, Brachte die zärtliche Mutter einst, erweicht durch sein Flehen, Mit in die Gräber zum Vater hinab, zu dem Vater im Elend, Den jetzt Satan in grimmiger Wut bei den Toten herumtrieb. „Ach, mein Vater!" so rief der kleine, geliebte Benoni

Und entflöhe der Mutter Arm, die ängstlich ihm nachlief, „Ach, mein Vater, umarme mich doch!" und krümmt' um die Hand sich, Drückte sie an sein Herz. Der Vater umfasset ihn, bebet. Da mit kindlicher Inbrunst nun der Knab' ihn umarmte, Da er mit sanft liebkosendem Lächeln ihn jugendlich ansah, Warf ihn der Vater an einen entgegenstehenden Felsen, Daß sein zartes Gehirn an blutigen Steinen herabrann

Und mit leisem Röcheln entfloh die Seele voll Unschuld. Jetzo klagt er ihn trostlos und faßt das kalte Behältnis Seiner Gebeine mit sterbendem Arm. „Mein Sohn, Benoni!

Ach, Benoni, mein Sohn!" so sagt er, und jammernde Thränen Stürzen vom Auge, das bricht und langsam starrend dahinstirbt. Also lag er, beklommen von Angst, da der Mittler hinabkam. Joel, der andere Sohn, verwandte sein thränendes Antlitz Von dem Vater und sah den Messias die Gräber herabgehn. Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aust.

210

Epische Poesie. „Ach, mein Vater," erhub er froh vor Verwundrung die Stimme, „Jesus, der große Prophet, kommt in die Gräber hernieder." Satan hört' es und sah bestürzt durch die Öffnung des Grabmals.

So sehn Gottesleugner, der Pöbel, aus dunkeln Gewölben, Wenn am donnernden Himmel das hohe Gewitter heraufzieht Und in den Wolken der Rache gefürchtete Wagen sich wälzen. Satan hatte bisher aus der Fern' nur Samma gepeinigt; Aus den tiefsten, entlegensten Enden des nächtlichen Grabmals

Jetzt erhub er sich wieder, Rüstete sich mit des Todes Schrecken und stürzt' auf Samma. Samma sprang auf, dann fiel ohnmächtig von neuem er nieder. Sandt' er langsame Plagen hervor.

Sein erschütterter Geist (er rang noch kaum mit dem Tode) Riß ihn, von dem mörd'rischen Feind' empöret zum Unsinn,

Felsenan. Hier wollt' ihn vor deinen göttlichen Augen, Richter der Welt, am hangenden Felsen Satan zerschmettern; Aber du wärest schon da, schon trug voreilend die Gnade Dein verlaff'nes Geschöpf auf treuen, allmächtigen Flügeln, Daß er nicht sank. Da ergrimmte der Geist des Menschenverderbers Und erbebte. Ihn schreckte von fern die kommende Gottheit. Jetzo richtete Jesus sein helfendes Antlitz auf Samma, Und belebende, göttliche Kraft, mit dem Blicke vereinet, Ging von ihm aus. Da erkannte der bange, verlaffene Samma Seinen Retter. Ins bleiche Gesicht voll Todesgestalten

Kam die Menschheit zurück; er schrie und weinte gen Himmel, Wollte reden, allein kaum konnt' er, von Freuden erschüttert, Bebend stammeln. Doch breitet' er sich mit sehnlichen Armen Nach dem Göttlichen aus und sah mit getröstetem Auge Voll Entzückung nach ihm von seinem Felsen herunter. Jetzo sprach der Messias mit mächtiger Stimme zu Satan:

„Geist des Verderbens, wer bist du, der du vor meinem Antlitz Dies zur Erlösung erwählte Geschlecht, die Menschen, so quälest?" „Ich bin Satan," antwortet' ein zorniges, tiefes Gebrüll, „bin König der Welt, die oberste Gottheit unsklavischer Geister, Die mein Ansehn etwas Erhabnerem als den Geschäften Himmlischer Sänger bestimmt. Dein Ruf, o sterblicher Seher, Denn Maria wird wohl Unsterbliche niemals gebären,

Dieser dein Ruf drang, wer du auch bist, zu der untersten Hölle. Selber ich verließ sie, sei stolz ob meiner Heraufkunft! Dich, von himmlischen Sklaven verkündigten Retter, zu sehen.

Doch du wurdest ein Mensch, ein götterträumender Seher, Wie die, welche mein mächtiger Tod hinab in die Erde Gräbt. Dmm gab ich nicht acht, was die neuen Unsterblichen thaten; Aber nicht müßig zu sein, so plagt' ich, das hast du gesehen, Deine Geliebten, die Menschen. Da schau' die Todesgestalten, Meine Geschöpf', auf diesem Gesicht! Jetzt eil' ich zur Hölle.

Unter mir soll mein allmächtiger Fuß das Meer und die Erde, Mir zu bahnen gehbaren Weg, gewaltsam verwüsten.

Epos.

211

Dann soll schauen die Höll' im Triumph mein königlich Antlitz.

Willst du was thun, so thu' eS alsdann; denn ich kehre wieder, Hier auf der Welt mein erobertes Reich als König zu schützen. Stirb indeß noch, Derlass'ner, vor mir!" Er sprach's, und er stürzte Stürmend auf Samma.

Allein deS ruhig schweigenden Mittlers

Stille, verborgne Gewalt kam, gleich des Vaters Allmacht, Wenn er Untergang unerforscht auf Welten herabwinkt,

Satan im Zorne zuvor.

Er floh und vergaß im Entfliehen,

Unter allmächtigem Fuß zu verwüsten das Meer und die Erde. Samma stieg indes von seinem Felsen hernieder.

Also entfloh von dem hohen Euphrates Nebukadnezar, Da ihm der Rat der heiligen Wächter die Bildung des Menschen

Wiedergab und, von neuem den Himmel zu schaun, ihn erhöhte. Gottes Schrecknisse gingen nicht mehr mit dem Rauschen Euphrates' Ihm in Wettern vorüber, als wären's des Sinai Wetter. Nebukadnezar erhub sich auf Babylons hangende Höhen; Jetzo kein Gott mehr, lag er gen Himmel ausgebreitet,

Dankbar im Staube gebeugt, den Ewigen anzubeten. So kam Samma zu Jesus herab und fiel vor ihm nieder.

„Darf ich dir folgen, du heiliger Mann?

Ach, laß mich mein Leben,

Das du von neuem mir gabst, bei dir, Mann Gottes, vollenden!" Also sagt' er und schlang sich mit brünstigen, zitternden Armen Um den Erlöser, der ihm mit menschenfreundlichen Blicken Dies erwiderte: „Folge mir nicht, doch verweile dich künftig Oft an der Höh' der Schädelstätte: da wirst du die Hoffnung Abrahams und der Propheten mit deinen Augen erblicken." Als der Mittler zu Samma so sprach, da wandte sich Joel Zu Johannes und sagte zu ihm mit schüchterner Unschuld: „Lieber, ach, führe du mich zu Gottes großem Propheten, Daß er mich höre, du kennest ihn ja!" Der zärtliche Jünger Nahm ihn und führt' ihn zu Jesus; da sagt' er in seiner Unschuld: „Gottes Prophet, so kann denn mein Vater und ich dir nicht folgen?

Aber, o darf ich es sagen? warum verweilest du jetzo, Wo mein-.jugendlich Blut erstarrt vor der Toten Gebeinen? Komm, Mann Gottes, ins Haus, wohin mein Vater zurückkehrt; Dort soll meine verlassene Mutter mit Demut dir dienen.

Milch und Honig, die lieblichste Frucht von unseren Bäumen Sollst du genießen; die Wolle der jüngsten Lämmer der Aue

Soll dich decken. Ich selber will dich, o Gottes Prophet, dann, Kömmt der Sommer, unter der Bäume Schatten begleiten, Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni! Ach, Benoni, mein Bruder! dich last' ich zurück in dem Grabe!

Ach, nun wirst du mit mir die Blumen künftig nicht tränken, Wirst am kühlenden Abend mich niemals brüderlich wecken! Ach, Benoni! Ach, Gottes Prophet, da liegt er im Staube!" Jesus sah mit Erbarmen ihn an und sprach zu Johannes:

„Trockne dem Knaben die Zähren vom Aug': ich hab' ihn viel edler 14*

212

Epische Poesie. Und rechtschaffner als viele von seinen Vätern erfunden." Also sagt' er und blieb mit Johannes allein in den Gräbern.

Satan veranlaßt mit Adramelech zusammen, trotz der Einwendungen Abadonas die Höllen­ fürsten, zur That zu schreiten, und eilt auf den Olderg zurück. Während Jesus in den Gräbern die Seiden der Erlösung in sich zunehmen fühlt und der Engel Selia durch die Schutzengel der Jünger mit dem Charakter derselben bekannt gemacht wird, empfindet Jschariot die Wirkungen der Eingebungen Satans, der ihm im Traume unter der Gestalt seines Vaters erschienen ist. Das Synedrium, welches den Tod Jesu beschlossen, belohnt JudaS, während der Messias auf dem Wege nach Jerusalem sich bei der Schädelstätte verweilt, an seinen Tod und die Erlösung denkend. In der Stadt feiert, er mit seinen Jüngern das letzte Mahl, nimmt Abschied von ihnen und begiebt sich auf den Olberg. Gott steigt auf den Tabor, hält Gericht über den Messias und kehrt dann zu seinem Throne zurück. Unterdes naht Judas mit seiner Schar, um Christum zu fangen, der dann vor das Synedrium geführt, zum Tode verurteilt und von der Wache gemißhandelt wird. Pilatus verhört den zu ihm geführten Mittler im Richthause und beschließt, während Judas sich getötet hat, ihn zu Herodes zu senden. Maria wendet sich an Portia und fleht sie an, ihren Ge­ mahl zu warnen und ihn zu bitten, daß er des Unschuldigen schone.

Maria und Portia. Unterdes kam die Mutter des liebsten unter den Söhnen Nach durchwachter einsamer Nacht mit dem Schauer der Dämmmng Nach Jerusalem, fand ihn im Tempel nicht, wo sie ihn suchte, Fand den göttlichen Sohn nicht. Versenkt in ängstliches Staunen,

Höret sie von den Palästen der Römer herüber ein dumpfes, Tiefaufsteigend Getöse. Sie ging dem Getös' entgegen, Ohne daran zu denken, woher es entstünde. Nun geht sie Unter dem Volke, das rings durch Jerusalem gegen den Richtstuhl Drang. Beklommen, allein noch ruhig wegen des Aufmhrs Ursach, naht sie dem Richtstuhl sich. Hier sieht sie Lebbäus. Doch kaum sah Lebbäus die Mutter, da floh er. „Ach, flieht er? Warum wendet er sich?" so dachte Maria. Die Vorsicht Zückt' auf sie mit diesem Gedanken das Schwert, das bestimmt war, Ihr durch die Seele zu gehn. Maria erhub sich und sahe Jesus. Ihr Engel, als er die Todesbläffe, mit der sie Bleich ward, als er die starrenden Augen der Mutter erblickte, -Wandt' er sein Antlitz. Doch sie, da ihrem Auge das Dunkel, Ihrem Ohr die Betäubung entsank, ging vorwärts und bebte Näher zum Richtstuhl hin und sah noch einmal den Sohn stehn, Sah die mächtigen Kläger um ihn und den richtenden Römer, Hörte die Stimme des Volks, die rings mit Wut von dem Tode Wiederhallte. Was sollte sie thun? Zu welcher Erbarmung Sollte sie flehn? Sie schaute sich um, da war kein Erbanner, Schaute gen Himmel empor, auch er verstummte der Mutter.

Jetzo betet ihr blutendes Herz: „O, der ihn durch Engel Mir verkündigen ließ, mir ihn in Bethlehems Thal gab, Daß ich mit Mutterfreuden mich freute, mit denen der Mütter Keine sich jemals freute, mit Freuden, die selber die Engel In dem Liede von seiner Geburt nicht alle besangen, Du, der Samuels »Mutter erhörte, da sie am Altare Stand und weint' und betet', erhör', Erbarmer, den Jammer

Epos. Meiner Seele, vernimm die Angst, die mehr mich erschüttert

Als der Gebärerin Angst! Das mütterlichste der Herzen Gäbest du mir und den besten der Söhne, den besten von allen Erdegebornen.

Laß ihn nicht sterben, ist anders mein Flehen

Deinem göttlichen Willen gemäß, o du, der die Himmel Schuf und der Thräne gebot, zu dir um Erbarmung zu flehen!" Hier verstummt' ihr Herz. Der Strom der kommenden Scharen Trieb sie seitwärts und nahm ihr des Sohns Anblick. Sie entriß sich Jetzt dem Gedränge, sie stand, sie ging, sie suchte, fand nicht, Nicht die Jünger. Zuletzt verhüllte sie sich und weinte

Sprachlos. Als sie darauf ihr Aug' aufhebt, da erblickt sie Sich an dem Seitenpalaste des Römers. Vielleicht, daß hier Menschen Wohnen, denkt sie, vielleicht, daß selbst in der Schwelger Palästen Eine Mutter gebar, der es, Mutterliebe zu fühlen,

Nicht zu klein ist. O wenn es wäre, was viele der Mütter Von dir, Portia, sagen, daß du ein menschliches Herz hast; O, ihr Engel, die ihr bei der Krippe seiner Geburt sangt, Wenn das wäre! Sie denkt's. Schon eilt sie die Marmorgeländer llnverhüllter hinauf und geht in den schweigenden Sälen;

Aber nicht lang, so kommt aus einem fernen Gewölbe In des Palastes Seite, die sich zu dem Richtstuhl hinzog, Eine Römerin her und sieht Maria. Die junge, Bleiche Römerin blieb, so wie gelöst ihr das Haar floß Und das leichte Gewand die bebenden Glieder herunter, Voll Bewunderung stehn; denn die Mutter des Unerschaffnen Zeigte, wiewohl der Schmerz sie verhüllte, in ihren Gebärden Eine Hoheit, von Engeln, weil die auch dann sie verstanden, Noch bewundert; verhüllt vom Schmerze, stieg sie am tiefsten

Zu den Menschen hinab, von ihnen bewundert zu werden: Denn die kannten nicht, was an der Heitern die Himmlischen sahen. Endlich redet die Römerin: „Sag', o sage, wer bist du? Wer du auch seist, noch nie hab' ich diese Hoheit gesehen, Diesen göttlichen Schmerz!" Da unterbrach sie Maria:

„Wenn du wnklich das Mitleid, das du in deinem Gesicht hast, Auch in dem Herzen empfindest, so komm, o Römerin, führe

Mich zu Portia!" Mehr noch erstaunt, antwortet mit leiser, Sanfter Stimme die Römerin: „Ich bin Portia." „Du bist

Portia selbst?

Ein geheimes, ein linderndes, stilles Verlangen

Wünschte mir Portia so, da ich dich sahe. Du bist es Also selber, o Römerin? Zwar du kennest die Schmerzen Einer Mutter nicht ganz, die zu einem Volke gehöret,

Welches ihr haßt; doch Israelitinnen selber erzählen, Daß dein Herz voll Menschlichkeit sei. Der Mann, den Pilatus Richtet, er hat kein Übel gethan, den Tyrannen verklagen!

Ich bin seine Mutter! Maria hat es gesprochen." Portia blieb vor ihr stehen und sah mit sanftem Erstaunen, Mit Entzückung sie an; denn über den Kummer deS Mitleids

213

Epische Poesie.

214

Siegte der höh're Gedanke.

Sie konnte jetzt nur bewundern.

Endlich rief sie: „Er ist dein Sohn?

Glückselige, du bist

Dieses Göttlichen Mutter? Du bist Maria?" Dann wendet Sie sich von ihr und richtet gen Himmel ihr staunendes Auge. „Sie ist seine Mutter, ihr Götter! Euch mein' ich, ihr höh're, Bessere Götter, die mir in dem Traume voll Ernst sich entdeckten.

Jupiter heißt ihr nicht, ihr heißet nicht Phöbus Apollo; Aber, wie euer Name auch heißt, ihr seid es, ihr sandtet Mir die Mutter des größten der Menschen, wenn er ein Mensch ist!

Und mich bittet sie? mich?

Nein, bitte mich nicht!

O, führe

Mich vielmehr zu ihm hin, zu deinem erhabenen Sohne, Daß er der Dunkelheit mich, den Zweifeln entreiße, von fern nur Auf mich blicke und mir die Lehre der Gottheit entfalte!" Portia hatte zuletzt sich gewandt. Mit Augen voll Liebe

Suchte Maria der Römerin Aug' und redete wieder: „Wie ist deine Seele bewegt! Ja, Pottia liebt mich!

Pottia! o, ich war es auch, war der glücklichen Mütter

Glücklichste. So hat keine der Mütter geliebt, wie ich liebe! Aber bei deinem Herzen voll Mitleids, o Römerin, nife Deine Götter nicht an! Hilf selbst, sie können nicht helfen! Und auch du vermagst nicht zu helfen, wenn Gottes Ratschluß, Daß er sterbe, beschloß! Allein es würde Pilatus, Wenn des Unschuldigen Blut nicht seine Seele befleckte, Freudiger stehen vor dem Gericht des Gottes der Götter." Portia schaut' auf sie hin und fing an leise zu reden: „O, was sag' ich zuerst, was zuletzt? Wie voll ist mein Herz mir! Erst sei dieses dein Trost, ist es anders Trost dir: Ich will dir Helfen, du Teure! Dann wisse, die Götter, welche du meintest, Fleht' ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich jetzt aufsteh', Lehrte mich bessere Götter, zu denen hab' ich gebetet, Sieh', ein Traum, wie noch keiner um meine Seele geschwebt hat, Ach, ein himmlischer, schreckender Traum! Ich würde dir helfen, Wärst du auch nicht, Maria, gekommen. Der Traum, den ich sahe,

Hatte mir schon für dich mit mächttger Stimme gesprochen;

Aber er endete fürchterlich, und ich verstand ihn zuletzt nicht. Da erwacht' ich und fand mich in kalten Schweißen. Ich eilte Gleich, den erhabnen Verklagten zu sehen. Da hatten die Götter Mir des Verlangten Mutter gesandt!" Hier schwieg sie und winkte Einer Sklavin, die ferne von ihr in der Tiefe des Gangs stand; Denn sie gab den Befehl, da aus ihren Hallen sie eilte, Eine Sklavin sollte sie nur in der Feme begleiten.

Diese nahete jetzt und empfing die neuen Befehle: „Geh' zu Pilatus und sag' ihm: Er ist ein großer, gerechter, Göttlicher Mann, den du richtest! verdamme du nicht den Gerechten!

Um des Göttlichen willen, Pilatus, hat ein Gesicht mich Heut im Schlafe geschreckt! So stille denn, liebende Mutter, Deine Schmerzen und komm, daß ich unter die Blumen dich führe

Epos.

215

Dort in die Morgensonne, damit wir die Menge nicht hören

Und ich dir sage, was mich die ernste Stunde gelehrt hat." Portia sprach's, und sie stiegen hinab. Die edlere Heidin

Sieht mit ernstem Angesicht nieder. Noch schweigt sie, voll Wunderns Über den Traum und vertieft in neue Gedanken. Ihr Engel Hatt' in ihre Seele den Traum gegossen und immer Aus den Lieblingsgedanken, die sie am feurigsten dachte,

Neue Gedanken entwickelt, in ihrem Herzen die feinsten, Zartesten Saiten gewisser zu treffen und ganz sie zu rühren.

c.

Das romantische Epos.

Das romantische Epos

Mittelalters.

entnimmt seinen Stoff aus der romantischen Zeit des

Es verherrlicht nicht die natürliche Kraft des von natürlichen Beweggründen

getriebenen Menschen, sondern den von schwärmerischer Liebe, Frömmigkeit und Tapferkeit beseelten Ritter, indem es Thaten erzählt,

die aus solchen Empfindungen hervorgehen

müssen. Es gewährt daher auch der Phantasie freiesten Spielraum, zieht das wunder­ reiche Morgenland zur Hülfe heran und verschmäht den Beistand mannigfacher guter und

böser Geister nicht.

Den Mittelpunkt des romantischen Epos bildet nicht eine für das

Volk bedeutsame und bedeutungsvolle Begebenheit, sondern der Held mit seinen wunder­ baren, mehr oder weniger abenteuerlichen Geschicken, der meist zugleich der Vertreter der Empfindungen und Bestrebungen seiner Zeit ist.

1.

Aus Hartmanns von Aue „Armem Heinrich".

Es macht die Sage uns bekannt, Es sei dereinst im Schwabenland

Ein Musterbild der Tugend,

Ein edler Herr gesessen,

Ein Blütenreis der Jugend, Der Welt ein fröhlich Spiegelglas,

An welchem nichts vergessen Von Herrlichkeit und Tngend,

Der steten Treu' ein Adamas, Ein Ehrenkranz der edlen Zucht

Die eines Ritters Jugend In vollem Maße zieren soll. Das Land war seines Lobes voll. An Adel manchem Fürsten gleich,

Und der Bedrängten Hort und Flucht, Den Seinen all ein sichrer Schild, Dabei in rechtem Maße mild,

An Gütern wie ein König reich

Ein reicher Quell von weisem Rat, Ein Sänger edler Frauen

Und reicher noch an Ruhme

Im edlen Rittertume: So war der stolze Herr bekannt,

Heinrich von Aue zubenannt. Falschheit und rohes Wesen Sind ihm verhaßt gewesen, Er mied nach einem teuren Eid

Geehrt um manche Heldenthat,

Und herrlich anzuschauen

Von Angesicht und von Gestalt: Was fehlt ihm, um mit Allgewalt Die Herzen alle zu begeistern Und jedes Ruhms sich zu bemeistern?

Ach, all die stolze Herrlichkeit

Sie alle seine Lebenszeit. Es war sein ganzes Leben

Versank in herzzerbrechend Leid! Herr Heinrich, der in Fröhlichkeit,

Der Ehre nur ergeben; Drum möcht' er auch im Leben

In Wonne und in Würdigkeit Gelebt, der ward von Gottes Macht Um allen Preis und Ruhm gebracht.

Nach hohen Ehren streben.

216

Epische Poesie.

Hart war die Prüfung, die ihn traf, Ein Wetterstrahl im süßen Schlaf.

Sein schöner Leib ward aller Welt Zu Schmach und Abscheu ganz entstellt

Von Schwären und von gift'gen Wunden, Die sich als Aussatz bald bekunden. Es ließ der Herr mit gleicher Pein

Die Seele ihm zu retten

Aus eitler Weltlust Ketten. Er lobte Gott und freute sich

Der schweren Prüfung inniglich. So that der arme Heinrich nicht. Sein Herz vergaß der höchsten Pflicht; Sein fröhlich Herz erstarrte ganz, Es schwand der Augen heitrer Glanz, Und seines Geistes Mut erlag:

Den Hiob einst geschlagen sein, Um ihn zu prüfen, ob im Leid Er hielt' an der Gerechtigkeit. Herr Heinrich, einst von Weib und Mann Geliebt, geehrt, der ward fortan

Ein allzuschwerer Donnerschlag

Gestöhn, verworfen ganz und gar. Ach, Menschengunst ist wandelbar'. Als nun der arme Heinrich sah, Wie dieses Leid an ihm geschah,

Mit Not und Mühe nur den Schmerz, Daß er der Ehre Tagen

Und wie die Menschen vor ihm stöhn, Oft seiner Pein noch sprachen Hohn, Da ging es ihm, wie's manchem geht, Dem unversehen Leid ersteht:

Es schied ihn sein wohl schweres Leid Von Hiobs Gottergebenheit; Denn Hiob nahm mit frommem Sinn Die schwere Prüfung Gottes hin, Die ihn zur Schmach vor aller Welt, Zu Fluch und Schande hingestellt,

Warf ihn danieder, dunkle Nacht

Umhüllte seiner Sonne Pracht. Es trug sein übermütig Herz

Nun sollte Abschied sagen; Des Tags, der ihn ans Licht gebracht, Ward oft von ihm mit Fluch gedacht.

Der einz'ge Trost in seiner Pein War nur die Hoffnung noch allein; Er dacht', es müsse ihm gelingen, Mit seinem Reichtum zu bezwingen

Die Not, in die ihn Gott gebracht. Ach, zu gering war seine Macht, Um wider den zu streiten!

Auch die besten Ärzte vermögen ihn nicht zu heilen; ein berühmter Meister in Salerno teilt ihm endlich mit, er sei nur durch eine reine Jmigsran zu rette«, die bereit wäre, ihr Herzblut für ihn hinzugeben. Da erkennt er, daß ihm nicht geholfen werden könne, und verteilt all sein Gut an seine Freunde, an die Annen und an Gotteshäuser mit einziger Ausnahme eines kleinen Hofes, auf dem er von aller Welt geschieden lebt, treu gepflegt von einen, Bauern, dem er den Nießbrauch der zum Hofe gehörigen Felder gegeben.

Der Bauer diente seinem Herrn Für seine Güte treu und gern; Er nahm mit frohem, leichtem Sinn Die Mühe und die Arbeit hin, Die neu an jedem neuen Morgen Er hatte, um für ihn zu sorgen. Es schaute Gott den braven Mann Mit seinem Wohlgefallen an;

Er gab ihm einen starken Leib, Ein frohes Herz, ein braves Weib

Das nun im zehnten Jahre war, Mit einem klaren Augenpaar

Und roten Wänglein, lichtem Haar Und holden Zügen wunderbar. Es war das gute, liebe Kind Dem kranken Herrn so treu gesinnt, Daß selten sie von seinen Füßen Entwich und für ein freundlich Grüßen Ihm willig diente allezeit.

Und schöne Kinder, die mit Lust Erfüllen eines Menschen Brust.

Die andern alle flohen weit Den kranken, beulenvollen Mann; Sie aber ging zu ihm heran,

Darunter war ein Mägdelein, Gar lieblich, munter, zart und fein,

Ihr kindlich Herz war immerdar

So oft es ihr nur möglich war.

Epos.

Ihm zugethan und stets bereit, Die schwere Pein, das harte Leid Mit Zärtlichkeit ihm zu versüßen,

Und lächelnd saß sie ihm zu Füßen.

Er liebte auch das gute Kind, Das ihm so hold und treu gesinnt,

Und kaufte oft ihr bunte Sachen,

Der eure Krankheit heben kann. Warum, o Herr, fragt ihr nicht an?"

Da drängten aus des Kranken Herzen Viel' Seufzer sich mit bangen Schmerzen; Sie wollten schier das Herz ihm brechen,

Als er begann, wie folgt, zu sprechen: „Ich habe dieses schwere Leid

Wie sie den Kindern Freude machen. Die einz'ge Freude seiner Brust

Von Gott verdient zu seiner Zeit.

War ihre kindlich reine Lust. Sie war so dankbar, war so ftoh,

Ich sann nur, wie es mir gelinge,

Daß wohl auch ihn der Kummer floh Und er zu scherzen selbst begann, Sie sei sein Frauchen, er ihr Mann;

Sie ließ ihn selten nur allein Und linderte ihm seine Pein Durch Lieb' und kindliches Vertraun, Und, immer fröhlich anzuschaun,

War sie ein Balsam seiner Brust Und seiner Augen süße Lust. Drei Jahre waren schon vergangen, Seit über ihn das Leid verhangen, Und immer noch brach nicht sein Leib. Da saß der Bauer und sein Weib Und auch ihr beider Töchterlein

Es stand mein Sinn auf eitle Dinge Um Ehre vor der Welt zu habenDas brachte mich um Gottes Gnade

Und schloß mir zu des Himmels Pfade,

So daß ich, hier wie dort verloren, Zu Schmach und Elend ward erkoren. Wie tief bin ich verloren!

Der ich dein Herr geboren, Ich muß zu dir nun flehen, Mich gnädig anzusehen; Doch Gott wird dich mit Segen

Beglücken meinetwegen, Weil du dich ob des Armen So christlich läßt erbarmen. Doch was du fragst, bescheid' ich dir. Ich suchte wohl den Arzt, der mir

Beisammen einst im Dämmerschein

In meinem Leide brizustehn

Und sprachen da von ihrem Herrn,

Verstünde, ach! und mußte sehn,

Und wie sie hülfen ihm so gern.

Daß keine Hülfe ist auf Erden,

Sie trugen um ihn große Not

Durch die mir mag geholfen werden. Zwar giebt's ein Mittel, aber nie

Und fürchteten, daß sie sein Tod

In große Trübsal bringen werde. Sie meinten, daß es auf der Erde Nicht solchen Herrn noch möchte geben, Und müßten sie es dann erleben, Daß einst ein andrer ihn beerbe, Daß dann mit ihm ihr Glück ersterbe. Da sprach der Bauer zu dem Herrn: „Mein lieber Herr, ich fragte gern, Wenn ihrs erlaubt, aus welchem Grunde Ihr nicht schon längst bis diese Stunde Mit Ärzten euch beraten,

Die doch von ihren Thaten So großen Ruhm erheben.

217

Erlang' ich das aus Erden hie. Ein weiser Arzt hat mir gesagt, Es müsse eine reine Magd Um mich den bittern Tod erleiden,

Der müsse man ins Herze schneiden;

Von ihrem Blut würd' ich gesunden Von meines Leibes bösen Wunden.

Wie aber mag die Maid ich finden,

Die gern ihr Leben ließe schwinden, Um mich zu retten? Drum verzagen Muß ich an Heilung und ertragen Den Zorn des Höchsten, meine Not. Ach, löste bald mich doch der Tod!"

Es wird doch einer leben, Auch das reine, keusche Mägdlein hat dies gehört. Sie beschließt fest in ihrem Herzen, für ihren Herrn ihr Leben hinzugeben, beharrt bei ihrem Entschlüsse trotz der dringenden Bitten und der strömenden Thränen ihrer Eltern und erlangt endlich von ihnen und von Heinrich die Ein-

218

Epische Poesie.

willigung in ihr Opfer. Fröhlich zieht sie mit ihm nach Salerno und verlangt ihren Tod auch den Mahnungen des warnenden Meisters gegenüber, der endlich sich darein fügen muß, der Jung­ stau Bitte zu erfüllen.

Hin führt' er ohne Aufenthalt

In sein entlegnes Zimmer sie, Daß es ihr Herr nicht sähe hie, llnd vor ihm schloß er zu die Thür Und warf dann einen Riegel für. Dahier in einem Kämmerlein, Das er mit seinen Arzenei« Beständig wohlberaten fand,

Hieß er die Jungfrau ihr Gewand, So viel sie trug, vom Leibe thun.

Sehr froh und heiter ward sie nun, Und schnell riß sie die Kleider auf; Entblößet stand sie bald daraus.

Er fühlte um sie großen Schmerz, Daß ihm beinahe war sein Herz Vor seinem schweren Werk verzagt. Nun sah die reine, gute Magd Dort eine hohe Tafel stehn; Auf die hieß sie der Meister gehn. Alsdann er auf den Tisch sie band Und nahm ein Mesier in die Hand, Ein scharfes, das dort lag bereit Zu solchen Dingen alle Zeit. Doch nicht genügt' es ganz und gar Dem Arzt, so lang und breit es war,

Da e3 nicht gut genug ihm schnitt. Da sie zum bittern Tode schritt, Erbarmte er sich ihrer Not Und gönnt' ihr einen sanften Tod.

Und durch den Spalt die Traute Nackt und gebunden schaute. Ihr Leib, der war so minniglich,

Er sah sie an und sah auf sich Und änderte den Willen nun. Er meinte, übel dran zu thun, Wozu er erst entschloffen war; Und schnell verkehrt' er ganz und gar

Den Willen, den er anfangs hegte, ^Da ihn das Mitleid so bewegte.

Als er die Maid so reizend sah,

In seinem Herzen meint' er da: Wie thöricht hast du doch gedacht, Daß du nicht dessen hattest acht, Dem niemand widerstehen mag, Und ohne ihn meinst einen Tag Zu leben.

Eitel ist dein Thun,

Da du mußt einmal sterben nun, Daß du bei diesem siechen Leben, Was dir von deinem Gott gegeben, Geduld und Ruhe ganz vergißt; Zumal sehr zu bezweifeln ist,

Ob dir des Kindes Tod mag frommen. Das Leid, das dir von Gott gekommen, Geduldig laß es dir geschehn. Ich will des Kindes Tod nicht sehn. So that er drauf Verzicht alsbald

Nun lag in seiner Nähe dort Ein Schleifftein, den er nahm sofort.

Und pochte an nun mit Gewalt, Man sollte öffnen ihm sogleich. Der Meister sprach: „Geduldet euch; Denn noch ist nicht das Werk geschehn,

Das Meffer strich er nun daran Und fing mit großem Fleiße an, Es scharf zu machen. Dieses hörte

Daß ich herein euch ließe gehn." „Nein, Meister, sprecht zuvor mit mir." „Ich kann nicht, Herr, bleibt an der Thir

Jemand, der ihre Freude störte, Der arme Heinrich; denn nach ihr

War er gekommen vor die Thür,

Und harret, bis das Werk gethan." „Nein, erst sollt ihr mein Wort empfahn." „So sagt es mir durch diesen Spalt."

Und es erbarmest ihn sehr, Daß er sie sollte nimmermehr

„Die Sache ist nicht dergestalt." Ta öffnete er ihm die Thür.

Lebendig wiedersehen.

Der arme Heinrich ging zu ihr, Die er am Tisch gebunden sah, llnd zu dem Meister sprach er da:

Nun fing er an zu spähen, Bis daß er eine Ritze fand, Die durchging durch des Zimmers Wand,

„Laßt wieder frei die gute Magd.

219

Epos.

Wie viel sie bat und flehte

Was ich euch habe zugesagt, Das Silber will ich geben.

Und schalt mit bittrer Rede,

Ihr sollt sie lassen leben."

All' ihre Mühe war vergebens: Sie ward nicht ledig ihres Lebens.

Als dies die gute Maid vernahm, Das es zum Tod nicht mit ihr kam, Sehr bitter schrie sie zum Erbarmen:

Wie weit sie auch im Schelten ging,

„O wehe mir, o weh mir Armen!

Wie es ein braver Ritter soll, Geduldig, ohne allen Groll, Der feine Zucht und Sitte hegt.

Wozu bin ich erkoren? So hab' ich nun verloren Die reiche Himmelskrone?

Der arme Heinrich es empfing,

Zur Gnade ward er nicht bewegt Und kleidete das Mägdlein an

Die wäre mir zum Lohne Gegeben für die kurze Not. Nun bin ich erst so gut wie tot.

Und gab den Lohn dem Arzte dann,

So viel er hatte ihm verheißen,

O wehe, du gewalt'ger Christ, Was Ehren uns benommen ist, Herrn Heinrich und mir armen Maid! Hin sind die Ehren alle Zeit,

Die erst uns waren zugedacht. Wär' dieses Werk von uns vollbracht, So wäre ihm der Leib genesen Und ich zum Heile auserlesen."

Und dann begann er abzureisen Schnell nach dem Heimatslande. Wiewohl er alles kannte, Daß er daheim von jedermann Schmähungen nur und Leid gewann Und ihn Verachtung traf und Spotts

Traut' er doch lediglich auf Gott. Übersetzt von Koch.

Schnell reist er heim, genest durch Christi Erbarmen unterwegs von seinen Leiden, wird von seinen Landsleuten mit Gütern überreich beschenkt und heiratet mit Zustimmung aller seiner Ver­ wandten die treue Jungfrau, die für ihn sich in den Tod hatte geben wollen.

2.

Aus Wielands Oberon.

Der Befehl des Kaisers.

Der Paladin, mit dessen Abenteuern Wir euch zu ergötzen (sofern ihr noch ergötz­

„Sohn," sprach er, als er ihm den Ablaß segnend gab,

bar seid) „Zeuch hin in Frieden! Es wird dir wohl­ Entschlossen sind, war seit geraumer Zeit gelingen, Gebunden durch sein Wort, nach Babylon zu Was du beginnst. Allein vor allen Dingen, steuern. Wenn du nach Joppe kommst, besuch' das Was er in Babylon verrichten sollte, war heil'ge Grab!" Halsbrechend Werk sogar in Karls des Großen Tagen;

Der Ritter küsset ihm in Demut den Pan­

toffel, Gelobt Gehorsam an und zieht getrost dahin. Um allen Ruhm der Welt kein junger Ritter Schwer war das Werk, wozu der Kaiser wagen. ihn „Sohn," sprach sein Oheim zu ihm, der Verurteilt hatte; doch mit Gott und Sankt heilige Vater in Rom, Christophel

In unsern würd' es auf gleiche Gefahr

Zu dessen Füßen, mit einem reichlichen Strom Hofft er, zu seinem Ruhm sich schon herausBußsert'ger Zähren angefeuchtet, zuziehn. Er als ein frommer Christ erst seine Schuld Er steigt zu Joppe aus, tritt mit dem Pilger­ gebeichtet, stabe

Epische Poesie.

220

Die Wallfahrt an zum werten heil'gen Grabe Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget, Und fühlt sich nun an Mut und Glauben So wie der Pfad sich senket oder steiget. zwiefach kühn.

Auf einmal gähnt im tiefsten Felsengrund Ihn eine Höhle an, vor deren finstrem Schlund Drauf geht es mit verhängtem Zügel Auf Bagdad los. Stets denkt er: kommt es Ein praffelnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten bald? Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Allein da lag noch mancher steile Hügel Gestein,

Und manche Wüstenei und mancher dicke Wald

Dazwischen.

Schlimm genug, daß in den Mit wildem Gebüsche versetzt, das aus den schwarzen Spalten Heidenlanden

Die schöne Sprache von Oc was Unerhörtes Herabnickt und im Wiederschein Als grünes Feuer brennt. Mit lustvermeng­ war. tem Grauen Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzu­ fragt er zwar schauen. An jedem Thore, doch von keiner Seele ver­

„Ist dies der nächste Weg nach Bagdad?"

standen.

Indem schallt aus dem Bauch der Gruft ein donnernd Halt! Einst traf der Weg, der eben vor ihm lag, Auf einen Wald. Er ritt bei Sturm und Regen Und plötzlich stand vor ihm ein Mann von rauher Gestalt, Bald links, bald rechts den ganzen langen Tag Und mußt' oft erst mit seinem breiten Degen Mit einem Mantel bedeckt von wilden Katzen­ fellen, Durchs wilde Gebüsch sich einen Ausgang Haun. Der, grob zusammengeflickt, die rauhen Schen­ Er ritt bergan, um freier umzuschaun; kel schlug; Weh ihm! der Wald scheint sich von allen Seiten,

Je mehr er schaut, je weiter auszubreiten.

Ein

graulich schwarzer Bart hing ihm in krausen Wellen

Was ganz natürlich war, deucht' ihm ein Bis aus den Magen herab, und auf der Zauberspiel. Schulter trug Wie ward ihm erst, da in so wilden Gründen, Er einen Cedernast alK Keule, schwer genug, Woraus kaum möglich war, bei Tage sich zu Den größten Stier auf einen Schlag zu fällen. finden, Der Ritter, ohne vor dem Mann Zuletzt die Nacht ihn überfiel! Und seiner Ceder und seinem Bart zu erSein Ungemach erreichte nun den Gipfel. Kein Sternchen glimmt durch die verwachs'nen

erschrecken,

Beginnt in der Sprache von Oc, der einz'gen, die er kann, Er führt sein Pferd, so gut er kann, am Zaum Und stößt bei jedem Schritt die Stirn an Ihm seinen Notstand zu entdecken. „Was hör' ich?" ruft entzückt der alte Wald­ einem Baum. Wipfel;

mann aus, Er war nicht lange fortgezogen, „O süße Musik vom Ufer der Garonne! So glaubt er, in der Fern' den Schein von Schon sechzehnmal durchläuft den Sternen­ Feuer zu sehn. kreis die Sonne, Der Anblick pumpt sogleich mehr Blut in seine Und all' die Zeit entbehr' ich diesen Ohren­ Wangen, schmaus." Und zwischen Zweifel und Verlangen, Der Held, dem dieser Gruß gar große Ein menschlich Wesen'bielleicht in diesen öden

Höh'n Zu finden, fährt er fort, dem Schimmer nach­ Folgt ungesäumt zugehn,

Freude gab, in

dem Landsmann

Grotte,

die

Epos.

221

Daß Scherasmin bei eurem Namen euch Legt traulich Helm und Panzer ab nenne!" Und steht entwaffnet da gleich einem jungen „Mein Nam' ist Hüon, Erb' und Sohn Gotte. Dem Waldmann wird, als rühr' ihn Alquifs Des braven Siegewin, einst Herzogs von

Stab, Da jener jetzt den blanken Helm entschnallet

Guyenne!"

„O!" ruft der Alte, der ihm zu Füßen fällt, Und ihm den schlanken Rücken hinab „So log mein Herz mir nicht. O tausendmal Sein langes, gelbes Haar in großen Ringen willkommen wallet. In diesem einsamen, unwirtbar'n Teil der

ruft er, „o wie ähnlich Welt! Stück für Stück! Willkommen, Sohn des ritterlichen, frommen, Stirn, Auge, Mund und Haar!" „Wem ähn­ Preiswerten Herrn, mit dem in meiner beffem Zeit lich?" fragt der Ritter. „Verzeihung, junger Mann, es war ein Ich manches Abenteu'r in Schimpf und Ernst „Wie ähnlich,"

bestanden! Augenblick, Ein Traum aus beff'rer Zeit, so süß und auch Ihr hüpftet noch im ersten Flügelkleid, Als wir zum heil'gen Grab zu fahren uns so bitter! Es kann nicht sein! Und doch, wie euch dies

verbanden.

schöne Haar Wer hätte dazumal gedacht, Den Rücken herunterfiel, war mir's, ich seh' Wir würden uns in diesen Felsenschlünden ihn selber Auf Libanon nach achtzehn Jahren finden? Von Kopf zu Fuß. Bei Gott! sein Abdruck Verzweifle keiner je, dem in der trübsten Nacht ganz und gar; Der Hoffnung letzte Sterne schwinden! Nur er von breit'rer Brust und eure Locken Doch, Herr, verzeiht, daß mich die Freude

gelber.

plaudern macht! Ihr seid der Sprache nach aus meinem Laßt mich vielmehr vor allen Dingen fragen, Was für ein Sturmwind euch in dieses Land Lande; vielleicht Jst's nicht umsonst, daß ihr dem guten Herm

verschlagen!"

so gleicht, Der junge Mann erzählt nach Art der Um den ich hier in diesem wilden Haine lieben Jugend So fern von meinem Volk schon sechzehn Jahre Ein wenig breit, wie seine Mutter ihn weine. Bei Hofe (dem wahren Ort, um Prinzen zu Ach, ihn zu überleben, war erziehn!) Mein Schicksal! Diese Hand hat ihm die Augen Gar fleißig zu guter Lehr' und ritterlicher zugeschlossen, Tugend Grab mit treuen Erzogen; wie schnell der Kindheit lieblicher Zähren begoffen, Traum Und jetzt ihn wieder in euch zu sehn, wie Vorübergeflogen, und wie, sobald ihm etwas wunderbar!" Flaum Dies

Aug' sein frühes

„Der Zufall spielt zuweilen solche Spiele," Durchs Kinn gestochen, man ihn zu Bordeaux von den Stufen Versetzt der Jüngling. „Sei es denn!" Fährt jener fort; genug, mein wackrer junger Des Schloffes mit großem Pomp zum Herzog auögerufen; Mann,

Die Liebe, womit ich mich zu euch gezogen fühle, Und wie sie drauf in eitel Lust und Pracht Ist, traun! kein Wahn, und gönnet ihr den Mit Jagen, Turnieren, Banketten, Saus und Lohn, Brause

Epische Poesie.

222

Zwei volle Jahre wie einzelne Zage verbracht, Ha! schri doppelt kam zum Kampf ein Vater und ein Sohn.

Doch eh' zum Tode nun die Reiter sich anrannten, Wieherten erst sich an die Roffe, die sich kannten; Das Wiehenr war der Gruß der beiden Blutsverwandten. So in den Tieren dort, o Wunder, sprach die Stimme DeS Blutes, die erstickt ward von der Männer Grimme..

So viel ist blinder als das blindgeborne Tier Der Mensch, der sehende, geblendet von Begier.

Die Reiter sahen an das Wiehern für ein Zeichen, Daß ihre Roffe selbst an Kampflust ihnen gleichen, Und selber wollten sie nun nicht den Rossen weichen; Doch riefen sie sich nicht mit lautem Schlachtgruß an, Entgegen hielten sie stillschweigend auf dem Plan, Und Sohn und Vater sahn sich stumm, todblickend an.

Run kamen auch heran die Zeugen ihrer Schlacht, Don beiden Seiten die und jene Heeresmacht: Die Heermacht Irans hier, gewaffnet und geschmückt, Vom Feldherm Tus geführt, vom Lager ausgerückt; Die Heermacht TuranS dort, den Berg herabgedehnt, Von Barman aufgestellt und an die Burg gelehnt. Entgegen standen sich die beiden Heere schweigend, Die Kampfbegier vereint nur in zwei Kämpfem zeigend. Wie auf dem weiten Hof ein zahlreich Volk von Hennen Unthätig zusieht, wie zum Kampf zwei Hähne rennen,

Die, für ihr ganz Geschlecht von Kampfbegier entbrannt, Wenn sie erst zum Gefecht zusammen sind gerannt, Lebendig alle zwei nicht mehr zu trennen sind; So sehr macht Eifersucht und heißes Blut sie blind;

Die Hennen sehen zu, wie sie zusammenrennen, Und warten, welchen sie als Herrn deS Hofs erkennen: So dort erwarteten die beiden Heere nun. Wer als des Schlachtfelds Herr hervor sich würde thun,

Und sahen zn bewehrt, als ob sie wehrlos wären; Für alle ließen sie das eine Paar gewähren. Doch näher kamen an die beiden Helden dicht Geritten nun und sahn einander ins Gesicht. Suhrab, den Ungeduld hinan zum Vater trieb,

Sprach, während eine Hand er in der andern rieb:

„Komm, alter Held, wie ich gesehn noch keinen habe, Richt übel nimm es mir! dich will bestehn ein Knabe.

Don Iran brauchen wir und Turan hier dazu Sonst keinen außer uns, genug sind ich und du. An Wüchse bist du hoch, an Schultem bist du stark,

247

Epische Poesie.

248

Die Jahre haben doch versehrt bereits dein Mark; Du wirst mich nicht bestehn in diesem Waffengange!" Er sprach's, und Rostem blickt' auf seine Rosenwange Und sprach zu ihm: „Gemach, feuriges Heldenkind! Die Erd' ist kalt und hart, die Luft ist lau und lind.

Wohl, Alters halb hab' ich gesehn genug Wahlstätten Und half manch stolzes Heer im kalten Staube betten. Die schlafen tief genug, die meinem Streich erlagen; Und wo ich selber schlug, da ward ich nie geschlagen. Nun komm heran, blick' her, wie ich dich morden will!

Entkommst du mir, so fürcht' hinfort kein Krokodil;

Allein es fühlt mein Herz mit dir, Kind, ein Mitleiden, Vom schönen Leib will ich nicht deine Seele scheiden. Gar einem Türken gleichst du nicht, o schlanker Baum! Deinsgleichen viele wüßt' ich auch in Iran kaum."

Wie Suhrab hörte, daß so sanfter Rede pflegte Der Recke, fühlte er, wie sich sein Herz bewegte,

Und sprach: „O alter Held, ich will ein Wort dich fragen, Du aber mußt nun auch mir alle Wahrheit sagen!

Vermelde mir, eh' wir uns schlagen, dein Geschlecht! So, hör' ich, hielten es die Alten im Gefecht. Ich glaube wirklich, daß du niemand auf der Welt Als Rostem bist, der Fürst im grünen Heergezelt!"

So sprach er, und so nah daran war's, daß gewendet Würd' alles Weh in Lust und aller Streit geendet! Da kam ein finstrer Geist auf Rostem, und er sprach: „Ich bin nicht Rostem! Was fragst du dem Rostem nach?

Er ist ein Ritter, ist ein Fürst, ich bin ein Knecht; Mit ihm nicht, nur mit mir ist dir der Kampf gerecht. Ich bin der Späher, der dir auf der Burg erschlug Den Späher dort, der Lust mich auszuspähen trug! Nun komm zum Kampf, mein Sohn! Des Schwatzens ist genug." Als beide Kämpfer nun erschienen auf'dem Plan, Da kamen ihres Kampfs Zuschauer auch heran:

Die Heermacht Irans hier, gewaffnet und geschmückt, Vom Feldherrn Tus geführt, vom Lager ausgerückt; Die Heermacht Turans dort, den Berg herabgedehnt, Von Barman aufgestellt und an die Burg gelehnt. Vor diesen Zeugen ritt zu seinem Gegner hin Suhrab, und, mit dem Mund anlächelnd, grüßt' er ihn: „Wie hast du in der Nacht geruht und bist erwacht Am Morgen?

Früh, o Greis, hast du dich aufgemacht!

Das Aug' und jeden Sinn erlabend ist der Morgen: Doch welchen Abend er uns bringt, das ist verborgen.

Der Berge Häupter sind vom Strahl der Frühe golden, Mit Morgenwein gefüllt sind alle Blumcndolden.

Epos. Die Morgenlüfte gehn, die Schläfer einzuladen, Schnell aufzustehn und sich im Maientau zu baden. Die Vögel fingen laut, die klaren Bäche fließen,

Die Anger sonnen sich, und alle Blumen sprießen; Das ist durchaus kein Tag zu Mord und Blutvergießen,

Ein Tag, das kurze Glück des Lebens zu genießen.

Komm, lieber Alter, steig' herab von deinem Drachen Ins grüne Gras und laß und Waffenstillstand machen! Im Angesichte des und jenes Heeres laß,

Daß froh sie staunen, uns ablegen Groll und Haß! Des Krieges Schauplatz sei in eine Friedensbühne

Verwandelt, und ein Fest erblüh' uns auf. dem Grüne. Ich wink', und Saitenspiel und Wein kommt zum Gelag; Ich feit’ im Rosenhag mit dir den Frühlingstag. Vom Haupte legest du des schweren Helmes Glanz, Und um dein Haar leg' ich von Rosen einen Kranz.

Dann sitzen wir beim Wein und plaudern vom Gefecht; Und alles, was ich weiß von mir, sag' ich dir recht: Du selber sagest auch mir Stammbaum und Geschlecht. Nach deinem Namen hab' ich ohne Rast und Ruh Geftagt, und niemand sagt ihn mir. O sag' ihn du! Nicht ziemt es zwischen uns, so Herz und Mund verschlossen

Zu halten, denn wir sind von gestern Kampfgenossen."

So sprach das Kind; es hatt' aus Waffcr, Luft und Flur Gesprochen an sein Herz die Sprache der Natur.

Wie eine Knospe war das Herz ihm aufgegangen, Und das Verlangen blüht' auf seinen Rosenwangen; Doch wie die Knosp' am Strauch, vom Frühlingsstrahl geweckt, Zurück vom kalten Hauch des Nordwinds wird geschreckt, Und wie die Blume, die den Kelch geöffnet hält Dem Frühtau, wenn auf sie der gift'ge Meltau fällt: So schrumpfte Suhrabs Herz zusammen, und es brach

Der Hoffnung grüner Stil ihm ab, als Rostem sprach: „Nicht also haben wir, o liebes Kind, gewettet, Zu ruhn in Friedensruh', auf Frühlingsgrün gebettet. Wir haben uns bestellt, im Ringkampf uns zu tummeln, Nicht stachellos umherzuschwärmen wie die Hummeln. Wenn du ein Jüngling bist, so bin ich doch kein Knabe; Du siehst, daß ich den Gurt geschnallt zum Ringen habe. Du hast mich lang genug aufs Tagwerk lassen warten, Rosen zu brechen, wie sie blühn in unserm Garten.

Der Hauch des Morgens ist belobt zu jedem Werke, Und mir erneuet er der alten Glieder Stärke. Drum, eh' des Mittags Glut der Sehnen Kraft abspannt, Zeig', ob du bist ein Mann, wann ich dich übermannt!

Ich habe nicht gehört, daß auf dem Kampfplatz plaudern

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Epische Poesie.

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Kampflustige, wenn froh die Hengst' im Frühwind schaudern. Ich habe mich versucht mit Männern hier und dort; Ich bin ein Mann der That, kein Mann von vielem Wort. Dmm meinen Namen nenn' ich eh'r nicht, sei verbürgt!

Als bis du liegst: dann sollst du wissen, wer dich würgt'."

Sie gürteten sich fest die Mitte, stülpten dicht Die Ärmel um den Arm und furchten das Gesicht. Zwei Löwen gleich an Wut, her schoflen sie zumal;

Vom Leibe Schweiß und Blut vergossen sie zumal.

Zwei Leiber wurden da ein Leib, indem sie rangen, Um den vier Arm' im Knaul wie Schlangen sich verschlangen Wie eine Goldspang' eng den Frauenarm umschmiegt,

Und wie fest an den Leib ein nasses Kleid anliegt: So mit den Armen eng umschmiegten sich die beiden; Anstrengten hin und her und wiegten sich die beiden;

An Kraft nicht, noch an Kunst besiegten sich die beiden. Sie hätten Stein und Erz zerdrückt in ihren Armen; Sich drückten sie umsonst und drückten ohn' Erbarmen. Angst fühlte Brust an Brust und Glied um Glieder Schmerz,

Als Vater dort und Sohn sich drückten so ans Herz. Indessen oben sie sich mit den Armen klemmten,

Den Odem in der Brust, das Blut im Herzen hemmten: Indessen hielten sie am Boden die gestemmten Füß' eingewurzelt. So rang Suhrab mit Tehemten! Mit mächtigem Umfahn, gewaltigem Umschlingen Vermochten sie sich doch zu Boden nicht zu ringen, Vermochten sie sich nicht vom Grund emporzubringen, Vermochten sie sich auch vom Platz nicht wegzudringen.

Umsonst umschlangen sie, umsonst umflochten sie; Vergebens rangen sie, vergebens fochten sie.

Voll Mut an drangen sie, voll Wut auf kochten sie;

Sich nicht bezwangen sie, noch übermochten sie. Nun wollten sie's anstatt mit Ringen und mit Dringen

Mit Los Aus Und

Schwingen in die Luft vollbringen und erzwingen. ließen Vater sich und Sohn, und seine Hand streckte jeder nach des andern Gürtelband. Rostem schwang den Sohn empor mit einem Schwünge

Am Gürtel; fast erlag dem Alten da der Junge. Doch dieser fiel, vom Glück geschleudert, auf die Brust

Des Gegners schwer und warf ihn nieder in dm Dust.

Da kniet' er auf der Brust des Vaters und besann Sich selber nicht, wie er die Oberhand gewann; Da zuckt' er rasch den Dolch, und, ohne dran zu denken, Wollt' er den kalten Stahl ins Herz des Vaters smkm.

Rostem aufblickend sah das nahe Ungemach Schweben ob seinem Haupt und rief: „Gemach, gemach!

Epos. Gemach! Was willst du thun? Bist du auS Heldensamen, So schände deinen Ruhm jetzt nicht und deinen Namen!

Du kommest her und stammst aus wilder Türken Mitte; Nach Iran kommst du, kämpfft und kennst nicht Irans Sitte. Die Sitt' ist hier zu Land, daß, wer dm Kampf mit Ringen Beginnen mag und in den Staub den Gegner bringen, Das erste Mal, da er ihn an den Boden legt,

Um bringet er ihn nicht, wie sehr ihn Zorn bewegt. Ihn schelten würde man und seinem Namen fluchen. Mit einem zweiten Gang läßt er's den Feind versuchen;

Vermag er dann zum Fall ihn wiederum zu bringen: Dann ist's erlaubt, ist's Sitt' und Recht, ihn umzubringen." So sprach er, ob vielleicht er sei durch List errettet Vom Gegner, unter dem er unsanft lag gebettet. Suhrab hielt zweifelnd Inn’ und sprach: „Ich habe nicht Von dieser Sitt' im Land vernommen den Bericht.

Sag' an, ob wirklich so es alle Helden halten, Ob's so gehalten wird von Rostem auch, dem alten?" Doch Rostem sprach: „Was geht dich's an, wie's Rostem macht?

Nun ja doch! Diesen Brauch hat Rostem ausgebracht." Wie Rostems Sohn aus Rostems Mund dies Wort gehört, Das Schwert zog er zurück und ließ ihn los, bethört

Einmal von Selbstvcrtraun, sodann von Schicksalsfug, Am meisten aber, weil fein Herz von Großmut schlug; Sonst hätt' ihn nicht allein bethört des Vaters Tmg.

Rostem sah froh erstaunt sich los vom Feind gekettet, Doch war er unmutsvoll, daß ihn nur List gerettet. Vom Boden sprang er auf und schüttelte die Glieder Vom Staub, und ein die ausgerentten rentt' er wieder. Doch Suhrab wendete von ihm sich ins Gefild

Und jagte vor sich her ein aufgesprungnes Wild. Auf dieses macht' er Jagd zur Kurzweil und vergaß Des Mannes ganz, mit dem er erst im Kampf sich maß.

Doch Rostem, als er war entbunden seiner Qual, Ging an dem Bach hinauf dort in ein Felsenthal, Wo er vor langer Zeit einmal mit einem Geiste Zusammen traf, als er des Wegs aus Turan reiste;

Als er dort aus dem Krieg, mit Beute schwer beladen. Zurück kam, mühsam ging er da auf seinen Pfaden. Dem Rostem damals war solch eine Kraft verliehn, Die nicht nur seinen Feind, die drückte selber ihn;

Denn wo er auf dem Gnmd mit seines Leibs Gewicht

Austrat, gab nach der Grund und widerstand ihm nicht. Den Fußtritt drückt' er tief auch härterem Gestein, Nicht lockrem Sande nur und weichem Boden ein: So wehrlos schon, vielmehr wann er die Waffen trug;

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Epische Poesie. Und nun trug er dazu noch schweren Raubs genug.

Im Melme sank ihm ein der Fuß bis an den Knöchel;

Da lachte neben ihm der Berggeist mit Geröchel. „Wer," fragte Rostem, „lacht?" Dumpf sprach der Berggeist: „Ich!"

„Worüber?" „Weil ich seh' im Grund einfinken dich.

Die dir die Mutter gab, die Kraft ist lästig dir, Du bist zu schwach für sie, gieb sie zu tragen mir, Und brauchst du sie einmal, wenn matt sind deine Glieder, So komm und ruf'! So geb' ich deine Kraft dir wieder."

Da gab der Pehlewan dem Berggeist in Verwahr Den Überfluß der Kraft, die ihm beschwerlich war. Jetzt aber kam er her, daß nicht im Berge modern

Er ließe seine Kraft, sie nun zurückzufodern; Denn gegen Suhrab war der Sieg ihm zweifelhaft, Wenn er nicht nähme ganz zusammen setne Kraft.

Noch unterhandelten sie dort um Rostems Kraft; Doch Rostems Sohn sah sich im Feld um zweifelhaft Und wußte nicht, was er vom Gegner denken sollte, Der nicht erschien, und ob er heimwärts lenken sollte, Ob warten noch, bis doch vielleicht er wieder käme, Damit er heute noch das Leben hier ihm nähme! Am Ende dünkt' es doch das beste seiner Meinung, Im Feld zu warten noch auf seines Feinds Erscheinung.

„Denn," sprach er, „heute früh hat er auf mich gewartet, Nun wart' ich spät aus ihn, so ist es wohlgeartet. Der Abend ist so schön nicht, als e-s uns versprach Der Morgen; in der Welt kommt Herbes Frohem nach. Die Sonne sinkt und läßt ein blut'ges Abendrot

Zurück als Abschiedsgruß, den sie dem Leben bot. Wo aber bleibt der Mann, den ich nicht misten kann?

Ich töt' ihn in der Nacht, weil er am Tag entrann!" So sprechend, blickt' er auf und sah den Rostem kommen, Als wie ein Meteor trübrötlich angeglommen. Dem Suhrab schien er ganz verwandelt zauberhaft, Von wunderbarem Glanz, in voller Jugendkraft.

Mit Staunen grüßt' er ihn, mit Zittern und Verzagen ; Wo er gewesen sei, hatt' er nicht Mut zu fragen.

Er fragt': „Und ringen wir noch heute vor der Nacht?" Und Rostem sprach: „Ei ja! es ist geschwind vollbracht." Da traten an zum Kampf der Vater und der Sohn; Der angethan mit Kraft, die diesem war entflohn, Wie, wann die Sonne sinkt, die Nacht Sieg jauchzen mag, Und wann die Nacht erliegt, so triumphiert der Tag: So mochte Rostem leicht ob Suhrab tnumphieren,

Gewinnen konnt' er nicht und jener nicht verlieren. Da zog die Dämmerung aus Abendwolkenflor

EpoS.

Dem Schauplatz dieses Wehs den dichten Vorhang vor;

Daß von dem Doppelheer, das als Zuschauer nah

Dem Schauspiel war, was da geschah, kein Auge sah. Da griffen an die zwei, da war es schon gethan; Vom Vater war es ab- und um den Sohn gethan.

Rostem that einen Ruck, und Suhrab lag im Dust; Rostem that einen Zuck: sein Dolch traf Suhrabs Brust.

Suhrab sprach todeswund: „O ungetreuer Mann! Das ist der Schonung Lohn, den ich von dir gewann.

Von Rostem hast du mir ein Märchen vorgelogen, In Rostems Namen um mein Leben mich betragen.

Doch sei ein Fisch im Meer, ein Vogel in der Luft, Die Rach' ereilet dich, wo ich lieg' in der Gruft. Wenn Rostem das erfährt (und er wird es erfahren,

Nicht wird ihm das Gerücht die Trauerkund' ersparen), Wenn Rostem es erfährt, so giebt er dir den Lohn Dafür, daß du erschlugst sein und Tehminas Sohn." Er sprach's, und, von dem Wort getroffen, Rostem schrak

Zusammen, als ob ihm der Dolch im Busen stak. Er rief: „O Unglückskind, was sagst du? sag's geschwind, Sag's recht, wer deine unglücksel'gen Eltern sind!" Doch Suhrab sprach mit Stolz und Trauer in der Miene: „Ich bin Suhrab, der Sohn von Rostem und Tehmine, Er Irans Hort und sie Semengans Frauenzier;

Die Mutter hat mich hergesandt, den Vater hier Zu suchen, weil er dort so lang' nicht kam zu ihr. Die Spange gab sie mir mit als Erkennungszeichen, Die Spange, die er ihr einst gab, sollt' ich ihm reichen, Die Spange trug ich nicht am Arme; vor Verlust

Sie zu bewahren, trag' ich hier sie auf der Brust. Reiß das Gewand hier auf am Busen, das mich drückt, Und sieh das Zeichen, das den Sohn von Rostem schmückt!" So sprach er, und vor Weh dem Vater wollt' entweichen

Die Seel' und harrte nur noch aufs Erkennungszeichen. Weg riß er das Gewand und sah, wie einen Molch Zn Rosen, in der Brust dort sitzen seinen Dolch;

Der stak noch in der Wund' als Scheide, die er schloß; Nun zog ihn Rostem aus, und Suhrabs Leben floß, Zn Purpurwellen floß das Leben hin und tränfte

Das Gold der Spange, die Tehminen Rostem schenkte. Er zog der Spange Gold, besetzt mit den Rubinen Von Sohnes Blut, hervor, selbst mit blutlosen Mienen Und rief: „Suhrab,-mein Sohn!

Weh Rostem und Tehminen!"

253

Epische Poesie.

254 6.

Aus Anastasius Grüns „Letztem Rittes. Die Martinswand.

Willkommen, Tyrolerherzen, die ihr so bieder schlagt!

Willkommen, Tyrolergletscher, die ihr den Himmel tragt! Ihr Wohnungen der Treue, ihr Thäler voller Duft,

Willkommen, Quellen und Triften, Freiheit und Bergesluft!

Wer ist der kecke Schütze im grünen Jagdgewand,

Den Gemsbart auf dem Hütlein, die Armbrust in der Hand, Des Aug' so flammend glühet wie hoher Königsblick, Des Herz so still sich freuet am kühnen Jägerglück? Das ist der Max von Habsburg auf lust'ger Gemsenjagd; Seht ihn auf Felsen schweben, wo's kaum die Gemse wagt!

Der schwingt sich auf und klettert in pfeilbeschwingtem Lauf. Hei, wie das geht so lustig durch Kluft und Wand hinauf I Jetzt über Steingerölle, jetzt über tiefe Gruft, Jetzt kriechend hart am Boden, jetzt fliegend durch die Luft!

Und jetzt?

Halt ein, nicht weiter!

Jetzt ist er festgebannt,

Kluft vor ihm, Kluft zur Seite und oben jähe Wand! Der Aar, der sich schwingt zur Sonne, hält hier die erste Rast; Des Fittichs Kraft ist gebrochen, und Schwindel hat ihn erfaßt; Wollt' einer von hier zum Thale hinab ein Stieglein baun, Müßt', traun, ganz Tyrol und Steier die Steine dazu behaun. Wohl hatt' die Amm' einst Maxen erzählt von der Martinswand, Daß schon beim leisen Gedanken das Aug' in Nebeln schwand, Jetzt kann er sehen, ob dem Bilde sie treue Farben geborgt;

Daß er's nicht weiter plaudre, dafür ist schon gesorgt. Da steht der Kaisersproffe, Fels ist sein Throngezelt,

Sein Scepter MooSgeflechte, an das er schwindelnd sich hält; Auch ist eine Aussicht droben, so schön und weit zu sehn, Daß ihm vor lauter Schauen die Sinne fast vergehn. Tief unten ein grüner Teppich, das schöne Thal des Inn; Wie Fäden durchs Gewebe ziehn Straß' und Strom dahin. Die Bergkolosse liegen rings eingeschrumpft zu Häuf

Und schaun wie Friedhofhügel zu Maxen mahnend auf. Jetzt stößt er, Hülfe rufend, mit Macht hinein ins Horn, Daß es in Lüften gellet, als dröhnte Gewitterzorn; Ein Teufelchen, das kichert im nahen Felsenspalt:

„Es dringt ja nicht zu Thale des Hülferufs Gewalt."

Ins Horn nun stößt er wieder, daß es fast platzend bricht. Hoho, nicht so gelärmet! Da hilft das Schreien nicht! Denn liebte ihn sein Volk nicht, was er auch bieten mag, Herr Max, er bliebe sitzen bis an den jüngsten Tag! Was nicht das Ohr vernommen, das hat das Aug' erkannt; Die unten sahn ihn schweben auf pfadlos steiler Wand;

Gebet und Glocken rufen für ihn zum Himmelsdom; Von Kirche zu Kirche wallfährt der bange Menschenstrom.

EpoS.

255

Jetzt an dem Fuß des Felsens erscheint ein bunter Chor, Ein Priester inmitten weisend das Sakrament empor. Max sieht nicht das bunte Wimmeln auf ferner Thalesflur,

Er sieht das blitzende Glänzen der Goldmonstranze nur. „Fahr wohl nun, Welt und Leben I Schwer fällt der Abschied mir; O unerforschlich Wesen, du winkst, ich folge dir! Ich schien ein Baum voll Blüten, dein Blitz hat ihn erschlagen! Ach gerne hätt' er früher noch süße Frucht getragen! Ich schien ein Bauherr, türmend den Dom zu deinem Ruhm

(Nicht durst' er ganz vollenden der Liebe Heiligtum), Ein Priester, plötzlich stürzend tot an des Altars Stufen,

Er hätte gern erst Segen noch übers Bolk gerufen! So mag dies Herz denn brechen, von Lieb' und Segen voll! So modre nun, mein Busen, der thatenschwanger schwoll! Verwelke, Hand, denn nimmer krönt deine Müh' Gedeih»! Nur Gottes bester Engel kann hier mein Retter sein!"

Er spricht's und hebt zum Himmel nun Angesicht und Arm, Und in die Kniee sinkt er und betet still und warm; Da klopst's auf seine Schulter, er fährt erschreckt empor; „Komm heim, du bist gerettet!" so ruft es an sein Ohr. Und einen Bergmann sieht er froh lächelnd vor sich stehn, Der faßt ihn fest beim Arme und winkt ihm fürder zu gehn; Mit Leitern, Stahl und Seilen wird kühn ein Pfad gebahnt: Wo Maxens Fußtritt strauchelt, stützt ihn des Retters Hand. Der lädt ihn auf den Rücken, wo Klüfte schwindelnd drohn; Wohl sind der Treue Schultern des Fürsten schönster Thron. Rasch geht's zu Thal, wo jauchzend Tyrol empfängt die zwei;' Kein Spötter kann belächeln die seltne Reiterei. Wohl kündet uns die Sage aus grauer Ahnenzeit Von einem Himmelsboten, der schützend ihn befreit; Ja wohl ein Engel war es, ein Schutzgeist, stark und kühn, Des treuen Volkes Liebe, so nennt zu deutsch man ihn. Ein Kreuz auf hohem Felsen blickt nieder in das Land

Und zeigt den Ort, wo bebend einst Habsburgs Sproße stand; Noch lebt die edle Kunde und jubelt himmelwärts

Aus manches SängerS Munde durch aller Tyroler Herz.

Deutscher 'Brauch. Zur Gruft sank Kaiser Friedrich. Gott geb' ihm sanfte Ruh! Max faßt' sein gülden Scepter. Ei, Sonnenaar, glück zu!

Zu Worms nun hielt er Reichstag.

Auf, Fürstenschar, herbei,

Zu raten und zu fördern, daß Recht und Licht gedeih'! Einst in dem dumpfen Ratsaal sprang Max empor in Hast,

Der Staub der Pergamente nahm ihm den Odem fast; Die spitzen, klugen Reden, die machten toll ihn schier,

Da rief er seinen Narren: „Freund Kunze, komm mit mir!"

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Epische Poesie. Den Treuen liebt er vor allen, wohl einem Gärtner gleich, Der jeden Baum mit Liebe pflegt in dem Gartenreich, Doch einen sich erkoren, in dessen Schattenhut Nach schwüler-Tagesmüh' er am liebsten abends ruht. Es wallten nun die beiden die Straßen ein und aus, Dort auf dem großen Marktplatz sahn sie ein stattlich Haus;

Da rief der Kunz: „Mein König, schließt eure Augen schnell!

Denn, traun, schon las manch einer sich blind an dieser Stell'. Französisch ist's; ihr wißt ja, wie's Frankreichs Söhne treiben, Die anders schreiben als sprechen und anders lesen als schreiben Und anders sprechen als denken und anders setzen als singen,

Die groß in allem Kleinen und klein in großen Dingen." Ein Rittersmann aus Frankreich wohnt in dem stolzen Haus,

Sein Wappenschild, hellglänzend, hängt hoch zur Pfort' heraus; Mit Schnörkelzügen zierlich in blankem Goldesschein

Schrieb rings ums bunte Wappen er diese Worte ein: „Erst Gott zum Gruß, wer's liefet! Auf, Deutscher, kühn und wert, Hier harrt ein Schild des deinen, wenn kampfesfroh dein Schwert, Und magst du mich bezwingen nach Ritterbrauch und Recht, Will ich mich dir verdingen als letzter Rüdenknecht."

Emst schritt der König fürder; doch an des Ritters Schild Hängt bald ein Edelknappe der Habsburg Wappenbild; Und mit dem Frührot harrend auf sand'gem Kampfesrund, Der König gegenüber dem fränk'schen Ritter stund.

Und höher stieg die Sonne; der Franzmann lag im Sand, Das Siegesschwert, hellleuchtend, ragt hoch in Maxens Hand. „So schlägt ein deutscher Ritter!"

Er sprachs und stand verklärt

Wie Sankt Michael, der Sieger, mit seinem Flammenschwert.

„Ihr habt euch mir ergeben' als letzter Rüdenknecht, Wohlan, ihr sollt erfahren nun meines Amtes Recht!"

Sein Schwert nun schwang er dreimal. „Steht auf, mein Ritter wert! So schlägt ein deutscher König, seid brav wie euer Schwert!" Singt's allem Land, ihr Sänger, des Fürsten That und Wort, Neigt euer Schwert, ihr Ritter, vor eures Kaisers Hort, Bekränzt des Siegers Schläfe, ihr schönsten deutschen Fraun! Jauchzt auf, ihr deutschen Herzen, in allen deutschen Gaun!

Viel sast'ge Trauben schwellen ringsher um Worms am Rhein,

„Milch unsrer lieben Frauen", so heißt dort jener Wein; Saugt jene Milch, ihr Greise, sie macht euch wieder zum Kind, O Herr, gieb unsrem Lande viel Milch, so süß und lind!

Aus Goldgefäßen quoll sie an Maxens Abendtisch

Gleichwie aus goldnen Eutern, so labend, klar und frisch; Wie zecht an Maxens Seite der ftänk'sche Rittersmann! Wie wärmend da der Glühbom durch Kunzens Kehle rann!

Der Franzmann hob den Becher, begeistert flammt sein Blut. „Heil, Max, dir, edler Deutscher, so bieder und so gut!"

Epos.

257

„Hoho!" rief Kunz halb grimmig, „jetzt bindet mit mir an,

Wer auf dies Wohl herzinn'ger und besser trinken kann!" Wie Schilde klangen die Becher zusammen jetzt mit Macht,

Die Blicke blitzten genüber wie Lanzen in der Schlacht. Wer fiel, wer stand im Wettkampf, wohl kam es nie ans Licht; Fmg man am Morgen die beiden, sie wußten's selber nicht.

Max und Dürer. Fürst, Troßbub', Ritter, Gauner durchwimmelnd Augsburgs Straßen,

Im Saal die Ratsherrn zankend und zankend Volk auf den Straßen, Hier doppelt volle Schenken, doch Armut rings im Land!

Wie mögt ihr solches heißen?

Reichstag war's deutsch genannt.

Max sah vom Fenster düster ins tolle Gewühl hinein, Da trat in schlichtem Wamse ein Mann gar schüchtern ein.

„Gott grüß' dich, Meister Dürer!" rief Max so freudig schnell, „Wie kommt die Kunst zum Reichstag, nach Babel mein Apell?"

„Nur eine Gnade wollt' ich, o Herr, von euch erflehn," Erwidert drauf der Meister, „laßt freundlich es geschehn! Ach, gerne malt' ich einmal noch euer Konterfei, Hell strahlend wie sein Urbild, doch auch so wahr und treu." Da faßte sanft der Kaiser des Künstlers Hand gerührt. „Bei mir ist's Abendrot schon; drum, eh' es Nacht ganz wird, Willst du die Landschaft zeichnen, vom Spätlicht karg verklärt! Gelt, Freund, so ist's gemeind? Wohlan, gern sei's gewährt!"

Der Maler nimmt den Pinsel, Leinwand und Farbenschrein. „Noch bitt' ich eins, mein Kaiser, seht nicht so finster drein." Starr auf die graue Leinwand ist Maxens Blick gebannt. „Ich denk' an Staub und Asche, auch grau wie diese Wand."

Der Maler zeichnet todter, Mund, Wange, Nas' und Blick, Der Kaiser sinkt vor Lachen jetzt in den Stuhl zurück. „Hoho, da droht sie wieder, als ob sie der Spiegel wies,

Die ungeheure Nase, die sich so oft schon stieß!" Und Färb' auf Färb' entlodert wie Frühlingsblütenglanz, Und Leben, Frühlingsleben, durchschwillt den Farbenkranz, Auf blüht die Färb', umkosend als Lächeln hier den Mund, Als Ernst gar finster thronend dort auf dem Stirnenrund. Seht da den ganzen Menschen, dies alte, treue Haus. Schmerz sieht zum einen Fenster wehmüt'gen Blicks hinaus, Die Freude steht am anbern und nickt und lächelt mild, Nur hängt an diesem Hause die Kron' als Aushängschild.

„Leb' wohl nun, Bruder Albrecht, ja Bruder nenn' ich dich; Ein König hdß' ich, König bist du so gut als ich; Ein Stückchen Gold mein Scepter, ntdn Reich ein Stück grün Land,

Dein Scepter Stift und Kohle, Dein Reich die Leinewand.

Die Heere bunter Farben find Unterthanen dir, Wohl treuer dir ergeben, traun, als die meinen mir! Dielitz «.Heinrich-. Handb. d. deutschen Litteratur.

4. Aufl.

17

Epische Poesie.

258

Und Leben ist daS Endziel, dem unsre Kraft geweiht, Und beider Müh' und Arbeit gilt die Unsterblichkeit.

Und doch, ist's einst gelungen, und glauben wir's vollbracht, Wonach wir treu gerungen, tagsüber und bei Nacht, Kommt, unser Werk besehend, manch nüchterner Gesell Und meint, das Bild sei leidlich, der Thron steh' schief zur Stell'. Behüt' dich Gott, mein Albrecht, kehrst du nach Nürnberg heim,

So grüß' mir den Hans Sachse, den Mann mit Sang und Reim; Macht er ein Liedlein wieder, so sei's ein Leichenlied, Bald hört ihr, daß ein König, der lieb euch war, verschied."

So sprach der Fürst. Ins Auge schaut er dem schlichten Mann Und sieht ihn milden Blickes wohl lang und schweigend an, Blickt dann aufs eigne Bildnis, geschmückt mit Kron' und Gold, Und lächelt still wie einer, der lieber weinen wollt'.

Abfahrt von Innsbruck.

Am Jnnstrand harrt ein Schifflein beim ersten Frührotscheia, Da stieg, verhüllt im Mantel, der kranke Kaiser ein,

Die treue Eichentruhe lehnt düster neben ihm, Fort schießt im raschen Strome das Schiff mit Ungestüm. Am Strande murmelt fragend nun Innsbrucks Volk im Kreis: „Wohin so schnell und eilig, du düstrer Kaisergreis?" Da schien von Maxens Lippen das Wort zurückzuwehn: „Lebt wohl, lebt wohl! Nach Östreich will ich nun sterben gehn!" Es lehnt am Eichensarge sein Haupt von Sorgen schwer,

Zum Himmel blickt er düster und düster ringsumher. „Du schönes Land, dich liebt' ich so treu und inniglich, O müßt' ich nur, ob glücklich mein Volk auch sei durch mich!"

Die Flut umrauscht das Schifflein, und schnell vor Maxens Blick Fliehn Wohin Wohin Auf

Thäler, Berg' und Flächen, Gehöft und Stadt zurück; er blickt, sprießt Leben und Segen, Kraft und Fleiß;

er horcht, klingt Freude und Jubelsang und Preis. Wiesen klirrt die Sense, in Wäldern knallt das Rohr,

Gewalt'ge Hämmer stampfen durchs Thal im Donnerchor, Und aus dem Schlund der Schlöte qualmt's riesig, dicht und grau, Da schien auf schwarzen Säulen zu ruhn des Himmels Bau. Und weiterhin dann Felder, die dicht voll Saaten stehn, Und Herden, die ftöhlich blökend auf grünen Alpen gehn, Und Mühlen, klappernd im Thale, von Fluten rasch getrieben,

Die sprühend an den Rädern als Stemenregen zerstieben. Und rings auf allen Straßen lebend'ges, heitres Drängen! Da stäubt's von flinken Reitern, die rasch zum Ziele sprengen, Da knarrt des Fuhnnanns Achse, von Fracht des Segens schwer, Und Wandrer wallen singend die sichre Bahn einher. Mit lust'gem Ruderschlage, mit flatternden Wimpeln ziehn Im Strom viel rüst'ge Schiffe wohl kreuzend her und hin,

259

Epos.

Von Schätzen voll und Waren reich bis zum tiefsten Raum;

Doch Maxens Schiffer grüßen nun stolz die Brüder kaum. Sieh, dort vor dem Gehöfte, in frischer Trift gelegen, Spricht heitren Blicks ein Landmann just über sein Kind den Segen

Und lehrt's in Drang und Nöten sein Herz zu Gott hinwenden Und beten für gute Fürsten mit aufgehobnen Händen.

Und Städte stehn am Ufer mit Mauern schmuck und weiß,

Glück wandelt durch die Straßen, in Häusem rauscht der Fleiß; Manch blühend, nickend Antlitz grüßt aus den Fenstern hervor, Und läutende Glocken tönen wie Dank an Maxens Ohr. Noch lehnt am Eichensarge sein Haupt, vom Alter schwer, Doch selig blickt er aufwärts und selig ringsumher; Wohl tief hat er verstanden der Antwort stummen Ruf Und fragt nicht mehr, ob glücklich sein treues Volk er schuf.

7.

Aus Kinkels „Otto der Schütz". Mann un!

Früh aus den Wolken sprang der Tag; Da kam durch taugenäßten Hag Ein kräftig Mannsksild hergegangen Im knappen, grünen Jagdhabit, Das zottige Dachsfell umgehangen,

Jüngling.

Gleich anzuspringen seine Beute.

Der Jäger schreitet nach.

Da ruht

Auf offnem Platz in Waldes Hut, Vom Frühhauch weich umspielt und mild,

Geschlofs'nen Augs des Jünglings Bild;

Den festen, lässig sichren Schritt

Dje eine Hand ihm unterm Haupt,

Gestützt auf seines Speeres Schaft. Es war ein Mann in voller Kraft,

Drauf fenkt ein Ast sich dichtbelaubt, Der hatte mit besorgtem Walten

Ein Mann an Leib und an Gemüte, An innrem Sinn und äußrem Kleid,

Den Morgenstrahl ihm abgehalten. Der Jagdspeer liegt im andern Arm;

Wie sie so recht mit Vatergüte • Der Forst erzieht in Einsamkeit. Mit ihm sein Hund, gleich ihm gedmngen

Doch hat der Schlaf ihm weich und warm Des Fingers Sehnen abgespannt, Und breit und lässig ruht die Hand. Der Jäger steht; da knackt ein Ast,

An Brust und Gliedern, trotzig, kühn, Die Nüstern weit, die Stirn geschwungen,

Mit Augen, die von Mordlust glühn, Nur halb verdeckt sein weiß Gebiß; Kein Feind, den er nicht niederriß! Der stand jetzt still, der Jäger auch;

Das Tier nach guten Spürers Brauch Packt eine Fährt' und wedelt luftig.

Der Knabe fährt empor in Hast. Wie von des jungen Weines Glut Aufschäumt des Mannes rotes Blut, So zückt die Kraft ihm heiß durchs Mark: Aus springt er, faßt die Lanze stark, Und so gestellt, ihn abzusangen, Harrt er des Gegners ohne Bangen.

Den Spieß ergreift der Jäger rüstig,

Gewaltig Bild!

Rasch bricht, er Bahn sich durchs Gezweig,

Des Mannes viel erprobte Stärke,

Das tauft mit Morgentau ihn reich. Nun steht der Hund mit lautem Knurren,

Dort in des Jugendtrotzes Zier

Du schautest hier

Als wollt' er dem Gebieter murren,

Den Knaben, reif zum Männerwerke; Hier eine Eiche, markig, ständig,

Vor befielt Zorn er nur sich scheute,

Die Fichte dort, gelenk, lebendig; 17*

260

Epische Poesie.

Und hätten beide sich bekriegt, Wer möcht' uns künden, welcher siegt?

Nicht lang' sich mit der Ordnung säumen. Drauf spricht der Bursch: „Im leichten Kahn

Doch nicht so feindlich war's gemeint. Wie wenn die Sonne freundlich scheint Auf zackigen Fels im Waldesthale,

Fuhr ich heut Nacht zu eurem Strande.

So hellte sich mit einem Male Bor solcher Jugendschönheit Licht

Des Försters düster Angesicht; Er pfeift dem Hund, der, Glut im Blick, Schon lauert auf des Feinds Genick;

Ein Fremdling bin ich hier; wohlan, Sagt mir vom Volke, von dem Lande!" Zur Antwort war der Mann bereit. „Man merkt's, daß ihr unkundig seid.

Schaut dort durch diese Waldesdichte Den Turm, so blank im Morgenlichte, Darauf der Schwan sich brüstend steht

Und fiammendrot das Banner weht. Gehorchend, doch nicht allzugern, Ringsum ein auserwählter Gau Verkriecht er stumm sich Hinterm Herrn. Der aber sprach: „Nehmt's nicht unwirsch, Mit Wäldem groß und weiter Au; Vielarmig rauscht der Rhein hindurch. Lieber Gesell, daß auf der Birsch Das Schloß dort ist die Schwanenburg, Ich euch für ein Gewild genommen Und ihr so schlimm zum Schrecken kommen." Und Kleve wird das Land genannt. Der junge drauf: „ES war der Schrecken Sein Herr ist weit mit Ruhm bekannt;

ist der Grafe Dieterich." bei dem Namen neigt' er sich

Doch da ihr einmal im Gehege,

Das Und Und Wie

So ruht ein Weilchen von dem Wege: Eu'r Wams besagt mir sicherlich,

„Schaut, ich bin einer seiner Leute, Es rief sein Dienst hierher mich heute.

Daß ihr ein Jäger seid wie ich: Kommt, hier ist Wildbret noch genug Zu raschem Frühstück für uns beide; Nur fehlt uns eines, mir zum Leide, Von gutem Wein ein tiefer Zug." „Dafür laßt mich," spricht jener, „sorgen!" Und zieht aus seiner Weidmannstasche, Vor Sonnenglut in Stroh verborgen,

Das ist ein weidlich rüstiger Degen, Am meisten heimisch in Gehegen, Klaräugige Falken seine Lust, Jagdhunde mit gewölbter Brust Und flüchtige Zelter, die den Hirsch Ermüden auf der muntern Birsch.

Just nicht so groß; um mich zu wecken;

War'S Zeit in solchen Sommertagen, Des muß ich billig Dank euch sagen.

Die wohlgepftopfte, volle Flasche. Sie lagerten sich beide schnell

Und ließen Flasch' und Messer wandem,

Der eine Jagdgenoß zum attbent. Der Hund als dritter Tischgesell An ihren Fuß sich wedelnd schmiegt

lüftete die Mütze sacht, er des edlen Herrn gedacht.

So ist er auch den Jägem hold, Sie werben Ehr' und rotes Gold In seinem Dienst, er hört sich gern Beloben als den Schützenherrn. Wer wohl versteht des Bogens Kunst,

Den lockt er her mit Sold und Gunst; Drum sind aus allen deutschen Gauen

Und auf die Knochen lauernd liegt.

Die besten Schützen hier zu schauen. Auch probt er oft am Schützenfeste,

Ihm warf sein Herr mit mildem Sinn Auch manches Stück vom Braten hin;

Wes Blick und Arm und Bolz der beste. Als Ehrenkönig wird ernannt,

Denn wer da lebt in Waldesgmnd,

Wer recht ins Schwarze hat gebrannt."

Einsam von Weib und Ingesinde, Dem ist auch lieb gleich einem Kinde Sein einz'ger Freund, der gute Hund.

Tief atmend saß der Jüngling da,

Und wie die drei nun abgespeist,

Und wogend tönt des Busens Pochen. „Wohlan," spricht er, „so bleib' ich hier

Da gab's nicht eben viel zu räumen, Weil Junggesellen ja zumeist

Als so der Weidgesell gesprochen: Die Lust ihm aus den Augen sah,

Und biete meinen Dienst dem Grafen;

Epos. Solch einen Herrn erwünscht' ich mir: Wohl mir, daß ich hier eingeschlafen, Und daß just ihr mich mußtet wecken,

Mir solche Hoffnung aufzudecken!

Gern werd' ich euer Dienstgenoß Und messe mit euch mein Geschoß." Nun wollt' ich, hättet ihr gesehn

261

Halb abgewandt, den Burschen an; Doch wie er ihm ins Auge schaut', Das trug den Blick so selbstvertraut, Das blieb so fröhlich, kühn lebendig

Und doch so ruhig, still verständig, Da starb ihm auf der Lippe schon Das rasche Wort, der stolze Hohn.

Des Försters Blick bei solcher Rede!

„Gut denn," so sprach er, „junges Blut!

Er maß vom Wirbel zu den Zeh'n

Heut mögt ihr zeigen euren Mut.

Den Jüngling, der ihm bot die Fehde, Ihm, der auch noch im halben Schlaf

Hört ihr, wie schon zum Schützenfeste

Ein angespanntes Härchen traf, Der nun schon längst von Jahr zu Jahr Der Schützenkrone sicher war,

Die Pauke ladet muntre Gäste? Fürwahr, das Schicksal beut euch Gunst, Dafern nur euch nicht fehlt die Kunst!" Der Jüngling rafft sich aus der Rast, -Er geht hinab zum Rhein in Hast,

Der beste weit von Dietrichs Mannen, Wenn's galt, die Armbrust stark zu spannen Wo er des Nachens Kette löst Und starken Tritts vom Land ihn stößt. Und aus den hoch geschwungnen Händen

Den raschen Jagdspeer zu entsenden. Nun sah er hier den zarten Gegner,

„Dich brauch' ich nicht!" so ruft er munter,

Der um so jünger, so verwegner,

Der Förster staunend ihn beschaut,

Sah an den schmiegsam schlanken Leib, Die Arme weiß, als wär's ein Weib,

Und beide wandten sich zu wandern. Hinfort sprach keiner zu dem attbent,

Sah diesen weichgelockten Knaben,

Doch ihre Herzen klopften laut;

Erstrebend Preis und Fürstengaben. Es blickte stolz der starke Mann,

Denn beide fühlten's wohl sich an: Es fand hier jeder seinen Mann.

„Treib' du mit Glück ins Meer hinunter!"

Der Meisterschuß. Horch! ein Trompetenstoß! Am Ziel Erscheinen blanker Schützen viel,

Er sei nun einer meiner Leute,

Auf guten Roffen, wohlbewehrt,

Zum zweiten Mal Trompetenstoß.

Des Grafen Mannen hochgeehrt. Sie reiten langsam durch die Bahn

Die Schützen werfen rasch das Los,

Und säubern sie vom Gaffervolke, Dann im Galopp zum Ziel heran, Daß ihnen folgt des Staubes Wolke.

Sie springen ab, und jeder nimmt Den Platz, den ihm sein Rang bestimmt.

Er sei ein fremd und freier Mann!"

Das ihrer Schüffe Ordnung mißt Und abwehrt Zank und Hinterlist. Nun schweigt das Feld, die Schützen auch, Und stumm nach Sitten und Gebrauch Tritt zu dem Scheibenstand heran Mit seiner Armbrust jeder Mann.

Jetzt tritt der Graf aus seinem Zelt,

Du hörst mit starker Arme Kräften

Ein Lebehoch durchbraust das Feld.

Die Sehnen in die Kerben heften Und drauf der Bolze schneidend Pfeifen,

Der Edelknappe schenkt ihm ein In neuen goldnen Becher Wein.

Die wie ein Blitz die Luft durchstreifen

Den hebt er hoch und schauet mild

Und neckisch bald ins Blaue irren,

Die Schützen an und ruft: Es gilt Jedwedem Mann der Trunk, der brav

Bald krachend in die Scheibe schwirren.

Heut oder je ins Schwarze traf! Den Becher aber setz' ich dran Als Preis dem Schützenfürsten heute,

Dann nennt am Ziel des Herolds Stimme Der Ringe Zahl mit lautem Schrei; Doch blieb das schwarze Rund noch frei,

Und nur mit schlecht verhohlnem Grimme,

262

Epische Poesie.

Die Armbrust saßt er nun mit Kraft; Es war von Ebenholz ihr Schaft, Der Bügel, blau von Stahl und blank, Wie eine Glocke hell erklang. Mit Sorgfalt prüft der Schütz die Sehne, Ob sie sich leicht und fügsam dehne; Selbst hatt' er sie in Winterstunden Aus wilden Marders Darm gewunden. Inmitten, wo die Sehne faßt Des Bolzes tödlich schwere Last, Da schürzt, daß nicht im Schuß sie springe, Zum Knoten er die Doppelschlinge. Und als die Spannung wohl vollbracht, Die Sehne schnellt er nun mit Macht; Laut wie der Harfe höchste Saite Erklang der schneid'ge Ton ins Weite. Nun aus dem Köcher nimmt er Bolze, Geschnitzt aus festem Eichenholze; Er wählt den glättesten, der, scharf Gekantet, blanke Lichter warf. Er setzt den Bogen vor die Bmst, Er spannt ihn leicht mit stolzer Lust, Und staunend sahn die Schützen an Den starken Arm bei zartem Mann. Wild blitzt sein Aug', aufs Ziel gewandt, Es steht ein schlanker Jüngling dort; Als wollt' er's sengen mit dem Brand; Euch ist der Jüngling wohlbekannt, Doch bändigt er des Herzens Wellen, Er kommt, zu lösen nun sein Wort. Die hoch in Siegeshoffnung schwellen; Er spricht: „Gestrenger Herr und Gras, Er kühlt sich den entflammten. Sinn, Ihr botet jedem euren Becher; Klar, fest und stille schaut er hin. Wohl hielt sich euer Schütze brav, Er drückt. Der Bügel mächtig klingt, Doch mir ist Arm und Blick nicht schwächer. Laut schwirrend sich die Sehne schwingt, Gestattet mir, den Schuß zu proben! Es saust der Bolz. Er hat getroffen! Ihr sollt den bestem Schützen loben." Da stand mit weiter Spalte offen Es winkt der Herr; die Bahn wird leer; Des Försters Bolz, ihm schnitt ins Mark Rings steht das Volk, ein brausend Meer; Des Jünglings Schuß gerecht und stark. Durch alle schwirrt ein leiser Ton, Der Herold tritt zum Scheibenhaus, Mitleid bei Fraun, bei Männern Hohn, Er zieht die Bolze beid' heraus Und nur dem Förster bange pochte Und legt sie in des Grafen Hand, Das Herz, wie er's auch hehlen mochte. Der staunend ob dem Wunder stand. Der fremde Jüngling neigt sich hold, Des Försters Bolz war ganz zerschmettert, Daß ihm der Locken sonnig Gold Gleich einer Rose aufgeblättert; Als Schleier vor den Augen weht; Es saß darin der zweite Bolz, Dann steht er auftecht fest und stet, Fest eingekeilt ins harte Holz, Wirft Haupt und Haar sich ins Genick Und war hinfort kein Zweifel dran, Und mißt die Bahn mit freiem Blick. Wer hier den Meisterschuß gethan.

Leis' murrend bösgelauntem Glück, Kehrt jeder Schütz vom Stand zurück. Zuletzt nun tritt der Förster vor; Da raunt das Volk sich rings ins Ohr: „Der hat so oft den Sieg gewonnen! Aus tiefem Waldgrund ist's der Starke, Erwachsen fern vom Blick der Sonnen Und aufgenährt mit Bärenmarke." Vor trat er fest und keck und wild, Ein erzgegoffen Mannesbild, Auch hier in der Entscheidungsstunde Verlassen nicht von seinem Hunde. Als wär' es gleich ihm, ob's ihm glückt, Faßt er sein Schießzeug, zielt und drückt; Laut klappt's, mit Klang und Eselsohr Hüpft munter der Hanswurst empor, Der, künstlich hinterm Ziel versteckt, Vom Bolze ward heraufgeschreckt. „Sieg!" ruft der Herold, „Sieg!" erschallt Der laute Ruf von jung und alt. Der Schütz mit lässig stillem Schritt Vor seines Fürsten Auge tritt; Ihm winkt der Kranz; Trompetenton Begrüßt den Schützenkönig schon. Doch „Halt!" so ruft's vom Scheibenstand,

Epos.

d.

263

Das idyllische Epos.

Das idyllische Epos nimmt seinen Stoss aus dem einfachen, weniger bewegten bürgerlichen Leben und erzählt die Begebenheit ohne Beimischung von Heldenthaten und

Wundern und ohne größere Verwicklungen.

1.

Aus I. H. Notz' „Luise".

Nach dem im Freie» eingenommenen Mittagsmahle beschließt der Pfarrer von Grünau auf den Vorschlag seiner Tochter Luise, zur Feier ihres Geburtstages den Kaffee im Walde zu trinken. Walther, der Hofmeister Karls, des Sohnes der Gutsherrschast, dieser selbst und Luise gehen voran, um den geeignetsten Ort auszuwählen. Der Vater und die Mutter versprechen, ihnen bald nach­ zufolgen und den kürzeren Weg über den See in dem von dem Gutsverwalter geliehenen Kahne einzuschlagen.

Als sie, das Linsenfeld und die bärtige Gerste durchwandelnd, Jetzo dem Hügel am See sich näherten, welcher mit dunklen Tannen und hangendem Grün weißstämmiger Birken gekränzt war,

Blickte zum buschigen Ufer Luis' hinhorchend und sagte: „Still! es tönte mir dumpf wie ein Ruderschlag von dem Ufer!" Aber der mutige Karl, der voranlief, wandte sich rufend: „Hurtig! da seh' ich den Kahn! Nun gleitet er hinter das Schilfrohr!" Und mit geflügelten Schritten enteilten sie. Kühlender Seewind Hauchte zurück das Gewand, das die ttippelnden Füße des Mägdleins Rauschend umwallt', und es weht' ihr geringeltes Haar von den Schultern. Laut nun rief und winkt' aus dem schwebenden Kahne der Pfarrer:

„Ehrbar, Kinder, und sacht! Ihr lauft ja so rasch wie die Hühnlein Über den Hof, wenn die Magd an der Hausthür Futter umherstreut! Heida, wie saust das Gesindel herab von dem höckrichten Abhang! Töchterchen, geh' vorsichtig und strauchle mir nicht an den Wurzeln!" Also rief er umsonst: sie entfiohn unhemmbares Schwunges. Atmender harrten sie nun, bis der rauschende Kahn an dem Ufer Landete; und: „Willkommen!" erscholl's, „willkommen 'm Grünen!" Hinten hemmte der Knecht, an der Erl' im Wasier sich haltend.

Aber gestützt von der Hand des Jünglings, traten die Eltern Über den wankenden Bord auf den Sand voll Kiesel und Muscheln, Wellig gestriemt von der Flut und umhüpft mit geflügeltem Seeschaum. Hans auch entstieg und knüpfte das hemmende Seil um den Baumstumpf.

Schmeichelnd küßte den Greis die blühende Tochter und fragte:

„Väterchen kommt ja so frühe vom Schlaf; hat der häßliche Kater Wieder gemaut, ein Hühnchen beim Eierlegen gekakelt Oder Susanna zu laut mit dem Waffeleisen geklappert?"

Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau:

„Soll ich dieses genau dir verkündigen, wie es geschehn ist? Weder gemaut hat ein Kater, mein Kind, noch ein Hühnchen gekakelt Oder Susanna zu laut mit dem Waffeleisen gefläppert;

Unser Gespräch und die Freude, mein Töchterchen, deines Gebuttstags Machte mein Herz unruhig. Wohlauf nun, Feuer gezündet

Flink und Kaffee gekocht! Die trautesten Kinder sind durstig."

Epische Poesie.

264

Jener sprach's; und in Eile gebot die verständige Hausfrau: „Trage mir, Hans, aus dem Kahne sogleich die Geräte des Kochens Neben den blühenden Genst; dort zünden wir, denk' ich, das Feuer,

Daß uns nicht anwehe der Rauch.

Hier aber am Vorland

Lagern wir uns im Schatten der alten Familienbuche, Die vorlängst uns bekennt mit schon auswachsenden Namen;

Hier ist polsterndes Moos, hier sanft anatmende Kühlung; Hier im Geräusche der Well' und des Schilftohrs labt uns die Aussicht Über den See nach dem Dorf und den Krümmungen fruchtbarer Ufer.

Holz nun, Kinder, gesucht! Wer fischen will, scheue kein Wasser!" Also die Frau; und sie selbst, nicht thatlos, samt dem Gemahle

Ging zum -gepriesenen Quelle, der nachbarlich unten am Waldberg Rieselte, lauter und frisch wie am Lilienblatte der Frühtau, Elfenbom in der Sag' umwohnender Hirten benamet; Denn rings fabelte man, mit Elfinnen tanze der Bergelf Dort nach leiser Musik im sprossenden Grase der Mainacht.

Doch seit Hans vor dem Jahre, das Fest der Luise zu feiern, Heimlich den Sprudel getieft und mit höherem Rasen umbordet,

Nennt ihn „Born der Luise" das Haus und die Freunde des HauseS. Hieher kamen sie beid' und fülleten, diese des Kessels Ehernen Bauch und der Vater ein Glas mit erfrischendem Labsal. Als nun jene den Hügel ereileten, welcher mit dunklen Tannen und hangendem Grün weißstämmiger Birken gekränzt war, Fanden sie Kien und Reiser und sammelten; dann zu dem Buchhain Eilten sie links im Thal, wo der Äst' ein unendlicher Abfall Lag in Laub und Gesträuch, dem Hüttener Teurung des Winters. Froh nun kehrten zum See die Beladenen; aber der Hausknecht

Fing die sprühenden Funken des Stahls in schwammigem Zunder, Faßt' ihn in trockenes Laub und schwang mit Gewalt, bis dem dickem Qualm aufleuHtendes Feuer entloderte, häufte geschickt dann Reiser und Kien, daß die Flamme des Harzes froh durch den Holzstoß Knatterte, finsteren Rauch seitwärts aufdampfend zum Himmel. Jetzt, wo der Wind in die Glut einsausete, stellt' er den Dreifuß Und den verschlossenm Kessel darauf mit der Quelle des Waldes. Wehend umleckt' ihn die Loh', und es braust' aufsiedend der Kessel. Aber das Mütterchen goß in die bräunliche Kanne den Kaffee

Aus der papiernen Tute, gemengt mit klärendem Hirschhorn, Strömte die Quelle darauf und stellt' auf Kohlen die Kanne, Hingekniet, bis steigend die farbige Blase geplatzt war.

Schleunig anjetzt rief jene, das Haupt um die Achsel gewendet: „Setze die Tassen zurecht, mein Töchterchen; gleich ist der Kaffee

Gar.

Die Gesellschaft nimmt ja mit unserem täglichen Steinzeug

Gem im Grünen vorlieb und ungetrichtertem Kaffee. Vater, verbot Umständ', und dem Weibe geziemt der Gehorsam." Also Mama; doch Luise, die rasch mit dem Knaben sich umschwang, Hörte den Ruf und enthüllt' aus dem Deckelkorbe die Tassen, Auch die Flasche mit Rahm und die blecheme Dose voll Zucker,

Epos. Ordnend umher auf dem Rasen; und jetzt, da sie alles durchwühlet, Neigte das blühende Mädchen sich hold und lächelte schalkhaft.

„Nehmen Sie mir's nicht übel, Mama hat die Löffel vergessen." Also sagte Luis'; und des Mütterchens lachten sie alle

Schadenfroh; auch lachte sie selbst, die gütige Mutter, Welche die dampfende Kanne dahertrug; aber der Jüngling Sprang zu der Birke behende, der Hangenden, und von bett Zweiglein

Glättet' er zierliche Stäb' und verteilte sie rings der Gesellschaft.

Jetzo dem lieben Papa und dem Jünglinge reichte die Jungftau Pfeifen dar und Tabak in der fleckigen Hülle des Seehunds;

Und mit des Löschbrands Ende, dem glimmenden, zündete Hans an. So auf dem Moose nunmehr die Gelagerten: neben dem Vater Rechts mit dem Knaben Mama, die den lauterm Trank in die Taffen Rühmend goß-; links aber Luis' und nahe der Jüngling. Sie zwar kostete selten des hitzigen Mohrengetränkes; Doch heut nahm sie ein wenig und russischen Thee mit dem Kleinen. Nun war jegliches Auge verklärt, nun laut des GesprächesHerzlichkeit, nun das Gesicht den leisesten Regungen folgsam. Folgsamer noch war dein zartfühlendes Antlitz, o Jungftau, Wie wenn duftiges Schimmergewölk an der Bläue des Himmels Immer veränderlich folgt der Zephyre launischem Anhauch,

Hell umsäumt vom Glanze des Abends oder des Vollmonds. Als bei treffenden Worten nunmehr des gemütlichen Vaters Aufmerksam sich Luise mit trunkenen Blicken ihm anschloß, Liebreich klopft' ihr der Vater die rosige Wang' und begann so:

„Kind, dir brennt ja die Wange wie Glut! Zwar ist es. nicht übel Anzusehn; doch nimm dir, mein Töchterchen, wegen der Zugluft Etwas mehr um den Hals!

Man erkältet sich leicht in der Hitze."

Jenem küßte die Hand und erwiderte freundlich die Tochter: „Zugluft nennst du die Kühlung, die sanft durch Erlen des Ufers Atmet und kaum mir ein Bändchen bewegt? Scherz liebest du wahrlich!

Gar nicht brennt mich die Hitze; mit Fleiß ja gingen wir langsam, Ruhten auch oft im Schatten. Ich bin nur so ftöhlich, mein Vater!"

Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau: „Ja, du trauteste Tochter, ich bin auch ftöhlich, so ftöhlich Als die singenden Vögel im Wald hier oder das Eichhorn, Welches die lustigen Zweige durchhüpft um die Jungen im Lager. Achtzehn Jahr' sind es heut, da schenkte mir Gott mein geliebtes,

Jetzt mein einziges Kind, so verständig und fromm und gehorsam.

Wie doch die Zeiten entfliehn! Zehn kommende Jahre, wie weithin Dehnt sich der Raum vor uns, und wie schwindet er, wenn wir zurücksehn! Gestern war's, wie mir deucht, da ich unruhvoll in dem Garten Jrrete, Blätter zerpflückt' und betete, bis nun mit einmal Fröhlich die Botschaft kam: Ein Töchterchen ist uns geboren! Manches beschied seitdem der Allmächtige, Gutes und Böses.

Auch das Böse war gut; denn in Wohlfahrt lentt er des Schicksals Dunkelen Gang, und es blühet aus bitterer Wurzel das Heil auf.

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Epische Poesie.

Weißt du, Fran, wie es einst nach langer Dürre geregnet Und ich, Luis' auf dem Arme, mit dir in der Frische des Gartens Atmend ging, wie das Kind nach dem farbigen Bogen emporgriff Und mich küßte: Papa, da regnet es Blumen vom Himmel! Streut die der liebe Gott uns Kinderchen, daß wir sie sammeln?

Ja, der den Bogen der Huld ausspannete, streuet vom Himmel Blumen und Früchte herab, ein allvorsorgcnder Vater, Daß wir mit Dank einsammeln und Kindlichkeit! Denk' ich des Vaters,

O dann hebt sich mein Herz und schwillt von regerer Inbrunst Gegen unsere Brüder, die rings umwohnen das Erdreich, Zwar vielartig an Kraft und Verstand, doch desfelbigen Vaters Kindlein alle wie wir, von einerlei Brüsten genähret.

Und nicht lange, so geht in der Dämmerung eins nach dem andern Müde zur Ruh, vom Vater im heimlichen Lager gesegnet,

Hört füßträumend der Winde Geräusch und des tropfenden Regens, Schläft und erwacht am Morgen gestärkt und helleres Sinnes. Wonne dereinst, wann alle der heilige Morgen uns ausiveckt!" Auf die ernsteren Gespräche folgt ein von der Jungfrau vorgetragener Gesang, in welchen der Bater mit Macht einstimmt. Die Mutter aber mahnt nach der Beendigung des Liedes, den Kaffee zu trinken, bevor er kalt wird.

Als sie nunmehr sich gelabt mit köstlichem Tranke des Auslands,

Schenkte Mama auch dem Knechte, der, sorglos pfeifend ein Leibstück, In sonntäglicher Jack' am buschichten Ufer umherging. Anfangs sträubt' er sich, etwas beschämt, und nahm es doch endlich. Plötzlich begannst du im Kreis', ehrwürdiger Pfarrer von Grünau: „Kinder, wir ruhn unverrückt wie Markstein' und ein verjährter Volkswahn!

Geistiges Leben verlangt Umtrieb und Bewegung!"

Also der Greis, und er stand, auch die anderen sprangen vergnügt auf.

Nun lustwandelten jene, von längeren Schatten begleitet, Über des Boms durch Kiesel zum See abfließendes Bächlein

Hin zu dem duftenden Hügel, wo schlankere Birken gen Himmel Säuselten, Tannenfaat sich erhob mit gelblichem Jahrwuchs

Und Wachholdergesträuch um die Hünengräber der Vorwelt Wuchemd kroch und glänzte der Hulst mit stachlichten Blättern. Jetzo sagte gerührt die gute, verständige Hausfrau:

„Schön ist hier auch die Erd' und verdienet es, meine Luise, Darauf geboren zu sein und vergnügt durch das Leben zu wandeln; Aber ihr merkt, wie die Sonne hinabsinkt fast zu den Wipfeln Jenes Walds und vom Dorfe die Betglock' über den See summt.

Tau weissagt das Gewölk, das dujtige, welcher den Kräutern Wachstum bringt, doch leicht den gelagerten Menschen Erkältung.

Alt ist unser Papa, und das Jüngferchen kleidet sich immer Zephyrlich. Heutiges Tags ist klüger das Ei denn die Henne! Kommt denn und schmaust, ihr Lieben; die Feldluft reizet den Hunger."

Sprach's und führt' in das Thai; nicht ungern folgten die andern. Als sie die schwellenden Moose des weitumschattenden Buchbaums Jetzo erreicht, da eilten Mama und die freundliche Tochter

Schnell an das Ufer zum Kahn und brachten im zierlichen Tischkorb Feines Gedeck', Eßlöffel und englische Messer und Gabeln; Auch das Zuckergeschirr von violigem Glase, mit Silber Künstlich gefaßt wie ein Korb, ein Geschenk der gnädigen Gräfin;

Brachten die feineren Teller von Thon und spanische Erdbeer'n

Auf eiförmiger Schüssel, auch sahnige Milch in gestülpter

Porzellanener Kumme, geformt wie ein purpurner Kohlkopf; Brachten mit Eppich umlegt die Bachkrebs', ähnlich den Hummern, Und zween kalte gebratne Kapaun', umhüllt vor den Fliegen,

Brachten sodann für Walther und Karl vielrautige Waffeln, Hochgehäuft, Kunstwerke der preislichen Köchin Susanna; Auch die duftende Frucht der grüngestreiften Melone,

Butter in blauem Gefäß, goldfarbige, über dem Teckel Ruht' ein ckäuendeS Rind als Handgriff, lieblichen Schafkäs' Und holländischen Käs' und einen gewaltigen Rettich

Für den Papa, auch Kirschen von vielfach würziger Gattung, Stachelbeeren wie Pflaumen an Wuchs, und geschwollne Johannsbeer'n. Als nun wohl sie geordnet den stattlichen Schmaus auf dem Teppich, Neigte das blühende Mädchen sich hold und lud die Gesellschaft; „Hurtig heran, ihr Kinder, und lagert euch rings um die Feldkost, Froh, wie der Schnitter im Kranz und die Binderin schmausen zu Mittag Unter dem wehenden Baum, wann langhin Garben gereiht stehn Und sie der Herr hoch speiset in Fröhlichkeit, auch für den Abend Tanzmusik auf der Tenne verheißt! Ihr, froh und genügsam, Wißt ein ländliches Mahl zu entschuldigen! Drohest du? Schilt nicht,

Guter Papa! denn heut am Geburtstag' hab ich Erlaubnis, Recht unartig zu sein, und du trinkst doch meine Gesundheit! Mutter, du sorgsame Mutter, du hast mir den Wein ja vergessen!" Ihr antwortete drauf die gute, verständige Hausftau: „Mädchen, du bist mutwillig und wähnst, es bedeute was Rechtes, Heute geboren zu sein, du achtzehnjähriges Küchlein! Schnippisches Kuckindiewelt! Sehr gut, daß der Dirne Geburtstag Einmal im Jahre nur kömmt; sonst wüchsen die Bäum' in den Himmel!

Siehe, der ehrliche Hans hat Milch und Wein uns bedachtsam Abgekühlt im Schilfe des Sees.

Hier bringt er den Korb schon."

Also schalt die Mama; da nahete Hans mit dem Weinkorb

Ehrbar, zuckte den Hut und redete vor der Gesellschaft; „Heut ein prächtiger Tag für die Heumahd und das Geburtsfest! Klare Luft giebt klares Gesicht! Gott segne die Mahlzeit!" Also der Knecht und stellte den Korb an die Buche mit Borsicht.

Karl nun hüpfte behend um den Maibusch, wo er die Erdbeer'n

Heimlich versteckt und stellte den duftenden Korb auf den Teppich Stolz, indem er vom Laub' ihn enthüllte. Vater und Mutter Staunten, woher so Schönes, und lächelten seiner Erzählung,

Lobend das Körbchen sowohl, wie die saftige Röte der Erdbeer'n. Also schmauseten jen', in behaglicher Ruhe vereinigt,

Auf sanftschwellendem Moose des weitumschattenden Buchbaums.

Epische Poesie.

268

Schon sank tiefer die Sonn' und ergoß vielfarbige Schimmer

Durch abhangendes Laub, oft nötigend, weiter zu rücken; Kaum noch wankte das Rohr, und der See ward glatt wie ein Spiegel. Als sie der Speise nunmehr sich ersättiget und des Getränkes, Feierlich hob der Papa mit geschrobenem Zuge den Stöpsel

Einer Flasch' und verteilte zum Nachtisch goldenen Steinwein.

Jetzt da er allen umher des ambrosischen Trankes gespendet, Nahm der Vater sein Glas und gebot in kräftigem Ausruf: „Angeklingt! denn es gilt die Gesundheit unseres Kindes! Lebe die gute Luis' uns lang' und sich selber zur Freude!" Also der Greis; und umher klang Helles Gekling an einander.

2.

Aus Goethes „Hermann und Dorothea". Schicksal und Anteil.

„Hab' ich den Markt und die Straßen doch nie so einsam gesehen! Ist doch die Stadt wie gekehrt, wie ausgestorben! Nicht fünfzig, Deucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnem. Was die Neugier nicht thut! So rennt und läuft nun ein jeder,

Um den traurigen Zug der armen Vertriebnen zu sehen. Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist'S immer ein Stündchen, Und da läuft man hinab im heißen Staube des Mittags. Möcht' ich mich doch nicht rühren vom Platz, um zu sehen das Elend

Guter, fliehender Menschen, die nun, mit geretteter Habe Leider das überrheinische Land, das schöne, verlassend, Zu uns herüberkommen und durch den glücklichen'Winkel Dieses fmchtbaren Thals und seiner Krümmungen wandern. Trefflich hast du gehandelt, o Frau, daß du milde den Sohn fort Schicktest mit altem Linnen und etwas Essen und Trinken,

Um es den Armen zu spenden; denn geben ist Sache des Reichen. Was der Junge doch fährt! und wie er bändigt die Hengste!

Sehr gut nimmt das Kütschchen sich aus, das neue; bequemlich Säßen viere darin und auf dem Bocke der Kutscher. Diesmal fuhr er allein; wie rollt' es leicht um die Ecke!" So sprach, unter dem Thore des Hauses sitzend am Markte, Wohlbehaglich zur Frau der Wirt zum goldenen Löwen. Und es versetzte darauf die kluge, verständige Hausftau: „Vater, nicht gerne verschenk' ich die abgetragene Leinwand; Denn sie ist zu manchem Gebrauch und für Geld nicht zu haben, Wenn man ihrer bedarf; doch heute gab ich so gerne Manches bessere Stück an Überzügen und Hemden;

Denn ich hörte von Kindern und Alten, die nackend dahergehn.

Wirst du mir aber verzechn? denn auch dein Schrank ist geplündert. Und besonders den Schlafrock mit indianischen Blumen Von dem feinsten Kattun, mit feinem Flanelle gefüttert, Gab ich hin; er ist dünn und alt und ganz ans der Mode."

Epos.

Aber es lächelte drauf der treffliche Hauswirt und sagte: „Ungern vermiss' ich ihn doch, den alten, kattunenen Schlafrock Echt ostindischen Stoffs; so etwas kriegt man nicht wieder. Wohl! ich trug ihn nicht mehr. Man will jetzt freilich, der Mann soll Immer gehn im Surtout und in der Pekesche sich zeigen, Immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und Mütze."

„Siehe!" versetzte die Frau, „dort kommen schon einige wieder,

Die den Zug mit gesehn; er muß doch wohl schon vorbei sein. Seht, wie allen die Schuhe so staubig sind, wie die Gesichter Glühen! Und jeglicher führt das Schnupftuch und wischt sich den Schweiß ab.

Möcht' ich doch auch in der Hitze nach solchem Schauspiel so weit nicht

Fürwahr, ich habe genug am Erzählten." Und es sagte darauf der gute Vater mit Nachdruck: „Solch ein Wetter ist selten zu solcher Ernte gekommen, Und wir bringen die Frucht herein, wie das Heu schon herein ist, Laufen und leiden!

Trocken; der Himmel ist hell, es ist kein Wölkchen zu sehen,

Und von Morgen wehet der Wind mit lieblicher Kühlung. Das ist beständiges Wetter! Und überreif ist das Korn schon; Morgen fangen wir an zu schneiden die reichliche Ernte."

Als er so sprach, vermehrten sich immer die Scharen der Männer Und der Weiber, die über bett Markt sich nach Hause begaben; Und so kam auch zurück mit seinen Töchtern gefahren Rasch an die andere Seite des Markts der begüterte Nachbar, An sein erneuertes Haus, der erste Kaufmann des Ottes, Im geöffneten Wagen (er war zu Landau verfettigt). Lebhaft wurden die Gassen; denn wohl war bevölkett das Städtchen, Mancher Fabttken befliß man sich da und manches Gewerbes.

Und so saß das ttauliche Paar, sich unter dem Thorweg Über das wandernde Volk mit mancher Bemerkung ergötzend. Bald darauf treten der Prediger und der Apotheker des Ottes zn dem Paare.

Freundlich begann sogleich die ungeduldige Hausftau: „Saget uns, was ihr gesehn; denn das begehtt' ich zu wissen." „Schwerlich," versetzte darauf der Apotheker mit Nachdruck, „Werd' ich sobald mich freun nach dem, was ich alles erfahren.

Und wer erzählet es wohl, das mannigfalttgste Elend! Schon von ferne sahn wir den Staub, noch eh' wir die Wiesen Abwätts kamen; der Zug war schon von Hügel zu Hügel

Uuabsehlich dahin, man konnte wenig erkennen. Als wir nun aber den Weg, der quer durchs Thal geht, erreichten, War Gedräng und Getümmel noch groß der Wandrer und Wagen. Leider sahen wir noch genug der Armen vorbeiziehn, Konnten einzeln erfahren, wie bitter die schmerzliche Flucht sei, Und wie frei) das Gefühl des eilig geretteten Lebens, Trauttg war es zu sehn, die mannigfaltige Habe, Die ein Haus nur verbirgt, das wohlverseh'ne, und die ein

Guter Witt umher an die rechten Stellen gesetzt hat,

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Epische Poesie. Immer bereit zum Gebrauche, denn alles ist nötig und nützlich, Nun zu sehen das alles, auf mancherlei Wagen und Karren Durcheinander geladen, mit Übereilung geflüchtet. Über dem Schranke lieget das Sieb und die wollene Decke,

In dem Backtrog das Bett und das Leintuch über dem Spiegel. Ach! und es nimmt die Gefahr, wie wir beim Brande vor zwanzig Jahren auch wohl gesehn, dem Menschen alle Besinnung,

Daß er das Unbedeutende faßt und das Teure zurückläßt.

Also führten auch hier mit unbesonnener Sorgfalt

Schlechte Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend, Alte Bretter und Fäffer, den Gänsestall und den Käfig. Auch so keuchten die Weiber und Kinder, mit Bündeln sich schleppend, Unter Körben und Butten voll Sachen keines Gebrauches;

Denn es verläßt der Mensch so ungern das letzte der Habe. Und so zog auf dem staubigen Weg der drängende Zug fort

Ordnungslos und verwirrt. Mit schwächeren Tieren der eine Wünschte langsam zu fahren, ein andrer emsig zu eilen. Da entstand ein Geschrei der gequetschten Weiber und Kinder Und ein Blöken des Viehes, dazwischen der Hunde Gebelfer Und ein Wehlaut der Alten und Kranken, die hoch auf dem schweren, Übergepackten Wagen auf Betten saßen und schwankten; Aber aus dem Geleise gedrängt, nach dem Rande des Hohlwegs Irrte das knarrende Rad; es stürzt' in den Graben das Fuhrwerk Umgeschlagen, und weithin entstürzten im Schwünge die Menschen Mit entsetzlichem Schrein in das Feld hin, aber doch glücklich. Später stürzten die Kasten und fielen näher dem Wagen. Wahrlich, wer im Fallen sie sah, der erwartete, nun sie Unter der Last der Kisten und Schränke zerschmettert zu schauen. Und so lag zerbrochen der Wagen und hülflos die Menschen; Denn die übrigen gingen und zogen eilig vorüber,

Nur sich selber bedenkend und hingerisien vom Strome. Und wir eilten hinzu und fanden die Kranken und Alten, Die zu Haus und im Bett schon kaum ihr dauerndes Leiden Trügen, hier auf dem Boden beschädigt ächzen und jammern, Von der Sonne verbrannt und erstickt vom wogenden Staube." Der gerührte Hauswirt hofft, daß Hermann die Unglücklichen getroffen habe, und ladet die beiden Freunde zu einem Glase Rheinwein in das kühlere Sälchen des Hinterhauses ein. Nachdem er dort den Wunsch geäußert, daß er bald das Hcchzeitsfest seines Hermann möge feiern können, verkündet das Getöse der stampfenden Pferde und des rollenden Wagens die Rückkehr des SohneS.

Hermann. Hermann tritt in das Zimmer und, erstattet nach der Bemerkung des Pfarrers, daß er ihm ganz verändert erscheine, Bericht über die'Ansführmig des Auftrages, den ihm die Mutter gegeben.

Ruhig erwiderte drauf der Sohn mit ernstlichen Worten: „Ob ich löblich gehandelt, ich weiß es nicht; aber mein Herz hat Mich geheißen zu thun, sowie ich genau nun erzähle. Mutter, ihr kramtet so lange, die alten Stücke zu suchen

Epos. Und Hu wählen; nur spät war erst das Bündel zusammen, Auch der Wein und das Bier ward langsam, sorglich gepacket. Als ich nun endlich vors Thor und auf die Straße hinauskam, Strömte zurück die Menge der Bürger mit Weibern und Kindern Mir entgegen; denn fern war schon der Zug der Vertriebnen. Schneller hielt ich mich dran und fuhr behende dem Dorf zu, Wo sie, wie ich gehört, heut übemachten und rasten. Als ich nun meines Weges die neue Straße hinanfuhr, Fiel mir ein Wagen ins Auge, von tüchtigen Bäumen gefüget, Von zwei Ochsen gezogen, den größten und stärksten des Auslands; Nebenher aber ging mit starken Schritten ein Mädchen, Lenkte'mit langem Stabe die beiden gewaltigen Tiere, Trieb sie an und hielt sie zurück, sie leitete klüglich. Als mich das Mädchen erblickte, so trat sie den Pferden gelassen

Näher und sagte zu mir: Nicht immer war es mit uns so Jammervoll, als ihr uns heut auf diesem Wagen erblicket. Noch nicht bin ich gewohnt, vom Fremden die Gabe zu heischen,

Die er oft ungern giebt, um loszuwerden den Armen; Aber mich dränget die Not zu reden. Hier auf dem Strohe Liegt die erst entbundene Frau des reichen Besitzers. Spät nur kommen wir nach, und kaum das Leben erhielt sie. Nun liegt neugeboren das Kind ihr nackend im Arme, Und mit wenigem nur vermögen die unfern zu helfen, Wenn wir im nächsten Dorf, wo wir heute zu rasten gedenken, Auch sie finden, wiewohl ich fürchte, sie find' schon vorüber. Wär' euch irgend von Leinwand nur was Entbehrliches, wenn ihr Hier aus der Nachbarschaft seid, so spendet's gütig der Armen.

Also sprach sie, und matt erhob sich vom Strohe die bleiche Wöchnerin, schaute nach mir; ich aber sagte dagegen: Guten Menschen sürwahr! spricht oft ein himmlischer Geist zu, Daß sie fühlen die Not, die dem armen Bruder bevorsteht;

Denn so gab mir die Mutter im Vorgefühle von eurem

Jammer ein Bündel, sogleich es der nackten Notdurft zu reichen. Und ich löste die Knoten der Schnur und gab ihr den Schlafrock Unsres Vaters dahin und gab ihr Hemden und Leintuch. Und sie dankte mit Freuden und rief: Der Glückliche glaubt nicht, Daß noch Wunder geschehn; denn nur im Elend erkennt man Gottes Hand und Finger, der gute Menschen zum Guten Was er durch euch an uns thut, thu' er euch selber! Und ich sah die Wöchnerin stoh die verschiedene Leinwand, Aber besonders den weichen Flanell des Schlaftocks befühlen.

Leitet.

Eilen wir, sagte zu ihr die Jungfrau, dem Dorf zu, in welchem Unsre Gemeinde schon rastet und diese Nacht durch sich aufhält; Dort besorg' ich sogleich das Kinderzeug, alles und jedes.

Und sie grüßte mich noch und sprach den herzlichsten Dank aus, Trieb die Ochsen; da ging der Wagen. Ich aber verweilte, Hielt die Pferde noch an; denn Zwiespalt war mir im Herzen,

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Epische Poesie.

Ob ich mit eilenden Rosien das Dorf erreichte, die Speisen Unter das übrige Volk zu spenden oder sogleich hier Alles dem Mädchen gäbe, damit sie es weislich verteilte. Und ich mtschied mich gleich in meinem Herzen und fuhr ihr Sachte nach und erreichte sie bald und sagte behende:

Gutes Mädchm, mir hat die Mutter nicht Leinwand alleine Auf den Wagen gegeben, damit ich den Nackten bekleide, Sondern sie fügte dazu noch Speis' und manches Getränke, Und eS ist genug davon im Kasten des Wagens. Nun bin ich aber geneigt, auch diese Gaben in deine Hand zu legen, und so erfüll' ich am besten den Auftrag. Du verteilst sie mit Sinn, ich müßte dem Zufall gehorchen.

Drauf versetzte das Mädchen: Mit aller Treue verwend' ich Eure Gaben; der Dürftige soll sich derselben erfreuen. Also sprach sie. Ich öffnete schnell die Kasten des Wagens, Brachte die Schinken hervor, die schweren, brachte die Bröte, Flaschm Weines unh Biers und reicht' ihr alles und jedes. Gerne hätt' ich noch mehr ihr gegeben; doch leer war der Kasten.

Alles packte sie drauf zu der Wöchnerin Füßen und zog so Weiter; ich eilte zurück mit meinen Pferden der Stadt zu." Als der Apotheker darauf mit Rücksicht auf die Not der Zeit sich glücklich preist, unverhei­ ratet zu sein, äußert Hermann, er könnte sich gerade jetzt am leichtesten zur Ehe entschließen. Sein Vater ist über diese Äußerung entzückt und empfiehlt ihm, eine von den Töchtern des reichen Kauf­ manns zur Frau zu wählen, der auf der andern Seite des Marktes wohnt. Da aber Hermann keine von den Nachbarstöchtern wählen mag, weil sie ihn mit ihrem Spotte zu verfolgen pflegen, wirft ihm der Vater vor, er habe nur Lust an knechtischen Arbeiten und strebe nicht nach Höherem. Der gescholtene Sohn entfernt sich schweigend. Auch die Mutter verläßt bald nach ihm das Zim­ mer, um ihn aufzusuchen und zu trösten.

Mutter und Sohn. Da.durchschritt sie behende die langen, doppelten Höfe, Ließ die Ställe zurück und die wohlgezimmerten Scheunen, Trat in den Garten, der weit bis an die Mauem des Städtchens Reichte, schritt ihn hindurch und freute sich jeglichen Wachstums, Stellte die Stützen zurecht, aus denen beladen die Äste

Ruhten des Apfelbaums, wie des Birnbaums lastende Zweige,

Nahm gleich einige Raupen vom kräftig strotzenden Kohl weg; Denn ein geschäftiges Weib thut keine Schritte vergebens. Also war sie ans Ende des langen Gartens gekommen Bis zur Laube, mit Geißblatt gedeckt: nicht fand sie den Sohn da,

Ebenso wenig als sie bis jetzt ihn im Garten erblickte. Aber nur angelehnt war das Pförtchen, das aus der Laube Aus besonderer Gunst durch die Mauer des Städtchens gebrochen

Hatte der Ahnherr einst, der würdige Burgemeister. Und so ging sie bequem den trocknen Graben hinüber, Wo an der Straße sogleich der wohlumzäunete Weinberg Aufstieg steileren Pfads, die Fläche zur Sonne gekehret. Auch den schütt sie hinaus und freute der Fülle der Trauben

Sich im Steigen, die kaum sich unter den Slottern verbargen.

Epos.

273

Schattig war und bedeckt der hohe mittler«* Laubgang, Den man auf Stufen erstieg von unbehauenen Platten. Also schritt sie hinauf, sich schon des Herbstes erstellend Und des festlichen Tags, an dem die Gegend im Jubel

Trauben liefet und tritt und den Most in die Fäsier versammelt, Feuerwerke des Abends von allen Orten und Enden Leuchten und knallen und so der Ernten schönste geehrt wird.

Doch unnchiger ging sie, nachdem sie dem Sohne gerufen

Zwei- auch dreimal und nur das Echo vielfach zurückkam,

Das von den Türmen der Stadt, ein sehr geschwätziges, Herklang. Ihn zu suchen, war ihr so fremd; er entfernte sich niemals Weit, er sagt' es ihr denn, um zu verhüten die Sorge

Seiner liebenden Mutter und ihre Furcht vor dem Aber sie hoffte noch stets, ihn doch auf dem Wege Denn die Thüren, die untre, so wie die obre, des Standen gleichfalls offen; und so nun trat sie ins

Unfall. zu finden; Weinbergs Feld ein,

Das mit rocjter Fläche den Rücken des Hügels bedeckte. Immer noch wandelte sie auf eigenem Boden und freute

Sich der eigenen Saat und des herrlich nickenden Kornes, DaS mit goldener Kraft sich im ganzen Felde bewegte. Zwischen den Äckern schritt sie hindurch auf dem Raine den Fußpfad, Hatte den Birnbaum im Auge, den großen, der auf dem Hügel

Stand, die Grenze der Felder, die ihrem Hause gehörten. Und sie irrete nicht; dort saß ihr Hermann und ruhte, Saß mit dem Arme gestützt und schien in die Gegend zu schauen Jenseits nach dem Gebirg'; er kehrte der Mutter den Rücken. Sachte schlich sie hinan und rührt' ihm leise die Schulter. Und er wandte sich schnell; da sah sie ihn, Thränen im Auge. „Mutter," sagt' er bettoffen, „ihr überrascht mich!" Und eilig Trocknet' er ab die Thräne, der Jüngling edlen Gefühles. „Wie? du weinest, mein Sohn?" versetzte die Mutter bettoffen; Ich habe das niemals erfahren!

„Daran tenn’ ich dich nicht!

Sag', was beklemmt dir das Unter dem Birnbaum hier? Und es nahm sich zusammen „Wahrlich, dem ist kein Herz

Herz? Was treibt dich, einsam zu sitzen Was bringt dir Thränen ins Auge?"

der treffliche Jüngling und sagte: im ehernen Busen, der jetzo

Nicht die Not der Menschen, der umgetttebnen, empfindet; Dem ist kein Sinn in dem Haupte, der nicht um sein eigenes Wohl sich

Und um des Vaterlands Wohl in diesen Tagen bekümmett. Was ich heute gesehn und gehört, das rührte das Herz mir; Und nun ging, ich hinaus und sah die herrliche, weite Landschaft, die sich vor uns in stuchtbaren Hügeln umherschlingt,

Sah die goldene Frucht den Garben entgegen sich neigen Und ein reichliches Obst uns volle Kammem versprechen. Aber, ach, wie nah ist der Feind! Die Fluten des Rheines Schützen uns zwar; doch ach, was sind nun Fluten und Berge

Jenem schrecklichen Volke, das wie ein Gewitter daherzieht! Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aufl.

Epische Poesie.

274

Denn sie rufen zusammen aus allen Enden die Jugend Wie das Alter und dringen gewaltig vor, und die Menge Scheut den Tod nicht; es dringt gleich nach der Menge die Menge.

Ach, und ein Deutscher wagt in seinem Hause zu bleiben? Liebe Mutter, ich sag' euch, am heutigen Tage verdrießt mich, Daß man mich neulich entschuldigt, als man die Streitenden auslas Fürwahr! ich bin der einzige Sohn nur, Und die Wirtschaft ist groß und wichtig unser Gewerbe; Aber wär' ich nicht bester, zu widerstehen da vorne An der Grenze, als hier zu erwarten Elend und Knechtschaft?

Aus den Bürgern.

Ja, mir hat es der Geist gesagt, und im innersten Busen Regt sich Mut und Begier, dem Vaterlande zu leben Und zu sterben und andern ein würdiges Beispiel zu geben. Sehet, Mutter, mir ist im tiefsten Herzen beschlossen, Bald zu thun und gleich, was recht mir deucht und verständig;

Denn wer lange bedenkt, der wählt nicht immer das Beste. Sehet, ich werde nicht wieder nach Hause kehren! Von hier aus Geh' ich grad' in die Stadt und übergebe den Kriegem Diesen Arm und dies Herz, dem Vaterlande zu dienen. Sage der Vater alsdann, ob nicht der Ehre Gefühl mir Auch den Busen belebt, und ob ich nicht höher hinauf will!" Da versetzte bedeutend die gute, verständige Mutter,

Stille Thränen vergießend, sie kamen ihr leichtlich ins Auge: „Sohn! Was hat sich in dir verändert und deinem Gemüte, Da du zu deiner Mutter nicht redest wie gestern und immer Offen und frei und sagst, was deinen Wünschen gemäß ist? Du verbirgst dein Herz und hast ganz andre Gedanken; Denn ich weiß es, dich ruft nicht die Trommel, nicht die Trompete,

Nicht begehrst du zu scheinen in der Montur vor den Mädchen: Denn es ist deine Bestimmung, so wacker und brav du auch sonst bist, Wohl zu verwahren das Haus und stille das Feld zu besorgen.

Darum sage mir frei: Was drängt dich zu dieser Entschließung?" Ernsthaft sagte der Sohn: „Ihr irret, Mutter. Ein Tag ist Nicht dem anderen gleich. Der Jüngling reifet zum Manne; Bester im Stillen reift er zur That oft als im Geräusche Wilden, schwankenden Lebens, das manchen Jüngling verderbt hat. Und doch tadelt ihr mich mit Recht, o Mutter, und habt mich Auf halbwahren Worten ertappt und halber Verstellung;

Denn, gesteh' ich es nur, nicht ruft die nahe Gefahr mich

Aus dem Hause des Vaters und nicht der hohe Gedanke, Meinem Vaterland hülfteich zu sein und schrecklich den Feinden. Worte waren eS nur, die ich sprach; sie sollten vor euch nur

Meine Gefühle verstecken, die mir das Herze zerreißen. Und so laßt mich, o Mutter! Denn da ich vergebliche Wünsche Hege im Busen, so mag auch mein Leben vergeblich dahingehn."

„Fahre nur fort," so sagte darauf die verständige Mutter, „AlleS mir zu erzählen, das Größte wie das Geringste;

Epos.

275

Denn die Männer sind heftig und denken nur immer daS Letzte, Und die Hindernis treibt die Heftigen leicht von dem Wege; Aber ein Weib ist geschickt, auf Mittel zu denken, und wandelt

Auch den Umweg, geschickt zu ihrem Zweck zu gelangen.

Sage mir alles daher, warum du so heftig bewegt bist, Wie ich dich niemals gesehn, und das Blut dir wallt in den Adern,

Wider Willen die Thräne dem Auge sich dringt zu entstürzen." Da überließ sich dem Schmerze der gute Jüngling und weinte, Weinte saut an der Bmst der Mutter und sprach so erweichet: „Wahrlich!

Des Vaters Wort hat heute mich kränkend getroffen,

Das ich niemals verdient, nicht heut und keinen der Tage; Denn die Eltern zu ehren, war früh mein Liebstes, und niemand

Schien mir klüger zu sein und weiser, als die mich erzeugten Und mit Emst mir in dunkeler Zeit der Kindheit geboten.

Und so wuchs ich heran, um viel vom Vater zu dulden,

Der statt anderer mich gar oft mit Worten herumnahm, Wenn bei Rat ihm Verdruß in der letzten Sitzung erregt ward; Und ich büßte den Streit und die Ränke seiner Kollegen. Oftmals habt ihr mich selbst bedauert, denn vieles ertrug ich,

Stets in Gedanken der Eltern von Herzen zu ehrende Wohlthat, Die nur sinnen, für uns zu mehren die Hab' und die Güter, Und sich selber manches entziehn, um zu sparen den Kindern.

Aber, ach, nicht das Sparen allein, um spät zu genießen,

Macht das Glück, es macht nicht das Glück der Haufe beim Haufen, Nicht-der Acker am Acker, so schön sich die Güter auch schließen; Denn der Vater wird alt, und mit ihm altern die Söhne Ohne die Freude des Tags und mit der Sorge für morgen. Sagt mir und schauet hinab, wie herrlich liegen die schönen, Reichen Gebreite nicht da und unten Weinberg und Gärten, Dort die Scheunen und Ställe, die schöne Reihe der Güter;

Aber seh' ich dann dort das Hinterhaus, wo an dem Giebel Sich das Fenster uns zeigt von meinem Stübchen im Dache, Ach, da kommt mir so einsam vor die Kammer, der Hof und Garten, das herrliche Feld, das über die Hügel sich hinstreckt; Alles liegt so öde vor mir: ich entbehre der Gattin."

Da antwortete drauf die gute Mutter verständig: „Sohn, mehr wünschest du nicht, die Braut in die Kammer zu führen, Daß die Arbeit des Tags dir freier und eigener werde,

Als der Vater es wünscht und die Mutter. Wir haben dir immer Zugeredet, ja dich getrieben, ein Mädchen zu wählen.

Soll ich dir sagen, mein Sohn, so hast du, ich glaube, gewählet;

Denn dein Herz ist getroffen und mehr als gewöhnlich empfindlich. Sag' es gerad' nur heraus, denn mir schon sagt es die Seele: Jenes Mädchen ist's, das vertriebene, die du gewählt hast." „Liebe Mutter, ihr sagt's!" versetzte lebhaft der Sohn drauf. „Ja, sie ist's, und führ' ich sie nicht als Braut mir nach Hause

Heute noch, ziehet sie fort, verschwindet vielleicht mir auf immer 18*

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Epische Poesie.

I« der Verwirrung des Kriegs und im traurigen Hin- und Herziehn: Mutter, ewig umsonst gedeiht mir die reiche Besitzung Dann vor Augen; umsonst find künftige Jahre mir fruchtbar; Ja, das gewohnte Haus und der Garten sind mir zuwider;

Ach, und die Liebe der Mutter, sie selbst nicht tröstet den Armen. Darum lastet mich gehn, wohin die Verzweiflung mich antreibt:

Denn, mein Vater, er hat die entscheidenden Worte gesprochen, Und sein Haus ist nicht mehr das meine, wenn er das Mädchen Ausschließt, das ich allein nach HauS zu führen begehre."

Da versetzte behend die gute, verständige Mutter! „Stehen wie Felsen doch zwei Männer gegen einander! Unbewegt und stolz will keiner dem andem sich nähem, Keiner zum guten Worte, dem ersten, die Zunge bewegen.

Darum sag' ich dir, Sohn: Noch lebt die Hoffnung in meinem Herzen, daß er sie dir, wenn sie gut und brav ist, verlobe, Obgleich arm, so entschieden er auch die/Arme versagt hat;

Denn er redet gar manches in seiner heftigen Art aus, Das er doch nicht vollbringt; so giebt er auch zu das Versagte.

Aber ein gutes Wort verlangt er und kann es verlangen; Denn er ist Vater! Auch wissen wir wohl, sein Zorn ist nach Tische, Wo er heftiger spricht und anderer Gründe bezweifelt,

Nie bedeutend; es reget der Wein dann jegliche Kraft auf Seines heftigen Wollens und läßt ihn die SBorte der andern Nicht vemehmen, er hört und fühlt alleine sich selber;

Aber es kommt der Abend heran, und die vielen Gespräche Sind nun zwischen ihm und seinen Freunden gewechselt. Milder ist er fürwahr, ich weiß, wenn das Räuschchen vorbei ist Und er das Unrecht fühlt, daS er andern lebhaft erzeigte. Komm! wir wagen es gleich; das Frischgewagte gerät nur; Und wir bedürfen der Freunde, die jetzo bei ihm noch versammelt Sitzen; besonders wird uns der würdige Geistliche helfen." Also sprach sie behende und zog, vom Steine sich hebend, Agch vom Sitze den Sohn, den willig folgenden. Beide

Kamen schweigend herunter, den wichtigen Vorsatz bedenkend.

Der Weltbürger. Der Wirt, der Prediger und der Apotheker sitzen noch immer im Gespräche bei einander; da tritt die Mutter mit dem Sohne herein und teilt dem Vater Hermanus Wahl und Entschluß mit. An ihre Worte schließt sich des Sohnes Bitte um die Zustimmung des Vaters; allein dieser schweigt. Der Geistliche sucht den Vater zur Einwilligung zu bewegen, und der Apotheker erbietet sich, das Mädchen zu prüfen und die Gemeinde, zn der sie gehört, zu beftagen. Hermann stimmt freubig bei, wünscht aber, daß der Pfarrer sich dein Apotheker anschließe. Ungern giebt der Vater seine Zustimmung. Hermann eilt hinaus in den Stall, bespannt den Wagen und fährt in den Thorweg.

Als die Freunde nun gleich die geräumigen Plätze genommen, Rollte der Wagen eilig und ließ das Pflaster zurücke, Ließ zurück die Mauem der Stadt und die reinlichen Türme.

So fuhr Hermann dahin der wohlbekannten Chaussee zu

Epos. Rasch und säumte nicht und fuhr bergan wie bergunter.

Als er aber nunmehr den Turm des Dorfes erblickte Und nicht fern mehr lagen die gartenumgebenen Häuser, Dacht' er bei sich selbst, nun anzuhalten die Pferde.

Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet,

Die Jahrhunderte schon an dieser Stelle gewurzelt, War mit Rasen bedeckt ein weiter, grünender Anger Vor dem Dorfe, den Bauern und nahm Städtern ein Lustort. Flachgegraben befand sich unter den Bäumen ein Brunnen.

Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich steinerne Bänke, Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig hervorquoll, Reinlich, mit niederer Mauer gefaßt, zum Schöpfen bequemlich.

Hermann aber beschloß, in diesem Schatten die Pferde Mit dem Wagen zu halten. Er that so und sagte die Worte: „Steiget, Freunde, nun aus und geht, damit ihr erfahret, Ob das Mädchen auch wert der Hand sei, die ich ihr biete. Zwar ich glaub' es und mir erzählt ihr nichts Neues und Seltnes;

Hätt' ich allein zu thun, so ging' ich behend zu dem Dorf hin,

Und mit wenig Wortm entschiede die Gute mein Schicksal. Und ihr werdet sie bald vor allen andem erkennen; Denn wohl schwerlich ist an Bildung ihr eine vergleichbar. Doch, das will ich euch sagm und noch mir ausdrücklich erbittm: Redet nicht mit dem Mädchen und laßt nicht merken die Absicht, Sondem befraget die andern und hört, was sie alles erzählen. Habt ihr Nachricht genug, zu bemhigen Vater und Mutter, Kehret zu mir dann zurück, und wir bedenken das Weit're. Also dacht' ich mir's aus den Weg her, den wir gefahren." Also sprach er; es gingen daranf die Freunde dem Dorf zr^ Wo in Gärten und Scheunen und Häusern die Menge von Menschen Wimmelte, Kann an Karrn die breite Sttaße dahin stand.

Männer versorgten das brüllende Vieh und die Pferd' an den Wagen, Wäsche ttockneten emsig auf allen Hecken die Weiber, Und es ergötzten die Kinder sich, plätschemd im Wasser des Baches. Also durch die Wagen sich drängend, durch Menschen und Tiere, Sahen sie rechts und links sich um, die gesendeten Späher, Ob sie nicht etwa das Bild des bezeichneten Mädchens erblickten;

Aber keine von allen erschien die herrliche Jungfrau. Stärker sanden sie bald das Gedränge; da war um die Wagen Streit der drohenden Männer, worein sich.mischten die Weiber,

Schreiend. Da nahte sich schnell mit. würdigen Schritten ein Alter, Trat zu den Scheltenden hin; und sogleich, verklang das Getöse,

Als er Ruhe gebot und väterlich ernst sie bedrohte. „Hat uns," rief er, „noch nicht das Unglück also gebändigt,

Daß wir endlich verstehn, und untereinander zu dulden Und zu verttagen, wenn auch nicht jeder die Handlungen abmißt?

Unverträglich, fürwahr, ist der Glückliche! Werden die Leiden Endlich euch lehren, nicht mehr, wie sonst, mit dem Bruder zu hadern?

277

278

Epische Poesie.

Gönnet einander den Platz auf fremdem Boden und teilet, Was ihr habet, zusammen, damit ihr Barmherzigkeit findet."

Also sagte der Mann, und alle schwiegen; verträglich Ordneten Vieh und Wagen die wieder besänftigten Menschen.

Als der Geistliche nun die Rede des ManneS vernommen Und den ruhigen Sinn des fremden Richters entdeckte, Trat er an ihn heran und sprach die bedeutenden SBortc: „Vater, fürwahr, wenn das Volk in glücklichen Tagen dahinlebt, Von der Erde sich nährend, die weit und breit sich aufthut

Und die erwünschten Gaben in Jahren und Monden erneuert, Da geht alles von selbst, und jeder ist sich der klügste Wie der beste; und so bestehen sie neben einander, Und der vernünftigste Mann ist wie ein andrer gehalten;

Tenn was alles geschieht, geht still wie von selber den Gang fort. Aber zerrüttet die Not die gewöhnlichen Wege des Lebens, Reißt das Gebäude nieder und wühlet Garten und Saat um, Treibt den Mann und das Weib vom Raume der traulichen Wohnung, Schleppt in die 3rre sie fort durch ängstliche Tage und Nächte:

Ach! da sieht man sich um, wer wohl der verständigste Mann sei, Und er redet nicht mehr die herrlichen Worte vergebens. Sagt mir, Vater, ihr seid gewiß der Richter von diesen Flüchtigen Männern, der ihr sogleich die Gemüter beruhigt?" Als nun der Pfarrer darauf noch weiter zu sprechen geneigt war Und das Schicksal des Manns und der Seinen zu hören verlangte,

Sagte behend der Gefährte mit heimlichen Worten ins Ohr ihm: „Sprecht mit dem Richter nur fort und bringt das Gespräch auf das Mädchen; Aber ich gehe herum, sie aufzusuchen, und komme Wieder, sobald ich sie finde." ES nickte der Pfarrer dagegen, Und durch die Hecken und Gärten und Scheunen suchte der Späher. Das Zeitalter. Auf die Frage deS Geistliche», was die Gemeinde gelitten habe, und seit wie lange sie aus der Heimat vertrieben sei, erzählt der Richter, die französische Revoückion sei auch von den ©einigen mit Jubel begrüßt und die französischen Heere seien in ihrer Gegend mit Frohlocken empfangen worden. Daraus fährt er fort:

„Aber der Himmel trübte sich bald.

Um den Vorteil der Herrschaft

Stritt ein verderbtes Geschlecht, unwürdig, das Gute zu schaffen; Sie ermordeten sich und unterdrückten die neuen

Nachbarn und Brüder und sandten die eigennützige Menge. Und es praßten bei uns die Obern und raubten im großen, Und es raubten und praßten bis zu dem Kleinsten die Kleinen; Jeder schien nur besorgt, es bleibe was übrig für morgen.

Allzugroß war die Not, und täglich wuchs die Bedrückung;

Niemand vernahm das Geschrei, sie waren die Herren des Tages. Da fiel Kummer und Wut auch selbst ein gelaff'nes Gemüt an; Jeder sann nur und schwur, die Beleidigung alle zu rächen

Und den bittern Verlust der doppelt betrogenen Hoffnung.

EpoS.

279

Und es wendete sich das Glück auf die Seite der Deutschen, Nnd der Franke floh mit eiligen Märschen zurücke. Ach! da fühlten wir erst das traurige Schicksal des Krieges; Denn der Sieger ist groß und gut, zum wenigsten scheint er's;

Und er schonet den Mann, den besiegten, als wär' er der seine, Wenn er ihm täglich nützt und mit den ©fitem ihm dienet; Aber der Flüchtige kennt kein Gesetz; denn er wehrt nur den Tod ab Und verzehret nur schnell und ohne Rücksicht die Güter. Dann ist sein Gemüt auch erhitzt, und es kehrt die Verzweiflung

Aus dem Herzen hervor das frevelhafte Beginnen. Überall sieht er den Tod und genießt die letzten Minuten

Grausam, freut sich des Bluts und freut sich des heulenden Jammers. Grimmig erhob sich darauf in unsern Männern die Wut nun, Das 'Verlorne zu rächen und zu verteid'gen die Reste.

Alles ergriff die Waffen, gelockt von der Eile des Flüchtlings Und vom blassen Gesicht und scheu unsicheren Blicke.

Rastlos nun erklang das Getön der stürmenden Glocke, Und die künft'ge Gefahr hielt nicht die grimmige Wut auf. Schnell verwandelte sich des Feldbaus friedliche Rüstung Nun in Wehre; da troff vom Blute Gabel und Sense. Ohne Begnadigung fiel der Feind und ohne Verschonung; Überall raste die Wut und die feige, tückische Schwäche. Möcht' ich den Menschen doch nie in dieser schnöden Verirrnng

Wieder sehn! Das wütende Tier ist ein besserer Anblick. Sprech' er doch nie von Freiheit, als könn' er sich selber regieren! Losgebunden erscheint, sobald die Schranken hinweg sind,

Alles Böse, das tief das Gesetz in die Winkel zurücktrieb." „Trefflicher Mann!" versetzte darauf der Pfarrer mit Nachdruck; „Wenn ihr den Menschen verkennt, so kann ich euch darum nicht schelten; Habt ihr doch Böses genug erlitten vom wüsten Beginnen! Wolltet ihr aber zurück die traurigen Tage durchschauen, Würdet ihr selber gestehen, wie oft ihr auch Gutes erblicktet, Manches Treffliche, das verborgen bleibt in dem Herzen, Regt die Gefahr es nicht auf, und drängt die Not nicht den Menschen, Daß er als Engel sich zeig', erscheine den andern ein Schutzgott."

Lächelnd versetzte darauf der alte, würdige Richter: „Ihr erinnert mich klug, wie oft nach dem Brande des Hauses Man den betrübten Besitzer an Gold und Silber erinnert, Das geschmolzen im Schutt nun überblieben zerstreut liegt.

Und so kehr' ich auch gern die heitren Gedanken zu jenen Wenigen guten Thaten, die aufbewahrt das Gedächtnis. Ja, ich will es nicht leugnen, ich sah sich Feinde versöhnen, Um die Stadt vom Übel zu retten; ich sah auch der Freunde, Sah der Eltern Lieb' und der Kinder Unmögliches wagen, Sah, wie der Jüngling auf einmal zum Mann ward, sah, wie der Greis sich

Wieder verjüngte, daS Kind sich selbst als Jüngling enthüllte, Ja, und das schwache Geschlecht, so wie es gewöhnlich genannt wird,

Epische Poesie.

280

Zeigte sich tapfer und mächtig und gegenwärtigen Geistes.

Und so laßt mich vor allem der schönen That noch erwähnen,

Die hochherzig ein Mädchen vollbrachte, die treffliche Jungftau, Die auf dem großen Gehöft allein mit den Äflädchen zurückblieb; Denn es waren die Männer auch gegen die Fremden gezogen. Da überfiel beit Hof ein Trupp verlauf'nen Gesindels Plündernd und drängte sogleich fich in die Zimmer der Frauen.

Sie erblickten das Bild der schön erwachsenen Zungfrau Und die lieblichen Mädchen, noch eher Kinder zu heißen. Da ergriff sie wilde Begier; sie stürmten gefühllos Auf die zitternde Schar und aufs hochherzige Mädchen; Aber sie riß dem einen sogleich von der Seite den Säbel, Hieb ihn nieder gewalttg; er stürzt' ihr blutend zu Füßen.

Dann mit männlichen Streichen befreite fie tapfer die Mädchen, Traf noch viere der Räuber; doch die entflohen dem Tode.

Dann verschloß sie den Hof und harrte der Hülfe bewaffnet." Als der Geistliche nun das Lob des Mädchens vemommen, Stieg die Hoffnung sogleich für seinen Freund im Gemüt auf,

Und er war im Begriff zu fragen, wohin sie geraten: Aber da trat herbei der Apotheker behende, Zupfte den geistlichen Herrn und sagte die wispernden Motte: „Hab' ich doch endlich das Mädchen aus vielen hundert gefunden

Nach der Beschreibung!

So kommt und sehet sie selber mit Augen;

Nehmet den Richter mit euch, damit wir das Weitere hören." Und sie kehtten sich um, und weg ward gerufen der Richter Von den Seinen, die ihn, bedürftig des Rates, verlangten. Doch es folgte sogleich dem Apotheker der Pfarrherr

An die Lücke des Zauns, und jener deutete listig. „Seht ihr," sagt' er, „das Mädchen? Sie hat die Puppe gewickelt, Und ich ettenne genau den alten Kattun und den blauen Kiffenüberzug wohl, den ihr Hermann im Bündel gebracht hat. Ohne Zweifel sie ist's. Drum kommet, damit wir vemehmen, Ob sie gut und tugendhaft sei, ein häusliches Mädchen." Da versetzte der Pfarrer, mit Blicken die Sitzende prüfend: „Daß sie den Jüngling entzückt, fürwahr,- es ist mir kein Wunder;

Denn sie hält vor dem Blick des erfahrenen Mannes die Probe. Ich verfichr' euch, es ist dem Jüngling ein Mädchen gefunden, Das ihm die künftigen Tage des Lebens herrlich erheitett,

Treu mit weiblicher Kraft durch alle Zeiten ihm beisteht.

So ein vollkommener Körper gewiß verwahtt auch die Seele Rein, und die rüstige Jugend verspricht ein glückliches Alter." Und es sagte daraus der Apotheker bedenklich: „Trüget doch öfter der Schein! Ich mag dem Äußern nicht trauen;

Denn ich habe das Spttchwott so oft erprobet gefunden:

Eh' du den Scheffel Salz mit dem neuen Bekannten verzehret, Darfst du nicht leichtlich ihm trauen; dich macht die Zeit nur gewisser, Wie du es habest mit ihm, und wie die Freundschaft bestehe.

EpoS.

281

Lasset uns also zuerst bei guten Leuten uns umthun,

Denen das Mädchen bekannt ist, und die uns von ihr nun erzählen." „Auch.ich lobe die Vorsicht," versetzte der Geistliche folgend. Und sie gingen darauf dem wackern Richter entgegen, Der. in seinen Geschäften die Straße wieder heraufkam.

Und zu ihm sprach sogleich der kluge Pfarrer mit Vorsicht:

„Sagt!

Wir haben ein Mädchen gesehn, das im Garten zunächst hier

Unter dem Apfelbaum sitzt und Kindern Kleider verfertigt

Aus getragnem Kattun, der ihr vermutlich geschenkt ward. Uns gefiel die Gestalt; sie scheinet der Wackeren eine. Saget unS, was ihr wißt; wir fragen aus löblicher Absicht."

Als, in den Garten zu blicken, der Richter sogleich nun herzutrat,

Sagt' er: „Diese kennet ihr schon; denn wenn ich erzählte

Von der hcrlichen That, die jene Jungfrau verrichtet, Als sie das Schwert ergriff und sich und die Ihren beschützte, Diese war's!

Ihr seht es ihr an, sie ist rüstig geboren,

Aber so gut, wie stark; denn ihren alten Verwandten Pflegte sie bis zum Tode, da ihn der Jammer'dahinriß

Über des Städtchens Not und seiner Besitzung Gefahren. Auch mit stillem Gemüt hat sie die Schmerzen ertragen Über des Bräutigams Tod, der, ein edler Jüngling, im ersten

Feuer des hohen Gedankens, nach edler Freiheit zu streben, Selbst hinging nach Paris und bald den schrecklichen Tod fand;

Denn wie zu Hause, so dort, bestritt er Willkür und Ränke."

Also sagte der Richter.

Die beiden schieden und dankten.

Die beiden Freunde finden Hennann entschlossen, selbst aus dem Munde des Mädchens sein Schicksal zu erfahren. Er bittet die Freunde, mit dem Wagen zu den Eltern zurückzukehren und ihnen das Ergebnis ihrer Nachforschungen mitzuteilen; er selbst wolle mit ihr oder ohne sie auf dem nähern Wege zurückkehren. Bald sieht er sie abermals zum Bmnnen kommen. Dorothea. Fest betrachtet' er sie; es'war kein Scheinbild, sie war es

Selber.

Den größeren Krug und einen kleinem am Henkel

Tragend in jeglicher Hand, so schütt sie geschäftig zum Brunnen. Und er ging ihr freudig entgegen.

Es gab ihm ihr Anblick

Mut und Kraft; er sprach zu seiner Verwundeüen also: „Find' ich dich, wackeres Mädchen, so bald aufs neue beschäftigt,

Hülfreich andem zu sein und gern zu erquicken die Menschen? Sag', warum kommst du allein zum Quell, der doch so entfernt liegt,

Da sich andere doch mit dem Wasser des Dorfes begnügen?

Freilich ist dies von besonderer Kraft und lieblich zu kosten. Jener Kranken bringst du es wohl, die du treulich gerettet?"

Freundlich begrüßte sogleich das gute Mädchen den Jüngling,

Sprach: „So ist schon hier der Weg mir zum Brunnen belohnet, Da ich finde den Guten, der uns so vieles gereicht hat; Denn der Anblick des Gebers ist wie der Gaben erfreulich. Kommt und sehet doch selber, wer eure Milde genossen,

Und empfanget den ruhigen Dank von allen Erquickten.

282

Epische Poesie. Daß ihr aber sogleich vernehmet, warum ich gekommen, Hier zu schöpfen, wo rein und unablässig der Quell fließt, Sag' ich euch dies: Es haben die unvorsichtigen Menschen

Alles Wasser getrübt im Dorfe, mit Pferden und Ochsen Gleich durchwatend den Quell, der Wasser bringt den Bewohnern. Und so haben sie auch mit Waschen und Reinigen alle Tröge des Dorfes beschmutzt und alle Brunnen besudelt;

Denn ein jeglicher denkt nur, sich selbst und das nächste Bedürfnis Schnell zu befried'gen und rasch, und nicht des Folgenden denkt er." Also sprach sie und war die breiten Stufen hinunter

Mit dem Begleiter gelangt; und auf das Mäuerchen setzten

Beide sich nieder des Quells.

Sie beugte sich über, zu schöpfen,

Und er faßte den andern Krug und beugte sich über. Und sie sahen gespiegelt ihr Bild in der Bläue des Himmels

Schwanken und nickten sich zu und grüßten sich freundlich im Spiegel.

„Laß mich trinken," sagte darauf der heitere Jüngling; Und sie reicht' ihm den Krug. Dann ruhten sie beide, vertraulich Auf die Gefäße gelehnt; sie aber sagte zum Freunde: „Sage, wie sind' ich dich hier und ohne Wagen und Pferde Ferne vom Ort, wo ich erst dich gesehn? Wie bist du gekommen?" Hermann schaute denkend zur Erde; dann hob er die Blicke

Ruhig gegen sie auf und sah ihr freundlich ins Auge, Fühlte sich still und getrost. Jedoch ihr von Liebe zu sprechen, Wär' ihm unmöglich gewesen; ihr Auge blickte nicht Liebe, Aber hellen Verstand und gebot, verständig zu reden. Und er faßte sich schnell und sagte traulich zum Mädchen: „Laß mich reden, mein Kind, und deine Fragen envidern. Deinetwegen kam ich hieher; was soll ich's verbergen? Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden Eltern, Denen ich treulich das Haus und die Güter helfe verwalten Als der einzige Sohn, und unsre Geschäfts sind vielfach. Alle Felder besorg' ich; der Vater waltet im Hause. Fleißig; die thätige Mutter belebt im ganzen die Wirtschaft. Aber du hast gewiß auch erfahren, wie sehr das Gesinde Bald durch Leichtsinn und bald durch Untreu plaget die Hausfrau, Immer sie nötigt zu wechseln und Fehler um Fehler zu tauschen. Lange wünschte die Mutter daher sich ein Mädchen im Hause, Das mit der Hand nicht allein, das auch mit dem Herzen ihr hülfe

An der Tochter Statt, der leider frühe verlornen.

Run, als ich heut am Wagen dich sah in froher Gewandtheit, Sah die Stärke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder,

Als ich die Worte vemahm, die verständigen, war ich betroffen, Und ich eilte nach Hause, den Eltern und Freunden die Fremde Rühmend nach ihrem Verdienst.

Nun komm' ich dir aber zu sagen,

Was sie wünschen, wie ich. Verzeih' mir die stotternde Rede." „Scheuet euch nicht," so sagte sie drauf, „das Weit're zu sprechen; Ihr beleidigt mich nicht, ich hab' es dankbar empfunden.

Epos.

283

Sagt es nur grad' heraus; mich kann das Wort nicht erschrecken: Dingen möchtet ihr mich als Magd für Vater und Mutter, Zu versehen das Haus, das wohlerhalten euch dasteht; Und ihr glaubet, an mir ein tüchtiges Mädchen zu finden, Zu der Arbeit geschickt und nicht von rohem Gemüte.

Euer Antrag war kurz; so soll die Antwort auch kurz sein. Ja, ich gehe mit euch und folge dem Rufe des Schicksals.

Meine Pflicht ist erfüllt, ich habe die Wöchnerin wieder Zu den Ihren gebracht, sie freuen sich alle der Rettung; Schon sind die meisten beisammen, die übrigen werden sich finden.

Kann ich im Hause des würdigen Mannes mich dienend emährm Unter den Augen der trefflichen Frau, so thu' ich es gerne;

Denn ein wanderndes Mädchen ist immer von schwankendem Rufe. Ja, ich Hehe mit euch, sobald ich die Krüge den Freunden Wiedergebracht und noch mir den Segen der Guten erbeten.

Kommt! Ihr müffet sie sehen und mich von ihnen empfangen." Fröhlich hörte der Jüngling des willigen Mädchens Entschlietzung,

Zweifelnd, ob er ihr nun die Wahrheit sollte gestehen; Aber es schien ihm das Beste zu sein, in dem Wahn sie zu laflen, In sein Haus sie zu führen, zu werben um Liebe nur dort erst. Bald haben sie die Scheuer erreicht, wo die Wöchnerin liegt. Scheidend empfängt Dorothea den Segen derselben, erkundigt sich auf dem Wege zur Stadt nach der Gemütsart der Eltem Hermanns, um ihnen leichter genügen zu können, verrenkt sich fehltretend den Fuß und schlägt vor, einen Augenblick zu verziehen, damit er nicht wegen der hinkenden Magd von den Eltern getadelt werde. Bald erreichen sie ihr Ziel.

Aussicht.

Aber die Thür ging auf.

Es zeigte das herrliche Paar sich,

Und es erstaunten die Freunde, die liebenden Eltem erstaunten Über die Bildung der Braut, des Bräutigams Bildung vergleichbar;

Ja es schien die Thüre zu klein, die hohen Gestalten Einzulaffen, die nun zusammen betraten die Schwelle. Hermann stellte den Eltem sie vor mit fliegendm Worten. „Hier ist," sagt' er, „ein Mädchen, so wie ihr im Hause sie wünschet.

Lieber Vater, empfanget sie gut; sie verdient eö, und, liebe Mutter, befragt sie sogleich nach dem ganzen Umfang der Wirtschaft, Daß ihr seht, wie sehr sie verdient, euch näher zu werden." Eilig führt' er darauf den trefflichen Pfarrer beiseite, Sagte: „Würdiger Herr, nun helft mir aus dieser Besorgnis Schnell und löset den Knoten, vor deffen Entwicklung ich schaudre; Denn ich habe das Mädchen als meine Braut nicht geworben,

Sondern sie glaubt, als Magd in das Haus zu gehn, und ich fürchte,

Daß unwillig sie flieht, sobald wir gedenken der Heirat. Aber entschieden sei es sogleich! Nicht länger im Irrtum

Soll sie bleiben, wie ich nicht länger den Zweifel ertrage.

Eilet und zeiget auch hier die Weisheit, die wir verehren!" Und eS wendete sich der Geistliche gleich zur Gesellschaft; Aber leider getrübt war durch die Rede des Vaters

284

Epische Poesie. Schon die Seele des Mädchens; er hatte die munteren Worte Mit behaglicher Art im guten Sinne gesprochen:

„Ja, das gefällt mir, mein Kind! Mit Freuden erfahr' ich, der Sohn hat Auch wie der Vater Geschmack, der seiner Zeit es gewiesen, Immer die Schönste zum Tanze geführt und endlich die Schönste In sein Haus als Frau sich geholt; das Mütterchen war es.

Denn an der Braut, die der Mann sich erwählt, läßt gleich sich erkennen, Welches Geistes er sei, und ob er sich eigenen Wert fühlt. Aber ihr brauchtet wohl auch nur wenig Zeit zur Entschließung?

Denn mich dünket fürwahr, ihm ist so schwer nicht zu folgen." Hermann hörte die Worte nur flüchtig; ihm bebten die Glieder Innen, und fülle war der ganze Kreis nun auf einmal. Aber das treffliche Mädchen, von solchen spöttischen Worten, Wie sie ihr schienen, verletzt und tief in der Seele ergriffen, Stand, mit fliegender Röte die Wange bis-gegen den Nacken Übergossen; doch hielt sie sich an und nahm sich zusammen, Sprach zu dem Alten darauf, nicht völlig die Schmerzen verbergend:

„Traun! Zu solchem Empfang hat mich der Sohn nicht besätet, Der mir des Vaters Art geschildert, des trefflichen Bürgers;

Und ich weiß, ich stehe vor euch, dem gebildeten Manne, Der sich klug mit jedem beträgt und gemäß den Personen. Aber so scheint es, ihr fühlt nicht Mitläd genug mit der Armen, Die nun die Schwelle betritt, und die euch zu dienen berät ist; Denn sonst würdet ihr nicht mit bitterm Spotte mir zeigen, Wie entfernt mein Geschick von eurem Sohn und von euch sä. Freilich tret' ich nur arm, mit kleinem Bündel ins Haus ein,

Das, mit allem versehn, die frohen Bewohner gewiß macht;

Aber ich kenne mich wohl und fühle das ganze Verhältnis. Ist es edä, mich gläch mit solchem Spotte zu treffen, Der auf der Schwelle beinah mich schon aus dem Hause zurücktreibt?" Bang bewegte sich Hermann und winkte dem geistlichen Freunde, Daß er ins Mittel sich schlüge, sogleich zu verscheuchen den Irrtum. Eilig trat der Kluge heran und schaute des Mädchens Stillen Verdruß und gehaltenen Schmerz und Thränen im Auge.

Da befahl ihm sein Geist, nicht gleich die Verwirrung zu lösen, Sondern vielmehr das bewegte Gemüt zu prüfen des Mädchens. Und er sagte darauf zu ihr mit versuchenden Worten: „Sicher, du überlegtest nicht wohl, o Mädchen des Auslands, Wenn du, bei Fremden zu dienen, dich allzueilig entschlössest,

Was es heiße, das Haus des gebietenden Herrn zu betreten; Denn der Handschlag bestimmt das ganze Schicksal des Jahres, lind, gar vieles zu dulden, verbindet ein einziges Jawort.

Doch du scheinst mir dazu nicht geschickt, da die Scherze des Vaters Schon dich treffen so tief und doch nichts gewöhnlicher vorkommt, Als ein Mädchen zu plagen, daß wohl ihr.ein Jüngling gefalle." Also sprach er. Es fühlte die treffende Rede bad Mädchen, Und sie hielt sich nicht mehr; es zeigten sich ihre Gefühle

Epos. Mächtig, eS hob sich die Brust, aus der ein Seufzer hervordrang, Und sie sagte sogleich mit heiß vergossenen Thränen: „O, nie weiß der verständige Mann, der im Schmerz uns zu raten

Denkt, wie wenig sein Wort, das kalte, die Brust zu befreien Ze von dem Leiden vermag, das ein hohes Schicksal uns auflegt. Ihr seid glücklich und froh, wie sollt' ein Scherz euch verwunden! Doch der Krankende fühlt auch schmerzlich die leise Berührung. Laßt mich wieder hinweg!

Ich darf im Hause nicht bleiben;

Ich will fort und gehe, die armen Meinen zu suchen,

Die ich im Unglück verließ, für mich nur das Bessere wählend. Dies ist mein fester Entschluß; und ich darf euch dämm nun bekennen, Was im Herzen sich sonst wohl Jahre hätte verborgen. Ja, des Vaters Spott hat tief mich getroffen, nicht weil ich

Stolz und empfindlich bin, wie es wohl der Magd nicht geziemet, Sondem weil mir fürwahr im Herzen die Neigung sich regte Gegen den Jüngling, der heute mir als ein Erretter erschienen; Denn als er erst auf der Straße mich ließ, so war er mir immer In Gedanken geblieben! ich dachte des glücklichen Mädchens, Das er vielleicht schon als Braut im Herzen möchte bewahren. Und als ich wieder am Brunnen ihn fand, da freut’ ich mich seines

Anblicks so sehr, als wär' mir der Himmlischen einer erschienen. Und ich folgt' ihm gern, als nun er zur Magd mich geworben. Doch mir schmeichelte fteilich das Herz, ich will es gestehen,

Auf dem Wege hieher, als könnt' ich vielleicht ihn verdienen, Wenn ich würde des Hauses derxinst unentbehrliche Stütze. Aber, ach! nun seh' ich zuerst die Gefahren, in die ich Mich begab, so nah' dem Stillgeliebten zu wohnen. Nun erst fühl' ich, wie weit ein armes Mädchen entfernt ist

Don dem reicheren Jüngling, und wenn sie die tüchtigste wäre. Alles das hab' ich gesagt, damit ihr das Herz nicht verkennet, Das ein Zufall beleidigt, dem ich die Besinnung verdanke. Aber daS sei nun gesagt, und nun soll im Hause mich länger Hier nichts halten, wo ich beschämt und ängstlich nur stehe, Frei die Neigung bekennend und jene thörichte Hoffnung. Lebet wohl! Ich bleibe nicht länger; es ist nun geschehen."

Also sprach sie, sich rasch zurück nach der Thüre bewegend, Unter dem Arm das Bündelchen noch, das sie brachte, bewahrend. Aber die Mutter ergriff mit beiden Armen das Mädchen, Um den Leib sie fassend, und rief verwundert und staunend;

„Sag', was bedeutet mir dies und diese vergeblichen Thränen?

Nein, ich lasse dich nicht; du bist mir des Sohnes Verlobte."

Aber der Vater stand mit Widerwillen dagegen, Auf die Weinende schauend, und sprach die verdrießlichen Worte: „Also das ist mir zuletzt für die höchste Nachsicht geworden,

Daß mir das Unangenehmste geschieht noch zum Schlüsse des Tages! Denn mir ist unleidlicher nichts als Thränen der Weiber, Leidenschaftlich Geschrei, das heftig verworren beginnet,

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Epische Poesie. WaS mit ein wmig Vernunft sich ließe gemächlicher schlichten.

Mir ist lästig, noch länger dies wunderliche Beginnen Anzuschauen. Vollendet es selbst; ich gehe zu Bette." Und er wandte sich schnell und eilte, zur Kammer zu gehen, Wo ihm das Eh'bett stand, und wo er zu ruhen gewohnt war;

Aber ihn hielt der Sohn und sagte die.flehenden Worte: „Vater, eilet nur nicht und zürnt nicht über das Mädchen! Ich nur habe die Schuld von aller Verwirrung zu tragen,

Die unerwartet der Freund noch durch Verstellung vermehrt hat. Siebet, würdiger Herr! Denn euch vertraut' ich die Sache. Häufet nicht Angst und Verdruß, vollendet lieber das Ganze!"

Lächelnd versetzte darauf der würdige Pfarrer und sagte: „Welche Klugheit hätte denn wohl das schöne Bekenntnis Dieser Gutm entlockt und uns enthüllt ihr Gemüte? Ist nicht die Sorge zugleich dir zur Wonn' und Freude geworden? Rede dämm nur selbst! Was bedarf es ftemder Erklämng?" Nun trat Hermann hemor und sprach die freundlichen Worte:

„Laß dich die Thränen nicht reun, noch diese flüchtigen Schmerze»; Denn sie vollenden mein Glück und, wie ich wünsche, das deine. Nicht das treffliche Mädchen als Magd, die Fremde, zu dingen, Kam ich zum Bmnnen; ich kam, um deine Liebe zu werben. Aber ach! mein schüchterner Blick, er konnte die Neigung Deines Herzens nicht sehn, nur Freundlichkeit sah er im Auge, Als aus dem Spiegel du ihn des ruhigen Bmnnens begrüßtest.

Dich ins Haus nur zu führen, es wax schon die Hälfte des Glückes. Aber nun vollendest du mir's! O sei mir gesegnet!" Und es schaute das Mädchen mit tiefer Rühmng zum Jüngling, Und es vermied nicht Umarmung und Kuß, den Gipfel der Freude. Und den übrigen hatte der Pfarrherr alles erkläret. Aber das Mädchen kam, vor dem Vater sich herzlich mit Anmut

Neigend und so ihm die Hand, die zurückgezogene, küffend, Sprach: „Ihr werdet gerecht der Überraschten verzeihen

Erst die Thränen des Schmerzes und nun die Thränen der Freude. O vergebt mir jenes Gefühl, vergebt mir auch dieses, Und laßt nur mich ins Glück, das neu mir gegönnte, mich finden! Ja, der erste Verdruß, an dem ich Verworrene schuld war,

Sei der letzte zugleich! Wozu die Magd sich verpflichtet, Treu zu liebendem Dienst, den soll die Tochter euch leisten." Und der Vater umarmte sie gleich, die Thränen verbergend. Traulich kam die Mutter herbei und küßte sie herzlich, Schüttelte Hand in Hand; es schwiegen die weinenden Frauen.

Eilig faßte darauf der gute, verständige Pfarrherr

Erst des Vaters Hand und zog ihm vom Finger den Trauring (Nicht so leicht; er war vom rundlichen Gliede gehalten), Nahm den Ring der Mutter darauf und verlobte die Kinder, Sprach: „Noch einmal sei der goldenen Reifen Bestimmung, Fest ein Band zu knüpfen, daS völlig gleiche dem alten.

Epos.

Dieser Jüngling ist tief von der Liebe zum Mädchen durchdrungen, Und das Mädchen gesteht, daß auch ihr der Jüngling erwünscht ist. Also verlob' ich euch hier und segn' euch künftigen Zeiten Mit dem Willen der Eltern und mit dem Zeugnis des Freundes."

Und es neigte sich gleich mit Segenswünschen der Nachbar. Aber als der geistliche Herr den goldenen Reif nun Steckt' an die Hand des Mädchens, erblickt er den anderen staunend, Den schon Hermann zuvor am Brunnen sorglich betrachtet. Und er sagte darauf mit fteundlich scherzenden Worten: „Wie? du verlobest dich schon zum zweiten Mal? daß nicht der erste Bräutigam bei dem Altar sich zeige mit hinderndem Einspruch!" Aber sie sagte darauf: „O laßt mich dieser Erinnerung

Einen Augenblick weihen!

Denn wohl verdient sie der Gute,

Der mir ihn scheidend gab und nicht zur Heimat zurückkam.

Alles sah er voraus, als rasch die Liebe der Freiheit,

Als ihn die Lust, im neuen, veränderten Wesen zu wirken, Trieb, nach Paris zu gehn, dahin, wo er Kerker und Tod fand.

Lebe glücklich! sagt' er; ich gehe, denn alles bewegt sich Jetzt auf Erden einmal, es scheint sich alles zu trennen. Ich verlasse dich hier; und, wo ich jemals dich wieder Finde, wer weiß es? Vielleicht sind diese Gespräche die letzten.

Du bewahrst mir dein Herz; und finden dereinst wir uns wieder Über den Trümmern der Welt, so sind wir erneute Geschöpfe,

Umgebildet und frei und unabhängig vom Schicksal. Denn was fesselte den, der solche Tage durchlebt hat! Aber soll es nicht sein, daß je wir, aus diesen Gefahren Glücklich entronnen, uns einst mit Freuden wieder umfangen, O, so erhalte mein schwebendes Bild vor deinen Gedanken, Daß du mit gleichem Mute zu Glück und Unglück bereit seist! Locket neue Wohnung dich an und neue Verbindung, So genieße mit Dank, was dann dir das Schicksal bereitet. Liebe den Liebenden rein und halte dem Guten dich dankbar.

Aber dann auch setze nur leicht den beweglichen Fuß auf; Dmn es lauert der doppelte Schmerz, des neuen Verlustes. Also sprach er; und nie erschien der Edle mir wieder. Alles verlor ich indes, und tausendmal dacht' ich der Warnung;

Nun auch denk' ich des Worts, da schön mir die Liebe das Glück hier Nm bereitet und mir die herrlichsten Hoffnungen auffchließt. O verzeih, mein trefflicher Freund, daß ich, selbst an dem Arm dich

Haltend, bebe! So scheint dem endlich gelandeten Schiffer Auch der sicherste Grund des festesten Bodens zu schwanken."

Also sprach sie und steckte die Ringe neben einander. Aber der Bräutigam sprach mit edler, männlicher Rührung:

„Desto fester sei bei der allgemeinen Erschüttrung, Wir wollen halten und dauern,

Dorothea, der Bund!

Fest uns halten und fest der schönen Güter Besitztum; Denn der Mensch, der zu schwankenden Zeiten auch schwankend gesinnt ist,

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Epische Poesie.

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Der vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter; Aber wer fest auf dem Sinne beharret; der bildet die Welt sich. Nicht dem Deutschen geziemt es, die fürchterliche Bewegung

Fortzuleiten und auch zu wanken hierhin und dorthin.

Dies ist unser!

So laßt uns sagen und so eS behaupten!

Denn es werden noch stets die entschloffenen Völker gepriesen, Die für Gott und Gesetz, für Eltern, Weiber und Kinder

Stritten und gegen den Feind zusammenstehend erlagen. Du bist mein, und nun ist das Meine meiner als jemals. Nicht mit Kummer will ich's bewahren und sorgend genießen,

Sondern mit Mut und Kraft.

Und drohen diesmal die Feinde

Oder künftig, so rüste mich selbst nnd reiche die Waffen.

Weiß ich durch dich nur versorgt das Haus und die liebenden Eltem, O, so-stellt sich die Brust dem Feinde sicher entgegen. Und gedächte jeder wie ich, so stände die Macht auf

Gegen die Macht, und wir erfreuten uns alle des Friedens."-

e.

Das komische EpoS.

Das komische Epos erzählt irgendeine geringfügige Begebenheit mit der An-

Wendung ebenderselben Mittel, deren sich das heroische Epos bedient; dadurch daß es dieser Begebenheit eine große Bedeutung und Wichtigkeit beilegt, sucht es unsre Heiterkeit und Lachlust zu erregen. Auf einen Widerspruch der Sache mit sich selbst oder der Erschei­ nung mit ihrem Wesen kommt es im komischen Epos nicht an; es will nur zum Lachen reizen und ist also gewiffermaßen eine Parodie des ernsten Epos. Seinen Zweck erreicht es durch die eigentümliche Charakterzeichnung des Helden, durch die lächerlichen Verhält-

niffe, in die es ihn eintreten läßt, und durch die vorher angedeutete Art der Darstellung.

Sinnt. Die Travestie trägt eine würdevolle, ernste Begebenheit in unwürdiger possenhafter Form vor. Aus Zacharias Renommist.

Der Renommist begiebt sich von Jena nach Leipzig, kehrt daselbst int „blauen Hechte" ein, zerschlägt mit drei relegierten Studenten eine Latente, stört in einem Tanzsaale ein Fest und fordert die Stadtwächter zum Kampfe heraus. Fünfter Gesang.

Nun stürzten sich aufs neu' des Bieres braune Wellen

Aus dem zu vollen Glas. So wie die Fluten schwellen, Wenn auf dem schweren Nil der naffe Südwind schwebt Und über Sttand und Damm die wilden Waffer hebt;

Und wie tot lauen Lenz, wenn sich die Nacht verkürzet, Der aufgelöste Schnee von hellen Felsen stürzet, Mit rauschendent Getös' in öde Thäler dringt,

Wo ihn im Augenblick der dürre Sand verschlingt: So stürzt das braune Bier mit rauschendem Gezische, Dem schnellen Waldstrom gleich, vom überschwemmten Tische.

Epos.

289

DeS glimmenden Tabaks verdoppelter Gebrauch Umnebelt das Gemach und füllt die Luft mit Rauch; Es steigt Dampf und Gesang aus ihren rauhen Hälsen,

Und es glühn hier und da glutschwangre Aschenfelsen. Der Barden Lied hob oft die deutsche Tapferkeit, Und jeder ward ein Held, ein Hermann in dem Streit. Auch jetzo feu'rt ein Lied des Renommisten Wangen

Zum allerschrecklichsten und kühnsten Unterfangen. „Wer," fing er mutig an, „kennt, Brüder, unter euch

Das mir an jedem Ort verhaßte Schnurrenreich? Wo wohnt die Häscherschar, das Schrecken aller Feigen? Darf man nie ungestraft zu dieser Hölle steigen Und sehn, ob man den Kerls die Hälse brechen kann? Wer führt mich unter euch zu dieser Ehrenbahn?"

So wie ein Reiter bebt, wenn der Befehl ihn zwingt, Daß er verzweiflungsvoll in Bajonette dringt, So bebt auch jetzt die Schar von Raufbolds naßen Brüdern; Das Jauchzen und die Lust hört auf in ihren Liedern. Trotz der Abmahnungen seines Freundes v. Torf bricht der Neuommist nach dem Aufenthaltsorte der Stadtwächter auf; seine Genosse» folgen ihnr.

Die träge Finsternis warf schon mit brauner Hand Auf Leipzig Schlaf und Traum und Still' auf Feld und Land;

Schon sah man den Boot den festen Pol umgehen Und manche Sonne sich im kalten Norden drehen: Da kam der Renommist und seine treue Schar Auf den einsamen Markt, der jetzt ihr eigen war. Gestiefelt ist ihr Fuß, umgürtet ihre Lenden, Und Schlägerhandschuh sind an den Cyklopenhänden. So oft ihr Niesenfuß mit Schrecken niedertritt,

So oft erbebt der Markt und jeder Wächter mit. Sie ziehn die Degen aus, die Strahlen um sich streuen. Wie wenn die Löwin sich aus öden Wüsteneien Des dürren Libyen mit ihren Jungen trägt,

Mit langsam trägem Schritt sich durch den Sand bewegt, Das dürre, scharfe Laub mit schweren Klauen drücket, So manchen spröden Busch mit breiter Brust zerstückel

Und ein Geräusch erregt, das durch die Felder eilt Und in der sanften Nacht die stillen Lüfte teilt: So hört man ihren Schritt und den gezognen Degen, So leise sie auch gehn, ein sanft Geräusch erregen. Da, wo der grüne Turm am Rathaus sich erhebt, Sind die Behausungen, die ew'ge Nacht begräbt: Der Knechte Schar wohnt hier. Das fürchterliche Schrecken Steht an dem dunklen Thor, und an den beiden Ecken Lauscht in der Dämmerung schreckvoller Einsamkeit Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aust.

290

Epische Poesie. Die schlaue Hinterlist und die Verwegenheit.

Der Renommist steht still, und eh' er weiter eilet, Ward also sein Befehl dem kleinen Heer erteilet: „Mein Fuß tritt jetzt den Weg zu ew'gem Nachruhm an; Doch keiner folge mir zu dieser Ehrenbahn! Die That ist schwer und groß und kühn mein Unterfangen Den Lorbeerkranz davon will ich allein erlangen.

Verfolget mich der Schwarm, so steht mir bei, ihr Brüder! Allein ich schmeichle mir, ich seh' euch siegend wieder." Er sagt's und stürzet sich, des hohen Siegs gewiß, Mit löwenmäß'gem Mut in dicke Finsternis. Das Schrecken hält ihn an und haucht ihm ins Gesicht Und treibt sein Haar empor: allein er fliehet nicht. Es öffnet sich von selbst das fürchterliche Thor; Pandur geht unsichtbar dem jungen Helden vor.

Allein kaum sieht er sich in dieser tiefen Grotte Und sieht in wilder Pracht der Knechte ganze Rotte, Als ihn der Mut verläßt und das Entsetzen kömmt Und einen kalten Strom von Schauder auf ihn schwemmt.

Die Häscher sahn ihn nicht; sie spielten ohne Sorgen; Der müß'ge Panzer hing an der berußten Wand, Bei dem ihr Mordgewehr, die lange Stange, stand;

Der abgenommne Helm lag dräuend neben ihnen, Und Mut und frei« Scherz sprach aus den wilden Mienen. Der tapfre Renommist schaut hoch in ihre Reihen Und sieht dem Spiele zu mit heimlichem Erfreuen. Doch endlich zeigt er sich, trat unter sie und sprach: „Ihr gebt an Stärke nicht den alten Helden nach. O tapste Krieger, sagt, was habt ihr zu beschützen, Daß hier die Lanze strahlt und Helm und Panzer blitzen?" Ein junger Häscher sprach: „Herr, ein hochedler Rat Vertrauet unserm Arm die Sicherheit d« Stadt. Wenn die Studenten schrein und durch die Straßen stürmen, Ziehn wir gewaffnet aus, die Ruhe zu beschirmen." „Hundsfötter, Kerls, seid ihr!" sprach Raufbold, und alsbald Reißt er aus seiner Hand die Stange mit Gewalt. Mit drei entsetzlichen und riesenmäß'gen Sprüngen

Eilt er, um die Trophä' der Brüderschar zu bringen. Der Häscher steht erstaunt und schreit zuletzt Gewalt, Daß von dem lauten Ruf die Höhle wiederschallt. Sie eilen allesamt vom süßen Bier und Karten Und greifen im Alarm nach ihren Hellebarten. Der Renommist indes schwingt in der Siegeshand Den langen Weberbaum, den er dem Feind entwandt. Hochtönend sprach sein Mund von diesem Siegeszeichen: „Die feige Schnurrenschar soll jetzt wohl vor uns weichen; Der stärksten Stange hat ein Raufbold sie beraubt;

Epos.

Ihr eigner Donner füllt auf ihr gepanzert Haupt.

Auf, Brüder, weht und schreit und laßt sie pereieren:

So will ich euch beherzt zu neuen Siegen führen." Sogleich durchdringt die Luft ein lautes Pereat: Der fehdeschwangre Ton brüllt durch die stille Stadt. Drauf wetzt die ganze Schar: die Glut fährt aus den Steinen, Daß sie in Strahl und Glanz wie Meteore scheinen. Zuletzt gehn sie zur Thür, und Raufbold schreit hinein:

„Verzagte Hunde, wie?

Ihr schließt euch ängstlich ein?

Habt ihr noch Mut? Heraus, heraus, und laßt euch schauen! Wie groß ist nicht mein Trieb, euch auf das Maul zu hauen!"

So spottet er voll Hohn.

Still waffnet sich das Heer;

Die dürre Lanze klingt, der Panzer rauscht daher; Und endlich speit das Thor die fürchterlichen Haufen

Aus seinem schwarzen Schlund, und die Jenenser laufen. Doch Raufbold sammlet sie von der unedlen Flucht, Gießt Feuer in ihr Herz und bittet, droht und flucht. In dem darauf folgenden Kampfe werden die Häscher zurückgedrängt.

O Muse, melde mir die Helden und die Namen, Die in der eisern Schlacht zum Ruhm des Kampfes kamen. Zuerst fühlt einen Schlag von Raufbolds tapfrer Hand Der Häscher Oberster, der dicke Hildebrand; Ein halbes Faß voll Bier schlief in dem weiten Magen: Er taumelt von dem Schlag und kann nicht wiederschlagen. Doch ihn rächt Jlseboll, in dem Gebirg erzeugt;

Er trifft den Renommist, daß schon sein Knie sich beugt. Doch schnell stärkt ihn Pandur: er trifft mit schweren Händen Den schlanken Martin Dampf an seine dürren Lenden. Er fiel, vom Schmerz betäubt: man schleppt ihn aus dem Kampf. O unglücksvolle Nacht!

O armer Martin Dampf!

Ein anderer Achill, der wilde Vallerstatt, Traf jetzt den edlen Torf aufs rechte Schulterblatt; Und Krach fiel ganz betäubt gleich einer hohen Eiche Vor Wildehammers Wut und seinem schweren Streiche.

Doch Raufbold traf jetzo den naseweisen Knall: Die ganze Schlachtordnung erschrak vor seinem Fall. Er war der tapferste; im Lande schöner Kuchen, In Gohlis, fing er an, die Flügel zu versuchen, Und schlug als Knabe noch einst einen Musketier, Daß er zur Erde fiel vor seines Vaters Thür. Jetzt lag er selbst besiegt und brüllte durch die Gaffen. Die Häscher fingen an, das Schlachtfeld zu verlaffen, Und zogen langsam sich und ordentlich zurück.

Der tapste Renommist, zufrieden mit dem Glück, Befahl den Streitenden, dem Feind nicht nachzusetzen: Sie gingen langsam fort mit Schreien und mit Wetzen.

291

Epische Poesie.

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Doch ihren Feind verdroß die angethane Schmach, Er sandte ihnen noch die letzten Stangen nach;

Der letzte Donner traf die Schläger an den Füßen: Dem Renommisten ward der Stiefel aufgerissen. Sie zogen im Triumph nach ihrem blauen Hechte, Und unters Rathaus ging die Schar der starken Knechte.

Mit hoher Prahlerei ward alles nun erzählt, Und keinem hatte Herz und Tapferkeit gefehlt.

f.

Das Tierepos.

Das Tierepos macht eine umfassendere Begebenheit aus der Tierwelt zum Gegenstände seiner Darstellung, indem es uns das Leben der Tiere als ein Spiegelbild

des menschlichen Lebens mit seinen Zuneigungen und Abneigungen, seinen Leidenschaften und Parteiungen, seinen Schwächen und Thorheiten vorhält.

A«S Goethes Reineke Fuchs. Reinekes Ankläger. Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen: eS grünten und blühten Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken Übten ein fröhliches Lied die neu ermunterten Vögel;

Jede Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen; Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.

Nobel, der König, versammelt den Hof, und seine Vasallen Eilen gerufen herbei mit großem Gepränge. Da kommen Viele stolze Gesellen von allen Seiten und Enden: Lütke, der Kranich, und Markart, der Häher, und alle die Besten; Denn der König gedenkt, mit allen seinen Baronen Hofzuhalten in Feier und Pracht; er läßt sie berufen Alle miteinander, so gut die Großen als Kleinen. Niemand sollte fehlen, und dennoch fehlte der eine, Reineke Fuchs, der Schelm, der viel begangenen Frevels

Halber des Hofs sich enthielt. So scheuet das böse Gewissen Licht und Tag; es scheute der Fuchs die versammelten Herren.

Alle hatten zu klagen, er hatte sie alle beleidigt, Und nur Grimbart, den Dachs, den Sohn des Bruders, verschont' er. Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage. Von allen Seinen Vettern und Gönnern, von allen Freunden begleitet, Trat er vor den König und sprach die gerichtlichen Worte:

„Gnädigster König und Herr, vernehmet meine Beschwerden! Edel seid ihr und groß und ehrenvoll, jedem erzeigt ihr Recht und Gnade. So laßt euch denn auch des Schadens erbarmen, Den ich von Reineke Fuchs mit großer Schande gelitten.

Aber vor allen Dingen erbarmt euch, daß er mein Weib so Freventlich öfters verhöhnt und meine Kinder verletzt hat.

Epo§. Ach, er hat sie mit Unrat besudelt, mit ätzendem Unflat, Daß mir zu Hause noch drei in bittrer Blindheit sich quälen. Zwar ist alle der Frevel schon lange zur Sprache gekommen, Ja, ein Lag war gesetzt, zu schlichten solche Beschwerden;

Er erbot sich zum Eide, doch bald besann er sich anders Und entwischte behend nach seiner Feste. Das wissen

Alle Männer zu wohl, die hier und neben mir stehen. Herr, ich könnte die Drangsal, die mir der Bube bereitet,

Nicht mit eilenden Worten in vielen Wochen erzählen. Würde die Leinwand von Gent, so viel auch ihrer gemacht wird, Alle zu Pergament, sie faßte die Streiche nicht alle, Und ich schweige davon. Doch meines Weibes Entehrung Frißt mir das Herz; ich räche sie auch, es werde, was wolle."

Als nun Isegrim so mit traurigem Mute gesprochen, Trat ein Hündchen hervor, hieß Wackerlos, redte französisch Vor dem König, wie arm es gewesen und nichts ihm geblieben Als ein Stückchen Wurst in einem Wintergebüsche;

Reineke habe auch das ihm genommen. Jetzt sprang auch der Kater Hinze zornig hervor und sprach: „Erhabner Gebieter, Niemand beschwere sich mehr, daß ihm der Bösewicht schade, Denn der König allein! Ich sag' euch, in dieser Gesellschaft Ist hier niemand, jung oder alt, er fürchtet den Frevler Mehr als euch; doch Wackerlos' Klage will wenig bedeuten. Schon sind Jahre vorbei, seit diese Händel geschehen. Mir gehörte die Wurst; ich sollte mich damals beschweren. Jagen war ich gegangen; auf meinem Wege durchsucht' ich Eine Mühle zu Nacht. Es schlief die Müllerin, sachte Nahm ich ein Würstchen, ich will es gestehn; doch hatte zu dieser Wackerlos irgendein Recht, so dankt' er's meiner Bemühung." Und der Panther begann: „Was helfen Klagen und Worte? Wenig richten sie aus. Genug, das Übel ist ruchbar.

Er ist ein Dieb, ein Mörder, ich darf es kühnlich behaupten. Ja, es wiflen's die Herren, er übet jeglichen Frevel, Möchten doch alle die Edlen, ja selbst der erhabene König Gut und Ehre verlieren, er lachte, gewöun' er nur etwa

Einen Bissen dabei von einem fetten Kapaunen. Laßt euch erzählen, wie er so übel an Lampen, dem Hasen, Gestern that. Hier steht er, der Mann, der keinen verletzte. Reineke stellte sich fromm und wollt' ihn allerlei Weisen Kürzlich lehren, und was zum Kaplan noch weiter gehöret,

Und sie setzten sich gegen einander, begannen daS Credo. Aber Reineke konnte die alte Tücke nicht lassen:

Innerhalb unseres Königes Fried' und freiem Geleite Hielt er Lampen gefaßt mit seinen Klauen und zerrte Tückisch den redlichen Mann. Ich kam die Straße gegangen, Hörte beider Gesang, der, kaum begonnen, schon wieder Endete. Horchend wundert' ich mich, doch als ich hinzukam,

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Epische Poesie.

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Kannt' ich Reineke» stracks; er hatte Lampen beim Kragen;

Ja, er hätt' ihm gewiß das Leben genommen, wofern ich Nicht zum Glücke des Wegs gekommen wäre. Da steht er! Seht die Wunden an ihm, dem frommen Manne, den keiner Zu beleidigen denkt.

Und will es unser Gebieter,

Wollt ihr Herren es leiden, daß so des Königes Friede, Sein Geleit und Brief von einem Diebe verhöhnt wird:

O, so wird der König und seine Kinder noch späte Vorwurf hören von Leuten, die Recht und Gerechtigkeit lieben." Reinekens Neffe, der Dachs, nahm jetzt die Rede, und mutig Sprach er zu Reinekens Bestem, so falsch auch dieser bekannt war.

„Alt und wahr, Herr Isegrim," sagt er, „beweist sich das Sprichwort:

Feindes Mund frommt selten. So hat auch wahrlich mein Oheim Eurer Worte sich nicht zu getrösten. Doch ist es ein Leichtes, Wär' er hier am Hofe so gut als ihr, und erfreut' er Sich des Königs Gnade, so möcht' es euch sicher gereuen, Daß ihr so hämisch gesprochen und alte Geschichten erneuert. Aber was ihr Übles an Reineken selber verübet, Übergeht ihr; und doch, es wissen es manche der Herren,

Wie ihr zusammen ein Bündnis geschlossen nnd beide versprochen, Als zwei gleiche Gesellen zu leben. Das muß ich erzählen.

Denn im Winter einmal erduldet' er große Gefahren Euretwegen. Ein Fuhrmann (er hatte Fische geladen) Fuhr die Straße; ihr spürtet ihn aus und hättet um alles Gern von der Ware gegessen, doch fehlt eS euch leider am Gelde. Da beredetet ihr den Oheim: er legte sich listig Grade für tot in den Weg. Es war beim Himmel! ein kühnes Abenteuer; doch merket, was ihm für Fische geworden. Nnd der Fuhrmann kam und sah im Geleise den Oheim; Hastig zog er sein Schwert, ihm eins zu versetzen; der Kluge

Rührt' und regte sich nicht, als wär' er gestorben; der Fuhrmann Wirft ihn auf seinen Karren und freut sich des Balges im voraus. Ja, das wagte mein Oheim für Isegrim; aber der Fuhrmann Fuhr dahin, nnd Reineke warf von den Fischen hemnter. Isegrim kam von ferne geschlichen, verzehrte die Fische. Reineken mochte nicht länger zu fahren belieben; er hob sich, Sprang vom Karren und wünschte, nun auch von der Beute zu speisen,

Aber Isegrim hatte sie alle verschlungen; er hatte Über Not sich beladen, er wollte bersten. Die Gräten

Ließ er allein zurück und bot dem Freunde den Rest an. Noch ein anderes Stückchen! Ich will es euch wahrhaft erzählen. Reineken war es bewußt, bei einem Bauer am Nagel Hing ein gemästetes Schwein, erst heute geschlachtet, das sagt' er

Treu dem Wolfe: sie. gingen dahin, Gewinn und Gefahren Redlich zu teilen. Doch Müh' und Gefahr trug jener alleine; Denn er kroch zum Fenster hinein und warf mit Bemühen Die gemeinsame Beute dem Wolf hemnter; zum Unglück

EpoS. Warm Hunde nicht fern, die ihn im Haufe verspürten Und ihm wacker das Fell zerzausten. Verwundet entkam er; Eilig sucht' er Isegrim auf und klagt' ihm sein Leiden Und verlangte sein Teil. Da sagte jener: Ich habe Dir ein köstliches Stück verwahrt; nun mache dich drüber Und benage mir's wohl! Wie wird das fette dir schmecken! Und er brachte ein Stück: das Krummholz war es; der Schlächter

Hatte daran das Schwein gehängt; der köstliche Braten War vom gierigen Wolfe, dem ungerechten, verschlungen. Reineke konnte vor Zorn nicht reden; doch was er sich dachte, Denket euch selbst. Herr König, gewiß, daß hundert und drüber Solcher Stückchen der Wolf an meinem Oheim verschuldet!

Aber ich schweige davon.

Wird Reineke selber gefordert,

Wird er sich besier verteidigen."-----------------------------------------------Als nun Grimbart geendet, erschien zu großem Erstaunen Henning, der Hahn, mit seinem Geschlecht. Auf trauriger Bahre Ohne Hals und Kopf ward eine Henne getragen, Kratzfuß war es, die beste der eterlegenden Hennen. Ach, es floß ihr Blut, und Reineke hatt' es vergossen! Jetzo soll es der König erfahren. Als Henning, der wackre,

Vor dem König erschien mit höchst betrübter Gebärde, Kamen mit ihm zwei Hähne, die gleichfalls trauerten, Kreiant Hieß der eine (kein besserer Hahn war nirgends zu finden Zwischen Holland und Frankreich); der andere dnrft' ihm zur Seite Stehen, Kautart genannt, ein stracker, kühner Geselle; Beide trugen ein brennendes Licht; fie waren die Brüder Der ermordeten Frau. Sie riefen über den Mörder Ach und weh. Es trugen die Bahr' zwei jüngere Hähne, Und man konnte von fern die Jammerklage vemehmen. Henning sprach: „Wir klagen den unersetzlichen Schaden, Gnädigster Herr und König! Erbarmt euch, wie ich verletzt bin,

Meine Kinder und ich. Hier seht ihr Reinekens Werkel Als der Winter vorbA war und Laub und Blumen und Blüten Uns zur Fröhlichkeit riefen, erfreut* ich mich meines Geschlechtes, Das so munter mit mir die schönen Tage verlebte. Zehen junge Söhne mit vierzehn Töchtern, sie waren Voller Lust zu leben. Mein Weib, die treffliche Henne, Hatte sie alle zusammen in einem Sommer erzogen,

Alle waren stark und wohl zufrieden, sie fanden Ihre tägliche Nahrung an wohlgesicherter Stätte. Reichen Mönchen gehörte der Hof, uns schirmte die Mauer, Und sechs große Hunde, die wackern Genoffen des Hauses, Liebten meine Kinder und wachten über ihr Leben.

Reineken aber, den Dieb, verdroß es, daß wir in Frieden Glückliche Tage verlebten und seine Ränke vermieden. Immer schlich er bei Nacht um die Mauer und lauschte am Thore, Aber die Hunde bemerkten's; da möcht' er laufen, sie faßten

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Epische Poesie.

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Wacker ihn endlich einmal und ruckten daS Fell ihm zusammen; Doch er rettete sich und ließ uns ein Weilchen in Ruhe. Aber nun höret mich an! Es währte nicht lange, so kam er Als ein Klausner und brachte mir Brief und Siegel. Ich sannt’ es:

Euer Siegel sah ich am Briefe, da fand ich geschrieben, Daß ihr festen Frieden so Tieren, als Vögeln verkündigt,

lind er zeigte mir an, er sei ein Klausner geworden, Habe strenge Gelübde gethan, die Sünden zu büßen, Deren Schuld er leider bekenne. Da habe nun keiner Mehr vor ihm sich zu fürchten. Er habe heilig gelobet, Nimmermehr Fleisch zu genießen. Er ließ mich die Kutte beschauen,

Zeigte sein Skapulier; daneben wies er ein Zeugnis, Tas ihm der Prior gestellt, und, um mich sicher zu machen, Unter der Kutte ein härenes Kleid. Dann ging er und sagte: Gott dem Herrn seid mir befohlen! Ich habe noch vieles Heute zu thun. Ich habe die Sept und die None zu lesen Und die Vesper dazu. Er las im Gehen und dachte Vieles Böses sich aus; er sann auf unser Verderben. Ich mit erheitertem Herzen erzählte geschwinde den Kindem Eures Briefes fröhliche Botschaft; es freuten sich alle. Da nun Reineke Klausner geworden, so hatten wir weiter Keine Sorge, noch Furcht. Ich ging mit ihnen zusammen Vor die Mauer hinaus, wir freuten uns alle der Freiheit.

Aber leider bekam es uns übel. Er lag im Gebüsche Hinterlistig; da sprang er hervor und verrannt' uns die Pforte. Meiner Söhne schönsten ergriff er und schleppt' ihn von dannen. Und nun war kein Rat, nachdem er sie einmal gekostet; Immer versucht' er es wieder, und weder Jäger, noch Hunde Konnten vor seinen Ränken bei Tag und Nacht uns bewahren. So entriß er mir nun fast alle Kinder; von zwanzig Bin ich auf fünfe gebracht, die andern raubt' er mir alle. O erbarmt euch des bitteren Schmerzes! Er tötete gestern Meine Tochter; es haben die Hunde den Leichnam gerettet. Seht, hier liegt sie! Er hat es gethan. O nehmt es zu Herzen!" Und der König begann: „Kommt näher, Grimbart, und sehet! Also fastet der Klausner, und so beweist er die Buße! Leb' ich noch aber ein Jahr, so soll es ihn wahrlich gereuen! Doch was helfen die Worte! Vemehmet, trauriger Henning: Eurer Tochter ermangl' es an nichts, was irgend den Toten Nur zu Rechte geschieht.

Ich laß ihr Vigilie singen,

Sie mit großer Ehre zur Erde bestatten. Dann wollen Wir mit diesen Herren des Mordes Strafe bedenken."

Poetische Erzählung.

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b. Epische Dichtungen, die ihren Stoff aus dem wirklichen Leben schöpfen.

6. Ne poetische Erzählung. Der Inhalt der poetischen Erzählung muß entweder aus dem wirklichen Leben geschöpft sein oder demselben entsprechen, also durchaus frei von allem Sagenhaften und

Wunderbaren, immer aber poetisch sein.

Im weiteren Sinne umfaßt sie jede einzelne,

selbst kleinere Begebenheit aus dem Leben eines oder mehrerer Menschen, im engeren Sinne auch die Entwicklung einer Begebenheit, indem sie aus diesem größeren Zusammen­ hänge diejenigen Momente hervorhebt, welche zu poetischer Ausführung besonders geeignet sind.

Rücksichtlich der Form hat der Dichter die größte Freiheit; es ist ihm gestattet,

sowohl regelmäßig wiederholter Strophen, als auch einzelner, auf einander folgender Verse sich zu bedienen und den Reim zu gebrauchen oder auch fortzulassen. Wie aber der Inhalt ansprechend, so muß die Darstellung lebendig sein und die erzählte Begebenheit

anschaulich vergegenwärtigen.

1.

Deutsche Treue.

Um den Scepter Germaniens stritt mit Ludwig dem Bayer Friedrich aus Habsburgs Stamm, beide gerufen zum Thron; Aber den Austrier führt, den Jüngling, das neidische Kriegsglück

In die Feffeln des Feinds, der ihn im Kampfe bezwingt. Mit dem Throne kauft er sich los, fein Wort muß er geben, Für den Sieger das Schwert gegen die Freunde zu ziehn. Aber was er in Banden gelobt, kann er frei nicht erfüllen; Siehe, da stellt er aufs neu' willig den Banden sich dar.

Tief gerührt umhalst ihn der Feind, sie wechseln von nun an, Wie der Freund mit dem Freund, traulich die Becher des Mahls; Arm in Arm schlummern auf einem Lager die Fürsten, Da noch blutiger Haß grimmig die Völker zerfleischt. Gegen Friedrichs Heer muß Ludwig ziehen: zum Wächter

Bayerns läßt er den Feind, den er bestreitet, zurück. „Wahrlich, so ist's! Es ist wirklich so. Man hat mir's geschrieben!" Rief der Pontifex aus, als er die Kunde vernahm. Schiller.

2. Johannes Kant. Den kategorischen Jmperativus fand,

So saß er zu Krakau auf dem Lehrersitz,

Das weiß ein jedes Kind, Immanuel Kant. So ging er einher gegürtet in Kält und Hitz', Dem kategorischen Jmperativus treu, Ein rein Gemüt, ein immer gleicher Sinn, Zwang durch ihn wilde Seelen zu frommer Dem Unrecht dulden, nicht thun, stets deuchte

Gewinn. Scheu Lang vor Immanuel Herr Johannes Kant, Im grauen Alter zog ein Sehnen den Kant Und wenige wiffen's, wie die Sache bewandt. Gen Schlesien, in sein altes Vaterland. Derselb' ein Doktor Theologiä war; Er schloß die Bücher in den Schrein, bestellt' In schwarzer Kutte, mit langem Bart und Haar, sein Haus,

298

Epische Poesie.

Den Säckel nahm er und zog in die Fern' hinaus. Gemächlich ritt in der schweren, schwarzen Tracht Der Doktor durch der polnischen Wälder Nacht; Doch in der Seele, da wohnt' ihm lichter Schein, Die goldnen Sprüche zogen aus und ein, Ins Herz schoß Strahlen ihm das göttlicheWort, Voll innern Sonnenlichtes, so ritt er fort. Auch merkt' er nicht, wie das Tier in finstrer Schlucht Den Weg durch Abenddunkel und Dickicht sucht; Er hört nicht vor und hinter sich Tritt und Trott, Er ist noch immer allein mit seinem Gott. Da wimmelt's plötzlich um ihn zu Roß, zu Fuß, Da flucht ins Ohr ihm der Wegelagerer Gruß; Es stürmen auf den heiligen Mann sie ein, Es blinken Messer und Schwert im Monden­ schein. Er weiß nicht, wie ihm geschieht; er steigt vom Roß, Und eh' sie's fordern, teilt er sein Gut dem Troß. Den vollen Reisebeutel streckt er dar, Darin beim Groschen manch blanker Thaler war; Vom Halse löst er ab die güldene Kett', Er reißt die schmucken Borten vom Barett, Den Ring vom Finger, und aus der Tascke zieht Das Meßbuch er mit Silberbeschläg' und Niet'. Daß sie das Pferd abführen mit Sattel und Zaum, Der arm', erschrockne Mann, er sieht es kaum. Erst, wie er alles Schmuckes und Gutes bar, Da flehet er um sein Leben zu der Schar. Der bärtige Hauptmann faßt ihn an der Brust Und schüttelt sie mit derber Räuberlust. „Gabst du auch alles?" brüllt's um ihn und murrt, „Trägst nichts versteckt in Stiefel oder Gurt?" Die Todesangst schwört aus dem Doktor: „Nein!" Und aber „Nein!" Es zittert ihm Fleisch und Bein.

Da stoßen sie ihn fort in den schwarzen Wald; Er eilt, als wär' er zu Roß noch, ohne Halt. Doch fährt die Hand im Gehen tote im Traum Hinab an der langen Kutte vorderm Saum; Mit Angst fühlt sie herum an allem Wulst, Und endlich findet sie da die rechte Schwulst, Wo eingenäht, geborgen und unentdeckt Der güldene Sparpfennig sich versteckt. Nun will dem Mann es werden recht sanft und leicht, Mit all dem Gold er die Heimat wohl erreicht; Er mag mit Gottes Hülfe vom Schrecken ruhn, Mit Freunden und Vettern sich recht gütlich thun. Da stand er plötzlich still; denn in ihm rief Mit lauter Stimme der heilige Imperativ: „Leng nicht! Leng nicht! Du hast gelogen, Kant!" Das einzige Wort ihm auf der Seele brannt'; Vergessen war der Heimat fröhliche Lust, Er war allein der Lüge sich bewußt. Und schneller, als ihn getrieben der Freiheit Glück, Trieb ihn der Sünde Pein nun zurück, zurück. Schon winkt von ferne der unglücksel'ge Platz; Die Räuber teilen dort noch immer den Schatz; Am Mondlicht prüfen sie sich das Allerlei; Die Pferde weiden zwischen den Büschen frei. Und wie sie lagern im Gras und tauschen, tritt In ihre Mitte der Kant mit heftigem Schritt. Er stellt demütig sich vor die Räuber hin, Er sprach: „O wisset, daß ich ein Lügner bin! Doch log der Schrecken aus mir, darum ver­ zeiht!" Mit diesen Worten riß er den Saum vom Kleid, In hohler Hand beut er ein Häuflein Gold, Darüber des Mondscheins blinkendeWellerollt. Weil keiner zugreift, bittet er ganz beschämt: „Das hab' ich böslich vor euch verleugnet, nehmt!" Den Räubern aber wird's wunderlich im Kopf, Sie möchten lachen und spotten ob dem Tropf; Und ihre Lippe findet doch keinen Laut, Und ihr vertrocknetes, starres Auge taut. Und in dem bleiernen Schlummer, den erschlief, Regt sich in ihnen plötzlich der Jmperattv,

Poetische Erzählung. Der wunderbare, das heil'ge Gebot: „Du sollst, Du sollst nicht stehlen!" und vor der Hand voll

299

Er scheidet, er teilt den Segen aus vom Pferd, Wünscht' ihnen gründliche Reu', die sie bekehrt.

Gold Auf springen sie, dann werfen sie sich all' aufs Nur dacht' er traurig, als um die Eck' er bog: „Ihr armen Schelmen, ihr stehlet, und ich Knie;

log." Jetzt aber regt sich emsig die ganze Schar: Doch als er kam zum finstern Wald hinaus, Der reicht den Beutel und der die Kette dar, Da war verschwunden der Sünde ganzer

Ein tiefes Schweigen waltet; denn Gott ist hie.

Graus, Ein dritter bringt das Pferd gesattelt, gerüst't, Das Meßbuch reicht der Hauptmann, er hat's Da stand der Morgenhimmel in roter Glut, Da ward dem ftommen Wanderer froh zu geküßt. Mut. Dann helfen sie ihm zu Roß mit willigem „Dein Wille gescheh' im Himmel und auf der Dienst, Erd'!" Ja, mußte Herr Kant nur sein auf seiner Hut, So betet der Kant und giebt die Sporen dem Pferd. Daß sie ihm nicht auch schenkten gestohlen Gut. Nichts bleibt zurück vom neuen Räubergewinst;

Schwab.

3.

Der Reiter und der Bodensee.

Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum, Der Reiter reitet durchs helle Thal, Aufs Schneefeld schimmert der Sonne Strahl. Und Hügel schließen den weiten Raum. Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee, Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn, Dem Rosse giebt er den scharfen Sporn. Er will noch heut an den Bodensee, Noch heut mit dem Pferd in den sichern Und Hunde bellen empor am Pferd, Und es winkt im Dorf ihm der warme Kahn, Will drüben landen vor Nacht noch an. Herd. Auf schlimmem Weg über Dorn und Stein „Willkommen am Fenster, Mägdelein! An den See, an den See, wie weit mag's Er braust auf rüstigem Roß feldein,

Aus den Bergen heraus ins ebene Land; sein?" Da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand. Die Maid, sie staunet den Reiter an. Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt, „Der See liegt hinter dir und der Kahn.

Der Weg wird eben, die Bahn wird glatt. Und deckt' ihn die Rinde von Eis nicht zu, In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus, Ich spräch': Aus dem Nachen stiegest du." Die Bäume gingen, die Felsen aus. Der Fremde schaudert, er atmet schwer. So flieget er hin eine Meil' und zwei, „Dort hinten die Ebene, die ritt ich her!" Er hört in den Lüften der Schneegans Schrei; Da recket die Magd die Arm' in die Höh'. Es flattert das Wasserhuhn empor, „Herr Gott! So rittest du über den See. An den Schlund, an die Tiefe bodenlos Nicht andern Laut vernimmt sein Ohr;

Keinen Wandersmann sein Auge schaut, Hat gepocht des rasenden Hufes Stoß. Der ihm den rechten Weg vertraut. Und unter dir zürnten die Wasier nicht, Fort geht's wie auf Samt auf dem weichen Nicht kracht' hinunter die Rinde dicht?

Schnee. Und du wardst nicht die Speise der stummen Wann rauscht das Wasier? Wann glänzt der Brut, See? Der hungrigen Hecht' in der kalten Flut?" Da bricht der Abend, der frühe, herein; Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär', Von Lichtern blinket ein ferner Schein. Es stellen die Knaben sich um sie her;

Epische Poesie.

300

Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich. „Glückseliger Mann, ja segne du dich!

nur den gräßlichen Schlund, Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund. Es

siehet

sein

Blick

Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch, Brich mit uns vom Brot und iß vom Fisch!" Im Ohr ihm donnert's wie krachend Eis, Der Reiter erstarret auf seinem Pferd, Wie die Well' umrieselt ihn kalter Schweiß. Er hat nur das erste Wort gehört. Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab, Es stocket sein Herz, es sträubt sich fein Haar, Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab. Dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr;

Schwab.

4. Der Dechant. In dem Sarge unbedecket, Rings mit Flor und Schmelz umstecket, Lag die Leiche ausgestrecket Des Raimundus, des Dechanten, Desien andachtsvoll entbrannten

Wandel weit die Lande kannten. Trauernd sangen Ordensbrüder

Bei dem Sarg die Grabeslieder; Responsorien tönten wieder. Und des Volks gedrängte Menge Schluchzte durch des Schiffes Gänge

In die dumpfen Klaggesänge. Als das Amt vollendet worden, Sprach der älteste vom Orden: „Tod, allmächtig ist dein Morden! Wäre, was von Adam stammet, Nicht zu deinem Fraß verdammet, Hätte dieses Licht geflammet

Stets zum Heil der Kirche weiter.

Hört' ihn so dem Dechant danken:

„Ach, wer wird sich nur der Armen, Sich der Siechen jetzt erbarmen, Da du liegst in Todes Armen?" Endlich schritt der Bote prächtig Von dem König, groß und mächtig,

Zu der Bahr' und sprach bedächtig: „In des Königs Namen künde Laut ich hier in die vier Winde

Von dem Manne ohne Sünde, Daß zu allen guten Saaten Unsres Herrn und seinen Thaten

Dieser Heilige geraten." Wieder tönten Klaggesänge, Lauter jammerte die Menge Durch des Chores düst're Gänge. Seufzend hoben sie den reichen Sargesdeckel ohnegleichen,

Da geschah ein gräßlich Zeichen.

In den Laken rührt' sich's lebend,

Ruh' in Frieden, sel'ger Streiter,

Unser Führer, unser Leiter!" Darauf trat ein kleiner Knabe Aus der Schar der Kinder, Gabe

Bracht' er dar dem teuren Grabe,

Und der Tot', empor sich hebend, Sprach mit Lippen, blaß und bebend:

„Ich bin hin vor Gott geladen, Ich empfing den Spruch zum Schaden,

Bracht' ein Kränzlein, sprach mit Weinen: Bin verdammt vom Stuhl der Gnaden. „Dieses schenken dir die deinen, Jeder Pflicht läßt sich genügen, Die du lieb gehabt, die Kleinen." Leben, sterben sonder Rügen; Gott der Herr ist nicht zu trügen!" Jetzo sah man einen Kranken

Aus dem dicht'sten Haufen wanken,

I in inerman n.

5. Sim onides. Im Kampf mit Wagenlauf und Ringen

Und bei der Spiele heil'ger Feier

Ward Skopas' tapfrem Arm der Preis, Und würdig seinen Ruhm zu singen, Lud er den weitberühmten Greis,

Des Siegers Ruhm den Enkeln dringt.

Der mit der nie verstimmten Leier Den hohen Göttern Hymnen singt

Der Dioskuren hohe Feier Erhebt begeistert sein Gesang.

Da faßt Simonides die Leier, Und festlich tönt der Saiten Klang;

Poetische Erzählung. Wie Kastor kühn die Rosse zügelt

301

Und ihre mut'gen Schritte zwingt

„Nicht eitles Gold ist mein Verlangen, Der Sänger braucht des Lohnes nicht.

Und Polydeukes' Hand geflügelt

Die Götter banden durch das Leben

Den Cestus auf den Gegner schwingt.

Die Himmelstochter an den Staub,

Und wie der Preis der Göttersöhne Vom Mund des grauen Sängers schallt,

Begünstigte, von Plutos Raub!

Begeistern ihn die eignen Töne, Des eignen Saitenspiels Gewalt. Und zu der Zwillingsbrüder Sitzen

Schaun leuchtend seine Blicke auf; Er singt, wie sie die Völker schützen Und leiten schneller Schiffe Lauf,

Wie seiner Gottheit ew'ges Leben Mit Kastor Polydeukes teilt

Durch sie zum Himmel euch zu heben,

Mit eurem Golde sollt ihr wehren, Daß nicht der Sorgen trübe Nacht

Des Sängers heitren Sinn verkehren Und stören kann der Götter Macht. Ihm konnten sie die Schätze schenken, Doch wollten sie den Sonnenflug Nicht zu dem finstem Schoße lenken,

Und willig, jenen zu erheben,

Der eure toten Götter trug. So solltet ihr der Sänger Leben

Bei Hades' finstem Schatten weilt;

Mit eures Goldes Glanz erfreun

Wie sie, von Menschen nicht gesehen,

Und, was die Götter euch gegeben,

Dem Liebling in der Rennbahn Kreis Mit Göttermacht zur Seite stehen

Der Götter liebsten Söhnen weihn. Wähnt nicht, des Sängers Lied zu lohnen;

Und sichem ihm des Sieges Preis.

Belohnung ist ihm sein Gesang!

Doch zürnend hört er jenen schelten:

Die Brust, die Himmlische bewohnen,

„Du sangst der Götter Lob, laß dir Die Dioskuren es vergelten! Belohnung fordre nicht von mir!"

Verachtet eures Goldes Klang."

Da spricht der Sänger (ihn begeistern Die hohen Gotteshymnen noch): „Wer darf des Dichters Werke meistern,

„Zwei Männer, ferne hergesendet," Spricht er zum Sänger, „warten dein. Sie wollen nicht im Haus verweilen

Wer zwingt die Kunst in niedres Joch? Die Götter hauchen die Gesänge

Und weigern sich, dem Fest zu nahn,

In ihrer Dichter fromme Brust

Und deiner Lieder Lohn empfahn." Der Sänger staunt bei diesen Worten,

Und wecken selbst die Macht der Klänge Dem Kitharöden unbewußt. Was sie gebieten, muß er singen,

Und kaum hat er das Wort geendet, So tritt ein Sklave schnell herein.

Doch bitten sie, du wollest eilen

Doch folgt er schnell dem Sklaven nach.

Sie öffnen ihm zum Lied den Mund,

Schon ist er durch die hohen Pforten Und forschet in dem Vorgemach:

Und wie sie mächtig ihn durchdringen, Thut er ihr Wort den Menschen kund."

Doch werden sie nicht mehr gefunden, Von keinem Menschen mehr gesehn;

„Wohl! Haben Götter dich durchdrungen, Sie scheinen Göttern gleich verschwunden, Die warnend schnell vombergchn. Spricht jener, „doch die du besungen, Denn wie der Sänger es verlaffen,

So ehrt dich gern der Erde Sohn,"

Von ihnen fordr' auch deinen Lohn!

Erbebt das festliche Gemach;

Die Thaten meines Arms zu preisen, Lud ich den Sänger freundlich ein,

Es stürzt in ungeheuern Massen

Ich ehre nun den frommen Weisen, Doch kann ich nicht Vergelter sein." Da rötet edle Glut die Wangen

Dem grauen Sänger, und er spricht:

Herein das hochgewölbte Dach;

Die mächtigen Ruinen bauen Den Toten tötend selbst das Grab, Und Zeus' gefei'rte Söhne schauen Auf ihren Sänger mild herab. ---------

Ape l.

302

Epische Poesie.

Die drei Zigeuner.

6.

Über die Saiten der Windhauch lief,

Drei Zigeuner fand ich einmal Liegen an einer Weide,

Über sein Herz ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die drei

Als mein Fuhrwerk mit müder Qual Schlich durch die sandige Heide. Hielt der eine für sich allein

Löcher und bunte Flicken;

In den Händen die Fiedel,

Aber sie boten trotzig frei Spott den Erdengeschicken.

Spielte, umglüht vom Abendschein, Sich ein lustiges Siebet

Dreifach haben sie mir gezeigt, Wenn das Leben uns nachtet,

Hielt der zweite die Pfeif' im Mund, Blickte nach seinem Rauche, Froh, als ob er vom Erdenrund

Wie man's verraucht, verschläft, vergeigt Und es dreimal verachtet.

Nichts zum Glücke mehr brauche.

Nach den Zigeunern lang noch schaun Mußt' ich im Weiterfahren, Nach den Gesichtern dunkelbraun, Den schwarzlockigen Haaren.

Und der dritte behaglich schlief, Und fein Cymbal am Baum hing;

Lenau.

7.

Der Postillon.

Lieblich war die Maiennacht,

Silberwölklein flogen, Ob der holden Frühlingspracht Freudig hingezogen. Schlummernd lagen Wies' und Hain, Jeder Pfad verlaßen; Niemand als der Mondenschein Wachte auf den Straßen. Leise nur das Lüftchen sprach, Und eS zog gelinder Durch das stille Schlafgemach

All der Frühlingskinder. Heimlich nur das Bächlein schlich, Denn der Blüten Träume Dufteten gar wonniglich

Mitten in dem Maienglück Lag ein Kirchhof innen,

Der den raschen Wanderblick Hielt zu ernstem Sinnen. Hingelehnt an Bergesrand War die bleiche Mauer, Und das Kreuzbild Gottes stand Hoch in stummer Trauer. Schwager ritt auf seiner Bahn Stiller jetzt und trüber; Und die Rosse hielt er an, Sah zum Kreuz hinüber. „Halten muß hier Roß und Rad, Mag's euch nicht gefährden; Drüben liegt mein Kamerad

Durch die stillen Räume. Rauher war mein Postillon, Ließ die Geißel knallen, Über Berg und Thal davon

In der kühlen Erden. Ein gar herzlieber Gesell!

Frisch sein Horn erschallen. Und von stillen Rosien vier

Wie mein Kamerade! Hier ich immer halten muß,

Herr, 's ist ewig Schade! Keiner blies das Horn so hell

Scholl der Hufe Schlagen,

Dem dort unterm Rasen

Die durchs blühende Revier

Zum getreuen Bmdergruß

Trabten mit Behagen. Wald und Flur im schnellen Zug,

Sein Leiblied zu blasen!" Und dem Kirchhof sandt' er zu

Kaum gegrüßt, gemieden; Und vorbei wie Traumesfiug

Frohe Wandersänge, Daß es in die Grabesruh'

Schwand der Dörfer Frieden.

Seines Bruders dränge.

Poetische Erzählung.

303

Weiter ging's durch Feld und Hag

Und des Homes heller Ton Klang vom Berge wieder, Ob der tote Postillon Stimmt' in seine Lieder.

Mit verhängtem Zügel;

Lang mir noch im Ohre lag

Jener Klang vom Hügel. Lenau.

8.

Die drei Indianer.

Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter,

Fluch dem Windhauch, dienstbar ihrem Schiffe!

Schmettert manche Rieseneich' in Splitter, Übertönt des Niagara Stimme,

Hundert Flüche jedem Felsenriffe,

Und mit seiner Blitze Flammenruten Peitscht er schneller die beschäumten Fluten,

Täglich übers Meer in wilder Eile Fliegen ihre Schiffe, gift'ge Pfeile,

Daß sie stürzen mit empörtem Grimme.

Treffen unsre Küste mit Verderben.

Indianer stehn am lauten Strande,

Lauschen nach dem wilden Wogenbrande, Nach des Waldes bangem Sterbgestöhne,

Das sie nicht hat in den Grund geschmettert!

Nichts hat uns die Räuberbrut gelassen Als im Herzen tödlich bittres Haffen. Kommt, ihr Kinder, kommt, wir wollen sterben!" Also sprach der Alte, und sie schneiden

Greis der eine mit ergrautem Haare, Aufrecht überragend seine Jahre, Die zwei andern seine starken Söhne.

Ihren Nachen von den Uferweiden; Drauf sie nach des Stromes Mitte ringen.

Seine Söhne jetzt der Greis betrachtet, Und nun werfen sie weithin die Ruder, Und sein Blick sich dunkler jetzt umnachtet Armverschlungen Vater, Sohn und Bruder Als die Wolken, die den Himmel schwärzen, Stimmen an, ihr Sterbelied zu singen. Und sein Aug' versendet wild're Blitze, Laut ununterbrochne Donner krachen, Als das Wetter durch die Wolkenritze. Blitze flattern um den Todesnachen,

Und er spricht aus tief empörtem Herzen; Ihn umtaumeln Möwen sturmesmunter; „Fluch den Weißen, ihren letzten Spuren I Und die Männer kommen fest entschloffen Jeder Welle Fluch, worauf sie fuhren, Singend schon dem Falle zugeschossen, Die einst Bettler unsren Strand erklettert! Stürzen jetzt den Katarakt hinunter.

9.

Bo

Der Graf kehrt heim vom Festturnei;

Da wallt an ihm sein Knecht vorbei. „Holla, woher des Wegs? sag' an! Wohin, mein Knecht, geht deine Bahn?"

„Ich wandle, daß der Leib gedeih', Ein Wohnhaus such' ich mir nebenbei."

„Ein Wohnhaus? Nun, sprich grad' heraus,

Was ist geschehen bei uns zu Haus?" „Nichts Sonderlich's! Nur todeswund Liegt euer kleiner weißer Hund."

e n a r t. „Besinn' ich recht mich, erschrak's davon, Als von dem Fenster stürzt' eü'r Sohn." „Mein Sohn? Doch blieb er unverletzt? Wohl pflegt mein süßes Weib ihn jetzt? „Die Gräfin rührte stracks der Schlag, Als vor ihr des Herrleins Leichnam lag."

„Warum bei solchem Jammer und Graus, Du Schlingel, hütest du nicht das Haus?" „Das Haus? Ei, welches meint ihr wohl? Das eure liegt in Asch' und Kohl'!

„Mein treues Hündchen todeswund? Die Leichenfrau schlief ein an der Bahr', Sprich, wie begab sich's mit dem Hund?" Und Feuer fing ihr Kleid und Haar, „Im Schreck eu'r Leibroß auf ihn sprang, Und Schloß und Stall verlodert im Wind, Drauf lief's in den Strom, der es verschlang." Dazu das ganze Hausgesind'.

„Mein schönes Roß, des Stalles Zier? Wovon erschrak das arme Tier?"

Nur mich hat das Schicksal aufgespart,

Euch's vorzubringen auf gute Art." G r ü n.

Epische Poesie.

304 10.

Am Strande.

Auf hoch gestapelte Ballen blickt Der Kaufherr mit Ergötzen;

Die andre mit dem Kranz in der Hand

Ein armer Fischer daneben flickt Betrübt an zerrifs'nen Netzen.

Die eine, trüber Wehmut Bild, Stöhnt mit geheimem Beben:

Wirft Rosen in die Fluten.

Manch rüstig, stolz bewimpelt Schiff, Manch morsches Wrack im Sande! Der Hafen hier und dort das Riff, Jetzt Flut, jetzt Ebb' am Strande!

„O Meer, o Meer, so trüb und wild, Wie gleichst du so ganz dem Leben!" Die andre, lichter Freude Bild, Jauchzt selig lächelnd daneben:

Hier Sonnenblick, Sturmwolken dort;

„O Meer, o Meer, so licht und mild,

Wie gleichst du so ganz dem Leben!" Fort braust das Meer und überklingt Das Jauchzen, wie das Stöhnen; Die Segel auf und nieder! Zwei Jungfrau'n sitzen am Meeresstrand: Fort wogt das Meer und ach! verschlingt Hier Schweigen, dorten Lieder Und Heimkehr hier, dort Abschiedswort;

Die eine weint in die Fluten,

Die Rosen, wie die Thränen. Grü n.

11.

Der treue Gefährte.

Ich hatt' einst einen Genoffen treu:

Ich wallt' empor mit leuchtendem Blick,

Wo ich war, war er auch dabei, Blieb ich daheim, ging er auch nicht aus,

Doch er blieb keuchend unten zurück. Ich aber stand jauchzend ganz allein

Am Bergesgipfel im Sonnenschein; Und ging ich fort, blieb er nicht zu Haus. Rings grüne Triften und Blumenduft Er trank aus einem Glas mit mir, lind wirbelnde Lerchen und BergeSluft! Er schlief in einem Bett mit mir. Und als ich wieder zu Thal gewallt, Wir trugen die Kleider nach einem Schnitt,

Ja selbst zum Liebchen nahm ich ihn mit. Und als mich's jüngst nach den Bergen zog Und Stab und Bündel im Arm ich wog, Da sprach der treue Geselle gleich: „Mit Gunsten, Freund, ich geh' mit euch!" Wir wallen still hinaus zum Thor, Die Bäume streben frisch empor, Die Lüste bringen uns warmen Gruß;

Da stieß ich auf eine Leiche bald. „O weh, er ist's! Tot liegt er hier,

Der einst der treuste Gefährte mir!" Da ließ ich graben ein tiefes Grab

Und senkte die Leiche still hinab; Drauf setzt' ich einen Leichenstein Und grub die Wort' als Inschrift ein: „Hier ruht mein treuster Genoß im Land,

Da schüttelt der Freund den Kopf mit Verdruß. Herr Hypochonder zubenannt; Im Äther jauchzt ein Lerchenchor, Er starb an fttscher Bergesluft, Da hält er zugepreßt sein Ohr; An Lerchenschlag und Rosenduft! Sonst wünsch' ich ihm alles Glück und Heil, Süß duftet dort das Rosengesträuch,

Da wird er schwindlich und totenbleich. Und als wir stiegen den Berg hinan,

Verlor den Atem der arme Mann;

12.

Die ewige Ruh' werd' ihm zu teil. Nur wahr' mich Gott vorm Wiedersehn Und seinem fröhlichen Auferstehn!" Grün.

Zwei Heimgekehrte.

Zwei Wanderer zogen hinaus zum Thor Zur herrlichen Alpenwelt empor;

Da rückt die ganze Sippe herbei,

Der eine ging, weil's Mode just, Den andern trieb der Drang in der Brust.

Da wirbelt's von Fragm ohne Zahl: „Was habt ihr gesehen? Erzählt einmal!"

Und als daheim nun wieder die zwei,

Poetische Erzählung. Der eine drauf mit Gähnen spricht:

305

Der andre lächelnd dasselbe spricht,

„Was wir gesehn? Viel Rares nicht! Ach, Bäume, Wiesen, Bach und Hain

Doch leuchtenden Blicks mit verklärtem Gesicht „Ei, Bäume, Wiesen, Bach und Hain

Und blauen Himmel und Sonnenschein!"

Und blauen Himmel und Sonnenschein!" (Srün.

13.

Hans Euler.

„Horch, Marthe! draußen pocht es; geh', laß den Mann herein, Es wird ein armer Pilger, der sich verirrte, sein! Grüß Gott, du schmucker Krieger! Nimm Platz an unserm Tisch; Das Brot ist weiß und locker, der Trank ist hell und frisch!" „Es ist nicht Trank, nicht Speise, wonach es not mir thut, Doch, so ihr seid Hans Euler, so will ich euer Blut! Wißt ihr, vor Monden hab' ich euch noch als Feind bedroht:

Dort hatt' ich einen Bruder, den Bruder schlugt ihr tot. Und als er rang am Boden, da schwor ich es ihm gleich, Daß ich ihn rächen wollte früh oder spät an euch!" „Und hab' ich ihn erschlagen, so war's im rechten Streit, Und kommt ihr, ihn zu rächen, wohlan! ich bin bereit! Doch nicht im Hause kämpf' ich, nicht zwischen Thur' und Wand, Im Angesichte deffen, wofür ich stritt und stand. Den Säbel, Marthe, weißt du, womit ich ihn erschlug; Und soll ich nimmer kommen, Tyrol ist groß genug!" Sie gehen miteinander den nahen Fels hinan; Sein gülden Thor hat eben der Morgen aufgethan; Der Hans voran, der Fremde recht rüstig hinterdrein Und höher stets mit beiden der liebe Sonnenschein. Nun stehn sie an der Spitze, da liegt die Alpenwelt, Die wunderbare, große, vor ihnen aufgehellt; Gesunk'ne Nebel zeigen der Thäler reiche Lust Mit Hütten in den Armen, mit Herden an der Brust; Dazwischen Riesenbäche, darunter Kluft an Kluft, Daneben Wälderkronen, darüber freie Luft, Und sichtbar nicht, doch fühlbar von Gottes Ruh' umkreist, In Hütten und in Herzen der alten Treue Geist.

Das sehn die beiden droben, dem Fremden sinkt die Hand; HanS aber zeigt hinunter aufs liebe Vaterland. „Für das hab' ich gefochten, dein Bruder hat's bedroht, Für das hab' ich gestritten, für das schlug ich ihn tot." Der Fremde sieht hinunter, sieht Hansen ins Gesicht,

Er will den Arm erheben, den Arm erhebt er nicht. „Und hast du ihn erschlagen, so war's im rechten Streit, Und willst du mir verzeihen, komm, Hans, ich bin bereit!" Seidl.

Dielitz u. Heinrich-, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aust.

20

Epische Poesie.

306 14. Auf ferner, fremder Aue, Da liegt ein toter Soldat, Ein ungezählter, vergesf'ner, Wie. brav er gekämpft auch hat. Es reiten viel' Generale Mit Kreuzen an ihm vorbei; Denkt keiner, daß, der da lieget, Auch wert eines Kreuzleins sei. Es ist um manchen Gefall'nen Viel' Frag' und Jammer dort; Doch für den armen Soldaten Giebt's weder Thräne, noch Wort. Doch ferne, wo er zu Hause, Da sitzt beim Abendrot Ein Vater voll banger Ahnung Nnd sagt: „Gewiß, er ist tot!" Da sitzt eine weinende Mutter Und schluchzet laut: „Gott helf'I

15.

Der tote Soldat. Er hat sich angemeldet,

Die Uhr blieb stehn um elf." Da starrt ein blasses Mädchen Hinaus ins Dämmerlicht. „Und ist er dahin und gestorben, Meinem Herzen stirbt er nicht!" Drei Augenpaare schicken, So heiß es ein Herz nur kann, Für den armen, toten Soldaten Ihre Thränen zum Himmel hinan. Nnd der Himmel nimmt die Thränen In einem Wölkchen auf Und trägt es zur fernen Aue Hinüber in raschem Lauf Und gießt aus der Wolke die Thränen Aufs Haupt des Toten als Tau, Daß er unbeweint nicht liege Auf ferner, fremder Au. Seidl.

Das Licht am Strande.

Vater, Mutter schlafen beide eingescharrt im stillen Haus, Und der Sohn ist fortgezogen auf die blaue See hinaus; Nur das Töchterlein noch weilet in dem Häuschen dort am Strand Und benetzt mit heißen Thränen ihren Rocken in der Hand. Eine Hoffnung nur beseelet ihre Brust bei solchem Gram, Da der Tod ihr, ach, die Eltern, das Geschick den Bruder nahm, Daß sie jene wiederfände jenseits in dem bessern Land, Daß ihr dieser Wiederkehre, eh' zu lange Frist entschwand. Hat er doch beim letzten Scheiden noch mit thränenfeuchtem Blick Ihr versprochen: „Liebe Hogne, trau auf mich, ich kehr' zurück!" Hat sie doch auch ihm versprochen, daß sie jede künst'ge Nacht Eine Lampe wollte brennen, immerdar auf ihn bedacht, Eine Lampe, die allnächtlich aus dem Fenster eng und klein, Weit hinaus ins Meer versenden solle ihren hellen Schein, Daß von fern er's könn' gewahren auch nach jahrelanger Fahrt, Wo die treue Schwester sehnend seiner noch am Strande harrt. Und was Hogne ihm versprochen hält sie auch mit treuem Sinn, Stellt die Lampe jeden Abend an das kleine Fenster hin, Daß der Sehnsucht stilles Zeichen, daß der Flamme Flackerglut Ihre rote Feuersäule werfe in die dunkle Flut. Aber Mond' um Monde schwanden, Jahr' um Jahre rollten fort, Und noch immer stand die Lampe so wie einst am Fenster dort, Und noch immer saß Schön-Hogne in dem öden Haus am Strand, Netzend mit den heißen Thränen ihren Rocken in der Hand.

Poetische Erzählung.

307

All den Schiffern in der Nähe war bekannt der nächt'ge Schein, Alle wußten, wem er winke in das alternde Gestein, Und wenn einer sie befragte, dem nicht Schein, noch Zweck bekannt, Sagten sie: „Der Schwester Sehnen wird von uns das Licht benannt."

Manchen rührte wohl die Treue in des frommen Mädchens Brust, Mancher wünschte wohl, er wäre solcher Liebe sich bewußt; Aber Hognens Blicke mieden jeden, der von Liebe sprach, Denn ihr Sehnen hing am Meere, und dem Bmder galt ihr Ach. In dem Häuschen dort am Strande sitzt ein alt verkümmert Weib, Hohl das Auge, weiß der Scheitel, hager und gebeugt der Leib, Und am Fenster dieses Häuschens flimmert einer Lampe Schein, Zeichnend eine Feuersäule weit ins nächt'ge Meer hinein. Sagt, das ist doch nicht das Mädchen, einst so schön an Wuchs und Haar?

Ja, dies Jammerbild ist Hogne, die so jung und reizend war; Reiz und Jugend ist entschwunden, nur die Schwesterliebe nicht, Und sie zündet ihrem Bruder immer noch das Sehnsuchtslicht.

Wohl die Schiffer sagten: „Hoffe nicht auf seine Wiederkehr; Denn im Meeresschoß begraben, sieht dein Licht er nimmermehr!" Doch sie sprach: „Ihr irrt, nicht lange mehr bin ich von ihm getrennt, Und ihr werdet's draus erkennen, wenn die Lampe nicht mehr brennt."

Und wie früher stellet immer wieder sie die Lampe hin, Und ihr Herz schifft auf dem Meere, in der Ferne schweift ihr Sinn; Zittert auch die Hand am Rocken wie der Lampe Flackerschein, Hält doch fest ihr Herz am Glauben: Bald ist er ja wieder dein! Und es sinkt ein Abend nieder, nebelschauernd zieht's einher, Und die Lichter all' verlöschen, öde ist's auf Land und Meer, Aber auch in Hognens Fenster fehlt zum ersten Mal der Schein. Sollte wirUich ihr der Bruder vom Geschick gegeben sein? Und in fteud'gem Aufruhr eilen hin die Nachbarn ohne Halt; Seht, am Fenster lehnet Hogne, doch ihr Leib ist starr und kalt; Wohl mit Wehmut da ein jeder dessen, was sie sprach, gedenkt; Denn die Lampe ist erloschen und der Bmder ihr geschenkt.

Pogl.

16.

Schwerting, der Sachsenherzog.

Der Schwerting, Sachsenherzog, der saß beim Festesmahl, Da schäumten Weine perlend in eisernem Pokal, Da rauchten Speisen köstlich in eisernem Geschirr, Da war von Eisenpanzem ein wild und rauh Geklirr. Der Dänenkönig Frotho genüber Schwerting saß, Mit staunender Gebärde die Eisenketten maß,

So diesem niederhingen von Hals und Bmst und Hand, Und dann die Eisenspangen am schwarzen Trau'rgewand. „Sagt an, was soll das deuten? Herr Bruder, gebt mir kund,

Wamm ihr mich geladen zu solcher Tafelrund'! Als ich herabgezogen aus meinem Dänenland, Da hofft' ich euch zu finden in güldenem Gewand."

Epische Poesie.

308

„Herr König, Gold dem Freien und Eisen für den Knecht! Das ist der Sachsen Sitte, und so allein ist'S recht; Ihr habt in Eisenbande der Sachsen Arm gezwängt,

Wär' eure Kette gülden, sie wäre längst zersprengt. Doch, mein' ich, giebt's noch Mittel, zu lösen solches Erz; Ein biedrer Sinn und Glaube, ein hoch und mutig Herz: Das muß den Arm befreien, gefesielt hundertfach, Das muß den Eidschwur löschen und tilgen niedre Schmach!"

Als so der Fürst gesprochen, da traten in den Saal Zwölf schwarze Sachsenritter mit Fackeln allzumal;

Die harrten stumm und ruhig auf Schwertings leises Wort Und sprangen dann in Eile, die Brände schwingend, fort. Nicht lang', da scholl von unten zu Herrn und Gastes Ohr Ein Knistern und ein Prasseln von Feuerswut empor; Nicht lang', da wird's im Saale gar schwül und sommerheiß, Und „'s ist die Stund' gekommen!" sprach dumpf der ganze Kreis. Der König will entfliehen, der Herzog hält ihn stark. „Halt! steh und laß erproben dein ritterliches Mark! Hält es dem rauhen Gegner, der unten prasselt, Stand, Dein sei die Sachsenkrone, dein sei das Sachsenland!" Und heißer, immer heißer wird's in der weiten Hall', Und lauter, immer lauter erdröhnt der Balken Fall, Und heller, immer heller wird rings der rote Schein, Die Thüre sinkt in Trümmer, die Lohe schießt herein. Da knieen betend nieder die wackren Rittersleut': „Herr, sei den Seelen gnädig, die selber sich befreit!" Der Herzog doch sieht ruhig der Flamme Windeslauf; Der König sinkt zu Boden; er reißt ihn wütend auf. „Schau hin, du stolzer Sieger! Erzittre, feiges Herz! So löst man Eisenbande, so schmilzt dein mächtig Erz!" Er ruft's, und ihn erfasset der Flamme wild Gesaus, Und nieder stürzen alle, und nieder stürzt das Haus. St. E. ($6ert.

17.

Die nackten Weisen.

Als Alexander zu den nackten Weisen

Der Himmel, dessen Lichtgestirne kreisen."

Gekommen war auf seinen Siegesreisen, Und Alexander wollte, daß erbitten Den nackten Weisen, die nicht Sorge tragen, Bon ihm sich sollten ein Geschenk die Weisen. „So wollest du uns binden Tod und Alter, Wie sie sich kleiden, und wovon sie speisen, Daß wir nicht sterben und auch nicht ergreifen!" Befragt' er sie um ihrer Weisheit willen,

Und diese Antwort ward ihm von den Greisen: Er sprach: „Nur das steht nicht in meinen „Wirtragen kein Gewand, weil nackt ins Leben Kräften." Der Mensch und nackt muß aus dem Leben reisen. Sie sprachen: „Hoher Herr, des Macht zu Wir führen Krieg nicht, weil das Gold derErde preisen! Nicht wert ist, rot zu färben dmm das Eisen. Was willst du denn uns andre Schätze bieten, Die Erd' ist unser Bett und unsre Decke Die, wie du siehst, uns keinen Dienst erweisen?" Rückert.

Poetische Erzählung. 18.

309

Der Tod des Carus.

Mutig stand an Persiens Grenzen Roms erprobtes Heer im Feld, Carus saß in seinem Zelte, der den Purpur trug, ein Held.

Persiens Abgesandte beugten sich vor Roms erneuter Macht, Flehn um Frieden an den Kaiser; doch der Kaiser wählt die Schlacht. Kampfbegierig sind die Scharen, die er fern und nah beschied,

Durch das Heer aus tausend Kehlen ging das hohe Siegeslied:

„Weh den Persern! Römer kommen, Römer ziehn im Flug heran, Rächen ihren Imperator, rächen dich, Valerian! Durch Verrat und Mißgeschick nur trugst du ein barbarisch Joch; Aber, starbst du auch im Kerker, deine Rächer leben noch! Wenn zu Pferd stieg Artaxerres, ungezähmten Stolz im Blick,

Setzte seinen Fuß der König auf Valerians Genick. Ach, und Rom in seiner Schande, das vordem die Welt gewann, Flehte zum Olymp um einen, flehte nur um einen Mann.

Aber Männer sind erstanden, Männer führen uns zur Schlacht; Scipio, Marius und Pompejus sind aus ihrem Grab erwacht! Unser Kaiser Aurelianus hat die Goten übermannt, Welche deine Wundertempel, Ephesus, zu Staub verbrannt. Unser Kaiser Aurelianus hat die stolze Frau besiegt, Welche nun im stillen Tibur ihre Schmach in Träume wiegt. Probus führte seine Mauer durch des Nordens halbe Welt, Neun Germanenfnrsten knieten vor dem röm'schen Kaiserzelt. Carus, unser Imperator, sühnt nun auch die letzte Schmach, Geht mit Heldenschritt voran uns, Heldenschritte folgen nach." So der Weihgesang. Und siehe, plötzlich steigt Gewölk empor, Finsternis bedeckt den Himmel wie ein schwarzer Trauerflor. Regen stürzt in wilden Güsien, grausenhaster Donner brüllt, Keiner mehr erkennt den andern, alles ist in Nacht verhüllt. Plötzlich zuckt ein Blitz vom Himmel. Viele stürzen bang herbei; Denn im Zelt des Imperators hört man einen lauten Schrei.

Carus ist erschlagen! Jeder thut auf Kampf und Wehr Verzicht, Und es folgt des Heers Verzweiflung auf die schöne Zuversicht. Alle flieh», das Lager feiert wie ein unbewohntes Haus, Und der Schmerz der Legionen bricht in laute Klagen aus: „Götter haben uns gerichtet, Untergang ist unser Teil; Denn des Kapitols Gebieter sandte seinen Donnerkeil! Untergang und Schande wälzen ihren uferlosen Strom; Stirb und neige dich, o neige dich zu Grabe, hohes Rom!"

Platen.

19.

Harmosan.

Schon war gesunken in den Staub der Sassaniden alter Thron,

Es plündert Mosleminenhand das schätzereiche Ktesiphon; Schon langt am Ozus Omar an nach manchem durchgekämpften Tag, Wo Kosrus Enkel Jesdegerd auf Leichen eine Leiche lag.

Epische Poesie.

310

Und als die Beute mustern ging Medinas Fürst auf weitem Plan, Ward ein Satrap vor ihn geführt, er hieß mit Namen Harmofan, Der letzte, der im Hochgebirg dem kühnen Feind sich widersetzt'; Doch ach, die sonst so tapste Hand trug eine schwere Kette jetzt! Und Omar blickt ihn finster an und spricht: „Erkennst du nun, wie sehr

Vergeblich ist vor unserm Gott der Götzendimer Gegenwehr?" Und Harmosan erwidert ihm: „In deinen Händm ist die Macht! Wer einem Sieger widerspricht, der widerspricht mit Unbedacht! Nur eine Bitte wag' ich noch, abwägend dein Geschick und meins: Drei Tage focht ich ohne Stunt, laß reichen einen Becher WeinS!" Und auf des Feldherrn leisen Wink steht ihm sogleich ein Trunk bereit; Doch Harmosan befürchtet Gift und zaudert eine kleine Zeit. „Was zagst du?" ruft der Sarazen, „nie täuscht ein Moslem seinen Gast; Nicht eher sollst du sterben, Freund, als bis du dies getrunken hast!" Da greift der Perser nach dem Glas, und statt zu trinken, schleudert hart Zu Boden er's auf einen Stein mit rascher Geistesgegenwart. Und Omars Mannen stürzen schon mit blankem Schwert auf ihn heran,

Zu strafen ob der Hinterlist den allzuschlauen Harmosan; Doch wehrt der Feldherr ihnen ab und spricht sodann: „Er lebe fort! Wenn was auf Erden heilig ist, so ist eS eines Helden Wort." $ lat en.

20.

Das Grab des Busento.

Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder, Aus den Waffern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder. Und den Fluß hinauf, hinunter ziehn die Schatten tapfter Goten, Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten. Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben, Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben. Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette, Nm die Strömung abzuleitm, grubm sie ein frisches Bette. In der wogenleeren Höhlung wühltm sie empor die Erde, Senktm tief hinein den Leichnam mit der Rüstung auf dem Pferde, Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe, Daß die hohen Stromgewächse wuchsen aus dem Heldengrabe. Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluß herbeigezogen: Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.

Und es sang ein Chor von Männern: „Schlaf in deinen Heldenehren! Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je dein Grab versehrm!" Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gotenheere; Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere! _____________

21. Auf der Höh' am Felsenkirchlein, Rings vom Türkenheer umschloffen,

Liegt ein Häuflein tapfrer Griechen Don des Bozzaris Genoffen.

Platen.

Die Türkenkngel. Achtmal hat die Schar dort oben Schon begrüßt der Strahl der Sonnen; Achtmal schon ergrimmten Mutes Hat der Feind den Sturm begonnen.

Poetische Erzählung. Doch vergeblich in den Schluchten HLust er Tote nur zu Toten;

Der du auf Ellds' Rufen Kamst in schatt'ger Regenwolke,

Denn der Fels ist schroff, und sicher Trifft das Beil der Sulioten.

Herr, erbarm', erbarm' dich unser! Sieh, wir sind wie trockne Scherben; Von des Feindes Schwert errettet, Laß uns nicht im Durst verderben!"

Drum von fern aus Feuerschlünden Will er nun Verderben senden; Kugeln über Kugeln wirft er Nach bett steilen Felsenwänden. Aber mag sein glühend Eisen Seltnes Opfer nur erreichen, Schon beginnt ein andrer Würger Droben durch die Schar zu schleichen. Grauser als von Feindeswaffen Ist der Tod von Durstes Qualen; Keinen Brunnen hat der Felsen, Und geleert sind Schläuch' und Schalen. Und der Himmel, blau und ehem, Schaut herab mit Feueraugen;

Ach, nicht reicht's, daß von den Halmen Sie den Tau der Frühe saugen. Bleich, mit hohlen Wangen schwanken Um daS Kirchlein die Gestalten;

Kaum vermag der Arm entkräftet Noch das lange Rohr zu halten. Dorrend klebt die Zung' am Gaumen, Fieberglut durchrast die Glieder; In der Not des neunten Abends Werfen sie sich flehend nieder. »Der du Moses' Stab gesegnet, Daß er Waffer schuf dem Volke,

22.

311

Und noch hallt es: „Herr, erbarm' dich!" Da in rotgewölbtem Bogen Aus dem Türkenlager saufend Kommt ein Feuerball geflogen. Dröhnend schlägt er in die Klippe, Bohrt sich wühlend tief und tiefer: Horch, da zischt es; leis' und silbern Zuckt es auf im FelSgeschiefer. Und es blinkt und rinnt und rieselt, Und mit Brausen dann geschaffen, Well' auf Welle, kommt das Waffer, Dem das Erz die Bahn erschlossen.

O wie lieblich rauscht der Sprudel In das Ohr der Kriegsgefährten! O wie schlürfen sie mit Wonnen Von dem Naß, dem langentbehrten! Aber dann zu frommem Danke Siehst du sie die Hände falten: „Sei gepriesen, Herr der Gnaden! Wundervoll ist all dein Walten. Durch die Hand des grimmsten Feindes Weißt du Trost und Heil zu geben; Tod gedacht' er uns zu senden, Doch du wandtest Tod zum Leben." Seibel.

Alexander Apsilantt auf MunkacS.

Alexander Bpstlanti saß auf Munkacs' hohem Turm, An den morschen Fenstergittern rüttelte der wilde Sturm; Schwarze Wolkenzüge flogen über Mond und Sterne hin, Und der Griechenfürst erseufzte: „Ach, daß ich gefangen bin!"

An des Mittags Horizonte hing sein Auge unverwandt: „Lüg' ich doch in deiner Erde, mein geliebtes Vaterland!" Und er öffnete das Fenster, sah ins öde Land hinein, Krähen schwärmten in den Gründen, Adler um das Felsgestein. Wieder fing er an zu seufzen: „Bringt mir keiner Boffchaft her

Aus dem Lande meiner Väter?" und die Wimper ward ihm schwer, War's von Thränen, war's von Schlummer, und sein Haupt sank in die Hand. Seht! Sein Antlitz wird so helle; träumt er von dem Vaterland? Also saß er, und zum Schläfer trat ein schlichter Heldenmann, Sah mit fteudig ernstem Blicke lange den Betrübten an.

Epische Poesie.

312

„Alexander Ypsilanti, sei gegrüßt und faße Mut! In dem engen Felsenpasse, wo gefloffen ist mein Blut, Wo in einem Grab die Asche von dreihundert Spartern liegt, Haben über die Barbaren freie Griechen heut gesiegt.

Diese Botschaft dir zu bringen, ward mein Geist herabgesandt. Alexander Ypsilanti! Frei wird Hellas' heil'ges Land!" Da erwacht der Fürst vom Schlummer, ruft entzückt: „Leonidas!" Und er fühlt, von Freudenthränen sind ihm Aug' und Wangen naß.

Horch! Es rauscht ob seinem Haupte, und ein Königsadler fliegt Aus dem Fenster, und die Schwingen in dem Mondenstrahl er wiegt. Wilhelm Müller.

23.

Schelm von Bergen.

Im Schloß zu Düsieldorf am Rhein Der Nacht und dem Tode gehör' ich." Wird Mummenschanz gehalten; Die Herzogin lacht: „Ich laste dich nicht. Da flimmern die Kerzen, da rauscht die Musik, Dein Antlitz zu schauen, begehr' ich." Wohl sträubt sich der Mann mit finsterm Da tanzen die bunten Gestalten.

Da tanzt die schöne Herzogin, Sie lacht laut auf beständig; Ihr Tänzer ist ein schlanker Fant,

Wort, Das Weib nicht zähmen konnt' er; Sie riß zuletzt ihm mit Gewalt Gar höfisch und behendig. Die Maske vom Antlitz herunter. Er trägt eine Maske von schwarzem Samt, „Das ist der Scharftichter von Bergen!" Daraus gar freudig blicket so schreit Ein Auge wie ein blanker Dolch, Entsetzt die Menge im Saale Halb aus der Scheide gezücket. Und weichet ,cheusam. Die Herzogin Es jubelt die Fastnachtsgeckcnschar, Stürzt fort zu ihrem Gemahle. Der Herzog ist klug, er tilgte die Schmach Wenn jene vorüberwalzen.

Der Drickes und die Marizzebill Grüßen mit Schnarren und Schnalzen. Und die Trompeten schmettern drein, Der närrische Brummbaß brummet, Bis endlich der Tanz ein Ende nimmt

Der Gattin auf der Stelle. Er zog sein blankes Schwert und sprach: „Knie vor mir nieder, Geselle! Mit diesem Schwertschlag mach' ich dich Jetzt ehrlich und tttterzünfttg, Und weil du ein Schelm, so nenne dich Und die Musik verstummet. „Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Herr Schelm von Bergen künftig." Mein Anblick bringt Schrecken und Grauen!" So ward der Henker ein Edelmann Die Herzogin lacht: „Ich fürchte mich nicht, Und Ahnherr der Schelme von Bergen. Ein stolzes Geschlecht! Es blühte am Rhein; Ich will dein Antlitz schauen." „Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Jetzt schläft es in steinernen Särgen. Heine.

24.

Ein eisernes Kreuz.

Der Feldherr tritt in das Lazarett, Sein Auge blickt mild und doch trübe; Für jeden Helden im Krankenbett

Wie rötet sich freudig manch bleiches Gesicht!

Hat er ein Wort der Liebe. Und jeder, zu dem er tröstend spricht,

„Der Held, der mit kühnem Wagen Sein Leben bei Weißenburg eingesetzt Und die Fahne vorangetragen?"

Hat stolz es im Herzen empfunden.

Vergessen sind Fieber und Wunden. „Wo ist der Brave?" so fragt er jetzt,

Poetische Erzählung.

313

Da richtet der Kranke sich aus; es ruht

An jenem Lager steht er still Bei einem Todeskranken. Was wohl seine einsame Thräne will? Sie will einem Sterbenden danken. Das eiserne Kreuz er leise legt Dem bleichen Mann in die Hände.

Sein Aug' auf dem Königssohne Mit des fliehenden Lebens letzter Glut,

And er flüstert mit bebendem Munde: „Meine Pflicht nur that ich in jener Stund';

„Des Königs Dank," so spricht er bewegt,

Nun mag ich sterben in Frieden! Er preßt das eiserne Kreuz an den Mund,

„Nimm noch vor deinem Ende!"

Und lächelnd ist er geschieden. Dyherrn.

25.

Das Gesicht des Reisenden.

Mitten in der Wüste war es, wo wir nachts am Boden ruhten;

Meine Beduinen schliefen bei den abgezäumten Stuten. In der Ferne lag das Mondlicht auf der Nilgebirge Jochen, Rings im Flugsand umgekommner Dromedare weiße Knochen. Schlaflos lag ich; statt des Pfühles diente mir mein leichter Sattel,

Dem ich unterschob den Beutel mit der dürren Frucht der Dattel. Meinen Kaftan ausgebreitet hatt' ich über Brust und Füße; Neben mir mein bloßer Säbel, mein Gewehr und meine Spieße.

Tiefe Stille; nur zuweilen knistert das gesunkne Feuer; Nur zuweilen kreischt verspätet ein vom Horst verirrter Geier, Nur zuweilen stampft im Schlafe eins der angebundnen Rosse,

Nur zuweilen fährt ein Reiter träumend nach dem Wurfgeschoffe. Da auf einmal bebt die Erde; auf den Mondschein folgen trüber Dämm'rung Schatten; Wüstentiere jagen aufgeschreckt vorüber. Schnaubend bäumen sich die Pferde; unser Führer greift zur Fahne;

Sie entsinkt ihm, und er murmelt: „Herr, die Geisterkarawane!" Ja, sie kommt! Vor den Kamelen schweben die gespenst'schen Treiber; Üppig in den hohen Sätteln lehnen schleierlose Weiber; Neben ihnen wandeln Mädchen, Krüge tragend wie Rebekka Einst am Brunnen; Reiter folgen, sausend sprengen sie nach Mekka.

Mehr noch! Nimmt der Zug kein Ende? Immer mehr! Wer kann sie zählen? Weh, auch die zerstreuten Knochen werden wieder zu Kamelen, Und der braune Sand, der wirbelnd sich erhebt in dunklen Masien, Wandelt sich zu braunen Männern, die der Tiere Zügel faßen; Denn dies ist die Nacht, wo alle, die das Sandmeer schon verschlungen, Deren sturmverwehte Asche heut vielleicht an unsren Zungen Klebte, deren mürbe Schädel unsrer Roße Huf zertreten,

Sich erheben und sich scharen, in der heil'gen Stadt zu beten. Immer mehr! Noch sind die letzten nicht an uns vorbeigezogen,

Und schon kommen dort die ersten schlaffen Zaums zurückgeflogen. Von dem grünen Vorgebirge nach der Babelmandeb-Enge Sausten sie, eh' noch mein Reitpferd lösen konnte seine Stränge. Haltet aus! Die Rosse schlagen! Jeder Mann zu seinem Pferde! Zittert nicht wie vor dem Löwen die verirrte Widderherde! Laßt sie immer euch berühren mit den wallenden Talaren! Rufet: „Allah!" und vorüber ziehn sie mit den Dromedaren.

Epische Poesie.

314

Harret, bis im Morgenwinde eure Turbanfedern stottern! Morgenwind und Morgenröte werden ihnen zu Bestattern. Mit dem Tage wieder Asche werden diese nächt'gen Zieher. Seht, er dämmert schon! Ermut'gend grüßt ihn meines Tiers Gewieher. Freiltgrath.

26.

Unter den Palmen.

Mähnen flattern durch die Büsche, tief im Walde tobt der Kampf.

Hörst du aus dem Palmendickicht das Gebrüll und das Gestampf? Steige mit mir auf den Teekbaum, leise, daß des Köchers Klingen Sie nicht aufschreckt! Sieh den Tiger mit dem Leoparden ringen!

Um den Leichnam eines Weißen, den der Tiger überfiel, Als er schlief auf dieses Abhangs scharlachfarb'gem Blumenpfühl, Um den Fremden, seit drei Monden unsrer Zelte stillen Bürger, Der nach Pflanzen ging und Käfem, streiten die gescheckten Würger. Weh! Kein Pfeil mehr kann ihn retten! Schon geschloffen ist sein Aug', Rot sein Schlaf gleichwie die Blumen auf dem Fackeldistelstrauch; Die Vertiefung auf dem Hügel, drin er liegt, gleich einer Schale

Voll von Blut, und seine Wange trägt des Tigers Klauenmale. Wehe, wie wird deine Mutter um dich klagen, weißer Mann! Geifernd fliegt der Leoparde den gereizten Tiger an; Aber besten linke Tatze ruht auf des Erwürgten Leibe, Und die rechte hebt er drohend, daß den Gegner er vertreibe. Siehe, welch ein Sprung! Der Springer hat des Toten Arm gefaßt; Zerrend flieht er, doch der andre läßt nicht von der blut'gen Last. Ringend, ungestüm sich packend, stehn sie auf den Hinterpranken, Aufrecht zwischen sich den starren, mitemporgerafsten Blanken. Da, o sieh, was über ihnen sich herabläßt aus dem Baum, Grünlich schillernd, offnen Rachens, an den Zähnen gift'gen Schaum! Riesenschlange, feinen einz'gen lässest du den Raub zerreißen! Du umstrickst sie, du zermalmst sie, Tiger, Leoparden, Weißen! FreNigratb.

27.

Der Löwenritt.

Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre;

Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore. Abends, wenn die hellen Feuer glühn im Hottentottenkrale, Wenn des jähen Tafelberges bunte, wechselnde Signale Nicht mehr glänzen, wenn der Kaffer einsam schweift durch die Karoo, Wenn im Busch die Antilope schlummert und am Strom das Gnu: Sieh, dann schreitet majestätisch durch die Wüste die Giraffe, Daß mit der Lagune trüben Fluten sie die heiße, schlaffe Zunge kühle; lechzend eilt sie durch der Wüste nackte Strecken, Knieend schlürft sie langen Halses aus dem schlammgefüllten Becken.

Poetische Erzählung.

315

Plötzlich regt es sich im Rohre: mit Gebrüll auf ihren Nacken Springt der Löwe. Welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken 3n den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen Als das bunte Fell des Renners, den der Tiere Fürst bestiegen? 3n die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne, Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne. Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und fliegt gepeinigt; Steh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt! Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen! Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen,

Und das Herz des flücht'gen Tieres hört die stille Wüste klopfen. Gleich der Wolke, deren Leuchten 3srael im Lande Semen

Führte, wie ein Geist der Wüste, wie ein Eine sandgeformte Trombe in der Wüste Wirbelt eine gelbe Säule Sandes hinter 3hrem Zuge folgt der Geier; krächzend

fahler, lust'ger Schemen, sand'gem Meer, ihnen her. schwirrt er durch die Lüfte;

3hrer Spur folgt die Hyäne, die Entweiherin der Grüfte, Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberisch verheerte! Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grauenvolle Fährte. Zagend auf lebend'gem Throne sehn sie den Gebieter sitzen Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen. Rastlos, bis die Kraft ihr schwindet, muß ihn die Giraffe tragen;

Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen. Taumelnd an der Wüste Saume stürzt sie hin und röchelt leise. Tot, bedeckt mit Staub und Schaume, wird das Roß des Reiters Speise. Über Madagaskar fern im Osten sieht man Frühlicht glänze»; So durchsprengt der Tiere König nächtlich seines Reiches Grenzen. Freiligrath.

28.

Die letzten Worte des Pfarrers zu Drottning auf Seeland.

Laß mich nicht sterben, Gott, in meinen Die müden Glieder neigen sich zur Erde, Sünden! Und bald kann ich dies Schweigen nicht mehr Nimm diese Last von der gedrückten Seele brechen; Und laß dies Blatt den rechten Leser finden, ES sieht mich an mit flehender Gebärde Das stumme Bild und drängt mich, noch Daß es der Zeit, die kommen wird, erzähle, Was ich gesehn, und nicht in ew'ger Nacht zu sprechen. Wamm, o Erde, hatt'st du keinen Mund Ein Grab mit mir die Greuelthat verhehle!

Und warst so träg, die Frevelthat zu rächen? Es war in tiefer, dunkler Mitternacht, 3hr ew'gm Lichter, die des Himmels Rund, Wann kräst'ger der Gedanke sich entzündet, So weit es reicht, mit stummem Glanz erfüllen, Als einsam ich beim Wort deS Herm gewacht, 3st das Verbrechen auch mit euch im Bund? Auf daß am nächsten Morgen ich's ver­ Kann nur der Mensch, was er gesehn, ent­ kündet', Daß unverfehns zwei dräuende ®eftalten hüllen, Wamm denn konnten mir die Zunge binden (Wie es geschehn, hab' ich noch nie ergründet), Ein falscher Eidschwur und ein feiger Willen? Snbem ich sinnend sitze, vor mir halten,

316

Epische Poesie.

Schwarz wie die Nacht und ihre dunklen

Und bald gelangt' ich zu dem füllen Orte,

Wohin so oft voll Andacht ich gegangen; Mächte. Wo wart ihr da, ihr schirmenden Gewalten? Und auf ein Zeichen öffnet sich die Pforte. War abgewendet eure heil'ge Rechte, Von andern Händen werd' ich da em­ Dem Frommen eine feste Burg und Mauer pfangen; Vor bösem Anlauf und Gefahr der Nächte? Obwohl geblendet, kenn' ich alle Schritte Schon sank ich in des sichren Todes Trauer; Und weiß, daß zum Altare wir gelangen. Die Seele wandte sich zum ew'gen Lichte, Ich hört' Geräusch, als wären's Menschen­ Die Glieder aber löste kalter Schauer: tritte,

Doch während so das Härt'ste ich erdichte, Und leise Laute durch die Sülle schweben, Das Äußerste zu dulden schon mich rüste, Doch hatt' ich Mut zur Drohung nicht, noch Geschah es mir, wie ich wahrhaft berichte. Bitte. Es ist ein Ort, nicht fern der Meeresküste; Jetzt aber schien die Ruhe aufzuleben. Verwittert steht der Kirche alt Gemäuer Schon war ich meiner Sinne nicht mehr Meister In des Gefildes dürrer, sand'ger Wüste, Und dachte: Nun wird sich's zum Ende geben. Seit Gottes Hand an eines Sonntags Feier So machte Furcht und Schrecken selbst mich Das alte Dorf durch Sturm und Meeres­

dreister, braus Daß ich die Stimme herzhaft so erhoben: Bedeckte mit des Sandes dichtem Schleier; „Seid abgeschiedne ihr, doch gute Geister, Dahin zu kommen in dem nächt'gen Graus, Die Gott den Herrn und Jesum Christum Befahl der eine: „Willst die Glieder laben, loben, So folge mir zu spätem Hochzeitsschmaus! So sprecht! Was treibt euch noch zurückzukehren Du kannst das wohl nicht alle Tage haben!" In diese Welt von jener Welt dort oben?

Der andre sprach: „Nimm dieses Gold und Doch, seid ihr nicht aus jenen sel'gen eile! Sphären, Wo nicht, so bist du morgen schon begraben!" Wer gab euch Macht, euch also zu erftechen, Indem ich mich bedenkend noch verweile, Die heil'ge Ruhe dieses Otts zu stören?" Werd' mit Gewalt und Dräun ich fortgezogen; Doch hört' ich, kaum war dies vergönnt zu Der Weg ist wohl von einer halben Meile. sprechen, Die Sterne standen an des Himmels Bogen, Ein schrecklich Wort mir an das Ohr getragen Sonst war die Nacht von keinem Lichte heiter, Und stark wie Felsen durch das Herz mirbrechen. Und fernher tosten dumpf die Meereswogen. Es galt nicht weder Fragen mehr, noch Doch unsres Weges einz'ger, sichrer Leiter Klagen; War ferner Laut, wie ich ihn nie vernommen; Ich konnte meinen Willen nicht mehr regen, Denn schnell durchs Dunkel gingen die Be­ Denn selbst die Kraft des Wollens war zer­

gleiter. schlagen. Und als wir endlich näher nun gekommen Die Hülle fällt, und schon steht mir entgegen Dem Ziel der Reise, hielten die Gefährten; Das junge Brautpaar, harrend am Altare Und mehr und mehr ward mir das Herz be­ Und wattend auf den priesterlichen Segen, Das Mädchen mit dem frischen Kranz im klommen. Sie sprachen mit einander durch Gebärden; Haare Zwar schön, doch bleich, als käm' sie aus dem Drauf gaben sie den Augen eine Hülle, Wodurch sie nur die inn're Nacht vermehrten.

Ich wurde nun in meiner Seele stille

Grabe, Der Jüngling in der ersten Blüt' der Jahre.

Und wiederholte gläubig stets die Worte Und hinter ihnen weiter noch hinab Voll Trost und Kraft: „Herr, es gescheh' Sah ich beim hellen Schimmerglanz der Lichter

dein Wille!"

Im mittlern Gang ein frisch geöffnet Grab

317

Poetische Erzählung. Und nah' und fern ein Volk, das dicht und

dichter Sich wölkte, als es jemals sonst gewesen.

Und in

der Kirche war noch

schwacher

Flimmer; Doch bald drauf sah ich's dunkel drinnen

werden, Worin man glaubt'ein fernes Land zu lesen; Und es erstarb des Lichtes letzter Schimmer.

Es waren eigne, seltsame Gesichter,

Doch ihre Herkunft war nicht auszuwittern, So fremd und unbekannt war Tracht und

So

legt',

ermüdet von der Nacht Be-

schwerden,

Wesen. Kraftlos undschwach, um weiter noch zu wallen, Und alsbald hört' ich durch die Kirche zittern Ich eine Weile nieder mich zur Erden. So Orgelton, als sonderbare Klänge, Noch eine Weile, und ich hört' ein Schallen: Dergleichen auch den stärkstenSinn erschüttern. Es trug der Wind es von der Kirch' herüber, Und als verstummten Orgel und Gesänge, Es deuchte mir, als wär' ein Schuß gefallen, An Sprach' und Weise keinen zu vergleichen, Darob ergriff mich Schau'r und kaltes Sah ich zum Altar drängen sich die Menge, Fieber, Das Mädchen gegen mich sich fteundlich In allen Gliedem schien es mich zu packen;

neigen Ich sah noch einmal in die Nacht hinüber. Mit einem Blick, ich werd' ihn immer schauen! Dann wandt' ich eilig ihr die flücht'gen

Und dieser Blick schien mir ein willig Zeichen.

Hacken, Darob ergriff ich ohne Furcht und Grauen Und fliehend schnell durch Dornen, Schilf

Des Mädchens kalte, totenblaffe Hand,

und Moor,

Um sie dem schönen Jüngling anzutrauen. Als säße Tod und Hölle mir im Nacken, Wie war's, daß ich das Zittern nicht verstand, Kam ich vor meines Hauses offnes Thor. Als ihre Hand zu seiner sich gewendet? Dort warf der Schrecken mich gewaltsam Und warum knüpft' ich solch unselig Band? nieder; Kaum war der letzte Segensspruch vollendet, Doch früh am Morgen riß es mich empor. In griech'scher Zunge, wie man mir befohlen, Nicht Ruh, noch Rast für die zerschlagnen

So wurden mir die Augen neu verblendet, Glieder! Woraus sich Thränen nicht umsonst ge- Noch eh'die Sonn'emporstieg an dem Himmel, stöhlen. Stand ich schon vor der alten Kirche wieder. So schied mein Blick von der vermählten Braut. Verschwunden war der dunklen Nacht GeDann ließen sie ein Kruzifix sich holen,

wimmel;

Auf das ich mußt' mit heller Stimm' und Die Kirche färbte sich mit goldnem Saume,

laut Es legte sich der Sinne wild Getümmel. Ein ewig Schweigen dieser Nacht geloben Mir war's, als wacht' ich auf aus einem Mit einem Schwur, ob dem mir jetzt noch Traume! graut.

War es des heitren Morgens frische Kühle,

Dies war mir noch die härteste der Proben! Die alte Still' in diesem heil'gen Raume,

Und als auch diesen Zwang ich überstanden, War es der Trost der himmlischen Gefühle, Ward ich zur Kirche still hinausgeschoben. Die dieser Ort so ost auf mich ergossen Nun frei, löst' ich sogleich mich von den In mancher Leiden schwerer, banger Schwüle:

Banden,

Mir war die Nacht wie ein Gesicht zer-

So mir die Augen starr und fest umzogen, flössen, Die sich alsbald empor zum Himmel wandten. Aufs neue war das Herz dem Glauben offen, Die Sterne standen noch am Himmels- Und schon hatt' ich die Kirche ausgeschlossen, bogen, Der erste Punkt, auf den das Aug' getroffen, Sie sahen auf des alten Dorfes Trümmer, Ist jener Ort, wo ich das Grab erblickt;

Und näher brausten laut die Meereswogen, Ich gehe hin und öffn' es, stark im Hoffen,

Epische Poesie.

318

So tief ist mir das Zutraun eingedrückt! Ich öffn’ und finde, o ihr ew'gen Wunden, Ihr ew'gen Dolche, die auf mich gezückt! Die bleiche Braut, so ich dem Tod ver­ bunden! Warum hat euch, ihr allzutreuen Augen, Nicht schwarze Nacht auf immer gleich ge­ bunden ? O Herz, woran so viele Qualen saugen, Was hinderte dich, damals abzusterben? Ihr Lippen, die noch Lebensatem hauchen, Was hielt euch ab, euch damals zu ent­ färben ? O Kräfte, die allmählich mich zerstören, Was wehrt' euch, damals gleich mich zu ver­ derben? Und so viel' Jahre mußt' ich in mir nähren Das traurige Geheimnis, das mich quälet, Und so mir selbst den Weg zu Gott verwehren,

29.

Indes der Tod schon meine Stunden zählet Und vor mich stellt in jedem Schreckensbild Die Braut der Nacht, die ich ihm einst ver­ mählet! O selig jeder, welchem sanft und mild Aus reinem Sinn und ftöhlichem Gewissen In inn'rer Brust der Friede Gottes quillt! Und diesen Frieden mußt' ich lange missen! O Quell des Heiles, unerschöpster Born, Von dem der Gnade reiche Ströme fließen, Wend' ab von mir den lang' getragnen Zorn! Laß schlafen endlich, laß sich endlich brechen Des Herzens Not und des Gewisien Dom! Dir ziemt es, das Verborgene zu rächen, Und neigst dich auch des Sünders frommen Bitten. Laß diese Schrift zur femen Zukunft sprechen, Und nimm mich auf in deine ew'gen Hütten! _____ Schelling.

Die Sonne bringt es an den Tag.

Gemächlich in der Werkstatt faß Zum Frühstück Meister Nikolas; Die junge Hausftau schenkt ihm ein; Es war im heilem Sonnenschein. Die Sonne bringt es an den Tag.

„Auf der Wanderschaft, 's sind zwanzig Jahr', Da traf es mich einst ganz sonderbar; Ich hatt' nichtGeld, nichtRanzen, noch Schuh', War hungrig und durstig und zomig dazu. Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

Die Sonne blinkt von der Schale Rand, Malt zittemde Kringeln an die Wand; Und wie den Schein er ins Auge faßt, So spricht er für sich, indem er erblaßt: „Du bringst es doch nicht an den Tag."

Da kam mir just ein Jud' in die Quer, Ringsher war's still und menschenleer. Du hilfst mir, Hund, aus meiner Not: Den Beutel her, sonst schlag' ich dich tot! Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

„Wer nicht? was nicht?" die Frau fragt gleich, „Was stierst du so an? Was wirstduso bleich?" Und er darauf: „Sei still, nur still, Jch's doch nicht sagen kann, noch will. Die Sonne bringt's nicht an den Tag."

Und er: Vergieße nicht mein Blut. Acht Pfenn'ge sind mein ganzes Gut! Ich glaubt' ihm nicht und fiel ihn an; Er war ein alter, schwacher Mann. Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

Die Frau nur dringender forscht und fragt, Mit Schmeicheln ihn und Hadern plagt, Mit süßem und mit bitterm Wort, Sie fragt und plagt ihn fort und fort: „Was bringt die Sonne nicht an den Tag?"

So rücklings lag er blutend da, Sein brechendes Aug' in die Sonne sah; Noch hob er zuckend die Hand empor, Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr: Die Sonne bringt es an den Tag.

„Nein, nimmermehr!" „Du sagst es mir noch." „Ich sag' es nicht." „Du sagst es mir doch." Da ward zuletzt er müd' und schwach Und gab der Ungestümen nach. Die Sonne bringt es an den Tag.

Ich macht' ihn schnell noch vollends stumm Und kehrt' ihm die Taschen um und um; Acht Pfenn'ge, das war das ganze Geld. Ich scharrt' ihn ein auf selbigem Feld. Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

Poetische Erzählung. Dann zog ich weiter und weiter hinaus, Kam hier ins Land, bin jetzt zu Haus. Du weißt nun meine Heimlichkeit, So halte den Mund und sei gescheit.

Die Sonne bringt's nicht an den Tag. Wenn aber sie so flimmernd scheint,

So hatte die Sonn' eine Zunge nun; Der Frauen Zungen ja nimmer mhn. „Gevatterin, um Jesu Christ! Laßt euch nicht merken, was ihr nun wißt!"

Nun bringt's die Sonne an den Tag.

Die Raben ziehen krächzend zumal Nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl. Wen flechten sie aufs Rad zur Stund'?

Ich merk' es wohl, was sie da meint, Wie sie sich müht und sich erbost; Du schau nicht hin und sei getrost:

Sie bringt es doch nicht an den Tag."

30.

319

Was hat er gethan? wie ward es kund? Die Sonne bracht' es an den Tag. C h a m i s s o.

Franeias Tod.

Francesco Francia war zu seiner Zeit Italiens Stolz, gerühmt von allen Zungen Als Aurifex und Maler weit und breit.

Verbesi're du zugleich auch liebevoll, Wo selber meine Kunst zu kurz gekommen!

Dann stell' es auf, das Bild, da, wo es soll,

Zu ihm, dem Alten, ist der Ruf gedrungen Mit Liebe sorgend für das beste Licht, Vom jungen Römer, welcher sondergleichen Und nimm entgegen meines Dankes Zoll! Sich früh gar hohen Künstlermhm errungen. Dein Raphael." Der Meister schnell er-

Zwar konnt' er noch zu sehen nicht erreichen erbricht Ein Werk von ihm, doch haben sie geehret Die Kiste, zieht das Bild hervor und rückt Einander und gewechselt Freundschastszeichen. Es sich ins Licht und sieht und glaubt es nicht. Ihm wird die Freude jetzt, die er begehret. Er steht davor erschrocken und entzückt; Sieh, jener schreibt: „Mein Bitten werde mir Erfüllet ist, was seine Träume waren, Von meinem väterlichen Freund gewähret! Er fühlt sich selbst vernichtet und beglückt. Ich käme selbst, doch andres hält mich hier; „Heil mir! und Preis dir, Herr, der offen­ Mein Bild für die San Giovanni-Kapelle, baren

Die heilige Cäcilia, send' ich dir. Du solches noch gewollt in meinen Tagen! Vertritt, mein lieber Meister, meine Stelle, 9lun laß in Frieden deinen Diener fahren!" Sieh helfend nach, ob Schaden es bekommen, Die Jünger hörten ihn die Worte sagen, Ein Riß, ein Fleck das zarte Werk entstelle; Den letzten Laut aus seinem frommen Munde. Und hast den Pinsel du zur Hand genom­ Nicht Antwort gab er mehr auf ihre Fragen. Es war des alten Franeias Sterbestunde. men, Charnisso.

31.

Eppelin von Geilingen.

Nun sitzt du fest! Nun sitzt du gut, Nun hat man dich, o Eppelin, In Nümbergs Bann, in sichrer Hut!

Von Dütendrehern, Pfeffersack, Von Mönchshabit und Gänsekiel? Nimm dich in Acht! Die Kutte siegt,

Nun sollst du nicht mehr uns entfliehn, Du hast aufs Jus dich schlecht verstanden Der unsre Felder oft verbrannt, Der Schreiber schreibt, und wieder liegt Der Mönche Graus, der Krämer Schrecken! Simson in der Philister Banden! Nun mußt du, Ketten an der Hand, Hast du das Pochen nicht gehört Auf ein verfaultes Stroh dich strecken! Die Nacht hindurch dicht hier am Platz? Was murrst du noch von Krämerpack, Das dich im Dunkeln überfiel,

Du meinst, dich hätt' es nicht gestört,

Geschlafen hätt'st du „wie ein Ratz?"

320

Epische Poesie.

Nun hüt' dich Gott, verlorner Mann! Der Morgen tagt, die Hämmer schweigen,

Rauh war's und zottig überall, Sein Auge matt, sein Haupt gesenkt;

Der Galgen steht! Nun schick' dich an, Die schwanke Leiter zu besteigen!

Doch wie es seinen Herren sah Und seine Stimme hörte rufen: Laut wiehert' es vor Freuden da

Die Ratsherrn standen nicht zu nah, Auch keine Waffe trug er mehr, Und doch, da man ihn kommen sah, Ein Frösteln gab es ringsumher.

Er aber sah sich trotzig um,

Und schlug den Grund mit starken Hufen. Es spitzt das Ohr, es beißt den Zaum,

Die Mähne steigt, das Auge blitzt, Indes die Nüster Dampf und Schaum

Den Galgen maß er mit den Blicken.

Wie weiße Blütenflocke spritzt; „Gott's Kreuz und Stern! 's ist doch zu dumm, Los reißt es sich, bricht aus in Hast, Mich an ein solches Holz zu schicken." Springt im Galopp in weitem Kreise, Dann vor dem Herrn hält es gefaßt Drauf, weil den armen Sündem gern Ein letzter Imbiß wird beschert,

So auch von Nürnbergs weisen Herrn Ward ihm ein letzter Trunk verehrt.

Der Bürgermeister in Person Kredenzte selbst den goldnen Becher,

Er dachte: Einmal thu' ich's schon, Dann aber ist's vorbei, Herr Zecher.

Der aber rief: „Was soll das Ding? Ich trank fürwahr des Weins genug, Da ich noch reiche Krämer fing

Und schmeichelt ihm nach Hündchenweise. Des freut Herr Eppelin sich baß, Nicht Tonnen Goldes nähm' er da; Ja, fast das Auge ward ihm naß, Als er sein Rößlein wiedersah. Rasch in den Sattel schwang er sich:

Die Ratsherrn selber mußten sagen, Daß edlem Ritter sicherlich Niemals ein edler Roß getragen.

Und Klosterkeller noch zerschlug. Der Teufel lohn' euch euren Schmaus,

Und wie er saß auf hohem Roß, Blickt in die Lande weit hinein, Dort dicht am Wald, das ist sein Schloß,

Doch wollt ihr Gutes mir erzeigen, Wohlan, so führt mein Roß heraus

Es blinkt und winkt im Sonnenschein!

Und laßt's noch einmal mich besteigen! Was einem Ritter solch ein Tier, Euch freilich ist es unbekannt, Auf Holz und Leder reitet ihr,

Und wie gemach das Thal entlang Die langentwöhnten Blicke schweifen,

Fühlt er des Lebens süßen Drang Noch einmal seine Brust ergreifen.

Statt Schwert die Feder in der Hand; Mich aber trug Jahr aus Jahr ein

Im Sattel hebt er sich empor, Er mißt die Mauer ungesehn, Er flüstert in des Rößleins Ohr,

Es treu durch tausend Fährlichkeiten; Drum, muß es denn gehangen sein, So laßt zum Galgen noch mich reiten!"

Das scheint ihn wiehernd zu verstehn. Die Ratsherrn sahn sich schmunzelnd an,

Die Ratsherrn wurden blaß und rot, Sie steckten ängstlich Kopf an Kopf, Bis einer sprach: „Es hat nicht not,

Die strengen Mienen wurden heiter. „Das nenn' ich reiten, Herr Kumpan! 's ist Schad' beinah' um solchen Reiter!"

Und wie das Volk noch lauschend stand,

Vergönnen wir's dem armen Tropf! Ich schob die Riegel selber zu,

Bewund'rung jedes Angesicht, Der Henker selbst, den Strick zur Hand,

Auch sind die Angeln neu beschlagen, Die Mauer mißt bei zwanzig Schuh:

Er wehrte sich des Beifalls nicht, Ein Satz, ein Sprung! Und hoch im Nu,

Herr Bruder, topp, es läßt sich wagen."

Als hätten Flügel ihn gehoben! Schon kommt das Roß, das stand im Stall, Die Mauer maß bei zwanzig Schuh, Gefüttert schlecht und schlecht getränkt, Auch war der Riegel vorgeschoben.

Poetische Erzählung.

321

Das war ein Lärm, der war nicht schlecht! Und sehn noch just im Morgenlicht Die einen blieben sprachlos stehn, Nach seinem Schloß ihn friedlich traben!

Die andern kamen eben recht, Dem Ritter frisch und wohl zu sehn,

„Die Nümberger henken keinen nicht, Es wäre dann, daß sie ihn haben." Prutz.

32.

Der Räuber und das Kruzifix.

Auf dem öden Scheidewege Hinterm hohen Kruzifixe

Mit dem Säbel in dem Gurte, in der Hand die gute Büchse, Steht der Räuber, stumm und lauernd, und des Auges dunklen Strahl Läßt er rasch wie einen Falken abwärts fliegen in das Thal; Denn den Kaufmann will er fangen, der aus weit entlegnen Ländern

Heut zurückkehrt zu den Seinen, reich an Gold und Prachtgewändern; Und was mühsam er erworben auf der Wandrung nah und fern, An dem Räuber, dem gewalt'gen, find't es plötzlich seinen Herm. Abend wird's, die Steme flimmern; mit dem Säbel und der Büchse, Stumm und lauemd, steht der Räuber hinterm hohen Kruzifixe. Horch, da tönt's wie Engelsstimmen!

Leise Seufzer, laute Klagen

Kommen hell wie Abendglocken durch die stille Nacht getragen! Süß, mit ungewöhnten Tönen stiehlt Gebet sich in sein Ohr, Und er steht und lauscht verwundert hinterm Kruzifix hervor. Alle sind's des Kaufmanns Kinder in der Jugend Blütejahren, Braunen Auges frische Knaben, Mägdelein mit blonden Haaren; Dicht beim Räuber vor dem Kreuze beugen betend sie das Knie, Für die Rückkehr des Geliebten, ihres Vaters, flehen sie: „O du Schirmvogt der Verlasi'nen, Hort und Pflege du der Waisen, Laß den Vater, unfern teuern, ungefährdet heimwärts reisen! Den du fteundlich schon geführt hast durch die Wüste und das Meer, Breit' auch nun die holden Arme mit zween Flüglein um ihn her, Daß kein Sturm ben Pfad zerwühle, daß kein Irrlicht ihn umschwirre, Daß sein gutes Roß nicht strauchle, nicht sein Fuß vom Wege irre, Daß kein Räuber, stumm und lauemd, in der Waldschlucht ihn entdecke, Kein Senat den Heimgekehrten an der Schwelle niederstrecke!"

Also flehten sie; der Räuber hört' es hinterm Kmzifixe, Schnallte fester noch den Säbel, spannte schärfer noch die Büchse. Und der Jüngste niederknieend hub noch einmal an zu lallen:

„Lieber Hen! Ich weiß, die Amme sagt' es mir, du hilfst uns allen, Jeden Hauch vernimmst du droben; freundlich wie das Sonnenlicht Über alle, Gut' und Böse, neigest du dein Angesicht;

Gieb den Räubem, den gewalt'gen, die da schwärmen auf den Wegen, Gieb ein Haus, darin zu wohnen, einen Vater, sie zu pflegen, Warme Kleider, blanke Schuhe, Wein und Speise mancherlei, Daß sie nicht zu rauben brauchen und der Vater sicher sei! Wüßt' ich, wo ein Räuber wäre, ging' ich zu ihm ohne Beben; Dieses Kettchen hier am Halse, diesen Ring wollt' ich ihm geben, Meinen Pelz, den scharlachroten, dieses Plätzchen auch dazu;

Nimm dir alles, lieber Räuber! Nur den Vater schone du!" Dielitz u. Heinrich-, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aufl.

21

Epische Poesie.

322

Und der Räuber hört den Knaben Hinterm hohen Kruzifixe, Nach dem Säbel faßt er schweigend, schweigend faßt er nach der Büchse. Da von ferne hört er's nahen. Roffe schnauben, Räder Inanen, Mühsam aus des Thales Grunde schwankt herauf der hohe Karren,

Und den Säbel zieht der Räuber, richtet langsam, stumm die Büchse; Und so steht er, lauscht und zielet Hinterm hohen Kruzifixe. Niederknieen noch die Kinder. „Herr! um unsres Vaters Leben — Laß, o laß die holden Arme wie zween Flügel ihn umschweben,

Daß sein gutes Roß nicht strauchle, nicht sein Fuß vom Wege irre, Daß die Kugel nicht des Räubers mörderisch sein Haupt umschwirre!"

Und der Vater kommt gefahren ungefährdet, wie sie flehn, Drückt die Kinder an den Busen, und kein Räuber ward gesehn. Nur den blanken Säbel fand man, nur die scharf geladne Büchse;

Beide waren ihm entsunken hinterm hohen Kruzifixe.

33.

B o I e s l a v.

Es schwur der Polen König zorngesinnt:

Wohlan,

es

sei!

und was begehrt ihr

Sold's? „Vertilgen will ich sie mit Weib und Kind; In ihrem Sumpf ersticken soll ihr Stamm, Seid ihr's zufrieden, fünfzig Stücke Gold's?" Von ihremDasein schweigen soll der Schlamm!" Sie sprachen! „Jedem!" aber er: „Zum Pfand Der König ruft; die Fürsten haben's acht, Steht euer Leben, wißt, in meiner Hand!" Es sammelt sich der Polen Heeresmacht, Sie schlugen ein. Sie führten all sein Heer Um Preußens Heidenvolk mit einem Schlag Durch Sumpf und düstre Waldung kreuz und Ganz auszurotten von der Erde Tag. quer, Das war am Offafluß. Da treten zwei Den Wald zur Rechten, aber links das Moor, Betagte Männer vor den König frei. Draus stieg ein giftig dumpfer Qualm hervor. „Du großer Polenkönig Boleslav,

Es freut uns, schlägst du heut die Preußen brav!

Undank erfuhren wir in ihrem Schoß.

Da sprach der Polenkönig zorngesinnt: „Schafft mir hieher das Preußenvolk ge­

schwind ; Du findest durch die Sümpfe nicht den Weg, Denn dieses schiene mir der rechte Ort, Daß ich dem Volk der Preußen hielte Wort." Wir aber kennen jeden Pfad und Steg. Wir sind mit dir, die Rache werde groß!

„Herr, wir sind Preußen! Pfui des schnöden Doch, König, merk's, wir wagen Ehr' und Sold's! Glück, Wir dürfen nie ins Preußenland zurück —" Sieh, hier sind deine hundert Stücke Gold's!" Er sprach: „Ich weiß, das Alter geizt nach Die säten sie hohnlachend in den Sumpf, Und wie sie fielen, fcholl's im Moore dumpf. Gold; Sie sprachen! „Unser Leben steht zum Ihr meint, ich soll euch zahlen teuren Sold!"

Sie sprachen:

„Herr, der Preuße haßt

Verrat, Verfluchen würd' er uns um solche That."

Pfand, Nimm's, wenn du willst, es steht in deiner

Hand; Er sprach: „Seid ruhig, meinem Schwert Denn wiffe, wir bekämpften dich mit List, Da greiser Arm zu schwach zum Kämpfen ist. entrinnt

Kein Preuß' und Preußenweib und Preußen­

kind.

Du und dein Heer, ihr seid in Todes Schoß! Heraus! hervor! Die Rache werde groß!"

Poetische Erzählung. Der König schweigt und starrt, sein Knie er­ bebt, Allein der Wald beweget sich und lebt.

323

Da frommt kein Schild und widersteht kein Damm, Die Polen alle müssen in den Schlamm.

Als ob die Blätter würden Zungen all', ES sinken Roß und Mann und Fürst und So tönt hervor vieltausendstimm'ger Schall; Heer, Als ob die Zweige würden Schwert und Speer, Und ragt kein Zeichen, weder Helm, noch Speer. So tritt auf einmal aus dem Wald ein Heer. _____ Gruppe.

34.

Die Exekution.

„Wer da wiederbringt den Deserteur,

Mein Gläub'ger dränget mich aus Hof und

Dreißig preuß'sche Thaler sein Douceur!" Vorgetrommelt ward's der Kompanei;

Haus, Zahl' ich nicht stracks ihm seinen Glauben aus.

Pfeifend in die Trommelmelodei Aber macht ein jeder Kam'rad sich

Ich kann's doch nun und nimmermehr erwerben

Seinen Text noch zu absonderlich, Als da lautet: „Dreißig Schweden mir,

Aber sechsmal Gassenlaufen dir! I, so lauf, so weit der Himmel blau,

Und muß an dreißig Thalern ganz verderben. Da dachten wir in unsres Herzens Drang: Es ist doch unser Vater lebelang!

Und dachten auch: Ein graues Leid ist hart, Und Herz nicht haben, kein' Soldatenart.

In der Nacht sind alle Katzen grau!" Davon noch laufen soll der alte Mann? Und alle melden, die da kommandiert: Viel lieber laufe, wer noch laufen kann. „Der Deserteur, Herr Hauptmann, ist chap- Soll einer laufen, nun so laufen wir; Wir losen, Bruder, drum, dir oder mir! piert." Nur einer spricht: „Ich bring' den Deserteur!" Und machten Lose nach Soldatenbrauch, Und bringet seinen eigenen Bruder her. Zwei Stück, ein weißes und ein schwarzes auch, „Schwer Geld!" spricht der Kap'tän beim Weiß, der für seinen Vater läßt sein Blut, Dreißigzählen. Schwarz, der Verräter ist um schnödes Gut; Und jener spricht: „Herr Hauptmann, zu be­ Und nun, Herr Hauptmann, halten's mir zu fehlen !" Gnaden! Der Bruder durch die heiße Gaffe läuft, Wie es nun weiter kam, das zu erraten, Daß ihm der blut'ge Schweiß vom Leibe traust, Ist keine Hexerei. Doch wie's mir flog Und als er durchgelaufen dreimal schon, Hier unterm Knopf, als ich den Judas zog, Da tritt sein Bruder in die Exekution. Das soll mit Permission von Euer Gnaden „Herr Hauptmann," spricht er, „halten's mir Kein Schurke weiter wohl erraten. zur Gnad', Wie Gott will, dacht' ich, saßt' mein Herze fest, Spricht ungefragt ein Wort mal der Soldat. Daß es mich nicht in schwerer Not verläßt; Ihr wollet mich die andern dreimal Gaffen Nun bricht's mir doch in tausend Stücke hin,

In Gnaden für den Bruder laufen lassen." Dieweilen ich sein lieber Bruder bin." „Packt's, Kerl, dich an in deiner armen See­ Der Hauptmann sprach! „Mein Sohn, dei len?" Deserteur Und jener spricht: „Herr Hauptmann, zu be­ Kriegt sechsmal und du das Douceur; fehlen ! Wie die Artikel lauten, so geschieht's, Herzvater schrieb ein Schreiben an uns beid', Und daran ändert auch kein Teufel nichts; Klein war der Brief, doch groß das Herze­ Doch hat's damit nicht allzugroße Eile.

leid: Gemeldet werd' der Kasus mittlerweile Verschuldet ist durch Krankheit, Not und Gram Ins Hauptquartier an Seine Majestät, Um ganze dreißig Thaler mir mein Kram;

Dieweil da Gnade gern vor Recht ergeht." 21*

Epische Poesie.

324

Und Seine Majestäten resoluteren: „Executiones weiter nicht zu ex'kutieren;

Wird's auch fürs Vaterland nicht unterlassen. Und da ein gut Exempel förderlich,

Wer für den Vater also macht die Gaffen,

Seind Korporals sie beide.

_____________

35.

Friederich." Scherenberg.

Die Jagd des Mogul.

Von dem persischen Pfühl in dem Purpur­

zelt Sprang säbelumgürtet der Herr der Welt.

Und der Wald ward dicht und schwarz das

Grün Und prächtig des Palmdachs Baldachin.

Wie die Schlünde der See bei des Nordsturms Durch das Rankengewirr, da kam es gesetzt, Und es schnarchten die Pferde und standen Nahn, zuletzt, Den Odem zogen die Krieger. Denn der Mogul ging zum Jagen. Und der Fürst hielt vorn, in den Bügel Und es tanzte der Hmgst über knirschenden gestemmt. Sand, Doch die Zunge heraus und den Schweif ge­ Doch schwer hinstampste der Elefant

So erlösten die Thäte von Hindostan,

klemmt, Das gelbliche Fell schwarzrot gestreift schmückt, Und des Turmes Gebälk war lanzengespickt Und das gelbliche Aug' blutrot gereift, An sprang den Kaiser der Tiger. Und sein Dach mit Schilden beschlagen. Hoch bäumte der Hengst, von der Schaufel Und die Zeltwand fiel, und der Kaiser er­ gepreßt, schien. In den Staub hin sanken die Völker um ihn, Doch es saß das Getier und krallte sich fest; Wie ein Wandelgebirg, mit dem Turme ge­

Tief beugte sein Knie der Elefant, der Fürsten Stirne ward wund Sand, Und es zitterte Sklav' und Rajah. Und

im

Doch im schnellen Satz auf sein perlfarb'

Schwer stöhnte das Roß in des Raubtiers Druck, Und es riß sein Fell von der Pranken Ruck,

Aus den Höhlen quollen die Lichter. Doch der Kaiser saß fest, das Haupt nach

vorn, Tier Von des Negers Genick sprang Dsche-Khan- Seinen seidenen Bart auf sträubte der Zorn; Wild ward der Tiger und wilder der Khan, Gir;

Es erglänzte der Fürst wie des Gen Haupt, Und entsetzlich war's, wie sie an sich sahn das Donnergewölk tief unter ihm In die funkensprüh'nden Gesichter.

Wenn

Hin stürzte der Hengst und der Tiger mit ihm, schnaubt Doch der Kaiser lag fest auf dem Ungetüm, In den Schlünden des Himalaja. Sein geschmeidiger Leib war goldbeschuppt Und sie lagen im gräulichen Ringen gesellt, Und in Scharlachgeweb' der Schenkel ver- Und die heulende Bestie würgte der Held; Doch lautlos standen die Krieger. luppt, Es erhob sich kein Arm, und kein Stahl All Sattel und Zaum mit Perlen gezackl ward bloß; Und der Säbelgriff ein einz'ger Smaragd, Da rief ein Scheich: „Ich wage den Stoß, Der Goldhelm reiherbefiedert.

Und der Goldstoff rauschte, die Feder stob, Ich wage den Stoß und befreie den Khan." Und der filberbeschlagene Schimmel schnob; Und er zückte den Dolch, da war's gethan: Wie die Schlange, die lange sich stumm ge­ Er hatte erstochen den Tiger. Auf kochte der Fürst wie ein Wirbel der ballt,

So rasselte durch den Palmenwald Der Jagdzug, farbig gegliedert.

Flut, Seine Nüstern dehnte die schnaubende Wut,

Poetische Erzählung.

325

Ein flirrendes Rad und ein pfeifender Streich, Und locker ward ein jedes Genick, Und er sprach, und sein Säbel war noch Und über den Tiger hin sank der Scheich;

nackt: Sein Kopf entrollte mit Zucken. Krumm wurden die Rücken und scheu der „Da, wo der Löwe den Tiger packt, Da soll der Hund sich ducken!" Blick, Strachwitz.

36.

Psaumis und Puras.

„Wer zuerst gefaßt den Enterhaken,

Der am Strand hin, der im Myrtenwalde;

Keiner denkt der Seinen, jeder sinnt nur, Wie er Leid auf Leid am höchsten türme, Wie den andern er am tiefsten kränke. Komm nun, Psaumis, komm und nimm mir, Nur gefolgt von zweien seiner Krieger Um den Klippenrand hin wandelt Puras. nimm mir All' die Waffen Mehons! Nimm den Säbel, Fliegt sein Blick hinauf zur Felsentreppe, Gürt' ihn um dir! Nimm die bunte Flinte, Wo aus uneinnehmbar hoher Grotte Nimm das ganzeSchiffmir, nimm es, nimm es, Psaumis' junge Gattin niedersteiget;

Wer zuerst in Mehons Schiff gesprungen, Wer allein ihn in den Grund geschmettert, Jeder weiß es hier im Volk von Maina!

Nimm's und trag' es deinem Weib ins Haus Nieder steigt sie, allen Streit zu sühnen. Aber Puras rufet die Gefährten, hin! Nimm ganz Maina, wirf es in den Schoß Läßt sie rauben und, hinabgetragen, ihr! Ruhig werd' ich zuschaun, ungereget, Ungeregt wie jener Turm der Klippe!

In ein Boot sie schleppen, springt hinein dann. „Schnell hinüber," ruft er, „schnell hinüber Zu der Reede, zu dem Sklavenkäufer! Schwinden wird vor Gram der stolze Psaumis,

Doch es wird dereinst sich Puras rächen, Nicht wie schwache Kinder, nein wie Puras!" Hört er, wie sein Weib als Sklavin dienet!" Puras spricht's und wirft die Waffenbeute, Schreien vor Entsetzen will die Schöne; Die von Gold und Prachtjuwelen schimmert, Doch man hält den Dolch ihr dicht ans Auge,

Bis sie stumm wird gleich dem Bild von Marmor. „Schmähend vor die Füße wirfft du, Puras, Leicht, beschwingt von schnellen Ruderschlägen, Mir die Waffen, die mit Blut erkämpften, Teilt der Kiel die purpurblaue Meerflut. Die geteilt ich wollte? Wiffe, Puras,

Zu den Füßen Psaumis', der entgegnet:

So beschmähte Schenkung nimmt kein Psau­ Als zum Sklavenkäufer sie gelanget, Nimmt ihr Puras vom Gesicht den Schleier, mis! Bietet sie zum Kauf für neunzig Goldstück'. Liegen mögen sie am Strand und faulen, Faulen samt dem Schiff, das wir erbeutet! „Nicht zu tadeln ist sie," spricht der Fremde, Geh' und droh' mir! All dein Drohen ist mir „Nicht zu tadeln, doch von Psaumis kaust' ich Eben eine Schön're für die Hälfte." Jene Welle, die vom Stein herabtrteft! Aber wahr' vor mir dich: Psaumis' Feindschaft Da erzitterten die Kniee Puras'. Wird im heilen Leib das Herz dir treffen!" „Laß sie schaun, die du gekauft von Psaumis!" Trauernd rings um­ „Schau! Sie liegt am Boden hier in Ohn­ macht, drängt ihn Bleich von Schrecken; doch sie rötet bald sich Mainas Volk; die Krieger und die Greise Mühn umsonst sich ab, den Haß zu sühnen. Wie das Blatt der jungen Frühlingsrose." Als nun Puras hinschaut, füllt sein Auge Aus einander trennen sich die Führer,

Psaumis spricht es.

Schwarzes Dunkel, und das Herz erstarret, Scheiden ihre Krieger, ihre Schiffer, Wie er seine Gattin schaut als Sklavin. Und die Beute dort am Ufer lassend, Wild die Locken schüttelnd, wandeln jetzt sie, Wo die Seele Puras' war, wer sagt es?

Epische Poesie.

326

Aber zu sich selber sprach die Seele: Wahrlich, Psaumis trifft im heilen Leibe

Dir das Herz, wie er vorhin gedrohet! Als die Seele Puras' nun zurückkam, Blickt' er auf, als sönn' er einen Anschlag, Spricht zum Fremden: „Schön ist die Ge­

Freudig rings herzu das Volk von Maina.

Aber PuraS hebt das Haupt und rufet: „Auf nun, Psaumis! auf, ihr meine Freunde, Auf, zu Schiff! Der Fremde spannt die Segel; Zeigen wir ihm schnell ein Schiff von Maina!" Ha, wie rührt sich alles nun am Strande, Auf dem Schiff im Tauwerk, auf den Masten,

kaufte, Schön; doch die ich bringe dir, nicht minder; Auf den Rahen! Alle Segel fliegen, Und im Winde schwebt das Schiff; Nimm sie für den Preis, den du geboten I

wie

Mir nicht, gieb das Geld dort meinen Leu­

Schwalben Nur der Wogen weiße Spitzen rührt es, ten!" Als nun Psaumis' Gattin so verkauft war Tragend Psaumis und den kühnen Puraö. Und entwandet in das Schiff als Sklavin, Bald erjagen sie des Fremden Fahrzeug, Rufen schnell hinüber durch das Sprachrohr: Rufet Puras: „Nun, du Sklavenkäufer! „Nimm das Gold zurück, das du gezahlet! Auf die Segel! Flieg' in alle Winde, Daß von Maina dich kein Schiff erreiche!" Gieb heraus die Frauen, gieb heraus sie!" Doch der Überkühne nicht mit Worten, Nicht versteht der Fremde diese Drohung;

Aber Puras jaget nach dem Ufer, Mit beschwingtem Ruder nach dem Ufer, Wo bereits die Kunde sich verbreitet Von des Psaumis That und der von Puras.

Mit Kanonen donnert er die Antwort. Ha, wie jagt da das Mainottenschiff ihm Dicht hinan mit gleichen wilden Donnern! Es verwickelt sich mit jenes Schnabel; AIs er nun ans Land springt jähen Sprunges, Mutig wehrt der Feind sich; doch sein Schiff ist Schnell entgegenkommt ihm, tritt ihm Psau­ Bald erklettert und zu Grund zerschmettert; Überall hin treiben seine Planken. mis. Heimwärts mit den Weibern ziehn die Sieger; Staunend vor einander stehn sie, starren Jubellaut empfängt am hohen Strand sie. Aug' in Aug' sich an. Gedenkend beide,

Wie sie sich vordem nur Holdes thaten, Wie sie jetzt das Bitterste gethan sich, Starren lange sie, bis beider Augen Sich mit Thränen füllen, bis sie weinen, Bis sie sinken Herz an Herz. Da drängt sich

Und ein Feuer schüren sie am Strande Mächtig, übergroß und überprächtig; Puras selbst und Psaumis tragen Brände, Zu verbrennen jene Feindeswaffen, Mehons Waffen, die den Streit erreget! Kopisch.

37. El» Weihnachtsfest. Sie stehen beid' in Trauer, Das edle, greise Paar, Und denken, wie vorm Jahre

Sie haben heute wieder Die Kerzen angebrannt; Im Auge schwamm die Thräne,

Der Weihnachtsabend war.

Leis' zitterte die Hand. Dort vor dem Bild des Gatten

Da stand im Glanz der Kerzen Ein hoher Offizier, Sein junges Weib am Arme, So selig lächelnd hier. Da jauchzte neben beiden Mit lautem Jubelton

Hell unterm Tannenbaume Der kleine Enkelsohn.

Steht jetzt in stiller Schau Im schwarzen Witwenkleide Die blaffe junge Frau. Da springt mit hellem Jauchzen Der Knabe in den Saal;

Da ist's, als ob erwache Ein goldner Sonnenstrahl.

Poetische Erzählung.

327

Und durch die Herzen tönt es: Wohl dem, der nicht vergißt, Heut sei auf Erden Freude, Wie sie im Himmel ist! Dyherrn.

Wie ist das Weh versunken In tiefe Nacht zurück! Wie steigt das Bild der Zukunft Auf vor dem Hellen Blick!

W i ck h e r.

38.

Wickher, ein deutscher Lanzenknecht. Durch Palästinas Berg' und Thale, Ward's manchem heiß im Sonnenstrahle.

Es springt an den Schild mit der Krallentatze. „Ei," rief der Knecht, „verfluchte Katze!" Und rüstig spaltet er sogleich Des Tieres Haupt mit einem Streich. Voll Schmerzen brüllt's zum letzten Mal, Und röchelnd stürzt es dann zu Thal.

Die Rüstung, die der Recke trug, Drückt ihn und seinen Gaul genug;

Der Deutsche sieht's mit kaltem Blut; Da scheint der Pelz ihm gar zu gut,

Da dacht' er an den grünen Rhein Und seinen kühlen, goldnen Wein.

Er trennt ihn sauber mit dem Schwert Und legt ihn hinten auf das Pferd.

Und wie er dachte, wie er träumte, Kam's, daß er hinter dem Zuge säumte.

Der Abend kam indes heran, Und weiter zog der deutsche Mann.

Er sprach: „Die Hitze drückt zu sehr, Zur Nachtzeit hol' ich ein das Heer."

So kam er in ein Dorf geritten, Da liefen die Leute aus den Hütten

Und legte sich in die hohe Heide; Das Pferd erlabt sich auf der Weide. Doch will ihn kaum der Schlaf umhüllen,

Und staunten an die zottige Haut, Riefen ihm zu und jubelten laut, Sagten, nun wäre die Gegend stet,

Da störet ihn ein furchtbar Brüllen, Und sieh, es stürzt ein mächtig Tier

Er hab' erlegt den großen Leu.

Fern von des Rheines Heimatstrand

Zog ins gelobte, heil'ge Land Mit Gottfried Bouillon schlecht und recht

Als er die Männer höret sagen, Daß er der Tiere König erschlagen,

Aufs Rößlein aus dem Waldrevier. Der wackre Deutsche war nicht faul,

Von beffen Mut und wilder Stärke Er liebte seinen treuen Gaul, Man ihm erzählt viel Wunderwerke, War gleich bereit, mit Schild und Schwert Da wendet sich der Knecht fürbaß,

Zu kämpfen für das gute Pferd. Kaum sieht das Tier den kecken Mann, Läßt es das Roß und fällt ihn an. •

Da sieht er wehn die langen Mähnen, Dazwischen den weiten Rachen gähnen; Die Augen blitzen wie Feuer hell, Der Leib ist stark, die Füße schnell;

39.

Der längst den harten Strauß vergaß, Besieht die Haut sich für und für. „Eine gelbe Katze schien es mir. Längst hätt' ich gern den Leu gesehn,

Nun ist's mir schier im Traum geschehn, Daß ich gar einen hab' erschlagen!" Und ritt voran mit gutem Behagen. Wolfg. Müller.

Magyarentod.

Wer sprengt selbem auf dem windschnellen Roß,

Verfolgt von dem jauchzenden Türkentroß? Das ist der Dobozi, der Ungarheld, Zur Seite das Weib, seiner Liebe Welt. „Nur jetzt noch halt' aus, du mein treues Pferd, Und rette mir, die über alles mir wett!

Epische Poesie.

328

Nur jetzt noch halt' aus in der höchsten Not, Sonst ist sie verfallen dem grausen Tod!" Hui, geht es dahin im gestreckten Lauf, Die Eb'ne hinunter, die Hügel hinauf. Als hätt' er verstanden des Reiters Wort,

So jagt mit den beiden der Rappe fort. Wie weit doch dahinten schon blieb der Troß!

Da strauchelt auf einmal, da stürzt das Roß. Helf' Gott nun, du wack'res Magyarenpaar,

Nun bist du verfallen der wütenden Schar! Umsonst ringt Dobozi sich rasch hervor, Umsonst reißt das Roß er am Zügel empor.

Die Gattin nicht rettet dir mehr sein Huf, Schon nahen die Würger mit Jubelruf. Entgegen starrt ihnen Dobozi voll Wut, Das Auge durchzuckt der Verzweiflung Glut. Allein voll Ergebung in ihr Geschick Liegt dort die Gefährttn mit nassem Blick.

Seine Kniee umklammernd gar hastig und wild, Fleht nun zu dem Helden das treue Bild:

„Dobozi! jetzt rasch mir den Säbel ins Herz; Von Liebeshand sterben bringt weniger Schmerz!" Da sprenget die Rotte heran an die Heid', „Dobozi! Dobozi! Jetzt ist es Zeit." Da blitzet ein Säbel, da springet ein Quell Des Bluts aus dem Busen rubinenhell. Wie ein Todesengel der Ungar mäht, Daß ein Blutbach über die Heide geht; Da fällt er und rufet, im Blute rot: „Es war doch ein edler Magyarentod!" Vogl.

40.

Karl XU. und der pommersche Bauer Müsebäk.

In seinem Zelt vor Bender sitzt Karl der Zwölfte M, Kein Schach ihn mehr zerstreuen, kein Buch ermuntern will;

Von aller Welt verlaffen, versagt in seiner Not Der Türk' dem trotz'gen König gemach schon Fleisch und Brot. Vergebens mahnet Düring: „Gieb deinen Feindm nach!" Vergebens Rosen: „Fliehe, o Held, dein Ungemach! Was sitzest du und sinnest wie ein vergrämter Aar Im Horst von Folge-Fonde und trotzest der Gefahr? Mach' auf die edlen Schwingen und aus dem Sonnenbrand

Zieh' heim ins kühl umwogte, geliebte Vaterland! Da sammle wieder eilig die alte Kraft zuhauf Und gehe wie das Nordlicht in blut'gen Striemen auf!" Doch trotzig spricht der König: „Schweigt!

Ihr erlebt es nie,

Daß ich vor Türkenhunden wie eine Memme flieh'!

Poetische Erzählung. Wohl sehnt sich Nordlands Wogen mein Herz wie eures zu, Doch sterb' ich, eh' ich weiche und Achmets Willen thu'!" Da naht der Kanzler Müller: „O Herr, dein Häuflein schreit, Gedrückt von bittrem Hunger; womit erhalt' ich's heut?" „Schießt die Araberroffe des Sultans Achmet tot! Da habt ihr Fleisch, und hier ist mein eignes, letztes Brot!" Der Kanzler geht mit Thränen. Bald krachet Schuß auf Schuß.

Der König hebt das Auge voll Sorge und Verdmß, Denn sieh', man führet schonend sein Leibroß ihm zurück; Drum greift er zur Pistole im nächsten Augenblick — „Halt, halt!" — und setzet grausam den Lauf ihm hinters Ohr. Nie brachte je Arabien ein schönres Tier hervor.

„Ach, schießet nicht!" ruft Rosen, ruft Düring; doch er schoß, Und ächzend stürzt zusammen ihm sein erlauchtes Roß. „Glaubt ihr, ich solle hungern?" fragt bitter lächelnd er, Derweilen alles schreiet: „Was macht ihr, gnäd'ger Herr?" Doch, gleich als ahnt' ihm düster schon jetzt sein gleich Geschick, Hebt von dem Roß er lange nicht den bewegten Blick,

Setzt bald sich drauf, wie wenn es ihn unsichtbar ergreift, Indes das Blut des Tieres ihm in die Stulpen läuft, Und wühlet mit den Sporen im Sande hin und her Und blicket nicht vom Boden und seufzet oft und schwer. Da kommt auf hagrem Klepper ein Bauer hergetrabt Im blauen, wollnen Wamse, zerfetzt und abgeschabt, Mit rundem Hut und Troddeln um sein gestiefelt Bein. „Glück zu!" ruft Rosen, „Freunde, das muß ein Pommer sein!" „Wo find' ich hier den König?" der alte Bauer spricht Und sitzet ab und wischet den Schweiß sich vom Gesicht. „Da sitzt er auf dem Rosie, geh' mutig nur hinan!" „Gott grüß' euch, edler König! Ihr seid wohl schlecht daran?" Der König hebt das Auge. „Wer bist du und von wo?"

„O Herr, ich bin ein Bauer vom Dorfe Kumerow Bei Wolgast, eurer Stadt dort im fernen Pommerland, Und heiße Müsebäk und bin an euch gesandt!" „Und wer hat dich gesendet?" darauf der König spricht. „Das will ich euch wohl jagen, jedoch verübelt's nicht! Wir wohnen dort zusammen drei Bauern an der Zahl

Und hörten oft mit Schmerzen, ihr trüget Hungerqual; Drum brachten wir zusammen, was unsre Armut litt, Und ich stieg selbst zu Pferde und that den sauern Ritt. Doch Gott hat mich geschützet, die Reis' ist mir nicht leid, Wollt ihr nur nicht verschmähen, was euch ein Bauer beut!" Und spricht's und löst die Troddeln von seinen Stiefeln los Und holt aus jedem Schafte zwei Düten, schwer und groß,

Gefüllt mit rotem Golde, und senkt sich auf die Knie Und spricht: „Nun, gnäd'ger König, da sind sie, nehmet sie!" Wie das der König höret, da springt er hoch empor,

329

Epische Poesie.

330

Und zwischen seinen Wimpern bricht eine Thrän' hervor. „O Freunde, seht, mein Adel gedenket mein nicht mehr; Doch einen armen Sauern führt seine Liebe her! Und ob dich Gott geschlagen schon selbst zum Edelmann, Nimm auch von deinem König den Ritterschlag noch an! Knie hin, daß ich dich ehre, so wie du mich geehrt!" Und spricht's, und aus der Scheide reißt er sein Königsschwert. Jedoch der Baur' versetzet: „Herr König, haltet an!

Was thät' ich armer Bauer wohl mit dem Edelmann? Hab' schon genug zu sorgen vom Morgen bis zur Nacht Und habe nichts erworben, als was ich euch gebracht. Stunt bitt' ich, lieber König, daß ihr mich nicht beschämt, Ich bin ja schon zufrieden, wenn ihr mein Scherflein nehmt; Als Bau'r bin ich geboren, und wenn es Gott gefällt, So geh' ich auch als Bauer einst wieder aus der Welt." Der König senkt den Degen und sieht ihn düster an. „Ich nehme keinen Groschen, den ich nicht lohnen kann." Der Alte steht und sinnet. „So laßt uns Bau'm die Pacht,

Die wir von unsern Höfen bis dahin aufgebracht!" Der König winkt, der Kanzler entwirft das Instrument, Der König nimmt es hastig, sein Adlerauge brennt; Drei Haare reißt der Edle aus seinem Bart und legt Sie auf das Wachs, das rote, und rufet tiefbewegt: „So lange noch ein Sprößling von diesen Bauern blüht, So lang' auf Kum'rows Husen der Pflug noch Furchen zieht, So lange noch in Pommem ein edler Fürst regiert, Den Greif in seinem Wappen und Gott im Herzen fühtt: Sollt ihr auf euren Höfen auch sitzen frank und frei Und späten Zeiten künden den Lohn der Bauerntreu'." Schon mehr denn hundert Jahre verstrichen seit der Zeit, Doch Friedrich Wilhelm ehret dies Fürstenwort bis heut. Preis dem gerechten König, der Pommerland regiert, Den Greis in seinem Wappen und Gott im Herzen führt! Auf ihren Hufen sitzen die Enkel frank und frei

Und künden späten Zeiten den Lohn der Bauerntreu'. O blieben diese Enkel der edlen Väter wert Und ehrten ihre Fürsten, wie diese sie geehrt! Meinhold.

41.

Der Todestag des Herrn.

Das ist der Todestag des Herrn! Versöhnt euch, Menschen, nah und fern; Und wer in Haß entzweiet ist,

Vereine sich in Jesu Christ.

Sie hat den Todfeind in der Macht, Der ihr das tiefste Leid gebracht. Zum Schwert verurteilt hat sie schon Des blut'gen Karl von Anjou Sohn,

Im Saale schreitet her und hin Constantta, die Königin;

Der Konradin, das teure Haupt, Ihr mit dem Henkersbeil geraubt.

Poetische Erzählung. Es war ein Freitag just, da trat, Gesandt vom hohen Reichesrat, Der Todesboten Schar herein Zur Kerkerthür' im Morgenschein.

331

Und doch des Heilands Todestag!

Als wie berührt von heil'gem Schlag Erschauert sie und schreitet bang In heißem Kampf den Saal entlang.

Sie hält die beiden Hände fest In Kreuzgestalt zur Brust gepreßt,

Prinz Karl mit gottergebner Ruh'

Hört still der Todesbotschaft zu, Darauf mit heitrem Angesicht

Als wollte sie ersticken drin

Erhebt er dankend sich und spricht:

„O geht und sagt der Königin, Als hohe Gnade nehm' ich's hin, Daß sie mir gönnt, an diesem Tag Zu fallen unterm Henkersschlag. Wie sollt' ich sünd'ger Mensch nicht gern Erblasien heut am Tag des Herrn, Wo einst für all' am Kreuzesstamm Unschuldig starb das Gotteslamm?"

Und als die Königin sofort Vemimmt des Prinzen Dankeswort, Betroffen steht sie still und sinnt,

Die letzte Glut von Rachesinn. „Geht, sagt dem Prinzen, weil so gern Er stirbt am Todestag des Herrn, Soll ihm geschenkt das Leben sein, Und herzlich will ich ihm verzeih», Weh, wenn ich je vergießen mag

Des Feindes Blut an diesem Tag, Wo Christ der Welt das Heil erwarb Und für die Feinde litt und starb! Sagt ihm, wie gern ich ganz verzeih', Von Stund' an ist er los und frei!" Sie sprach es bebend aus und schwieg,

Als wie nach heiß erfocht'nem Sieg.

Ein Kampf in ihrer Brust beginnt. Die Rache wild im Busen pocht,

Die jahr'lang heiß darin gekocht; Es will das tief gekränkte Herz Dem Feind vergelten gleichen Schmerz.

Das ist der Todestag des Herrn! Versöhnt euch, Menschen, nah und fern;

Und wer in Haß entzweiet ist, Vereine sich in Jesu Christ. Stöber.

42.

Der 19. Juli 1870.

Zu Charlottenburg im Garten In den düstren Fichtenhain

Tritt, gesenkt das Haupt, das greise, Preußens König Wilhelm ein. Und er steht in der Kapelle,

Seine Seele ist voll Schmerz; Drin zu seiner Eltem Füßen Liegt des frommen Bmders Herz. An des Vaters Sarkophage Lehnet König Wilhelm mild,

Und sein feuchtes Auge ruhet Auf der Mutter Marmorbild.

„Heute war's vor sechzig Jahren," Leise seine Lippe spricht, „Als ich sah zum letzten Male

Meiner Mutter Angesicht!

Heute Als ihr Um den Um des

war's vor sechzig Jahren, deutsches Herze brach Hohn des bösen Feindes, Vaterlandes Schmach.

Jene Schmach hast du gerochen Längst, mein tapfrer Vater, du,

Aber Frankreich wirft aufs neue

Heute uns den Handschuh zu! Wieder sitzt ein Bonaparte

Ränkevoll aus Frankreichs Thron, Und zum Kampfe zwingt uns heute Wieder ein Napoleon. Tret' ich denn zum neuen Kampfe

Wider alte Feinde ein,

Dann soll's mit dem alten Zeichen, Mit dem Kreuz von Eisen sein. Der Erlösung heilig Zeichen Leuchte vor im heil'gen Krieg! Und der alte Gott im Himmel Schenkt dem alten König Sieg!

Blicke segnend, Mutterauge,

Vater, sieh! dein Sohn ist hier, Und auch du, verklärter Bruder, Heute ist dein Herz bei mir!"

Epische Poesie.

332 Leise weht es durch die Halle; König Wilhelm hebt die Hand. All' die goldnen Sprüche funkeln

Siegverheißend von der Wand.

43.

Zu Charlottenburg im Garten Aus dem düstren Fichtenhain Tritt der König hoch und mächtig, Um sein Antlitz Sonnenschein. _____ Hesekiel.

Albrecht Dürer und Kaiser Maximilian.

Bei Maximilian, dem kühnen Jäger, Sprach eines Tages Albrecht Dürer ein.

Vor allem aber sann ich der Geschichte

Von Sanft Hubettus oft im stillen nach;

Huldreich empfängt den vielgepriesnen Künst­ Und wahrlich, hätt' ich Kohl' und Leinewand, Gleich zeichnet' ich euch euem Wald und Jagd, ler,

Den Welschland selbst, das stolze, hochgeehrt, Mit meinem Chttstentume nah verbrüdett." Der Kaiser, noch im Alter ritterlich, Gediehen war der Zug bei diesen Reden Betrachtet groß' und kleine Passion, Zu einer Waldkapelle kleinem Thor. Die Offenbarung und mehr andre Blätter, Da sprach der Fürst: „So halt ich euch beim Die zum Geschenk ihm Meister Albrecht beut, Wott; Mit klugem Aug' und manch verständ'gem Die Mauer dien' euch hier statt Leinewand,

Und Kohlen liefert reichlich jener Meiler." Wort. Dann sitzt er auf, läßt einen weißen Zelter Der Zug sitzt ab, und wenig kühne Stttche, Für Dürer bringen, nimmt ihn neben sich. So kniet ein Ritter, betend und geharnischt; Und wie sie nun im grünen Walde sind Zur Seite steht sein Roß und blicket llug; Und tausend Vögel durcheinander zwitscheni, Die Rüden, fein geformt, mit schlauen Nasen, Da sagt der Kaiser: „Meister, spottet nicht! Stehn um ihn her und rings von Wald um­ Gewiß, ich lob' und würdige den Fleiß, schloffen Mit dem ihr das Erlösungswerk gebildet: Ich aber, seht! ich bin ein Weidmann nur; Und wenn ich so im Waldesschatten reite Und sehe Gottes ftohe Kreatur, Wird weiter mir das Herz und mehr gerührt

Am Abhang furchtlos der gejagte Hirsch.

drauf, „Wer Gott in der Natur erkennt wie ihr,

„Mein wetter Graf," sagt Maximilian, „Seid doch so gut und leiht eu'r Schultern-

Der Kaiser sieht's entzückt; doch auf dem Haupte Des Hirsches müht der Künstler sich umsonst, Der Zeichnung Wesentlichstes zu gestalten: Die Formen sind zu groß, er reicht nicht hin. Als bei des Heilands Mattern oder Tod; Da steht ein Graf in Kaiser Max' Gefolge Ich wollt', ihr maltet lieber Wald und Jagd!" Mit breiten Schultern, überftäft'gem Dau „Erhabner Herr!" spricht Meister Albrecht Und sieht gedankenlos hin in die Luft.

Dem sind des Herren Tempel Wald und Flur. paar Denn, so wie ttnst dort an der Mattinswand, Dem Meister Albrecht, um ihn zu vergrö­ Als ihr verstiegen euch in dem Gestein ßern." Und keinen Schtttt mehr vor- und rückwärts Verwundernd und errötend hört's der Graf saht, Und beut, der kaiserlichen Majestät Unmutig folgend, seinen Rücken dar. Der Engel Gottes strahlend vor euch trat Und auf dem rechten Pfad euch heimgebracht: Was der empfindet, rät der Kaiser schnell So sprechen euch aus Felsen und aus Blättern Und spttcht mit Lächeln: „Fürchtet nicht, Herr

Noch heut mit tausend Sprachen Engel zu.

Was aber mich betrifft und meine Kunst,

So dacht' ich oft daran und thu' es noch, Wie Zungen ich der Kreatur verliehe, Zu kündigen des Herren Herrlichkeit;

Graf! Kunst unterstützen ist der schönste Adel; Und möglich wär' es, daß von eurem Leben Man einst als besten Zug bettchtete,

Daß ihr den Meister Dürer habt getrogen." _____ Witt«.

Idylle. 44.

333

Deutscher Witz.

Zu Sanssouci beim heitren Mal Saß einst in seinem Gartensaal Ihn labte des Franzosen Witz.

Und weiter war's bei Bunzelwitz, Wo wieder focht der König Fritz; Auch ist in Kunersdorf bekannt, Daß man den König Fritz dort fand;

Drum sprach er, schlürfend seinen Wein:

Doch war da nicht der Held Prittwitz,

„Nur ein Franzos kann witzig sein."

So war er psutsch, der König Fritzi" Da schmunzelte auf seinem Sitz

Der alte Preußenkönig Fritz;

Da sprach Lettow aus Pommerland:

„Mir sind auch deutsche Witz' bekannt. Bei Mollwitz schlug ja wie der Blitz Den Feind zum ersten Mal der Fritz;

Denn mit Marie Theresien Rauft' er sich dort um Schlesien.

Der alte Preußenkönig Fritz. „Ja, Lettow!" sprach er, „Er hat recht, Die Witze waren gar nicht schlecht. Das war gesunder deutscher Witz;

Der lebe fort von Fritz zu Fritz!" Fischer.

7. Bit Idylle. Die Idylle (oder das Idyll) führt uns in Seiten und Räume, in denen Ruhe und Frieden herrscht.

Sie erzählt Begebenheiten aus dem Leben solcher einfachen und schlichten

Leute, die durch ihre Beschäftigungen zunächst aus die Natur hingewiesen sind, also der Ackerbauer, Hirten, Jäger, Winzer, Fischer, oder auch derer, die mit wissenschaftlicher Bil­ dung ausgestattet sind, aber zugleich auch dem ländlichen Leben nahe stehen, z. B. der Land­

geistlichen und der Dorffchulmeister. Von dem Leben und Treiben solcher Menschen sucht die Idylle ein angenehmes Bild zu entwerfen. Dies kann sie nur, wenn sie ihre Personen natürlich zeichnet, d. h. so, wie sie sind, zwar mit Hervorhebung des poetischen Elements, doch nicht in der Weise, daß sie den Charakter derselben vollkommen ändert und sie mit nur sanften, weichen, verschwimmenden Gefühlen ausstattet. Die Darstellung aller ver-

wickelteren Verhältnisse ist durch die Sache selbst ausgeschlossen;

daher ist auch die me­

trische Form einfach und selbst die Prosa erlaubt. Die Idylle im ursprünglichen Sinne als dasjenige Gedicht, in welchem der Hirt singend austrat, dessen Gegenstand großenteils die Liebe, dessen Darstellung aber häufig

ganz episch war, ist fast ungebräuchlich geworden.

1.

Amyntas.

An einem frühen Morgen kam der arme Amyntas aus dem dichten Hain, das Beil

in seiner Rechten.

Er hatte sich Stäbe geschnitten zu einem Zaun und trug ihre Last ge­

krümmt auf der Schulter.

Da sah er einen jungen Eichbaum neben einem hinrauschenden

Bach, und der Bach hatte wild seine Wurzeln von der Erd' entblößet, und der Baum stand da traurig und drohte zu sinken. „Schade," sprach er, „solltest du, Baum, in dies wilde

Wasser stürzen! Nein, dein Wipfel soll nicht zum Spiel seiner Wellen hingeworfen sein." Jetzt nahm er die schweren Stäbe von der Schulter. „Ich kann mir andre Stäbe holen,"

sprach er und hub an, einen starken Damm vor den Baum hinzubauen, und grub frische Jetzt war der Damm gebaut und die entblößten Wurzeln mit frischer Erde bedeckt, und jetzt nahm er sein Beil auf die Schulter und lächelte noch einmal, znftieden mit seiner

Erde.

Epische Poesie.

334

Arbeit, in den Schatten des geretteten Baumes hin und wollte in den Hain zurück, um andre Stäbe zu holen. Aber die Dryas rief ihm mit lieblicher Stimme aus der Eiche

zu: „Sollt' ich unbelohnt dich weglasien, gütiger Hirt? Sage mir, was wünschest du zur Belohnung? 3ch weiß, daß du arm bist und nur fünf Schafe zur Weide führest." „O,

wenn du mir zu bitten vergönnest, Nymphe," so sprach der arme Hirt, „mein Nachbar Palämon ist seit der Ernte schon krank; laß ihn gesund werden!" So bat der Redliche, und Palämon ward gesund. Aber Amyntas sah den mächttgen Segen in seiner Herde und bei seinen Bäumen und Früchten und ward ein reicher Hirt; denn die Götter lassen die Redlichen nicht ungesegnet. Gehner.

2.

Der siebzigste Geburtstag.

Auf die PoMe gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens Saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk Und braunnarbichtem Jucht, voll schwellender Haare, geziert war, Tamm, seit vierzig Jahren in Stolp, dem gesegneten Freidorf, Organist, Schulmeister zugleich und ehrsamer Küster, Der fast allen im Dorf bis auf wenige Greise der Vorzeit Einst Taufwasser gereicht und Sitte gelehrt und Erkenntnis, Dann zur Trauung gespielt und hinweg schon manchen gesungen. Oft nun faltend die Händ' und ost mit lauterem Murmeln Las er die ttöstenden Sprüch' und Ermahnungen; aber allmählich

Starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagsschlummer. Festlich prangte der Greis in gestreifter, kalmankener Jacke; Und bei entglittener Brill' und silberfarbenem Haupthaar Lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet, Mit Fuchspelze verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel; Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, Froh des erlebeten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias, Welcher als Kind auf dem Schemel gepredigt und, von dem Pfarrer Ausersehn für die Kirche, mit Not vollendet die Laufbahn

Durch die lateinische Schul' und die teuere Akademie durch, Der war jetzt einhellig erwähleter Pfarrer in Merliz

Und seit kurzem vermählt mit der wirtlichen Tochter des Dorfahrs. Fernher hatte der Sohn zur Verherrlichung seines Geburtstags Edlen Tabak mit der Fracht und stärkende Weine gesendet, Auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die fteundliche Gattin, Hemmeten nicht Hohlweg' und verschneiete Gründe die Durchfahrt, Sicherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern Und zu empfahn den Segen von ihm und der würdigen Mutter. Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater Froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die Gesundheit Ihres Sohns Zacharias geklingt und der fteundlichen Gattin, Die sie so gern noch sähen und Töchterchen nennten und bald auch Mütterchen ach! an der Wiege der Enkelin oder des Enkels! Viel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung,

Idylle.

335

Und wie sich alles nunmehr auflös' im behaglichen Alter. „Gutes gewollt mit Vertraun und Beharrlichkeit führet zum Ausgang! Solches erfuhren wir selbst, du Trauteste, solches der Sohn auch! Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weinetest: Frau, nur geduldig! Bet' und vertrau'! Je größer die Not, je näher die Rettung! Schwer ist aller Beginn; wer getrost fortgehet, der kommt an!" Feuriger rief es der Greis und las die erbauliche Predigt Nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Vater.

Doch der balsamische Trank, der alternde, löste dem Stilen Sanft den behaglichen Sinn und duftete süße Betäubung. Mütterchen hatte mit Sorg' ihr fteundliches Stübchen gezieret, Wo von der Schule Geschäft sie rührten und mit Bewirtung Rechtliche Gäst' aufnahmen, den Prediger und den Verwalter, Hatte gefegt und geuhlt und mit feinerem Sande gestreuet, Reine Gardinen gehängt um Fenster und lustigen Alkov, Mit rotblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch

Und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt, Knospende Ros' und Levkoj' und spanischen Pfeffer und Goldlack Samt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen. Ringsum blinkten gescheu'rt die zinnernen Teller und Schüffeln Auf dem Gesims'; auch hingen ein Paar Stettinische Krüge Blaugeblümt an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing,

Desem und Mangelholz und die zierliche Elle von Nußbaum. Aber das grüne Klavier, vom Greise gestimmt und besaitet, Stand mit bebildertem Deckel und schimmerte; unten befestigt Hing ein Pedal; es lag auf dem Pult ein offnes Choralbuch. Auch den eichenen Schrank mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln,

Schraubenförmigen Füßen und Schlüsselschilden von Messing (Ihre selige Mutter, die Küsterin, kaust' ihn zum Brautschatz) Hatte sie abgestäubt und mit glänzendem Wachse gebohnet. Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe, Beide von Gips, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern, Zween Theetöpfe von Zinn und irdene Tassen und Äpfel. Als sie den Greis wahrnahm, wie er ruht' in atmendem Schlummer, Stand das Mütterchen auf vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl Langsam, trippelte dann auf knirrendem Sande zur Wanduhr

Leis' und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel, Daß ihm den Schlaf nicht störte das klingende Glas und der Kuckuck. Jetzo sah sie hinaus, wie die stöbernden Flocken am Fenster

Rieselten, und wie der Ost dort wirbelte, dort in den Eschen Rauscht' und die Spuren verwehte der hüpfenden Krähen am Scheunthor.

Lange mit ernstem Gesicht, ihr Haupt und die Hände bewegend, Stand sie vertteft in Gedanken und flüsterte halb, was sie dachte:

„Lieber Gott, wie es stürmt und der Schnee in den Gründen sich aufhäuft! Armer, wer jetzt auf Reisen hindurch muß, ferne der Einkehr! Auch wer, Weib zu erwärmen und Kind, auswandert nach Reisholz, Hungrig oft und zerlumpt! Kein Mensch wohl jagte bei solchem

336

Epische Poesie. Wetter den Hund aus der Thüre, wer seines Viehs sich erbarmet! Dennoch kommt mein Söhnchen, das Fest mit dem Vater zu feiern! Was er wollte, das wollt' er von Kind auf! Gar zu besonders Wühlt mir das Herz! Und seht, wie die Katz' auf dem Tritte des Tisches

Schnurrt und das Pfötchen sich leckt und Bart und Nacken sich putzet! Das bedeutet ja Fremde nach aller Vemünstigen Urteil!" Sprach's und trat an den Spiegel, die festliche Haube zu ordnen, Welche der Vater verschob, mit dem Kuß ausgleichend den Zwiespalt; Denn er leerte das Glas auf die Enkelin, sie auf den Enkel.

Nicht ganz schäme sich meiner die Frau im modischen Kopfzeug! Dachte sie leis' im Herzen und lächelte selber der Thorheit. Neben dem schlummernden Greis' an der anderen Ecke des Tisches Deckte sie jetzo ein Tuch von feingemodeltem Drillich, Stellete dann die Taffen mit zitternden Händen in Ordnung. Auch die blechene Dos' und darin großklumpigen Zucker

Trug sie hervor aus dem Schrank und scheuchte die sumsenden Fliegen, Die ihr Mann mit der Klappe verschont zur Wintergesellschaft. Auch dem Gesims' enthob sie ein Paar Thonpfeifen mit Posen, Grün und rot, und legte Tabak auf den zinnernen Teller. Als sie drinnen nunmehr den Empfang der Kinder bereitet,

Ging sie hinaus vorsichttg, damit nicht knarrte der Drücker. Aus der Gesindestube darauf vom rummelnden Spulrad Rief sie, die Thür' halb öffnend, Marie, die geschäftige Hausmagd, Welche gehaspeltes Garn von der Wind' abspulte zum Weben Hastiges Schwungs, von dem Weber gemahnt und eigenem Ehrgeiz. Heiser ertönte der Ruf, und gehemmt war plötzlich der Umschwung. „Flink, lebendige Kohlen, Matte, aus dem Ofen gescharret Dicht an die Platte der Wand, die den Lehnstuhl wärniet im Rücken,' Daß ich sttsch (denn er schmecket viel kräftiger) brenne den Kaffee. Httze mit Kien dann wieder und Torf und buchenem Stammholz Ohne Geräusch, daß nicht aus dem Schlaf aufwache der Vater. Stntt das Feuer in Glut, dann schiebe den knorrigen Klotz nach, Der in die Nacht sottglimme dem leidigen Froste zur Abwehr. Siebzigjähttge sind nicht Fröstlinge, wenn sie im Sommer Gern an der Sonn' ausruhn und am wärmenden Ofen im Winter. Auch für die Kinderchen wohl braucht's gründliche Wärme zum Austaun." Und der Ermahnung folgte Matte und sprach im Hinausgehn: „Barsch durchkältet der Ost; wer im Sturm lustreiset, ist unklug; Nur ein wähliges Paar wie das unsrige bammelt hindurch wohl. Wärmenden Trank auch bracht' ich den Kälberchen heut und den Milchküh'n,

Auch viel wärmende Streu in das Fach. Schönmädchen und Blüming Brummten am Trog und leckten die Hand und ließen sich krauen."

Sprach's, und sobald sie dem Ofen die funkelnden Kohlen entscharret,

Legte sie Feurung hinein und weckte die Glut mit dem Blasbalg Hustend und schimpfte den Rauch und wischte die thränenden Augen. Emsig stand an dem Herde das Mütterchen, brannte den Kaffee Über der Glut in der Pfann' und rühtte mit hölzernem Löffel;

Idylle.

337

Knatternd schwitzten die Bohnen und bräunten sich, während ein dicker,

Duftender Qualm aufdampste, die Küch' und die Diele durchräuchernd. Sie nun langte die Mühle herab vom Gesimse des Schornsteins, Schüttete Bohnen darauf, und fest mit den Knieen sie zwängend,

Hielt sie den Rumpf in der Linken und dreht' in der Rechten den Knopf um; Oft auch hüpfende Bohnen vom Schoß haushälterisch sammelnd, Goß sie auf graues Papier den grob gemahlenen Kaffee. Plötzlich hemmte sie nun die raffelnde Mühl' in dem Umlauf, Und zu Marie, die den Ofen verspündete, sprach sie gebietend: „Eile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in das Backhaus, Daß, wenn der Schlitten sich naht, das Gebell nicht störe den Vater. Denkt auch Thoms an die Karpfen für unseren Sohn und den Pastor,

Der uns zu Abend beehrt, ihr Lieblingsessen vonalters? Hol' er vor dunkeler Nacht; sonst geht ihm der kitzliche Fischer Schwerlich zum Hälter hinab. Aus Vorsicht bring' ihm den Beutel. Wenn er auch trockenes Holz für die Bratgans, die wir gestopfet, Spitterte! Bring' ihm das Beil und bedeut' ihn. Dann im Vorbeigehn Steig' auf den Taubenschlag und sieh', ob der Schlitten nicht ankommt." Kaum gesagt, so enteilte Marie, die geschäftige Hausmagd, Nehmend von rußiger Mauer das Beil und den maschigen Beutel, Lockte den treuen Monarch mit Geburtstagsbrocken zum Backhaus Fern in den Garten hinab und schloß mit der Krampe den Kerker.

Anfangs kratzte die Dogg' und winselte; aber sobald er Wärme roch vom frischen Gebäck des festlichen Brotes, Sprang er behend auf den Ofen und streckt' ausruhend die Glieder. Jene lief in die Scheune, wo Thoms mit gewaltiger Arbeit Häckerling schnitt, denn ihn fror, und sie sagt' in der Eile den Auftrag: „Splittere Holz für die Gans und hol' in dem Beutel die Karpfen, Thoms, vor dunkeler Nacht; sonst geht dir der kitzliche Fischer Schwerlich zum Hälter hinab trotz unserem Sohn und dem Pastor!" Thoms antwortete drauf und stellte die Häckerlingslad' hin: „Splitter, Marie, und Karpfen verschaff' ich dir früher, denn Not ist. Wenn an dem heutigen Tage sich kitzlich zeiget der Fischer, Treib' ich den Kitzel ihm aus, und bald ist der Hälter geöffnet!" Also der rüstige Knecht; da rannte sie durch das Gestöber, Stieg auf den Taubenschlag und pustete, rieb sich die Hände, Steckte sie unter die Schürz' und schlug sich über die Schultern. Als sie mit schärferem Blick in des Schnees umnebelnden Wirbeln Spähete, siehe, da kam's mit verdecktem Gestühl wie ein Schlitten, Welcher vom Berg' in das Dorf herklingelte. Schnell von der Leiter Stieg sie herab und brachte der emsigen Mutter die Botschaft, Welche der Milch abschöpfte den Rahm zu festlichem Kaffee. „Mutter, es kommt wie ein Schlitten, ich weiß nicht sicher, doch glaub' ich!"

Also Marie; da verlor die erschrockene Mutter den Löffel,

Unter ihr bebten die Knie, und sie lief mit klopfendem Herzen Atemlos; ihr entflog im hastigen Lauf der Pantoffel. Jene lief zu der Pfort' und öffnete. Dtelitz n. Heinrichs, Handb. d. deutschen Litteratur.

4. Anfl.

Näher und näher

338

Epische Poesie. Kam das Gekling' und das Klatschen der Peitsch' und der Pferde Getrampel,

lind nun lenkten herein die mutigen Rosi' in den Hofraum, Blank geschirrt, und der Schlitten mit halb schon offnem Verdeckstuhl Hielt an der Thür', und es schnoben, beschneit und dampfend, die Renner. Mütterchen rief: „Willkommen dahier, willkommen, ihr Kindlein! Lebt ihr auch noch?" und reichte die Hand' in den schönen Verdeckstuhl. „Lebt in dem grimmigen Ost mein Töchterchen?" Dann von den Kindern, Selbst sich zu schonen, ermahnt: „Laßt, Kinderchen!" sprach sie; „dem Sturmwind Wehret das Haus! Ich bin ja vom eisernen Kerne der Vorwelt! Stets war unser Geschlecht steinalt und Verächter des Wetters; Aber die jüngere Welt ist zart und scheuet die Zugluft." Sprach's, und den Sohn, der dem Schlitten entsprang, umarmte sie eilig, Hüllte das Töchterchen dann aus bärenzottigem Fußsack Und liebkosete viel mit Kuß und bedauemdem Streicheln, Zog dann beid', in der Linken den Sohn, in der Rechten die Tochter, Rasch in das Haus, dem Gesinde des Fahrzeugs Sorge vettrauend. „Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Gebuttstag?" Fragte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die Mutter: „SM! Das Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl! Laß mit kindlichem Kuß dein junges Gemahl ihn erwecken; Dann wird wahr, daß Gott im Schlafe die ©einigen segnet!" Sprach's und führte sie leis' in der Schule gesäubertes Zimmer, Voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Tafeln, Wo sie an Pflöck' aufhängte die nordische Wintervermummung, Mäntel, mit Flocken geweißt, und der Tochter bewundetten Leibpelz, Auch den Flor, der die Wangen geschirmt, und das seidene Halstuch. Und sie umschloß die Enthüllten mit strömender Thräne der Inbrunst. „Tochter und Sohn, willkommen! Ans Herz! Willkommen noch einmal, Ihr, uns Alternden Freud'; in Freud' auch altert und greifet Stets einmütiges Sinns und umwohnt von gedeihenden Kindern! Nun-mag brechen das Auge, da dich wir gesehen im Amtsrock, Sohn, und dich ihm vermählt, du frisch aufblühendes Herzblatt! Armes Kind, wie das ganze Gesicht rot glühet vom Ostwind! O du Seelengesicht! Denn ich duze dich, weil du es forderst! Aber die Stub' ist warm, und gleich soll der Kaffee bereit sein!" Ihr um den Nacken die Arme geschmiegt, liebkoste die Tochter. „Mutter, ich duze dich auch wie die leibliche, die mich geboren; Also geschah's in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war; Denn du gebarst und erzogst mir den wackeren Sohn Zacharias, Der an Wuchs und Gemüt, wie er sagt, nachattet dem Vater. Mütterchen, habe mich lieb, ich will auch artiges Kind sein.

Fröhliches Herz und rotes Gesicht, das hab' ich beständig, Auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals, Klopfend die Wang', ich würde noch krank vor lauter Gesundheit."

Jetzo sagte der Sohn, sein Weib darstellend der Mutter: „Mütterchen, nehmt sie auf Glauben. So zart und schlank, wie sie dasteht, Ist sie mit Leib und Seele vom edelsten Kerne der Vorwelt.

Idylle.

339

Daß sie der Mutter nur nicht das Herz abschwatze des Vaters I Komm denn und bring' als Gabe den zärtlichsten Kuß zum Geburtstag." Schalkhaft lächelte drob und sprach die treffliche Gattin:

„Nicht zur Geburtstagsgabe!

Was Befferes bring' ich im Koffer

Unserem Vater zur Lust und dem Mütterchen ohne dein Wiffen!" Sprach's und faßte dem Manne die Hand; die führende Mutter Öffnete leise die Thür' und ließ die Kinder hineingehn.

Aber die junge Frau, voll Lieb' im lächelnden Antlitz, Hüpfte voraus und küßte den Greis. Mit verwunderten Augen Sah er empor und hing in der trautesten Kinder Umarmung.

Voß.

3.

Das Fischermädche« in Bnrano.

Stttckt mir fleißig am Netz, ihr Schwestern! Es soll's der Geliebte Heut noch haben, sobald im besegelten Nachen er heimkehtt. Weshalb zaudett er heute so lang? Die Lagune verflacht sich Schon, nnd es legt sich der Wind; um das leuchtende, hohe Venedig, Wie es dem Waffer entsteigt, aus breitet sich Abendgewölk schon. Ostwärts fuhren sie heut mit dem Fahrzeug gegen Altino,

Wo in den Schutt hinsank ehmals die bevölkerte Seestadt. Häufig erbeuten sie dort Goldmünzen und prächtige Steine, Wenn sie das Netz einziehn, die betagteren Fischer erzählen's. Möchtest du auch, o Geliebter, und recht was Köstliches finden! Schön wohl ist es, zu fischen am Abende, wann die Lagune Blitzt und das schimmernde Netz vom Hangenden Meergrase funkelt, Jegliche Masche wie Gold und die zappelnden Fische vergoldet; Aber ich liebe vor allem den Festtag, wann du daheimbleibst. Auf dem besuchteren Platz dann wandelt die kräftige Jugend,

Jeder im Staat, mein Freund vor den übrigen schön und bescheiden; Oftmals lauschen wir dann dem Erzähler, und wie er verkündigt

Worte der Heiligen uns und die Thaten des frommen Albanus, Welcher gemalt hier steht in der Kirche,' des Otts Wohlthäter. Doch als seine Gebeine hierher einst brachten die Schiffer, Konnten sie nicht ans Ufer den Sarg zieh», weil er so schwer schien; Lange bemühten die starken, gewaltigen Männer umsonst sich, Tttefend von Schweiß, und zuletzt ließ jeglicher ab von der Arbeit. Siehe, da kamen heran unmündige lockige Kinder,

Spannten, als wär's zum Scherz, an das Seil sich, zogen den Sarg dann Leicht an den Sttand ganz ohne Beschwerde mit fteundlichem Lächeln. Dieses erzählt der bewandette Greis, dann häufig erzählt er Weltliche Dinge zumal und den Raub der venettschen Bräute,

Die nach Olivolo gingen zum ftöhlichen Fest der Vermählung; Jede der Jungfrau» trug in dem zierlichen Kästchen den Mahlschatz, Wie es die Sitte gebot. Ach, aber im Schilfe verborgen Lauett ein Trupp Seeräuber; verwegene Thäter der Unthat, Stürzen sie plötzlich hervor und ergreifen die bebenden Mädchen, Schleppen ins Fahrzeug alle, mit hurtigen Rudern entweichend.

22*

340

Epische Poesie. Doch von Geschrei wtederhallt schon rings das ganze Venedig: Schon ein bewaffneter Haufe von Jünglingen stürzt in die Schiffe, Ihnen der Doge voran. Bald holen sie ein die Verruchten, Bald nach männlichem Kampfe zurück im verdienten Triumphzug Führen sie heim in die jubelnde Stadt die geretteten Jungfrau«. Also berichtet der ehrliche Greis, und eS lauscht der Geliebte,

Rüstig und schlank, wohl wert, auch Thaten zu thun wie die Vorwelt. Ost auch rudert hinüber ins nahe Torcello der Freund mich; EhmalS war's, so erzählt er, von wimmelnden Menschen bevölkert, Wo sich in Einsamkeit jetzt salzige Wafferkanäle Hinziehn, alle verschlammt, durch Felder und üppige Reben.

Aber er zeigt mir den Dom und des Attila steinernen Scffel Auf dem verödeten Platz mit dem alten, zertrümmerten Rathaus, Wo der geflügelte Löwe von Stein aus sonstigen Tagen Ragt, als diese Lagunen beherrschte der heilige Marcus. All dies sagt mir der Freund, wie's ihm sein Vater gesagt hat. Rudert er heimwärts mich, dann singt er ein heimisches Lied mir, Bald „Holdseliges Röschen" und bald „In der Gondel die Blonde". Also vergeht und allen zur Freude der herrliche Festtag. Sttickt mir fleißig am Retz, ihr Schwestern! Es soll's der Geliebte Heut noch haben, sobald im besegelten Nachen er heimkehtt. P lat en.

8. Der Noman. Der Roman entwirft in ausführlicher Erzählung ein poetisch aufgefaßtes Bild des wirklichen Lebens in seiner Allseitigkeit und Gesamtheit. Indem er als Hintergrund die totale Welt benützt, fühtt er uns in gewählter Sprache einen einzelnen, bedeutenden Mann mit feinen Bestrebungen, Thaten und Schicksalen vor und läßt uns erkennen, wie deö Helden Charakter allmählich zum Guten oder zum Bösen sich entwickelt. Der Held muß ungeachtet aller Nebenpersonen stets der bewegende, das Jntereffe vornehmlich feffelnde Mittelpunkt der gesamten Erzählung bleiben. Bei aller Fülle der Begebenheiten und aller Mannigfaltigkeit der Ereigniffe muß dennoch die Einheit der

Handlung, d. h. das Ziel, nach welchem der Dichter seinen Helden streben läßt, festgehalten werden. Es muß auch durch allmählich zunehmende Verwicklung das Jntereffe des Lesers gesteigert und später durch eine angemeffene Lösung vollkommen befriedigt werden. Endlich müssen die Charaktere vollständig treu und naturgemäß gezeichnet sein. Die Romane werden ihrem Inhalte nach in solche eingeteilt, die sich auf die Erzäh­

lung der Begebenheiten, der Thatsachen beschränken oder diese Erzählung mit dep Urteilen des Verfassers durchweben und die erzählten Thatsachen als Unterlagen für darauf zu bauende Bettachtungen über Gegenstände der Wissenschaft, Kunst und Moral benutzen (philosophische Romane). Die erstere Gattung der Romane erzählt entweder vollständig

oder doch der Hauptsache nach erdichtete Begebenheiten oder solche Thatsachen, die in ihren Hauptpunkten geschichtlich begründet sind (historischer Roman). Eine Abart der philoso­ phischen Romane sind die Tendenz-Romane, in denen Thatsachen und Vorfälle erzählt

werden, durch welche der Dichter eine bestimmte Idee veranschaulichen oder eine von ihm

Roman. Novelle.

341

für verderblich gehaltene Richtung der Gegenwart bekämpfen will. Spricht man von Ritter-, Räuber-, Künstler-Romanen, so richtet man sein Augenmerk zunächst auf die Lebenskreise, in denen der Held des Romans sich bewegt.

9.

D i r U o v e l l e.

Die Novelle, die ihrem Namen nach etwas Neues bieten will, versetzt den Leser

in die Mitte einer spannenden Begebenheit, die aus schon entwickelten Verhältnissen einzeln herausgelöst ist, vermittelst aphoristischer Darstellung rasch zum Ende vorschreitet und meist auf eine überraschende Weise gelöst wird. Die moderne Novelle hat ähnlich wie der Ro­ man die Begebenheit häufig als Grundlage zu philosophischen oder politischen Betrach­

tungen benutzt.

Irrtum. Ich befand mich fern vom Hause in Geschäften zu Prag.

Es war im April. Wie

angenehme Zerstreuung es auch für mich gab, konnte ich doch das Heimweh nach unserm Städtchen nicht unterdrücken, wo meine Gattin Fanny schon sieben Wochen auf meine

Heimkehr hoffte. Ich nahm bei den wenigen Bekannten und Freunden Abschied und sagte dem Wirt, er solle die Rechnung geben; anderes Tages wollte ich mit der Post fort. Am Reisetage erschien der Wirt, gehorsamst aufzuwarten, mit zahlreicher Rechnung; ich hatte des baren Geldes nicht genug zur Tilgung meiner Schuld und zu Ausgaben unter­ wegs. Da wollte ich einen guten Wechsel versilbern. Ich griff nach der Brieftasche und

suchte sie in allen Taschen, allen Winkeln. Sie war fort. Da ward mir nicht wohl; denn ich hatte für mehr denn vierzehnhundert Thaler Papier darin, und das ist doch keine Klei­ nigkeit unterm Himmel. Es half mir auch nichts, daß ich die Stube umkehrte; die Brief­ tasche war verschwunden; entweder war sie gestohlen oder verloren. Ich hatte sie noch den Tag vorher in Händen gehabt; ich pflegte sie in der Brusttasche meines Überrocks bet mir

zu tragen. Auch lagen Fannys Briefe darin. Es war mir, als hätte ich sie noch des Abends beim Entkleiden gefühlt. Wie nun meine teuren Papiere wiederbekommen? Denn

wer sie hatte, konnte sie jede Stunde nach Belieben in Gold und Silber verwandeln. In­ dem ich noch über meinen Verlust nachdachte, fiel mir eine Gestalt ein, die ich etwa acht Tage vorher beim Dillard in einem verschossenen Rotrock gesehen hatte, und die mir damals wie ein menschgewordener Höllenfürst vorgekommen war. Es überlief mich ein kalter Schauer. Und doch war ich so verzweifelt, daß ich dachte: Meinethalben, und wenn er's wäre, jetzt würde er mir ganz willkommen sein, schaffte er mir nur die Bnestasche wieder! Indem ward an meine Stubenthür gepocht. Holla! dachte ich; der Versucher wird doch aus Spaß nicht Ernst machen? Ich lief zur Thür; in Gedanken hatte ich den berüchtigten Rotrock und glaubte in der That, der werde es sein. Und siehe, wunderliche Überraschung! Da ich die Stubenthür öffnete, trat mit flüchtigem Kopfnicken der Versucher

herein, an den ich gedacht hatte. Ich muß erzählen, wo und wie ich die Bekanntschaft dieser Erscheinung gemacht hatte, damit man mich nicht für einen albernen Träumer halte. An einem Abend war ich in ein Kaffeehaus oder Kasino der Neustadt gegangen, wo­ hin mich schon einmal mein Bekannter zum Billard geführt hatte. Ich hoffte, da die neuesten Zeitungen zu finden. An einem Tischchen spielten zwei Herren sehr nachdenkend

Epische Poesie.

342 ihre Partie Schach.

Einige junge Männer saßen am Fenster in lebhaftem Gespräch über

Totenerscheinungen und die Natur der menschlichen Seele. Ein kleiner, ältlicher Mann in scharlachrotem Überrock wanderte, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab.

Ich nahm ein Glas Danziger Wasser und die Zeitungen. Niemand machte meine Andacht

so rege als der scharlachrote Spaziergänger.

Ich vergaß selbst die Zeitungen und den

spanischen Krieg. Er hatte wie in der Kleidung etwas Geschmackloses, so in Gestalt, in Bewegung, in Gesichtszügen etwas Auffallendes und Widerliches; er war von weniger als mittlerer Größe, aber starkknochig, breisschultrig und mochte fünfzig bis sechzig Jahre haben und ging mit dem Kopfe gebückt wie ein Greis. Ein pechschwarzes, glänzendes Haar hing ihm glatt um den Kopf. Das schwarzgelbe Gesicht mit der Habichtsnase und

den vorragenden Backenknochen hatte etwas Grausenvolles; denn während alle Züge kalt und eisig waren, schimmerte das Auge so lebhaft wie das Auge eines begeisterten Jüng­ lings, ohne daß man darin Begeisterung und Seele las. Der, dachte ich, ist geborner Scharfrichter oder Großinquisitor oder Räuberhauptmann oder Zigeunerkönig; des Spaßes wegen könnte der Mann Städte in Flammen auflodem und Kinder an Speeren zappeln sehen; ich möchte nicht mit ihm in einem Walde allein reisen; er hat gewiß in seinem Leben nicht lächeln können. Allein ich irrte mich. Der Mensch hörte den jungen

Herren am Fenster zu und lächelte einigemal über ihre Reden. Aber das war ein Lächeln! Es überlief mich eiskalt. Die schadenfrohe Hölle schien aus allen feinen Zügen zu grinsen.

Wenn der im roten Rock nicht der Teufel ist, dachte ich, so ist es sein Bru­

Ich sah ihm unwillkürlich nach den Füßen, den bekannten Pferdefuß zu beobachten; und richtig, er hatte einen Menschenfuß wie unser einer, und sein linker war ein Klump­ der.

fuß im Schnürstiefel. Doch hinkte er damit nicht und trat überhaupt so schleichend auf wie über Eierschalen, die er nicht zerdrücken wollte. Er hätte sich für bares Geld sehen lassen können, um die Voltaires abergläubig zu machen. Den spanischen Krieg vergaß ich durchaus. Ich hielt zwar die Zeitung vor mich hin, schielte jedoch darüber hinaus, um die merkwürdige Gestalt länger zu beobachten. Indem der Rotrock am Schachtisch vorbeiging, sagte einer der Spieler zu seinem düster und ver­ legen dasitzenden Gegner mit triumphierender Miene: „Sie sind ohne Rettung verloren!"

Der Rotrock blieb einen Augenblick stehen, warf einen feurigen Blick über das Spiel und sagte zu dem Sieger: „Sie sind geblendet, beim dritten Zuge unausbleiblich matt!" Der Sieger lächelte vornehm, der Bedrängte schüttelte zweifelnd den Kopf und zog. Beim dritten Zug war der vermeinte Sieger in der That schachmatt. Ich sah ihn seitdem nie wieder, vergaß aber die auffallende Gestalt mit der Höllen­ physiognomie nicht und fürchtete mich, sie im Traume zu erblicken. Nun stand er unverhofft vor mir im Zimmer.

„Um Verzeihung, wenn ich Sie störe!" sagte er.

„Habe ich die

Ehre, Herrn Robert zu sprechen?" „Der bin ich in der That!" erwiderte ich. „Womit beweisen Sie das?" Sonderbare Frage! dachte ich. Es lag ein halbzerriffener Brief auf meinem Tische. Ich zeigte ihm die an mich gerichtete Zuschrift auf dem Umschlag. „Ganz gut," sagte er, „allein Sie tragen einen Namen, der so allgemein ist, daß man dergleichen in allen Winkeln Deutschlands, Ungarns und Polens findet. Geben Sie mir nähere Um­

Ich möchte mit Ihnen Geschäfte machen. Man hat mich an Sie adressiert." „Mein Herr," sagte ich, „verzeihen Sie! Ich kann jetzt nicht an Geschäfte denken, bin auf dem Sprung zur Abreise und habe noch tausend Dinge zu besorgen. Auch irren Sie sich

stände an.

wohl in meiner Person; denn ich bin weder Staatsmann, noch Kaufmann."

Er maß mich

mit großen Augen und sagte: „So?" Er schwieg eine Weile und schien im Begriff um­ zukehren, dann aber fing er an: „Sie haben doch Handelsgeschäfte in Prag gemacht? Ist

Novelle.

343

nicht Ihr Herr Bruder auf dem Punkt, bankrott zu werden?" Ich muß feuerrot geworden

sein; denn davon wußte, glaubte ich, außer meinem Bruder keine Seele als ich. Auch lächelte der Versucher wieder sein entsetzlich schadenfrohes Lächeln. „Mein Herr, Sie irren

sich noch einmal," sagte ich. „Zwar habe ich einen Bruder und mehr als einen, aber keinen, der an Bankrott denkt oder dergleichen zu fürchten hätte." „So?" murmelte der

Versucher, und seine Züge wurden wieder hart und eisern. „Mein Herr!" sagte ich etwas empfindlich, denn es war mir gar nicht lieb, daß jemand in Prag lebte, der von meines Bruders Umständen unterrichtet war, und ich fürchtete, der Schlaukopf wolle in mein Spiel sehen wie dem Schachspieler im Kaffeehause. „Sie sind gewiß an den unrechten Mann gewiesen. Ich muß um Verzeihung bitten, daß ich Sie ersuche, sich kurz zu saffen. Ich habe keinen Augenblick zu versäumen." „Gedulden Sie sich nur eine Minute," erwiderte er; „es liegt mir daran, mit Ihnen zu reden. Sie scheinen unruhig und verlegen. Ist Ihnen etwas Unangenehmes widerfahren? Sie sind ftemd hier. Ich gehöre zwar auch

nicht nach Prag und sehe die Stadt seit zwölf Jahren zum ersten Mal wieder. Allein ich weiß zu allen Dingen guten Rat. Vertrauen Sie sich mir. Sie haben das Gesicht eines Biedermannes. Brauchen Sie Geld?" Da lächelte oder vielmehr grinsete er wieder, als wollte er mir meine Seele abkaufen. Sein Wesen ward immer verdächtiger; ich schielte von ungefähr nach seinem Klumpfuß, und wirklich wandelte mich abergläubische Furcht an. In keinem Falle wollte ich mich mit dem verdächtigen Wesen einlaffen und sagte, ich hätte kein Geld nötig. „Da Sie mir es

aber so großmütig antragen, mein Herr, darf ich Sie um Ihren Namen bitten?"

„An

meinem Namen kann Ihnen nicht viel liegen," erwiderte er, „der thut nichts zur Sache. Ich bin ein Mannteufel. Giebt mir der Name bei Ihnen mehr Zutrauen?" „Ein Mann­ teufel?" sagte ich und wußte vor seltsamer Verlegenheit nicht, was ich sagen wollte, und ob das ganze Ding Ernst oder Spaß sei. Indem ward an die Thüre gepocht. Der Wirt trat herein und brachte mir einen Brief, der von der Post gekommen war. Ich nahm ihn. „Lesen Sie nur den Brief erst!" fing der Rotrock an. „Nachher können wir schon weiter sprechen. Der Brief ist ohne Zweifel von Ihrer liebenswürdigen Fanny." Ich ward verlegener als je. „Wiffen Sie

nun endlich," fuhr der Fremde fort und grinsete, „wiffen Sie nun, wer ich bin, und was ich von Ihnen will?" Es lag mir auf den Lippen zu sagen: Mein Herr, Sie sind, glaube ich, der Satan und möchten meine arme Seele zum Frühstück. Doch hielt ich an mich. „Noch mehr," setzte er hinzu, „Sie wollen nach Eger.

Gut, mein Weg geht durch das

Städtchen. Ich reise morgen ab. Wollen Sie einen Platz in meinem Wagen annehmen?" Ich dankte und sagte: „Ich habe schon die Post bestellt." Da ward er unruhiger und sagte: „Es ist Ihnen nicht beizukommen. Aber Ihre Fanny, den kleinen Leopold und August

muß ich doch im Vorbeigehen kennen lernen. Erraten Sie noch nicht, wer ich bin, und was ich will? Mein Herr, ich möchte Ihnen gern einen Dienst leisten. Reden Sie doch!" „Gut," sagte ich endlich. „Wenn Sie ein Hexenmeister sind, mir ist meine Brieftasche fort­ gekommen. Raten Sie mir, wie ich sie wiederbekomme!" „Pah, was ist an einer Brief­ tasche gelegen? Kann ich Ihnen sonst nicht ...." „In der Brieftasche waren aber wichtige Papiere, über vierzehnhundert Thaler an Wert. Raten Sie mir, was habe ich zu thun, wenn sie verloren ist, und was, wenn sie gestohlen ist?" „Wie sah die Brieftasche aus?" „Seiden­ überzug, hellgrün, mit Stickerei, mein Namenszug von Blumen darin. Es war eine Arbeit von meiner Frau." „So ist der Überzug mehr wert als die vierzehnhundert Thaler!" Er

lächelte mich wieder dabei mit seiner fürchterlichen Freundlichkeit an; dann fuhr er fort: „Da

muß Rat geschafft werden.

Was geben Sie mir, wenn ich Ihnen den Verlust ersetze?"

Epische Poesie.

344 Bei diesen Worten sah

er mich so scharf und sonderbar an, als wollte er mir die

Antwort: „Ich schenke Ihnen meine Seele!" auf die Zunge legen.

Da ich aber verlegen

stillschwieg, griff er in die Tasche und zog meine Brieftasche vor. „Da haben Sie Ihr Kleinod und die vierzehnhundert Thaler nebst Zubehör!" sagte er. Ich war außer mir.

„Wie kommen Sie dazu?" rief ich und blätterte in der Brieftasche und fand, daß nichts fehlte. „Gestern Nachmittag um 4 Uhr fand ich die Brieftasche auf der Moldaubrücke und steckte sie ein." Richtig, um die gleiche Zeit war ich über die Brücke gegangen, hatte

die Brieftasche in Händen gehabt und eingesteckt. „Vermutlich nebenbeigesteckt!" sagte der Rotrock.

„Nun aber wußte ich nicht, ob

mein Fund von einem zu Fuß oder zu Pferde, hinter oder vor mir verloren war. Ich blieb eine Stunde lang auf der Brücke, einen Suchenden abzuwarten. Als niemand kam, ging ich in mein Wirtshaus. Ich las den Inhalt, die Briefe, um daraus den Verlierer zu erforschen. Eine Adreffe zeigte mir Ihren Namen und Ihren Aufenthalt in diesem Gasthause an.

Darum machte ich mich zu Ihnen auf.

Schon gestern Abend war ich hier

und fand Sie nicht." Lieber Gott, wie kann man sich doch mit seiner Physiognomik täuschen! Ich hätte meinem Mannteufel um den Hals fallen mögen. Ich sagte ihm die verbindlichsten Dinge.

Meine Freude war so übermäßig als vorher mein Verdruß. Er wollte aber nichts von allem hören. „Grüßen Sie Ihre Fanny von mir. Reisen Sie glücklich. Wir sehen uns schon einmal wieder!" sagte er und ging davon. Zschokke.

c.

Episch-didaktische Dichtungen.

10. Die Fabel. Die Fabel, eine Erfindung des natürlichen Menschen, ist eine erdichtete Geschichte, aus welcher eine bestimmte Lebensregel sich ergeben soll, die indes meist nur angedeutet ist. Sie ist rücksichtlich der Darstellung episch, rücksichtlich der Auffaffung allegorisch, rücksichtlich des Zweckes didaktisch. Man glaubte auf den einfachen Menschen stärker einzuwirken, wenn

man ihm durch leblose oder unvernünftige Geschöpfe je nach ihrem bestimmt ausgeprägten und jedem bekannten Wesen eine Lehre geben ließe. Das Allgemeine soll also in einer bestimmten, sinnlichen Gestalt auftreten; daher wählt der Fabeldichter lauter bekannte Wesen aus der Natur, der Geschichte, dem Volkswitze (Schöps, Esel, Fuchs, Gänschen,

Taube, König, Stiefmutter, Däumling, Riese, Zwerg, Hinz, Kunz, Töffel) und läßt jedes seinem Charakter gemäß handeln.

Die Mehrzahl der Fabeln tritt in metrischer Form auf; doch giebt es auch viele derselben, welche in Prosa, besonders in dialogischer Form abgefaßt sind.

1.

Von einem Schneider.

Ein Schneider kauft' ein Tuch von Lunden, Und richtet' zu, den Rock zu schneiden, Nahm's untern Arm zur selben Stunden, Nahm Ell' und Maß, zeichnet's mit Kreiden, War schon geschor'n und zubereit', Ergriff gar bald eine scharfe Scher'

Draus ihm selbst machen wollt' ein Kleid;

Und schnitt dasselbe flugs durchher. Trug's heim, auf seinen Tisch legt's nieder, Da wurden draus drei gleiche Stück'; Maß, überschlug's, legt's hin und wieder Eins warf er hinter sich zurück,

Fabel.

345

Das man dasselb' sollt sehen nit, Hob auf und sang dazu ein Lied. Das sah sein Knecht, der bei ihm saß,

Jst's doch euer eigen, habt's selbst getauft!

Sprach: „Meister, warum thut ihr das? Habt euch versehen in dem Messen,

Daß ihr eu'r eigen Gut wollt stehlen?", Er sprach: „Gott geb' dem Brauch die Weih',

-Oder seid ihr sonsten so vergessen?

Ich steckt's nach der Gewohnheit bei!"

Ist, daß euch etwas überlauft? Vor wem wollt ihr dasselb' verhehlen,

Burkard Waldis.

2.

Der Anteil des Löwen.

Ein Löwe, Fuchs und Esel jagten miteinander und fingen einen Hirsch; da hieß

Der Esel machte drei Teile; des war der Löwe zornig und riß dem Esel die Haut über den Kopf, daß er blutrünstig dastand, und hieß den Fuchs das Wildbret teilen. Der Fuchs stieß die drei Teile zusammen und gab fie dem Löwen dar. Des lachte der Löwe und sprach: „Wer hat dich so lehren teilen?" Der Fuchs zeigte auf den Esel und sprach: „Der Doktor da im roten Barett." der Löwe den Esel das Wildbret teilen.

Diese Fabel lehrt zwei Stücke; das erste: Herren wollen Vorteil haben, und man

soll mit Herren nicht Kirschen esien, sie werfen einen mit den Stielen; das andere: Der ist ein weiser Mann, der sich an eines andern Unfall beffern kann. Luther.

3.

Der Hirsch und der Eber.

Ein Eber fragt den Hirsch: „Was macht dich hundescheu?

Für mich gesteh' ich gern, daß ich es nicht begreife, Du hörst so scharf als sie; wie schnell sind deine Läufe!

Wie fürchterlich ist dein Geweih! Und da du größer bist, so solltest du dich schämen, Vor Kleinern stets die Flucht zu nehmen. Was ist es immermehr, das so dich schrecken kann?"

„Das will ich," spricht der Hirsch, „dir im Vertrauen sagen; Der Abscheu hängt mir noch von meinem Vater an: Ich kann das Heulen nicht vertragen." Hagedorn.

4.

Das Gespenst.

Ein Hauswirt, wie man mir erzählt,

Und ließ sich seine Verse lesen. Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält, Der Dichter las ein frostig Trauerspiel, Er ließ, des Geists sich zu erwehren, Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr Sich heimlich das Verbannen lehren; wohl gefiel. Doch kraftlos blieb der Zauberspruch. Der Geist, den nur der Wirt und nicht der Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren Dichter sah, Und gab in einem weißen Tuch Erschien und hörte zu; es fing ihn an zu Ihm alle Nächte den Besuch. schauern, Ein Dichter zog in dieses Haus. Er konnt' es länger nicht als einen Aufzug Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein dauern;

gewesen, Bat sich des Dichters Zuspruch aus

Denn eh' der andre kam, so war er nicht

mehr da.

Epische Poesie.

346

Der Geist erschrak und winkte mit der Hand, Der Wirt, von Hoffnung eingenommen, Ließ gleich die andre Nacht den Dichter wieder­ Der Diener sollte ja nicht gehen. Und kurz, der weiße Geist verschwand kommen. Der Dichter las; der Geist erschien, Und ließ sich niemals wieder sehen. Doch ohne lange zu verziehn. Ein jeder, der dies Wunder liest, „Gut!" sprach der Wirt bei sich, „dich will ich Zieh' sich daraus die gute Lehre, Daß kein Gedicht so elend ist, bald versagen, Kannst du die Verse nicht vertragen." Das nicht zu etwas nützlich wäre.

Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein. Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut,

Sobald es zwölfe schlug, ließ das Gespenst

So kann uns dies zu großem sich blicken. „Johann!" fing drauf der Wirt gewaltig an dienen: Gesetzt daß sie in unsrer Zeit zu schrein, „Der Dichter (lauf geschwind!) soll von der Auch legionenweis erschienen,

Troste

So wird, um sich von allen zu befrein, Güte sein Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde An Versen doch kein Mangel sein. schicken." G-ll-rt.

5.

Der Maler.

Ein kluger Maler in Athen, Der minder, weil man ihn bezahlte,

Ach, welcher Fuß! O, wie geschickt

Sind nicht die Nägel ausgedrückt!

Als weil er Ehre suchte, malte, Mars lebt durchaus in diesem Bilde! Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn Wie viele Kunst, wie viele Pracht Ist in dem Helm und in dem Schilde Und bat sich seine Meinung aus.

Der Kenner sagt' ihm frei heraus, Und in der Rüstung angebracht!" Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte, Der Maler ward beschämt gerühret Und daß es, um recht schön zu sein,

Weit Minder Kunst verraten sollte. Der Maler wandte vieles ein;

Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen Und konnt' ihn doch nicht überwinden. Gleich trat ein junger Geck herein Und nahm das Bild in Augenschein. „O!" rief er bei dem ersten Blicke, „Ihr Götter, welch ein Meisterstücke!

Und sah den Kenner kläglich an. „Nun," sprach er, „bin ich überführet!

Ihr habt mir nicht zu viel gethan."

Der junge Geck war kaum hinaus, So strich er seinen Kriegsgott aus. Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt, So ist es schon ein böses Zeichen; Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält,

So ist es Zeit, sie auszustreichen. Gellert.

6.

Die Geschichte von dem Hute.

Der erste, der mit kluger Hand Der Männer Schmuck, den Hut, erfand, Trug seinen Hut unaufgeschlagen; Die Krempen hingen flach herab,

Und dennoch wußt' er ihn zu tragen, Daß ihm der Hut ein Ansehn gab.

Er starb und ließ bei seinem Sterben Den runden Hut dem nächsten Erben. Der Erbe weiß den runden Hut

Nicht recht gemächlich anzugreifen; Er sinnt und wagt es kurz-und gut,

Er wagt's, zwei Krempen aufzusteifen.

347

Fabel. Drauf läßt er sich dem Volke sehn, Das Volk bleibt vor Verwundrung stehn

Nun geht er aus, und alle schreien: „Was sehn wir? Sind es Zaubereien?

Und schreit: „Nun läßt der Hut erst schön!" Ein neuer Hut! O glücklich Land, Wo Wahn und Finsternis verschwinden! Er starb und ließ bei seinem Sterben Mehr kann kein Sterblicher erfinden, Den aufgesteisten Hut dem Erben.

Der Erbe nimmt den Hut und schmält. „Ich," spricht er, „sehe wohl, was fehlt."

Als dieser große Geist erfand!" Er starb und ließ bei seinem Sterben

Den umgewandten Hut dem Erben. Erfindung macht die Künstler groß

Er fetzt darauf mit weisem Mute Die dritte Krempe zu dem Hute.

„O," rief das Volk, „der hat Verstand!

Und bei der Nachwelt unvergesien.

Seht, was ein Sterblicher erfand! Er, er erhöht sein Vaterland!"

Der Erbe reißt die Schnüre los, Umzieht den Hut mit goldnen Tressen,

Er starb und ließ bei seinem Sterben

Den dreifach spitzen Hut dem Erben. Der Hut war freilich nicht mehr rein; Doch sagt, wie konnt' es anders sein? Er ging schon durch die vierten Hände.

Verherrlicht ihn durch einen Knopf Und drückt ihn seitwärts auf den Kopf. Ihn sieht das Volk und taumelt vor Vergnügen.

„Nun ist die Kunst erst hoch gestiegen! Ihm," schrie es, „ihm allein ist Witz und Geist verliehn!

Der Erbe färbt ihn schwarz, damit er was

erfände. „Beglückter Einfall!" rief die Stadt,

Nichts sind die andern gegen ihn! Er starb und ließ bei seinem Sterben

„So weit sah keiner noch, als der gesehen hat. Ein weißer Hut ließ lächerlich;

Den eingefaßten Hut dem Erben; Und jedesmal ward die erfundne Tracht

Schwarz, Brüder, schwarz! so schickt es sich." Er starb und ließ bei seinem Sterben

Im ganzen Lande nachgemacht.

Was mit dem Hute sich noch ferner zuge­ Den schwarzen Hut dem nächsten Erben. tragen, Der Erbe trägt ihn in sein Haus Will ich im zweiten Buche sagen. Und sieht, er ist sehr abgetragen; Der Erbe ließ ihm nie die vorige Gestalt, Er sinnt und sinnt das Kunststück aus, Das Außenwerk ward neu, er selbst, der Hut, Ihn über einen Stock zu schlagen. blieb alt.

Durch heiße Bürsten wird er rein;

Und daß ich's kurz zusammenzieh',

Er faßt ihn gar mit Schnüren ein.

Es ging dem Hute fast wie der Philosophie. Gellert.

7.

Die junge Schwalbe.

„Was macht ihr da?" fragte eine Schwalbe die geschäftigen Ameisen. „Wir sammeln Senat für den Winter," war die geschwinde Antwort. „Das ist klug," sagte die Schwalbe,

„das will ich auch thun." Und sogleich fing sie an, eine Menge toter Spinnen und Fliegen in ihr Nest zu tragen. „Aber wozu soll das?" fragte endlich die Mutter. „Wozu? Vorrat

auf den bösen Winter, liebe Mutter; sammle doch auch! Die Ameisen haben mich diese Vorsicht gelehrt." „O laß den Ameisen diese kleine Klugheit," versetzte die alte; „was sich für sie schickt, schickt sich nicht für bessere Schwalben. Uns hat die gütige Natur ein

holderes Schicksal bestimmt. Wenn der reiche Sommer endet, ziehen wir von hinnen; auf dieser Reise entschlafen wir allgemach, und da empfangen uns warme Sümpfe, wo wir ohne Bedürfniffe rasten, bis uns ein neuer Frühling zu einem neuen Leben erweckt," . Hessing,

Epische Poesie.

348 8.

Der Rabe und der Fuchs.

Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort. Und eben wollte er es auf

einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: „Sei mir ge­ segnet, Vogel des Jupiter!" „Für wen siehst du mich an?" fragte der Rabe. „Für wen ich dich ansehe?" erwiderte der Fuchs. „Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten des Zeus auf diese Eiche herabkommt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?" Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtume nicht

bringen. Großmütig stumm ließ er ihm also feinen Raub hinabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch

bald kehrte sich die Freude in ein schmerzliches Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte. Möchtet ihr euch nie etwas Anderes als Gift erloben, verdammte Schmeichler! Lessing.

9.

Der Rangstreit der Tiere.

Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Tieren. Ihn zu schlichten, sprach das Pferd: „Lastet uns den Menschen zu Rate ziehen! Er ist keiner von den streitenden Teilen und kann desto unparteiischer sein." „Aber hat er auch den Verstand dazu?" ließ sich ein

Maulwurf hören. „Er braucht wirklich den allerfeinsten, unsere so tief versteckten Voll­ kommenheiten zu erkennen." „Das war sehr weislich erinnert!" sprach der Hamster. „Ja wohl!" ries auch der Igel.

genug besitzt."

„Ich glaube es nimmermehr, daß der Mensch Scharfsichtigkeit „Wir wiffen es schon; wer sich auf

„Schweigt ihr!" befahl das Pferd.

die Güte feiner Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, die Einsicht seines Richters in Zweifel zu ziehen." Der Mensch ward Richter.

„Noch ein Wort,"

rief ihm der majestätische Löwe zu,

Nach welcher Regel, Mensch, willst du unsern Wert be­ stimmen?" „Nach welcher Regel? Nach dem Grade ohne Zweifel," antwortete der Mensch, „in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid." „Vortrefflich!" versetzte „bevor du den Ausspruch thust.

der beleidigte Löwe.

„Wie weit würde ich alsdann unter dem Esel zu stehen kommen!

Du kannst unser Richter nicht sein, Mensch! Verlaß die Versammlung." Der Mensch entfernte sich. „Nun," sprach der höhnische Maulwurf, und ihm stimmten

der Hamster und der Igel wieder bei, „siehst du, Pferd? Der Löwe meint es auch, daß der Mensch unser Richter nicht sein kann. Der Löwe denkt wie wir." „Aber aus befferen Gründen als ihr!" sagte der Löwe und warf ihnen einen verächtlichen Blick zu. Der Löwe fuhr weiter fort: „Der Rangstreit, wenn ich es recht überlege, ist ein nichtswürdiger Streit.

Haltet mich für den Vornehmsten oder Geringsten, es gilt mir

gleich viel. Genug, ich kenne mich!" Und so ging er aus der Versammlung. Ihm folgte der weise Elefant, der kühne Tiger, der ernsthafte Bär, der kluge Fuchs, das edle Pferd,

kurz alle, die ihren Wert fühlten oder zu fühlen glaubten. Die sich am letzten weg­ begaben und über die zerrissene Versammlung am meisten murrten, waren der Affe und der Esel.

Lessing.

Fabel.

10.

349

Der Knabe und die Schlange.

Der Knabe spielte mit einer zahmen Schlange. „Mein liebes Tierchen," sagte der Knabe, „ich würde mich mit dir so gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht benommen wäre. Ihr Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe! Ich habe es wohl gelesen, wie es einem armen Landmann ging, der eine vielleicht von deinen Ureltern, die

er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob und sie in seinen erwärmenden Busen steckte. Kaum fühlte sich die Böse wieder, als sie ihren Wohlthäter biß, und der gute, freundliche Mann mußte sterben."

„Ich erstaune," sagte die Schlange, „wie par­

teiisch eure Geschichtsschreiber sein müssen; die unsrigen erzählen diese Historie ganz anders. Dein fteundlicher Mann glaubte, die Schlange sei wirklich erftoren, und weil es eine von den bunten Schlangen war, so steckte er sie zu sich, ihr zu Hause die schöne Haut ab­ zustreifen. War das recht?" „Ach, schweig nur," erwiderte der Knabe, „welcher Undank­ bare hätte sich nicht zu entschuldigen gewußt!" „Recht, mein Sohn," fiel der Vater, der dieser Unterredung zugehört hatte, dem Knaben, ins Wort. „Aber gleichwohl, wenn du einmal von einem außerordentlichen Un­

danke hören solltest, so untersuche ja alle Umstände genau, bevor du einen Menschen mit so einem abscheulichen Schandfleck brandmarken lässest. Wahre Wohlthäter haben selten

Undankbare verpflichtet, ja ich will zur Ehre der Menschheit hoffen, niemals. Aber die Wohlthäter mit kleinen, eigennützigen Absichten, die sind es wert, mein Sohn, daß sie

Undank statt Erkenntlichkeit einwuchern." Lessing.

11.

Zeus und das Pferd.

„Vater der Tiere und Menschen," so sprach das Pferd und nahte sich dem Throne

des Zeus, „man will, ich sei eines der schönsten Geschöpfe, womit du die Welt geziert, und meine Eigenliebe heißt mich es glauben. Aber sollte gleichwohl nicht noch verschiedenes an mir zu beffern sein?" „Und was meinst du denn, daß an dir zu bessern sei? Rede,

ich nehme Lehre an," sprach der gute Gott und lächelte. „Vielleicht," sprach das Pferd weiter, „würde ich flüchtiger fein, wenn meine Beine höher und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht entstellen; eine breitere Brust würde meine Stärke vermehren, und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel anerschaffen sein, den mir der wohlthätige Reiter auflegt." „Gut," versetzte Zeus; „geduldige dich einen Augenblick!" Zeus mit ernstem Gesichte sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband

sich organisierter Stoff, und plötzlich stand vor dem Throne das häßliche Kamel. Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu. „Hier sind höhere und schmächtigere Beine," sprach Zeus; „hier ist ein langer Schwanenhals, hier eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du, Pferd, daß ich dich so um­

bilden soll?" Das Pferd zitterte noch. „Geh'," fuhr Zeus fort; „dieses Mal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu er­ innern, so daure du fort, neues Geschöpf" (Zeus warf einen erhaltenden Blick auf das

Kamel), „und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern!" Lessin g.

12.

Die Eiche und das Schwein.

Ein gefräßiges Schwein mästete sich unter einer hohen Eiche mit der herabgefallenen Frucht. Indem es eine Eichel zerbiß, verschluckte es bereits eine andere mit dem Auge.

350

Epische Poesie.

„Undankbares Vieh!" rief endlich der Eichbaum herab.

„Du nährst dich von meinen

Früchten, ohne. einen einzigen dankbaren Blick auf mich in die Höhe zu richten."

Das

Schwein hielt einen Augenblick inne und grunzte zur Antwort: „Meine dankbaren Blicke sollten nicht ausbleiben, wenn ich nur wüßte, daß du deine Eicheln meinetwegen hättest

fallen laßen."

s-ssi-g.

13. Der Hänfling. Ein Hänfling, den der erste Flug

Aus seiner Eltern Neste trug,

Hub an, die Wälder zu beschauen, Und kriegte Lust, sich anzubauen.

Ein edler Trieb; denn eigner Herd Ist, sagt das Sprichwort, Goldes wert. Die stolze Glut der jungen Brust

Mit umgekehrtem Eigensinn Begab er sich zur Erde hin Und baut in niedriges Gesträuche; So scheu macht ihn der Fall der Eiche. Doch Staub und Würmer zwangen ihn, Zum andern Mal davonzuziehn. Da baut er sich das dritte Haus

Macht ihm zu einem Eichbaum Lust.

Und las ein dunkles Büschchen aus, „Hier wohn' ich," sprach er, „wie ein König; Wo er den Wolken nicht zu nahe, Doch nicht die Erde vor sich sahe, Dergleichen Nester giebt es wenig." Kaum stand das Nest, so ward's verheert Und durch den Donnerstrahi verzehrt. Es war ein Glück bei der Gefahr,

Ein Ort, der in der Ruhe liegt; Da lebt er noch und lebt vergnügt.

Vergnügte Tage findet man,

Und fand die Eiche halb zersplittert; Da sah er mit Bestürzung ein,

Wofeme man sie finden kann, Nicht auf dem Thron und nicht in Hütten; Kannst du vom Himmel es erbitten, So sei dein eigner Herr und Knecht;

Er könnte hier nicht sicher sein.

Dies bleibt des Mittelstandes Recht.

Daß unser Hänfling auswärts war; Er kam, nachdem es ausgewittert,

L i ch t w e r.

14. Die Sonne und die Tiere. Kann ich doch kein Schlupfloch

„O Sonne, scheine nicht so heiß! Ich muß vor Mattigkeit und Schweiß

O Sonne!

gnügen Leg' ich mich stundenlang hinein."

neigt!" Hub eine Feldmaus an, „es reifen meine Ähren;

Die Eule schrie: „Verschone mein Gesicht Mit deinem mir verhaßten Licht,

Die Sonne hört es an, scheint fort und schweigt.

finden, Wohin dein Strahl nicht dringt! Ich werde Bei meiner Arbeit hier erliegen." So rief der Esel. „Dank für deinen Schein, noch erblinden!" O Sonne!" rief die Schlange. „Mit Ver­ „Wohlthät'ge Sonne, sei mir lange noch ge­

Vollauf kann ich mich wieder nähren!" W i l l a m o w.

15. Die Frösche. Ein großer Teich war zugefroren;

Die Fröschlein, in der Tiefe verloren,

Wie Nachtigallen wollten sie singen.

Der Thauwind kam, das Eis zerschmolz,

Durften nicht ferner quaken, noch springen,

Nun ruderten sie und landeten stolz

Versprachen sich aber im halben Traum, Fänden sie nur da oben Raum,

Und saßen am Ufer weit und breit

Und quakten wie vor alter Zeit. Goethe.

Allegorie, Parabel und Paramythie.

351

1L Die Allegorie, Parabel und Paramythie. Die Allegorie.

a.

Die Allegorie ist eine Vereinigung mehrerer Symbole zu einem Ganzen, so daß

dieses Ganze dann wieder Symbol für eine Idee und die einzelnen Symbole Bilder für die einzelnen Teile dieser Idee sind. Mit dem Worte Symbol bezeichnet man aber das Sichtbare, das sinnlich Wahrnehmbare, durch welches etwas Unsichtbares oder eine Idee

veranschaulicht werden soll. So ist der Palmzweig das Symbol des Friedens, der Anker das Symbol der Hoffnung, die Schlange das Symbol der Ewigkeit. Die Allegorie ver­ sinnlicht also einen übersinnlichen Gegenstand durch ein ihm vollkommen entsprechendes Bild. Sie ist entweder personifizierend, wenn der übersinnliche Gegenstand verkörpert wird,

oder anthropomorphisch, wenn wirkliche Gegenstände zu Trägern des Gedankens, der Idee gemacht werden, oder endlich metaphorisch, wenn an die Stelle des Hauptbildes ein dasselbe versinnlichendes Gegenbild gesetzt wird. Die Allegorie, deren Form von der Wahl des Dichters abhängt, tritt nur selten als

selbständiges Gedicht, öfter als Teil eines größeren Gedichtes auf.

1.

Die drei Ringe.

Vor grauen Jahren lebt' ein Mann im Die andern zwei nicht teilten, würdiger Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Wert Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte,

Des Ringes, den er denn auch einem jeden

Die fromme Schwachheit hatte zu versprechen. Das ging nun so, so lang es ging. Allein Es kam zum Sterben, und der gute Vater Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Verlaßen, so zu kränken. Was zu thun? Er sendet insgeheim zu einem Künstler, Daß ihn der Manu im Osten dämm nie Bei dem er nach dem Muster seines Ringes Vom Finger ließ und die Verfügung traf,

Zwei andere bestellt und weder Kosten, Aus ewig ihn bei seinem Hause zu Erhalten. Nämlich so l Er ließ den Ring Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Von seinen Söhnen dem geliebtesten Da er ihm die Ringe bringt,

Und setzte fest, daß dieser wiederum

Dem Künstler.

Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, Der ihm der liebste sei, und stets der liebste Ohn' Ansehn der Geburt in Kraft allein Des Rings das Haupt, der Fürst des Hauses

Kann selbst der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden insbesondere,

Giebt jedem insbesondre seinen Segen

werde. Und seinen Ring und stirbt. So kam nun dieser Ring von Sohn zu Sohn Kaum war der Vater tot, so kommt ein jeder

Auf einen Vater endlich von drei Söhnen,

Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst

Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,

Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht

Die alle drei er folglich gleich zu lieben

Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Erweislich, fast so unerweislich, als Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Uns jetzt der rechte Glaube. Nun, die Söhne Der dritte, so wie jeder sich mit ihm Verklagten sich, und jeder schwur dem Richter, Allein befand und sein ergießend Herz

Unmittelbar aus seines Vaters Hand

Epische Poesie.

352

Den Ring zu haben, wie auch wahr, nachdem Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring Er von ihm lange das Versprechen schon Vermutlich ging verloren. Den Verlust Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater Genießen, wie nicht minder wahr. Der Vater, Die drei für einen machen. Wenn ihr nun Beteu'rte jeder, könne gegen ihn Nicht meinen Rat statt meines Spruches wollt,

Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses Geht nur! Mein Rat ist aber der: Ihr nehmt Von ihm, von einem solchen lieben Vater, Die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von Argwohnen lass', eh' muss' er seine Brüder, Euch jeder seinen Ring von seinem Vater, So gern er sonst von ihnen nur das Beste So glaube jeder sicher seinen Ring Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels Bezeihen, und er wolle die Verräter

Den echten! Möglich, daß der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger

Schon auszufinden wissen, sich schon rächen. In seinem Hause dulden wollen! Und gewiß, Der Richter sprach: „Wenn ihr mir nun den Daß er euch alle drei geliebt und gleich Geliebt, indem er zwei nicht drücken mögen, Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich euch Um einen zu begünstigen. Wohlan! Von meinem Stuhl. Denkt ihr, daß ich Rätsel Es eifre jeder seiner unbestochenen, Von Vorurteilen freien Liebe nach! Zu lösen da bin? Oder harret ihr, Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? Es strebe von euch jeder um die Wette,

Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkrast beliebt zu machen,

Die Kraft des Steins, in seinem Ring an Tag Zu legen, komme dieser Kraft mit Sanftmut,

Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun, Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Mit innigster Ergebenheit in Gott Doch das nicht können! Nun, wen lieben zwei Zu Hüls'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte Von euch am meisten? Macht, sagt an! Ihr Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern,

Nach außen? Jeder liebt sich selber nur

So lad' ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weis'rer Mann auf diesem Stuhle sitzen

Am meisten? O, so seid ihr alle drei Betrogene Betrüger! Eure Ringe

Als ich und sprechen. Bescheidne Richter.

schweigt? Die Ringe wirken nur zurück und nicht

Geht!" So sagte der Lessing.

2.

Das Kind der Sorge.

Einst saß am murmelnden Strome Die Sorge nieder und sann; Da bildet im Traum der Gedanken Ihr Finger ein thönernes Bild. „Was hast du, sinnende Göttin?" Fragt Zeus, der eben ihr naht. „Ein Bild, von Thone gebildet;

Sprach Jupiter. Als sie so sprachen, Da trat auch Tellus hinan.

„Mein ist's!

Sie hat mir genommen

Von meinem Schoße das Kind." „Wohlan!" sprach Jupiter, „wartet!

Dort kommt ein Entscheider, Saturn." Saturn sprach: „Habet es alle! So will es das hohe Geschick.

Beleb's, ich bitte dich, Gott!" „Wohlan denn! Lebe! Es lebet,

Du, der das Leben ihm schenkte,

Und mein sei dieses Geschöpf!" Dagegen redet die Sorge:

Nimm, wenn es stirbet, den Geist; Du, Tellus, seine Gebeine;

„Nein, laß es, laß es mir, Herr!

Denn mehr gehöret dir nicht.

Mein Finger hat es gebildet." „Und ich gab Leben dem Thon,"

Dir, seiner Mutter, o Sorge, Wird es im Leben geschenkt.

Allegorie, Parabel und Paramythie.

353

Des Schicksals Spmch ist erfüllet,

Du wirst, so lang' es nur atmet, Es nie verlassen, dein Kind;

Und Mensch heißt dieses Geschöpf;

Dir ähnlich wird es von Tage

Im Leben gehört es der Sorge,

Zu Tage sich mühen ins Grab."

Der Erd' im Sterben und Gott. Herder.

3.

(Mahomets Gesang.)

Der Strom.

Bruder, nimm die Brüder mit, Mit zu deinem alten Vater,

Seht den Felsenquell Freudehell Wie ein Sternenblick; Über Wolken

Zu dem ew'gen Ocean, Der mit ausgespannten Armen

Nährten seine Jugend

Unser wartet, Die sich, ach! vergebens öffnen, Seine Sehnenden zu fassen; Denn uns frißt in öder Wüste

Gute Geister Zwischen Klippm im Gebüsch.

Jünglingsfrisch Tanzt er aus der Wolke Auf die Marmorfelsen nieder,

Gier'ger Sand; die Sonne droben Saugt an unsrem Blut; ein Hügel

Jauchzet wieder

Hemmet uns zum Teiche!

Nach dem Himmel. Durch die Gipfelgänge Jagt er bunten Kieseln nach,

Nimm die Brüder von der Ebne, Nimm die Brüder von den Bergen

Und mit frühem Führertritt Reißt er seine Bruderquellen

„Kommt ihr alle!" Und nun schwillt er Herrlicher; ein ganz Geschlechte

Stuber,

Mit, zu deinem Vater mit!"

Mit sich fort. Drunten werden in dem Thal Unter seinem Fußtritt Blumen, Und die Wiese Lebt von seinem Hauch. Doch ihn hält kein Schattenthal,

Trägt den Fürsten hoch empor! Und im rollenden Triumphe

Giebt er Ländern Namen, Städte Werden unter seinem Fuß. Unaufhalffam rauscht er weiter, Läßt der Türme Flammengipfel, Marmorhäuser, eine Schöpfung Seiner Fülle, hinter sich.

Keine Blumen, Die ihm seine Knie' umschlingen,

Ihm mit Liebesaugen schmeicheln; Nach der Ebne dringt sein Lauf, Schlangenwandelnd.

Cedernhäuser trägt der Atlas Auf den Riesenschultern: sausend Wehen über seinem Hqupte Tausend Flaggen durch die Lüste,

Bäche schmiegen Sich gesellig an. Nun tritt er In die Ebne silberprangend, Und die Ebne prangt mit ihm,

Zeugen seiner Herrlichkeit.

Und so trägt er seine Brüder, Seine Schätze, seine Kinder

Und die Flüsse von der Ebne Und die Bäche von den Bergen Jauchzen ihm und rufen: „Bruder I

Dem erwartenden Erzeuger Freudebrausend an das Herz. Goethe.

4.

Adler und Taube.

Ein Adlersjüngling hob die Flügel Nach Raub aus; Ihn traf des Jägers Pfeil und schnitt Dielitz u. Heinrich-, HandV. d. deutsch. Litteratur.

Der rechten Schwinge Sennkrast ab. Er stürzt' hinab in einen Myrtenhain, Fraß feinen Schmerz drei Tage lang

4. «uti.

23

Epische Poesie.

354 Und zuckt' an Qual

Zum nahen Busch und blickt

Drei lange, lange Nächte lang. Zuletzt heilt ihn

Mit Selbstgefälligkeit ihn fteundlich an.

„Du trauerst," liebelt er; „Sei gutes Mutes, Freund!

Allgegenwärt'ger Balsam Allheilender Natur. Er schleicht aus dem Gebüsch hervor

Hast du zur ruhigen Glückseligkeit

Nicht alles hier? Kannst du dich nicht des goldnen Zweiges

Und reckt die Flügel, ach,

freun, Der vor des Tages Glut dich schützt?

Die Schwingkraft weggeschnitten!

Hebt sich mühsam kaum Am Boden weg

Kannst du der Abendsonne Schein

Unwürd'gem Raubbedürfnis nach

Auf weichem Moos am Bache nicht

Und ruht tieftrauernd Auf dem niedem Fels am Bach;

Die Brust entgegenheben? Du wandelst durch der Blumen frischen Tau, Pflückst aus dem Überfluß

Er blickt zur Eich' hinauf,

Hinauf zum Himmel, Und eine Thräne füllt sein hohes Aug'.

Des Waldgebüsches dir Gelegne Speise, letzest

Da kommt mutwillig durch die Myrtenäste Den leichten Durst am Silberquell! Dahergerauscht ein Taubenpaar,

O, Freund, das wahre Glück

Läßt sich herab und wandelt nickend Über goldnen Sand am Bach

Ist die Genügsamkeit,

Und ruckt einander an; Ihr rötlich Auge buhlt umher,

Hat überall genug."

Und die Genügsamkeit „O, weise!" sprach der Adler, und tief ernst Versinkt er tiefer in sich selbst;

Erblickt den Jnnigtrauernden. Der Tauber schwingt neugiergesellig sich

5.

„O Weisheit! _____

Du red'st wie eine Taube!" Goethe,

S e efahrt.

Lange Tag' und Nächte stand mein Schiff Hoffnungslieder nach, im Freudetaumel

befrachtet; Günst'ger Winde harrend, saß, mit treuen

Freunden

Mir Geduld und guten Mut erzechend, Ich im Hafen. Und sie waren doppelt ungeduldig.

Reisefreuden wähnend

wie

des Einschiffs­

morgens, Wie der ersten hohen Sternennächte.

Aber gottgesandte Wechselwinde treiben« Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab,

„Gerne gönnen wjr die schnellste Reise, Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle

Und er scheint sich ihnen hinzugeben, Strebet leise, sie zu überlisten, Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege.

Wartet drüben in den Welten deiner, Wird Rückkehrendem in unsern Armen

Aber aus der dumpfen, grauen Feme Kündet leise wandelnd sich der Sturm an,

Lieb' und Preis dir." Drückt die Vögel nieder aufs Gewäffer, Und am frühen Morgen ward's Getümmel, Drückt der Menschen schwellend Herz darnieder.

Und dem Schlaf entjauchzt' uns der Matrose; Und er kommt. Alles wimmelt, alles lebet, webet, Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen. Und die Segel blähen in dem Hauche,

Vor seinem starren Wüten

Streckt der Schiffer klug die Segel nieder;

Mit dem angsterfüllten Balle spielen

Wind und Wellen.

Und die Sonne lockt mit Feuerliebe; Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,

Und an jenem Ufer drüben stehen Freund' und Lieben, beben auf dem Festen.

Jauchzen an dem' Ufer alle Freunde

„Ach, warum ist er nicht hier geblieben!

Allegorie, Parabel und Paramythie. Ach,

der

Sturm!

Verschlagen weg

355

vom Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen,

Glücke! Soll der Gute so zu Gmnde gehen?

Ach, er sollte? Ach, er könnte? Götter!" Doch er stehet männlich an dem Steuer;

Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen; Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe Und verttauet, scheiternd oder landend, Seinen Göttern. G°«th-.

6. Z«ei g « u n g. Der Morgen kam; es scheuchten seine Tritte Dein strebend Herz sich fest und fester schloß. Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing, Sah ich dich nicht mit heißen Herzensthränen Daß ich erwacht aus meiner Men Hütte Als Knabe schon nach mir dich eifrig sehnen?" Den Berg hinaus mit frischer Seele ging; „Ja!" rief ich aus, indem ich selig nieder Ich freute mich bei einem jeden Schütte

Zur Erde sank, „lang' hab' ich dich gefühlt;

Der neuen Blume, die voll Tropfen hing; Der junge Tag erhob fich mit Entzücken,

Du gabst mir Ruh', wenn durch die jungen

Und alles ward erquickt, mich zu erquicken.

Glieder Die Leidenschaft sich rastlos durchgewühlt;

Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der Du hast mir wie mit himmlischem Gefieder Am heißen Tag die Stirne sanft gekühlt; Wiesen Ein Nebel sich in Streifen sacht hervor; Du schenktest mir der Erde beste Gaben, Er wich und wechselte, mich zu umfließen, Und jedes Glück will ich durch dich nur haben! Und wuchs geflügelt mir ums Haupt empor.

Dich nenn' ich nicht.

Zwar hör' ich dich

Des schönen Blicks sollt'ich nicht mehr genießen,

von vielen Die Gegend deckte mir ein trüber Flor; Gar ost genannt, und jeder heißt dich sein, Bald sah ich mich von Wolken wie umgossen Ein jedes Auge glaubt, auf dich zu zielen,

Und mit mir selbst in Dämm'rung eingeschloffen. Fast jedem Auge wird dein Strahl zur Pein. Auf einmal schien die Sonne durchzudringen, Ach, da ich irrte, hatt' ich viel' Gespielen, Im Nebel ließ sich eine Klarheit sehn; Da ich dich kenne, bin ich fast allein; Hier sank er, leise sich hinabzuschwingen, Ich muß mein Glück nur mit mirselbstgenießen, Hier teilt er steigend sich um Wald und Höhn. Dein holdes Licht verdecken und verschließen."

Wie hofft' ich, ihr den ersten Gruß zu bringen!

Sie lächelte, sie sprach: „Du siehst, wie klug, Sie hofft' ich nach der Trübe doppelt schön. Wie nöttg war's, euch wenig zu enthüllen! Der lust'ge Kampf war lange nicht geendet, Kaum bist du sicher vor dem gröbsten Trug, Ein Glanz umgab mich, und ich stand geblendet. Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen, Bald machte mich, die Augen aufzuschlagen, .So glaubst du dich schon Übermensch genug,

Ein inn'rer Trieb des Herzens wieder kühn; Versäumst, die Pflicht des Mannes zu erfüllen! Ich konnt' es nur mit schnellen Blicken wagen, Wie viel bist du von andern unterschieden? Denn alles schien zu brennen und zu glühn. Erkenne dich, leb' mit der Welt in Frieden!"

Da schwebte, mit den Wolken hergetragen, „Verzeih' mir," rief ich aus, „ich meint' es Ein göttlich Weib vor meinen Augen hin; gut; Kein schöner Bild sah ich in meinem Leben; Soll ich umsonst die Augen offen haben? Sie sah mich an und blieb verweilend schweben. Ein ftoher Wille lebt in meinem Blut; „Kennst du mich nicht?" sprach sie mit einem Ich kenne ganz den Wert von deinen Gaben! Munde, Dem aller Lieb' und Treue Ton entfloß;

Für andre wächst in mir das edle Gut; Ich kann und will das Pfund nicht mehr ver­

„Erkennst du mich, die ich in manche Wunde graben ! Des Lebens dir den reinsten Balsam goß? Warum sucht' ich den Weg so sehnsuchtsvoll, Du kennst mich wohl, an die zu ew'gem Bunde Wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?"

23*

Epische Poesie.

356

Und wie ich sprach, sah mich das hohe Wesen Der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt; Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit, Der Dichtung Schleier aus der Hand der

Mit einem Blick mitleid'ger Nachsicht an; Ich konnte mich in ihrem Auge lesen,

Was ich verfehlt, und was ich recht gethan. Sie lächelte, da war ich schon genesen,

Zu neuen Freuden stieg mein Geist heran;

Wahrheit! Und wenn es dir und deinen Freunden schwüle

Am Mittag wird, so wirf ihn in die Luft!

Sogleich umsäuselt Abendwindeskühle, Umhaucht euch Blumenwürzgeruch und -duft; Mich zu ihr nahn Und ihre Nähe schauen. Da reckte sie die Hand aus in die Streifen Es schweigt das Wehen banger Erdgefühle, Der leichten Wolken und des Dusts umher; Zum Wolkenbette wandelt sich die Gruft,

Ich konnte nun mit innigem Vertrauen

Besänftiget wird jede Lebenswelle, Wie sie ihn faßte, ließ er sich ergreifen, Er ließ sich ziehn, es war kein Nebel mehr. Der Tag wird lieblich, und die Nacht wird helle." So kommt denn, Freunde, wenn auf euren Mein Auge konnt' im Thale wieder schweifen, Wegen Gen Himmel blickt' ich, er war hell und hehr. Nün sah ich sie den reinsten Schleier halten, Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt, Er floß um sie und schwoll in tausend Fal­ Wenn eure Bahn ein ftisch erneuter Segen

Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten ten. schmückt: „Ich kenne dich, ich kenne deine Schwächen, Ich weiß, was Gutes in dir lebt und glimmt!" Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!

So sagte sie, ich hör' sie ewig sprechen;

So leben wir, so wandeln wir beglückt.

„Empfange hier, was ich dir lang bestimmt; Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern, Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen, Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern. Go ethe.

7.

Das verschleierte Bild z« Sais.

Ein Jüngling, den des Wiffens heißer Durst Dem Jüngling in die Augen fiel. Verwundert Nach Sais in Ägypten trieb, der Priester Blickt er den Führer an und spricht: „Was

ist's, Schon manchm Grad mit schnellem Geist Das hinter diesem Schleier fich verbirgt?" „Die Wahrheit," ist die Antwort. „Wie?" durcheilt;

Geheime Weisheit zu erlernen, hatte

ruft jener, „Nach Wahrheit streb' ich ja allein, und diese Und kaum besänftigte der Hierophant Den ungeduldig Strebenden. „Was hab' ich, Gerade ist es, die man mir verhüllt?" „Das mache mit der Gottheit aus," versetzt' Wenn ich nicht alles habe?" sprach der Jüng­ Der Hierophant. „Kein Sterblicher, sagt' sie, ling.

Stets riß ihn seine Forschbegierde weiter,

„Giebt's etwa hier ein Weniger und Mehr? Rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe, Und wer mit ungeweihter, schuld'ger Hand

Ist deine Wahrheit, wie der Sinne Glück, Nur eine Summe, die man größer, kleiner Besitzen kann und immer doch besitzt? Ist sie nicht eine eiuz'ge, ungeteilte? Nimm einen Ton aus einer Harmonie,

Den heiligen, verbot'nen früher hebt, Der, spricht die Gottheit —" „Nun?" „Der

sieht die Wahrheit." „Ein seltsamer Orakelspruch!

Du selbst,

Du hättest also niemals ihn gehoben?" Nimm eine Farbe aus dem Regenbogen, Und alles, was dir bleibt, ist nichts, so lang „Ich? Wahrlich nicht! Und war auch nie dazu Das schöne All der Töne fehlt und Farben." Versucht." „Das faß' ich nicht. Wenn von der Wahrheit Indem sie einst so sprachen, standen sie In einer einsamen Rotunde still Wo ein verschleiert Bild von Riesengröße

Nur diese dünne Scheidewand mich trennte —" „Und ein Gesetz," fällt ihm sein Führer ein;

Allegorie, Parabel und Paramythie.

357

„Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst, In seinem Innern eine treue Stimme Ist dieser dünne Flor, für deine Hand Versuchen den Allheiligen willst du? Zwar leicht, doch centnerschwer für dein Ge­ Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund,

wisien." Rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Der Jüngling ging gedankenvoll nach Hause; Doch setzte nicht derselbe Mund hinzu: Ihm raubt des Wiffens brennende Begier Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit Den Schlaf, er wälzt sich glühend auf dem Lager

schauen? Und rafft sich auf um Mittemacht. Zum Tempel „Sei hinter ihm, was will! Ich heb' ihn auf." Führt unfreiwillig ihn der fcheue Tritt. Er rust's mit lauter Stimm': „Ich will sie Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen, schauen!" — Schauen! Und mitten in das Jnn're der Rotunde Gellt ihm ein langes Echo spottend nach. Trägt ein beherzter Sprung den Wagenden. Er spricht's und hat den Schleier aufgedeckt. Hier steht er nun, und grauenvoll umfängt Den Einsamen die lebenlose Stille, Die nur der Tritte hohler Wiederhall

„Nun," fragt ihr, „und was zeigte sich ihm hier?" Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,

In den geheimen.Grüften unterbricht. So fanden ihn am andern Tag die Priester Von oben durch der Kuppel Öffnung bricht Am Fußgestell der Isis ausgestreckt. Der Mond den bleichen, silberblauen Schein, Was er allda gesehen und erfahren, Und furchtbar wie ein gegenwärt'ger Gott

Erglänzt durch des Gewölbes Finstemiffe

Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig War seines Lebens Heiterkeit dahin.

In ihrem langen Schleier die Gestalt.

Ihn riß ein tiefer Gram zum frühen Grabe.

Er tritt heran mit ungewissem Schritte;

„Weh dem," dies war sein warnungsvolles Schon will die steche Hand das Heilige be­ Wort, rühren, Wenn ungestüme Frager in ihn drangen, Da zuckt es heiß und kühl durch sein Gebein „Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch

Und stößt ihn weg mit unsichtbarem Arme. Schuld! Unglücklicher, was willst du thun? So ruft Sie wird ihm nimmermehr erfteulich sein." Schiller.

8. „Nehmt hin

Die Teilung der Erde.

die Welt!" rief Zeus von Naht' der Poet, er kam aus weiter Fem'. Ach, da wirr überall nichts mehr zu sehen, seinen Höhen

Den Menschen zu; „nehmt, sie soll euer sein. Und alles hatte seinen Herrn! Euch schenk' ich sie zum Erb' und ew'gen Lehen; „Weh mir! So soll denn ich allein von Doch teilt euch brüderlich darein!" allen Da eilt, was Hände hat, sich einzurichten; Vergeffen sein, ich, dein getreuster Sohn?" Es regte sich geschäftig jung und alt. So ließ er laut der Klage Ruf erschallen

Der Ackersmann griff nach des Feldes Früchten, Und warf sich hin vor Jovis Thron. Der Junker pirschte durch den Wald. „Wenn du im Land der Träume dich ver­ weilet," Der Kaufmann nimmt, was seine Speicher faffen, Der Abt wählt sich den edlen Firnewein,

Versetzt der Gott, „so hadre nicht mit mir. Wo warst du denn, als man die Welt ge-

teilet?" Der König sperrt die Brücken und die Straßen Und spricht: „Der Zehente ist mein!" „Ich war," sprach der Poet, „bei dir!

Ganz spät, nachdem die Teilung längst geschehen,

Mein Auge hing an deinem Angesichte, An deines Himmels Harmonie mein Ohr;

Epische Poesie.

358

Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht Berauscht, das Irdische verlor!" mehr mein. „Was thun?" spricht Zeus; „die Welt ist Willst du in meinem Himmel mit mir leben,

So oft du kommst, er soll dir offen sein!"

weggegeben;

___________

Schiller.

9. Das Mädchen ans der Fremde. In einem Thal bei armm Hirten

Sie brachte Blumen mit und Früchte,

Erschien mit jedem jungen Jahr,

Gereist aus einer andern Flur, In einem andem Sonnenlichte, In einer glücklichem Natur,

Sobald die ersten Lerchen schwirrten,

Ein Mädchen schön und wunderbar. Sie war nicht in dem Thal geboren, Man wußte nicht, woher sie kam.

Und teilte jedem eine Gabe, Dem Früchte, jenem Blumen aus. Der Jüngling und der Greis am Stabe,

Doch schnell war ihre Spur verloren, Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Ein jeder ging beschenkt nach Haus. Willkommen waren alle Gäste,

Beseligend war ihre Nähe, Und alle Herzen wurden weit;

Doch nahte sich ein liebend Paar, Dem reichte sie der Gaben beste, Der Blumen allerschönste dar.

Doch eine Würde, eine Höhe

Entfernte die Vertraulichkeit.

______

10.

Schiller.

Die Pilger. Als man sich heiser demonstriert,

Ein Imam schickte seine Söhne

Nach Mekka zu des Sehers Grab. Sie reisen wie die Diogene, Das heißt zu Fuß. Beim Abschied gab Der fromme Greis mit einer Thräne Des Segens jedem einen Stab Und sprach: „Laßt diesen euch regieren! Ein Gott gab ihm die Wunderkrast, Euch stets den rechten Weg zu führen." Sie traten ihre Pilgerschaft Jetzt mutig an. Einst rief im Gehen

Der jüngste Bruder: „Laßt doch sehen, Wer wohl den schönsten Stecken führt!" Stracks blieb die Karawane stehen. Die Stäbe werden recensiert

So kam es wie in unsern Tagen Zum Schelten und zuletzt zum Schlagen. Die Stöcke zischten durch die Lust, Hier flog ein Ohr, dort eine Nase, Hier sprang' ein Zahn aus seiner Kluft, Dort lag ein scheeles Aug' im Grase. Ein Derwisch, weis' und fromm wie du, Freund, zog von ungefähr die Straße.

Er lief auf die Athleten zu Und rief mit eines Seraphs Stimme: „Laßt ab, Unsinnige, laßt ab

Und in die Läng' und in die Quere

Von eurem mörderischen Grimme! Der Vater gab euch diesen Stab, Um euch auf rechte Bahn zu leiten. Und den gebraucht ihr ihm zum Hohn

Gedreht, gebogen, abvisiert, • Und jeder schwur bei Gott und Ehre,

Als Werkzeug toller Streitigkeiten, Wie Christen die Religion!"

Daß seiner doch der schönste wäre.

Ps'sf'l.

_____

11.

Das Vergnügen und der Schmerz.

„Du, Freundliche! wer bist du?"

der Mensch.

sprach Verdruß und Trübsinn spricht?"

„Vergnügen „Ich bin der Schmerz."

„Dich mag ich

Und du, aus dessen nicht; Zügen Du, du, holdseliges Vergnügen,

Werd' ich genannt."

Allegorie, Parabel und Paramythie.

359

Sollst mein sein, nimmer von mir gehn."

Auch meinen Nachbar aufzunehmen, „Nein, guter Freund!" versetzte das Ver­ Den zum Gefährten mir der Himmel auserkor. gnügen, Seit uns des Schicksals Hand verbunden, „Was du begehrst, kann nicht geschehn. Hat man uns nie getrennt gefunden;

Wer mich verlangt, muß sich bequemen,

12.

Bald folg' ich nach, bald geh' ich vor." _____ Willamow.

Die Ulme zu Hirsau.

Zu Hirsau in den Trümmern,

Die Ulme war's, die hehre,

Da wiegt ein Ulmenbaum,

Woran mein Sinnen hing.

Frisch grünend, seine Krone

Wenn in dem dumpfen, stummen

Hoch überm Giebelsaum. Er wurzelt tief im Grunde

Getrümmer ich gelauscht, D» hat ihr reger Wipfel

Vom alten Klosterbau,

Im Windesflug gerauscht. Ich sah ihn oft erglühen

Er wölbt sich statt des Daches Hinaus in Himmelsblau. Weil des Gemäuers Enge Ihm Lust und Sonne nahm,

Im ersten Morgenstrahl; Ich sah ihn noch erleuchtet,

Wann schattig rings das Thal.

So trieb's ihn hoch und höher, Bis er zum Lichte kam.

Zu Wittenberg im Kloster

Wuchs auch ein solcher Strauß

Es ragen die vier Wände,

Und brach mit Riesenästen Zum Klausendach hinaus.

Als ob sie nur bestimmt,

Den kühnen-Wuchs zu schirmen,

O Strahl des Lichts, du dringest

Der zu den Wolken klimmt.

Hinab in jede Gruft! O Geist der Welt, du ringest Hinauf in Licht und Lust!

Wenn dort im grünen Thale

Ich einsam mich erging,

Uhlaiid.

13.

Tod tttib Leben.

Es ging ein Mann im Syrerland,

Führt' ein Kamel am Halfterband. Das Tier mit grimmigen Gebärden

Das ihn wollt' oben faffen wieder. Dann blickt' er in den Brunnen nieder; Da sah am Grund er einen Drachen

Urplötzlich an fing scheu zu werden

Ausgähnen mit entsperrtem Rachen,

Und that so ganz entsetzlich schnaufen:

Der dmnten ihn verschlingen wollte,

Der Führer vor ihm mußt' entlaufen. Er lief und einen Brunnen sah

Wenn er hinunterfallen sollte. So schwebend in der beiden Mitte, Da sah der Arme noch das dritte:

Von ungefähr am Wege da. Das Tier hört' er im Rücken schnauben, Das mußt' ihm die Besinnung rauben: Er in den Schacht des Brunnens kroch;

Er stürzte nicht, er schwebte noch.

Gewachsen war ein Brombeerstrauch Aus des geborstnen Bmnnens Bauch; Daran der Mann sich fest thät klammern

Wo in der Mauerspalte ging Des Sträuchleins Wurzel, dran er hing, Da sah er still ein Mäusepaar,

Schwarz eine, weiß die andre war; Er sah die schwarze mit der weißen Abwechselnd an- der Wurzel beißen. Sie nagten, zausten, gruben, wühlten,

Und feinen Zustand drauf bejammem.

Die Erd' ab von der Wurzel spülten;

Er blickte in die Höh' und sah Dort das Kamelhaupt furchtbar nah,

Und wie sie rieselnd niederrann, Der Drach' im Grund auf blickte dann,

Epische Poesie.

360

Zu sehn, wie bald mit seiner Bürde Der Strauch entwurzelt fallen würde. Der Mann in Angst und Furcht und Not, Umstellt, umlagert und umdroht, Im Stand des jammerhaften Schwebens

So wiff', o Freund: der Mann bist du! Demimm die Deutung auch dazu. Es ist der Drach' im Brunnengrund Des Todes aufgesperrter Schlund; Und das Kamel, das oben droht,

Sah sich nach Rettung um vergebens. Und da er also um sich blickte, Sah er ein Zweiglein, welches nickte

Es ist des Lebens Angst und Not; Du bist's, der zwischen Tod und Leben Am grünen Strauch der Welt muß schweben.

Dom Brombeerstrauch mit reifen Beeren; Da konnt' er doch der Lust nicht wehren.

Die beiden, so die Wurzel nagen, Dich samt den Zweigen, die dich tragen,

Er sah nicht des Kameles Wut Und nicht den Drachen in der Flut Und nicht der Mäuse Tückespiel, Als ihm die Beer' ins Auge fiel.

Zu liefern in des Todes Macht, Die Mäuse heißen Tag und Nacht.

Er ließ das Tier von oben rauschen Und unter sich den Drachen lauschen Und neben sich die Mäuse nagen, Griff nach dm Beerlein mit Behagen —

Es nagt die schwarze wohl verborgen

Vom Abend heimlich bis zum Morgen, Es nagt vom Morgen bis zum Abend

Die weiße wurzeluntergrabend. Und zwischen diesem Graus und Wust

Sie beuchten ihm zu effen gut — Aß Beer' auf Beerlein wohlgemut,

Lockt dich die Beere Sinnenlust, Daß du Kamel, die Lebensnot, Daß du im Gmnd den Drachen Tod,

Und durch die Süßigkeit im Effen

Daß du die Mäuse Tag und Nacht

War alle seine Furcht vergeffm. Du ftagst: Wer ist der thöricht' Mann, Der so die Furcht vergeffm kann?

Vergiffest und auf nichts hast acht, Als daß du recht viel Beerlein haschest, Aus Grabes Brunnenritzen naschest. Nückert.

14. Baumpredigt. Um Mittemacht, wenn Schweigen rings, Beginnt's durch Waldesräume, Und wo sonst Büsch' und Bäume stehn, Zu flüstem, rascheln und zu wehn; Denn Zwiesprach halten die Bäume.

Der Rosenbaum loht lustig auf, Dust raucht aus seinen Gluten. „Ein Rosenleben reicht nicht weit! Drum soll's, je kürzer seine Zeit,

So voller, Heller verbluten." Die Esche spricht: „Gesunkner Tag, Mich täuscht nicht Glanz und Flittem!

Dein Sonnenstrahl ist Todesstahl, Gezückt aufs Eschenherz zumal; Und bangend muß ich gittem!" Die schlanke Pappel spricht und hält Zum Himmel die Arm' erhoben:

Die Weide blickt zur Erd' und spricht: „O daß mein Arm dich umwinde! Mein wallend Haar neig' ich zu dir, Drein flechte deine Blumen mir,

Wie Mütterlein dem Kinde!" Drauf seufzt der reiche Pflaumenbaum:

„Ach, meine Füll' erdrückt mich! Nehmt doch die Last vom Rücken mein! Nicht trag' ich sie für mich allein, Was ihr mir raubt, erquickt mich!" Es spricht die Tanne gutes Muts: „Ob ich an Blüten gleich darbe,

Mein Reichtum ist Beständigkeit; Ob Sonne scheint, ob's stürmt und schneit, Nie ändr' ich meine Farbe!"

Der hohe, stolze Eichbaum spricht:

„Dort strömt ein lichter SegenSquell,

„Ich zittre vor Gottes Blitzen! Kein Sturm ist, mich zu beugen, stark,

Der rauscht so süß und glänzt so hell, Dmm wall' ich sehnend nach oben!"

Kraft ist mein Stamm und Kraft mein Marl! Ihr Schwächern, euch will ich schützen!"

Allegorie, Parabel und Paramythie.

361

Es schwiegen nur am Grabe dort

Die Epheuranke that an ihn Sich inniger nun fügen: „Wer für sich selbst zu schwach und klein,

Die trauernden Cypreffen. • O daß die leisen Sprüchlein all'

Und wer nicht gerne steht allein,

Ein Menschenherz doch trafen! Was Wunder, wenn sie's trafen nicht?

Mag an den Freund sich schmiegen!"

Drauf sprachen sie so manches noch,

Die Bäume pred'gen beim Sternenlicht, Da muffen wir ja schlafen.

Ich hab' es halb vergessen; Noch flüsterte manch heimlich Wort,

Grün

15.

S 1 m b o l.

Du hast die Eiche dein Symbol genannt; Und ist mit Recht auf ihre Jahre stolz, Denn fester mit den Jahren ward ihr Holz. O halte fest an dem, mein Vaterland!

Und merke, Vaterland, sie wirft ihr Laub, Es wühlt sich ihre Wurzel tiefe Bahn, Ihr mark'ger Stamm strebt mutig himmelan. Auch wenn es dürr, nicht grollend in den Staub, Sie wanket nicht in Sturm und Wettergraus Sie hält es fest, bis neu der Saft sich regt, Und breitet weit die grünen Arme aus.

Der Frühling kommt und es zu Grabe trägt. Sie bietet Schatten und gewähret Schutz Und altert nur der gier'gen Zeit zum Trutz Sturm.

Leb ensworte.

16.

„Auch aus Grüften," sagt die Blüte, „Rust mich Gottes Macht und Güte,

Zu dem vollen Rosenbaume

Sprach der nahe Leichenstein: „Ist es recht, in meinem Raume

Heller noch denn tote Schriften

Sein Gedächtnis hier zu stiften.

Großzuthun und zu verhüllen Meiner Sprüche goldnen Schein, Die allein mit Trost erfüllen?"

Und ich blühe tröstend fort, Ein lebendig Gotteswortl" Fröhlich.

17.

Wiederfinden.

„O du lieblicher Geselle,"

Weithin auf des Stromes Pfaden,

Mich im Meere jung zu baden.

Sprachen Blumen zu der Welle,

„Eile doch nicht von der Stelle!"

Aber dann will ich vom Blauen

Aber jene sagt dawider:

Wieder auf euch niedertauen."

„Ich muß in die Lande nieder,

Fröhlich.

b.

Die Parabel.

Die Parabel, eigentlich „Vergleichung", ist diejenige kleinere poetische Erzählung, die nicht ein Einzelnes, ein Ereignis, sondern ein Allgemeines, einen Zustand, wie er nicht bloß einmal dagewesen, sondern wie er noch jetzt und immer auf viele Menschen seine Anwendung findet, als Mittel zur Belehrung, also als Symbol für eine sittliche oder Ihr Inhalt ist stets eine Wahrheit des höheren, geistigen, nicht des praktischen Lebens, der sogenannten Weltklugheit. Durch diesen Inhalt

religiöse Wahrheit, vergegenwärtigt.

ist notwendig die Form bedingt: die Parabel bedient sich höchst selten der Tiere und dann

Epische Poesie.

362

nur der sogenannten edleren Tiere und erzählt in einfacher, durchaus edler, oft biblischer Sprache. Die metrische Form ist nicht notwendige Bedingung. Das alte, noch mehr aber das neue Testament ist reich an schönen Parabeln.

1.

Der Jüngling.

Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt

gehört, In der der Segen wohnen sollte, Entschloß sich,

Er stieg und sah empor, wie wett er steigen

müßte. Ach, Himmel, ach, es war noch weit!

daß er da sich niederlaffen Er ruht' und aß zu gleicher Zeit

wollte. Von seiner Frucht, damit er sich die Müh' „Dort," sprach er ost, sei dir dein Glück versüßte. beschert!" Er sah bald in das Thal und bald den Berg Er nahm die Reise vor und sah schon mit hinan; Vergnügen Die liebe Stadt auf einem Berge liegen. „Gottlob," fing unser Jüngling an, „Daß ich die Stadt schon sehen kann!

Allein der Berg ist steil.

Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen

an. Er sinnt. Ja, ja, er mag es überlegen! „Steig'," sagt' ihm sein Verstand, „bemüh'dich

O wär' er schon

um dein Glück!"

„Nein," sprach sein Herz, „kehr' in das Thal erstiegen!" Ein fruchtbar Thal stieß an des Berges Fuß. zurück! Die größte Menge schöner Früchte Du steigst sonst über dein Vermögen.

Fiel unsrem Jüngling ins Gesichte.

Ruh' etwas aus und iß dich satt „O, dacht' er, „weil ich doch sehr lange steigen Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte

hat!" Dies that er auch. Er pflegte sich im Thale, Den Reisesack mit solchen Früchtön Men." Entschloß sich oft zu gehn und schien sich stets zu matk. Er aß und sand die Fmcht vortrefflich von muß, So will ich, meinen Durst zu Men,

Das erste Hindemis galt auch die andem Male,

Geschmack Und füllte seinen Reisesack.

Er stieg den Berg hinan und fiel den Kurz, er vergaß sein Glück und kam nie in die Stadt.

Augenblick,

Beladen, in das Thal zurück. „O Freund!" rief einer von den Höhen, „Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen.

Dem Jüngling gleichen viele Christen. Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen

Schritt Der Berg ist steil und mühsam jeder Schritt, Und sehn darauf nach ihren Lüsten Und nehmen ihre Lüste mit. Undckm nimmst dir noch eine Bürde mit? Vergiß das Obst, das du mit dir genommen, Beschwert mit diesen Hinderniffen, Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen! Weicht bald ihr träger Geist zurück; Steig' leer und steig' beherzt und gieb dir alle Und auf ein sinnlich Glück beflissen, Vergessen sie die Müh' um ein unendlich Glück. Müh',

Denn unser Glück verdienet sie!"

G-llert.

2.

Drei Freunde.

Traue keinem Freunde, wenn du ihn nicht geprüft hast; an der Tafel des Gastmahls giebt es mehr derselben als an der Thüre des Kerkers. — Ein Mann hatte drei Freunde.

Allegorie, Parabel und Paramythie.

363

Zwei derselben liebte er sehr; der britte war ihm gleichgültig , ob dieser es gleich am

redlichsten mit ihm meinte. Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er hart, aber un­ schuldig verklagt war. „Wer unter euch," sprach er, „will mit mir. gehen und für mich zeugen? Denn ich bin hart verklagt worden, und der König zürnet." Der erste seiner Freunde entschuldigte flch sogleich, daß er nicht mit ihm gehen könne wegen anderer Ge­ schäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur Thüre des Rathauses; da wandte er fich und ging zurück aus Furcht vor dem zornigen Richter. Der dritte, auf den er am wenigsten gebaut, hatte, ging hinein, redete für ihn und zeugte von seiner Unschuld so freudig, daß

der Richter ihn losließ und beschenkte. Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen sie sich in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert? Das Geld, sein bester Freund, verläßt

ihn zuerst und geht nicht mit ihm.

Seine Verwandten und Freunde begleiten ihn bis

zur Thüre des Grabes und kehren wieder in ihre'Häuser.

Der dritte, den er im Leben

oft am meisten vergaß, find seine wohlthätigen Werke. Sie allein begleiten ihn bis zum Throne des Richters; sie gehen voran, sprechen für ihn und finden Barmherzigkeit und

Herd er.

Gnade.

3.

Die ewige Bürde.

Der Kalif Hakkam, der die Pracht liebte, wollte die Gärten fernes Palastes verschönern und erweitern.

Er kaufte alle benachbarten Ländereien und bezahlte den Eigen­

tümer so viel Geld dafür, als sie verlangten.

Nur eine arme Witwe fand sich, die das Erbteil ihrer Väter aus frommer Gewissenhaftigkeit nicht veräußern wollte und alle

Anerbietungen, die man ihr deswegen machte, geradezu ausschlug. Den Aufteher der königlichen Gebäude verdroß der Eigensinn dieser Frau; er nahm ihr das kleine Land mit Gewalt weg, und die arme Witwe kam weinend zum Richter. Ibn Beschir war eben Kadi der Stadt. Er ließ sich den Fall vortragen und fand ihn schlimm; denn obschon die Gesetze der Witwe ausdrücklich Recht gaben, so war es doch nicht leicht, einen Fürsten, der gewohnt war, seinen Willen für vollkommene Gerechtigkeit zu halten, zur fteiwilligen

Erfüllung eines veralteten Gesetzes zu bewegen.

Was that also der Kadi? Er sattelte

einen Esel, hing ihm einen großen Sack über den Hals, und ritt unverzüglich nach den Gärten des Palastes, wo der Kalif sich eben in dem schönen Pavillon befand, den er auf dem Erbteil der Witwe erbaut hatte. Die Ankunft des Kadi mit seinem Esel und

Sacke setzte ihn in Verwunderung, und noch mehr erstaunte er, als Ibn Beschir sich ihm zu Füßen warf und also sagte: „Erlaube mir, Herr, daß ich diesen Sack mit. Erde von

diesem Boden fülle!" Hakkam gab es zu.

Als der Sack voll war, bat Ibn Beschir den

Kalifen, ihm den Sack auf den Esel heben zu helfen. Hakkam fand dieses Verlangen noch sonderbarer als alles Vorige; um aber zu sehen, was der Mann vorhabe, griff er

mit an.

Allein der Sack war nicht zu bewegen, und der Kalif sprach:

„Die Bürde ist

zu schwer, Kadi, sie ist zu schwer." „Herr," antwortete Ibn Beschir mit einer edlen Dreistigkeit, „du findest diese Bürde zu schwer, und sie enthält doch nur einen kleinen

Teil der Erde, die du ungerechter Weise einer armen Witwe genommen hast; wie willst

du denn das ganze geraubte Land tragen können, wenn es der Richter der Welt am letzten Gerichtstage auf deine Schultem legt?" Der Kalif war betroffen; er lobte die Herz­

haftigkeit und Klugheit des Kadi und gab der Witwe das Land mit allen Gebäuden, die er darauf hatte anlegen lassen, wieder. Berber,

Epische Poesie.

364 4.

Der Sturmvogel und die Schiffenden.

Ein Schiff durchschnitt des Meeres blaue Dir selbst verkünde die Gefahr!" Bahn; Er sprach's, ergriff die Büchse, traf Das Segel schwoll, die Wellen spielten Des Vogels Brust; er fiel. Doch eh' des

Sanft rauschend um den

Kiel,

Delphine

wühlten

Und wälzten scherzend sich im Ocean. Vom fernen Eiland trugen sanfte Lüste Des Zimmetwaldes Düfte.

Sein Aug' umschloß,

Todes Schlaf erscholl aus seinem

Munde Der ernste Spruch: „Ihr wähnet, im Pro­

pheten Das Schiffsvolk lag im milden Sonnenschein, Der Wahrheit heil'ge Kraft zu töten; Umsonst! Es naht die ernste Stunde, Und vom Verdeck ertönten Jubellieder, Vermischt mit lautem Scherz, zum frohen Und euer Sträuben hemmt sie nicht. Dann wird ihr Wort zum Sturm, ihr stilles Wein,

Und leiser plätscherten die Wogen. Da kam ein Sturmfink hergeflogen

Licht Wird sich zu Feuerflammen röten!"

Und ließ sich auf das Steuer nieder.

Er sprach's; da floß sein Leben aus der Wunde.

Den Unglücksvogel

sah

der

Steuermann. Gewölk stieg auf, hoch schwoll im Sturm die

„Fürwahr, Du Freudenstörer/' hob er an,

Flut; Der Blitz zerriß den Mast, es scholl Gewim­

„Du konntest nie uns ungelegner kommen; mer; Doch soll dir dein Prophetenamt nicht from­ Des Oceans empörte Wut

Verschlang des Schiffes Trümmer.

men.

Krummacher.

5.

Das Gesicht des Arsemus.

Arsenins hört' eine Sttmm' ihm rufen:

Ansprengen gegen eines Tempels Thor. „Komm, und ich will der Menschen Thun Umsonst! Anrennend mit den Balken, prallten Der

dir zeigen!" Sie stets zurück und blieben ewig draußen. Klausner ging hinaus zum ersten Da sprach Arsenius: „Herr, deute mir,

Mal;

Was ich gesehn!" Und dieses war die Deu­

Und einen Mohren sah er, welcher, emsig

tung: immerfort sein Bündel Und da er ihn zu heben nicht vermochte, häuft, Ihn immerfort mit neuen Scheitern mehrte. Das ist der Mensch, der manche Sünde Holz hackend, einen schweren Bündel häufte, Der

Mohr,

der

that, Und weil er solche abzuthun verzweifelt, Mal, Und einen Menschen sah er, welcher Waffer Die alte Sünde stets mit neuer häuft. Der Klausner ging hinaus zum andern

Aus einem Teich in eine löchrige Cisterne goß. Verloren war die Mühe:

Der Thor, der Waffer schöpft wie in ein

Sieb, Das Waffer floß zurück, der Teich blieb immer Das ist der Mensch, der Gutes thut, doch

Geftillt und immer die Cisterne leer.

immer

Der Klausner ging hinaus zum dritten Dazwischen mehr des Bösen. Müh' und Ar­

Mal Und sah gestreckten Laufs zwei trotz'ge Reiter Und auch Mit starken, in die Quer gelegten Balken

beit des

Guten Frucht verliert ein

solcher.

Allegorie, Parabel und Paramythie. Die tollen Reiter, die mit Unverstand

365

Des Himmels zu erstürmen drohn! Umsonst!

Das Thor zu sprengen meinen, das sind die, Es öffnet sich das diamantne Thor Die mit Gewalt und Übermut die Burg Der Demut nur, dem Glauben und der Liebe. Kosegarten.

______________

6.

Salomon und der Säemann. Der Säemann, seinen Arm gesenkt,

Im Feld der König Salomon Schlägt unterm Himmel auf den Thron; Da sieht er einen Säemann schreiten,

Unschlüssig steht er still und denkt;

Dann fährt er fort, ihn rüstig hebend, Dem weisen König Antwort gebend:

Der Körner wirft nach allen Seiten'.

„Ich habe nichts als dieses Feld,

„Was machst du da?" der König spricht;

Geackert hab' ich's und bestellt.

„Der Boden hier trägt Emte nicht. Laß ab vom thörichten Beginnen,

Was soll ich weiter Rechnung pflegen? Das Korn von mir, von Gott der Segen!"

Du wirst die Aussaat nicht gewinnen!"

Rückert.

c.

Die Paramythie.

Die Paramythie (eigentlich „nach Art des Mythos"), eine Abart der Parabel, bezweckt wie diese die Versinnlichung einer höheren Wahrheit, bedient sich aber zur Er­

reichung dieses Zweckes höherer, besonders göttlicher Wesen der Mythologie oder des christ­ lichen Glaubens.

1.

Die Schutzwehr.

Als die Natur die lieblichste der Blumen, Schöpfungshauch hervorgebracht hatte,

die Rose,

durch ihren allmächtigen

da sprach der Geist des Rosenstrauches zu dem

Engel der Blumen: „Wirst du denn nicht auch dem edlen Gewächs eine Schutzwehr ver­ leihen, die gegen Verletzung und Frevel sie sichere? Gab doch die Natur dem Dornbusch die großen und spitzigen Stacheln!"

„Der Dornbusch," antwortete der Engel der Blumen,

„gehört nicht zu den Edlen, sondem zu den Dienern im Reiche der Schöpfvng.

Seine

Bestimmung ist, die zarten Gewächse gegen das vernunstlose Tier zu beschützen, und dazu

verlieh die Natur ihm die spitzigen Stacheln.

Doch soll dein Wunsch dir gewährt werden!"

So sprach er und umgab die Rosenstaude mit zarten Stacheln! Da sagte der Geist der Rose: „Wozu sollen diese zarten Spitzen? Sie werden die herrliche Blume nicht schirmen!" Ihm antwortete der Engel der Blumen: „Sie sollen auch nur der unbesonnenen Hand des Kindes wehren! Den Frevel würde der Widerstand nur noch stärker anlocken. Das Heilige und Schöne hat seinen Schutz in sich selber; darum verlieh die Natur ihm die zarteste Schutzwehr, die nur warnt, nicht aber verwundet; denn zu dem Schönen darf nur

das Zarte sich gesellen!"

So verlieh sie der Unschuld die Schamhaftigkeit und das Erröten. Krum mncher.

2.

Davids Harfe.

Eines Tages saß David, der König von Israel, auf der Höhe von Sion; Harfe ruhete vor ihm,

und er lehnte sein Haupt auf die Harfe.

Gad zu ihm und sprach: „Wem sinnest du nach, mein König?"

sprach: „Meinem ewig wechselnden Schicksal.

seine

Da trat der Prophet

David antwortete und

Wie viel Dank- und Freudengesänge, aber

Epische Poesie,

366

auch wie viele Trauer- und Klagelieder hab' ich dieser Harfe gesungen!"

„Sei du gleich

der Harfe," sagte der Prophet.' „Wie meinest du?" fragte der König. „Siehe," ant­ wortete der Mann Gottes, „dein Schmerz, wie deine Freude entlockte der Harfe himm­ lische Töne und beseelte die Saiten: so bilde Leid und Freude dein Herz und Leben zur himmlischen Harfe."

Da erhob sich David und griff in die Saiten.

3.

Kr«mm-cher.

Zeus und das Schaf.

Vollendet hatte Zeus das Schöpfungswerk. Leicht kräuselt sich der Wolle weißes Vließ In tausend Löckchen um den runden Leib.

Aus seiner Tatze lag der Löw' und schlief, Der Elefant hob drohend seinen Rüffel,

So stehest du in Unschuld schön. Getrost! Ein höher Herz nimmt deiner wohl sich an." Wies seines Hornes Kraft mit wildem Blick, So sprach der Wesen Vater. Sieh', es käm Rings um den Igel starrt' ein Stachelwald. Das erste Menschenpaar. Sie sahn das Ein Eber wetzte seinen Zahn, der Stier

Nur flehend hob das neugeborne Lamm

Lamm „Was fehlet Und trugen es auf sanftem Arm zur Hütte, dir?" Bereiteten ein Lager ihm und sagten: Sprach Pater Zeus, „du scheinst zu klagen; „Das hat gewißlich Zeus uns zugedacht, rede!" Stunt hat er ihm die Unschuld anßebildet." Da sprach das fromme Lamm: „Was soll mich So ward der Mensch des Lammes Schirm schützen? und Wehr. Nur mir allein ward keine Waff' und Wehr." Der Menschenunschuld Schirm und Wehr ist „In deinen Augen ruht der Unschuld Blick; Gott.

Den Blick zu Jovis Thron.

Krummacher.

12. Das Rätsel. Das Rätsel gehört gewissermaßen zur Allegone und ist nur dann zur Poesie zu

rechnen, wenn es nicht bloß die poetische Form an sich trägt, sondern auch durch sinnige Behandlung seines Gegenstandes das Gemüt ergreift. Es umschreibt den Gegenstand, Behält es dabei das ganze Wort im

indem es interessante Merkmale desselben anführt.

Auge, so ist es das Rätsel im engeren Sinne, während die Charade, das Silben­ rätsel, dasselbe in seine Silben zerlegt, also eigentlich eine Verkettung mehrerer Rätsel ist. Das Rätsel wird im besonderen Logogryph genannt,

wenn das zum Rätsel be­

nutzte Wort durch Wegnahme einzelner Buchstaben ein neues Wort giebt, Homonyme, wenn dasselbe Wort einen Doppelsinn bietet, Palindrom, wenn dasselbe Wort, vor­ wärts und rückwärts gelesen, als Rätselwort benutzt ist, und Anagramm, wenn die versetzten Buchstaben des Rätselwortes ein neues zum Rätsel benutztes Wort ergeben.

Rätsel.

1.

367

Des Sängers vermähl' ich die Harmonie. Ein Zeichen hinweg ttoch, und Leben entquillt,

Rätsel.

Kennst du das Bild auf zartem Grunde? Wenn keimend die Kraft im Innern mir Es giebt sich selber Licht und Glanz; schwillt. Ein andres ist's zu jeder Stunde, Körner.

Und immer ist es frisch und ganz. Im engsten Raum ist's ausgeführet,

Der kleinste Rahmen faßt es ein;

4.

Wir sind's gewiß in vielen Dingen,

Doch alle Größe, die dich rühret,

Im Tode aber Und kannst du den Krystall mir nennen? Die sind's, die Und eben diese Ihm gleicht an Wert kein Edelstein; Denn weil wir Er leuchtet, ohne je zu brennen, Kennst du durch dieses Bild allein.

sind wir's nicht; wir zu Grabe bringen, sind es nicht. leben,

Sind wir's eben Von Geist und Angesicht;

Das ganze Weltall saugt er ein.

Der Himmel selbst ist abgemalet In.seinem wundervollen Ring; Und doch ist, was er von fich strahlet, Noch schöner, als was er empfing.

Und weil wir leben, Sind wir's eben Zur Zeit noch nicht. Schleiermacher.

Schiller.

2.

Homonyme.

5.

Charade.

In stiller Anmut kommt's gezogen, Wie Rosenhecken blüht es auf Und durch des Äthers blaue Wogen

Palindrom.

Still empfangen im zarten Keime, Tritt es hervor in des Himmels Räume, Formt sich zur blühenden, schönen Gestalt.

Steigt es mit goldner Pracht herauf. Kannst du des Rätsels Lösung finden? Zwei Silben werden mir's verkünden. Wohl giebt es eine mächt'ge Herde, Von keinem Sterblichen gezählt;

Die Gottheit segnet's mit heiliger Weihe,

Sie weidet herrlich, fern der Erde, Vom Glanz des ew'gen Lichts beseelt.

Doch strahlt es verjüngt durch des Grabes

Willst du der Lämmer Namen kennen?

Daß es im Drange der Zeiten gedeihe,

Reife mit leiser, geheimer Gewalt. Endlich zwar muß es verblühn und erkalten, Muß versinken zurück in die Nacht.

Spalten Im neuen Frühling mit seliger Pracht.

Liest man es rückwärts: ein Kind der Erde,

Die dritte Silbe wird ihn nennen. Am frühen Tag erscheint das Ganze

Und steigt empor mit heiterm Sinn, Und in des Morgens jungem Glanze Verkündet's die Gebieterin

Umarmt es die Mutter mit trüber Gebärde, Still widerstrebend dem frühen Strahl. Und wie an des Mädchens rosige Wangen

Der Schleier sich schmiegt wie mit zartem

Und folgt ihr nach durch alle Weiten. Sprich, kannst du nun das Rätsel deuten? Körner.

Verlangen,

So webt es sich innig um Berg und Thal. Doch wächst nun mächt'ger die Flamme der

Sonnen,

3.

Logogryph.

Dann flieht es zerstreut durch das bläuliche

Haus. Mein Ganzes webt sich mit stillem Ver­ So ist auch das Rätsel zur Klarheit zer­ langen ronnen, Ost innig um rosige Mädchenwangen. Sprichst du der Deutung Zauberwort aus. Drei Zeichen hinweg, und der Phantasie Körner.

Lyrische Poesie.

368

n. Die lyrische Dichtung. a.

Das Lied.

1. Das eigentliche Lied. Das Lied drückt in einer für den Gesang bestimmten Form die Empfindung aus, welche durch die Einwirkung irgendeines Ereignifles auf das Gemüt des Dichters erzeugt

wird. Demnach wird es auch nur dann auf den Hörer wirken, wenn dessen Gemüt ganz ebenso gestimmt ist, wie das Gemüt des Dichters eS war, als er seiner individuellen Em­ pfindung Ausdruck gab. Je nach der Art der Empfindung, welche in dem Liede sich offen­ bart, nennen wir das Lied geistliches oder weltliches Lied. Unter Volksliedern

versteht man solche Lieder, welche im Volke die größte Verbreitung gefunden haben; sie sind meist so sehr Eigentum desselben geworden, daß der Name des Verfassers unbekannt geblieben ist.

Geistliche Lieder.

a.

1.

Gebet. Gieb deinen Geist zu meinem Liede,

Herr, den ich tief im Herzen trage,

Daß rein es sei, Sei du mit mir, Und daß kein Wort mich einst verklage, Du Gnadenhort in Glück und Plage, Sei du mit mir! Sei du mit mirl Im Brand des Sommers, der dem Manne Dein Segen ist wie Tau den Reben;

Die Wange bräunt, Wie in der Jugend Rosentage Sei du mit mir!

Nichts kann ich selbst; Doch daß ich kühn das Höchste wage, Sei du mit mir! O du mein Trost, du meine Stärke,

Behüte mich am Born der Freude Vor Übermut,

Und wenn ich an mir selbst verzage,

Sei du mit mir!

Mein Sonnenlicht, Bis an das Ende meiner Tage

Sei du mit mir!

2. Du hoher Gott im Himmel, Mach's gnädiglich mit mir! Es tust aus dem Getümmel Dein armes Kind zu dir. Das treiben wilde Wellen

Gebet um Frieden. Nur einen treuen Rater Weiß ich in solchem Streit:

Das bist du, ew'ger Vater,

So nahe und so weit. Ich will dich liebend fassen,

Und treiben mit ihm Spiel. Herr, laß mich nicht zerschellen,

Du bist es, der mich hält;

Herr, weise mich zum Ziel!

In dieser wüsten Welt.

Wirst mich ja nicht verlassen I ui merman n.

Lied.

3,

369

Osterfest.

Das Osterfest, das ist das Fest der Freude; O Osterfest, du Fest der Freud' und Wonne! O Jesu Christ, du ew'ge hebenssonne, Da wird die Erde frei vom Winterkleide, Da wacht die Knospe auf, mit frohem Leben Wie strahlest du in deinem Lichtgewande Zum Licht zu streben. • Durch alle Lande! Zu Ostem muß das Leben auferstehen; Sonst sahn dich wen'ge nur im engen Kreise,

Denn dieses Fest hat sich der Herr ersehen, Jetzt bist du allen nah zu Gottes Preise Daß seinen Sieg es soll durch Ewigkeiten Und zeigst uns mit verklärtem Angesichte Glorreich verbreiten. Den Weg zum Lichte. So wie die Welt vom Winterschlaf umwunden, O laß auch mich der kleinen Knospe gleichen, So lag auch er von kurzer Nacht gebunden; Die froh ersteht, wenn du das Lebenszeichen

Dann brach er siegreich durch des Todes Ihr heimlich giebst! Laß, Herr, mich aufwärts Banden streben Und ist erstanden. Zum neuen Leben! Agnes Franz.

_______

4.

Die Auferstehung.

Ich sag' es jedem, daß er lebt

Der dunkle Weg, den er betrat,

Und auferstanden ist,

Geht in den Himmel aus,

Daß er in unsrer Mitte schwebt

Und wer nun hört auf seinen Rat, Kommt auch in Vaters Haus. Nun weint auch keiner mehr allhie,

Und ewig bei uns ist. Ich sag' es jedem, jeder sagt Es seinen Freunden gleich,

Wenn eins die Augen schließt;

Daß bald an allen Orten tagt

Vom Wiedersehn spät oder früh Wird dieser Schmerz versüßt. Es kann zu jeder guten That

Das neue Himmelreich. Jetzt scheint die Welt dem neuen Sinn

Erst wie ein Vaterland;

Ein neues Leben nimmt man hin

Entzückt aus seiner Hand.

Ein jeder frischer glühn; Denn herrlich wird ihm diese Saat In schönren Fluren blühn.

Er lebt und wird nun bei uns sein,

Hinunter in das tiefe Meer Versank des Todes Graun, Und jeder kann nun leicht und hehr In seine Zukunft schaun.

Wenn alles uns verläßt! Und so soll dieser Tag uns sein Ein Weltverjüngungsfest. Novalis.

'

5.

Die sieben Tage der Woche.

Sprich, liebes Herz, in deines Tempels Und wie ich dienen soll mit rechten Sitten.

Mitten Für sieben Wochentage sieben Bitten.

Zum vierten Tag: Du sollst mich nicht ver-

Zum ersten Tag: Laß deine Sonne tagen In Und Licht verleih» der Erd' und meinen Zum zweiten Tag: O

meiner Woch',

lasien in meines

Tagwerks

Mitten! Schritten! Zum fünften Tag; O donnr' ins Herz mir deine laß nach dir mich Gebote, wann sie meinem Sinn entglitten!

Zum sechsten Tag: O laß mich fteudig fühlen, wandeln Wie Mond der Sonne nach, mit leisen Tritten! Wodurch du mir die Freiheit hast erstritten! Zum dritten Tag: Lehr' deinen Dienst mich Zum siebenten: Die Sonne sinkt am Abend;

kennen,

O dürst' ich mir so hellen Tod erbitten! Rückert.

Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aust.

24

Lyrische Poesie.

370

6.

Die Ehre Gottes aus der Natur.

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,

Kannst du der Wesen unzählbare Heere,

Den kleinsten Staub fühllos beschaun?

Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.

Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere; Durch Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!

wen ist

alles?

O

gieb

ihm

die

Ehre!

Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne? Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun. Wer führt die Sonn' aus ihrem Zelt? Sie kommt und leuchtet und lacht uns von

An meinen Werken kennst du mich. Ich bin's und werde sein, der ich sein werde,

ferne Und läuft den Weg gleich als ein Held.

Vernimm's

und

siehe

Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde;

die Wunder der Dein Gott und Vater ewiglich. Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und

Werke, Die die Natur dir aufgestellt! Verkündigt Weisheit und Ordnung

Güte, und Ein Gott der Ordnung und dein Heil. Ich bin's! Mich liebe von ganzem Gemüte

Stärke Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?

Und nimm an meiner Gnade teil! Gellert.

Gott im Ungewitter.

7.

Du Schrecklicher, wer kann vor dir

Und, was um sie, erschüttert rund

Und in der Tiefe lebt.

Und deinem Donner stehn? Der Herr ist groß; was trotzen wir? Er winkt, und wir vergehn.

Den Herrn und seinen Arm erkennt

Die zittemde Natur, Da weit umher der Himmel brennt

Er lagert sich in schwarzer Nacht; Die Völker zittern schon.

Und weit umher die Flur.

Geflügeltes Verderben wacht Um seinen furchtbar'n Thron.

Wer schützt mich Sterblichen, mich Staub,

Wenn, der im Himmel wohnt Und Welten pflückt wie dürres Laub,

Rotglühend schleudert seine Hand Den Blitz aus finstrer Höh',

Nicht huldreich mich verschont?

Und Donner stürzt sich auf das Land In einer Feuersee, Daß selbst der Erde fester Grund

Vom Zorn des Donners bebt

Wir haben einen Gott voll Huld, Auch wenn er zornig scheint; Er herrscht mit schonender Geduld, Der große Menschenfteund!

Uz.

8.

Vertrauen.

Wo ich auch bin, will ich dem Herrn ver­

Und wenn sie, wie sein Sturm sie schleu­

dert, wieder trauen, Ich will mein Heil auf diesen Felsen bauen; In ihrer Meere tiefste Tiefen nieder Auch in den nächsten, schrecklichsten Gefahren Sich wie Gebirge stürzen, will ich's wagen, Kann er bewahren. Nicht zu verzagen. Zn seinen Donnem, in den Ungewittern, Vor denen selbst der Welten Säulen zittern, Und da, wo Bergen gleich empörte Wellen Zum Himmel schwellen,

Sei alles Sturm und Aufruhr und Ge­ tümmel: Er schuf das Meer, den Erdkreis und den

Himmel;

Lied.

371

Was er gebeut im Himmel und auf Erden, Und ruft: Das, das muß werden!

„Frohlockt mit mir dem Herrn,

ihr Brüder! und Er ist der Herr des Meeres; Gott ist Retter Im Sturm, im Wetter! ruft der Sülle: „Komm' wieder!" Allgewaltig ist sein Wille; Im Donner ist er's, und wenn Erd' und Der Sturm gehorcht, die Wogen sinken Himmel Zum Sturme

spricht er:

„Ruh'!"

nieder

Schon einzustürzen drohn, und im Getümmel EmpörterWogen! Gott, demHerrn der Meere,

Und ruhen wieder. Wer taumelnd niedersank

und angstvoll

Sei Preis und Ehre!

klagte,

Anbetung sei ihm! Auch in Oceanen Den Abgrund offen sah und schon verzagte, Bahnt Menschen seine Güte sichre Bahnen. Frohlockt, belastet mit der Völker Segen, Frohlockt, ftohlocket ihm! Dem Herrn der

Dem Land entgegen

Und sinkt am friedevollen Ufer nieder

Meere Sei Preis und Ehre!" Cramer.

9.

Zuflucht.

Der du mit Tau und Sonnenschein ernährst die Lilien auf dein Feld, Der du der jungen Raben nicht vergiffest unterm Himmelszelt,

Der du zu Wafferbächen führst den Hirsch, der durstig auf den Tod, O gieb, du Allbarmherziger, auch unsrer Zeit, was ihr so not! Um Frieden, Frieden flehen wir, nicht jenen, der des Sturms entbehrt,

Der sicher in der Scheide Haft gefesselt hält das scharfe Schwert, Nein, um den Frieden in der Brust, dem's mitten in der Schlacht nicht graut, Weil auf den Felsen deines Wotts mit festen Pfeilem er gebaut. Gieb uns die Hoffnung, Herr, zu dir, die nie zu Schanden werden läßt, Gieb uns die Liebe, die im Tod und überm Tode noch hält fest,

Gieb uns den Glauben löwenstark, den Glauben, der die Welt bezwingt Und auf dem Scheiterhaufen noch dir helle Jubelpsalmen singt.

Wohl sind wir sündig, arm und schwach und nimmer solcher Gnaden wert; Doch du erbarmst dich, wo ein Herz voll Angst und Sehnsucht dein begehrt;

So hör' uns denn gleich Israel, da, er dich dringend hielt umfaßt: „Ich laß dich nicht, ich laß dich nicht, Herr, bis du mich gesegnet hast!" Nein, du verstößest nimmermehr den, der da flüchtet in dein Haus, Zerbrichst nicht das geknickte Rohr und lösch'st den matten Docht nicht aus;

Die Arme thust du auf und sprichst auch zu den Herzen unsrer Zeit: „Kommt her zu mir, die ihr im Geist mühselig und beladen seid."

So kommt denn all', in deren Ohr die hohe Freudenbotschaft klang, Die einst den Hirten auf dem Feld der Chor der Engelsstimmen sang; Kommt! Süßer Frieden ist in ihm und Licht, das keinem Dunkel weicht,

Das Leben ist er, und sein Joch ist sanft, und seine Last ist leicht. (Deibel.

Lyrische Poesie.

372

10. Es steht im Meer ein Felsen, Die Wellen kreisen herum: Die Wellen brausen am Felsen; Doch fällt der Fels nicht um. Ein Turm ragt überm Berge

Und schaut in das Thal hinab. Die Winde rasen am Berge; Doch fällt kein Stern herab.

Gottes Treue. Es zeucht einher ein Wetter

Und raffelt am starken Baum: Zur Erde sinken wohl Blätter; Doch eifern steht der Baum. Des Höchsten ewige Treue Steht fester denn Fels und Turm

Und grünt und blühet aufs neue Und trotzt dem rasenden Sturm. Meyer.

11.

Kreuzlied.

Du süße, wahre Minne, Geleite schwache Sinne:

Dort ward das Kreuz dem Sohne,

Bei deinem Anbeginne Hilf, Sohn, der Christenheit, Der, uns zum Heil gesendet, Der Erde Weh gewendet, Der Waisen Tröstung spendet, Hilf rächen dieses Leid! Erlöser aus den Sünden, Laß uns dein Reich begründen;

Sein Geist mög' uns durchdringen, Daß wir die Völker zwingen,

Dein Geist mag uns entzünden, Wenn er uns reuig fand! Dein Blut hat uns begoffen, Den Himmel aufgeschloffen.

Als sich sein Leib ergab.

Die nie die Tauf' empfingen;

Nun schrecke sie der Stab, Dem auch die Juden fallen; Man hört ihr Schrein erhallen, Manch Lob dem Kreuz erschallen. Erlösen wir das Grab! Gott sei'mit uns im Bunde

Nun löset unverdrossen Des Sohnes Heimatland! Verpfändet Gut und Leben, Gott wird uns Hülfe geben, Daß wir der Furcht entschweben

Und send' uns frohe Kunde In jener schweren Stunde, Da uns der Geist entgeht: Der Hölle Glutenwallen, Daß wir darein nicht fallen. Es ist wohl kund uns allen, Wie jämmerlich es steht Das hehre Land, das reine,

Bor ew'ger Strafe Brand! Dies kurze Leben schwindet, Der Tod uns sündig findet:

Jerusalem, nun weine, Wie dein vergeffen ist!

Wer sich zu Gott gefindet, Entgeht der Hölle Leid.

Die übermüt'gen Heiden An deiner Schmach sich weiden

Für Not wird Gnad' erteilet.

Nun laß dich diese Leiden Erbarmen, Jesu Christ!

Aus! Christi Wundm heilet, Bereitet euch und eilet! Sein Land wird bald befreit. Du aller Frauen Krone,

Bist mit uns zweifelsohne;

So hülflos und alleine:

Die Not, womit sie ringen, Die deinem Grab lobsingen, Die möcht' auch uns bezwingen:

Das wend' in kurzer Frist! Walther von der Dogelweide.

Übersetzt von 2 im rock.

Lied.

Via crucis. via lucis.

12.

Und wenn das

Durch Nacht zum Licht!

373

Durch Schweiß zum Schlaf!

Und wenn

grause Dunkel die Mittagsschwüle Auch rings um dich die Schöpfung hüllt: Auch schwer ermattend auf dir liegt: Getrost! getrost! Auf mitternächtlich Dunkel Getrost! getrost! Bald weht die Abendkühle, Folgt Sonnenaufgang, lieb und mild. Die dich in süßen Schlummer wiegt. Durch Sturm zur Ruh'! Und wenn auch Erd' und Himmel

Durch Kreuz zum Heil!

Und wenn des Lebens Plagen

Der Windsbraut donnernd Rad durchrollt: Getrost! getrost!

Auch stark wie Riesen dich bedräun: Auf lautes Sturmgetüm­ Getrost! getrost! Aus jammervolles Klagen

Soll Friede Gottes dich erfreun. mel Folgt linde Stille, leis' und hold. Durch Weh zur Wonn'! Und weinst du Durch Frost zum Lenz! Und.wenn vor auch am Morgen, Eurus' Blasen Auch alles Mark der Erd' erstarrt: Getrost! getrost! Auf wildes Winterrasen

Folgt Frühlingssäuseln, jung und zart.

Durch Streit zum Sieg!

Und weinst du auch um Mitternacht: Getrost! getrost! Laß nur den Vater sorgen, Der über dir im Himmel wacht. Durch Tod zum Leben! Durch die Thrä-

nenthale

Und wenn im

Speergemenge Auch tausend Tode dich umdräun:

Der Erde, durch das Distelfeld Des Lebens hoch hinauf zum großen Abend­

Getrost! getrost! Auf heißes Schlachtgedränge Folgt Siegsgeschrei und Friedensreihn.

ß.

mahle, Zur Herrlichkeit der bessern Welt! _____ Kosegarten.

Vaterlands- und Heldenlieder.

1.

Sehnsucht nach dem Vaterlande. Deine Nachtigallen schlagen Stärker ihren Nachtgesang.

Vaterland, auf deiner Erde Atm' ich leichter; wenn ich sie Wieder einst betreten werde,

Süßer labt dein Bach den Matten,

Vaterland, dann küss' ich sie!

Der an ihm sich niederließ;

Herz, deklommnes, hochbetrübtes,

Und in deinem kühlen Schatten

Schwimm' in Thränen! Strafe mich,

Schläft sich's, ach, so süß, so süß!

Vaterland, o du geliebtes, Ach, warum verließ ich dich!

Deine Sonne, wie so helle Schien sie mir und nicht so heiß; Über meines Vaters Schwelle

Schöner grün sind deine Felder, Deine Berge schöner blau, Schöner dunkel deine Wälder,

Ging ich noch so menschlich weiß.

Schöner perlenhell dein Tau!

Halb schon hat sie mich verbrannt!

Deine Kirchenglocken tragen Weiter ihren Silberklang;

Ach, mit halbversengter Sohle

Diese brennt mich noch zur Kohle,

Wand'r ich in mein Vaterland! Glei

2.

An mein Vaterland. Ich steh' allein und denk' an dich,

Wie fern, wie fern, o Vaterland, Bist du mir nun zurück!

Ich schau' ins Meer hinaus,

Dein liebes Angesicht verschwand Mir wie ein Jugendglück!

Und meine Träume mengen sich Ins nächtliche Gebraus.

Lyrische Poesie.

374

Und lausch' ich recht hinab zur Flut, Ergreift mich Freude schier; Da wird so heimisch mir zu Mut,

Der Vogel im Gezweige singt, Wehmütig rauscht der Hain, Und jedes Blatt am Baume klingt

Als hört' ich was von dir. Mir ist, ich hör' im Winde gehn,

Und ruft: Gedenke mein! Als ich am ftemden Grenzefiuß

Dein heilig Eichenlaub,

Still stand auf deinem Saum, Als ich zum trüben Scheidegruß Umfing den letzten Baum

Wo die Gedanken still verwehn

Den süßen Stundenraub. Im ungestümen Wogmdrang Braust mir dein Felsenbach, Mit dumpfem, vorwurfsvollem Klang Ruft er dem Freunde nach. Und deiner Herdm Glockenschall Zu mir herüberzieht Und leise der verlorne Hall Von deinem Alpenlied.

Und meine Zähre trennnngSscheu

In seine Rinde lief: Gelobt' ich dir die ew'ge Treu' In meinem Herzen tief. Nun denk' ich dein so sehnsuchtschwer, Wo manches Herz mir hold, Und ströme dir ins dunkle Meer

Den warmen Thränensold. Lenau.

3.

FrühlingSgruß an -aS Vaterland.

Wie mir deine Freuden winken Nach der Knechtschaft, nach dem Streit I

Vaterland, in tausend Jahren Kam dir solch ein Frühling kaum;

Vaterland, ich muß versinken Hier in deiner Herrlichkeit.

Was die hohen Väter waren, Heißet nimmermehr ein Traum.

Wo die hohm Eichen sausen, Himmelan das Haupt gewandt, Wo die starken Ströme brausen,

Aber einmal müßt ihr ringen Noch in ernster Geisterschlacht Und den letzten Feind bezwingen, Der im Innern drohend wacht:

Alles das ist dmtsches Land. Von dem Rheinfall hergegangen Komm' ich, von der Donau Quell, Und in mir sind aufgegangen Liebessterne mild und hell. Niedersteigen will ich, strahlen Soll von mir der Freudenschein In des Neckars frohen Thalen

Und am silberblauen Main. Weiter, weiter mußt du dringen, Du mein deutscher Freiheitsgruß, Sollst vor meiner Hütte klingen An dem fernen Memelfluß.

Haß und Argwohn müßt ihr dämpfen, Geiz und Neid und böse Lust; Dann nach schweren, langen Kämpfen Kannst du ruhen, deutsche Brust.

Segen Gottes auf den Feldem, In des Weinstocks heil'ger Frucht,

Manneslust in grünen Wäldern, In den Hütten frohe Zucht; In der Brust ein frommes Sehnen, Ew'ger Freiheit Unterpfand; Liebe spricht in zarten Tönen Nirgends wie im deutschen Land.

Wo noch deutsche Worte gelten, Wo die Herzen, stark und weich,

Ihr in Schlöffern, ihr in Städten, Welche schmücken unser Land,

Zu dem Freiheitskampf sich stellten,

Ackersmann, der auf den Beeten Deutsche Frucht in Garben band,

Ist auch heil'ges deutsches Reich. Alles ist in Grün gekleidet,

Alles strahlt im jungen Licht, Anger, wo die Herde weidet, Hügel, wo man Trauben bricht.

Traute deutsche Brüder, höret Meine Worte alt und neu:

Nimmer wird das Reich zerstöret, Wenn ihr einig seid und treu! Schenkendorf.

Sied.

4.

375

Unsere Muttersprache.

Muttersprache, Mutterlaut, Wie so wonnesam, so traut! Erstes Wort, das mir erschallet, Süßes, erstes Liebeswort, Erster Ton, den ich gelallet,

In den Reichtum, in die Pracht; Ist mir's doch, als wenn mich riefen

Klingest ewig in mir fort.

Steig' empor aus tiefen Grüften, Längst verschollnes, altes Lied!

Väter aus des Grades Nacht. Klinge, klinge fort und fort, Heldensprache, Liebeswort,

Ach, wie trüb' ist meinem Sinn, Wenn ich in der Fremde bin,

Leb' aufs neu' in heil'gen Schriften,

Wenn ich ftemde Zungen üben, Fremde Worte brauchen muß,

Daß dir jedes Herz erglüht. Überall weht Gottes Hauch,

Die ich nimmermehr kann lieben, Die nicht klingen als ein Gruß! Sprache, schön und wunderbar,

Heilig ist wohl mancher Brauch; Aber soll ich beten, danken,

Geb' ich meine Liebe kund, Meine seligsten Gedanken, Sprech' ich wie der Mutter Mund!

Ach, wie klingest du so klar! Will noch tiefer mich vertiefen

Schenkendorf.

_____

5.

In der Fremde.

Oft hab' ich dich rauh gescholten,

All mein kindliches Erinnem

Muttersprache, so vertraut! Höher hätte mir gegolten

Findet in mir seine Gruft. Einsam schweif' ich in die Felder,

Südlicher Sirenenlaut. Und nun irr' ich in der Feme

Such' ein Echo der Natur; Aber Bäche, Winde, Wälder

Freudenlos von Ort zu Ort Und vemähm', ach, gar zu gerne

Rauschen ftemd aus dieser Flur. Unverstanden, unbeachtet, Wie mein deutsches Lied verhallt, Bleibt es, wenn mein Busen schmachtet

Nur ein einzig deutsches Wort. Manches regt sich mir im Innern,

Und in bangem Sehnen wallt.

Doch wie schaff' ich hier ihm Lust?

_____________

6.

A. W. v. Schl-g-l.

Deutschlands Ehre.

Heißt mich ftoh willkommen sein;

Lande hab' ich viel gesehn,

Der euch Neues bringet, das bin ich; Eitle Worte flnd's allein,

Nach dem Besten blickt' ich allerwärts: Übel möge mir geschehn,

Die ihr noch vernahmt: jetzt fraget mich. Wenn ihr Lohn gewähret

Wenn sich je bereden ließ mein Herz,

Noch begier'ger wird zu schauen. Dafür nehm' ich weder Gut, noch Geld.

Mögen wohl die besten sein, Die ich irgend auf der Erde sand.

Daß ihm wohlgefalle Fremder Lande Brauch: Und den Sold nicht scheut, Will ich manches sagen, was die Herzen freut. Wenn ich lügen wollte, lohnte es mir auch? Deutsche Zucht geht über alle. Seht, wie ihr mich würdig ehret! Von der Elbe bis zum Rhein Ich verkünde deutschen Frauen Und zurück bis an der Ungern Land Solche Dinge, daß sie alle Welt

Was wollt' ich von den Süßen? Weiß ich recht zu schauen Sie sind mir zu hehr: Schönheit, Huld und Zier, Drum bescheid' ich mich und bitte sie nichts mehr, Helf' mir Gott, so schwör' ich, sie sind besser hier Als daß sie mich fteundlich grüßen.

Als der andern Völker Frauen.

Lyrische Poesie.

376

Züchtig ist der deutsche Mann, Deutsche Frau'n sind engelschön und rein; Thöricht, wer sie schelten kann.

Zucht und reine Minne, Wer die sucht und liebt, Komm' in unser Land, wo es noch beide giebt;

Anders wahrlich mag es nimmer sein:

Lebt' ich lange nur darinne! Walther von der Vogelweide.

7.

W e

Stimmt an mit Hellem, hohem Klang, Stimmt an das Lied der Lieder,

Des Vaterlandes Hochgesang! Das Waldthal hall' ihn wieder! Der alten Barden Vaterland,

Dem Vaterland der Treue, Dir, niemals ausgesungnes Land, Dir weihn wir uns aufs neue! Zur Ahnentugend wir uns weihn, Zum Schutze dmtscher Hütten;

Übersetzt von Sim rock.

h e l i e d. Wir lieben deutsches Fröhlichsein Und alte deutsche Sitten. Die Barden sollen Lieb' und Wein, Doch öfters Tugend preisen Und sollen biedre Männer sein

In Thaten und in Weisen. Ihr Kraftgesang soll himmelan Mit Ungestüm fich reißen, Und jeder echte deutsche Mann Soll Freund und Bruder heißen! Clau diu-.

8.

Gruß dem deutschen Volk.

Heil dir, mein Volk, bei dem mit Macht Giebt seine Kraft so wacker kund, Der Väter Geist aufs neu erwacht So wacker rings, daß neu belebt Und seinen Ruf so ftisch, so schön Dein deutsches Herz in Wonne bebt! Durch deine Gauen läßt ergehn, Heil dir, mein Volk! Fahr' also fort Daß keine, keine Macht umher In Ost und West, in Süd und Nord! Den freien Geist kann hemmen mehr! Dann wird dein Banner herrlich wehn Heil dir, mein Volk! In alter Treu' In deinen Thälern, auf den Höh'n Hast du erhoben dich aufs neu Und Gottes Hand auf deinem Thun Im goldnen Licht der Freiheit ruhn. Und reichest dir in Stadt und Land Don Stamm zu Stamm die Bmderhand, Heil dir, mein Volk! Fahr' also fort Für deutsches Wohl mit deutschem Mut Zu weihen freudig Gut und Blut!

In Ost und West, in Süd und Nord!

Dann wird der Einheit schönes Band Heil dir, mein Volk! Von nah und fern Umschlingen stets dein ganzes Land Schart ftoh sich deiner Jugend Kem, Mit einer Stärke Mann an Mann, Und jung und alt in treuem Bund Die dir kein Feind je brechen kann! Tenner

9.

Das gegen Frankreich vereinigte Deutschland.

Die Deutschen sind recht gute Leut', Sind sie einzeln, sie bringen's weit; Nun sind ihnen auch die größten Thaten

Zum ersten Mal im ganzen geraten. Ein jeder spreche Amen darein, Daß es nicht möge das letzte Mal sein. Goethe

Lied.

377

Ein Deutschland.

10.

Wohin sich der Sinn uns auch wende,

Und hörst du das mächtige Klingen Von der Ostsee bis über den Rhein,

Das Lied mit den sausenden Schwingen? Tief dringt es durch Mark und durch Bein!

Millionen, sie schlingen die Hände Zum großen Bund dem ein'gen Vaterland. Von Saaten die Thäler sich regen,

Was brauchen wir weiter zu fragen?

Von Reben die Bergwand erglüht.

Die klopfenden Pulse, sie sagen:

Ein Gut ist's, das alle wir pflegen,

Es ist das Lied vom deutschen Vaterland.

Das ewig dem Geiste erblüht: Die Freiheit in sonniger Weihe! Kein Deutschland, es sei denn das freie! Hoch, hoch das freie deutsche Vaterland!

Ob Meer auch und alpige Halden Vielmarkig zerteilen die Flur, Ihr Banner viel' Fürsten entfalten: Ein Deutschland an Herzen ist's nur!

11.

Rinne.

Der Rhein. Stoßt an! stoßt an! Der Rhein,

Wo solch ein Feuer noch gedeiht Und solch ein Wein noch Flammen speit, Da lassen wir in Ewigkeit Uns nimmermehr vertreiben.

Stoßt an! stoßt an! Der Rhein, Und wär's nur um den Wein,

Und wär's nur um den Wein,

Der Rhein soll deutsch verbleiben! Der ist sein Rebenblut nicht wert, Das deutsche Weib, den deutschen Herd, Der nicht auch freudig schwingt sein Schwert,

Der Rhein soll deutsch verbleiben! Herab die Büchsen von der Wand, Die alten Schläger in die Hand,

Sobald der Feind dem welschen Land Den Rhein will einverleiben! Haut, Brüder, mutig drein! Der alte Vater Rhein,

Die Feinde aufzureiben. Frisch in die Schlacht hinein! Hinein für unsern Rhein! Der Rhein soll deutsch verbleiben! O edler Saft, o lauter Gold, Du bist kein ekler Sklavensold! Und wenn ihr Franken kommen wollt,

So laßt euch vorher schreiben.

Der Rhein soll deutsch verbleiben!

Das Recht und Link, das Link und Recht, Hurra! hurra! Der Rhein, Und wär's nur um den Wein, Wie klingt es falsch, wie klingt es schlecht!

Kein Tropfen soll, ein feiger Knecht,

Der Rhein soll deutsch verbleiben!

Des Franzmanns Mühlen treiben.

12.

Herwegh.

Der deutsche Rhein.

Sie sollen ihn nicht haben, Den freien, deutschen Rhein,

So lang' sich Herzen laben

Ob sie wie gier'ge Raben Sich heiser danach schrein, So lang' er, ruhig wallend,

So lang' an seinem Strome Noch fest die Felsen stehn,

So lang' sich hohe Dome

Sein grünes Kleid noch trägt,

In seinem Spiegel sehn!

So lang' ein Ruder schallend Noch seine Woge schlägt! Sie sollen ihn nicht haben, Den freien, deutschen Rhein,

An seinem Feuerwein;

Sie sollen ihn nicht haben, Den freien, deutschen Rhein,

So lang' dort kühne Knaben , Um schlanke Dirnen frein;

Lyrische Poesie.

378 So lang' die Floffe hebet Ein Fisch auf seinem Grund, So lang' ein Lied noch lebet In seiner Sänger Mund.

Sie sollen ihn nicht haben,

Den freien, deutschen Rhein, Bis seine Flut begraben Des letzten Manns Gebein. Becker.

13. Freiheit, die ich meine,

Die mein Herz erfüllt, Komm' mit deinem Scheine, Süßes Engelsbild! Magst du nie dich zeigen Der bedrängten Welt?

Führest deinen Reigen

Nur am Sternenzelt?

Auch bei grünen Bäumen In dem lust'gen Wald, Unter Blütenträumen Ist dein Aufenthalt.

Freiheit. Wo sich Gottes Flamme In ein Herz gesenkt,

Das am alten Stamme

Treu und liebend hängt, Wo sich Männer finden, Die für Ehr' und Recht Mutig sich verbinden,

Weilt ein frei Geschlecht. Hinter dunklen Wällen, Hinter eh'mem Thor Kann das Herz noch schwellen Zu dem Licht empor,

Ach, das ist ein Leben, Wenn es weht und klingt,

Für die Kirchenhallen, Für der Bäter Gmft,

Wenn dein stilles Weben Wonnig uns durchdringt, Wenn die Blätter rauschen Süßen Freundesgruß. Wenn wir Blicke tauschen, Liebeswort und Kuß.

Für die Liebsten fallen, Wenn die Freiheit ruft. Das ist rechtes Glühen

.Aber immer weiter Nimmt das Herz den Lauf,

Wollest auf uns lenken Gottes Lieb' und Lust, Wollest gern dich senken In die deutsche Brust!

Auf der Himmelsleiter Steigt die Sehnsucht auf. Aus den stille» Kreisen Kommt mein Hirtenkind,

Will der Welt beweisen,

Was es denkt und minnt. Blüht ihm doch ein Garten, Reist ihm doch ein Feld Auch in jener harten, Steinerbauten Welt.

Frisch und rosenrot!

Heldenwangen blühen Schöner auf im Tod.

Freiheit, die ich meine, Die mein Herz erfüllt, Komm' mit deinem Scheine, Süßes Engelsbild! Freiheit, holdes Wesen, Gläubig, kühn und zart, Hast ja lang' erlesen Dir die deutsche Art. LchenkiNdorf.

14.

Die Fünf des erste» Freiheitskampfes:

Deutsche Zecher, hebt die Becher,

Martin Luther lebe hoch! Als sie hart uns unterjochten, Da hat er es durchgefochten,

Er hat Deutschland frei gemacht.

Deutsche Zecher, hebt die Becher Lebe Meister Philipp hoch!

Was der Martin groß begonnen,

Hat der Philipp wohl durchsonnen Und in rechten Schick gebracht.

379

Lied. Deutsche Zecher, hebt die Becher!

Deutsche Zecher, hebt die Becher!

Ritter Ulrich lebe hoch! Kann das Wort nicht länger frommen,

Auch Hans Sachs vergesset nicht! Der manch heitern Schwank gesungen,

Muß es zu dem Schwerte kommen: Ritter Ulrich Hutten hoch! Deutsche Zecher, hebt die Becher!

Hat auch tapfer mitgerungen, Als es Freiheit galt und Licht. Amen! Amen! Gottes Namen

Meister Albrecht Dürer hoch!

Loben wir, wie allezeit; Gott hat uns die Fünf gegeben;

Der hat deutsche Kunst gegründet

Deutsches Volk soll stöhlich leben,

Und vor aller Welt verkündet, Daß uns welsches Zeug nicht not.

Noch viel' tausend Jahr' wie heut! Gies ebrecht.

15.

Held Friedrich.

Held Friedrich zog mit seinem Heer In Feindesland die Kreuz und Quer. Prinz Karl kommt wie ein Löwe schnell, Dem gerbt bei Friedberg er das Fell.

Drob dringt der Franzmann übern Rhein Dem tapfren Fritz ins Land hinein; Held Friedrich aber ist nicht faul Und schlägt bei Roßbach ihm aufs Maul. Von Norden stürzt der Bär dann her

Ob auch die Welt send't Schar auf Schar, Das macht dem Fritz kein graues Haar. Auf alle fährt er wie ein Blitz; So macht es unser alter Fritz! Drum denken wir, wir wollen auch

Stets üben Friedrichs guten Brauch: Der Preußen Schwert sei wie ein Blitz, Wie's war beim alten Vater Fritz. Und fällt's dem Franzmann wieder ein,

Und tobt und brummt und mault gar sehr. Zu kommen an den deutschen Rhein, Dann brennen wir ihm aus die Haut, Held Friedrich lacht und haut, pardauz! Dem Meister Braunpelz auf die Schnauz'. Und beißen soll er rheinisch Kraut. Des Rheines Reben seur'ge Glut Da kommt auch gar der Schwede noch Und sinnt für Friedrich Schmach und Joch; Wächst nur für echtes deutsches Blut; Dem wäscht er aber bald den Kopf Und schickt ihn heim mit einem Zopf.

Doch lüstet's ihn nach unserm Wein, Er komme nur, wir schenken ein. Firm en ich.

16.

Zur Feier des 18. Oktober.

Sei hoch uns gefeiert, der Deutschen Tag, Du Tag des Siegs, der Befreiung!

Du tilgtest die lange, die blutige Schmach, Des deutschen Bodens Entweihung!

Hoch steige die flammende Säule empor

Und strahle am Himmelszelt wieder; Gern schaut ja der ewigen Sterne Chor

Auf freie Gefilde hernieder; Du brachst der Fremdlinge Stolz und Glück, Und ohne Erröten zum Himmel kann Und auf Flügeln des Siegs kam die Freiheit Den Blick aufheben der deutsche Mann.. Und den Edlen Preis, die mit freudigem Mut zurück. Drum laßt uns auf luftigen Höhen die Glut Den Tod fürs Vaterland fanden!

Der jauchzenden Flammen entzünden,

Aus ihrer Asche, aus ihrem Blut

Daß sie Thälern und Hügeln der Deutschen Ist Freiheit und Sieg uns erstanden, Und sieschauen nun lächelnd vom Himmel herab, Mut,

Der Deutschen Stärke verkünden;

Denn freie Brüder bekränzen ihr Grab.

Denn es hat sich ihr Arm, es hat sich,ihr Schwert Und daß fürder möge das teure Land So herrlich im Völkerkampfe bewährt. Der Väter herrlich uns blühen,

Lyrische Poesie.

380

Geloben wir heut' mit dem Druck der Hand, Und schwören, zu wahren das deutsche Blut

Und die deutsche Treue, den deutschen Mut.

Für der Väter Sitte zu glühen,

Hey-

_____________ _

17.

Scharnhorst.

In dem wilden Kriegestanze

„Grüß' euch Gott, ihr teuren Helden!

Brach die schönste Heldenlanze,

Kann euch frohe Zeitung melden:

Preußen, euer General. Lustig' auf dem Feld bei Lützen

Unser Volk ist aufgewacht!

Sah er Freiheitswaffen blitzen,

Deutschland hat sein Recht gefunden! Schaut, ich trage Sühnungswunden

Doch ihn traf des Todesstrahl.

Aus der heil'gen Opferschlacht!"

„Kugel, raffst mich doch nicht nieder?

Dien' euch blutend, meine Brüder! Bringt in Eile mich nach Prag: Will mit Blut um Östreich werben;

Solches hat er dort verkündet, Und wir alle stehn verbündet, Daß dies Wort nicht Lüge sei! Heer, aus seinem Geist geboren,

Jst's beschlossen, will ich sterben,

Jäger, die sein Mut erkoren, Wählet ihn zum Feldgeschrei! Zu den höchsten Bergesforsten, Wo die freien Adler horsten, Hat sich früh sein Blick gewandt;

Wo Schwerin im Blute lag."

Arge Stadt, wo Helden kranken, Heil'ge von den Brücken sanken,

Reißest alle Blüten ab;

Nennen dich mit leisen Schauern,

Nur dem Höchsten galt sein Streben, Nur in Freiheit konnt' er leben,

Zu deinen Mauern Zieht uns manches teure Grab.

Heil'ge Stadt!

Scharnhorst ist er dmm genannt.

Keiner , war wohl treuer, reiner,

Aus dem irdischen Getümmel

Haben Engel in den Himmel Seine Seele sanft geführt

Näher stand dem König keiner, Doch dem Volke schlug sein Herz!

Zu dem alten deutschen Rate,

Ewig auf den Lippen schweben

Den im ritterlichen Staate

Wird er, wird im Volke leben,

Ewig Kaiser Karl regiert.

Beffer als in Stein und Erz! ______ Schenkendorf.

18.

Blücher am Rhein!

Die Heere blieben am Rheine stehn: Soll man hinein nach Frankreich gehn?

Man dachte hin und wieder nach, Allein der alte Blücher sprach:

„Generalkarte her! Nach Frankreich gehn ist nicht so schwer.

Wo steht der Feind?" „Der Feind? dahier!"

19.

„Den Finger drauf!

Den schlagen wir!

Wo liegt Paris?"

„Paris? Dahier!" „Den Finger drauf! Das nehmen wir!

Nun schlagt die Brücken übern Rhein,

Ich denke, der Champagnerwein

Wird, wo er wächst, am besten sein!" Kopisch.

Am dritten September 1870.

Nun laßt die Glocken von Turm zu Turm

Es zog von Westen der Unhold aus,

Durchs Land ftohlocken im Jubelsturm! Des Flammenstoßes Geleucht' facht an!

Sein Reich zu festen in Blut und Graus; Mit allen Mächten der Höll' im Bund,

Der Herr hat Großes an uns gethan.

Die Welt zu knechten, das schwur sein Mund. Furchtbar dräute der Erbfeind!

Ehre sei Gott in der Höhe!

Lied. Vom Rhein gefahren kam fromm und stark Mit Deutschlands Scharen der Held der Mark; Die Banner flogen, und über ihm In Wolken zogen die Cherubim. Ehre fei Gott in der Höhe! Drei Tage brüllte die Völkerschlacht, Ihr Bluthauch hüllte die Sonn' in Nacht; Drei Tage rauschte der Würfelfall, Und bangend lauschte der Erdenball; Furchtbar dräute der Erbfeind. Da hub die Wage des Weltgerichts Am dritten Tage der Herr des Lichts Und warf den Drachen vom güldnen Stuhl

381

Mit Donnerkrachen hinab zum Pfuhl! Ehre sei Gott in der Höhe! Nun bebt vor Gottes und Deutschlands Schwert Die Stadt des Spottes, der Blutschuld Herd; Ihr Blendwerk lodert, wie bald! zu Staub Und heimgefodert wird all ihr Raub. Nimmermehr dräut uns der Erbfeind. Drum laßt die Glocken von Turm zu Turm Durchs Land frohlocken im Iubelsturm! Des Flammenstoßes Geleucht' facht an! Der Herr hat Großes an uns gethan. Ehre sei Gott in der Höhe! Geibel.

y.

Kriegslteder.

1. Sei gegrüßt, du hohe, Lichte Sonnenbahn! Jubelt laut: der frohe Morgen bricht heran! Seht, die Firnen glühen Freiheitsflammenpracht, Seht, die Blumen blühen, Aus dem Schlaf erwacht! Seht, die Fahnen wehen Deutscher Herrlichkeit, Seht, die Männer stehen Mutig, kampfbereit! Aus den hellen Wangen Freiheitsmorgenrot;

Morgenlied. Seine Rosen prangen Schön noch selbst im Tod. Und die Hörner schmettern, Lieder jauchzen drein: Fort, auf Flammenwettern In die Schlacht hinein! Losung ist die Freiheit, Vaterland und Recht; Diese heil'ge Dreiheit Schützt uns im Gefecht. Deutschland, darfst nicht sorgen, Bald ist's ja gethan, Und dein großer Morgen Glanzvoll bricht heran. Köhler.

2. Erhebt euch von der Erde, Ihr Schläfer, aus der Ruh': Schon wiehern uns die Pferde Dm guten Morgen zu. Die lieben Waffen glänzen So hell im Morgenrot; Man träumt von Siegeskränzen, Man denkt auch an den Tod. Du reicher Gott, in Gnaden Schau her vom blauen Zelt:

Soldaten - Morgenlied. Du selbst hast uns geladen In dieses Waffenfeld. Laß uns vor dir bestehen, Und gieb uns heute Sieg! Die Christenbanner wehen; Dein ist, o Herr, der Krieg. Ein Morgen soll noch kommen, Ein Morgen mild und klar, Sein harren alle Frommen, Ihn schaut der Engel Schar.

Lyrische Poesie.

382 Bald scheint er sonder Hülle

Und Ruhe nach den Stürmen Und Lieb' und Lebenslust!

Auf jeden deutschen Mann;

Es schallt auf allen Wegen

O brich, du Tag der Fülle, Du Freiheitstag brich an!

Dann ftohes Siegsgeschrei; Und wir, ihr wackern Degen,

Dann Klang von allen Türmen Und Klang aus jeder Brust

Wir waren auch dabei! Schenkendorf.

3.

Reiterlied.

Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd! aufs Er gräbt und schaufelt, so lange er lebt, Pferd! Und gräbt, bis er endlich sein Grab sich

Ins Feld, in die Freiheit gezogen! Im Feld, da ist der Mann noch was wert,

Da wird das Herz noch gewogen. Da tritt kein Anderer für ihn ein,

gräbt. Der Reiter und sein geschwindes Roß, Sie sind gefürchtete Gäste! Es flimmern die Lampen im Hochzeitschloß;

Auf sich selber steht er da ganz allein. Ungeladen kommt er zum Feste! Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist, Er wirbt nicht lange, er zeiget nicht Gold: Man sieht nur Herren und Knechte; Im Sturm erringt er den Minnesold.

Die Falschheit herrschet, die Hinterlist Bei dem feigen Menschengeschlechte. Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,

schier? Laß fahren dahin, laß fahren!

Der Soldat allein ist der freie Mann. Des Lebens Ängsten, er wirft sie weg,

Er hat auf Erden kein bleibend Quartier, Kann treue Lieb' nicht bewahren.

Hat nicht mehr zu fürchten, zu sorgen!

Das rasche Schicksal, es treibt ihn fort:

Er reitet dem Schicksal entgegen keck, Trifft's heute nicht, trifft es doch morgen;

Seine Ruhe läßt er an keinem Ort.

Wamm weint die Dirn' und zergrämet sich

Drum frisch, Kameraden, den Rappen ge­

Und trifft es morgen, so lasset uns heut

zäumt, Noch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit. Die Brust im Gefechte gelüftet! Von dem Himmel fällt ihm sein lustig Los, Die Jugend brauset, das Leben schäumt:

Braucht's nicht, mit Müh' zu erstreben; Frisch auf, eh' der Geist noch verdüstet! Der Fröhner, der sucht in der Erde Schoß, Und setzet ihr nicht das Leben ein, Nie wird euch das Leben gewonnen sein. Da meint er den Schatz zu erheben. ______

4.

Schiller.

Gebet vor der Schlacht.

Hör' uns, Allmächtiger! Hör' uns, Allgütiger!

Himmlischer Führer der Schlachten! Vater, dich preisen wir!

Führ' uns, Herr Zebaoth! Führ' uns, dreiein'ger Gott,

Vater, wir danken dir,

Führ' uns zur Schlacht und zum Siege! Führ' uns! Fall' unser Los Auch tief in Grabes Schoß,

Daß wir zur Freiheit erwachten!

Lob doch und Preis deinem Namen!

Wie auch die Hölle braust, Gott, deine starke Faust Stürzt das Gebäude der Lüge.

Reich, Kraft und Herrlichkeit Sind dein in Ewigkeit!

Führ' uns, Allmächtiger! Amen. Körner.

383

Lied.

5. Trinklied vor der Schlacht. Vaterlands Hort, Woll'n wir aus glühenden Ketten

Schlacht, du brichst an! Grüßt sie in freudigem Kreise

Laut nach germanischer Weise!

Tot oder siegend erretten.

Brüder, heran!

Handschlag und Wort!

Noch perlt der Wein: Eh' die Posaunen erdröhnen, Laßt uns das Leben versöhnen.

Hört ihr sie nahn? Liebe und Freuden und Leiden,

Brüder, schenkt ein!

Brüder, stoßt an! Schlacht ruft! Hinaus!

Tod, du kannst uns nicht scheiden!

Gott Vater hört, Was an des Grabes Thoren Vaterlands Söhne geschworen:

Horch, die Trompeten werben! Vorwärts aus Leben und Sterben!

Brüder, ihr schwört!

Brüder, trinkt aus! Körner.

6. Gebet während der Schlacht. Vater, du segne mich! Vater, ich rufe dich! Brüllend umwölkt mich der Dampf der Ge­ In deine Hand befehl' ich mein Leben!

schütze, Sprühend umzucken mich raffelnde Blitze. Lenker der Schlachten, ich rufe dich!

Du kannst es nehmen, du hast es gegeben. Zum Leben, zum Sterben segne mich! Vater, ich preise dich!

Vater, du führe mich! Vater, ich preise dich! 's ist ja kein Kampf für die Güter der Erde, Vater, du führe mich! Führ' mich zum Siege, führ' mich zum Tode: Das Heiligste schützen wir mit dem Schwerte;

Herr, ich erkenne deine Gebote.

Drum fallend und siegend preis' ich dich.

Herr, wie du willst, so führe mich! Gott, ich erkenne dich! Gott, ich erkenne dich!

So im herbstlichen Rauschen der Blätter, Als im Schlachtendonnerwetter, Urquell der Gnade, erkenn' ich dich! Vater, du segne mich!

Gott, dir ergeb' ich mich! Gott, dir ergeb' ich mich! Wenn mich die Donner des Todes begrüßen,

Wenn meine Adern geöffnet fließen: Dir, mein Gott, dir ergeb' ich mich! Vater, ich rufe dich!

______

Körner.

7. Siegeslied nach der Schlacht bei Lowofitz. Den 1. Oktober 1756. Gott donnerte, da floh der Feind!

Und schlug, wo Feind zu schlagen war,

Singt, Brüder, singet Gott!

Und macht' uns reine Bahn!

Denn Friederich, der Menschenfreund, Hat obgesiegt mit Gott. Bei Außig sahen wir den Held;

Auf einer Trommel saß der Held Und dachte seine Schlackt,

Wie feurig brannten wir,

Und um sich her die Nacht.

Zu stehn mit ihm im Siegesfeld;

Nun stehen wir es hier. Er ging mit einer kleinen Schar

Er dachte.: „Zwar sind ihrer viel', Fast billig ist ihr Spott. Allein wär' ihrer noch so viel',

Den Siegesweg voran

So schlag' ich sie mit Gott!"

Den Himmel über sich zum Zelt

384

Lyrische Poesie. Zu mutig jagte sie, zu weit Den zweimal flücht'gen Feind,

DaS dacht' er, sahe Morgenrot, Verlangen im Gesicht. Der gute Morgen, den er bot,

Der mehr durch Trug als Tapferkeit

Wie munter war er nicht!

Uns zu bezwingen meint';

Sprang auf von seinem Heldensitz, Sprach: „Eh' noch Sonne scheint, Kommt, Helden, hinter Lowositz Zu sehen meinen Feind!" Da kämm Wilhelm, Bevem, Keith Und Braunschweigs Ferdinand, Bier große Helden, weit und breit

Denn ihrer Hitze viel zu früh Hemmt ihres Schwerts Gewalt Kartätschenfeuer unter sie

Aus tück'schem Hinterhalt! Wie boshaft freut der Ungar sich, Dem List, nicht Mut gelang! Sie flieht zurück, und Friederich

Durch ihren Mut bekannt. Hält ihre Musterung.' Frei wie ein Gott von Furcht und Graus, „Ha, Vater Bevern!" riefen wir; Voll menschlichen Gefühls, „Uns, uns Pattonen her! Steht er und teilt die Rollen aus Des großen Trauerspiels! „Dott," spricht er, „stehe Reiterei,

Denn deinem armen Grenadier Ist schon die Tasche leer;

Hier Fußvolk!" Alles steht In großer Ordnung, schreckenfrei,

So hat er hier sein Grab! Die Hunde regnen Kugelsaat

Indem die Sonn' aufgeht. So stand, als Gott der Herr erschuf,

Von ihrem Turm herab!" „Stürzt," sprach er, „sie von ihrem Tuum

Das Heer der Steme da; Gehorsam stand es seinem Ruf

Mit Bajonett herab!" Wir thaten es, wir liefen Sturm;

In großer Ordnung da. Die Sonne trat mit Riesenschritt Auf ihrer Himmelsbahn Hervor, daß wir mit ihrem Tritt

Wir stürzten sie herab! Wir rißen Mauem ein, Pandur, Erstiegen deinen Schutz

Auf einmal vor uns sahn Ein unaufhörlich Kriegesheer Hoch über Berg und Thal,

Dir in die Nase Trutz. Du liefest, was man laufen kann, Du sprangest in die Stadt! Wir riefen: „Alles hittterdran, Was Herz im Leibe hat!" Und Brüder! Braun, der kluge, «ich,

Panduren, wie der Sand am Meer, Kanonen ohne ZahlI Und alsobald gedachten wir An Gott und Vaterland; Stracks war Soldat und Offizier Voll Löwenmut und stand Und näherte dem Feinde sich Mit gleichem, großem Schutt.

„Halt!" sagte König Friederich, „Halt!" Da war es ein Tutt. Er stand, besah den Feind und sprach, Was zu verrichten sei. Wie Gottes Donnerwetter brach Hervor die Reiterei.

Wenn er nicht Pulver wieder hat,

Und boten, Tiger von Natur,

Voll Heldeneifersucht, Ließ uns und unserm Friederich Das Schlachtfeld, nahm die Flucht. Wer aber hat durch seine Macht

Dich, Braun, und dich, Pandur, In Angst gesetzt, in Flucht gebracht t Gott, der auf Wolken fuhr! Sein Donner zürnte deinem Kriez Bis spät in schwarze Nacht. Wir aber singen unsern Sieg Und preisen seine Macht.

Lied.

8.

Der Landsturm.

Der Landsturm! Der Landsturm! Wer hat das schöne Wort erdacht? Das Wort, das donnert, blitzt und kracht, Daß einem das Herz im Leibe lacht! Wenn ganz ein Land zum Sturm erwacht, Wer hat den Landsturm aufgebracht? Der Landsturm! Der Landsturm! Der Bau'r ist nur ein schlechter Schuft, Der nach Soldatenhülfe ruft; Der Bauer, der sich selbst macht Lust, Den Feind, den Schuft, selbst pufft und knufft, Der Bauer ist kein schlechter Schuft. Der Landsturm! Der Landsturm! Der König giebt mir keinen Sold, Und ich bin ihm nicht minder hold. Eu'r Acker, sprach er, ist eu'r Gold, Drum, wenn ihr den bewahren wollt, So schlagt den Feind, das ist eu'r Sold. Der Landsturm! Der Landsturm! Der Feind ist blind und taub, der Wicht, Er kennt ja Weg' und Stege nicht, Er find't ja keinen Führer nicht; Das Land ist mein, wie kennt' ich's nicht? Drum fürcht' ich auch vorm Feind mich nicht. Der Landsturm! Der Landsturm!

4. Vorwärts! Fort und immer fort! Rußland rief das stolze Wort: Vorwärts! Preußen hört das stolze Wort, Hört es gern und hallt es fort: Vorwärts! Auf, gewalt'ges Österreich!

Vorwärts! Thu's den andern gleich! Vorwärts! Auf, du altes Sachsenland! Immer vorwärts, Hand in Hand! Vorwärts! Bayem, Heffen, schlaget ein! Schwaben, Franken, vor zum Rhein! Vorwärts!

385

Der Feind, der Wicht, ist blind und taub, Er zittert, wenn sich regt ein Laub, Er zittert, wenn sich rührt ein Staub; Denn für ihn ist nicht Treu' und Glaub', Und jeder List wird er zum Raub. Der Landsturm! Der Landsturm! Der Feind, der Wicht, ist taub und blind, Und seine Schlachten sind ein Wind, Er weiß ja nicht, wofür sie sind. Ich hab' im Rücken Weib und Kind, Ich weiß, wofür die Schlachten sind. Der Landsturm! Der Landsturm! Die Glocke, die zur Tauf' mich trug, Die Glock', die mir zur Hochzeit schlug, Die Glocke ruft mit lautem Zug; Der Glocke Ruf ist niemals Trug; Die Glocke ruft, das ist genug! Der Landsturm! Der Landsturm! Hörst du's vom Kirchturm stürmen, Frau? Siehst du die Nachbarn wimmeln? schau! Und drüben stürmt es auch im Gau. Ich muß hinaus! Auf Gott vertrau'! Des Feindes Blut ist Morgentau. Der Landsturm! Der Landsturm! Rückert.

Vorwärts. Vorwärts, Holland, Niederland! Hoch das Schwert in freier Hand! Vorwärts! Grüß' euch Gott, du Schweizerbund, Elsaß, Lothringen, Burgund! Vorwärts! Vorwärts, Spanien, Engelland! Reicht den Brüdern bald die Hand! Vorwärts! Vorwärts! Fort und immer fort! Guter Wind und naher Port! Vorwärts! Vorwärts heißt ein Feldmarschall! Vorwärts, tapste Streiter all'! Vorwärts I u h l a n d.

Lyrische Poesie.

386 10.

Kriegslied für die freiwillige» Jäger.

Frisch auf zum ftöhlichen Jagen,

Es ist nun an der Zeit:

O Wonne, die zu schützen, Die uns die liebsten sind! Hei, laßt Kanonen blitzen!

Es sängt schon an zu tagen, Der Kampf ist nicht mehr weit! Auf, laßt die Faulen liegen, Laßt sie in ihrer Ruh!

Ein frommer Mut gewinnt. Die meisten ziehn einst wieder Zurück in Siegerreihn;

Wir rückm mit Vergnügen

Dann tönen Jubellieder,

Dem lieben König zu! Der König hat gesprochen:

Das wird 'ne Freude sein! Wie glühn davon die Herzen So ftoh und stark und weich!

„Wo sind die Jäger'nun?" Da sind wir aufgebrochen, Ein wackres Werk zu thun.

Wer fällt, der kann's verschmerzen,,

Der hat das Himmelreich. Ins Feld, ins Feld gezogen

Wir woll'n ein Heil erbauen Für all das deutsche Land

Zu Roß und auch zu Fuß! Gott ist uns wohlgewogen, Schickt manchen hohen Gruß.

Im ftohen Gottvertrauen Mit rüstig starker Hand. Schlaft ruhig nun, ihr Lieben,

Ihr Jäger allzusammen, Dringt lustig in den Feind!

Am väterlichen Herd, Derweil mit Feindeshieben Wir ringen, keck bewährt.

Die Freudenfeuer flammen, Die Lebenssonne scheint.

11.

LützowS wilde Jagd.

Was glänzt dort vom Walde im Sonnen­ schein? Hör's näher und näher brausen. Es zieht sich herunter in düsteren Reihn, Und gellende Hörner schallen darein Und erfüllen die Seele mit Grausen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Was zieht dort rasch durch den finstem Wald Und streift von Bergen zu Bergen?

Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt; Das Hurra jauchzt, und die Büchse knallt,

Es fallen die stänkischen Schergen. Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt:

Was braust dort im Thale die laute Schlacht,

Was schlagen die Schwerter zusammen? Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht, Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht Und lodert in blutigen Flammen. Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd.

Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht, Unter winselnde Feinde gebettet? Es zuckt der Tod auf dem Angesicht,

Doch die wackern Herzen erbittern nicht; Das Vaterland ist ja gerettet! Und wenn ihr die schwarzen Gefallenen fragt:

Das war Lützows wilde, verwegene Jagd. Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Die wilde Jagd und die deutsche Jagd Wo die Reben dort glühen, dort braust Auf Henkersblut und Tyrannen! der Rhein, Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und Der Wütrich geborgen sich meinte; geklagt; Da naht eS schnell mit Gewitterschein Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt,

Und wirft sich mit rüstigen Armen hinein Wenn wir's auch sterbend gewannen! Und springt ans Ufer der Feinde. Und von Enkeln zu Enkeln sei's nachgesagt: Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt: Das war Lützows wilde, verwegene Jagd. DaS ist Lützows wilde, verwegme Jagd.

K örner.

Lied.

12.

387

Die Leipziger Schlacht.

„Wo kommst du her in dem roten Kleid Die Welschen hat Gott verweht wie den Sand: Und färbst das Gras auf dem grünen Plan?" Viel' Tausende decken den grünen Rasen, Ich komme her aus dem Männerstreit, Die übrig geblieben, entflohen wie Hasen,

Napoleon mit. Ich komme rot von der Ehrenbahn. „Nimm Gottes Lohn, hab' Dank, Gesell! Wir habm die blutige Schlacht geschlagen, Drob müssen die Mütter und Bräute klagen; Das war ein Klang, der das Herz erfreut!

Da ward ich so rot.

Das klang wie englische Cymbeln hell!

„Sag' an, Gesell, und verkünde mir, Wie heißt das Land,

wo ihr schlugt die

Schlacht?" Bei Leipzig trauert das Mordrevier, Das manches Auge voll Thränen macht;

Da flogen die Kugeln wie Winterflocken, Und Tausenden mußte der Atem stocken Bei Leipzig, der Stadt. „Wie heißen, die zogen ins Totenfeld

Hab'

Dank der Mär'

von dem blutigen

Streit! Laß Witwen und Bräuten die Totenklagen, Wir singen noch fröhlich in späten Tagen

Die Leipziger Schlacht." O Leipzig, du freundliche Lindenstadt,

Dir ward ein leuchtendes Ehrenmal; Solange rollet der Zeiten Rad, Solange scheinet der Sonnenstrahl,

Und ließen fliegende Banner aus?"

Solange die Ströme zum Meere reisen,

Die Völker kamen der ganzen Welt Und zogen gegen Franzosen aus,

Wird noch der späteste Enkel preisen Die Leipziger Schlacht.

Die Rüsten,

Schweden,

die tapferen O Leipzig! Gastlich versammelst du Aus allen Enden der Völker Schar. Preußen, Und die nach dem Kaiser von Östreich heißen, Auf, ruft's dem Osten und Westen zu, Die zogen all' aus. Daß Gott der Helfer der Freiheit war, „Wem ward der Sieg in dem harten Streit? Daß Gott der Tyrannen Gewalt zerstoben, Damit sie im Osten und Westen loben Wer griff den Preis mit der Eisenhand?" die

Die Welschen hat Gott wie Spreu zerstreut,

Die Leipziger Schlacht. Arndt.

13.

Auf die Schlacht von Leipzig.

Kann denn kein Lied

Krachen mit Macht,

Ei, es ist gut, Daß sich nicht können die Rusten brüsten,

So laut, wie die Schlacht

Daß allein sie ihre Wüsten

Hat gekracht um Leipzigs Gebiet? Drei Tag' und drei Nacht

Tränken können mit Feindesblut! Nicht im kalten Rußland allein,

Ohn' Unterlaß

Auch in Meißen, Auch bei Leipzig an der Pleißen, Kann der Franzose geschlagen sein.

Und nicht zum Spaß Hat die Schlacht gekracht.

Drei Tag' und drei Nacht Hat man gehalten Leipziger Meffen, Hat euch- mit eiserner Elle gemessen,

Die seichte Pleiß' ist von Blut geschwollen, Die Ebenen haben

So viel' zu begraben, Die Rechnung mit euch ins Gleiche gebracht. Daß sie zu Bergen uns werden sollen. Drei Tag' und drei Nacht Wenn sie uns auch zu Bergen nicht werden, Währte der Leipziger Lerchenfang;

Wird der Ruhm

Hundert fing man auf einen Gang,

Zum Eigentum

Tausend auf einen Schlag.

Auf ewig davon uns werden auf Erden. Rückert.

Lyrische Poesie.

388

14.

Geharnischte Sonette.

1. Der Mann ist wacker, der, sein Pfund be­ Im eignen Wald mehr, dich zu stützen, Memme, Daß du nicht stehn kannst als auf fremdem nutzend,

Fuße? Zum Dienst des Vaterlands kehrt seine Kräfte: Du, die du liegst am Boden ausgestrecket, Nun denn, mein Geist, geh' auch an dein Ge­ Du stehst nicht auf in kräft'ger Selbstauf­ schäfte, raffung, Den Arm mit den dir eignen Waffen putzend. Wie kühne Krieger jetzt, mit Glutblick trutzen d, Ein fremder Retter hat dich aufgeschrecket.

In Reih'n sich stellend, heben ihre Schäfte, So stell' auch Krieger, zwar nur nachgeäffte,

Wird er durch seines nord'schen Armes Straffung

Dein Siechtum kräft'gen oder, angestecket Auf denn, die ihr aus meines Busens Ader Auch selbst von dir, heimtragen die Er­ schlaffung? Aufquellt, wie Riesen aus des Stromes Bette, Geharnischter Sonette ein paar Dutzend.

Stellt euch in eure rauschenden Geschwader!

4.

Schließt eure Glieder zu vereinter Kette Und ruft mithademd in dem großen Hader Erst: Waffen! Waffen! und dann: Rette!

rette!

Nicht schelt' ich sie,

die mit dem fremden

Degen Zerfleischen meines Busens Eingeweide,

Denn Feinde sind's, geschaffen uns zum Leide; Wenn sie uns töten, wiffen sie weswegen. Allein was sucht denn ihr auf diesen Wegen? Wenn nicht ein Zaub'rer mit Medeas Künsten Das matte Haupt euch schneidet ab vom Rumpfe, Was hofft denn ihr für glänzend Ruhm­ geschmeide, Eh' es in Alterschwäche gar verschrumpfe, Und neu es füllt mit jungen Lebensdünsten; Ihr Zwitterfeinde, die ihr eure Schneide

2.

Wenn nicht ein Alchimist mit Feuersbrünsten Statt für das Vaterland sie hebt dagegen? Ihr Franken und ihr Bayern und ihr eu'r Geschlecht einschmelzt mit Stiel

Ganz

Schwaben, und Stumpfe: So wächst euch nie aus eurem toten Sumpfe Ihr Fremdlingen Verdungene zu Knechten! Die Kraft; denn faul von euch sind selbst die Was wollt ihr Lohns für eure Knechtschaft

grünsten. O daß ein schlagender Gewitterfunken, Vom Einfluß schwanger aller Kraftgestirne, Euch träfe, die ihr kraftlos seid versunken,

haben? Eu'r Adler kann- vielleicht noch Ruhm er­

fechten, Doch sicher ihr, sein Raubgefolg, ihr Raben,

Euch zuckte so durch euer schlaff Gehirne, Erfechtet Schmach bei kommenden Geschlechten.

Daß ihr neu.lebend stündet oder trunken

Ganz niedertaumeltet mit toter Stirne!

5. Bei Gott! Kein Nichts ist's, des ihr euch

3.

verwegnet! Sprengt eure Pforten auf, ihr Kaukafuffe, Und speiet Waffen! Brecht durch eure Dämme, Ein Etwas ist's, wofür den Arm ihr höbet, Ihr Wolgaströme, macht aus Felsen Ein Etwas, das die Welt und Nachwelt lobet, Schwämme, Braust über Deutschland hin im Siegserguffe!

Ein Etwas, dem der Himmel Gnade regnet. Drum, eh' ihr auszieht und dem Feind be­

Was will auf deinenFeldem denn derRuffe,

Deutschland? dir beistehn?

Hast du keine Steht erst vor dem,

Stämme

gegnet, des Aug' die Herzen

probet:

389

Lied.

Nicht eh'r zieht, als dem Höchsten anverlobet, Und dachte, weil den Busen Seufzer hoben, Nicht eh'r zieht, als vom Priester eingesegnet. An sein einst freies Volk, das ward zu Knechten. Dakam, so lange von des Schicksals Mächten Der Feinde Lanzen müssen vor euch splittern, Im ird'schen Stand des Lebens aufgehoben, Und seine Donner müssen ihm versagen, Wenn für euch selbst Gott spricht aus den Sein alter Bruder kam jetzt her von droben, Den sah er und hub an: „Will Preußen Gewittern. fechten?" Ja, Gottes Flügel, um euch her geschlagen, Der aber sprach mit Siegesglanz im Blicke: Müss', ob ihr fallet, selbst den Tod entbittern, Daß ihr sein Antlitz sehn könnt ohne Zagen. „Ich komme dir als Bote, daß erschienen Nun ist die Stunde, wo es bricht die Stricke."

Da sprang der alte König auf mit Mienen, 6. Frau'n Preußens, nehmt für eure Opfer­ Als ob er selbst zum neuen Kampf sich schicke, Und sprach: „Jetzt will ich wieder sein mit gaben, ihnen!"

Das Opfer an des Lieds, das ich euch bringe,

Ihr, die ihr gabt vom Finger eure Ringe,

8. Wir schlingen unsre Händ' in einen Knoten, Eu'r Preis, daß ihn kein Mund der Zeit ver­ Zum Himmel heben wir die Blick' und schwören! Ihr alle, die ihr lebet, sollt es hören, schlinge ! Des Ruhms, den eurer Männer blut'ge Klinge Und wenn ihr wollt, so hört auch ihr's, ihr

So wie ihr gabt vom Busen eure Knaben Dem Vaterland! In Erzschrift sei gegraben

Erfechten wird, sollt ihr die Hälfte haben.

Denn wenn sie selbst im Sturm des Feindes Wunden Erbeuteten, so habt ihr mit dem Kleide

Toten! Wir schwören, stehn zu wollen den Geboten

Des Lands, des Mark wir tragen in den

Röhren, Und diese Schwerter, die wir hier empören, Von euren Schultern ihnen sie verbunden; Und wenn der Freiheit Tempel aus dem Leide Nicht eh'r zu senken, als vom Feind zerschroten. Wir schwören, daß kein Vater nach dem Nun steigt durch sie, so soll's die Welt er­ Sohne kunden, Daß, ihn zu schmücken, ihr gabt eu'r Geschmeide. Soll fragen und nach seinem Weib kein Gatte, Kein Krieger fragen soll nach seinem Lohne,

Nochheimgehn, eh' derKrieg, dernimmersatte, 7. Der alte Fritz saß drunten in den Nächten Ihn selbst entläßt mit einer blut'gen Krone, Auf einem Thron, aus Thatenglanz gewoben, Daß man ihn heile oder ihn bestatte. Rückert.

15.

Kri e g s l i e d.

Empor, mein Volk! Das Schwert zur Hand, Da bricht den Hader er vom Zaun, Und brich hervor in Haufen! Von Gift und Neid geschwollen. Vom heil'gen Zorn ums Vaterland Komm' über ihn und seine Brut Mit Feuer laß dich taufen!

Der Erbfeind beut dir Schmach und Spott, Das Maß ist voll, zur Schlacht mit Gott!

Vorwärts!

Dein Haus in Frieden auszubaun,

Stand all dein Sinn und Wollen;

Das frevelhaft vergosi'ne Blut!

Vorwärts!

Wir träumen nicht von raschem Sieg, Von leichten Ruhmeszügen; Ein Weltgericht ist dieser Krieg Und stark der Geist der Lügen.

Lyrische Poesie.

390 Doch der einst unsrer Väter Burg,

Wie Sturmwind schwellt dein Flügelpaar

Getrost, er führt auch uns hindurch.

Dom Himmel her ein Brausen;

Vorwärts! Schon läßt er klar bei Tag und Nacht

Und seine Zeichen schauen; Die glammen hat er angefacht

Das ist des alten Blücher Geist, Der dir die rechte Straße weist. Vorwärts I Flieg, Adler, flieg! Wir stürmen nach,

In allen deutschen Gauen; Von Stamm zu Stamme lodert's fort,

Ein einig Volk in Waffen, Wir stürmen nach, ob tausendfach

Kein Mainstrom mehr, kein Süd und Nord! Des Todes Pforten klaffen. Vorwärts! Und fallen wir: flieg, Adler, flieg! Voran denn, kühner Preußenaar, Aus unsrem Blute wächst der Sieg. Voran durch Schlacht und Grausen! Vorwärts! _____ Geibrl.

16.

Hurra, Germania!

Hurra, du stolzes, schönes Weib, Hurra, Germania! Wie kühn mit vorgebeugtem Leib

Am Rheine stehst du da! Im vollen Brand der Juliglut

Schwaben und Preußen Hand in Hand;

Der Nord, der Süd ein Heer! Was ist des Deutschen Vaterland? Wir ftagen's heut nicht mehr! Ein Geist, ein Arm, ein einz'ger Leib,

Wie ziehst du rasch dein Schwert! Wie trittst du zornig frohgemut Zum Schutz vor deinen Herd!

Ein Wille sind wir heut! Hurra, Germania, stolzes Weib! Hurra, du große Zeit! Du dachtest nicht an Kampf und Streit; Mag kommen nun, was kommen mag: In Fried' und Freud' und Ruh' Fest steht Germania! Auf deinen Selbem, weit und breit, Dies ist Alldeutschlands Ehrentag: Die Ernte schnittest du. Nun weh dir, Gallia! Bei Sichelklang im Ährenkranz Weh, daß ein Räuber dir das Schwert Die Garben fuhrst du ein: Frech in die Hand gedrückt! Da plötzlich, horch ein andrer Tanz! Fluch ihm! Und nun für Heim und Herd Das Kriegshom überm Rhein! Das deutsche Schwert gezückt! Da warfst die Sichel du ins Kom, Für Heim und Herd, für Weib und Kind, Den Ährenkranz dazu; Für jedes teure Gut,

Da fuhrst du auf in Hellem Zorn, Tief atmend auf im Nu; Schlugst jauchzend in die Hände dann: Willst du's, so mag es sein! Auf, meine Kinder, alle Mann!

Dem wir bestellt zu Hütern sind Vor ftemdem Frevelmut!

Für deuffches Recht, für deuffches Wort, Für deutsche Sitt' und Art,

Für jeden heil'gen deutschen Hort Zum Rhein! zum Rhein, zum Rhein! Hurra! zur Kriegesfahrt! Da rauscht das Haff, da rauscht der Belt, Auf, Deuffchland auf und Gott mit dir! Da rauscht das deutsche Meer; Ins Feld, der Würfel klirrt! Da rückt die Oder dreist ins Feld,

Die Elbe greift zur Wehr. Neckar und Weser stürmen an, Sogar die Flut des Mains! Vergeffen ist der alte Span: Das deutsche Volk ist eins!

Wohl schnürt's die Brust uns, denken wir DeS Bluts, das fließen wird! Dennoch das Auge kühn empor! Denn siegen wirst du ja: Groß, herrlich, frei, wie nie zuvor!

Hurra, Germania!

Lied. 5.

1.

391

Wanderlieder.

Der Mai ist gekommen.

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus;

Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,

So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt. Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt', Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht; Es giebt so manche Straße, da nimmer ich marschiert, Es giebt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert. Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl,

Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Thal! Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all', Mein Herz ist wie 'ne Lerche und stimmet ein mit Schall.

Und abends im Städtlein, da kehr' ich durstig ein. „Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein! Ergreife die Fiedel, du lust'ger Spielmann, du, Von meinem Schatz das Liedel, das sing' ich dazu." Und find' ich keine Herberg', so lieg' ich zur Nacht Wohl unterm blauen Himmel, die Sterne halten Wacht;

Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach, Es küsiet in der Früh das Morgenrot mich wach. O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust,

Da wehet Gottes Odem so frisch in die Bmst, Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt: Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt! ©eitel.

____

2.

Fröhlichen Wanderers Lied.

Reise zu Fuß, reise zu Fuß! Da vemimmst du Menschengruß. Schön ist fahren, schöner reiten; Doch dir wird erst wohlgemut, Siehest du mit frischem Blut, O, zu Fuß Einen Menschen fürder schreiten. Heisa, durch die Menschenbrust

Wind sich um den Bmder reißt;

Setzt allein der Mensch mit Lust!

Läßt's hinauf Vogel zu bett Vögeln fliegen. Reise zu Fuß, reise zu Fuß!

Bringt auch über Fluß und Graben Und durch Regenguß und Wind Dich ein wackres Roß geschwind — 3» der Brust

Kannst du früher Herberg' haben.

Alles will dir ganz vertraun, Nah dir in die Augen schaun: Sonne sieht nicht von der Seite, Regen ist als Freund ganz dreist,

Ganz Vertraun, Giebt der Mond dir das Geleite. Früh, o schöner Lebenslauf! Tausend Kehlen thun sich auf! Du allein bist nicht verschwiegen: Dankbar greifst du in die Bmst, Holst ein Lied mit Menschenlust,

Da verstehst du Menschengmß. Was dir trüb zu Haus geblieben, Siehst du an als späte Saat; Frühjahr kommt und schaffet Rat.

Du zu Fuß, Leme neue Früchte lieben! Thorbecke.

392

Lyrische Poesie.

3. Wanderlied. Bleibe nicht am Boden hasten, Frisch gewagt und frisch hinaus! Kopf und Arm mit heitem Kräften, Überall find sie zu Haus.

Wo wir uns der Sonne freuen, Sind wir jede Sorge los; Daß wir uns in ihr zerstreuen, Darum ist die Welt so groß. Goethe.

4. Ins Freie! Hinaus ins Freie, hinauf nach den Höhn, Unter Gottes Augen mich zu ergehn! Da wird mir wieder so wohl zu Mut,

Da wallet so fteudig das junge Blut! Da blick' ich selig das Thal entlang, Und all' die Freude wird zum Gesang. Grüneisen.

5. Wanderlied. Dem Wandersmann gehört die Welt In allen ihren Weiten, Weil er kann über Thal und Feld So wohlgemut hinschreiten. Die Felder sind wohlangebaut Für andre und von andern; Ihm aber, der sie sich beschaut,

Gehören sie jetzt beim Wandern. Durch Wiesen schlängelt sich ein Pfad Wie zwischen Blumenbeeten; Zch weiß nicht, weffen Fuß ihn trat, Er ist für mich getreten.

Und wenn ich seiner müde bin, Er wartet auf mein Winken; Gleich wendet er sich zur Rechten hin, Und ich zieh' fort zur Linken. Die Lüste sind mir dienstbar auch, Die mir im Rücken wehen, Sie wollen doch mit ihrem Hauch Mich fördern nur im Gehen.

Und die ins Angesicht mich küßt, Sie will mir auch nicht schaden:

Es ist die Feme, die mich grüßt,

Und neben in das Gras hinein, Wo sie wohl Futter holen, Das Grün ist auch beim Wandern mein,

Zu sich mich einzuladen. Der Regen und der Sonnenschein Sind meine zwei Gesellen, Die, einer hinterm andem drein,

Ein Teppich für meine Sohlen. Der Baum, der hier am Wege steht,

Abwechselnd ein sich stellen. Der Regen löscht der Straße Staub,

Wem mag er Frucht erstatten? Doch weil mein Weg vorübergeht, So giebt er mir den Schatten. Sie haben ihn hierher gesetzt

Die Sonne macht sie trocken, Daneben wollen Gras und Laub Sie aus dem Boden locken.

Wohl nicht zu meinem Frommen; Zch aber glaube, daß er jetzt

Sich aus ein Regenbogen, Komm' ich entgegen meinem Ziel Darunter hergezogen.

Sei eigens für mich gekommen. Der Bach, der mir entgegenrauscht,

Kommt her, mich zu begrüßen,

Durch Reden, die er mit mir tauscht, Den Gang mir zu versüßen.

Und spannt in ihrem Wechselspiel

Der Bogen ist für mich gespannt, Weil ich damnter walle, Zu Trägem sind die Berg' ernannt, Daß er auf mich nicht falle.

Lied.

393

So zieh' ich im Triumphgesang Entlang die lange Straße,

Und wo ein Dorf entgegentritt, Da hör' ich Glocken läuten,

Und nie wird mir um etwas bang,

Sie meinen selber mich damit, Was könnt' es sonst bedeuten!

Das ich im Rücken laste. Wie eines hinter mir entweicht,

Sie läuten etwa einer Braut,

Vielleicht auch einem Toten;

So kommt gleich her das andre;

Ich aber deut' aus mich den Laut,

Und nie hab' ich das End' erreicht Der Welt, soweit ich wandre.

Ein Gruß wird mir geboten.

Rückert.

6.

Zu

erficht.

Wohlauf! Es ruft der Sonnenschein Hinaus in Gottes freie Welt!

Sei frisch und wandle durch den Hain, Und sieh die Fremde gern.

Geht munter in das Land hinein Und wandelt über Berg und Feld! Es bleibt der Strom nicht ruhig stehn,

Wer weiß, wo dir dein Glücke blüht! So geh' und such' es nur: Der Abend kommt, der Morgen flieht,

Gar lustig rauscht er fort; Hörst du des Windes muntres Wehn?

Bettete bald die Spur! Laß Sorgen sein und Bangigkeit!

Er braust von Ort zu Ort. Es reist der Mond wohl hin und her,

Ist doch der Himmel blau.

Die Sonne ab und auf, Guckt übem Berg und geht ins Meer, Nie matt in ihrem Lauf. Und, Mensch, du sitzest stets daheim Und sehnst dich nach der Fern':

Dem Glücke nur vettrau'.

Es wechselt Freude stets mit Leid ;

So weit dich schließt der Himmel ein, Gerät der Liebe Frucht, Und jedes Herz wird glücklich sein Und finden, was es sucht. Ti eck.

7. Wanderlied. Leichter Mut, Frisches Blut Ist des rüst'gen Wandrers Gut;

Sonnenpracht, Waldesnacht Ihm entgegenlacht.

Welt ist reich und groß und weit, Schnell entflieht die frohe Zeit. Immer zu! immer zu! Ohne Rast und Ruh'!

Himmelsplan, Wolkenbahn,

Felsen steigm stolz hinan; Windessaus, Wettergraus Fegt das alte Haus. Felsen bleiben fest am Ott,

Wolken ziehen weiter fort. Immer zu! immer zu!

Ohne Rast und Ruh'! Kugler.

8. Der wandernde Musikant. Lurch Feld und Buchenhallen. Bad singend, bald ftöhlich still,

Wenn's kaum im Osten glühte, Die Welt noch still und weit,

Reät lustig sei vor allen, Weis Reisen wählen will!

Da weht recht durchs Gemüte Die schöne Blütenzeit.

394

Lyrische Poesie. Die Lerch' als Morgenbote

Vom Berge Vöglein fliegen

Sich in die Lüste schwingt, Eine frische Reisenote

Und Wolken so geschwind, Gedanken überfliegen

Durch Wald und Herz erklingt.

Die Vögel und den Wind. Die Wolken ziehn Hemieder, Das Vöglein senkt sich gleich,

O Lust, vom Berg zu schauen

Weit über Wald und Strom, Hoch über sich den blauen, Tiefklaren Himmelsdom!

Gedanken gehn und Liedet Fort bis ins Himmelreich. Eichendorfff.

Morgenlied.

9. Die Sonn' erwacht!

Mit Sang und Klang

Mit ihrer Pracht ErWt sie die Berge, das Thal.

Die Welt entlang!

O Morgenluft!

Es treibt uns fort Von Ort zu Ort Mit freiem, mit ftöhlichem Sinn.

Wir fragen woher nicht, wohin.

O Waldesduft! O goldener Sonnenstrahl!

Wolf.

10.

Morgenwanderung.

Wer recht in Freuden wandem will, Der geh' der Sonn' entgegen; Da ist der Wald so kirchenstill,

Da zieht die Andacht wie ein Hauch Durch alle Sinnen leise, Da pocht ans Herz die Liebe auch

Kein Lüftchen mag sich regen; Nur im hohen Gras der Bach Singt leise den Morgensegen. Die ganze Welt ist wie ein Buch,

In ihrer stillen Weise; Pocht und pocht, bis sich's erschließt, Und die Lippe überfließt Von lautem, jubelndem Preise. Und plötzlich läßt die Nachtigall

Darin uns ausgeschrieben In bunten Zeilen manch ein Spruch,

3m Busch ihr Lied erklingen, Zn Berg und Thal erwacht der Schall

Wie Gott uns treu geblieben; Wald und Blumen nah und fern Und der Helle Morgenstem Sind Zeugen von seinem Lieben.

Und will sich aufwärts schwingen, Und der Morgenröte Schein Stimmt in lichter Glut mit ein: Laßt uns dem Herm lobsingen!

Noch sind nicht die Lerchen wach,

G«ib«l

11.

Da« Schifflein.

Ein Schifflein ziehet leise

Von seinem Wanderstabe

Den Strom hin seine Gleise.

Schraubt jener Stift und Habe

Es schweigen, die drin wandem, Denn keiner kennt den andem. Was zieht hier aus dem Felle

Und mischt mit Flötentönen Sich in des Homes Dröhnen.

Der braune Weidgeselle? Ein Hom, daö sanft erschallet;

Als fehlt' ihr gar die Rede,

Das Ufer wiederhallet.

Das Mädchen saß so blöde,

Zetzt stimmt sie mit Gesänge Zu Hom und Flötenklange.

395

Lied. Hart stößt es auf am Strande,

Die Rud'rer auch sich regen Das Schiff hinunter flieget,

Man trennt sich in die Lande. „Wann treffen wir uns, Brüder,

Von Melodie gewieget.

Aus einem Schifflein wieder?"

Mit taktgemäßen Schlägen.

Uhl-ind.

e.

Lebensernst und Lebenslust in Liedern.

1. Andacht. Mit den Quellen geht mein Grüßen;

Wann das Abendrot die Haine Mit den Abschiedsflammen küßt,

Und das taube Herz in mir

Hat dem Gott erwachen müssen, Der uns schirmet für und für.

Wann im prächt'gen Morgenscheine Lerchenklang die Sonne grüßt:

Meereswogen laut erklingen, In den Wäldern wohnt manch Schall

O beuth werf' ich Jubellieder

Ins Lobpreisen der Natur; Echo spricht die Töne wieder,

Und wir sollten nicht besingen, Da die Freude überall?

Alles preist den Ew'gen nur!

Ti eck.

2.

Gottes Nähe. In ihr zu sehn So schön, so schön!

Ich sitz' allein Im Sonnenschein

In jeder Well' Sein Bildnis hell;

Und wein' und wein'!

Die Sonn' allein

In meiner Brust, Mir kaum bewußt, Steht auch sein Bild

Verläßt mich nicht; Ihr Angesicht Sie wendet nicht,

So mild, so mild!

Und Gott den Herrn Glaub' ich von fern'

3.

Das letzte Gericht.

(Dies irae.)

Und das Buch liegt aufgeschlagen:

Furchtbar wird der Tag sich röten, Kund gethan von den Propheten,

Jeder lieft sich eingetragen,

Der die Welt in Staub wird treten. Welch ein Schauern, welch ein Beben,

Der mit Wonne, der mit Klagen. Blitz enfftrahlt des Herrn Gesichte;

Wenn herab der Herr wird schweben, Richter über Tod und Leben!

Nichts entzieht sich mehr dem Lichte,

Der Posaune folgt zum Throne Aus den Gräbern jeder Zone,

Wer ein Joch trug, wer die Krone.

Die man sah wie Staub verwehen,

Nichts vergeltendem Gerichte.

Herr, darf ich zu hoffen wagen? Werd' ich deinen Blick ertragen, Wo Gerechte selbst noch zagen? O, wer kann vor dir bestehen?

Staunend zum Gericht erstehen

Laß mich, Herr, nicht untergehen,

Wird Natur pnd Tod sie sehen.

Unverdient doch Heil mich sehen! Wessen- erg.

Lyrische Poesie.

396 4.

Wanderers Nachtlied.

Der du von dem Himmel bist,

Ach, ich bin des Treibens müde!

Alles Leid und Schmerzen füllest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, ____________

5.

Was soll all der Schmerz und Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust! «oetfre.

Wanderers Nachtlied.

Über allen Gipfeln

Kaum einen Hauch; Die Vöglein schweigen im Walde.

Ist Ruh';

In allen Wipfeln

Warte nur, balde

Spürest du

Ruhest du auch! Goethe.

6.

Hoffnung.

Und dräut der Winter noch so sehr Mit trotzigen Gebärden,

Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf Und möchte vor Lust vergehe».

Und streut er Eis und Schnee umher, Es muß doch Frühling werden.

Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar Und schmückt sich mit Rosen und Ähren

Und drängen die Nebel noch so dicht Sich vor den Blick der Sonne, Sie wecket doch mit ihrem Licht

Und läßt die Brünnlein rieseln klar, Als wären es Freudenzähren. Drum still! Und wie es frieren mag, O Herz, gieb dich zufrieden; Es ist ein großer Maientag

Einmal die Welt zur Wonne. Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht, Mir soll darob nicht bangen; Auf leisen Sohlen über Nacht Kommt doch der Lenz gegangen.

Da wacht die Erde grünend auf, Weiß nicht, wie ihr geschehen,

Der ganzen Welt beschieden. Und wenn dir oft auch bangt und graut,

Als sei die Höll' auf Erden, Nur unverzagt auf Gott vertraut! ES muß doch Frühling werden. Geibel.

Hoffnung.

7.

Es reden und träumen die Menschen viel Sie wird mit dem Greis nicht begraben; Von besseren künftigen Tagen; Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf, Nach einem glücklichen, goldenen Ziel Sieht man sie rennen und jagen.

Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf. Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn,

Die Welt wird alt und wird wieder jung,

Erzeugt im Gehirne des Thoren,

Doch der Mensch hofft immer Verbesserung. Im Herzen kündet es laut sich an: Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein, Zu was Besserem sind wir geboren! Sie umflattert den ftöhlichen Knaben, Den Jüngling begeistert ihr Zauberschein,

Und was die innere Stimme spricht, Das täuscht die hoffende Seele nicht.

_____________

8.

Schiller.

Ermunterung.

Seht, wie die Tage sich sonnig verklären! Klag' ist ein Mißton im Chore der Sphären!

Blau ist der Himmel und grünend das Land! Trägt denn die Schöpfung ein Trauergewand?

Lied. Hebet die Blicke, die trübe sich senken, Hebet die Blicke: des Schönen ist viel. Tugend wird selber zu Freuden uns lenken, Freud' ist der Weisheit belohnendes Ziel. Öffnet die Seele dem Lichte der Freude!

397

Heget nur männliches, hohes Vertrauen, Guten ergeht es am Schluffe doch gut.

Lastet uns fröhlich die Schöpfungen sehen (Gottes Natur ist entzückend und hehr),

Aber auch Men des Dürftigen Flehen! Horcht! Ihr ertönet des Hänflings Gesang. Freuden des Wohlthuns entzücken noch mehr. Liebet! Die Lieb' ist der schönste der Triebe! Atmet! Sie duftet im Rosengestäude.

Fühlet! Sie säuselt am Bächlein entlang.

Weiht nur der Unschuld die heilige Glut!

Kostet! Sie glüht uns im Safte der Traube, Aber dann liebt auch mit weiserer Liebe Würzet die Früchte beim ländlichen Mahl. Alles, was edel und schön ist und gut! Schauet! Sie grünet in Kräutern und Laube,

Handelt! Durch Handlungen zeigt sich der

Malt uns die Aussicht ins blumichte Thal.

Weise; Freunde, was gleiten euch weibische Thränen Ruhm und Unsterblichkeit sind ihr Geleit. Über die blühenden Wangen herab? Zeichnet mit Thaten die schwindenden Gleise

Ziemt sich für Männer das weibliche Sehnen? Unserer flüchtig entrollenden Zeit!

Wünscht ihr verzagend, zu modern im Grab? Den uns umschließenden Zirkel beglücken, Edleres bleibt uns noch viel zu verrichten,

Nützen so viel, als ein jeder vermag,

Biel auch des Guten ist noch nicht gethan; O, das erfüllet mit stillem Entzücken, Heiterkeit lohnt die Erfüllung der Pflichten, O, das entwölket den düstersten Tag! Ruhe beschattet das Ende der Bahn. Mancherlei Sorgen und mancherlei Schmer­

zen Quälen uns wahrlich aus eigener Schuld. Hoffnung ist Labsal dem wundesten Herzen,

Mutig! Auch Leiden, sind einst sie ver­ gangen, Laben die Seele, wie Regen die Au!

Gräber, von Trauercypreffen umhangen, Malet bald stiller Vergißmeinnicht Blau.

Duldende stärket gelass'ne Geduld. Freunde, wir sollen, wir sollen uns freuen; Wenn euch die Nebel des Trübsinns um­ Freud' ist des Vaters erhabnes Gebot. Freude der Unschuld kann niemals gereuen, grauen, Hebt zu den Sternen den sinkenden Mut; Lächelt durch Rosen dem nahenden Tod. S a l i s.

9.

Leb enslied.

Kommen und Scheiden,

Suchen und Meiden, Fürchten und Sehnen,

Zweifeln und Wähnen, Armut und Fülle, Verödung und Pracht,

Mutig der Glaube! Dort nur verknüpft ein unsterbliches Band

Wahrheit und Frieden, Verein und Bestand. Günstige Fluten Tragen die Guten, Fördern die Braven

Wechseln auf Erden wie Dämm'rung und Nacht. Fruchtlos hienieden Ringst du nach Frieden!

Sicher zum Hafen, Und ein harmonisch verklingendes Lied, Schließt sich das Leben dem edlen Gemüt.

Täuschende Schimmer

Männlich zu leiden,

Winken dir immer; Doch wie die Furchen des gleitenden Kahns

Schwinden die Zaubergebilde des Wahns. Auf zu der Sterne Leuchtender Ferne

Blicke vom Staube

Kraftvoll zu meiden, Kühn zu verachten, Bleib' unser Trachten, Bleib' unser Kämpfen in eherner Bmst Uns des unsträflichen Willens bewußt! _____

Mutthisson.

Syrische Poesie.

398

10.

Nachklang.

Mir träumt', ich ruhte wieder Vor meines Vaters Haus

Als ich erwacht, da schimmert Der Mond vom Waldesrand, Im falben Scheine flimmert

Und schaute fröhlich nieder, Ins alte Thal hinaus;

Um mich ein fremdes Land; Und wie ich ringshin sehe, Die Flocken waren Eis,

Die Lust mit lindem Spielen Ging durch das Frühlingslaub,

Die Gegend war vom Schneee, Mein Haar vom Alter weiß. ____________ Eichendorff.

Und Blütenflocken fielen Mir über Brust und Haupt.

11.

Abschied. Man spricht vom Scheidewege

Was macht ihr, daß ihr weinet Und brechet mir mein Herz?

Und grüßt sich einmal noch Und geht auf einem Wege

Im Herrn sind wir vereinet

Und bleiben's allerwärts. Das Band, das uns verbindet,

In gleicher Richtung doch.

Löst weder Zeit, noch Ort;

Und gar so traurig sehn, Wir kennen ja den Einen,

Was sollen wir nun weinen

Was in dem Herrn sich findet, Das währt in ihm auch fort.

Mit dem wir alle gehn, In einer Hut und Pflege,

Man reicht sich wohl die Hände, Als sollt's geschieden sein, Und bleibt doch ohne Ende

Geführt von einer Hand Auf einem sichern Wege Ins eine Vaterland. So sei denn diese Stunde

Im innigsten Verein. Man sieht sich an, als sähe Man sich zum letzten Mal,

Nicht schwerem Trennungsleid, Nein, einem neuen Bunde Mit unserm Herm geweiht. Wenn wir uns ihn erkoren

Und bleibt in gleicher Nähe Dem Herm doch überall. Man spricht: „Ich hier, du dorten, Du ziehest, und ich bleib'!" Und ist doch aller Orten Ein Glied an einem Leib.

Zu unserm höchsten Gut, Sind wir uns nicht verloren, Wie weh' auch Scheiden thut.

Spitta.

12.

AbschiedSlied.

So viel' Stern’ am Himmel stehen, An dem güldnen, blauen Zelt, So viel' Schäflein, als da gehen In dem grünen, grünen Feld, So viel' Vögel, als da fliegen,

Als da hin und wieder fliegen: So vielmal sei du gegrüßt!

Soll ich dich denn nimmer sehen, Nun ich ewig ferne muß? Ach, das kann ich nicht verstehen,

Eh' ich mir ein Lieb erworben, Wär' ich jetzt nicht so betrübt.

Weiß nicht, ob auf dieser Erden, Die des herben Jammers voll, Nach viel Trübsal und Beschwerden Ich dich wiedersinden soll; Was für Wellen, was für Flammen

Schlagen über mir zusammen,

Ach, wie groß ist meine Not!

O du bittrer Scheideschluß!

Mit Geduld will ich es tragen, Denk' ich immer nur zu dir.

Wär' ich lieber doch gestorben,

Alle Morgen will ich sagen:

399

Sieb.

Alle Abend will ich sprechen, Wenn mir meine Äuglein brechen;

Wenn ich sollte unterdessen Auf dem Totbett schlafen ein; Auf dem Kirchhof will ich liegen

O mein Lieb, gedenk an mich! Ja, ich will dich nicht vergessen,

Wie ein Kindlein in der Wiegen, Das ein Lied thut wiegen ein.

O mein Lieb, wann kommst zu mir?

Enden nie die Ljebe mein,

Volkslied.

13. Abschied. Das gelbe Laub erzittert, Es fallen die Blätter herab,

Mir ist's, als müßt' ich weinen Aus tiefstem Herzensgrund;

Ach, alles, was hold und lieblich,

Dies Bild erinnert mich wieder

Verwelkt und sinkt ins Grab.

An unsre Abschiedsstund'. Ich mußte dich verlassen

Die Wipfel des Waldes umflimmert Ein schmerzlicher Sonnenschein;

Und wußte, du stürbest bald!

Das mögen die letzten Küsse

Ich war der scheidende Sommer,

Des sterbenden Sommers sein.

Du warst der sterbende Wald!

Hein

14. Scheiden. Es ist bestimmt in Gottes Rat,

Und hat Gott Liebes dir beschert,

Daß man vom Liebsten, was man hat,

Und hältst du es recht innig wert,

Muß scheiden,

Das Deine: Es wird nur wenig Zeit wohl sein,

Wiewohl doch nichts im Lauf der Welt Dem Herzen, ach! so sauer fällt Als Scheiden, ja Scheiden. So dir geschenkt ein Knösplein was, So thu' es in ein Wasserglas; Doch wisse: Blüht morgen dir ein.Röslein auf, Es welkt wohl schon die Nacht darauf;

Da läßt es dich so gar allein: Dann weine, ja weine! Nun mußt du mich auch recht verstehn,

Nun mußt du mich auch recht verstehn!

Wenn Menschen auseinandergehn, So sagen sie: „Auf Wiedersehn!" Auf Wiedersehn!

Das wisse, ja wisse!

Volkslied.

15. Wi edersehn. Weine nicht, Wenn aus dem Men Vaterhaus Das Kind zieht in die Welt hinaus. Du rufst als letzten Gruß beim Gehn: „Lieb Kind, lieb Kind, auf Wiedersehn!" Drum weine nicht!

Weine nicht, Wenn sanft ein liebes Auge bricht; Das Auge war die Seele nicht.

Wenn wir am Totenbette stehn, So sagen wir: „Auf Wiedersehn!" Drum weine nicht! Weine nicht, Und sank auch in das kühle Grab

Ein Herz, das du geliebt, hinab. Hörst du's durch Trauerweiden wehn? Da rauscht es süß: „Auf Wiedersehn!" Drum weine nicht! G o e r i n g.

Lyrische Poesie.

400

Die reinen Frauen.

16.

Durchsüßet und geblümet sind die reinen Frauen, Es gab so Wonnigliches niemals anzuschauen

In Lüsten, noch auf Erden, noch in allen grünen Auen; Lilien und Rosenblumen, wo die leuchten Im Maientaue durch das Gras, und kleiner Vögel Sang Sind gegen solche Wonne ohne Färb' und Klang,

Wenn man sieht schöne Frauen.

Das kann trocknen Mut befeuchten

Und löschet alles Trauern zu derselben Stund', Wenn lieblich lacht in Lieb' ihr süßer, roter Mund, Und Pfeil' ihr strahlend Auge schießt in Mannes Herzensgrund. Vikl süße Fraue, hochgelobt, voll reiner Güte!

Dein keuscher Leib giebt schwellend Hochgemüte. Dein Mund ist röter denn die lichte Ros' in Taues Blüte. Gott hat gehöhet und gehehret reine Frauen, Daß man sie preisen soll und ehren immerdar. Der Hort der Welt, er liegt mit allen Wonnen gar In ihnen. Klar und lauter ist ihr Lob. Man soll sie schauen; Für Unmut und für Traurigkeit ist nichts so gut Als anzusehn ein schönes Fräulein wolgemut, Wenn sie dem Freund aus Herzensgrund ein lieblich Lächeln thut. Walther von der Vogelweide. Übersetzt von Born.

Liebesreim.

17. Ich bin dein, du bist mein, Des. sollst du gewiß sein. Du bist verschlossen

In meinem Herzen; Verloren ist das Schlüsselein: Nun mußt du immer drinnen sein. Wernher von Tegernsee.

18.

Rastlose Liebe.

Dem Schnee, dem Regen, Dem Wind entgegen,

Alle das Neigen Von Herzen zu Herzen, Ach, wie so eigen Schaffet das Schmerzen Wie soll ich fliehen,

Im Dampf der Klüfte, Durch Nebeldüfte Immer zu! immer zul Ohne Rast und Ruh'! Lieber durch Leiden

Wälderwärts ziehen?

Möcht' ich mich schlagen,

Alles vergebens! Krone des Lebens,

Als so viel' Freuden

Glück ohne Ruh',

Des Lebens ertragen.

Liebe, bist du!

19.

Nähe des Geliebten.

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer Vom Meere strahlt; Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer

In Quellen malt.

Lied.

401

Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege

Der Staub sich hebt, In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege Der Wandrer bebt. Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen Die Welle steigt; Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,

Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne, Du bist mir nah! Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O, wärst du da! Goethe.

_______________

20.

Segen.

Du bist wie eine Blume

Mir ist, als ob ich die Hände Aufs Haupt dir legen sollt',

So hold und schön und rein; Ich schau' dich an, und Wehmut Schleicht mir ins Herz hinein.

Betend, daß Gott dich erhalte

So rein und schön und hold. Heine.

21.

Des Mädchens Klage.

Der Eichwald brauset, die Wolken ziehn,

„Es rinnet der Thränen vergeblicher Lauf; Das Mägdlein sitzet an Ufers Grün; Die Klage, sie wecket die Toten nicht auf. Es bricht sich die Welle mit Macht, mit Macht, Doch nenne, was tröstet und heilet die Brust Und sie seufzt hinaus in die finstere Nacht, Nach der süßen Liebe verschwundener Lust: Das Auge vom Weinen getrübet: Ich, die Himmlische, will's nicht versagen.

„Das Herz ist gestorben, die Welt ist leer, Und weiter giebt sie dem Wunsche nichts mehr; Du Heilige, rufe dein Kind zurück, Ich habe genoffen das irdische Glück, Ich habe gelebt und geliebet!"

22.

Laß rinnen der Thränen vergeblichen Lauf! Es wecket die Klage den Toten nicht auf! Das süßeste Glück für die trauernde Brust, Nach der schönen Liebe verschwundener Lust,

Sind der Liebe Schmerzen und Klagen." Schiller.

Schäfers Klagelied. Und Regen, Sturm und Gewitter Verpaff' ich unter dem Baum,

Da droben auf jenem Berge, Da steh' ich tausendmal,

Die Thüre dort bleibet verschlossen; Doch alles ist leider ein Traum. Es stehet ein Regenbogen Wohl über jenem Haus! Sie aber ist weggezogen Und weit in das Land hinaus. Hinaus in das Land und weiter, Vielleicht gar über die See. Vorüber, ihr Schafe, vorüber! Dem Schäfer ist gar so weh'!

An meinem Stabe gebogen, Und schaue hinab in das Thal. Dann folg' ich der weidenden Herde, Mein Hündchen bewahret mir sie. Ich bin heruntergekommen Und weiß doch selber nicht wie.

Da stehet von schönen Blumen Die ganze Wiese so voll, Ich breche sie, ohne zu wissen, Wem ich sie geben soll.

____ Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutschen Litteratur.

4. Aust.

Goethe.

26

Lyrische Poesie.

402

23.

Thränen.

Was liegt in euch, ihr Thränen, Für große Zaubermacht! Ihr leuchtet, milde Sterne, Durch düstre Schmerzensnacht.

An der Oase Quelle Sein Leben wiederfand: So stärkt ihr, gottgegebne,

Die Seele, die, gepreßt Vom Erdenleid, die Schwingen

Und wie der Wüste Wandrer, Verschmachtend in dem Sand,

Zum Sterben sinken läßt. Horn.

24.

Trost in Thränen.

Wie kommt's, daß du so traurig bist,

Da alles ftoh erscheint? Man sieht dir's an den Augen an,

So raffe denn dich eilig auf! Du bist ein junges Blut;

Gewiß, du hast geweint. „Und hab' ich einsam auch geweint,

In deinen Jahren hat man Kraft Und zum Erwerben Mut. „Ach nein! Erwerben kann ich's nicht

So ist's mein eigner Schmerz, Und Thränen fließen gar so süß,

Es steht mir gar zu fern. Es weilt so hoch, es blinkt so schön,

Erleichtern mir das Herz." Die ftohen Freunde laden dich; O komm' an unsre Brust!

Wie droben jener Stern." Die Sterne, die begehrt man nicht;

Und was du auch verloren hast,

Und mit Entzücken blickt man auf In jeder heitern Nacht.

Man freut sich ihrer Pracht,

Vertraue den Verlust. „Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht,

„Und mit Entzücken blick' ich auf

Was mich, den Armen, quält. Ach nein! Verloren hab' ich's nicht,

So manchen lieben Tag; Vermeinen laßt die Nächte mich,

So sehr es mir auch fehlt."

So lang' ich weinen mag." Goethe.

25.

Der Liebe Dauer.

O lieb', so lang' du lieben kannst, O lieb', so lang' du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt,

Wo du an Gräbern stehst und klagst. Und sorge, daß- dein Herze glüht

O lieb', so lang' du lieben kannst, O lieb', so lang' du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst.

Und Liebe hegt und Liebe trägt,

Dann kniest du nieder an der Gruft Und birgst die Augen trüb und naß,

So lang' ihm noch ein andres Herz In Liebe warm entgegenschlägt. Und wer dir seine Brust erschließt,

Ins lange, feuchte Kirchhofgras Und sprichst: „O, schau auf mich herab,

Sie sehn den andern nimmermehr,

Und mach' ihm jede Stunde froh,

Der hier an deinem Grabe weint; Vergieb, daß ich gekränkt dich hab',

Und mach' ihm keine Stunde trüb.

O Gott, es war nicht bös' gemeint."

O thu' ihm, was du kannst, zu Lieb,

Und hüte deine Zunge wohl, Bald ist ein böses Wort gesagt;

O Gott, es war nicht bös' gemeint, Der andre aber geht und klagt.

Er aber sieht und hört dich nicht, Kommt nicht, daß du ihn ftoh empfängst; Der Mund, der oft dich küßte, spricht

Nie wieder: „Ich vergab dir längst!"

Lied.

403

O lieb', so lang' du lieben kannst, O lieb', so lang' du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst.

Er that's, vergab dir lange schon, Doch manche heiße Thräne fiel Um dich und um dein herbes Wort. Doch still! er ruht und ist am Ziel.

Fr eiligrath.

26.

Ein getreues Herze wissen. Gunst, die kehrt sich nach dem Glücke,

Ein getreues Herze wißen Hat des höchsten Schatzes Preis;

Geld und Reichtum, der zerstäubt,

Der ist selig zu begrüßen, Der ein treues Herze weiß.

Schönheit läßt uns bald zurücke,

Mir ist wohl bei höchstem Schmerze,

Ein getreues Herze bleibt. Mir ist wohl bei höchstem Schmerze,

Denn ich weiß ein treues Herze. Läuft das Glücke gleich zu Zeiten

Denn ich weiß ein treues Herze. Eins ist dasein und geschieden,

Anders, als man will und meint, Ein getreues Herz hilft streiten Wider alles, was ist feind.

Ein getreues Herze hält, Giebt sich allezeit zuftieden, Steht auf, wenn es niederfällt.

Mir ist wohl bei höchstem Schmerze,

Ich bin ftoh bei höchstem Schmerze,

Denn ich weiß ein treues Herze. Sein Vergnügen steht alleine In des andern Redlichkeit,

Denn ich weiß ein treues Herze. Nichts ist süßer als zwei Treue, Wenn sie eines worden sein. Dies ist's, des ich mich erfreue,

Hält des andern Not für seine, Weicht nicht, auch bei böser Zeit.

Mir ist wohl bei höchstem Schmerze,

Und sie giebt ihr Jawort drein! Mir ist wohl bei höchstem Schmerze,

Denn ich weiß ein treues Herze.

Denn ich weiß ein treues Herze. F l e m in i n g.

27.

An das Herz.

Lange schon in manchem Sturm und Drange Trotz der Zeit Despoten-Allgewalt Wandeln meine Füße durch die Welt. Fährst du fort, wie in des Lenzes Tagen Bald den Lebensmüden beigesellt,

Ruh' ich aus von meinem Pilgergange.

Leise sinkend, faltet sich die Wange;

Jede meiner Blüten weltt und fällt. Herz, ich muß dich fragen: Was erhält Dich in Kraft und Fülle noch so lange?

28.

Liebend wie die Nachtigall zu schlagen. Aber ach! Aurora hört es kalt, Was ihr Tithons Lippen Holdes sagen. Herz, ich wollte, du auch würdest alt! Bürge r.

Sonntagsfrühe.

Es wird mein Herz mit Freuden wach, Ein Segenstag ist dieser Tag;

Da ruft's mit hellem Klang hinaus:

Heut hält der Herr ein offnes Haus, Da teilt den Hungrigen er aus Sein teures Wort, das Lebensbrot;

„Komm' heut in deines Gottes Haus!" Am Tage, da er reden will,

Wer das genießt, dem schad't kein Tod.

Thu' auf dein Herz und halt' dich still;

Den edlen Samen auszusä'n,

Da er sein Werk an dir will thun, Latz deiner Hände Werke ruhn.

Der in den Herzen, da er haft't, Vielfältig edle Früchte schafft.

Heut wird der gute Sämann gehn,

Lyrische Poesie.

404

Heut führt der treue Hirt ins Thal

Die Schaf' und Lämmer allzumal Zu guter Weid' an rechter Stell', Aus grüne Au zum frischen Quell. Heut ist der Arzt, der Wundermann, Der allen Schaden heilen kann,

Mit Hüls' in Rat und That bereit

Für jedes Wunden, Schmerz und Leid. Das ist ein Tag, ein Segenstag, Da wird mein Herz mit Freuden wach, Und lieblich klingt der Ruf hinaus: „Komm' heut in deine-) Gottes Haus!" Spitta.

29.

Morgendämmerung.

Es ist ein M Erwarten in den Bäumen; Schwingt sich vom Thal, eh's noch beginnt Die Nachtigallen in den Büschen schlagen zu tagen, In irren Klagen, können's doch nicht sagen, Im ersten Strahl die Flügel sich zu säumen. Die Schmerzen all' und Wonne, halb in

Ich aberstand schon lange in dem Garten

Träumen. Und bin ins stille Feld hinausgegangen, Die Lerche auch nicht will die Zeit ver- Wo leis' die Ähren an zu wogen singen,

Da solches Schallen

säumen, O fromme Vöglein, ihr und ich, wir warten bringt die Luft ge- Aufs frohe Licht, da ist uns vor Verlangen tragen, Bei stiller Nacht erwacht so sehnend Singen. Gfdxnborff.

30.

Morgenlied eines Landmanns.

Da kommt die liebe Sonne wieder, Da kommt sie wieder her! Sie schlummert nicht und wird nicht müder Und läuft doch immer sehr.

Sonst holt' ich gleich von meiner Herde Ein Lamm und brächt' es dir Und stünd' und schmeichelte von ferne: „Iß und erquicke dich,

Sie ist ein sonderliches Wesen; Wenn morgens auf sie geht, Freut sich der Mensch und ist genesen

Iß, liebe Sonn', ich geb' es gerne, Und willst du mehr, so sprich." Gott in dem blauen Himmel oben, Gott denn belohn' es dir! Ich aber will im Herzen loben Von deiner Güt' und Zier. Und weil wir ihn nicht sehen können,

Wie beim Altargerät. Von ihr kommt Segen und Gedeihen; Sie macht die Saat so grün; Sie macht das weite Feld sich neuen Und meine Bäume blühn.

Und meine Kinder spielen drunter Und tanzen ihren Reihn,

Sind frisch und ninb und rot und munter, Und das macht all ihr Schein. Was hab' ich dir gethan, du Sonne, Daß mir das widerfährt?

Bringst jeden Tag mir neue Wonne, Und bin's fürwahr nicht wert. Du hast nicht menschliche Gebärde, Du issest nicht, wie wir:

Will ich wahrnehmen sein Und an dem edlen Werk erkennen, Wie freundlich er muß sein. O sei mir denn willkommen heute,

Sei willkomm'n, schöner Held, Und segn' uns arme Bauersleute Und unser Haus und Feld! Bring' unserm König heut auch Freude Und seiner Frau dazu; Segn' ihn und thu' ihm nichts zu Leide Und mach' ihn mild wie du! 61 fl u b i u 6.

Lied.

31. Bald ist der Nacht

405

orgenlied.

Ein End' gemacht,

Vom Himmelszelt Durch alle Welt

Schon fühl' ich Morgenlüfte wehen. Der Herr, der spricht:

Die Engel freudejauchzend fliegen; Der Sonne Strahl

„Es werde Licht I" Da muß, was dunkel ist, vergehen.

Herr, laß uns kämpftn, laß uns siegen!

Durchflammt das All. Reinick.

32. Der Mond ist aufgegangen, Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel hell und klar. Der Wald steht fchwarz und schweiget,

Und aus den Wiesen steiget Der weiße Nebel wunderbar. Wie ist die Welt so stille

Abendlied. Wir spinnen Luftgespinste Und suchen viele Künste Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß dein Heil uns schauen, Auf nichts Vergänglich's trauen,

Nicht Eitelkeit uns freun! Laß uns einfältig werden Und vor dir hier auf Erden

Und in der Dämm'rung Hülle

So traulich und so hold, Als eine stille Kammer, Wo ihr des Tages Jammer Verschlafen und vergeßen sollt. Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen Und ist doch rund und schön! So find wohl manche Sachen,

Wie Kinder froh und fröhlich sein!

Woll'st endlich sonder Grämen Aus dieser Welt uns nehmen Durch einen sanften Tod! Und wenn du uns genommen, Laß uns in Himmel kommen, Du unser Herr und unser Gott! So legt euch denn, ihr Brüder,

In Gottes Namen nieder; Kalt ist der Abendhauch.

Die wir getrost belachen, Weil unsre Augen fie nicht sehn. Wir stolzen Menschenkinder Sind eitel arme Sünder Und wiffen gar nicht viel;

Verschon' uns, Gott, mit Strafen Und laß uns ruhig schlafen Und unsern kranken Nachbar auch! Claudiu-.

33. Auf dem Teich, dem regungslosen, Weilt des Mondes holder Glanz,

Flechtend seine bleichen Rosen Zn des Schilfes grünen Kranz. Hirsche wandeln dort am Hügel,

Blicken in die Nacht empor;

ie Nacht. Manchmal regt sich das Geflügel Träumerisch im tiefen Rohr. . Weinend muß mein Blick sich senken, Durch die tiefste Seele geht Mir ein süßes Deingedenken Wie ein stilles Nachtgebet! Lenau.

34. Im Windsgeräusch in stiller Nacht

Geht dort ein Wandersmann;

Die Nacht. Er seufzt und weint und schleicht so sacht

Und ruft die Sterne an:

Lyrische Poesie.

406

„Mein Busen pocht, mein Herz ist schwer

Schon fühlt er nicht sein Herz so schwer,

In stiller Einsamkeit, Mir unbekannt, wohin, »woher,

Er dünkt sich neu erwacht: „O Mensch! du bist uns fern und nah,

Durchwand!' ich Freud' und Leid.

Doch einsam bist du nicht;

Ihr kleinen goldnen Sterne, Ihr bleibt mir ewig ferne! Ferne, ferne! Und ach, ich vertraut' euch so gerne!" Da klingt eS plötzlich um ihn her,

Und heller wird die Nacht;

Vertrau' uns nur! Dein Auge sah Oft unser stilles Licht. Wir kleinen goldnen Steme Sind dir nicht ewig ferne! Gerne, gerne Gedenken ja deiner die Sterne!" Ti eck.

35.

Zauber der Nacht.

Emste, milde, träumerische,

Nimm mit deinem Zauberdunkel Diese Welt von hinnen mir, Daß du über meinem Leben

Unergründlich süße Nacht!

Einsam schwebest für und für!

Weil' auf mir, du dunkles Auge, Übe deine ganze Macht,

Lenau.

36. Um Mitternacht Hab' ich gewacht Und aufgeblickt gen Himmel; Kein «Stent vom Sterngewimmel

Hat mir gelacht Um Mittemacht. Um Mittemacht Hab' ich gedacht Hinaus in dunkle Schranken. Es hat kein Lichtgedanken Mir Trost gebracht Um Mitternacht. Um Mitternacht Nahm ich in Acht

Die Schläge meines Herzens;

Um Mitternacht. Ein einz'ger Puls des Schmerzens War angefacht Um Mitternacht. Um Mittemacht Kämpft' ich die Schlacht, O Menschheit, deiner Leiden; Nicht konnt' ich sie entscheiden Mit meiner Macht Um Mitternacht. Um Mitternacht Hab' ich die Macht In deine Hand gegeben, Herr über Tod und Leben! Du hältst die Wacht Um Mittemacht. R ü ck e r t.

37. Füllest wieder. Busch und Thal

An den Mond. Jeden Nachklang fühlt mein Herz

Süll mit Nebelglanz,

Froh und trüber Zeit,

Lösest endlich auch einmal Meine Seele ganz.

Wandle zwischen Freud' und Schmerz In der Einsamkeit. Fließe, fließe, lieber Fluß!

Breitest über mein Gefild' Lindemd deinen Blick, Wie des Freundes Auge mild Über mein Geschick.

Nimmer werd' ich froh! So verrauschte Scherz und Kuß Und die Treue so!

Lied. Ich besaß es doch einmal,

407 Oder um die Frühlingspracht Junger Knospen quillst.

Was so köstlich ist! Daß man doch zu seiner Qual

Nimmer es vergißt! Rausche, Fluß, das Thal entlang Ohne Rast und Ruh',

Rausche, flüstre meinem Sang Melodiem zu, Wenn du in der Wintemacht Wütend überschwillst

Selig, wer sich vor der Welt Ohne Haß verschließt,

Einen Freund am Busen hält Und mit dem genießt, Was, von Menschen nicht gewußt Oder nicht bedacht,

Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht! Goethe.

____

38. Süße, heilige Natur,

An die Natur. Atme süße Himmelslust,

Laß mich gehn auf deiner Spur!

Leite mich an deiner Hand Wie ein Kind am Gängelband! Wenn ich dann ermüdet bin, Sink' ich dir am Busen hin,

Hangend an der Mutterbrust. Ach, wie wohl ist mir bei dir!

Will dich lieben für und für. Laß mich gehn auf deiner Spur, Süße, heilige Natur! F. L. Stolberg.

39.

Meeresstille und glückliche Fahrt.

Tiefe Stille herrscht im Wasser, Ohne Regung ruht das Meer, Und bekümmert steht der Schiffer Glatte Fläche rings umher.

Keine Lust von keiner Seite, Todesstille fürchterlich! In der ungeheuren Weite Reget keine Welle sich. Die Nebel zerreißen,

Der Himmel ist helle, Und Äolus löset Das ängstliche Band. Es säuseln die Winde, ES rührt sich der SchifferGeschwinde! geschwinde! Es teilt sich die Welle, Es naht sich die Feme, Schon seh' ich das Land! Goethe.

40. O Thäler weit, o Höhen, O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen Andächt'ger Aufenthalt!

Da draußen, stets betrogen, Saust die geschäst'ge Welt; Schlag' noch einmal die Bogen Um mich, du grünes Zelt!

I m W a l d e. Da mag vergehen, verwehen Das trübe Erdenleid, Da sollst du auferstehen In junger Herrlichkeit! Da steht im Wald geschrieben

Ein stilles, emstes Wort Von rechtem Thun und Lieben,

Und was des Menschen Hort.

Wenn es beginnt zu tagen, Die Erde dampft und blinkt, Die Vögel lustig schlagm,

Ich habe treu gelesen Die Worte schlicht und wahr,

Daß dir dein Herz erklingt:

Ward's unaussprechlich llar.

Und durch mein ganzes Wesen

Lyrische Poesie.

408 Bald werd' ich dich verlassen, Fremd in der Fremde gehn, Auf buntbewegten Gaffen

Und mitten in dem Leben Wird deines Ernsts Gewalt Mich Einsamen erheben; So wird mein Herz nicht alt.

Des Lebens Schauspiel sehn;

Eichendorff.

41.

Waldlieder.

Ein sanfter Morgenwind durchzieht Des Forstes grüne Hallen: Hell wirbelt der Vögel muntres Lied, Die jungen Birken wallen.

Und wie ich so schreit' im luftigen Wa!

Und alle Bäum' erklingen, Und um mich her alles singet und schallt, Wie sollt' ich allein nicht singen?

Ich singe mit starkem, freudigem Laut Das Eichhorn schwingt sich von Baum zu Den, der die Wälder säet, Baum, Der droben die luftige Kuppel gebaut Das Reh durchschlüpft die Büsche, Und Wärm' und Kühlung wehet. Viel hundert Käfer im schattigen Raum Erfreun sich der Morgenfrische. Erftischend sinkt der Abend

Und Purpurfäden spinnen Sich durchs Gezweig herein. Die Vögel flattern müde Dem dunklen Dickicht zu,

Herab auf Feld und Au

Und sendet mild erlabend Den Blüten seinen Tau.

Und durch des Laubdachs Ritze Blickt Glutgewölk herab Und spiegelt einzle Blitze Im nahen Springquell ab. Schon düster ist's hier innen, Doch fern winkt ros'ger Schein,

Und mit dem letzten Liede Entschlummern sie zur Ruh'! O schlummert, schlummert süße Und stärkt die kleine Brust, Daß heller Klang begrüße Des nächsten Tages Lust. K. E. Eber

42.

Im Gebirge.

Du warst mir ein gar treuer, lieber Geselle: komm, du schöner Tag, Zieh' noch einmal an mir vorüber,

Die Lerche aus den Lüften streute Mir ihre Lieder auf den Weg.

Daß ich mich dein erfreuen mag.

Eichwald, da hört' ich leis' und lind Ein Bächlein unter Blumen flüstern

Des Himmels frohes Antlitz brannte Schon von des Tages erstem Kuß,

Ich trat in einen heilig düstern

Und durch das Morgensternlein sandte

Wie das Gebet von einem Kind. Und mich ergriff ein süßes Grauen,

Die Nacht mir ihren Scheidegruß. Da griff ich nach dem Wanderstabe,

Es rauscht' der Wald geheimnisvoll, Als möcht' er mir was anvertrauen,

Sprach meinem Wirte: „Gott vergelt' Die Ruhestatt, die milde Labe!" Zog lustig weiter in die Welt.

Das noch mein Herz nicht wissen soll;

Froh summte nach der süßen Beute

Die Biene hin am Wiesensteg;

Als möcht' er heimlich mir entdecken, Was Gottes Liebe sinnt und will; Doch schien er plötzlich zu erschrecken

Vor Gottes Näh' und wurde still. Lena

Lied.

409

43. Der Jäger Abschied. Wer hat dich, du schöner Wald, Aufgebaut so hoch da droben?, Wohl, den Meister will ich loben, So lang' noch mein' Stimm' erschallt.

Banner, das so kühle wallt! Unter deinen grünen Wogen Hast du treu uns auferzogen, Frommer Sagen Aufenthalt!

Lebe wohl,

Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald!

Lebe wohl, du schöner Wald!

Tief die Welt verworren schallt, Oben einsam Rehe grasen, Und wir ziehen fort und blasen, Daß es tausendfach verhallt:

Was wir still gelobt im Wald, Wollen's draußen ehrlich halten, Ewig bleiben treu die Alten. Deutsch Panier, das rauschend wallt,

Lebe wohl, Schirm' dich Gott, du schöner Wald! Eichendor sf.

Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald!

44. Frühling ist da. Bächlein zum Bache schwoll.

Lüftchen kam eh'r als du,

Jauchzender Freude voll, Über das Felsgestein

Frühling ist da! Träumendes Herz, erfährst

Springt er ins Thal hinein:

Du es nicht allererst? Blüte voll Lust und Glanz, Öffne dich klar und ganz,

Frühling ist da! Vöglein im grünen Thal Wiffen's schon allzumal, Rufen ihm jubelnd zu:

Frühling ist da!

H a in m e r.

45. Frühlings Wiederkehr. Wenn der Duft quillt aus der Blüte Schoß, Das hervorhallt Hain und Flur entlang, Wird die Luft mild und die Wonne groß, Das ins Ohr schallt aus der Vögel Sang; Das voll Macht spricht aus der Blume Und der Schmerz flieht schnell die ftohen

Reihn, Pracht, Und ins Herz zieht neues Leben ein. Die erwacht bricht aus der Knospe Schacht; Und ein Wort dringt durch die weite Welt, Das uns fortreißt selig immer mehr, DaS da fortklingt bis zum Himmelszelt, Horch, das Wort heißt: Frühlings Wiederkehr. Liter.

46. O der blaue, blaue Himmel! O das grüne, grüne Thal! Goldner Würmchen bunt Gewimmel

In dem goldnen, goldnen Strahl! Und von allen Blütenbäumen Woget süßer, süßer Duft,

Frühlingslied. Und in allen Himmelsräumen Woget laue, laue Luft. Offen stehn des Himmels Pforten, Niederströmet sel'ge Lust; Überall und allerorten Blüht's und blüht in jeder Brust. Gruppe.

Lyrische Poesie.

410

47. Im Frühling. Und all' die tausend Herzen läuten Zur Liebesfeier dringend laut. Der Lenz hat Rosen angezündet An Leuchtem von Smaragd im Dom,

Auf ihren bunten Liebem klettert

Die Lerche selig in die Luft; Ein Jubelchor von Sängern schmettert Im Walde voller Blüt' und Dust. Da sind, so weit die Blicke gleiten,

Und jede Seele schwillt und mündet Hinüber in den Opferstrom.

Altäre festlich aufgebaut,

Lenau.

48.

Der Frühlingsabend.

Beglänzt vom roten Schein des Himmels Des Hügels Blumenkleid, Der Erlenbach, der schilfumkränzte Teich, bebt Am zarten Halm der Tau; Der Frühlingslandschaft zitternd schwebt

Mit Blüten überschneit! O wie umschlingt und hält der Wesen

Bildnis

Heer Der ew'gen Liebe Band! der Blüten- Den Lichtwurm und der Sonne Feuermeer Schuf eine Vaterhand. bäum, Du winkst, Allmächtiger, wenn hier dem Der Hain, mit Gold bemalt; Schön ist der Stem des Abends, der am Saum Baum Ein Blütenblatt entweht! Der Purpurwolke strahlt. Schön ist der Wiese Grün, des Thals Ge­ Du winkst, wenn dort im ungemesi'nen Raum

Hell in des Stromes Blau. Schön ist der Felsenquell,

Ein Sonnenball vergeht.

sträuch,

______

R-tlhislan.

49. Frühlingsahnung. Mir Frühlingslieder;

O sanfter, süßer Hauch!

Bald blühen die Veilchen auch.

Schon weckest du wieder _____________

Uhland,

50. Frühlingsruhe. O legt mich nicht ins dunkle Grab, Nicht unter die grüne Erd' hinab!

In Gras und Blumen lieg' ich gern, Wenn eine Flöte tönt von fern,

Soll ich begraben sein, Legt mich ins tiefe Gras hinein.

Und wenn hoch oben hin Die Hellen Frühlingswolken zieh«. ___

51.

Uhland.

Frühlingslob. Wenn ich solche Worte singe, Braucht es dann noch großer Dinge,

Saatengrün, Veilchendust, Sonnenregen, linde Luft,

Dich zu preisen, Frühlingstag?

Lerchenwirbel, Amselschlag! _______ ■

Uhland.

52. Frühlingstrost. Was zagst du, Herz, in solchen Tagen, Wo selbst die Dornen Rosen tragen? Uhl-öd.

Lied.

411

Künftiger Frühling.

53.

Er ist dir noch beschieden

Wohl blühet jedem Jahre Sein Frühling mild und licht,

Am Ziele deiner Bahn; Du ahnest ihn hienieden, Und droben bricht er an.

Auch jener große, klare, Getrost! er fehlt dir nicht.

Nhl and.

54.

Malenwonne.

Wollt ihr schauen, was int Maien

Wunder man gewahrt? Seht die Pfaffen, seht die Laien, Wie das stolz gebart! Ja, Ob Wo Da

er hat Gewalt! er Zauberlist ersonnen?

er naht mit seinen Wonnen, ist niemand alt.

Uns wird alles wohlgelingen: Laßt uns diese Zeit Lustig tanzen, lachen, singen,

Nur mit Höflichkeit.

Ei, wer wär' nicht froh? Da die Bögelein nun alle Singen mit dem schönsten Schalle,

Thäten wir nicht so? Wohl dir, Mai, wie du beglücktest

Alles weit und breit: Wie du schön die Bäume schmücktest,

Gabst der Heid ein Kleid. War sie bunter je? „Du bist kürzer, ich bin langer!" Also streiten auf dem Anger Blumen mit dem Klee. Walther von der Vogelwerde. Übersetzt von Sim rock.

55. Wie herrlich leuchtet Mir die Natur! Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur! Es dringen Blüten Aus jedem Zweig

Mailied. Und tausend Stimmen Aus dem Gesträuch Und Freud' und Wonne Aus jeder Brust. O Erd', o Sonne! O Glück, o Lust! Goethe.

56. Ich sah den Wald sich färben,

Herbstlied. Da plötzlich floß ein klares

Die Luft war grau und stumm; Mir war betrübt zum Sterben,

Getön in Lüften hoch;

Und wußt' es kaum, warum. Durchs Feld vom Herbstgestäude

Der nach dem Süden zog. Ach, wie der Schlag der Schwingen,

Hertrieb das dürre Laub; Da dacht' ich: Deine Freude

Das Lied ins Ohr mir kam,

Ward so des Windes Raub.

Zum Herzen wundersam. Es mahnt' aus heller Kehle

Dein Lenz, der blütenvolle, Dein reicher Sommer schwand;

An die gefronte Scholle Bist du nun festgebannt.

Ein Wandervogel war es,

Fühlt' ich's wie Trost mir dringen

Mich ja der flücht'ge Gast:

Vergiß, o Menschenseele, Nicht, daß du Flügel hast! Geihel,

412

Lyrische Poesie.

57.

Rebel.

Du, trüber Nebel, hüllest mir Das Thal mit seinem Fluß,

Nimm fort in deine graue Nacht Die Erde weit und breit!

Den Berg mit seinem Waldrevier Und jeden Sonnengruß.

Nimm fort, was mich so traurig macht, Auch die Vergangenheit! __________

58.

Lonau.

Sehnsucht nach dem Hochlande.

Mein Herz ist im Hochland, mein Herz ist nicht hier; Mein Herz ist im Hochland, im wald'gen Revier!

Da jag' ich das Rotwild, da folg' ich dem Reh, Mein Herz ist im Hochland, wo immer ich geh'! Mein Norden, mein Hochland, lebt wohl, ich muß ziehn! Du Wiege von allem, was stark und was kühn! Doch wo ich auch «andre, und wo ich auch bin,

Nach den Hügeln deS Hochlands steht allzeit mein Sinn! Lebt wohl, ihr Gebirge mit Häuptern von Schnee, Ihr Schluchten, ihr Thäler, du schäumender See,

Ihr Wälder, ihr Klippen, so grau und bemoost, Ihr Ströme, die zornig durch Felsen ihr tost! Mein Herz ist im Hochland, mein Herz ist nicht hier! Mein Herz ist im Hochland, im wald'gen Revier! Da jag' ich das Rotwild, da folg' ich dem Reh, Mein Herz ist im Hochland, wo immer ich geh'! DurnS.

_________

59.

Übersetzt von Fr ei l i gr a th.

Lied des Lebens.

Flüchtiger als Wind und Welle Flieht die Zeit; was hält sie auf? Sie genießen auf der Stelle, Sie ergreifen schnell im Lauf: DaS, ihr Brüder, hält ihr Schweben, Hält die Flucht der Tage ein. Schneller Gang ist unser Leben, Laßt uns Rosen auf ihn streun!

Rosen stehn auf jedem Zweige Jeder schönen Jugendthat. Wohl ihm, der bis auf die Neige Rein gelebt sein Leben hat. Tage, werdet uns zum Kranze, Der des Greises Schläf' umzieht Und um sie im frischen Glanze Wie ein Traum der Jugend blüht.

Rosen! denn die Tage sinken In des Winters Nebelmeer;

Auch die dunklen Blumen kühlen Uns in Ruhe doppelt süß;

Rosen! denn sie blühn und blinken Links und rechts noch um uns her.

Und die lauen Lüfte spielen Freundlich uns ins Paradies. Herder.

60.

Zufriedenheit.

Was frag' ich viel nach Geld und Gut,

So mancher schwimmt im Überfluß,

Giebt Gott mir nur gesundes Blut, So hab' ich frohen Sinn Und sing' mit dankbarem Gemüt

Hat Haus und Hof und Geld Und ist doch immer voll Verdruß Und freut sich nicht der Welt. Je mehr er hat, je mehr er will;

Mein Morgen- und mein Abendlied.

Nie schweigen seine Klagen still.

Wenn ich zufrieden bin?

Lied.

413 Und wenn die goldne Sonn' aufgeht

Da heißt die Welt ein Jammerthal Und dünkt mich doch so schön, Hat Freuden ohne Maß und Zahl, Läßt keinen leer ausgehn. Das Käferlein, das Vögelein

Und golden wird die Welt Und alles in der Blüte steht Und Ähren trägt das Feld,

Darf sich ja auch des Maien freun.

Dann denk ich: Alle diese Pracht Hat Gott zu deiner Lust gemacht!

Und uns zu Liebe schmücken ja Sich Wiese, Berg und Wald,

Dann preis' ich laut und lobe Gott Und schweb' in hohem Mut

Und Vöglein singen fern und nah, Daß alles wiederhallt.

Und denk': Es ist ein lieber Gott,

Bei Arbeit singt die Lerchs uns zu,

Meint's mit den Menschen gut. Drum will ich immer dankbar sein

Die Nachtigall bei süßer Ruh'.

Und mich der Güte Gottes freun.

Miller.

61.

Die Gunst des Augenblicks.

Und. so finden wir uns wieder In den heitern, bunten Reihn,

Und der mächtigste von allen Herrschern ist der Augenblick.

Und es soll der Kranz der Lieder Frisch und grün geflochten sein!

Von dem allerersten Werden Der unendlichen Natur

Aber wem der Götter bringen

Alles Göttliche auf Erden Ist ein Lichtgedanke nur.

Wir des Liedes ersten Zoll?

Langsam in dem Lauf der Horen

Ihm vor allen laßt uns singen, Der die Freude schaffen soll. Denn was frommt es, daß mit Leben Ceres den Altar geschmückt? Daß den Purpursaft der Reben Bacchus in die Schale drückt? Zuckt vom Himmel nicht der Funken, Der den Herd in Flammen setzt:

Ist der Geist nicht seuertrunken, Und das Herz bleibt unergötzt.

Aus den Wolken muß es fallen, AuS der Götter Schoß das Glück,

62. Wer gleichet uns freudigen Fischern im Kahn?

Wir wissen die schmeidigen Fische zu sahn. Wir sitzen und schweben Geflügelten Lauf;

Wir tanzen und heben

Die Füße nicht auf. Bald hauchen uns säumende Lüftchen ins Ohr;

Füget sich der Stein zum Stein; Schnell, wie es der Geist geboren, Will das Werk empfunden sein. Wie im hellen Sonnenblicke

Sich ein Farbenteppich webt, Wie auf ihrer bunten Brücke Iris durch den Himmel schwebt: So ist jede schöne Gabe Flüchtig wie des Blitzes Schein; Schnell in ihrem düstern Grabe Schließt die Nacht sie wieder ein. Schiller.

Fischerlied. Bald heben uns schäumende Wogen empor. Dann brüllt's an den Klippen Und Felsen hinan; Dann schüttern die Rippen

Dem taumelnden Kahn. Doch lacht nur des sausenden Sturms unser Mut Und erntet der brausenden Tiefe Tribut.

Lyrische Poesie.

414

Lebendige Schätze

Wir freun uns des Meeres, So wild es auch scheint, Und traun ihm, als wär' es Mit Planken umzäunt.

Und abends schon Geld.

Wohl bergen uns schützende Hütten die Nacht, Bis wieder das blitzende

Wir fahren mit sinkendem Vollmond hinaus

Sternchen erwacht.

Und kehren mit blinkendem Uns geben die Netze,

So geht es, und nimmer Geht's anders als gut; Ein Fischer hat immer

Frühmorgens gestellt,

Gar fröhlichen Mut.

Kahne nach Haus.

Overbeck.

63.

Aufmunterung zur Freude.

Wer wollte sich mit Grillen plagen,

So lang' uns Wer wollt' in Die Stirn in Die Freude

Lenz und Jugend blühn? seinen Blütenlagen düstre Falten ziehn? winkt auf allen Wegen,

Die durch dies Pilgerleben gehn; Sie bringt uns selbst den Kranz entgegen, Wenn wir am Scheidewege stehn.

Noch rinnt und rauscht die Wiesenquelle, Noch ist die Laube kühl und grün,

64. In allen guten Stunden, Erhöht von Lieb' und Wein, Soll dieses Lied verbunden Von uns gesungen (ein! Uns hält der Gott zusammen, Der uns hierher gebracht; Erneuert unsre Flammen, Er hat sie angefacht. So glühet fröhlich heute, Seid recht von Herzen eins! Auf, trinkt erneuter Freude Dies Glas des echten Weins! Auf, in der holden Stunde

Stoßt an, und küsiet treu Bei jedem neuen Bunde

Die alten wieder neu! Wer lebt in unserm Kreise Und lebt nicht selig drin? Genießt die freie Weise

Und treuen Brudersinn!

Noch scheint der liebe Mond so Helle, Wie er durch Adams Bäume schien. Noch tönt der Busch voll Nachtigallen Dem Jüngling hohe Wonne zu;

Noch strömt, wann ihre Lieder schallen, Selbst in zerrisi'ne Seelen Ruh'.

O wunderschön ist Gottes Erde Und wert, darauf vergnügt zu sein; Drum will ich, bis ich Asche werde, Mich dieser schönen Erde freun! ____ Höliy.

Bundeslied. So bleibt durch alle Zeiten Herz Herzen zugekehrt; Von keinen Kleinigkeiten Wird unser Bund gestört. Uns hat ein Gott gesegnet Mit freiem Lebensblick, Und alles, was begegnet, Erneuert unser Glück. Durch Grillen nicht gedränget, Verknickt sich keine Lust, Durch Zieren nicht geenget, Schlägt freier unsre Brust. Mit jedem Schritt wird weiter Die rasche Lebensbahn,

Und heiter, immer heiter Steigt unser Blick hinan. Uns wird es nimmer bange,

Wenn alles steigt und fällt, Und bleiben lange, lange, Auf ewig so gesellt. W o e t > e.

415

Sieb.

65. Geselligkeit. Der Mensch hat nichts so eigen, Nichts steht so wohl ihm an, Als daß er Lieb' erzeigen

Der kann sein Leid vergessen,

Und Freundschaft halten kann. Wenn er mit seinesgleichen Soll treten in ein Band, Verspricht er, nicht zu weichen, Mit Herzen, Mund und Hand.

Der insgeheim sich nagt.

Die Red' ist uns gegeben, Damit wir nicht allein Für uns nur sollen leben Und fern von Leuten sein; Wir sollen uns befragen Und sehn auf guten Rat, Das Leid einander klagen, So uns betreten hat.

Der es von Herzen sagt; Der muß sich selbst, aufftesien, Gott stehet mir vor allen, Die meine Seele liebt; Dann soll mir auch gefallen,

Der mir sich herzlich giebt. Mit diesen Bundsgesellen Verlach' ich Pein und Not, Geh' auf den Gmnd der Höllen

Und breche durch den Tod. Ich hab', ich habe Herzen, So treue, wie gebühtt, Die Heuchelei und Scherzen Nie wiffentlich berührt!

Was kann die Freude machen, Die Einsamkeit verhehlt? Das giebt ein doppelt Lachen, Was Freunden wird erzählt.

Ich bin auch ihnen wieder Von Grund der Seele hold Und lieb' euch mehr, ihr Brüder, Als aller Erden Gold. Dach.

66. Trinklied. Ich empfinde fast ein Grauen, Daß ich, Plato, für und für

Bin gesessen über dir; ES ist Zeit hinauszuschauen

Und sich bei den frischen Quellen In dem Grünen zu ergehn, Wo die schönen Blumen stehn Und die Fischer Netze stellen. Wozu dienet das Studieren Als zu lauter Ungemach? Unterdessen läuft der Bach Unsers Lebens, das wir führen,

Ehe wir es inne werden, Auf sein letztes Ende hin;

Dann kömmt ohne Geist und Sinn Dieses alles in die Erden.

Wie wir Menschen täglich haben, Eh' uns Klotho fortgerafft, Will ich in den süßen Saft, Den die Traube giebt, vergraben.

Kaufe gleichfalls auch Melonen Und vergiß des Zuckers nicht; Schaue nur, daß nichts gebricht. Jener mag der Heller schonen,

Der bei seinem Gold und Schätzen Tolle sich zu kränken pflegt Und nicht satt zu- Bette legt. Ich will, weil ich kann, mich letzen. Bitte meine guten Brüder Auf die Musik und ein Glas: Nichts schickt, dünket mich, sich baß.

Holla, Junge, geh' und frage, Wo der beste Trunk mag sein;

Als gut Trank und gute Lieder. Laß ich gleich nicht viel zu erben, Ei, so hab' ich edlen Wein;

Nimm beit Kmg und fülle Wein! Alles Trauern, Leid und Klage,

Will mit andern lustig sein, Muß ich gleich alleine sterben! Opitz.

Lyrische Poesie.

416

67.

Rheinweinlied.

Bekränzt mit Laub den lieben, vollen Becher, Jst's aber nicht; man kann dabei nicht singen, Und trinkt ihn ftöhlich leer! Dabei nicht fröhlich sein. Zn ganz Europia, ihr Herren Zecher, Im Erzgebirge dürft ihr auch nicht suchen, Zst solch ein Wein nicht mehr. Wenn Wein ihr finden wollt; Er kommt nicht her aus Ungarn, noch auS Das bringt nur Silbererz und Kobaltkuchen Polen, Und etwas Lausegold. Noch wo man ftanzmänn'sch spricht; Der Blocksberg ist der lange Herr Philister Da mag Sankt Veit, der Ritter, Wein sich Und macht nur Wind, wie der. holen! Drum tanzen auch der Kuckuck und sein Küster Wir holen ihn da nicht. Auf ihm die Kreuz und Quer. Zhn bringt das Vaterland aus seiner Fülle; Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Wie wär' er sonst so gut! Wie wär' er sonst so edel, wäre stille

Reben; Gesegnet sei der Rhein! Da wachsen sie am Ufer hin und geben

Und doch voll Kraft und Mut! Er wächst nicht überall im deutschen Reiche, Uns diesen Labewein. Und viele Berge, hört! So trinkt ihn denn und laßt und allewege Sind wie die weiland Kreter faule Bäuche Uns freun und ftöhlich sein! Und nicht der Stelle wert. Und wüßten wir, wo jemand traurig läge, Thüringens Berge zum Exempel bringen Wir gäben ihm den Wein.

Gewächs, sieht aus wie Wein,

68.

Claudius.

Ermahnung zur Weisheit.

Laßt uns weise sein Beim Geruch der Nelken! Freunde, zieht ihn ein, Ehe sie verwelken.

Laßt uns weise sein, Weil uns Lust und Leben, Weil uns Durst und Wein Noch die Götter geben! Gleim.

69.

Tischlied.

Mich ergreift, ich weiß nicht wie, Himmlisches Behagen! Will mich's etwa gar hinauf Zu den Stemen tragen?

Da wir aber allzumal So beisammen weilen, Dächt' ich, klänge der Pokal Zu des Dichters Zeilen.

Doch ich bleibe lieber hier, Kann ich redlich sagen,

Gute Freunde ziehen fort Wohl ein Hundert Meilen; Damm soll man hier am Ort

Beim Gesang und Glase Wein Auf den Tisch zu schlagen. Wundert euch, ihr Freunde, nicht, Wie ich mich gebärde! Wirklich ist es allerliebst

Auf der lieben Erde; Damm schwör' ich feierlich

Anzustoßen eilen. Lebe hoch, wer Leben schafft! Das ist meine Lehre.

Unser König denn voran! Ihm gebührt die Ehre.

Und ohn' alle Fährde, Daß ich mich nicht fteventlich

Gegen inn- und äußern Feind Setzt er sich zur Wehre, Ans Erhalten denkt er zwar,

Wegbegeben werde.

Mehr noch, wie er mehre.

Ode.

417

Die sich mit gedrängter Kraft

Freunden gilt das zweite GlaS,

Zweien oder dreien,

Brav zusammenstellen

Die mit uns am guten Tag

In des Glückes Sonnenschein

Sich im stillen freuen

Und in schlimmen Fällen. Wie wir nun zusammen sind,

Und der Nebel trübe Nacht Leis' und leicht zerstreuen;

Sind zusammen viele.

Diesen sei ein Hoch gebracht,

Wohl gelingen denn, wie uns,

Alten oder neuen!

Andern ihre Spiele! Von der Quelle bis ans Meer

Breiter wallet nun der Strom

Mahlet manche Mühle,

Mit vermehrten Wellen. Leben jetzt im hohen Ton

Und das Wohl der ganzen Welt

Redliche Gesellen!

Jst's, worauf ich ziele. Goethe.

2.

Die

Ode.

Der Name Ode, welcher überhaupt Gesang bedeutet, ist im Deutschen zur Bezeich­

nung aller Lieder und elegischen Dichtungen, insbesondere aber der in antiken Odenstrophen verfaßten Gedichte gebraucht worden.

Jetzt versteht man unter der Ode diejenige Art des

Liedes, in welcher die auf die höchsten Snterefien des Menschen sich beziehenden Empfin­ dungen und Gedanken in erhabener (Stimmung und hoher Begeisterung zum Ausdruck ge­

bracht werden.

Der Odendichter will seinen Gegenstand verherrlichen; er erfaßt ihn daher

von der idealen Seite und bedient sich, damit die Form dem Inhalte entspreche, einer durchweg künstlerisch gebildeten Sprache.

Im Gegensatze zum Liede, welches sich erst durch

die hinzugefügte Melodie zum Gesänge gestaltet, will die Ode selbst Musik sein und benutzt daher die Kunstmittel der Sprache und des Versbaues im musikalischen Sinne.

1.

An den GrosphuS.

Ruhe wünscht, um Ruhe beschwört die Götter, Wer bei Nacht auf tobenden Wellen schwebet,

Wenn kein Mond, kein Leitstern am schwarzumwöltten Himmel erscheinet.

Ruhe wünscht der thrazische wilde Krtegsknecht, Ruhe der mit Pfeilen bewehrte Meder,

Sie, die nicht mit Purpur, noch Gold, noch edlen Steinen erkauft wird.

Denn kein Schatz, mein Grosphus, vertteibt den Auftuhr, Der im Busen wütet, das Heer der Sorgen, Das um goldgetäfelte Decken schwärmt, kein

Littor des Konsuls.

Glücklich lebt der Kleinere, deffen Näpfchen, Ein ihm wettes Erbstück, auf schlechtem Tisch prangt, Dem den sanften Schlummer nicht Furcht entzieht, nicht

Niedrige Habsucht. Ditlitz ». Heinrichs, Haudb. b. deutsch. Litteratur. 4. Aufl.

27

Lyrische Poesie.

418

Nach dem kurzen Ziele, waS strebt man rastlos Weiter, eilt in Länder, erwärmt von andem Sonnen? Welcher Vaterlandsflüchtling kann sich Selber entfliehen? Schnöde Sorg' ersteiget das erzbeschlagne Schiff und folgt dem Reiter auf seinem Zuge, Schnell wie Hirsche, schnell, wie der Ostwind finstre Wolken heraustreibt. Wer sich heut erfreuet, gedenke böser Morgen nicht; erscheinen sie, so bestreb' er Sich, sie wegzulächeln. Auf allen Seiten

Glücklich ist niemand. Früher Tod erwarb dem Achilles Ehre; Langes Leben machte den Tithon kleiner. Und vielleicht gewähret die Folgezeit mir, Was sie dir abschlägt. Hundert Herden zählest du; dich umbrüllen Kühe von Sizilien; edle Renner

Wtehem dir; dich kleidet ins Blut der Schnecken Zweimal getauchte Wolle; mir verlieh die gerechte Parze Wenig Hufen, grafischer Musen leichte Saiten und die tiefste Verachtung für den Hämischen Pöbel. Horuz. Übersetzt von Ramler.

2.

Das Landleben.

Wunderseltger Mann, welcher der Stadt ent­ Ruht im wehendm Gras, wenn sich die Kühl' ergießt, floh! Jedes Säuseln des Baums, jedes Geräusch Oder strömet den Quell über die Blumen aus, Trintt den Atem der Blüte, des Bachs, Jeder blinkende Kiesel Trinkt die Milde der Abendlust. Predigt Tugend und Weisheit ihm. Sein bestrohetes Dach, wo sich das Taubenvolk Jedes Schattengesträuch ist ihm ein heiliger Sonnt und spielet und hüpft, winket ihm Tempel, wo ihm sein Gott näher vorüberwallt; süß're Rast,

Jeder Rasen ein Altar,

Als dem Städter der Goldsaal, Als der Polster der Städterin. Wo er vor dem Erhabnen kniet. Seine Nachttgall tönt Schlummer herab auf Und derspielende Trupp schwinet zu ihm hinab, Gurrt und säuselt ihn an, flattert ihm auf ihn, Seine Nachtigall weckt flötend ihn wieder auf, den Korb, Wenn das liebliche Frührot Picket Krumm und Erbsen, Durch die Bäum' auf sein Bette scheint. Picket Kömer ihm aus der Hand. Dann bewundert er dich, Gott, in der Morgen­ Einsam wandelt er ost, Sterbegedanken voll,

Durch die Gräber des Dorfs, wählet zum Sitz flur, In der steigenden Pracht deiner Verkünderin, ein Grab Deiner herrlichen Sonne, Und beschauet die Kreuze Dich im Wurm und im Knospenzweig, Mit dem wehenden Totenkranz

O d e.

419

Und das steinerne Mal unter dem Fliederbusch, Wunderseliger Mann, welcher der Stadt entWo ein biblischer Spruch, freudig zu sterben, floh!

Engel segneten ihn, als er geboren ward,

lehrt,

Streuten Blumen des Himmels

Wo der Tod mit der Sense

Auf die Wiege des Knaben aus.

Und ein Engel mit Palmen steht.

H ö l t y.

3.

D e r H a r z.

Herzlich sei mir gegrüßt, wertes Cherusker­ Dir giebt reinere Luft und die teutonische land! KeuschheitJugend von Stahl; moosigen Eichen Land des nervigen Arms und der gefürchteten gleich, Kühnheit, steteres Geistes, Denn das blache Gefild umher!

Achten silberne Greise

Nicht der eilenden Jahre Flug. Dir gab Mutter Natur aus der vergeudenden Dort im wehenden Hain wohnt die Begeiste­ Urne männlichen Schmuck, Einfalt und Würde rung; dir! Felsen jauchzten zurück, wenn sich der Barden Wolkenhöhnende Gipfel, Sang

Donnerhallende Ströme dir!

Unter bebenden Wipfeln

Im antwortenden Thal wallet die goldene

Durch das hallende Thal ergoß. Flut des Segens und strömt in den genügsamen Und dein Hermann vernahm's! Sturm warsein Schoß des lächelnden Fleißes, Arm, sein Schwert Der nicht kärglich die Garben zählt.

Schafe weiden die Trift; auf der gewässerten

Wetterflamme! Betäubt stürzten die trotzigen Römeradler, und Freiheit

Aue brüllet der Stier, stampft das gesättigte Strahlte wieder im Lande Teuts! Roß, die bärtige Ziege Doch des Heldengeschlechts Enkel verhülleten Klimmt den zackigen Fels hinan. Hermanns Namen in Nacht, bis ihn, auch er Wie der schirmende Forst deinen erhabenen dein Sohn, Nacken schattet! Er nährt stolzes Geweihe dir, Klopstocks mächtige Harfe Dir den schnaubenden Keiler, Der entgegen der Wunde rennt!

Sang der horchenden Ewigkeit. Heil, Cheruskia, dir! Furchtbar und ewig steht,

Dein wohlthätiger Schoß, selten mit goldenem Gleich dem Brocken, dein Ruhm! Donnernd Fluche schwanger, verleiht nützendes Eisen uns, verkünden dich Das den Acker durchschneidet Freiheitsschlachten und donnernd Und das Erbe der Väter schützt.

Dich unsterblicher Lieder Klang. F. L. Stolberg.

4.

An die Stadt Berlin.

Ich sah sie (noch erzittern die Gebeine),

Als dein entzückterMund es allenFaunen, allen

Ich sah, bekümmertes Berlin, Hamadryaden sang. Die Göttin deines Stroms vor deinem Tan­ Sei mir gegrüßt, Augusta, meine Krone! nenhaine Mit ihren Schwänen ziehn.

Vergönne mir, Najade, nachzulallen, Was tief in meine Seele drang,

Die Städte Deutschlands bücken sich! Es hören meinen Stolz Belt, Donau, Wolga, Rhone

Und weichen hinter mich!

Lyrische Poesie.

420

Was fürchten wir, ist gleich die Zahl des

FeindeS Wie dieses Ufers Sand? O Tochter, hast du nicht zur Seite meines

Ja, dinget nur die halbe Welt zusammen

Und raset wider einen Mann Und wendet wider ihn Verrat und Gift und

Flammen, Den ganzen Orcus an! Freundes Stets einen Gott erkannt? BorussienS gerechter Held soll siegen, Stritt Jupiter nicht selbst mit Friedrichs Die Götter schützen ihren Sohn. Bald wird er im Triumph zu seinen Kindem Volke

Und donnerte den Feind zurück? fliegen. Warf nicht Latonens Sohn, sein Schutzgott, Er kommt! Ich seh' ihn schon! Er kommt, das Haupt mit Strahlen rings eine Wolke Vor seines Mörders Blick? umwunden, ~ Ward nicht bad Blutpanier, von ihm gefastet, Wie Delius Apollo kam, Zur drohenden Ägide? Stand Als er den Python schlug und ihm mit tausend

Die Riesenhorde nicht, sie, die Minerva hastet, Wunden Die schwarze Seele nahm. Erstarrt an Haupt und Hand, Eilt, ihn in Erz den Enkeln archustellen! Bis alle, von dem kleinen Heer zerschlagen,

Das unaufhaltsam weiter drang, Eilt, einen Tempel ihm zu weihn Wie Halme von des Himmels Schloßen, nieder, Am Rande meines Stroms! Ich brenne, seine Schwellen lagen Dreihundert Hufen lang? Mit Blumen zu bestreun! R a m l t r.

5.

An Ebert.

Ebert, mich scheucht ein trüber Gedanke vom blinkenden Weine Tief in die Melancholei! Ach, du redest umsonst, vordem gewaltiges Kelchglas, Heitre Gedanken mir zu! Weggehn muß ich und meinen! Vielleicht, daß die lindernde Thräne

Meinen Gram mir verweint. Lindernde Thränen, euch gab die Natur dem menschlichen Elend

Weis' als Gesellinnen zu. Wäret ihr nicht, und könnte der Mensch sein Leiden nicht weinen, Ach, wie ertrüg' er es da! Weggehn muß ich und weinen! Mein schwermutsvoller Gedanke Bebt noch gewaltig in mir. Ebert! Sind sie nun alle dahin, deckt unsere Freunde Alle die heilige Gruft, Und sind wir, zween Einsame, dann von allen noch übrig, Ebert, verstummst du nicht hier? Sieht dein Auge nicht trüb' um sich her, nicht starr ohne Seele?

So erstarb auch mein Blick! So erbebt' ich, als mich von allen Gedanken der bängste Donnernd das erste Mal traf!

Wie du einen Wanderer, der, zueilend der Gattin Und dem gebildeten Sohn

Ode. Und der blühenden Tochter, nach ihrer Umarmung schon hinweint, Du den, Donner, ereilst, Tötend ihn fastest und ihm das Gebein zu fallendem Staube Machst, triumphierend alsdann Wieder die hohe Wolke durchwandelst: so traf der Gedanke

Meinen erschütterten Geist, Daß mein Auge sich dunkel verlor und das bebende Knie mir Kraftlos zittert' und sank.

Ach, in schweigender Nacht ging mir die Totenerscheinnng, Unsere Freunde, vorbei! Ach, in schweigender Nacht erblickt' ich die offenen Gräber Und der unsterblichen Schar!

Wenn mir nicht mehr das Auge des zärtlichen Giseke lächelt; Wenn, von der Radikin fern, Unser redlicher Cramer verwest; wenn Gärtner, wenn Rabner Nicht sokratisch mehr spricht; Wenn in des edelmütigen Gellert harmonischem Leben Jede Saite verstummt; Wenn, nun über der Gruft, der freie, gesellige Rothe Freudegenosten sich wählt; Wenn der erfindende Schlegel aus einer länger« Verbannung Keinem Freunde mehr schreibt; Wenn in meines geliebtesten Schmidt Umarmung mein Auge Nicht mehr Zärtlichkeit weint; Wenn sich unser Vater zur Ruh', sich Hagedom hinlegt: Ebert, was sind wir alsdann, Wir Geweihten des Schmerzes, die hier ein trüberes Schicksal Länger als alle sie ließ? Stirbt dann auch einer von uns, (mich reißt mein banger Gedanke Immer nächtlicher fort!) Stirbt dann auch einer von uns, und bleibt nur einer noch übrig; Bin der eine dann ich; Hat mich dann auch die schon geliebt, die künftig mich liebet, Ruht auch sie in der Gmft; Bin dann ich der Einsame, bin allein auf der Erde:

Wirst du, ewiger Geist, Seele, zur Freundschaft erschaffen, du dann die leeren Tage Sehn und fühlend noch sein? Oder wirst du betäubt zu Nächten sie wähnen und schlummern Und gedankenlos mhn? Aber du könntest ja auch erwachen, dein Elend zu fühlen, Leidender ewiger Geist! Rufe, wenn du erwachst, das Bild von dem Grabe der Freunde, Das nur rufe zurück! O ihr Gräber der Toten, ihr Gräber meiner Entschlafnen,

Wamm liegt ihr zerstreut?

421

Lyrische Poesie.

422

Wamm lieget ihr nicht in blühenden Thalen beisammen

Oder in Hainen vereint? Leitet den sterbenden Greis! Ich will mit wankendem Fuße

Gehn, auf jegliches Grab Eine Cypreffe pflanzen, die noch nicht schattenden Bäume

Für die Enkel erziehn, Ost in der Nacht auf biegsamem Wipfel die himmlische Bildung Meiner Unsterblichen sehn, Zitternd gen Himmel erheben mein Haupt und weinen und sterben!

Senket den Toten dann ein Bei dem Grabe, bei dem er starb! Nimm dann, o Verwesung,

Meine Thränen und mich! Finstrer Gedanke, laß ab! Laß ab in die Seele zu donnern, Wie die Ewigkeit ernst, Furchtbar wie das Gericht, laß ab! Die verstummende Seele

Faßt dich, Gedanke, nicht mehr! Kl oPsto es Lebens furchtbarem Bilde, Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab. Reiner nehm' ich mein Leben von deinem reinen Altare, Nehme den ftöhlichen Mut hoffender Jugend zurück! Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig

Wiederholter Gestalt wälzen die Thaten sich um. Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesetz; Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne, Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertrant,

Elegie.

451

Nährest an gleicher Brust die vielfach wechselnden Alter. Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,

Und die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns! L Miller.

10.

Das eleufische Fest.

Windet zum Kranze die goldenen Ähren,

Flechtet auch blaue Cyanen hinein! Freude soll jedes Auge verklären, Denn die Königin ziehet ein, Die Bezähmerin wilder Sitten, Die den Menschen zum Menschen gesellt Und in friedliche, feste Hütten Wandelte das bewegliche Zelt. Scheu in des Gebirges Klüften Barg der Troglodyte sich; Der Nomade ließ die Triften

Wüste liegen, wo er striib; Mit dem Wurfspieß, mit dem Bogen Schritt der Jäger durch das Land. Weh dem Fremdling, den die Wogen Warfen an dem Unglücksstrand! Und auf ihrem Pfad begrüßte,

Irrend nach deS Kindes Spur, Ceres die verlaff'ne Küste, Ach, da grünte keine Flur! Daß sie hier vertraulich weile, Ist kein Obdach ihr gewährt; Keines Tempels heitte Säule

Und auf seinem Königssitze Schweift er elend, heimatlos? Fühlt kein Gott mit ihm Erbarmen? Keiner aus der Sel'gen Chor

Hebet ihn mit Wunderarmen Aus der tiefen Schmach empor? In des Himmels sel'gen Höhen

Rühret sie nicht fremder Schmerz; Doch der Menschheit Angst und Wehen Fühlet mein gequältes Herz. Daß der Mensch zum Menschen werde, Stift' er einen ew'gen Bund Gläubig mit der frommen Erde, Seinem mütterlichen Grund, Ehre das Gesetz der Seiten Und der Monde heil'gen Gang, Welche still, gemessen schreiten In melodischem Gesang."

Und den Nebel teilt sie leise, Der den Blicken sie verhüllt. Plötzlich in der Wilden Kreise

Zeuget, daß man Götter ehrt. Keine Frucht von süßen Ähren

Steht sie da, ein Götterbild. Schwelgend bei dem Siegesmahle Findet sie die rohe Schar, Und die blutgefüllte Schale

Lädt zum reinen Mahl sie ein;

Bringt man ihr zum Opfer dar.

Nur auf gräßlichen Altären Dorret menschliches Gebein.

Aber schaudemd, mit Entsetzen Wendet sie sich weg und spricht:

Ja, so weit sie wandernd kreiste, Fand sie Elend überall, Und in ihrem großen Geiste

„Blut'ge Tigermahle netzen Eines Gottes Lippen nicht. Reine Opfer will er haben,

Jammett sie des Menschen Fall.

Früchte, die der Herbst beschert;

„Find' ich so den Menschen wieder, Dem wir unser Bild geliehn,

Mit des Feldes frommen Gaben Wird der Heilige verehrt."

Deflen schöngestalte Glieder

Und sie nimmt die Wucht des Speeres

Droben im Olympus blühn?

Aus des Jägers rauher Hand;

Gaben wir ihm zum Besitze

Mit dem Schaft des Mordgewehres

Nicht der Erde Götterschoß,

Furchet sie den leichten Sand, 29"

452

Lyrische Poesie.

Nimmt von ihres Kranzes Spitze Einen Kem, mit Kraft gefüllt,

Hochgelehrt in Erz und Thon. Und er lehrt die Kunst der Zange

Senkt ihn in die zarte Ritze,

Und der Blasebälge Zug; Unter seines Hammers Zwange

Und dH Trieb des Keimes schwillt. Und mit grünen Halmen schmücket Sich der Boden alsobald,

Und so weit das Auge blicket,

Bildet sich der erste Pflug. Und Minerva, hoch vor allen Ragend mit gewicht'gem Speer,

Wogt es wie ein goldner Wald.

Läßt die Stimme mächtig schallen

Lächelnd segnet sie die Erde, Flicht der ersten Garbe Bund,

Und gebeut dem Götterheer. Feste Mauern will sie gründen,

Wählt den Feldstein sich zum Herde, Und es spricht der Göttin Mund: „Vater Zeus, der über alle Götter herrscht in Äthers Höh'n!

Jedem Schutz und Schirm zu sein, Die zerstreute Welt zu binden In vertraulichem Verein. Und sie lenkt die Herrscherschritte

Daß dies Opfer dir gefalle,

Durch des Feldes weiten Plan,

Laß ein Zeichen jetzt geschehn!

Und an ihres Fußes Tritte

Und dem unglücksel'gen Volke, Das dich, Hoher, noch nicht nennt,

Heftet sich der Grenzgott an. Messend führet sie die Kette

Nimm hinweg des Auges Wolke, Daß es seinen Gott erkennt!" Und es hört der Schwester Flehen Zeus auf seinem hohen Sitz;

Um des Hügels grünen Saum; Auch des wilden Stromes Bette Schließt sie in den heil'gen Raum.

Donnemd aus den blauen Höhen Wirft er den gezackten Blitz.

Prasselnd fängt es an zu lohen, Hebt sich wirbelnd vom Altar, Und darüber schwebt in hohen Kreisen sein geschwinder Aar. Und gerührt zu der Herrscherin Füßen Stürzt sich der Menge fteudig Gewühl, Und die rohen Seelen zerfließen In der Menschlichkeit erstem Gefühl, Werfen von sich die blutige Wehre, Öffnen den düster gebundenm Sinn Und empfangen die göttliche Lehre

Aus dem Munde der Königin. Und von ihren Thronen steigen Alle Himmlischen herab; Themis selber führt den Reigen, Und mit dem gerechten. Stab

Mißt sie jedem seine Rechte,

Alle Nymphen, Oreaden, Die der schnellen Artemis Folgen auf des Berges Pfaden Schwingend ihren Jägerspieß,

Alle kommen, alle legen

Hände an, der Jubel schallt, Und von ihrer Äxte Schlägen Krachend stürzt der Fichtenwald.

Auch aus seiner grünen Welle Steigt der schilfbekränzte Gott, Wälzt den schweren Floß zur Stelle Auf der Göttin Machtgebot;

Und die leicht geschürzten Stunden Fliegen ans Geschäft gewandt, Und die rauhen Stämme runden Zierlich sich in ihrer Hand. Auch den Meergott sieht man eilen; Rasch mit des Tridentes Stoß Bricht er die granitnen Säulen

Setzet selbst der Grenze Stein,

Aus dem Erdgerippe los, Schwingt sie in gewalt'gen Händen

Und des Styx verborgne Mächte

Hoch wie einen leichten Ball,

Ladet sie zu Zeugen ein. Und es kommt der Gott der Effe,

Und mit Hermes, dem behenden,

Zms' erfindungsreicher Sohn,

Türmet er der Mauern Wall. Aber aus den goldnen Saiten

Bildner künstlicher Gefäße,

Lockt Apoll die Harmonie,

Elegie. Und das holde Maß der Zeiten

Von der Götter sel'gem Chor

Und die Macht der Melodie.

Eingeführt, mit Harmoniern In das gastlich offne Thor.

Mit neunstimmigem Gesänge Fallen die Kamönen ein;

453

Und das Priesteramt verwaltet

Leise nach deS Liedes Klange Füget sich der Stein zum Stein. Und der Thore weite Flügel

Ceres am Altar des Zeus; Segnend ihre Hand gefaltet, Spricht sie zu des Volkes Kreis: „Freiheit liebt das Tier der Wüste, Frei im Äther herrscht der Gott,

Setzet mit erfahrner Hand Cybele und fügt die Riegel

Und der Schlöffer festes Band.

Schnell durch rasche Götterhände

Ist der Wunderbau vollbracht, Und der Tempel heitre Wände Glänzen schon in Festes Pracht.

Und mit einem Kranz von Myrten Naht die Götterkömgin, Und sie führt den fchönsten Hirten

Ihrer Brust gewalt'ge Lüste Zähmet das Naturgebot; Doch der Mensch in ihrer Mitte

Soll sich an den Menschen reihn,

Und allein durch seine Sitte Kann er frei und mächtig sein." Windet zum Kranze die goldenen Ähren,

Flechtet auch blaue Cyanen hinein,

Alle Götter bringen Gaben

Freude soll jedes Auge verklären, Denn die Königin ziehet ein, Die uns die süße Heimat gegeben, Die den Menschen zum Menschen gesellt.

Segnend den Vermählten dar. Und die neuen Bürger ziehen,

Unser Gesang soll sie festlich erheben, Die beglückende Mutter der Welt.

Zu der schönsten Hirtin hin. Venus mit dem holden Knaben

Schmücket selbst das erste Paar.

Sd) Hier.

11.

Siebente römische Elegie.

O wie fühl' ich in Rom mich so froh, gedenk' ich der Zeiten, Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing, Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte, Färb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag

Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank! Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne, Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.

Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,

Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag. Welche Seligkeit ward mir Sterblichem I Träum' ich? Empfänget Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast? Ach, hier lieg' ich und strecke nach deinen'Knieen die Hände Flehend aus; o vernimm, Jupiter Xenius, mich!

Wie ich hereingekommen, ich kann's nicht sagen; es faßte Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen herein. Hast du ihr einen Heroen heraufzuführen geboten?

Irrte die Schöne? Vergieb! laß mir des Irrtums Gewinn! Deine Tochter Fortuna, sie auch, die herrlichsten Gaben

Teilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut.

Lyrische Poesie.

454

Bist du der wirtliche Gott? O dann, so verstoße den Gastfrennd Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab! „Dichter, wohin versteigest du dich?" Vergieb mir; der hohe Kapitolinische-Berg ist dir ein zweiter Olymp. Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später

Cestius' Mal vorbei leise zum Orcus hinab. Äoethk.

12.

Der Wanderer.

Einsam stand ich und sah in die afrikanischen dürren Eb'nm hinaus; vom Olymp regnete Feuer herab;

Fernhin schlich das hagre Gebirg wie ein wandelnd Gerippe, Hohl und einsam und kahl blickt' aus der Höhe sein Haupt. Ach, nicht sprang mit erfrischendem Grün der schattende Wald hier

In die säuselnde Luft üppig und herrlich empor; Bäche stürzten hier nicht in melodischem Fall vom Gebirge, Durch das blühende Thal schlingend den silbernen Strom; Keiner Herde verging am plätschernden Brunnen der Mittag, Freundlich aus Bäumen hervor blickte kein wirtliches Dach; Unter dem Strauche saß ein ernster Vogel gesanglos, Ängstlich und eilend stöhn wandernde Störche vorbei.

Nicht um Waffer rief ich dich an, Natur, in der Wüste, Wasser bewahrte mir treulich das fromme Kamel; Um der Haine Gesang, um Gestalten und Farben des Lebens Bat ich, vom lieblichen Glanz heimischer Fluren verwöhnt. Aber ich bat umsonst; du erschienst mir feurig und herrlich, Aber ich hatte dich einst göttlicher, schöner gesehn. Auch den Eispol hab' ich besucht; wie ein starrendes Ehaos Türmte das Meer sich da schrecklich zum Himmel empor.

Tot in der Hülle von Schnee schlief hier das gefesselte Leben, Und der eiserne Schlaf harrte des Tages umsonst. Ach, nicht schlang um die Erde den wärmenden Arm der Olymp hier, Wie Pygmalions Arm um die Geliebte sich schlang; Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke den Busen, Und in Regen und Tau sprach er nicht freundlich zu ihr. „Mutter Erde!" rief ich, „du bist zur Witwe geworden, Dürftig und kinderlos lebst dn in langsamer Zeit; Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in sorgender Liebe, Alternd im Kinde sich nicht wieder zu sehn, ist der Tod. Aber vielleicht erwärmst du dereinst am Strahle des Himmels,

Aus dem dürftigen Schlaf schmeichelt sein Odem dich aus; Und wie ein Samenkorn durchbrichst du die eherne Hülse, Und die knospende Welt wjndet sich schüchtern heraus. Deine gesparte Kraft flammt auf in üppigem Frühling, Rosen glühen und Wein sprudelt im kärglichen Nord." Aber jetzt kehr' ich zurück an bett Rhein, in die glückliche Heimat, Und eS wehen wie einst zärtliche Lüfte mich an;

Elegie.

455

Und das strebende Herz besänftigen mir die vertrauten

Friedlichen Bäume, die einst mich in den Armen gewiegt, Und das heilige Grün, der Zeuge des ewigen, schönen

Lebens der Welt, es erfrischt, wandelt zum Züngling mich um. Alt bin ich geworden indes, mich bleichte der Eispol, Und im Feuer des Süds fielen die Locken mir aus. Doch wie Aurora den Tithon, umfängst du in lächelnder Blüte

Warm und fröhlich wie einst, Vaterlandserde, den Sohn. Seliges Land! Kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock, Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbste das Obst; Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge, Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr sonniges Haupt; Und wie die Kinder hinauf zur Schulter des herrlichen Ahnherrn,

Steigen am dunkeln Gebirg Festen und Hütten hinauf. Friedsam geht aus dem Walde der Hirsch ans freundliche Tageslicht;

Hoch in heiterer Luft stehet der Falke sich um; Aber unten im Thal, wo die Blume sich nährt von der Quelle, Streckt das Dörfchen vergnügt über die Wiese sich aus. Still ist's hier; kaum rauschet von fern die geschäftige Mühle, Und vom Berge herab knarrt das gefesielte Rad; Lieblich tönt die gehämmerte Sens' und die Stimme des Landmanns,

Der am Pfluge dem Stier, lenkend die Schritte, gebeut, Lieblich der Mutter Gesang, die im Grase sitzt mit dem Söhnlein, Das die Sonne des Mai schmeichelt in lächelnden Schlaf. Aber drüben am See, wo die Ulme das altemde Hofthor Übergrünt und den Zaun wilder Holunder umblüht,

Da umfängt mich das Haus und des Gartens heimliches Dunkel,

Wo mit den Pflanzen mich einst liebend mein Vater erzog, Wo ich froh wie das Eichhorn spielt' auf den lispelnden Ästen

Oder ins duftende Heu träumend die Stirne verbarg. Heimatliche Natur, wie bist du treu mir geblieben! Zärtlich pflegend wie einst, nimmst du den Flüchtling noch auf! Noch gedeiht die Pfirsiche mir, noch wachsen gefällig

Mir ans Fenster wie sonst köstliche Trauben herauf; Lockend röten sich noch die süßen Früchte des Kirschbaums, Und der pflückenden Hand reichen die Zweige sich selbst. Schmeichelnd zieht mich wie sonst in des Waldes unendliche Laube Aus dem Garten der Pfad oder hinab an den Bach;

Und die Pfade rötest du mir, es wärmt mich und spielt mir Um das Auge wie sonst, Vaterlandssonne, dein Licht; Feuer trink' ich und Geist aus deinem freudigen Kelche,

Schläfrig läsiest du nicht werden mein alterndes Haupt. Die du einst mir die Brust erwecktest vom Schlafe der Kindheit Und mit sanfter Gewalt höher und weiter mich triebst,

Milde Sonne, zu dir kehr' ich getreuer und weiser, Friedlich zu werden und froh unter den Blumen zu ruhn. Hölderlin.

Lyrische Poesie.

456

6. Die Elegie im engere» Zinne. Die Elegie im engeren Sinne oder die moderne Elegie drückt diejenigen Empfindungen aus, welche in dem Dichter zunächst durch die in der Vergangenheit ver­ weilende Betrachtung hervorgerufen werden. Die lebhafte Erinnerung an das zeitlich Entschwundene knüpft sich zunächst an das Angenehme, Fröhliche, Schöne; dadurch find die Jugendennnerungen die angenehmsten, dadurch ist die Sage von dem goldenen Zeit­ alter entstanden; daher kommt es, das; mit der Erinnerung an die Vergangenheit die Sehnsucht nach dem Entschwundenen, das sehnsüchtige Verlangen sich verbindet, das wieder zurückzuerlangen, was unwiederbringlich verloren ist. Dieselbe Wehmut wird, wenn der Blick des Dichters sich auf die Gegenwart richtet, durch die an dieselbe sich knüpfende Be­

trachtung des ewigen Wechsels, der unvermeidlichen Veränderung und

der bestehenden

Ungewißheit der Dinge hervorgerufen. Aber die Betrachtung des Menschen erhebt sich auch von der irdischen Welt höher hinauf zu dem Übersinnlichen, zu dem Idealen und

Göttlichen, und das Bewußtsein der menschlichen Schwäche, der menschlichen Beschränkung ist es dann, welche die elegische Stimmung, das Gefühl der Wehmut in dem Dichter erzeugt, in dem er zugleich aber auch wieder seinen Trost, seine Beruhigung, ja seine Freude findet.

1.

Elegie bei dem Grabe meines Vaters.

Selig alle, die im Herrn entschliefen! Selig, Vater, selig bist auch du! Engel brachten dir den Kranz und riesen, Und du gingst in Gottes Ruh', Wandelst, über Millionen Sternen, Siehst die Handvoll Staub, die Erde, nicht,

Schwebe, wann der Tropfen Zeit verrinnet, Den mir Gott aus seiner Urne gab, Schwebe, wann mein Todeskampf beginnet, Auf mein Sterbebett herab, Daß mir deine Palme Kühlung wehe,

Kühlung, wie von Lebensbäumen tränst, Schwebst imWink durch tausendSonnenfernen, Daß ich sonder Graun die Thäler sehe, Schauest Gottes Angesicht. Wo die Auferstehung reift; Siehst das Buch der Welten aufgeschlagen, Daß mit dir ich durch die Himmel schwebe, Trinkest durstig aus dem Lebensquell; Wonnestrahlend und beglückt wie du,

Nächte, voll von Labyrinthen, tagen, Und dein Blick wird himmelhell. Doch in deiner Überwinderkrone

Und mit dir auf einem Sterne lebe Und in Gottes Schoße ruh'.

Senkst du noch den Vaterblick auf mich,

Grün' indessen, Strauch der Rosenblume, Deinen Purpur auf sein Grab zu streun;

Betest für mich an Jehovas Throne, Und Jehova höret dich.

Schlummre wie im stillen Heiligtume, Hingesäetes Gebein! H e 11 d.

2.

Die Sänger der Vorwelt.

Sagt, wo sind die Vortrefflichen hin, wo find' ich die Sänger, Die mit dem lebenden Wort horchende Völker entzückt, Die vom Himmel den Gott, zum Himmel den Menschen gesungen

Und getragen den Geist hoch auf den Flügeln des Lieds?' Ach, noch leben die Sänger, nur fehlen die Thaten, die Lyra Freudig zu wecken, es fehlt, ach! ein empfangendes Ohr.

457

Elegie.

Glückliche Dichter der glücklichen Welt! Bon Munde zu Munde

Flog, von Geschlecht zu Geschlecht euer empfundenes Wort. Wie man die Götter empfängt, so begrüßte jeder mit Andacht, Was der Genius ihm, redend und bildend, erschuf. An der Glut des GesangS entflammten des Hörers Gefühle,

An des Hörers Gefühl nährte der Länger die Glut,

Nährt' und reinigte sie, der Glückliche, dem in des Volkes Stimme noch hell zurücktönte die Seele des Lieds, Dem noch von außen erschien im Leben die himmlische Gottheit, Tie der Neuere kaum, kaum noch im Herzen vernimmt!

chille r.

3.

Vor Rauchs Büste der Königin Lmse.

Tief führt der Herr durch Nacht und durch Du schläfst so sanft! Die stillen Zügehauchen Verderben. Noch deines Lebens schöne Träume wieder; Der Schlummer nur senkt seine Flügel nieder, So sollen wir im Kampf das Heil erwerben, Und heil'ger Frieden schließt die klaren Augen. Daß unsre Enkel freie Männer sterben.

Kommt dann der Tag der Freiheit und der Rache, Mit Gott versöhnt, die rost'gen Schwerter Und ruft dein Volk, dann, deutsche Frau, er­ wache, brauchen, Scio Leben opfernd für die höchsten Güter! Ein guter Engel für die gute Sache! Seine v.

So schlummre fort, bis deines VolkeSBrüder, Wenn Flammenzeichen von den Bergen rauchen,

4.

Klage um drei junge Helden. (Eckardt, Friesen, Stolberg.)

Ich mag wohl traurig klagen, Gar mancher klagt mit mir; Drei Helden sind erschlagen In grüner Jugend Zier. Es waren drei junge Reiter, Sie zogen so fröhlich hinaus,

Der Eckardt, der vielgetreue, Dem Gott und das Vaterland rief: s)tim schlummert der junge Leue Im Grabe so still und so tief. Auf Leipzigs grünen Feldern,

Sie zogen gar balde weiter Zu Gott in das himmlische Haus. In Mannsfelds edlen Bergen

£) Leipzig, hoher Klang! Da traf's den jungen Helden, Daß er vom Rosse sank! Das war ja sein frommes Lieben

Weht edle Freiheitsluft, Da kriecht es nicht von Schergen,

Bei Tag und auch bei der Nacht, Das halt' ihn hinausgetrieben

Da lügt kein Schelm und Schuft:

In den Tod, in di- blutige Schlacht. Wohl dir! Du hast's errungen

Da wächset das freie Eisen, Da wächset der freudige Mut, Und alle, die Männer heißen,

Sind reisig und tapfer und gut.

In Mannsfeld war geboren

Mit deines Blutes Born: Die Schande ward bezwungen

Von edlem Freiheitszorn. Doch müssen wir andern weinen

Das fromme deutsche Kind, Der Freund, den wir verloren,

Und klagen in bitterem Schmerz: So lange die Sterne scheinen,

Wie wenig Freunde sind,

Schlug nimmer ein treueres Herz.

458

Lyrische Poesie.

ES thront am Elbestrande Die stolze Magdeburg;

Schon aus in der grauesten Zeit, Die klagten von hohen Toten,

Ihr Ruhm klang durch die Lande, Ihr Unglück auch hindurch:

Gefallen im edelen Streit.

Als Tilly dem wilden Feuer

Wohl mancher Name wert;

Davon lebt auch noch Heuer-

Sie einst zu verzehren gebot,

Der Vater schwingt die Leier,

Da trug sie den Witwenschleier,

Der Sohn, der schwingt das Schwert. Wie jener es vorgesungen,

Denn, ach! ihre Schöne war tot. Sie mag ihn wieder nehmen: Ihr starb ihr bester Sohn,

So machte es dieser ihm nach, Was früher dem Knaben geklungen,

Er ging, ein großer Schemen,

Das bringet der Jüngling an Tag.

Hinauf zy Gottes Thron; Da hießen den Schönen, Frommen,

Es scholl die Kriegsdrommete Des welschen Aufruhrs neu,

Der kam aus dem heiligen Streit,

Sie klang wie Hochzeitflöte

Die Englein all' willkommen Zur ewigen, himmlischen Freud'.

Dem Grafen stolz und frei;

Wohl viele sind gepriesen Im hehren deutschen Land, Doch dich, mein frommer Friesen,

Hat Gott allein gekannt: Was blühend im reichen Herzen

Die Jugend so lieblich verschloß, Ist jeglichem Laut der Schmerzen,

Ist jeglichem Lobe zu groß.

. War je ein Ritter edel, Du warst es tausendmal, Vom Fuße bis zum Schädel Ein lichter Schönheitsstrahl; Mit kühnem und stolzem Sinne Hast du nach der Freiheit geschaut,

Da ließ er fein Hengstlein zäumen, Da hängt er den Säbel frisch ein

Und sprengte mit heldlichen Träumen Gar lustig wohl über den Rhein.

Sein Traum ist nun erfüllet Von deutscher Herrlichkeit, Sein Durst ist nun gestillet Nach edlem deutschen Streit. Er ritt mit den tapfern Reitern Zum Kampf nach Brabant hinab,

Da schuf er den Blumen und Kräutern Mit andern ein blutiges Grab. Was Lenz und Sonne schufen

Im bunten Rosenmai, Das stampften Rosseshufen

Es war dir Geliebte und Braut.

Im Junius entzwei. Auch lag in der Jugend Schöne

Du hast die Braut gewonnen Im ritterlichen Streit, Dein Herzblut ist verronnen

Das Wehe der Klagetöne Von Müttern und Bräuten erklang.

Das Vaterland war deine Minne,

Für die vieledle Maid: In Welschland von grimmen Bauern

Manch Jüngling die Felder entlang;

Auf Brabants grüner Aue, Sie heißt bei Sankt Amand,

Empfingst du den tötlichen Streich,

Da troff von rotem Taue

Drob müssen die Jungfraun trauern: Die Blume der Schönheit ist bleich.

Das Eisen mancher Hand. Mit Rotten aus Welschland trafen Die preußischen Reisigen dort;

Hoch im Eheruskerwalde, Da steht ein altes Schloß

Auf grüner Bergeshalde, Wovon mein Stolberg sproß. Es sandte viel' schöne Boten

Da holte der Himmel den Grafen, Da nahm eine Kugel ihn fort.

Drum muß ich traurig klagen, Gar mancher klagt mit mir:

Drei Helden sind erschlagen In grüner Jugend Zier.

Elegie. Es waren drei holde Knaben, Sie waren so schön und gut,

Fürs liebe Vaterland haben Sie fröhlich »ergossen ihr Blut.

459

Wo sich ein Morgen neue Euch wieder röten mag! Es blühet um euren Frieden Gedächtnis, so golden schön:

Schlaft still und fromm in Treue Bis an den jüngsten Tag,

Im Siege ward euch beschieden

Fürs Vaterland hinnen zu gehn. Arndt.

5.

Die Gräber zu Ottensen.

Zu Ottensen an der Mauer Der Kirch' ist noch ein Grab, Darin des Lebens Trauer

Ein Held gelegt hat ab.

Geschrieben ist der Namen Nicht auf den Leichenstein;

Umirrend mit den Scherben Des Haupts von Land zu Land,

Das, eh' es konnte sterben, Erst allen Schmerz empfand; Das erst noch mußte denken

Doch er samt seinem Samen

Der Zukunft lange Not, Eh' es sich durste senken

Wird nie vergeffen sein.

Beschwichtigt in den Tod.

Von Braunschweig ist's der Alte,

Jetzt hat sich's hier gesenket;

Karl Wilhelm Ferdinand,

Doch hebt sich's, wie man glaubt,

Der vor des Hirnes Spalte

Noch aus der Gruft und denket, Das alte Feldherrnhaupt:

Hier Ruh' im Grabe fand.

Der Lorbeerkranz entblättert, Den auf dem Haupt er trug, Die Stirn vom Schlag zerschmettert, Der ihn bei Jena schlug.

Da sieht es die Befreiung Nun wohl auf deutscher Flur, Doch auch von der Entweihung

Die unvertilgte Spur; Da sieht es der Zwölfhundert

Nicht, wo er war geboren, Hat sterben dürfen er; Von seines Braunschweigs Thoren

Grabstätte sich so nah' Und ruft wohl aus verwundert:

Kam irrend er hierher;

„Ein Feldherr ward ich ja!"

Zu Ottensen, von Linden

Es ist derselbe Sänger,

Beschattet, auf dem Plan

Der auch die Hermannsschlacht

Ist noch ein Grab zu finden;

Sang, eh' vom neuen Dränger Geknickt ward Deutschlands Macht.

Dem soll, wer trauert, nahn. Dort in der Linden Schauer Soll lesen er am Stein Die Inschrift, daß die Trauer Ihm mag gelindert fein.

Mit seiner Gattin lieget

Ich hoffe, daß in Frieden Er ruht' indes in Gott, Nicht sah bei uns hienieden Des Feinds Gewalt und Spott.

Und ihrem Sohne dort

Und so auch ruht' im Grabe Sein unverstört Gebein,

Ein Sänger, der besieget

Als ob geschirmt es habe

Den Tod hat durch ein Wort.

Ein Engel vorm Entweihn. Es sind der Jahre zehen,

Es ist der fromme Sänger, Der sang des Heilands Sieg, Zu dem er, ein Empfänger

Voll Druck und Tyrannei,

Der Palm', im Tod entstieg.

Gegangen dran vorbei.

Voll ungestümer Wehen,

Lyrische Poesie.

460 Sie haben nicht die Linden

Beschaut, tret' er nach aller Beschaun an dies zuletzt.

Gebrochen, die noch wehn, Und nicht gemacht erblinden Die Schrift, die noch zu sehn.

Wenn dort ein trübes Stöhnen Den Busen hat geschwellt,

Wohl hat, als dumpfer Brodem Der Knechtschaft uns umgab, Ein loser Freiheitsodem Geweht von diesem Grab.

So ist als zum Versöhnen Dies Grab hierher gestellt. Die Thränen -er Vertriebnen,

Des Feldherrn dumpfe Gruft Verschwinden vorm beschriebnen Stein unterm Lindenduft, Wo wie in goldnen Streifen

Wohl ist, als hier den Flügel Tie Freiheit wieder schwang,

O Klopstock, deinem Hügel Enttönt ein Freudenklang.

DaS Wort des Sängers steht: „Saat von Gott gesät,

Und wenn ein finn'ger Waller

Dem Tag der Garben zu reifen!"

llmher die Gräber jetzt

R ü rf c i t.

6. Epilog zu Schillers Glocke. Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst (Geläute!

Und so geschah's! Dem friedenreichen Klange Denn er war unser! Mag das stolze Wort Den lauten Schmerz gewaltig übertönen! Bewegte sich das Land, und segenbar Ein frisches Glück erschien: im Hochgesange Er mochte sich bei uns im sichern Port Begrüßten wir das hohe Fürstenpaar; Im Vollgefühl, in lebensregem Drange

Nach wildem Sturm zum Dauernden ge­

wöhnen. Vermischte sich die thät'ge Völkerschar, Indessen schritt sein Geist gewaltig fort Und festlich ward an die geschmückten Stufen Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen,

Die Huldigung der Künste vorgerufen. Und hinter ihm in wesenlosem Scheine Da hör' ich schreckhaft mitternächt'geö Lag, waS uns alle bändigt, das Gemeine. Läuten, ')!un schmückt er sich die schöne Gartenzinne, DaS dumpf und schwer die Trauertöne schwellt. Von mannen er der Sterne Wort vernahm, Jst's möglich? Soll es unsern Freund be­ Das dem gleich cw'gen, gleich lebend'gen Sinne deuten,

An den sich jeder Wunsch geklammert hält? Geheimnisvoll und klar entgegenkam. Den Lebenswürd'gen soll der Tod erbeuten? Dort sich und uns zu köstlichem Gewinne Ach, wie vermint solch ein Verlust die Welt! Verwechselt er die Zeiten wundersam, Ach, waS zerstört ein solcher Riß den Seinen! Begegnet so, im Würdigsten beschäftigt, Nun weint die Welt, und sollten wir nicht Ter Dämmerunq der Nacht, die uns entweinen? kräftigt.

Denn er war unser! Wie bequem gesellig Den hohen Mann der gute Tag gezeigt, Wie bald sein Ernst,

anschließend,

gefällig, Zur Wechselrede heiter sich geneigt,

Ihm

schwollen

der Geschichte Flut

auf

Fluten, wohl­ Verspätend, was getadelt, was gelobt, Der Erdbeherrscher wilde Heeresgluten,'

Die in der Welt sich grimmig ausgetobt, Bald rasch gewandt, geistreich und sicherstellig, Im niedrig Schrecklichsten, im höchsten Guten, Der Lebensplane tiefen Sinn erzeugt Nach ihrem Wesen deutlich durchgeprobt. Und ftuchtbar sich in Rat und That ergossen: Nun sank der Mond, und zu erneuter Wonne Das haben wir erfahren und genoffen. Vom klaren Berg herüber stieg die Sonne.

Elegie.

461

Nun glühte seine Wange rot und röter Von jener Jugend, die uns nie entfliegt, Von jenem Mut, der früher oder später

Mit guter Kunst und ausgesuchtem Spiele

Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,

Ein holdes Lächeln glücklich abgewonnen.

Den neubelebten edlen Sinn erquickt, Und noch am Abend vor den letzten Sonnen

Von jenem Glauben, der sich stets erhöhter Er hatte früh das strenge Wort gelesen, Bald kühn hervordrängt, bald geduldig Dem Leiden war er, war dem Tod vettraut. So schied er nun, wie er so oft genesen; schmiegt, Damit das Gute wirke, wachse, fromme, Damit der Tag des Edlen endlich komme.

Nun schreckt es uns, wofür uns längst gegraut. Doch schon erblicket sein verklättes Wesen

Sich hier verklärt, wenn es herniederschaut. Doch hat er, so geübt, so vollgehaltig, Was Mitwelt sonst an ihm geklagt, getadelt, Dies bretterne Gerüste nicht verschmäht; Hier schildert er das Schicksal, das gewaltig Es hat's der Tod, es hat's die Zeit geadelt. Bon Tag zu Nacht die Erdenachse dreht,

Auch manche Geister, die mit ihm gerungen, Sein groß Verdienst unwillig anerkannt, Den Wert der Kunst, des Künstlers Wert Sie fühlen sich von seiner Kraft durchdrungen, In seinem Kreise willig festgebannt. erhöht. Er wendete die Blüte höchsten Strebens, Zum Höchsten hat er sich emporgeschwungen,

Und manches tiefe Werk hat reichgestaltig

Das Leben selbst an dieses Bild des Lebens. Mit allem, was wir schätzen, eng verwandt.

Ihr kanntet ihn, wie er mit Riesenschritte So feiert ißn!. Denn was dem Mann das Leben Den Kreis des Wollens, des Vollbringens maß, ')iur halb erteilt, soll ganz die Nachwelt geben. Durch Zeit und Land der Völker Sinn und So bleibt er uns, der vor so manchen Sitte, Jahren, Das dunkle Buch, mit heiterm Blicke las; Schon zehne sind's, von uns sich weggekehrt!

Doch wie er atemlos in unsrer Mitte Zn Leiden bangte, kümmerlich genas, Das haben wir in traurig schönen Jahren,

Wir haben alle Segen reich erfahren, Die Welt verdank' ihm, was er sie gelehrt; Schon längst verbreitet sich's in ganzen

Denn er war uitser, leidend mit erfahren. Scharen, Ihn, wenn er vom zerrüttenden Gewühle Das, Eigenste, was ihm allein gehött, Des bittern Schmerzes wieder aufgeblickt, Er glänzt uns vor, wie ein Komet entschwin­ Ihn haben wir dem lästigen Gefühle dend,

Der Gegenwatt, der stockenden, entrückt,

Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend, v* c c t h e.

7. Die Heroide. Die Heroide, deren Zeit vorüberzusein scheint, unterscheidet sich von der moder­ nen Elegie nur durch die Form, sofern nämlich der Dichter seine eigne Empfindung

durch eine schon verstorbene, in der Regel histottsche Persönlichkeit gegen eine andere Person, die räumlich und oft auch zeitlich entfernt ist, in Brieffonn und am häufigsten mittelst des elegischen Distichons äußern läßt.

462

Syrische Poesie.

8.

Die Satire.

Richtet der Dichter bei der Betrachtung der Außenwelt seinen Blick, auf die Gesinnungen

und Handlungen seiner Zeitgenossen, so werden ihm diese meist als widerstreitend mit der Idee erscheinen, die er sich von vollkommener und vollendeter Menschheit gebildet hat. Die

Reflexion wird ihn dahin führen, in dem, was er-um sich her geschehen sieht, die verderb­ lichen Zeichen der Zeit, die sittlichen Gebrechen, die mehr oder minder schädlichen Thorheiten und die nichtigen Bestrebungen zu erkennen und jene von ihrer verderblichen, diese von ihrer lächerlichen Seite aufzuzeigen, um durch spottende, strafende Warnung zu bessern. Der poetische Ausdruck der im Dichter dadurch erregten Unzufriedenheit und der meist in die

Form des Spottes gekleideten Warnung ist die Satire. An m. Hervorgehend aus sittlichem Unwillen (Indignation), schwingt die Satire ihre Geißel; aber dieser Ekel an den Gebrechen der wirklichen Welt ist eine trübe Quelle für die Poesie, die uns gerade über diese Welt hinweg in die Region des Schönen einführen soll. Dieser sehr bedeutsame Umstand sowohl, wie die äußerst schwierige Wahl des wirklich passenden Stoffes und die leicht zu verfehlende richtige Behandlung und Darstellung, welche eben so leicht zum Pasquill, wie zur Karikatur werden kann, dürften die Veranlassung sein, daß die Satire in der deutschen Litteratur nur in sehr vereinzelten Fällen mit Glück gepflegt worden ist.

1.

Philisters Begeisterung.

Der Abend schickt die goldene Schar der Der Herr Burgemeister find't an der Sache Sterne, Geschmack Als Wächter seine Erde zu behüten; Und nimmt aus der Dos' eine Prise Tabak. Sie schaun vom Himmel, zu des Himmels Ferne O, wie so hold der Mai zur Erde lächelt Schaun kindlich ans die nachterschloss'nen Und durch die Nacht sein lieblich Antlitz weiset! Wie er mit Lüften küßt, mit Düften fächelt, Blüten.

Der Herr Burgemeister tritt aus dem Hause Und alle Gäst' als güt'ger Wirt umkreiset! Der Herr Burgemeister findet den Abend hervor Und setzt sich auf die Bank vor seinem Thor. was warm, Es schwärmt und flattert durch die Linden­ Auch stört ihn der Käfer und Falter Schwarm;

bäume, Der Herr Burgemeister klappt seine Dose zu, Und tausend Leben wimmeln durch die Äste, Steht auf, schließt's Thor ab und legt sich zur Ruh'.

Ein jedes tummelt, daß es nichts versäume, Sich auf dem kurzen schönen Maienseste.

2.

Imme r m a u u.

Spindelmanns Recension der Gegend.

Näher muß ich jetzt betrachten Diese Gegend durch das Glas:

Sie ist nicht ganz zu verachten, Nur die Fern' ist allzublaß.

Jene Burg aus steiler Höhe Nenn' ich abgeschmackt und dumm, Meinem Auge thut sie wehe Wie der Fluß^ der gänzlich krumm. Jene Mühl' in wüsten Klüften

Giebt mir gar zu rohen Schall,

Aber ein gesundes Düften Weht aus ihrem Eselsstall. Daß hier Schlüffelblumen stehen, Hätt' ich das nur eh'r gewußt! Muß sie schnell zu pflücken gehen,

Denn sie dienen meiner Brust. Kräuter, die zwar farbig blühen, Doch zu Thee nicht dienlich sind, Doch nicht brauchbar sind zu Brühen, Überlaß ich gern dem Wind! Kerne r.

Satire.

3.

463

Der Recensent. Sühe Liebe denkt in Tönen; Denn Gedanken stehn zu fern; Nur in Tönen mag sie gern Alles, was sie will, verschönen. Ti eck.

Schönste, du hast mir befohlen,

Dieses Thema zu glossieren; Doch ich sag' es unverhohlen: Dieses heißt die Zeit verlieren,

Und ich sitze wie auf Kohlen. Liebtet ihr nicht, stolze Schönen, Selbst die Logik zu verhöhnen,

Würd' ich zu beweisen wagen, Daß es Unsinn ist zu sagen:

Süße Liebe denkt in Tönen. Zwar versteh' ich wohl das Schema Dieser abgeschmackten Glossen; Aber solch verzwicktes Thema,

Solche rätselhafte Possen Sind ein gordisches' Problema. Dennoch macht' ich dir, mein Stern,

Laß, mein Kind, die span'sche Mode, Laß die fremden Triolette, Laß die welsche Klangmethode

Der Kanzonen und Sonette, Bleib' bei deiner sapph'schen Ode! Bleib' der Aftermuse fern Der romantisch süßen Herrn!

Duftig schwebeln, luftig tänzeln Nur in Reimchen, Asfonänzeln, Nur in Tönen mag sie gern.

Nicht in Tönen solcher Glossen Kann die Poesie sich zeigen;

In antiken Verskolossen Stampft sie bester ihren Reigen Mit Spondeen und Molossen. Nur im Hammerschlag und Dröhnen

Diese Freude gar zu gern. Hoffnungslos reib' ich die Hände,

Deutschhellenischer Kamönen Kann sie selbst die alten, kranken,

Nimmer bring' ich es zu Ende, Denn Gedanken stehn zu fern.

Alles, was sie will, verschönen.

Allerhäßlichsten Gedanken, U b In n b.

4.

Zweite Parabase aus der verhängnisvollen Gabel.

Wie kommt es, liebes Publikum, daß du die größten Geister

So oft verkennst und stets verbannst die sonst berühmten Meister? So ist bei dir der Kotzebue in Mißkredit gekommen, Der sonst doch ganz allein beinah' die Bretter eingenommen: Du klatschtest seinen Herrn und Fraun, du liebtest seine Späße,

Er war dein Leib- und Herzpoet, der dir allein gemäße;

Was galten dir vor dem Apoll die Musen alle neune? Auf jeder Bühne fand man ihn, ja fast in jeder Scheune. Des rühmt kein andrer Dichter sich, drum weigert ihm nicht länger Als deutschem Sophokles den Kranz, als nationellstem Sänger! Er schmierte wie man Stiefel schmiert, vergebt mir diese Trope, Und war ein Held an Fruchtbarkeit wie Calderon und Lope. In Versen schrieb er selten zwar, doch konnt' euch das nicht stören;

Ihr seid ja Menschen, wollt ihr denn der Götter Sprache hören? Er sprach wie ihr, das war euch recht; er nahm, um euch zu schonen,

Aus eurem eignen Kreise sich die fadesten Personen.

Auch habt ihr euren Kotzebue nicht ganz und gar verlassen, Zwar starb er euch, doch blieben euch des Edlen Hintersassen: Der Advokat in Weißenfels und ähnliche Gesichter, Die klein wie er als Menschen sind und groß wie er als Dichter!

Lyrische Poesie.

464

Wir sehen einen solchen Knirps nach Lorbeerzweigen schielen, Weil er geborgt ein Trauerspiel aus zehen Trauerspielen, Indes er euch nur Scheußliches und nie Geschehnes zollte,

Das man, und wär' es auch geschehn, mit Nacht bedecken sollte!

Was sind nun solche Korypha n moderner Dithyramben Als Kotzebues im Domino, staffiert in lahme Jamben? Gern hätt' ich manches wörtlich euch aus ihnen nachgewiesen, Doch ihre Verse sind zu schlecht, sie paffen nicht zu diesen.

Wie mancher dünkt sich Virtuos und schlägt gewalt'ge Triller, Der blos als leere Phrase drischt, waö Goethe sprach und Schiller: Wenn die sich auch nur des bedient, was andre schon erworben,

So stünden wir bei Ramler noch, der längst in Gott verstorben! Wen die Natur zum Dichter schuf, dem lehrt sie auch, zu paaren Das Schöne mit dem Kräftigen, das Neue mit dem Wahren; Dem leiht sie Phantasie und Witz in üppiger Verbindung

Und einen quellenreichen Strom unendlicher Empfindung; Ihm dient, was hoch und niedrig ist, das Nächste wie das Fernste, Im leichten Spiel ergötzt er uns und reißt uns hin im Ernste; Sein Geist, des Proteus Ebenbild, ist tausendfach gelaunet

Und lockt der Sprache Zierden ab, daß alle Welt erstaunet! Er fürchtet keinen neidschen Feind und keinen tückschen Spötter Und vor dem Tode bangt ihm nicht, als einem Freund der Götter: Er weiß, daß nach Äonen noch, was sein Gemüt erstrebet,

Im Mund verliebter Jünglinge, geliebter Mädchen lebet; Indes der Zeit Pedanten längst, verwahrt in Bibliotheken, Vor Staub und Schmutz vermoderten als wurmige Scharteken. i'Litrn.

5. Grünes Sonnenfeuer glühet, Und was blühen kann, das blühet; Knaben lagern sich zu Häuf. Doch sie lesen Phädri Fabeln, Und sie schlagen die Vokabeln In dem dicken Scheller auf. Helios senkt den Wagen schnelle, Sehnt sich nach der kühlen Welle; Eine Schöne sieht's und spricht:

Abendentzückungen. „Herrlich! herrlich! Außer Sorgen Bin ich für die Wäsche morgen; Denn nun regnet's sicher nicht." Und es rauscht das Meer vor Worne, Als ins Bad sich taucht die Sonne; Ein Entzückter ruft empor: „Grad' als ob ich in die Spalte Meiner großen Sparbüchs' halte Einen Doppelfriedrichsd'or!" l u V V?.

6.

Dummheit.

Wer nur der Weisheit nachgespürt, den halt' ich noch für keinen Mann; Doch wer die Dummheit ausstudiert, den seh' ich für was Rechtes an.

Der Weisen Thun errät man leicht: man sieht da noch, wann, wie, warum; Bei Dummen guckt man sich umsonst nach allen diesen Lachen um.

Der Dummheit Weg ist wunderbar: niemals erkennet man den Grund,

Epigram nt.

465

Und fänd' ihn einer richtig aus, so thät' er aller Funde Fund!

Tenn Dummheit ist die größte Macht, sie führt der Heere stärkstes an; Ich glaube, daß sie nie ein Held bekämpfen und besiegen kann. Kopisck».

9. Das Epigramm. Das Epigramm (eigentlich Auffchrist) war bei den Griechen nur der in kleinstem Umfange austretende poetische Ausdruck irgendeiner Thatsache oder Empfindung; es um­

faßte Grabschriften, Weihinschriften und Denksprüche für das Volk und zeichnete sich durch Einfachheit, edle Sprache und ruhige Klarheit aus.

Später bezeichnete man mit diesem

Namen ein kleines Gedicht, welches einen sinnreichen Gedanken ausdrückte, der sich an ein bestimmtes und bekanntes Objekt anlehnte, das aus den Erscheinungen des Lebens oder der

Natur herausgegriffen war.

ES bestand also aus der Darstellung der Thatsache und des

an dieselbe geknüpften Gedankens (Erwartung und Auftchluß von Lessing, Exposition und Anwendung von Herder genannt).

In der neueren Zeit wird mit dem Namen Epigramm

fast nur ein kleines witzig-satirisches Gedicht bezeichnet.

Das Bestreben, einen sinnreichen

Gedanken an eine Thatsache anzulehnen, verführte zu der Sucht, mit der Thatsache das

llnähnliche und Fernliegende auf überraschende Weise zu verbinden, das Talent des Witzes

zu zeigen und zugleich eine satirische Wirkung zu erreichen. Für das Epigramm ist nach dem Vorbilde der Griechen von unsern Dichtern besonders

gern bas elegische Distichon gebraucht worden; doch werden auch andere, ost sogar gereimte Veste angewendet.

1.

Fluch und Segen. Gedenkt auch eures Spruches;

Herr Papst, ich fürchte mich noch nicht,

Ihr sprächet; „Wer dich segnet, sei

Denn ich gehorch' euch, wie es Pflicht.

Wir hörten euch der Christenheit gebiete»,

Gesegnet, wer dir fluchet, der estahre

Dem Kaiser Unterthan zu sein;

Das Vollgewicht des Fluches!"

Ihr selber segnetet ihn ein,

Um Gott bedenkt, ob sich dabei

Daß wir ihn hießen Herr und vor ihm knieten. Der Pfaffen Heil und Ehre wohl bewahre! Waltber vcn der Pogelweide.

2.

Übersetzt von Lim rock.

Gott als Klager. Seid willig, ihm zu richten:

Hen Kaiser, ich bin hergesandt

Sein Sohn mit Namen Jesus Chstst

Als Gottes Bot' aus Himmelsland:

Ihr habt die Erd', er hat den Himmel droben. Vergilt es einst, das hieß er mich euch sagen. Er will, das ihr ihm Recht vestchafft:

Eilt, seinen Streit zu schlichten ;

Ihr seid sein Vogt; die Heidenschaft

Er richtet euch, wo er Vogt ist,

Laßt nicht in seines Sohnes Lande toben.

Und kämet ihr, den Teufel zu verklagen. Löalther von der Pvgelwride.

Dielitz u. Heinrichs, Handb. d. deutsch. Litteratur.

4. Aust.

Üdersetzr von Limreck.

30

Lyrische Poesie.

466

3.

Auf eine Degenklinge.

Entblöße mich nicht eh', bis Pflicht und Ehre zwingen:

Dann sollst du ohne Blut mich nicht zurücke bringen. K a ft n e r.

4.

Der epische Hexameter.

Schwindelnd trägt er dich fort auf rastlos strömenden Wogen; Hinter dir siehst du, du siehst vor dir nur Himmel und Meer, s fr i 11 e r.

5.

Die achtzeilige Stanze.

Stanze, dich schuf die Liebe, die zärtlich schmachtende; dreimal Fliehest du schamhaft und kehrst dreimal verlangend zurück. « fr i 11 e r.

6.

Der Kaufmann.

Wohin segelt das Schiff? Es trägt sidonische Männer, Die von dem frierenden Nord bringen den Bernstein, daS Zinn. Trag' es gnädig, Neptun, und wiegt es schonend, ihr Winde! In bewirtender Bucht rausch' ihm ein trinkbarer Quell!

Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen, Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an.

7.

Die Johanniter.

Herrlich kleidet sie euch, des Kreuzes furchtbare Rüstung, Wenn ihr» Löwen der Schlacht, Alton und Rhodus beschützt,

Durch die syrische Wüste den bangen Pilgrim geleitet Und mit der Cherubim Schwert steht vor dem heiligen Grab.

Aber ein schönerer Schmuck umgiebt euch, die Schürze des Wärters, Wenn ihr, Löwen der Schlacht, Söhne des edelsten Stamms, Dient an des Kranken Bett, dem Lechzenden Labung bereitet Und die niedrige Pflicht christlicher Milde vollbringt. Religion des Kreuzes, nur du verknüpfest in einem Kranze der Demut und Kraft doppelte Palme zugleich! £ frillfi.

8.

Der Säemann.

Siehe, voll Hoffnung vertraust du der Erde den goldenen Samen Und erwartest im Lenz ftöhlich die keimende Saat. Nur in die Furche der Zeit bedenkst du dich Thaten zu streuen, Die, von der Weisheit gesät, still für die Ewigkeit blühn? 2 fr 111 c r.

Epigramm.

9.

467

LesfingS Nathan.

Deutsche Tragödien hab' ich in Mafse gelesen, die beste Schien mir diese, wiewohl ohne Gespenster und Spuk:

Hier ist alles Charakter und Geist und der edelsten Menschheit Bild, und die Götter vergehn vor dem alleinigen Gott. __________

Platen.

10. Die Ebene von Marathon. Halb von öden Gebirgen umkränzt, streckt Marathons heil'ge Thalflur gegen des Meers schimmernde Bucht sich hinab,

freilich schweigt es umher, stumm kreisen die Adler, und einsam Über dem weiten Gefild schwebt der Gefallenen Ruhm. Weibel.

11.

Grab des Themistokles am Piräeus.

Wo am zackigen Fels das Gewog' sich brandend emporbäumt, Sentten die Freunde bei Nacht heimlich Themistokles' Leib

In heimatlichen Grund.

Festgabe» und Totengeschenke

Brachten sie dar, und es floß reichlich die Spende des Weins. Aber den Zorn des verblendeten Volks kleinmütig befürchtend, Stahlen sie leise sich heim, ehe die Dämm'rung erschien. Denksteinlos nun schlnmmett der Held; doch drüben im Spättot Ragt ihm, ein ewiges Mal, Salamis' Felsengestad'! Weibel.

12.

Piger.

Piger kann nicht müßig gehn; Müßig kann er aber stehn, egrt u.

13. Pravus. ES schrieb ihm Pravus an sein Haus: „Hier geh' nichts Böses ein und aus." Ich weiß nicht, soll sein Wunsch bestehen, Wo Pravus aus und ein wird gehen? 8 og au.

14.

Auf Kepler.

So hoch war noch kein Sterblicher gestiegen, Als Kepler stieg, und starb in Hungersnot. Er wußte nur die Geister zu vergnügen; Drum ließen ihn die Körper ohne Brot. K ä it ner.

15. Was Hippokrene auf deutsch heißt. Ein Gallier, der gallisch nur verstand

Und das allein reich, stark und zierlich fand

syrische Poesie.

468

(Das Deutsche hat er stets durch schalen Spott entehrt, Weil ihn für dies Verdienst ein deutscher Hof ernährt),

Den bat ich: „Nennt mir doch auf gallisch Hippokrene."

„Herr Deutscher, könnt ihr mich im Ernst so seltsam fragen ? Der Gallier behält die griech'schen Töne." „Nun wohl, Monsieur! Wir können Roßbach sagen." Q a it n e r.

Auf einen Trauerspieldichter.

16.

Den Zweck des Trauerspiels, den weiß er zu erreichen: Das Mitleid mit dem Stück und Furcht vor mehr dergleichen. K a it ner.

17.

.Die alternden Dichter.

Schnell wird ein Dichter alt, dann hat er ausgesungen; Doch manche Critici, die bleiben immer Jungen. Jüaitnr r.

18.

Bavs,G a st.

So ost Kodyll mich sieht zu Laven schmausen gehn, Beneidet mich Kodyll. Der Thor! DaS Mahl bei Baven kommt mir teuer gnug zu stehn:

Er lieft mir seine Verse vor. ________________ V e f U n g.

19.

Auf die Galathee.

Die gute Galathee! Man sagt, sie schwärz' ihr Haar; Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war. V rsiIng.

20. An einen Lügner. Du magst so oft, so fein, als dir nur möglich, lügen, Mich sollst du dennoch nicht betrügen. Ein einzig Mal nur hast du mich betrogen; Das kam daher: du hattest nicht gelogen. V es f i ii g.

21.

Auf den Tod eines Affen.

Hier liegt er nun, der kleine, liebe Pavian,

Der uns so manches nachgethan. Ich wette, was er jetzt gethan, Thun wir ihm alle nach, dem lieben Pavian. ________________ 2 eising.

22.

Das schlimmste Tier.

„Wie heißt das schlimmste Tier mit Namen?" So ftagt' ein König einen weisen Mann.

Epigramm.

469

Der Weise sprach: „Von wilden heißt's Tyrann

Und Schmeichler von den zahmen." Lessing.

23.

Kunz und Hinz.

„Gevatter Hinz," rief Kunz, „was trinken wir? Zuerst Wein oder Bier?" „Gevatter," sagte Hinz, „Gevatter, folge mir.:

Erst Wein und dann kein Bier." “tfiinj.

24. Die Sinngedichte an den Leser. Wer wird nicht einen Klopstock loben?

Doch wild ihn jeder lesen? Nein. Wir wollen weniger erhoben Und fleißiger gelesen sein. Lessing.

25.

Der Redner.

„Und böte man mir zehn Dukaten Für eine Red', ich hielte dennoch keine." So sagte Stax; doch hielt er für zwei Pfennig eine, Als ihn zwei Bettler einst um die zwei Pfennig baten. Göckivgf.

26.

Kritik über ein Drama.

Herr Tragiskribar wähnt, Sein Drackla hab' uns sehr gefallen;

Denn, spricht er, keiner pfiff von allen. Doch wer kann pfeifen, wenn man gähnt? G.ö cki n g k.

27.

Ans den Jemen.

Die Lernen wurden durch die gereizte Stimmung Schillers und Goethes über die ungünstige Aufnahme, welche des ersteren Horen gefunden hatten, und durch den Wunsch hervorgerufen, „gegen die Despotie des Hergebrachten, gegen die plumpe Anmaßung des Philistertums, gegen Heuchelei und tiefgewurzelten Autoritätenglauben" anzukämpfen.

Zeichen des Krebses. (Auf Ramler.)

Geht mir dem Krebs in B(erlin) aus dem Weg; manch lyrisches Blümchen,

Schwellend in üppigem Wuchs, kneipte die Schere zu Tod. Sch.

Zeichen des Löwen. (Auf Doß.)

Jetzo nehmt euch in acht vor dem wackern eutinischen Leuen, Daß er mit griechischem Zahn euch nicht verwunde den Fuß.

470

Lyrische Poesie. Zeichen der Jungfrau. (Auf Wieland.)

Bücket euch, wie sich's geziemt, vor der zierlichen Jungfrau zu Weimar. Schmollt sie auch oft, wer verzeiht Launen der Grazie nicht? Sch.

Zeichen der Wage. Jetzo wäre der Ort, daß ihr die Wage beträtet; Aber dies Zeichen ward längst schon am Himmel vermißt.

Sch.

Zeichen des Steinbocks. (Auf Nicolai.)

Im Vorbeigehn stutzt mir den alten berlinischen Steinbock; Das verdrießt ihn, so giebt's etwas zu lachen fürs Volk. Sch.

Zeichen des Raben. (Auf Schlichtegrolt, den Herausgeber eines Nekrologs merkwürdiger Deutschen.)

Vor dem Raben nur sehet euch vor, der hinter ihr krächzet! Das nekrologische Tier setzt auf Kadaver sich nur. Sch.

Eridanus. (Auf Campe in Braunschweig.)

An des Eridanus Ufern umgeht mir die furchtbare Waschfrau, Welche die Sprache des Teut säubert mit Lauge und Sand. Sch.

Zeichen des Pegasus. (Auf Eschenburg.)

Aber seht ihr in B(raunschweig) den Grad ad Parnassum, so bittet Höflich ihm ab, daß ihr euch eigene Wege gewählt.

Wissenschaft. Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt. Scb.

Das deutsche Reich. Deutschland? aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden; Wo das gelehrte beginnt, hört das polittsche auf.

Der Purist. (Campe.) Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern; Nun, so sage doch, Freund, wie man Pedant uns verdeutscht. Sch. Der Glückliche. (Nicolai.) Sehen möcht' ich dich, Nickel, wenn du ein Späßchen erhaschest Und, von dem Funde entzückt, drauf dich im Spiegel besiehst. ■ Sch.

Das Verbindungsmittel. (Auf Lavater.)

Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.

Epigramm.

471

Deutscher Nationalcharakter. Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens;

Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus. e».

Rhein. Treu, wie dem Schweizer gebührt, bewach' ich Germaniens Grenze; Aber der Gallier hüpft über den duldenden Strom. Sch.

Donau in B(ayern). Bacchus, der lustige, führt mich und Komus, der fette, durch reiche

Triften, aber verschämt bleibet die Charis zurück. Sck.

Donau in Ö(sterreich).

Mich umwohnet mit glänzendem Aug' das Volk der Phäaken,

Immer ist's Sonntag, es dreht immer am Herd sich der Spieß. Sch.

Ilm. Meine Ufer sind arm, doch höret die leisere Welle, Führt der Strom sie herbei, manches unsterbliche Lied. Sck.

Pleiße. Flach ist mein Ufer und seicht mein Bächlein, es schöpften zu durstig Meine Poeten mich, meine Prosaiker aus. Sch.

Elbe. All' ihr andern sprecht nur ein Kauderwelsch.

Unter den Flüffen Deutschlands rede nur ich und auch in Meißen nur deutsch. Sch.

Spree. Sprache gab mir einst Ramler und Stoff mein Cäsar; da nahm ich Meinen Mund etwas voll, aber ich schweige seitdem. Sck.

Weser. Leider von mir ist gar nichts zu sagen; auch zu dem kleinsten Epigramme, bedenkt! geb' ich der Muse nicht Stoff. Sch.

Gesundbrunnen zu C(arlsbad). Seltsames Land! Hier haben die Flüffe Geschmack und die Quellen:

Bei den Bewohnern allein hab' ich noch keinen verspürt. Sch.

Moralische Zwecke der Poesie. „Bessem, bestem soll uns der Dichter!" So darf denn auf eurem Rücken des Büttels Stock nicht einen Augenblick mhn.

Der Todfeind. Willst du alles vernichten, was deiner Natur nicht gemäß ist, Nicolai, zuerst schwöre dem Schönen den Tod. Sch.

Lyrische Poesie.

472

Verdienst. Hast du auch wenig genug verdient um die Bildung der Deutschen,

Fritz Nicolai, sehr viel hast du dabei doch verdient. Die Insekten.

Warum schiltst du den einen so hundertfach? Weil das Geschmeiße, Rührt sich der Wedel nicht stets, immer dich leckt und dich sticht. Lcb.

Der Wolfsche Homer. Sieben Städte zankten sich drum, ihn geboren zu haben;

Nun, da der Wolf ihn zerriß, nehme sich jede ihr Stück. 5; fr.

Borussias. (Auf Jenisch.)

Sieben Jahre nur währet der Krieg, von welchem du singest? Sieben Jahrhunderte, Freund, währt mir dein Heldengedicht. fr.

Menschenhaß und Reue. (Auf ficfcefcne.)

Menschenhaß? Nein, davon verspürt' ich beim heutigen Stücke Keine Regung;- jedoch Reue, die hab' ich gefühlt.

Die Sonntagskinder. (Auf Fr. Schlegel.)

Jahrelang bildet der Meister und kann sich nimmer genugthun; Dem genialen Geschlecht wird es im Traume beschert. Martial. Genien nennet ihr euch? Ihr gebt euch für Mchenpräsente? Ißt man denn mit Vergunst spanischen Pfeffer bei euch?

Genien. Nicht doch! Aber es schwächten die vielen wäss rigen Speisen So den Magen, daß jetzt Pfeffer und Wermut nur hilft. w.

28.

An einen Übersetzer Miltons.

Den Milton hast du dir erkoren

Und träumest von Unsterblichkeit.

Ach, deine Muh', mein Geld und meine Zeit Sind wie das Paradies verloren! H ii u g.

________________

29. Wißt, mir verlor Furen Von zwei Prozessen keinen;

Prozesse. Gewönn' er mir noch einen, Ich mußte betteln gehn!

Lehrgedicht.

473

10. Das Lehrgedicht. Tas Lehrgedicht knüpft, indem es die Belehrung als Hauptzweck allerdings vor­ walten läßt, aber dennoch neben der Thätigkeit des Verstandes auch die Thätigkeit der Phantasie in Anspruch nimmt, an einen aus der Natur oder dem Leben gewählten Gegen­ stand eine Reihe von philosophischen Betrachtungen an.

1.

Die Macht des Gesanges. Dem Fremdling aus der andern Welt,

Ein Regenstrom aus Felsenriffen, Er kommt mit Donners Ungestüm,

Des Jubels nichtiges Getöse

Bergtrümmer folgen seinen Güssen, Und Eichen stürzen unter ihm; Erstaunt, mit wollustvollem Grause»

Verstummt, und jede Larve fällt, Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege

Hört ihn der Wanderer und lauscht, Er hört die Flut vom Felsen brausen,

So rafft von jeder eitlen Bürde, Wenn des Gesanges Ruf erschallt,

Doch weiß er nicht, woher sie rauscht:

Der Mensch sich auf zur Geisterwürde

So strömen des Gesanges Wellen Hervor aus nie entdeckten Quellen.

llnd tritt in heilige Gewalt; Den hohen Göttern ist er eigen, Ihm darf nichts Irdisches sich nahn,

Verschwindet jedes Werk der Lüge:

Verbündet mit den furchtbar'« Wesen,

Die still des Lebens Faden drehn, Wer kann des Sängers Zauber lösen, Wer seinen Tönen widerstehn? Wie mit dem Stab des Götterboten Beherrscht er das bewegte Herz: Er taucht es in das Reich der Toten, Er hebt es staunend himmelwärts Und wiegt es zwischen Ernst und Spiele Auf schwanker Leiter der Gefühle. Wie wenn ans einmal in die Kreise Der Freude mit Gigantenschritt

Geheimnisvoll nach Geisterweise Ein ungeheures Schicksal tritt; Da beugt sich jede Erdengröße

3.

Und jede andre Macht muß schweigen, Und kein Verhängnis fällt ihn an; ES schwinden jedes Kummers Falten, So lang' des Liedes Zauber walten. Und wie nach hoffnungslosem Sehnen, Nach langer Trennung bittrem Schmerz Ein Kind mit heißen Reuethränen Sich stürzt an seiner Mutter Herz: So führt zu seiner Jugend Hütten, Zu seiner Unschuld reinem Glück Vom fernen Ausland fremder Sitten Den Flüchtling der Gesang zurück,

In der Natur getreuen Armen Von kalten Regeln zu erwärmen.

Aus Neubecks Gesundbrunnen. a.

Lob des Eisens.

Töne, Leier, das Lob des Eisens im Feiergesange! Noch kein feiemdes Lied erscholl zum Ruhme des Eisens Unter den Eichen des Hains, der seine Wurzeln hinabstreckt Zu dem stillen Geklüft, wo dem Samen der Erze zu keimen

Mutter Natur gebot und im leisen Wüchse zu reifen. Heil dir, edles Geschenk der vaterländischen Berge, Das der Sterblichen viele verachten und thöricht des Goldes Trügenden Glanz, den mehr verehren und gieriger suchen

474

Lyrische Poesie. Als dich, Eisen, und deinen bescheidneren Schimmer.

Verkennt nicht,

Hermanns Enkel, verkennt nicht das Kleinod eurer Gebirge! Sage, woher, o Krieg, nimmst du dein Waffengeschmeide, Deine geschliffene Wehr zum letzten, entscheidenden Angriff? Eisen, gehärtet zu Stahl in der Effe, gebändigt vom Amboß,

Und in den Händen des Künstlers geschärft, bewappnet den Feldherrn; Stählerne Rüstung umpanzert die thatenschwangere Brust ihm.

Heil dir, edles Geschenk der vaterländischen Berge!

Sei gefeiert im Lied, weil du dem Helden zum Rachschwert Dienst im gerechten Krieg und ihm über den stolzen Erob'rer Siegen hilfft für das Vaterland in der donnernden Feldschlacht.

Doch ist im Frieden größer dein Ruhm und schöner dein Segen. Siehe, du bist mir werter, und feuriger grüßt mein Gesang dich, Wenn dich die Amboßhand zur blanken Waffe des Friedens

Hämmernd bildet, die kein unmenschlicher Krieger im Herzblut Schlummernder Säuglinge rötet. Die sanftesten, ländlichen Freuden Schwellen mir immer das Herz und ergießen in heiligen Hymnen

Sich mir über die trunknere Lippe, wann ich dich sehe Stinten am friedsamen Pflug' in der scholligen Furche des Hügels, Wann ich höre das Sensengektirr auf blühendem Anger, Wann das Sichelgeräusch im Gefilde der sinkenden Halme Lieblich ertönt, wo das bräunliche Schnittermädchen mit blauen Blumen ein Seil durchsticht, um die schönste der Garben zu binden; Wann in der fröhlichen Lese der Winzer dich schärft auf dem Wetzstein, Einzuernten den Segen des Herbsts auf Traubengebirgen. Heil dir, nützliches Erz! Der Ehor der geselligen Künste

Stimmt in meinen Gesang zu deinem würdigen Lob ein. Kein Praxiteles hätte mit silbernem Meißel den Marmor, Ihn zum atmenden Bilde geschaffen. Keine Paläste, AuS den felsigen Rippen des Bergs korinthisch erbauet,

Türmten sich ohne das Eisen empor in die staunenden Wolken. Ohne dich schüfe die Kunst Arachnens keine Gemälde Auf der blendenden Seide, gespannt in den weiblichen Rahmen. Trabt das edele Roß, wann das Gold den Huf ihm bekleidet,

Sicherer über das Eis und hinan den steilen Gebirgspfad? Ohne dich ruhete müßig in Alpenklüften der Mühlstein, Der nun voller Gewalt ans eiserner Spindel sich umschwingt Und den bekümmerten Menschen das goldene Alter erneuet,

Daß sie, befreit von den Lasten der Arbeit durch die Najaden, Schmücken den festlichen Tisch mit geläutertem Marke der Feldftucht. O, wie fände der kühne Pilot in den Wüsten des Weltmeers

Sicheren Pfad, wann rings am Olymp Sturmwolken wie schwarze Teppiche hängen und ihm die freundlichen Sterne verhüllen, Die durch Labyrinthe von Syrien und strudelnden Wirbeln

Sicher am goldenen Faden ihn leiteten, daß er nicht scheitre? Durch die schreckliche Nacht bist du, leicht schwebende Nadel, Ihm ein treues Orakel, das unter magischem Beben

Lehrgedicht. Ihm weissaget, in welcher umwölkten Gegend des Himmels

Syrius strahlt und Arktur, das Siebengestirn und Orion. Wert bist du dem Steurer nicht nur und dem fleißigen Feldmann, O wohlthätiges Eisen; dich liebt und segnet der Gott auch, Der mich früh der Natur Geheimnisse lehrte, der weise Päon. O du' mein Meister, vergieb mir, wann ich den Menschen, Meinen leidenden Brüdern, die heiligen Lehren eröffne Deiner göttlichen Kunst, sie nur in den dämmernden Dorhof

Führe deines großen, geheimnisverhüllenden Tempels. Stärkendes Eisen erneut der Gesundheit blühenden Purpur Auf der sterbenden Wange der totenbleichen Entkräftung. Einstens sannt’ ich ein Mädchen, in deren Gesichte die Krankheit

Schon die Miene des Tods und die Züge der kalten Verwesung Zeichnete jammernden Eltern zum Weh und teuren Geschwistern; Doch sie fand in dem Eisen Genesung wieder und Leben.

b.

Lob der Bewegung.

Eins nur ist mir bewußt, was König und Bettler sich wünschet, Dessen Verlust den ersten entgöttert im Purpurgewande, Dessen Besitz den Mann im Kittel erhöhet zum Halbgott: Holde Gesundheit du, du bist dies Eine! Dich missen Heißt aufhören zu leben und doch nicht sterben. Dich haben Heißt auf goldener Leiter zum Sitz der Olympier steigen. Siehe, die weite Natur, reich ausgesteuert mit Gaben Aus der schaffenden Hand Allvaters, spendet die Fülle Köstlicher Güter zum weisen Genuß den Erdebewohnern. Ohne dich sind sie nicht da. Dem Erkrankten scheint die Natur selbst

Siech und leer, ihr großes, gestirntes Tempelgewölbe Eine Verwesungsgruft, der Mond die düstere Lampe, Die dem Elenden dämmert, der über Verwesungen wandelt. Sterbliche, denen ein Gott dies unaussprechliche Glück gönnt,

Einen gesunden Geist und einen gesunden Gefährten, Der, mit freien Sinnen gerüstet, den Funken der Gottheit Trägt in irdischer Hülle, verscherzt das himmlische Kleinod Durch unweisen Lebensgenuß nie! Freunde, bewahrt es,

Wie der Streiter den Schild, und ihr werdet kühner besiegen Jegliches Sturmes Gewalt auf der dunklen Woge des Lebens. Laß dir meinen Gesang der Geheimnisse größtes enthüllen, Dauernder dich zu freun des guten Sterns der Gesundheit,

Oder, wofern ihn mit Nebel bewölkt ein neidischer Dämon, Muttg den Feind zu verjagen und unter dem himmlischen Einfluß Dieses Gesttrns das Glück des Daseins ftoh zu genießen. Siehe, Bewegung erhält das Wohlsein aller Geschöpfe. Selbst was leblos ruht in der Schöpfung weitem Gebiete,

Wird durch rege Bewegung veredelt, gewinnet an Schöne. Stachlichte Disteln erzeugt das müßig liegende Brachfeld,

475

476

lyrische Poesie. Aus des scholligen Ackers emporgeworfener Furche Sproßt der nährende Halm und wuchert mit schwellenden Ähren. Wird nicht zum faulen Morast des Thalwalds gährende Sache, Die kein Süftchen bewegt, kein Sturm aufwühlt in der Tiefe?

Keine Najade bewohnt den schlummernden See, wo beständig Neblichter Dunst aufdampft und grünlicher Schlamm sich erzeuget.

Aber der Bäche Krystall und den helldurchsichtigen Bergquell, Der mit Gesprudel sich über die Wurzeln alternder Bäume Murmelnd ergießet, von Klippe zu Klippe die Kieselchen fortwälzt

Und im mäandrischen Laufe bewässert arkadische Thäler, Ihn nur lieben die Nymphen und baden die rosigen Glieder

Durch die schwülere Nacht in seinem lebendigen Silber.

Sei Nachahmer des Bachs! Entreiße dich weichlicher Ruhe, Welche die Muskeln erschlafft und die Nerven des Zärtlinges lähmet, Bis er entkräftet und bleich, ein wankender Schemen umherschleicht. Auf, ihr Trinker der Quelle! Die tausendfarbige Landschaft

Lächelt dem Freund der Natur, und er wandelt, wohin ihn die Laune Oder der Zufall führt, bald zwischen goldenen Emten, Die mit schmächtigem Halm entgegenreifen der Sichel, Bald am gewundenen Ufer des majestätischen Stromes, Der auf silbernem Rücken den Reichtum ferner Gefilde

Dörfer und Städte vorüber mit flatternden Wimpeln dahinträgt, Bald in dem Blumengewimmel der grün umhügelten Thaltrift, Wo nach fröhlicher Schur weißvließiger Herden des Festes Jubel ertönt und der Wald die bäurischen Lieder zurückhallt. Seliger Mann, den nie die Sirenengesänge der Ehre, Nie der höfische Stolz und der lärmende Markt der Gewinnsucht

Aus dem schönen Gebiete verlocken der reinesten Freuden, Die der hehren Natur vollwallenden Urnen entströmen, Der aus goldenem Becher der Morgenröte Begeistrung Trinkt und mit schönen Gefühlen den Geist bereichert am Urborn Heiliger Seelengenüffe, besucht von wenigen Edlen! Ihn entzücken die Hymnen des Walds in der Jugend des Lenztags, Ihn erfreuen im Herbst fruchtreich die lachenden Gärten,

Wo das reifende Gold am Gezweig wie der Morgen errötet: Ihn der krystallene Winterpalast beeister Gehölze, Wo die Blume deS Frosts hell blinkt an dem Quelle der Rehe Und im bereiften Gesträuch M Eichhorn schüchtern entfliehet. Seliger Mann, den dieses entzückt! Ihn weihet vor vielen Sich zum Liebling die gute Natur und zum Priester der Wahrheit. Nkubeck.

3. Aus Goethes Metamorphose -er Tiere. Wagt ihr, also bereitet, die letzte Stufe zu steigen

Dieses Gipfels, so reicht mir die Hand und öffnet den freien

Blick ins weite Feld der Natur! Sie spendet die reichen Lebensgaben umher, die Göttin, aber empfindet

Lehrgedicht. Keine Sorge, wie sterbliche grau n um ihrer Gebornen Sichere 4tahmng, ihr ziemet es nicht; beim zwiefach bestimmte Sie das höchste Gesetz, beschränkte jegliches Leben,

Gab ihm gemefs'nes Bedürfnis, und angemessene Gaben, Leicht zu finden, streute sie aus, und ruhig begünstigt Sie das muntre Bemühn der vielfach bedürftigen Kinder. Unerzogen schwärmen sie fort nach ihrer Bestimmung.

Zweck sein selbst ist jegliches Tier, vollkommen entspringt es Aus dem Schoß der Natur und zeugt vollkommene Kinder. Alle Glieder bilden sich aus nach ew'gen Gesetzen,

Und die seltenste Form bewahrt im geheimen daS Urbild. So ist jeglicher Mund geschickt, die Speise zu fassen,

Welche dem Körper gebührt, es sei nun schwächlich und zahnlos Oder mächtig der Kiefer gezahnt, in jeglichem Falle

Fördert ein schicklich Organ den übrigen Gliedern die Nahrung. Auch bewegt sich jeglicher Fuß, der lange, der kurze, Ganz harmonisch zum Sinne des Tiers und seinem Bedürfnis. So ist jedem der Kinder die volle, reine Gesundheit

Bon der Mutter bestimmt; denn alle lebendigen Glieder

Widersprechen sich nie und wirken alle zum Leben. Also bestimmt die Gestalt die Lebensweise des Tieres, lind die Weise zu leben, sie wirkt auf alle Gestalten Mächtig zurück. So zeiget sich fest die geordnete Bildung, Welche zum Wechsel sich neigt durch äußerlich wirkende Wesen. Doch im Innern befindet die Kraft der ediern Geschöpfe

Sich im heiligen Kreise lebendiger Bildung beschlossen. Diese Grenzen erweitert kein Gott, es ehrt die Natur sie; Denn nur also beschränkt war je bad Vollkommene möglich. Doch im Innern scheint ein Geist gewaltig zu ringen, Wie er durchbreche den Kreis, Willkür zu schaffen den Formen Wie dem Wollen; doch was er beginnt, beginnt er vergebens.

Denn zwar drängt er sich vor zu diesen Gliedern, zu jenen, Stattet mächtig sie aus, jedoch schon darben dagegen Andere Glieder, die Last des Übergewichtes vernichtet Alle Schöne der Form und alle reine Bewegung.

Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen Vorzug Irgend gegönnt, so frage nur gleich, wo leidet es etwa Mangel anderswo, und suche mit forschendem Geiste; Finden wirst du sogleich zu aller Bildung den Schlüssel.

Denn so hat kein Tier, dem sämtliche Zähne den obern Kiefer umzäunen, ein Hom auf seiner Stirne getragen,

Und daher ist den Löwen gehömt der ewigen Mutter Ganz unmöglich zu bilden, und böte sie alle Gewalt auf; Denn sie hat nicht Masse genug, die Reihen der Zähne Völlig zu pflanzen und auch Geweih und Hörner zu treiben.

Dieser schöne Begriff von Macht und Schranken, von Willkür Und Gesetz, von Freiheit und Maß, von beweglicher Ordnung,

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Lyrische Po esie.

Vorzug und Mangel erfreue dich doch: die heilige Muse Bringt harmonisch ihn dir, mit sanftem Zwange belehrend. Keinen höhern Begriff erringt der sittliche Denker, Keinen der thätige Mann, der dichtende Künstler; der Herrscher, Der verdient es zu fein, erfreut nur durch ihn sich der Krone. Freue dich, höchstes Geschöpf der Natur, du fühlest dich fähig, Ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich ausschwang, Nachzudenken. Hier stehe nun still und wende die Blicke Rückwärts, prüfe, vergleiche und nimm vom Munde der Muse, Daß du schauest, nicht schwärmst, die liebliche, volle Gewißheit. (Goethe.

4. Aus Schesers Larenbrevrer. Die kleinste Sache kannst du gut verrichten, Die kleinste schlecht. Aus lauter kleinen Dingen Besteht der Tag, bestehen alle Tage, Besteht das Leben. Damm warte nicht Mit deiner Weisheit, deiner Redlichkeit, Bis große Dinge mit Posaunen kommen! An jedes wende du dein ganz Gemüt, Die ganze Seele, alle Lieb' und 2reu". Den Stempel, den du jedem ausgedrückt, Den siehst du, und er kommt dir wieder vor Wie alte Münzen, jed' aus andrer Zeit, Mit deinem Bildnis, und du freust dich dran! So wendet an ein jedes kleinstes Blümchen Die Sonne ihre ganze Kraft ein Weilchen, Die Erde ihren ganzen Fleiß, wenn auch Nur kurz, und jedes prangt ihr schön geschmückt! Und so bezwingt sie Tag für Tag das Jahr. Wer nur den Tag gewinnt, der hat dieSchlacht Gewonnen! Du gewinne Augenblicke! Denn hast du jeden Augenblick besiegt, Hast du das ganze Leben dir gewonnen, Das ganze Leben dir geschmückt, dir leicht Die ungeheure Last der Zeit gemacht! So trägt ein Kind den Baum in Spänen fort. Das Leben ist nicht schwer dem immer Guten, Allein dem selten oder oft nur Guten Verwirrt es sich wie dem verschlafnen Weber! Das Leben ist so leicht dem immer Guten! Versäume keine Pflicht und übernimm Nicht eine neue, bis du allen alten Genuggethan! WaS sich mit diesen nicht Verträgt, das weise von dir; sonst verwickelst

Du dich in Dornen, die du nicht mehr lösest. Sprich nicht: Ich muß voran im Leben, muß In gleichem Schritt mit allen andern wandeln! 2 glaube mir, wie du die Menschen siehst, Das ist nur ihre äußere Gestalt, So, wie und wo die Zeit sie mitgesührt, Der Feige gleich da, wo der Baum sie trieb Doch, wo und wie sie selber sich empsinden, Ob sie, der Feige gleich, nach ein'ger Zeit Gut abgeblüht — ihr Jnn'res siehst du nicht! Der Greis dort mit dem einen Fuß im Grabe Ist noch ein Kind; er kann mit aller Kraft Glicht aus dem Jugendhain: er hat der Mutter Einst Herzeleid gethan. Die Witwe dort Ist noch nicht Braut: sie hat des Vaters Rat Einst rauh und bös verschmäht. Doch sieh! der Jüngling, Der, dort mit seinem Pfluge Acker stürzend, Des armen Vaters Schulden treu bezahlt, Er ist schon alt, so alt wie Kindesliebe lind Tugend, so beseligt wie die Frommen Und hat ein groß Vermögen sich erworben: Nichts zu begehren, was er nur als Schuld Besäße, nichts zu scheuen, was ihn ruhig Auf seinem Lager schlummern läßt. Mein Kind, Die Weisheit nur hat Augen; alle Thoren Sind blind! Dmm sieh: versäume keine Pflicht!

Ein großes, göttliches Bewußtsein nur Gehört zu göttlicher Zufriedenheit, Daß wir nicht das nur sind, was wir erscheinen, Nicht das nur haben, was wir bloß besitzen. Ein jedes Menschenleben bildet sich

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L e (jrgebi ch t. Den Gegensatz, und jeder lebt im Geiste Das, was er in der Wirklichkeit nicht lebt

Und jäh verschwinden, wo wir erst verschwan­

den, So wird der Reiche arm und muß es werden Zn Schaum und Donner, in den Strom derDurch Arme, die er vor sich sieht, ihn schützt Welt. Davor nicht eignes Gold! So wird der Arme Fast überreich durch jene tausend Schätze,

Die Schönheit ist ein Kind der steten Seele

Die er vermißt! Ihm schadet dabei nicht Und kräftiger Gesundheit. Freie Völker, Die Armut. Nein! Vergrößert durch die Die Edles dachten, Großes, einfach lebten, Thränen

Glänzt ihm die Welt.

Dem Reuigen erscheint

Sie

waren

schön

in Masten. Willst Schönheit,

du

Zn seiner heil'gen Reinheit erst der Gott, So gieb dem Volke Freiheit, edlen Sinn, Weil er der Sünder ist! Drum lebt es sich Beschäftigung, die Großes wirkt. Die Mensch­ so schön heit, Auf dieser Erd' im Gegensatz des Himmels, Schon auf dem Weg zur Freiheit, weil sie reiner Der wie ein Bild uns vorschwebt, einer Glocke Und edler denkt und wahrer schaut und lebt, Gleich uns bedeckt! Und auch dies schöne Bild, Zst auf dem Weg ins Reich der Schönheit, das

Der Gegensatz, gehört zum Menschendasein, Nm uns mit allen Wesen zu verbinden Und ihres Wesens teilhaft uns zu machen.

schönheit Zst nur der Abdruck innrer Seelenschönheit,

So leben wir im Sinn der ganzen Welt, Zu der die inn're Seligkeit gehört, Und sind zufrieden, wenn wir das erkannt.

Wie aus dem edlen Stamm die edle Frucht wächst. O welche Güter wird die Menschheit einst

Auf Erden einst rings blüht; denn LeibeS-

Zugleich erwerben und zugleich genießen! Don selbst ist alles ewig. Damm war es Das höchste Meisterstück, Vergängliches Mit Ehrfurcht grüße jedes Menschenhaupt, Hervorzubringen, etwas, das nicht scheine Das in der Sonne dir entgegenwandelt, Schon dagewesen, was verschwunden scheine, Za jedes Kind, das, aus der heil'gen Urwelt Vielleicht verschwunden sei, wenn's nicht mehr Hervorgegangen, alt wie diese Erde, Zung wie die Blumen, an der Erde still da ist, Und was doch, wunderbar, den Raum er­ Mit Blumen spielt. Denn weißt du, wer es ist? ES ist ein Wunder wie die Blume, nur füllend, Die Zeit ausdauemd, ganz unleugbar da sei. Ein größeres und lieblichers. Und willst du, Den unergründlich tiefen See der Kräfte Ließ dämm einst der Meister überströmen

Zu unaufhörlich breitem, vollem Sturze

So grüße auch die Rose! Willst du auch, So küffe sie „im Namen Gottes!" Geh' Glicht stumm und dumpf am Steine selbst

vorüber; Schweigend 'Nun stürzt der See und wirst ein ruhig Bild Denn wisse, schau und fühle, glaube wahrhaft: Aus immerfort zum Abgmnd flieh'nden Masten; „Sie sind!" Du träumst ein Sandkorn nicht hinweg, Hell blitzt er in der Sonne; fest, nie wankend Steht auf dem ew'gen Sturz der Regenbogen ES ruht und glänzt im Sonnenreich vor dir; Sie sind in einem Himmelreich mit dir, Und deckt mit heitren Farben Grauses zu.

Zn unabsehlich jähe Tiefe.

Wir schiffen droben auf dem uferlosen,

Sie sind Genoffen deines Lebens, sind

Ratlosen See, still, unaufhaltsam nah

Wie du in diesen festen Zauberhallen, Daraus sie nichts verbannt, noch je vernichtet,

Und näher und in seinen Sturz gezogen Und fingen Lieder, Abschiedslieder an

Darin sie bleiben, wie sie sich auch wandeln. Die Lieben, die fern hinter uns noch schiffen, Was da ist, ist ein unausstaunbar Wunder. Die bald auch singend an den Sturz gelangen Und nullst du nun, entblöße auch dein Haupt

Lyrische Poesie.

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SM vor dem Greise, den sie sanft im Sarge Und schafft sie für ein Schönes uns noch Willst du eine Thräne Schönres: -Ihm weinen oder dir, vielleicht der Erde, Wir können unsre Neigung treu- bewahren

Dorübertragen!

Vergiß nur nicht der Seligkeit dabei, Selbst für die Puppe, die aus unsrer Kindheit Des Wunders, das sie dir ins Auge trieb! Uns ansieht wie mit über uns Erwachs'ne Erstaunten großen Augen! Wie viel mehr Bleibt uns die Liebe! Liebe für die Freiheit, An alles leget die Natur die leise,

Doch unabwehrbar starke Hand; sie legt sie Das Wahre, Schöne, das wir je erblickt! An eines Kindes liebliches Gebild, Mehr kann man nicht verlangen von dcni Wie an die Rosenknospe, und sie schasst Besten! Sie beide voll und reif zu Mann und Rose, Dao ist die große Lehre für den Menschen. So daß du Kind und Knospe nicht mehr tarnst! Sie legt sie an die Nacht und an die Sonne Das ist nicht Seelengröße, Stärk' und

lind pflückt sie wie ein Tausendschön am Him­ Fassung, mel; Wenn du das außerordentliche Unglück, Sie legt sie an den Frühling, an den Herbst, .Entscheidend letzte, schwere Schicksalsschläge, An jedes Jahr, an alles, was den Menschen Verlust der Ehre, deines Hab' und Gutes, Von früher Kinderzeit umgab und mit ihm Des Lebens deiner Lieben, der Gesundheit

Und Freude nun auf immerdar erfährt ward; Sie legt sie an den Greis und an sein Silber­ Und ruhig bleibst, gelassen und geduldig: haar, Sie legt sie an die Toten noch im Erdschoß Und macht ihr moderndes Gebein zu Staub; Mehr kann man nicht erfahren von dem Ärgsten!

Das ist nur Not und Nötigung dem Geiste. Gewaltiges ertragen läßt dich klein!

Doch wenn du jedes Tages kleinere Bedrängnis, Sorg' und Widerwärtigkeiten Nicht herb empfindest, nicht verzagt und schwach An eines aber legt Natur die Hand nicht: Im Mut das Kleine freudig trägst und lebst:

Sie legt sie nicht an unsres Herzens Neigung! Das, liebe Seele, erst ist Seelengröße, Sie legt sie nicht an unsres Geistes Güter, Ist Stärke, Fasiung, göttliches Bezeigen; An Freiheit, Liebe, Wahrheit und sein Schö­ Denn Kleines könntest du auch nicht ertragen, Es schmähen, dich geringer noch bezeigen nes! An diese legt sie nur der freche Mensch AIs da dein Schicksal. Darum brauch', o Herz, Dem Menschen, daß er ihm die Welt verderbe. Den Mut, dieKraft, die Milde und die Freude, Und löst Natnr uns Helles auf in Hellres

5.

Wo du sie einzig brauchen kannst, im Kleinen.

Der Weg der Erde.

Der Vater mit dem Sohn ist über Feld gegangen;

Sie können, nachtverirrt, die Heimat nicht erlangen. Nach jedem Felsen blickt der Sohn, nach jedem Baum, Wegweiser ihm zu sein im wegloS dunklen Raum.

Der Vater aber blickt indessen nach den Sternen, Als ob der Erde Weg' er woll' am Himmel lernen.

Die Felsen blieben stumm, die Bäume sagten nichts; Die Sterne deuteten mit einem Streifen Lichts, Zur Heimat deuten fie.

Wohl dem, der traut den Sternen!

Den Weg der Erde kann man nur vom Himmel lernen.

:H Ücker t.

Lehrgedicht.

6.

481

Der Mensch im Wollen.

Wir find nicht, um zu sein; wir werden, Vom Lufthauch überweht, vom Sonnenstrahl um zu werden. umlodett, Die Ströme rauschen fort; die Sonnen und Und jbiefe tote Wildnis fodert Das Leben erst von unsrer Hand. die Erden,

Sie gehn nach ewigen Gesetzen ihren Pfad. Wer Dasein nur begehrt, den ruft vergebens

Kein Wollen dort, fie sind. Im Menschen Der lauteStundenschlag zum heiligstenGewinn; lebt ein Wille; Er lebt vom bloßen Pflichtteil seines Lebens Er selbst ist sein Gesetz, ein Sohn der eignen Und giebt die volle Erbschaft hin. Fülle; Er schleppt, des Staubes Unterjochter, Er ist durch die Natur und lebt durch seine Ein wenig Staub durch Raum und Zeit. Nur Thätigkeit, entschlosi'ne Thättgkeit, That. Wir werden das, was wir zu werden lernten; Die heitre, freie Lebenstochter, Der Mensch ist seine Frucht aus seiner eignen Sie hält ihn fest, den Geist der Stunden, die

Saat; entflohn. Was Menschen säen, werden Götter ernten; Wie jene Götttn ihren Sohn, Gott spricht durch seine Wett, der Mensch durch Taucht sie das Leben in die Fluten Der weihenden Unsterblichkeit; seine That. Drum wo wir stehn, wir stehn an einer Sie macht zur Ewigkeit die Zeit heil'gen Stelle, Und rettet sterbende Minuten. Die zu dem seligen Herus uns weiht, So laß denn in der Gegenwart Die hehre Zukunft unS umfangen! Zu schöpfen aus der reinen Quelle Sie waltet hier schon, wo die Seele noch ge­ Der freien Lebensherrlichkeit. Die Quelle wird zum Strom, und was an fangen

ihm gedeiht, Sn einem engen Kerker Ham, Zum Leben hier gedeiht, geht nicht in ihm Der höher« Freiheit hartt, zu welcher wir berufen verloren; Er trägt es hin zu einem sichren Port. Und innig eingeweihet sind, Der Freiheit, welche hier auf den Vollendungs­ Vermittlerinnen sind die Horen: So wunderbar wird aus dem Hier das Dort stufen Der Erdenpilgerschaft beginnt. Mit Mutterähnlichkeit geboren. Zum freien Manne reift das Kind. Das Dasein ist ein unbebautes Land, Aus Tiedge- Urania.

7.

Aus Rückerts Weisheit des Brahmanen.

1. Viel weniger ist, was du hast gelernt, mein Sohn, Als was du hast gethan, und mehr hast du davon.

Was du gelemet, mußt du fürchten zu vergeffen; Was du gethan, von selbst erinnerst du dich deffen. Es mag dich nun erfreun, es mag dich nun gereun, Von selber wird sich die Erinn'rung dir erneun. Einmal geschrieben, ist's nicht wieder auszustreichen, Und in des Lebens Buch steht es als ew'ges Zeichen.

Drum, was du schreibest, denk', ob du es immer sehn

Bor Augen möchtest, nie es wünschen ungesehn. Einmal geschrieben, ist's nicht wieder umzuschreiben; Dielitz u. Heinrichs, Hand-, d. deutschen Litteratur.

4. Aust.

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Lyrische Poesie. Und streichest du's auch aus, so bleibet doch der Kratz, Und Neues läßt sich nie rein schreiben an dem Platz.

2. Es ist ein alter Spmch: Das beste Leichentuch

Ist Redlichkeit, sie würzt den Tod mit Wohlgeruch. Es ist ein alter Spmch: Wenn sie mit dir nun schreiten Zu Grabe, werden sie verschieden dich begleiten. Dein einer Freund, dein Gut, bleibt hinter dir im Haus;

Dein andrer Freund, dein Ruhm, fliegt in die Welt hinaus. Dein dritter Freund, dein Freund, begleitet dich ans Grab Und kehret um, sobald er warf die Scholl' hinab.

Die Liebe schickt vielleicht dir ein paar Thränen nach Doch auf der großen Reis' ist dies Geleite schwach.

Ein gut Gewissen nur wird bei der Hand dich fassen, Nur der Geleitsmann wird dich nimmermehr verlassen.

Und was du Gutes hast vorausgesandt mit Beten, Tritt dir entgegen dort und wird dich dort vertreten.

3. Sechs Wörtchen nehmen mich in Anspruch jeden Tag: Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag. Ich soll, ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben, Das Ziel, nach welchem ich bin von mir selbst getrieben. Ich muß, das ist die Schrank', in welcher mich die Welt Von einer, die Natur von andrer Seite hält. Ich kann, das ist das Maß der mir gelieh'nen Kraft, Der That, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft. Ich will, die höchste Kron' ist dieses, die mich schmückt,

Der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrückt. Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel, Beim aufgethanen Thor der Freiheit auch ein Riegel. Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt,

Ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt. Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag, Die Sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag. Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag Ich soll, ich muß, ich kann, ich , will, ich darf, ich mag.

4. Schön ist der Tropfen Tau am Halm und nicht zu klein, Der großen Sonne selbst ein Spiegelglas zu sein.

Schön ist das Bächlein dann, das kaum zu küssen wagt Die Blum' und, murmellaut zu werden, halb noch zagt. Und schön ist auch der Strom, der sich mit Kraft ergießt, Im Spiel der Woge sich mit Rauschen selbst genießt.

Und so freu’ immer dich, wenn Schönes dir und Gutes Quillt, Tau, Bach oder Strom, perl' oder riesl' und flut' es.

Lehrgedicht.

483

5. Es strömt ein Quell aus Gott und strömt in Gott zurück, Der Einstrom hohe Luft, der Ausftrom höchstes Glück. Er strömet in dich ein durchs offne Thor der Sinnen Und strömet aus dadurch und nimmt dich mit von hinnen. Durchs Auge strömt er ein als Licht, daß er verkläre

Dein Innres, und entströmt verklärt als Freudenzähre.

Den Geist zu wecken, strömt er ein als Thon durchs Ohr Und strömt aus deinem Mund als Dankgebet hervor; Ein strömt er dem Geruch als Lenzduft, Sehnsuchtshauch

Und strömt im Atem aus als Seufzeropferhauch. Er strömt durch den Geschmack ins Mark und ins Gehirne, Und als Gedanke tritt er leuchtend aus der Stime.

Er strömt als irdischer Empfindungen Gewühle Ins Herz und aus der Brust als himmlische Gefühle. Du fühlest: Was du bist, ist er in dir, nicht du;

Und strömst in dem Gefühl dich deinem Urquell zu.

11. Die Gnome. Die Gnome, das Lehrgedicht in seiner kleinsten Gestalt, spricht, ohne sich an ein bestimmtes Objekt anzulehnen, in kürzester, dem Gedächtnis leicht einzuprägender Form eine Weisheitslehre, eine Sentenz, eine bedeutsame Erfahrung oder Bemerkung aus. Oft erscheint sie in dem elegischen Distichon und wird darum auch kurzweg Distichon genannt, ost in der Vierzeile, ohne jedoch an eine dieser beiden Formen gebunden zu sein.

1.

Sprüche von Logan.

Menschlich ist es, Sünde treiben; Teuflisch ist's, in Sünden bleiben; Christlich ist es, Sünde Haffen; Göttlich ist es, Sünd' erlassen. Auf was Gutes ist gut warten, Und der Tag kommt nie zu spat, Der was Gutes in sich hat: Schnelles Glück hat schnelle Fahrten.

Hoffnung ist ein fester Stab Und Geduld ein Reisekleid, Da man mit durch Welt und Grab

Wandert in die Ewigkeit.-

Abermals ein neues Jahr! Immer noch die

Gottes Güt' ist immer neu, immer alt ist unsre Schuld; 'Reue Reu' verleih' uns, Herr, und beweis'

uns alte Huld! Ein versöhnter Feind, Ein erkaufter Freund Sind zu einer Brücke

Ungeschickte Stücke. Ohn' Ursach' sollen wir nie zücken unsern

Degen: Ohn' Ehre sollen wir ihn drauf nie stiederlegen. Willst du fremde Fehler zählen, heb' an

alte Not! deinen an zu zählm: O, das Alte kommt von uns; und das Neue Ist mir recht, dir wird dieWeile zu den fremden kommt von Gott.

Fehlern fehlen.

Lyrische Poesie.

484 2.

I» ein Stammbuch.

Wer Freunde sucht, ist, sie zu finden, wert; Wer keinen hat, hat keinen noch begehrt.

Messing.

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3.

Spruch.

Man würze, wie man will, mit Widerspruch die Rede: Wird Würze nur nicht Kost und Widerspruch nicht Fehde.