116 67 4MB
German Pages 718 [745] Year 2009
Weber· Ehrich · Surrnester · Fröhlich
Handbuch der arbeitsrechtlichen Aulhebungsverlräge
.
Handbuch der arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträge Arbeits-, Dienstvertrags-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht Mitbegründet von
Ulrich Weber t Fachanwaltfür Arbeits rech~ Köln Fortgeführt von
Dr. Christian Ehrich Richter am ArbG, Köln
Antje Surrnester Fachanwältin für Arbeitsrech~ Köln
Dr. Oliver Fröhlich Fachanwaltfür Arbeits rech~ Köln
5. neu bearbeitete Auflage
2009
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Dr.OttoSdunidt Köln
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verz:eiclmet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 info®otto-schmidt.de www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-42014-7 ©2009 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Ühersetzungen, Mikroverfilml.lilge11 und die Einspei.chenmg und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort Aufhebungsverträge sind im Arbeits- und Wirtschaftsleben nach wie vor von ungebrochener und herausragender Bedeutung. Wegen ihres Vorteils, die Unwägbarkeiten von langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Rechtfertigung einer Kündigung zu vermeiden, bilden Aufhebungsverträge ein praktisches, nützliches und auch wirtschaftlich vernünftiges Instrument in der betrieblichen Praxis. Seit der Vorauflage sind bereits gut fünf Jahre vergangen, während derer der Gesetzgeber und die Rechtsprechung nicht untätig geblieben sind. Deshalb wurde es Zeit, das Handbuch zu überarbeiten und zu aktualisieren. Mit der inzwischen 5. Auflage des Handbuchs der arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträge, das wie gewohnt die mit der Vertragsaufhebung in Zusammenhang stehenden arbeitsrechtlichen, dienstvertragsrechtlichen, sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Fragen anspricht, werden aktuelle, praxisnahe und umfassende Hilfestellungen gegeben, die sowohl den betrieblichen Praktiker als auch seinen Berater in die Lage versetzen, Aufhebungsverträge taktisch versiert und im Ergebnis rechtssicher zu verhandeln, womit sich später unliebsame Überraschungen vermeiden lassen. Köln, im Juli 2009 Christian Ehrich
Antje Burmester
Oliver Fröhlich
V
Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLVII
Teil 1 Die arbeitsrechtlichen Grundlagen der Beendigung von Anstellungsverhältnissen Rz.
Seite
I. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
2
II. Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
6
III. Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers . . . . . .
90
31
IV. Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes und deren Auswirkungen auf Aufhebungsverträge . . . . . . . . . . . 124
42
Teil 2 Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen I. Auslegung, AGB- und AGG-Kontrolle von Aufhebungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
235
II. Inhalt von Aufhebungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
241
Teil 3 Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen 1. Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
349
2. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
352
3. Rücktritts- und Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
372
4. Fristlose oder ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
375
5. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
377
VII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
94
377
7. Unzulässige Rechtsausübung wegen „Überrumpelung“ . . . . 117
383
8. Prozessuale Folgen bei Unwirksamkeit oder Beseitigung des Aufhebungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
386
6. Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 4 Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz I. Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung . . . . . . . . . . . . . . .
1
391
II. Aufhebungsvertrag bei Insolvenz der Arbeitgeberin . . . . . . .
28
407
I. Zuständigkeit für den Abschluss von Aufhebungsverträgen .
1
411
II. Beendigungstatbestände bei Organvertretern . . . . . . . . . . . .
43
420
III. Voraussetzungen für die Abberufung und außerordentliche Beendigung des Anstellungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
426
IV. Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern . . . . . . 128
442
V. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
471
VI. Anwendbarkeit der Regelungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz für Organvertreter? . . . . . . . . 279
480
Teil 5 Aufhebungsverträge mit Vorstandsmitgliedern und GmbH-Geschäftsführern
Teil 6 Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
483
II. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
484
III. Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit . . . . . .
56
503
IV. Sozialversicherungsrechtliche Behandlung einer Abfindung .
63
506
V. Übersicht über Ruhens- und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
507
VIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
70
508
VII. Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
520
VIII. Erstattung des Arbeitslosengeldes durch den Arbeitgeber bei älteren Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
545
IX. Bezug von Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
548
X. Krankenversicherungsrechtlicher Schutz nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
568
XI. Exkurs: Altersteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
573
VI. Ruhenszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 7 Steuerliche Behandlung von Abfindungen I. Abschaffung der Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 9 EStG . . . . . . .
1
597
II. Steuerbegünstigung von Entschädigungen gemäß §§ 24, 34 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
598
III. Steuerfreiheit von Entschädigungen gemäß AGG . . . . . . . . . 114
626
IV. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
631
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
637
IX
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLVII
Teil 1 Die arbeitsrechtlichen Grundlagen der Beendigung von Anstellungsverhältnissen Rz.
Seite
I. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
2
II. Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
6
1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
6
2. Zustandekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
13
a) Angebot und Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umdeutung einer Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . c) Verzicht auf Kündigungsschutzklage . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 43 47
13 14 15
3. Aufhebungsverträge mit Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . .
50
16
4. Bedingte und befristete Aufhebungsverträge . . . . . . . . . . . . .
53
17
5. Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
22
6. Verminderte Erwerbsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
26
7. Gerichtliche Aufhebungsverträge (Prozessvergleiche) . . . . . .
81
27
III. Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers . . . . . . .
90
31
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
32
a) Beendigung auf Initiative des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . b) Beendigung auf Initiative des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . .
92 95
32 32
2. Sozialrechtliche Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
34
3. Steuerrechtliche Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
36
4. Verlust von Versorgungsanwartschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 107
36 XI
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
5. Besonderer Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
39
6. Rücktritts- und Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
39
7. Rechtsfolgen bei Verletzung von Hinweis- und Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
39
8. Abdingbarkeit der Hinweis- und Aufklärungspflichten . . . . . 120
41
IV. Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes und deren Auswirkungen auf Aufhebungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
42
1. Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
43
2. Form der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
44
3. Begründung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
46
4. Zugang der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
48
5. Ort und Zeit der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
53
6. Zurückweisung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
55
7. Kündigungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
57
8. Der allgemeine Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
66
a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betrieblicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . bb) Beschäftigtenzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Dauer des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . dd) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . ee) Wirksamkeit von Kündigungen bei fehlendem Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sozialwidrigkeit der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . aa) Personenbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Negative Gesundheitsprognose . . . . . . . . . (2) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Betriebsablaufstörungen . . . . . . . . . . . . . . (b) Erhebliche wirtschaftliche Belastung . . . . . (3) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhaltensbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . . cc) Betriebsbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Dringende betriebliche Erfordernisse . . . . . (2) Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (3) Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
205 212 215 222 226
67 69 70 73 76
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
229 237 242 247
77 81 83 84
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
256 257 262 271 273 282 300 301 310 322
88 88 89 92 95 97 106 106 110 116
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . 355
128
. . 367
131
. . 370
132
. . 372 . . 373 . . 375
132 132 133
. . . . . . . .
377 387 413 446 451 468 490 492
134 137 146 158 160 165 173 174
. . 493
174
. . 498
176
9. Besonderer Kündigungsschutz für bestimmte Arbeitnehmergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506
177
c) d) e) f) g) h) i)
a) b) c) d) e) f)
dd) Namentliche Bezeichnung der Arbeitnehmer im Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zeitpunkt des Entstehens des Abfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abfindungsanspruch bei Rücknahme der Kündigungsschutzklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Höhe des Abfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . ff) Mischtatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . Gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . Besonderheiten bei außerordentlicher Kündigung . . . . . Sonstige Unwirksamkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitende Angestellte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff des leitenden Angestellten in § 14 Abs. 2 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kündigungsrechtliche Besonderheiten bei leitenden Angestellten i.S. von § 14 Abs. 2 KSchG . . . . . . . . .
Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz . . . . . . Kündigungsschutz während der Elternzeit . . . . . . . . . . . . Kündigungsschutz nach dem Pflegezeitgesetz . . . . . . . . . Kündigungsschutz von Schwerbehinderten . . . . . . . . . . . Kündigungsschutz von Auszubildenden . . . . . . . . . . . . . Kündigungsschutz von Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern und anderen Organen der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . h) Tariflich „unkündbare“ Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . i) Sonstige Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . .
507 525 530 534 567
177 182 183 185 194
. 570
195
. 575 . 614
196 207
. 624
212
10. Anhörung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633
214
11. Anhörung des Sprecherausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
232
XIII
Inhaltsverzeichnis
Teil 2 Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen Rz.
Seite
I. Auslegung, AGB- und AGG-Kontrolle von Aufhebungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
235
1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
235
2. AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
235
a) Gegenstände der AGB-Kontrolle bei Aufhebungsverträgen b) Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Aufhebungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen der Unwirksamkeit einzelner Regelungen im vorformulierten Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . d) Entbehrlichkeit der AGB-Kontrolle von Regelungen des Aufhebungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
3
235
.
14
237
.
16
238
.
17
238
3. AGG-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
239
II. Inhalt von Aufhebungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
241
1. Mindestinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
241
2. Weitere Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit . . . . . cc) Annahmeverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstige Vergütungsbestandteile . . . . . . . . . . . . . . (1) AGB-Kontrolle von Widerrufs-, Anrechnungsund Freiwilligkeitsvorbehalten . . . . . . . . . . . . (2) Gratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) 13. Monatsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Jahresabschlussvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Treueprämie und Jubiläumszahlung . . . . . . . . (6) Anwesenheitsprämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Bonus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Tantieme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Provision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (10) Aktienoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Darlehen und Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ausschlussfristen, Verjährung und Verwirkung . . . b) Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Abfindungen . . . . . . . . . . . . . . . .
XIV
31
241
. . . . .
. . . . .
. . . . .
31 31 33 37 61
241 241 242 243 251
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
62 71 96 100 101 102 103 108 112 115 116 119 136 136
251 254 263 264 264 264 265 267 268 269 269 270 275 275
. . . 146
277
Inhaltsverzeichnis
c) d)
e)
f)
g) h) i)
j) k)
l)
m) n) o)
cc) AGG-Entschädigung als Alternative zur Abfindung? . . dd) Fälligkeit der Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Outplacement und Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einvernehmliche Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einseitige Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sozialversicherungsrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Urlaubsgewährung während der Auslauffrist . . . . . . . . bb) Urlaubsabgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Vorsorgliche“ Urlaubsgewährung bei Kündigung . . . . Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wettbewerbsverbot während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . cc) AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten . . . . . . . . . aa) Allgemeine Anspruchs- und Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit der Bindungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Besonderheiten beim Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . Dienstwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkwohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Werkmietwohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Werkdienstwohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff der „betrieblichen Altersversorgung“ . . . . . . . . bb) Verfallbarkeit und Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abfindung von Versorgungsanwartschaften . . . . . . . . . dd) Übertragung von Anwartschaften . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zulässigkeit der Zillmerung von Lebensversicherungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Übertragung von Versorgungsverbindlichkeiten auf eine Rentnergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Reichweite einer Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Dokumentation unverfallbarer Anwartschaften . . . . . . Geschäftsunterlagen und Arbeitsmittel . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnis und Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitspapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
147 150 153 156 156 162 166 169 172 172 183 192 193
278 278 280 280 280 282 284 285 286 286 289 291 292
193 197 211 214 217 219
292 293 298 299 300 300
220 225 231 243 244 260 262 266 269 270
301 302 304 308 308 312 312 314 314 315
273 284 300
317 320 323
313
325
317
326
319 320 326 327 358
327 327 328 328 337
XV
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . . . . . 363 . . . . . . 366 . . . . . . 369
337 338 339
. . . .
370 378 384 388
339 341 343 344
3. Musterverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
344
a) Kurzer Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 b) Ausführlicher Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
344 345
p) Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . q) Steuer- und sozialrechtliche Konsequenzen . . . . . . r) Ausgleichsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsqualität von Erklärungen in Ausgleichsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reichweite und Folgen von Ausgleichsklauseln cc) AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . s) Salvatorische Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Teil 3 Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen 1. Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
349
. . . . .
2 3 5 8 9
349 349 350 351 351
2. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) b) c) d) e)
Nichtigkeit nach § 105 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtigkeit nach § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtigkeit nach § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtigkeit eines Prozessvergleichs . . . . . . . . . . . . . . Folgen der Teilnichtigkeit eines Aufhebungsvertrages .
. . . . .
a) § 119 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 123 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arglistige Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerrechtliche Drohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Androhung einer Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . (a) Androhung einer ordentlichen Kündigung . . . . . (aa) Verhaltensbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . (bb) Personenbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . (cc) Betriebsbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . . (b) Androhung einer fristlosen Kündigung . . . . . . . (2) Androhung einer Strafanzeige . . . . . . . . . . . . . . (3) Androhung von Schadensersatzforderungen . . . (4) Androhung der Betriebsratsanrufung . . . . . . . . . (5) Abhängigmachen nicht geschuldeter Leistungen vom Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zeitdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anfechtungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVI
. . . . .
. . . . .
10
352
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
11 17 17 23 24 42 42 43 45 46 54 55 56
352 353 353 356 356 363 363 363 364 364 367 368 368
. . . . .
. . . . .
. . . . .
57 58 60 62 69
368 368 369 370 371
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
3. Rücktritts- und Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
372
a) Gesetzliches Rücktritts- und Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . b) Tarifvertragliches Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individualvertragliches Rücktritts- oder Widerrufsrecht . . .
73 76 78
372 373 374
4. Fristlose oder ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
375
5. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
377
6. Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
377
7. Unzulässige Rechtsausübung wegen „Überrumpelung“ . . . . . 117
383
8. Prozessuale Folgen bei Unwirksamkeit oder Beseitigung des Aufhebungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
386
Teil 4 Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz I. Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung . . . . . . . . . . . . . . . .
1
391
1. Betriebsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
392
. . . . . .
2 6 6 9 10 12
392 393 393 394 395 395
2. Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
397
3. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Voraussetzungen einer Betriebsänderung b) Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sprecherausschuss . . . . . . . . . . . . . . cc) Wirtschaftsausschuss . . . . . . . . . . . dd) Agentur für Arbeit . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
18
401
. . . . . .
18 19 22 24 25 26
401 401 402 404 404 405
II. Aufhebungsvertrag bei Insolvenz der Arbeitgeberin . . . . . . . .
28
407
a) b) c) d) e) f)
Aufhebungsvertrag als Entlassung . . . . . . Ausschluss im Sozialplan . . . . . . . . . . . . Begrenzte Wirkung der Ausgleichsklausel Anspruch auf Aufhebungsvertrag . . . . . . . Nachbesserungsklausel . . . . . . . . . . . . . . „Turboprämie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
XVII
Inhaltsverzeichnis
Teil 5 Aufhebungsverträge mit Vorstandsmitgliedern und GmbH-Geschäftsführern Rz.
Seite
I. Zuständigkeit für den Abschluss von Aufhebungsverträgen . .
1
411
1. Differenzierung zwischen Anstellungsvertrag und Organposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
411
2. Zuständigkeit für die Abberufung aus der Organposition . . . .
6
412
a) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsführer einer GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 12
412 412
3. Zuständigkeit für die Beendigung des Anstellungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
416
a) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsführer einer GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschäftsführer einer GmbH & Co KG . . . . . . . . . . . . . . .
26 36 42
416 418 419
II. Beendigungstatbestände bei Organvertretern . . . . . . . . . . . . .
43
420
1. Grundtypen der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
420
2. Vorzeitige Beendigung bei sog. „Koppelungsklausel“ . . . . . . .
45
421
3. Hinauskündigungsklauseln bei GesellschafterGeschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48a
423
4. Beendigung durch ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . .
49
424
a) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) GmbH-Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 59
424 425
III. Voraussetzungen für die Abberufung und außerordentliche Beendigung des Anstellungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
426
1. Aus Sicht der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
426
.
65
427
. . .
68 68 72
427 427 428
. .
80 80
430 430
a) Differenzierung zwischen wichtigem Grund zur Abberufung und wichtigem Grund zur außerordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen der Abberufung aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) GmbH-Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Materiellrechtliche Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags . . . . . . . . . . . . aa) Wichtiger Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVIII
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
89
433
2. Aus Sicht des Organvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
436
bb) Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Amtsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung des Anstellungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schicksal des Vergütungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Amtsniederlegung ohne Kündigung des Anstellungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Amtsniederlegung und Kündigung des Anstellungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 103 . 110 . 118
436 438 439
. 118
439
. 122
441
IV. Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern . . . . . . 128
442
1. Einfluss des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes . . . . . . 128
442
2. Abfindungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
443
a) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorzeitige Wiederbestellung . . . . . . . . . . bb) Deutscher Corporate Governance Kodex . cc) Einfluss des „Mannesmann-Urteils“ . . . . dd) CIC- bzw. COC-Regelungen . . . . . . . . . . b) Geschäftsführer einer GmbH . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
132 133 139 145 151 156
443 444 446 448 450 452
3. Tantieme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
453
a) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) GmbH-Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
453 455
4. Aktienoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
456
5. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
457
6. Betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
461
7. Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
464
8. D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
465
9. Ausgleichsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
467
10. Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
469
V. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
471
1. Rechtsweg bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied . . . . . . . . . . . . . . . 234
471
XIX
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
. . 237 . . 241 . . 250
472 472 473
. . 251 . . 256
474 474
2. Durchsetzungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
478
a) Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Urkundenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
479 479
VI. Anwendbarkeit der Regelungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz für Organvertreter? . . . . . . . . 279
480
1. Allgemeiner Kündigungsschutz nach Kündigungsschutzgesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
480
2. Besonderer Kündigungsschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
481
a) b) c) d)
Prorogationsvereinbarung gemäß § 2 Abs. 4 ArbGG . . . . GmbH & Co KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittanstellung im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umwandlung des Dienst- in ein Arbeitsverhältnis kraft Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ruhendes Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 6 Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
483
II. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
484
1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „arbeitslos“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Beschäftigungssuche“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfügbarkeit bei Arbeitsunfähigkeit . . . . . . bb) Arbeitslosmeldung bei Langzeiterkrankung . cc) Verfügbarkeit von älteren Arbeitslosen . . . . dd) Verfügbarkeit bei Studenten . . . . . . . . . . . . c) „bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet“ d) „die Anwartschaftszeit erfüllt“ . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Freie Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Mitarbeitende Gesellschafter . . . . . . . . . . . ff) Familienangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Wehrdienstleistende/Zivildienstleistende . . e) Antrag auf Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . .
XX
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
5
484
6 10 16 19 22 23 24 27 32 33 35 38 39 40 42 43
485 488 489 490 491 491 491 493 495 495 496 497 497 497 498 498
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
44
499
. . . . .
45 47 48 49 50
499 500 500 500 501
3. Höhe des Arbeitslosengeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
502
III. Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit . . . . . .
56
503
IV. Sozialversicherungsrechtliche Behandlung einer Abfindung . .
63
506
V. Übersicht über Ruhens- und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
507
VI. Ruhenszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
508
1. Ruhenszeitraum wegen Nichtbeantragung des vorgezogenen Altersruhegeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
508
2. Ruhenszeitraum wegen Urlaubsabgeltung . . . . . . . . . . . . . . .
73
509
3. Ruhenszeitraum wegen Verkürzung der Kündigungsfrist . . . .
78
510
a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist . . . (1) Zeitlich unbegrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorliegen der Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist . . . (3) Zeitlich begrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung . . . . b) Beginn und Dauer des Ruhenszeitraums . . . . . . . . . . . . . . aa) Beginn des Ruhenszeitraums nach § 143a SGB III . . . . bb) Berechnung der Dauer des Ruhenszeitraumes anhand der Abfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgen des Ruhenszeitraumes nach § 143a SGB III . . . . . . .
79 79
511 511
82
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87 88 90 92
514 514 515 516
93 99
517 518
4. Ruhenszeitraum wegen der Gewährung anderweitiger Sozialleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
519
2. Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeldleistungen . . . . . . a) Grundanspruch . . . . . . . . . . . . b) Wiederholte Arbeitslosigkeit . . c) Minderung der Anspruchsdauer aa) Minderung wegen Erfüllung bb) Minderung wegen Sperrzeit
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VII. Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
520
1. Sperrzeittatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
520
a) b) c) d) e) f) g) h)
Arbeitgeberkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigung nach § 1a KSchG . . . . . . . . . . . . . Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage . Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch nach § 613a BGB . . . . . . . . . . . . Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichteinhaltung der Kündigungsfrist . . . . . . . Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG . . . . .
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106 118 119 122 123 125 126 127
521 526 526 528 528 529 529 530
2. Wichtiger Grund i.S.von § 144 SGB III . . . . . . . . . . . . . . . . 128
530
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Wichtiger Grund für Abschluss eines Aufhebungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
530
3. Abwicklungsvertrag statt Aufhebungsvertrag? . . . . . . . . . . 143
538
4. Dauer der Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
540
533
5. Vorsorge im Aufhebungsvertrag im Hinblick auf eine Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
541
a) Formulierung des Aufhebungsvertrages . . . . . . . . . . . . . 150 b) „Versicherung“ gegen eine Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . 153
541 542
6. Folgen der Sperrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
544
VIII. Erstattung des Arbeitslosengeldes durch den Arbeitgeber bei älteren Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
545
1. Abschaffung der Erstattungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
545
2. Entwicklung der Erstattungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
545
IX. Bezug von Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
548
1. Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die gesetzliche Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
549
2. Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Regelaltersrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Altersrente für langjährig Versicherte . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Altersrente für schwerbehinderte Menschen und wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit . . . . 184 XXII
551 552 552 554
Inhaltsverzeichnis
d) Altersrente für Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitslosigkeit vor Rentenbeginn . . . . . bb) Acht Jahre Pflichtbeitragszeiten . . . . . . . cc) Erfüllung der fünfzehnjährigen Wartezeit dd) Stufenweise Anhebung der Altersgrenze .
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. . . . . . . . . . 192
557
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558 559 561 562 562
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196 199 204 209 210
3. Teilrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
563
a) Rentenrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Arbeitsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
563 564
4. Frühpensionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
565
a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Änderung des Arbeitslosengeldes während der Laufzeit der Frühpensionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 c) Formulierung der Frühpensionierungsvereinbarung . . . . . . 225
565 566 567
X. Krankenversicherungsrechtlicher Schutz nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
568
1. Krankenversicherungsschutz während des Bezuges von Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
569
2. Arbeitsunfähigkeit vor der Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . 233
570
3. Arbeitsunfähigkeit während des Bezuges von Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
571
4. Krankenversicherungsschutz nach Ablauf des Arbeitslosengeldanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
571
5. Beitragsberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
571
6. Arbeitslosigkeit und private Krankenversicherung . . . . . . . . . 239
571
XI. Exkurs: Altersteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
573
1. Voraussetzungen für Zuschüsse der Agentur für Arbeit im Rahmen der Altersteilzeit (Beginn spätestens am 31.12.2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
574
a) Berechtigter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . b) Verkürzung der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . c) Aufstockung der Teilzeitvergütung . . . . . . . . aa) Zusätzliche Rentenversicherungsbeiträge bb) Aufstockung des Teilzeitentgeltes . . . . . .
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248 250 260 261 263
575 576 578 578 579
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. . . . 271 . . . . 276 . . . . 278
581 583 584
2. Leistungen der Bundesagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
585
d) Einstellung eines Arbeitslosen oder Übernahme eines Ausgebildeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übernahme eines Arbeitnehmers nach Abschluss der Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Übernahme eines Arbeitslosen . . . . . . . . . . . . . . e) „Personalabbau mit Hilfe des Altersteilzeitgesetzes“ .
3. Steuerliche und sozialrechtliche Behandlung der Altersteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
588
a) Steuerliche Behandlung der Aufstockungsbeträge . . . . . . . . 287 b) Sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Aufstockungsbeträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 c) Arbeitslosigkeit im Anschluss an die Altersteilzeit . . . . . . 290
588
4. Arbeitsrechtliche Behandlung des Altersteilzeitvertrages . . . . 291
589
5. Änderungen des Rentenrechts im Zusammenhang mit der Altersteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
592
6. Mustervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
594
588 588
Teil 7 Steuerliche Behandlung von Abfindungen I. Abschaffung der Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 9 EStG . . . . . . . .
1
597
II. Steuerbegünstigung von Entschädigungen gemäß §§ 24, 34 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
598
1. Entschädigungstatbestände gemäß § 24 Abs. 1 EStG . . . . . . . .
8
598
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10 11
598 599
.... ....
19 25
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....
28
604
.... .... ....
34 35 40
604 604 605
....
41
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a) Entschädigungen gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1a EStG . . . . aa) Neue Rechts- oder Billigkeitsgrundlage . . . . . . . . bb) Steuerbegünstigung trotz Mitwirkung des Arbeitoder Dienstnehmers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kapitalisierung der Restlaufzeit . . . . . . . . . . . . . . dd) Beendigung befristeter Arbeits- und Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Beispiele für Entschädigungen i.S. des § 24 Abs. 1 Nr. 1a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kapitalisierung von Pensionsansprüchen . . . . . (2) Kapitalisierung von Pensionsanwartschaften . . (3) Schadensersatz wegen verweigerter Wiedereinstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIV
Inhaltsverzeichnis
b) Entschädigungen gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1b EStG . . . . . aa) Begriff und Abgrenzung zu § 24 Abs. 1 Nr. 1a EStG . bb) Hauptanwendungsfall: Karenzentschädigung bei Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entschädigungen gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1c EStG . . . . .
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... ...
42 43
606 606
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49 53
607 608
2. Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung gemäß § 34 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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54
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58 62 63 67 71 73 73
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76 77
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. 89 . 90 . 95 . 98 . 101
620 620 622 623 624
3. Abgrenzung zu steuerpflichtigen Zahlungen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
624
a) Weiterbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber . . . . . . . . . 104 b) Zahlungen durch den neuen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . 113
624 626
a) Berechnung nach dem Fünftelungsprinzip . . . . . . . . . . . . b) Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammenballung von Einkünften mehrerer Jahre . . . (1) Beispiele aus der BFH-Rechtsprechung . . . . . . . . . (2) Ausnahmen nach der BFH-Rechtsprechung . . . . . . (3) Unschädliche Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . bb) Konkretisierung durch BMF-Schreiben vom 24.5.2004 (1) Differenzierung nach Sachverhalten . . . . . . . . . . . (a) Zusätzliche Entschädigungsleistungen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Gewährung lebenslänglicher Bar- oder Sachleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Lebenslängliche betriebliche Versorgungszusagen . (d) Fürsorgegesichtspunkte: Aufstockung von Abfindungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Soziale Fürsorgegesichtspunkte: andere Zusatzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Planwidriger Zufluss in mehreren Veranlagungszeiträumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zusammenballung nur bei positiver Vergleichsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Durchführung der Vergleichsberechnung . . . . . . . . (c) Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Gestaltungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXV
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III. Steuerfreiheit von Entschädigungen gemäß AGG . . . . . . . . . 114
626
1. Steuerrechtliche Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
626
2. Diskriminierungsabrede im Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . 117
627
a) Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tatsächlich erlittene Diskriminierung bb) Nicht aufklärbare Diskriminierung . . . cc) Vorgetäuschte Diskriminierung . . . . . b) Gestaltungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . .
118 119 121 123 125
628 628 628 629 629
3. Risiko der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
630
IV. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
631
1. Durchführung des Lohnsteuerabzugs auf gezahlte Abfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
631
2. Lohnsteueranrufungsauskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
632
3. Rechtsfolgen bei fehlerhafter Lohnsteuereinbehaltung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
634
4. Abzugsfähigkeit der Anwalts- und Gerichtskosten als Werbungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
635
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
637
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Literaturverzeichnis Abeln/Gaudernack, Keine Altersrente nach Altersteilzeit bei völliger Freistellung schon während der Arbeitsphase im sog. Blockmodell, BB 2005, 43 Albicker/Wiesenecker, Sonderzahlungen und Stichtagsklauseln in Betriebsvereinbarungen, BB 2008, 2631 Andresen, Frühpensionierung und Altersteilzeit, 3. Aufl. 2004 Annuß, § 242 BGB als Fundament eines allgemeinen Kündigungsschutzes?, BB 2001, 1898 Annuß, Die rechtsmissbräuchliche Unternehmerentscheidung im Konzern, NZA 2003, 783 Annuß, Grundstrukturen der AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen, BB 2006, 1333 Annuß/Stamer, Die Kündigung des Betriebsveräußerers auf Erwerberkonzept, NZA 2003, 1247 Appel, Die „Junk“-Entscheidung des EuGH zur Massenentlassung – Nur eine Aufforderung an den Gesetzgeber?, DB 2005, 1102 Arnold/Fischinger, Kündigungsschutz und § 84 SGB IX – der Nebel lichtet sich!, BB 2007 Bachner, Sozialauswahl und Beteiligung des Betriebsrats bei unternehmensoder konzernweiten Verlagerungs- und Konzentrationsmaßnahmen, NZA 2006, 1309 Baeck/Diller, Altersgrenzen – Und sie gelten doch, NZA 1995, 360 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 8. Aufl. 2007 Bauer, Ausscheiden leitender Angestellter und Mitwirkung des Sprecherausschusses, BB 1991, 274 Bauer, Beseitigung von Aufhebungsverträgen, NZA 1992, 1015 Bauer, Freistellungsvereinbarungen: Neue sozialversicherungsrechtliche Spielregeln – Rechtsfolgen, Kritik, Alternativen, DB 2005, 2242 Bauer, Neue Spielregeln für Aufhebungs- und Abwicklungsverträge durch das geänderte BGB?, NZA 2002, 169 Bauer, Rechtliche und taktische Probleme bei der Beendigung von Vorstandsverhältnissen, DB 1992, 1413 Bauer, Rechtliche und taktische Probleme der Altersteilzeit, NZA 1997, 401 Bauer, „Spielregeln“ für die Freistellung von Arbeitnehmern, NZA 2007, 409 Bauer, Steuerliche Optimierung von Abfindungen, NZA 1991, 617 Bauer/Arnold, Abfindungs-Caps in Vorstandsverträgen – gute Corporate Governance?, BB 2007, 1793 Bauer/Arnold, AGB-Kontrolle von Vorstandsverträgen, ZIP 2006, 2337 Bauer/Arnold, Kein Kündigungsschutz für „Arbeitnehmer-Geschäftsführer“ – oder doch?, DB 2008, 350 Bauer/Arnold, Mannesmann und die Folgen für Vorstandsverträge, DB 2006, 546
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Abkürzungsverzeichnis a.F. AfA AFG AG AG AiB AktG Alt. ANBA Anh. AnwBl. AO AP ArbG ArbGG AR-Blattei ARB ArbNErfG ArbPlSchG ArbRB ArbuR ATZG AÜG AVG AZG
alte Fassung Absetzung für Abnutzung Arbeitsförderungsgesetz Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift), Aktiengesellschaft Amtsgericht Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Aktiengesetz Alternative Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit Anhang Anwaltsblatt (Zeitschrift) Abgabenordnung 1977 Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerke des BAG Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsplatzschutzgesetz Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Arbeit und Recht (Zeitschrift) Altersteilzeitgesetz Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Angestelltenversicherungsgesetz Arbeitszeitgesetz
BA BAG BAGE
Bundesagentur für Arbeit Bundesarbeitsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesarbeitsblatt (Zeitschrift) Betriebsberater (Zeitschrift) Berufsbildungsgesetz Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26.4.1985 Betriebsrentengesetz Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 Betriebsverfassungsgesetz vom 11.10.1952 Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Zeitschrift)
BArbBl. BB BBiG BEEG BeschFG BetrAVG BetrVG BetrVG 1952 BfA BFH BFHE BFH/NV
XLVII
Abkürzungsverzeichnis BGB BGBl. BGH BGHZ BImSchG BR BR-Drucks. BSG BSGE BStBl. BT BT-Drucks. BUr1G BVerfG BVerfGE BVerwG BVG DA DB DEVO
Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesimmissionsschutzgesetz Bundesrat Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessteuerblatt Bundestag Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Beamtenversorgungsgesetz
DNotZ DrittelbG DStR DStZ
Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit Der Betrieb (Zeitschrift) Verordnung über die Erfassung von Daten für die Träger der Sozialversicherung und für die BA (Datenerfassungs-Verordnung) Deutsche Notarzeitschrift Drittelbeteiligungsgesetz Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Steuerzeitschrift
EFG EFZG EStG EStR EuAbgG EuGH EWiR EzA
Entscheidungen der Finanzgerichte Entgeltfortzahlungsgesetz Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien Europaabgeordnetengesetz Europäischer Gerichtshof Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
FG FGO FR FS
Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Finanzrundschau (Zeitschrift) Festschrift
GewArch GewO GG
Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbeordnung Grundgesetz
XLVIII
Abkürzungsverzeichnis GKG GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB
Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbH-Steuerberater (Zeitschrift)
HGB
Handelsgesetzbuch
InsO
Insolvenzordnung
Jur.Büro
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L
Teil 1 Die arbeitsrechtlichen Grundlagen der Beendigung von Anstellungsverhältnissen Ein in der arbeitsrechtlichen Praxis gebräuchliches Mittel zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der gerichtliche oder außergerichtliche Aufhebungsvertrag. Die Gründe für den Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen sind vielseitig: Überwindung des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes, Verhinderung möglicher Publizität von verhaltensbedingten ordentlichen oder fristlosen Kündigungen, in erster Linie aber Vermeidung der Durchführung oder Fortsetzung von zeit- und kostenaufwendigen gerichtlichen Auseinandersetzungen und der damit verbundenen allgemeinen Prozessrisiken1.
1
Der Aufhebungsvertrag hat sich in der betrieblichen und gerichtlichen Praxis 2 als nützliches und wirtschaftlich sinnvolles Instrument zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwiesen. Nach außen wird bekundet, dass das einvernehmlich begründete und durchgeführte Arbeitsverhältnis – anders als bei der Kündigung – auch einvernehmlich beendet wird. Für den Arbeitgeber ist der Aufhebungsvertrag gegenüber der Kündigung insoweit von Vorteil, als der allgemeine und der besondere Kündigungsschutz für bestimmte Arbeitnehmergruppen – z.B. Betriebsratsmitglieder, Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung, Schwerbehinderte, Schwangere und Mütter nach der Entbindung sowie Arbeitnehmer in Eltern- und Pflegezeit – nicht eingreift, sowie ein längerer und u.U. auch unberechenbarer Kündigungsschutzprozess vermieden wird. Vor allem bei Rationalisierungsmaßnahmen stellen sich dadurch nicht die Probleme, die bei der im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen nach § 1 Abs. 3 KSchG stets vorzunehmenden sozialen Auswahl auftreten können. Der Arbeitgeber erhält die Möglichkeit, sich von weniger geeigneten Arbeitnehmern zu trennen und die für die Fortführung des Betriebs notwendige Alters- und Qualifikationsstruktur der Belegschaft aufrechtzuerhalten und ggf. zu verbessern2. Auf der anderen Seite kann der Aufhebungsvertrag aber auch für den Arbeitnehmer vorteilhaft sein, da er zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages regelmäßig nur gegen Zahlung einer – gesetzlich an sich nur ausnahmsweise in Betracht kommenden (vgl. §§ 1a, 9, 10 KSchG) – Abfindung bereit ist. Überdies ist die Beendigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer insbesondere dann von Vorteil, wenn er eine neue Stelle in einem anderen Unternehmen zu einem Zeitpunkt antreten will, den er wegen der für ihn bestehenden Kündigungsfrist nicht einhalten könnte. Auf diese Weise setzt er sich keinen Schadensersatzforderungen des Arbeitgebers wegen Verletzung der Arbeitspflicht während der bei einer ordentlichen Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfrist aus.
1 Vgl. Ehrich, DB 1992, 2239. 2 Vgl. Bengelsdorf, NZA 1994, 193.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 3
Arbeitsrechtliche Grundlagen
3 Der Aufhebungsvertrag ermöglicht sonach eine flexible und die unterschiedlichen Interessen der Parteien angemessen berücksichtigende Abwicklung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wegen der gütlichen Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Aufhebungsvertrag auch eine Befriedungsfunktion1. 4 Angesichts der geänderten Rechtsprechung des BSG zur Sperrzeitverhängung wegen Arbeitsaufgabe nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags2 und der daraufhin im Jahre 2007 erfolgten Lockerung der Dienstanweisungen der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich der Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld nach § 144 SGB III3 (siehe dazu im Einzelnen u. Teil 6 Rz. 103 ff.) dürfte dem oftmals „totgesagten“ Aufhebungsvertrag auch weiterhin ganz erhebliche praktische Bedeutung zukommen.
I. Zulässigkeit 5 Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 311 BGB) folgt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer jederzeit in zulässiger Weise das Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit Wirkung für die Zukunft beenden können4. Eine rückwirkende Beendigung des bereits vollzogenen Arbeitsverhältnisses zum Zwecke der Umwandlung der steuer- und beitragspflichtigen Arbeitsvergütung in eine steuer- und beitragsfreie Abfindung ist jedoch nicht möglich. Dagegen bedarf der Aufhebungsvertrag – anders als die Kündigung – nicht der Zustimmung einer staatlichen Behörde, etwa nach § 9 Abs. 3 MuSchG (hinsichtlich schwangerer Frauen), § 18 Abs. 1 BEEG (hinsichtlich Arbeitnehmern in Elternzeit), § 5 Abs. 2 PflegeZG (hinsichtlich Arbeitnehmern in Pflegezeit), §§ 85, 91 SGB IX (hinsichtlich Schwerbehinderten). Lediglich im Verteidigungsfall bedarf der Aufhebungsvertrag unter den Voraussetzungen der §§ 3, 7 ASistG der Zustimmung der Agentur für Arbeit. 6 Eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG vor Abschluss des Aufhebungsvertrages ist nicht erforderlich5. Gleiches gilt für die Anhörungspflicht gemäß § 31 Abs. 2 SprAuG, sofern es sich bei dem Mitarbeiter um einen leitenden Angestellten handelt. Allerdings hat der Arbeitgeber den Spre-
1 Bauer, I Rz. 7; Bengelsdorf, S. 3; Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, 577. 2 Vgl. BSG vom 12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359 = DB 2006, 2521. 3 Im Internet abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A07Geldleistungen/A071-Arbeitslosigkeit/Publikation/pdf/da-alg-p144.pdf. 4 BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; BAG vom 12.1.2000 – 7 AZR 48/99, NZA 2000, 718; BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 93/01, DB 2002, 1997; Bauer, Rz. 7; Ehrich, DB 1992, 2239 m. w. Nachw. 5 Kommen stattdessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer mündlich überein, dass zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine arbeitgeberseitige Kündigung ausgesprochen und sodann ein Abwicklungsvertrag geschlossen werden soll, ist allerdings der Betriebsrat vor dieser Kündigung nach § 102 BetrVG anzuhören, so ausdrücklich BAG vom 12.6.2005 – 1 ABR 25/04, NZA 2006, 48.
2 Ehrich
Zulässigkeit
Rz. 11 Teil 1
cherausschuss nach § 31 Abs. 1 SprAuG über den Aufhebungsvertrag mit einem leitenden Angestellten rechtzeitig zu unterrichten1. Der Aufhebungsvertrag mit einem betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträger setzt zu seiner Wirksamkeit nicht die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG voraus. Ebenso wenig greifen bei Aufhebungsverträgen mit Wehr- und Zivildienstleistenden die besonderen Kündigungsschutzvorschriften der §§ 2 ArbPlSchG, 78 ZDG ein.
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Auch die Vorschriften der §§ 77 Abs. 4 BetrVG, 4 Abs. 4 TVG stehen dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht entgegen2. Demgemäß ist auch der Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit solchen Mitarbeitern möglich, deren Arbeitsverhältnis aufgrund tariflicher Regelung ordentlich nicht mehr gekündigt werden kann.
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Anders als bei befristeten oder auflösend bedingten Arbeitsverträgen bedarf es für den Aufhebungsvertrag grundsätzlich keiner sachlichen Rechtfertigung (zu möglichen Ausnahmen s.u. Rz. 58 ff.). Ebenso wenig setzt der Aufhebungsvertrag zu seiner Wirksamkeit – im Gegensatz zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung – eine soziale Rechtfertigung i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG bzw. das Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S. von § 626 Abs. 1 BGB voraus. Da für den Aufhebungsvertrag das Einvernehmen beider Parteien des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist, bedarf es nicht derselben Sicherung zum Schutz des Arbeitnehmers, wie dies bei der einseitigen Beendigung durch Kündigung des Arbeitgebers erforderlich ist3.
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Vom Tatbestand der „anzeigepflichtigen Entlassungen“ i.S. der §§ 17 ff. KSchG und der damit verbundenen Anzeigepflicht bei der Agentur für Arbeit werden Aufhebungsverträge nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur dann erfasst, wenn sie vom Arbeitgeber veranlasst worden sind. In dem Fall müssen die formgerechte Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 3 KSchG) sowie das ggf. erforderliche Konsultationsverfahren mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung vor Abschluss des Aufhebungsvertrags erfolgen; anderenfalls ist der Aufhebungsvertrag u.U. unwirksam.
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Zwar konnte nach früherer Rechtsprechung des BAG die Massenentlassungsanzeige noch vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erstattet werden4. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 17 KSchG sollte nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung, sondern nur zur Unwirksamkeit der Entlassung führen5. Demgegenüber hat der EuGH in der sog „Junk-Entscheidung“ vom 27.1.20056 angenommen, dass die Art. 2 bis 4 der
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1 Ehrich, HwB-AR „Sprecherausschuss“, Rz. 153 m. w. Nachw. Zur umstrittenen Frage, wann die Unterrichtung zu erfolgen hat, s. Bauer, BB 1991, 274 f. 2 S. hierzu Bauer, I Rz. 10. 3 BAG vom 25.6.1987 – 2 AZR 541/86, NZA 1988, 391. 4 S. etwa BAG vom 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 144. 5 BAG vom 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375. 6 EuGH vom 27.1.2005 – C-188/03, NZA 2005, 213 – Junk (bezeichnenderweise steht „junk“ in der englischen Sprache für „Schrott“).
Ehrich
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Teil 1 Rz. 12
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen1 dahin auszulegen seien, dass bereits die Kündigungserklärung des Arbeitgebers als Entlassung gelte und der Arbeitgeber Massenentlassungen erst nach Ende des Konsultationsverfahrens i.S. von Art. 2 dieser Richtline und nach der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung i.S. der Art. 3 und 4 dieser Richtlinie vornehmen dürfe. Dem hat sich das BAG zwischenzeitlich in mehreren Entscheidungen unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung, die damit gegenstandslos geworden ist, angeschlossen2. Nach Auffassung des BAG sei § 17 Abs. 1 KSchG im Hinblick auf die eben genannte Richtlinie 98/59/EG vom 20.7.1998 richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Massenentlassungsanzeige vor Erklärung der Kündigungen erfolgen müsse. Nur soweit die Massenentlassungsanzeige im Einklang mit der früheren Rechtsprechung und Verwaltungspraxis erst nachträglich erstattet worden sei, könne sich der Arbeitgeber hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigungen auf Vertrauensschutz berufen, solange er von der geänderten Rechtsauffassung der Arbeitsverwaltung keine Kenntnis hätte haben müssen3. Für die betriebliche Praxis steht somit fest, dass die Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit nunmehr stets sowohl vor dem Ausspruch von Kündigungen als auch im Hinblick auf § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor dem Abschluss von Aufhebungsverträgen, soweit diese arbeitgeberseitig veranlasst sind, anzuzeigen ist. 12 Mit der Massenentlassungsanzeige hat der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, die zumindest die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 KSchG vorgeschriebenen Angaben enthalten muss, § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Die Anzeige ist schriftlich und unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. Eine beigefügte Stellungnahme des Betriebsrats ist zwar nach § 17 Abs. 3 Satz 1 und 2 KSchG Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Massenentlassungsanzeige. Ihr Fehlen führt aber nicht zwingend und dauerhaft zur Unwirksamkeit der Anzeige. Die fehlende Stellungnahme des Betriebsrats kann unter der Voraussetzung nachgereicht werden, dass der Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Anzeigeerstattung, also vor Vollständigkeit der Anzeige nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG, unterrichtet worden ist (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG). Ein vor der „Entlassung“ abgeschlossener Interessenausgleich erfüllt die Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 1 ABl. EG Nr. L 225 vom 12.8.1998, S. 16. 2 BAG vom 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971; BAG vom 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25; BAG vom 8.11.2007 – 2 AZR 554/05, BB 2008, 563. S. zu alledem Ferme/Lipinski, NZA 2006, 937 ff.; Dzida/Hohenstatt, DB 2006, 1897 ff.; Bauer/ Krieger/Powietzka, DB 2005, 445 ff. und BB 2006, 2023 ff.; Appel, DB 2005, 1002 ff.; Klumpp, NZA 2006, 703 ff. 3 BAG vom 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25; ähnlich BAG vom 8.11.2007 – 2 AZR 554/05, BB 2008, 563.
4 Ehrich
Zulässigkeit
Rz. 14 Teil 1
KSchG. Dagegen ist es weder nach nationalem Recht noch nach Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 EG-RL 98/59 Voraussetzung, dass außer der Unterrichtung des Betriebsrats und Beratung mit dem Betriebsrat auch eine Einigung vor „Durchführung der Massenentlassung“ erzielt worden sein muss. Auch nach der Rechtsprechungsänderung durch den EuGH, der unter „Entlassung“ nicht mehr die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist, sondern den Ausspruch der Kündigung selbst versteht, ist aus der Konsultationspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG keine Pflicht über den Umfang und die Folgen der Massenentlassung abzuleiten. Der Betriebsrat muss unterrichtet und es muss mit ihm beraten worden sein. Dagegen muss eine Einigung vor Durchführung der Massenentlassung mit ihm nicht erzielt werden1. Die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG hindert den Arbeitgeber ebenfalls nicht am wirksamen Abschluss von Aufhebungsverträgen nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige. Sie begründet lediglich einen Mindestzeitraum, der zwischen Anzeige und Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen muss2. Aufhebungsverträge, die im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang 13 zwischen dem Arbeitnehmer und dem alten oder neuen Betriebsinhaber geschlossen werden, sind ohne Rücksicht auf ihre sachliche Berechtigung als wirksam anzusehen, wenn sie auf ein endgültiges Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sind3. Dagegen ist ein Aufhebungsvertrag wegen objektiver Gesetzesumgehung der zwingenden Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gemäß § 134 BGB nichtig, wenn er lediglich die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses und die Verhinderung der Haftungsfolge des § 613a Abs. 1 BGB bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezweckt4. Ein „endgültiges Ausscheiden“ des Arbeitnehmers aus dem Betrieb kann auch dann vorliegen, wenn gleichzeitig ein Übertritt des Arbeitnehmers in eine sog. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vereinbart wird5. Ein Aufhebungsvertrag ist hier jedenfalls wirksam, sofern die mit einer solchen Vertragsgestaltung verbundenenVerschlechterungen der Arbeitsbedingungen – etwa zur Vermeidung einer Insolvenz – sachlich gerechtfertigt sind6. Eine Umgehung des § 613a BGB kann dagegen vorliegen, wenn die Übernahme in 1 So ausdrücklich BAG vom 21.5.2008 – 8 AZR 84/07, NZA 2008, 753. 2 Vgl. BAG vom 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, DB 2009, 515 = BB 2009, 725. 3 BAG vom 11.12.1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262; BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145; BAG vom 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866; BAG vom 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367. 4 BAG vom 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422; BAG vom 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 = DB 2008, 983 = BB 2008, 1175; BAG vom 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144. 5 BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145; BAG vom 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. S. dazu auch Ullrich, SAE 2007, 344 ff.; Podewin, FA 2007, 264 ff. Zur Durchgriffshaftung bei materiell unterkapitalisierter BQG s. BGH vom 28.4.2008 – II ZR 264/06, DB 2008, 1423 = BB 2008, 1697 m. Anm. von Möller; Heeg/ Kehbel, DB 2008, 1787 ff. 6 BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145.
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Teil 1 Rz. 15
Arbeitsrechtliche Grundlagen
eine Beschäftigungsgesellschaft nur zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt wird, die Sozialauswahl zu umgehen1. 15 Unabhängig davon kann ein Aufhebungsvertrag gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten werden, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer beim Abschluss des Vertrags vorspiegelt, der Betrieb solle geschlossen werden, obwohl tatsächlich ein (Teil-)Betriebsübergang geplant ist, wobei dies vom anfechtenden Arbeitnehmer darzulegen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber nachzuweisen ist2. 16 Solange die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags nicht wegen Anfechtung, Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grund beseitigt worden ist, hat ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund des Aufhebungsvertrags ausgeschieden ist, keinen Einstellungs-(Fortsetzungs-)Anspruch gegen den Betriebsübernehmer3.
II. Abschluss 1. Form 17 Während der Abschluss eines Aufhebungsvertrages früher grundsätzlich formlos möglich war, bedürfen Aufhebungsverträge seit dem 1.5.2000 gemäß § 623 BGB, der durch Art. 2 des Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetzes vom 30.3.20004 in das BGB eingefügt worden ist, zu ihrer Wirksamkeit stets der – konstitutiven – Schriftform5. Die Nichteinhaltung dieses gesetzlichen Schriftformerfordernisses führt nach § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages. 18 Dem in § 623 BGB geregelten Schriftformerfordernis für Aufhebungsverträge kommt zunächst eine Warnfunktion zu: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen nicht unüberlegt das Arbeitsverhältnis beenden. Daneben hat die Vorschrift des § 623 BGB eine Beweisfunktion und führt beim Aufhebungsvertrag zur Inhaltsklarheit, da Gewissheit darüber geschaffen wird, mit welchem Inhalt der Vertrag zustande gekommen ist. Insgesamt bezweckt die Regelung des § 623 BGB nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zum einen Rechtssicherheit für die Vertragspartner, zum anderen die Entlastung der Arbeitsgerichte durch zeitsparende Beweiserleichterungen in Rechtsstreitigkeiten6.
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BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145. BAG vom 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. BAG vom 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. BGBl. I S. 333. Zur Neuregelung des § 623 BGB s. etwa Böhm, NZA 2000, 561 ff.; Kleinebrink, FA 2000, 174 ff.; Lakies, BB 2000, 667 ff.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 ff.; Schaub, NZA 2000, 344 ff.; Trittin/Backmeister, DB 2000, 618 ff. 6 Vgl. BT-Drucks. 14/626, S. 11.
6 Ehrich
Teil 1 Rz. 15
Arbeitsrechtliche Grundlagen
eine Beschäftigungsgesellschaft nur zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt wird, die Sozialauswahl zu umgehen1. 15 Unabhängig davon kann ein Aufhebungsvertrag gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten werden, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer beim Abschluss des Vertrags vorspiegelt, der Betrieb solle geschlossen werden, obwohl tatsächlich ein (Teil-)Betriebsübergang geplant ist, wobei dies vom anfechtenden Arbeitnehmer darzulegen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber nachzuweisen ist2. 16 Solange die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags nicht wegen Anfechtung, Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grund beseitigt worden ist, hat ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund des Aufhebungsvertrags ausgeschieden ist, keinen Einstellungs-(Fortsetzungs-)Anspruch gegen den Betriebsübernehmer3.
II. Abschluss 1. Form 17 Während der Abschluss eines Aufhebungsvertrages früher grundsätzlich formlos möglich war, bedürfen Aufhebungsverträge seit dem 1.5.2000 gemäß § 623 BGB, der durch Art. 2 des Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetzes vom 30.3.20004 in das BGB eingefügt worden ist, zu ihrer Wirksamkeit stets der – konstitutiven – Schriftform5. Die Nichteinhaltung dieses gesetzlichen Schriftformerfordernisses führt nach § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages. 18 Dem in § 623 BGB geregelten Schriftformerfordernis für Aufhebungsverträge kommt zunächst eine Warnfunktion zu: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen nicht unüberlegt das Arbeitsverhältnis beenden. Daneben hat die Vorschrift des § 623 BGB eine Beweisfunktion und führt beim Aufhebungsvertrag zur Inhaltsklarheit, da Gewissheit darüber geschaffen wird, mit welchem Inhalt der Vertrag zustande gekommen ist. Insgesamt bezweckt die Regelung des § 623 BGB nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zum einen Rechtssicherheit für die Vertragspartner, zum anderen die Entlastung der Arbeitsgerichte durch zeitsparende Beweiserleichterungen in Rechtsstreitigkeiten6.
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BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145. BAG vom 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. BAG vom 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866. BGBl. I S. 333. Zur Neuregelung des § 623 BGB s. etwa Böhm, NZA 2000, 561 ff.; Kleinebrink, FA 2000, 174 ff.; Lakies, BB 2000, 667 ff.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 ff.; Schaub, NZA 2000, 344 ff.; Trittin/Backmeister, DB 2000, 618 ff. 6 Vgl. BT-Drucks. 14/626, S. 11.
6 Ehrich
Abschluss
Rz. 21 Teil 1
Das in § 623 BGB vorgeschriebene Schriftformerfordernis wird nach § 126 Abs. 1 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift verlangt nicht, dass unmittelbar bei Abgabe der schriftlichen Erklärung für den Empfänger die Person des Ausstellers feststehen muss. Dieser soll nur identifiziert werden können. Hierzu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Namenszugs. Vielmehr genügt ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender Schriftzug, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, welche die Nachahmung erschweren. Ein lesbarer Zusatz des Namens des Unterzeichnenden wird von § 126 BGB nicht verlangt. Der Schriftzug muss sich als Wiedergabe eines Namens darstellen und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lassen, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschweifungsprozess gekennzeichnet ist1. Von der Unterschrift abzugrenzen ist das Handzeichen (Paraphe), wodurch die Schriftform nur im Falle notarieller Beglaubigung gewahrt wird. Für die Abgrenzung zwischen Unterschrift und Handzeichen ist das äußere Erscheinungsbild maßgeblich; der Wille des Unterzeichnenden ist nur von Bedeutung, soweit er in dem Schriftzug seinen Ausdruck gefunden hat2.
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Unterzeichnet für eine Vertragspartei ein Vertreter die Erklärung, muss das Vertretungsverhältnis in der Urkunde deutlich zum Ausdruck kommen. Dies kann insbesondere durch einen entsprechenden Zusatz bei der Unterschrift erfolgen3. Für die Frage, ob jemand eine Erklärung auch in fremdem Namen abgibt, kommt es auf den objektiven Erklärungswert an. Maßgeblich ist gemäß §§ 133, 157 BGB, wie sich die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte für den Empfänger darstellt. Hierbei sind außer dem Wortlaut der Erklärung alle Umstände zu berücksichtigen, die unter Beachtung der Verkehrssitte Schlüsse auf den Sinn der Erklärung zulassen. Von Bedeutung sind insbesondere die dem Rechtsverhältnis zugrunde liegenden Lebensverhältnisse, die Interessenlage, der Geschäftsbereich, dem der Erklärungsgegenstand angehört, und verkehrstypische Verhaltensweisen. Die gesetzliche Schriftform (§ 126 BGB) ist nur gewahrt, wenn der so ermittelte rechtsgeschäftliche Vertretungswille in der Urkunde jedenfalls andeutungsweise seinen Ausdruck gefunden hat4.
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Während der Zusatz „i.V.“ regelmäßig darauf hindeutet, dass der Erklärende selbst für den Vertreter handelt, kann die Unterzeichnung mit dem Zusatz „i.A.“ eher dafür sprechen, dass der Unterzeichner nicht selbst handelnd wie ein Vertreter die Verantwortung für den Inhalt der von ihm unterzeichneten
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1 BAG vom 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521. 2 BAG vom 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521. 3 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403. 4 Vgl. BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403.
Ehrich
7
Teil 1 Rz. 22
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Urkunde übernehmen will1. Bei der nach §§ 133, 157 BGB gebotenen Auslegung der Erklärung ist jedoch nach Auffassung des BAG zu berücksichtigen, dass im allgemeinen, nichtjuristischen Sprachgebrauch nicht immer hinreichend zwischen „Auftrag“ und „Vertretung“ unterschieden werde. Häufig würden die Zusätze „i.V.“ und „i.A.“ lediglich verwendet, um unterschiedliche Hierarchieebenen auszudrücken. Deshalb folge nicht bereits aus dem Zusatz „i.A.“, dass der Erklärende nur als Bote gehandelt habe. Maßgeblich seien vielmehr die Gesamtumstände. Wenn sich hieraus ergebe, dass der Unterzeichner ersichtlich im Namen eines anderen die Willenserklärung abgegeben habe, sei von einem Handeln als Vertreter auszugehen. Ob der Unterzeichner tatsächlich bevollmächtigt gewesen sei, sei dabei für die Wahrung der Schriftform unerheblich2. 22 Entscheidend ist für die Auslegung der Erklärung gemäß § 157 BGB, ob der Unterzeichner des Aufhebungsvertrags auf Seiten des Arbeitgebers von Anfang an als dessen Vertreter dem Arbeitnehmer gegenüber getreten ist, etwa durch Führung des Einstellungsgesprächs, Unterzeichnung des Arbeitsvertrags, Erteilung von Einsatzanweisungen, Durchführung von Kritikgesprächen und Erteilung von Abmahnungen3. 23 Wird ein Aufhebungsvertrag für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur von einem Gesellschafter unterschrieben und fügt dieser seiner Unterschrift keinen Vertretungszusatz hinzu, ist nicht auszuschließen, dass die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags auch durch die anderen Gesellschafter vorgesehen war und deren Unterschriften noch fehlen. In dem Fall ist zu prüfen, ob der Aufhebungsvertrag erkennen lässt, dass die Unterschrift des handelnden Gesellschafters auch die Erklärung der nicht unterzeichnenden Gesellschafter decken soll, also auch in deren Namen erfolgt ist4. Sind in einem Aufhebungsvertrag alle Gesellschafter maschinenschriftlich in der Unterschriftszeile aufgeführt, reicht es zur Wahrung der Schriftform nicht aus, wenn lediglich ein Teil der GbR-Gesellschafter ohne weiteren Vertretungszusatz den Aufhebungsvertrag handschriftlich unterzeichnet5. Demgegenüber sollen nach Auffassung des BAG ein Einleitungssatz im Aufhebungsvertrag „Zwischen den Gesellschaftern … – nachfolgend ‚Arbeitgeber‘ genannt, und … wird im beiderseitigen Einvernehmen folgender Aufhebungsvertrag geschlossen …“ sowie die Unterzeichnung dieses Aufhebungsvertrags in der Unterschriftszeile oberhalb der Bezeichnung „Arbeitgeber“ durch einen Gesellschafter im Zusammenhang mit der Kenntnis des Arbeitnehmers von der Rechtsform der Gesellschaft hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, dass der Gesellschafter für den „Arbeitgeber“ und damit in Vertretung der übrigen Gesellschafter gehandelt habe. Sofern sich die Unterschrift des Gesell1 BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377; BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403. 2 BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403. 3 Vgl. BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403. 4 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 162/04, NZA 2005, 865; BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 5 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 162/04, NZA 2005, 865.
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Rz. 26 Teil 1
schafters über die gesamte Länge des oberhalb der Bezeichnung „Arbeitgeber“ vorgesehenen Strichs erstrecke und damit nach der äußeren Gestaltung des Aufhebungsvertrags kein Raum für eine weitere Unterschrift sei, sei für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen, dass die Unterzeichnung durch sämtliche Gesellschafter hätte erfolgen sollen. Damit finde der Wille zur Alleinvertretung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der äußeren Gestaltung seinen zwar unvollkommenen, aber doch hinreichend deutlichen Ausdruck, so dass der Aufhebungsvertrag nicht nach § 623 BGB formunwirksam sei1. Der Wille zu einem Handeln in alleiniger Vertretung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird in jedem Fall dann deutlich, wenn der Vertreter den Aufhebungsvertrag mit einem klar gefassten Vertretungszusatz unterzeichnet, etwa „als alleiniger Vertreter der …-GbR“ oder „in Alleinvertretung für die …-GbR“. Mit einer solchen Erklärung bringt der Vertreter zum Ausdruck, dass er die anderen Gesellschafter dem Dritten gegenüber allein vertritt. Ob er hierzu tatsächlich ermächtigt ist, ist bezüglich der Einhaltung der Formvorschriften unerheblich2. Auch bedarf die rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung nach §§ 164 ff. BGB gemäß § 167 Satz 2 BGB nicht der Form, die für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sich die Vollmacht bezieht. Eine teleologische Reduktion dieser Bestimmung, wie sie der BGH in Bezug auf das Formerfordernis bei Bürgschaftsversprechen nach § 766 Satz 1 BGB vorgenommen hat3, hält das BAG bei dem Formerfordernis des § 623 BGB nicht für geboten, da § 766 Satz 1 BGB ausschließlich dem Schutzbedürfnis des Bürgen diene, der durch diese Bestimmung zu größerer Vorsicht angehalten und vor nicht ausreichend überlegten Erklärungen gesichert werden solle, während vorrangiges Ziel des § 623 BGB die Stärkung der Rechtssicherheit sei. Die daneben bestehende Warnfunktion des Formerfordernisses sei nicht geeignet, eine Abweichung von der klaren Regelung des § 167 Abs. 2 BGB zu begründen4.
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Hinweis: Zur Vermeidung von – unnötigen – gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Formwirksamkeit eines von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit einem Arbeitnehmer geschlossenen Aufhebungsvertrags sollte dieser im Zweifel gleichwohl stets von allen Gesellschaftern unterzeichnet werden.
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Zur Wahrung der Schriftform eines Aufhebungsvertrages ist nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieselbe Urkunde unterzeichnen. Der gesamte Vertragsinhalt muss durch die Unterschrift beider Parteien gedeckt sein. Allein ein Briefwechsel, etwa durch Übersendung eines Vertragsangebots und Rücksendung einer Annahmeerklärung, reicht nicht aus, weil sich hierbei die Willensübereinstimmung der Parteien nicht aus einer Urkunde, sondern aus der Zusammenfassung von zwei Urkunden
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1 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 2 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 3 BGH vom 29.2.1996 – IX ZR 153/95, NJW 1996, 1467 = DB 1996, 1077 = BB 1996, 1080. 4 So ausdrücklich BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348.
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Teil 1 Rz. 27
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ergibt1. Dagegen genügt es zur Wahrung des nach § 623 BGB für Aufhebungsverträge vorgesehenen Schriftformerfordernisses, wenn die eine Vertragspartei in einem von ihr unterzeichneten, an die andere Vertragspartei gerichteten Schreiben den Abschluss eines Aufhebungsvertrags anbietet und die andere Vertragspartei das Vertragsangebot annimmt, indem sie das Schriftstück ebenfalls unterzeichnet2. Erst recht gilt dies, wenn die andere Vertragspartei das Schreiben der anbietenden Partei unter dem Zusatz „einverstanden“ unterzeichnet. 27 „Unterzeichnung“ einer Urkunde i.S. von § 126 BGB bedeutet regelmäßig, dass der Text der Urkunde der Unterzeichnung räumlich vorangeht, die Unterschrift also die Erklärung räumlich abschließt3. Besteht der Aufhebungsvertrag aus mehreren Seiten, müssen diese nicht körperlich miteinander verbunden sein, wenn deren Einheit sich aus fortlaufender Paginierung, fortlaufender Nummerierung, einheitlicher grafischer Gestaltung, inhaltlichem Zusammenhang des Textes oder ähnlichen Merkmalen zweifelsfrei ergibt4. Unschädlich ist in dem Fall auch die Unterzeichnung auf verschiedenen Seiten, sofern sich die Urkundeneinheit aus gegenseitigen Bezugnahmen einwandfrei ergibt und beide Unterschriften den gesamten Text decken5. Etwaige Nachträge des Aufhebungsvertrags müssen erneut von beiden Seiten unterschrieben werden6. 28 Nehmen die Parteien Regelungen, die wesentliche Bestandteile des Aufhebungsvertrags sein sollen, nicht in diesem auf, sondern lagern sie diese in andere Schreiben, z.B. als Anlage, aus, müssen sie zur Wahrung der Urkundeneinheit die Zusammengehörigkeit dieser Schriftstücke in geeigneter Weise zweifelsfrei kenntlich machen. Dies kann durch körperliche Verbindung (etwa mittels Heftmaschine), Verweisung im Vertrag oder Unterzeichnung der Anlage erfolgen7. 29 Werden über einen Aufhebungsvertrag mehrere gleich lautende Urkunden gefertigt, so genügt es nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB zur Wahrung des Schriftformerfordernisses, dass jede Partei die für die andere Partei bestimmte Ur1 BAG vom 26.7.2006 – 7 AZR 514/05, NZA 2006, 1402. 2 Vgl. BAG vom 26.7.2006 – 7 AZR 514/05, NZA 2006, 1402; BAG vom 16.4.2008 – 7 AZR 1048/06, NZA 2008, 1184 (jeweils zur Wahrung der nach § 14 Abs. 4 TzBfG für die Befristung von Arbeitsverträgen erforderlichen Schriftform in einem solchen Fall). S. dazu auch BGH vom 14.7.2004 – XII ZR 68/02, NJW 1004, 2962: Die Schriftform eines langfristigen Mietvertrags ist gewahrt, wenn die Vertragsbestimmungen in einem unterzeichneten Schreiben der einen Partei niedergelegt sind, das die andere mit oder ohne einen das uneingeschränkte Einverständnis erklärenden Zusatz ihrerseits unterzeichnet hat. 3 S. etwa BAG vom 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, DB 1998, 1770; BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 4 Vgl. BGH vom 21.1.1999 – VII ZR 93/97, NJW 1999, 1104, 1105. 5 Palandt/Ellenberger, BGB, § 126 Rz. 13. 6 BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 7 Vgl. BGH vom 21.1.1999 – VII ZR 93/97, NJW 1999, 1104 (1105); BGH vom 30.6.1999 – VII ZR 55/97, NJW 1999, 2591 (2592); weitergehend BGH vom 29.9.1999 – XII ZR 313/98, NJW 2000, 354 (357), wonach bereits die bloße Paraphierung der Anlagen ausreiche.
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Abschluss
Rz. 33 Teil 1
kunde unterzeichnet. Die Unterzeichnung muss nicht zwingend gleichzeitig oder in Anwesenheit des Vertragspartners erfolgen. Beide Urkunden müssen jedoch den gesamten Vertragsinhalt wiedergeben. Abweichungen durch bloße Schreibfehler sind unerheblich1. Die Schriftform kann durch notarielle Beurkundung ersetzt werden (§ 126 Abs. 4 BGB). Auch ein gerichtlicher Vergleich ersetzt daher die Schriftform, § 127a BGB (Einzelheiten zu gerichtlichen Aufhebungsverträgen s.u. Rz. 81 ff.). Durch einen gerichtlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO (s.u. Rz. 83) wird die für Aufhebungsverträge erforderliche Schriftform (§ 623 BGB) ebenfalls gewahrt2. Dagegen ist die elektronische Form i.S. der §§ 126 Abs. 3, 126a BGB beim Aufhebungsvertrag zur Wahrung des Schriftformerfordernisses nicht möglich, § 623 letzter Halbs. BGB.
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Durch wechselseitige SMS oder durch Telefax kann ein Aufhebungsvertrag mangels Wahrung der Schriftform nicht wirksam geschlossen werden3.
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Klageverzichtsvereinbarungen, die im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung getroffen werden, erachtet das BAG für Auflösungsverträge i.S. des § 623 BGB, so dass sie ebenfalls der Schriftform bedürfen4. Unterzeichnet allein der Arbeitnehmer, nicht aber auch der Arbeitgeber einen auf dem arbeitgeberseitigen Kündigungsschreiben befindlichen Zusatz „Hiermit bestätige ich den Erhalt der Kündigung und verzichte auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage“ wird damit das Schriftformerfordernis i.S. der §§ 623, 126 BGB nicht gewahrt, so dass der Arbeitnehmer dadurch nicht gehindert ist, die Kündigung gerichtlich anzugreifen5.
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Schließt ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber einen schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag, wird nach der Rechtsprechung des BAG vermutet, dass das bis dahin bestehende Arbeitsverhältnis mit Beginn des Geschäftsführerdienstverhältnisses einvernehmlich beendet wird, soweit nicht „klar und eindeutig“ etwas anderes vertraglich vereinbart worden ist. Durch den schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag wird in diesen Fällen das Schriftformerfordernis des § 623 BGB für den Auflösungsvertrag gewahrt6. Dennoch ist
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1 Palandt/Ellenberger, BGB, § 126 Rz. 13. 2 BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466. S. dazu auch Kuckuk, ArbRB 2006, 61 ff. 3 LAG Hamm vom 17.8.2007 – 10 Sa 512/07, ArbuR 2007, 444 (SMS); ArbG Hannover vom 17.1.2001 – 9 Ca 282/00, NZA-RR 2002, 245 (Telefax). 4 BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. 5 S. dazu auch BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219. Der ohne Gegenleistung erklärte, formularmäßige Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage stellt eine unangemessene Benachteiligung i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. 6 BAG vom 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NZA 2007, 1095. Bestätigt durch BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NZA 2008, 1002 unter Hinweis darauf, dass mit dem Verlust der Organstellung als Geschäftsführer einer GmbH sich der zu Grunde liegende Anstellungsvertrag (Geschäftsführerdienstvertrag) auch nicht (wieder) – jedenfalls nicht ohne Weiteres – in einen Arbeitsvertrag umwandelt.
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Teil 1 Rz. 34
Arbeitsrechtliche Grundlagen
auch hier im Interesse der Rechtsklarheit und -sicherheit zu empfehlen, dass im Geschäftsführerdienstvertrag das bisherige Arbeitsverhältnis ausdrücklich und für beide Seiten unmissverständlich beendet wird. 34 Die Berufung auf die fehlende Schriftform eines Aufhebungsvertrages kann einer Seite ausnahmsweise nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 242 BGB wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben verwehrt sein1. Mit dieser Annahme übt sich das BAG indes in größter Zurückhaltung: Grundsätzlich sei die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form zu beachten. Wenn die Formvorschriften des bürgerlichen Rechts nicht ausgehöhlt werden sollen, könne ein Formmangel nur ausnahmsweise nach § 242 BGB als unbeachtlich angesehen werden. Dies könne unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) dann der Fall sein, wenn der Erklärungsgegner einen besonderen Grund gehabt habe, auf die Gültigkeit der Erklärung trotz des Formmangels zu vertrauen und der Erklärende sich mit der Berufung auf den Formmangel zu seinem vorhergehenden Verhalten in Widerspruch setze. So sei die Berufung auf das Schriftformerfordernis etwa als treuwidrig anzusehen, wenn der Arbeitnehmer seiner Beendigungsabsicht mit ganz besonderer Verbindlichkeit und Endgültigkeit mehrfach Ausdruck verliehen und damit einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen habe2. 35 Nach einer Entscheidung des LAG Köln vom 27.8.2003 soll es einer Vertragspartei, die sämtliche Vorteile aus einem nichtigen Vertrag gezogen habe, nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf die Nichtigkeit des Vertrags wegen Formmangels zu berufen3. Fragt ein Arbeitnehmer, nachdem er von Kollegen erfährt, dass der Arbeitgeber die Kündigung beabsichtigt, beim Arbeitgeber per SMS an, wann sein letzter Arbeitstag sei und nimmt er zunächst widerspruchslos die Antwort per SMS hin und gibt seine Arbeitsmittel zurück, soll dagegen die spätere Berufung auf die mangelnde Schriftform nach einer Entscheidung des LAG Hamm vom 17.8.2007 nicht treuwidrig sein4. 36 Außerdem kann das Recht, den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses wegen Fehlens der erforderlichen Schriftform eines Aufhebungsvertrages geltend zu machen, unter dem Gesichtspunkt der illoyal verspäteten Geltendmachung verwirken5. Von einer Verwirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG auszugehen, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt und dadurch ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen wird, er werde nicht mehr gerichtlich belangt (sog. Zeit- und Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauens1 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 659/03, NZA 2005, 162; ArbG Berlin vom 1.3.2002 – 24 Ca 19544/01, NZA-RR 2002, 522 f.: Unbeachtlichkeit eines Formverstoßes einer arbeitgeberseitigen Kündigung gegen § 623 BGB bei rechtsmissbräuchlicher Berufung auf den Formmangel durch den Arbeitnehmer. 2 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 659/03, NZA 2005, 162. 3 LAG Köln vom 27.8.2003 – 8 Sa 268/03, ARST 2004, 186. 4 LAG Hamm vom 17.8.2007 – 10 Sa 512/07, ArbuR 2007, 444. 5 Vgl. BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 659/03, NZA 2005, 162.
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Abschluss
Rz. 40 Teil 1
schutzes das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zuzumuten ist1. Diese Voraussetzungen dürften allerdings nur in den seltensten Fällen gegeben sein. Besteht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Streit darüber, ob deren Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet wurde und stellt sich im Nachhinein heraus, dass ein Aufhebungsvertrag – etwa wegen Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses i.S. von § 623 BGB – nicht zustande gekommen ist, hat der Arbeitgeber nur dann Annahmevergütungsansprüche zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer zuvor seine Arbeitsleistung tatsächlich angeboten hat2.
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2. Zustandekommen a) Angebot und Annahme Voraussetzung für das Zustandekommen des Aufhebungsvertrages ist der beiderseitige rechtsgeschäftliche Wille von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden3. Angesichts des seit dem 1.5.2000 geltenden Schriftformerfordernisses für Aufhebungsverträge sind die früheren Grundsätze zum Zustandekommen eines Aufhebungsvertrages durch sog. konkludentes (schlüssiges) Verhalten4 heute praktisch bedeutungslos.
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Bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit einem ausländischen Arbeitnehmer muss der Arbeitgeber – ggf. unter Hinzuziehung eines Dolmetschers – sicherstellen, dass der Arbeitnehmer den Inhalt des Vertrages richtig versteht. Hat der ausländische Mitarbeiter infolge fehlender Sprachkenntnisse das Vertragsangebot inhaltlich nicht verstanden, kommt ein Aufhebungsvertrag selbst dann nicht wirksam zustande, wenn das Angebot von dem Mitarbeiter angenommen wird5.
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Geht dem Arbeitnehmer ein schriftliches Aufhebungsangebot zu, hat er für die Annahme eine angemessene Überlegungsfrist (§ 147 Abs. 2 BGB). Die verspätete Annahme gilt gemäß § 150 Abs. 1 BGB als neues Angebot, das wieder-
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1 S. etwa BAG vom 20.5.1988 – 2 AZR 711/87, NZA 1989, 16; BAG vom 2.12.1999 – 8 AZR 890/98, NZA 2000, 540; BAG vom 29.1.2008 – 3 AZR 42/06, NZA-RR 2008, 469 (474), jeweils m. w. Nachw. 2 BAG vom 7.12.2005 – 5 AZR 19/05, NZA 2006, 435. Ähnlich bereits zuvor LAG Thüringen vom 27.1.2004 – 5 Sa 131/02, ArbRB 2004, 198: Ein Annahmeverzug des Arbeitgebers setzt u.a. die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers voraus. Hieran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer durch Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag dokumentiert, ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr arbeiten zu wollen. Das gilt auch, wenn der Aufhebungsvertrag mangels Schriftform nichtig ist. 3 Zu den Besonderheiten des Zustandekommens eines sog. („echten“ oder „unechten“) Abwicklungsvertrags s. Bauer, I Rz. 20 (dort auch mit induktiv-grafischem Gemälde). 4 S. dazu die Ausführungen in der 2. Auflage unter Teil 1 Rz. 15 ff. 5 Ernst, S. 67; Müller, S. 89 f.; Bengelsdorf, S. 45.
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Arbeitsrechtliche Grundlagen
um der Annahme bedarf. Gleiches gilt, wenn die Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen erfolgt, § 150 Abs. 2 BGB. 41 Zum Mindestinhalt des Aufhebungsvertrages gehört die Abrede, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt enden soll1. Eine Abfindungsregelung muss der Aufhebungsvertrag nicht zwingend enthalten2. Wird im Aufhebungsvertrag kein Beendigungszeitpunkt festgelegt, so folgt aus der Wertung des § 271 BGB, dass das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet werden soll3. Wollten die Parteien neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch über Fragen, die damit in Zusammenhang stehen (wie z.B. Abfindungszahlung, Freistellung von der Arbeit, Gewährung oder Abgeltung von Urlaub, Rückgabe eines Dienstwagens, Räumung einer Dienstwohnung oder Abwicklung eines Arbeitgeberdarlehens), eine Einigung erzielen, gilt der Aufhebungsvertrag nach § 154 Abs. 1 BGB im Zweifel als nicht geschlossen, solange sich die Parteien nicht über alle Punkte des Vertrages geeinigt haben (sog. offener Dissens). Dieser offene Einigungsmangel kann dadurch vermieden werden, dass die Parteien im Aufhebungsvertrag ausdrücklich hervorheben, dass über eine bestimmte Frage keine Regelung getroffen werden soll4. Gehen die Parteien bei Vertragsschluss davon aus, dass sie sich über einen Punkt, über den eine Regelung getroffen werden sollte, geeinigt haben, während in Wirklichkeit eine Einigung nicht erzielt wurde, so liegt ein versteckter Dissens vor. In dem Fall gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass die Parteien den Aufhebungsvertrag auch ohne eine Regelung über diesen Punkt geschlossen hätten, wenn ihnen der Einigungsmangel bekannt gewesen wäre, § 155 BGB. Letzteres ist insbesondere dann zu verneinen, wenn die Parteien bei Abschluss des Aufhebungsvertrages entgegen ihren Vorstellungen eine Einigung über eine zu zahlende Abfindung bzw. deren Höhe nicht erzielt haben5. 42
Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Partei, die sich auf das Zustandekommen des Aufhebungsvertrags beruft6. Die Darlegungs- und Beweislast liegt somit beim Arbeitgeber, wenn dieser im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits geltend macht, das Arbeitsverhältnis sei aufgrund eines Aufhebungsvertrages beendet worden. Beruft sich dagegen der Arbeitnehmer darauf, dass der Vertrag wegen Dissenses nicht zustande gekommen ist, ist er hierfür darlegungs- und beweispflichtig. b) Umdeutung einer Kündigungserklärung
43 Bei der Frage, ob eine Kündigungserklärung gemäß § 140 BGB in ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages umgedeutet werden kann, ist zwi1 2 3 4 5 6
Bauer, I Rz. 7; Bengelsdorf, S. 5. Vgl. BAG vom 7.5.1987 – 2 AZR 271/86, NZA 1988, 15. Bauer, I Rz. 7; Bengelsdorf, S. 5, 55; Ernst, S. 272 f. Bengelsdorf, S. 36. Bauer, I Rz. 18; Bengelsdorf, S. 44; Müller, S. 86. Bauer, I Rz. 222; Bengelsdorf, S. 44; Becker-Schaffner, BB 1981, 1340 (1346).
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Rz. 47 Teil 1
schen einer wirksamen und einer unwirksamen Kündigung zu unterscheiden: Eine wirksame Kündigung kann nicht als Aufhebungsofferte gewertet werden, weil es nicht in der Hand des Kündigungsempfängers liegen kann, dem Kündigenden durch eine – schriftlich (§ 623 BGB) zu erklärende – Annahme einen Aufhebungsvertrag aufzuzwingen1. Dagegen ist eine Umdeutung einer unwirksamen ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung in ein Angebot zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der Kündigungsfrist bzw. mit sofortiger Wirkung grundsätzlich möglich. Die Umdeutung einer unwirksamen Kündigung in ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages setzt voraus, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit sofortiger Wirkung oder zum Ablauf der Kündigungsfrist dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entsprach und dieser Wille dem Gekündigten auch erkennbar geworden ist2. Dabei sind die Willensrichtung und die Vorstellungen des Kündigenden hinsichtlich des wirtschaftlichen und rechtlichen Zwecks der beabsichtigten Rechtsfolge maßgebend zu beachten. Von einem Aufhebungsvertrag kann sonach z.B. ausgegangen werden, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund eine Eigenkündigung mit sofortiger Wirkung oder abgekürzter Frist erklärt und sich der Arbeitgeber mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu diesem Termin – schriftlich – einverstanden erklärt3.
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Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auf ausdrücklichen und ernst gemeinten Wunsch des Arbeitnehmers, ist damit zwar keine Aufhebungsvereinbarung zustande gekommen4. Eine vom Arbeitnehmer gegen die Kündigung erhobene Klage ist in dem Fall aber wegen widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) nach § 242 BGB unbegründet5.
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Kündigen sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer, liegt hierin nicht ohne Weiteres ein Aufhebungsvertrag zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Beendigungswirkungen beider Kündigungen decken, da die Kündigung als einseitige Gestaltungserklärung gerade nicht auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist6.
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c) Verzicht auf Kündigungsschutzklage Nach allgemeiner Ansicht7 kann der Arbeitnehmer nach arbeitgeberseitig ausgesprochener Kündigung auf die Erhebung oder Durchführung einer Kündigungsschutzklage verzichten. Die Zulässigkeit eines solchen Verzichts er1 Bauer, I Rz. 14; Bengelsdorf, S. 8 f.; Müller, S. 64 f. 2 BAG vom 13.4.1972 – 2 AZR 243/71, DB 1972, 1784; BAG vom 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, NZA 1988, 129. 3 LAG Berlin vom 22.3.1989 – 14 Sa 10/89, BB 1989, 1121. 4 Vgl. Bengelsdorf, S. 8. 5 Vgl. LAG Berlin vom 31.10.1988 – 9 Sa 72/88, LAGE § 9 MuSchG Nr. 9; a.A. LAG Frankfurt vom 24.4.1987 – 13 Sa 1194/86, LAGE § 4 KSchG Verzicht Nr. 1 (unzulässiger Verzicht auf den allgemeinen Kündigungsschutz). 6 Vgl. Bauer, I Rz. 14. 7 S. die Nachw. bei BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227.
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Teil 1 Rz. 48
Arbeitsrechtliche Grundlagen
gibt sich daraus, dass das Kündigungsschutzgesetz im Gegensatz zu anderen Gesetzen, die einen Verzicht auf bestimmte Rechte für unzulässig erklären (vgl. § 4 Abs. 4 TVG, § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, § 12 EFZG, § 77 Abs. 4 BetrVG), keine Regelung enthält, die dem Arbeitnehmer den Verzicht auf den Kündigungsschutz untersagt. Zudem ist der Arbeitnehmer aus Rechtsgründen nicht gehalten, eine ihm ausgesprochene Kündigung mit der Kündigungsschutzklage anzugreifen, sondern kann untätig bleiben und die Kündigung hinnehmen mit der Folge, dass diese wirksam wird (§ 7 KSchG)1. 48 Eine Erklärung, auf Kündigungsschutz zu verzichten, etwa durch Unterzeichnung des auf einem arbeitgeberseitigen Kündigungsschreiben enthaltenen Zusatzes „Hiermit bestätige ich den Erhalt der Kündigung und verzichte auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage“, kann je nach Lage des Falles einen Aufhebungsvertrag, einen Vergleich, einen Klageverzicht oder ein Klagerücknahmeversprechen darstellen. Welche der Gestaltungsmöglichkeiten die Parteien gewollt haben, ist durch Auslegung zu ermitteln2. 49 Eine Klageverzichtsvereinbarung, die im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung getroffen wird, hält das BAG für einen Auflösungsvertrag i.S. des § 623 BGB, die sonach der Schriftform bedarf3. Unterzeichnet allein der Arbeitnehmer, nicht aber auch der Arbeitgeber eine Klageverzichtserklärung, kann diese somit das Arbeitsverhältnis wegen fehlender Wahrung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses für Aufhebungsverträge nach § 623 BGB nicht wirksam beenden4.
3. Aufhebungsverträge mit Minderjährigen 50 Beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit einem Minderjährigen ist § 113 BGB zu beachten. Ermächtigt der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen, in Dienst oder Arbeit zu treten, so ist dieser „für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche die Eingehung oder Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses der gestatteten Art oder die Erfüllung der sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Verpflichtung betreffen“, § 113 Abs. 1 Satz 1 BGB. Liegt eine solche Ermächtigung vor, kann der Minderjährige auch Aufhebungsverträge ohne Hinzuziehung seines gesetzlichen Vertreters wirksam abschließen5. 51 Eine Ermächtigung i.S. von § 113 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt nicht vor, wenn der Arbeitsvertrag allein vom gesetzlichen Vertreter oder von diesem zusammen 1 2 3 4 5
BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 208/06, NZA 2007, 1227. A.A. (ohne nähere Begründung) Bauer, I Rz. 17a. Ernst, S. 105 f.; einschränkend Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 112 Rz. 9; Bengelsdorf, S. 46; Müller, S. 92; LAG Bremen vom 15.10.1971 – 1 Sa 90/71, DB 1971, 2318, wonach ein aus Anlass der Schwangerschaft oder einer Schwerbehinderung geschlossener Aufhebungsvertrag wegen fehlender Üblichkeit i.S. von § 113 BGB schwebend unwirksam sein soll.
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Abschluss
Rz. 53 Teil 1
mit dem Minderjährigen unterzeichnet wurde. In dem Fall bedarf auch der Abschluss des Aufhebungsvertrages der Einwilligung bzw. Genehmigung der gesetzlichen Vertreter nach §§ 107, 108 BGB. Gesetzliche Vertreter sind gemäß § 1626 Abs. 1 BGB Vater und Mutter bei Bestehen der Ehe. Sie vertreten den Minderjährigen gemeinschaftlich, § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so vertreten sie das Kind gemäß § 1626a Abs. 1 BGB i.V. mit § 1629 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB nur dann gemeinschaftlich, wenn sie entweder erklärt haben, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (sog. Sorgerechtserklärung), oder geheiratet haben. Ansonsten ist allein die Mutter vertretungsberechtigt (§ 1626a Abs. 2 BGB i.V. mit § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein Elternteil vertritt das Kind nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB allein, soweit er die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern durch das Familiengericht die Entscheidung nach § 1628 BGB übertragen worden ist. Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, vertreten diese auch weiterhin grundsätzlich gemeinschaftlich das Kind, sofern nicht das Familiengericht nach Maßgabe des § 1671 BGB einem Elternteil allein die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge, der eine Ermächtigung i.S. von § 113 Abs. 1 Satz 1 BGB umfasst, übertragen hat. Zu den Besonderheiten der Vertretungsberechtigung in den Fällen des Getrenntlebens bei elterlicher Sorge der Mutter, des Ruhens der elterlichen Sorge bei rechtlichem oder tatsächlichem Hindernis, bei Tod bzw. Todeserklärung eines Elternteils oder Entziehung des Sorgerechts sowie bei sog. Verbleibensanordnung zu Gunsten von Bezugspersonen s. im Einzelnen §§ 1672–1682 BGB. Keine Anwendung findet § 113 BGB bei Berufsausbildungsverhältnissen, da bei ihnen der Ausbildungszweck nach § 1 Abs. 2 BBiG überwiegt. Die einvernehmliche Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses bedarf daher auf Seiten des Auszubildenden der Einwilligung bzw. Genehmigung des gesetzlichen Vertreters1. Zwar bezieht sich das Schriftformerfordernis für Kündigungen des Berufsausbildungsvertrages gemäß § 22 Abs. 3 BBiG nicht auf Aufhebungsverträge2. Gleichwohl kann auch die einvernehmliche Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses wegen des seit dem 1.5.2000 geltenden Schriftformerfordernisses für Aufhebungsverträge nach § 623 BGB (s.o. Rz. 17 ff.) nur schriftlich wirksam erfolgen.
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4. Bedingte und befristete Aufhebungsverträge Soll ein Arbeitsverhältnis durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung beendet werden, bedarf es – sofern die Vereinbarung von auflösenden Bedingungen in Arbeits- und Aufhebungsverträgen überhaupt als wirksam anzusehen ist3 – wegen der Gefahr der Umgehung zwingender Kündigungsschutzvor1 Vgl. Bauer, II Rz. 224; Bengelsdorf, S. 38; Ernst, S. 105. 2 Vgl. Bengelsdorf, S. 38. 3 Zu den Bedenken an der rechtlichen Zulässigkeit von auflösenden Bedingungen in Arbeitsverträgen s. Ehrich, DB 1992, 1186.
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Teil 1 Rz. 54
Arbeitsrechtliche Grundlagen
schriften (§ 1 KSchG, § 626 BGB) eines sachlich rechtfertigenden Grundes, wobei nach der Rechtsprechung an die sachliche Rechtfertigung der Bedingung „besonders strenge Anforderungen“ zu stellen seien1. Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für auflösend bedingte Aufhebungsverträge2. 54 Eine vertragliche Vereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Arbeitnehmer nach dem Ende seines Urlaubs die Arbeit an dem vereinbarten Tag nicht wieder aufnimmt, ist wegen Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes unwirksam3. Gleiches gilt für eine vertragliche Vereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis zum Urlaubsende aufgelöst, dem Arbeitnehmer jedoch gleichzeitig die Wiedereinstellung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen unter bestimmten Voraussetzungen, wie etwa termingerechte Rückkehr aus dem Urlaub, Zustimmung des Betriebsrats und günstige Beschäftigungslage, zugesagt wird4. 55 Unwirksam ist auch die auflösende Bedingung der nicht ordnungsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung sowie die Vereinbarung, nach der ein Berufsausbildungsverhältnis automatisch endet, wenn das Zeugnis des Auszubildenden in einem bestimmten Fach die Note „mangelhaft“ aufweist5. Die Vereinbarung mit einem alkoholgefährdeten Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis ende, wenn dieser Alkohol zu sich nehme, stellt ebenfalls einen unzulässigen Verzicht auf den Kündigungsschutz dar6. Gleiches gilt für eine Aufhebungsvereinbarung unter der Bedingung, dass ein alkohol- oder suchtkranker Arbeitnehmer bis zu einem bestimmten Termin keine Entziehungskur zur Heilung der Suchterkrankung angetreten hat. Keinen rechtlichen Bedenken unterliegt dagegen ein Aufhebungsvertrag mit einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer, in dem ihm für den Fall einer erfolgreichen Entziehungskur die Wiedereinstellung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zugesagt wird. Zu beachten ist hierbei, dass in dem Aufhebungsvertrag die Voraussetzungen für die Wiedereinstellung des Mitarbeiters konkret festgelegt werden sollten. 56 Im Rahmen von Prozessvergleichen werden an die Zulässigkeit auflösend bedingter Aufhebungsvereinbarungen von der Rechtsprechung teilweise geringere Anforderungen gestellt. So wurde ein Prozessvergleich für zulässig erachtet, wonach das Arbeitsverhältnis ende, wenn der Arbeitnehmer während
1 BAG vom 15.3.1991 – 2 AZR 516/90, NZA 1992, 452; BAG vom 4.12.1991 – 7 AZR 344/90, DB 1992, 948. Einzelheiten zur Zulässigkeit von befristeten und bedingten Arbeitsverhältnissen s. bei Bauer, I Rz. 30 ff. 2 Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 115 Rz. 10; ausführlich dazu Ernst, S. 152 ff. 3 BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 890; LAG Düsseldorf vom 24.6.1974 – 15 Sa 44/74, EzA § 305 BGB Nr. 4. 4 Vgl. BAG vom 13.12.1984 – 2 AZR 294/83, NZA 1985, 324; BAG vom 25.6.1987 – 2 AZR 541/86, NZA 1988, 391. 5 BAG vom 5.12.1985 – 2 AZR 61/85, NZA 1987, 20. 6 LAG München 29.10.1987 – 4 Sa 783/87, DB 1988, 506; a.A. (mit wenig überzeugenden Gründen) Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, 577.
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Abschluss
Rz. 58 Teil 1
eines bestimmten Zeitraumes mehr als 10 % der Arbeitstage krankheitsbedingt fehlen sollte1. Dadurch werde der Kündigungsschutz nicht umgangen, sondern das Prozssrisiko durch Vergleich gemildert. Anders sei die Sachlage dagegen bei einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag zu beurteilen, wenn zuvor noch keine Kündigung ausgesprochen worden sei2. Diese Differenzierung lässt sich sachlich nicht rechtfertigen. In beiden Fällen sollen die Fehlzeiten des Arbeitnehmers reduziert und der Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beigelegt werden. Weshalb für den Prozessvergleich nach erfolgter Kündigung andere Maßstäbe gelten sollen, als für den außergerichtlichen Aufhebungsvertrag ohne vorangegangene Kündigung, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr sind die Aufhebungsverträge in beiden Fällen gleichermaßen unwirksam. Zulässig sollen nach der Rechtsprechung sog. „Heimkehrerklauseln“ sein, wonach mit einem ausländischen Arbeitnehmer in einem Aufhebungsvertrag vereinbart wird, dass dieser bei endgültiger Rückkehr in seine Heimat eine Abfindung erhalten soll. Eine solche Regelung kann allerdings wegen funktionswidriger Umgehung der §§ 111, 112 BetrVG unwirksam sein, wenn der Aufhebungsvertrag in Ausführung einer Betriebsvereinbarung geschlossen wird, die einen Personalabbau durch Abschluss von Aufhebungsverträgen zum Ziel hat und der deshalb eine Art „Sozialplanersatzcharakter“ zukommt. In dem Fall wird zwar das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag beendet. Der Arbeitnehmer behält aber den Anspruch auf die Abfindung auch dann, wenn er nicht in seine Heimat zurückkehrt3.
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Keinen Bedenken begegnet es, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Auslauffrist aufgrund eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsvertrages zu beenden. Ein sachlicher Grund für die Auslauffrist ist grundsätzlich nicht erforderlich. Etwas anderes gilt jedoch, wenn ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nachträglich befristet wird. Insoweit bedarf es für die Befristung eines sachlichen Grundes, der aufgrund des Vergleichs nur vorliegt, wenn zwischen den Parteien bereits ein offener Streit über den rechtlichen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses besteht, der durch die Vereinbarung der Befristung beigelegt wird4. Ein sachlicher Grund für die nachträgliche Befristung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht bereits dann gegeben, wenn der neue befriste-
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1 LAG Baden-Württemberg vom 15.12.1981 – 1 Sa 39/81, AP Nr. 5 zu § 620 BGB Bedingung. 2 LAG Baden-Württemberg vom 15.10.1990 – 15 Sa 92/90, BB 1991, 209. 3 BAG vom 7.5.1987 – 2 AZR 271/86, NZA 1988, 15. 4 BAG vom 24.1.1996 – 7 AZR 496/95, NZA 1996, 1089; BAG vom 3.12.1997 – 7 AZR 651/96, NZA 1998, 1000. Siehe dazu aber auch BAG vom 13.11.1996 – 10 AZR 340/96, NZA 1997, 390: In einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, das Arbeitsverhältnis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aus betrieblichen Gründen gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden, liegt keine nachträgliche Befristung des Arbeitsverhältnisses, die eines sachlichen Grundes bedarf. Das gilt auch dann, wenn die Parteien später den Beendigungstermin auf das Ende der nächsten Kündigungsfrist hinausschieben.
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Teil 1 Rz. 59
Arbeitsrechtliche Grundlagen
te Arbeitsvertrag für den Arbeitnehmer günstigere Arbeitsbedingungen vorsieht und der Arbeitnehmer zwischen diesem neuen Arbeitsvertrag und der Fortsetzung seines bisherigen unbefristeten Arbeitsverhältnisses frei wählen konnte1. 59 Nach einer Entscheidung des BAG vom 12.1.2000 bedarf auch ein Aufhebungsvertrag, der seinem Regelungsgehalt nach nicht auf die alsbaldige Beendigung, sondern auf eine befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, zu seiner Wirksamkeit eines sachlichen Grundes im Sinne des Befristungskontrollrechts2. In dieser Entscheidung hat das BAG folgende zwei Grundsätze aufgestellt bzw. bekräftigt: (1) Ein Aufhebungsvertrag ist nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit generell zulässig und unterliegt regelmäßig nicht der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle. (2) Führt der Aufhebungsvertrag allerdings dazu, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet, sondern befristet fortgeführt wird, bedarf er wie eine Befristungsabrede zu seiner Wirksamkeit eines sachlichen Grundes. Denn in diesen Fällen zielt der Aufhebungsvertrag nach Auffassung des BAG nicht auf eine baldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern soll wie eine nachträgliche Befristung wirken. Im Rahmen der Abgrenzung zwischen dem zulässigen befristeten Aufhebungsvertrag und der unzulässigen Befristung wird zunächst ein zeitlicher Vergleich zwischen der jeweiligen Kündigungsfrist und dem Auslaufzeitraum hergestellt. Überschreitet letzterer die erstere um ein Vielfaches, so spricht dies nach Ansicht des BAG für eine Befristungsabrede. In dem Fall, der der Entscheidung des BAG zugrundelag, war es das siebenfache. Außerdem wird vom BAG überprüft, ob der Aufhebungsvertrag neben dem Beendigungszeitpunkt noch andere typische Regularien eines Aufhebungsvertrags enthält. Beispielhaft werden insoweit Freistellung, Urlaubsregelungen, Abfindungen und dergleichen genannt. 60 Neuerdings nimmt das BAG eine „Gesamtwürdigung“ des Vereinbarten vor, bei der u.a. zu berücksichtigen ist, ob die Vereinbarung für einen Aufhebungsvertrag typische Regelungen enthalte3. 61
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Hinweis: Im Hinblick darauf sollten in Aufhebungsverträgen mit einem Auslaufzeitraum, der die für das Arbeitsverhältnis einschlägige Kündigungsfrist in nicht unerheblicher Weise überschreitet, die vom BAG er-
1 BAG vom 26.8.1998 – 7 AZR 349/97, NZA 1999, 476. 2 BAG vom 12.1.2000 – 7 AZR 48/99, NZA 2000, 718. 3 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. S. zuvor bereits BAG vom 15.2.2007 – 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614: Wird nach Zugang einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung vor Ablauf der Kündigungsfrist eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Verzögerung von 12 Monaten vereinbart, so handelt es sich dabei in der Regel nicht um eine nachträgliche Befristung des Arbeitsverhältnisses, sondern um einen Aufhebungsvertrag, wenn nach der Vereinbarung keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung bestehen soll („Kurzarbeit Null“) und zugleich Abwicklungsmodalitäten wie Abfindung, Zeugniserteilung und Rückgabe von Firmeneigentum geregelt werden.
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Abschluss
Rz. 63 Teil 1
wähnten typischen weiteren Inhalte eines Aufhebungsvertrages, wie etwa Abfindung, Urlaubsgewährung, Freistellung, Zeugnis und Ähnliches unbedingt geregelt werden. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags während der Wartezeit des § 1 62 Abs. 1 KSchG anstelle einer Kündigung ist nach einer Entscheidung des BAG vom 7.3.20021 dagegen ohne Weiteres zulässig, wobei auch ein über die Probezeitkündigungsfrist hinausreichender Zeitraum bis zur tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden könne. Ein unterhalb der längsten Kündigungsfrist liegender Beendigungszeitraum von vier Monaten sei nicht zu beanstanden, sofern dem Arbeitnehmer dadurch eine zweite Bewährungschance eingeräumt werden solle. Ein solcher unbedingter Aufhebungsvertrag mit bedingter Wiedereinstellungszusage sei nicht einem auflösend bedingten Aufhebungsvertrag gleichzustellen und damit wegen Umgehung zwingenden Kündigungsrechts unwirksam. Der Aufhebungsvertrag ziele hier nicht darauf, das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der bereits die Wartezeit erfüllt habe, beim Eintritt einer Beendigung zu beenden und den Kündigungsgrund dann der Nachprüfung am Maßstab des § 1 Abs. 2 KSchG zu entziehen. Der Arbeitgeber habe lediglich von seiner Kündigungsfreiheit in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses keinen Gebrauch gemacht und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit verschafft, trotz seiner bei Abschluss des Aufhebungsvertrags unbedingten Absicht, das Arbeitsverhältnis zu beenden, u.U. doch noch später eine Wiedereinstellung zu erreichen. Werde die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Frist vereinbart, die zwar nicht der (kurzen) Probezeit-Kündigungsfrist, dafür jedoch der (verlängerten) normalen Kündigungsfrist entspreche, ziele der Aufhebungsvertrag auch auf die alsbaldige Beendigung der arbeitsvertraglichen Beziehungen und bedürfe zu seiner Wirksamkeit keines sachlichen Grundes i.S. des Befristungskontrollrechts, wie dies in der Entscheidung vom 12.1.2000 für einen Aufhebungsvertrag gefordert werde, der seinem Regelungsgehalt nach auf eine befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet sei2. Zulässig ist weiterhin der Abschluss eines Aufhebungsvertrages, in welchem dem Arbeitnehmer für den Fall, dass es ihm innnerhalb einer bestimmten Frist nicht gelingt, eine Folgebeschäftigung zu finden, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (u.U. auch zu anderen Arbeitsbedingungen) angeboten wird. Insoweit schließen die Parteien auch hier einen unbedingten Aufhebungsvertrag, der mit der (rechtzeitigen) Annahme des Vertragsangebots durch den Arbeitnehmer einvernehmlich wieder aufgehoben wird. Eine solche Vereinbarung ist ohne Weiteres möglich, da die Annahme des im Aufhebungsvertrag enthaltenen Angebots allein vom Willen des Arbeitnehmers abhängt.
1 BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 93/01, DB 2002, 1997. S. hierzu Lembke, DB 2002, 2648. 2 BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 93/01, DB 2007, 1997.
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Teil 1 Rz. 64
Arbeitsrechtliche Grundlagen
5. Altersgrenzen 64 Wird ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen, so endet es nicht bereits automatisch mit dem Entstehen eines Anspruchs des Arbeitnehmers auf Altersrente. Nach § 41 Satz 1 SGB VI ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Altersrente auch nicht als ein Grund anzusehen, der die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann. Demgemäß kann das Erreichen der Altersgrenze nach der Rechtsprechung des BAG nicht schematisierend als personenbedingter Kündigungsgrund anerkannt werden1. Ggf. erhält der Arbeitnehmer die ungekürzte Altersrente neben seiner Arbeitsvergütung (§ 34 Abs. 1 und 2 SGB VI). 65 Zur Vermeidung der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten ist bislang in zahlreichen Arbeitsverträgen geregelt, dass das Arbeitsverhältnis spätestens mit Erreichen eines bestimmten Alters (z.B. Vollendung des 65. Lebensjahres) enden soll. Entsprechende Regelungen sind auch nicht selten in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen anzutreffen (s. etwa § 33 Abs. 1a TVöD; § 11 Abs. 5 MTV Einzelhandel NRW vom 25.7.2008; § 7 Nr. 6 MTV Groß- und Außenhandel NRW vom 1.1.1997). 66 Die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen über Altersgrenzen hat insbesondere aufgrund von mehreren Gesetzesänderungen in den 1990er Jahren eine bewegte Vergangenheit2. § 41 Satz 2 SGB VI in der seit dem 1.1.2008 geltenden Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demographische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Anpassungsgesetz) vom 20.4.20073 lautet nunmehr wie folgt: „Eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen Alters beantragen kann, gilt dem Arbeitnehmer gegenüber als auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen, es sei denn, dass die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder von dem Arbeitnehmer bestätigt worden ist.“ 67 Hinsichtlich einer einzelvertraglich vereinbarten Altersgrenze hat das BAG zuletzt angenommen, dass diese zu ihrer Wirksamkeit eines sachlichen Grundes nach den von der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des TzBfG entwickelten Grundätzen bedürfe, wobei der sachliche Grund zur Befristung des Arbeitsverhältnisses durch die Vereinbarung einer Altersgrenze nicht bereits aus
1 Vgl. BAG vom 20.12.1984 – 2 AZR 3/84, NZA 1986, 325; s. dazu auch Trittin, ArbuR 1995, 51 ff. 2 Siehe dazu im Einzelnen die Ausführungen in der 4. Aufl. unter Teil 1 Rz. 45 ff. und Ehrich, BB 1994, 1633 ff. 3 BGBl. I S. 554 ff.
22 Ehrich
Abschluss
Rz. 70 Teil 1
der Regelung in § 41 SGB VI (a.F.) folge1. Allerdings werden arbeitsvertragliche Altersgrenzenregelungen, nach denen das Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters endet, vom BAG jedenfalls dann für wirksam erachtet, wenn der Arbeitnehmer nach dem Vertragsinhalt und der Vertragsdauer eine gesetzliche Altersrente erwerben kann oder bereits erworben hat2. Eine solche arbeitsvertraglich vereinbarte Altersgrenze, die in allgemeinen Geschäftsbedingungen unter der Überschrift „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ enthalten ist, stellt keine überraschende Klausel i.S. von § 305c Abs. 1 BGB dar3. Tarifliche Altersgrenzen hat das BAG in einer Entscheidung vom 18.6.2008 ausdrücklich für zulässig erachtet, wenn sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Zeitpunkt des Erreichens der sozialversicherungsrechtlichen Regelaltersgrenze vorsehen4. Die hierin liegende Befristung des Arbeitsverhältnisses sei durch einen sachlichen Grund i.S. von § 14 Abs. 1 TzBfG gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Beschäftigung eine gesetzliche Altersrente erwerben könne5. Der Wirksamkeit einer derartigen tariflichen Altersgrenzenregelung stünden auch das gemeinschaftliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und die Vorgaben aus der Richtlinie 2000/78/EG nicht entgegen. Die Ungleichbehandlung sei durch ein legitimes Ziel aus der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik i.S. des Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt6.
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Diese Erwägungen dürften in gleicher Weise für Altersgrenzenregelungen in Betriebsvereinbarungen gelten, die das BAG bereits in früheren Entscheidungen grundsätzlich für wirksam gehalten hat7.
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Einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Altersgrenzen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt vorsehen, zu dem der Arbeit-
70
1 BAG vom 19.11.2003 – 7 AZR 296/03, NZA 2004, 1336. 2 BAG vom 27.7.2005 – 7 AZR 443/04, NZA 2006, 37. Zur Wirksamkeit der Befristung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses s. BAG vom 16.11.2005 – 7 AZR 86/05, NZA 2006, 535. 3 BAG vom 27.7.2005 – 7 AZR 443/04, NZA 2006, 37. 4 BAG vom 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302. 5 Eine auf die Vollendung des 60. Lebensjahres bezogene Altersgrenze für Flugbegleiter hielt das BAG dagegen nicht für sachlich gerechtfertigt i.S. des § 14 Abs. 1 TzBfG, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass das altersbedingte Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Mitgliedern des Kabinenpersonals zu einer Gefährdung von Leben und Gesundheit der Flugzeuginsassen oder Personen in den überflogenen Gebieten führen könne, BAG vom 16.10.2008 – 7 AZR 253/07 (A), NZA 2009, 378. 6 S. zuvor bereits BAG vom 21.7.2004 – 7 AZR 589/03, EzA § 620 BGB 2002 Altersgrenze Nr. 5: Eine tarifliche Altersgrenze von 60 Jahren für Piloten hält der Befristungskontrolle auch Stand, soweit der Tarifvertrag nach dem 1.9.1998 abgeschlossen worden ist. Eine solche Altersgrenze verstößt weder gegen Art. 12 Abs. 1 GG noch gegen Art. 6 RL 2000/78/EG. Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG vom 25.11.2004 – 1 BvR 2459/04, BB 2005, 1231. 7 Vgl. BAG vom 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, NZA 1988, 617; BAG (GS) vom 7.11.1989 – GS 3/85, NZA 1990, 816.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 71
Arbeitsrechtliche Grundlagen
nehmer das gesetzliche Rentenalter erreicht, stellen keine unzulässige Altersdiskriminierung i.S. des AGG dar. Gemäß § 10 Satz 1 und 2 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere nach § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG Vereinbarungen einschließen, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsehen, zu dem der Beschäftigte eine Rente wegen Alters beanspruchen kann. Hiervon soll § 41 SGB VI nach dem letzten Halbsatz von § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG ausdrücklich „unberührt“ bleiben. Die sich aus solchen Altersgrenzen ergebende Ungleichbehandlung ist, wie das BAG in der bereits erwähnten – wenn auch zu einer vor dem Inkrafttreten des AGG vereinbarten tariflichen Altersgrenze ergangenen – Entscheidung vom 18.6.2008 angenommen hat1, durch ein legitimes Ziel aus der Arbeitmarkt- und Beschäftigungspolitik gerechtfertigt. 71 Soweit tarifliche Regelungen für bestimmte Arbeitnehmergruppen niedrigere Altersgrenzen enthalten, sind diese ebenfalls mit dem AGG vereinbar, wenn sie objektiv und angemessen sind, ein legitimes Ziel zu verfolgen. Dies ist insbesondere bei tariflichen Altersgrenzenregelungen für Piloten, nach denen das Arbeitsverhältnis mit Erreichen des 60. Lebensjahres endet, im Hinblick auf den Schutz von Leib und Leben der Besatzung, der Passagiere und der Bevölkerung in den überflogenen Gebieten der Fall2. 72 Gegen einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Altersgrenzen, die auf das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters des Arbeitnehmers abstellen, bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken3. 73 Die in § 41 Satz 2 SGB VI genannte „Regelaltersgrenze“ wurde durch das RVAltersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.20074 stufenweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr angehoben. Gemäß § 35 Satz 2 SGB VI wird die Regelaltersgrenze grundsätzlich mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht. Versicherte, die vor dem 1.1.1949 geboren sind, haben Anspruch auf gesetzliche Altersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres und Erfüllung einer Wartezeit von 35 Jahren, § 236 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 Nr. 2 SGB VI. Für Versicherte, die nach dem 31.12.1948 geboren sind, wurde die Altersgrenze von 65 Jahren nach § 236 Abs. 2 Satz 2 SGB VI wie folgt angehoben:
1 BAG vom 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302. 2 Zutreffend LAG Hessen vom 15.10.2007 – 17 Sa 809/07 unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des BAG zu kollektivrechtlichen Altersgrenzen bei Flugzeugführern (siehe die Nachw. in der Vorauflage in Teil 1 Rz. 52 Fußn. 1), die den Kriterien entspreche, unter denen nach § 10 Satz 1 und 2 AGG nicht von einer unzulässigen Altersdiskriminierung auszugehen sei; ebenso ArbG Frankfurt vom 14.3.2007 – 6 Ca 7405/06, BB 2007, 1736 (Vorinstanz). 3 Vgl. BVerfG vom 26.1.2007 – 2 BvR 2408/06, ArbuR 2007, 91 (zur Zulässigkeit einer Altershöchstgrenze für gewerbsmäßig fliegende Piloten von 65 Jahren). 4 BGBl. I S. 554 ff.
24 Ehrich
Rz. 75 Teil 1
Abschluss
Versicherte Geburtsjahr Geburtsmonat 1949 Januar Februar März–Dezember 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963
Anhebung um Monate
Jahr
auf Alter Monat
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 14 16 18 20 22
65 65 65 65 65 65 65 65 65 65 65 66 66 66 66 66 66
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 0 2 4 6 8 10
Aufgrund dieser stufenweisen Anhebung der Regelaltersgrenze besteht für ei- 74 ne Anpassung von Altersgrenzenregelungen in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen, die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellen, kein Handlungsbedarf, da wegen der gesetzlichen Fiktion des § 41 Satz 2 SGB VI automatisch die jeweilige Regelaltersgrenze als Beendigungszeitpunkt gilt1. Bestimmt eine einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Regelung, dass das Arbeitsverhältnis bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters endet, ist für die Berechnung des gesetzlichen Rentenalters nach § 33a Abs. 1 SGB I das Geburtsdatum maßgebend, das der Arbeitnehmer erstmals gegenüber einem Sozialleistungsträger angegeben hat. Eine spätere Änderung des Geburtsdatums ist regelmäßig unbeachtlich2.
1 So zu Recht Grimm/Brock, ArbRB 2007, 210 (211); anders Bauer, I Rz. 113, wonach „eigentlich alles“ (?) dafür spreche, „Altvereinbarungen“, die auf das 65. Lebensjahr abstellten, auch nach Anhebung der Regelaltersgrenze als wirksam anzusehen. Diese Annahme ist jedoch mit der insoweit unmissverständlichen Regelung des § 41 Satz 2 SGB VI n.F. unvereinbar. Zutreffend räumt Bauer daher auch ein, dass es „wahrscheinlicher“ sei, die Rechtsprechung werde solche „Altvereinbarungen“ dahin auslegen, dass sie „in Wahrheit“ auf das jeweilige gesetzliche Regelrenteneintrittsalter Bezug nehmen. 2 BAG vom 14.8.2002 – 7 AZR 469/01, NZA 2003, 1397.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 76
Arbeitsrechtliche Grundlagen
76 Sofern vertraglich vereinbart wurde, dass das Arbeitsverhältnis vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze enden solle, wenn der Arbeitnehmer eine Altersrente beantragen kann, begründet § 41 SGB VI lediglich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortführung des Arbeitsverhältnisses bis zur Regelaltersgrenze, nicht aber auch auf die vertraglich für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens vereinbarten Leistungen1. 77 Sehen eine einzel- oder kollektivvertragliche Vereinbarung die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt vor dem Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze vor, muss diese Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder von dem Arbeitnehmer bestätigt werden, § 41 Satz 2 Halbs. 2 SGB VI. Anderenfalls gilt die Vereinbarung gegenüber dem Arbeitnehmer als auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen. Die Vereinbarung bzw. Bestätigung i.S. von § 41 Satz 2 Halbs. 2 SGB VI ist auch als ein Aufhebungsvertrag anzusehen. Für die Berechnung der Dreijahresfrist ist nicht auf das Erreichen der Regelaltersgrenze, sondern auf den vereinbarten Zeitpunkt des Ausscheidens abzustellen2. Die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung hängt nicht davon ab, ob bei ihrem Abschluss ein sachlicher Grund für die in der Auflösung liegende Befristung des Arbeitsverhältnisses gegeben war3.
6. Verminderte Erwerbsfähigkeit 78 Teilweise oder völlige Erwerbsminderung (früher: Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) beendet – ebenso wie das Erreichen der Altersgrenze – ein Arbeitsverhältnis nicht automatisch. Eine einzel- oder kollektivvertragliche Vereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis im Falle der Erwerbsminderung endet, ist grundsätzlich zulässig. Hierbei handelt es sich um eine auflösende Bedingung, für die i.S. der Rechtsprechung des BAG ein sachlich gerechtfertigter Grund besteht4. Jedoch hält das BAG Regelungen in einer Betriebsvereinbarung wegen nicht hinreichender Bestimmtheit des Beendigungszeitpunktes für unwirksam, wenn sie so auszulegen seien, dass das Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt enden solle, zu dem nach rentenrechtlichen Vorschriften die Voraussetzungen einer Erwerbsminderung vorlägen5. Einer Klausel, die nur auf den „Eintritt“ der Erwerbsminderung abstelle, könne noch nicht entnommen werden, dass der Rentenbeginn der maßgebende Beendigungszeitpunkt sein solle. 79 Besteht zwischen dem Arbeitnehmer und dem Rentenversicherungsträger keine Einigkeit über die Reichweite der gesundheitlichen Beeinträchtigung
1 Vgl. BAG vom 18.2.2003 – 9 AZR 136/02, DB 2003, 2392. 2 BAG vom 17.4.2002 – 7 AZR 40/01, DB 2002, 1941; ebenso LAG Brandenburg vom 21.11.2000 – 1 Sa 445/00, DB 2001, 1039 (Vorinstanz). 3 LAG Brandenburg vom 21.11.2000 – 1 Sa 445/00, DB 2001, 1039; Bauer, I Rz. 110. Offen gelassen von BAG vom 17.4.2002 – 7 AZR 40/01, DB 2002, 1941. 4 Vgl. BAG vom 31.7.2002 – 7 AZR 118/01, NZA 2003, 620; BAG vom 15.3.2006 – 7 AZR 332/05, BB 2006, 2760. 5 BAG vom 27.10.1988 – 2 AZR 109/88, NZA 1989, 643.
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Abschluss
Rz. 81 Teil 1
oder deren Folgen für die Erwerbsfähigkeit, kann zwischen der tatsächlichen Erfüllung der Voraussetzungen der Erwerbsminderung und ihrer – auf den Beginn des Monats der Antragstellung zurückwirkenden – Feststellung durch den Sozialversicherungsträger u.U. ein längerer Zeitraum liegen. Demgemäß stellen die Tarifverträge größtenteils nicht auf den Eintritt der Erwerbsminderung, sondern auf den Zeitpunkt der Zustellung des Rentenbescheides ab (vgl. etwa § 11 Abs. 5 MTV Einzelhandel NRW vom 25.7.2008: Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ende des Kalendermonats, in welchem dem Arbeitnehmer der Rentenbescheid zugegangen ist; § 7 Nr. 6 MTV Groß- und Außenhandel NRW vom 1.1.1997: Ende des Arbeitsverhältnisses ab dem Tag, an dem Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen wird; § 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD: Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Monats, in dem der Rentenbescheid dem Angestellten zugestellt wird). Eine entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis nicht mit dem „Eintritt“ der Erwerbsminderung, sondern erst mit Zugang des Rentenbescheides bzw. mit dem Bezug von Rente wegen Erwerbsminderung endet, unterliegt – auch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Auflösungszeitpunktes – keinen rechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des BAG1 führen tarifliche Beendigungsklauseln wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aber nur dann zur wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitnehmer weder auf seinem bisherigen noch auf einem anderen, ihm nach seinem Leistungsvermögen zumutbaren Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann und er in den Fällen auch nicht vor Zustellung des Rentenbescheids vom Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung verlangt2. Gleiches dürfte für einzelvertraglich vereinbarte auflösende Bedingungen gelten3.
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7. Gerichtliche Aufhebungsverträge (Prozessvergleiche) Besondere praktische Bedeutung hat der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag im Rahmen eines Rechtsstreits um die Wirksamkeit einer Kündigung, einer Befristung oder einer Bedingung. Denn ein nicht unerheblicher Teil aller gerichtlichen Auseinandersetzungen um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, insbesondere Kündigungsrechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, wird aus den oben dargestellten Gründen (s.o. Rz. 1 ff.) bereits in der ersten Instanz – regelmäßig in der Gütesitzung (§ 54 Abs. 3
1 BAG vom 9.8.2000 – 7 AZR 214/99, NZA 2001, 737; BAG vom 31.7.2002, NZA 2003, 620; BAG vom 15.3.2006 – 7 AZR 332/05, BB 2006, 2760. 2 S. dazu auch § 33 Abs. 2 TVöD: Im Falle teilweiser Erwerbsminderung endet bzw. ruht das Arbeitsverhältnis nicht, wenn der Beschäftigte nach seinem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsvermögen auf seinem bisherigen oder einem anderen geeigneten und freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann, soweit dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe nicht entgegenstehen, und der Beschäftigte innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids seine Weiterbeschäftigung schriftlich beantragt. 3 Ebenso Bauer, I Rz. 115.
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Teil 1 Rz. 82
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ArbGG)1, nicht selten aber auch in der nachfolgenden streitigen Verhandlung, dem sog. Kammertermin (§ 57 Abs. 2 ArbGG) – „verglichen“2. 82 Der Prozessvergleich ist nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ein Vergleich, der zwischen den Parteien oder einer Partei und einem Dritten zur Beilegung von Streitigkeiten vor einem deutschen Gericht abgeschlossen wird. Dies ist bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsvergleichen regelmäßig das Arbeitsgericht als Prozessgericht (vgl. § 2 Abs. 1 ArbGG). Außergerichtliche Vergleiche, die auf Anregung des Gerichts zustande gekommen sind, gehören nicht zu den Prozessvergleichen3. Der Prozessvergleich kann auch nach der streitigen Verhandlung vor dem Vorsitzenden Richter allein4 oder während der Rechtsmittelinstanzen5 geschlossen werden. Dagegen ist nach rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidung eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits nicht möglich6. Unerheblich ist jedoch für die Zulässigkeit des Prozessvergleichs, ob die Klageschrift oder ihre Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist, ob die Prozessvoraussetzungen (wie z.B. Zuständigkeit des Gerichts) gegeben sind oder ob ein Rechtsmittel statthaft, ordnungsgemäß eingelegt und begründet ist7. 83 Der Abschluss vor einem deutschen Gericht i.S. von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bedeutet, dass der Vergleich in der für das angerufene Gericht vorgeschriebenen Form beurkundet werden muss. Der Vergleich muss in das Sitzungsprotokoll oder in eine dem Protokoll als Anlage beigefügte und in ihm als solche bezeichnete aufgenommen werden (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 5 ZPO). Der Vergleich muss weiterhin den Vertragsschließenden vorgelesen oder zur Durchsicht vorgelegt und von ihnen genehmigt (nicht unterschrieben) werden; dies ist im Protokoll zu vermerken, § 162 Abs. 1 ZPO. Auf die Erfordernisse des Vorlesens oder Vorlegens zur Durchsicht und die Genehmigung kann von den Parteien – wie sich im Umkehrschluss aus § 162 Abs. 2 ZPO ergibt – nicht verzichtet werden. Das Protokoll ist vom Vorsitzenden und vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben, § 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Ist der Inhalt des Protokolls ganz oder teilweise mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufgezeichnet worden, hat gemäß § 163 Abs. 1 Satz 2 ZPO der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Richtigkeit der Übertragung zu prüfen und durch seine Unterschrift zu bestätigen. Dies gilt auch dann, wenn er zur Sitzung nicht zugezogen war. Ein Vergleich, der diese Formalien nicht 1 Einzelheiten zur Güteverhandlung s. bei Bauer, I Rz. 130 ff. 2 Vgl. dazu die Angaben bei Bengelsdorf, NZA 1994, 193, wonach Kündigungsschutzverfahren in der ersten Instanz mindestens zu 60 % und in der zweiten Instanz mindestens zu 40 % durch Prozessvergleiche erledigt werden, wobei die Vergleiche zu etwa 6 % die Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses, im Übrigen die vertragliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Inhalt haben. 3 Bauer, I Rz. 119; Bengelsdorf, S. 6. 4 BAG vom 5.8.1969 – 1 AZR 441/68, NJW 1970, 349; Bauer, I Rz. 120; Bengelsdorf, S. 6. 5 Bengelsdorf, S. 5. 6 Bengelsdorf, S. 6; Müller, S. 142 m. w. Nachw. 7 Bauer, I Rz. 120; Bengelsdorf, S. 6.
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Abschluss
Rz. 85 Teil 1
einhält, führt nicht zur Prozessbeendigung1. Allerdings kann ein aus prozessrechtlichen Gründen unwirksamer Vergleich als außergerichtlicher Vergleich aufrechterhalten werden2. Eine gerichtliche Entscheidung, mit der offenbare Unrichtigkeiten in einem Prozessvergleich berichtigt werden, ist nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, da diesbezüglich keine ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht3. Möglich ist seit dem 1.1.2002 der Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO auch dadurch, dass die Parteien dem Gericht einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz diesem gegenüber annehmen4. Das Gericht hat sodann das Zustandekommen und den Inhalt eines auf diese Weise geschlossenen Vergleichs durch Beschluss festzustellen, § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO5. Schließen die Parteien oder deren Prozessbevollmächtigte während eines an- 84 hängigen Rechtsstreits außergerichtlich einen Vergleich und vereinbaren sie dessen gerichtliche Protokollierung, so ist nach Auffassung des BAG in der Regel anzunehmen, dass der Vergleich erst mit der Protokollierung wirksam abgeschlossen ist6. Denn mit der Vereinbarung der gerichtlichen Protokollierung werde vor allem der Zweck verfolgt, dem Kläger einen Vollstreckungstitel zu verschaffen und den Rechtsstreit zu beenden. Der Vergleichsprotokollierung komme daher eine wesentliche Bedeutung zu. Im Falle der Vereinbarung einer gerichtlichen Protokollierung des Vergleichs seien besondere Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass die Parteien oder deren Prozessbevollmächtigte bereits dem außergerichtlichen Vergleich, der weder die Prozessbeendigung herbeiführen noch einen Vollstreckungstitel schaffen könne, eine konstitutive Bedeutung hätten beimessen wollen. Sofern solche besonderen Anhaltspunkte nicht ersichtlich bzw. von der Partei, die sich auf die lediglich deklaratorische Beurkundung berufe, nicht bewiesen seien, bleibe es bei der Auslegungsregel des § 154 Abs. 2 BGB, wonach bei Vereinbarung einer Vertragsbeurkundung im Zweifel anzunehmen sei, dass keine Vertragsbindung entstehe, solange die Beurkundung nicht erfolgt sei7. Als Mindestinhalt muss der Aufhebungsvergleich die verbindliche Festlegung des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses enthalten (etwa in Form der Formulierung: „Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass das Arbeitsverhältnis zum . . . beendet wurde/wird“). Der Beendigungszeitpunkt kann dem sich aus der Kündigung, der Befristung oder dem Bedingungseintritt 1 BAG vom 14.7.1960 – 2 AZR 152/60, BB 1960, 1061; Bauer, I Rz. 119; Bengelsdorf, S. 7. 2 BAG vom 26.11.1959 – 2 AZR 242/57, MDR 1960, 440; BAG vom 22.4.1960 – 5 AZR 494/59, BB 1960, 668; BAG vom 5.8.1969 – 1 AZR 441/68, NJW 1970, 349; Bauer, I Rz. 125, 214. 3 So jedenfalls BAG vom 25.11.2008 – 3 AZB 64/08, NZA 2009, 332. 4 S. dazu Oberthür, ArbRB 2004, 95 f. 5 Zur Terminsgebühr des Rechtsanwalts bei Vergleichsfestellung nach § 278 Abs. 6 ZPO s. BAG vom 20.6.2006 – 3 AZB 78/05, NZA 2006, 1060. 6 BAG vom 16.1.1997 – 2 AZR 35/96, NZA 1997, 789. 7 BAG vom 16.1.1997 – 2 AZR 35/96, NZA 1997, 789.
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Teil 1 Rz. 86
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ergebenden Termin entsprechen. Möglich ist aber auch die Vereinbarung eines späteren Zeitpunktes. Eine rückwirkende Beendigung eines bereits vollzogenen Arbeitsverhältnisses ist dagegen unzulässig1. Zu den weiteren möglichen Inhalten eines gerichtlichen Aufhebungsvergleichs s.u. Teil 2 Rz. 28 ff. 86 Nach h.M.2 hat der Prozessvergleich eine Doppelnatur, indem er einerseits einen privatrechtlichen Vertrag darstellt, für den die Regelung des § 779 BGB und alle sonstigen Vorschriften des BGB gelten, zum anderen aber auch eine Prozesshandlung umfasst, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts richtet. Materiellrechtlich beendet der Prozessvergleich das Arbeitsverhältnis zu dem im Vergleich angegebenen Zeitpunkt. Verfahrensrechtlich beendet er den Rechtsstreit und die Rechtshängigkeit des Verfahrens, soweit er den Streitgegenstand betrifft. Ein vorangegangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil verliert damit seine Wirkungen3. 87 Der Prozessvergleich stellt einen Vollstreckungstitel dar, sofern er einen vollstreckbaren Inhalt hat. Bei dem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag ist diese Voraussetzung etwa bei der Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung oder bei der Pflicht des Arbeitnehmers zur Herausgabe bestimmter Gegenstände (z.B. Werkzeug, Dienstwagen, Schlüssel) gegeben. Demgegenüber kommt eine Zwangsvollstreckung nicht in Betracht, wenn nur eine über den Kündigungstermin hinausgehende Auslauffrist vereinbart worden ist4. Gleiches gilt für die – in gerichtlichen Aufhebungsvergleichen häufig anzutreffende – bloße Verpflichtung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis bis zum Zeitpunkt der Beendigung „ordnungsgemäß abzuwickeln“5. 88 Da die Prozesshandlung und das materielle Rechtsgeschäft, die vom Prozessvergleich umfasst werden, eine untrennbare Einheit bilden, haben materiellrechtliche Mängel des Prozessvergleichs, soweit sie auf Umständen beruhen, die bereits zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vorlagen, nach unbestrittener Ansicht6 folgende prozessuale Auswirkungen: Führen diese Umstände zur Nichtigkeit des Vergleichs von Anfang an (z.B. nach §§ 134, 138, 306, 779 BGB) oder begründen sie ein Anfechtungsrecht nach §§ 119, 123 BGB mit der Folge, dass der Vergleich nach Erklärung der Anfechtung gemäß § 142 1 Bengelsdorf, S. 6. 2 BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, DB 1983, 1370; BAG vom 16.1.1997 – 2 AZR 35/96, NZA 1997, 789; BAG vom 15.5.1997 – 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33; BGH vom 14.5.1987 – III ZR 267/85, NJW 1988, 65; BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466; Bengelsdorf, S. 6; Bauer, I Rz. 121 m. w. Nachw. 3 Bengelsdorf, S. 7. 4 Bauer, I Rz. 120; Bengelsdorf, S. 6; Müller, S. 145. 5 So LAG Köln vom 17.5.1994 – 8 Ta 67/94 (nicht veröffentlicht); LAG Köln vom 2.9.1994 – 6 Ta 139/94 (nicht veröffentlicht). S. dazu auch BAG vom 25.4.2001 – 5 AZR 395/99, NZA 2001, 1157: Einem Antrag, das Arbeitsverhältnis „ordnungsgemäß abzurechnen“, fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit i.S. von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. 6 BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, DB 1983, 1370; BAG vom 15.5.1997 – 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33; BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466; Bauer, I Rz. 121; Bengelsdorf, S. 7.
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Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Rz. 90 Teil 1
BGB rückwirkend nichtig wird, so ist auch der Prozessvergleich als Prozesshandlung unwirksam. Seine prozessbeendende Wirkung ist nicht eingetreten. Die Rechtshängigkeit des Prozesses hat fortbestanden und das bisherige Verfahren ist fortzusetzen. Der Streit über die Wirksamkeit des Vergleichs ist in diesem Verfahren auszutragen1. Wird dagegen der Prozessvergleich materiellrechtlich aus Gründen unwirksam, deren tatsächliche Grundlagen erst nach Vergleichsabschluss entstanden sind, nämlich die Fälle des gesetzlichen Rücktritts nach §§ 325, 326 BGB und der vertraglichen Aufhebung des Vergleichs durch die Parteien, ist nach der Rechtsprechung des BAG2 wegen des in § 9 Abs. 1 ArbGG festgelegten Beschleunigungsgrundsatzes ebenfalls von der Unwirksamkeit des Vergleichs und der weiteren Rechtshängigkeit des bisherigen Verfahrens auszugehen. Demgegenüber kann nach Ansicht des BGH3, des BSG4 und des BVerwG5 die nachträgliche Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs wegen später eingetretener Umstände nicht in dem bisherigen, sondern nur in einem neuen Rechtsstreit geltend gemacht werden. Sind die Parteien darüber einig, dass ein von ihnen geschlossener Prozessvergleich den Rechtsstreit erledigt hat und streiten sie nur über die Auslegungsfrage, welche materiellen Ansprüche der Vergleich erfasst, so ist dieser Streit in einem neuen Prozess auszutragen6. Zum Widerrufsvorbehalt in gerichtlichen Aufhebungsverträgen s.u. Teil 3 Rz. 78 ff.
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III. Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann über die eigentliche Beendi- 90 gung des Arbeitsverhältnisses hinaus weitreichende – insbesondere finanzielle – Folgen für den Arbeitnehmer haben. Oftmals ist sich der Mitarbeiter aufgrund der komplizierten Gesetze der Konsequenzen seines Handelns im Hinblick auf seine betriebliche Altersversorgung oder bezüglich seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld gar nicht bewusst. Da im Gegensatz zum Arbeitnehmer der Arbeitgeber häufig über den notwendigen Kenntnisstand auf dem Gebiet des Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrechts verfügt, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang den Arbeitgeber vor und während des Abschlusses von Aufhebungsverträgen Hinweis- und Aufklärungspflichten gegenüber dem Arbeitnehmer treffen und welche Folgen eine unterlassene oder fehlerhaft durchgeführte Unterrichtung auslöst.
1 BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, DB 1983, 1370; BAG vom 15.5.1997 – 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33; BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466; Bengelsdorf, S. 7. 2 BAG vom 30.5.1956 – 2 AZR 178/54, ArbuR 1956, 315; BAG vom 22.4.1960 – 5 AZR 494/59, BB 1960, 668; BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, DB 1983, 1370. 3 BGH vom 15.4.1964 – Ib ZR 201/62, NJW 1964, 1524. 4 BSG vom 26.4.1963 – 2 RU 228/59, NJW 1963, 2292. 5 BVerwG vom 27.9.1961 – I C 93.58, DÖV 1962, 423. 6 BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 316/01, DB 2003, 2500.
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Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Rz. 90 Teil 1
BGB rückwirkend nichtig wird, so ist auch der Prozessvergleich als Prozesshandlung unwirksam. Seine prozessbeendende Wirkung ist nicht eingetreten. Die Rechtshängigkeit des Prozesses hat fortbestanden und das bisherige Verfahren ist fortzusetzen. Der Streit über die Wirksamkeit des Vergleichs ist in diesem Verfahren auszutragen1. Wird dagegen der Prozessvergleich materiellrechtlich aus Gründen unwirksam, deren tatsächliche Grundlagen erst nach Vergleichsabschluss entstanden sind, nämlich die Fälle des gesetzlichen Rücktritts nach §§ 325, 326 BGB und der vertraglichen Aufhebung des Vergleichs durch die Parteien, ist nach der Rechtsprechung des BAG2 wegen des in § 9 Abs. 1 ArbGG festgelegten Beschleunigungsgrundsatzes ebenfalls von der Unwirksamkeit des Vergleichs und der weiteren Rechtshängigkeit des bisherigen Verfahrens auszugehen. Demgegenüber kann nach Ansicht des BGH3, des BSG4 und des BVerwG5 die nachträgliche Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs wegen später eingetretener Umstände nicht in dem bisherigen, sondern nur in einem neuen Rechtsstreit geltend gemacht werden. Sind die Parteien darüber einig, dass ein von ihnen geschlossener Prozessvergleich den Rechtsstreit erledigt hat und streiten sie nur über die Auslegungsfrage, welche materiellen Ansprüche der Vergleich erfasst, so ist dieser Streit in einem neuen Prozess auszutragen6. Zum Widerrufsvorbehalt in gerichtlichen Aufhebungsverträgen s.u. Teil 3 Rz. 78 ff.
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III. Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann über die eigentliche Beendi- 90 gung des Arbeitsverhältnisses hinaus weitreichende – insbesondere finanzielle – Folgen für den Arbeitnehmer haben. Oftmals ist sich der Mitarbeiter aufgrund der komplizierten Gesetze der Konsequenzen seines Handelns im Hinblick auf seine betriebliche Altersversorgung oder bezüglich seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld gar nicht bewusst. Da im Gegensatz zum Arbeitnehmer der Arbeitgeber häufig über den notwendigen Kenntnisstand auf dem Gebiet des Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrechts verfügt, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang den Arbeitgeber vor und während des Abschlusses von Aufhebungsverträgen Hinweis- und Aufklärungspflichten gegenüber dem Arbeitnehmer treffen und welche Folgen eine unterlassene oder fehlerhaft durchgeführte Unterrichtung auslöst.
1 BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, DB 1983, 1370; BAG vom 15.5.1997 – 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33; BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466; Bengelsdorf, S. 7. 2 BAG vom 30.5.1956 – 2 AZR 178/54, ArbuR 1956, 315; BAG vom 22.4.1960 – 5 AZR 494/59, BB 1960, 668; BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, DB 1983, 1370. 3 BGH vom 15.4.1964 – Ib ZR 201/62, NJW 1964, 1524. 4 BSG vom 26.4.1963 – 2 RU 228/59, NJW 1963, 2292. 5 BVerwG vom 27.9.1961 – I C 93.58, DÖV 1962, 423. 6 BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 316/01, DB 2003, 2500.
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Teil 1 Rz. 91
Arbeitsrechtliche Grundlagen
1. Allgemeines 91 Bei der Beurteilung des Umfangs möglicher Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers ist beim Abschluss von Aufhebungsverträgen zunächst danach zu differenzieren, wer die Initiative zur einvernehmlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses ergriffen hat. a) Beendigung auf Initiative des Arbeitnehmers 92 Bittet der Arbeitnehmer selbst um die Aufhebung seines Arbeitsvertrages, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass den Arbeitgeber keine Aufklärungspflicht trifft1. Der Mitarbeiter muss sich in diesem Fall selbst Klarheit über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verschaffen2. 93 Scheidet etwa ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes aus dem Arbeitsverhältnis aus, so besteht für den Arbeitgeber ohne besondere Veranlassung keine allgemeine Hinweis- oder Aufklärungspflicht über die Verpflichtung zur Rückzahlung der erhaltenen Zuwendung3. Ebenso wenig muss der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der selbst kündigt, über einen daraus folgenden Verlust des Anspruchs aus dem Sozialplan hinweisen. Den Arbeitgeber trifft daher auch keine Fürsorgepflicht, den kündigenden Arbeitnehmer auf die Möglichkeit einer unmittelbar bevorstehenden Betriebsänderung und die mögliche Übernahme eines Sozialplans für das Unternehmen sowie einen daraus folgenden möglichen Abfindungsverlust hinzuweisen4. 94 Lediglich bei einem außergewöhnlichen Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers sollen ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Hinweisund Aufklärungspflichten des Arbeitgebers in Betracht kommen, wobei auch dann noch die übrigen Umstände zu berücksichtigen seien5. b) Beendigung auf Initiative des Arbeitgebers 95 Problematischer ist die Frage nach möglichen Hinweis- und Aufklärungspflichten beim Abschluss von Aufhebungsverträgen, wenn – wie im Regelfall – die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber ausgeht. Hier ist in der Rechtsprechung und der Literatur äußerst umstritten, wie weit die Aufklärungspflichten des Arbeitgebers gehen. Einzelne Instanzgerichte fordern, dass der Arbeitgeber alles dafür tun müsse, eventuelle Schäden abzuwenden, die dem Arbeitnehmer durch Abschluss des Aufhebungsvertrages entstehen könnten6. 1 BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837. 2 BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971; BAG vom 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150; LAG Hamm vom 14.1.2000 – 10 Sa 1473/99, NZA-RR 2000, 501; LAG Schleswig-Holstein vom 29.8.2002 – 4 Sa 105/02, DB 2002, 2552. 3 Zutreffend LAG Hamm vom 14.1.2000 – 10 Sa 1473/99, NZA-RR 2000, 501. 4 LAG Schleswig-Holstein vom 29.8.2002 – 4 Sa 105/02, DB 2002, 2552. 5 BAG vom 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150. 6 So ArbG Freiburg vom 20.6.1991 – 2 Ca 145/91, DB 1991, 2600; ähnlich ArbG Hamburg vom 10.12.1990 – 21 Ca 252/90, BB 1991, 625; ArbG Wetzlar vom 29.8.1995 –
32 Ehrich
Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Rz. 97 Teil 1
Das BAG wiederum steht grundsätzlich auf dem Standpunkt, dass ohne besondere Umstände auch hier nicht von einem Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers auszugehen sei, da sich der Arbeitnehmer, bevor er einen Aufhebungsvertrag abschließt, in der Regel selbst über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klarheit verschaffen muss1. Ausnahmsweise können sich jedoch gesteigerte Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers ergeben, wenn der Aufhebungsvertrag auf dessen Initiative und in seinem Interesse zustande kommt. Aufgrund der dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht bzw. nach Treu und Glauben kann hier der Arbeitgeber verpflichtet sein, den Arbeitnehmer auf die für diesen nachteiligen Folgen des Aufhebungsvertrages hinzuweisen. Ein derartiger Ausnahmefall kann nach Auffassung des BAG dann angenommen werden, wenn die Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Billigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass der Arbeitnehmer durch eine sachgerechte und vom Arbeitgeber redlicherweise zu erwartende Aufklärung vor der Auflösung des Arbeitsverhältnisses geschützt werden muss, weil er sich durch sie aus Unkenntnis selbst schädigen würde2. Danach treffen den Arbeitgeber beispielsweise dann erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorschlägt und dabei den Eindruck erweckt, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen Risiken (insbesondere atypischen Versorgungsrisiken) aussetzen3.
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Die oben erwähnte, von einigen Instanzgerichten vertretene umfassende Aufklärungspflicht des Arbeitgebers wird in der Literatur mehrheitlich zu Recht abgelehnt4. Denn derart weitreichende Hinweis- und Aufklärungspflichten würden die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht ohne sachlichen Grund erheb-
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1 Ca 273/95, NZA-RR 1996, 84: „Aufhebungsverträge sind dann gemäß § 123 BGB anfechtbar, wenn der Arbeitnehmer zuvor nicht über die Bedeutung derselben und ihre möglichen (sozialversicherungsrechtlichen) Folgen aufgeklärt wurde oder wenn ihm kein Widerruf für eine rechtliche Beratung vorbehalten wurde. Das Gericht hält damit an seiner Entscheidung (ArbG Wetzlar vom 7.8.1990 – 1 Ca 48/90, DB 1991, 976) fest. Diese Entscheidung gebieten auch die Freiheitsrechte des Grundgesetzes, die jedem Bürger der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen, sich vor rechtsverbindlichen Entscheidungen über deren Bedeutung und Folgen rechtskundig beraten zu lassen.“ BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971; BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 26; BAG vom 25.6.2002 – 9 AZR 155/01, NZA 2003, 859. BAG vom 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206; BAG vom 22.4.2004 – NZA 2004, 1295 m. w. Nachw. Ebenso LAG Hamm vom 14.1.2000 – 10 Sa 1473/99, NZA-RR 2000, 501 (503). So ausdrücklich BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206. Ebenso BAG vom 21.2.2002 – 2 AZR 749/00, NZA 2002, 1416 = DB 2002, 2172 = BB 2002, 2335; BAG vom 25.6.2002 – 9 AZR 155/01, NZA 2003, 859. Hoß/Ehrich, DB 1997, 625; Nägele, BB 1992, 1274 (1277); Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, 577 (580) mit zutreffendem Hinweis darauf, dass der Arbeitgeber nicht Vormund des Arbeitnehmers sei.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 98
Arbeitsrechtliche Grundlagen
lich überspannen. Für einen Arbeitgeber dürfte es zudem im Einzelfall kaum nachvollziehbar sein, wann der Mitarbeiter einer näheren Erläuterung der Konsequenzen des Aufhebungsvertrages bedarf. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, den Arbeitgeber im Nachhinein mit einem Prozess wegen unterlassener Aufklärung zu überziehen, weil er das Informationsbedürfnis des Mitarbeiters falsch eingeschätzt hat1.
2. Sozialrechtliche Nachteile 98 Inwieweit der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer über die Auswirkungen der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld unterrichten muss, ergibt sich nach Ansicht des BAG – entsprechend den vorangegangenen Ausführungen – aus einer Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Billigkeitsgesichtspunkten, wobei alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen seien2. Jedoch genüge der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht, wenn er einem Arbeitnehmer, der von sich aus um die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung bitte, mitteile, dass mit einer Sperrfrist zu rechnen sei, über deren Dauer die Arbeitsagentur entscheide. Auf den konkreten Zusammenhang zwischen der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses und dem Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß § 143 SGB III müsse der Arbeitgeber dagegen nicht hinweisen3. 99 Diese Auffassung des BAG wird von einem Teil des Schrifttums4 zu Recht abgelehnt. Denn eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers kann nur im Hinblick auf solche Umstände bestehen, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind. Demgegenüber konkretisieren sich die möglichen sozialrechtlichen Konsequenzen nach den §§ 143, 144 SGB III ausschließlich in der Sphäre des Arbeitnehmers, sofern dieser nach Abschluss des Aufhebungsvertrages keine Folgebeschäftigung findet. Rechnet der Arbeitnehmer damit, nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Wege des Aufhebungsvertrages kein Anschlussarbeitsverhältnis zu finden, hat er sich vor Abschluss des Aufhebungsvertrages selbst über die möglichen Folgen zu unterrichten5. 100
Geht die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages vom Arbeitgeber aus, so hängt es von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit der Arbeitgeber auf mögliche nachteilige Folgen hinweisen muss6.
101
Die Frage nach einer Aufklärungspflicht dürfte insbesondere dann auftreten, wenn beispielsweise im Rahmen der Abfindungsverhandlungen die Kündigungsfrist verkürzt wird, um dadurch die Abfindung zu erhöhen. Bei derart „gestaltenden“ Aufhebungsvereinbarungen, die von der normalen Beendi1 2 3 4
Hoß/Ehrich, DB 1997, 625. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837. Hoß/Ehrich, DB 1997, 625 f.; Bauer, I Rz. 155; Nägele, BB 1992, 1274 (1277 f.); Ernst, S. 123 f.; wohl auch Bengelsdorf, S. 29. 5 Nägele, BB 1992, 1274 (1278). 6 BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811.
34 Ehrich
Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Rz. 105 Teil 1
gung, wie sie durch eine arbeitgeberseitige Kündigung eintreten würde, abweichen, ist unter Beachtung der oben dargestellten Auffassung des BAG grundsätzlich von einer Aufklärungspflicht durch den Arbeitgeber auszugehen, soweit dieser über die entsprechenden Kenntnisse verfügt. Soweit der Arbeitgeber bislang für verpflichtet gehalten wurde, den Arbeitnehmer über etwaige sozialversicherungsrechtliche Nachteile bei der Vereinbarung von – unwiderruflichen – Freistellungen im Aufhebungsvertrag zu unterrichten1, dürfte die Erforderlichkeit einer solchen Unterrichtung angesichts der Entscheidung des BSG vom 24.9.2008 zum Fortbestehen eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses auch im Falle von Freistellungsvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien (s. dazu u. Teil 2 Rz. 169 ff.)2 hinfällig geworden sein.
102
Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zum Hinweis auf eine möglicherweise drohende Sperrfrist nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III beim Bezug von Arbeitslosengeld besteht auch dann, wenn er den Arbeitnehmer zum Abschluss eines sog. Abwicklungsvertrags veranlasst, da der Arbeitnehmer nach einer Entscheidung des BSG vom 18.12.2003 das Beschäftigungsverhältnis i.S. von § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB III auch dann „löst“, wenn er nach Ausspruch einer Kündigung des Arbeitgebers mit diesem innerhalb der Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage eine Vereinbarung über die Hinnahme der Kündigung (Abwicklungsvertrag) schließt3.
103
Unterlässt der Arbeitgeber den nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III gebotenen Hinweis an den Arbeitnehmer über dessen Pflicht, sich vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverzüglich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, so begründet dies keinen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber4. Gleichwohl sollten sowohl in arbeitgeberseitigen Kündigungen als auch in Aufhebungsverträgen entsprechende Hinweise stets aufgenommen werden (siehe dazu den Formulierungsvorschlag in Ziff. 17 des Musteraufhebungsvertrags u. Teil 2 Rz. 390).
104
Keinesfalls kann eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über sozialrechtliche Nachteile bejaht werden, wenn der Arbeitnehmer durch einen Gewerkschaftssekretär oder einen Rechtsanwalt vertreten wird5. Nichts anderes gilt,
105
1 Bauer, DB 2005, 2242 f. 2 BSG vom 24.9.2008 – B 12 KR 22/07 R. 3 BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R, NZA 2004, 661. Verärgert hierüber offenbar Boecken/Hümmerich, DB 2004, 2046 ff. S. dazu auch Bauer/Krieger, NZA 2004, 640 ff.; Heuchemer/Insam, BB 2004, 1679 ff.; Kliemt, ArbRB 2004, 212 ff. 4 Grundlegend BAG vom 29.9.2005 – 8 AZR 571/04, NZA 2005, 1406. Ebenso bereits zuvor ArbG Verden vom 27.11.2003 – 3 Ca 1567/03, BB 2004, 1632 (m. Anm. von Heins und Hörstermann); LAG Düsseldorf vom 26.9.2004 – 12 Sa 1323/04, BB 2005, 888 (m. Anm. von Vetter); LAG Düsseldorf vom 2.3.2005 – 4 Sa 1919/04, BB 2005, 2196; LAG Berlin vom 29.4.2005 – 13 SHa 724/05, BB 2005, 1576; LAG SchleswigHolstein vom 15.6.2005 – 3 Sa 63/05, BB 2005, 2196. 5 LAG Berlin vom 13.1.2006 – 13 Sa 1957/05, NZA-RR 2006, 327; Kleinebrink, ArbRB 2008, 121 (122).
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Teil 1 Rz. 106
Arbeitsrechtliche Grundlagen
wenn der Aufhebungsvertrag im Rahmen eines Prozessvergleichs geschlossen wird, weil hier eine angemessene Aufklärung durch das Arbeitsgericht erfolgen konnte1.
3. Steuerrechtliche Nachteile 106
Das Bestehen von etwaigen Aufklärungspflichten des Arbeitgebers hinsichtlich steuerrechtlicher Nachteile wurde insbesondere im Zusammenhang mit dem Freibetrag bei Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG a.F. diskutiert (s. dazu die Ausführungen in der Voraufl. unter Teil 1 Rz. 77 ff.). Wegen des ersatzlosen Wegfalls der Regelung des § 3 Nr. 9 EStG mit Wirkung vom 1.1.2006 (s.u. Teil 7 Rz. 1 ff.) dürften Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers über steuerrechtliche Konsequenzen von Aufhebungsverträgen praktisch keine Rolle mehr spielen.
4. Verlust von Versorgungsanwartschaften 107
Auch im Hinblick auf den drohenden Verlust von Versorgungsanwartschaften aus der betrieblichen Altersversorgung ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer vor Abschluss des Aufhebungsvertrages von sich aus darauf hinzuweisen. Eine Aufklärungspflicht kann ausnahmsweise nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer aufgrund besonderer Umstände darauf vertrauen darf, der Arbeitgeber werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn redlicherweise vor unbeachteten nachteiligen Folgen des vorzeitigen Ausscheidens – insbesondere bei der Versorgung – bewahren2. Ein solcher Vertrauenstatbestand ergibt sich z.B. daraus, dass der Arbeitgeber die Initiative für den Abschluss des Aufhebungsvertrages ergriffen hat, und wenn durch die Auflösung atypische Versorgungsfälle entstehen3.
108
Dagegen wurde eine Pflicht des Arbeitgebers zum Hinweis auf den drohenden Verlust einer Anwartschaft vom BAG4 in einem Fall verneint, in dem das Arbeitsverhältnis zum 30.9. einvernehmlich beendet wurde und der Arbeitnehmerin bereits ab 20.10. eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zugestanden hätte. Das BAG stellte hier u.a. auf den Umstand ab, dass der Arbeitnehmerin eine betriebliche Versorgungsordnung ausgehändigt worden war, der die Voraussetzungen und näheren Modalitäten der betrieblichen Versorgung hätten entnommen werden können. Unerheblich sei dabei die zeitli1 Hoß/Ehrich, DB 1997, 625 (626). 2 Vgl. BAG vom 18.9.1984 – 3 AZR 118/82, AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 23.5.1989 – 3 AZR 257/88, AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971; BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206. S. dazu auch Reinecke, RdA 2005, 129 ff. und DB 2006, 555 ff. 3 Vgl. BAG vom 18.9.1984 – 3 AZR 118/82, AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. 4 BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971.
36 Ehrich
Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Rz. 110 Teil 1
che Nähe des Aufhebungsvertrages zu dem für die Unverfallbarkeit maßgebenden Zeitpunkt. Denn es sei gerade die Eigenart jeder Stichtags- und Fristenregelung, dass auch kurze Über- und Unterschreitungen zu Rechtsnachteilen führten1. Dies gilt jedoch nicht bei Versorgungsnachteilen, deren Kenntnis nicht ohne Weiteres vom Arbeitnehmer erwartet werden kann2. Tritt ein Arbeitnehmer an den Arbeitgeber heran mit der Bitte um Auskunft über eine Versorgungsregelung, muss der Arbeitgeber die Auskunft erteilen, soweit er das zuverlässig vermag. Anderenfalls muss er den Arbeitnehmer an eine dafür zuständige oder kompetente Stelle verweisen.
109
In einer Entscheidung vom 17.10.2000 hatte das BAG3 erneut über das Bestehen von Hinweispflichten des Arbeitgebers bei drohenden Versorgungsschäden zu befinden. Im zugrundeliegenden Fall war die Arbeitnehmerin etwa 20 Jahre bei dem öffentlichen Arbeitgeber als Reinigungsfrau beschäftigt. Aus gesundheitlichen Gründen bat sie um die Versetzung auf einen Arbeitsplatz außerhalb des Reinigungsdienstes. Der Arbeitgeber bot ihr daraufhin eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung an und empfahl ihr, sich wegen der versorgungsrechtlichen Auswirkungen bei der Zusatzversorgungskasse zu erkundigen. Am 15.1.1996 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, mit dem sie das Arbeitsverhältnis zum 29.2.1996 beendeten. Mit Rentenbescheid vom 12.9.1997 bewilligte die Landesversicherungsanstalt eine Erwerbsunfähigkeitsrente rückwirkend zum 1.9.1996. Hätte das Arbeitsverhältnis nicht vor Eintritt des Versorgungsfalles geendet, sondern bis einschließlich 31.8.1996 fortbestanden, hätte die Arbeitnehmerin eine monatliche Versorgungsrente in Höhe von 924,22 DM erhalten. Wegen ihres vorzeitigen Ausscheidens steht ihr lediglich eine monatliche Versorgungsrente in Höhe von 157,31 DM zu. Den Differenzbetrag hat die Klägerin als Schadensersatz verlangt. Das BAG bejahte hier das Bestehen einer besonderen Hinweispflicht des Arbeitgebers. Eine erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflicht treffe den Arbeitgeber jedenfalls dann, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrages vorschlage, der Arbeitnehmer offensichtlich mit den Besonderheiten der ihm zugesagten Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes nicht vertraut sei, sich der baldige Eintritt eines Versorgungsfalls (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach längerer Krankheit) bereits abzeichne und durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses außergewöhnlich hohe Versorgungseinbußen drohten (Versicherungsrente statt Versorgungsrente)4. Zwar sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet gewesen, der Arbeitnehmerin die genaue Höhe der drohenden Versorgungsnachteile mitzuteilen und ihr die versorgungsrechtlichen Einzelheiten wie die Abgrenzung von Versorgungs- und Versicherungsrente zu erläutern, sondern habe die Arbeitnehmerin insoweit an die Zusatzversorgungskasse verweisen können. Er habe die Arbeitnehmerin aber darauf hinweisen
110
1 BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971. 2 BAG vom 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen. 3 BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206. 4 BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206.
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Teil 1 Rz. 111
Arbeitsrechtliche Grundlagen
müssen, dass sich ihre Zusatzversorgung bei Abschluss des Aufhebungsvertrages beträchtlich verringern könne. Auch über die Ursache dieses Risikos (Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles) habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in groben Umrissen zu unterrichten. Der allgemeine Hinweis auf mögliche Versorgungsnachteile und die bloße Verweisung an die Zusatzversorgungskasse unter Einräumung einer Bedenkzeit reichten unter diesen Umständen nicht aus1. 111
In einer Entscheidung vom 11.12.2001 lehnte das BAG2 dagegen einen Schadensersatzanspruch wegen gekürzter Betriebsrente ab. Der im Jahre 1937 geborene Arbeitnehmer war zuletzt als Handlungsbevollmächtigter bei der Arbeitgeberin, die ihm eine betriebliche Altersversorgungsrente zugesagt hatte, beschäftigt. Der Pensionsvertrag sah bei einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Vollendung des 63. Lebensjahres und bei Inanspruchnahme von vorgezogenem Altersruhegeld nach Vollendung des 60. Lebensjahres Minderungen des Versorgungsanspruchs vor. Im Jahre 1995 äußerte der Arbeitnehmer den Wunsch, nach den tariflichen Regelungen in Vorruhestand zu treten. Die Voraussetzungen für den Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung waren jedoch nicht erfüllt. Die Parteien schlossen daraufhin einen von der Arbeitgeberin angebotenen Aufhebungsvertrag, der vorsah, dass der Arbeitnehmer finanziell netto so gestellt werden sollte, als wäre er in den Vorruhestand getreten. Außerdem räumte ihm die Arbeitgeberin eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft ein, obwohl die Unverfallbarkeitsfristen noch nicht erfüllt waren. Der Arbeitnehmer nahm nach Vollendung des 60. Lebensjahres vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch. Seit Juni 1997 zahlt ihm die Arbeitgeberin eine gekürzte Betriebsrente in Höhe von 1229,70 DM. Der Arbeitnehmer hat eine ungekürzte Betriebsrente in Höhe von 1964,90 DM verlangt und den Differenzbetrag als Schadensersatz mit der Begründung gefordert, die Arbeitgeberin habe ihn auf die entstandene Einbuße nicht hingewiesen. Das BAG hielt die Beklagte zu Recht nicht für schadensersatzpflichtig, da sich der Arbeitnehmer selbst über die versorgungsrechtlichen Folgen seines vorzeitigen Ausscheidens und der vorgezogenen Inanspruchnahme des Altersruhegeldes Klarheit hätte verschaffen müssen. Die für eine Hinweispflicht erforderlichen Umstände waren nach Auffassung des BAG nicht gegeben, zumal das Arbeitsverhältnis auf Initiative des Arbeitnehmers beendet worden sei und dieser als gehobener Angestellter die zu erwartende Minderung seiner Betriebsrente unschwer dem Pensionsvertrag hätte entnehmen können3.
112
Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine fehlerhafte Auskunft über die zu erwartende betriebliche Altersversorgung, ist er dem Arbeitnehmer zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Als Schadensersatz ist nicht notwendig die fehlerhaft zu hoch berechnete Rente zu zahlen. Vielmehr ist festzustellen, welche Versorgung der Arbeitnehmer bei richtiger 1 BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, NZA 2001, 206. 2 BAG vom 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150. 3 BAG vom 11.12.2001 – 3 AZR 339/00, NZA 2001, 206.
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Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Rz. 115 Teil 1
Auskunft nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Vorkehrungen durch Abschluss einer zusätzlichen Versorgung erhalten hätte. Ggf. ist die Höhe, in der sich ein Arbeitnehmer bei zutreffender Auskunft zusätzlich versichert hätte, gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu schätzen1. Ebenso haftet der Arbeitgeber, der einem Arbeitnehmer eine vergleichbare Modellrechnung voraussichtlicher Versorgungsansprüche anbietet, um dessen tarifvertraglich eingeräumte Wahlentscheidung zu unterstützen, aus einer bestehenden Versorgungszusage in ein anderes System zu wechseln, für eine etwaige Unrichtigkeit dieser Modellrechnung. Ergibt sich aus einer unrichtigen Modellrechnung zu Unrecht, dass die Versorgungsalternative günstiger ist als die bestehende Zusage, und wechselt der Arbeitnehmer daraufhin in dieses Versorgungssystem, muss der Arbeitgeber ihn so stellen, wie er nach der ursprünglichen Versorgungszusage gestanden hätte2.
5. Besonderer Kündigungsschutz Gegenüber Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz (z.B. Betriebsratsmitglieder, Schwangere, Arbeitnehmer in Eltern- oder Pflegezeit oder Schwerbehinderte) ist der Arbeitgeber vor Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht zum Hinweis auf den Verlust des Sonderkündigungsschutzes verpflichtet. Denn von den Arbeitnehmern kann erwartet werden, dass sie sich hierüber selbst informieren3.
113
6. Rücktritts- und Widerrufsrechte Vereinzelt sehen Tarifverträge vor, dass Arbeitnehmer den Abschluss von Aufhebungsverträgen innerhalb einer bestimmten Frist widerrufen können (vgl. etwa § 11 Abs. 10 MTV Einzelhandel NRW vom 25.7.2008; eingehend zu möglichen Rücktritts- und Widerrufsrechten des Arbeitnehmers bei Aufhebungsverträgen u. Teil 3 Rz. 72 ff.). Allerdings ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer auf den Lauf der Widerrufsfrist hinzuweisen4. Denn grundsätzlich liegt es im Eigeninteresse des Arbeitnehmers, sich über den Inhalt der tariflichen Bestimmungen zu informieren.
114
7. Rechtsfolgen bei Verletzung von Hinweis- und Aufklärungspflichten Wird eine Auskunft vom Arbeitgeber erteilt, muss sie richtig sein. Falsche und nur scheinbar vollständige oder sonst irreführende Auskünfte verpflichten den Arbeitgeber zum Schadensersatz5. Gleiches gilt, wenn einzelne Bedin1 Hessisches LAG vom 22.8.2001 – 8 Sa 146/00, NZA-RR 2003, 323. 2 BAG vom 21.11.2000 – 3 AZR 13/00, NZA 2002, 618. 3 Hoß/Ehrich, DB 1997, 625 (626); Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 115 Rz. 12. 4 LAG Köln vom 11.4.1990 – 7 Sa 67/90, BB 1990, 2047. S. auch BAG vom 14.6.1994 – 9 AZR 284/93, NZA 1995, 229. 5 BAG vom 13.11.1984 – 3 AZR 255/84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971; BAG vom 21.11.2000 –
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Teil 1 Rz. 116
Arbeitsrechtliche Grundlagen
gungen des Aufhebungsvertrags im Zusammenhang mit der verbleibenden Abwicklung des Arbeitsverhältnisses missverständlich oder benachteiligend sein sollten1. 116
Hat der Arbeitgeber bei Abschluss des Aufhebungsvertrages eine ausnahmsweise gegenüber dem Arbeitnehmer bestehende Hinweis- und Aufklärungspflicht schuldhaft verletzt, kann dies einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB2 begründen. Der Anspruch ist immer nur auf Geldersatz – z.B. für einen Versorgungsschaden in der betrieblichen Altersversorgung – gerichtet. Dagegen kann der Arbeitnehmer nicht gemäß § 249 BGB im Wege der sog. Naturalrestitution die Beseitigung des Aufhebungsvertrages bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangen3. Denn insoweit wird es in aller Regel an der erforderlichen Kausalität zwischen der Fürsorgepflichtverletzung und dem Schaden fehlen4.
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Etwas anderes gilt dagegen, wenn der Arbeitnehmer durch eine objektiv falsche Erklärung seines Arbeitgebers über die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente nach Altersteilzeit zum Abschluss einer „Altersteilzeitvereinbarung“ veranlasst wird. In dem Fall kann er nach einer Entscheidung des BAG vom 10.2.2004 verlangen, so behandelt zu werden, als ob die Altersteilzeitvereinbarung nicht zustande gekommen wäre5.
118
Vereinbaren der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in einem Aufhebungsvertrag eine Abfindungssumme, die sich u.a. aus dem zum Vertragsschluss maßgeblichen Nettoeinkommen des Arbeitnehmers und aus der Höhe des Arbeitslosengeldes bis zum Rentenbezug zusammensetzt, berechtigt eine Minderung des Arbeitslosengelds infolge einer späteren Gesetzesänderung den Arbeitnehmer nicht, den Differenzbetrag nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vom Arbeitgeber ersetzt zu verlangen6.
1 2
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4
5 6
3 AZR 13/00, NZA 202, 618; Hessisches LAG vom 22.8.2001 – 8 Sa 146/00, NZA-RR 2003, 323. LAG Köln vom 13.2.2006 – 2 Sa 1271/05, NZA-RR 2006, 463. Bei der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers als Grundlage für mögliche Hinweis- und Aufklärungspflichten handelt es sich um eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag, vgl. BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89, NZA 1990, 971. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, AP Nr. 99 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811; LAG Düsseldorf vom 22.6.2001 – 14 Sa 491/01, NZA-RR 2002, 12 (14); LAG Köln vom 13.2.2006 – 2 Sa 1271/05, NZA-RR 2006, 463. Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Hoß/Ehrich, DB 1997, 625 (627); a.A. ArbG Wetzlar vom 7.8.1990 – 1 Ca 48/90, DB 1991, 976; ArbG Freiburg vom 20.6.1991 – 2 Ca 145/91, DB 1991, 2600; Bengelsdorf, S. 30; Ernst, S. 129. BAG vom 10.2.2004 – 9 AZR 401/02, NZA 2004, 606. S. dazu auch Abeln/Gaudernack, BB 2005, 43 ff. So LAG Düsseldorf vom 15.3.1995, DB 1995, 1240. Ähnlich BAG vom 8.9.1998 – 9 AZR 255/97, NZA 1999, 769: Die Zusage eines Arbeitgebers in einem Aufhebungsvertrag, er stelle den Arbeitnehmer so, daß dieser während der Arbeitslosigkeit unter Anrechnung eines Teils der Abfindung und der Leistung Dritter im Monatsdurchschnitt 90% des letzten Nettogehalts erhalte, verpflichtet den Arbeitgeber nicht, dem Arbeitnehmer steuerliche Nachteile auszugleichen, die sich aus der Berücksich-
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Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Rz. 121 Teil 1
Zu berücksichtigen ist auch ein etwaiges Mitverschulden des Arbeitnehmers. Die Schadensabwendungs- und -minderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB kann dem Geschädigten den Gebrauch von Rechtsmitteln gebieten. Voraussetzung hierfür ist, dass die in Betracht kommende Maßnahme Aussicht auf Erfolg verspricht und ihr nicht im Einzelfall Gesichtspunkte der Zumutbarkeit entgegenstehen1.
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8. Abdingbarkeit der Hinweis- und Aufklärungspflichten Die Hinweis- und Aufklärungspflicht ist als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag abdingbar. Zur Vermeidung etwaiger Schadensersatzansprüche ist es daher zulässig, in den Aufhebungsvertrag einen Verzicht auf Hinweise des Arbeitgebers auf mögliche Konsequenzen aus der Aufhebungsvereinbarung aufzunehmen2, beispielsweise mit folgendem Inhalt:
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Formulierungsbeispiel Der Mitarbeiter verzichtet auf Hinweise des Arbeitgebers auf mögliche Konsequenzen, die sich aus diesem Aufhebungsvertrag und aus dem Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer ergeben können.
Da eine derartige Klausel auf Arbeitgeberseite schwer durchzusetzen sein dürfte, bietet sich stattdessen im Aufhebungsvertrag auch eine Klausel an, wonach der Arbeitgeber seine Hinweis- und Aufklärungspflichten erfüllt hat, etwa in der Form:
tigung des nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfreien Arbeitslosengeldes für die Höhe des Steuersatzes nach § 32b Abs. 1 EStG ergeben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn im Aufhebungsvertrag die von dem Arbeitgeber zu berücksichtigenden Steuermerkmale und ein bestimmter vom Arbeitgeber monatlich zu leistender Nettobetrag einvernehmlich festgelegt wurden. S. aber auch BAG vom 27.9.2003 – 9 AZR 100/02, NZA 2003, 1276: Mit der Zusage, Übergangsleistungen an den Arbeitnehmer „steuerfrei“ zu erbringen, verpflichtet sich der Arbeitgeber noch nicht, auch die steuerliche Belastung zu übernehmen, die durch den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 2 EStG verursacht wird. Verpflichtet sich der Arbeitgeber dagegen ausdrücklich für die Dauer der Arbeitslosigkeit die Steuern zu übernehmen, soweit sie „für das Übergangsgeld anfallen“, so bedeutet das, den ausgeschiedenen Arbeitnehmer steuerlich auch von der Mehrbelastung durch den Progressionsvorbehalt frei zu stellen. Die den Nettobetrag des zugesagten Übergangsgelds mindernde Steuerbelastung hat danach der Arbeitgeber zu übernehmen, soweit sie auf der Berücksichtigung der bezogenen Arbeitslosenunterstützung bei der Einkommensteuer beruht. S. weiterhin BAG vom 25.6.2002 – 9 AZR 155/01, NZA 2003, 859. 1 BAG vom 12.12.2002 – 8 AZR 497/01, NZA 2003, 687. 2 Hoß/Ehrich, DB 1997, 625 (627); Bauer, I Rz. 158; Bengelsdorf, S. 30; Nägele, DB 1992, 1274 (1278).
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Teil 1 Rz. 122
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Formulierungsbeispiel Der Mitarbeiter wurde auf ein mögliches Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und die Möglichkeit des Eintritts einer Sperrfrist sowie auf den möglichen Verlust einer Versorgungsanwartschaft hingewiesen.
122
Beruft sich der Arbeitnehmer in einem nachfolgenden Rechtsstreit auf hiervon abweichende Angaben des Arbeitgebers (z.B. die – unrichtige – Auskunft, dass wegen des Aufhebungsvertrages nicht mit dem Eintritt einer Sperrfrist oder dem Verlust der Versorgungsanwartschaft zu rechnen sei), hat dies der Arbeitnehmer zu beweisen.
123
Ein Rechtsstreit wegen angeblich unrichtiger Angaben des Arbeitgebers über steuer- und sozialrechtliche Konsequenzen dürfte in jedem Fall durch Aufnahme folgender Regelung in den Aufhebungsvertrag vermieden werden:
Formulierungsbeispiel Dem Mitarbeiter ist bekannt, dass verbindliche Auskünfte über die steuer- und sozialrechtlichen Konsequenzen dieser Aufhebungsvereinbarung nur das zuständige Finanzamt bzw. die zuständige Agentur für Arbeit erteilen kann.
IV. Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes und deren Auswirkungen auf Aufhebungsverträge 124
Wegen der besonderen praktischen Bedeutung des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages als Mittel zur Vermeidung der Durchführung oder Fortsetzung gerichtlicher Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung können bei der Behandlung des Aufhebungsvertrages die wesentlichen Grundsätze des Kündigungsschutzes nicht unberücksichtigt bleiben. Dass der mögliche Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses maßgebenden Einfluss auf den Inhalt einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsvereinbarung hat, liegt auf der Hand: Während eine in rechtlicher Hinsicht „wasserdichte“ Kündigung dem Arbeitgeber bei den Aufhebungsverhandlungen zugute kommt, können rechtliche Bedenken an der formellen oder materiellen Wirksamkeit wegen des insoweit gegebenen enormen Risikos des Arbeitgebers, den Kündigungsschutzprozess zu verlieren, die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers ganz erheblich verbessern und eine geforderte Abfindung – insbesondere bei guter anwaltlicher oder gewerkschaftlicher Vertretung – „in die Höhe treiben“. Sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer ist daher die Kenntnis der wichtigsten Grundsätze des Kündigungsrechts und der typischerweise dort auftretenden Fehler unerlässlich. Die folgenden Ausführungen geben eine Übersicht über die grundlegen42 Ehrich
Teil 1 Rz. 122
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Formulierungsbeispiel Der Mitarbeiter wurde auf ein mögliches Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und die Möglichkeit des Eintritts einer Sperrfrist sowie auf den möglichen Verlust einer Versorgungsanwartschaft hingewiesen.
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Beruft sich der Arbeitnehmer in einem nachfolgenden Rechtsstreit auf hiervon abweichende Angaben des Arbeitgebers (z.B. die – unrichtige – Auskunft, dass wegen des Aufhebungsvertrages nicht mit dem Eintritt einer Sperrfrist oder dem Verlust der Versorgungsanwartschaft zu rechnen sei), hat dies der Arbeitnehmer zu beweisen.
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Ein Rechtsstreit wegen angeblich unrichtiger Angaben des Arbeitgebers über steuer- und sozialrechtliche Konsequenzen dürfte in jedem Fall durch Aufnahme folgender Regelung in den Aufhebungsvertrag vermieden werden:
Formulierungsbeispiel Dem Mitarbeiter ist bekannt, dass verbindliche Auskünfte über die steuer- und sozialrechtlichen Konsequenzen dieser Aufhebungsvereinbarung nur das zuständige Finanzamt bzw. die zuständige Agentur für Arbeit erteilen kann.
IV. Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes und deren Auswirkungen auf Aufhebungsverträge 124
Wegen der besonderen praktischen Bedeutung des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages als Mittel zur Vermeidung der Durchführung oder Fortsetzung gerichtlicher Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung können bei der Behandlung des Aufhebungsvertrages die wesentlichen Grundsätze des Kündigungsschutzes nicht unberücksichtigt bleiben. Dass der mögliche Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses maßgebenden Einfluss auf den Inhalt einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsvereinbarung hat, liegt auf der Hand: Während eine in rechtlicher Hinsicht „wasserdichte“ Kündigung dem Arbeitgeber bei den Aufhebungsverhandlungen zugute kommt, können rechtliche Bedenken an der formellen oder materiellen Wirksamkeit wegen des insoweit gegebenen enormen Risikos des Arbeitgebers, den Kündigungsschutzprozess zu verlieren, die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers ganz erheblich verbessern und eine geforderte Abfindung – insbesondere bei guter anwaltlicher oder gewerkschaftlicher Vertretung – „in die Höhe treiben“. Sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer ist daher die Kenntnis der wichtigsten Grundsätze des Kündigungsrechts und der typischerweise dort auftretenden Fehler unerlässlich. Die folgenden Ausführungen geben eine Übersicht über die grundlegen42 Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 126 Teil 1
den Fragen des Kündigungsschutzes und deren Einfluss auf Aufhebungsverträge. Dabei werden vor allem die in Kündigungsschutzprozessen häufig anzutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten dargelegt und Möglichkeiten zur Vermeidung dieser Probleme aufgezeigt.
1. Kündigungserklärung Unter einer Kündigung ist die einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung eines Vertragspartners zu verstehen, durch die der Wille, das Arbeitsverhältnis für die Zukunft aufzuheben, mit rechtsgestaltender Wirkung zum Ausdruck gebracht wird1. Voraussetzung ist nicht, dass der Begriff der Kündigung selbst gebraucht wird. Entscheidend ist, dass der Kündigende eindeutig seinen Willen kundgibt, das Arbeitsverhältnis einseitig lösen zu wollen2. Bei der vorzunehmenden Auslegung, ob eine bestimmte Erklärung eine Kündigung darstellt, ist nach §§ 133, 157 BGB nicht nur auf den Wortlaut abzustellen, sondern es sind alle Begleitumstände zu würdigen, die für die Frage, welchen Willen der Erklärende bei Abgabe seiner Erklärung gehabt hat, von Bedeutung sein können und dem Erklärungsempfänger bekannt waren3. Dem steht die nach § 623 BGB erforderliche Schriftform der Kündigung nicht entgegen. Auch bei formbedürftigen Erklärungen sind Umstände außerhalb der Urkunde mit zu berücksichtigen, soweit sie unstreitig bzw. bewiesen sind und der daraus abgeleitete Wille in der Urkunde einen – wenn auch unvollkommenen – Inhalt gefunden hat4.
125
Den vorangegangenen Auslegungsgrundsätzen kam früher insbesondere bei 126 nur mündlich abgegebenen Erklärungen wichtige Bedeutung zu5. Im Hinblick auf das seit dem 1.5.2000 nach § 623 BGB geltende gesetzliche Schriftformerfordernis für Kündigungen, dem zufolge Kündigungen zu ihrer Wirksamkeit stets der Schriftform bedürfen und mündliche Kündigungen daher nicht mehr ausreichen (s.u. Rz. 129 ff.), dürften die damals entwickelten Grundsätze in der betrieblichen Praxis kaum noch eine Rolle spielen. Denn schriftlich erklärte Kündigungen werden den Beendigungswillen im Allgemeinen unmissverständlich erkennen lassen. Teilt allerdings der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber schriftlich mit, der Arbeitgeber solle ihm zu einem bestimmten Zeitpunkt „die Papiere fertig machen“, sind insoweit die zu mündlichen Erklärungen entwickelten Auslegungsgrundsätze weiterhin maßgebend. Gleiches gilt für auslegungsbedürftige Erklärungen in Schreiben des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. Die schriftliche Aufforderung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, sich zum Monatsende eine neue Stelle zu suchen, dürfte regelmäßig als Kündigung zum Monatsende anzusehen sein.
1 S. statt vieler von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 127. 2 BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377 (verneint bei einem Schreiben, in dem lediglich auf eine anderweitige, beim Erklärungsempfänger als bekannt vorausgesetzte Kündigung verwiesen wird). 3 BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377. 4 Vgl. BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377. 5 Vgl. dazu die Vorauflage, Teil 1 Rz. 96.
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Teil 1 Rz. 127
Arbeitsrechtliche Grundlagen
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Aus dem für die Kündigung geltenden Bestimmtheitserfordernis, das im Interesse des Erklärungsempfängers klare Verhältnisse schaffen soll, folgt, dass eine Kündigung nicht unter einer Bedingung erklärt werden kann, sofern deren Eintritt ungewiss ist und der zu Kündigende dadurch in eine ungewisse Lage versetzt wird. Erfolgt die Kündigung etwa unter der Bedingung, dass innerhalb einer bestimmten Frist keine Aufträge eingehen oder der Arbeitnehmer nicht seine Leistungen verbessert, ist die Kündigung nicht bestimmt und somit unwirksam1. Möglich ist eine bedingte Kündigung jedoch dann, wenn deren Eintritt oder Nichteintritt ausschließlich vom Willen des Kündigungsempfängers abhängt (sog. Potestativbedingung)2. Denn hier kann der Erklärungsempfänger die Ungewissheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses selbst beseitigen, da er es in der Hand hat, den Eintritt der Bedingung herbeizuführen oder nicht. Der Hauptanwendungsfall einer erlaubten bedingten Kündigung ist die sog. Änderungskündigung, mit welcher der Kündigende eine Änderung der Arbeitsbedingungen zu seinen Gunsten erreichen will (s.u. Rz. 387 ff.). Ebenso zulässig sind die neben einer außerordentlichen Kündigung ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung sowie vorsorglich ausgesprochene hilfsweise Folgekündigungen für den Fall, dass vorangegangene Kündigungen unwirksam sein sollten3.
Hinweis: Zur Vermeidung einer unnötigen Auseinandersetzung um das Vorliegen einer Kündigung sollte der Kündigende stets ausdrücklich schriftlich erklären, dass er das Arbeitsverhältnis „kündigt“.
2. Form der Kündigung 129
Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen kann gemäß § 623 BGB nur schriftlich wirksam erfolgen4. Ein Verstoß gegen das gesetzliche Schriftformerfordernis des § 623 BGB führt nach § 125 BGB zur Nichtigkeit der Kündigung.
130
Die Regelung des § 623 BGB bezieht sich nicht nur auf alle vom Arbeitgeber ausgesprochenen – ordentlichen oder außerordentlichen – Beendigungs- oder Änderungskündigungen, sondern auch auf die vom Arbeitnehmer ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dieses gesetzliche Schriftformerfordernis wirkt konstitutiv und ist zwingend, d.h. hiervon abweichende arbeitsvertragliche Vereinbarungen sind nicht möglich. Für Änderungskündigungen gilt die Besonderheit, dass auch das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot der Schriftform bedarf5. 1 Vgl. BAG vom 27.6.1963 – 2 AZR 329/67, DB 1968, 1588; ausdrücklich bestätigt durch BAG vom 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, NZA 2001, 1070; Schaub/Linck, ARHdb., § 123 I 1b (Rz. 3); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 249. 2 Schaub/Linck, AR-Hdb., § 123 I 1b (Rz. 3); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 248 m. w. Nachw. 3 Bauer, II Rz. 2. 4 S. dazu etwa Böhm, NZA 2000, 561 ff.; Kleinebrink, FA 2000, 174 ff.; Lakies, BB 2000, 667 ff.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 ff.; Schaub, NZA 2000, 344 ff.; Trittin/ Backmeister, DB 2000, 618 ff. 5 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 628/03, NZA 2005, 635 (allerdings mit der Einschränkung, dass das Änderungsangebot nicht alle – auch nicht die essentiellen – Vertrags-
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 134 Teil 1
Hinsichtlich des Schriftformerfordernisses und der Möglichkeit der Unterzeichnung der Kündigung durch einen Vertreter mit den Zusätzen „i.V.“ oder „i.A.“ gelten die gleichen Grundsätze wie beim Aufhebungsvertrag (s. daher o. Rz. 19 ff.).
131
Eine Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form nach Maßgabe der §§ 126 Abs. 3, 126a BGB ist bei Kündigungen – ebenso wie bei Aufhebungsverträgen – gemäß § 623 letzter Halbs. BGB ausgeschlossen. Die Übermittlung der Kündigung durch Telegramm, Fernschreiben, Telefax oder Fotokopie genügt nicht den Anforderungen, die nach § 126 Abs. 1 BGB an die gesetzliche Schriftform zu stellen sind1. Ebenso wenig wird das gesetzliche Schriftformerfordernis des § 623 BGB durch Aushändigung einer unbeglaubigten Fotokopie einer ordnungsgemäß unterzeichneten Originalurkunde gewahrt2. Unzureichend ist auch eine eingescannte Unterschrift3. Dagegen genügt es bei Ausspruch einer Kündigung im Schriftsatz eines Rechtsanwalts, wenn auf dem zugestellten Exemplar der Beglaubigungsvermerk unterzeichnet ist4.
132
Soweit in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen noch Formvorschriften für Kündigungen vorgesehen sind, treten diese gegenüber der gesetzlichen Regelung des § 623 BGB zurück. Keine Besonderheiten ergeben sich hier für die praktische Handhabung, wenn diese Vorschriften dieselben Anforderungen an die Schriftform stellen wie die Bestimmung des § 623 BGB. Sofern derartige Formvorschriften nach früherem Recht dahin auszulegen waren, dass die Kündigung zwar mündlich erklärt werden konnte, aber der schriftlichen Bestätigung bedurfte, kann danach seit der Einführung des zwingenden Schriftformerfordernisses des § 623 BGB nicht mehr verfahren werden. Auch die früher von der Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit, dass die Arbeitsvertragsparteien ein vertraglich vereinbartes Schriftformerfordernis für Kündigungen u.U. sogar stillschweigend abbedingen konnten5, kommt seit dem Inkrafttreten des § 623 BGB nicht mehr in Betracht.
133
Weiterhin Bedeutung haben allerdings Formvorschriften in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen, denen zufolge die Kündigung nicht nur schriftlich erklärt, sondern per Einschreiben zugestellt werden muss. Denn die Schriftformregelung des § 623 BGB schließt nicht aus, die Wirksamkeit der Kündigung (zusätzlich) von einer bestimmten Übermittlungsform abhängig zu machen. Auf einen etwaigen Verstoß einer solchen
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1 2 3 4 5
bedingungen erwähnen, sondern nur solche aufführen müsse, die zukünftig gelten sollen). BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055; Palandt/Ellenberger, BGB, § 126 Rz. 12 m. w. Nachw. der Rechtspr. Die gegenteilige Ansicht des BAG in einer Entscheidung vom 20.8.1998 – 2 AZR 603/97 (NZA 1998, 1330) betraf die gewillkürte Schriftform nach § 127 BGB. LAG Köln vom 19.6.2001 – 13 Sa 1571/00, NZA-RR 2002, 163. LAG Niedersachsen vom 30.11.2001 – 10 Sa 1046/01, NZA-RR 2002, 242; Palandt/ Ellenberger, BGB, § 126 Rz. 12 m. w. Nachw. BAG vom 20.8.1998 – 2 AZR 603/97, NZA 1998, 1330.
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Teil 1 Rz. 135
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Formklausel gegen § 309 Nr. 13 BGB1 könnte sich jedenfalls der Arbeitgeber nicht mit Erfolg berufen, sofern diese in einem von ihm verwandten vorformulierten Arbeitsvertrag enthalten ist2. Bei der vorgeschriebenen Kündigung per Einschreiben ist die Unterscheidung zwischen dem Übergabe-Einschreiben und dem Einwurf-Einschreiben zu beachten. Gemeint ist im Zweifel das früher allgemein verfügbare Übergabe-Einschreiben, das – anders als das vereinfachte Einwurf-Einschreiben – Beweis für die Zustellung der Briefsendung erbringt3. 135
Mit der Regelung in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder in einem Arbeitsvertrag, wonach die Kündigung durch eingeschriebenen Brief erfolgen soll, können drei Fallgestaltungen gemeint sein: zum einen kann sowohl der Schriftform der Kündigung als auch der Versendungsart konstitutive Bedeutung beigemessen worden sein, zum anderen kann sich die konstitutive Bedeutung nur auf die Schriftform der Kündigung beziehen, drittens können die Schriftform der Kündigung und Versendungsart nur Beweiszwecken dienen. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass allein der Schriftform konstitutive Bedeutung zukommen, die Versendungsart dagegen nur eine beweissichernde Funktion haben soll, so dass nur bei Fehlen der Schriftform, nicht aber bei unterbliebener Zustellung mittels eingeschriebenen Briefes, die Kündigung nichtig ist4. Dennoch sollte sich der Kündigende stets an die vertraglich vereinbarte Form der Kündigung halten.
136
Die Berufung auf das gesetzliche Schriftformerfordernis des § 623 BGB kann einer Seite schließlich ausnahmsweise nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 242 BGB wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben verwehrt sein, etwa wegen Verwirkung des Rechts, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen Fehlens der erforderlichen Schriftform der Kündigung geltend zu machen. Insoweit gelten hier die obigen Ausführungen zum Aufhebungsvertrag (s. Rz. 34) sinngemäß.
3. Begründung der Kündigung 137
Die Kündigung braucht regelmäßig nicht begründet zu werden. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor privater Disposition erfordert weder im noch außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes die Angabe des Kündigungsgrundes als Wirksam-
1 S. Preis/Gotthardt, NZA 2000, 348 (349), die bei Formularverträgen erschwerende Zugangserfordernisse im Hinblick auf § 11 Nr. 16 AGBG (nunmehr: § 309 Nr. 13 BGB) für unzulässig halten. Wohl auch Bauer, II Rz. 6. 2 Vgl. BAG vom 27.10.2005 – 8 AZR 3/05, NZA 2006, 257; BAG vom 26.6.2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157. 3 Vgl. Bauer/Diller, NJW 1998, 2795. 4 Vgl. BAG vom 20.9.1979 – 2 AZR 967/77, DB 1980, 547; Bauer, II Rz. 6, mit zutreffendem Hinweis darauf, dass in dem Fall die schriftliche Kündigung dem Arbeitnehmer auch persönlich übergeben werden kann, wenn zur Wahrung der Kündigungsfrist die Zeit für die Zustellung eines eingeschriebenen Briefes nicht mehr reicht.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 139 Teil 1
keitsvoraussetzung einer Kündigung1. Auch wenn das Vorliegen eines Grundes Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung ist (z.B. § 626 BGB, § 1 KSchG), muss dieser Grund nicht mit der Kündigungserklärung mitgeteilt werden2. Bei der außerordentlichen Kündigung muss zwar der Kündigende dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen (§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB). Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern nur zu einem Schadensersatzanspruch des Gekündigten3. Ausnahmen gelten auch hier für das Berufsausbildungsverhältnis und die Kündigung von Frauen während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung: Gemäß § 22 Abs. 3 BBiG müssen nach Ablauf der Probezeit die – schriftlichen – Kündigungen aus wichtigem Grund (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG) und die ordentlichen Kündigungen des Auszubildenden wegen Aufgabe der Berufsausbildung oder Aufnahme einer anderen Berufsausbildung (§ 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG) stets unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Der Kündigende muss Tatsachen mitteilen, die für die Kündigung maßgebend sein sollen. Pauschale Schlagworte oder Werturteile, wie z.B. „mangelhaftes Benehmen“ oder „Störung des Betriebsfriedens“ reichen insoweit nicht aus4. Eine fristlose Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses ohne Angabe von Kündigungsgründen ist unwirksam. Die Gründe können auch nicht – etwa in Schriftsätzen im Kündigungsschutzprozess – nachgeschoben werden5. Nach § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG muss die Kündigung von Frauen während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung den „zulässigen Kündigungsgrund“ angeben. Angesichts dieser gesetzlichen Formulierung ist auch hier davon auszugehen, dass eine Kündigung unwirksam ist, wenn sie ohne Angabe von Kündigungsgründen erfolgt oder der im Kündigungsschreiben angegebene Grund die Kündigung nicht rechtfertigt.
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Über diese gesetzliche Regelung hinaus kann die Angabe der Kündigungsgründe durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag vorgeschrieben sein. In dem Fall ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Angabe der Kündigungsgründe Wirksamkeitsvoraussetzung sein oder nur ein Anspruch auf Mitteilung der Gründe bestehen soll6. Regelmäßig wird letzteres gewollt sein.
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1 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 447/03, NZA 2005, 1263. 2 So bereits BAG vom 27.2.1958 – 2 AZR 445/55, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG vom 21.3.1959 – 2 AZR 375/56, AP Nr. 55 zu § 1 KSchG; BAG vom 30.6.1959 – 3 AZR 111/58, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG. 3 Vgl. BAG vom 30.1.1963 – 2 AZR 143/62, DB 1963, 555. 4 BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 176/98, NZA 1999, 602; BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, NZA 1999, 603. 5 BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 176/98, NZA 1999, 602; BAG vom 10.2.1999 – 2 AZR 848/98, NZA 1999, 603. 6 Vgl. BAG vom 25.8.1977 – 3 AZR 705/75, DB 1978, 258; LAG Bremen vom 2.9.1953 – Sa 123/53, DB 1954, 155.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 140
Arbeitsrechtliche Grundlagen
4. Zugang der Kündigung 140
Die Kündigung wird erst wirksam, wenn sie dem Kündigungsempfänger zugeht (§§ 130–132 BGB). Für den Zugang der Kündigung ist der Kündigende beweispflichtig1. In Kündigungsschutzprozessen ist immer wieder festzustellen, dass hier – vermeidbare – Fehler gemacht werden, die für den Arbeitgeber insbesondere dann gravierende Auswirkungen haben können, wenn es um die Einhaltung längerer Kündigungsfristen, die Wahrung der sog. Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bei außerordentlichen Kündigungen oder die Erfüllung der sechsmonatigen Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG geht.
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Die Kündigung, die einem Anwesenden gegenüber abgegeben wird, geht dem Empfänger regelmäßig sofort zu und wird damit wirksam. Das immer noch „sicherste“ Mittel des ordnungsgemäßen Zugangs der Kündigung dürfte die persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kündigungsempfänger sein, der den Erhalt dieser Kündigung schriftlich bestätigt, sowie unter Hinzuziehung dritter Personen als Zeugen, die den Inhalt des Schreibens kennen.
142
Wird dem Arbeitnehmer ein Kündigungsschreiben ausgehändigt und gibt dieser das Kündigungsschreiben kurze Zeit später zurück, ist vom Zugang der Kündigung auszugehen, da die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand. Eventuell fehlende Sprechkenntnisse hindern den Zugang nicht, da der Arbeitnehmer jederzeit die Möglichkeit hat, ein empfangenes Schreiben übersetzen zu lassen2. Dagegen ist dem Arbeitnehmer eine Kündigung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform zugegangen, wenn ihm das Kündigungsschreiben lediglich in Kopie übergeben wird. Dass dem Empfänger anlässlich der Übergabe der Kopie das Originalschreiben zur Ansicht und nicht zur Mitnahme vorgelegt wird („Nur gucken, nicht anfassen“), genügt nicht für die in § 130 Abs. 1 BGB vorgesehene Erlangung der Verfügungsgewalt3. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer die Empfangsbestätigung eines Kündigungsschreibens versehentlich auf dem Original bestätigt hat und ihm nur eine Kopie des Kündigungsschreibens ausgehändigt wurde. In dem Fall hat der Arbeitnehmer die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Kündigungsschreiben erlangt, so dass dieses dem Arbeitnehmer wirksam zugegangen ist4.
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Weigert sich der Arbeitnehmer grundlos, das Kündigungsschreiben entgegenzunehmen, gilt die Kündigung gemäß § 162 BGB wegen Zugangsvereitelung als zugegangen5.
1 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 225; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 123 IV 9 (Rz. 48); Gaul/ Otto, ArbRB 2003, 306 (309). 2 So zu Recht LAG Köln vom 4.9.2007 – 14 Ta 184/87, zitiert nach juris. Dennoch sollte bei ausländischen Arbeitnehmern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, der Kündigung stets eine Übersetzung beigefügt werden, zutreffend Bauer, II Rz. 16. 3 LAG Düsseldorf vom 18.4.2007 – 12 Sa 132/07, zitiert nach juris. 4 BAG vom 4.11.2004 – 2 AZR 17/04, NZA 2005, 314. 5 KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 120 m. w. Nachw.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 147 Teil 1
Unter Abwesenden ist eine Kündigung nach allgemeiner Ansicht zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen war, dass er von ihr Kenntnis nehmen konnte1. Wenn für den Empfänger diese Möglichkeit unter gewöhnlichen Verhältnissen besteht, ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran durch Krankheit oder zeitweise Abwesenheit zunächst gehindert war2.
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Während sonach der Kündigungsempfänger das Kenntnisnahmerisiko trägt, 145 trifft den Erklärenden im Falle der Kündigung unter Abwesenden das Übermittlungsrisiko3. Übersendet der Erklärende die Kündigung mit einfachem Brief und bestreitet der Empfänger dessen Erhalt, muss der Erklärende den Zugang des Briefes beweisen. Einen Anscheinsbeweis dafür, dass ein einfacher Brief, welcher der Post zur Beförderung übergeben wird, tatsächlich zugeht, gibt es nicht4.
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Hinweis: Bei dem sog. „Einwurf-Einschreiben“5 liefert auch der Einlieferungs- und Auslieferungsbeleg keine ausreichende Basis für den Zugang der Sendung beim Empfänger6.
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Erfolgt die Übersendung der Kündigung mit einfachem Brief, wird sie erst wirksam, wenn der Brief in der Wohnung oder dem Geschäftslokal des Kündigungsempfängers an einen Empfangsberechtigten ausgehändigt oder in einen an der Wohnung oder dem Geschäftslokal angebrachten Briefkasten eingeworfen wird. Erreicht ein Kündigungsschreiben die Empfangseinrichtungen des Adressaten (Briefkasten, Postschließfach) zu einer Tageszeit, zu der üblicherweise eine Entnahme oder Abholung nicht mehr erwartet werden kann, geht die Kündigung erst am Folgetag zu7. Auf diese Weise können sich die Kündigungsfristen insbesondere dann nicht unerheblich „verlängern“, wenn das Kündigungsschreiben am späten Nachmittag oder Abend des letzten Tages eines Kalendermonats in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen wird und dieser behauptet, das Schreiben erst am Vormittag des folgenden Tages
147
1 BAG vom 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, NZA 1988, 875; BAG vom 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, NZA 1989, 635; BAG vom 25.4.1996 – 2 AZR 13/95, NZA 1996, 1227; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 211; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 123 IV 2a (Rz. 35) jeweils m. w. Nachw. 2 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 213. 3 Vgl. BAG vom 13.10.1976 – 5 AZR 510/75, DB 1977, 546. 4 BAG vom 14.7.1960 – 2 AZR 173/59, DB 1961, 1232; LAG Düsseldorf vom 4.11.1971 – 3 Sa 397/71, EzA § 130 BGB Nr. 4; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 225; Schaub/ Linck, AR-Hdb., § 123 IV 9 (Rz. 48). 5 S. dazu Neuvians/Mensler, BB 1998, 1206; Bauer/Diller, NJW 1998, 2795 f.; Friedrich, FA 2002, 104 ff.; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306 (308). 6 AG Kempen vom 22.8.2006 – 11 C 432/05, NJW 2007, 1215. Zutreffend gelangt Bauer, II Rz. 13 daher zu dem Ergebnis, dass sich das Einwurf-Einschreiben als wertlos erweise, wenn der Arbeitnehmer (ggf. wahrheitswidrig) den Zugang bestreite. 7 BAG vom 8.12.1983 – 2 AZR 337/82, NZA 1984, 31, wonach der Einwurf eines Kündigungsschreibens gegen 16.30 Uhr in den Wohnungsbriefkasten des Arbeitnehmers bereits „erhebliche Zeit nach der allgemeinen Postzustellung“ erfolgt sei.
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Teil 1 Rz. 148
Arbeitsrechtliche Grundlagen
vorgefunden zu haben. In dem Fall wird der Arbeitgeber eine Beendigung zum ursprünglich geplanten Termin faktisch nur durch Zahlung einer (höheren) Abfindung erreichen können1. 148
Ist beim Kündigungsempfänger ein Hausbriefkasten nicht vorhanden, so genügt auch ein Durchschieben des Briefes unter der Wohnungstür2 oder das Einstecken des Briefes in den Türschlitz3. Die für den Zugang erforderliche abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme wird auch dann für gegeben erachtet, wenn ein Bote den Brief wegen des fehlenden Hausbriefkastens nach vergeblichem Klingeln auffällig zwischen Glasscheibe und Metallgitter der von der Straße nicht einsehbaren Haustür des Einfamilienhauses des Empfängers steckt, das zur Straßenseite hinter einem umfriedeten Vorgarten mit verschlossenem – wenn auch nicht abgeschlossenem – Gartentor liegt4.
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Unterhält der Arbeitnehmer bei der Post ein Postfach, ist von einem Zugang des Kündigungsschreibens, das der Arbeitgeber dort einwerfen lässt, jedenfalls nach Ablauf der Leerungsfrist, die im Postfachvertrag üblicherweise festgelegt ist, auszugehen5.
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Ein Einschreibebrief geht erst mit der Aushändigung durch die Post, dagegen noch nicht bei Hinterlassung eines Benachrichtigungszettels zu6. Gleiches gilt für das – gewöhnlich als eine besonders zuverlässige Art der Übersendung angesehene – Einschreiben mit Rückschein. Denn mit der Hinterlassung des Benachrichtigungszettels gelangt der Einschreibebrief nicht in den Machtbereich des Empfängers, sondern bleibt im Besitz der Postanstalt. Ebenso wenig enthält der Benachrichtigungszettel Angaben über den Absender. Weiß jedoch der Arbeitnehmer, etwa aus dem Verfahren vor dem Integrationsamt, dass der Ausspruch einer Kündigung durch seinen Arbeitgeber unmittelbar bevorsteht, kann er sich je nach den Umständen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf den verspäteten Zugang des Kündigungsschreibens nicht be1 2 3 4
Zutreffend Bauer, II Rz. 7. ArbG Hagen vom 1.4.1976 – 2 Ca 1321/57, DB 1976, 1159. ArbG Köln vom 16.3.1981 – 6 Ca 9206/80, BB 1981, 1642. So jedenfalls LAG Hamm vom 25.2.1993 – 8 Ta 333/91, BB 1993, 1290. Zum Zugang eines Kündigungsschreibens nach einem Wohnungswechsel am ehemaligen Wohnort s. ArbG Gelsenkirchen vom 31.8.1994 – 4 Ca 778/94, BB 1995, 362. S. dazu auch LAG Düsseldorf vom 19.9.2000 – 16 Sa 925/00, NZA 2001, 408 (rechtskräftig): Verfügt ein Haus mit mehreren Mietparteien über keine Briefkästen und erfolgt die Postzustellung üblicherweise durch Einwurf in den dafür vorgesehenen Briefschlitz der Haustür, ist ein auf diesem Weg per Boten zugestelltes Kündigungsschreiben in den Machtbereich des Empfängers gelangt und diesem zugegangen. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Empfängers kommt es nicht an. Ist nach dem eigenen Vorbringen des Empfängers sichergestellt, dass ihn die ihm auf diesem Weg zugestellte Post auch tatsächlich erreicht, kann er unter dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung nach § 242 BGB nicht geltend machen, ein in den Briefschlitz eingeworfenes Kündigungsschreiben habe ihn nicht erreicht. 5 LAG Köln vom 4.12.2006 – 14 Sa 873/06, NZA-RR 2007, 323. 6 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 475/01, NZA 2003, 719; LAG Hamm vom 6.11.2000 – 10 Sa 1709/99, NZA-RR 2001, 637; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 219; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306 (309); Schaub/Linck, AR-Hdb., § 123 IV 7a (Rz. 43a) m. w. Nachw.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 152 Teil 1
rufen, wenn er dieses nicht oder nicht zeitnah bei der Postdienststelle abgeholt hat, obwohl ihm ein Benachrichtigungsschreiben der Post zugegangen ist1. Weiterhin vereitelt der Arbeitnehmer treuwidrig den Zugang eines Kündigungsschreibens auch dann, wenn er während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses nur eine Wohnung als Adresse mitteilt, unter der er nicht erreichbar ist, wobei dies insbesondere gilt, wenn er mit dem Zugang einer Kündigung in den nächsten Tagen rechnen musste und die falsche Adresse erneut, etwa bei der Übersendung einer Arbeitsunfähigkeit, mitteilt2. Ist ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so zu behandeln, als sei ihm die Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses zugegangen, bedarf die Kündigung nach § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht der Zustimmung des Integrationsamtes3.
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Hinweis: Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zugangsfiktion nach §§ 162, 242 BGB liegt aber stets beim Arbeitgeber4. Von einer Übersendung der Kündigung mit Einschreibebrief bzw. Einschreibebrief mit Rückschein kann deshalb im Zweifel nur abgeraten werden. Als sicheres Mittel des ordnungsgemäßen Zugangs einer Kündigung unter Abwesenden ist dagegen die Zustellung des Kündigungsschreibens durch einen – im Kündigungsschutzverfahren als Zeuge zur Verfügung stehenden – Boten anzusehen, der den Inhalt des Kündigungsschreibens kennt, den Einwurf des Kündigungsschreibens auf einem Zweitexemplar handschriftlich (bezüglich des Ortes, des Datums und der Uhrzeit) vermerkt und die Richtigkeit dieser Angaben durch seine Unterschrift bestätigt. Vorsorglich sollte ein solcher Einwurf auch dann vorgenommen werden, wenn sich eine Person im Haushalt des Arbeitnehmers zum Empfang des Schreibens bereit erklärt hat. Denn der Arbeitgeber trägt auch das Risiko, dass diese Person tatsächlich zur Entgegennahme berechtigt ist5.
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Ein an die Heimatanschrift des in Urlaub befindlichen Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben geht diesem auch dann wirksam zu, wenn dem Arbeitgeber die urlaubsbedingte Abwesenheit bekannt ist6. Dies gilt in aller
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1 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 475/01, NZA 2003, 719. 2 BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 366/04, NZA 2006, 204. S. dazu aber auch BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 (1060), wonach der Umstand, dass ein schwerbehinderter, unter Betreuung stehender Arbeitnehmer nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung umgezogen sei und dem Arbeitgeber die neue Anschrift nicht mitgeteilt habe, für sich keine Treuwidrigkeit begründe, wenn die Anschriften seines empfangsberechtigten Rechtsanwalts und seiner amtlich bestellten Betreuerin dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Folgekündigung bekannt gewesen seien. 3 BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 366/04, NZA 2006, 204. 4 Einschränkend LAG Frankfurt vom 7.5.1987 – 12 Sa 1701/86, LAGE § 130 BGB Nr. 7. 5 So zu Recht Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306 (309). 6 BAG vom 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, NZA 1988, 875; BAG vom 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB; LAG Baden-Württemberg vom 14.2.1990 – 2 Ta 32/89, LAGE § 130 BGB Nr. 13.
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Teil 1 Rz. 153
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Regel selbst dann, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Urlaubsanschrift mitgeteilt hat. Ist bei der Rückkehr des Arbeitnehmers die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG verstrichen, bleibt ihm die Möglichkeit der nachträglichen Zulassung verspäteter Klagen gemäß § 5 KSchG. Lediglich bei besonderen Umständen des Einzelfalles kann sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine andere Würdigung ergeben1. 153
Sofern aber ein als Empfangsbote anzusehender Familienangehöriger des urlaubsbedingt abwesenden Arbeitnehmers die Annahme eines Kündigungsschreibens ablehnt, muss der Arbeitnehmer nach Auffassung des BAG die Kündigung nur dann als zugegangen gegen sich gelten lassen, wenn er auf die Annahmeverweigerung, etwa durch vorherige Absprache mit dem Angehörigen, Einfluss genommen habe2. Im zugrundeliegenden Fall war eine Arbeitnehmerin nach einem Krankenhausaufenthalt nach Kenia geflogen, ohne dass ihr der Arbeitgeber Urlaub gewährt hatte. Daraufhin kündigte ihr der Arbeitgeber fristlos, hilfsweise fristgemäß. Das mit Einschreiben an die Heimatanschrift der Arbeitnehmerin gerichtete Kündigungsschreiben wurde zunächst ihrem Onkel ausgehändigt, der es an die im selben Haus wohnende Mutter der Arbeitnehmerin weitergab. Die Mutter gab das Einschreiben ungeöffnet an die Post zurück. Da die Arbeitnehmerin während ihres Urlaubs schwanger geworden war, kam es für die Frage, ob der besondere Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 MuSchG Anwendung fand, maßgebend darauf an, wann die Kündigung zuging. Das BAG ging zwar – insoweit zu Recht – davon aus, dass der in Urlaub befindlichen Arbeitnehmerin das an deren Heimatanschrift gerichtete Kündigungsschreiben grundsätzlich habe zugehen können und die im selben Haus wohnende Mutter der Arbeitnehmerin als Empfangsbotin anzusehen sei. Allerdings sei der Arbeitnehmerin das Kündigungsschreiben ausnahmsweise deshalb nicht zugegangen, weil die Empfangsbotin die Annahme verweigert habe. Verweigere ein Empfangsbote die Annahme einer Willenserklärung, so gelte diese nur dann als zugegangen, wenn der Empfangsbote die Annahme im Einvernehmen mit dem Adressaten verweigert habe, nicht aber wenn die Annahme ohne Einfluss des Adressaten verweigert werde3.
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Die Entscheidung mag zwar aus Sicht der Arbeitnehmer durchaus erfreulich sein. Dogmatisch ist sie jedoch unhaltbar4. Denn mit der Übergabe des Kündigungsschreibens an die Mutter der Arbeitnehmerin war der Zugang der Kündigungserklärung – weil es sich bei ihr um die Empfangsbotin der Arbeitnehmerin handelte – vor Eintritt der Schwangerschaft bzw. des besonderen Kündigungsschutzes nach § 9 Abs. 1 MuSchG bewirkt. Der Rückgabe des Ein1 BAG vom 16.3.1988 – 7 AZR 587/87, NZA 1988, 875; BAG vom 2.3.1989 – 2 AZR 275/88, NZA 1989, 635. 2 BAG vom 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, NZA 1993, 259. 3 BAG vom 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, NZA 1993, 259. 4 Ablehnend auch Draschka in der Anm. zu BAG vom 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, AP Nr. 18 zu § 130 BGB; Brehm in der Anm. zu BAG vom 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, EzA § 130 Nr. 24; Bickel in der Anm. zu BAG vom 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, AP Nr. 18 zu § 130 BGB, der die Entscheidung für „offensichtlich verfehlt“ hält.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 157 Teil 1
schreibens durch die Mutter an die Post konnte keine rechtliche Bedeutung zukommen, da – wie das BAG in einer früheren Entscheidung zu Recht ausgeführt hat – „der einmal erfolgte Zugang nicht rückgängig gemacht werden“1 kann. Nach überwiegender Ansicht2 ändert sich an dem Zugang der Erklärung nichts, wenn der Erklärungsbote das die Erklärung enthaltene Schreiben dem Empfänger nicht, verspätet oder unrichtig weitergibt. Hinzu kommt, dass der Zugang des Kündigungsschreibens nicht hätte in Abrede gestellt werden können, wenn es von einem Boten in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin geworfen worden wäre. Weshalb bei der Übergabe an einen Empfangsboten, bei dem es sich gewissermaßen auch um einen (lebenden) Briefkasten des Empfängers handelt, etwas anderes gelten soll, ist nicht nachvollziehbar. War somit das Kündigungsschreiben durch Übergabe an die Mutter der Arbeitnehmerin zugegangen, kam es nicht mehr darauf an, ob die Arbeitnehmerin auf die „Annahmeverweigerung“3 Einfluss genommen hat. Zu hoffen bleibt, dass das BAG künftig an den Grundsätzen der Entscheidung vom 11.11.1992 – jedenfalls soweit sie die Rückgabe eines Kündigungsschreibens durch einen Empfangsboten betreffen – nicht festhält. Die Kündigung gilt weiterhin als zugegangen, wenn sie durch den Gerichtsvollzieher nach den Vorschriften der ZPO zugestellt worden ist, § 132 Abs. 1 BGB. Die Zustellung erfolgt regelmäßig durch Übergabe.
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Verhindert der Erklärungsempfänger den Zugang der Kündigung, indem er etwa nach Kenntniserlangung von einer beabsichtigten Kündigung ohne Angabe seiner neuen Adresse umzieht und seinen Arbeitsplatz nicht mehr aufsucht, gilt die Kündigung wegen Zugangsvereitelung mit dem Zustellungsversuch als zugegangen, § 162 BGB4.
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5. Ort und Zeit der Kündigung Die Kündigung kann grundsätzlich zu jeder Zeit, an jedem Ort, innerhalb oder außerhalb, vor und am Kündigungstermin erfolgen. Einschränkungen gelten insoweit, als sie nicht zur Unzeit, in verletzender Form oder am unpassenden Ort (z.B. außerhalb der Arbeitszeit um Mitternacht in einer Bar, auf der Toilette oder am Tage eines schweren Arbeitsunfalles5) erklärt werden darf6. Allein die „Unzeit“ führt jedoch regelmäßig nicht zu deren Unwirksamkeit. Voraussetzung hierfür sind vielmehr weitere Umstände, etwa dass der Arbeitgeber absichtlich oder aufgrund einer auf Missachtung der persönli1 BAG vom 13.10.1976 – 5 AZR 510/75, DB 1977, 546. 2 S. die Nachweise bei Draschka in der Anm. zu BAG vom 11.11.1992 – 2 AZR 328/92, AP Nr. 18 zu § 130 BGB. 3 Eine Annahmeverweigerung der Mutter der Arbeitnehmerin im eigentlichen Sinne lag – anders als vom BAG angenommen – nicht vor, da ihr das Schreiben zunächst „übergeben“ und sie es sodann erst der Post „zurückgeleitet“ hat. 4 Vgl. BAG vom 15.11.1962 – 2 AZR 301/62, DB 1963, 176; LAG Düsseldorf vom 28.6.1974 – 15 Ta 57/74, DB 1974, 1584. 5 Vgl. LAG Bremen vom 29.10.1985 – 4 Sa 151/85, BB 1986, 393. 6 S. etwa BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, NZA 2001, 890.
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Teil 1 Rz. 158
Arbeitsrechtliche Grundlagen
chen Belange der Gegenseite beruhenden Gedankenlosigkeit einen Kündigungszeitpunkt wählt, der den Arbeitnehmer besonders beeinträchtigt1. Der Zugang der Kündigung am 24.12. („Heiligabend“) oder an Sonn- und Feiertagen wird für unschädlich gehalten2. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer eine Kündigung kurz nach dem Tod eines nahen Angehörigen, des Ehegatten oder Lebensgefährten erhält, sofern die Kündigung aus sachlichen Gründen erfolgt und der Zeitpunkt zur Wahrung der Kündigungsfrist erforderlich gewesen ist3. Die Kündigung ist auch nicht allein deshalb unwirksam, weil sie während der Krankheit des Arbeitnehmers ausgesprochen wird4. 158
Grundsätzlich kann auch eine Kündigung unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist vor Dienstantritt erfolgen, sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Eine solche Vereinbarung setzt voraus, dass die Parteien das Kündigungsrecht entweder ausdrücklich ausgeschlossen haben oder ein diesbezüglicher beiderseitiger Wille eindeutig erkennbar ist5. Dies ist anzunehmen, wenn die Parteien eine Vertragsstrafe für den Fall der Nichtaufnahme der Arbeit vereinbart haben6.
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Eine vertragliche Vereinbarung, die einseitig das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers vor Dienstantritt ausschliesst, verstößt gegen § 622 Abs. 6 BGB und ist daher unwirksam7. Die dadurch entstehende Lücke ist nach §§ 133, 157 BGB zu schließen. Bei der Besetzung einer Schlüsselposition mit einer Spitzenkraft durch Abschluss eines Arbeitsvertrages mehrere Monate vor dem vereinbarten Dienstbeginn ist anzunehmen, dass die Parteien den beiderseitigen Ausschluss der ordentlichen Kündigung vor Dienstantritt vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit des einseitigen Ausschlusses der arbeitnehmerseitigen Kündigung bekannt gewesen wäre8.
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Haben die Parteien für den Fall einer vor Vertragsbeginn ausgesprochenen ordentlichen Kündigung keine Vereinbarung über den Beginn der Kündigungsfrist getroffen, liegt eine Vertragslücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist9. Für die Ermittlung des mutmaßlichen Par1 2 3 4 5 6
BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, NZA 2001, 890. BAG vom 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, NZA 1986, 97. BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, NZA 2001, 890. Bauer, II Rz. 21. BAG vom 2.11.1978 – 2 AZR 74/77, DB 1979, 1086. LAG Frankfurt vom 18.6.1980 – 10 Sa 1030/79, DB 1981, 532. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich die Vereinbarung einer Vertragsstrafe allein für den Fall des Vertragsbruchs nach der Rechtsprechung des BAG regelmäßig nur auf die schuldhafte Nichtaufnahme der Arbeit oder die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne wichtigen Grund bezieht. Soll eine Vertragsstrafe auch den Fall der vom Arbeitnehmer schuldhaft veranlassten vorzeitigen Kündigung des Arbeitnehmers umfassen, muss dies ausdrücklich vereinbart werden, vgl. BAG vom 18.9.1991 – 5 AZR 650/90, NZA 1992, 215. 7 LAG Hamm vom 15.3.1989 – 15 (17) Sa 1127/88, DB 1989, 1191 = LAGE § 622 BGB Nr. 14. 8 LAG Hamm vom 15.3.1989 – 15 (17) Sa 1127/88, DB 1989, 1191 = LAGE § 622 BGB Nr. 14. 9 BAG vom 9.5.1985 – 2 AZR 372/84, NZA 1986, 671.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 164 Teil 1
teiwillens und die hierfür maßgebende Würdigung der beiderseitigen Interessen ist grundsätzlich auf die konkreten Umstände des Falles abzustellen. Typische Vertragsgestaltungen, die für oder gegen die Annahme der beabsichtigten Realisierung des Arbeitsverhältnisses sprechen können, sind insbesondere die Länge der Kündigungsfrist und der Zweck der vorgesehenen Beschäftigung1.
6. Zurückweisung der Kündigung Die Kündigung muss nicht unbedingt vom Arbeitgeber selbst ausgesprochen 161 werden. Erfolgt sie durch einen Bevollmächtigten, so ist aber stets die Vorschrift des § 174 BGB, der in der Praxis nicht selten übersehen wird, zu beachten. Danach ist die Kündigung – unabhängig vom Bestehen einer Vollmacht – unwirksam, wenn sie durch einen Bevollmächtigten ohne Vorlage einer Vollmachtsurkunde erklärt wird und sie der Arbeitnehmer aus diesem Grund unverzüglich zurückweist, § 174 Satz 1 BGB. Eine Heilung oder Genehmigung durch den Vertretenen nach § 177 BGB ist nicht möglich2. § 174 Satz 1 BGB gilt nur für rechtsgeschäftlich bevollmächtigte, nicht aber für gesetzliche oder ihnen gleichzustellende Vertreter3. Das Recht zur Zurückweisung der Kündigung mangels Vollmachtvorlage besteht daher grundsätzlich nicht im Falle der organschaftlichen Vertretung.
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Im öffentlichen Dienst findet die Vorschrift des § 174 BGB ebenfalls Anwendung4.
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Die Vollmachtsurkunde muss im Original vorgelegt werden. Die Vorlage einer beglaubigten Abschrift, einer Fotokopie oder einer Faxkopie reicht nicht aus5. Unzureichend ist ebenso das Angebot, die Originalurkunde beim Bevollmächtigten einzusehen. Die Zurückweisung durch den Arbeitnehmer muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), erfolgen. Ein sofortiges Handeln wird nicht verlangt. Vielmehr steht dem Arbeitnehmer eine gewisse Zeit der Überlegung und für die Einholung rechtskundigen Rats zur Verfügung. Maßgebend für die Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des BAG die Umstände des Einzelfalles6. Regelmäßig ist die Zurückweisung innerhalb von vier Tagen nach Zugang der Kündigung noch als unverzüglich anzusehen7. Dagegen wird eine Zurückweisung nach 10 Tagen – u.U. sogar nach 6 Tagen – nicht mehr für unverzüglich gehalten8.
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Vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 230. BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377. BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377 m. w. Nachw. So ausdrücklich BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377. BGH vom 4.2.1981 – VIII ZR 313/79, DB 1981, 1874; LAG Düsseldorf vom 12.12.1994 – 12 Sa 1574/94, BB 1995, 731; LAG Düsseldorf vom 22.2.1995 – 4 Sa 1817/94, DB 1995, 1036; Palandt/Heinrichs, BGB, § 174 Rz. 5 m. w. Nachw. 6 BAG vom 30.5.1978 – 2 AZR 633/76, DB 1978, 2082. 7 Vgl. BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377. 8 LAG Düsseldorf vom 22.2.1995 – 4 Sa 1817/94, DB 1995, 1036; LAG Hessen vom 20.6.2000 – 9 Sa 1899/99, NZA-RR 2000, 585 (schuldhaftes Zögern gegeben, wenn
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Teil 1 Rz. 165
Arbeitsrechtliche Grundlagen
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Die Zurückweisung der Kündigung wegen unterbliebener Vorlage der Vollmachtsurkunde braucht nicht ausdrücklich zu erfolgen. Allerdings muss sie sich aus der Begründung oder aus anderen Umständen eindeutig und für den Kündigenden zweifelsfrei ergeben1.
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Die Zurückweisung einer Kündigung wegen fehlender Vollmachtvorlage ist gemäß § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mündlich oder schriftlich über die Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. Die Mitteilung der Bevollmächtigung zu einer Kündigung kann bereits im (Formular-)Arbeitsvertrag aufgenommen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitsvertrag nicht vom Arbeitgeber selbst, sondern für diesen von dem Bevollmächtigten unterzeichnet worden ist2. Der Arbeitgeber kann die Mitarbeiter von einer Bevollmächtigung eines Angestellten zum Ausspruch von Kündigungen auch dadurch in Kenntnis setzen, dass er bei der Amtseinführung, an der die Belegschaft teilnimmt, auf die Kündigungsbefugnis hinweist. In dem Fall müssen sich auch Arbeitnehmer, die bei der Amtseinführung nicht anwesend waren, so behandeln lassen, als hätten sie von der Bevollmächtigung Kenntnis gehabt3.
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Im öffentlichen Dienst genügen zwar nicht intern praktizierte Verwaltungsregelungen, die nicht bekannt gegeben worden sind, wohl aber die öffentlich bekannt gegebene Befugnis zur Vertretung aufgrund eines Erlasses des zuständigen Ministers4.
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Der Vorlage einer Vollmachtsurkunde bedarf es auch dann nicht, wenn der Vertreter eine Stellung bekleidet, die üblicherweise mit der Berechtigung zum Ausspruch von Kündigungen verbunden ist5. Bei der Kündigung durch Personalleiter oder Personalabteilungsleiter ist deshalb die Vorlage der Vollmachtsurkunde grundsätzlich nicht erforderlich6. Auch der Niederlassungsleiter eines Unternehmens des Transportgewerbes soll regelmäßig nach der Verkehrsanschauung als den gewerblichen Arbeitnehmern (wie etwa Kraftfahrern und Lagerarbeitern) gegenüber kündigungsberechtigt anzusehen sein7. Die Einschränkung der Vollmacht eines Personal(abteilungs)leiters nur im Innenverhältnis führt nicht dazu, dass es bei Ausspruch der Kündigung der Vor-
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der Arbeitnehmer vom Zugang der Kündigung bis zum Zugang der Zurückweisung bei dem Arbeitgeber neun Tage zuwarte); Palandt/Heinrichs, BGB, § 174 Rz. 6 m. w. Nachw. BAG vom 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, DB 1981, 1044. LAG Berlin vom 25.7.2002 – 16 Sa 823/02, NZA-RR 2003, 538. LAG Köln vom 7.7.1993 – 2 Sa 280/93, NZA 1994, 419. BAG vom 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377. BAG vom 30.5.1972 – 2 AZR 298/71, DB 1972, 1680. BAG vom 30.5.1972 – 2 AZR 298/71, DB 1972, 1680; BAG vom 29.10.1992 – 2 AZR 460/92, NZA 1993, 307; BAG vom 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24; BAG vom 20.8.1997 – 2 AZR 518/96, NZA 1997, 1343; BAG vom 22.1.1998 – 2 AZR 267/97, NZA 1998, 699. LAG Hessen vom 20.6.2000 – 9 Sa 1899/99, NZA-RR 2000, 585.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 171 Teil 1
lage einer Vollmachtsurkunde bedarf1. Dagegen ist der Personalsachbearbeiter im Allgemeinen nicht zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt2. Gleiches gilt für den Referatsleiter innerhalb einer Behörde3. Bei gesamtvertretungsberechtigten Organmitgliedern ist, jedenfalls soweit ihnen nicht die Funktion des Personalleiters zukommt, eine Vollmacht des zweiten Organmitglieds vorzulegen, wenn die Kündigung nur von einem Mitglied unterzeichnet wird4. Bei der Kündigung durch ein einzelvertretungsberechtigtes Organmitglied oder durch einen Prokuristen mit Einzelprokura ist die Vorlage einer Vollmachtsurkunde wegen § 15 HGB nicht erforderlich5. Gleiches gilt für den Generalbevollmächtigten eines Unternehmens6. Ebenso wenig bedarf es für die Wirksamkeit der Kündigung der Vorlage einer Vollmachtsurkunde nach § 174 Satz 1 BGB, wenn die Kündigung durch einen besonderen Vereinsvertreter i.S. des § 30 BGB erklärt wird, dem satzungsmäßig Kündigungsbefugnis erteilt ist7.
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Hinweis: Hat der Arbeitnehmer eine arbeitgeberseitige Kündigung wegen fehlender Vorlage einer Originalvollmacht zurückgewiesen und will der Arbeitgeber aus diesem Grund vorsorglich erneut eine – hilfsweise – Kündigung aussprechen, die im Hinblick auf § 174 BGB gewissermaßen „unangreifbar“ ist, muss dabei unbedingt beachtet werden, dass der Betriebsrat zu dieser sog. Folgekündigung erneut nach § 102 BetrVG anzuhören ist, selbst wenn diese weitere Kündigung auf denselben Sachverhalt gestützt wird, da die Betriebsratsanhörung zu der ersten Kündigung nach deren Ausspruch – wie es das BAG formuliert – „verbraucht“ ist8.
7. Kündigungsfristen Beim Abschluss von Aufhebungsverträgen richtet sich der Beendigungszeitpunkt regelmäßig nach den für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen ordentlichen Kündigungsfristen, da der Arbeitnehmer insbesondere im Hinblick auf die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld grundsätzlich nicht mit einem vorzeitigen Ausscheiden einverstanden sein dürfte, sofern er nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Folgebeschäftigung gefunden haben sollte.
1 BAG vom 29.10.1992 – 2 AZR 460/92, NZA 1993, 307; BAG vom 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24; LAG Hessen vom 20.6.2000 – 9 Sa 1899/99, NZA-RR 2000, 585. 2 BAG vom 30.5.1978 – 2 AZR 633/76, DB 1978, 2082. 3 BAG vom 20.8.1997 – 2 AZR 518/96, NZA 1997, 1343. 4 BAG vom 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, DB 1981, 1044. Zur Kündigung durch ein anderes Unternehmen desselben Konzerns s. BAG vom 31.1.1996 – 2 AZR 273/95, NZA 1996, 649. 5 BAG vom 11.7.1991 – 2 AZR 107/91, NZA 1992, 449. 6 Bauer, II Rz. 27. 7 BAG vom 18.1.1990 – 2 AZR 358/89, NZA 1990, 520. 8 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 623/04, NZA 2006, 491; BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 965/06, NZA 2008, 807 (808) m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 172 172
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Die gesetzliche Grundkündigungsfrist beträgt gemäß § 622 Abs. 1 BGB vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Demnach muss die Kündigung wie folgt zugehen:
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Checkliste: Soll zum 15. des Folgemonats gekündigt werden, muss die Kündigung – in Monaten mit 31 Tagen spätestens am 18. des Vormonats, – in Monaten mit 30 Tagen spätestens am 17. des Vormonats, – im Februar in Nichtschaltjahren spätestens am 15.2., – im Februar in Schaltjahren spätestens am 16.2. zugegangen sein. Soll zum Monatsende gekündigt werden, muss die Kündigung – in Monaten mit 31 Tagen spätestens am 3. des Monats, – in Monaten mit 30 Tagen spätestens am 2. des Monats, – im Februar in Nichtschaltjahren spätestens am 31.1., – im Februar in Schaltjahren spätestens am 1.2. zugegangen sein.
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Maßgebend für die Berechnung der Kündigungsfrist sind die Vorschriften der §§ 187, 188 BGB. Ist der letzte Tag, an dem eine Kündigung möglich ist, ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, kann die Kündigung nicht am nächsten Werktag erklärt werden. § 193 BGB findet insoweit weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung, da dies zu einer unzulässigen Verkürzung der gesetzlichen Kündigungsfrist führen würde1. Die Kündigung muss in dem Fall am Samstag, Sonntag oder Feiertag bzw. zu einem früheren Zeitpunkt zugegangen sein.
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Eine verspätet zugegangene Kündigung wirkt grundsätzlich zum nächstmöglichen Termin. Geht also eine vom Arbeitgeber zum 15.5. ausgesprochene Kündigung dem Arbeitnehmer erst am 18.4. zu, wirkt sie erst zum 31.5., sofern nicht die Parteien arbeitsvertraglich den 15. eines Kalendermonats als alleinigen Kündigungstermin vereinbart haben. Im letzteren Fall wirkt die Kündigung erst zum 15.6.
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Hat das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen mindestens zwei Jahre bestanden und weist der Arbeitnehmer ein bestimmtes Alter auf, so gelten für die arbeitgeberseitige Kündigung gemäß § 622 Abs. 2 BGB verlängerte Kündigungsfristen. Diese betragen bei einer Beschäftigungsdauer – von zwei Jahren einen Monat zum Ende eines Kalendermonats, – bei einer Beschäftigungsdauer von fünf Jahren zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 1 So BAG vom 5.3.1970 – 2 AZR 112/69, DB 1970, 1134.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 177 Teil 1
– bei einer Beschäftigungsdauer von acht Jahren drei Monate zum Ende eines Kalendermonats, – bei einer Beschäftigungsdauer von zehn Jahren vier Monate zum Ende eines Kalendermonats, – bei einer Beschäftigungsdauer von zwölf Jahren fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats, – bei einer Beschäftigungsdauer von fünfzehn Jahren sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats, – bei einer Beschäftigungsdauer von zwanzig Jahren sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. Gemäß § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sind bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer für die verlängerten Fristen erst Zeiten ab Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Diese Bestimmung ist mittlerweile in das Fadenkreuz der AGG-Kritik unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung gelangt. Nach Auffassung mehrerer Landesarbeitsgerichte1 verstößt § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen die europarechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, wie sie auch in der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf niedergelegt seien. Die Vorschrift sei daher von einem nationalen Gericht nicht mehr anzuwenden, ohne dass es einer Vorlage an den EuGH bedürfte. Dagegen hat das LAG Düsseldorf am 21.11.2007 dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 EGV u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob eine nationale Gesetzesregelung (gemeint ist § 622 Abs. 2 BGB), nach der sich die vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfristen mit zunehmender Dauer der Beschäftigung stufenweise verlängern, jedoch hierbei vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Beschäftigungszeiten unberücksichtigt bleiben, gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung, namentlich gegen Primärrecht der EG oder gegen die Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 verstößt2.
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Hinweis: Bis zu einer diesbezüglichen Entscheidung des EuGH kann nur empfohlen werden, gewissermaßen auf „Nummer sicher“ zu gehen und auch – entgegen § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB – Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers, die vor dessen 25. Lebensjahr liegen, bei den verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 7 BGB zu berücksichtigen.
Die längeren Kündigungsfristen gelten nur für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Arbeitnehmer mit einer Beschäftigungsdauer von mehr als zwei Jahren können sonach mit der regelmäßigen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB kündigen, wenn nicht im Arbeitsvertrag die Geltung der längeren Fristen 1 LAG Berlin-Brandenburg vom 24.7.2007 – 7 Sa 561/07, BB 2008, 283; LAG SchleswigHolstein vom 28.5.2008 – 3 Sa 31/08, DB 2008, 1976. 2 LAG Düsseldorf vom 21.11.2007 – 12 Sa 1311/07, DB 2007, 2655 = LAGE § 622 BGB 2002 Nr. 3.
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Teil 1 Rz. 178
Arbeitsrechtliche Grundlagen
des § 622 Abs. 2 BGB auch für arbeitnehmerseitige Kündigungen vereinbart worden ist1. 178
Die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB sind Mindestfristen und grundsätzlich zwingend zu beachten. Von ihnen kann nur insoweit abgewichen werden, als dies gesetzlich ausdrücklich zugelassen wird. Möglich ist die Vereinbarung längerer Kündigungsfristen, wobei aber für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer keine längere Kündigungsfrist vereinbart werden darf als für die Kündigung durch den Arbeitgeber, § 622 Abs. 6 BGB. Die gesetzlichen Kündigungstermine des § 622 Abs. 2 BGB sind ganz generell einzelvertraglich nicht abdingbar. Sie müssen auch dann eingehalten werden, wenn der Arbeitgeber die Kündigung mit einer längeren als der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist ausgesprochen hat2.
179
Ist ein Arbeitsverhältnis mit einer Person auf Lebenszeit oder für längere Zeit als fünf Jahre eingegangen, kann es gemäß § 624 BGB von dem Arbeitnehmer nach Ablauf von fünf Jahren mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten gekündigt werden. Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, die für die Dauer von zunächst fünf Jahren eingegangen sind und sich dann um weitere fünf Jahre verlängern, wenn sie nicht zuvor vom Arbeitnehmer mit einer angemessenen Kündigungsfrist gekündigt werden3.
180
Eine Frau kann während der Schwangerschaft und während der Schutzfrist nach der Entbindung das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist zum Ende der Schutzfrist nach der Entbindung kündigen, § 10 Abs. 1 MuSchG. Erfolgt die Kündigung bereits vor der Entbindung, hat der Arbeitgeber hiervon die Aufsichtsbehörde zu unterrichten (§ 9 Abs. 2 i.V. mit § 5 Abs. 1 Satz 3 MuSchG). Mit der Einführung des Anspruchs auf Elternzeit nach Maßgabe von § 15 BErzGG (nunmehr § 15 BEEG) hat die Möglichkeit der Kündigung nach § 10 MuSchG heute weitgehend an Bedeutung verloren.
181
Der zur Elternzeit berechtigte Arbeitnehmer kann das Arbeitsverhältnis zum Ende der Elternzeit nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten kündigen, § 19 BEEG. Das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers während der Dauer der Elternzeit wird dadurch nicht eingeschränkt. Maßgebend sind insoweit die gesetzlichen, tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Kündigungsfristen.
182
Schwerbehinderten i.S. von § 2 Abs. 1 SGB IX und Gleichgestellten i.S. von § 2 Abs. 2 SGB IX kann das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber nach § 86 SGB IX nur mit einer Kündigungsfrist von mindestens vier Wochen ordentlich gekündigt werden. Eine längere gesetzliche, tarifliche oder arbeitsvertragliche Kündigungsfrist muss eingehalten werden. Soweit durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Gesetz geregelt ist, dass eine ordentliche Kündigung nur zu be1 Vgl. BAG vom 25.11.1971 – 2 AZR 62/71, DB 1972, 783. 2 BAG vom 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29. 3 BAG vom 19.12.1991 – 2 AZR 363/91, NZA 1992, 543, (kein Verstoß einer solchen Vereinbarung gegen Art. 12 GG).
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 185 Teil 1
stimmten Kündigungsterminen ausgesprochen werden darf, muss der Arbeitgeber bei der ordentlichen Kündigung sowohl diese Termine als auch die in § 86 SGB IX bestimmte Mindestkündigungsfrist von vier Wochen beachten1. Ein Berufsausbildungsverhältnis kann nach Ablauf der Probezeit von beiden Seiten grundsätzlich nur fristlos aus wichtigem Grund gekündigt werden (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG). Ausnahmsweise lässt § 22 Abs. 1 Nr. 1 BBiG die ordentliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch den Auszubildenden zu, wenn dieser die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen will. Dabei hat er eine Kündigungsfrist von vier Wochen zu beachten. Die ordentliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch den Ausbildenden nach Ablauf der Probezeit ist gesetzlich nicht vorgesehen und deshalb generell ausgeschlossen. Lediglich im Konkurs des Ausbildenden konnte es nach der Rechtsprechung des BAG2 vom Konkursverwalter ordentlich gekündigt werden, wobei als „gesetzliche Kündigungsfrist“ i.S. von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO die Regelung des § 622 BGB analog gelten sollte. Möglich dürfte deshalb nunmehr auch die ordentliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter im Falle der Insolvenz des Ausbildenden sein. Für die ordentliche Kündigung eines Dienstverhältnisses durch den Insolvenzverwalter beträgt die Kündigungsfrist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Da die Auszubildenden regelmäßig nicht älter als 25 Jahre sein werden (vgl. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB) und das Berufsausbildungsverhältnis keinesfalls länger als fünf Jahre dauert (vgl. § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB), kann der Insolvenzverwalter die Berufsausbildungsverhältnisse entweder unter Einhaltung der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB (vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats) oder unter Einhaltung der Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB von einem Monat zum Monatsende ordentlich kündigen.
183
Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Mo- 184 naten, kann das Arbeitsverhältnis nach § 622 Abs. 3 BGB mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Auf diese Weise sollen unbefristete Einstellungen dadurch erleichtert werden, dass das Arbeitsverhältnis während der Probezeit relativ kurzfristig beendet werden kann, um einer für die Arbeitnehmer nachteiligen Zunahme von befristeten Probearbeitsverhältnissen entgegenzuwirken3. Die Wirksamkeit einer Probezeitvereinbarung nach § 622 Abs. 3 BGB hängt vorbehaltlich abweichender tariflicher Bestimmungen nach § 622 Abs. 4 BGB allein davon ab, dass die Probezeitdauer sechs Monate nicht übersteigt. Eine im arbeitgeberseitig vorformulierten Arbeitsvertrag enthaltene sechsmonatige Probezeit ist nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die Absätze 1 und 2 von § 307 BGB gelten gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvor1 BAG vom 25.2.1981 – 7 AZR 25/79, DB 1981, 1417. 2 BAG vom 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, NZA 1993, 845. 3 Vgl. BT-Drucks. 12/4902, S. 9.
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Teil 1 Rz. 186
Arbeitsrechtliche Grundlagen
schriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. § 622 Abs. 3 BGB macht die Vereinbarung einer Probezeit, die sich in dem vorgegebenen Rahmen hält, nur von dem übereinstimmenden Willen der Parteien abhängig und ordnet nicht darüber hinaus eine einzelfallbezogene Angemessenheitskontrolle an. Durch die formularmäßige Vereinbarung einer für beide Vertragsteile gleichermaßen geltenden sechsmonatigen Probezeit nutzen die Parteien lediglich die gesetzlich zur Verfügung gestellten Möglichkeiten und weichen hiervon nicht ab1. 186
Wird im Arbeitsvertrag eine Regelung über die Kündigungsfrist nicht aufgenommen, so liegt bereits in der Vereinbarung der Probezeit regelmäßig auch die stillschweigende Vereinbarung der gesetzlich zulässigen Mindestkündigungsfrist2. Wird eine Probezeit vereinbart, die sechs Monate überschreitet, gilt nach Ablauf des sechsten Beschäftigungsmonats die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB.
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Von dem (unbefristeten) Arbeitsverhältnis mit Probezeit zu unterscheiden ist das sog. befristete Probearbeitsverhältnis, das mit Ablauf der vereinbarten Probezeit automatisch endet. Eine ordentliche Kündigung ist hier ausgeschlossen, sofern nicht die Parteien die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ausdrücklich vereinbart haben (§ 620 BGB)3.
188
Durch Tarifvertrag kann gemäß § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB von den Vorschriften über die Grundkündigungsfrist (§ 622 Abs. 1 BGB), die verlängerten Kündigungsfristen (§ 622 Abs. 2 BGB) und die Kündigungsfristen während der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) abgewichen werden. Da sich die Tariföffnungsklausel nicht nur auf Kündigungsfristen bezieht, werden von ihr auch abweichende Regelungen hinsichtlich der Kündigungstermine sowie der Voraussetzungen, unter denen verlängerte Kündigungsfristen eingreifen (z.B. Dauer und Berechnung der Betriebszugehörigkeit), erfasst. Eine tarifliche Kündigungsfrist kann dabei auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Zulässig sind nach § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB weiterhin tarifliche Regelungen, die für Kleinbetriebe einheitliche Kündigungsfristen und Kündigungstermine ohne Staffelung nach Betriebszugehörigkeit und Alter vorsehen4. Selbst die Vereinbarung einer völlig entfristeten Kündigung durch Tarifvertrag aus Gründen, deren Voraussetzungen nicht denen eines wichtigen Grundes i.S. von § 626 Abs. 1 BGB entsprechen, wird von der Rechtsprechung für zulässig erachtet5. Soweit in Tarifverträgen längere als die gesetzlichen Kündigungsfristen vereinbart werden, dürfen die Kündigungsfristen für die Arbeitnehmer nicht länger sein als die für die Arbeitgeber, § 622 Abs. 6 BGB.
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Soweit Tarifverträge (noch) unterschiedliche Fristen für die Kündigung von Arbeitern und Angestellten vorsehen, müssen diese Bestimmungen mit dem 1 2 3 4 5
BAG vom 24.1.2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521. BAG vom 22.7.1971 – 2 AZR 344/70, DB 1971, 1922. Vgl. BAG vom 19.6.1980 – 2 AZR 660/78, DB 1971, 1922. BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 21/07, NZA 2008, 960. BAG vom 4.6.1987 – 2 AZR 416/86, NZA 1988, 52.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 191 Teil 1
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG vereinbar sein. Bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit tariflicher Kündigungsfristen haben die Arbeitsgerichte von Amts wegen die näheren Umstände, die für und gegen eine Verfassungswidrigkeit sprächen, zu ermitteln1. An sachlichen Gründen fehlt es, wenn die für Arbeiter kürzeren Kündigungsfristen nur auf einer Pauschaldifferenzierung zwischen den Gruppen der Angestellten und der Arbeiter beruht. Ebenso wenig ist regelmäßig bei älteren Arbeitern mit längerer Betriebszugehörigkeit eine sachlich gerechtfertigte Unterscheidung gegenüber gleichaltrigen Angestellten mit entsprechend langer Betriebszugehörigkeit in der gleichen Branche gegeben. Sachlich gerechtfertigt können dagegen hinreichend gruppenspezifisch ausgestaltete Regelungen sein, die funktions-, branchen- oder betriebsspezifischen Interessen im Geltungsbereich des Tarifvertrags mit Hilfe verkürzter Kündigungsfristen für Arbeiter entsprechen oder gruppenspezifische Schwierigkeiten bestimmter Arbeitnehmer bei der Stellensuche mildern. Auch das objektiv erforderliche Bedürfnis nach personalwirtschaftlicher Flexibilität in der Produktion reicht als rechtfertigender Grund für eine ungleiche Behandlung von Arbeitern und Angestellten bei einer eigenständigen tariflichen Regelung der Grundkündigungsfristen jedenfalls dann aus, wenn die Arbeiter angesichts neuartiger Fertigungsverfahren (z.B. Einsatz elektronischer Technologien, just-in-time Fertigung) noch überwiegend in der Produktion und die Angestellten in Verwaltungsbereichen tätig sind2. Wenn das Bedürfnis nach flexibler Personalplanung im produktiven Bereich eine kürzere Grundkündigungsfrist für überwiegend in der Produktion tätige Arbeiter rechtfertigt, so gilt dies aber nicht ohne Weiteres auch für die verlängerten Kündigungsfristen desselben Tarifvertrages bei längerbeschäftigten Arbeitern und Angestellten. Die im gleichen Maß erbrachte Betriebstreue der Arbeiter erfordert dann zumindest gleiche Stufen der Wartezeiten aufgrund abgeleisteter Betriebszugehörigkeiten wie bei den Angestellten3.
190
Die Frage, ob die jeweilige tarifliche Kündigungsfrist verfassungsmäßig ist, muss unter Berücksichtigung des gesamten Tarifinhalts, soweit er einen Bezug zum Bestand des Arbeitsverhältnisses hat, beurteilt werden. Wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifparteien ist dabei jedenfalls von einer materiellen Richtigkeitsgewähr auszugehen, wenn sich für das Vorliegen sachlicher
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1 BAG vom 4.3.1993 – 2 AZR 355/92, NZA 1993, 995; BAG vom 16.9.1993 – 2 AZR 697/92, NZA 1994, 221. 2 Vgl. BAG vom 23.1.1992 – 2 AZR 460/91, NZA 1992, 787; BAG vom 2.4.1992 – 2 AZR 516/91, NZA 1992, 886; BAG vom 4.3.1993 – 2 AZR 355/92, NZA 1993, 995; BAG vom 10.3.1994 – 2 AZR 605/93, NZA 1994, 1045. S. auch LAG Köln vom 29.5.1991 – 5 Sa 3/91, LAGE § 622 BGB Nr. 19 (zum RTV für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk); ArbG Karlsruhe vom 11.9.1992 – 7 Ca 677/91, DB 1993, 332 (zum RTV für die gewerblichen Arbeitnehmer im Gebäudereinigerhandwerk); LAG Schleswig-Holstein vom 2.12.1992 – 5 Sa 294/92, LAGE § 622 BGB Nr. 26 (zum MTV für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Metallindustrie in Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein). 3 BAG vom 11.8.1994 – 2 AZR 9/94, NZA 1995, 1051 (zu § 2 Nr. 6 MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie).
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Teil 1 Rz. 192
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Gründe konkrete Anhaltspunkte ergeben. In dem Fall spricht eine Vermutung dafür, dass die Tarifpartner von der Tarifautonomie angemessen Gebrauch gemacht und die Interessen beider Seiten gewahrt haben1. 192
Ist eine tarifliche Regelung der Kündigungsfristen wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG nichtig, weil die Tarifpartner bei der Kündigungsfristenregelung nicht in verfassungskonformer Weise von der in § 622 BGB enthaltenen Tariföffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, ist die dadurch entstandene Lücke durch Anwendung der tarifdispositiven Gesetzesnorm zu schließen, d.h. es gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen2. Verstößt eine tarifliche Regelung nur teilweise gegen Art. 3 GG, bleiben die mit höherem Recht zu vereinbarenden Teile der Tarifnorm gültig, sofern nicht die tariflichen Kündigungsfristen in einem inneren Zusammenhang stehen3.
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Die tariflichen Kündigungsfristen gelten grundsätzlich nur für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse wegen Organisationszugehörigkeit oder Allgemeinverbindlichkeitserklärung dem Tarifvertrag unterliegen. Zur Ermöglichung einer einheitlichen Kündigungsregelung für tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer in den Betrieben können nach § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB im Geltungsbereich eines von den gesetzlichen Kündigungsfristen abweichenden Tarifvertrages zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die tarifvertraglichen Kündigungsvorschriften übernommen werden. Dies kann entweder durch Wiederholung der tariflichen Kündigungsfristen oder – üblicherweise – durch eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel auf die Kündigungsfristen des Tarifvertrages („Für das Arbeitsverhältnis gelten die im Tarifvertrag . . . bestimmten Kündigungsfristen in ihrer jeweils geltenden Fassung“) bzw. durch generelle Bezugnahme auf den Tarifvertrag („Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge . . . in ihrer jeweils geltenden Fassung“) geschehen.
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Endet der zeitliche Geltungsbereich eines Tarifvertrages, gelten seine Regelungen – und damit auch die tariflichen Kündigungsfristen – weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden, § 4 Abs. 5 TVG. Diese sog. Nachwirkung bezieht sich auch auf Arbeitsverhältnisse, in denen gemäß § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB die Anwendung der tariflichen Kündigungsfristen vereinbart ist.
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Nach § 622 Abs. 5 Satz 2 BGB können einzelvertraglich längere als die in § 622 Abs. 1 bis 3 BGB genannten Kündigungsfristen vereinbart werden. Allerdings darf für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitneh1 BAG vom 21.3.1991 – 2 AZR 616/90, NZA 1991, 803; BAG vom 29.8.1991 – 2 AZR 220/91, NZA 1992, 166; BAG vom 23.1.1992 – 2 AZR 389/91, NZA 1992, 742; BAG vom 23.1.1992 – 2 AZR 460/91, NZA 1992, 787; BAG vom 23.1.1992 – 2 AZR 470/91, NZA 1992, 739; BAG vom 10.3.1994 – 2 AZR 605/93, NZA 1994, 1045. 2 BAG vom 10.3.1994 – 2 AZR 323/84, NZA 1994, 799 (zu § 13 Nr. 9 Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30.4.1980). 3 LAG Köln vom 29.7.1991 – 14 (7) Sa 209/91, LAGE § 622 BGB Nr. 20.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 197 Teil 1
mer keine längere Kündigungsfrist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber, § 622 Abs. 6 BGB. Sind die Parteien des Arbeitsvertrages tarifgebunden und enthält der Arbeitsvertrag eine Kündigungsregelung, die von der des Tarifvertrages abweicht, so gilt diese nur dann, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist, § 4 Abs. 3 TVG. Hatten die Parteien vor dem Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes1 am 196 15.10.1993 arbeitsvertraglich eine Kündigungsfrist vereinbart, die den damaligen Kündigungsfristen des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9.7.19262 entsprach (z.B. drei Monate zum Quartalsende), kann nach einer Entscheidung des BAG vom 4.7.20013 aus einer solchen Vereinbarung – sofern es keine Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Parteiwillen gibt – in der Regel nicht geschlossen werden, dass der vertragliche Kündigungstermin (Quartalsende) auch dann Bestand haben sollte, wenn nach einer Gesetzesänderung der Gesamtvergleich von Kündigungsfrist und Kündigungstermin zu dem Ergebnis führt, dass die gesetzliche Regelung für den Arbeitnehmer stets günstiger ist4. Hat in einem solchen Fall das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers mindestens 20 Jahre bestanden, so kann es vom Arbeitgeber gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB mit einer Frist von sieben Monaten zum Monatsende gekündigt werden, ohne dass der Kündigungstermin gleichzeitig das Quartalsende sein muss. Heißt es in einem Arbeitsvertrag, der vor dem Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes geschlossen wurde, lediglich „Es gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen“, ist insoweit ebenfalls von einer deklaratorischen Regelung auszugehen, so dass nunmehr die Kündigungsfristen des § 622 BGB auf das betreffende Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Wurde dagegen nach dem Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes arbeitsvertraglich eine bestimmte Kündigungsfrist mit dem Quartalsende als Kündigungstermin vereinbart, dürfte dieser Kündigungstermin als eigenständige für den Arbeitnehmer günstigere Regelung auch dann erhalten bleiben, wenn sich die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB über die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist hinaus verlängern. Hat der Arbeitgeber z.B. zum 1.1.2001 einen zum damaligen Zeitpunkt mindestens 25 Jahre alten Arbeitnehmer eingestellt und mit diesem im Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende vereinbart, so kann er das Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 1.1. bis zum 31.3.2009 frühestens zum 30.6.2009 kündigen. 1 Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz – KündFG) vom 7.10.1993 (BGBl. I S. 1668). 2 RGBl. I S. 399. 3 BAG vom 4.7.2001 – 2 AZR 469/00, NZA 2002, 380. 4 Anders noch LAG Hamm vom 1.2.1996 – 4 Sa 913/95, LAGE § 622 BGB Nr. 38: Haben die Parteien im Arbeitsvertrag neben einer Kündigungsfrist (z.B. von sechs Wochen) das Quartal als Kündigungstermin vereinbart, so bleibt dieser Kündigungstermin als eigenständige günstigere Regelung auch dann erhalten, wenn sich die gesetzliche bzw. tarifliche Kündigungsfrist auf sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats verlängert.
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Teil 1 Rz. 198
Arbeitsrechtliche Grundlagen
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Nach § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BGB kann einzelvertraglich eine kürzere als die in § 622 Abs. 1 BGB genannte Kündigungsfrist vereinbart werden, wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt wird und das Aushilfsarbeitsverhältnis nicht länger als drei Monate dauert. Die Abkürzung der Kündigungsfrist unterliegt hierbei keiner Untergrenze, so dass auch die Vereinbarung einer entfristeten Kündigung – etwa zum Ende des Arbeitstages oder zum Ablauf der Schicht – zulässig ist.
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Eine gegenüber der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB kürzere Kündigungsfrist kann weiterhin gemäß § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BGB vereinbart werden, wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist nicht vier Wochen unterschreitet. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0.75 zu berücksichtigen (§ 622 Abs. 5 Satz 2 BGB). Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 von § 622 BGB genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt, § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB.
200
Nach dem Wortlaut von § 622 Abs. 5 Satz 1 BGB ist in den Fällen der Nr. 1 und 2 nur eine Abweichung von der Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB zulässig. Teleologisch ist § 622 Abs. 5 Satz 1 BGB jedoch dahin auszulegen, dass nicht nur eine Verkürzung der Kündigungsfrist, sondern auch eine Abbedingung des in § 622 Abs. 1 BGB bezeichneten Kündigungstermins („zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats“) möglich ist. Anderenfalls ergäbe § 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB, der unter den dort genannten Voraussetzungen an einer Mindestkündigungsfrist von vier Wochen festhält, keinen Sinn.
201
Um weitere Fälle der einzelvertraglichen Kündigungsfristen handelt es sich bei der vereinbarten Probezeit i.S. von § 622 Abs. 3 BGB und bei der arbeitsvertraglichen Vereinbarung tariflicher Kündigungsfristen i.S. von § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB. S. hierzu bereits o. Rz. 184 ff., 188 ff.
202
Soweit einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen gegen gesetzliche oder tarifliche Bestimmungen verstoßen, sind sie unwirksam (§ 134 BGB). Wird eine Kündigung mit einer zu kurzen vertraglich vereinbarten Frist oder zu einem unzulässigen Termin (s.o. Rz. 179) ausgesprochen, ist sie aber regelmäßig als jeweils zum nächstzulässigen Termin wirkend anzusehen1.
8. Der allgemeine Kündigungsschutz 203
Durch § 1 KSchG wird das Recht des Arbeitgebers, eine ordentliche Kündigung auszusprechen, eingeschränkt. Im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nur dann rechtswirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist 1 BAG vom 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791; BAG vom 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29.
66 Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 206 Teil 1
(vgl. § 1 Abs. 1 KSchG). Das Kündigungsschutzgesetz dient damit dem Schutz des Arbeitnehmers vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Arbeitnehmer – unabhängig von einem bestimmten Mindestalter – der Sicherung seines Arbeitsplatzes als der regelmäßig alleinigen Existenzgrundlage bedarf. Der allgemeine Kündigungsschutz beruht auf dem Prinzip der nachträglichen 204 Rechtswirksamkeitskontrolle durch die Arbeitsgerichte1. Bei Aufhebungsverhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – insbesondere bei der Höhe einer zu zahlenden Abfindung – müssen beide Parteien berücksichtigen, ob Gründe gegeben sind, die eine Kündigung sozial rechtfertigen und – was noch weitaus wichtiger ist – ob die Kündigung aufgrund vom Arbeitgeber konkret vorzutragender und ggf. zu beweisender Umstände einer gerichtlichen Überprüfung voraussichtlich standhalten wird. a) Voraussetzungen Die Voraussetzungen für das Eingreifen des allgemeinen Kündigungsschutzes ergeben sich aus § 1 Abs. 1, § 23 KSchG. Geschützt wird der Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen länger als sechs Monate bestanden hat und in dem Betrieb regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer (sofern deren Arbeitsverhältnisse vor dem 1.1.2004 begonnen haben) bzw. mehr als zehn Arbeitnehmer (sofern deren Arbeitsverhältnisse nach dem 31.12.2003 begonnen haben) ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt werden. Der räumliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes beschränkt sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, d.h. die Arbeitnehmer i.S. von § 23 Abs. 1 KSchG müssen in Betrieben im Inland beschäftigt sein2.
205
Bei der gekündigten Person muss es sich zunächst um einen Arbeitnehmer handeln. Der Begriff des Arbeitnehmers wird im KSchG nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages oder eines ihm gleichgestellten Rechtsverhältnisses im Dienst eines anderen zur unselbständigen Arbeit verpflichtet ist3. Wesentliches Merkmal der Arbeitnehmereigenschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG4 die persönliche Abhängigkeit des zur Dienstleistung Verpflichteten. Auch Teilzeitbeschäftigte sind Arbeitnehmer und genießen Kündigungsschutz. Auf den Umfang ihrer Arbeit kommt es dabei nicht an5. Personen, die eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ausüben, sind daher – wie § 2 Abs. 2 TzBfG ausdrücklich klarstellt – ebenfalls (teilzeitbeschäftigte) Arbeit-
206
1 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 868. 2 BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 902/06, NZA 2008, 872. 3 Eingehend zum Arbeitnehmerbegriff von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 42 ff.; Griebeling, NZA 1998, 1137 ff. 4 S. etwa BAG vom 4.12.2002 – 5 AZR 667/01, NZA 2003, 1112; BAG vom 11.6.2003 – 5 AZB 43/02, NZA 2003, 1163. Ebenso BGH vom 21.1.2003 – X ZR 261/01, NZA 2003, 616; BGH vom 10.7.2003 – III ZB 91/01, NZA 2003, 1052 (1053 f.). 5 BAG vom 13.3.1987 – 7 AZR 724/85, NZA 1987, 629.
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Teil 1 Rz. 207
Arbeitsrechtliche Grundlagen
nehmer. Die in § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG enthaltene Arbeitszeitgrenze ist nur für den betrieblichen Geltungsbereich von Bedeutung. Auch für leitende Angestellte i.S. des § 5 Abs. 3 und 4 BetrVG gilt das Kündigungsschutzgesetz, für solche i.S. von § 14 Abs. 2 KSchG jedoch nur mit gewissen Einschränkungen (s.u. Rz. 498 ff.). 207
Keine Anwendung findet das KSchG dagegen nach § 14 Abs. 1 KSchG auf vertretungsberechtigte Organmitglieder. Bei der Bestellung von bereits im Betrieb als Arbeitnehmern beschäftigten Personen zu Organmitgliedern wird nach neuester Rechtsprechung des BAG vermutet, dass mit dem Abschluss des auf die Organstellung bezogenen schriftlichen Dienstvertrags das bis dahin bestehende Abeitsverhältnis mit dem Beginn dieses Dienstverhältnisses einvernehmlich beendet wird, soweit nicht klar und eindeutig etwas anderes vertraglich vereinbart wird. Durch den schriftlichen Dienstvertrag werde in diesen Fällen das Schriftformerfordernis des § 623 BGB für den Auflösungsvertrag gewahrt1. Mit dem Verlust der Organstellung als Geschäftsführer einer GmbH wandelt sich der zu Grunde liegende Anstellungsvertrag (Geschäftsführerdienstvertrag) nicht (wieder) – jedenfalls nicht ohne Weiteres – in einen Arbeitsvertrag2.
208
Ein Dienstnehmer, der zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt werden soll, wird nicht dadurch zum Arbeitnehmer, dass die Bestellung zum Geschäftsführer unterbleibt3. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer KG ist kraft Gesetzes zur Vertretung dieser Personengesamtheit berufen und gilt daher gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht als Arbeitnehmer4.
209
Nach einer Entscheidung des BAG vom 26.5.19995 kann das Anstellungsverhältnis eines (stellvertretenden) GmbH-Geschäftsführers im Einzelfall ein Arbeitsverhältnis sein. Ob das Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis sei, hänge nicht vom Umfang der Vertretungsbefugnis des (stellvertretenden) Geschäftsführers im Innenverhältnis nach § 37 Abs. 1 GmbHG ab, sondern richte sich nach den allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung vom freien Dienstverhältnis. Entscheidend sei insoweit, ob der stellvertretende Geschäftsführer hinsichtlich Durchführung, Zeit, Dauer, Ort und sonstiger Modalitäten seiner Dienstleistungen an Weisungen der Gesellschaft gebunden sei6.
210
Liegt ein wirksam befristetes Arbeitsverhältnis (nach Maßgabe von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG oder bei sachlich gerechtfertigtem Grund i.S. von § 14 Abs. 1 TzBfG) vor, sind die Vorschriften des KSchG hinsichtlich des durch die Befristung bestimmten Endzeitpunktes des Arbeitsverhältnisses nicht an1 BAG vom 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NZA 2007, 1095. Bestätigt durch BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NZA 2008, 1002. S. dazu auch Weber/Burmester, GmbHR 1997, 778 ff.; Baeck/Hopfner, DB 2000, 1914 ff.; Dollmann, BB 2003, 1838 ff.; Bauer/ Arnold, DB 2008, 350 ff. 2 So ausdrücklich BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NZA 2008, 1002. 3 BAG vom 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NZA 1997, 1363. 4 BAG vom 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NZA 2003, 1108. 5 BAG vom 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987. 6 BAG vom 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 213 Teil 1
wendbar. Möglich ist allerdings nach § 15 Abs. 3 TzBfG die ordentliche Kündigung eines befristeten Arbeitsvertrags, wenn dies einzelvertraglich oder in einem anwendbaren Tarifvertrag vereinbart ist. In dem Fall sind die Vorschriften des KSchG – bei Vorliegen seiner allgemeinen Voraussetzungen – auf die ordentliche Kündigung des befristeten Arbeitsververhältnisses anwendbar. Keinen Kündigungsschutz genießen schließlich alle selbständig arbeitenden Personen wie freie Mitarbeiter, Handelsvertreter, Heimarbeiter und Haushaltsgewerbetreibende, auch wenn sie wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind1.
211
aa) Betrieblicher Geltungsbereich Der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG gilt gemäß § 23 Abs. 1 212 Satz 1 KSchG für alle Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts. Unter einem „Betrieb“ ist die organisatorische Einheit zu verstehen, innerhalb derer ein Unternehmen allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen2. Hiervon erfasst werden etwa auch Rechtsanwaltskanzleien, Arztpraxen sowie Büros von Steuerberatern und kirchliche Einrichtungen. Maßgeblich ist nicht die räumliche Einheit der Betriebsstätte, sondern die einheitliche und eigenständige Leitung des Betriebes3. Unterhält ein Arbeitgeber mehrere zentral gelenkte Verkaufsstellen, bilden diese in ihrer Gesamtheit ebenfalls einen Betrieb i.S. des KSchG4. Mehrere Unternehmen können einen gemeinsamen Betrieb führen. Hierfür reichte es nach ständiger Rechtsprechung des BAG5 nicht aus, dass die betriebliche Tätigkeit in den gleichen Räumen und mit den gleichen sächlichen Mitteln entwickelt wird. Die Unternehmer mussten vielmehr unter einheitlicher Betriebsleitung einen gemeinsamen Betriebszweck verfolgen und eine ausdrückliche oder stillschweigende Leitungsvereinbarung getroffen haben, die sich allerdings auch aus den näheren tatsächlichen Umständen des Einzelfalles konkludent ergeben konnte. Nach der seit dem 28.7.2001 geltenden Neuregelung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wird nunmehr ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen bereits dann gesetzlich vermutet, wenn zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer von den Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden. Gleiches gilt nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG, wenn die Spaltung eines Unternehmens zur Folge hat, dass von einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem an der Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden, ohne dass sich dabei 1 2 3 4 5
von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 55 ff. m. w. Nachw. S. statt vieler von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 23 Rz. 8 m. zahlr. Nachw. Vgl. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 23 Rz. 8 f. BAG vom 26.8.1971 – 2 AZR 233/70, DB 1971, 2319. S. etwa BAG vom 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977; BAG vom 9.10.1997 – 2 AZR 64/97, NZA 1998, 141; BAG vom 12.11.1998 – 2 AZR 459/97, NZA 1999, 590; BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 352/98, NZA 1999, 932.
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Teil 1 Rz. 214
Arbeitsrechtliche Grundlagen
die Organisation des betroffenen Betriebes wesentlich ändert. Trotz der Änderung des § 1 BetrVG hat das BAG in einer Entscheidung vom 16.1.20031 an seiner früheren Rechtsprechung festgehalten, wonach die Annahme eines ausnahmsweise arbeitgeberübergreifenden Kündigungsschutzes stets davon abhängt, dass sich zwei oder mehr Unternehmen zur gemeinsamen Führung eines Betriebes – zumindest konkludent – rechtlich derart verbunden haben, dass der Kern der Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen Bereich von der institutionellen Leitung rechtlich abgesichert ausgeübt wird. Sind die Voraussetzungen eines gemeinsamen Betriebs gegeben, müssen bei der sozialen Rechtfertigung der Kündigung die Prüfung der Versetzungsmöglichkeit und die Sozialauswahl grundsätzlich innerhalb des gesamten Betriebs erfolgen2. Außerdem sieht § 322 UmwG vor, dass bei der gemeinsamen Führung eines Betriebs nach einer Spaltung oder Teilübertragung dieser als Betrieb i.S. des KSchG gilt. Ist eine solche Fallkonstellation gegeben, so haben die Prüfung der Versetzungsmöglichkeit und die Sozialauswahl über die (neuen) Betriebsgrenzen hinaus zu erfolgen. Weiterhin besagt § 323 Abs. 1 UmwG, dass sich die kündigungsrechtliche Stellung eines von dem Wirksamwerden einer Umwandlung betroffenen Arbeitnehmers für die Dauer von zwei Jahren nach der Spaltung oder Teilübertragung nicht ändert. Während dieser Dauer haben mithin die Prüfung der Versetzungsmöglichkeit und die Sozialauswahl auch dann im Rahmen des früheren Betriebes stattzufinden, wenn nach der Spaltung die einzelnen Teile selbständige Betriebe bilden. 214
Besteht zwischen einer Holding und ihren Tochtergesellschaften kein Gemeinschaftsbetrieb, so genießen die Arbeitnehmer der Holding nur dann Kündigungsschutz, wenn die Holding ihrerseits dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt, insbesondere die nach § 23 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt (s.u. Rz. 215 ff.)3. Ein gemeinsamer Betrieb zwischen einer Konzernholding und einer Tochtergesellschaft liegt nicht bereits dann vor, wenn die Holding aufgrund ihrer konzernrechtlichen Leitungsmacht gegenüber den Tochtergesellschaften anordnet, bestimmte Arbeiten für sie mitzuerledigen4. Einen kündigungsrechtlichen „Berechnungsdurchgriff im Konzern“ erachtet das BAG auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten5. bb) Beschäftigtenzahl
215
Die Vorschriften der §§ 1 ff. KSchG über den allgemeinen Kündigungsschutz greifen – mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 KSchG und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 1 BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 609/01, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb. 2 BAG vom 13.6.1985 – 2 AZR 452/84, NZA 1986, 600. 3 BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 352/98, NZA 1999, 932; BAG vom 13.6.2002 – 2 AZR 327/01, NZA 2002, 1147; BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 609/01, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb. 4 BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 352/98, NZA 1999, 932. 5 Vgl. BAG vom 13.6.2002 – 2 AZR 327/01, NZA 2002, 1147; BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 609/01, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 217 Teil 1
KSchG – gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG in Betrieben und Verwaltungen nicht ein, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten nach dem mit Wirkung vom 1.1.2004 eingefügten1 Satz 3 von § 23 Abs. 1 KSchG die Vorschriften der §§ 1 ff. KSchG mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 KSchG und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat. Diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen2. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmern, die mit Wirkung zu einem Zeitpunkt nach dem 31.12.2003 eingestellt werden, der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nur dann zugute kommt, wenn im jeweiligen Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) beschäftigt sind. Zugunsten der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse vor dem 1.1.2004 begonnen haben, greift der Kündigungsschutz dagegen bereits dann ein, wenn in den jeweiligen Betrieben regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind. Ersatzeinstellungen für sog. „Alt-Arbeitnehmer“, die bereits vor dem 1.1.2004 im Betrieb beschäftigt waren und danach ausscheiden, sind nicht zu berücksichtigen3.
216
Diese sog. Kleinbetriebsklausel ist nicht verfassungswidrig4 und mit europäischem Recht vereinbar5. Allerdings fordert der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nach Ansicht des BVerfG eine am Sinn der Kleinbetriebsklausel orientierte Auslegung des Betriebsbegriffs. Sie führe regelmäßig zur Zusammenrechnung der in verschiedenen Kleinbetrieben desselben Arbeitgebers beschäftigten Arbeitnehmer, ohne dass insoweit ein gemeinsamer Betrieb (s.o. Rz. 213) erforderlich sei. Gleiches gelte bei einem selbständig ge-
217
1 BGBl. I S. 3002. 2 Der Entwurf des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt sah ursprünglich vor, die sog. Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG durch einen Satz 4 zu ergänzen, wonach bis zum 31.12.2008 bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen nicht zu berücksichtigen sind, wenn deren Arbeitsverhältnisse nach dem 31.12.2003 begonnen haben (zu den – berechtigten – Bedenken an einer solchen Bestimmung s. Gaul/Bonanni, FA 2003, 177). Die jetzige Fassung des § 23 Abs. 1 KSchG beruht auf einer Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, vgl. BR-Drucks. 944/03. 3 BAG vom 1.9.2006 – 2 AZR 840/05, NZA 2007, 438. Bestätigt durch BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 512/06, NZA 2008, 944. 4 BAG vom 19.4.1990 – 2 AZR 487/89, NZA 1990, 724 (zu § 23 Abs. 1 KSchG i.d. bis zum 30.9.1996 geltenden Fassung); ebenso BVerfG vom 27.1.1998 – 1 BvL 15/87 und 1 BvL 22/93, AP Nr. 17 und 18 zu § 23 KSchG 1969 (jedoch mit Einschränkungen für Teile größerer Unternehmen); Löwisch, NZA 1996, 1009 (1010); von HoyningenHuene/Linck, DB 1997, 41. 5 EuGH vom 30.11.1993 – Rs. C-189/91, AP Nr. 13 zu § 23 KSchG 1969.
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Teil 1 Rz. 218
Arbeitsrechtliche Grundlagen
führten Kleinbetrieb eines Unternehmens, dessen Hauptbetrieb aufgrund seiner Größe dem KSchG unterliege1. 218
Für die Zahl der „regelmäßig“ Beschäftigten i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG ist die Beschäftigungslage maßgeblich, die allgemein für den Betrieb kennzeichnend ist. Es bedarf zur Ermittlung der für den Betrieb im Allgemeinen regelmäßigen Beschäftigtenzahl – bezogen auf den Kündigungszeitpunkt – eines Rückblicks auf die bisherige personelle Situation und der Einschätzung der künftigen Entwicklung, wobei Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls nicht zu berücksichtigen sind2. Bei der Berechnung des Schwellenwerts ist ein gekündigter Arbeitnehmer auch dann mit zu berücksichtigen, wenn Kündigungsgrund die unternehmerische Entscheidung ist, den betreffenden Arbeitsplatz nicht mehr neu zu besetzen3. Da auf die „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen ist, bleiben Arbeitnehmer außer Betracht, die nur vorübergehend für eine zeitlich beschränkte Aufgabe eingestellt worden sind. Ebenso wenig sind Arbeitnehmer in Elternzeit für die Dauer bis zur Beendigung der Elternzeit zu berücksichtigen, solange für sie ein Vertreter befristet eingestellt worden ist (vgl. § 21 Abs. 7 Satz 1 BEEG). Gleiches gilt gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 PflegeZG für Mitarbeiter, die nach § 2 PflegeZG kurzzeitig an der Arbeitsleistung verhindert oder nach § 3 PflegeZG freigestellt sind, solange für sie aufgrund von § 6 Abs. 1 PflegeZG ein Vertreter eingestellt worden ist.
219
Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG sind Teilzeitkräfte gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG i.d. seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.
Û
Beispiel 1: Beschäftigt etwa ein Gebäudereinigungsunternehmen vor dem 1.1.2004 eine Vollzeitkraft, einen Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 28 Stunden sowie sieben Personen mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als zehn Stunden, so findet das Kündigungsschutzgesetz auf diese Arbeitnehmer Anwendung, weil rechnerisch insgesamt 5,25 und damit mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden4.
Û
Beispiel 2: Beschäftigt das Gebäudereinigungsunternehmen dagegen eine Vollzeitkraft und acht Personen mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als zehn Stunden, findet das Kündigungsschutz-
1 Vgl. BVerfG vom 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969. 2 BAG vom 24.2.2005 – 2 AZR 373/03, NZA 2005, 764. 3 BAG vom 22.1.2004 – 2 AZR 237/03, NZA 2004, 479 (vgl. LAG Köln vom 22.11.2002 – 11 Sa 342/02, ARST 2003, 285). 4 Werden in diesem Beispielsfall weitere Arbeitnehmer nach dem 31.12.2003 eingestellt, haben diese dagegen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG i.d. seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung solange keinen Kündigungsschutz, wie in dem Betrieb regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 222 Teil 1
gesetz von vornherein keine Anwendung, weil rechnerisch insgesamt nur fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden.
Û
Beispiel 3: Sind in einem Betrieb vier Vollzeitkräfte und 13 Personen auf der Basis von sog. 400-Euro-Verträgen beschäftigt, handelt es sich rechnerisch i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG um insgesamt 10,5 Arbeitnehmer, so dass sämtliche Arbeitnehmer, also auch die geringfügig Beschäftigten, den Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießen1.
Maßgebend für die Feststellung der Beschäftigtenzahl ist nach § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG die regelmäßige Wochenarbeitszeit. Diese richtet sich nach der vertraglich vereinbarten oder tatsächlich ausgeübten Arbeitszeit, sofern diese nicht nur vorübergehend von der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit abweicht. Bei unregelmäßiger Arbeitszeit ist auf die im Jahresdurchschnitt je Woche oder Monat geleistete Arbeitszeit abzustellen2.
220
Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG i.d. seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung finden die Vorschriften der §§ 4 bis 7 KSchG und des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KSchG auch in Kleinbetrieben Anwendung. Dies bedeutet, dass auch für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben, für die das Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich keine Anwendung findet, die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG, die Regelungen über die Zulassung verspäteter Klagen (§ 5 KSchG), die verlängerte Anrufungsfrist nach § 6 KSchG, das Wirksamwerden der Kündigung nach § 7 KSchG sowie über die außerordentliche Kündigung (§ 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KSchG) gelten. Die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist und des Kündigungstermins kann der Arbeitnehmer dagegen auch nach der am 1.1.2004 in Kraft getretenen Neufassung des § 4 KSchG außerhalb der fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend machen3, wobei dieses Recht allerdings nach den allgemeinen Grundsätzen verwirken kann4.
221
cc) Dauer des Arbeitsverhältnisses Das Arbeitsverhältnis des gekündigten Arbeitnehmers muss zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung in demselben Betrieb oder Unternehmen länger als sechs Monate bestanden haben (§ 1 Abs. 1 KSchG). Wird ein Arbeitnehmer zum 1. Januar eingestellt, hat er am 1. Juli diese Wartezeit erfüllt. Bei der Berechnung der sechsmonatigen Wartezeit ist nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitsaufnahme, sondern auf den rechtlichen Beginn des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem nach der getroffenen Vereinbarung das Arbeitsverhältnis beginnen, d.h. der Arbeitneh1 Vgl. Bauer, II Rz. 50. 2 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 23 Rz. 42 m. w. Nachw. Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG s. Ramrath, NZA 1997, 1319. 3 BAG vom 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791; BAG vom 9.2.2006 – 6 AZR 283/05, NZA 2006, 1207. 4 BAG vom 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29.
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Teil 1 Rz. 223
Arbeitsrechtliche Grundlagen
mer zur Verfügung des Arbeitgebers stehen soll1. Haben sich die Parteien über die Arbeitsaufnahme für einen bestimmten Arbeitstag vorab verständigt, so ist der erste Arbeitstag in die Berechnung der Wartezeit voll einzubeziehen, auch wenn der schriftliche Arbeitsvertrag erst am Tage der Arbeitsaufnahme nach Arbeitsbeginn unterzeichnet wird (§§ 187 Abs. 2 BGB i.V. mit § 188 Abs. 2 BGB)2. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, des (bezahlten oder nicht bezahlten) Urlaubs und sonstige Fälle der Nichtbeschäftigung, etwa durch Annahmeverzug des Arbeitgebers, verlängern die Wartezeit nicht. Ein betriebliches Praktikum, das der beruflichen Fortbildung (§ 46 BBiG) gedient hat, ist bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG nur dann anzurechnen, wenn es im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses abgeleistet worden ist3. 223
Auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG sind Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber anzurechnen, wenn die Parteien des Arbeitsverhältnisses eine diesbezügliche Vereinbarung treffen oder das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht4. Ob ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, ist einzelfallabhängig. Zu prüfen sind dabei der Anlass und die Dauer der Unterbrechung sowie die Art der Weiterbeschäftigung. Eine feste zeitliche Begrenzung für den Unterbrechungszeitraum besteht nicht. Je länger die zeitliche Unterbrechung gedauert hat, desto gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein5. Von einem engen sachlichen Zusammenhang geht das BAG aus, wenn das Arbeitsverhältnis lediglich deshalb rechtlich unterbrochen ist, weil sich der Arbeitgeber (Land) bei einem Arbeitnehmer (Lehrer) dazu entschlossen hat, das Arbeitsverhältnis während der Zeit, in der keine Arbeitsleistung anfällt (Schulferien), nicht fortzuführen6. Dagegen soll eine Anrechnung der früheren Beschäftigungszeit auf die Wartezeit des § 1 KSchG regelmäßig nicht in Betracht kommen, wenn zwei Lehrer-Arbeitsverhältnisse durch einen Zeitraum voneinander getrennt werden, der die großen Schulferien um mehrere Wochen übersteigt, und es überdies an gleichartigen Arbeitsbedingungen fehlt7. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen zwei Arbeitsverhältnissen soll auch nicht vorliegen, wenn ein angestellter Lehrer vor und nach den Sommerferien in unterschiedlichen Schultypen und Klassenstufen an Schulen in einem Bundesland eingesetzt worden ist8. Die zeitliche Unterbrechung von über fünf Monaten wird vom BAG als zu groß erachtet, um noch von einem sachlichen Zusammenhang ausgehen zu können. Lediglich Unterbrechungen von wenigen Tagen
1 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 99; KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 100; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 904. 2 Vgl. BAG vom 27.6.2002 – 2 AZR 382/01, NZA 2003, 377. 3 BAG vom 18.11.1999 – 2 AZR 89/99, NZA 2000, 529. 4 BAG vom 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429; BAG vom 19.6.2007 – 2 AZR 94/06, NZA 2007, 1103. 5 BAG vom 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429. 6 BAG vom 19.6.2007 – 2 AZR 94/06, NZA 2007, 1103. 7 BAG vom 20.8.1998 – 2 AZR 83/98, NZA 1999, 314. 8 BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 101/07, zitiert nach juris.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 225 Teil 1
oder Wochen könnten unschädlich sein. Die Grenze zu einer schädlichen Unterbrechung sei regelmäßig ab einem Unterbrechungszeitraum von drei Wochen zu sehen1. Betreibt der Arbeitgeber eine gezielte, jeweils am Nichterreichen der Sechsmonatsgrenze des § 1 Abs. 1 KSchG orientierte Einstellungs-, Beschäftigungsund Entlassungspraxis („Personalkarussel“), um sich einerseits die von den Arbeitnehmern bereits gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu Nutze zu machen, andererseits aber das Entstehen von gesetzlichem Kündigungsschutz zu verhindern, kann eine Kündigung u.U. nach § 242 BGB treuwidrig sein. Für ein solches Verhalten des Arbeitgebers ist aber der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig2.
224
Schließt sich ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unmittelbar an ein befristetes oder mehrere unmittelbar aufeinander folgende befristete Arbeitsverhältnisse an, so sind die Beschäftigtenzeiten zusammenzurechnen3. Zeiten, die ein Auszubildender im Betrieb verbracht hat, sind nach h.M.4 auf die Wartezeit anzurechnen. Ebenso sind bei einem Betriebsinhaberwechsel die beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG für eine vom Betriebsübernehmer ausgesprochene Kündigung zu berücksichtigen, wobei dies auch dann gilt, wenn zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Arbeitsverhältnis kurzfristig unterbrochen war, die Arbeitsverhältnisse aber in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen (s.o. Rz. 223)5. Wird ein GmbH-Geschäftsführer nach seiner Abberufung ohne wesentliche Änderung seiner Arbeitsaufgaben im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses weiterbeschäftigt, soll dies nach Auffassung des BAG mangels abweichender Vereinbarungen regelmäßig auf den Parteiwillen schließen lassen, die Beschäftigungszeit als Geschäftsführer auf das neu begründete Arbeitsverhältnis anzurechnen6. Möglich ist auch, dass nach einer tariflichen Regelung die in einem anderen Betrieb verbrachte Betriebszugehörigkeit in dem neuen Betrieb auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen ist7. Zudem soll die gesetzliche Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG durch einzelvertragliche Vereinbarung (u.U. sogar stillschweigend) abgekürzt oder auch ganz abgedungen werden können8. Allein das Unterbleiben der Vereinbarung einer Probezeit im Arbeitsvertrag dürfte allerdings die Annahme eines solchen Verzichts auf die gesetzliche Wartezeit mit der Folge des soforti-
225
1 BAG vom 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429. S. auch BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 101/07, zitiert nach juris: Eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses von sechs Wochen ist grundsätzlich erheblich nach § 1 Abs. 1 KSchG. 2 BAG vom 22.9.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429. 3 BAG vom 12.2.1981 – 2 AZR 1108/78, DB 1981, 2498. 4 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 107; Bauer, II Rz. 48; wohl auch BAG vom 2.12.1999 – 2 AZR 139/99, NZA 2000, 720. 5 BAG vom 27.6.2002 – 2 AZR 270/01, NZA 2003, 145. 6 BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366. 7 BAG vom 28.2.1990 – 2 AZR 425/89, NZA 1990, 858. 8 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 95; Bauer, II Rz. 47.
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Teil 1 Rz. 226
Arbeitsrechtliche Grundlagen
gen Eingreifens des Kündigungsschutzes nicht rechtfertigen1. Eine Verlängerung der Wartezeit zum Nachteil des Arbeitnehmers ist dagegen unzulässig2. dd) Darlegungs- und Beweislast 226
Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes ist grundsätzlich der Arbeitnehmer3. Hieran hat das BAG auch nach der am 1.1.2004 in Kraft getretenen Neufassung des § 23 KSchG ausdrücklich festgehalten4. Der Arbeitnehmer, der eine Kündigungsschutzklage erhebt, muss deshalb darlegen und im Streitfall beweisen, dass zwischen ihm und dem beklagten Arbeitgeber mehr als sechs Monate vor Zugang der angegriffenen Kündigung ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist und in dem Betrieb regelmäßig mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind.
227
Hinsichtlich der letztgenannten Voraussetzung billigt das BAG dem Arbeitnehmer eine erleichterte Beweisführung durch Anwendung der Grundsätze der sog. abgestuften Darlegungs- und Beweislast zu, weil der Arbeitnehmer häufig keine oder nur ungenaue Kenntnisse über die betrieblichen Strukturen und arbeitszeitlichen Vereinbarungen mit der Belegschaft habe. Danach genüge der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast – bei fehlender eigener Kenntnismöglichkeit – bereits durch die bloße Behauptung, der Arbeitgeber beschäftige mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmer. Es sei dann gemäß § 138 Abs. 2 ZPO Sache des Arbeitgebers, sich vollständig über die Anzahl der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel, wie z.B. Vertragsunterlagen, Auszüge aus der Lohnbuchhaltung oder Zeugen, zu erklären. Hierzu muss daraufhin der Arbeitnehmer Stellung nehmen und Beweis antreten. Hat der Arbeitnehmer keine eigenen Kenntnisse über die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen, kann er sich auf die sich aus dem Vorbringen des Arbeitgebers ergebenen Beweismittel stützen und die ihm bekannten Anhaltspunkte dafür vortragen, dass entgegen den Angaben des Arbeitgebers der Schwellenwert doch erreicht ist. Lediglich im Falle der Unergiebigkeit der daraufhin vom Gericht erhobenen Beweise („non liquet“) trifft den Arbeitnehmer die objektive Beweislast5.
1 Bedenklich daher LAG Köln vom 15.12.2006 – 9 Ta 467/06, NZA-RR 2007, 293: Wird ein Arbeitnehmer auf besonderen Wunsch eines Kunden des Arbeitgebers eingestellt und verzichten die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich auf die Vereinbarung einer Probezeit, weil der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber aufgrund einer früheren Beschäftigung bekannt ist, kann darin eine stillschweigende Übereinstimmung liegen, dass der Arbeitnehmer auch in den ersten sechs Monaten nur aus solchen Gründen gekündigt werden darf, die i.S. von § 1 KSchG anzuerkennen sind. 2 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 94 m. w. Nachw. 3 BAG vom 24.2.2005 – 2 AZR 373/03, NZA 2005, 764; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 124, § 23 Rz. 47 jeweils m. w. Nachw. 4 BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 264/07, DB 2008, 2311. 5 BAG vom 24.2.2005 – 2 AZR 373/03, NZA 2005, 764; BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 264/07, DB 2008, 2311. S. dazu im Einzelnen Tiedemann, ArbRB 2009, 89 ff.
76 Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 231 Teil 1
Macht der Arbeitgeber geltend, dass das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet und später ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden sei, handelt es sich hierbei um eine rechtsvernichtende Einwendung, für die er darlegungs- und beweispflichtig ist1.
228
ee) Wirksamkeit von Kündigungen bei fehlendem Kündigungsschutz Findet das Kündigungsschutzgesetz – wegen Nichterfüllung der sechsmonati- 229 gen Wartezeit oder/und weil es sich um einen Kleinbetrieb handelt, der regelmäßig nicht mehr als fünf bzw. (im Falle des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG) zehn Mitarbeiter beschäftigt – keine Anwendung, ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht gehindert, das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer im Wege der ordentlichen Kündigung zu beenden. Begrenzt wird der Grundsatz der Kündigungsfreiheit jedoch durch die §§ 134, 138, 242, 613a Abs. 4 Satz 1 und 612a BGB sowie § 11 Satz 1 TzBfG. Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB sind die vom Arbeitgeber angegebenen Gründe für die Kündigung einer Missbrauchskontrolle zu unterziehen, wobei auch der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten ist. Eine darüber hinausgehende Kontrolle verlangt auch der nach Art. 12 Abs. 1 GG gebotene Mindestschutz des Arbeitsverhältnisses außerhalb des Anwendungsbereiches des allgemeinen Kündigungsschutzgesetzes nach § 1 KSchG nicht2. Ein Verstoß einer Kündigung gegen § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit kann nach Ansicht des BAG nur in „besonders krassen Fällen“3 angenommen werden. § 138 BGB verlange die Einhaltung eines „ethischen Minimums“. Sittenwidrig sei demnach eine Kündigung, wenn sie dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspreche4. Nicht jede Kündigung, die bei Anwendbarkeit des KSchG i.S. von § 1 KSchG als sozial ungerechtfertigt beurteilt werden müsste, ist deshalb schon sittenwidrig. Vielmehr muss die Kündigung auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruhen, wie insbesondere Rachsucht oder Vergeltung. Weiterhin kann Sittenwidrigkeit vorliegen, wenn der Arbeitgeber eine Kündigung auf einen Arbeitsunfall des Arbeitnehmers stützt, den der Arbeitgeber bedingt vorsätzlich herbeigeführt hat5.
230
Die Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung wegen Benachteiligung i.S. von § 612a BGB, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt, kommt nur in Betracht, wenn zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die Kündigung sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung
231
1 BAG vom 16.3.1989 – 2 AZR 407/88, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; KRGriebeling, § 1 KSchG Rz. 129; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 124. 2 BVerfG vom 21.6.2006 – 1 BvR 1659/04, NZA 2006, 913. 3 So ausdrücklich BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. 4 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. 5 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41 unter Hinweis auf BAG vom 8.6.1972 – 2 AZR 285/71, DB 1972, 2071.
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Teil 1 Rz. 232
Arbeitsrechtliche Grundlagen
nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet1. Ist der Kündigungsentschluss nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlass zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können. Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende Kündigung kann deshalb auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte2. Der Arbeitnehmer hat darzulegen und nachzuweisen, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist3. 232
Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst werden, Treu und Glauben verletzt. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG eine Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben grundsätzlich nicht in Betracht. Dies gilt jedenfalls für Kündigungen, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartzeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil dem Arbeitgeber ansonsten für diese Fälle über die Generalklausel des § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz de facto doch auferlegt und die Möglichkeit eingeschränkt würde, die Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete Tätigkeit im Betrieb während der Wartezeit zu überprüfen4. Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich nach Auffassung des BAG nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden. Typische Tatbestände einer treuwidrigen Kündigung sind insbesondere Rechtsmissbrauch, ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch der Kündigung in verletztender Form oder zur Unzeit sowie eine Kündigung, die den Arbeitnehmer, etwa wegen seines Sexualverhaltens5, diskriminiert6.
233
Eine während der Probezeit ausgesprochene Kündigung verstößt nicht allein deshalb gegen Treu und Glauben und ist damit nichtig, weil sie kurz vor Ablauf der Wartezeit des § 1 KSchG erfolgte7. Außerhalb des Anwendungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes setzt eine Kündigung aus Gründen in 1 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. S. dazu auch LAG Sachsen-Anhalt vom 27.7.1999 – 8 Sa 1066/98, BB 2001, 205: Eine auf Krankheitsgründe gestützte Kündigung während der Probezeit stellt dann keine verbotene Maßnahme i.S. von § 612a BGB dar, wenn sie durch die Krankheit selbst einschließlich ihrer betrieblichen Auswirkungen veranlasst ist. Anders ist es etwa dann, wenn der Arbeitgeber in Ansehung der Erkrankung eines Arbeitnehmers diesen zur Arbeitsleistung auffordert und ihm kündigt, weil sich der Arbeitnehmer weigert. Ähnlich BAG vom 23.4.2009 – 6 AZR 189/08, Pressemitteilung Nr. 41/09. 2 Vgl. BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. 3 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. 4 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. 5 Vgl. BAG vom 23.6.1994, 2 AZR 617/93, NZA 1004, 1080. 6 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. 7 BAG von 16.9.2004 – 2 AZR 447/03, NZA 2005, 1263.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 234 Teil 1
dem Verhalten des Arbeitnehmers regelmäßig nicht voraus, dass dem Arbeitnehmer zuvor eine vergebliche Abmahnung erteilt wurde1. Hat jedoch der Arbeitgeber den Arbeitnehmer abgemahnt, kann er auch innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG eine Kündigung nicht auf die abgemahnte Pflichtverletzung stützen, da er mit der Abmahnung auf sein diesbezügliches Kündigungsrecht verzichtet2. Der auf konkreten Umständen beruhende Vertrauensverlust gegenüber dem Arbeitnehmer kann bei Unanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber auch dann rechtfertigen, wenn die Umstände, auf denen der Vertrauensverlust beruht, objektiv nicht zu verifizieren sind3. Eine zur Unzeit ausgesprochene Arbeitgeberkündigung, die den Arbeitnehmer gerade wegen des Kündigungszeitpunkts belastet (im Streitfall: Zugang der Kündigung wenige Tage nach dem Tod des Lebensgefährten der Arbeitnehmerin), kann zwar treuwidrig oder ggf. sittenwidrig und damit rechtsunwirksam sein. Die Annahme der Treuwidrigkeit bzw. Sittenwidrigkeit setzt jedoch weitere Umstände voraus, etwa dass der Arbeitgeber absichtlich oder aufgrund einer auf Missachtung der persönlichen Belange der Gegenseite beruhenden Gedankenlosigkeit einen Kündigungszeitpunkt gewählt hat, der den Arbeitnehmer besonders beeinträchtigt. Die Form der Kündigung ist nach Ansicht des BAG als nicht anstößig oder auch nur als rücksichtslos zu bewerten, wenn deren Zeitpunkt zur Wahrung der Kündigungsfrist erforderlich gewesen sei und der Arbeitgeber aus sachlichen Gründen gekündigt habe4. In einer Entscheidung von 21.2.20015 hat das BAG ausgeführt, dass auch der 234 Arbeitgeber im Kleinbetrieb, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde, ein durch Art. 12 GG gebotenes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu wahren habe, soweit im Fall der Kündigung unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen sei. Eine Kündigung, die diesen Anforderungen nicht entspreche, verstoße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und sei deshalb unwirksam. Sei bei einem Vergleich der grundsätzlich von dem gekündigten Arbeitnehmer vorzutragenden Sozialdaten evident, dass dieser erheblich sozial schutzbedürftiger sei als ein vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer, so spreche dies zunächst dafür, dass der Arbeitgeber das gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen habe. Setze der Arbeitgeber dem schlüssigen Sachvortrag des Arbeitnehmers weitere (betriebliche, persönliche oder andere) Gründe entgegen, die ihn zu der getroffenen Auswahl bewogen hätten, so habe unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Abwägung zu erfolgen. Es sei zu prüfen, ob auch
1 BAG vom 21.2.2001 – 2 AZR 579/99, NZA 2001, 951. 2 BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 402. 3 BAG vom 25.4.2001 – 5 AZR 360/99, NZA 2002, 87. S. dazu auch LAG Berlin vom 9.5.2008 – 6 Sa 598/08, DB 2008, 1577: Es verstößt nicht gegen Treu und Glauben, wenn im Kleinbetrieb der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zu seiner Ehefrau vor dem Hintergrund eines laufenden Scheidungsverfahrens kündigt. 4 BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 185/00, NZA 2001, 890. 5 BAG vom 21.2.2001 – 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833. S. dazu auch Gragert/Henning, NZA 2001, 934 ff.; Annuß, BB 2001, 1898 ff.
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Teil 1 Rz. 235
Arbeitsrechtliche Grundlagen
unter Einbeziehung der vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe die Kündigung die sozialen Belange des betroffenen Arbeitnehmers in treuwidriger Weise unberücksichtigt lasse. Der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers im Kleinbetrieb komme bei dieser Abwägung ein erhebliches Gewicht zu1. In einer späteren Entscheidung hat das BAG jedoch ausgeführt, dass sich aus dem Vorbringen des Arbeitnehmers in einem Kleinbetrieb, der geltend mache, der Arbeitgeber habe bei einer Auswahlentscheidung das gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen, ergeben müsse, dass er mit den nicht gekündigten Arbeitnehmern auf den ersten Blick vergleichbar sei2. 235
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich die Unwirksamkeit der Kündigung nach §§ 134, 138, 242, 613a Abs. 4 Satz 1 und § 612a BGB sowie § 11 Satz 1 TzBfG ergibt, liegt beim Arbeitnehmer3. Die Regel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, wonach der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, gilt außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes nicht4. Allerdings finden auch hier nach Auffassung des BAG die Grundsätze der sog. abgestuften Darlegungs- und Beweislast Anwendung: In einem ersten Schritt müsse der Arbeitnehmer, der die zur Kündigung führenden Überlegungen nicht kennen werde, lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB oder einen sonstigen Unwirksamkeitsgrund i.S. der eben genannten Bestimmungen indiziere. Ergebe sich aus seinem Vorbringen ein Treueverstoß des Arbeitgebers oder ein sonstiger Unwirksamkeitsgrund, müsse sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen, um es ggf. zu entkräften. Komme der Arbeitgeber dieser sekundären Beweislast nicht nach, gelte der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Anderenfalls habe der Arbeitnehmer die Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit oder die sonstigen Unwirksamkeitsgründe i.S. der eingangs genannten Bestimmungen ergäben, zu beweisen5.
236
Û
Hinweis: Unbedingt zu beachten ist, dass auch zu einer beabsichtigten Kündigung während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG der Betriebsrat nach § 102 BetrVG stets anzuhören ist, wozu gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG u.a. auch die Mitteilung der Kündigungsgründe gehört.
1 S. dazu aber auch LAG Nürnberg vom 24.4.2001 – 6 Sa 406/00, LAGE § 242 BGB Nr. 5: Wird ein Arbeitnehmer innerhalb der ersten sechs Monate nach der Einstellung entlassen, bedarf es keiner sozialen Auswahl. Das Urteil des BAG zur sozialen Auswahl bei der Kündigung langjährig Beschäftigter in Kleinbetrieben vom 21.1.2000 ist auf die Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate nicht übertragbar. 2 BAG vom 6.2.2003 – 2 AZR 672/01, NZA 2003, 717. 3 BAG vom 25.4.2001 – 5 AZR 360/99, NZA 2002, 87; BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41. 4 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41 unter Hinweis auf BVerfG vom 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470. 5 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 238 Teil 1
Der Inhalt der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 BetrVG richtet sich bei einer Kündigung in den ersten sechs Monaten des Bestehens des Arbeitsverhältnisses nicht nach den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 Abs. 2 KSchG, sondern nach den Umständen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet. Zur ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung genügt es daher, wenn der Arbeitgeber die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat1. Auch die pauschale Umschreibung des Kündigungsgrundes durch ein Werturteil (z.B. „nicht hinreichende Arbeitsleistungen“) soll nach einer Entscheidung des BAG vom 21.7.20052 ausnahmsweise dann die Anforderungen der Mitteilungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG erfüllen, wenn der Arbeitgeber seine Motivation nicht mit konkreten Tatsachen belegen könne. Teilt der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten Probezeitkündigung nicht das Lebensalter und die ihm bekannten Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers mit, führt dies nach neuester Rechtsprechung des BAG zwar nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn diese wegen unzureichender Arbeitsleistung und mangelnder Bewährung innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfolgt3. Gleichwohl kann nur dringend empfohlen werden, dass auch bei sog. Probezeitkündigungen dem Betriebsrat nicht nur die Gründe für die Kündigung, sondern auch die dem Arbeitgeber bekannten grundlegenden Sozialdaten des Arbeitnehmers stets mitgeteilt werden. b) Sozialwidrigkeit der Kündigung Sind die allgemeinen Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes gegeben, so ist die Kündigung unwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist, § 1 Abs. 1 KSchG. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nennt mithin drei Gründe, die eine Kündigung sozial rechtfertigen können. Auf der Grundlage dieser Dreiteilung der Kündigungsgründe in personen-, verhaltensund betriebsbedingte Gründe sind insbesondere von der Rechtsprechung rechtssatzförmige, auf den jeweiligen Kündigungsgrund zugeschnittene Voraussetzungen entwickelt worden.
237
Bei allen Beendigungskündigungen gilt der als „Ultima-ratio-Prinzip“ bezeichnete Grundsatz, wonach die Kündigung erst als letztes Mittel in Betracht kommt und damit rechtsunwirksam ist, wenn sie durch andere mildere Mittel, u.a. – insbesondere bei betriebsbedingten Gründen – durch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz zu
238
1 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41; BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 498/04, NZA-RR 2006, 331. 2 BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 498/04, NZA-RR 2006, 331. 3 Vgl. BAG vom 23.4.2009 – 6 AZR 516/08, Pressemitteilung Nr. 42/09.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 239
Arbeitsrechtliche Grundlagen
geänderten (u.U. auch schlechteren) Arbeitsbedingungen (s. dazu u. Rz. 319 f.) vermieden werden kann, d.h. wenn die Kündigung nicht zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung geeignet oder nicht erforderlich ist1. 239
Bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen2 hat weiterhin eine Interessenabwägung zu erfolgen. Es müssen Umstände vorliegen, welche die Kündigung bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes als billigenswert und angemessen erscheinen lassen3. Die Interessenabwägung ist dem jeweiligen gesetzlichen Kündigungstatbestand anzupassen. Maßgebende Umstände sind insbesondere auf der Arbeitgeberseite Betriebsablaufstörungen durch das Fehlverhalten, Gefahr für die Arbeits- oder Betriebsdisziplin, Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Abteilung, Vermögensschaden, Wiederholungsgefahr, Ansehen des Unternehmens und Schutz der Belegschaft vor weiteren Verstößen, auf der Arbeitnehmerseite Art, Schwere und Häufigkeit der Pflichtverletzungen, das frühere Verhalten des Mitarbeiters, Mitverschulden des Arbeitgebers, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Versetzungsmöglichkeit sowie die Arbeitsmarktsituation.
240
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 KSchG ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Später eintretende Umstände haben keinen Einfluss auf die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung4. Soll eine Kündigung auf Tatsachen gestützt werden, die nach Zugang der bereits ausgesprochenen Kündigung eingetreten sind, bedarf es einer erneuten Kündigung. Fällt umgekehrt nach Zugang der Kündigung der Kündigungsgrund fort, hat dies ebenfalls keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung. Dem gekündigten Arbeitnehmer kann hier jedoch u.U. ein sog. Wiedereinstellungsanspruch zustehen. Einzelheiten s.u. Rz. 377 ff.
241
Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, welche die Kündigung bedingen, trägt nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG grundsätzlich der Arbeitgeber. Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes müssen somit vom Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess konkret („substantiiert“) vorgetragen und – falls sie der Arbeitnehmer bestreitet – bewiesen werden. Bei der Beweiserhebung ist zu berücksichtigen, dass „unmittelbare Zeugen“ zur Verfügung stehen müssen. Die Vernehmung sog. „Zeugen vom Hörensagen“, wie etwa Mitarbeiter des Arbeitgebers, die Beschwerden von
1 Vgl. BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, NZA 2008, 525 = DB 2008, 2091 = BB 2008, 2409. 2 Bei der betriebsbedingten Kündigung kommt eine allgemeine Interessenabwägung dagegen – außer im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG (s.u. Rz. 342) – nicht in Betracht, vgl. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 201 m. w. Nachw. 3 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 210 f. m. w. Nachw. 4 S. etwa BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, NZA 2008, 821; KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 235 ff. jeweils m. w. Nachw.
82 Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 244 Teil 1
Kunden über die Leistung oder das Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers entgegengenommen haben, ist kein zulässiges Beweismittel1. aa) Personenbedingte Gründe Eine personenbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften nicht mehr in der Lage ist, künftig seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen2. Durch die personenbedingten Gründe müssen betriebliche oder wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers konkret beeinträchtigt werden3. Außerdem darf es keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen freien Arbeitsplatz geben, bei dem die Mängel nicht mehr oder nur unbedeutend relevant werden4. Ggf. hat der Arbeitgeber die Tätigkeitsbereiche in zumutbarer Weise derart umzugestalten, dass sie der beeinträchtigten Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers gerecht werden5.
242
Gründe in der Person sind z.B. mangelnde körperliche oder geistige Eignung, das Fehlen oder der Wegfall einer behördlichen Berufserlaubnis sowie das Fehlen oder Erlöschen der Arbeitserlaubnis nach §§ 284 ff. SGB III für einen ausländischen Arbeitnehmer6. Sieht sich der Arbeitnehmer aufgrund einer Gewissensentscheidung außerstande, bestimmte zu seinem Aufgabenbereich gehörende Tätigkeiten auszuführen, ist hierin nach Ansicht des BAG7 ebenfalls ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund zu sehen, der eine personenbedingte Kündigung sozial rechtfertigen kann.
243
Der für die betriebliche Praxis wichtigste Fall einer personenbedingten Kündigung ist die krankheitsbedingte Kündigung8. Im Rahmen der krankheitsbedingten Kündigung ist zwischen folgenden vier verschiedenen Fallgruppen zu differenzieren:
244
(1) Häufige Kurzerkrankungen; (2) Langzeiterkrankungen; 1 Zutreffend Bauer, II Rz. 60. 2 BAG vom 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, NZA 1989, 464; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 273 m. zahlr. Nachw. 3 BAG vom 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, NZA 1990, 727; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 275 m. zahlr. Nachw. 4 BAG vom 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, NZA 1991, 806; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 276 m. w. Nachw. 5 Vgl. BAG vom 29.1.2007 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709; LAG Hamm vom 20.1.2000 – 8 Sa 1420/99, NZA-RR 2000, 239; LAG Nürnberg vom 21.1.2003 – 6 (5) Sa 628/01, NZA-RR 2003, 413; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 276 m. w. Nachw. 6 S. die zahlreichen Einzelbeispiele bei Laber, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 3, Rz. 84 ff. 7 BAG vom 24.5.1989 – 2 AZR 285/88, NZA 1990, 144. 8 Hierzu ausführlich Weber/Hoß, DB 1993, 2429 ff. Zur Vereinbarkeit einer krankheitsbedingten Kündigung mit den Diskriminierungsverboten der EU-Richtlinien s. EuGH vom 11.7.2006 – C 13/05, NZA 2006, 839; Domröse, NZA 2006, 1320 ff.; Koch, ArbRB 2006, 343 ff.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 245
Arbeitsrechtliche Grundlagen
(3) dauerndes Unvermögen, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen; (4) erhebliche krankheitsbedingte Leistungsminderung. 245
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG1 ist die Sozialwidrigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung in folgenden drei Stufen zu prüfen, die allesamt erfüllt sein müssen und die grundsätzlich für alle vier Fallgruppen der krankheitsbedingten Kündigung in gleicher Weise gelten: 1. Zunächst ist eine negative Prognose hinsichtlich des weiteren Gesundheitszustandes des zu kündigenden Arbeitnehmers erforderlich. Es müssen zum Zeitpunkt der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. 2. Die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigung ist Teil des Kündigungsgrunds. Sie kann durch Störungen im Betriebsablauf oder erhebliche wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers hervorgerufen werden. 3. In der dritten Stufe ist schließlich zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (Interessenabwägung). Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nur dann aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, wenn sich für den Arbeitgeber aufgrund einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung eine billigerweise nicht mehr hinnehmbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung ergibt2.
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Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung sind stets die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung3. Die spätere Entwicklung ist jedoch mit zu berücksichtigen, soweit sie die Prognose zum Zeitpunkt der Kündigung bestätigt4. (1) Negative Gesundheitsprognose
247
Für die zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung bei häufigen Kurzerkrankungen anzustellende negative Gesundheitsprognose können häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit für einen entsprechenden Krankheitsverlauf in der Zukunft sprechen5. Prognosefähig sind hierbei aber nur solche Krankheitszeiten, die auf weitere Ausfälle schließen lassen. Demgemäß 1 Zuletzt BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, NZA 2008, 515 = DB 2008, 2091 = BB 2008, 2409 m. w. Nachw. 2 Einzelheiten zu diesen drei Prüfungsstufen s. bei Laber, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 3, Rz. 218 ff. 3 BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978. 4 BAG vom 13.5.2004 – 2 AZR 36/04, NZA 2004, 1271. 5 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, NZA 2003, 813.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 250 Teil 1
scheiden für eine der Vergangenheit entsprechende Prognose solche Erkrankungen aus, bei denen keine Wiederholungsgefahr besteht, z.B. ausgeheilte Leiden, Unfälle, soweit es sich bei ihrer Entstehung nach um einmalige Ereignisse handelt (Halswirbelsäulen-Verrenkung aufgrund eines unverschuldeten Autounfalls), und sonstige offenkundige einmalige Gesundheitsschäden (z.B. Blinddarmoperation, operative Entfernung eines eingewachsenen Zehennagels)1. Verschiedene – auch ausgeheilte – Erkrankungen können allerdings nach neuerer Rechtsprechung des BAG den Schluss auf eine „gewisse Krankheitsanfälligkeit“ des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen2. Frühere Fehlzeiten, die bereits zur Begründung einer früheren krankheitsbedingten Kündigung herangezogen worden sind und die in einem Vorprozess die notwendige Gesundheitsprognose nicht belegen konnten, können grundsätzlich zur Begründung einer erneuten negativen Gesundheitsprognose und krankheitsbedingten Kündigung herangezogen werden3. Bei der negativen Gesundheitsprognose ist nicht auf einen „starren“ Zeit- 248 raum der letzten drei Jahre abzustellen. Ausreichend für eine Indizwirkung sind hinreichende prognosefähige Fehlzeitenräume. Dies können die letzten drei Jahre sein, müssen es aber nicht. Ausreichend kann sowohl ein kürzerer Zeitraum als auch bei einzelnen Fehlzeiten ein längerer Zeitraum sein, um eine negative Prognose zu rechtfertigen. Entsprechendes gilt für die Art und Häufigkeit der Erkrankung4. Beruhen die Kurzerkrankungen auf derselben Ursache, so sprechen die Fehlzeiten der Vergangenheit ohne Weiteres für eine negative Gesundheitsprognose. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer unter Befreiung seines Arztes von der Schweigepflicht darlegen, dass die Krankheiten bereits ausgeheilt sind oder zumindest mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist und demzufolge keine weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten zu erwarten sind5.
249
Im Falle von häufigen Kurzerkrankungen aufgrund verschiedener Krankheitsursachen gilt nach der Rechtsprechung eine sog. abgestufte Darlegungs- und Beweislast: Hier kann sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, die einzelnen Fehlzeiten in der Vergangenheit mitzuteilen. Er muss aber die Fehlzeiten nach Zahl, Dauer und zeitlicher Abfolge genau bezeichnen. Pauschale Angaben, z.B. 40 Fehltage im Jahre 2008, genügen nicht. Krankheitsursachen, die der Arbeitgeber nicht kennt, braucht er nicht mitzuteilen. Es genügt zunächst, wenn er behauptet, künftig seien entsprechende Fehlzeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Denn die Fehlzeiten in der Vergangenheit entfalten insoweit Indizwirkung6.
250
1 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, NZA 2003, 813. 2 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 1996, 655. Ebenso LAG Köln vom 19.8.2005 – 4 Sa 335/05, PersR 2006, 139; LAG Schleswig-Holstein vom 3.11.2005 – 3 Sa 320/05, NZA-RR 2006, 129. 3 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 1996, 655. 4 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 1996, 655. 5 BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, NZA 1990, 307; Weber/Hoß, DB 1993, 2429. 6 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 329 m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 251
Arbeitsrechtliche Grundlagen
251
Hat der Arbeitgeber die Fehlzeiten in der Vergangenheit ordnungsgemäß dargelegt und sich auf die Indizwirkung für die Zukunft berufen, muss der Arbeitnehmer im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb die Besorgnis weiterer Erkrankungen unberechtigt sein soll1. Dieser Mitwirkungspflicht genügt der Arbeitnehmer schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, die ihn behandelt haben, soweit darin die Darstellung liegt, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber bereits tatsächlich positiv beurteilt2. Weigert sich der Arbeitnehmer vorprozessual, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien, so soll es ihm nach einer Entscheidung des BAG vom 12.4.2002 dennoch nicht verwehrt sein, im Kündigungsschutzprozess die negative Gesundheitsprognose unter Bezugnahme auf ärztliches Zeugnis zu bestreiten3. Hat der Arbeitnehmer seine Ärzte nicht konsultiert, ist seine „Berufung auf die behandelnden Ärzte“ unsubstantiiert und stellt einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar4. Unsubstantiiert ist die Berufung auf die behandelnden Ärzte auch dann, wenn diese erkennen lässt, dass sich der Arbeitnehmer erst durch deren Zeugnis die fehlende Kenntnis über den weiteren Verlauf seiner Krankheit verschaffen will5.
252
Trägt der Arbeitnehmer zu den vom Arbeitgeber dargelegten Fehlzeiten nichts vor, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, künftig sei mit entsprechend hohen Fehlzeiten zu rechnen, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden6. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer die Indizwirkung der Fehlzeiten unsubstantiiert bestreitet7. Der Arbeitnehmer kann auch nicht einwenden, nach den für das Arbeitsverhältnis maßgebenden (vertraglichen, tariflichen oder gesetzlichen) Regelungen müsse er im Krankheitsfalle für bis zu drei Ausfalltagen keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Denn die Nachweispflicht gilt nur für die Entgeltfortzahlung und hat nichts mit der Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess zu tun8.
253
Hat der Arbeitnehmer Umstände vorgetragen, die geeignet sind, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern, ist der Arbeitgeber beweispflichtig dafür, dass es bei der Indizwirkung bleibt. Gelingt der Beweis, der meist nur mit Zeugenaussage des behandelnden Arztes oder einem Sachverständigengutachten geführt werden kann, bleibt es bei der Indizwirkung. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer eine Beweisführung unmöglich macht, weil er den vom Arbeitgeber benannten behandelnden Arzt nicht von der Schweigepflicht entbindet oder sich weigert, sich einer Begutachtung zu un-
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BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, NZA 2003, 813. BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, NZA 2003, 813. BAG vom 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081. BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, NZA 1990, 307. BAG vom 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. BAG vom 2.11.1989 – 2 AZR 335/89, RzK I 5g Nr. 32. LAG Köln vom 17.6.1994 – 4 Sa 249/94, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 18. Vgl. BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, NZA 1990, 307.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 255 Teil 1
terziehen1. Bleiben nach der Beweisaufnahme ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer negativen Zukunftsprognose bestehen, gehen diese zu Lasten des Arbeitgebers2. Auch bei Langzeiterkrankungen3 müssen zum Zeitpunkt des Zugangs der 254 Kündigung objektive Tatsachen auf eine weitere Arbeitsunfähigkeit von unbestimmter Dauer schließen lassen4. Dabei kommt der bisherigen Dauer der Arbeitsunfähigkeit zugunsten des Arbeitgebers zunächst eine gewisse Indizwirkung zu. Es obliegt nunmehr dem Arbeitnehmer im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 138 Abs. 2 ZPO, diese Indizwirkung zu beseitigen und darzustellen, weshalb mit einer baldigen Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu rechnen sei. Jedoch genügt der Arbeitnehmer bereits dann seiner Mitwirkungspflicht, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, soweit darin die Darstellung liegt, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber bereits tatsächlich positiv beurteilt5. Die bloße Benennung der behandelnden Ärzte unter Entbindung von der Schweigepflicht durch den Arbeitnehmer reicht für die Erschütterung der negativen Gesundheitsprognose nicht aus. Vielmehr muss der Arbeitnehmer darlegen, aufgrund welcher Tatsachen ggf. trotz weiter bestehender Arbeitsunfähigkeit mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist6. Das Risiko der Fehlprognose des behandelnden Arztes trägt zwar grundsätzlich der Arbeitnehmer. Sprechen jedoch bereits zum Zeitpunkt der Kündigung entgegen der Ansicht des behandelnden Arztes objektive Umstände dafür, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit sicher oder zumindest möglich ist, ist die Kündigung in der Regel schon mangels negativer Prognose sozial ungerechtfertigt7. Keine Probleme ergeben sich bei der Feststellung der negativen Gesundheitsprognose in den Fällen der krankheitsbedingten Leistungsminderung und des dauernden Unvermögens, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu er1 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 336. 2 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, NZA 2003, 813. Zur Würdigung eines gerichtlich eingeholten arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens s. BAG vom 18.1.2007 – 2 AZR 759/05, zitiert nach juris. 3 Als Erkrankung langanhaltender Art wird vom BAG jedenfalls eine acht Monate dauernde Erkrankung angesehen, vgl. BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978. 4 BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 5 Weber/Hoß, DB 1993, 2429 (2430) m. w. Nachw. 6 LAG Schleswig-Holstein vom 11.3.2008 – 2 Sa 11/08, NZA-RR 2008, 518. 7 BAG vom 21.2.2001 – 2 AZR 558/99, NZA 2001, 1071. Ähnlich LAG Köln vom 11.6.2007 – 14 Sa 1391/06, ArbuR 2007, 444: Liegen zum Zeitpunkt des Ausspruchs einer Kündigung wegen langandauernder psychischer Erkrankungen Umstände dafür vor, dass eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zumindest als möglich erscheint, ist eine sichere negative Prognose nicht gegeben. Solche Umstände können sich daraus ergeben, dass ein vom Arbeitgeber eingeschalteter medizinischer Gutachter empfiehlt, zur Klärung der zukünftigen Arbeitsfähigkeit eine praktische Arbeitsbelastungserprobung durchzuführen.
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Teil 1 Rz. 256
Arbeitsrechtliche Grundlagen
bringen, wenn die Leistungsbeeinträchtigung auf einer chronischen (z.B. Rheumatismus) oder nicht heilbaren Erkrankung beruht. In diesen Fällen ergibt sich die negative Gesundheitsprognose bereits aus der Krankheit selbst1. (2) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen 256
Bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung geht es in der zweiten Stufe um Störungen des Arbeitsverhältnisses. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Hierbei kommen zwei Arten von Beeinträchtigungen in Betracht, zum einen Betriebsablaufstörungen (a), zum anderen eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers (b)2. (a) Betriebsablaufstörungen
257
Betriebsablaufstörungen sind als Kündigungsgrund geeignet, wenn es sich um schwerwiegende Störungen im Produktionsprozess handelt, die nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen verhindert werden können3. Nur wenn es sich um eine schwerwiegende Störung handelt, kommt sie als Kündigungsgrund in Betracht. Nicht schwerwiegende Störungen z.B. gelegentliche Überstunden von Mitarbeitern, muss der Arbeitgeber hinnehmen4. Als schwerwiegende Betriebsablaufstörungen kommen etwa in Betracht: Produktionsausfälle, nicht nur unerhebliche Überstunden anderer Mitarbeiter, Stillstand von Maschinen, Verzögerung von Auftragsabwicklungen, Einarbeitung von Ersatzpersonal, Fertigungsfehler des erst einzuarbeitenden Ersatzpersonals.
258
Schwerwiegende Störungen im Produktionsprozess dürfen nicht durch mögliche und zumutbare Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Hierzu gehören der Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vorgehaltenen Personalreserve, Umorganisation der Arbeit und Neueinstellung einer Aushilfskraft, was aber bei Kurzerkrankungen nur selten in Betracht kommen dürfte5.
259
Hat der Arbeitgeber bisher den Arbeitsausfall durch Einstellung einer Aushilfskraft, Umsetzung eines Arbeitnehmers oder Heranziehung eines Springers überbrückt und ist er hierzu auch künftig in der Lage, liegt keine erhebliche Betriebsablaufstörung vor6. In einer Entscheidung vom 6.2.1992 hat das BAG7 im Falle häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten die Betriebsablaufstörungen jedoch allein damit begründet, dass der Arbeitnehmer infolge der fortbestehenden Erkrankung im Schichtdienst nicht mehr einplanbar war. 1 BAG vom 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073; Weber/Hoß, DB 1993, 2429. 2 Ständige Rechtsprechung des BAG s. etwa BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, NZA 1990, 305. 3 BAG vom 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, NZA 1989, 923. 4 BAG vom 15.2.1984 – 2 AZR 573/82, NZA 1984, 86. 5 BAG vom 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, NZA 1989, 923. 6 BAG vom 2.11.1989 – 2 AZR 23/89, RzK I 5g Nr. 31. 7 BAG vom 6.2.1992 – 2 AZR 364/91, zitiert nach juris.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 263 Teil 1
Dabei hat das BAG trotz der weiterhin zu erwartenden Kurzerkrankungen nicht primär auf die Entgeltfortzahlungskosten abgestellt, sondern allein das verletzte Interesse des Arbeitgebers an einer uneingeschränkten Verfügbarkeit seiner Arbeitnehmer als Betriebsablaufstörung ausreichen lassen. Störungen, die durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten eines Mitarbeiters im Betriebsablauf eintreten, sind auch dann zu berücksichtigen, wenn sie in einem Zeitraum von weniger als sechs Wochen aufgetreten sind1.
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Wird die Beeinträchtigung der betrieblichen Belange mit Störungen im Betriebsablauf begründet, muss der Arbeitgeber konkret darlegen und – im Falle des Bestreitens durch den Arbeitnehmer – nachweisen, zu welchen Störungen im technischen oder organisatorischen Bereich die krankheitsbedingten Fehlzeiten geführt haben (z.B. Stillstand von Maschinen, Rückgang der Produktion wegen kurzfristig eingesetzten, erst einzuarbeitenden Ersatzpersonals, Überlastung des verbliebenen Personals oder Abzug von an sich benötigten Arbeitskräften aus anderen Arbeitsbereichen). Diese Beeinträchtigungen müssen vom Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess substantiiert vorgetragen werden. Der pauschale Vortrag, die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers führten „zwangsläufig“ zu erheblichen Betriebsbeeinträchtigungen „durch eine Reihe von Umsetzungsmaßnahmen“ reicht insoweit nicht aus2. Der Arbeitgeber muss vielmehr darlegen, dass beispielsweise die an Durchschnittswerten ausgerichtete Planung der Personalreserve nicht in der Lage war, die Ausfallzeiten des gekündigten Arbeitnehmers zu überbrücken. Macht der Arbeitgeber geltend, dass andere Mitarbeiter wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten des gekündigten Arbeitnehmers Überstunden hätten leisten müssen, hat er mit konkreten Zahlen und Namen zu belegen, welche Mitarbeiter wann und wieviele Überstunden wegen der Fehlzeiten des Kollegen geleistet haben3.
261
(b) Erhebliche wirtschaftliche Belastung Auch eine unzumutbar hohe wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch bereits gezahlte und künftig zu erwartende Entgeltfortzahlungskosten für den erkrankten Arbeitnehmer kann eine krankheitsbedingte Kündigung sozial rechtfertigen. Die Heranziehung der Entgeltfortzahlungskosten als Kündigungsgrund stellt keinen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB dar4.
262
Erheblich ist die wirtschaftliche Belastung, wenn jährlich Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen, d.h. 30 Arbeitstage aufzuwenden sind5. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber Betriebs-
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BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, NZA 1990, 434. Weber/Hoß, DB 1993, 2429 (2432) m. w. Nachw. Weber/Hoß, DB 1993, 2429 (2432) m. w. Nachw. BAG vom 16.2.1989 – 2 AZR 299/88, NZA 1989, 923. BAG vom 8.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593. Eingehend zu diesem Erfordernis Weber/Hoß, DB 1993, 2429 (2431 f.).
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Teil 1 Rz. 264
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ablaufstörungen nicht darlegt und eine Personalreserve nicht vorhält1. Eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ist nicht erst dann zu bejahen, wenn die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten einen bestimmten Prozentsatz des für sechs Wochen Entgeltfortzahlung aufzuwendenden Betrags überschreiten2. Auf die wirtschaftliche Stärke des Unternehmens kommt es hierbei nicht an3. Zu beachten ist allerdings, dass nur diejenigen Kosten zu berücksichtigen sind, die auf den für die negative Gesundheitsprognose maßgebenden Fehlzeiten beruhen4. 264
Da der Arbeitgeber aufgrund des Entgeltfortzahlungsgesetzes verpflichtet ist, für die Dauer bis zu sechs Wochen Vergütungsfortzahlung zu leisten, werden unter diesem Zeitraum liegende Kosten jedenfalls nicht als erhebliche wirtschaftliche Belastungen angesehen5.
265
Bei krankheitsbedingter dauernder Unmöglichkeit, die vertragsgemäß geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG „in aller Regel ohne Weiteres“ von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen6. Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz – ggf. auch zu geänderten Bedingungen – schließt eine krankheitsbedingte Kündigung aus (s.u. Rz. 268).
266
Dem – auf gesundheitlichen Gründen beruhenden – dauernden Unvermögen des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist die Ungewissheit, wann der Arbeitnehmer wieder hierzu in der Lage sein wird, gleichzusetzen, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss ist. Denn hier ist der Arbeitgeber in einer dem Fall der feststehenden Leistungsunfähigkeit vergleichbaren Lage7.
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Die vom BAG in einer Entscheidung vom 29.4.19998 aufgestellten und in einer Entscheidung vom 12.4.20029 „bestätigten und ergänzten“ Grundsätze dürften jedoch den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung wegen Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit ganz erheblich erschwert, wenn nicht sogar faktisch unmöglich gemacht haben. Zunächst soll die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit – im Anschluss an die Vorschriften des Beschäftigungsförderungsgesetzes (nunmehr des Teilzeit- und Befristungsgesetzes) – nur dann gleichstehen, wenn zum
1 BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, NZA 1994, 67. 2 BAG vom 13.12.1990 – 2 AZR 342/90, RzK I 5g Nr. 42; BAG vom 23.9.1992 – 2 AZR 63/92, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 37. 3 BAG vom 8.11.2007 – 2 AZR 292/06, NZA 2008, 593. 4 BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, NZA 1990, 307. 5 BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, NZA 1994, 67. 6 So ausdrücklich BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041. 7 BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978. 8 BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978. 9 BAG vom 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 268 Teil 1
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung in den nächsten 24 Monaten (§ 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG) mit einer anderen (günstigen) Prognose nicht gerechnet werden könne1. Denn ein solcher Zeitraum könne ggf. durch Einstellung einer Ersatzkraft mit einem befristeten Arbeitsverhältnis überbrückt werden. Für die Prognose komme es auf den Zeitpunkt der Kündigung an. Vor der Kündigung liegende Krankheitszeiten könnten in den Prognosezeitraum von 24 Monaten nicht eingerechnet werden2. Unabhängig davon komme nach dem das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine ordentliche Kündigung als letztes Mittel (ultima ratio) erst dann in Betracht, wenn dem Arbeitgeber die Durchführung von Überbrückungsmaßnahmen (z.B. Einstellung von Aushilfskräften, Durchführung von Über- oder Mehrarbeit, personelle Umorganisation, organisatorische Umstellungen) nicht möglich oder nicht mehr zumutbar sei. Zu den vom Arbeitgeber in Erwägung zu ziehenden Überbrückungsmaßnahmen gehöre auch die Einstellung einer Aushilfskraft auf unbestimmte Zeit (!), wobei der Arbeitgeber konkret darzulegen habe, weshalb ggf. die Einstellung einer Aushilfskraft nicht möglich oder nicht zumutbar sein solle3. Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz – ggf. auch zu geänderten Bedingungen – schließt eine krankheitsbedingte Kündigung aus4. Wenn eine solche Umsetzungsmöglichkeit besteht, führt die Krankheit nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Im Rahmen der Prüfung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten kommen nur solche in Betracht, die entweder gleichwertig mit der bisherigen Beschäftigung oder geringer bewertet sind. Zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem höherwertigen freien Arbeitsplatz ist der Arbeitgeber dagegen nicht verpflichtet, da das Kündigungsschutzgesetz keinen Beförderungsanspruch schafft5. Ist zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs eine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen gleichwertigen oder geringer bewerteten Arbeitsplatz nicht (mehr) vorhanden, so ist es dem Arbeitgeber gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten zu berufen, wenn dieser Wegfall treuwidrig herbeigeführt wurde6.
1 BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 2002, 978; BAG vom 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081. S. dazu auch LAG Hessen vom 13.3.2001, NZA-RR 2002, 21, wonach eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit, d.h. noch mindestens zwei Jahre, ungewiss sei, wenn der Arbeitnehmer mehr als elf Monate wegen Krankheit gefehlt habe und dem Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung die Nachricht der Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente für drei Jahre zugegangen sei, so dass er von einer noch über zwei Jahre hinaus andauernden Arbeitsunfähigkeit hätte ausgehen müssen. 2 BAG vom 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 978. 3 So ausdrücklich BAG vom 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, NZA 2002, 978. 4 BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665; BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041. 5 BAG vom 19.4.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041. 6 BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665.
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Teil 1 Rz. 269
Arbeitsrechtliche Grundlagen
269
Weiterhin ist zu beachten, dass es dem Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG1 zur Vermeidung einer Kündigung auch obliegt, einen Arbeitnehmer, der auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu leisten, einen gleichwertigen oder jedenfalls zumutbaren leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb durch Ausübung seines Direktionsrechts frei zu machen und sich um die evtl. erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu bemühen. Zu einer weiteren Umorganisation oder zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist der Arbeitgeber dagegen grundsätzlich2 nicht verpflichtet3.
270
Bietet der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung dem Arbeitnehmer an, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehnt der Arbeitnehmer dies ab, so bleibt der Arbeitgeber regelmäßig dennoch verpflichtet, das abgelehnte Angebot durch Änderungskündigung anzubieten. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Falle des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen4. (3) Interessenabwägung
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Im Rahmen der Interessenabwägung (dritte Stufe) ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles abschließend zu untersuchen, ob die durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten bzw. die krankheitsbedingte Leistungsminderung verursachten Belastungen vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen sind oder ob sie derart erheblich sind, dass eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden kann5. Wegen der höheren Schutzbedürftigkeit der kranken Arbeitnehmer unterliegt die Interessenabwägung einem strengen Maßstab6. Maßgebende Kriterien der Interessenabwägung sind insbesondere die Dauer des
1 BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709. Bestätigt durch BAG vom 29.10.1998 – 2 AZR 666/97, NZA 1999, 377. Ebenso LAG Hamm vom 20.1.2000 – 8 Sa 1420/99, NZA-RR 2000, 239; LAG Nürnberg vom 21.1.2003 – 6 (5) Sa 628/01, NZA-RR 2003, 413. Ablehnend von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 278b f. S. dazu auch Lingemann, BB 1998, 1106; Bernardi, NZA 1999, 683. 2 Etwaige Ausnahmen hinsichtlich der Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG gelten bei schwerbehinderten Arbeitnehmern, vgl. BAG vom 3.12.2002 – 9 AZR 481/01, NZA 2003, 1215; BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 519/04, NZA 2006, 486. 3 BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709. 4 BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, NZA 2008, 515 = DB 2008, 2091 = BB 2008, 2409 m. w. Nachw. 5 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 347 m. zahlr. Nachw. 6 BAG vom 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit.
92 Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 272 Teil 1
ungestörten Ablaufs des Arbeitsverhältnisses1, der Umfang der Entgeltfortzahlungskosten2, die krankheitsbedingte Ausfallquote bei vergleichbaren Arbeitskollegen3, die Ursachen der Erkrankung4, das Bestehen einer Personalreserve5, das Lebensalter des Arbeitnehmers6, das Vorliegen einer Schwerbehinderung und das Bestehen von Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers7, die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt8 sowie das Bestehen der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien (ggf. frei zu machenden, s.o. Rz. 269) und vergleichbaren Arbeitsplatz9. Durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.200110 ist mit Wirkung vom 1.5.2004 in § 84 Abs. 2 SGB IX eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung eines
1 „Ungestört“ in diesem Sinne ist der Verlauf des Arbeitsverhältnisses nach der Rechtsprechung des BAG aber noch nicht bereits dann, wenn der Arbeitnehmer im Jahr nicht länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank gewesen ist, vgl. BAG vom 6.9.1989 – 2 AZR 224/89, NZA 1990, 434. 2 Eine Überschreitung der Sechs-Wochen-Grenze um 50 Prozent, d.h. 15 Tage, wurde vom BAG als „erheblich“ qualifiziert. Als „außerordentlich“ hoch wurden Entgeltfortzahlungskosten für 60 Arbeitstage, d.h. bei Verdoppelung des Sechs-WochenZeitraumes, angesehen, s. die Nachw. bei Weber/Hoß, DB 1993, 2429 (2433). 3 Ist diese besonders hoch, kann nur eine ganz erheblich höhere (überdurchschnittliche) Ausfallquote eine Kündigung rechtfertigen, vgl. BAG vom 10.5.1990 – 2 AZR 580/89, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 31. 4 Ist die Erkrankung auf betriebliche Ursachen zurückzuführen, ist dies zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, vgl. KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 348. S. dazu auch LAG Köln vom 27.2.1998 – 4 Sa 1236/97 (nicht veröffentlicht), wonach zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sei, dass der Beruf des Baufachwerkers regelmäßig mit erheblichen körperlichen Belastungen verbunden sei (im zugrundeliegenden Sachverhalt hat der Arbeitnehmer in den beiden Jahren vor Ausspruch der Kündigung an 41 bzw. 44 Arbeitstagen kranheitsbedingt gefehlt). 5 Diese wird von der Rechtsprechung des BAG durchweg zugunsten des Arbeitnehmers gewertet. Kommt es trotz Vorhaltens einer für den durchschnittlichen Personalausfall ausreichenden Personalreserve wegen des Umfangs der Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers zu Betriebsablaufstörungen, ist dies zugunsten des Arbeitgebers zu berücksichtigen, vgl. BAG vom 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, NZA 1991, 185; BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, NZA 1994, 67. 6 Zu diesen Kriterien im Einzelnen s. Weber/Hoß, DB 1993, 2429 (2433). 7 BAG vom 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, NZA 2000, 768. 8 Vgl. BAG vom 22.2.1980 – 7 AZR 295/78, DB 1980, 1446; BAG vom 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073. S. dazu auch LAG Schleswig-Holstein vom 14.10.2002 – 4 Sa 66/02, ARST 2003, 190, wonach die Interessenabwägung bei einem 28-jährigen Arbeitnehmer, der im Rahmen eines sieben Jahre bestandenen Beschäftigungsverhältnisses seit 5,5 Jahren in jedem Jahr 27,7 % der Arbeitszeit krankheitsbedingt, bei insgesamt rund 50 verschiedenen Fehlzeiten, ausgefallen sei und der Arbeitgeber im Verlauf von 5,5 Jahren 67 000 DM Entgeltfortzahlung und 13 400 DM Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung geleistet habe, auch dann nicht zu dessen Gunsten ausfalle, wenn er als Ausländer ggf. über schlechte Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt verfüge. 9 Vgl. KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 346 m. w. Nachw. 10 BGBl. I S. 606.
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Teil 1 Rz. 272
Arbeitsrechtliche Grundlagen
„betrieblichen Eingliederungsmanagements“ aufgenommen worden1. Das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX besteht nach Auffassung des BAG nicht nur für die behinderten Menschen, sondern für alle Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen sind2. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer personenbedingten Kündigung mit der Folge, dass sie unwirksam wäre, wenn das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt worden ist3. Allerdings stellt das betriebliche Eingliederungsmanagement eine gesetzliche Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Dabei ist es an sich zwar kein milderes Mittel. Dadurch können aber solche milderen Mittel, wie etwa die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ – Arbeitsplatz, erkannt und entwickelt werden. Ein unterlassenes betriebliches Eingliederungsmanagement steht einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn sie auch durch das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht hätte verhindert werden können4. Hat der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, darf er sich grundsätzlich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keinen freien (leidensgerechten) Arbeitsplatz. Es bedarf in diesem Fall vielmehr eines umfassenden konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz und einer nicht durchgeführten leidensgerechten Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes bzw. eines alternativen Einsatzes auf einem anderen Arbeitsplatz5.
1 S. dazu etwa Wortmann, ArbRB 2009, 416 ff.; Joussen, DB 2009, 286 ff.; Kothe, DB 2008, 582 ff.; Nebe, DB 2008, 1801 ff. Zu den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX s. Lorenz/ Kissel, ArbRB 2008, 382 ff. 2 BAG vom 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173. Bestätigt durch BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, NZA 2008, 515 = DB 2008, 2091 = BB 2008, 2409. 3 BAG vom 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173. 4 BAG vom 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173; BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, NZA 2008, 515 = DB 2008, 2091 = BB 2008, 2409. S. dazu auch LAG Köln vom 8.9.2008 – 5 Sa 618/08, zitiert nach juris: Besteht die Möglichkeit, dass der Umfang häufiger Kurzerkrankungen durch ein erfolgreiches Eindgliederungsmanagement zurückgeht, ist eine ohne ein betriebliches Eingliederungsmanagement ausgesprochene personenbedingte Kündigung rechtsunwirksam. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden ist, liegt beim Arbeitgeber. Dieser muss daher den Zugang eines Schreibens, mit dem der Arbeitnehmer zu einem Wiedereingliederungsgespräch eingeladen worden ist, beweisen. 5 BAG vom 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 275 Teil 1
(4) Einzelfälle Wird eine Kündigung wegen Alkoholmissbrauchs des Arbeitnehmers1 ausgesprochen, ist wie folgt zu differenzieren: Ist der Genuss von Alkohol im Dienst verboten, so rechtfertigt eine – nicht auf Alkoholabhängigkeit beruhende – Verbotsübertretung nach vorheriger Abmahnung im Allgemeinen den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung2. Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt ebenfalls in Betracht, wenn der Alkoholmissbrauch zu Schlecht- oder Fehlleistungen des Arbeitnehmers führt. Wirkt sich ein alkoholbedingtes Fehlverhalten des Arbeitnehmers erheblich negativ auf das Image des Arbeitgebers in seiner Branche aus, berechtigt dies den Arbeitgeber u.U. sogar zur fristlosen Kündigung3.
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Hat dagegen der Alkoholmissbrauch krankhaften Umfang angenommen, d.h. besteht eine psychische und physische Abhängigkeit vom Alkohol, kommt nur eine personenbedingte Kündigung nach Maßgabe der eben genannten Grundsätze für die Überprüfung krankheitsbedingter Kündigungen in Betracht4. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist in der Regel nicht möglich, weil dem Arbeitgeber kaum der Nachweis gelingen wird, dass der Arbeitnehmer die Sucht schuldhaft herbeigeführt hat, und es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach eine krankhafte Alkoholabhängigkeit vom Arbeitnehmer selbstverschuldet wurde5.
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Größtenteils wird angenommen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung wegen Alkoholsucht in der Regel aufzufordern hat, eine Entziehungskur durchzuführen6. Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht therapiebereit, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von der Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht mehr geheilt wird. Erklärt sich ein Arbeitnehmer erst nach Ausspruch der Kündigung zu einer Entziehungskur bereit, so kann dies eine zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegende negative Gesundheitsprognose nicht mehr beseitigen, da es für deren Beurteilung allein auf die Umstände zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankommt7.
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1 Zur Problematik des Alkohols im Betrieb und der alkoholbedingten Kündigung s. Bengelsdorf, NZA 1999, 1304 ff.; Bengelsdorf, NZA 2001, 993 ff.; Hemming, DB 1998, 1998 ff.; Graefe, BB 2001, 1251 ff. 2 BAG vom 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517; BAG vom 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, NZA 1998, 112; LAG Schleswig Holstein vom 3.5.2007 – 4 Sa 529/06, ArbRB 2007, 257. 3 LAG Schleswig Holstein vom 3.5.2007 – 4 Sa 529/06, ArbRB 2007, 257. 4 BAG vom 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, NZA 1987, 811; BAG vom 13.12.1990 – 2 AZR 336/90, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 33; von Hoyningen-Huene, DB 1995, 142; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 190 m. w. Nachw. 5 Vgl. BAG vom 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, DB 1983, 2420. 6 BAG vom 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328; LAG Hamm vom 30.8.1985 – 16 (11) Sa 920/84, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 2; ArbG Hamburg vom 10.1.1994 – 27 Ca 287/93, ArbuR 1994, 200; KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 286; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 299 m. w. Nachw. 7 BAG vom 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, NZA 1987, 811.
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Teil 1 Rz. 276
Arbeitsrechtliche Grundlagen
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Hat der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung keine Kenntnis von der Alkoholerkrankung des Arbeitnehmers und der Arbeitnehmer diese trotz mehrerer Fehlzeitengespräche verheimlicht, so kann sich der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht darauf berufen, ihm sei vor Ausspruch der Kündigung die Chance einer Entziehungskur nicht gegeben worden. Denn dieses Verhalten des Arbeitnehmers lässt darauf schließen, dass der Arbeitnehmer bis zur Kündigung nicht therapiebereit gewesen ist1.
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Bei einem mehrfachen „Rückfall“ des Arbeitnehmers nach Alkoholtherapien ist nach Auffassung des BAG im Rahmen der negativen Prognose davon auszugehen, dass sich hieran in Zukunft auch nichts ändern wird, d.h. dass es erneut zu suchtbedingten Reaktionen und Ausfällen kommt2. Ausnahmsweise können die Besonderheiten des Einzelfalls eine andere Beurteilung rechtfertigen, insbesondere wenn der Rückfall des Arbeitnehmers unverschuldet ist3.
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Die Grundsätze zur Kündigung wegen Alkoholmissbrauchs gelten in gleicher Weise für Kündigungen drogensüchtiger Arbeitnehmer4.
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Im laufenden Arbeitsverhältnis ist der Arbeitnehmer regelmäßig nicht verpflichtet, routinemäßigen Blutuntersuchungen zur Klärung, ob er alkohol-
1 BAG vom 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. S. dazu auch LAG Schleswig Holstein vom 3.5.2007 – 4 Sa 529/06, ArbRB 2007, 257: Verneint der Arbeitnehmer audücklich eine Alkoholabhängigkeit, ist das Gericht nicht in der Lage, zugunsten des Arbeitnehmers davon auszugehen, er sei alkoholabhängig mit der Folge des Verlustes der Selbstkontrolle und der daraus sich ergebenden etwaigen Rechtswidrigkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung. Folglich sei dann aber auch ein steuerbares Verhalten anzunehmen. 2 BAG vom 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, NZA 2000, 141. S. dazu auch Fleck/Körbel, BB 1995, 722; BAG vom 11.11.1987 – 5 AZR 497/86, NZA 1988, 197. Anders LAG Hamm vom 15.1.1999 – 10 Sa 1235/98, NZA 1999, 1221 – Leitsatz 2: „Eine aus verhaltensbedingten Gründen wegen unentschuldigten Fehlens ausgesprochene Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, der seit Jahren an chronischer Alkoholsucht leidet, ist regelmäßig sozial ungerechtfertigt, wenn die Fehltage ihre Ursache in der krankhaften Alkoholabhängigkeit haben und der Arbeitnehmer infolge seiner nicht beherrschbaren Alkoholkrankheit sein Verhalten nicht zu kontrollieren vermag. Der Arbeitgeber, der sich im Kündigungsschutzprozess allein auf einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund beruft, hat aufgrund der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast zu widerlegen, dass die Alkoholabhängigkeit ursächlich für das Fehlverhalten des Arbeitnehmers gewesen ist. Dies gilt auch dann, wenn ein Arbeitnehmer nach einer Entziehungskur wieder rückfällig geworden ist, da die krankhafte Alkoholabhängigkeit auch nach einer Therapie fortbesteht.“ 3 Vgl. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 297, wonach bei einem durch ganz erhebliche, außergewöhnliche Belastungen (plötzlicher Tod des Ehegatten oder eines Kindes) ausgelösten Rückfall nicht ohne Weiteres eine negative Prognose bejaht werden könne. 4 Vgl. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 303. S. hierzu auch Gottwald, NZA 1997, 635.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 282 Teil 1
und drogenabhängig ist, zuzustimmen. Eine – verhaltens- oder personenbedingte – Kündigung, die der Arbeitgeber ausspricht, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise sein durch Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht auf Ablehnung einer unzulässigen körperlichen Untersuchung abgelehnt hat, verstößt gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und ist damit rechtsunwirksam1. Demgegenüber kann je nach den Umständen eine verhaltensbedingte ordentliche (ggf. sogar eine außerordentliche) Kündigung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer gegen seine Pflicht verstößt, an gesetzlich vorgeschriebenen oder sonst erforderlichen – etwa nach § 3 Abs. 4 TVöD – ärztlichen Untersuchungen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses mitzuwirken2.
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Bei der Kündigung aidserkrankter Arbeitnehmer muss zwischen HIV-Infizierung und HIV-Erkrankung unterschieden werden. Allein die HIV-Infizierung eines Arbeitnehmers rechtfertigt grundsätzlich keine Kündigung i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Ausnahmsweise ist die Kündigung eines HIV-infizierten Arbeitnehmers aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt, wenn sich aus der Tätigkeit des Arbeitnehmers die Gefahr einer Infektion anderer Mitarbeiter oder Dritter ergibt und eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, bei dem die Infektion anderer ausgeschlossen ist, ausscheidet3. Nach Ausbruch der HIV-Erkrankung kommt regelmäßig eine personenbedingte Kündigung in Betracht, die sich nach den Grundsätzen für langandauernde Krankheiten oder häufige Kurzerkrankungen richtet4.
281
bb) Verhaltensbedingte Gründe Eine verhaltensbedingte Kündigung ist sozial gerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine vertragliche Haupt- und/oder Nebenpflicht – in der Regel schuldhaft – erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint5.
1 BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 55/99, NZA 1999, 1209. 2 Vgl. BAG vom 6.11.1997 – 2 AZR 801/96, NZA 1998, 326; BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 55/99, NZA 1999, 1209; LAG Düsseldorf vom 31.5.1996 – 15 Sa 180/95, BB 1996, 2099; Hessisches LAG vom 18.2.1999 – 12 Sa 716/97, DB 1999, 2575 = BB 2000, 467. 3 KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 281; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 292 m. w. Nachw. 4 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 292; KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 280 m. w. Nachw. 5 Ständige Rechtsprechung des BAG, s. etwa BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922; BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589 (592) m. zahlr. Nachw.
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Teil 1 Rz. 283 283
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Gründe in dem Verhalten des Arbeitnehmers sind insbesondere1 Schlechtund/oder Minderleistungen2, beharrliche Arbeitsverweigerung3, wiederholtes unentschuldigtes Fehlen4, wiederholte Unpünktlichkeiten5, Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall6, eigenmächtiger Urlaubsantritt7, Aktivitäten während ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit8, unerlaubte Handlungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis (z.B. Diebstahl, Unterschlagung, Stechkarten- oder Spesenbetrug)9 sowie Verstöße gegen die betriebliche Ordnung, wie etwa die Nichtbeachtung eines Rauchoder Alkoholverbots10, Tätlichkeiten gegenüber Arbeitskollegen und Vorgesetzten11, grobe Beleidigungen, soweit sie nicht nur in vertraulichen Gesprächen unter Kollegen gemacht werden und es sich nicht nur um allgemeine Kritik handelt, die vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt
1 Weitere Einzelfälle s. bei Eisenbeis, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 4 Rz. 140 ff. 2 BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784; BAG vom 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380; BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, NZA 2008, 1274; LAG Nürnberg vom 12.6.2007 – 6 Sa 37/07, NZA-RR 2008, 178. S. aber auch LAG Köln vom 17.10.2006 – 9 Sa 370/06, NZA-RR 2007, 294: Die Schlechtleistung eines Arbeitnehmers, dessen geistige Fähigkeiten beschränkt seien, stelle keinen Kündigungsgrund (!) dar, wenn Fehler dadurch vermieden werden könnten, dass der Arbeitnehmer durch andere Mitarbeiter besonders geführt (?) werde. Dies gelte unabhängig davon, ob die Schlechtleistung auf Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen seien. S. zu alledem Schul/Wickert, DB 2005, 1906 ff.; Maschmann, NZA 2006, Beilage 1, S. 13 ff.; Gaul/Süßbrich/Aletter, ArbRB 2005, 82 ff.; Tschöpe, BB 2006, 213 ff. 3 BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893; BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 88/07, BB 2008, 2132; LAG Niedersachsen vom 30.11.2001 – 10 Sa 1046/01, NZARR 2002, 242 (243). 4 BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 88/07, BB 2008, 2132. 5 BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761; LAG Schleswig-Holstein vom 19.12.2006 – 5 Sa 288/06, AuA 2007, 305. 6 BAG vom 16.8.1991 – 2 AZR 604/90, NZA 1993, 17; LAG Sachsen-Anhalt vom 24.4.1996 – 3 Sa 449/95, NZA 1997, 772. 7 BAG vom 22.1.1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708; LAG Köln vom 16.3.2001 – 11 Sa 1479/00, NZA-RR 2001, 533, wonach es dem Arbeitnehmer verwehrt sei, sich auf die fehlende Kenntnis einer vor Ausspruch der Kündigung während der Dauer der Selbstbeurlaubung erteilten Abmahnung zu berufen, da er sich durch seine eigenmächtige Urlaubsnahme selbst der Erreichbarkeit entzogen und damit seine Unkenntnis verschuldet habe. S. dazu auch Sasse, ArbRB 2003, 342 ff. 8 BAG vom 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63; BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 53/05, NZA-RR 2006, 636. 9 BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 264/06, NZA 2008, 636; BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008. 10 BAG vom 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517; LAG Köln vom 1.8.2008 – 4 Sa 590/08, zitiert nach juris (Rauchen in einem Bereich eines Lebensmittel-Betriebes, in dem ein Rauchverbot gilt, kann jedenfalls nach wiederholter Abmahnung eine ordentliche Kündigung auch bei langer Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers rechtfertigen). Zum Tragen eines Kopftuchs als (verhaltensbedingter) Kündigungsgrund s. BAG vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01, NZA 2003, 483 und BVerfG vom 30.7.2003 – 1 BvR 792/03, NZA 2006, 431. 11 BAG vom 6.10.2005 – 2 AZR 280/04, NZA 2006, 431.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
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ist1, ausländerfeindliche und antisemitische Äußerungen sowie sexuelle Belästigungen von Mitarbeitern am Arbeitsplatz (vgl. § 12 Abs. 3 AGG)2. Auch die private Nutzung des Internets kann – selbst wenn sie nicht ausdrücklich untersagt ist – insbesondere bei „ausschweifender“ Privatnutzung während der Arbeitszeit eine erhebliche Pflichtverletzung darstellen und den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen3. Außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers kommt als Grund für eine – außerordentliche oder ordentliche – Kündigung nur dann in Betracht, wenn dadurch das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird (z.B. bei Verrat von Geschäftsgeheimnissen)4. Eine „Regelausschlussfrist“, innerhalb derer der Arbeitgeber sein ordentliches Kündigungsrecht ausüben muss, gibt es nicht, so dass auch ein nach § 626 Abs. 2 BGB „verfristeter“ wichtiger Grund grundsätzlich noch zum Anlass 1 Vgl. BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917. S. dazu auch die zahlr. Einzelbeispiele bei von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 603 ff. 2 S. dazu BAG vom 8.6.2000 – 2 ABR 1/00, NZA 2001, 94; LAG Hamm vom 22.10.1996 – 6 Sa 730/99, BB 1997, 99; LAG Hamm vom 13.2.1997 – 17 Sa 1544/96, BB 1997, 1485 (Kündigung wegen sexueller Belästigung durch den Ausbilder); LAG Sachsen vom 10.3.2000 – 2 Sa 635/99, NZA-RR 2000, 468 (Kündigung wegen sexueller Belästigung von Praktikantinnen); ArbG Lübeck vom 2.11.2000 – 1 Ca 2479/00, NZA-RR 2001, 140 (fristlose Kündigung eines „Busengrapschers“). 3 BAG vom 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98; BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980; BAG vom 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977; BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922. S. dazu auch Kramer, NZA 2006, 194 f.; Lansnicker, BB 2007, 2184 ff.; Bloesinger, BB 2007, 2177; Beckschulze, DB 2007, 1526 ff.; Waltermann, NZA 2007, 529 ff. 4 Vgl. BAG vom 24.9.1987 – 2 AZR 26/87, DB 1988, 1757; BAG vom 8.6.2000 – 2 AZR 638/99, NZA 2000, 1282; BAG vom 21.6.2001 – 2 AZR 325/00, NZA 2002, 1030; BAG vom 6.11.2003 – 2 AZR 631/02, NZA 2004, 919; LAG Hamm vom 4.11.2008 – 14 Sa 157/08, zitiert nach juris (Veranstaltung von Konzerten, deren Interpreten der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, durch den Leiter eines Fußball-Fanprojekts, dessen zentrales Ziel die Eindämmung von Gewalt sowie der Abbau extremistischer Orientierungen ist. LAG Hamm vom 19.1.2001 – 5 Sa 491/00 (Mitbetreiben eines „Swingerclubs“ durch eine Grundschullehrerin); ArbG Frankfurt a.M. vom 8.8.2001 – 7 Ca 690/01, NZA-RR 2002, 254 (Unterstellung von „Machenschaften“ des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer); ArbG Berlin vom 7.7.1999 – 36 Ca 30545/98, NZA-RR 2000, 244 (abweichendes Sexualverhalten eines auf einer geschlossenen psychiatrischen Station tätigen Krankenpflegers); ArbG Passau (Kammer Deggendorf) vom 11.12.1997 – 2 Ca 711/97 D, NZA 1998, 427 (Veröffentlichung „softpornografischer“ Fotos einer Umschülerin). Siehe dazu auch LAG Schleswig-Holstein vom 6.8.2002 – 2 Sa 150/02, NZA-RR 2004, 351: Bezeichnet der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in einer außerdienstlich verfassten und – u.a. in Internet – verbreiteten Pressemitteilung (!) die Anschläge des 11.9.2001 u.a. als „längst überfällige Befreiungsaktion“, so billigt er damit die Terroranschläge. Ein derartiges Verhalten ist als ein Angriff auf die Menschenwürde der Opfer und ihrer Hinterbliebenen zu bewerten und nicht mehr vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Der Arbeitgeber ist daher berechtigt, das Arbeitsverhältnis ohne vorherige Abmahnung wegen des hierdurch entstandenen Vertrauensverlustes zu kündigen (Hinweis: Die hiergegen zunächst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist durch Beschluss des BAG vom 7.11.2002 – 2 AZN 654/02 zurückgewiesen worden. Die sodann eingelegte Verfassungsbeschwerde ist durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8.1.2004 – 1 BvR 2326/02 nicht zur Entscheidung angenommen worden).
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Arbeitsrechtliche Grundlagen
für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung genommen werden kann, sofern nicht nach allgemeinen Grundsätzen Verwirkung eingetreten ist. Allerdings kann ein Arbeitgeber nicht über längere Zeit einen Kündigungsgrund „auf Vorrat“ halten, um ihn bei passend erscheinender Gelegenheit geltend zu machen und ein beanstandungsfrei fortgesetztes Arbeitsverhältnis zu einem beliebigen Zeitpunkt kündigen zu können. Ein kündigungsrelevanter Vorfall kann durch Zeitablauf so an Bedeutung verlieren, dass eine ordentliche Kündigung nicht mehr gerechtfertigt wäre. Der insoweit gebotene Schutz des Arbeitnehmers wird dabei aber nicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern durch die Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Verwirkung realisiert1. 285
Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt nach neuerer Rechtsprechung des BAG2 das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen3.
286
Bei Störungen im Leistungs- und Verhaltensbereich ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG4 vor Ausspruch einer – ordentlichen oder außerordentlichen – Kündigung regelmäßig eine vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers erforderlich. Ausnahmsweise wird eine vorherige Abmahnung in diesem Bereich für entbehrlich erachtet, wenn sie im Hinblick auf die Einsichts- oder Handlungsfähigkeit des Arbeitnehmers keinen Erfolg verspreche oder wenn bereits der einmalige Pflichtverstoß so schwerwiegend sei, dass der Arbeitnehmer nicht mit der Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber rechnen könne und ihm die Pflichtwidrigkeit ohne Weiteres erkennbar sei5.
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Auch bei Störungen im Vertrauensbereich soll nach neuerer Rechtsprechung des BAG6 vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung jedenfalls dann 1 So BAG vom 15.8.2002 – 2 AZR 514/01, NZA 2003, 795. 2 S. etwa BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922; BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589 (592) m. zahlr. Nachw. 3 BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922; BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589 (592). 4 S. etwa BAG vom 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 646. 5 Vgl. BAG vom 9.3.1995 – 2 AZR 644/94, NZA 1996, 875; Gerhards, BB 1996, 794 (796); Pauly, NZA 1995, 449 (451). 6 BAG vom 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, NZA 1997, 1281.
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Rz. 290 Teil 1
erforderlich sein, wenn es um ein steuerbares Verhalten gehe und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden könne. Entbehrlich ist eine vorherige Abmahnung aber auch in diesem Bereich, wenn es um schwerwiegende Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist1. Bei Straftaten des Arbeitnehmers zum Nachteil des Arbeitgebers wird das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung vom BAG stets für entbehrlich gehalten, selbst wenn es sich um einen Diebstahl oder eine Unterschlagung von nur geringwertigen Sachen handelt2. Eine Abmahnung liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber zum einen dem Arbeitnehmer in einer für diesen deutlich erkennbaren Art und Weise die Pflichtverletzung genau bezeichnet (Rüge- und Hinweisfunktion) und damit zum anderen deutlich – wenn auch nicht ausdrücklich – den Hinweis verbindet, dass im Wiederholungsfall der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist (Ankündigungs- oder Warnfunktion)3.
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Eine Abmahnung ist bereits möglich, wenn der Arbeitnehmer objektiv gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat. Unerheblich ist, ob das beanstandete Verhalten dem Arbeitnehmer auch subjektiv im Sinne eines Verschuldens vorgeworfen werden kann oder der Pflichtverstoß für eine Kündigung ausreicht4. Allerdings besteht in der Rechtsprechung und im Schrifttum weitgehend Einigkeit darüber, dass die Abmahnung eine „gewisse Intensität“ des Fehlverhaltens voraussetzt und unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht5. Darauf, ob das abgemahnte Verhalten als Grundlage für eine Kündigung im Wiederholungsfall ausreicht, kommt es jedoch nicht an6.
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Abmahnungsberechtigt sind nicht nur kündigungsberechtigte Personen, sondern alle Vorgesetzten, die nach ihrer Aufgabenstellung befugt sind, verbindliche Anweisungen hinsichtlich des Ortes, der Zeit sowie der Art und Weise
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1 BAG vom 10.2.1999 – 2 ABR 31/98, NZA 1999, 708; BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922. S. dazu auch Zuber, NZA 1999, 1142 ff.; Hunold, NZA-RR 2003, 57 ff. 2 BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486; BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008. 3 BAG vom 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, NZA 2002, 965 (966); Gerhards, BB 1996, 794; Pauly, NZA 1995, 449 (451); Burger, DB 1992, 836 m. w. Nachw. 4 BAG vom 7.9.1988 – 5 AZR 625/87, NZA 1989, 272; BAG vom 30.5.1996 – 6 AZR 537/95, NZA 1997, 145. 5 Vgl. BAG vom 7.9.1988 – 5 AZR 625/87, NZA 1989, 272; BAG vom 30.5.1996 – 6 AZR 537/95, NZA 1997, 145; LAG Baden-Württemberg vom 22.10.1984 – 12 Sa 66/84, BB 1985, 271; LAG Hamm vom 17.4.1985 – 3 Sa 1723/84, DB 1985, 2691; LAG Bremen vom 28.6.1989 – 2 Sa 39/89, DB 1990, 742; ArbG Frankfurt a.M. vom 2.11.1999 – 18 Ca 3062/99, NZA-RR 2000, 464 (465); von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 492; Burger, DB 1992, 836 (837) m. w. Nachw. 6 BAG vom 13.11.1991 – 5 AZR 74/91, NZA 1992, 690; BAG vom 30.5.1996 – 6 AZR 537/95, NZA 1997, 145.
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Teil 1 Rz. 291
Arbeitsrechtliche Grundlagen
der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu erteilen1. Die Abmahnung unterliegt – anders als die Verhängung einer Betriebsbuße – nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG2. 291
Eine Regelausschlussfrist, innerhalb derer eine Abmahnung nach Kenntniserlangung vom Fehlverhalten ausgesprochen werden muss, gibt es nicht3. Jedoch kann eine Abmahnung u.U. durch längeren Zeitablauf ihre kündigungsrechtliche Wirkung verlieren, wobei allerdings das BAG eine bestimmte Regelfrist ablehnt4. Zu berücksichtigen seien vielmehr alle Umstände des Einzelfalles. Maßgebendes Kriterium für die Wirkungslosigkeit einer Abmahnung durch Zeitablauf sei in jedem Fall, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten längere Zeit unbeanstandet erfüllt habe.
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Als rechtsgeschäftsähnliche Handlung muss die Abmahnung dem Arbeitnehmer entsprechend § 130 BGB zugehen, d.h. der Arbeitnehmer muss vom Inhalt der Abmahnung Kenntnis erlangen5. Einer besonderen Form bedarf die Abmahnung nicht, so dass sie auch mündlich erfolgen kann6.
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Hinweis: Da eine mündliche Abmahnung im Rechtsstreit nur schwer zu beweisen ist, sollten Abmahnungen in der Praxis indes stets schriftlich erteilt werden7.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Richtigkeit der abgemahnten, aber bestrittenen Pflichtwidrigkeit trägt der Arbeitgeber sowohl im Rechtsstreit um die Entfernung einer Abmahnung als auch um eine verhaltensbedingte Kündigung8. Dabei muss der Arbeitgeber nicht nur das Vorliegen einer Abmahnung
1 BAG vom 5.7.1990 – 2 AZR 8/90, NZA 1991, 667; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 501 jeweils m. w. Nachw. 2 BAG vom 30.1.1979 – 1 AZR 342/76, AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße. 3 BAG vom 15.1.1986 – 5 AZR 70/84, NZA 1986, 421; BAG vom 7.9.1988 – 5 AZR 625/87, NZA 1989, 272; Burger, DB 1992, 836 (837). 4 Vgl. BAG vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01, DB 2003, 1797 (1798), wonach selbst aufgrund eines Zeitablaufs von 3 ½ Jahren eine Abmahnung noch nicht zwingend ihre Wirkung verliere. Ebenso Walker, NZA 1995, 601 (607). 5 S. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 500 m. w. Nachw. 6 S. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 500; Burger, DB 1992, 836 (838). 7 Zum – gerichtlich durchsetzbaren – Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Entfernung einer ihm zu Unrecht erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte s. im Einzelnen Legerlotz, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 1 Rz. 99 ff. S. dazu auch Mues, ArbRB 2003, 336 (337), der – mit durchaus gewichtigen Gründen – annimmt, dass die Klage des Arbeitnehmers gegen eine Abmahnung taktisch nicht zu rechtfertigen sei, es sei denn, er wolle das Arbeitsverhältnis weiter belasten und die Trennung provozieren, da sich der Arbeitnehmer mit einem solchen Vorgehen bis zu einem eventuellen späteren Kündigungsschutzprozess, in dem der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Abmahnung trage, Zeit lassen könne und die erteilte Abmahnung nach Ablauf einer undefinierten Zeit ohnehin ihre Wirkungen verliere. 8 BAG vom 13.3.1987 – 7 AZR 601/85, NZA 1987, 518; LAG Frankfurt vom 31.10.1986 – 13 Sa 613/86, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 5; LAG Bremen vom 6.3.1992 – 4 Sa 295/91, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 31; ArbG Frankfurt a.M. vom 2.11.1999
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 295 Teil 1
als solcher, sondern auch die Gründe für die Abmahnung nach Ort und Zeit substantiiert darlegen und beweisen. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Arbeitnehmer die in der Abmahnung enthaltenen Vorwürfe schriftlich als inhaltlich zutreffend anerkannt hat. Ein weiterer Pflichtverstoß kann bei vorheriger Abmahnung nur dann zur Kündigung berechtigen, wenn dieser mit der abgemahnten Pflichtverletzung gleichartig ist1. Daher kann einem Arbeitnehmer, der wegen Missachtung eines betrieblichen Rauchverbots abgemahnt worden ist, grundsätzlich nicht sofort gekündigt werden, wenn er nunmehr verspätet am Arbeitsplatz erscheint oder gegen seine Anzeigepflichten im Krankheitsfalle verstößt. Gleichartig sind Pflichtverletzungen nicht nur dann, wenn es sich um identische Pflichtverletzungen handelt, sondern bereits dann, wenn die Pflichtverletzungen unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammengefasst werden können. Dies kann etwa der Fall sein bei abgemahnter Verletzung der Anzeigepflicht im Krankheitsfall und späterer Weigerung des Arbeitnehmers, während der Arbeitszeit zu einem Gespräch mit dem Vorgesetzten zu erscheinen2.
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Die Anzahl der Abmahnungen, die dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung erteilt werden müssen, richtet sich nach der Art, Schwere und Häufigkeit des jeweiligen Pflichtverstoßes. In Zweifelsfällen – insbesondere bei nicht eindeutig gleich gelagerten Pflichtverletzungen – sollten in der Praxis aber mindestens zwei Abmahnungen vor Ausspruch einer Kündigung erteilt werden3. Häufig wollen die Arbeitgeber, insbesondere bei ständigen Verspätungen des Arbeitnehmers oder anderen – „leichteren“ – Pflichtverletzungen gewissermaßen auf „Nummer sicher“ gehen und den Arbeitnehmer mehrmals abmahnen. Dabei ist unbedingt zu berücksichtigen, dass zahlreiche Abmahnungen wegen gleichartiger Pflichtverletzungen die Warnfunktion der Abmahnung abschwächen können. In dem Fall muss der Arbeitgeber die letzte Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung besonders eindringlich gestalten, um dem Arbeitnehmer klar zu machen, dass weitere derartige Pflichtver-
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– 18 Ca 3062/99, NZA-RR 2000, 464; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 531; Burger, DB 1992, 836 (839). 1 BAG vom 21.5.1987 – 2 AZR 313/86, DB 1987, 2367; LAG Hamm vom 14.5.1986, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 2; LAG Schleswig-Holstein vom 16.6.1986 – 4 (5) Sa 684/85, NZA 1987, 669; LAG Hessen vom 7.7.1997 – 16 Sa 2328/96, NZA 1998, 822; Burger, DB 1992, 836 (838); von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 505 m. w. Nachw.; a.A. Walker, NZA 1995, 601 (605 f.). 2 LAG Hessen vom 7.7.1997 – 16 Sa 2328/96, NZA 1998, 822. 3 So zu Recht Burger, DB 1992, 836 (838). S. dazu auch LAG Hamm vom 25.9.1997 – 8 Sa 557/97, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59: Trotz vorangegangener einschlägiger Abmahnung kann nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung wegen Arbeitsverweigerung eine erneute Abmahnung im Sinne einer „letzten Warnung“ geboten sein, wenn das Arbeitsverhältnis langjährig (18 Jahre) störungsfrei verlaufen ist und die Weigerungshaltung des Arbeitnehmers allein auf arbeitsbedingten Problemen in der Zusammenarbeit mit Kollegen beruht.
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Teil 1 Rz. 296
Arbeitsrechtliche Grundlagen
letzungen nunmehr zum Ausspruch einer Kündigung führen werden1. In einer Entscheidung vom 16.9.20042 hat das BAG allerdings klargestellt, dass „angesichts der im Arbeitsleben verbreiteten Praxis, bei als leichter empfundenen Vertragsverstößen einer Kündigung – häufig drei – Abmahnungen vorausgehen zu lassen, (…) in aller Regel nicht bereits die dritte Abmahnung als ‚entwertet’ angesehen werden“ könne. Wörtlich führt das BAG in dieser Entscheidung – in soziologisch beeindruckender Weise – aus: „Wenn unter diesen Umständen die in der Abmahnung enthaltene Warnung beim Arbeitnehmer die Hoffnung offen lässt, der Arbeitgeber werde vielleicht ‚Gnade vor Recht walten lassen‘, weil er in der Vergangenheit ‚Milde‘ walten ließ, so entwertet dies die Warnung nicht. Ansonsten wäre gerade der ruhig und verständig abwägende, im Zweifel eher zur Nachsicht neigende Arbeitgeber benachteiligt.“ 296
Zu beachten ist ferner, dass dem Arbeitnehmer nach Erteilung einer Abmahnung Zeit zur Korrektur seines Fehlverhaltens eingeräumt werden muss, sofern eine Änderung des Verhaltens nicht ohne Weiteres sofort möglich ist3.
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Ist der Arbeitnehmer wegen einer Pflichtverletzung abgemahnt worden, kann der Arbeitgeber eine Kündigung ohne erneuten (gleichartigen) Pflichtverstoß nicht auf den bereits abgemahnten Sachverhalt stützen, sofern sich die maßgebenden Umstände später nicht ändern4. Denn mit der Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber konkludent auf sein Kündigungsrecht wegen der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung waren. Allerdings muss der Arbeitgeber eindeutig und unzweifelhaft zu erkennen geben, dass der vertragliche Pflichtenverstoß bereits ausreichend sanktioniert ist und daraus keine weiteren Konsequenzen gezogen werden sollen5. Lässt der Inhalt eines Schreibens des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer nicht erkennen, dass der Arbeitgeber darin bereits eine in irgendeiner Weise abschließende Sanktion auf eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers sieht, kann allein aus der Überschrift „Abmahnung“ nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit gefolgert werden, dass der Arbeitgeber auf ein Kündigungsrecht verzichten wollte6.
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Die tatsächlichen Umstände, die eine verhaltensbedingte Kündigung bedingen, sind nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG vom Arbeitgeber zu beweisen. Hieraus folgt, dass der Arbeitgeber die tatsächlichen Umstände bei Bestreiten durch
1 BAG vom 15.11.2001 – 2 AZR 609/00, NZA 2002, 986. S. dazu auch Kammerer, BB 2002, 1747 ff. 2 BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 406/03, NZA 2005, 459. 3 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 511 m. w. Nachw. 4 BAG vom 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, NZA 1989, 633; BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 145/07, NZA 2008, 403; LAG Berlin vom 16.2.2006 – 10 Sa 1618/05, BB 2006, 1752. 5 BAG vom 6.3.2003 – 2 AZR 128/02, NZA 2003, 1388. 6 BAG vom 6.3.2003 – 2 AZR 128/02, NZA 2003, 1388. Ähnlich BAG vom 2.2.2006 – 2 AZR 222/05, NZA 2006, 880: Eine Abmahnung stellt nur dann einen Verzicht auf das Kündigungsrecht des Arbeitgebers dar, wenn dieser mit seiner Vertragsrüge deutlich und unzweifelhaft zu erkennen gibt, dass er den vertraglichen Verstoß hiermit als ausreichend sanktioniert und in der Sache als „erledigt“ ansieht.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 299 Teil 1
den Arbeitnehmer nicht nur zu beweisen, sondern zunächst auch konkret („substantiiert“) darzulegen hat. Der – in Kündigungsschutzprozessen häufig anzutreffende – pauschale Vortrag des Arbeitgebers, der gekündigte Arbeitnehmer habe „mehrfach völlig unzureichende Leistungen erbracht“, reicht mangels Substantiierung nicht aus1. Vielmehr muss der Arbeitgeber die Verstöße des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten unter Angabe von Ort und Zeit genau bezeichnen und für jede behauptete Pflichtverletzung geeigneten Beweis anbieten.
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Hinweis: Etwaige Fehlverhalten bzw. Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers sollten daher gewissermaßen aus Gründen der „Darlegungsund Beweissicherung“ nach Art, Zeit und Ort stets genauestens dokumentiert werden2.
Die Darlegungs- und Beweislast bezieht sich nach der Rechtsprechung des BAG3 nicht nur auf die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund, sondern auch auf die Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. So obliegt dem Arbeitgeber nicht nur der Nachweis dafür, dass der Arbeitnehmer überhaupt gefehlt hat. Behauptet der Arbeitnehmer, er sei arbeitsunfähig erkrankt gewesen oder der Arbeitgeber habe ihm Arbeitsbefreiung gewährt, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass der Arbeitnehmer in Wirklichkeit doch arbeitsfähig gewesen ist bzw. eine Arbeitsbefreiung nicht gewährt wurde. Insoweit gilt nach ständiger Rechtsprechung des BAG4 eine sog. abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers richtet sich danach, wie substantiiert sich der Arbeitnehmer auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Arbeitgeber braucht nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Es reicht auch nicht aus, dass der Arbeitnehmer Rechtfertigungsgründe pauschal ohne nähere Substantiierung vorbringt5. Vielmehr ist er nach § 138 Abs. 2 ZPO im Rechtsstreit gehalten, die Gründe, aus denen etwa sein Fehlen am Arbeitsplatz berechtigt gewesen sein soll, im Einzelnen ausführlich vorzutragen, um damit den Vorwurf, unentschuldigt gefehlt zu haben, zu bestreiten. Dazu genügt der bloße Hinweis etwa auf eine Beurlaubung oder Erkrankung nicht. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine Krankheit ohne ein ärztliches Attest vorzulegen, hat er vorzutragen, welche tatsächlichen physischen oder psychischen Hin1 Die zu diesem pauschalen Vorbringen vom Arbeitgeber benannten Zeugen können vom Gericht nicht vernommen werden, da dies ein – unzulässiger – Ausforschungsbeweis wäre. 2 Hilfreich hierfür ist das Musterformular „Fehlverhalten von Mitarbeitern“ bei Hoß, ArbRB 2004, 92 ff. 3 BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 264/06, NZA 2008, 636; BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 15/07, NZA 2009, 193 (195). 4 BAG vom 24.11.1983 – 2 AZR 327/82, DB 1984, 884; BAG vom 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63; BAG vom 31.1.1996 – 2 AZR 68/95, NZA 1996, 819; BAG vom 25.4.1996 – 2 AZR 74/95, NZA 1996, 1201; BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 15/07, NZA 2009, 193 (195) m. w. Nachw. 5 BAG vom 24.11.1983 – 2 AZR 327/82, DB 1984, 884.
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Teil 1 Rz. 300
Arbeitsrechtliche Grundlagen
derungsgründe vorgelegen haben und wo er sich zum fraglichen Zeitpunkt aufgehalten hat. Dies muss sodann vom Arbeitgeber widerlegt werden1. cc) Betriebsbedingte Gründe 300
Zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ist der Arbeitgeber schließlich aus betriebsbedingten Gründen berechtigt. Die betriebsbedingte Kündigung unterliegt einer dreistufigen Prüfung: (1) Zunächst ist der Wegfall des Arbeitsplatzes (zumindest in seiner bisherigen Ausgestaltung) aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse festzustellen. (2) Eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers ist nicht möglich. (3) Sofern diese Voraussetzungen bei mehreren Arbeitnehmern zutreffen, aber nicht allen gekündigt werden soll, hat eine soziale Auswahl unter den in Betracht kommenden Arbeitnehmern zu erfolgen (§ 1 Abs. 3 KSchG). (1) Dringende betriebliche Erfordernisse
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Nach ständiger Rechtsprechung des BAG2 können sich betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmensentscheidungen, wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z.B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen „dringend“ sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebs notwendig machen. Die Kündigung muss wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein3.
302
Außerbetriebliche Gründe können regelmäßig nicht für sich allein zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen. Hierzu bedarf es vielmehr einer Unternehmerentscheidung, durch die der Arbeitgeber auf die außerbetrieblichen Umstände reagiert, z.B. durch Rationalisierungsmaßnahmen oder eine Betriebs(teil)stilllegung. Diese unternehmerische Maßnahme stellt damit in der Regel die unternehmerische Entscheidung dar, die zur Kündigung von Arbeitnehmern führt. Außerbetriebliche Umstände wie Auftrags- und Umsatzrückgang sind also Motive für die unternehmerische Entscheidung4.
1 BAG vom 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63. 2 S. statt vieler BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878; BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, NZA 2008, 939; BAG vom 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312. 3 BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878. 4 Vgl. BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 326/02, NZA 2004, 343; von Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, § 1 Rz. 687 m. w. Nachw.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Û
Rz. 304 Teil 1
Hinweis: Im Hinblick darauf sollte sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess niemals allein auf außerbetriebliche Ursachen zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung berufen.
Der Arbeitgeber muss sich zu einer organisatorischen Maßnahme entschlossen haben, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt1. Von den Gerichten nachzuprüfen ist, ob eine solche unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist2. Dagegen ist die Unternehmerentscheidung selbst nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unvernünftig oder willkürlich ist3. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist und kein Rechtsmissbrauch vorliegt4. Deshalb hat im Kündigungsschutzprozess der Arbeitnehmer grundsätzlich die Umstände darzulegen und im Streitfall zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene innerbetriebliche Strukturmaßnahme offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist5. Dabei zielt die Missbrauchskontrolle der unternehmerischen Entscheidung weder darauf ab, dem Arbeitgeber organisatorische Vorgaben zu machen, noch darf sie dazu dienen, die Stichhaltigkeit der Erwägungen zu prüfen, die den Arbeitgeber gerade zu dem von ihm gewählten Konzept geführt haben. Es geht in diesem Zusammenhang allein um die Verhinderung von Missbrauch. Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche Normen sollen genauso verhindert wie Diskrimiminierung und Umgehungsfälle vermieden werden. Deshalb ist es missbräuchlich, Arbeitnehmer durch die Bildung von speparaten betrieblichen Organisationsstrukturen bei unverändertem Beschäftigungsbedarf aus dem Betrieb zu drängen oder abstrakte Änderungen von Organisationsstrukturen ohne Änderung der realen Abläufe zu benutzen, um den Inhalt von Arbeitsverhältnissen zum Nachteil von Arbeitnehmern zu ändern6.
303
Zu dem Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers gehört auch die Befugnis, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen die Arbeitsaufgaben erledigt werden sollen. Der Arbeitgeber kann daher grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen (Menge der zu erledigenden Arbeit) als auch das diesem zuge-
304
1 BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878; BAG vom 10.7.2008 – 2 AZR 1111/08, NZA 2009, 312. 2 BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 326/02, NZA 2004, 343; BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878; BAG vom 10.7.2008 – 2 AZR 1111/08, NZA 2009, 312. 3 BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878. Betriebsbedingte Kündigung m.w. Nachw. (wonach die Entscheidung des Unternehmers, bestimmte Aufgaben in Zukunft nicht mehr durch Arbeitnehmer, sondern durch freie Mitarbeiter ausführen zu lassen, als „dringendes betriebliches Erfordernis“ i.S. des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine ordentliche Kündigung rechtfertigen könne). 4 BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, NZA 2008, 939. 5 BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, NZA 2008, 939. 6 BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, NZA 2008, 939.
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Teil 1 Rz. 305
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ordnete Arbeitskraftvolumen (Arbeitnehmer-Stunden) und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen1. 305
Ein bestimmter Arbeitsplatz muss nicht weggefallen sein. Voraussetzung ist aber, dass die Organisationsentscheidung ursächlich für den vom Arbeitgeber behaupteten Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ist. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Entscheidung auf eine nach sachlichen Merkmalen genauer bestimmte Stelle bezieht. Der allgemeine Beschluss, Personalkosten zu senken, erfüllt diese Anforderungen nicht2.
306
Der Arbeitgeber ist – abgesehen von den Fällen der Willkür und des Missbrauchs – frei, die betrieblichen Abläufe so zu organisieren, wie er es für zweckmäßig hält. Die daraus abgeleiteten betrieblichen Erfordernisse berechtigen ihn zur Beendigung oder Umgestaltung der vorhandenen Arbeitsverhältnisse in dem Maße, in dem dies zur Anpassung an die neue Organisation notwendig ist, und soweit er die weiteren gesetzlichen Vorgaben (z.B. Berücksichtigung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten, Sozialauswahl) einhält. Eine unternehmerische Entscheidung zur Reorganisation kann auch ein Gesamtkonzept enthalten, das sowohl die Umgestaltung aller bisherigen Arbeitsplätze als auch die Reduzierung des bisherigen Arbeitsvolumens zum Gegenstand hat. Die durch dieses Gesamtkonzept notwendig werdenden Änderungs- und Beendigungskündigungen können durch betriebliche Gründe i.S. des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt sein3. Ein derartiges Gesamtkonzept ist nach Auffassung des BAG als solches nicht zu beanstanden. Es nimmt an der nur auf Missbrauch beschränkten Kontrolle teil. Weder kann dem Arbeitgeber vorgehalten werden, er müsse die verbliebene Arbeit auf alle Arbeitnehmer verteilen und deshalb allen Arbeitnehmern gegenüber Änderungskündigungen aussprechen, noch verlangt das Gesetz, dass der Arbeitgeber seine Reorganisation so gestaltet, dass er zunächst nach den Grundsätzen der Sozialauswahl die schutzwürdigsten Arbeitnehmer ermittelt, und die Reorganisation alsdann dem nach sozialen Gesichtspunkten verbleibenden Arbeitskräftepotential anpasst. Vielmehr bildet nach dem Gesetz – gerade umgekehrt – das betriebliche Bedürfnis die Grundlage für die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und diese ihrerseits die Grundlage für die vorzunehmende soziale Auswahl4. Eine sich aus der unternehmerischen Organisationsentscheidung ableitende Reorganisationsentscheidung, Personal abzubauen, rückt nahe an den Kündigungsentschluss heran. Da die Kündigungsentscheidung selbst nicht frei ist, muss der Arbeitgeber gegenüber dem Gericht seine Entscheidung hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit verdeutlichen. Die Darlegungslast des Arbeitgebers hat allerdings nicht den Sinn, dass die Gerichte in die betrieblichen Organisationsabläufe eingreifen. Vielmehr soll rechtsmissbräuchliches Verhalten verhindert werden, insbesondere dass die unternehmerische Entscheidung als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb 1 2 3 4
BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 326/02, NZA 2004, 343. BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 326/02, NZA 2004, 343. BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, NZA 2007, 1320. BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, NZA 2007, 1320.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 308 Teil 1
zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden1. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben2. Wenn allerdings die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne nähere Konkretisierung praktisch deckungsgleich sind, muss der Arbeitgeber konkrete Angaben dazu machen, wie sich die Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter Änderungsbedarf besteht. Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast sind insbesondere dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Der Arbeitgeber hat insoweit darzulegen, dass es sich bei der zusätzlich geforderten Qualifikation für die Ausführung der Tätigkeit nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung“, sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für eine Stellenprofilierung handelt. Außerdem hat der Arbeitgeber bei einer betrieblich erforderlichen Anhebung des Stellenprofils konkret darzulegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere Umschulung und Fortbildung des Arbeitnehmers, zu vermeiden war3.
307
Einen dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens hat der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess nachvollziehbar darzustellen. Dazu reicht bei einer Arbeitnehmerüberlassung der Hinweis des Verleihers regelmäßig nicht aus, der bisherige Auftrag, in dessen Rahmen der Leiharbeitnehmer eingesetzt worden sei, sei beendet und es lägen keine Anschlussaufträge vor. Kurzfristige Auftragslücken gehören zum typischen Unternehmensrisiko eines Verleiharbeitgebers und sind damit nicht geeignet, eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen4. Entschließt sich der Arbeitgeber wegen eines Umsatzrückgangs zu Personalreduzierungen und spricht deshalb betriebsbedingte Kündigungen aus, so ist nicht stets die Darlegung der konkreten, von den Arbeitnehmern zu erledigenden Arbeitsvorgänge und der dafür benötigten Einsatzzeiten einerseits sowie der vorgehaltenen Anzahl von Arbeitsstunden andererseits erforderlich. Soweit der Arbeitgeber dann, wenn seine unternehmerische Entscheidung nahe an den Kündigungsentschluss heranrückt, seine
308
1 BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 326/02, NZA 2004, 343; BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, NZA 2007, 1320. 2 BAG vom 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266; BAG vom 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312. 3 BAG vom 7.7.2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266; BAG vom 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312. 4 BAG vom 18.5.2006 – 2 AZR 412/05, NZA 2006, 1007. S. dazu auch Dahl, DB 2006, 2519 ff.
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Teil 1 Rz. 309
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit („Dauer“) verdeutlichen muss, ist die Vortragslast kein Selbstzweck. Sie soll nur einen Missbrauch des Kündigungsrechts ausschließen1. An die Darlegungslast des Arbeitgebers sind dagegen gesteigerte Anforderungen zu stellen, wenn die unternehmerische Entscheidung letztlich nur auf den Abbau einer Hierarchieebene, verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben hinausläuft. Es bedarf der Konkretisierung dieser Entscheidung, damit geprüft werden kann, ob der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist und die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist. Der Arbeitgeber muss insbesondere konkret darlegen, in welchem Umfang die bisher von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen. Er muss aufgrund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierbaren Prognose darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können2. Gestaltet der Arbeitgeber einen Arbeitsplatz so um, dass dieser zu einer Beförderungsstelle wird, entfällt damit nicht ohne Weiteres der Beschäftigungsbedarf. Der kündigungsschutzrechtliche Bestandsschutz gewährt dem Arbeitnehmer zwar regelmäßig keinen Anspruch auf Beförderung. Hat der Arbeitgeber jedoch für eine bestimmte Tätigkeit eine Einstellungsentscheidung getroffen und bleibt diese Tätigkeit im Wesentlichen bestehen, liegen allein aufgrund einer Umwandlung dieser Stelle in eine Beförderungsstelle keine dringenden betrieblichen Erfordernisse zur Kündigung vor, da die abzudeckende Arbeitskapazität dieselbe bleibt3. 309
Eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers ergibt sich nicht daraus, dass er den ihm nach § 92a BetrVG obliegenden Beteiligungsrechten des Betriebsrats nicht oder nicht ausreichend nachgekommen ist4. Ebenso führt allein die Anwendung eines unter Verstoß gegen § 95 Abs. 1 BetrVG aufgestellten Punkteschemas durch den Arbeitgeber nicht zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen5. (2) Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
310
Eine Kündigung, die aufgrund einer zum Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes führenden organisatorischen Maßnahme ausgesprochen worden ist, ist nur dann durch ein dringendes betriebliches Erfordernis „bedingt“, wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeit hat, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen.
1 2 3 4 5
BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 433/05, NZA 2007, 552. BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 1041/06, NZA 2008, 819. BAG vom 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312. BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 433/05, NZA 2007, 552. BAG vom 6.7.2006 – 2 AZR 443/05, NZA 2007, 197; BAG vom 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. S. dazu auch Hidalgo/Häberle-Haug/Stubbe, DB 2007, 914 ff.; Löwisch/Röder/Krieger, BB 2008, 610 ff.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 314 Teil 1
Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden, sieht § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG ausdrücklich vor, dass die Kündigung in dem Fall sozial ungerechtfertigt ist. Aus der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG ergibt sich, dass die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung – entgegen dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG – selbst dann zu berücksichtigen ist, wenn der Betriebsrat der Kündigung nicht widersprochen hat oder ein Betriebsrat nicht existiert1.
311
Im Einzelfall kann der Arbeitgeber auch verpflichtet sein, für den betroffenen Arbeitnehmer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen durchzuführen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG). Auf die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG kann der Arbeitgeber aber jedenfalls dann nicht verwiesen werden, wenn bei Ausspruch kein entsprechender anderweitiger Arbeitsplatz frei ist und auch nicht mit hinreichender Sicherheit vorhersehbar ist, dass nach Abschluss der Maßnahmen eine Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund der durch die Fortbildung oder Umschulung erworbenen Qualifikation besteht2. Zudem muss der Arbeitnehmer für die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit geeignet sein und unter Berücksichtigung angemessener Einarbeitungszeiten den Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes entsprechen. Dabei unterliegt die Gestaltung des Arbeitsplatzprofils für den freien Arbeitsplatz der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden Unternehmensdisposition des Arbeitgebers3.
312
Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung setzt voraus, dass ein freier (gleichwertiger) Arbeitsplatz oder ein freier Arbeitsplatz zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vorhanden ist4. Als „frei“ sind grundsätzlich solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Dem steht es gleich, wenn der Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei wird. Ist dies nämlich der Fall, so besteht tatsächlich kein Arbeitskräfteüberhang, der den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen könnte5. Um „freie“ Arbeitsplätze handelt es sich auch, wenn diese in absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, sofern dem Arbeitgeber die Überbrückung dieses Zeitraums zumutbar ist6.
313
Zur Errichtung neuer Arbeitsplätze oder zur Freikündigung anderer besetzter Arbeitsplätze ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet7. Der Arbeitnehmer hat
314
1 Grundlegend BAG vom 13.9.1973 – 2 AZR 601/72, DB 1973, 2535; BAG vom 21.9.2000 – 2 AZR 385/99, DB 2001, 1207; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 211 und 1023 ff. m. w. Nachw. 2 Vgl. BAG vom 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, NZA 1991, 806. 3 BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 107/07, NZA 2008, 1180. 4 BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, DB 2007, 1540. 5 BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, DB 2007, 1540. 6 BAG vom 15.12.1994 – 2 AZR 327/94, NZA 1995, 521. Ebenso BAG vom 28.6.1995 – 7 AZR 555/94, NZA 1996, 374; BAG vom 7.3.1996 – 2 AZR 180/95, NZA 1996, 931. 7 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 746 m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 315
Arbeitsrechtliche Grundlagen
grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf einer freien Beförderungsstelle, weil das Arbeitsverhältnis nur in seinem bisherigen Bestand und Inhalt geschützt ist1. 315
Ob vorübergehende Abwesenheiten von Arbeitnehmern aufgrund von Krankheit, Urlaub, Sonderurlaub o.ä. dazu führen, dass der entsprechende Arbeitsplatz „frei“ ist, hängt davon ab, ob und wie der Arbeitsplatz besetzt werden soll. Ob und für wie lange ein solcher Arbeitsplatz besetzt werden soll, unterliegt der nur auf Missbrauch und Willkür überprüfbaren unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers. Deckt der Arbeitgeber den Vertretungsbedarf entsprechend einem von ihm darzulegenden unternehmerischen Konzept durch rechtlich zulässig gestaltete Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern ab, denen er durch „Rahmenverträge“ verbunden ist, so ist das durch den Vertretungsbedarf beschriebene Beschäftigungsvolumen nicht „frei“2.
316
In die Prüfung einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit sind grundsätzlich3 auch Arbeitsplätze einzubeziehen, auf denen der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist vorübergehend Leiharbeitnehmer einsetzt. Soweit der Arbeitgeber behauptet, der Einsatz der Leiharbeitnehmer erfolge jeweils nur kurzfristig und unstet bei einem Ausfall von Stammarbeitnehmern, obliegt ihm der Beweis dafür, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Einsatz von Leiharbeitnehmern über den Kündigungstermin hinaus nicht absehbar war4.
317
Hat der Arbeitgeber vor dem Zugang der Kündigung einen freien Arbeitsplatz besetzt, so dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer nicht mehr vorhanden ist, ist es dem Arbeitgeber gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten zum Kündigungszeitpunkt zu berufen, wenn er diesen Wegfall treuwidrig herbeigeführt hat5. Ein solcher Fall treuwidriger Berufung auf eine selbst herbeigeführte rechtswidrige Lage kann auch dann gegeben sein, wenn der Arbeitgeber einen Beschäftigungsüberhang dadurch herbeiführt, dass er die Stelle des Arbeitnehmers neu besetzt, der aufgrund einer später rechtskräftig für unwirksam erklärten Kündigung vorübergehend aus dem Betrieb ausgeschieden ist6.
318
Im Kündigungsschutzprozess gilt im Hinblick auf die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz eine abgestufte Darlegungsund Beweislast: Der Arbeitgeber genügt zunächst seiner Darlegungslast, wenn er allgemein vorträgt, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei nicht 1 BAG vom 21.9.2000 – 2 AZR 385/99, DB 2001, 1207; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 218 (dort auch zu möglichen Ausnahmen) und 758. 2 BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, DB 2007, 1540. 3 Zu möglichen Ausnahmen s. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 751. 4 LAG Hamm vom 5.3.2007 – 11 Sa 1338/06, DB 2007, 1701. S. dazu auch Düwell/ Dahl, DB 2007, 1699 ff. 5 BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 107/07, NZA 2008, 1180. 6 BAG vom 1.2.2007 – 2 AZR 710/05, NZA 2008, 192.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 319 Teil 1
möglich. Auf nähere Darlegungen des Arbeitnehmers, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, muss der Arbeitgeber dann eingehend erläutern, aus welchem Grund eine Beschäftigung auf einem entsprechenden Arbeitsplatz nicht möglich sei1. Dabei genügt es für die Darlegungslast des Arbeitnehmers, wenn er angibt, welche Art der Beschäftigung gemeint ist. Der Arbeitnehmer muss im Allgemeinen keinen konkreten freien Arbeitsplatz benennen2. Besteht die Möglichkeit, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz auch zu geänderten – u.U. erheblich schlechteren – Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen, gebietet es nach neuerer Rechtsprechung des BAG3 der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer diese Beschäftigung anzubieten und dementsprechend statt einer Beendigungskündigung zunächst eine Änderungskündigung auszusprechen hat. Eine Änderungskündigung dürfe nur in „Extremfällen“ (z.B. offensichtlich unterwertige Beschäftigung – Pförtner statt Personalchef) unterbleiben, wenn der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit einer Annahme des neuen Vertragsangebots durch den Arbeitnehmer hätte rechnen können und ein derartiges Angebot vielmehr – wie es das BAG in einer Entscheidung vom 21.6.20064 wörtlich formuliert – „beleidigenden Charakter“ gehabt hätte. Allein die hierarchische Rückstufung und die zu erwartenden erheblichen Vergütungseinbußen machten einen Sachverhalt noch nicht zu einem „Extremfall“. Ein „beleidigender Charakter“ könne gegeben sein, wenn der betroffene Arbeitnehmer so weit in der Personalhierarchie zurückgestuft werde, dass viele seiner bisher Untergebenen ihm nunmehr Weisungen erteilen könnten und deshalb erhebliche Konflikte zu erwarten seien5. Grundsätzlich solle aber der Arbeitnehmer selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung unter erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar halte oder nicht6. Insbesondere dürfe der Arbeitgeber ein erheblich verschlechtertes Angebot nicht allein mit der Begründung unterlassen, mit dem zu erzielenden Einkommen könne der Arbeitnehmer seine Familie nicht ernähren oder er verdiene weniger, als er Sozialleistungen erhalten würde, wenn dieses Angebot die einzige Alternative zu einer Beendigungskündigung sei. Es möge „gute Gründe“ geben (lange Bindung an den Arbeitgeber, die Region oder den örtlichen Bekanntenkreis, familiäres Umfeld, Hoffnung auf „Besserung“ im Arbeitsverhältnis u.ä.), warum sich ein Arbeitnehmer mit schlechteren Arbeits-
1 BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, DB 2007, 1540. 2 BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, NZA 2007, 1320; BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, DB 2007, 1540. 3 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289; BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 244/04, NZA 2005, 1294; BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431. S. dazu auch Berkowsky, NZA 2006, 679 ff.; Lelley/Sabin, DB 2006, 1110 ff.; Bauer/Winzer, BB 2006, 266 ff. 4 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431. 5 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431. 6 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289; BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 244/04, NZA 2005, 1294.
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Teil 1 Rz. 320
Arbeitsrechtliche Grundlagen
bedingungen arrangieren wolle1. Mache der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer das Angebot, den Vertrag nach der bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehne der Arbeitnehmer dieses Angebot ab, so sei der Arbeitgeber aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes regelmäßig dennoch verpflichtet, zunächst eine Änderungskündigung auszusprechen. Eine Beendigungskündigung sei nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Falle des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen2. Ein „wesentliches Indiz“ für das Vorliegen einer „aus Sicht beider Vertragsparteien gegebenen ‚Extremsituation’“ soll auch das Verhalten des betroffenen Arbeitnehmers nach Ausspruch der Beendigungskündigung und während des Kündigungsschutzprozesses sein. Berufe sich der Arbeitnehmer trotz Kenntnis von einer freien, in der betrieblichen Hierarchie weit entfernten Stelle nicht zeitnah auf eine solche, sondern erst lange nach Beginn der Auseinandersetzung, spreche vieles dafür, dass er selbst von einer unzumutbaren Situation im Betrieb und bei seiner Tätigkeit ausgehe, in der er keine Weiterbeschäftigungsperspektiven mehr sehe, und deshalb ein entsprechendes Änderungsangebot ausnahmsweise auch nicht hätte unterbreitet werden müssen. Ein solches Verhalten des Arbeitnehmers indiziere auch, dass er sich selbst bei einem Angebot einer derartigen Stelle vor dem Ausspruch einer Kündigung in keinem Fall mit einer Annahme – auch nicht unter Vorbehalt – einverstanden erklärt hätte. Die – verspätete – Berufung auf eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erscheine dann nicht mehr widerspruchsfrei3. 320
Wenngleich diese neuere Rechtsprechung des BAG in der Tat dogmatisch nicht unangreifbar ist, erweist sie sich für die betriebliche Praxis als weniger dramatisch, als dies in der Literatur vereinzelt befürchtet wurde4: Jedem Arbeitgeber kann im Falle der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers – u.U. auch zu erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen – nur empfohlen werden, stets eine diesbezügliche Änderungskündigung anstelle einer Beendigungskündigung auszusprechen, da die Erfahrung lehrt, dass die den Änderungskündigungen zugrunde liegenden Änderungsangebote von den Arbeitnehmern regelmäßig ohnehin nicht angenommen werden, so dass sich damit die Änderungskündigungen automatisch in Beendigungskündigungen umwandeln.
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Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung muss entweder im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens gegeben sein. Dagegen ist
1 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431. 2 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289; BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 244/04, NZA 2005, 1294. 3 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431. 4 Vgl. dazu insbesondere die nicht völlig abwegige Kritik von Bauer, II Rz. 73a, wonach sich eine im Sinne der Rechtsprechung des BAG verstandene Änderungskündigung als „wahres Bürokratiemonster“ erweise.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 321 Teil 1
die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit grundsätzlich nicht konzernbezogen1. Der Arbeitgeber ist daher vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung grundsätzlich nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem anderen Betrieb eines anderen Unternehmens unterzubringen. Aufgrund besonderer Sachverhaltsgestaltungen sind allerdings Ausnahmefälle denkbar, in denen eine konzernbezogene Betrachtung geboten ist. Davon ist nicht nur auszugehen, wenn sich ein anderes Konzernunternehmen ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt hat, sondern auch und vor allem dann, wenn sich eine solche Verpflichtung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag ergibt2. Weitere Voraussetzung einer derartigen unternehmensübergreifenden Weiterbeschäftigungspflicht ist allerdings ein bestimmender Einfluss des Beschäftigungsbetriebs bzw. des vertragsschließenden Unternehmens auf die „Versetzung“. Die Entscheidung darüber darf grundsätzlich nicht dem zur Übernahme bereiten Unternehmen vorbehalten bleiben3. Ein „konzernbezogener Kündigungsschutz“ wird zwar ebenfalls für Fallgestaltungen erörtert, in denen konzerninterne Entscheidungen (etwa Verlagerung von Tätigkeiten auf andere Konzernunternehmen, Stilllegung eines Konzernunternehmens oder einer Abteilung bei gleichzeitiger Neugründung eines Konzernunternehmens mit identischen arbeitstechnischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen) den Beschäftigungsbedarf für den betroffenen Arbeitnehmer bei konzernbezogener Betrachtungsweise nicht wegfallen lassen4. Eine solche Erweiterung des Kündigungsschutzes im Wege der Rechtsfortbildung auf Fälle der bloßen konzerninternen Verlagerung von nach wie vor bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten fordert nach Auffassung des BAG allerdings – wenn sie überhaupt möglich sein sollte – jedenfalls gesteigerte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers. Er müsse zumindest hinreichend konkret darlegen, dass der in seinem Konzernunternehmen weggefallene Beschäftigungsbedarf lediglich auf ein anderes Konzernunternehmen verlagert sei, dort nach wie vor bestehe und dieses Konzernunternehmen diesen Beschäftigungsbedarf nunmehr z.B. durch auf dem freien Arbeitsmarkt angeworbene oder willkürlich aus dem Mitarbeiterstamm seines Arbeitgebers ausgewählte Arbeitnehmer abdecke5. Ausnahmsweise sollen nach einer Entscheidung des BAG vom 21.9.19996 an die Darlegungslast des Arbeitnehmers geringere und an die des Arbeitgebers strengere Anforderungen zu stellen sein, wenn sich der Arbeitnehmer in einem dem deutschen Recht unterliegenden Vertrag zu einem (weiteren) Auslandseinsatz bei einem ausländischen, konzernzugehörigen Unternehmen verpflichtet hat. Denn in dem Fall sei der Arbeitnehmer regelmäßig überfordert, wenn er konkrete freie Arbeitsplätze in einem der ausländischen Konzernunternehmen benennen müsste, sofern sich der Arbeitgeber 1 BAG vom 23.11.2004 – 2 AZR 24/04, NZA 2005, 929; BAG vom 23.3.2006 – 2 AZR 165/05, NZA 2007, 30. 2 BAG vom 23.3.2006 – 2 AZR 165/05, NZA 2007, 30. S. dazu auch Bayreuther, NZA 2006, 819 ff.; Bachner, NZA 2006, 1309 ff.; Wisskirchen/Bissels, DB 2007, 340 ff. 3 BAG vom 23.3.2006 – 2 AZR 165/05, NZA 2007, 30. 4 Vgl. BAG vom 23.3.2006 – 2 AZR 165/05, NZA 2007, 30. 5 BAG vom 23.3.2006 – 2 AZR 165/05, NZA 2007, 30. 6 BAG vom 21.1.1999 – 2 AZR 648/97, NZA 1999, 539.
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Teil 1 Rz. 322
Arbeitsrechtliche Grundlagen
darauf berufe, für den Arbeitnehmer sei die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit bei dem konzernzugehörigen Unternehmen weggefallen. (3) Sozialauswahl 322
Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt worden, so ist die Kündigung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte, nämlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers, nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Diese Verpflichtung zur Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte kann dazu führen, dass nicht demjenigen Arbeitnehmer gekündigt werden darf, dessen konkreter Arbeitsplatz weggefallen ist, sondern einem anderen Arbeitnehmer, den die Kündigung relativ am wenigsten hart trifft1. Vor Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen sollte der Arbeitgeber die ordnungsgemäße Sozialauswahl genauestens beachten, da in Kündigungsschutzprozessen nicht selten Kündigungen an der fehlerhaften Sozialauswahl scheitern, mit der Folge, dass entweder die Klagen der gekündigten Arbeitnehmer Erfolg haben oder die Arbeitnehmer mit einer einvernehmlichen Beendigung nur gegen Zahlung einer hohen Abfindung bereit sind.
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Die soziale Auswahl erstreckt sich grundsätzlich auf alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes, nicht aber auf andere Betriebe des Unternehmens oder des Konzerns, selbst wenn sich der Arbeitgeber ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten haben sollte2. Eine Beschränkung der Sozialauswahl auf Mitarbeiter einer Betriebsabteilung oder eines Betriebsteils ist demnach ebenfalls nicht möglich3, so dass selbst die räumliche Entfernung einer Niederlassung vom Stammbetrieb von ca. 70 km der Notwendigkeit einer einheitlichen Sozialauswahl nicht entgegensteht.
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Bilden mehrere Unternehmen einen gemeinschaftlichen Betrieb, so ist die Sozialauswahl bis zu einer etwaigen Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs auf den gesamten Betrieb zu erstrecken. Eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl ist dann nicht vorzunehmen, wenn der Gemeinschaftsbetrieb zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr besteht, weil einer der Betriebe, die einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, stillgelegt ist. Gleiches gilt, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung der eine der Betriebe, die zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht stillgelegt ist, aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung, die bereits greifbare Formen angenommen hat, aber feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeit-
1 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 867; von Hoyningen-Huene, NZA 1994, 1009 (1012 f.). 2 S. etwa BAG vom 2.6.2005 – 2 AZR 158/04, NZA 2005, 1175. Zu möglichen Ausnahmen s. BAG vom 25.4.2002 – 2 AZR 260/01, NZA 2003, 605 und BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798. 3 BAG vom 3.4.2004 – 2 AZR 577/03, NZA 2005, 175.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 326 Teil 1
nehmers stillgelegt sein wird1. Bilden zwei Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb, so führt nicht jede Änderung des Betriebszwecks der verbundenen Unternehmen ohne Weiteres zu einer Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs. Bei der bloßen Änderung des Betriebszwecks eines der beiden Unternehmen kommt es entscheidend darauf an, ob die Fortführung der beiden Betriebsteile auch nach der Änderungs des Betriebszwecks des einen Unternehmens auf das Fortbestehen eines Gemeinschaftsbetriebs schließen lässt2. Die Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl führt nicht dazu, dass bei betriebsbedingten Kündigungen stets alle Arbeitnehmer des Betriebes in den Sozialvergleich einzubeziehen sind. Vielmehr beschränkt sich die Sozialauswahl innerhalb eines Betriebs nur auf Arbeitnehmer, die miteinander vergleichbar sind. Dabei bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen3. An einer Vergleichbarkeit fehlt es jedoch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig im Rahmen des Direktionsrechts auf den anderen Arbeitsplatz umsetzen oder versetzen kann4. Maßgeblich ist deshalb, ob der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, einen Einsatz ohne Änderung des Arbeitsvertrags rechtlich zulässt. Die Vergleichbarkeit kann grundsätzlich auch nicht dadurch herbeigeführt werden, dass der Arbeitsvertrag eines von einem betrieblichen Ereignis betroffenen Arbeitnehmers erst anlässlich dieses Ereignisses entsprechend geändert wird5.
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Ist nach dem Arbeitsvertrag die Versetzung eines Arbeitnehmers nur inner- 326 halb eines bestimmten Arbeitsbereichs möglich, kann deshalb bei einer wegen Wegfalls dieses Arbeitsbereichs erforderlichen betriebsbedingten Kündigung keine Sozialauswahl unter Einbeziehung vom Tätigkeitsfeld vergleichbarer Arbeitnehmer anderer Arbeitsbereiche erfolgen6. Gleiches gilt, wenn einem Arbeitnehmer unter Abänderung seines Arbeitsvertrags die Leitung eines konkreten Aufgabenbereichs übertragen wurde und der Arbeitgeber später betriebsbedingt kündigt, wenn dieser Arbeitsbereich wegfällt. Auch hier sind die ehemals vergleichbaren, ohne Leitungsfunktion in anderen Arbeits-
1 BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, DB 2008, 1756; BAG vom 21.5.2008 – 8 AZR 84/07, NZA 2008, 753. 2 BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, DB 2008, 1756. 3 BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 m. w. Nachw. 4 Ständige Rechtsprechung des BAG, s. etwa BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798; BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 jeweils m. w. Nachw. 5 BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798. 6 So ausdrücklich BAG vom 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, NZA 2000, 822.
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Arbeitsrechtliche Grundlagen
bereichen beschäftigten Arbeitnehmer regelmäßig nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen1. 327
Der langjährige Einsatz eines Arbeitnehmers zu bestimmten Arbeitsbedingungen kann zwar u.U. zu einer Konkretisierung seiner Leistungspflichten führen und im laufenden Arbeitsverhältnis bei der Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 GewO bzw. des billigen Ermessens i.S. von § 315 Abs. 1 BGB maßgeblich zu berücksichtigen sein. Diese Grundsätze können jedoch nicht ohne Weiteres auf die Frage der Umsetzbarkeit im Rahmen der Sozialauswahl übertragen werden. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht soll, wie gerade § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB zeigen, zu Gunsten des Arbeitnehmers wirken. Nach Ansicht des BAG würde es nicht nur dem Schutzzweck des § 1 Abs. 3 KSchG widersprechen, wenn sich eine solche Konkretisierung bei einer durchzuführenden Sozialauswahl zu Lasten des zu kündigenden Arbeitnehmers auswirkte. Sie würde zudem den in § 242 BGB verankerten Vertrauensschutzgesichtspunkten zuwider laufen2.
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Der Vergleich der Arbeitnehmer vollzieht sich nach der Rechtsprechung des BAG3 grundsätzlich auf derselben Ebene der Betriebshierarchie (sog. horizontale Vergleichbarkeit). Nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind Arbeitnehmer, die im hierarchischen Aufbau des Betriebes eine höher oder niedriger zu bewertende Tätigkeit ausüben (sog. vertikale Vergleichbarkeit), weil dies auf einen Anspruch auf Beförderung bzw. auf einen Verdrängungswettbewerb nach unten hinauslaufen würde4.
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Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsablauf umgestaltet und bestimmte Arbeiten in eine andere Betriebsabteilung oder in einen anderen Betrieb des Unternehmens verlagert. Sind nach wie vor im Wesentlichen die gleichen Arbeiten zu verrichten und die bisherigen Arbeitsplatzinhaber zur Erledigung dieser Arbeiten persönlich und fachlich geeignet, so ist eine betriebsbedingte Kündigung selbst dann nicht sozial gerechtfertigt, wenn es sich bei den neu eingerichteten Arbeitsplätzen um Beförderungsstellen handelt. Verringert der Arbeitgeber gleichzeitig die Anzahl der Beschäftigungsmöglichkeiten, so hat er zwischen den betroffenen Arbeitnehmern, die nach der Umgestaltung des Arbeitsablaufs für eine Weiterbeschäftigung persönlich und fachlich geeignet sind, eine Sozialauswahl nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmen. Die erforderliche Sozialauswahl kann der Arbeitgeber nicht dadurch umgehen, dass er zuerst die
1 BAG vom 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332. Dieses für den Arbeitnehmer oft unbefriedigende Ergebnis dürfte sich dadurch vermeiden lassen, dass er sich bei der Übertragung eines anderen (regelmäßig höherwertigen) Arbeitsbereichs arbeitsvertraglich eine sog. „Rückkehroption“ für seine bisher ausgeübte Tätigkeit vorbehält. 2 BAG vom 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, NZA 2005, 175. 3 BAG vom 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181. 4 Vgl. von Hoyningen-Huene, NZA 1994, 1009 (1013).
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 331 Teil 1
verbleibenden Arbeitsplätze ohne Beachtung sozialer Gesichtspunkte besetzt und erst danach den nicht übernommenen Arbeitnehmern kündigt1. Zur Abgrenzung zwischen unzulässiger vertikaler Vergleichbarkeit und zulässiger horizontaler Vergleichbarkeit kann auf die Grundsätze zur Abgrenzung zwischen Direktionsrecht und Änderungskündigung bei der Zuweisung einer anderen Tätigkeit zurückgegriffen werden2. Kriterien für die Austauschbarkeit der Arbeitnehmer sind u.a. die tarifliche Eingruppierung, die Berufsausbildung und -erfahrung sowie die Dauer der Einarbeitungszeit, wobei das BAG insoweit eine „alsbaldige Substituierbarkeit“3 verlangt, ohne diesen Zeitraum näher zu präzisieren. Im Hinblick darauf, dass das BAG eine notwendige Einarbeitungszeit von drei Monaten als zu lang bewertet hat4, dürfte für die Praxis von einer Höchsteinarbeitungszeitdauer von bis zu sechs bis acht Wochen auszugehen sein5.
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In die soziale Auswahl nicht einzubeziehen sind Arbeitnehmer, bei denen zum Zeitpunkt der Kündigung die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung aufgrund von Vorschriften des Sonderkündigungsschutzes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wie z.B. Betriebsratsmitglieder, Auszubildende und befristet beschäftigte Mitarbeiter, sofern bei letzteren nicht die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ausdrücklich vertraglich vereinbart wurde6. Nach h.M.7 unterliegen auch solche Arbeitnehmer nicht der Sozialauswahl, bei denen tariflich oder einzelvertraglich die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist8. Mitarbeiter, bei denen die Kündigung von einer behördlichen Zustim-
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1 BAG vom 10.11.1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566; BAG vom 5.10.1995 – 2 AZR 269/95, NZA 1996, 524. S. dazu auch BAG vom 30.8.1995 – 1 ABR 11/95, NZA 1996, 496, wonach der Betriebsrat in dem Fall bei der Versetzung eines Arbeitnehmers auf eine neu geschaffene Beförderungsstelle die Zustimmung nach Maßgabe von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG mit der Begründung verweigern kann, der Arbeitgeber habe soziale Auswahlkriterien nicht berücksichtigt. 2 Vgl. BAG vom 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, NZA 1990, 226; BAG vom 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, NZA 1991, 181. 3 BAG vom 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023. 4 Vgl. BAG vom 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023. 5 Ähnlich Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1089. 6 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 241/04, NZA 2006, 108. Bestätigt durch BAG vom 17.11.2005 – 6 AZR 116/05, NZA 2006, 370. 7 LAG Niedersachsen vom 11.6.2001 – 5 Sa 1832/00, BB 2001, 2379; ArbG Kassel vom 5.8.1976 – 1 Ca 217/76, DB 1976, 1675; Weller, RdA 1986, 220 (230); Meisel, DB 1991, 92 (94); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1074 m. zahlr. Nachw.; a.A. ArbG Cottbus vom 17.5.2000 – 6 Ca 38/00, NZA-RR 2000, 580; Bauer, II Rz. 244b m. w. Nachw.; differenzierend Zwanziger, DB 2000, 2166 (2168), wonach tariflich unkündbare Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl grundsätzlich nicht zu berücksichtigen seien, etwas anderes aber ausnahmsweise dann gelte, wenn die Sozialauswahl grob fehlerhaft i.S. des § 1 Abs. 4 KSchG werde. In diesem Fall sei der Weg zu einer außerordentlichen Kündigung eröffnet, soweit die vom BAG entwickelten Voraussetzungen einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung vorlägen. 8 S. dazu nunmehr BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120: Die Regelung des § 4.4 Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden kann zu Ergebnissen führen, die die gesetzliche Wertung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auf den Kopf stellen, so etwa wenn ein 53-jähriger seit drei Jahren beschäftigter Arbeitnehmer ohne Unterhalts-
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Arbeitsrechtliche Grundlagen
mung abhängt (z.B. § 9 Abs. 3 MuSchG, § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG, § 5 Abs. 2 Satz 1 PflegeZG, § 85 SGB IX), sind in die soziale Auswahl einzubeziehen, wenn die Zustimmung vorliegt1. Arbeitnehmer, welche die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht erfüllt haben, sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Ihnen ist stets vor Arbeitnehmern zu kündigen, die bereits den allgemeinen Kündigungsschutz genießen2. 332
Lange Zeit war heftig umstritten, ob sich die Pflicht zur sozialen Auswahl auch auf Arbeitnehmer mit unterschiedlicher Arbeitszeit, insbesondere Teilzeitbeschäftigte, erstreckt3. In einer Entscheidung vom 3.12.1998 hat das BAG4 hierzu folgende Grundsätze entwickelt: Ob bei der Kündigung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer Vollzeitbeschäftigte und bei der Kündigung vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer Teilzeitbeschäftigte in die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG einzubeziehen seien, hänge von der betrieblichen Organisation ab. Habe der Arbeitgeber eine Organisationsentscheidung getroffen, aufgrund derer für bestimmte Aufgaben Vollzeitkräfte vorgesehen seien, so könne diese Entscheidung als sog. freie Unternehmerentscheidung nur darauf überprüft werden, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei. Liege danach eine bindende Unternehmerentscheidung vor, seien bei der Kündigung einer Teilzeitkraft die Vollzeitkräfte nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Wolle der Arbeitgeber dagegen in einem bestimmten Bereich lediglich die Zahl der insgesamt beschäftigten Arbeitnehmer abbauen, ohne dass eine Organisationsentscheidung in der eben genannten Weise vorliege, seien sämtliche in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf ihr Arbeitszeitvolumen in die Sozialauswahl einzubeziehen. Im Schrifttum ist diese Entscheidung teilweise zu Recht kritisiert worden5. Gleichwohl hat sie das BAG später mehrmals ausdrücklich bestätigt6.
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pflichten aufgrund der tarifvertraglichen Regelung aus der Sozialauswahl ausscheiden soll, während ein 52-jähriger seit 35 Jahren im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer mit mehrfachen Unterhaltspflichten zur Kündigung ansteht. In einem solchen (Extrem-)Fall „wäre dann zu erwägen“, die Regelung ggf. im Hinblick auf die Grundrechte des ordentlich kündbaren Mitarbeiters (Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 3 GG in Form der negativen Koalitionsfreiheit) verfassungskonform bzw. im Hinblick auf die Regelungen zur Altersdiskriminierung (EG-RL 78/2000) gemeinschaftskonform einzuschränken bzw. für den Einzelfall durch einen „ungeschriebenen Ausnahmetatbestand“ (?) innerhalb der Tarifnorm anzupassen. Zwar seien Unkündbarkeitsvereinbarungen grundsätzlich als zulässig anzusehen. Die gebotene Grenze könne aber dort liegen, wo die Fehlergewichtung durch den durch die ordentliche Unkündbarkeit eingeschränkten Auswahlpool zu einer grob fehlerhaften Auswahl führen würde. Vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1073 m. w. Nachw. BAG vom 25.4.1985 – 2 AZR 140/84, NZA 1986, 64 (unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren, gegenteiligen Ansicht, vgl. BAG vom 20.1.1961 – 2 AZR 495/59, DB 1961, 475); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1077 m. w. Nachw. Bejahend LAG Köln vom 20.8.1993 – 12 Sa 380/93, NZA 1994, 317; verneinend Rühle, DB 1994, 834. BAG vom 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NZA 1999, 431. S. etwa Bauer/Klein, BB 1999, 1162 ff. BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 12/99, NZA 2000, 30; BAG vom 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA-RR 2007, 460. S. dazu auch EuGH vom 26.9.2000 – Rs. C-322/98, BB
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 336 Teil 1
Arbeitnehmer, die einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber nach § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben, können sich nach neuester Rechtsprechung des BAG bei einer Kündigung des Betriebsveräußerers ebenfalls auf eine nicht ordnungsgemäß durchgeführte Sozialauswahl i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG berufen, ohne dass die Gründe für den Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber bei der Abwägung der sozialen Auswahlkriterien zu berücksichtigen sind1.
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An sich nicht anrechnungsfähige frühere Beschäftigungszeiten bei demselben Arbeitgeber oder einem anderen Unternehmen können bei der Dauer der Betriebszugehörigkeit nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG durch einzelvertragliche Vereinbarung der Arbeitsparteien berücksichtigt werden. Die sich zu Lasten anderer Arbeitnehmer auswirkende Individualvereinbarung darf jedoch nicht rechtsmissbräuchlich sein und nur die Umgehung der Sozialauswahl bezwecken. Für eine Berücksichtigung der vertraglich vereinbarten Betriebszugehörigkeitszeiten muss ein sachlicher Grund vorliegen. Ein sachlicher Grund ist ohne Weiteres anzunehmen, wenn der Berücksichtigung früherer Beschäftigungszeiten ein arbeitsgerichtlicher Vergleich wegen eines streitigen Betriebsübergangs zugrunde liegt2.
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§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nennt als Auswahlgesichtspunkte enumerativ folgende vier Kriterien:
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1. Dauer der Betriebszugehörigkeit, 2. Lebensalter, 3. Unterhaltspflichten, 4. Schwerbehinderung des Arbeitnehmers. Jedem der vier Kriterien soll nach der gesetzgeberischen Begründung gleiches Gewicht zukommen. Weitere soziale Aspekte, wie z.B. besondere finanzielle Verpflichtungen oder ein etwaiger Verdienst des Ehegatten3, müssen nicht berücksichtigt werden. Zusätzliche Kriterien sind im Einzelfall ausnahmsweise 2000, 2641 (sog. „Kachelmann-Entscheidung“), wonach Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen einer Auslegung einer nationalen Bestimmung wie § 1 Abs. 3 KSchG nicht entgegenstünden, nach der teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl, die der Arbeitgeber bei der betriebsbedingten Streichung eines Teilzeitarbeitsplatzes vorzunehmen habe, generell nicht vergleichbar seien. 1 BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33. S. dazu auch Schumacher-Mohr/ Urban, NZA 2008, 513 ff.; Eylert/Spinner, BB 2008, 50 ff. Zur früheren Rechtsprechung s. die Ausführungen in der Voraufl. unter Teil 1 Rz. 316 ff. 2 BAG vom 2.6.2005 – 2 AZR 480/04, NZA 2006, 207. S. dazu auch Gaul/Süßbrich, ArbRB 2006, 54 ff. 3 S. dazu LAG Köln vom 3.5.2000 – 2 Sa 272/00, NZA-RR 2001, 247.
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Teil 1 Rz. 337
Arbeitsrechtliche Grundlagen
nur dann zu beachten, wenn sie in einem unmittelbaren spezifischen Sachzusammenhang mit den Grunddaten stehen oder sich aus solchen betrieblichen Gegebenheiten herleiten, die evident einsichtig sind. Als Beispiele werden in der Gesetzesbegründung Berufskrankheiten und vom Arbeitnehmer nicht verschuldete Arbeitsunfälle genannt, die zu Gunsten der betreffenden Arbeitnehmer berücksichtigt werden können1. 337
Da der Gesetzgeber für die Gewichtung der Auswahlkriterien bewusst keine starren Vorgaben festgelegt hat, kommen einem bestimmten Kriterium keine allgemeine Priorität gegenüber den anderen zu. Maßgebend sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalles2.
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Nach allgemeiner Ansicht können die Betriebspartner (insbesondere in einem Interessenausgleich/Sozialplan) Auswahlrichtlinien zur Durchführung der Sozialauswahl vereinbaren und die sozialen Gesichtspunkte bei der Auswahl von Arbeitnehmern bei betriebsbedingten Kündigungen auch mit Hilfe eines sog. Punkteschemas bewerten, wobei die Betriebspartner einen weiten Bewertungsspielraum haben, der es grundsätzlich auch erlaubt, einzelne Kriterien hervorzuheben3. Ein Punkteschema zur Gewichtung der Sozialdaten muss nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG in der seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung keine individuelle Abschlussprüfung mehr vorsehen4.
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In früheren Entscheidungen wurde vom BAG5 angenommen, dass, wenn mehreren Arbeitnehmern aus dringenden betrieblichen Gründen zur selben Zeit gekündigt werde, einem vergleichbaren Arbeitnehmer dagegen nicht, der erheblich weniger hart von der Kündigung betroffen sei, sich alle gekündigten Arbeitnehmer auf diesen Auswahlfehler mit Erfolg berufen könnten. Diese sog. „Domino-Theorie“ hat das BAG in einer Entscheidung vom 9.11.20066 ausdrücklich aufgegeben7. Der erste Leitsatz dieser Entscheidung lautet wie folgt: „Nimmt der Arbeitgeber die Sozialauswahl allein durch Vollzug eines zulässigen Punktesystems vor, so kann er auf die Rüge nicht ordnungsgemäßer Sozialauswahl mit Erfolg einwenden, der gerügte Auswahlfehler habe sich auf die Kündigungsentscheidung nicht ausgewirkt, weil der Arbeitnehmer nach der Punktetabelle auch bei Vorliegen des Auswahlfehlers zur Kündigung angestanden hätte.“
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Hat der Arbeitgeber entgegen § 1 Abs. 3 KSchG keine Sozialauswahl vorgenommen, so spricht eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Ver1 Vgl. BT-Drucks. 15/1204, S. 11. Kritisch dazu von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 930. 2 BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, NZA 2007, 1320. 3 BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 970 m. w. Nachw. 4 BAG vom 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. 5 BAG vom 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423; BAG vom 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, NZA 1990, 729. 6 BAG vom 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. 7 S. dazu auch Bauer/Gotham, BB 2007, 1729 ff.; Seel, MDR 2007, 249 ff.; Dathe, NZA 2007, 1205 ff.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 344 Teil 1
mutung dafür, dass die Auswahl auch im Ergebnis sozialwidrig ist. Der Arbeitgeber muss dann darlegen, weshalb trotz der gegen § 1 Abs. 3 KSchG verstoßenden Überlegungen ausnahmsweise im Ergebnis soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt sein sollen1. In die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sind gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.
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Bei der Herausnahme von „Leistungsträgern“ aus der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG muss der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen. Je schwerer das soziale Interesse wiegt, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein2.
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Die besonders hohe Krankheitsanfälligkeit eines Arbeitnehmers begründet bei der Sozialauswahl für sich noch kein berechtigtes betriebliches Interesse i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, einen anderen vergleichbaren und nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen3. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG fördert keine Negativauswahl. Entscheidend ist vielmehr, ob der „Leistungsträger“ dem Betrieb erhebliche Vorteile vermittelt. Eine Weiterbeschäftigung muss für den Betrieb von besonderer Bedeutung sein. Eine deutlich geringere Fehlzeitenquote allein reicht nicht aus. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn bei besonderen Arbeitsaufgaben oder Tätigkeitsbereichen ein kurzfristiger Einsatz anderer Arbeitnehmer nicht oder nur mit sehr großen Schwierigkeiten organisiert werden kann. Auch kann die Weiterbeschäftigung bestimmter sozial stärkerer Arbeitnehmer erforderlich sein, wenn im Betrieb nach einer Sozialauswahl nach allein sozialen Kriterien sonst nur noch bzw. im Wesentlichen nur noch Arbeitnehmer mit hohen Fehlzeiten verbleiben4.
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Ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann auch die Sicherung und damit die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur sein, wenn insbesondere bei einer Massenentlassung die Gefahr besteht,
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1 BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 879/06, NZA 2008, 1060. 2 BAG vom 12.4.2002 – 2 AZR 707/00, NZA 2003, 42; BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849; BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120. 3 BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, NZA 2007, 1362. S. zuvor bereits BAG vom 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung: Krankheitsbedingte Fehlzeiten stehen einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten nur dann entgegen, wenn zugleich die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung erfüllt sind. Zur Herausnahme eines Mitarbeiters aus der Sozialauswahl i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG wegen der Wahrnehmung von besonderen Aufgaben (im Streitfall: Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr) s. BAG vom 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA-RR 2007, 460. 4 BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, NZA 2007, 1362.
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Teil 1 Rz. 345
Arbeitsrechtliche Grundlagen
dass es durch eine Auswahl allein nach sozialen Gesichtspunkten zu erheblichen Verschiebungen in der Altersstruktur des Betriebes kommt, die im betrieblichen Interesse nicht hinnehmbar sind1. Das Verbot der Altersdiskriminierung (§§ 1, 10 AGG) steht – wie das BAG in einer Entscheidung vom 6.11.2008 zu Recht ausdrücklich klargestellt hat – weder der Berücksichtigung des Lebensalters im Rahmen der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) noch der Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) entgegen2. 345
Zu beachten ist hierbei, dass im Betrieb bereits eine ausgewogene Personalstruktur vorhanden sein muss, die gesichert werden soll. Die Schaffung oder Verbesserung einer ausgewogenen Personalstruktur im Zuge einer Massenkündigung stellt dagegen kein berechtigtes betriebliches Bedürfnis dar3. Die undifferenzierte Entlassung ausschließlich älterer Arbeitnehmer ist deshalb nicht möglich4. Eine – grundsätzlich zulässige – Altersgruppenbildung darf auch nicht dazu dienen, bestimmte Arbeitnehmer gezielt aus dem Betrieb zu drängen5.
346
Für die Bildung von Altersgruppen gibt das KSchG dem Arbeitgeber keine inhaltlichen und zeitlichen Vorgaben. Ob ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis am Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht, ist immer im Hinblick auf die speziellen Betriebszwecke und ggf. deren Umsetzung zu entscheiden. Der Arbeitgeber hat bei der Bildung der Altersgruppen – wie es das BAG formuliert – einen „gewissen Beurteilungsspielraum“6. Eine „gewisse Verzerrung“ der sozialen Auswahl ist nach Auffassung des BAG jeder Gruppenbildung – egal in welchen Altersschritten – immanent. Deshalb könne eine Sozialauswahl noch nicht allein mit der Begründung als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, eine Altersgruppenbildung könne nicht in Fünf-Jahres-Schritten vorgenommen werden7. Da der Arbeitgeber im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG für das Vorliegen der berechtigten betrieblichen Bedürfnisse darlegungs- und beweispflichtig sei, gehöre es zu seinem schlüssigen Sachvortrag, im Einzelnen darzulegen, welche konkreten Nachteile sich ergeben würden, wenn er die zu kündigenden Arbeitnehmer allein nach dem
1 BAG vom 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139. 2 BAG vom 6.11.2008 – 2 AZR 701/07, 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361. Ähnlich bereits zuvor BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2007, 405. 3 Vgl. BAG vom 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, NZA 2001, 601; ebenso (bereits zu § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG i. d. bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung) von HoyningenHuene/Linck, DB 1997, 41 (43); Wlotzke, BB 1997, 414 (418 f.); Kleinebrink, ArbRB 2003, 338 (339); Gaul, FA 2003, 177 (178). 4 S. dazu bereits LAG Schleswig-Holstein vom 8.7.1994 – 6 Sa 83/94, BB 1995, 2660; LAG Hamm vom 29.6.1995 – 17 Sa 1997/94, BB 1995, 2261. 5 BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, NZA 2007, 1320; von Hoyningen-Huene/Linck, DB 1997, 41 (43). 6 BAG vom 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = DB 2005, 1691 = BB 2005, 2083. 7 BAG vom 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = DB 2005, 1691 = BB 2005, 2083.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 347 Teil 1
Maßstab des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auswählen würde. Zum schlüssigen Sachvortrag des Arbeitgebers gehöre auch die Angabe, wieviel Prozent der potentiell zu kündigenden Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung den jeweiligen Altersgruppen angehörten und wie die einzelnen Kündigungen auf die einzelnen Altersgruppen verteilt worden seien, damit die bislang bestehende Alterstruktur erhalten bleibe. Eine nicht stringente Durchführung des Konzepts – z.B. durch Verschiebungen zu Lasten einer Altersgruppe – lasse die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl als sozial ungerechtfertigt erscheinen1. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG hat der Arbeitnehmer die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erscheinen lassen. Gleichwohl gilt nach ständiger Rechtsprechung des BAG2 für den Nachweis der vom Arbeitgeber vorgenommenen Sozialauswahl ein sog. abgestuftes System der Darlegungs- und Beweislast: – Zuerst hat der Arbeitnehmer vorzutragen, dass die soziale Auswahl fehlerhaft vorgenommen wurde. Ohne entsprechende Darlegung hat der Arbeitgeber keine Veranlassung, zur sozialen Auswahl Stellung zu nehmen. – Bestreitet der Arbeitnehmer die Richtigkeit der sozialen Auswahl und benennt er andere Arbeitnehmer, die weniger schutzbedürftig sein sollen, so hat er im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber die entsprechenden Behauptungen darzulegen und zu beweisen. – Ist der Arbeitnehmer nicht in der Lage, substantiiert zur sozialen Auswahl Stellung zu nehmen, und fordert er deshalb den Arbeitgeber auf, ihm die Gründe mitzuteilen, die ihn zur getroffenen Auswahlentscheidung veranlasst haben, so geht insoweit die Darlegungslast auf den Arbeitgeber über. Als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs, 2 KSchG hat der Arbeitgeber substantiiert auch im Prozess vorzutragen. Die aus der Mitteilungspflicht herzuleitende Vortragslast des Arbeitgebers ist jedoch auf die subjektiven, von diesem tatsächlich angestellten Überlegungen beschränkt. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die vollständige Auflistung aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer3. – Der bloße Vortrag des Arbeitnehmers, der Arbeitgeber habe soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend beachtet, ist allenfalls dann als unstreitig zu behandeln, wenn der Arbeitgeber keine oder keine vollständige Auskunft gibt, indem er die Namen der von ihm für vergleichbar angesehenen Arbeitnehmer nicht nennt. Bei fehlender eigener Kenntnis kann nämlich der Arbeitnehmer seiner aus § 1 Abs. 3 KSchG i.V. mit § 138 Abs. 1 ZPO herzuleitenden Substantiierungspflicht, die Namen sozial stärkerer Arbeitnehmer zu benennen, nicht genügen. Bleibt der Arbeitgeber bei seiner die
1 BAG vom 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = DB 2005, 1691 = BB 2005, 2083. 2 Grundlegend BAG vom 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG vom 18.1.2007 – 2 AZR 796/05, NZA 2008, 1208. 3 BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849.
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Arbeitsrechtliche Grundlagen
Auskunft verweigernden Haltung, hat er damit nach § 138 Abs. 2 ZPO nicht hinreichend bestritten1. – Die gleichen Erwägungen gelten dann, wenn dem Vortrag des Arbeitgebers zu entnehmen ist, dass er die Sozialauswahl nicht unter Berücksichtigung des Vortrags des Arbeitnehmers auf aus dessen Sicht vergleichbare Arbeitnehmer erstreckt hat und wenn er es unterlässt, seinen Vortrag im Prozess zu ergänzen. Demnach ist es im Prozess zunächst Sache des Arbeitnehmers, zu begründen, warum er mit Arbeitnehmern einer bestimmten Gruppe vergleichbar ist. Die bloße Behauptung, eine Vergleichbarkeit sei gegeben, reicht aber hierzu nicht aus. Soweit es ihm möglich ist, hat er darzulegen, welche Qualifikationsanforderungen bei der Ausübung der Tätigkeiten, für die er sich geeignet hält, zu erfüllen sind. Gleichzeitig hat er mitzuteilen, welche Fertigkeiten er wann und wie erworben hat und ob sie ihn zur Ausfüllung des von ihm angestrebten Arbeitsplatzes befähigen. Soweit er von einer gewissen Einarbeitungszeit ausgeht, hat er die von ihm angenommene Dauer anzugeben und zu begründen2. – Ergibt sich aus der Mitteilung des Arbeitgebers, dass er Tatsachen, die gemäß § 1 Abs. 3 KSchG objektiv erheblich sein können, wie z.B. die Nichtberücksichtigung der Arbeitnehmer einer bestimmten Betriebsabteilung, in seine subjektiven Erwägungen nicht einbezogen hat und behauptet der gekündigte Arbeitnehmer bei fehlender eigener Kenntnis, gerade aus diesen Tatsachen ergebe sich die Unrichtigkeit der sozialen Auswahl, so ist es eine Obliegenheit des Arbeitgebers, seinen Vortrag hinsichtlich dieser Tatsachen zu ergänzen. Anderenfalls ist der dem Kenntnisstand des Arbeitnehmers entsprechende und ihm konkreter nicht mögliche Vortrag, soziale Gesichtspunkte seien nicht ausreichend berücksichtigt, als unstreitig anzusehen3. – Grundsätzlich spricht eine Vermutung dafür, dass soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt wurden, wenn der Arbeitgeber betriebsweit den überwiegenden Teil der Belegschaft aus betriebstechnischen Gründen von der Austauschbarkeit generell ausnimmt und die Sozialauswahl auf den kleineren, verbleibenden Teil der Restbelegschaft beschränkt. Vielmehr muss der Arbeitgeber in jeder Qualifikationsstufe die Anzahl der austauschbaren Arbeitnehmer ermitteln und diejenigen Arbeitnehmer bestimmen, die sozial am wenigsten schutzbedürftig sind4. – Kommt der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers nach, so fällt die Darlegungslast wieder voll an den Arbeitnehmer zurück. Dieser hat nun darzulegen, wer von den in die Auswahl einbezogenen Arbeitnehmern weniger schutzbedürftig ist als er selbst. 348
Wenngleich durch dieses abgestufte System der Darlegungslast eine gewisse Verlagerung der durch das Gesetz in § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG an sich dem Arbeitnehmer zugewiesenen Beweislast auf den Arbeitgeber erfolgt, trifft das Ri1 2 3 4
BAG vom 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023. So ausdrücklich BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849. BAG vom 5.5.1994 – 2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023. BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 354 Teil 1
siko der Nichterweislichkeit der ausreichenden Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte letztlich den Arbeitnehmer1. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von berechtigten betrieblichen Interessen i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG trägt dagegen der Arbeitgeber2.
349
Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung gemäß § 1 Abs. 4 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
350
Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG i.V. mit § 1 Abs. 4 KSchG können die gesetzlichen Anforderungen für die Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern nicht verdrängen. § 1 Abs. 4 KSchG betrifft nur die Gewichtung von Auswahlkriterien und nicht die Zusammensetzung des auswahlrelevanten Personenkreises oder die Konkretisierung der entgegenstehenden betrieblichen Bedürfnisse i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Eine Auswahlrichtlinie kann deshalb nicht die Vergleichbarkeit oder Nichtvergleichbarkeit von Arbeitnehmern vorgeben, beispielsweise indem die Richtlinie Arbeitnehmer bestimmter Abteilungen oder Arbeitsgruppen zu Vergleichsgruppen zusammenfasst oder diese ohne ausreichende sachliche Kriterien als nicht vergleichbar einstuft3.
351
Eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG, die einen der sozialen Gesichts- 352 punkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der bei allen Arbeitnehmern vorliegen kann, nicht oder so gering bewertet, dass er in fast allen denkbaren Fällen nicht mehr den Ausschlag geben kann, erfüllt nicht die gesetzlichen Vorgaben des § 1 Abs. 4 KSchG. Sie ist deshalb nicht geeignet, den Arbeitgeber durch die Anwendung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs der groben Fehlerhaftigkeit zu privilegieren4. Grob fehlerhaft i.S. von § 1 Abs. 4 KSchG ist die Gewichtung der Sozialdaten dann, wenn sie jede Ausgewogenheit vermissen lässt5.
353
Die grobe Fehlerhaftigkeit einer Auswahlrichtlinie führt allein noch nicht zwingend zur Unwirksamkeit der Kündigung. Vielmehr gelten in dem Fall die allgemeinen Grundsätze zur Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG (s.o.
354
1 So zu Recht von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 1016. 2 Vgl. BAG vom 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = DB 2005, 1691 = BB 2005, 2083; BAG vom 22.9.2005 – 2 AZR 208/05, NZA 2007, 1320. 3 BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 m. w. Nachw. 4 BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, NZA 2006, 504 (im Streitfall wurde das Alter der Arbeitnehmer nach einer Punktetabelle mit einer Punktzahl von 0 bis 5 Punkten bewertet, während die anderen gesetzlichen Sozialkriterien mit höheren Punktzahlen bewertet wurden, was nach Auffassung des BAG zu dem Ergebnis geführt habe, dass bei der Sozialauswahl jeder „auch noch so erhebliche Altersunterschied der betroffenen Arbeitnehmer regelmäßig unberücksichtigt“ geblieben sei). 5 BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 m. w. Nachw.
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Arbeitsrechtliche Grundlagen
Rz. 322), so dass auch unzutreffende Erwägungen bei der Auswahl zufällig zu einer richtigen Auswahlentscheidung führen können. dd) Namentliche Bezeichnung der Arbeitnehmer im Interessenausgleich 355
Ganz erhebliche praktische Bedeutung hat die Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG, die zunächst durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz1 mit Wirkung vom 1.10.1996 in § 1 KSchG eingefügt, sodann mit Wirkung vom 1.1.1999 durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte2 ersatzlos aufgehoben und durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt3 mit Wirkung vom 1.1.2004 wortgleich wieder eingefügt worden ist.
356
Ziel dieser Vorschrift ist es, bei betriebsbedingten Kündigungen einer größeren Zahl von Arbeitnehmern, wie etwa im Falle der Stilllegung von Betriebsteilen, die Sozialauswahl für alle Beteiligten rechtssicherer zu gestalten. Wie die Erfahrungen in den Jahren 1997 und 1998 sowie die jüngsten Entscheidungen des BAG zeigen, kann diese Bestimmung ganz erheblich zur Erleichterung der Umsetzung von betriebsbedingten Kündigungen beitragen.
357
§ 1 Abs. 5 KSchG verstößt weder gegen Art. 12 Abs. 1 GG noch gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Gebot des fairen Verfahrens4.
358
Tatbestandlich setzt § 1 Abs. 5 KSchG zunächst eine Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG voraus, deren Vorliegen und Kausalität für die Kündigung des Arbeitnehmers der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen hat5. Ein „freiwilliger“ Interessenausgleich ohne Betriebsänderung reicht nicht aus6.
359
Weiterhin muss der Arbeitgeber den Interessenausgleich mit der für die Beteiligungsrechte der jeweiligen Betriebsänderung nach §§ 50, 58 BetrVG zuständigen Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat/Gesamtbetriebsrat/Konzernbetriebsrat) geschlossen haben7.
360
Der Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ist nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG schriftlich niederzulegen sowie vom Unternehmer und vom Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die §§ 125, 126 BGB anwendbar8. „Namentliche Bezeichnung“ der zu kündigenden Arbeitnehmer i.S. von § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG bedeutet die An1 2 3 4 5 6
BGBl. I S. 1476. BGBl. I S. 3843. BGBl. I S. 3002. BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633. BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 879/06, NZA 2008, 1060. Vgl. BAG vom 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103; Kleinebrink, ArbRB 2003, 338 (340); von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rz. 982 m. w. Nachw. 7 Vgl. BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633; KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703a m. w. Nachw. 8 BAG vom 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, NZA 2007, 266.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 362 Teil 1
gabe der Nach- und Vornamen1 der jeweiligen Arbeitnehmer, so dass sie eindeutig identifiziert werden können. Das Schriftformerfordernis ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht allein deshalb verletzt, weil die Namensliste nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist. Zwar spricht § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG davon, die namentliche Bezeichnung müsse „in einem Interessenausgleich“ erfolgen. Dieses Erfordernis ist aber erfüllt, wenn Interessenausgleich und Namensliste eine Urkunde bilden. Ausreichend ist es jedenfalls, wenn die Haupturkunde unterschrieben, in ihr auf die nicht unterschriebene Anlage ausdrücklich Bezug genommen ist und Haupturkunde und nachfolgende Anlage mittels Heftmaschine körperlich derart zu einer einheitlichen Urkunde verbunden sind, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung (Lösen der Heftklammer) möglich ist. Das Erfordernis der Einheit der Urkunde ist jedoch nicht bereits dann erfüllt, wenn eine bloß gedankliche Verbindung (Bezugnahme) zur Haupturkunde besteht. Vielmehr muss die Verbindung auch äußerlich durch tatsächliche Beifügung der in Bezug genommenen Urkunde zur Haupturkunde in Erscheinung treten. Deshalb müssen im Augenblick der Unterzeichnung die Schriftstücke als einheitliche Urkunde äußerlich erkennbar werden. Die erst nach Unterzeichnung erfolgte Zusammenheftung genügt daher dem Schriftformerfordernis nicht2.
Û
Hinweis: Zur Vermeidung unnötiger Rechtsstreitigkeiten, insbesondere über die (zwar nur formale, möglicherweise jedoch entscheidungserhebliche) Frage, ob eine – nicht unterschriebene – Namensliste mit einem Interessenausgleich bereits vor dessen Unterzeichnung hinreichend fest verbunden war, kann nur dringend empfohlen werden, die zu kündigenden Arbeitnehmer stets unmittelbar im Interessenausgleich namentlich zu bezeichnen.
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Abweichend von der Beweislastregel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG wird im Fal- 362 le der namentlichen Bezeichnung der zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S. des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Die nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG eingreifende Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung umfasst grundsätzlich auch das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens3. Für das Nichtvorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG hat der Arbeitnehmer somit den vollen Nachweis zu erbringen4. Insoweit reicht es nicht aus, dass der Arbeitnehmer die Betriebsbedingtheit der Kündigung erschüttert. Vielmehr muss er substantiiert darlegen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber auch beweisen, dass seiner Weiterbeschäftigung keine drin1 Zu weit KR-Griebeling, § 1 KSchG Rz. 703c, wonach „ggf. auch Spitznamen“ der Arbeitnehmer erwähnt werden müssten. 2 So ausdrücklich BAG vom 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, NZA 2007, 266. 3 BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633. 4 Vgl. BAG vom 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, NZA 1998, 933; BAG vom 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720.
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Teil 1 Rz. 363
Arbeitsrechtliche Grundlagen
genden betrieblichen Erfordernisse entgegenstehen. Gleiches gilt für eine von ihm behauptete Möglichkeit der Weiterbeschäftigung im Betrieb oder Unternehmen1. Die Darlegungslast des Arbeitgebers beschränkt sich insoweit auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG. 363
Die soziale Auswahl kann bei namentlicher Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer im Interessenausgleich gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit beschränkt sich – anders als bei Auswahlrichtlinien i.S. von § 1 Abs. 4 KSchG (s.o. Rz. 351) – nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung. Vielmehr ist auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen2. „Grob fehlerhaft“ ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein „evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt“3.
364
Die Richtigkeitsvermutung hinsichtlich der betriebsbedingten Notwendigkeit der Kündigung und die Beschränkung der Überprüfung der Sozialauswahl gelten nicht, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat, § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG. Eine wesentliche Änderung der Sachlage ist z.B. anzunehmen, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG, auf die sich der Interessenausgleich bezieht, nicht mehr vorliegen oder sich die Anzahl der zu kündigenden Arbeitnehmer erheblich verringert, weil der Betrieb nicht ganz oder teilweise stillgelegt, sondern fortgeführt oder veräußert werden soll. Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG ist der Arbeitnehmer.
365
Nach § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG ersetzt der Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, die der Arbeitgeber bei einer Massenentlassung seiner Anzeige gegenüber der Arbeitsagentur beizufügen hat. Der Anzeige ist der Interessenausgleich einschließlich der Namensliste beizufügen.
366
Zu beachten ist schließlich, dass die namentliche Bezeichnung der zu kündigenden Arbeitnehmer nicht die nach § 102 BetrVG erforderliche Betriebsratsanhörung ersetzt. Vielmehr bedarf es auch beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG bei Kündigungen der
1 Vgl. BAG vom 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, NZA 1998, 933, zu § 1 Abs. 5 KSchG i.d. bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung. 2 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 760/05, NZA 2007, 1319. S. auch BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 879/06, NZA 2008, 1060: Der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit i.S. von § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG umfasst auch dann die Bildung des auswahlrelevanten Personenkreises, wenn es um die Frage geht, ob Arbeitnehmer einer anderen Arbeitsstätte in die Auswahl einzubeziehen sind. 3 So wörtlich BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 760/05, NZA 2007, 1319; BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, NZA-RR 2008, 571; BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 879/06, NZA 2008, 1060.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 368 Teil 1
vorherigen Anhörung des Betriebsrats nach Maßgabe des § 102 BetrVG. Bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste kann der Arbeitgeber zwar die Anhörung nach § 102 BetrVG mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbinden. Sie muss jedoch wie die Anhörung des Betriebsrats zu jeder Kündigung den von der Rechtsprechung zu § 102 BetrVG aufgestellten Grundsätzen (s.u. Rz. 633 ff.) entsprechen1. Wenn auch die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste keinen erleichterten Anforderungen unterliegt, so bedarf es bei Einleitung des Anhörungsverfahrens keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber, wenn der Betriebsrat bereits aufgrund der Interessenausgleichsverhandlungen über die erforderlichen Kenntnisse für eine sachgerechte Stellungnahme zu den konkret beabsichtigten Kündigungen verfügt2. ee) Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung Durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.20033 wurde mit Wirkung vom 1.1.2004 die Regelung des § 1a zum Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung in das Kündigungsschutzgesetz eingefügt.
367
Nach der gesetzgeberischen Begründung sollte durch diesen gesetzlichen Abfindungsanspruch eine „einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess“ eingeführt werden. Dieses Ziel, eine Verringerung der Kündigungsschutzprozesse herbeizuführen, mag zwar durchaus gut gemeint sein. Für die betriebliche Praxis ist § 1a KSchG indes völlig unbrauchbar4. Denn erstens kann, wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, nicht ernsthaft davon ausgegangen werden, dass sich Arbeitnehmer, denen es um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes oder um eine weitaus höhere als die in § 1a Abs. 2 KSchG geregelte Abfindung geht, durch ein Abfindungsangebot i.S. des § 1a KSchG von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage gewissermaßen „abschrecken“ lassen. Zweitens werden allein mit dem Angebot einer Abfindungszahlung in einer Kündigungserklärung – anders als dies bei einem Aufhebungsvertrag regelmäßig der Fall ist – die Modalitäten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht geklärt. Drittens stellt die Abfindungszusage in einer Kündigungserklärung anders als ein Prozessvergleich mangels diesbezüglicher gesetzlicher Regelung in § 1a KSchG oder in der ZPO keinen vollstreckungsfähigen Titel dar, so dass der Arbeitnehmer gehal-
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1 BAG vom 21.1.2005 – 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162. A.A. Gehlhaar, DB 2008, 1496 (1500), wonach § 1 Abs. 5 KSchG im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast zur Betriebsratsanhörung analog anzuwenden sei, so dass bei Vorliegen eines wirksamen Interessenausgleichs mit Namensliste auch die inhaltliche Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung vermutet werde. 2 LAG Rheinland-Pfalz vom 2.2.2006 – 1 Sa 673/05, NZA-RR 2006, 296. Ähnlich LAG Brandenburg vom 13.10.2005 – 9 Sa 205/05, NZA-RR 2006, 69. 3 BGBl. I S. 3002. 4 Zu den sich aus § 1a KSchG ergebenden rechtlichen und praktischen Problemen im Einzelnen s. Grobys, DB 2003, 2174 ff.
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Teil 1 Rz. 369
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ten ist, gegen den Arbeitgeber einen Rechtsstreit zu führen, sofern letzterer die in der Kündigungserklärung angebotene Abfindung nicht zahlt1. 369
Erste Entscheidungen des BAG zu § 1a KSchG verdeutlichen, dass der Gesetzgeber das mit dieser Regelung offenbar verfolgte Ziel der Befriedungsfunktion grundlegend verfehlt hat: (1) Zeitpunkt des Entstehens des Abfindungsanspruchs
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Der Anspruch nach § 1a KSchG entsteht erst mit Ablauf der Kündigungsfrist der zugrunde liegenden betriebsbedingten Kündigung. Endet das Arbeitsverhältnis vorher durch Tod des Arbeitnehmers, geht der Anspruch deshalb nicht nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben über2.
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Für einen unmittelbar vor dem Dahinscheiden befindlichen Arbeitnehmer bzw. für dessen Erben hat daher ein in der Kündigungserklärung enthaltenes Abfindungsangebot – insbesondere bei längerer Kündigungsfrist – keinen wirtschaftlichen Wert. (2) Abfindungsanspruch bei Rücknahme der Kündigungsschutzklage
372
Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a Abs. 1 KSchG entsteht nach einer Entscheidung des BAG vom 13.12.20073 im Hinblick auf den Zweck, die außergerichtliche Streiterledigung zu fördern, nicht, wenn der Arbeitnehmer die Kündigung zunächst klageweise angreift und die Klage später zurücknimmt. Dies gilt auch für eine nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist eingereichte (Kündigungsschutz-)Klage und einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 KSchG. Durch eine Rücknahme des Antrags auf nachträgliche Klagezulassung und/oder die Rücknahme der Kündigungsschutzklage können die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht mehr – nachträglich – erfüllt werden. Anderenfalls würde der Arbeitgeber mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses konfrontiert werden, die er gerade mit dem Angebot einer Abfindungszahlung vermeiden wollte4. (3) Höhe des Abfindungsanspruchs
373
Gemäß § 1a Abs. 2 KSchG beträgt die Höhe der vom Arbeitgeber im Kündigungsschreiben anzubietenden Abfindung 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Keine unmissverständliche Antwort 1 Vgl. Bauer, IV Rz. 337, wonach deshalb der Weg über § 1a KSchG für den Arbeitnehmer „unattraktiv“ sein könne. 2 BAG vom 10.5.2007 – 2 AZR 45/06, NZA 2007, 1043. 3 BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 971/06, NZA 2008, 696. 4 BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 971/06, NZA 2008, 696. Die seinerzeit nicht völlig abwegige Befürchtung von Bauer, IV Rz. 335, die vom Arbeitgeber angebotene Abfindung könne vom Arbeitnehmer entgegen der eigentlichen Absicht des Gesetzgebers als „Mindestregelung“ genutzt werden, ist nach dieser Entscheidung nicht mehr zu erwarten.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 376 Teil 1
gibt § 1a Abs. 2 KSchG auf die Frage, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben auch eine geringere Abfindung anbieten kann. Nach Auffassung des BAG steht die Regelung des § 1a KSchG der Auslegung eines Kündigungsschreibens als eigenständiges, von den Voraussetzungen des § 1a KSchG unabhängiges Änderungsangebot nicht entgegen. Diese Vorschrift setze keinen generell unabdingbaren Mindestanspruch bei Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen fest. Wolle der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit Ausspruch der Kündigung ein Angebot auf Abschluss eines Beendigungsvertrags unterbreiten, ohne jedoch die gesetzliche Abfindung nach § 1a KSchG anbieten zu wollen, sei er aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung gehalten, dies in der schriftlichen Kündigung unmissverständlich zu formulieren, insbesondere welche Abfindung er unter welchen Voraussetzungen anbiete1.
374
ff) Mischtatbestände Wird eine nach § 1 KSchG zu beurteilende ordentliche Kündigung mit einem Kündigungssachverhalt begründet, der mehrere in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG geregelte Gründe berührt (Kündigung wegen eines sog. Mischtatbestandes), so richtet sich der Prüfungsmaßstab in erster Linie danach, aus welchem der im Gesetz genannten Bereiche die Störung kommt, die sich auf das Arbeitsverhältnis nachteilig auswirkt2.
Û
375
Beispiel: Beruhen z.B. bei einer Kündigung wegen Störungen des Betriebsablaufs, die auf den Arbeitnehmer zurückzuführen sind, die Störungen auf der fehlenden Eignung des Arbeitnehmers, so liegt ein personenbedingter Kündigungsgrund vor. Sind dagegen die Störungen auf Schlechtleistungen zurückzuführen, handelt es sich um einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund.
Wird die Kündigung sowohl auf personen- als auch auf verhaltensbedingte Gründe gestützt (z.B. Kündigung wegen hoher krankheitsbedingter Fehlzeiten und Verletzung der Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall), ist zu prüfen, ob jeder Kündigungssachverhalt für sich geeignet ist, die Kündigung zu rechtfertigen. Ist dies nicht der Fall, so hat nach der Rechtsprechung des BAG3 eine gesamteinheitliche Betrachtung zu erfolgen, innerhalb derer zu klären ist, ob die Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit geeignet sind, Umstände darzustellen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Betriebspartner und des Betriebs die Kündigung als billigenswert erscheinen lassen. 1 BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 807/06, NZA 2008, 904; BAG vom 10.7.2008 – 2 AZR 209/07, NZA 2008, 1292. 2 BAG vom 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, NZA 1986, 713; BAG vom 6.11.1997 – 2 AZR 94/97, NZA 1998, 143 – zur Kündigung bei Wegfall eines leistungsgerechten Arbeitsplatzes wegen betrieblicher Organisationsänderung. 3 BAG vom 22.7.1982 – 2 AZR 30/81, DB 1983, 180; BAG vom 20.11.1997 – 2 AZR 643/96, NZA 1998, 323.
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376
Teil 1 Rz. 377
Arbeitsrechtliche Grundlagen
gg) Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes 377
Da es – wie bereits ausgeführt (s.o. Rz. 240) – für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ankommt, haben später eintretende Umstände keinen Einfluss auf deren Wirksamkeit. In einer Grundsatzentscheidung vom 27.2.19971 hat der 2. Senat des BAG allerdings für solche Fälle einen sog. Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers erstmals ausdrücklich anerkannt. In der Entscheidung heißt es u.a.: „Beruht eine betriebsbedingte Kündigung auf der Prognose des Arbeitgebers, bei Ablauf der Kündigungsfrist könne er den Arbeitnehmer (z.B. wegen Betriebsstilllegung) nicht mehr weiterbeschäftigen, und erweist sich die Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch (z.B. weil es doch zu einem Betriebsübergang kommt), so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.“
378
Dagegen soll der Arbeitnehmer nach einer Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 6.8.19972 keinen Wiedereinstellungsanspruch haben, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist und der Kündigungsgrund erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entfällt, wobei dies auch dann gelte, wenn zu diesem Zeitpunkt noch ein Kündigungsschutzverfahren andauere. Kurze Zeit später hat dagegen der 2. Senat des BAG offen gelassen, ob ein Wiedereinstellungsanspruch auch dann entstehen kann, wenn der Arbeitgeber erst nach Ablauf der Kündigungsfrist die Unternehmerentscheidung, die zur Entlassung geführt habe, aufhebe oder ändere3. Gleichwohl hat der 7. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 28.6.20004 seine hiervon insoweit abweichende Rechtsprechung ausdrücklich bestätigt5. Nach Auffassung des 8. Senats des BAG kommt, sofern die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entsteht, ein Wiedereinstellungsanspruch „nur ausnahmsweise“ in Betracht. Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, dem der Arbeitnehmer zugeordnet gewesen sei, gemäß § 613a BGB auf einen Betriebserwerber übergehe oder wenn während des Laufs der Kündigungsfrist der Betriebsübergang zwar beschlossen, aber noch nicht vollzogen sei6.
379
Ergibt sich nach Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen nur für einen Teil der entlassenen Arbeitnehmer die Möglichkeit der (Weiter-)Beschäfti1 BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; bestätigt durch BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. S. dazu auch Meyer, BB 2000, 1032 ff. 2 BAG vom 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254. Ebenso Linck, FA 2000, 334 (338). 3 BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. 4 BAG vom 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097. 5 Zu dieser Problematik s. auch Günzel, DB 2000, 1227 ff. 6 BAG vom 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; BAG vom 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, BB 2008, 2233.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 381 Teil 1
gung, hat der Arbeitgeber bei der Auswahl der wiedereinzustellenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte (Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung der Arbeitnehmer) zu berücksichtigen1. Dem Wiedereinstellungsanspruch können jedoch berechtigte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Diese können auch darin bestehen, dass der Arbeitgeber den in Betracht kommenden Arbeitsplatz bereits wieder besetzt hat. Demgegenüber kann sich der Arbeitgeber auf die Neubesetzung des Arbeitsplatzes nicht berufen, wenn hierdurch der Wiedereinstellungsanspruch treuwidrig vereitelt wird, etwa wenn er einen freien geeigneten Arbeitsplatz in Kenntnis des Wiedereinstellungsverlangens anderweitig besetzt hat. In einem solchen Fall kommt außerdem ein auf Wiedereinstellung gerichteter Schadensersatzanspruch in Betracht2. Ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, von sich aus einen Arbeitnehmer über eine sich unvorhergesehen ergebende Beschäftigungsmöglichkeit zu unterrichten, soll nach Auffassung des BAG gemäß § 242 BGB von den Umständen des Einzelfalls abhängen3. Ein Wiedereinstellungsanspruch gegen den früheren Arbeitgeber kann ferner 380 nach Auffassung des BAG4 aus Vertrauensgesichtspunkten gerechtfertigt sein, wenn sich ein Arbeitnehmer auf Veranlassung seines (früheren) Arbeitgebers bereit erklärt, zu einem Tochterunternehmen überzuwechseln, obwohl nach wie vor die Arbeit im Wesentlichen für den bisherigen Arbeitgeber zu verrichten ist, der neue Arbeitgeber zeitnah insolvent wird und der Insolvenzverwalter daraufhin das Arbeitsverhältnis wirksam betriebsbedingt kündigt. Eine Wiedereinstellungspflicht soll sich insbesondere daraus ergeben können, dass der bisherige Arbeitgeber bei Vertragsumstellung den Anschein erweckt hat, er werde bei einer Insolvenz des Tochterunternehmens für eine Weiterbeschäftigung sorgen, wenn noch genügend Arbeit vorhanden sei5. Haben die Arbeitsvertragsparteien noch während der Kündigungsfrist durch einen gerichtlichen Vergleich das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgehoben, so kann dieser Vergleich nach einer Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 4.12.19976 wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) an die geänderte betriebliche Situation anzupassen sein, u.U. mit dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer wiedereinzustellen sei und die Abfindung zurückzuzahlen habe7. Dagegen nimmt der 7. Senat des BAG in einer 1 BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. Ähnlich BAG vom 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097. 2 BAG vom 23.2.2000 – 7 AZR 891/98, NZA 2000, 894; BAG vom 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097. 3 BAG vom 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 894. 4 BAG vom 21.2.2002 – 2 AZR 749/00, NZA 2002, 1416. 5 BAG vom 21.2.2002 – 2 AZR 749/00, NZA 2002, 1416. 6 BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701; ablehnend Linck, FA 2000, 334 (338). 7 Ähnlich BAG vom 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148 = DB 2008, 1974 = BB 2008, 2020: Kommt es auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Veranlassung einer betriebsbedingten Kündigung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, ist dieser nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen, wenn sich in der Zeit zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und dem verein-
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381
Teil 1 Rz. 382
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Entscheidung vom 28.6.20001 an, ein Abfindungsvergleich könne dem Wiedereinstellungsanspruch entgegenstehen. Ein Abfindungsvergleich entfalle nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur dann, wenn das Festhalten an ihm für eine Partei unzumutbar sei. Allerdings sei der Arbeitgeber berechtigt, den Abfindungsvergleich auch bei der Auswahl des wiedereinzustellenden Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Dieses Problem dürfte dann nicht auftreten, wenn der Arbeitnehmer auf die Geltendmachung eines Wiedereinstellungsanspruchs verzichtet hat (s.u. Rz. 386). 382
Von mehreren Instanzgerichten2 wird angenommen, dass der Wiedereinstellungsanspruch nach einer betriebsbedingten Kündigung unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Wochen nach Kenntniserlangung von den anspruchsbegründenden Tatsachen, geltend zu machen ist. Für den Fall eines Betriebsübergangs hat nunmehr der 8. Senat des BAG ausdrücklich entschieden, dass der gekündigte Arbeitnehmer entsprechend der Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechts (vgl. § 613a Abs. 6 BGB) auch das Wiedereinstellungsoder Fortsetzungsverlangen innerhalb einer Frist von einem Monat ab dem Zeitpunkt, zu dem er von dem den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen Kenntnis erlangt, gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber bzw. nach erfolgtem Betriebsübergang gegenüber dem Betriebserwerber geltend machen muss3. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung bei nachträglichem Wegfall des die Kündigung sozial rechtfertigenden Grundes setzt ferner die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes voraus4.
383
Für die Begründung der Voraussetzungen eines Wiedereinstellungsanspruchs nach einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung genügt es nach einer Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 17.6.19995 nicht, dass der Arbeitnehmer Tatsachen vorträgt, die die negative Gesundheitsprognose erschüttern. Vielmehr komme ein Wiedereinstellungsanspruch allenfalls dann in Betracht, wenn nach dem Vorbringen des Arbeitnehmers von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen sei. Darlegungs- und beweispflichtig für
1 2
3 4 5
barten Vertragsende unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer ergibt. Die Vertragsanpassung kann dabei auch in einer Wiedereinstellung liegen. BAG vom 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097. ArbG Frankfurt a.M. vom 20.7.1999 – 5 Ca 7905/97, NZA-RR 1999, 580 (rechtskräftig); LAG Hamm vom 11.5.2000 – 4 Sa 1469/99, BB 2000, 1630 (rechtskräftig). Zur zeitlichen Begrenzung eines Wiedereinstellungsanspruchs bei Betriebsveräußerung in der Insolvenz s. LAG Hamm vom 27.3.2003 – 4 Sa 189/02, NZA-RR 2003, 652. BAG vom 25.20.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; BAG vom 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29. LAG Hessen vom 7.3.2000 – 9 Sa 1077/99, NZA 2001, 553. BAG vom 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. S. dazu aber auch LAG Hamm vom 24.6.1999 – 8 Sa 2071/98, NZA 2000, 320, wonach für einen Wiedereinstellungsanspruch bereits die Erschütterung der Negativprognose ausreichend sei, wenn im Zuge des Kündigungsschutzprozesses durch Einholung eines Sachverständigengutachtens eine auf den Feststellungen des behandelnden Arztes beruhende Fehlzeitenprognose entkräftet werde.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 387 Teil 1
das Vorliegen einer solchen positiven Gesundheitsprognose als Voraussetzung eines eventuellen Wiedereinstellungsanspruchs ist der Arbeitnehmer1. In einer Entscheidung vom 27.6.2001 ließ es der 7. Senat des BAG2 dahin- 384 gestellt, ob nach einer krankheitsbedingten Kündigung ein Wiedereinstellungsanspruch überhaupt in Betracht kommt. Jedenfalls könne ein wegen Krankheit wirksam gekündigter Arbeitnehmer seine Wiedereinstellung dann nicht verlangen, wenn die überraschende grundlegende Besserung seines Gesundheitszustands erst lange nach der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (im zugrundeliegenden Fall: 14 Monate nach Zugang der Kündigung und acht Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist) eingetreten ist. Im Übrigen kann sich ein Wiedereinstellungsanspruch nur auf solche Tätigkeiten beziehen, die nach dem Arbeitsvertrag geschuldet wurden und die der Arbeitgeber einseitig zuweisen konnte. Höherwertige oder geringwertigere Beschäftigungen können nicht Gegenstand eines Wiedereinstellungsanspruchs sein3. Hinsichtlich eines Wiedereinstellungsanspruchs bei nachträglichem Wegfall eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes hat der 2. Senat des BAG am 20.8.19974 entschieden, dass die Einstellung eines gegen die Arbeitnehmerin eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (§ 170 Abs. 2 StPO) weder zur Unwirksamkeit der wegen strafbarer Handlung bzw. wegen Verdachts einer strafbaren Handlung ausgesprochenen Kündigung noch zu einem Wiedereinstellungsanspruch der Arbeitnehmerin führt.
385
Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer auf dessen Geltendmachung rechtswirksam verzichtet hat. Unterzeichnet der Arbeitnehmer eine sog. Klageverzichtserklärung, derzufolge er gegen eine Kündigung, die er bereits erhalten hat, keine Einwendungen erhebt und auf das Recht verzichtet, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, so verzichtet er damit zugleich auf einen – möglicherweise bestehenden – Wiedereinstellungsanspruch5. Ebenso erfasst eine sog. Abkehrvereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt endet und mit Erfüllung der Abkehrvereinbarung alle gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis und aus dessen Beendigung ausgeglichen und abgegolten sind, auch einen Anspruch auf Wiedereinstellung und Weiterbeschäftigung6.
386
c) Änderungskündigung Bei einer Änderungskündigung handelt es sich um eine echte Kündigung, mit welcher der Arbeitgeber die inhaltliche Änderung des Arbeitsvertrages herbei1 BAG vom 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. 2 BAG vom 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, NZA 2001, 1135. Ebenso die Vorinstanz (LAG Hamm vom 28.7.1999 – 18 Sa 2523/97, NZA-RR 2000, 134). 3 So zu Recht LAG Berlin vom 18.6.2002 – 12 Sa 2413/01, NZA-RR 2003, 66. 4 BAG vom 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340. 5 ArbG Düsseldorf vom 4.10.1999 – 7 Ca 4497/99, DB 2000, 2022 (rechtskräftig). 6 LAG Hamm vom 20.9.1999 – 19 Sa 658/99, BB 2000, 308 (rechtskräftig).
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Teil 1 Rz. 388
Arbeitsrechtliche Grundlagen
führen will, die aber zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, wenn der Arbeitnehmer nicht in die angebotene Änderung des Arbeitsvertrages einwilligt. Bestandteile der Änderungskündigung sind zum einen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, zum anderen das damit verbundene Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen (vgl. § 2 Satz 1 KSchG). 388
Besondere Bedeutung kommt der Änderungskündigung in der betrieblichen Praxis zu, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zwar nicht mehr zu den ursprünglichen, dafür aber zu veränderten Bedingungen möglich und zumutbar ist. In dem Fall folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass der Arbeitgeber gehalten ist, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Beendigungskündigung von sich aus eine mögliche Weiterbeschäftigung zu veränderten Bedingungen anzubieten (s. dazu bereits o. Rz. 238 und 319 f.).
389
Die Änderungskündigung muss ein konkretes Änderungsangebot enthalten, in dem die angestrebten Änderungen hinreichend bestimmt, also vom Arbeitgeber genau bezeichnet werden müssen1. Außerdem muss das Änderungsangebot zeitgleich mit der Kündigung unterbreitet werden2. Zum Schriftformerfordernis des Änderungsangebots s. bereits o. Rz. 130. Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze zur Erklärung, zum Zugang und zur Fehlerhaftigkeit einer Kündigung (s.o. Rz. 124 bis 170) in gleicher Weise für die Änderungskündigung.
390
Von der Änderungskündigung zu unterscheiden ist die sog. Teilkündigung. Mit ihr sollen nur einzelne Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis beseitigt werden, während der Arbeitsvertrag im Übrigen weiter bestehen soll. Eine solche Teilkündigung ist grundsätzlich unzulässig3. Möglich ist dagegen, dass im Arbeitsvertrag für einzelne Vertragsbedingungen (insbesondere für freiwillige Leistungen des Arbeitgebers) ein sog. Widerrufsvorbehalt vereinbart wird. Einzelheiten hierzu s.u. Teil 2 Rz. 62 ff.
391
Kann der Arbeitgeber die beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen bereits durch Ausübung seines Direktionsrechts erreichen, ist eine „überflüssige“ Änderungskündigung wegen der damit verbundenen Bestandsgefährdung jedenfalls dann unverhältnismäßig mit der Folge der Unwirksamkeit, wenn 1 LAG Hamm vom 25.7.1996 – 16 Sa 2025/95, LAGE § 2 KSchG Nr. 4, zu 2. der Gründe; LAG Rheinland-Pfalz vom 15.3.2002 – 3 Sa 1098/01, NZA-RR 2002, 670 (671) m. w. Nachw. S. dazu auch LAG Berlin vom 13.1.2000 – 10 Sa 2194/99, NZA-RR 2000, 302: Das Änderungsangebot des Arbeitgebers muss so eindeutig fixiert sein, dass es der Arbeitnehmer mit einem einfachen „ja“ annehmen kann. Ebenso Hoß, ArbRB 2003, 344; Berkowsky, NZA-RR 2003, 449 (454). 2 LAG Rheinland-Pfalz vom 15.3.2002 – 3 Sa 1098/01, NZA-RR 2002, 670 (671). 3 BAG vom 7.10.1982 – 2 AZR 455/80, DB 1983, 1368; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rz. 59 m. w. Nachw. Lediglich beim Datenschutzbeauftragten soll ein Entzug von dessen Aufgaben im Hinblick auf § 4f Abs. 3 Satz 4 Halbs. 1 BDSG mit dem Mittel der Teilkündigung erfolgen können, vgl. BAG vom 13.3.2007 – 9 AZR 612/05, NZA 2007, 563.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 392 Teil 1
der Arbeitnehmer das Änderungsangebot nicht (unter Vorbehalt) angenommen, sondern endgültig abgelehnt hat1.
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Hinweis: Bestehen im Einzelfall Zweifel, ob der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts zur Änderung von einzelnen Arbeitsbedingungen berechtigt ist, sollte vorsorglich eine Änderungskündigung ausgesprochen werden2.
Da es sich bei der Änderungskündigung um eine echte Kündigung handelt, unterliegt sie nach § 102 Abs. 1 BetrVG der Anhörung des Betriebsrats (s.u. Rz. 633 ff.). Im Rahmen dieses Anhörungsverfahrens hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat sowohl die Gründe für die Änderung der Arbeitsbedingungen als auch das Änderungsangebot mitzuteilen3. Eine Änderungskündigung ohne vorherige (ordnungsgemäße) Anhörung des Betriebsrats ist unwirksam, § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Wird mit der Änderungskündigung eine Umgruppierung oder eine Versetzung angestrebt, so greift in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern daneben das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG ein. Die Anhörung bzw. Unterrichtung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG und § 102 Abs. 1 BetrVG kann der Arbeitgeber verbinden. Er muss dabei zu erkennen geben, dass er mit dem Antrag auf Zustimmung zur geplanten Umgruppierung oder Versetzung gleichzeitig das Anhörungsverfahren zur Änderungskündigung einleiten will4. Der Betriebsrat kann aus den in § 99 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 BetrVG genannten Gründen seine Zustimmung zur Umgruppierung oder Versetzung verweigern. Geschieht dies nach Maßgabe von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG (innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber schriftlich unter Angabe der Gründe), kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung beantragen (§ 99 Abs. 4 BetrVG). Ist die personelle Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich, kann sie der Arbeitgeber unter Beachtung der formalen Voraussetzungen des § 100 BetrVG vorläufig durchführen. Die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG ist Wirksamkeitsvoraussetzung nur für die tatsächliche Zuweisung des neuen Arbeitsbereichs nach Ablauf der Kündigungsfrist. Dagegen führt die nicht erteilte oder ersetzte Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG nicht zur – schwebenden – Unwirksamkeit der Änderungskündigung. Solange das Verfahren nach § 99 BetrVG nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, kann der Arbeitgeber nur die geänderten Vertragsbedingungen nicht durchsetzen. Der Arbeitnehmer ist dann in dem alten Arbeitsbereich weiterzubeschäftigen, der 1 BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 368/06, NZA-RR 2008, 291. Hat dagegen der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt angenommen, ist dessen Änderungsschutzklage unbegründet, wenn die betreffenden Arbeitsbedingungen zum Kündigungszeitpunkt aus anderen Gründen schon gelten, vgl. BAG vom 26.8.2008 – 1 AZR 353/07, DB 2009, 461. Einzelheiten zur Abgrenzung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts von der Änderungskündigung s. bei Weber/Ehrich, BB 1996, 2246 ff. 2 So zu Recht Bauer, II Rz. 75. 3 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rz. 168 m. w. Nachw. 4 Weber/Ehrich, BB 1996, 2246 (2253).
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Teil 1 Rz. 393
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ihm nicht wirksam entzogen worden ist1. Ebenso soll der Arbeitgeber nach einer – bedenklichen – Entscheidung des BAG vom 17.6.19982 eine sozial gerechtfertigte Änderung der Arbeitsbedingungen, die im Rahmen einer nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Maßnahme erfolgt ist, lediglich nicht durchsetzen können, solange die Mitbestimmung nicht durchgeführt worden ist. 393
Bei Ausspruch einer Änderungskündigung hat der Arbeitnehmer drei Möglichkeiten, hierauf zu reagieren: (1) Er kann das Angebot annehmen und zu den geänderten Bedingungen weiter arbeiten. (2) Er kann das Angebot zu einer Vertragsänderung ablehnen und die allgemeine Kündigungsschutzklage erheben. Die Änderungskündigung ist damit rechtlich eine Beendigungskündigung. Obsiegt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess, so bleibt es bei den bisherigen Vertragsbedingungen. Verliert er, so ist das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet worden. (3) Er kann das Angebot, zu geänderten Bedingungen weiterzuarbeiten, unter dem Vorbehalt annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist, § 2 Satz 1 KSchG.
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Die Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt muss der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung, erklären, § 2 Satz 2 KSchG. Die Erklärung der Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Der Vorbehalt muss dem Arbeitgeber innerhalb der maßgebenden Frist zugegangen sein. Der Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung ist sonach nicht entscheidend. Neben der Erklärung des Vorbehalts innerhalb der Frist des § 2 Satz 2 KSchG bedarf es der Erhebung der Änderungsschutzklage innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG. Wird diese Frist versäumt, so erlischt der vom Arbeitnehmer erklärte Vorbehalt (§ 7 letzter Halbs. KSchG). Aufgrund der seit dem 1.1.2004 geltenden Neuregelung des § 4 Satz 1 KSchG (s.u. Rz. 413 ff.) muss der Arbeitnehmer die Änderungsschutzklage auch dann innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Änderungskündigung erheben, wenn er sich auf sonstige Unwirksamkeitsgründe (wie z.B. die nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung i.S. von § 102 BetrVG) berufen will.
395
Der Vorbehalt kann auch in die Klageschrift der Änderungsschutzklage aufgenommen werden. Zu berücksichtigen ist hierbei aber, dass die Wahrung der Klagefrist des § 4 KSchG nicht identisch ist mit der Frist des § 2 Satz 2 KSchG. Denn die Vorschriften über die Klagezustellung (§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit §§ 495, 270 Abs. 3 ZPO) finden auf die Vorbehaltsfrist des § 2 Satz 2
1 Weber/Ehrich, BB 1996, 2246 (2253). 2 BAG vom 17.6.1998 – 2 AZR 336/97, NZA 1998, 1225.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 398 Teil 1
KSchG keine Anwendung1. Wird die Klageschrift dem Arbeitgeber nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 2 Satz 2 KSchG, sondern erst „demnächst“ i.S. von § 270 Abs. 3 ZPO, also innerhalb einer angemessenen Frist, zugestellt, entfaltet ein in ihr enthaltener Vorbehalt keine Rechtswirkungen.
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Hinweis: Aus diesem Grund sollte die Annahme des Änderungsangebotes vom Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber stets außerhalb der Klageschrift erklärt werden.
Die vorbehaltslose Annahme eines in einer Änderungskündigung enthaltenen Änderungsangebots ist grundsätzlich nicht an die Höchstfrist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung entsprechend § 2 Satz 2 KSchG gebunden2. Der Antragende kann aber eine Frist zur Annahme des Änderungsangebots bestimmen. In diesem Fall kann grundsätzlich die Annahme des Angebots nur innerhalb der bestimmten Frist erfolgen (§ 148 BGB). Eine Fristbestimmung i.S. von § 148 BGB kann nicht nur durch die Festlegung eines bestimmten Termins oder die Festlegung eines Zeitraums erfolgen. Sie kann sich auch aus den Umständen ergeben. Ausreichend ist jede zeitliche Konkretisierung, durch die der Antragende zu erkennen gibt, er wolle von der gesetzlichen Regelung des § 147 BGB abweichen, beispielsweise in dem er eine „umgehende Antwort“ verlangt. Im Hinblick auf § 2 Satz 2 KSchG darf allerdings die Mindestannahmefrist von drei Wochen nicht unterschritten werden. Eine zu kurz bemessene Annahmefrist führt nicht dazu, dass es an einer Fristsetzung für eine vorbehaltlose Annahme überhaupt fehlt und die Frist nach § 147 BGB zu bestimmen ist. An die Stelle der zu kurzen Frist tritt vielmehr die gesetzliche Drei-Wochen-Frist des § 2 Satz 2 KSchG3.
396
Bei Ausspruch einer außerordentlichen Änderungskündigung muss der Arbeitnehmer den Vorbehalt unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), erklären4. Unverzüglich dürfte der Vorbehalt im Regelfall sein, wenn er innerhalb von bis zu drei Tagen nach Zugang der Änderungskündigung gegenüber dem Arbeitgeber erklärt wird.
397
Hat der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen, ist er nach Ablauf der Kündigungsfrist auch während der Dauer des Kündigungsschutzprozesses verpflichtet, zu den geänderten Bedingungen zu arbeiten. Eine vorläufige Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu den bisherigen Bedingungen nach Maßgabe des sog. allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs kommt nicht in Betracht, da nicht über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, sondern über dessen Inhalt gestritten wird5. Teilweise
398
1 BAG vom 17.6.1998 – 2 AZR 336/97, NZA 1998, 1225; Weber/Ehrich, BB 1996, 2246 (2251 f.); KR-Rost, § 2 KSchG Rz. 71. 2 BAG vom 1.2.2007 – 2 AZR 44/06, NZA 2007, 925. 3 BAG vom 1.2.2007 – 2 AZR 44/06, NZA 2007, 925. 4 BAG vom 19.6.1986 – 2 AZR 565/85, NZA 1987, 94; BAG vom 27.3.1987 – 7 AZR 790/85, NZA 1998, 737; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rz. 108; Weber/ Ehrich, BB 1996, 2246 (2252). Im Ergebnis auch Pauly, DB 1997, 2378 (2379). 5 BAG vom 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, NZA 1990, 734; LAG Düsseldorf vom 25.1.1993 – 19 Sa 1650/92, DB 1993, 1680; LAG Nürnberg vom 13.3.2001 – 6 Sa 768/00, NZA-
Ehrich
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Teil 1 Rz. 399
Arbeitsrechtliche Grundlagen
wird allerdings ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz unter entsprechender Anwendung des § 102 Abs. 5 BetrVG bejaht, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen im Wege der Änderungskündigung aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen unwirksam ist1. 399
Nimmt der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Änderungskündigung die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß § 2 KSchG unter Vorbehalt an, wird damit zugleich positiv bis zur gerichtlichen Klärung der Rechtslage die Verpflichtung zur Arbeitsleistung nach Maßgabe der geänderten Arbeitsbedingungen begründet. Bei entsprechender Weigerung des Arbeitnehmers kommt eine außerordentliche Kündigung wegen Arbeitsverweigerung in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn später im Zuge der Änderungsschutzklage die Sozialwidrigkeit der Änderungen der Arbeitsbedingungen festgestellt wird. Die Rückwirkungsfiktion des § 8 KSchG reicht nicht soweit, dass die Arbeitsverweigerung nachträglich als gegenstandslos anzusehen wäre2.
400
Für die Entscheidung über die Sozialwidrigkeit der Änderungskündigung verweist § 2 Satz 1 KSchG lediglich auf § 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 KSchG. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG3 ist die soziale Rechtfertigung der ordentlichen Änderungskündigung zweistufig zu prüfen. Zunächst ist in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob Gründe in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers oder dringende betriebliche Erfordernisse i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG das Änderungsangebot bedingen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob sich der Arbeitgeber darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Diese Prüfung hat nicht nur bei Annahme des Änderungsangebotes unter Vorbehalt, sondern auch bei dessen Ablehnung durch den Arbeitnehmer zu erfolgen.
401
Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Arbeitsbedingungen anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle Vertragsänderungen vorliegen4, was in der Praxis bei den Änderungsangeboten der Änderungskündigungen oftmals nicht hinreichend bedacht wird. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung, d.h. die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom Inhalt
1 2 3
4
RR 2001, 366; LAG Hamm vom 12.12.2005 – 8 Sa 1700/05, zitiert nach juris; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rz. 113 m. w. Nachw. LAG Düsseldorf vom 25.1.1993 – 19 Sa 1650/92, DB 1993, 1680; a.A. von HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 2 Rz. 112 m. w. Nachw. LAG Hamm vom 12.12.2005 – 8 Sa 1700/05, zitiert nach juris. BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 597; BAG vom 29.3.2007 – 2 AZR 31/06, NZA 2007, 855; BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182 jeweils m. w. Nachw. Ebenso Weber/Ehrich, BB 1996, 2246 (2252); Pauly, DB 1997, 2378 (2380 f.) m. w. Nachw. BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182 (1183) m. w. Nachw.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 403 Teil 1
des bisherigen Arbeitsvertrags entfernen, als zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich1. Demnach ist eine Änderungskündigung wegen Wegfalls des bisherigen Arbeitsplatzes unwirksam, wenn der Arbeitgeber die an sich notwendigen Anpassungen nicht auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt, sondern darüber hinausgehende – nicht notwendige – Änderungen vornehmen will2. Stehen mehrere Möglichkeiten der Änderung der Vertragsbedingungen zur Verfügung, so fordert es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die auch ihm zumutbare Änderung anbietet, die ihn am wenigsten belastet3. Wenn durch das Änderungsangebot sowohl die Tätigkeit (Arbeitsleistungspflicht) als auch die Gegenleistung (Vergütung) geändert werden sollen, sind beide Elemente des Änderungsangebots am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Eine gesonderte Rechtfertigung der Vergütungsänderung ist nur dann entbehrlich, wenn sich die geänderte Vergütung aus einem im Betrieb angewandten Vergütungssystem ergibt („Tarifautomatik“)4. Hat dagegen der Arbeitgeber die Gehälter aller vergleichbaren Arbeitnehmer frei ausgehandelt, so ist nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zu prüfen, ob die dem Arbeitnehmer konkret angebotene Vergütung dessen Änderungsschutz hinreichend berücksichtigt. Insoweit ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dem betroffenen Arbeitnehmer im Wege der Änderungskündigung die höchste für vergleichbare Tätigkeiten gezahlte Vergütung anzubieten. Er hat vielmehr lediglich den Arbeitnehmer, dem gegenüber er eine Änderungskündigung ausspricht, unter Berücksichtigung seines Änderungsschutzes in das frei ausgehandelte Vergütungsgefüge einzuordnen5. Eine Änderungskündigung, die auf eine vor Ablauf der Kündigungsfrist des betreffenden Arbeitnehmers wirksam werdende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen abzielt, ist nach § 1 Abs. 2, § 2 KSchG sozial ungerechtfertigt6.
402
Bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung zur Entgeltsenkung sind folgende, von der Rechtsprechung des BAG7 aufgestellten Grundsätze zu beachten: Da nach dem Gesetz die betrieblichen Erfordernisse „dringend“ sein müssen und die Entgeltsenkung einen nachhaltigen Eingriff in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bedeutet,
403
1 BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182 (1183) m. w. Nachw. 2 BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 144/07, DB 2009, 293 (Unzumutbarkeit eines Änderungsangebots an den bisher als Hausmeister einer Kirchengemeinde beschäftigten, tariflich unkündbaren Arbeitnehmer, nach Schließung der Gemeindeeinrichtung als Küster weiter zu arbeiten und eine Dienstwohnung zu beziehen, obwohl er 8 km von dieser entfernt wohnt). 3 BAG vom 17.3.2005 – 2 ABR 2/04, NZA 2005, 949. 4 BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 388/06, NZA 2008, 523. 5 BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 500/06, NZA 2008, 812. 6 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 120/06, NZA 2007, 435. 7 S. etwa BAG vom 21.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587; BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182 jeweils m. w. Nachw. S. dazu auch Reiserer/Powietzka, BB 2006, 1119 ff.; Bröhl, BB 2007, 437 ff.; Berkowsky, NZA-RR 2008, 337 ff.; Moderegger, ArbRB 2009, 42 ff.
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Teil 1 Rz. 404
Arbeitsrechtliche Grundlagen
kann die Änderungskündigung zur Entgeltsenkung nur dann begründet sein, wenn bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führten. Regelmäßig bedarf es eines umfassenden Sanierungsplans, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft. Vom Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang zu verlangen, dass er die Finanzlage des Betriebs, den Anteil der Personalkosten, die Auswirkung der erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und für die Arbeitnehmer darstellt und ferner darlegt, warum andere Maßnahmen, wie etwa die Absenkung von freiwilligen Zulagen, Rationalisierungsmaßnahmen und sonstige Einsparungen, wobei auch die Sanierungsfähigkeit des Betriebes und eigene Sanierungsbeiträge des Arbeitgebers bzw. Dritter (Banken) zu bewerten ist, nicht in Betracht kommen. Die substantiierte Darlegung und der Nachweis der Einhaltung dieser Voraussetzungen dürfte dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess wohl nur in seltenen Fällen gelingen1. 404
Bei der Prüfung, ob ein dringendes betriebliches Erfordernis zu einer Entgeltkürzung durch Änderungskündigung besteht, ist weiterhin zu berücksichtigen, dass auf die wirtschaftliche Situation des Gesamtbetriebes, nicht auf einen unselbständigen Betriebsteil abgestellt werden muss. Ist eine Entgeltkürzung mittels Änderungskündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt, darf der Arbeitgeber regelmäßig nicht einzelne Arbeitnehmer, auch nicht allein die Arbeitnehmer einer mit Verlust arbeitenden Abteilung herausgreifen und ihr Entgelt entscheidend kürzen, während das Entgelt der überwiegenden Mehrzahl der Belegschaft unangetastet bleibt. Eine Entgeltsenkung auf Dauer müssen die Arbeitnehmer jedenfalls dann nicht billigerweise hinnehmen, wenn diese nur mit vorübergehenden wirtschaftlichen Verlusten begründet wird2.
405
Eine Änderungskündigung zur Entgeltsenkung ist ferner nicht allein deshalb sozial gerechtfertigt, weil eine neue gesetzliche Regelung die Möglichkeit vorsieht, durch Parteivereinbarung eine geringere Vergütung festzulegen, als sie dem Arbeitnehmer bisher gesetzlich oder vertraglich zustand3.
406
Das Interesse des Arbeitgebers an einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb reicht für sich allein ebenso wenig aus, ein dringendes betriebliches Interesse für die Änderungskündigung zu rechtfertigen. 1 Liegen (ausnahmsweise) die von der Rechtsprechung des BAG entwickelten Voraussetzungen für eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung vor und hat sich bereits die große Mehrzahl der Arbeitnehmer (hier ca. 97 %) mit der Reduzierung der Vergütung freiwillig einverstanden erklärt, so kann ein Arbeitnehmer, demgegenüber die Reduzierung durch Änderungskündigung erfolgt, sich nicht darauf berufen, die Änderungskündigung sei ihm gegenüber nicht erforderlich, weil der Sanierungserfolg schon durch die freiwilligen Gehaltsreduzierungen erreicht sei, vgl. BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182. 2 BAG vom 20.8.1998 – 2 AZR 84/98, NZA 1999, 255. 3 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 409 Teil 1
Dem Arbeitgeber, der mit einzelnen Arbeitnehmern vertraglich eine höhere Vergütung vereinbart hat, als sie dem betrieblichen Niveau entspricht, ist es verwehrt, unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz diese Vergütung dem Verdienst der übrigen Arbeitnehmer anzupassen, mit denen er eine solche höhere Vergütungsvereinbarung nicht getroffen bzw. mit denen er diese nachträglich einvernehmlich herabgesetzt hat. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz dient nur zur Begründung von Rechten, nicht aber zu deren Einschränkung1. Vielmehr bedarf es sonstiger inner- oder außerbetrieblicher Umstände, die als dringende betriebliche Umstände angesehen werden können. Dass sich der Arbeitgeber auf eine die angestrebten Neuregelungen vorgegebene (Gesamt-)Betriebsvereinbarung berufen kann, erleichtert die Änderungskündigung nicht2. Die Grundsätze über die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung gelten entsprechend auch für Änderungskündigungen, mit denen die Erhöhung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich erreicht werden soll. Eine Änderungskündigung zur Erhöhung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich führt zwar auf Seiten des Arbeitgebers zu einer Verbesserung des arbeitsvertraglichen „Preis-Leistungs-Verhältnisses“, aber nicht per se auch zu einer Senkung der Personalkosten in absoluten Zahlen. Wird die Änderungskündung daher mit dem Ziel der Senkung der Personalkosten gerechtfertigt, hat der Arbeitgeber im Einzelnen substantiiert darzulegen, aufgrund welcher weiteren Zwischenschritte er dieses Ziel erreichen will und inwiefern dafür die Erhöhung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich unerlässlich ist3.
407
Änderungskündigungen zum Zwecke der Anpassung von vertraglichen Nebenabreden (wie z.B. kostenlose Beförderung zum Betriebssitz, Fahrtkostenzuschuss oder Mietzuschuss) an geänderte Umstände unterliegen dagegen nach Auffassung des BAG4 nicht den gleichen strengen Maßstäben wie Änderungskündigungen zur Entgeltabsenkung.
408
Das Gebot der ausreichenden Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 3 KSchG) gilt auch für betriebsbedingte Änderungskündigungen (§ 2 Satz 1 KSchG). Da bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebots im Vordergrund steht, ist anders als bei einer Beendigungskündigung bei der Sozialauswahl primär darauf abzustellen, wie sich die vorgeschlagene Vertragsänderung auf den sozialen Status vergleichbarer Arbeitnehmer auswirkt. Deshalb ist vor allem zu prüfen, ob der Arbeitgeber, statt die Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers zu ändern, diese Änderung einem anderen Arbeitnehmer hätte anbieten können, dem sie in sozialer Hinsicht eher zumutbar gewesen wäre. Für die Vergleichbarkeit der Ar-
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BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587. BAG vom 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, NZA 2000, 592. LAG Köln vom 16.11.2005 – 7 (8) Sa 287/05, ArbuR 2006, 251. BAG vom 27.3.2003 – 2 AZR 74/02, NZA 2003, 1029. S. dazu auch Berkowsky, NZA 2003, 1130 ff.
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Teil 1 Rz. 410
Arbeitsrechtliche Grundlagen
beitnehmer bei einer Änderungskündigung müssen die Arbeitnehmer auch für die Tätigkeit, die Gegenstand des Änderungsangebots ist, wenigstens annähernd gleich geeignet sein. Die Austauschbarkeit bezieht sich auch auf den mit der Änderungskündigung angebotenen Arbeitsplatz1. 410
Die Vorschrift des § 1 Abs. 5 KSchG hinsichtlich der namentlichen Bezeichnung von zu kündigenden Arbeitnehmern im Interessenausgleich (s.o. Rz. 355 ff.) gilt auch für Änderungskündigungen2. Die Reichweite der danach eingreifenden Vermutung erstreckt sich jedenfalls auf den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu den bisherigen Bedingungen und das Fehlen einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb. Ebenso ist § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG auf die Sozialauswahl bei Änderungskündigungen anwendbar3. Die Anwendung des § 1 Abs. 5 KSchG bei der Prüfung des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse besagt allerdings nach Auffassung des BAG noch nichts darüber, ob die vorgeschlagene Änderung vom Arbeitnehmer auch billigerweise hingenommen werden muss. Eine Verschiebung der Darlegungsund Beweislast zu Lasten des Arbeitnehmers, wie § 1 Abs. 5 KSchG sie vorsehe, erachtet das BAG für „kaum gerechtfertigt“, wenn der Interessenausgleich keinerlei inhaltliche Vorgaben bezüglich der Änderungen des Arbeitsvertrags enthalte. Hätten die Betriebsparteien hingegen einzelne vorgesehene Änderungen in den Interessenausgleich mit aufgenommen, so könne eine Mitbeurteilung des im Interessenausgleichs enthaltenen Teils des Änderungsangebots durch den Betriebsrat stattgefunden haben und eine „ausreichende Rechtfertigung für die Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG vorliegen4.
411
Auch die Vorschrift des § 1a KSchG hinsichtlich des Abfindungsanspruchs bei betriebsbedingter Kündigung (s.o. Rz. 367 ff.) ist auf eine aus dringenden betrieblichen Gründen ausgesprochene Änderungskündigung anwendbar, soweit diese wegen Nichtannahme oder vorbehaltloser Ablehnung des Änderungsangebots zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt5.
412
Hat die Änderungsschutzklage des Arbeitnehmers Erfolg, so gilt nach § 8 KSchG die Änderungskündigung als von Anfang an rechtsunwirksam. Der Arbeitnehmer ist vom Arbeitgeber so zu stellen, als ob die Änderungskündigung nicht erfolgt wäre. Unterliegt der Arbeitnehmer mit der Änderungsschutzklage, so wird sein Vorbehalt wirkungslos. Es bleibt dann bei den geänderten Arbeitsbedingungen. d) Klagefrist
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Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schrift1 2 3 4 5
BAG vom 18.1.2007 – 2 AZR 796/05, NZA 2008, 1208. BAG vom 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103. BAG vom 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103. BAG vom 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103. BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 663/06, NZA 2008, 528.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 415 Teil 1
lichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Bei dieser Frist handelt es sich um eine Ausschlussfrist, deren Nichteinhaltung daher vom Gericht auch dann zu berücksichtigen ist, wenn sich der Arbeitgeber nicht darauf beruft1. Da die Frist zwingend ist, kann sie nicht durch Vereinbarung der Parteien verlängert oder verkürzt werden. Bis zum 31.12.2003 beschränkte sich die dreiwöchige Klagefrist auf die fehlende soziale Rechtfertigung einer Kündigung i.S. von § 1 Abs. 2 und 3 KSchG, so dass andere Unwirksamkeitsgründe (insbesondere die unterbliebene oder nicht ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG) vom Arbeitnehmer auch noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist gerichtlich geltend gemacht werden konnten, wobei das Klagerecht in diesen Fällen lediglich den allgemeinen Grundsätzen der Verwirkung unterlag (s. dazu die Ausführungen in der Voraufl. unter Teil 1 Rz. 367). Durch das Gesetz über Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.20032 wurde im Interesse einer raschen Klärung der Frage, ob eine Kündigung das Arbeitsverhältnis wirksam beendet hat oder nicht, die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG auf alle weiteren Unwirksamkeitsgründe erstreckt. „Andere Gründe“ i.S. von § 4 Satz 1 KSchG sind etwa
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– die unterbliebene oder nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG, – ein Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) oder gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), – die Unwirksamkeit der Kündigung „wegen“ Betriebsübergangs i.S. von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, – der tarifliche oder arbeitsvertragliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung3 sowie – die fehlende Zustimmung der zuständigen Behörde zur Kündigung nach § 9 MuSchG, § 18 BEEG, § 5 PflegeZG und § 85 SGB IX. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass in den letztgenannten Fällen die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts gemäß § 4 Satz 4 KSchG erst ab Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer läuft. Kündigt der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in Kenntnis von dessen Schwerbehinderteneigenschaft, ohne zuvor nach § 85 SGB IX die erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung einzuholen, so kann der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung bis zur Grenze der Verwirkung gerichtlich geltend machen4. Ist dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bzw. dessen Gleich1 BAG vom 26.6.1986 – 2 AZR 358/85, NZA 1986, 761; KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 137; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 92 m. w. Nachw. 2 BGBl. I S. 3002. 3 BAG vom 8.11.2007 – 2 AZR 314/06, NZA 2008, 936. 4 BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 – Orientierungssatz 1.
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Teil 1 Rz. 416
Arbeitsrechtliche Grundlagen
stellung nicht bekannt und hatte der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamts folglich auch nicht beantragt, so muss sich der Arbeitnehmer – zur Erhaltung seines Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX – innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf diesen Sonderkündigungsschutz berufen. Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seinen Schwerbehindertenstatus bzw. seine Gleichstellung nicht innerhalb von drei Wochen mit, so kann sich der Arbeitnehmer auf den Sonderkündigungsschutz nicht mehr berufen; mit Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG ist der eigentlich gegebene Nichtigkeitsgrund nach § 134 BGB i.V. mit § 85 SGB IX wegen § 7 KSchG geheilt. § 4 Satz 4 KSchG kommt hier nicht zur Anwendung, denn eine Entscheidung war nicht erforderlich und konnte dem Arbeitnehmer deshalb auch nicht bekannt gegeben werden1. Ebenso wenig ist § 4 Satz 4 KSchG einschlägig, wenn der Arbeitgeber die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht kennt. Einen Verstoß der Kündigung gegen § 9 MuSchG muss die Arbeitnehmerin dann gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung im Wege der Kündigungsschutzklage gerichtlich geltend machen2. 416
Die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen fehlender Schriftform nach § 623 BGB ist dagegen nicht an die Drei-Wochen-Frist gebunden, weil § 4 Satz 1 KSchG nur für schriftliche Kündigungen gilt3. Insoweit unterliegt die (gerichtliche) Geltendmachung der Unwirksamkeit einer mündlichen Kündigung nach § 623 BGB durch den Arbeitnehmer lediglich den aus § 242 BGB abgeleiteten allgemeinen Grundsätzen der Verwirkung4.
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Ebenso kann der Arbeitnehmer auch nach der am 1.1.2004 in Kraft getretenen Neufassung von § 4 KSchG die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist und des Kündigungstermins außerhalb der fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG bis zur Grenze der Verwirkung (s.o. Rz. 221) geltend machen5.
418
Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG bezieht sich – wie durch das Reformgesetz mit Einfügung der Wörter „mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2“ in § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG ausdrücklich festgelegt wurde – auch auf Betriebe, die mangels Beschäftigung von regelmäßig mehr als fünf bzw. (im Falle des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG) zehn Arbeitnehmern nicht unter den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen. Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gilt nach neuerer Rechtsprechung des BAG ebenfalls bei ordentlichen Kündigungen, die während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochen werden. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis innerhalb dieser sechsmonatigen Wartezeit außerordentlich, hat der Arbeitnehmer, der die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen
1 BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 – Orientierungssatz 2. 2 LAG Nürnberg vom 4.12.2006 – 7 Ta 207/06, BB 2007, 447; LAG Schleswig-Holstein vom 13.5.2008 – 3 Ta 56/08, NZA – RR 2009, 132. 3 BAG vom 28.6.2007 – 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972. 4 Vgl. Eberle, NZA 2003, 1121 ff. 5 BAG vom 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 423 Teil 1
will, gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben1. Maßgebend für die Erhebung der Klage ist der Zeitpunkt, zu dem die Klage beim Arbeitsgericht eingeht, nicht der Zeitpunkt, zu dem die Zustellung an den Arbeitgeber erfolgt, sofern die Zustellung i.S. von § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit §§ 495, 270 Abs. 3 ZPO „demnächst erfolgt“. Die Klagefrist beginnt mit dem Zugang der Kündigung zu laufen, wobei der Tag, an dem die Kündigungserklärung zugeht, nach § 187 Abs. 1 BGB nicht mitzurechnen ist. Die Frist endet gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf desjenigen Tages der dritten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Kündigung zuging. Geht z.B. die Kündigung dem Arbeitnehmer am Dienstag, dem 1.8. zu, so endet die Klagefrist am Dienstag, dem 22.8. um 24 Uhr. Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder staatlich anerkannten Feiertag, läuft die Frist erst am darauf folgenden Werktag ab (§ 193 BGB).
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Die Zustellung der Klage an den Arbeitgeber ist i.S. von § 270 Abs. 3 ZPO als „demnächst erfolgt“ anzusehen, wenn sie innerhalb einer den jeweiligen Umständen noch angemessenen Frist erfolgt2.
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Zur Fristwahrung reicht es jedoch nicht aus, dass der Arbeitnehmer die Klage zwar innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG bei Gericht einreicht, gleichzeitig aber bittet, diese wegen schwebender Vergleichsverhandlungen nicht zuzustellen3. Dagegen reicht es zur Wahrung der Klagefrist aus, wenn die Klage auf entsprechende Bitte des Arbeitnehmers ohne Terminbestimmung lediglich dem Arbeitgeber zugestellt wird4.
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Wird die Klage rechtzeitig bei einem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht erhoben und der Rechtsstreit sodann an das örtlich zuständige Arbeitsgericht verwiesen, ist die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt5. Gleiches gilt, wenn die Klage innerhalb der Drei-Wochen-Frist bei einem ordentlichen Gericht erhoben und von diesem an das Arbeitsgericht verwiesen wurde6.
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Zur Wahrung der Klagefrist muss sich die Kündigungsschutzklage gegen den richtigen Arbeitgeber des Arbeitnehmers richten, nicht aber gegen eine andere Partei, die nicht Arbeitgeber ist. Für die Parteistellung im Prozess ist allerdings nicht nur allein die formelle Bezeichnung der Partei in der Klageschrift maßgeblich. Eine ungenaue oder erkennbar falsche Parteibezeichnung in der Klageschrift ist unschädlich und kann jederzeit von Amts wegen berichtigt
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1 BAG vom 28.6.2007 – 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972. BAG vom 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, DB 1973, 481. 2 Einzelheiten dazu s. bei von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 94 m. w. Nachw. 3 KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 144; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 96. 4 KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 146; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 96. 5 KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 181; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 91. 6 KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 186 m. w. Nachw.; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 98.
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Teil 1 Rz. 424
Arbeitsrechtliche Grundlagen
werden1. Gegen welche Partei sich die Klage in Wirklichkeit richtet, ist durch Auslegung zu ermitteln. Insoweit kommt es darauf an, welcher Sinn der von der klagenden Partei gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizumessen ist. Bei unrichtiger äußerer Bezeichnung ist grundsätzlich die Partei anzusprechen, die erkennbar durch die Parteibezeichnung betroffen werden soll2. Ergibt sich in einem Kündigungsschutzprozess etwa aus dem der Klageschrift beigefügten Kündigungsschreiben, wer als beklagte Partei gemeint ist, so ist eine Berichtigung der Parteibezeichnung regelmäßig möglich3. Die Rubrumsberichtigung ist an keine Frist gebunden4. Die Frist nach § 4 Satz 1 KSchG kann auch durch eine hilfsweise gegen den richtigen Arbeitgeber erhobene Kündigungsschutzklage gewahrt sein, obwohl eine eventuelle subjektive Klagenhäufung an sich unzulässig ist5. 424
Ist zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein Insolvenzverwalter bestellt, muss die Klage gegen diesen in seiner Eigenschaft als Partei kraft Amtes erhoben werden. Eine Klage gegen den Insolvenzschuldner wahrt nicht die Klagefrist des § 4 KSchG. Enthält die Klageschrift keinen Hinweis auf ein eröffnetes Insolvenzverfahren und wird vielmehr der Insolvenzschuldner eindeutig als Beklagter bezeichnet, kann die Klageschrift nur dahin aufgefasst und ausgelegt werden, dass sich die Klage allein gegen den Insolvenzschuldner richten soll6.
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Hat der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege geltend gemacht, dass eine rechtswirksame Kündigung nicht vorliege, so kann er sich nach § 6 Satz 1 KSchG in diesem Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen. Nach der Rechtsprechung des BAG ist § 6 KSchG entsprechend anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer aus der Unwirksamkeit einer Kündigung folgende Lohnansprüche mit einer Leistungsklage geltend macht7. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer im Wege der Leistungsklage seine Weiterbeschäftigung für einen Zeitraum nach Zugang der außerordentlichen Küdigung innerhalb von drei Wochen gerichtlich geltend gemacht hat8. Erhebt der Arbeitnehmer gegen eine erste Kündigung zu einem bestimmten Termin Kündigungsschutzklage verbunden mit einem – vorläufigen – Weiterbeschäftigungsantrag, so wird eine auf dieselben 1 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, NZA 2007, 404; BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 525/05, NZA 2007, 1013; BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 279/07, DB 2009, 221. 2 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, NZA 2007, 404; BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 525/05, NZA 2007, 1013; BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 279/07, DB 2009, 221; LAG Köln vom 12.8.1999 – 10 Sa 1304/98, NZA-RR 2000, 658 (659). 3 BAG vom 15.3.2001 – 2 AZR 141/00, NZA 2001, 1267; BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, NZA 2007, 404; BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 525/05, NZA 2007, 1013; BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 279/07, DB 2009, 221. 4 LAG Köln vom 12.8.1999 – 10 Sa 1304/98, NZA-RR 2000, 658 (659). 5 BAG vom 31.3.1993 – 2 AZR 467/92, NZA 1994, 237. 6 BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, NZA 2007, 404. 7 BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 699/06, NZA-RR 2008, 466 (467) m. w. Nachw. S. dazu auch Korinth, ArbRB 2009, 57 ff. 8 BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 699/06, NZA-RR 2008, 466 (467) m. w. Nachw.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 428 Teil 1
Gründe gestützte zweite spätere, aber zum selben oder sogar einem früheren Beendigungstermin ausgesprochene Kündigung nicht nach § 7 KSchG wirksam, weil der Kläger diese nicht innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist – sondern erst später – ausdrücklich angegriffen hat1. Keine Anwendung findet § 6 KSchG dagegen, wenn sich der Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung damit einverstanden erklärt hat, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der bei einer ordentlichen Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfrist endet2. Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung geltend gemacht, so fingiert § 7 KSchG die Wirksamkeit der Kündigung. Während sich § 7 KSchG i.d. bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung nur auf sozialwidrige Kündigungen beschränkte und andere Unwirksamkeitsgründe auch noch außerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend gemacht werden konnten, erstreckt sich § 7 KSchG nunmehr auf alle Kündigungen.
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Die Wirkung der Rechtskraft des im Kündigungsschutzprozess ergehenden Urteils hängt davon ab, was Streitgegenstand des Prozesses ist. Beschränkt sich der Klageantrag des Arbeitnehmers entsprechend dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG lediglich auf die konkret angegriffene Kündigung („Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom . . . zum . . . aufgelöst worden ist/wird.“), so ist nach der sog. punktuellen Streitgegenstandstheorie3 Streitgegenstand des Kündigungsschutzverfahrens, ob das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Endtermin aufgelöst ist oder nicht. Dagegen ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses überhaupt, bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, nicht Streitgegenstand des Kündigungsschutzprozesses.
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Aus der punktuellen Streitgegenstandstheorie ergibt sich, dass auch später ausgesprochene Kündigungen innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen werden müssen, selbst wenn sie nur „vorsorglich“ (z.B. in Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeber als sog. „Schriftsatzkündigungen“) ausgesprochen werden bzw. vom Arbeitgeber auf die ursprünglichen Kündigungsgründe gestützt werden (sog. Trotzkündigungen)4.
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1 BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 699/06, NZA-RR 2008, 466. S. dazu auch BAG vom 6.9.1997 – 2 AZR 264/06, NZA 2008, 636: Zwei Kündigungsschreiben, die denselben Kündigungsvorgang betreffen und in Form und Wortlaut völlig identisch sind, lediglich ein (computergeneriertes) unterschiedliches Ausstellungsdatum tragen und dem Arbeitnehmer einmal per Einschreiben mit Rückschein und einmal als Einwurf-Einschreiben zugingen, sind als eine – doppelt verlautbarte – Kündigungserklärung anzusehen. Ähnlich LAG Berlin-Brandenburg vom 5.3.2008 – 6 Ta 443/08, NZA-RR 2008, 468: Spricht der Arbeitgeber unter demselben Datum auf Grund desselben Sachverhalts in zwei getrennten Schreiben eine Tat- und eine Verdachtskündigung aus, so erfasst die gegen die Tatkündigung gerichtete Kündigungsschutzklage auch die Verdachtskündigung. 2 BAG vom 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, NZA 1989, 129. 3 Eingehend hierzu von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 118 ff. 4 BAG vom 26.8.1993 – 2 AZR 159/93, NZA 1994, 70.
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Teil 1 Rz. 429
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Damit besteht für den Arbeitnehmer das Risiko, dass das Arbeitsverhältnis durch Erklärungen beendet wird, die er nicht als Kündigungen versteht und demgemäß nicht nach §§ 4, 7 KSchG gerichtlich angreift, die jedoch später im Prozess vom Gericht als Kündigungserklärungen ausgelegt werden. 429
Zur Vermeidung dieses Risikos war es daher in der Praxis bislang üblich, die Feststellungsklage nach § 4 Satz 1 KSchG mit einer allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO durch folgende Fassung des Klageantrages zu verbinden:
Formulierungsbeispiel Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom . . . zum . . . aufgelöst worden ist/wird, und auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den … hinaus fortbesteht.
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Nach früherer Rechtsprechung des BAG1 war Streitgegenstand in dem Fall die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis über einen bestimmten Termin hinaus zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz oder einem anderen näher bezeichneten Zeitpunkt fortbestand. Von einem neben dem Antrag nach § 4 KSchG gestellten allgemeinen Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO wurden außer sonstigen Auflösungsgründen wie Aufhebungsverträgen und Eigenkündigungen des Arbeitnehmers auch alle weiteren Kündigungen erfasst, die der Arbeitgeber nach der konkret angegriffenen Kündigung ausgesprochen hatte. Bei einer zulässigen Verbindung des Klageantrages nach § 4 KSchG mit dem allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO erachtete es das BAG für entbehrlich, die weiteren Kündigungen innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG in den Prozess einzuführen2. Wegen des umfassenden Streitgegenstandes bedurfte es mithin insbesondere bei Prozess- oder Schriftsatzkündigungen sowie bei den sog. Trotzkündigungen keiner weiteren Kündigungsschutzklagen bzw. keiner Klageerweiterungen.
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Zwar wurde der allgemeine Feststellungsantrag nach § 256 ZPO nur für zulässig gehalten, wenn ein Feststellungsinteresse bestand. Das BAG ließ hierfür jedoch die Darlegung des Arbeitnehmers ausreichen, dass mit der Geltendmachung weiterer Auflösungstatbestände durch den Arbeitgeber zu rechnen sei3.
1 BAG vom 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, NZA 1988, 651. 2 BAG vom 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, NZA 1988, 651. 3 BAG vom 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, NZA 1988, 651, wonach für die Feststellungsklage „regelmäßig auch das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse“ bestehe. Ebenso LAG Köln vom 21.2.1989 – 3 Sa 1158/88, LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 12: Der neben dem Antrag aus § 4 KSchG gestellte allgemeine Feststellungsantrag aus § 256 ZPO sei zulässig, weil der Arbeitnehmer im Rahmen eines Kündi-
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 434 Teil 1
In einer Entscheidung vom 16.3.1994 hat das BAG1 dagegen ausgeführt, dass es für eine selbständige allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO, die der Arbeitnehmer neben einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erheben wolle, nicht genüge, dass neben dem Antrag nach § 4 KSchG begehrt werde, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festzustellen. Befasse sich die Antragsbegründung ausschließlich mit der Frage, ob eine vom Arbeitgeber ausgesprochene bestimmt bezeichnete Kündigung wirksam sei, liege regelmäßig kein gegenüber der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erweiterter Streitgegenstand vor. Eine solche Klage wahre nicht die im Hinblick auf andere Kündigungen des Arbeitgebers einzuhaltende Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG. Es müssten sich vielmehr aus dem Klagevortrag weitere Tatsachen ergeben, aufgrund derer der Bestand des Arbeitsverhältnisses zweifelhaft sein könne.
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Im zugrundeliegenden Fall wurde einer Arbeitnehmerin, die seit dem 1.1.1965 als Pflegekraft in einer Kinderkrippe beschäftigt war, am 27.6.1991 ordentlich zum 31.12.1991 gekündigt. Mit ihrer am 9.7.1991 bei Gericht eingegangenen Klage hat sie folgende Feststellungsanträge angekündigt: 1. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die Kündigung vom 27. Juni 1991 noch durch sonstige Beendigungsgründe aufgelöst; 2. das Arbeitsverhältnis besteht zu unveränderten Bedingungen über den 31. Dezember 1991 hinaus fort. Mit Schreiben vom 4.9.1991, das der Arbeitnehmerin am 12.9.1991 zuging, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis erneut, diesmal zum 31.3.1992. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 30.4.1992 hat die Arbeitnehmerin die Kündigung nicht angegriffen. In der Verhandlung hat sie beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 27.6.1991 zum 31.12.1991 noch durch die Kündigung vom 4.9.1991 zum 31.3.1992 aufgelöst sei und zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.3.1992 hinaus fortbestehe. Nach Ansicht des BAG ergibt sich aus den §§ 4 Satz 1, 7 KSchG, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 4.9.1991 zum 31.3.1992 aufgelöst worden sei.
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Zwar könne sich der Arbeitnehmer im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO auf die Unwirksamkeit weiterer Kündigungen berufen, wobei es nicht darauf ankomme, zu welchem Zeitpunkt er sie in den Prozess eingeführt habe. Dies setze allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erhoben habe. Dies sei nicht schon dann der Fall, wenn die Antragsfassung dem Wortlaut nach auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtet sei. Vielmehr müsse die Auslegung des Antrags ergeben, dass es dem Arbeitnehmer gerade (auch) selbständig auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ankomme, er also einen
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gungsschutzprozesses die Geltendmachung weiterer Auflösungsgründe durch den Arbeitgeber nicht ausschließen könne. 1 BAG vom 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, NZA 1994, 860; ähnlich bereits BAG vom 27.1.1994 – 2 AZR 484/93, NZA 1994, 812; kritisch Diller, NZA 1994, 830 ff.
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Teil 1 Rz. 435
Arbeitsrechtliche Grundlagen
gegenüber der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG erweiterten Streitgegenstand anhängig machen wolle1. Befasse sich die Antragsbegründung ausschließlich mit der Frage, ob eine ganz bestimmte vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung wirksam sei, könne eine selbständige allgemeine Feststellungsklage regelmäßig nicht angenommen werden, weil eine zulässige Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO die Darlegung eines Feststellungsinteresses verlange. Dem Kläger, der keine Ausführungen zu der Frage des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses mache, könne nicht unterstellt werden, er habe eine unzulässige Feststellungsklage erheben wollen2. Da die Arbeitnehmerin im Streitfall mit ihrem Klageschriftsatz vom 5.7.1991 trotz der missverständlichen Antragsfassung nur eine Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG, nicht aber zusätzlich eine (unzulässige) allgemeine Feststellungsklage i.S. von § 256 ZPO erhoben und die ihr am 12.9.1991 zugegangene Kündigung vom 4.9.1991 erst am 30.4.1992, mithin nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG in den Prozess eingeführt habe, greife die Fiktion des § 7 KSchG ein. 435
Aufgrund dieser Entscheidung des BAG muss davon ausgegangen werden, dass der bis dahin routinemäßig mit der Kündigungsschutzklage verbundene Feststellungsantrag „sondern fortbesteht“ nicht mehr ohne Weiteres zusätzliche (Schriftsatz-)Kündigungen erfasst, die der Arbeitgeber oder seine Prozessbevollmächtigten während des Kündigungsschutzrechtsstreits aussprechen3. Später hat das BAG seine strenge Haltung offenbar selbst aufgegeben, da es in einer Entscheidung vom 13.3.19974 neben der gegen eine bestimmte Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage auch die Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wieder für möglich erachtete. Für die Klage nach § 256 ZPO sei aber zur Begründung eines Interesses an alsbaldiger Feststellung ein Tatsachenvortrag zur Möglichkeit weiterer Beendigungsgründe erforderlich. Ein solcher Sachvortrag sei im Falle einer ursprünglich mangels ausreichender Begründung unzulässigen Klage auch noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG bei einer inzwischen ausgesprochenen weiteren Kündigung nachholbar und ergänzbar5.
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Hinweis: Angesichts dieser wankelmütigen Rechtsprechung des BAG sollten in der Klagebegründung einer Kündigungsschutzklage, die mit dem Feststellungsantrag „sondern zu unveränderten Bedingungen über den . . . hinaus fortbesteht“ kombiniert wird, stets Umstände aufgeführt werden, aus denen sich die Befürchtung weiterer Kündigungen ergeben.
BAG vom 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, NZA 1994, 860. BAG vom 16.3.1994 – 8 AZR 97/93, NZA 1994, 860. S. dazu insbesondere die Kritik von Diller, NZA 1994, 830 ff. BAG vom 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, NZA 1994, 844. BAG vom 13.3.1997 – 2 AZR 512/96, NZA 1994, 844; ähnlich bereits BAG vom 7.12.1995 – 2 AZR 772/94, NZA 1996, 334. S. zu alledem auch Bitter, DB 1997, 1407; Wenzel, DB 1997, 1869; Berkowsky, NZA 2001, 801.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 439 Teil 1
Insoweit bietet sich folgende Formulierung an:
Formulierungsbeispiel Der Klageantrag zu 2. enthält eine selbständige allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Der klagenden Partei sind zwar derzeit keine anderen möglichen Beendigungstatbestände außer der mit dem Klageantrag zu 1. angegriffenen Kündigung vom . . . bekannt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass der Arbeitgeber oder seine Prozessbevollmächtigten im Laufe des Kündigungsrechtsstreits weitere Kündigungen aussprechen, weil der Arbeitgeber bereits angedeutet habe, er wolle sich in jedem Fall von der klagenden Partei trennen/er wolle die klagende Partei im Betrieb nicht mehr wiedersehen/er habe bereits eine weitere Abmahnung ausgesprochen1. Mit dem Klageantrag zu 2. wird daher die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis auch durch weitere Beendigungstatbestände, insbesondere durch (vorsorglich ausgesprochene) Kündigungen nicht beendet wird.
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Hinweis: In jedem Fall sollten weitere (auch hilfsweise ausgesprochene) Arbeitgeberkündigungen bzw. Verhaltensweisen des Arbeitgebers oder seiner Prozessbevollmächtigten, die möglicherweise als Kündigungserklärungen gewertet werden können, unbedingt innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG im Wege der Kündigungsschutzklage angegriffen werden2.
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Zu beachten ist schließlich, dass von einem neben dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 KSchG gestellten allgemeinen Feststellungsantrag Kündigungen des Arbeitgebers nicht erfasst werden, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ausgesprochen und vom Arbeitnehmer mit einer gesonderten Kündigungsschutzklage angegriffen werden3.
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Eine verspätet erhobene Kündigungsschutzklage kann gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 439 KSchG nachträglich zugelassen werden, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach der Sachlage zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Gleiches gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG, wenn eine Frau, von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis erlangt hat. Die nachträgliche Zulassung ist vom Arbeitnehmer innerhalb von zwei Wochen nach Behebung der Hindernisse beim Arbeitsgericht zu beantragen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG kommt es nicht auf die positive Kenntnis des Arbeitnehmers von der Verspätung der Klage an, sondern darauf, wann er bei zumutbarer Sorgfalt 1 Ähnlich die Begründungsvorschläge von Bitter, DB 1997, 1407 (1409). 2 Zutreffend Bauer, II Rz. 95. 3 BAG vom 10.10.2002 – 2 AZR 622/01, NZA 2003, 684.
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Teil 1 Rz. 440
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Kenntnis von ihr hätte erlangen können. Den Arbeitnehmer darf an der Fristversäumung kein Verschulden treffen, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit die nachträgliche Zulassung ausschließt1. Der Arbeitnehmer kann sich daher nicht darauf berufen, die Möglichkeit und Notwendigkeit, einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zu stellen, nicht gekannt zu haben2. 440
Für die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage müssen zunächst folgende formale Voraussetzungen vorliegen: (1) Die Verbindung des Antrags auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage mit der Klageerhebung. Ist die Klage schon eingereicht, so ist auf sie im Antrag Bezug zu nehmen, § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG. (2) Die Angabe der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen, § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 KSchG. (3) Die Gründe für eine nachträgliche Zulassung der verspäteten Kündigungsschutzklage sind glaubhaft zu machen, § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 KSchG (regelmäßig durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, § 294 Abs. 1 ZPO)3.
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Gründe für die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage sind z.B. falsche Rechtsauskünfte eines Rechtsanwalts, eines Gewerkschaftssekretärs oder der Rechtsantragsstelle eines Arbeitsgerichts4, Verzögerungen der Brief1 LAG Niedersachsen vom 8.11.2002 – 5 Ta 257/02, NZA-RR 2003, 556 m. w. Nachw. 2 LAG Köln vom 8.11.1994 – 6 Ta 209/94, BB 1995, 628. 3 S. dazu aber auch LAG Nürnberg vom 4.12.2006 – 7 Ta 207/06, BB 2007, 447: Trotz des Wortlauts des § 5 Abs. 2 Satz 2 KSchG sind die den Antrag auf nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen nicht glaubhaft zu machen, wenn sie der Arbeitgeber nicht bestreitet (§§ 294, 138 Abs. 3, 288 Abs. 1 ZPO). Ein Antrag gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG ohne Angabe der Mittel für die Glaubhaftmachung binnen der Zwei-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist nicht endgültig unzulässig, sondern wird dann zulässig, wenn der Arbeitgeber die die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bestreitet (teleologische Reduktion). 4 Vgl. LAG Köln vom 30.8.1989 – 5 Ta 176/89, LAGE § 5 KSchG Nr. 42 (jedoch mit der unzutreffenden Ausnahme für den Fall der grob fehlerhaften Beurteilung des Sachverhalts durch den Rechtsanwalt); KR-Friedrich, § 5 Rz. 30 ff. m. w. Nachw. Weitergehend LAG Bremen vom 31.10.2001 – 4 Ta 76/01, NZA 2002, 580, wonach den bei einem deutschen Arbeitgeber angestellten Arbeitnehmer, der im Ausland eine Kündigung erhält, an der Versäumung der 3-Wochen-Frist auch dann kein Verschulden treffe, wenn ihm ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft eine falsche Auskunft über die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage erteilt habe, wobei dies selbst dann gelte, wenn der Botschaftsmitarbeiter im Übrigen erkläre, er sei für die Anliegen des in Deutschland arbeitenden Arbeitnehmers nicht zuständig, da dieser USAmerikaner sei. Kaum noch vertretbar dagegen LAG Saarland vom 27.6.2002 – 2 Ta 22/02, NZA-RR 2002, 488, demzufolge eine Kündigungsschutzklage auch dann nachträglich zuzulassen sei, wenn ein Nichtkündigungsberechtigter auf die Frage des Arbeitnehmers, ob es zutreffend sei, dass „interne Rationalisierungsarbeiten“ Gründe für die Kündigung darstellten, die „Schulter zucke“, und dadurch der Arbeitnehmer veranlasst werde, keine Klage einzureichen.
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 441 Teil 1
beförderung oder Briefzustellung1, Urlaubsabwesenheit des Arbeitnehmers während der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG2, eine schwere Erkrankung des Arbeitnehmers am Ende der Drei-Wochen-Frist, die ihm die Klageerhebung objektiv unmöglich macht3, sowie ein unverschuldeter Rechtsirrtum des gekündigten Arbeitnehmers über den Beginn der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG, wobei der Rechtsirrtum nur dann unverschuldet ist, wenn aus Laiensicht eine abweichende Bewertung der Rechtslage ernsthaft nicht in Betracht kam und es deshalb vernünftigerweise auch nicht notwendig erschien, einen rechtskundigen Dritten um Rat zu fragen4. Keine Gründe für die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage sind regelmäßig die Unkenntnis der Klagefrist des § 4 KSchG, wobei dies auch für ausländische Arbeitnehmer gilt5, die falsche Auskunft des Betriebsrats6 sowie das Abwarten des Ergebnisses von Vergleichsverhandlungen7. Ebenso wenig macht die bloße Unmöglichkeit, vor Erhebung einer Kündigungsschutzklage fachkundigen Rat einzuholen, die Einhaltung der Klagefrist unzumutbar8. Legt der Prozessvertreter das Mandat nieder, weil die Vergütung nicht gesichert ist, handelt es sich um ein Parteiverschulden, wenn hierdurch die Kündigungsschutzklage zu spät eingereicht wird9.
1 Vgl. BVerfG vom 4.12.1979 – 2 BvR 376/76, AP Nr. 74 zu § 233 ZPO; BAG vom 24.11.1977 – 5 AZB 50/77, AP Nr. 1 zu § 233 ZPO 1977; von Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, § 5 Rz. 23 m. w. Nachw. 2 LAG Berlin vom 23.8.2001 – 7 Ta 1587/01, NZA-RR 2002, 355. 3 Vgl. LAG München vom 3.11.1975 – 5 Ta 105/75, DB 1976, 732; LAG Düsseldorf vom 19.9.2002 – 15 Ta 343/02, NZA-RR 2003, 78 (mit zutreffendem Hinweis darauf, dass kein durchschlagender Grund dafür bestehe, einen Krankenhauspatienten von der Anforderung freizustellen, sich nötigenfalls telefonisch beraten zu lassen, solange Krankheitsverlauf und Behandlungsmethode dem nicht entgegenstehen); KR-Friedrich, § 5 KSchG Rz. 54; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 5 Rz. 14. 4 LAG Sachsen-Anhalt vom 22.6.1999 – 3 Ta 64/99, BB 2000, 831. 5 Vgl. LAG Düsseldorf vom 6.3.1980 – 7 Ta 15/80, LAGE § 5 KSchG Nr. 9; LAG Hamburg vom 10.4.1987 – 1 Ta 16/86, LAGE § 5 KSchG Nr. 34; KR-Friedrich, § 5 KSchG Rz. 64 m. w. Nachw. 6 Vgl. LAG Köln vom 13.12.1982 – 1 Ta 111/82, EzA § 5 KSchG Nr. 16; LAG Hamburg vom 10.4.1987 – 5 Ta 5/87, LAGE § 5 KSchG Nr. 29; LAG Rheinland-Pfalz vom 10.9.1984 – 1 Ta 197/84, NZA 1985, 430; LAG Berlin vom 17.6.1991 – 9 Ta 6/91, DB 1991, 1887. Bedenklich LAG Düsseldorf vom 25.7.2002 – 15 Ta 306/02, NZA-RR 2003, 101, wonach auch ein Richter am Landgericht grundsätzlich nicht als zuverlässige Stelle für die Erteilung von Auskünften in arbeitsrechtlichen Fragen anzusehen sei. 7 S. dazu auch LAG Köln vom 26.11.1999 – 11 Ta 348/99, LAGE § 5 KSchG Nr. 97: Heißt es im Kündigungsschreiben, der Arbeitgeber „behalte sich vor“, die Kündigung bei bestimmtem Arbeitnehmerverhalten (hier: Durchführung einer stationären Entziehungskur) zurückzunehmen, so rechtfertigt es keine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage, wenn der Arbeitnehmer auf rechtzeitige Klageerhebung verzichtet und sich stattdessen um die Erfüllung der Bedingung bemüht. 8 LAG Hamm vom 12.9.1985 – 8 Ta 235/85, LAGE § 5 KSchG Nr. 20; LAG Frankfurt vom 6.4.1990 – 15 Ta 97/90, DB 1990, 2612; a.A. LAG Düsseldorf vom 6.3.1980 – 7 Ta 15/80, LAGE § 5 KSchG Nr. 9; LAG Köln vom 14.1.1982 – 8/25 Ta 136/81, LAGE § 5 KSchG Nr. 14. 9 LAG Köln vom 3.5.2001 – 2 Ta 1/01, NZA-RR 2002, 438.
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Teil 1 Rz. 442
Arbeitsrechtliche Grundlagen
442
Erkrankt ein Arbeitnehmer während einer urlaubsbedingten Ortsabwesenheit und kehrt er deshalb nicht rechtzeitig an seinen Wohnort zurück, so hat er grundsätzlich sicherzustellen, dass ihn rechtsgeschäftliche Erklärungen erreichen, die ihm nach Urlaubsende an seinem Wohnort zugehen. Nur wenn ihm entsprechende Vorkehrungen tatsächlich oder persönlich nicht möglich oder zumutbar waren, ist die Versäumung der Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG unverschuldet1.
443
Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an einer verspäteten Klageerhebung ist dem Arbeitnehmer, wie das BAG in einer Entscheidung vom 11.12.20082 ausdrücklich klargestellt hat, in Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Allerdings ist es dem Arbeitnehmer nicht zuzurechnen, wenn nicht der Prozessbevollmächtigte selbst, sondern eine seiner Hilfspersonen, bei einem Anwalt insbesondere das Büropersonal, schuldhaft gehandelt hat. Die Klage ist nachträglich zuzulassen, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Personal sorgfältig ausgewählt, unterwiesen und überwacht hat. Anderenfalls trifft ihn ein Organisationsverschulden, das der vertretenen Partei zuzurechnen ist3.
444
Nach Ablauf von sechs Monaten, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht mehr gestellt werden, § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG.
445
Das Verfahren über den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 KSchG4 mit dem Verfahren über die Klage zu verbinden. Das Arbeitsgericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beschränken, § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG. In dem Fall hat die Entscheidung nach § 5 Abs. 4 Satz 3 KSchG durch Zwischenurteil zu ergehen, das wie ein Endurteil angefochten werden kann. Hat das Arbeitsgericht über einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nicht entschieden oder wird ein solcher Antrag erstmals vor dem LAG gestellt, hat hierüber die Kammer des LAG in entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 4 KSchG zu entscheiden (§ 5 Abs. 5 KSchG). e) Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses
446
Ist der Arbeitnehmer vor Rechtskraft des die Unwirksamkeit der Kündigung aussprechenden Urteils ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen, so räumt 1 LAG Niedersachsen vom 8.11.2002 – 5 Ta 257/02, NZA-RR 2003, 556; LAG Köln vom 14.3.2003 – 4 Ta 3/03, ARST 2003, 285; a.A. LAG Berlin vom 23.8.2001 – 7 Ta 1587/01, NZA-RR 2002, 355. 2 BAG vom 11.12.2008 – 2 AZR 472/08, zitiert nach juris. Bestätigt durch BAG vom 28.5.2009 – 2 AZR 548/08, Pressemitteilung Nr. 57/09, wonach sich ein Arbeitnehmer auch das Verschulden des von ihm mit der Klageerhebung beauftragten Gewerkschaftsvertreters zurechnen lassen muss. 3 Vgl. BAG vom 9.1.1990 – 3 AZR 528/89, NZA 1990, 538. 4 Die Absätze 4 und 5 von § 5 KSchG wurden durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung vom 1.4.2008 neu gefasst.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 448 Teil 1
ihm § 12 KSchG eine Wahlmöglichkeit ein. Gemäß § 12 Satz 1 KSchG kann er innerhalb einer Woche nach Rechtskraft des Urteils durch Erklärung gegenüber dem alten Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ablehnen. Die Frist wird auch durch eine vor ihrem Ablauf zur Post gegebene schriftliche Erklärung gewahrt, § 12 Satz 2 KSchG. Mit dem Zugang der Erklärung erlischt das Arbeitsverhältnis (§ 12 Satz 3 KSchG). Macht der Arbeitnehmer von dieser Möglichkeit Gebrauch, so kann er vom Arbeitgeber nach § 12 Satz 4 KSchG entgangenen Verdienst für die Zeit zwischen der Entlassung und dem Tag des Eintritts in das neue Arbeitsverhältnis verlangen. Maßgebend ist dabei nicht der Zeitpunkt des Abschlusses des neuen Arbeitsvertrages, sondern die tatsächliche Arbeitsaufnahme1. Auf den Anspruch auf Vergütungsfortzahlung ist der erzielte Zwischenverdienst anzurechnen, § 12 Satz 5 i.V. mit § 11 KSchG. Der Bestimmung des § 12 KSchG kommt keine besondere praktische Bedeutung zu, da sich die Parteien weitgehend bereits während des Kündigungsschutzprozesses auf eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verständigen, wenn der Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsplatz gefunden hat. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer bei dem neuen Arbeitgeber möglicherweise einen geringeren Verdienst erzielt, wird regelmäßig bei der Höhe der Abfindung mitberücksichtigt.
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Hinweis: Kommt es zu keiner Einigung zwischen Arbeitnehmer und altem Arbeitgeber, ist es für den Arbeitnehmer, der nicht auf seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren will, in finanzieller Hinsicht häufig günstiger, eine Erklärung nach § 12 Satz 1 KSchG nicht abzugeben und erst nach Ablauf der Wochenfrist ordentlich zu kündigen. In dem Fall findet § 12 KSchG keine Anwendung. Vielmehr kann der Arbeitnehmer vom alten Arbeitgeber nach §§ 615 BGB, 11 KSchG die Vergütungsdifferenz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist verlangen2.
Entschließt sich der Arbeitnehmer für die Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses, muss er sich mit dem neuen Arbeitgeber über die Beendigung des zwischenzeitlich eingegangenen Arbeitsverhältnisses auseinander setzen. Die rechtskräftige Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung durch das Arbeitsgericht hat keinen Einfluss auf den neuen Arbeitsvertrag, insbesondere räumt sie dem Arbeitnehmer kein Recht zur fristlosen Kündigung des zweiten Arbeitsvertrages ein, sofern dies nicht vertraglich vereinbart wurde3. Ist der neue Arbeitgeber nicht mit einer einvernehmlichen sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden, muss es der Arbeitnehmer durch ordentliche Kündigung (unter Einhaltung der vertraglichen, kollektivrechtlichen oder gesetzlichen Kündigungsfristen) lösen. Aus der Einhaltung dieser Kündigungsfrist kann der alte Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer kei-
1 KR-Rost, § 12 KSchG Rz. 31 m. w. Nachw. 2 Zutreffend Bauer, II Rz. 162. 3 LAG Köln vom 23.11.1994 – 8 Sa 862/94, BB 1995, 1544; KR-Rost, § 12 KSchG Rz. 16; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 12 Rz. 4.
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Teil 1 Rz. 449
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ne Rechte ableiten, da das Verhalten des Arbeitnehmers nicht schuldhaft ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitnehmer mit dem neuen Arbeitgeber eine erheblich lange Kündigungsfrist vereinbart hat1. 449
Verhält sich der Arbeitnehmer nach einem obsiegenden Urteil insoweit „passiv“, als er weder eine Erklärung nach § 12 KSchG abgibt, noch das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber beendet, wird man den alten Arbeitgeber für berechtigt halten müssen, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen, wenn er den Arbeitnehmer zuvor erfolglos unter Androhung einer fristlosen Kündigung für den Fall der Nichtaufnahme der Arbeit zur Arbeitsaufnahme aufgefordert hat2. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass diese Möglichkeit solange nicht in Betracht kommt, wie dem Arbeitnehmer gegen den alten Arbeitgeber Ansprüche aus Annahmeverzug (§ 615 BGB, § 11 KSchG) zustehen und er sich aus diesem Grund auf ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) beruft.
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Das Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG steht dem Arbeitnehmer nicht zu, wenn er während des Kündigungsschutzprozesses eine selbständige Tätigkeit aufgenommen hat3. f) Gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses
451
Ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 und 3 KSchG) und hat sie damit das Arbeitsverhältnis an sich nicht aufgelöst, so hat das Arbeitsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 KSchG auf Antrag das Arbeitsverhältnis durch Urteil aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, deren Höhe sich nach § 10 KSchG richtet. Bei diesen Vorschriften handelt es sich – neben § 1a KSchG – um eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für Abfindungen und damit um eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass das Kündigungsschutzgesetz ein „Bestandsschutzgesetz“ und kein „Abfindungsgesetz“ ist4. Der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses kann sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber gestellt werden. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Arbeitsgericht von Amts wegen ohne entsprechenden Antrag einer Partei ist nicht möglich5.
452
Der Arbeitnehmer kann nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erreichen, wenn ihm aufgrund von ihm konkret darzulegender und ggf. nachzuweisender Umstände die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Als Auflösungsgründe kommen nach der Rechtsprechung des BAG6 insbesondere unzutreffende ehrverletzende
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KR-Rost, § 12 Rz. 17 ff.; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 12 Rz. 4. Vgl. Bauer, II Rz. 161. BAG vom 25.10.2007 – 6 AZR 662/06, NZA 2008, 1074. Vgl. BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917. Vgl. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rz. 23. BAG vom 27.3.2003 – 2 AZR 9/02, NZA 2004, 512.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 453 Teil 1
Behauptungen des Arbeitgebers über die Person oder das Verhalten des Arbeitnehmers, wodurch das Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien unheilbar zerrüttet wird, sowie das Führen des Kündigungsschutzverfahrens über eine offensichtlich sozialwidrige Kündigung seitens des Arbeitgebers mit einer derartigen Schärfe, dass der Arbeitnehmer mit einem schikanösen Verhalten des Arbeitgebers oder der anderen Mitarbeiter rechnen muss, wenn er in den Betrieb zurückkehrt, in Betracht1. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr erwarten lassen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG)2. Es muss sich zwar nicht um Gründe handeln, die eine fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB oder eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG rechtfertigen. Doch sind an die Gründe für die vom Arbeitgeber angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Interesse eines wirksamen Bestandsschutzes strenge Anforderungen zu stellen3. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommt vor allem in Betracht, wenn während des Kündigungsschutzprozesses zusätzliche Spannungen zwischen den Parteien auftreten, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als sinnlos erscheinen lassen. Als – vom Arbeitgeber darzulegende und ggf. zu beweisende – Auflösungsgründe geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen4. Auch wegen eines Verdachts ist die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG jedenfalls unter den strengen für die sog. Verdachtskündigung entwickelten Voraussetzungen (s.u. Rz. 472 ff.) möglich. Allerdings muss der Arbeitnehmer vor der gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhält-
1 Einzelheiten zum Auflösungsantrag des Arbeitnehmers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG s. bei Mues in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 10 Rz. 546 ff. 2 Einzelheiten hierzu s. bei Mues in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 10 Rz. 514 ff. 3 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917. 4 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917. S. dazu auch LAG Köln vom 14.9.2005 – 7 Sa 242/05, zitiert nach juris: Es kann einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag rechtfertigen, wenn ein in Leitungsfunktion tätiger Arbeitnehmer im Rahmen eines Streits um einen Anspruch aus dem Arbeitnehmererfindungsgesetz seinem Arbeitgeber schriftlich vorwirft, er sei „bekanntlich und wie bereits exerziert nicht sonderlich an einer wahrheitsgemäßen Klärung von Vergütungsansprüchen interessiert, die zur Vergütung verpflichteten deutschen Konzerntöchter hüllten sich in organisierte Unwissenheit, die wissentliche Duldung einer nicht geeigneten Organisation, die den Mitarbeiter zwangsläufig benachteiligt, erfüllt den Straftatbestand des Betruges, mindestens aber den der arglistigen Täuschung“. Bedenklich aber LAG Köln vom 20.12.2000 – 7 Sa 277/00, ARST 2001, 164, wonach es dem Arbeitgeber bei einem psychisch kranken Arbeitnehmer mit entsprechenden Verhaltensstörungen zumutbar sei, seinen Mitarbeitern klar zu machen, dass ihr Kollege psychisch krank sei und es deshalb nicht angebracht sei, alle seine Äußerungen ernst und für bare Münze zu nehmen und auf sie zu hören, sondern die absonderlichen Äußerungen schlicht zu übergehen.
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Teil 1 Rz. 454
Arbeitsrechtliche Grundlagen
nisses ausreichend Gelegenheit zur Äußerung erhalten, damit so weit wie möglich ausgeschlossen werden kann, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund eines unberechtigten Verdachts aufgelöst wird. Zudem bedarf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Vergleich mit der gescheiterten Kündigung einer zusätzlichen Begründung. Der Auflösungsantrag darf nicht auf den Verdacht einer Pflichtverletzung gestützt werden, wenn auch schon die Kündigung mit diesem Verdacht begründet und von den Gerichten als sozialwidrig beurteilt wurde1. Ein betriebsverfassungs- oder personalvertretungsrechtliches Verwertungsverbot erstreckt sich nicht auf die Verwertung dieser Gründe im Rahmen eines Auflösungsantrags nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG2. Gründe, die zur Auflösung eines Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers an sich geeignet sind, können allerdings nach Auffassung des BAG aufgrund der zeitlichen Entwicklung und damit verbundener veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Umstände ihr Gewicht verlieren3. Weiterhin ist es dem Arbeitgeber nicht gestattet, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind4. Ebenso wenig genügt der pauschale Vortrag des Arbeitgebers, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sei unwiederbringlich zerstört, um eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu rechtfertigen5. 454
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch oder nicht mehr zu erwarten ist, ist – anders als bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung (s.o. Rz. 240) – der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt zukunftsgerichtet. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers in der Vergangenheit in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist6.
455
Keiner Begründung bedarf der Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG, wenn es sich um das Arbeitsverhältnis eines Angestellten in leitender Stellung i.S. von § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG handelt (s.u. Rz. 492 ff.).
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Der Arbeitgeber kann eine Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur verlangen, wenn die Kündigung allein nach § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist. Die Lösungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG bedeutet für den Ar-
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BVerfG vom 25.3.2009 – 1 BvR 347/08, zitiert nach juris. BAG vom 10.10.2002 – 2 AZR 240/01, DB 2003, 999. BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 158/01, NZA 2003, 261. BAG vom 2.6.2005 – 2 AZR 234/04, NZA 2005, 1208. BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917. BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 459 Teil 1
beitgeber eine Vergünstigung, die nur in Betracht kommt, wenn eine Kündigung „nur“ sozialwidrig und nicht auch aus anderen Gründen nichtig ist1. Dies soll allerdings nach Auffassung des BAG nur dann gelten, wenn die anderweitige Unwirksamkeit Folge eines Verstoßes gegen eine Schutznorm zu Gunsten des Arbeitnehmers sei2. An diesen Erwägungen hat das BAG auch nach den zum 1.1.2004 erfolgten Änderungen der §§ 4 bis 7, § 13 Abs. 3 KSchG ausdrücklich festgehalten3. Demgegenüber steht einem Auflösungsantrag des Arbeitnehmers nicht entgegen, dass sich die Kündigung des Arbeitgebers nicht nur als sozial ungerechtfertigt, sondern auch aus anderen Gründen als unwirksam erweist. Ist jedoch die Kündigung sozial gerechtfertigt und allein aus anderen Gründen unwirksam, kommt eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht in Betracht4. Stellen beide Parteien einen Auflösungsantrag, muss das Gericht nach h.M.5 das Arbeitsverhältnis ohne Weiteres auflösen, wenn es die Sozialwidrigkeit der Kündigung bejaht. Dem ist zuzustimmen. Wollen die Parteien das Arbeitsverhältnis übereinstimmend nicht mehr fortsetzen, wäre es lebensfremd, sie hieran gleichwohl festzuhalten. Der gemeinsame Wille beider Parteien, das Arbeitsverhältnis im Fall sozialwidriger Kündigung durch richterlichen Akt zur Auflösung zu bringen, ist daher für das Gericht bindend.
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Bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 KSchG hat das Gericht gleichzeitig eine angemessene Abfindung festzusetzen. Die Höhe der Abfindung ist vom Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen, ohne dass es dabei an die Parteianträge gebunden ist6.
458
Die Abfindung beträgt nach § 10 Abs. 1 KSchG bis zu zwölf Monatsverdienste. Hat der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden, ist ein Betrag bis zu 15 Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, ist ein Betrag bis zu 18 Monatsverdiensten festzusetzen, § 10 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Diese Erhöhung kommt nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer zum Auflösungszeitpunkt i.S. von § 9 Abs. 2 KSchG bereits das nach den Rentenversicherungsgesetzen
459
1 Ständige Rechtsprechung des BAG, s. etwa BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 623/04, NZA 2006, 491. 2 BAG vom 10.11.1994 – 2 AZR 207/94, NZA 1995, 309; BAG vom 27.9.2001 – 2 AZR 389/00, NZA 2002, 1171; BAG vom 10.2.2005 – 2 AZR 584/03, NZA 2005, 1207; a.A. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rz. 18 m. w. Nachw. 3 BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 63/07, NZA 2009, 275. 4 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rz. 15 m. w. Nachw. 5 BAG vom 29.3.1960 – 3 AZR 568/58, DB 1960, 984; LAG Köln vom 12.9.2002 – 11 Sa 329/02, ArbuR 2003, 195; Keßler, NZA-RR 2002, 1 (11); Mues in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 10 Rz. 562; von HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 9 Rz. 74 m. w. Nachw.; a.A. KR-Spilger, § 9 KSchG Rz. 66 m. w. Nachw. der Mindermeinung. 6 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rz. 8 m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 460
Arbeitsrechtliche Grundlagen
für die Entstehung des Anspruchs auf das Altersruhegeld maßgebende Alter erreicht hat (§ 10 Abs. 2 Satz 2 KSchG). Als Monatsverdienst gilt nach § 10 Abs. 3 KSchG, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2 KSchG), an Geld und Sachbezügen zusteht1. 460
Urteile in Kündigungsschutzprozessen auf Zahlung einer Abfindung i.S. der §§ 9, 10 KSchG sind nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar2. Der Anspruch auf Abfindung entsteht durch die gerichtliche Feststellung im Urteil und ist daher sofort, nicht erst nach Rechtskraft fällig.
461
Da die Abfindung einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes darstellt, schließt sie andere Ansprüche des Arbeitnehmers, die ihm aufgrund des Arbeitsverhältnisses zustehen, insbesondere Vergütungsansprüche für die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Urlaubs(abgeltungs)ansprüche, oder Schadensersatzansprüche – soweit es sich hierbei nicht um Vergütungsansprüche für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses handelt – nicht aus3. Der durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetretene Verlust einer Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung kann vom Arbeitnehmer jedoch neben der Abfindung, die ihm im Rahmen der gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG zugekannt wurde, nicht als Schadensersatz gemäß § 280, § 628 Abs. 2 BGB verlangt werden4.
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Zur Pfändbarkeit von Abfindungen s.u. Teil 2 Rz. 141.
463
Der Arbeitgeber kann mit Gegenansprüchen aufrechnen, wobei § 394 BGB zu beachten ist, falls das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Arbeitnehmers einen Teil der Abfindung nach § 850i ZPO für unpfändbar erklärt hat5.
464
Da das Recht des Arbeitnehmers, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu verlangen, höchstpersönlicher Natur ist, kann der Auflösungsantrag nicht mehr von den Erben gestellt werden, falls der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses verstirbt. Dagegen können nach h.M.6 die Erben einen bereits vom Arbeitnehmer gestellten Auflösungsantrag weiter verfolgen, wenn dieser nach Ablauf der Kündigungsfrist verstorben ist. Ist der Abfindungsanspruch rechtskräftig festgestellt worden, geht dieser auch dann auf die Erben über, wenn der Arbeitnehmer vor dem Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses verstirbt7.
1 Einzelheiten zur Berechnung der Höhe der Abfindung s. bei Mues in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 10 Rz. 568 ff. 2 BAG vom 9.12.1987 – 4 AZR 561/87, NZA 1988, 329. 3 KR-Spilger, § 10 KSchG Rz. 72 m. w. Nachw. 4 BAG vom 12.7.2003 – 8 AZR 341/02, BAG-Report 2004, 62. 5 Vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 2006. 6 KR-Spilger, § 10 KSchG Rz. 18; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rz. 40. 7 Vgl. BAG vom 25.6.1987 – 2 AZR 504/86, NZA 1988, 466.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 469 Teil 1
Zum Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers s.u. Teil 2 Rz. 144.
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Von der Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG sind – zumindest derzeit (noch) – keine Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten1. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn in der Abfindung verdecktes Arbeitsentgelt enthalten oder mit ihr gezahlt wird2.
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Zur steuerlichen Behandlung von Abfindungen s.u. Teil 7.
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g) Besonderheiten bei außerordentlicher Kündigung Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Möglich ist eine außerordentliche Kündigung nicht nur mit sofortiger Wirkung („fristlos“). Vielmehr kann – und u.U. muss3 – sie auch mit einer sog. Auslauf- oder Schonfrist verbunden werden4. In dem Fall muss aber der Kündigende erkennbar zum Ausdruck bringen, dass er eine außerordentliche Kündigung erklären will. Eine Umdeutung einer unzulässigen ordentlichen Kündigung (z.B. weil ein Tarifvertrag die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach einer bestimmten Beschäftigungsdauer und nach Vollendung eines bestimmten Lebensalters nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässt) in eine außerordentliche Kündigung ist nicht möglich, selbst wenn bei einer als ordentlich ausgesprochenen Kündigung ein wichtiger Grund vorgelegen hätte5.
468
Die Prüfung, ob der unbestimmte Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes“ vorliegt, hat nach ständiger Rechtsprechung des BAG6 in zwei Stufen zu erfolgen: Zunächst muss der Sachverhalt an sich, d.h. generell ohne Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände geeignet sein, einen Kündigungsgrund zu bilden. In dem zweiten Schritt ist durch die gebotene umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu klären, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar geworden ist.
469
1 Vgl. BAG vom 9.11.1988 – 4 AZR 433/88, NZA 1989, 270; BSG vom 21.2.1990 – 12 RK 20/88, NZA 1990, 751; KR-Spilger, § 10 KSchG Rz. 92; von Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, § 10 Rz. 35 m. w. Nachw. 2 Vgl. BSG vom 21.2.1990 – 12 RK 65/87, BB 1990, 1704 = EzA § 9 KSchG n.F.Nr. 37. 3 Etwa bei tariflich „unkündbaren“ Arbeitnehmern (s.u. Rz. 614 ff.). 4 Die außerordentliche Kündigung mit einer solchen Auslauffrist führt indes nicht dazu, dass an das Vorliegen eines wichtigen Grundes weniger strenge Anforderungen zu stellen wären. 5 So jedenfalls LAG Köln vom 29.4.1994 – 4 Sa 1171/93, DB 1994, 2632. 6 S. etwa BAG vom 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98; BAG vom 27.6.2006 – 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033; BAG vom 28.8.2008 – 2 AZR 15/07, NZA 2009, 193.
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Teil 1 Rz. 470
Arbeitsrechtliche Grundlagen
470
Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist „an sich“ bei schweren, insbesonderen schuldhaften1 Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Dabei kann ein wichtiger Grund an sich nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein2. Als schwerwiegende Verletzungen in diesem Sinne kommen u.a. beharrliche Arbeitsverweigerungen, grobe Beleidigungen und Tätlichkeiten gegenüber dem Arbeitgeber, den Vorgesetzten oder den Arbeitskollegen sowie vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Eigentums- und Vermögensdelikte in Betracht, selbst wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betrifft3. In letzteren Fällen hält das BAG das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung regelmäßig zu Recht für entbehrlich, da der Arbeitnehmer bei einem Diebstahl oder einer Unterschlagung auch geringwertiger Sachen im Betrieb seines Arbeitgebers normalerweise davon ausgehen müsse, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setze4.
471
Auch vor Beginn des Arbeitsverhältnisses liegende, dem Arbeitgeber bei der Einstellung nicht bekannte Umstände oder Ereignisse können das Vertrauen des Arbeitgebers in die Zuverlässigkeit und Redlichkeit des Arbeitnehmers
1 Ausnahmsweise können aber auch schuldlose Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers einen wichtigen Grund für eine außerordentliche, verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber darstellen, vgl. BAG vom 21.1.1999 – 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863; LAG Köln vom 17.4.2002 – 6 Sa 1334/01, LAGE § 626 BGB Nr. 141 (Messerangriff eines geistesgestörten Arbeitnehmers auf einen arglosen Arbeitskollegen). 2 Ständige Rechtsprechung des BAG, s. etwa BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 821/06, NZA 2008, 777. 3 Grundlegend BAG vom 17.5.1984 – 2 AZR 3/83, NZA 1985, 91. Verdacht strafbarer Handlung (sog. „Bienenstichurteil“); seitdem mehrmals bestätigt u.a. durch BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486; BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008 (Entwendung eines Lippenstiftes – dort auch zu der Möglichkeit der prozessualen Verwendung von betriebsverfassungswidrig erlangten Informationen). Ebenso LAG Köln vom 24.8.1995 – 5 Sa 504/95, LAGE § 626 BGB Nr. 86 (Mitnahme von zwei gebratenen Fischstücken im Wert von ca. 10 DM, die vom Mittagessen übrig geblieben sind, durch die in einer Kantine als Küchenhilfe beschäftigte Mitarbeiterin zum Eigenverbrauch); LAG Berlin-Brandenburg vom 24.2.2009 – 7 Sa 2017/08, DB 2009, 625 (unrechtmäßiges Einlösen von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro durch eine Kassiererin); ArbG Frankfurt a.M. vom 31.1.2001 – 7 Ca 6116/00, NZA-RR 2001, 368 (Entnahme von zwei Kupfervordächern aus dem Schrottmaterial des Arbeitgebers durch einen Kraftfahrzeugelektrikermeister). Einschränkend LAG Köln vom 30.9.1999 – 5 Sa 872/99, NZA-RR 2001, 83: Die mehrfache Entwendung und Benutzung von im Betrieb des Arbeitgebers verwendetem Versandmaterial (hier: 3 Briefumschläge im Wert von 0,03 DM) durch den Arbeitnehmer rechtfertigt in der Regel nicht eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung. S. auch ArbG Dortmund vom 10.3.2009 – 2 Ca 4977/08, zitiert nach juris (Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Verzehrs von Brötchenbelag im Wert von wenigen Cent). 4 Vgl. BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486.
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 472 Teil 1
zerstören und deshalb einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen1. Nicht nur die erwiesene erhebliche Vertragspflichtverletzung, sondern auch 472 schon der dringende, schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung mit Bezug zum Arbeitsverhältnis oder einer Verletzung von erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichten kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG2 einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber einem verdächtigen Arbeitnehmer darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört3. An die Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein „Unschuldiger“ betroffen ist4. Der Verdacht muss dringend sein. Es muss für ihn eine große Wahrscheinlichkeit bestehen5. Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus6. Er muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können7. Die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und eine richterliche Durchsuchungsanordnung können allein einen dringenden Tatverdacht nicht begründen8. Eine Verdachtskündigung ist allerdings dann zulässig, wenn sich ein schwerwiegender Verdacht aus den Umständen ergibt bzw. objektiv durch Tatsachen begründet wird, der Verdacht dringend ist, d.h. eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers besteht, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, ins-
1 BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 159/00, NZA 2001, 954. 2 S. etwa BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, AP Nr. 40 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809. 3 BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809. S. dazu auch LAG Köln vom 11.10.2005 – 9 Sa 320/05, BB 2006, 1455: Die Beteiligung der Ehefrau des Arbeitnehmers an einem Konkurrenzunternehmen als Gesellschafterin und Geschäftsführerin rechtfertigt allein nicht den schwerwiegenden Verdacht, der Arbeitnehmer betreibe selbst ein Konkurrenzgeschäft oder unterstütze jedenfalls das andere Unternehmen bei der Konkurrenztätigkeit. 4 Vgl. BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, AP Nr. 40 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 5 BAG vom 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1065. 6 BAG vom 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1065; BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, AP Nr. 40 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 7 BAG vom 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1065. 8 BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, AP Nr. 40 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung.
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Teil 1 Rz. 473
Arbeitsrechtliche Grundlagen
besondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat1. Der Umfang der Anhörung des Arbeitnehmers richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Sie muss zwar nicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden. Es reicht allerdings nicht aus, dass der Arbeitnehmer lediglich mit einer unsubstantiierten Wertung konfrontiert wird. Dem Arbeitnehmer dürfen keine wesentlichen Erkenntnisse vorenthalten werden, die der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Anhörung hat und auf die er den Verdacht stützt2. Ausnahmsweise bedarf es keiner vorherigen Anhörung des Arbeitnehmers, wenn dieser von Anfang an nicht bereit ist, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen. In dem Fall muss ihn der Arbeitgeber auch nicht über die Verdachtsmomente näher informieren, da eine solche Anhörung überflüssig wäre3. 473
Die den Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen Verfehlung im Arbeitsverhältnis stärkenden oder entkräftenden Tatsachen können bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorgetragen werden. Sie sind grundsätzlich zu berücksichtigen, sofern sie – wenn auch unbekannt – bereits vor Zugang der Kündigung vorgelegen haben. Soweit solche Tatsachen vom Arbeitnehmer vorgetragen werden, müssen sie somit unabhängig davon berücksichtigt werden, ob sie dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt waren oder bekannt sein konnten4. Erst nach der Kündigung entstehende Tatsachen bleiben dagegen unberücksichtigt5. Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung, so führt die spätere Einstellung des gegen den Arbeitnehmer insoweit eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (§ 170 Abs. 2 Satz 1 StPO) weder zur Unwirksamkeit der Kündigung noch zu einem Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers6.
474
Der Verdacht einer schwerwiegenden strafbaren Handlung ist grundsätzlich auch dann geeignet, dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer einer längeren Frist unzumutbar zu machen, wenn der Arbeitnehmer bereits von der Arbeitspflicht freigestellt ist. Die unwiderrufliche 1 BAG vom 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1065; BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, AP Nr. 40 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809. S. dazu auch LAG Köln vom 15.4.1997 – 13 (2) Sa 812/96, NZA 1998, 203: Die Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Verdachtskündigung ist unwirksam, wenn sie unter für den Arbeitnehmer unzumutbaren Bedingungen erfolgt. Dem Arbeitnehmer ist es nicht zuzumuten, sich telefonisch zu dem Vorwurf einer Kassenmanipulation zu äußern, wenn sich das Telefon im Ladenlokal befindet und unbeteiligte Dritte (Kunden) anwesend sind. Zum Anhörungserfordernis des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung s. weiterhin Fischer, BB 2003, 522 ff.; Sasse/Freihube, ArbRB 2006, 15 ff. 2 BAG vom 26.9.2002 – 2 AZR 424/01, NZA 2003, 991. 3 So ausdrücklich BAG vom 26.9.2002 – 2 AZR 424/01, NZA 2003, 991; BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809. 4 BAG vom 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269; BAG vom 6.11.2003 – 2 AZR 631/02, NZA 2004, 919. 5 BAG vom 6.11.2003 – 2 AZR 631/02, NZA 2004, 919. 6 BAG vom 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 477 Teil 1
Freistellung des Arbeitnehmers ist allerdings bei der Interessenabwägung (s.u. Rz. 476) zu berücksichtigen1. Spricht der Arbeitgeber wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Verdachtskündigung aus, so ist er im Kündigungsschutzprozess materiell-rechtlich nicht gehindert, sich darauf zu berufen, die den Verdacht begründenden Pflichtwidrigkeiten rechtfertigten eine Tatkündigung2.
475
Im Rahmen der auf der zweiten Prüfungsstufe des § 626 Abs. 1 BGB vor- 476 zunehmenden umfassenden Interessenabwägung sind insbesondere die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen offenbar beanstandungsfreier Bestand zu berücksichtigen, selbst wenn es um ein Vermögensdelikt des Arbeitnehmers zu Lasten des Arbeitgebers geht3. Andererseits ist bei der Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, wie es sich etwa in einem Einzelhandelsbetrieb auf das Verhalten anderer Arbeitnehmer auswirken würde, wenn der Arbeitgeber Eigentumsdelikte in seinem Betrieb ohne größere Sanktionen zuließe. In einem Handelsunternehmen, dessen Waren den Arbeitnehmern anvertraut sind, kann es allein aus Gründen der Abschreckung der anderen Arbeitnehmer erforderlich sein, in Diebstahlsfällen hart durchzugreifen4. Weiterhin ist bei einer umfassenden Interessenabwägung zu berücksichtigen, welche Nachteile und Auswirkungen die Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers im Betrieb des Arbeitgebers gehabt hat5. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand des Arbeitnehmers können bei der Interessenabwägung von Bedeutung sein. Je nach dem Gewicht des Kündigungsgrundes können sie bei der Interessenabwägung allerdings in den Hintergrund treten und im Extremfall sogar völlig vernachlässigt werden6. Schließlich kann das Bestehen einer Wiederholungsgefahr in Betracht zu ziehen sein7. Diese Umstände können insbesondere bei Eigentums- und Vermögensdelikten, die nur geringwertige Sachen betreffen, dazu führen, dass das Interesse des Arbeitgebers jedenfalls an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers nicht überwiegt. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB kann ferner vorliegen, wenn dem Arbeitgeber zwar zunächst eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für einen bestimmten Zeitraum, nicht jedoch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist8. Die für den Arbeitgeber beste-
1 BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 217/00, NZA 2001, 837; LAG Schleswig-Holstein vom 18.1.2005 – 2 Sa 413/04, NZA-RR 2005, 367. 2 BAG vom 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847. 3 BAG vom 16.12.2004 – 2 ABR 7/04, NZA-RR 2005, 615. 4 So ausdrücklich BAG vom 11.12.2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486. 5 BAG vom 16.12.2004 – 2 ABR 7/04, NZA-RR 2005, 615. 6 BAG vom 16.12.2004 – 2 ABR 7/04, NZA-RR 2005, 615; BAG vom 27.4.2006 – 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033. 7 BAG vom 16.12.2004 – 2 ABR 7/04, NZA-RR 2005, 615; BAG vom 27.4.2006 – 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033. 8 BAG vom 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, NZA 2001, 277.
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Teil 1 Rz. 478
Arbeitsrechtliche Grundlagen
hende Möglichkeit der Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist führt allein nicht zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung1. 478
Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen eines wichtigen Grundes i.S. von § 626 Abs. 1 BGB ist der Arbeitgeber2. Dieser hat nicht nur die Vertragsverletzung (z.B. das unentschuldigte Fehlen), sondern auch deren Rechtswidrigkeit (z.B. keine Erkrankung des Arbeitnehmers oder keine Freistellungsvereinbarung) zu beweisen, wobei hier aber die von der Rechtsprechung des BAG entwickelten Grundsätze zur sog. abgestuften Darlegungs- und Beweislast eingreifen (s.o. Rz. 299). Außerdem hat der Arbeitgeber alle Umstände, die im Rahmen der Interessenabwägung für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sprechen, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen.
479
Die Regelung des § 626 Abs. 1 BGB ist zwingend. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung kann daher weder durch den Arbeitsvertrag noch durch eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag eingeschränkt oder ausgeschlossen werden3. Umgekehrt können die Gründe für eine außerordentliche Kündigung nicht durch Einzel-oder Kollektivvertrag erweitert werden, weil anderenfalls der zwingende Kündigungsschutz und die zwingend vorgeschriebenen gesetzlichen Mindestkündigungsfristen umgangen werden könnten4.
480
Zu beachten ist stets, dass die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nur innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen erfolgen kann. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB. Die Versäumung der Ausschlussfrist führt zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung5. Die Vorschrift des § 626 Abs. 2 BGB ist zwingend, so dass die Ausschlussfrist weder durch Einzelvertrag noch durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag verlängert werden kann. Die Zwei-Wochen-Frist verlängert sich auch nicht um die Frist, die 1 BAG vom 11.3.1999 – 2 AZR 507/98, NZA 1999, 587. 2 S. etwa BAG vom 30.5.1978 – 2 AZR 630/76, DB 1978, 1790; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rz. 380 m. w. Nachw. Zur Möglichkeit der verdeckten Überwachung von Arbeitnehmern mit Videokameras sowie der Verwertung solcher Videoaufzeichnungen im Kündigungsschutzverfahren zur Begründung der Kündigung s. BAG vom 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193. S. dazu auch Grosjean, DB 2003, 2650 ff. 3 BAG vom 18.12.1961 – 5 AZR 104/61, DB 1962, 275; BAG vom 8.8.1963 – 5 AZR 395/62, DB 1963, 1543; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 13 Rz. 9 m. w. Nachw. 4 BAG vom 22.11.1973 – 2 AZR 580/72, DB 1974, 878; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 13 Rz. 9 m. w. Nachw. Möglich ist aber, dass ein Tarifvertrag nach § 622 BGB oder ein darauf bezugnehmender Arbeitsvertrag eine völlig entfristete (ordentliche) Kündigung aus Gründen vorsehen, deren Voraussetzungen nicht denen eines wichtigen Grundes i.S. von § 626 Abs. 1 BGB entsprechen, vgl. BAG vom 4.6.1987 – 2 AZR 416/86, NZA 1988, 52. 5 BAG vom 6.7.1972 – 2 AZR 386/71, DB 1972, 2119.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 483 Teil 1
dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG für die Mitteilung seiner Bedenken zur Verfügung steht1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach dem Tag, an dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, und endet mit Ablauf des Tages der übernächsten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem der Kündigungsberechtigte die Kenntnis erlangt hat, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Erlangt der Arbeitgeber beispielsweise am Mittwoch, dem 15.3., Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen, muss dem Arbeitnehmer die Kündigung spätestens am Mittwoch, dem 29.3., bis 24.00 Uhr zugegangen sein. Ist der letzte Tag der Frist ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, reicht es aus, wenn die Kündigung am nächsten Werktag zugeht (§ 193 BGB)2.
481
Die Frist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist3. Die Frist ist so lange gehemmt, wie der Arbeitgeber aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen4. Zu den für die Kündigungsgründe maßgebenden Tatsachen gehören u.a. auch die für den Arbeitnehmer sprechenden Umstände, die regelmäßig ohne dessen Anhörung nicht hinreichend vollständig erfasst werden können. Bei der Anhörung des Arbeitnehmers ist nach der Rechtsprechung des BAG5 von einer Regelfrist von einer Woche auszugehen, die nur aus „sachlich erheblichen“ bzw. „verständigen“ Gründen überschritten werden darf6. Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie mit der gebotenen Eile betrieben werden7.
482
Den Aus- bzw. Fortgang eines Strafermittlungs- bzw. Strafverfahrens darf der Arbeitgeber regelmäßig abwarten und seinen Kündigungsentschluss davon ab-
483
1 KR-Fischermeier, § 626 BGB Rz. 332; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 62 jeweils m. w. Nachw. 2 Vgl. Stahlhacke/Preiss/Vossen, Rz. 848. 3 BAG vom 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101; BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 190/07, DB 2008, 2544 (2546) m. w. Nachw. 4 BAG vom 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409. 5 S. etwa BAG vom 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409. 6 S. dazu LAG Köln vom 8.8.2000 – 5 Sa 452/00, NZA-RR 2001, 185: Erfährt der Arbeitgeber von einem Verdacht auf im dienstlichen Bereich begangene Straftaten des Arbeitnehmers und erhält er anschließend weder Akteneinsicht in die Strafakte noch Auskünfte des vorübergehend inhaftierten Arbeitnehmers zum Tatvorwurf, so kann die vor Ausspruch einer Verdachtskündigung für eine Anhörung des Arbeitnehmers erforderliche Regelfrist von einer Woche auch (hier um ca. einen Monat) überschritten werden. 7 BAG vom 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409.
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Teil 1 Rz. 484
Arbeitsrechtliche Grundlagen
hängig machen. Insbesondere kann er die Kündigung auf die rechtskräftige Verurteilung des Arbeitnehmers stützen1. Entschließt er sich hierzu, so kann er dann aber nicht zu einem beliebigen, willkürlich gewählten Zeitpunkt außerordentlich kündigen. Will er vor Abschluss des Strafverfahrens kündigen, muss ein sachlicher Grund – etwa die Kenntnis von neuen Tatsachen oder Beweismitteln – vorliegen2. 484
Bei sog. Dauertatbeständen reicht es für die Einhaltung der Zwei-WochenFrist des § 626 Abs. 2 BGB aus, dass diese in den letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung (noch) angehalten haben3.
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Für die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig4. Der Arbeitgeber erfüllt diese Darlegungslast nicht bereits dadurch, dass er lediglich allgemein vorträgt, er kenne die Kündigungsgründe nicht länger als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung. Er muss vielmehr die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat. Um den Zeitpunkt, zu dem der Wissensstand des Kündigungsberechtigten ausreicht, bestimmen zu können, und um es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, die behauptete Schilderung zu überprüfen und ggf. qualifiziert zu bestreiten, muss grundsätzlich angegeben werden, wie es zu der Aufdeckung des Kündigungssachverhalts gekommen sein soll. Hat der Arbeitgeber noch Ermittlungen durchgeführt, muss er hierzu weiter darlegen, welche Tatsachenbehauptungen unklar und damit ermittlungsbedürftig waren, und welche – sei es auch nur aus damaliger Sicht – weiteren Ermittlungen er zur Klärung der Zweifel angestellt hat5.
486
Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, können im Kündigungsrechtsstreit uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB findet hier keine Anwendung6. Allerdings ist dabei zu beachten, dass der Betriebsrat auch vor dem Nachschieben von Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sind, stets ordnungsgemäß i.S. von § 102 BetrVG angehört werden muss7.
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Nach § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB hat der Kündigende dem anderen Teil auf Verlangen die Kündigungsgründe unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündi-
1 BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 25/07, DB 2008, 2312 f. 2 BAG vom 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101. 3 BAG vom 22.1.1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708; BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 455/95, NZA 1996, 871; BAG vom 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771. 4 Ständige Rechtsprechung des BAG, s. etwa BAG vom 1.2.2007 – 2 AZR 333/06 NZA 2007, 744 m. w. Nachw. 5 Vgl. BAG vom 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744. 6 BAG vom 4.6.1997 – 2 AZR 362/96, NZA 1997, 1158. 7 Vgl. BAG vom 4.6.1997 – 2 AZR 362/96, NZA 1997, 1158.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 490 Teil 1
gung. Die Verletzung dieser Pflicht kann aber Schadensersatzansprüche des Gekündigten begründen. Bei dem Schaden wird es sich regelmäßig um die Prozesskosten handeln, wenn der Gekündigte die Gründe erst im Prozess erfährt und daraufhin die Klage zurücknimmt1. Will der Arbeitnehmer geltend machen, dass die Kündigung unwirksam ist, so muss er innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG, ggf. binnen der nach §§ 5, 6 KSchG verlängerten Frist, beim Arbeitsgericht Feststellungsklage erheben (§ 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Anderenfalls gilt die außerordentliche Kündigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V. mit § 7 KSchG als von Anfang an wirksam. Anders als früher erstreckt sich die Fiktionswirkung des § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG i.V. mit § 7 KSchG (s.o. Rz. 426) seit dem 1.1.2004 auf sämtliche Gründe, aus denen sich die Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung ergibt. Diese Grundsätze gelten gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG auch für Betriebe, auf die die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes mangels erforderlicher Beschäftigtenzahl an sich keine Anwendung finden. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG außerordentlich, hat der Arbeitnehmer, der die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen will, gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG ebenfalls innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben2.
488
Hat der Arbeitnehmer die außerordentliche Kündigung innerhalb der DreiWochen-Frist des § 4 KSchG gerichtlich angegriffen, so kann er gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 i.V. mit §§ 9, 10 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung beantragen, sofern die außerordentliche Kündigung unbegründet und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist.
489
h) Sonstige Unwirksamkeitsgründe Eine Kündigung kann aus zahlreichen anderen Gründen unwirksam sein, z.B. wegen fehlender Geschäftsfähigkeit des Arbeitgebers zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung (vgl. § 105 BGB), wegen unverzüglicher Zurückweisung nach § 174 Satz 1 BGB (s.o. Rz. 161 ff.), wegen Sittenwidrigkeit, Benachteiligung i.S. von § 612a BGB oder Verstoßes gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB (s.o. Rz. 230 ff.), wegen unterbliebener oder nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats (s.u. Rz. 633 ff.) oder des Sprecherausschusses (s.u. Rz. 689 ff.), wegen Verstoßes gegen besondere gesetzliche Kündigungsverbote, wie etwa § 15 KSchG, § 9 MuSchG, § 18 BEEG, § 5 PflegeZG, § 85 SGB IX (s.u. Rz. 507 ff.), wegen Verletzung der Anzeigepflicht bei Massenentlassungen nach § 17 KSchG (s.o. Rz. 10 ff.) oder wenn sie allein wegen des Über-
1 Vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 600 m. w. Nachw. 2 BAG vom 28.6.2007 – 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972 unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren gegenteiligen Rechtsprechung (vgl. BAG vom 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, DB 1973, 481).
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Teil 1 Rz. 491
Arbeitsrechtliche Grundlagen
gangs eines Betriebs oder Betriebsteils ausgesprochen wird (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB)1. 491
Aufgrund der seit dem 1.1.2004 geltenden Neufassung der §§ 4 und 7 KSchG (s.o. Rz. 414 und 426), auf die § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG verweist und die § 13 Abs. 3 KSchG für den Fall der Unwirksamkeit einer Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, ausdrücklich für anwendbar erklärt, müssen auch diese Mängel vom Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung gerichtlich geltend gemacht werden. Die Möglichkeit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 9, 10 KSchG, der Anrechnung auf entgangenen Zwischenverdienst i.S. von § 11 KSchG und des Lossagungsrechts des Arbeitnehmers nach § 12 KSchG kommen – wie sich aus § 13 KSchG ergibt – nicht in Betracht, wenn allein die Unwirksamkeit aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG genannten Gründen geltend gemacht wird. Etwas anderes gilt lediglich bei der sittenwidrigen Kündigung. Hier kann der Arbeitnehmer, nicht aber der Arbeitgeber, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG beantragen, wenn er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist. i) Leitende Angestellte
492
Das Kündigungsschutzgesetz findet auf leitende Angestellte i.S. von § 5 Abs. 3 BetrVG grundsätzlich Anwendung (zum Begriff des leitenden Angestellten i.S. von § 5 Abs. 3 BetrVG s.u. Rz. 670 ff.). Für die in § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG genannten Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung berechtigt sind, gilt der Erste Abschnitt des KSchG allerdings nicht uneingeschränkt. aa) Begriff des leitenden Angestellten in § 14 Abs. 2 KSchG
493
Der in § 14 Abs. 2 KSchG enthaltene Begriff des leitenden Angestellten deckt sich nicht mit dem des § 5 Abs. 3 BetrVG. Als leitende Angestellte sieht § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte an, soweit diese Personen zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind.
494
Der Begriff des Geschäftsführers ist nicht im technischen Sinne des GmbHRechts zu verstehen. Vielmehr meint er solche Angestellte, die leitende
1 Vgl. BAG vom 24.4.2008 – 8 AZR 268/07, NZA 2008, 1314 (dort auch zu den Voraussetzungen für das Vorliegen eines Betriebsübergangs i.S. von § 613a BGB). S. ganz generell zum Betriebsübergang i.S. von § 613a BGB Henssler, NZA 1994, 913 ff.; Schiefer/Worzalla, DB 2008, 1566 ff.; Ehrich, NZA 1993, 635 ff. (dort auch zum – nunmehr in § 613a Abs. 6 BGB gesetzlich ausdrücklich geregelten – Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang).
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 497 Teil 1
unternehmerische Aufgaben, etwa im kaufmännischen, organisatorischen, technischen oder personellen Bereich wahrnehmen. Erforderlich ist die Wahrnehmung unternehmerischer Führungsaufgaben1. Den Betriebsleitern obliegt die Führung eines Betriebes oder Betriebsteils innerhalb des Unternehmens, wobei auch die Leitung einer Betriebsabteilung ausreicht. Entscheidend ist die Wahrnehmung von unternehmerischen (Teil-) Aufgaben und die Vorgesetztenfunktion gegenüber den Arbeitnehmern des Betriebes. Die bloße Aufsichtsfunktion hinsichtlich der Arbeitnehmer und des technischen Betriebsablaufs genügt nicht2.
495
Die in § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG genannten ähnlichen leitenden Angestellten müssen wie die Geschäftsführer und Betriebsleiter gegenüber einer nicht geringen Anzahl von Arbeitnehmern eine Vorgesetztenfunktion haben und Arbeitgeberfunktionen ausüben3. Dabei genügt nicht die Ausübung des Direktionsrechts gegenüber einem oder sehr wenigen Arbeitnehmern. Unzureichend ist auch allein eine Vertrauensstellung, da diese schon von einer Sekretärin wahrgenommen werden kann, ohne dass sie nur entfernt ähnliche Funktionen wie ein Geschäftsführer oder Betriebsleiter hat. Die den Geschäftsführern und Betriebsleitern ähnlichen leitenden Angestellten müssen innerhalb des Unternehmens oder Betriebes Führungsaufgaben wahrnehmen. Nur beratende, ordnende und fachlich anleitende Funktionen reichen nicht aus. Zu den von § 14 Abs. 2 KSchG erfassten Personen gehören z.B. kaufmännische oder technische Leiter, Leiter von Rechtsabteilungen, u.U. auch Filialleiter, nicht aber Werkmeister, Poliere oder Lagerverwalter4.
496
Sowohl Geschäftsführer und Betriebsleiter als auch die ähnlichen leitenden Angestellten müssen nach h.M.5 zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sein6. Während nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG die Erfordernisse der selbständigen Einstellung und Entlassung kumulativ vorliegen müssen, genügt nach § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine alternative Wahrnehmung einer dieser Funktionen7. Die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung oder Entlassung muss aber ebenso wie bei den leitenden Angestellten i.S. von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern erfassen. Ein nur eng umgrenzter Personenkreis genügt nicht8. Zudem muss die Personalkompetenz die Stellung des betref-
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Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 109 m. w. Nachw. Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 110 m. w. Nachw. Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 111 m. w. Nachw. Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 112 m. w. Nachw. BAG vom 18.10.2000 – 2 AZR 465/99, NZA 2001, 437; BAG vom 27.9.2001 – 2 AZR 176/00, NZA 2002, 1277; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 14 Rz. 29; KRRost, § 14 KSchG Rz. 27 m. w. Nachw. 6 Einzelheiten zu diesem Erfordernis s. bei Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 113 ff. 7 Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 114 m. w. Nachw. 8 BAG vom 18.10.2000 – 2 AZR 465/99, NZA 2001, 437.
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Teil 1 Rz. 498
Arbeitsrechtliche Grundlagen
fenden Arbeitnehmers wesentlich prägen, d.h. einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausmachen1. bb) Kündigungsrechtliche Besonderheiten bei leitenden Angestellten i.S. von § 14 Abs. 2 KSchG 498
Für die von § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG erfassten leitenden Angestellten gilt der Erste Abschnitt des KSchG mit folgenden beiden Einschränkungen:
499
(1) Keine Anwendung findet nach § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG die Regelung des § 3 KSchG über den Einspruch gegen eine Kündigung beim Betriebsrat.
500
Nach dem Zweck des Gesetzes bleibt § 3 KSchG jedoch anwendbar, wenn es sich bei dem Angestellten zwar um einen leitenden Angestellten i.S. von § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG, nicht aber i.S. von § 5 Abs. 3 BetrVG handelt2. Da der Angestellte in dem Fall vom Betriebsrat repräsentiert wird, dieser mithin vor der Kündigung gemäß § 102 BetrVG anzuhören ist, wäre es sinnwidrig, dem Angestellten die Möglichkeit der Einschaltung des Betriebsrats nach § 3 KSchG zu versagen.
501
(2) Praktisch weitaus wichtiger ist die Bestimmung des § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG, wonach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG mit der Maßgabe Anwendung findet, dass der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung bedarf. Der sachliche Grund für die leichtere Lösbarkeit des Arbeitsverhältnisses ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers in dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und leitendem Angestellten zu sehen3.
502
Im Hinblick darauf hat der Arbeitgeber auch bei Sozialwidrigkeit der Kündigung die Möglichkeit, durch einen entsprechenden Antrag die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu erzwingen. Der Auflösungsantrag bedarf keiner Begründung4.
503
Führt der Arbeitgeber im Falle einer sozial nicht gerechtfertigten Kündigung durch seinen Antrag die Auflösung des Arbeitsverhältnisses herbei, so hat er eine vom Gericht nach Maßgabe des § 10 KSchG festzusetzende angemessene Abfindung zu zahlen. Bei der Höhe der Abfindung können auch die Gründe berücksichtigt werden, die den Arbeitgeber zur Stellung des Auflösungsantrages veranlasst haben, sofern er diese – obwohl er hierzu nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht verpflichtet ist – dem Gericht darlegt5.
1 BAG vom 18.10.2000 – 2 AZR 465/99, NZA 2001, 437; LAG Köln vom 14.10.2005 – 11 Sa 362/05, zitiert nach juris; weitere Nachw. s. bei Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 119. 2 Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 122 m. w. Nachw. 3 Vgl. BT-Drucks. V/3913 zu Art. 1 Nr. 9. 4 KR-Rost, § 14 KSchG Rz. 37; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 14 Rz. 34; Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 124 m. w. Nachw. 5 Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 125.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 508 Teil 1
Handelt es sich bei dem gekündigten Mitarbeiter zweifelsfrei um einen leitenden Angestellten i.S. von § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG, sollte dieser wegen der Möglichkeit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ohne Begründungspflicht auf Antrag des Arbeitgebers bei den außergerichtlichen oder gerichtlichen Verhandlungen über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine überhöhten Abfindungsforderungen stellen und eher ein Abfindungsangebot des Arbeitgebers, das bereits die „Regelsätze“ übersteigt, akzeptieren. Anderenfalls riskiert er, dass ihm im Falle einer gerichtlichen Entscheidung u.U. eine geringere Abfindung zugesprochen wird.
504
Für die nicht unter § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG fallenden leitenden Angestellten gilt der allgemeine Kündigungsschutz uneingeschränkt.
505
9. Besonderer Kündigungsschutz für bestimmte Arbeitnehmergruppen Das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer, der besonderen Kündigungsschutz genießt, kann der Arbeitgeber nur unter erschwerten Voraussetzungen einseitig durch Kündigung beenden. Zwar ist die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem solchen Arbeitnehmer grundsätzlich möglich. Der besondere Kündigungsschutz und die damit verbundene Gefahr der Verhängung einer Sperrfrist durch die Arbeitsagentur nach § 144 SGB III im Falle der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen indes faktisch dazu, dass die betreffenden Mitarbeiter regelmäßig nur gegen Zahlung einer hohen Abfindung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages bereit sind.
506
a) Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz Jede Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist grundsätzlich unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 MuSchG). Das Überschreiten dieser Frist ist nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG unschädlich, wenn es auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), nachgeholt wird. Die nachträgliche Mitteilung muss das Bestehen einer Schwangerschaft oder die Vermutung einer solchen Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zum Inhalt haben1.
507
Die Fristüberschreitung ist von der schwangeren Frau dann i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG zu vertreten, wenn sie auf einem gröblichen Verstoß gegen das von einem ordentlichen und verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist (sog. „Verschulden gegen sich selbst“)2. Dabei kommt es nicht darauf an, durch welchen Umstand die
508
1 BAG vom 15.11.1990 – 2 AZR 270/90, NZA 1991, 669. 2 BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 730/00, NZA 2003, 217; BAG vom 26.9.2002 – 2 AZR 392/01, DB 2003, 1448.
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Teil 1 Rz. 509
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Schwangere an der Fristeinhaltung gehindert ist, sondern darauf, ob die Fristüberschreitung in der eben genannten Weise schuldhaft oder unverschuldet ist1. Einen „gröblichen Verstoß“ stellt es nicht dar, wenn die Schwangere die Bescheinigung über die Schwangerschaft mit normaler Post an den Arbeitgeber versendet und der Brief dann aus ungeklärter Ursache verloren geht, da die Schwangere nach der Rechtsprechung des BAG mit einem Verlust des Briefes auf dem Beförderungswege nicht von vornherein rechnen müsse2. 509
Eine unverschuldete Versäumung der Zwei-Wochen-Frist kann nicht nur vorliegen, wenn die Frau während dieser Frist keine Kenntnis von der Schwangerschaft hat, sondern auch dann, wenn sie ihre Schwangerschaft beim Zugang der Kündigung kennt oder während des Laufs der Zwei-Wochen-Frist von ihr erfährt und durch sonstige Umstände an der rechtzeitigen Mitteilung unverschuldet verhindert ist3.
510
Bei der Prüfung, ob die Mitteilung i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG unverzüglich nachgeholt worden ist, kann weder auf eine Mindest- noch auf eine Höchstfrist abgestellt werden. Entscheidend sind vielmehr stets die besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls4. Die Einräumung einer (kurzen) Überlegungsfrist ist nach Auffassung des BAG wegen Art. 6 Abs. 4 GG angezeigt. Eine „unverzügliche“ Nachholung der Mitteilung gegenüber dem Arbeitgeber kann danach gegeben sein, wenn sie innerhalb von einer Woche ab Kenntniserlangung von der Schwangerschaft erfolgt5.
511
Weiterhin soll es der Arbeitnehmerin nicht angelastet werden können, dass sie nach Ausbleiben ihrer Regel erst nach einer gewissen Zeit des Abwartens, etwa um gelegentlich auftretende Zyklusstörungen bzw. Regelverschiebungen auszuschließen, einen Schwangerschaftstest vornehmen lasse oder einen Arzt aufsuche, zumal die Feststellung einer Schwangerschaft ohnehin erst ab dem 36. Tag nach dem Beginn der letzten Regelblutung überhaupt erfolgversprechend sei6. Ebenso wenig soll eine schuldhafte Verzögerung der Mitteilung bereits darin liegen, dass die Arbeitnehmerin alsbald nach Kenntnis von der Schwangerschaft einen Prozessbevollmächtigten mit der Klageerhebung gegen die bis dahin nicht angegriffene Kündigung beauftrage und die Schwangerschaft nur in der Klageschrift mitteile. Die Arbeitnehmerin habe auch weder für Hindernisse bei der Übermittlung der Mitteilung, an denen sie kein Verschulden treffe,
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BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 730/00, NZA 2003, 217. BAG vom 16.5.2002 – 2 AZR 730/00, NZA 2003, 217. BAG vom 26.9.2002 – 2 AZR 392/01, DB 2003, 1448. BAG vom 20.5.1988 – 2 AZR 739/87, NZA 1988, 799. BAG vom 26.9.2002 – 2 AZR 392/01, DB 2003, 1448. So BAG vom 6.10.1983 – 2 AZR 368/82, DB 1984, 1044. Bedenklich aber LAG Nürnberg vom 17.3.1992 – 4 Sa 566/91, LAGE § 9 MuSchG Nr. 17, wonach eine schwangere Frau nicht schuldhaft handele, wenn sie trotz Kenntnis vom Bestehen einer Schwangerschaft mit einer entsprechenden Mitteilung an den Arbeitgeber zuwarte, bis sie vom Arzt eine Schwangerschaftsbescheinigung erhalte, aus der sie den Beginn der Schwangerschaft entnehmen könne.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 516 Teil 1
noch für ein zur Verzögerung der Mitteilung führendes Verschulden eines von ihr beauftragten geeigneten Prozessbevollmächtigten einzustehen1. Geht der schwangeren Arbeitnehmerin während ihres Urlaubs eine Kündigung zu und teilt sie dem Arbeitgeber unverzüglich nach Rückkehr aus dem Urlaub ihre Schwangerschaft mit, so ist die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist des § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG nicht allein deshalb als verschuldet anzusehen, weil es die Arbeitnehmerin unterlassen hat, dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft vor Urlaubsantritt anzuzeigen2.
512
Maßgebend für den Beginn des besonderen Kündigungsschutzes ist der Eintritt der Schwangerschaft. Zu dessen Feststellung ist von dem Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme auszugehen und von dem darin angegebenen mutmaßlichen Entbindungstermin um 280 Tage zurückzurechnen, wobei der voraussichtliche Entbindungstag nicht mitzurechnen ist3.
513
Der Kenntnis des Arbeitgebers steht die Kenntnis seines Vertreters oder des dienstlichen Vorgesetzten der Frau gleich (z.B. Personalleiter oder Meister). Dagegen reicht es nicht aus, dass nur ein untergeordneter Vorgesetzter (z.B. Vorarbeiter) von der bestehenden Schwangerschaft oder der erfolgten Entbindung Kenntnis hat4.
514
Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzes, nämlich die Kenntnis des Arbeitgebers von einer bestehenden Schwangerschaft und die Einhaltung der zweiwöchigen Mitteilungsfrist i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist die Arbeitnehmerin5. Gleiches gilt für die Frage der unverzüglichen Nachholung der Mitteilung nach Kenntnis einer bestehenden Schwangerschaft i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG. Auch hier hat die Arbeitnehmerin im Einzelnen Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen zu folgern ist, dass sie ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) dem Arbeitgeber von dem Bestehen einer Schwangerschaft Mitteilung gemacht hat6.
515
Die Schwangere genügt ihrer Darlegungslast für das Bestehen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung zunächst durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über den mutmaßlichen Tag der Entbindung, wenn der Zugang der Kündigung innerhalb von 280 Tagen vor diesem Termin liegt. Der Arbeitgeber kann jedoch den Beweiswert der Bescheinigung erschüttern und Umstände darlegen und beweisen, aufgrund deren es der wissenschaftlich ge-
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BAG vom 27.10.1983 – 2 AZR 214/82, DB 1984, 1203. BAG vom 13.6.1996 – 2 AZR 736/95, NZA 1996, 1154. BAG vom 7.5.1998 – 2 AZR 417/97, NZA 1998, 1049. BAG vom 18.2.1965 – 2 AZR 274/64, DB 1965, 824; LAG Köln vom 10.10.1990 – 7 Sa 214/90, LAGE § 9 MuSchG Nr. 12 (Kenntnis des Küchenchefs unzureichend); KR-Bader, § 9 MuSchG Rz. 36 m. w. Nachw. 5 KR-Etzel, § 9 MuSchG Rz. 45 m. w. Nachw. 6 LAG Berlin vom 5.7.1993 – 9 Sa 9/93, NZA 1994, 319.
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Teil 1 Rz. 517
Arbeitsrechtliche Grundlagen
sicherten Erkenntnis widersprechen würde, von einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Kündigung auszugehen. Die Arbeitnehmerin muss dann weiteren Beweis führen1. 517
Der besondere Kündigungsschutz nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG dauert bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung. Eine „Entbindung“ i.S. dieser Vorschrift ist u.a. in Anlehnung an entsprechende personenstandsrechtliche Bestimmungen (§ 21 Abs. 2 PStG i.V. mit § 29 Abs. 2 PStV) dann anzunehmen, wenn die Leibesfrucht ein Gewicht von mindestens 500 Gramm hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Kind lebend oder tot geboren wird, wobei dies entsprechend dem Sinn und Zweck von § 9 Abs. 1 MuSchG, u.a. einen Schutz für die durch die Schwangerschaft und den Geburtsvorgang entstandenen Belastungen der Frau zu gewähren, auch bei einer medizinisch indizierten vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft gilt2. Dagegen scheidet eine Arbeitnehmerin nach der Fehlgeburt bei Nichtvorliegen der eben genannten personenstandsrechtlichen Bestimmungen aus dem Geltungsbereich des MuSchG aus, so dass § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG selbst dann nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung führt, die der Arbeitnehmerin unmittelbar nach der Fehlgeburt zugeht3.
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Das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG gilt auch dann, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des KSchG nicht gegeben sind, z.B. wenn es sich um einen Kleinbetrieb i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG handelt oder das Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG). Ebenso findet das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG nach Sinn und Zweck Anwendung, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis einer Schwangeren vor dessen Beginn kündigt4. Weiterhin bezieht sich das Kündigungsverbot auch auf schwangere Auszubildende5. Dagegen gilt das Kündigungsverbot nicht für vertretungsberechtigte Organmitglieder, weil der Mutterschutz nach § 1 Nr. 1 MuSchG nur für Frauen eingreift, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Ebenso wenig gilt das Kündigungsverbot für Frauen, die in einem Haushalt mit hauswirtschaftlichen, erzieherischen oder pflegerischen Arbeiten in einer ihre Arbeitskraft voll in Anspruch nehmenden Weise beschäftigt werden, nach Ablauf des fünften Monats der Schwangerschaft. Für Frauen, die den in Heimarbeit Beschäftigten gleichgestellt sind, gilt es nur dann, wenn sich die Gleichstellung auch auf den neunten Abschnitt – Kündigung – des Heimarbeitsgesetzes erstreckt (§ 9 Abs. 1 Satz 2 MuSchG).
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Keine Anwendung findet § 9 Abs. 1 MuSchG auf sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie etwa die Eigenkündigung der Ar-
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BAG vom 7.5.1998 – 2 AZR 417/97, NZA 1998, 1049. BAG vom 15.12.2005 – 2 AZR 462/04, NZA 2006, 994. Vgl. BAG vom 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, NZA 1991, 63. LAG Düsseldorf vom 30.9.1992 – 11 Sa 1049/92, NZA 1993, 1041. LAG Berlin vom 1.7.1985 – 9 Sa 28/85, BB 1986, 62.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 521 Teil 1
beitnehmerin (§ 10 Abs. 1 MuSchG)1, den Zeitablauf bei einem – wirksam – befristeten Arbeitsverhältnis2 oder die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein vorheriger Verzicht auf den Kündigungsschutz durch die Arbeitnehmerin ist unwirksam. Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG kann die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle in besonderen Fällen, die nicht mit dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären. Die Zustimmung muss vor der Kündigung erteilt werden. Die spätere Zulässigkeitserklärung durch die zuständige Behörde kann die Unwirksamkeit einer zuvor ausgesprochenen Kündigung (§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG i.V. mit § 134 BGB) nicht heilen3. Auch eine außerordentliche Kündigung ist nur mit vorheriger Zustimmung möglich. Der Antrag muss innerhalb der Zwei-WochenFrist des § 626 Abs. 2 BGB gestellt werden. Wird die Kündigung für zulässig erklärt, muss sie unverzüglich ausgesprochen werden. Sie bedarf zu ihrer Wirksamkeit stets der Schriftform und der Angabe des zulässigen Kündigungsgrundes, § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG.
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Ein „besonderer Fall“ i.S. von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG ist nicht bereits bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB gegeben. Er liegt nur ausnahmsweise dann vor, wenn außergewöhnliche Gründe es rechtfertigen, die vom Gesetz als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers zurücktreten zu lassen4. In Betracht kommen schwerwiegende vorsätzliche Pflichtverletzungen der schwangeren Arbeitnehmerin (wie z.B. Diebstahl, Unterschlagung oder tätliche Bedrohung des Arbeitgebers)5 oder die Stilllegung des Betriebes6. Ist ein besonderer Fall i.S. von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG gegeben, so liegt es im Ermessen der Behörde („kann“), ob sie die Zustimmung erteilt. Die behördliche Entscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle7.
521
1 Kündigt eine Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis in Unkenntnis der Schwangerschaft, so ist die Kündigung weder unwirksam noch wegen Irrtums anfechtbar, vgl. BAG vom 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, DB 1992, 1529. 2 S. aber auch BAG vom 16.3.1989 – 2 AZR 325/88, NZA 1989, 719. 3 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1401. 4 BVerwG vom 18.8.1977 – V C 8/77, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG 1968; OVG Lüneburg vom 5.12.1990 – 14 L 12/90, AP Nr. 18 zu § 9 MuSchG 1968. 5 Vgl. VGH Baden-Württemberg vom 7.12.1993 – 10 S 2825/92, BB 1994, 940, wonach ein besonderer Fall i.S. von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG nicht bereits dann vorliege, wenn die Arbeitnehmerin gegenüber der Ehefrau eines Geschäftsführers und Gesellschafters ihrer Arbeitgeberin eine Indiskretion über dessen Privatleben begehe. Dies gelte auch dann, wenn die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsleistung im Rahmen einer engen persönlichen Zusammenarbeit mit dem Geschäftsführer zu erbringen habe. 6 Vgl. BAG vom 20.1.2005 – 2 AZR 500/03, NZA 2005, 2109; OVG Münster vom 21.3.2000 – 22 A 5137/99, NZA-RR 2000, 406; VGH Mannheim vom 20.2.2007 – 4 S 2436/05, NZA-RR 2007, 290 (jeweils zur Kündigung des in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers wegen dauerhafter Betriebsstilllegung). 7 Schaub/Linck, AR-Hdb., § 169 V 3c (Rz. 23).
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Teil 1 Rz. 522
Arbeitsrechtliche Grundlagen
522
Liegt zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine Zulässigkeitserklärung der zuständigen Landesbehörde i.S. von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG vor, muss diese nicht bestandskräftig sein1. Allein die Einlegung des Widerspruchs bzw. die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen die Zulässigkeitserklärung führen noch nicht dazu, die Kündigung als rechtsunwirksam zu qualifizieren2. Eine Aussetzung des Arbeitsrechtsstreits bis zum Abschluss des Verwaltungsgerichtsverfahrens nach § 148 ZPO wird vom BAG nicht für geboten erachtet, da der Arbeitnehmerin die Möglichkeit der Wiederaufnahme des arbeitsgerichtlichen Verfahrens bleibe, sofern der Bescheid endgültig aufgehoben werden sollte3.
523
Zu beachten ist weiterhin, dass nach der Rechtsprechung des BAG4 die Kündigungsverbote nach § 9 Abs. 1 MuSchG und § 18 BEEG nebeneinander bestehen, so dass der Arbeitgeber bei Vorliegen von Mutterschaft und zusätzlich Elternzeit (s.u. Rz. 525 ff.) für eine Kündigung der Zulässigkeitserklärung der Arbeitsschutzbehörde nach beiden Vorschriften bedarf.
524
Wird die Kündigung nach § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG für zulässig erklärt, hindert dies die Arbeitnehmerin nach Ausspruch der Kündigung nicht daran, hiergegen beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage zu erheben und die Kündigung auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes bzw. auf deren soziale Rechtfertigung überprüfen zu lassen. b) Kündigungsschutz während der Elternzeit
525
Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt werden kann, höchstens jedoch acht Wochen vor Beginn der Elternzeit nicht kündigen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG). Dieser Kündigungsschutz gilt unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BEEG gleichermaßen für Väter und Mütter. Anspruch auf Elternzeit besteht gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 BEEG bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes, wobei ein Anteil von bis zu zwölf Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit bis zur Vollendung des achten Lebensjahres übertragbar ist. Der Arbeitnehmer muss die Elternzeit nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG spätestens sieben Wochen vor Beginn schriftlich beim Arbeitgeber verlangen und gleichzeitig erklären, für welche Zeiten innerhalb von zwei Jahren er Elternzeit nehmen werde. Bei dringenden Gründen ist ausnahmsweise auch eine angemessene kürzere Frist möglich, § 16 Abs. 1 Satz 2 BEEG. Die Elternzeit kann auf zwei Zeitabschnitte verteilt werden; eine Verteilung auf weitere Zeitabschnitte ist nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich (§ 16 Abs. 1 Satz 5 BEEG).
1 2 3 4
BAG vom 17.6.2003 – 2 AZR 245/02, NZA 2003, 1329. BAG vom 25.3.2004 – 2 AZR 295/03, NZA 2004, 1064. BAG vom 17.6.2003 – 2 AZR 245/02, NZA 2003, 1329. BAG vom 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, DB 1993, 1783.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 530 Teil 1
Auf den Sonderkündigungsschutz während der Elternzeit (§ 18 BEEG) kann sich ein Arbeitnehmer nur berufen, wenn er berechtigterweise die Elternzeit angetreten hat und zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Elterzeit vorliegen. Hierzu gehört insbesondere das schriftliche Verlangen i.S. von § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Versäumt es der Arbeitnehmer, die Elternzeit in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zu beantragen, besteht grundsätzlich kein gesetzlicher Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 BEEG. Im Einzelfall kann dem Arbeitgeber jedoch die Berufung auf die fehlende Schriftform gemäß § 242 BGB nach Treu und Glauben wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verwehrt sein1.
526
In besonderen Fällen kann die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle die Kündigung für zulässig erklären, § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 BEEG. Insoweit gelten hier die Ausführungen zu § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG sinngemäß (s.o. Rz. 520 ff.). An einen bestandskräftigen Bescheid nach § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 BEEG sind die Arbeitgerichte gebunden2.
527
Nach § 18 Abs. 2 BEEG gilt die Vorschrift des § 18 Abs. 1 BEEG entsprechend, wenn der Arbeitnehmer
528
1. während der Elternzeit bei seinem Arbeitgeber Teilzeitarbeit leistet oder 2. ohne Elternzeit in Anspruch zu nehmen, bei seinem Arbeitgeber Teilzeitarbeit leistet und Anspruch auf Elterngeld nach § 1 BEEG während des Bezugszeitraums nach § 4 Abs. 1 BEEG hat. Das Kündigungsverbot des § 18 BEEG gilt nicht für Arbeitsverhältnisse mit einem „anderen“ Arbeitgeber i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 3 BEEG3.
529
c) Kündigungsschutz nach dem Pflegezeitgesetz Mit § 5 des am 1.7.2008 in Kraft getretenen Pflegezeitgesetzes (PflegeZG)4 hat der Gesetzgeber einen für die Arbeitnehmer überaus interessanten und für die Arbeitgeber äußerst problematischen weiteren Kündigungsschutz geschaffen. Danach darf der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung einer kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG oder der Pflegezeit nach § 3 PflegeZG nicht kündigen (§ 5 Abs. 1 PflegeZG). Gemäß § 5 Abs. 2 PflegeZG kann eine Kündigung von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ausnahmsweise für zulässig erklärt werden, wozu die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen kann.
1 BAG vom 26.6.2008 – 2 AZR 23/07, NZA 2008, 1241. 2 BAG vom 20.1.2005 – 2 AZR 500/03, NZA 2005, 2109. 3 Vgl. BAG vom 2.2.2006 – 2 AZR 596/04, NZA 2006, 678 (zu §§ 18, 15 Abs. 4 Satz 2 BErzGG). 4 BGBl. I, S. 896.
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Teil 1 Rz. 531
Arbeitsrechtliche Grundlagen
531
Durch diesen Sonderkündigungsschutz soll den Beschäftigten1 nach der gesetzgeberischen Begründung2 die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes genommen werden.
532
Der besondere Kündigungsschutz des § 5 Abs. 1 PflegeZG bezieht sich auf Beschäftigte, bei denen die Voraussetzungen des § 2 PflegeZG und § 3 PflegeZG gegeben sind. Nach § 2 Abs. 1 PflegeZG haben Beschäftigte das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut auftretenden Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung für diese Zeit sicherzustellen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeZG sind Beschäftigte von der Arbeitsleistung vollständig oder teilweise freizustellen, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen (Pflegezeit). Dieser Anspruch besteht nicht gegenüber Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten, § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG. Wer Pflegezeit in Anspruch nehmen will, muss dies gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 PflegeZG spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn schriftlich ankündigen und gleichzeitig erklären, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung in Anspruch genommen werden soll. Die Höchstdauer der Pflegezeit nach § 3 PflegeZG beträgt für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen sechs Monate, § 4 Abs. 1 Satz 1 PflegeZG. „Nahe Angehörige“ i.S. der §§ 2 und 3 PflegeZG sind nach § 7 Abs. 3 PflegeZG Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Geschwister, Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder. „Pflegebedürftig“ i.S. der §§ 2 und 3 PflegeZG sind gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 PflegeZG Personen, die die Voraussetzungen nach den §§ 14 und 15 SGB XI erfüllen. Pflegebedürftig i.S. von § 2 PflegeZG sind nach § 7 Abs. 4 Satz 2 PflegeZG ferner Personen, die die Voraussetzungen nach den §§ 14 und 15 SGB XI voraussichtlich erfüllen.
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Für die Inanspruchnahme des Fernbleibens von der Arbeit nach § 2 PflegeZG und insbesondere der Pflegezeit nach § 3 PflegeZG ist eine bestimmte Mindestbeschäftigungsdauer des Arbeitnehmers gesetzlich nicht vorgesehen. Die §§ 3 und 5 PflegeZG enthalten – anders als § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG – keine Höchstankündigungsfristen hinsichtlich der Inanspruchnahme von Pflegezeit bzw. des Einsetzens des besonderen Kündigungsschutzes nach § 5 Abs. 1 PflegeZG. Muss ein Arbeitnehmer, der etwa noch nicht länger als sechs Monate beschäftigt ist, oder dem eine schwere, zur fristlosen Kündigung berechtigende Vertragspflichtverletzung vorzuwerfen ist, mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen, dürfte es ohne Weiteres auf der Hand liegen, dass
1 „Beschäftigte“ i.S. des Pflegezeitgesetzes sind gemäß § 7 Abs. 1 PflegeZG Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sowie Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten. 2 Vgl. BR-Drucks. 718/07, S. 223.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 534 Teil 1
er mittels schriftlicher Ankündigung der Inanspruchnahme von (u.U. auch erst mehrere Monate oder sogar Jahre später beginnender) Pflegezeit eines – vorhandenen – pflegebedürftigen nahen Angehörigen nach § 3 PflegeZG u.U. in den Kündigungsschutz des § 5 Abs. 1 PflegeZG gleichsam „flüchtet“ und damit ein Eingreifen des Kündigungsschutzes nach dem KSchG oder zumindest einen Ablauf der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bewirkt, sofern nicht – was regelmäßig kaum zu erwarten ist – eine Zustimmung zur Kündigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 PflegeZG noch rechtzeitig erteilt wird. Soweit in der Literatur teilweise erwogen wird, den Ablauf der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG und der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bis zu einer Entscheidung der Behörde über die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung zur Kündigung „zu hemmen“1, findet sich für diese Annahme im Pflegezeitgesetz kein Halt. Nichts anderes gilt für die Annahme, die gesetzliche Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG sei um die Dauer der Pflegezeit nebst Ankündigungsfrist zu verlängern2. Ebenso wenig dürfte mangels Bestehens einer insoweit erforderlichen unbewussten gesetzlichen Regelungslücke eine analoge Anwendung der in § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG enthaltenen Ankündigungsfristen im Rahmen von § 5 Abs. 1 PflegeZG in Betracht kommen, da der Gesetzgeber eine dem § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG entsprechende Regelung offenbar absichtlich nicht in § 5 Abs. 1 PflegeZG aufgenommen hat3. Denkbar wäre allenfalls, dass die Ankündigung von Pflegezeit durch den Arbeitnehmer lange Zeit vor deren Inanspruchnahme nach allgemeinen Grundsätzen rechtsmissbräuchlich i.S. von § 242 BGB ist4, so dass der Sonderkündigungsschutz des § 5 Abs. 1 PflegeZG einer arbeitgeberseitigen Kündigung nicht entgegenstehen würde. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Rechtsmissbrauch von den Arbeitsgerichten für gegeben erachtet wird, kann derzeit allerdings nicht verlässlich prognostiziert werden und bleibt daher abzuwarten. d) Kündigungsschutz von Schwerbehinderten Bei der Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern sind die Vorschriften des SGB IX5 zu beachten. Die Kündigung gegenüber einem Schwerbehinderten bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies gilt für ordentliche Kündigungen (§ 85 SGB IX) und außerordentliche Kündigungen (§§ 85, 91 SGB IX) gleichermaßen. Eine ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung ist wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (§§ 85, 91 SGB IX i.V. mit § 134 BGB)6. Die Zustimmung kann 1 2 3 4 5
Linck, BB 2008, 2738 (2743). So aber Preis/Nehring, NZA 2008, 729 (736); Linck, BB 2008, 2738 (2743). So zu Recht Preis/Nehring, NZA 2008, 729 (735). A.A. Linck, BB 2008, 2738 (2743). Vgl. Linck, BB 2008, 2738 (2743). Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – vom 19.6.2001 (BGBl. I S. 1046). 6 Dagegen ist die nach § 95 Abs. 2 SGB IX vorgesehene Anhörung der Schwerbehindertenvertretung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung, vgl. Stahlhacke/ Preis/Vossen, Rz. 1488 m. w. Nachw. Allerdings wird das Integrationsamt in dem Fall den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung des schwerbehinderten
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Teil 1 Rz. 535
Arbeitsrechtliche Grundlagen
nicht nachträglich erteilt werden. Die Unwirksamkeit einer bereits ausgesprochenen Kündigung wird sonach nicht durch eine später ausgesprochene Zustimmung geheilt. Vielmehr muss der Arbeitgeber neu kündigen1. Die Zustimmung des Integrationsamtes ist ferner auch dann erforderlich, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Falle des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung, der Erwerbsminderung auf Zeit, der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ohne Kündigung erfolgt (§ 92 Satz 1 SGB IX). 535
Das Erfordernis der Zustimmung des Integrationsamtes nach §§ 85 ff. SGB IX bezieht sich hingegen nicht auf die sonstigen Formen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie z.B. Zeitablauf bei wirksam befristeten Arbeitsverhältnis, einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder Anfechtung des Arbeitsvertrages2.
536
Die Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer3.
537
Schwerbehinderte sind Personen, bei denen körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, sofern die Behinderung einen Grad von mindestens 50 erreicht und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i.S. des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben, § 2 Abs. 2 SGB IX. Der besondere Kündigungsschutz bezieht sich auch auf Gleichgestellte i.S. von § 2 Abs. 3 SGB IX. Hierbei handelt es sich um Personen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen im Übrigen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, die auf ihren Antrag durch die Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) Schwerbehinderten gleichgestellt wurden, weil sie infolge ihrer Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können (§ 2 Abs. 3 SGB IX).
538
Die Eigenschaft als schwerbehindert entsteht kraft Gesetzes, wenn die in § 2 SGB IX in der zum Zeitpunkt der Kündigung geltenden Voraussetzungen vorliegen. Der Feststellungsbescheid des Versorgungsamts hat nach § 2 Abs. 2,
Arbeitnehmers aus formellen Gründen zurückweisen, da er bei unterbliebener Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX einen wesentlichen Mangel aufweist. 1 Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 1521. 2 Vgl. BAG vom 5.10.1995 – 2 AZR 923/94, NZA 1996, 371. 3 BAG vom 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, NZA 2007, 617. Bestätigt durch BAG vom 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 (wonach die Wirksamkeit in der Wartezeit nicht davon abhängt, ob der Arbeitgeber zuvor ein Präventionsverfahren und/ oder ein betriebliches Eingliederungsmanagement i.S. von § 84 Abs. 1 und 2 SGB IX durchgeführt hat) und BAG vom 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, NZA-RR 2008, 404.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 540 Teil 1
§ 69 SGB IX keine rechtsbegründende (konstitutive), sondern lediglich eine erklärende (deklaratorische) Wirkung1. Der Kündigungsschutz der §§ 85 ff. SGB IX besteht in allen Betrieben, unabhängig von der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer. Auch die Kündigung von schwerbehinderten Auszubildenden bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes2. Der besondere Kündigungsschutz gilt nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht für Schwerbehinderte, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht länger als sechs Monate ohne Unterbrechung bestanden hat. Insoweit hat der Arbeitgeber dem Integrationsamt die Kündigung lediglich gemäß § 90 Abs. 3 SGB IX innerhalb von vier Tagen anzuzeigen. Die unterbliebene Anzeige hat jedoch keine Auswirkungen auf die Kündigung3. Unanwendbar ist der besondere Kündigungsschutz weiterhin bei Schwerbehinderten, deren Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet wird, sofern sie das 58. Lebensjahr vollendet und Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung auf Grund eines Sozialplanes oder Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung nach dem SGB VI oder auf Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus haben, wenn der Arbeitgeber ihnen die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und sie der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprechen (§ 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX). Auch Schwerbehinderte, die auf Stellen i.S. von § 73 Abs. 2 Nr. 2 bis 6 SGB IX beschäftigt werden, sind nach § 90 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX von dem besonderen Kündigungsschutz ausgenommen. Hierbei handelt es sich um Personen, deren Beschäftigung vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist, die vorwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung oder Erziehung beschäftigt werden, die nach ständiger Übung in ihre Stellen gewählt werden, die an Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und Strukturanpassung nach den §§ 269 ff. SGB III teilnehmen oder die nach § 19 BSHG in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt werden.
539
Nach § 90 Abs. 2a SGB IX, der mit Wirkung vom 1.5.2004 durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.20044 in das SGB IX eingefügt wurde, finden die Vorschriften „dieses Kapitels“ (gemeint sind die Regelungen der §§ 85 ff. SGB IX über den besonderen Kündigungsschutz von schwerbehinderten Arbeitnehmern) ferner keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Nach dieser – sprachlich missglückten – Vorschrift greift der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer i.S. der §§ 85 ff. SGB IX nur dann ein, wenn der Arbeitnehmer den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung mit den erforderlichen
540
1 BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 (1056) m. w. Nachw. S. dazu auch Arnold/Fischinger, BB 2007, 1894 ff. 2 BAG vom 10.12.1987 – 2 AZR 385/87, NZA 1988, 428. 3 Stahlhacke/Preiss/Vossen, Rz. 1473 m. w. Nachw. 4 BGBl. I S. 606.
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Teil 1 Rz. 541
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Angaben gestellt hat1. Die Regelung des § 90 Abs. 2a SGB IX gilt nicht nur für schwerbehinderte Arbeitnehmer, sondern auch für ihnen nach § 68 SGB IX gleichgestellte Menschen2. 541
„Nachgewiesen“ i.S. des § 90 Abs. 2a SGB IX ist die Schwerbehinderung, wenn sie dem Arbeitgeber bekannt oder wenn die Behinderung offenkundig ist3. Ist dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bzw. dessen Gleichstellung nicht bekannt und hatte der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamts daher auch nicht beantragt, so muss sich der Arbeitnehmer zur Erhaltung seines Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf diesen Sonderkündigungsschutz berufen. Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seinen Schwerbehindertenstatus bzw. seine Gleichstellung nicht innerhalb dieser drei Wochen mit, so kann er sich auf den Sonderkündigungsschutz nicht mehr berufen4. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber von der Schwerbehinderung keine Kenntnis hat, muss sich zur Erhaltung seines Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX innerhalb dieser Frist auf den Sonderkündigungsschutz selbst gegenüber dem Arbeitgeber berufen. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber von dritter Seite, etwa durch die Bundesagentur für Arbeit, von der Schwerbehinderung erfährt5.
542
Die Zustimmung des Integrationsamts ist nicht nach § 90 Abs. 2a SGB IX entbehrlich, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung eine – nicht rechtskräftige und später aufgehobene – Entscheidung des Versorgungsamts vorliegt, mit der ein unter 50 liegender Grad der Behinderung festgestellt wird. Das Gesetz ordnet in § 90 Abs. 2a SGB IX den Verlust des Sonderkündigungsschutzes in solchen Fällen nicht an. Eine so weitgehende Folge wie die faktische Entziehung des Rechtsschutzes gegen unrichtige Entscheidungen des Versorgungsamtes hätte das Gesetz unmissverständlich und eindeutig festlegen müssen6.
543
Der Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung ist nach § 87 Abs. 1 Satz 1, § 91 SGB IX schriftlich in doppelter Ausfertigung bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamt (früher: Hauptfürsorgestelle) einzureichen. Dieses hat eine Stellungnahme der zuständigen Arbeitsagentur, des Betriebsrats, des Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung einzuholen und den Schwerbehinderten oder Gleichgestellten zu hören, § 87 Abs. 2, § 91 SGB IX.
544
Ein auf einen form- und fristgerechten Antrag des Arbeitgebers ergehendes sog. Negativattest, in dem das Integrationsamt dem Arbeitgeber mitteilt, dass 1 BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, NZA 2008, 302; BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 613/06, NZA 2008, 361. 2 BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 217/06, NZA 2008, 302; Fröhlich, ArbRB 2009, 145 (146). 3 BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 (1056) m. w. Nachw. 4 BAG vom 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 – Orientierungssatz 2. 5 Vgl. BAG vom 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, DB 2007, 1540. 6 BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 547 Teil 1
es die Zustimmung nicht für erforderlich hält, beseitigt, jedenfalls wenn es bestandskräftig ist, ebenso wie die Zustimmung des Integrationsamts die zunächst bestehende Kündigungssperre. Da das Negativattest aber nur an die Stelle der an sich erforderlichen Zustimmung treten kann, muss es vor dem Ausspruch der Kündigung vorliegen1. Im Falle der ordentlichen Kündigung soll das Integrationsamt die Entschei- 545 dung, sofern erforderlich, auf Grund mündlicher Verhandlung, innerhalb eines Monats vom Tag des Eingangs des Antrages an treffen (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). An diese Frist ist das Integrationsamt jedoch nicht gebunden. Die Nichteinhaltung der Frist hat sonach keine unmittelbaren Rechtsfolgen, d.h. der Antrag ist weder abgelehnt, noch gilt die Zustimmung als erteilt. Grundsätzlich steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Integrationsamtes, ob es der beabsichtigten Kündigung zustimmt. Das Ermessen wird jedoch durch § 89 SGB IX eingeschränkt. Danach hat das Integrationsamt die Zustimmung zu erteilen bei Kündigungen in Betrieben und Dienstteilen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Lohn oder Gehalt gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen. Unter der gleichen Voraussetzung soll es die Zustimmung auch bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden, wenn die Gesamtzahl der verbleibenden Schwerbehinderten zur Erfüllung der Verpflichtung nach § 71 SGB IX ausreicht. Dies gilt nicht, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz desselben Betriebes oder derselben Dienststelle oder auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers mit Einverständnis des Schwerbehinderten möglich und für den Arbeitgeber zumutbar ist (§ 89 Abs. 1 SGB IX). Weiterhin soll das Integrationsamt nach § 89 Abs. 2 SGB IX die Zustimmung erteilen, wenn dem Schwerbehinderten ein anderer angemessener und zumutbarer Arbeitsplatz gesichert ist. Diese Regelung ist in erster Linie bei Änderungskündigungen von Bedeutung. Zu den Voraussetzungen, unter denen das Integrationsamt die Zustimmung erteilen soll, wenn über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet ist, s. § 89 Abs. 3 SGB IX. Im Rahmen des Verfahrens über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung berücksichtigen die Integrationsämter überdies zunehmend die – für außerordentliche Kündigungen geltende – Zusammenhangsregelung des § 91 Abs. 4 SGB IX, wonach die Zustimmung erteilt werden soll, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht2.
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Die Entscheidung des Integrationsamtes ist dem Arbeitgeber und dem Schwerbehinderten zuzustellen (§ 88 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die förmlichen Zustellungen sind Wirksamkeitsvoraussetzung für die Entscheidung des Inte-
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1 BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 324/06, NZA 2008, 407. 2 Vgl. Bauer, II Rz. 219.
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Teil 1 Rz. 548
Arbeitsrechtliche Grundlagen
grationsamtes. Die Kündigung eines Schwerbehinderten kann sonach erst nach Zustellung des Zustimmungsbescheides des Integrationsamtes an den Arbeitgeber wirksam erklärt werden1. Die Zustimmung nach § 85 SGB IX ist jedoch bereits dann erteilt, wenn die Zustellung des Bescheides nur an den Arbeitgeber, nicht aber an den Schwerbehinderten erfolgt ist2. 548
Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, so kann der Arbeitgeber gemäß § 88 Abs. 3 SGB IX die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung des Integrationsamtes an den Arbeitgeber, unabhängig davon, ob sie dem Schwerbehinderten bereits zuvor zugestellt worden ist und hiervon der Arbeitgeber Kenntnis hat3. Für die Fristberechnung gelten die §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 3 BGB. Ist der letzte Tag ein Samstag oder ein Sonn- oder Feiertag, so läuft die Frist erst am folgenden Werktag ab, § 193 BGB. Die Kündigung muss dem Arbeitnehmer innerhalb der Monatsfrist des § 88 Abs. 3 SGB IX zugegangen sein. Auf den Zeitpunkt der Absendung des Kündigungsschreibens kommt es nicht an4. Eine verspätet zugegangene Kündigung ist unwirksam.
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Û
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Die ordentliche Kündigungsfrist für Arbeitsverhältnisse von Schwerbehinderten und Gleichgestellten beträgt nach § 86 SGB IX mindestens vier Wochen. Eine längere gesetzliche, tarifliche oder arbeitsvertragliche Kündigungsfrist muss eingehalten werden. Soweit durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Gesetz geregelt ist, dass eine ordentliche Kündigung nur zu bestimmten Kündigungsterminen ausgesprochen werden darf, muss der Arbeitgeber bei der ordentlichen Kündigung sowohl diese Termine als auch die in § 86 SGB IX bestimmte Mindestkündigungsfrist von vier Wochen beachten6.
551
Nach erteilter Zustimmung durch das Integrationsamt soll die Kündigung eines Schwerbehinderten nach einer Entscheidung des LAG Sachsen-Anhalt vom 24.11.19997 im Kündigungsschutzprozess auch auf Gründe gestützt werden können, die nicht Gegenstand des Zustimmungsersetzungsverfahrens waren. 1 2 3 4 5 6 7
Hinweis: Liegt die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen nach § 85 SGB IX vor, so ist der Arbeitgeber innerhalb des in § 88 Abs. 3 SGB IX genannten Zeitraums von einem Monat berechtigt, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bei identischem Kündigungssachverhalt wegen formeller Bedenken an der ersten Kündigung erneut zu kündigen, ohne vor solchen Folgekündigungen erneut das Zustimmungsverfahren einleiten und durchführen zu müssen5.
Vgl. BAG vom 16.10.1991 – 2 AZR 332/91, NZA 1992, 503. BAG vom 17.2.1982 – 7 AZR 846/79, DB 1983, 1329. BAG vom 17.2.1982 – 7 AZR 846/79, DB 1983, 1329. KR-Etzel, §§ 85–90 SGB IX Rz. 130 m. w. Nachw. BAG vom 8.11.2007 – 2 AZR 425/06, NZA 2008, 471. BAG vom 25.2.1981 – 7 AZR 25/79, DB 1981, 1417. LAG Sachsen-Anhalt vom 24.11.1999 – 3 Sa 164/99, BB 2000, 2051 (rechtskräftig).
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 556 Teil 1
Bei der außerordentlichen Kündigung ist der Antrag auf Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 91 Abs. 2 SGB IX innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen zu stellen. Maßgebend für die Fristberechnung ist der Eingang des Antrags beim Integrationsamt. Der Arbeitgeber muss gegenüber dem Integrationsamt die wesentlichen Tatsachen, auf die er die außerordentliche Kündigung stützen will, und das Datum der Kenntnisnahme darlegen. Bei Nichteinhaltung der Frist ist der Antrag vom Integrationsamt abzulehnen.
552
Die Regelung des § 91 Abs. 2 SGB IX gilt auch für eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer1.
553
Das Integrationsamt hat die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tag des Eingangs an zu treffen, § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX. Diese Frist berechnet sich nach den §§ 186 ff. BGB. Während dieser Zeit muss das Integrationsamt eine Stellungnahme der zuständigen Arbeitsagentur, des Betriebsoder Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung einholen sowie den schwerbehinderten Arbeitnehmer anhören (§§ 91 Abs. 1, 87 Abs. 2 SGB IX).
554
Der Arbeitgeber kann eine außerordentliche Kündigung (u.U. mit notwendiger Auslauffrist) bereits dann erklären, wenn ihm die Zustimmungsentscheidung vom Integrationsamt innerhalb der gesetzlichen Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX mündlich oder fernmündlich bekannt gegeben worden ist. Anders als bei der ordentlichen Kündigung (s.o. Rz. 547) bedarf es nicht der förmlichen Zustellung der – schriftlichen – Entscheidung des Integrationsamts vor dem Zugang der Kündigungserklärung, da § 91 SGB IX eine von § 88 SGB IX abweichende, speziellere Regelung enthält2.
555
Wird von dem Integrationsamt innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX keine Entscheidung getroffen, so gilt nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung als erteilt. Nach Ansicht des BAG3 greift jedoch die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX nicht ein, wenn die ablehnende Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur fristlosen Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX den Machtbereich des Integrationsamtes verlassen hat (so z.B. wenn das Integrationsamt die ablehnende Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX zur Post gegeben hat) und dem Arbeitgeber erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist zugeht. Im Hinblick darauf empfiehlt sich für den Arbeitgeber, der nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist außerordentlich kündigen will, eine (telefonische) Anfrage beim Integrationsamt, da er nicht darauf vertrauen darf, dass die beantragte Zustimmung erteilt worden ist, wenn an ihn inner-
556
1 BAG vom 12.5.2005 – 2 AZR 159/04, NZA 2005, 1173. 2 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 255/04, NZA 2005, 991; BAG vom 12.5.2005 – 2 AZR 159/04, NZA 2005, 1173. 3 BAG vom 9.2.1994 – 2 AZR 720/93, NZA 1994, 1030.
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Teil 1 Rz. 557
Arbeitsrechtliche Grundlagen
halb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX keine Zustellung der Entscheidung des Integrationsamtes erfolgt ist. Ebenso wenig greift die Zustimmungsfiktion ein, wenn das Integrationsamt über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ablehnend entscheidet und hiervon den Arbeitgeber vor Ablauf der Frist in irgendeiner Weise, sei es auch nur (fern-)mündlich unterrichtet1. 557
Das Integrationsamt soll nach § 91 Abs. 4 SGB IX die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Von einem solchen fehlenden Zusammenhang ist regelmäßig auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer schwere Vertragsverstöße vorgeworfen werden. Soll die Kündigung aus Gründen erfolgen, die mit der Behinderung nicht im Zusammenhang stehen, so hat das Integrationsamt die Zustimmung im Regelfall zu erteilen. Nur bei Vorliegen von atypischen Umständen ist das Integrationsamt berechtigt, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden2.
558
Wird die Zustimmung von dem Integrationsamt erteilt, so kann die fristlose Kündigung auch noch nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgesprochen werden, sofern sie unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), erklärt wird, § 91 Abs. 5 SGB IX. Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalles nicht geboten ist3. „Unverzüglich“ bedeutet damit weder „sofort“ noch ist damit eine starre Zeitvorgabe verbunden. Vielmehr kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an4. Danach kann es dem Arbeitgeber nicht als schuldhaftes Zögern angelastet werden, wenn er nach telefonischer Benachrichtigung über die Erteilung der Zustimmung mit der Kündigung nur wenige Tage abwartet, bis im normalen Postlauf der Zustimmungsbescheid vorliegt und er am folgenden Tag das Kündigungsschreiben zur Post gibt5. Die Kündigung ist i.S. von § 91 Abs. 5 SGB IX „erklärt“, wenn sie dem schwerbehinderten Arbeitnehmer gemäß § 130 BGB zugegangen ist6. Die unverzügliche Absendung des Kündigungsschreibens reicht nicht aus.
559
Hat das Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten bereits vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB erteilt, kann der Arbeitgeber diese Kündigungserklärungsfrist voll ausschöpfen und muss nicht unverzüglich kündigen. Denn die Vor1 Vgl. BAG vom 9.2.1994 – 2 AZR 720/93, NZA 1994, 1030. 2 Vgl. BVerwG vom 2.7.1992 – 5 C 31/91, NZA 1993, 123; BVerwG vom 10.9.1992 – 5 C 39/88, NZA 1993, 76; VGH Mannheim vom 24.11.2005 – 9 S 2178/05, NZA-RR 2006, 183. 3 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 255/04, NZA 2005, 991. 4 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 255/04, NZA 2005, 991. 5 BAG vom 18.5.1994 – 2 AZR 626/93, NZA 1995, 65. Ähnlich BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 255/04, NZA 2005, 991. 6 BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 255/04, NZA 2005, 991.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 564 Teil 1
schrift des § 91 Abs. 5 SGB IX stellt lediglich klar, dass nach erteilter Zustimmung des Integrationsamtes keine neue Ausschlussfrist läuft. Als speziellere Regelung geht § 91 Abs. 5 SGB IX dem § 626 Abs. 2 BGB aber nur dann vor, wenn die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bereits abgelaufen ist1. Wurde vor Einschaltung des Integrationsamtes der Betriebs- oder Personalrat zur fristlosen Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers ordnungsgemäß angehört, so ist bei unverändertem Sachverhalt eine erneute Betriebsoder Personalratsanhörung auch dann nicht erforderlich, wenn die Zustimmung des Integrationsamtes erst nach einem jahrelangen verwaltungsgerichtlichen Verfahren erteilt wird2.
560
Das Erfordernis der unverzüglichen Kündigungserklärung nach Erteilung der Zustimmung gilt entsprechend, wenn von dem Integrationsamt eine Mitteilung erfolgt ist, dass die Zustimmung nicht erforderlich sei (sog. Negativattest)3.
561
Hat der Arbeitgeber, der eine außerordentliche Kündigung beabsichtigt, vom Antrag des Arbeitnehmers auf Feststellung der Schwerbehinderung Kenntnis erlangt und deswegen beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung beantragt, so kann sich der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben nicht auf die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB berufen, wenn sich später herausstellt, dass er nicht schwerbehindert war und es deshalb der Zustimmung des Integrationsamtes nicht bedurfte4.
562
Neben der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung kann der Arbeitgeber vorsorglich auch die Zustimmung des Integrationsamtes zur ordentlichen Kündigung beantragen. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Verfahren der Zustimmung zu beiden Kündigungsformen und die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe kommt eine Umdeutung einer fristlosen in eine ordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn auch für letztere die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt worden ist. Anderenfalls ist eine Umdeutung nicht möglich5.
563
Gegen die Entscheidungen des Integrationsamtes können der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch einlegen, über den der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt zu entscheiden hat. Hiergegen ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach §§ 40 ff. VwGO gegeben. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamtes haben gemäß §§ 88 Abs. 4, 91 Abs. 1 SGB IX keine aufschiebende Wirkung. Sonach werden die Monatsfrist zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung (§ 88 Abs. 3 SGB IX) bzw. die Frist des
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1 2 3 4 5
BAG vom 15.11.2001 – 2 AZR 380/00, NZA 2002, 970. Vgl. BAG vom 18.5.1994 – 2 AZR 626/93, NZA 1995, 65. Vgl. BAG vom 27.5.1983 – 7 AZR 482/81, DB 1984, 134. BAG vom 27.2.1987 – 7 AZR 632/85, NZA 1988, 429. Vgl. LAG Berlin vom 9.7.1984 – 12 Sa 18/84, NZA 1985, 95.
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Teil 1 Rz. 565
Arbeitsrechtliche Grundlagen
§ 91 Abs. 5 SGB IX zum Ausspruch der fristlosen Kündigung nicht dadurch unterbrochen, dass der Arbeitnehmer Widerspruch gegen den Zustimmungsbescheid oder Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhebt1. 565
Hält das Arbeitsgericht in einem Kündigungsrechtsstreit die ordentliche Kündigung für sozial gerechtfertigt oder bei einer fristlosen Kündigung des Schwerbehinderten das Vorliegen eines wichtigen Grundes für gegeben, und ist die Wirksamkeit der Kündigung nach Auffassung des Gerichts allein von der – noch nicht rechtskräftig geklärten – Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers abhängig, so wird es den Rechtsstreit regelmäßig nach § 46 Abs. 2 ArbGG, § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aussetzen2. Ist die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen worden, später aber der Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil rechtskräftig aufgehoben worden, so kann der Schwerbehinderte in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO Restitutionsklage erheben und im Wege einer erneuten Verhandlung (§ 590 Abs. 1 ZPO) die Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils erreichen3. Wird im – noch nicht abgeschlossenen – sozialgerichtlichen Verfahren festgestellt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich zum Zeitpunkt des Zugangs schwerbehindert war, steht dem Arbeitnehmer ggf. der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7b ZPO analog zur Seite, da dann die Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamts nichtig ist, § 85 SGB IX i.V. mit § 134 BGB4.
566
Will der Arbeitgeber einer schwerbehinderten oder gleichgestellten Person kündigen, bei der auch nach anderen Vorschriften (z.B. § 9 MuSchG, § 18 BEEGG, § 5 PflegeZG, § 15 KSchG, § 103 BetrVG, § 15 BBiG) ein besonderer Kündigungsschutz eingreift, so sind vom Arbeitgeber sämtliche Sonderkündigungsschutzbestimmungen zu beachten5. Verweigert der Betriebsrat die nach § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Betriebsratsmitglieds, muss der Arbeitgeber das Beschlussverfahren auf Zustimmungsersetzung gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG in entsprechender Anwendung von § 91 Abs. 5 SGB IX unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt oder nach Eintritt der Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 SGB IX einleiten6. e) Kündigungsschutz von Auszubildenden
567
Bei der Kündigung von Auszubildenden ist wie folgt zu unterscheiden: Während der Probezeit, die mindestens einen Monat betragen muss und höchstens vier Monate betragen darf (§ 20 BBiG) kann das Ausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhaltung einer Frist schriftlich gekündigt werden (§ 22 Abs. 1 und 3 BBiG). Nach Ablauf der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis vom Ar1 2 3 4 5 6
Vgl. BAG vom 17.2.1982 – 7 AZR 846/79, DB 1982, 1329. S. dazu BAG vom 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073. BAG vom 25.11.1980 – 6 AZR 210/80, DB 1981, 1141. BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665. Vgl. BAG vom 10.12.1987 – 2 AZR 385/87, NZA 1988, 428. Vgl. BAG vom 22.1.1987 – 2 ABR 6/86, NZA 1987, 563.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 571 Teil 1
beitgeber nur noch aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wobei die Kündigung nicht nur schriftlich, sondern auch unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen muss (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 BBiG). Sind dem Kündigungsberechtigten die der Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen länger als zwei Wochen bekannt, ist die Kündigung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG unwirksam. Eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber ist nach Ablauf der Probezeit grundsätzlich nicht möglich. Ausnahmsweise kann aber im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers das Ausbildungsverhältnis vom Insolvenzverwalter in entsprechender Anwendung von § 622 BGB unter Einhaltung einer ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt werden1. Die Vorschriften des KSchG über die fristgebundene Klageerhebung sind auch auf die außerordentliche Kündigung von Berufsausbildungsverhältnissen anzuwenden, sofern nicht gemäß § 111 Abs. 1 Satz 5 ArbGG eine Verhandlung vor einem zur Beilegung von Streitigkeiten aus einem Berufsausbildungsverhältnis gebildeten Ausschuss stattfinden muss2.
568
Die Kündigungsbeschränkung des § 22 Abs. 2 BBiG steht der Möglichkeit, das Berufsausbildungsverhältnis einvernehmlich im Wege des Aufhebungsvertrages zu beenden, nicht entgegen. Ist der Auszubildende minderjährig, bedarf aber der Abschluss des Aufhebungsvertrages der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter, sofern nicht die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben sind (s.o. Rz. 50 ff.).
569
f) Kündigungsschutz von Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden Von der Zustellung des Einberufungsbescheides bis zur Beendigung des Grundwehrdienstes sowie während einer Wehrübung darf der Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 ArbPlSchG keine Kündigung aussprechen. Eine Kündigung, die hiergegen verstößt, ist gemäß § 134 Abs. 1 BGB nichtig. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt (§ 2 Abs. 3 Satz 1 ArbPlSchG). Die Einberufung des Arbeitnehmers zum Wehrdienst ist nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 ArbPlSchG regelmäßig kein wichtiger Grund zur Kündigung. Zu möglichen Ausnahmen s. § 2 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 und Satz 3 bis 5 ArbPlSchG.
570
Im Übrigen darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht aus Anlass des Wehrdienstes kündigen, § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG. Muss er aus dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG entlassen, so darf er bei der Auswahl der zu Entlassenden den Wehrdienst eines Arbeitnehmers nicht zu dessen Ungunsten berücksichtigen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 ArbPlSchG). Ist streitig, ob der Arbeitgeber aus Anlass des Wehrdienstes gekündigt oder bei der Auswahl der zu Entlassenden den Wehrdienst zuungunsten des Arbeit-
571
1 Vgl. BAG vom 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, NZA 1993, 845 – zur Möglichkeit der ordentlichen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch den Konkursverwalter im Konkurs des Ausbildenden. 2 BAG vom 26.1.1999 – 2 AZR 134/98, NZA 1999, 934 m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 572
Arbeitsrechtliche Grundlagen
nehmers berücksichtigt hat, trifft die Beweislast nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ArbPlSchG den Arbeitgeber. 572
Geht dem Arbeitnehmer nach der Zustellung des Einberufungsbescheides oder während des Wehrdienstes eine Kündigung zu, so beginnt die Frist des § 4 Satz 1 KSchG gemäß § 2 Abs. 4 ArbPlSchG erst zwei Wochen nach Ende des Wehrdienstes.
573
Für Zivildienstleistende gilt gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG der Kündigungsschutz nach dem ArbPlSchG entsprechend.
574
Durch § 2 Abs. 1 ArbPlSchG und § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG wird die Möglichkeit der Vereinbarung von Aufhebungsverträgen mit Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden nicht ausgeschlossen. g) Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern und anderen Organen der Betriebsverfassung
575
Die ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzulässig. Eine gleichwohl ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (§ 134 BGB)1. Den Mitgliedern des Betriebsrats soll damit die erforderliche Unabhängigkeit für die Ausübung ihres Amtes und die Kontinuität der Amtsführung während einer Wahlperiode gesichert werden2. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG erachtet das BAG auch eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einem Betriebsratsmitglied für unzulässig, weil sie in den Fällen, in denen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist, nicht aber bis zum Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes zumutbar sei, zur Zulässigkeit einer Kündigung führe, die im Ergebnis der – eigentlich ausgeschlossenen – ordentlichen Kündigung gleichkomme3. Der Kündigungsschutz beginnt mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses und endet mit der Beendigung der Amtszeit des gesamten Betriebsrats gemäß § 21 BetrVG oder dem Erlöschen der Mitgliedschaft des einzelnen Betriebsratsmitglieds gemäß § 24 BetrVG. Kein Kündigungsschutz besteht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG, wenn die Betriebsratswahl nichtig ist4. Keine Anwendung findet der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG auf sonstige Beendigungsgründe, wie z.B. den Zeitablauf im Falle eines – wirksam – befristeten Arbeitsverhältnisses, die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag oder die Anfechtung des Arbeitsvertrages. 1 Dieser Mangel muss aber aufgrund der seit dem 1.1.2004 geltenden Neufassung der §§ 4 Satz 1; 7 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung gerichtlich geltend gemacht werden. 2 Mues, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 2 Rz. 932; Nerreter, NZA 1995, 54 m. w. Nachw. S. dazu auch Weber/Lohr, BB 1999, 2350 ff. 3 BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 821/06, NZA 2008, 777. 4 BAG vom 27.4.1976 – 1 AZR 482/75, AP Nr. 4 zu § 19 BetrVG 1972.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 579 Teil 1
Nach Beendigung der Amtszeit ist die ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds innerhalb eines Jahres unzulässig (§ 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Dieser nachwirkende Kündigungsschutz dient der Abkühlung eventuell während der betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit aufgetretener Streitigkeiten1. Auch ein Betriebsratsmitglied, das vor Beendigung der Amtszeit aus dem Amt ausscheidet (etwa durch Amtsniederlegung), genießt den nachwirkenden Kündigungsschutz, weil in dem Fall eine Abkühlungsphase nach Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 Satz 2 BetrVG in gleicher Weise erforderlich ist2. Die Dauer des nachwirkenden Kündigungsschutzes wird nicht dadurch verkürzt, dass das Betriebsratsmitglied sein Amt nur kurze Zeit ausgeübt hat3. Die Nachwirkung ist ausgeschlossen, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 KSchG). Allerdings entfällt der nachwirkende Kündigungsschutz erst mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, welche die Mitgliedschaft im Betriebsrat beendet4. Nach Beendigung des nachwirkenden Kündigungsschutzes kann der Arbeitgeber dem früheren Betriebsratsmitglied wie jedem anderen Arbeitnehmer kündigen. Er ist insbesondere nicht gehindert, die Kündigung auf Pflichtverletzungen zu stützen, die dieses während der Schutzfrist begangen hat und die erkennbar nicht im Zusammenhang mit dem Betriebsratsamt stehen5.
576
Ausnahmsweise ist bei einer Betriebsstilllegung nach § 15 Abs. 4 KSchG die ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zum Zeitpunkt der Stilllegung zulässig, es sei denn, dass die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist6. Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Betriebsstilllegung nach § 15 Abs. 4 KSchG ist somit über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus (teleologische Reduktion) nur gerechtfertigt, wenn keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens besteht7.
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Bei der Stilllegung einer Betriebsabteilung sind die in dieser Abteilung beschäftigten Betriebsratsmitglieder nach § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Nur wenn dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, kann ihnen ordentlich gekündigt werden (§ 15 Abs. 5 Satz 2 i.V. mit Abs. 4 KSchG).
578
Den Arbeitgeber trifft im Falle der Stilllegung einer Betriebsabteilung, in der ein Betriebsratsmitglied beschäftigt ist, die Pflicht, „mit allen zur Verfügung
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1 Mues, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 2 Rz. 966. 2 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 103 Rz. 57; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 51 m. w. Nachw. 3 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 52 m. w. Nachw. 4 BAG vom 29.9.1983 – 2 AZR 212/82, DB 1984, 302. 5 Vgl. BAG vom 13.6.1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1032. 6 Einzelheiten s. dazu bei Mues, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 2 Rz. 933 ff. 7 BAG vom 13.8.1992 – 2 AZR 22/92, NZA 1993, 224.
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Teil 1 Rz. 580
Arbeitsrechtliche Grundlagen
stehenden Mitteln für dessen angemessene Weiterbeschäftigung zu sorgen“1. Dabei hat der Arbeitgeber dem Mandatsträger grundsätzlich eine möglichst gleichwertige Stellung anzubieten. Durch das Angebot eines geringerwertigen Arbeitsplatzes mit geringerer Entlohnung genügt der Arbeitgeber grundsätzlich noch nicht seinen gesetzlichen Verpflichtungen. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Pflicht des Arbeitgebers zur Übernahme des Mandatsträgers in eine andere Abteilung2. 580
Der anderweitige Arbeitsplatz muss – anders als im Falle des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG – nicht frei sein. Ist ein gleichwertiger Arbeitsplatz in einer anderen Abteilung vorhanden und mit einem nicht durch § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer besetzt, muss der Arbeitgeber versuchen, den Arbeitsplatz durch Umverteilung der Arbeit, der Ausübung seines Direktionsrechts oder notfalls auch durch Ausspruch einer Kündigung (!) für den Mandatsträger frei zu machen3. Ist ein gleichwertiger Arbeitsplatz in anderen Abteilungen nicht vorhanden, ist der Arbeitgeber u.U. verpflichtet, gegenüber dem Betriebsratsmitglied eine Änderungskündigung auszusprechen (s.u. Rz. 585).
581
Die innerbetriebliche Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers entfällt nach § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur ausnahmsweise, wenn dem Arbeitgeber die Übernahme in eine andere Betriebsabteilung „aus betrieblichen Gründen“ nicht möglich ist. Aus betrieblichen Gründen ist eine Weiterbeschäftigung dann nicht möglich, wenn der Mandatsträger auf einem anderen innerbetrieblichen Arbeitsplatz nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise eingesetzt werden kann. Sowohl aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 5 KSchG als auch aus dem Sinn und Zweck der Norm des § 15 KSchG folgt nach Auffassung des BAG aber, dass dem Mandatsträger gegenüber anderen Arbeitnehmern grundsätzlich ein Vorrang für eine Weiterbeschäftigung eingeräumt werden soll. Das Kollegialorgan Betriebsrat soll nach Möglichkeit vor einer Auszehrung und persönlichen Inkontinuität geschützt werden4.
582
Steht nach der Stilllegung einer Betriebsabteilung nur eine begrenzte Zahl von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in einer anderen Abteilung des Betriebs zur Verfügung, genießen nach dem Sinn und Zweck von § 15 KSchG die aktiven Mandatsträger bei der Besetzung der Stellen Vorrang vor den im Nachwirkungszeitraum sondergeschützten Ersatzmitgliedern5.
583
Die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist während der Amtszeit nur zulässig, wenn zum einen ein wichtiger Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB vorliegt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG) und zum anderen der Betriebsrat zugestimmt hat oder die Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzt ist (§ 103 BetrVG). 1 So wörtlich BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, NZA 2006, 988. 2 Vgl. BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, NZA 2006, 988. 3 BAG vom 17.11.2005 – 6 AZR 116/05, NZA 2006, 370; BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, NZA 2006, 988. 4 BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, NZA 2006, 988. 5 BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 83/05, NZA 2006, 988.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 586 Teil 1
Der Begriff des wichtigen Grundes für die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist der gleiche wie bei der außerordentlichen Kündigung sonstiger Arbeitnehmer. Das Arbeitsverhältnis kann demnach vom Arbeitgeber gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (s. dazu o. Rz. 468 ff.). Dabei ist jedoch zwischen der Verletzung von Amtspflichten und der Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsvertrag zu unterscheiden: Allein ein grober Verstoß des Betriebsratsmitglieds gegen seine Amtspflichten berechtigt den Arbeitgeber nach allgemeiner Ansicht1 nicht zur außerordentlichen Kündigung. In dem Fall hat der Arbeitgeber nur das Recht, gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beim Arbeitsgericht den Ausschluss der betreffenden Person aus dem Betriebsrat zu beantragen. Die fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds kommt nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn in der Amtspflichtverletzung gleichzeitig eine schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten liegt, wobei aber die Rechtsprechung des BAG2 wegen der besonderen Konfliktsituation eines Betriebsratsmitglieds für die zur Kündigung berechtigenden schweren Verletzungen einen „besonders strengen Prüfungsmaßstab“ anlegt.
584
Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB ist auf die (fiktive) Kündigungsfrist abzustellen, die ohne den besonderen Kündigungsschutz bei einer ordentlichen Kündigung gelten würde. Fristlos kann einem Betriebsratsmitglied nach § 15 KSchG, § 626 BGB somit nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre3. In aller Regel wird deshalb das Arbeitsverhältnis eines Betriebsratsmitglieds nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB nicht wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten außerordentlich gekündigt werden können4. Lediglich bei der außerordentlichen betriebsbedingten Änderungskündigung ist im Rahmen der Prüfung des § 626 BGB nicht auf die fiktive Kündigungsfrist abzustellen. Allerdings muss die vorgesehene Änderung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitgeber unabweisbar und dem Arbeitnehmer zumutbar sein5.
585
Liegt ein wichtiger Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB vor, bedarf die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zudem der vorherigen Zu-
586
1 S. etwa BAG vom 16.10.1986 – 2 ABR 71/85, DB 1987, 1304; KR-Etzel, § 15 KSchG Rz. 25; weitere Nachw. bei Ehrich, Amt und Anstellung, S. 185. 2 BAG vom 16.10.1986 – 2 ABR 71/85, DB 1987, 1304; weitere Nachw. bei Ehrich, Amt und Anstellung, S. 186. 3 BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 821/06, NZA 2008, 777. 4 BAG vom 18.2.1993 – 2 AZR 526/92, NZA 1994, 74; BAG vom 15.3.2001 – 2 AZR 624/99, NZA-RR 2002, 20. 5 BAG vom 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157.
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Teil 1 Rz. 587
Arbeitsrechtliche Grundlagen
stimmung des Betriebsrats. Die nachträglich erklärte Zustimmung kann die Unwirksamkeit einer bereits ausgesprochenen Kündigung nicht heilen1. 587
Die vom Arbeitgeber zu beachtende Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB verlängert sich nicht dadurch, dass der Betriebsrat nach § 103 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen ist2. Der Arbeitgeber muss daher den Betriebsrat alsbald über die maßgeblichen Kündigungsgründe unterrichten und die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beantragen. Stimmt der Betriebsrat der Kündigung zu, muss die Kündigung sodann noch innerhalb der ZweiWochen-Frist ausgesprochen werden. Sofern der Betriebsrat die Zustimmung verweigert, hat der Arbeitgeber innerhalb der Zwei-Wochen-Frist beim Arbeitsgericht den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG zu stellen3. Mit der rechtskräftigen Entscheidung des die Zustimmung ersetzenden Beschlusses des Arbeitsgerichts beginnt die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht von neuem. Vielmehr hat der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach der rechtskräftigen Ersetzung der Zustimmung zu erklären4. Zur Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB muss der Arbeitgeber im Falle einer offensichtlich unstatthaften Divergenzbeschwerde gegen einen Beschluss des LAG, mit dem die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt und in dem die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist, die Kündigung allerdings nicht vor Eintritt der formellen Rechtskraft dieses Beschlusses aussprechen5. Eine vor dem Zeitpunkt der Rechtskraft bzw. Unanfechtbarkeit des Beschlusses über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung (§ 103 Abs. 2 BetrVG) erklärte Kündigung ist unheilbar nichtig6.
588
Das Zustimmungsverfahren nach § 103 Abs. 1 BetrVG ist ein um die Zustimmung erweitertes Anhörungsverfahren, so dass die Grundsätze zur Anhörung des Betriebsrats vor Kündigungen nach § 102 BetrVG (s.u. Rz. 633 ff.) sinngemäß gelten7.
589
Der Betriebsrat hat entsprechend § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG spätestens innerhalb von drei Tagen über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung zu beschließen und den Beschluss dem Arbeitgeber mitzuteilen. Äußert sich der Betriebsrat nicht innerhalb von drei Tagen, gilt die Zustimmung als verweigert8.
1 2 3 4
5 6 7 8
BAG vom 4.3.1976 – 2 AZR 15/75, DB 1976, 1160. BAG vom 18.8.1977 – 2 ABR 19/77, DB 1978, 109. BAG vom 18.8.1977 – 2 ABR 19/77, DB 1978, 109. BAG vom 22.1.1987 – 2 ABR 6/86, NZA 1987, 563; a.A. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 103 Rz. 46, wonach der Arbeitgeber nach formeller Rechtskraft der Entscheidung nunmehr binnen zwei Wochen kündigen könne. BAG vom 9.7.1998 – 2 AZR 142/98, NZA 1998, 1273 unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. BAG vom 25.1.1979 – 2 AZR 983/77, DB 1979, 1704). BAG vom 9.7.1998 – 2 AZR 142/98, NZA 1998, 1273. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 117 m. w. Nachw. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 103 Rz. 33 m. w. Nachw.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 594 Teil 1
Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung oder äußert er sich nicht innerhalb von drei Tagen, muss der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beantragen. Über den Antrag entscheidet das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren. Das betroffene Betriebsratsmitglied ist Beteiligter (§ 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens ist nur zulässig, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig beteiligt und dieser die Zustimmung ausdrücklich oder stillschweigend verweigert hat. Die Unterrichtung des Betriebsrats und das Abwarten der Frist des entsprechend anwendbaren § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG sind Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG1. Ein unzulässiger Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 BetrVG kann die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht wahren2.
590
Hat der Arbeitgeber einen Zustimmungsantrag nach § 103 Abs. 1 BetrVG gestellt und auf die spontane Zustimmungserklärung des Betriebsratsvorsitzenden hin vor Ablauf von drei Tagen gekündigt, so muss er erneut die Zustimmung des Betriebsrats beantragen, wenn er wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung eine weitere Kündigung aussprechen will. Ein stattdessen gestellter Zustimmungsersetzungsantrag ist unzulässig3.
591
Besteht der Betriebsrat nur aus einer Person und soll dieser außerordentlich gekündigt werden, ohne dass ein Ersatzmitglied vorhanden ist, muss der Arbeitgeber in analoger Anwendung von § 103 Abs. 2 BetrVG ohne Vorschaltung des Betriebsrats beim Arbeitsgericht die Zustimmungsersetzung beantragen4.
592
Im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens kann der Arbeitgeber auch noch solche Umstände zur Begründung seines Antrags heranziehen, die erst nach Einleitung des Verfahrens entstanden oder bekannt geworden sind. Allerdings muss der Arbeitgeber vor der Einführung dieser Umstände im Zustimmungsersetzungsverfahren dem Betriebsrat Gelegenheit gegeben haben, seine Stellungnahme im Licht der neuen Tatsachen zu überprüfen5.
593
Der Betriebsrat kann seine zunächst verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung auch noch nach Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens erteilen6. In dem Fall wird das Verfahren nach § 103 Abs. 2
594
1 BAG vom 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, NZA 1997, 371; LAG Hamm vom 26.4.1995 – 3 TaBV 18/95, DB 1995, 2378; KR-Etzel, § 103 BetrVG Rz. 111; von Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, § 15 Rz. 127. 2 BAG vom 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, NZA 1997, 371. 3 BAG vom 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, NZA 1997, 371. 4 BAG vom 16.12.1982 – 2 AZR 76/81, DB 1983, 1049. Gleiches gilt, wenn der Betriebsrat während eines Arbeitskampfes seine Beteiligungsrechte nicht wahrnehmen kann, vgl. BAG vom 14.2.1978 – 1 AZR 103/76, DB 1978, 1403. 5 BAG vom 23.4.2008 – 2 ABR 71/07, NZA 2008, 1081; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 134 m. w. Nachw. 6 KR-Etzel, § 103 BetrVG Rz. 99; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 103 Rz. 36 m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 595
Arbeitsrechtliche Grundlagen
BetrVG gegenstandslos1. Gleiches gilt, wenn vor Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens das Amt des Betriebsratsmitglieds endet, da mit dem Ende der Amtszeit das Zustimmungserfordernis für die außerordentliche Kündigung entfällt. 595
Kann einem Betriebsratsmitglied ausnahmsweise nach § 15 Abs. 4 und 5 Satz 2 KSchG ordentlich gekündigt werden, ist die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG nicht erforderlich. Dies gilt auch bei einer (außerordentlichen) betriebsbedingten Kündigung nach § 15 Abs. 4 oder 5 KSchG im Fall sog. tariflicher Unkündbarkeit des Betriebsratsmitglieds2. Vor Ausspruch der Kündigung muss aber – wie bei jeder anderen Kündigung – der Betriebsrat nach § 102 BetrVG ordnungsgemäß angehört werden (s.u. Rz. 633 ff.)3.
596
Den Ersatzmitgliedern steht allein wegen dieser Eigenschaft ohne Ausübung einer Tätigkeit in dem Betriebsrat kein besonderer Kündigungsschutz zu. Sie haben zunächst nur den nachwirkenden Kündigungsschutz für Wahlbewerber gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG4. Solange Ersatzmitglieder stellvertretend für ein verhindertes Betriebsratsmitglied dem Betriebsrat angehören, genießen sie jedoch den gleichen Schutz wie Betriebsratsmitglieder während ihrer Amtszeit. Dies gilt auch dann, wenn sich später herausstellt, dass das vertretene Mitglied tatsächlich nicht verhindert, sondern unberechtigt der Arbeit ferngeblieben war5. Nach Beendigung des Vertretungsfalles haben Ersatzmitglieder ebenfalls den nachwirkenden Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG, der unabhängig von der Dauer der Vertretung ein Jahr beträgt6. Diese Frist beginnt bei jeder weiteren Vertretung erneut zu laufen. Der nachwirkende Kündigungsschutz besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung von der Vertretungstätigkeit gewusst hat7. Dagegen bedarf die außerordentliche Kündigung eines vorübergehend eingesetzten Ersatzmitglieds im Zeitraum des nachwirkenden Kündigungsschutzes nicht der Zustimmung des Betriebsrats oder der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats durch die Arbeitsgerichte im Falle der Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG8.
597
Für Mitglieder des Wahlvorstands gilt der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG. Danach ist vom Zeitpunkt der Wahl oder der rechtskräftigen Bestellung des Wahlvorstands an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses ihre ordentliche Kündigung ausgeschlossen und ihre außerordentliche Kündigung nur mit Zustimmung des Betriebsrats oder deren Ersetzung durch 1 Der Arbeitgeber muss hier aber unverzüglich nach Kenntniserlangung von der nachträglichen Zustimmung die Kündigung aussprechen, BAG vom 17.9.1981 – 2 AZR 402/79, DB 1982, 2041. 2 BAG vom 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189. 3 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 103 Rz. 14 m. w. Nachw. 4 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 27; Uhmann, NZA 2000, 576. 5 Vgl. BAG vom 5.9.1986 – 7 AZR 175/85, DB 1987, 1641. 6 BAG vom 18.5.2006 – 6 AZR 627/05, NZA 2006, 1037. 7 BAG vom 18.5.2006 – 6 AZR 627/05, NZA 2006, 1037. 8 BAG vom 18.5.2006 – 6 AZR 627/05, NZA 2006, 1037.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 600 Teil 1
das Arbeitsgericht möglich (§ 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 103 BetrVG). Besteht im Betrieb noch kein Betriebsrat, so kann der Arbeitgeber in entsprechender Anwendung von § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht sofort die Ersetzung der Zustimmung beantragen1. Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist innerhalb von sechs Monaten die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, die außerordentliche Kündigung zwar nach Anhörung aber ohne Zustimmung des Betriebsrats möglich (§ 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Der nachwirkende Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG greift auch zugunsten von Mitgliedern des Wahlvorstands ein, die ihre Ämter vor der Wahl niederlegen2. Der Kündigungsschutz von Wahlbewerbern entspricht dem von Wahlvor- 598 standsmitgliedern. Er beginnt, wenn ein Wahlvorstand für die Wahl bestellt ist und ein Wahlvorschlag für den Wahlbewerber vorliegt, der die erforderliche Zahl von Stützunterschriften aufweist. Auf die Einreichung des Wahlvorschlags beim Wahlvorstand kommt es nicht an3. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG besteht schon dann, wenn der Wahlvorschlag lediglich behebbare Mängel aufweist4. Das Zustimmungserfordernis nach § 103 BetrVG vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses endet bei Wahlbewerbern im Falle der Rücknahme ihrer Kandidatur zum Betriebsrat5. Nach § 15 Abs. 3a KSchG ist die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Abs. 3, § 17a Nr. 3 Satz 2, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 BetrVG einlädt oder die Bestellung eines Wahlvorstands nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 4, § 17a Nr. 4, § 63 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 oder § 116 Abs. 2 Nr. 7 Satz 5 BetrVG beantragt, vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt für die ersten drei in der Einladung oder Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer. Wird der Betriebsrat, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, eine Bordvertretung oder ein Seebetriebsrat nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an drei Monate.
599
Die zur Wahl des Wahlvorstands einladenden Arbeitnehmer sowie die zur Bestellung eines Wahlvorstands beim Arbeitsgericht antragstellenden Arbeitnehmer sollen nach der gesetzgeberischen Begründung ebenfalls einen besonderen Kündigungsschutz erhalten, da sie im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber für die Zeit der Wahl in ähnlicher Weise schutzbedürftig seien wie die Mitglieder des Wahlvorstands und die Wahlbewerber. Dieser besondere Kündigungsschutz soll dazu beitragen, dass künf-
600
1 BAG vom 12.8.1976 – 2 AZR 303/75, BB 1976, 1415; BAG vom 30.5.1978 – 2 AZR 637/76, DB 1979, 359. 2 BAG vom 9.10.1986 – 2 AZR 650/85, NZA 1987, 279. 3 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 103 Rz. 10 m. w. Nachw. 4 BAG vom 17.3.2005 – 2 AZR 275/04, NZA 2005, 1064. 5 BAG vom 17.3.2005 – 2 AZR 275/04, NZA 2005, 1064.
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Teil 1 Rz. 601
Arbeitsrechtliche Grundlagen
tig eher Arbeitnehmer bereit sind, insbesondere in betriebsratslosen Betrieben die Initiative für die Wahl von Betriebsräten zu ergreifen. 601
Die Vorschrift des § 15 Abs. 3a KSchG kann jedoch in der Praxis durchaus dazu führen, dass Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, wiederholt zur Wahl von Betriebsräten aufrufen, obwohl die Belegschaft überhaupt kein Interesse an der Errichtung eines Betriebsrats hat. Damit könnten sich die einladenden Arbeitnehmer einen weitreichenden Kündigungsschutz verschaffen und sich dadurch besser stellen als andere Arbeitnehmer im Betrieb.
602
Der Arbeitgeber genügt seinen Mitteilungspflichten nach § 102 BetrVG, wenn er zunächst (zutreffend oder irrtümlich) ein Verfahren nach § 103 BetrVG einleitet und den Betriebsrat entsprechend unterrichtet und zum Zeitpunkt der Kündigung zweifelsfrei feststeht, dass ein Schutz nach § 103 BetrVG nicht besteht und deshalb für eine außerordentliche Kündigung nur eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG erforderlich ist. Im umgekehrten Fall kann eine Anhörung nach § 102 BetrVG die Einleitung des Zustimmungsverfahrens nicht ersetzen, es sei denn, der Betriebsrat hat in Kenntnis des Vorliegens des Sonderkündigungsschutzes von sich aus seine Zustimmung nach § 103 BetrVG erteilt. In diesem Fall muss aber die Information des Arbeitgebers über den Kündigungsgrund nach § 102 BetrVG auch den Anforderungen an eine inhaltliche Unterrichtung nach § 103 BetrVG entsprechen und die Interessenvertretung um den besonderen Kündigungsschutz des zu kündigenden Arbeitnehmers wissen1.
603
Die Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung genießen den gleichen Kündigungsschutz wie die Betriebsratsmitglieder (§ 15 Abs. 1 KSchG, § 103 BetrVG). Außerdem greift zugunsten der in Berufsausbildung beschäftigten Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung oder des Betriebsrats ein besonderer Schutz nach § 78a BetrVG ein: Beabsichtigt der Arbeitgeber, einen Auszubildenden, der Mitglied der Jugend- oder Auszubildendenvertretung oder des Betriebsrats ist, nicht in ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit zu übernehmen, so hat er dies gemäß § 78a Abs. 1 BetrVG mindestens drei Monate vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses dem Auszubildenden schriftlich mitzuteilen. Gleiches gilt nach § 78a Abs. 3 BetrVG, wenn das Berufsausbildungsverhältnis vor Ablauf eines Jahres nach Beendigung der Amtszeit der Jugend- und Auszubildendenvertretung oder des Betriebsrats endet2.
604
Kommt der Arbeitgeber seiner Mitteilungspflicht nicht nach oder beabsichtigt er, den Auszubildenden nicht in ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit 1 BAG vom 17.3.2005 – 2 AZR 275/04, NZA 2005, 1064. 2 S. dazu BAG vom 13.3.1986 – 6 AZR 381/85, AP Nr. 2 zu § 9 BPersVG, wonach auch ein vorübergehend nachgerücktes Ersatzmitglied der Jugendvertretung den nachwirkenden Schutz gemäß § 9 Abs. 3 BPersVG bzw. § 78a Abs. 3 BetrVG für sich in Anspruch nehmen kann, sofern das Berufsausbildungsverhältnis innerhalb eines Jahres nach dem Vertretungsfall erfolgreich abgeschlossen wird und der Auszubildende innerhalb von drei Monaten vor der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses seine Weiterbeschäftigung schriftlich verlangt.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 607 Teil 1
zu übernehmen, so kann der Auszubildende innerhalb der letzten drei Monate vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses vom Arbeitgeber schriftlich die Weiterbeschäftigung verlangen (§ 78a Abs. 2, 5 BetrVG). Maßgebend für die Berechnung der Drei-Monats-Frist ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses der Abschlussprüfung, sofern dieser dem vertraglich vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses vorangeht1. Ein früher gestelltes Verlangen ist unwirksam und muss innerhalb der Drei-Monats-Frist wiederholt werden2. Hat der Auszubildende form- und fristgerecht die Weiterbeschäftigung verlangt, so gilt nach § 78a BetrVG im Anschluss an das Berufsausbildungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Dauer begründet. Es entsteht damit kraft Gesetzes ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis. Ist dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung im Rahmen eines unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnisses nicht zumutbar, muss er dies im Verfahren nach § 78a Abs. 4 BetrVG geltend machen3.
605
Der Arbeitgeber kann gemäß § 78a Abs. 4 BetrVG spätestens bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses beim Arbeitsgericht beantragen,
606
1. festzustellen, dass ein Arbeitsverhältnis auf Grund des Verlangens des Auszubildenden nicht begründet wird, oder 2. das bereits auf Grund des Verlangens des Auszubildenden begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen. Der Antrag ist begründet, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung (in 607 einem Vollzeitarbeitsverhältnis) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nicht zugemutet werden kann (§ 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Der Begriff der Unzumutbarkeit i.S. des § 78a Abs. 4 BetrVG ist unabhängig von den zu § 626 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätzen zu bestimmen. Denn während § 626 Abs. 1 BGB darauf abstellt, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses lediglich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugemutet werden kann, ist bei § 78a Abs. 4 BetrVG zu entscheiden, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zuzumuten ist4. Nach der Rechtsprechung des BAG können betriebliche Gründe ausnahmsweise zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines Auszubildenden führen. Dies setzt voraus, dass im Betrieb des Arbeitgebers zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein freier, auf Dauer angelegter Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Auszubildende mit einer durch die Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann5. 1 Vgl. BAG vom 16.6.2005 – 6 AZR 411/04, NZA 2006, 680. 2 BAG vom 15.1.1980 – 6 AZR 621/78, DB 1980, 1648; a.A. Fitting/Engels/Schmidt/ Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 78a Rz. 19. 3 BAG vom 13.11.1987 – 7 AZR 246/87, NZA 1989, 439. 4 BAG vom 12.11.1997 – 7 ABR 63/96, NZA 1998, 1056. 5 BAG vom 24.7.1991 – 7 ABR 68/90, NZA 1992, 174.
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Teil 1 Rz. 608
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Etwaige Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens sind nicht zu berücksichtigen1. Ebenso wenig ist der Arbeitgeber verpflichtet, neue Arbeitsplätze (etwa durch Abbau von Überstunden) zu schaffen oder vorhandene Arbeitsplätze freizukündigen2. Die Übernahme eines durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden ist dem Arbeitgeber dagegen nicht allein deshalb unzumutbar, weil er sich entschlossen hat, einen Teil der in seinem Betrieb anfallenden Arbeitsaufgaben künftig Leiharbeitnehmern zu übertragen3. Ist zum Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ein freier Arbeitsplatz vorhanden, hat bei der Prüfung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung ein künftiger Wegfall von Arbeitsplätzen unberücksichtigt zu bleiben4. 608
Weiterhin können personen- und verhaltensbedingte Gründe, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung begründen5.
609
Ein Qualifikationsvergleich zwischen einem ausgebildeten Mandatsträger und anderen für die Besetzung eines Arbeitsplatzes in Frage kommenden Arbeitnehmern ist grundsätzlich nicht zulässig. Deshalb kann der Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nicht damit begründen, andere Auszubildende hätten die Prüfung mit einem besseren Ergebnis abgeschlossen oder er beabsichtige, den freien Arbeitsplatz mit einem besser qualifizierten anderen Arbeitnehmer zu besetzen6.
610
Über die Anträge des Arbeitgebers nach § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu entscheiden7. In dem Verfahren sind der Betriebsrat und ggf. auch die Jugend- und Auszubildendenvertretung Beteiligte (§ 78a Abs. 4 Satz 2 BetrVG). Dagegen ist ein Streit zwischen dem Arbeitgeber und dem Auszubildenden über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 78a Abs. 2 oder 3 BetrVG im Urteilsverfahren auszutragen, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsgericht anruft und nach § 78a Abs. 4 BetrVG eine entsprechende negative Feststellung begehrt8.
1 BAG vom 15.11.2006 – 7 ABR 15/06, NZA 2007, 1381. Ähnlich BVerwG vom 11.3.2008 – 6 PB 16/07, NZA-RR 2008, 445: Das Auflösungsbegehren des öffentlichen Arbeitgebers kann keinesfalls mit der Begründung abgelehnt werden, der Jugendvertreter könne außerhalb der Ausbildungsstelle weiterbeschäftigt werden. 2 Vgl. BAG vom 29.11.1989 – 7 ABR 67/88, NZA 1991, 233. 3 BAG vom 16.7.2008 – 7 ABR 13/07, DB 2008, 2837. 4 BAG vom 16.8.1995 – 7 ABR 52/94, NZA 1996, 493. 5 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 78a Rz. 47 m. w. Nachw. 6 VG Frankfurt a.M. vom 10.9.2001 – 23 L 2500/01 (V), NZA-RR 2002, 222; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 78a Rz. 49 m. w. Nachw. 7 BAG vom 29.11.1989 – 7 ABR 67/88, NZA 1991, 233. 8 BAG vom 29.11.1989 – 7 ABR 67/88, NZA 1991, 233. S. aber auch BAG vom 11.1.1995 – 7 AZR 574/94, NZA 1995, 467: „Der Senat erwägt, dass im Beschlussverfahren nach § 78a Abs. 4 BetrVG auch über einen Feststellungsantrag des Arbeitgebers entschieden werden kann, ein Arbeitsverhältnis sei wegen Fehlens der Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 des § 78a BetrVG nicht begründet worden.“
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 615 Teil 1
Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass nach der Rechtsprechung des BAG1 die 611 gerichtliche Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 BetrVG ihre Wirkung erst mit ihrer Rechtskraft für die Zukunft entfalten soll. Das im Anschluss an das Berufsausbildungsverhältnis nach § 78a Abs. 2 und 3 BetrVG begründete Arbeitsverhältnis bleibt demnach bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Auflösungsentscheidung mit allen beiderseitigen Rechten und Pflichten bestehen, obwohl dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bereits bei Begründung dieses Arbeitsverhältnisses unzumutbar war. Die Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung und Gesamtschwerbehindertenvertretung haben den gleichen Kündigungsschutz wie die Mitglieder des Betriebsrats (§§ 96 Abs. 3, 97 Abs. 7 SGB IX).
612
Dagegen gilt der besondere Kündigungsschutz nach § 15 KSchG nicht für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, Wahlbewerber für die Aufsichtsratswahl und Mitglieder der für diese Wahlen bestehenden Wahlvorstände, sofern sie nicht gleichzeitig Betriebsratsmitglieder sind2.
613
h) Tariflich „unkündbare“ Arbeitnehmer Nicht selten enthalten Tarifverträge sog. Alterssicherungsvorschriften, die u.a. vorsehen, dass Arbeitnehmer ab einem bestimmten Lebensalter und einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit ordentlich nicht mehr kündbar sind, sondern nur noch außerordentlich aus wichtigem Grund3. Die arbeitgeberseitige Kündigung von solchen tariflich „unkündbaren“ Arbeitnehmern ist nur unter engen Voraussetzungen möglich4.
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Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung von tariflich unkündbaren Arbeitnehmern hält das BAG5 ausnahmsweise für zulässig, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung gegeben sind (s.o. Rz. 244 ff.) und dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, wobei nicht auf die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist, son-
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1 BAG vom 29.11.1989 – 7 ABR 67/88, NZA 1991, 233; BAG vom 24.7.1991 – 7 ABR 68/90, NZA 1992, 174; BAG vom 11.1.1995 – 7 AZR 574/94, NZA 1995, 467. 2 BAG vom 4.4.1974 – 2 AZR 452/73, DB 1974, 1067. 3 S. etwa § 11 Abs. 9 MTV Einzelhandel NRW vom 25.7.2008; § 20 Nr. 4 MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW vom 29.2.1988. 4 Auf einen vertraglichen Kündigungsausschluss für einen überschaubaren Zeitraum bzw. eine entsprechende Befristung sind die folgenden, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum tariflichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung nicht ohne Weiteres übertragbar, vgl. BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 173/01, NZA 2002, 963. S. ganz generell zur Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer Mauer/Schüßler, BB 2001, 466 ff. 5 BAG vom 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, NZA 1993, 598; BAG vom 12.7.1995 – 2 AZR 762/94, NZA 1995, 1100; BAG vom 16.9.1999 – 2 AZR 123/99, NZA 2000, 141; BAG vom 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, NZA 2001, 219; BAG vom 18.1.2001 – 2 AZR 616/99, NZA 2002, 455; BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, NZA 2006, 512.
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Teil 1 Rz. 616
Arbeitsrechtliche Grundlagen
dern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abgestellt werden müsse. Im Falle zu erwartender dauerhafter Arbeitsunfähigkeit eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers sei gerade ein besonders starker Schutz des Arbeitnehmers u.U. geeignet, zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines auf Dauer sinnentleerten Arbeitsverhältnisses zu führen1. Dagegen soll die krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers in der Regel nicht geeignet sein, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Schon nach dem Ultima-ratio-Grundsatz müsse der Arbeitgeber vor Ausspruch einer solchen Kündigung vor allem bei älteren Arbeitnehmern prüfen, ob der Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nicht durch organisatorische Maßnahmen (Änderung des Arbeitsablaufs, Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Umverteilung der Aufgaben) begegnet werden könne2. 616
Das BAG verlangt jedoch, dass bei solchen außerordentlichen Kündigungen regelmäßig eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist, da ansonsten die tariflich besonders geschützten Arbeitnehmer schlechter gestellt würden als ordentlich kündbare Arbeitnehmer3. Die Umdeutung einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist setzt grundsätzlich eine Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats nach den für eine ordentliche Kündigung geltenden Bestimmungen voraus4.
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Eine außerordentliche fristlose Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ist gegenüber einem tariflich (ordentlich) unkündbaren Arbeitnehmer in aller Regel nach § 626 Abs. 1 BGB unzulässig. Prüfungsmaßstab ist hier, ob dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren ordentlich kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Dies ist bei betriebsbedingten Kündigungsgründen regelmäßig nicht der Fall. Dem Arbeitgeber ist, wenn aus betrieblichen Gründen die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für alle bzw. einzelne Arbeitnehmer entfällt, selbst im Insolvenzfall zumutbar, wenigstens die Kündigungsfrist einzuhalten. Wenn dies zu 1 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, NZA 2006, 512. Für die Unzumutbarkeit des Arbeitsverhältnisses kann es sprechen, wenn der Arbeitgeber bis zur Pensionierung des Arbeitnehmers keine nennenswerte Arbeitsleistung mehr zu erwarten hat, aber trotzdem über den üblichen Sechs-Wochen-Zeitraum hinaus erhebliche Leistungen an Entgeltfortzahlung zu erbringen hat (im Fall: unbefristete Entgeltfortzahlung bis zur Verrentung bzw. Versetzung in den Ruhestand). S. dazu auch LAG Niedersachsen vom 24.8.1999 – 13 Sa 2831/98, DB 2000, 524: Die Prognose, dass in Zukunft mit einer Vielzahl von Krankheitszeiten über kürzere und längere Dauer zu rechnen ist (ca. 160 bis 180 Arbeitstage im Jahr), rechtfertigt die außerordentliche Kündigung einer nach BAT unkündbaren Angestellten. Die betriebliche Belastung, die eine Weiterbeschäftigung unzumutbar macht, folgt aus der fehlenden Einplanbarkeit der Angestellten im Rahmen der Dienstplangestaltung des Krankenhauses. Bestätigt durch BAG vom 18.1.2001 – 2 AZR 616/99, NZA 2002, 455. 2 BAG vom 12.7.1995 – 2 AZR 762/94, NZA 1995, 1100. 3 BAG vom 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, NZA 1993, 598; BAG vom 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, NZA 2001, 219; BAG vom 18.1.2001 – 2 AZR 616/99, NZA 2002, 455. 4 BAG vom 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, NZA 2001, 219; BAG vom 18.1.2001 – 2 AZR 616/99, NZA 2002, 455.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 618 Teil 1
Annahmeverzugslohnansprüchen führt, ohne dass der Arbeitgeber noch Verwendung für die Arbeitskraft der betreffenden Arbeitnehmer hat, verwirklicht sich hierin sein Unternehmerrisiko1. Ausnahmsweise kommt eine außerordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen dann in Betracht, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung gerade darin zu sehen ist, dass wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung der Arbeitgeber den Arbeitnehmer notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze weiterbeschäftigen müsste und ihm dies unzumutbar ist, wie z.B. im Falle einer Betriebsstilllegung, wenn eine Versetzung in einen anderen Betrieb des Unternehmens nicht möglich ist2. Auch hier hat jedoch der Arbeitgeber im Hinblick auf die mit der Kündigungsbeschränkung bezweckte besondere Sicherung des Arbeitnehmers die gesetzliche oder tarifvertragliche Kündigungsfrist einzuhalten, die gelten würde, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre3. Weiterhin kann die außerordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich 618 unkündbaren Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen ausnahmsweise unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zulässig sein, wenn der Arbeitsplatz des Mitarbeiters weggefallen ist und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch unter Einsatz aller zumutbaren Mittel, ggf. durch Umorganisation seines Betriebes, nicht weiterbeschäftigen kann4. Zuvor muss der Arbeitgeber jedoch auch dann alle zumutbaren, eine Weiterbeschäftigung ermöglichenden Mittel ausschöpfen, wenn der Arbeitnehmer einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber widersprochen hat. Legt der tariflich „unkündbare“ Arbeitnehmer dar, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, so genügt es nicht, dass der Arbeitgeber das Bestehen entsprechend freier Arbeitsplätze in Abrede stellt. Vielmehr muss der Arbeitgeber ggf. unter Vorlage der Stellenpläne substantiiert darlegen, weshalb das Freimachen eines geeigneten Arbeitsplatzes oder dessen Schaffung durch eine entsprechende Umorganisation nicht möglich oder zumutbar gewesen sein soll5. Auch das zu erwartende Freiwerden eines geeigneten Arbeitsplatzes aufgrund üblicher Fluktuation ist zu berücksichtigen6. Findet der Arbeitgeber bei Wegfall des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers (insbesondere nach einem Betriebsteilübergang) keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für diesen, so ist ihm die u.U. jahrelange Fortsetzung eines sinnentleerten Arbeitsverhältnisses allein durch Lohnzahlungen, denen keine Arbeitsleistung entgegensteht, regelmäßig nicht zumutbar und stellt einen wichtigen Grund dar, das Arbeitsverhältnis des ordentlich nicht mehr künd1 So ausdrücklich BAG vom 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856. 2 BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 65/05, NZA 2006, 985 m. w. Nachw. 3 BAG vom 28.3.1985 – 2 AZR 113/84,NZA 1985, 559; BAG vom 29.8.1991 – 2 AZR 59/91, NZA 1992, 416; BAG vom 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856. S. dazu auch BAG vom 27.6.2002 – 2 AZR 367/01, DB 2003, 102 – Leitsatz: „Es sind Extremfälle denkbar, in denen auch einem nach § 55 BAT tariflich unkündbaren Angestellten des öffentlichen Dienstes nach § 626 BGB unter Gewährung einer notwendigen Auslauffrist außerordentlich betriebsbedingt gekündigt werden kann.“ 4 BAG vom 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, NZA 1998, 771. 5 Vgl. BAG vom 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 416. 6 BAG vom 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, NZA 1999, 258.
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Teil 1 Rz. 619
Arbeitsrechtliche Grundlagen
baren Arbeitnehmers unter Gewährung einer Auslauffrist außerordentlich zu beenden1. Hierbei ist jedoch ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen. In erheblich weiterem Umfang als bei der ordentlichen Kündigung ist es dem Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Kündigung gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer zumutbar, die Kündigung durch andere geeignete Maßnahmen zu vermeiden. Besteht noch irgendeine Möglichkeit, die Fortsetzung eines völlig sinnentleerten Arbeitsverhältnisses etwa durch eine anderweite Beschäftigung ggf. nach entsprechender Umschulung zu vermeiden, ist es dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar, diese andere Möglichkeit zu wählen. Erst wenn alle anderen Lösungsmöglichkeiten gescheitert sind, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist vorliegen2. 619
Bei der Abgrenzung, unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist aus betriebsbedingten Gründen gegenüber einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer zulässig ist, muss zudem stets die besondere Ausgestaltung des tariflichen Sonderkündigungsschutzes berücksichtigt werden. Regeln die Tarifpartner im Einzelnen, unter welchen Voraussetzungen gegenüber einem sonst tariflich unkündbaren Arbeitnehmer eine Beendigungs- oder Änderungskündigung aus betriebsbedingten Gründen zulässig ist, so lässt dies regelmäßig erkennen, dass nach dem Willen der Tarifpartner in erster Linie diese Kündigungsgründe in Betracht kommen sollen, wenn aus betriebsbedingten Gründen eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr möglich ist. Stellt die tarifliche Regelung des Sonderkündigungsschutzes für betriebsbedingte Kündigungsgründe bereits Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung, die es dem Arbeitgeber jedenfalls im Regelfall ermöglichen, sich von unzumutbar gewordenen Arbeitsverhältnissen zu lösen, so hat der Arbeitgeber zunächst von diesen tariflichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Erst wenn feststeht, dass sie versagen, kann überhaupt eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einem tariflich sonst unkündbaren Arbeitnehmer in Betracht kommen3.
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Den gesteigerten Anforderungen bei der Prüfung des wichtigen Grundes i.S. von § 626 Abs. 1 BGB entspricht auch eine gesteigerte Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber hat darzulegen, dass er ohne eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit gezwungen wäre, ein sinnloses Arbeitsverhältnis über viele Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht, aufrechtzuerhalten, und dass auch keine andere Möglichkeit besteht, die Fortsetzung eines völlig sinnentleerten Arbeitsverhältnisses etwa durch eine anderweitige Beschäftigung ggf. nach entsprechender Umschulung zu vermeiden. Anders als bei der ordentlichen betriebsbedingten Kündigung reicht es insoweit nicht aus, dass der 1 So ausdrücklich BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 748/98, NZA 1999, 1267. Ähnlich BAG vom 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856. 2 BAG vom 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856. 3 BAG vom 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 622 Teil 1
Arbeitgeber zunächst nur darlegt, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei infolge des Wegfalls seines Arbeitsplatzes nicht mehr möglich und dann die Darlegung des Arbeitnehmers abwartet, wie er sich seine Weiterbeschäftigung an anderer Stelle im Betrieb oder Unternehmen vorstellt. Das Fehlen jeglicher, auch anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten zählt bei einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung vielmehr bereits zum wichtigen Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB und ist deshalb vom Arbeitgeber darzulegen1. Die Voraussetzungen einer auf betriebliche Gründe gestützten außerordentlichen Änderungskündigung aus wichtigem Grund gehen nach Auffassung des BAG2 über die Anforderungen an eine ordentliche Kündigung hinaus (!). Werde die außerordentliche Änderungskündigung gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer auf eine Reorganisationsentscheidung gestützt, so sei entscheidender Gesichtspunkt, ob das geänderte unternehmerische Konzept die vorgeschlagene Änderung erzwinge oder ob es im Wesentlichen auch ohne oder mit weniger einschneidenden Änderungen im Arbeitsvertrag des Gekündigten durchsetzbar bleibe. Außerdem müsse der Arbeitgeber bereits bei der Erstellung des unternehmerischen Konzepts die in Form von vereinbarten Kündigungsausschlüssen bestehenden arbeitsvertraglich übernommenen Garantien ebenso wie andere schuldrechtliche Bindungen berücksichtigen. Nicht jede mit dem Festhalten am Vertragsinhalt verbundene Last könne einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Änderungskündigung rechtfertigen. Im Prozess wirke sich die übernommene Verpflichtung auch bei der Darlegungslast aus. Aus dem Vorbringen des Arbeitgebers müsse erkennbar sein, dass er auch unter Berücksichtigung der vertraglich eingegangenen besonderen Verpflichtungen alles Zumutbare unternommen habe, die durch die unternehmerische Entscheidung notwendig gewordenen Anpassungen auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken3. Jedenfalls wird der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes vom BAG nicht generell für verpflichtet gehalten, zur Vermeidung einer außerordentlichen Änderungskündigung gegenüber ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern Arbeitsplätze ordentlich kündbarer Arbeitnehmer „freizukündigen“. Eine Freikündigungspflicht bestehe keinesfalls, wenn der unkündbare Arbeitnehmer den freigekündigten Arbeitsplatz nicht innerhalb der für einen qualifizierten Stellenbewerber ausreichenden Einarbeitungszeit ausfüllen könne. Ebenso wenig sei der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes verpflichtet, zur Vermeidung einer Änderungskündigung zu versuchen, den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer bei einem anderen Arbeitgeber unterzubringen4.
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Eine außerordentliche Kündigung von tariflich unkündbaren Arbeitnehmern aus verhaltensbedingten Gründen ist unter den Voraussetzungen des § 626
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1 BAG vom 8.4.2003 – 2 AZR 355/02, NZA 2003, 856. 2 BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 65/05, NZA 2006, 985. 3 BAG vom 2.3.2006 – 2 AZR 65/05, NZA 2006, 985, wonach selbst die Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes (sog. „home-office“) unter bestimmten Voraussetzungen mit dem unternehmerischen Konzept vereinbar sein und als Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in Betracht kommen könne. 4 BAG vom 18.5.2006 – 2 AZR 207/05, NZA-RR 2007, 272.
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Teil 1 Rz. 623
Arbeitsrechtliche Grundlagen
BGB möglich (s.o. Rz. 468 ff.), wobei auch hier im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nicht auf die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist, sondern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abzustellen ist. 623
Bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer ist dem Betriebsrat nicht lediglich die Anhörungsfrist von drei Tagen nach § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, sondern die volle Frist von einer Woche zur Stellungnahme gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG einzuräumen1. i) Sonstige Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz
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Nach Art. 48 Abs. 2 GG, § 2 Abs. 3 Satz 1 AbgG ist die Kündigung oder Entlassung aus Anlass der Abgeordnetentätigkeit bzw. wegen der Annahme oder Ausübung des Mandats unwirksam. Eine Kündigung ist nur aus wichtigem Grund möglich, § 2 Abs. 3 Satz 2 AbgG. Der Sonderkündigungsschutz beginnt mit der Aufstellung des Wahlbewerbers durch das zuständige Parteiorgan oder mit der Einreichung des Wahlvorschlags durch das zuständige Parteiorgan und endet ein Jahr nach der Mandatsbeendigung (§ 2 Abs. 3 Satz 3 und 4 AbgG). Entsprechende Vorschriften sind in den Landesverfassungen sowie den Abgeordnetengesetzen und Gemeindeordnungen der Bundesländer für Abgeordnete von Landtagen und Kommunalvertretungen enthalten2.
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Für Mitglieder des Europäischen Parlaments gilt der besondere Kündigungsschutz des § 3 Abs. 3 EuAbgG3. Danach ist die Kündigung oder Entlassung wegen Übernahme oder Ausübung des Mandats unzulässig. Im Übrigen kann eine Kündigung nur aus wichtigem Grund erfolgen. Der Sonderkündigungsschutz beginnt mit der Aufstellung des Wahlbewerbers durch die Organe der Wahlvorschlagsberechtigten und endet ein Jahr nach Mandatsbeendigung.
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Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 ZSchG, § 9 Abs. 2 Satz 1 KatSG dürfen Arbeitnehmer wegen ihrer Dienstleistung im Zivil- und Katastrophenschutz keine Nachteile erleiden. Ihnen darf wegen ihres Dienstes im Zivilschutz nicht gekündigt werden. Zudem darf die Dienstleistung bei der Sozialauswahl im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen nicht zu ihrem Nachteil berücksichtigt werden4.
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Ein besonderer Kündigungsschutz besteht weiterhin für Immissionsschutzbeauftragte i.S. der §§ 53 ff. BImSchG. Handelt es sich bei dem Immissionsschutzbeauftragten um einen Arbeitnehmer des zur Bestellung verpflichteten Betreibers, so ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 BImSchG die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den 1 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 242/05, NZA 2006, 512. 2 S. etwa Art. 46 Abs. 1 Verf. NRW, § 2 Abs. 3 AbgG NRW, § 44 Abs. 1 GO NW. 3 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz) vom 6.4.1979 (BGBl. I S. 413). 4 KR-Friedrich, § 13 KSchG Rz. 215.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 631 Teil 1
Betreiber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Darüber hinaus ist die Kündigung nach der Abberufung als Immissionsschutzbeauftragter unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Betreiber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen (§ 58 Abs. 2 Satz 2 BImSchG). Dem Immissionsschutzbeauftragten soll damit ein – dem Schutz von Betriebsratsmitgliedern vergleichbarer – Kündigungsschutz gewährt werden, um ihm die erforderliche Unabhängigkeit für die Erfüllung seiner Aufgaben zu sichern1. Da sich die Regelung des § 58 Abs. 2 BImSchG allgemein auf „die Kündigung“ des Arbeitsverhältnisses bezieht, gilt sie für Beendigungs- und Änderungskündigungen gleichermaßen. Solange ein Arbeitnehmer das Amt des Immissionsschutzbeauftragten ausübt, ist eine ordentliche Kündigung nach § 58 Abs. 2 Satz 1 BImSchG unzulässig. Eine gleichwohl ausgesprochene ordentliche Kündigung ist daher wegen Gesetzesverstoßes gemäß § 134 BGB nichtig.
628
Dagegen ist die außerordentliche Kündigung eines Immissionsschutzbeauftragten grundsätzlich möglich. Dies setzt allerdings das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, der den Anlagenbetreiber nach Maßgabe des § 626 BGB zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt (s.o. Rz. 468 ff.). Ebenso wie im Rahmen von § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG hinsichtlich der Betriebsratsmitglieder (s.o. Rz. 575 ff.) ist aber eine außerordentliche Kündigung des Immissionsschutzbeauftragten unzulässig, wenn diesem ausschließlich die Verletzung seiner Amtspflichten vorgeworfen wird. In dem Fall hat der Anlagenbetreiber nur das Recht der sofortigen Abberufung des Immissionsschutzbeauftragten von seinem Amt. Eine außerordentliche Kündigung kommt allein dann in Betracht, wenn die Amtspflichtverletzung zugleich eine schwere Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellt.
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Der nachwirkende Kündigungsschutz des § 58 Abs. 2 Satz 1 BImSchG wird ausgelöst durch den Rechtsakt der Abberufung des Immissionsschutzbeauftragten von seinem Amt. Dagegen löst die vom Immissionsschutzbeauftragten erklärte Amtsniederlegung den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 58 Abs. 2 Satz 2 BImSchG jedenfalls dann nicht aus, wenn sie nicht durch ein Verhalten des Arbeitgebers, etwa durch Kritik an seiner Amtsführung oder Behinderung in der Wahrnehmung seiner Amtspflichten, veranlasst worden, sondern allein von dem Arbeitnehmer selbst ausgegangen ist2.
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Ein vergleichbarer besonderer Kündigungsschutz besteht für Störfallbeauftragte i.S. der §§ 58a ff. BImSchG3, für Abfallbeauftragte i.S. der §§ 54 f. KrW-/
631
1 Vgl. Ehrich, Amt und Anstellung, S. 275 f. 2 So zu Recht BAG vom 22.7.1992 – 2 AZR 85/92, NZA 1993, 557 (Kündigung eines als Arbeitnehmer beschäftigten Immissionsschutzbeauftragten, der sein Amt nur deshalb niedergelegt hat, weil der Anlagenbetreiber seinem Verlangen nach einer Gehaltserhöhung von jährlich rund 85 000,– DM auf rund 140 000,– DM nicht entsprochen hatte). 3 S. dazu Ehrich, Amt und Anstellung, S. 277 f.
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Teil 1 Rz. 632
Arbeitsrechtliche Grundlagen
AbfG1 und für Gewässerschutzbeauftragte i.S. der §§ 21a ff. WHG2 (§ 58d BImSchG bzw. § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG i.V. mit § 58 Abs. 2 BImSchG, § 21f Abs. 2 WHG). Der Sonderkündigungsschutz setzt eine wirksame Bestellung zum jeweiligen Betriebsbeauftragten voraus. Diese bedarf der Schriftform und wird regelmäßig gesondert dokumentiert. Im Einzelfall kann sie allerdings bereits im schriftlichen Arbeitsvertrag erfolgen3. 632
Keinen besonderen Kündigungsschutz sieht das BDSG für den betrieblichen Datenschutzbeauftragten vor. Der Widerruf von dessen Bestellung ist allerdings gemäß § 4 Abs. 3 Satz 4 BDSG nur in entsprechender Anwendung des § 626 BGB sowie bei nicht-öffentlichen Stellen auch auf Verlangen der Aufsichtsbehörde möglich. Der Entzug der Aufgaben des Datenschutzbeauftragten kann nach Auffassung des BAG mit dem Mittel der Teilkündigung erfolgen4.
10. Anhörung des Betriebsrats 633
Der Betriebsrat ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Sinn und Zweck des in § 102 Abs. 1 BetrVG vorgesehenen Anhörungsverfahrens ist es, dem Betriebsrat die Möglichkeit zu geben, auf den Willensbildungsprozess des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen, damit der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung den Widerspruch oder etwaige Bedenken des Betriebsrats berücksichtigen kann und unter Auseinandersetzung mit den Argumenten des Betriebsrats eine geplante Kündigung überdenkt, ggf. von ihr Abstand nimmt5. Die Sanktion der Unwirksamkeit einer ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochenen Kündigung gilt nach ständiger Rechtsprechung des BAG6 aufgrund einer ausdehnenden, entsprechenden Anwendung von § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auch bei nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats. Insofern sollte das formale Anhörungsverfahren i.S. von § 102 Abs. 1 und 2 BetrVG vom Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung stets genauestens eingehalten werden, da anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Kündigung selbst bei Vorliegen eines noch so schwerwiegenden Kündigungsgrundes an der unzureichenden Betriebsratsanhörung „scheitert“.
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Die Anhörungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG bezieht sich auf alle arbeitgeberseitigen Kündigungen. Diese Vorschrift ist daher gleichermaßen vor dem Ausspruch von ordentlichen und außerordentlichen Kündigungen, vor Been1 2 3 4 5
S. Ehrich, DB 1996, 1468 ff. S. Ehrich, DB 1996, 2625. Vgl. BAG vom 26.3.2009 – 2 AZR 633/07, Pressemitteilung Nr. 34/09. BAG vom 13.3.2007 – 9 AZR 612/05, NZA 2007, 563. Vgl. BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41; BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 965/06, NZA 2008, 807 (808 f.). 6 S. etwa BAG vom 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330 m. w. Nachw.; BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, NZA-RR 2008, 571.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 638 Teil 1
digungskündigungen und Änderungskündigungen, vor Kündigungen von Arbeitsverhältnissen während der Probezeit und vor Erfüllung der Wartezeit i.S. von § 1 Abs. 1 KSchG (zum Begründungserfordernis in diesen Fällen s. bereits o. Rz. 236), vor Kündigungen von Aushilfsarbeitsverhältnissen, vor Kündigungen von Berufsausbildungsverhältnissen (auch während der Probezeit!) sowie bei Kündigungen vor Dienstantritt1 zu beachten. Weiterhin gilt § 102 BetrVG auch für Arbeitnehmer, die vorübergehend in das Ausland entsandt sind, sowie für in Heimarbeit Beschäftigte i.S. von § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG2. Anders als § 99 BetrVG setzt das Beteiligungsrecht des § 102 BetrVG keine Mindestanzahl von wahlberechtigten Arbeitnehmern voraus, die im Unternehmen beschäftigt sein müssen. Keine Anwendung findet § 102 BetrVG auf andere Beendigungsgründe, wie z.B. den Aufhebungsvertrag3, den Zeitablauf bei wirksam befristetem Arbeitsverhältnis, den Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG4 oder die Anfechtung des Arbeitsvertrages.
635
Ausnahmsweise ist eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat vom Arbeitgeber gemäß § 104 BetrVG verlangt, einen bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen, und sich der Arbeitgeber entschliesst, dem Wunsch des Betriebsrats aus den vom Betriebsrat angegebenen Gründen zu entsprechen5.
636
Die Anhörung muss in jedem Fall erfolgen, bevor die Kündigung ausgesprochen wird. Die nachträgliche Anhörung des Betriebsrats kann die Unwirksamkeitsfolge nicht beseitigen. Dies gilt auch dann, wenn der Betriebsrat der Kündigung später ausdrücklich zustimmt6. Umgekehrt darf der Arbeitgeber das Anhörungsverfahren nicht schon zu einem Zeitpunkt einleiten, zu dem er den Ausspruch einer Kündigung überhaupt noch nicht beabsichtigt. Eine solche „Unterrichtung auf Vorrat“ ist unzulässig7. Unerheblich ist nach Auffassung der Rechtsprechung8 dagegen, ob der Arbeitgeber bereits vor der Anhörung des Betriebsrats seinen Kündigungswillen abschließend gebildet hat.
637
Zur Unterrichtung des Betriebsrats gehören neben der Bezeichnung der Person des Arbeitnehmers, dem gekündigt werden soll, dessen grundlegende so-
638
1 LAG Frankfurt vom 31.5.1985 – 13 Sa 833/84, DB 1985, 2689. 2 Fitting/Engels/Schmidt/Tebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 8. S. dazu auch BAG vom 7.11.1995 – 9 AZR 268/94, NZA 1996, 380: Berücksichtigt der Arbeitgeber bei der Auswahl der zu kündigenden Heimarbeiter soziale Gesichtspunkte, so hat er dem Betriebsrat die entsprechenden Daten aller Heimarbeiter mitzuteilen, die er in die Auswahlentscheidung einbezogen hat. 3 BAG vom 12.6.2005 – 1 ABR 25/04, NZA 2006, 48. 4 LAG Baden-Württemberg vom 23.3.2001 – 18 Sa 65/00; a.A. Müller, BB 2002, 2014 ff. 5 BAG vom 15.5.1997 – 2 AZR 519/96, NZA 1997, 1106. 6 Vgl. BAG vom 13.11.1975 – 2 AZR 610/74, DB 1976, 969; BAG vom 29.3.1977 – 1 AZR 46/75, DB 1977, 1320. 7 Vgl. BAG vom 27.4.2006 – 2 AZR 426/05, NZA 2007, 288. 8 BAG vom 28.9.1978 – 2 AZR 2/77, DB 1979, 1135. Zu abweichenden Ansichten im Schrifttum s. KR-Etzel, § 102 BetrVG Rz. 55.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 639
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ziale Daten, also die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, der Familienstand, die Zahl der Unterhaltsberechtigten sowie die Umstände, die einen besonderen Kündigungsschutz begründen (Schwangerschaft, Schwerbehinderteneigenschaft, Einberufung zum Wehr- oder Ersatzdienst), weiterhin die Art der Kündigung sowie die Angabe der Kündigungsfrist und des Kündigungstermins, wobei allerdings nicht erforderlich ist, dass dem Betriebsrat der konkrete Termin genannt wird, zu dem die Kündigung wirken soll. Für eine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats, was in gleicher Weise für die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats gilt, soll es nach neuerer Rechtsprechung des BAG sogar ausreichen, dass der Personalrat „das ungefähre Vertragsende und die zwischen Ausspruch der Kündigung und dem Entlassungstermin liegende Zeitdauer in etwa abschätzen kann“1. 639
Teilt der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG mit, der Arbeitnehmer habe „laut Steuerkarte“ keine unterhaltsberechtigten Kinder und entspricht dies dem Kenntnisstand des Arbeitgebers, so ist die Anhörung auch dann nicht fehlerhaft, wenn der Arbeitnehmer in Wahrheit unterhaltsberechtigte Kinder hat. Der Arbeitgeber ist im Rahmen von § 102 BetrVG nicht verpflichtet, die Richtigkeit der ihm vom Arbeitnehmer mitgeteilten und dokumentierten Daten zu überprüfen. Er kann deshalb mangels anderweitiger Kenntnis auch von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte ausgehen, hat dies aber ggf. gegenüber dem Betriebsrat zu kennzeichnen2.
640
Über den Familienstand und die Unterhaltspflichten der zu kündigenden Arbeitnehmer braucht der Arbeitgeber den Betriebsrat ausnahmsweise dann nicht nach § 102 BetrVG zu unterrichten, wenn eine Sozialauswahl nach der für den Betriebsrat erkennbaren Auffassung des Arbeitgebers wegen der Stilllegung des gesamten Betriebs nicht vorzunehmen ist3. Entbehrlich kann die Mitteilung des Lebensalters des Arbeitnehmers und von dessen Unterhaltspflichten weiterhin bei sog. Probezeitkündigungen sein (Einzelheiten s.o. Rz. 236). Gleichwohl sollte der Arbeitgeber auch in den Fällen dem Betriebsrat vorsorglich stets alle grundlegenden Sozialdaten der betreffenden Arbeitnehmer mitteilen.
641
Die fehlende Mitteilung der genauen Sozialdaten des Arbeitnehmers soll der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach Auffassung des BAG zudem jedenfalls dann nicht entgegen stehen, wenn es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe (im Streitfall: Annahme von Schmiergeldern in Millionenhöhe) auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankomme, der Betriebsrat die ungefähren Sozialdaten kenne und er daher die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ausreichend beurteilen könne4. 1 BAG vom 27.4.2006 – 2 AZR 426/05, NZA 2007, 288. 2 BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665; BAG vom 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, NZA 2007, 266. 3 BAG vom 13.5.2004 – 2 AZR 329/03, NZA 2004, 1037. 4 BAG vom 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, NZA 1996, 419. Ähnlich BAG vom 15.11.2001 – 2 AZR 380/00, NZA 2002, 970, wonach die fehlende Mitteilung des Familienstan-
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 643 Teil 1
Die Mitteilung der Kündigungsgründe i.S. von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bedeutet, dass der Arbeitgeber über alle Gesichtspunkte – nicht nur schlagwortoder stichwortartig – informieren muss, die ihn zur Kündigung veranlasst haben. Dabei ist die Mitteilungspflicht des Arbeitsgebers bei der Betriebsratsanhörung zur Kündigung nach ständiger Rechtsprechung des BAG1 subjektiv determiniert. Danach ist der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenen Kündigungsgründe mitgeteilt hat. Den Kündigungssachverhalt muss der Arbeitgeber in der Regel unter Angaben von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe überprüfen kann. Teilt der Arbeitgeber objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stützen will, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Dagegen kommt der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst unrichtige oder unvollständige Informationen unterbreitet2.
642
Bei der krankheitsbedingten Kündigung (s.o. Rz. 244 ff.) muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Fehlzeiten, die Art der Erkrankung (sofern diese bekannt ist) und über die Betriebsablaufstörungen bzw. die wirtschaftlichen Belastungen informieren, die infolge der Fehlzeiten entstanden sind und mit denen künftig gerechnet werden muss3. Bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen sind dem Betriebsrat regelmäßig die einzelnen Ausfallzeiten der letzten Jahre mitzuteilen, auf die der Arbeitgeber seine Prognose stützt, es sei auch in Zukunft mit Krankheitszeiten im selben Umfang zu rechnen. Gleiches gilt für die aufgewandten Entgeltfortzahlungskosten, wenn der Arbeitgeber hieraus die erforderlichen betrieblichen Beeinträchtigungen infolge der krankheitsbedingten Ausfälle des Arbeitnehmers herleitet. War ein Arbeitnehmer z.B. jahrelang selten arbeitsunfähig krank, so kann der Betriebsrat bei einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit des betreffenden Arbeitnehmers in den letzten Jahren im Regelfall nur anhand der konkreten Krankheitszeiten und der konkret aufgewandten Entgeltfortzahlungskosten den Kündigungssachverhalt ohne weitere eigene Nachforschungen beurteilen. Ob die vom Arbeitgeber angestellte Prognose über die zukünftige Krankheits-
643
des oder der Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers nicht zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats führe, wenn es der subjektiven Vorstellung des Betriebsrats entspreche, unabhängig von den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und seines Familienstandes das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen wegen schwerer arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen zu kündigen, und diese persönlichen Umstände nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Pflichtverletzungen gestanden hätten. 1 S. etwa BAG vom 16.9.2004 – 2 AZR 511/03, BAG-Report 2005, 41; BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, NZA-RR 2008, 571. 2 BAG vom 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, NZA-RR 2008, 571. 3 Vgl. BAG vom 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, NZA 1987, 811.
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Teil 1 Rz. 644
Arbeitsrechtliche Grundlagen
anfälligkeit des Arbeitnehmers der Wahrscheinlichkeit entspricht oder ob es sich eher um eine schicksalhafte Verkettung mehrerer zeitgleich aufgetretener Krankheiten handelt, die keine derart schlechte Prognose zulässt, ergibt sich in einem solchen Fall regelmäßig erst aus der konkreten Betrachtung der Krankheitszeiten und der durch die Krankheiten verursachten Kosten1. 644
Allerdings ist nicht jede Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen infolge fehlerhafter Betriebsratsanhörung unwirksam, wenn es der Arbeitgeber unterlassen hat, dem Betriebsrat von sich aus eine ins einzelne gehende Aufschlüsselung der Krankheitszeiten und Entgeltfortzahlungskosten vorzulegen. Insbesondere in Fällen, in denen der Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses fortlaufend jedes Jahr überdurchschnittliche Krankheitszeiten aufzuweisen hatte und hohe Entgeltfortzahlungskosten verursacht hat, kann es je nach den Umständen aus der verständigen Sicht sowohl des Arbeitgebers als auch des Betriebsrats ausreichen, dass der Arbeitgeber lediglich nach Jahren gestaffelt die überdurchschnittliche Krankheitshäufigkeit darlegt und die Entgeltfortzahlungskosten der letzten Jahre in einem Gesamtbetrag mitteilt. Kann der Betriebsrat aus den mitgeteilten Krankheitszeiten und Entgeltfortzahlungskosten ohne Weiteres ableiten, eine Negativprognose hinsichtlich der in Zukunft zu erwartenden Krankheitszeiten sei gerechtfertigt und nicht mehr hinnehmbare betriebliche Beeinträchtigungen durch entsprechende Entgeltfortzahlungskosten seien zu erwarten, so reicht dies aus2.
645
Bei einer verhaltensbedingten Kündigung (s.o. Rz. 282 ff.) muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über den konkreten Sachverhalt unterrichten, der die Kündigung rechtfertigen soll. Außerdem hat er dem Betriebsrat mitzuteilen, ob und weshalb der Arbeitnehmer zuvor abgemahnt wurde. Überdies hat er dem Betriebsrat die Beweismittel darzulegen, sofern der Arbeitnehmer die Vorwürfe bestreitet. Die Vorlage von Beweismaterial ist hingegen im Allgemeinen nicht erforderlich3. Kündigt der Arbeitgeber wegen wiederholten Zuspätkommens zur Arbeit, so kann er sich im Kündigungsrechtsstreit auf betriebstypische Störungen des Betriebsablaufs auch dann berufen, wenn er diese Störung dem Betriebsrat bei dessen Anhörung nicht ausdrücklich mitgeteilt hatte, weil solche Verspätungsfolgen dem Betriebsrat im Allgemeinen bekannt sind4. Schließlich muss er dem Betriebsrat auch die Umstände mitteilen, die den Arbeitnehmer entlasten5. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen einer für nachgewiesen gehaltenen Straftat des Arbeitnehmers (Tatkündigung), so kann er die Kündigung im Kündigungsschutzprozess bei unverändert gebliebenem Sachverhalt nicht auf den Verdacht dieser Straftat stützen, wenn nicht die Kündigung bei der Betriebsratsanhörung zugleich
1 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 493/01, NZA 2003, 520. 2 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 493/01, NZA 2003, 520; ähnlich BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 599/01, NZA 2003, 816. 3 BAG vom 26.1.1995 – 2 AZR 386/94, NZA 1995, 672. 4 BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761. 5 BAG vom 31.8.1989 – 2 AZR 453/88, DB 1990, 1928; BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 647 Teil 1
auch vorsorglich mit dem Verdacht der nicht erwiesenen Straftat begründet worden ist1. Bei der betriebsbedingten Kündigung (s.o. Rz. 300 ff.) hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat den Wegfall der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unter konkreter Darlegung der außer- oder innerbetrieblichen Gründe sowie – unaufgefordert – die Kriterien für die Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer mitzuteilen2. Besteht aus Sicht des Arbeitgebers keine Möglichkeit, den zu kündigenden Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b und 2b KSchG), so genügt der Arbeitgeber seiner Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG in der Regel schon durch den ausdrücklichen oder konkludenten Hinweis auf fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Hat jedoch der Betriebsrat vor Einleitung des Anhörungsverfahrens Auskunft über Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den zu kündigenden Arbeitnehmer auf einem konkreten, kürzlich frei gewordenen Arbeitsplatz verlangt, so muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitteilen, warum aus seiner Sicht eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf diesem Arbeitsplatz nicht möglich ist. Der lediglich pauschale Hinweis auf fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb reicht dann nicht aus. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf dem vom Betriebsrat benannten Arbeitsplatz zunächst objektiv falsch informiert und rügt der Betriebsrat dies innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG unter Angabe des zutreffenden Sachverhalts, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Betriebsrat ergänzend mitzuteilen, warum aus seiner Sicht trotzdem eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf diesem Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt. Unterlässt er dies und kündigt, so ist die Kündigung nach § 102 BetrVG unwirksam3.
646
Bei der Änderungskündigung (s.o. Rz. 387 ff.) sind dem Betriebsrat das Änderungsangebot sowie die Gründe für die beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen mitzuteilen. Außerdem muss der Arbeitgeber den Betriebsrat darüber unterrichten, dass im Falle der Ablehnung des Änderungsangebots durch den Arbeitnehmer die Beendigungskündigung beabsichtigt ist. Ande-
647
1 BAG vom 3.4.1986 – 2 AZR 324/85, NZA 1986, 677; BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813; BAG vom 23.4.2008 – 2 AZR 71/07, NZA 2008, 1081. Zur Abgrenzung von Tatkündigung und Verdachtskündigung s. BAG vom 26.3.1992 – 2 AZR 519/91, NZA 1992, 1121. 2 BAG vom 29.3.1984 – 2 AZR 429/83, NZA 1984, 169. Einschränkend LAG Hessen vom 24.1.2000 – 6 Sa 943/99, NZA-RR 2001, 34: Die Mitteilung der sozialen Daten des zu kündigenden Arbeitnehmers ist bei betriebsbedingter Kündigung entbehrlich (führt nicht zur Unwirksamkeit nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG), wenn der Arbeitgeber für seinen Kündigungsentschluss hierauf nicht abstellt und für den Betriebsrat erkennbar die sozialen Daten des zu kündigenden Arbeitnehmers den Arbeitgeber auch nicht zur Rücknahme seiner Kündigungsentscheidung bewegen werden (z.B. bei Massenentlassungen). Zu den Besonderheiten bei der Kündigung wegen Betriebsstilllegung s.o. Rz. 640. 3 BAG vom 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761.
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Teil 1 Rz. 648
Arbeitsrechtliche Grundlagen
renfalls liegt keine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG zur Beendigungskündigung vor1. 648
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Soweit dem Betriebsrat die Personalien des betreffenden Arbeitnehmers und die Kündigungsgründe bereits bekannt sind, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat hierüber nicht unterrichten4. Befindet sich der Arbeitgeber in der irrigen Annahme, der Betriebsrat verfüge bereits über die erforderliche Kenntnis, und teilt er deshalb dem Betriebsrat die Kündigungsgründe nicht mit, so liegt keine ordnungsgemäße Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG vor. Für den Umstand, dass dem Betriebsrat die Personalien des Arbeitnehmers und die Kündigungsgründe bereits bekannt sind, ist der Arbeitgeber beweispflichtig5.
650
Das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG entfaltet grundsätzlich nur für die Kündigung Wirksamkeit, für die es eingeleitet worden ist. Hat der Arbeitgeber nach Durchführung des Anhörungsverfahrens gekündigt und ist dem Arbeitnehmer die Kündigung zugegangen, so bedarf es zur Wirksamkeit einer wiederholenden Kündigung einer erneuten Anhörung des Betriebsrats, selbst wenn die weitere Kündigung auf denselben Sachverhalt gestützt wird, da die Betriebsratsanhörung zu der ersten Kündigung nach deren Ausspruch „verbraucht“ ist6. Hat dagegen der Arbeitgeber vor Ablauf der Fristen des § 102 Abs. 2 BetrVG und vor einer abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats gewissermaßen „verfrüht“ eine – danach unwirksame – Kündigung ausgesprochen, ist die Betriebsratsanhörung hinsichtlich einer weiteren, nach einer abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats ausgesprochenen Kündigung dann nicht „verbraucht“, wenn der Betriebsrat bei seiner Beschlussfas-
Hinweis: Will der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung vorsorglich auch ordentlich aussprechen, muss er den Betriebsrat darauf hinweisen, dass die beabsichtigte fristlose Kündigung hilfsweise als ordentliche gelten soll. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BAG2 eine Anhörung des Betriebsrats zur vorsorglich ausgesprochenen oder im Wege der Umdeutung (§ 140 BGB) ermittelten ordentlichen Kündigung dann nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zustimmt. Da der Arbeitgeber bei Einleitung des Anhörungsverfahrens regelmäßig keine Gewissheit darüber hat, ob der Betriebsrat einer außerordentlichen Kündigung zustimmen wird, sollte er den Betriebsrat stets auch zu einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung anhören3.
1 BAG vom 30.11.1989 – 2 AZR 197/89, NZA 1990, 529; LAG Hamm vom 15.7.1997 – 6 Sa 403/97, DB 1997, 1722 = BB 1997, 2053. 2 BAG vom 16.3.1978 – 2 AZR 424/76, DB 1978, 1454. 3 So zu Recht Bauer, II Rz. 260. 4 Vgl. BAG vom 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893; KR-Etzel, § 102 BetrVG Rz. 58 b. 5 Bauer, II Rz. 258. 6 BAG vom 10.11.2005 – 2 AZR 623/04, NZA 2006, 491; BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 965/06, NZA 2008, 807 (808) m. w. Nachw.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 653 Teil 1
sung gewusst hat, dass er zu einer noch auszusprechenden Kündigung angehört wurde und er seine Rechte noch ungeschmälert wahrnehmen konnte1. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen im Kündigungsschutzprozess ist nur möglich, wenn die Gründe zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits vorlagen, dem Arbeitgeber die Gründe zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt waren und der Betriebsrat vor Einführung der Gründe in den Kündigungsschutzprozess erneut angehört wurde2. Kündigungsgründe, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bekannt waren, kann er selbst dann nicht nachschieben, wenn der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung bereits wegen der ihm mitgeteilten Gründe zugestimmt hat3. Möglich ist aber eine weitere Erläuterung und Konkretisierung der dem Betriebsrat rechtzeitig mitgeteilten Kündigungsgründe im Kündigungsschutzprozess, sofern dadurch der Kündigungssachverhalt nicht wesentlich verändert und nicht überhaupt erst ein kündigungsrechtlich erheblicher Sachverhalt angegeben wird4. Gründe, die erst nach Ausspruch der Kündigung entstanden sind, können nicht nachgeschoben werden. Hierfür bedarf es einer neuen Kündigung.
651
Eine bestimmte Form für die Anhörung ist nicht vorgeschrieben. Selbst bei außergewöhnlicher Komplexität des Kündigungssachverhalts bedarf die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG nicht der Schriftform oder der Übergabe vorhandener schriftlicher Unterlagen5. Gleichwohl sollte aus Beweisgründen stets die Schriftform gewählt werden6.
652
Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat desjenigen Betriebs anhören, zu dessen Belegschaft der zu kündigende Arbeitnehmer gehört. Die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung von Personen, die allein zum Zweck ihrer Berufsausbildung beschäftigt werden und zu denen u.a. auch Teilnehmer an firmeninternen Ausbildungsmaßnahmen zählen, richtet sich danach, ob die berufspraktische Ausbildung sich im Rahmen der jeweiligen arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebs, zu deren Erreichen die betriebsangehörigen Arbeitnehmer zusammen wirken, vollzieht. Wird der zur Ausbildung Beschäftigte nur vorübergehend und partiell in den Ausbildungsbetrieb eingegliedert und bleibt auch bei einer solchen Stationsausbildung der Schwerpunkt seines Ausbildungsverhältnisses beim Stammbetrieb, ist dessen Betriebsrat zumindest in den Angelegenheiten zu beteiligen, die das Grundverhältnis des zur Berufsausbildung Beschäftigten betreffen. Dabei kommt es zum einen darauf an, ob der Arbeitnehmer im Stammbetrieb eingestellt und der Betriebsrat zur Einstellung beteiligt worden ist, zum anderen, ob vom Stammbetrieb aus die (Gesamt-)Ausbildung im Wesentlichen geleitet und
653
1 Vgl. BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 965/06, NZA 2008, 807. 2 BAG vom 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 43 m. w. Nachw. 3 BAG vom 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073. 4 BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 302/96, NZA 1997, 761; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 41b, jeweils m. w. Nachw. 5 BAG vom 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, NZA 1997, 656. 6 So zu Recht Bauer, II Rz. 252.
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Teil 1 Rz. 654
Arbeitsrechtliche Grundlagen
überwacht wird und insbesondere, wo die wesentlichen und grundlegenden Entscheidungen für das Ausbildungsverhältnis getroffen werden. Dem gegenüber rechtfertigt eine nur vorübergehende und partielle Eingliederung eines zur Berufsausbildung Beschäftigten in einen anderen Betrieb zur Ableistung eines bestimmten Ausbildungsabschnitts keine andere Zuordnung1.
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Hinweis: Gleichwohl sollte der Arbeitgeber auch in diesen Fällen gewissermaßen auf „Nummer sicher“ gehen und alle denkbar in Betracht kommenden zuständigen Betriebsräte vor Ausspruch der Kündigung nach § 102 BetrVG vorsorglich anhören.
654
Die Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG hat gegenüber dem Vorsitzenden des Betriebsrats, bei dessen Verhinderung gegenüber dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG) zu erfolgen. Der Betriebsrat braucht sich grundsätzlich nur das Wissen eines zur Entgegennahme von Erklärungen nach § 26 Abs. 2 BetrVG berechtigten Betriebsratsmitglieds zurechnen zu lassen2. Der Betriebsrat kann jedoch einzelne seiner Mitglieder zum Empfang bevollmächtigen und auch Erklärungsboten bestellen3. Soweit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte aus § 102 BetrVG auf einen Betriebsausschuss gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2 BetrVG oder einen besonderen Ausschuss nach § 28 BetrVG übertragen hat4, muss die Mitteilung an dessen Vorsitzenden bzw. bei Verhinderung an seinen Stellvertreter erfolgen.
655
Die Mitteilung muss dem Empfangsbevollmächtigten des Betriebsrats grundsätzlich während dessen Arbeitszeit in den Betriebsräumen zugehen. Zur Entgegennahme dieser Mitteilung außerhalb der Arbeitszeit ist er nicht verpflichtet5. Nimmt er jedoch die Mitteilung des Arbeitgebers i.S. des § 102 Abs. 1 BetrVG außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb der Betriebsräume entgegen, so beginnt damit die Frist für die Stellungnahme zu laufen6.
656
Vor der Konstituierung des Betriebsrats nach § 26 BetrVG besteht keine Pflicht zur Durchführung des Anhörungsverfahrens, da der Betriebsrat noch nicht handlungsfähig ist7. Ist dagegen der Betriebsrat für die Dauer der Äußerungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG nur beschlussunfähig i.S. des § 33 Abs. 2 1 2 3 4
BAG vom 12.5.2005 – 2 AZR 149/04, NZA 2005, 1358. BAG vom 27.6.1985 – 2 AZR 412/84, NZA 1986, 426. So ausdrücklich BAG vom 6.10.2005 – 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990. Zur Zulässigkeit einer solchen Übertragung s. BAG vom 17.3.2005 – 2 AZR 275/04, NZA 2005, 1064. 5 Vgl BAG vom 12.12.1996 – 2 AZR 809/95, AiB 1998, 112: Das Anhörungsschreiben nach § 102 BetrVG geht dem Betriebsrat erst am folgenden Tag zu, wenn es vom Arbeitgeber zu einer Zeit in ein für den Betriebsrat bestehendes Postfach gelegt wird, zu der (z.B. nach Dienstschluss und nachdem der Betriebsratsvorsitzende bereits den Betrieb verlassen hat) nicht mehr mit der Leerung dieses Postfachs gerechnet werden kann. S. dazu auch LAG Berlin vom 31.1.2007 – 17 Sa 1599/06, ZTR 2007, 513: Das offene Postfach des Personalrats in der Poststelle stellt keine Empfangsvorrichtung des Personalrats dar. Der Zugang von Schreiben an den Personalrat wird daher nicht durch das Einlegen in das Postfach bewirkt. 6 BAG vom 27.8.1982 – 7 AZR 30/80, DB 1983, 181. 7 BAG vom 23.8.1984 – 6 AZR 520/82, NZA 1985, 566.
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 658 Teil 1
BetrVG, so nimmt der Restbetriebsrat in entsprechender Anwendung des § 22 BetrVG das Beteiligungsrecht des § 102 BetrVG wahr1. Erst wenn der Betriebsrat völlig funktionsunfähig ist, kann die Kündigung ohne Wahrung des Anhörungsrechts nach § 102 BetrVG ausgesprochen werden2. Über seine Stellungnahme hat der Betriebsrat ordnungsgemäß i.S. von § 33 657 BetrVG zu beschließen. Auf das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG wirken sich Mängel, die in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats fallen, grundsätzlich selbst dann nicht aus, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung weiß oder nach den Umständen vermuten kann, dass die Behandlung durch den Betriebsrat nicht fehlerfrei erfolgt ist3. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn tatsächlich keine Stellungnahme des Betriebsratsgremiums, sondern nur eine persönliche Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden vorliegt oder der Arbeitgeber den Fehler des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst hat4. Allein aufgrund des Umstands, dass bereits kurz nach Übermittlung des Anhörungsschreibens per Telefax an den Betriebsrat ebenfalls eine Antwort gleichfalls per Telefax erfolgt, muss der Arbeitgeber aber nicht davon ausgehen, es liege nur eine persönliche Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden vor5. Im Übrigen führen Fehler bei der Beschlussfassung des Betriebsrats jedenfalls dann nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bzw. der Frist von drei Tagen nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG wartet6. Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er die- 658 se unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen (§ 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Bei einer außerordentlichen Kündigung sind die Bedenken unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen (§ 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Die Frist berechnet sich nach §§ 187, 188, 193 BGB. Sie endet am letzten Tag noch nicht mit dem Dienstschluss der Personalabteilung des Arbeitgebers, sondern erst um 24 Uhr7. Die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat voll ausschöpfen. Hat der Betriebsrat zu der Kündigungsabsicht innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG keine Stellung genommen, so führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn der Arbeitgeber bereits am letzten Tag der Äußerungsfrist bei Dienstschluss das Kündigungsschreiben einem Kurierdienst übergeben und gleichzeitig dafür gesorgt hat, dass eine Zustellung erst so spät erfolgt, dass er sie noch verhindern
1 BAG vom 18.8.1982 – 7 AZR 437/80, DB 1983, 288. 2 BAG vom 15.11.1984 – 2 AZR 341/83, NZA 1985, 367. 3 BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 701/01, NZA 2003, 927; BAG vom 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330; BAG vom 6.10.2005 – 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990. 4 BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 701/01, NZA 2003, 927; BAG vom 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330; BAG vom 6.10.2005 – 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990. 5 BAG vom 16.1.2003 – 2 AZR 701/01, NZA 2003, 927. 6 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 53 m. w. Nachw. 7 BAG vom 12.12.1996 – 2 AZR 809/95, AiB 1998, 112.
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Teil 1 Rz. 659
Arbeitsrechtliche Grundlagen
kann, wenn der Betriebsrat wider Erwarten doch zu der Kündigungsabsicht Stellung nimmt1. 659
Auch wenn der Arbeitgeber das Anhörungsverfahren erst unmittelbar vor Ablauf der Probezeit oder der ersten sechs Monate des Beschäftigungsverhältnisses einleitet, kann der Betriebsrat die Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG voll ausschöpfen und damit erreichen, dass das Arbeitsverhältnis nur unter Beachtung einer längeren Kündigungsfrist gekündigt werden kann bzw. der Arbeitnehmer bei Zugang der Kündigung bereits die allgemeinen Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes erfüllt. Eine einseitige Abkürzung der Wochenfrist durch den Arbeitgeber ist auch in Eilfällen unzulässig2.
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Hinweis: Im Hinblick darauf muss das Anhörungsverfahren vom Arbeitgeber so rechtzeitig eingeleitet werden, dass die Kündigung unter Berücksichtigung der Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG dem Arbeitnehmer noch vor Ablauf der Probezeit bzw. der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG zugeht3. Entsprechendes gilt bei der Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses vor Ablauf der Probezeit (§§ 20, 22 Abs. 1 und 3 BBiG).
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Die einwöchige Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verlängert werden. Ein Anspruch des Betriebsrats auf Abschluss einer solchen Vereinbarung besteht jedoch – auch bei Massenentlassungen – nicht4. Allerdings kann die Berufung des Arbeitgebers auf die Einhaltung der Anhörungsfrist nach Auffassung des BAG5 rechtsmissbräuchlich sein. Hierfür reichen objektive Umstände wie die Zahl der Kündigungen und die sich hieraus für die Bearbeitung im Betriebsrat ergebenden Schwierigkeiten nicht aus. Wesentlich ist, ob der Betriebsrat innerhalb der Wochenfrist vom Arbeitgeber eine Fristverlängerung verlangt hat und wie sich beide Betriebspartner bis zur formellen Einleitung des Anhörungsverfahrens verhalten haben.
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Will der Arbeitgeber neben einer fristlosen Kündigung zugleich vorsorglich eine ordentliche Kündigung aussprechen, ist hinsichtlich der hilfsweisen ordentlichen Kündigung die einwöchige Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG einzuhalten6.
662
Äußert sich der Betriebsrat innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung, gilt seine Zustimmung gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als erteilt. Äußert er sich nicht 1 BAG vom 8.4.2003 – 2 AZR 515/02, NZA 2003, 961. Kritisch dazu Reiter, NZA 2003, 954 ff. 2 BAG vom 12.12.1996 – 2 AZR 809/95, AiB 1998, 112. 3 Zutreffend Bauer, II Rz. 257. 4 BAG vom 14.8.1986 – 2 AZR 561/85, NZA 1987, 601. 5 BAG vom 14.8.1986 – 2 AZR 561/85, NZA 1987, 601. 6 Fitting/Kaiser/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 63 m. w. Nachw.
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 664 Teil 1
zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung innerhalb der Frist von drei Tagen, gilt zwar die Zustimmung als verweigert (Umkehrschluss aus § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Jedoch kann der Arbeitgeber nach Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG die Kündigung wirksam aussprechen. Nach § 102 Abs. 3 i.V. mit Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung innerhalb einer Woche schriftlich und unter Angabe von Gründen widersprechen1, wenn
663
1. der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, 2. die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 BetrVG verstößt, 3. der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, 4. die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder 5. eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Hat der Betriebsrat aus einem der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Gründe 664 der Kündigung widersprochen, so kann zwar der Arbeitnehmer nach § 102 Abs. 5 BetrVG die vorläufige Weiterbeschäftigung verlangen. Außerdem hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten (§ 102 Abs. 4 BetrVG). Der Widerspruch des Betriebsrats hindert den Arbeitgeber jedoch nicht am Ausspruch der Kündigung2. Gleiches gilt, wenn der Betriebsrat gegenüber einer beabsich1 Zu den Anforderungen an die Widerspruchsbegründung durch den Betriebsrat s. BAG vom 17.6.1999 – 2 AZR 608/98, NZA 1999, 1154. Für einen ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG gegen eine ordentliche Kündigung reicht es nicht aus, wenn der Betriebsrat nur allgemein auf eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens verweist; dem Betriebsrat ist vielmehr ein Mindestmaß an konkreter Argumentation abzuverlangen, d.h. der Arbeitsplatz, auf dem der zu kündigende Arbeitnehmer eingesetzt werden kann, ist in bestimmbarer Weise anzugeben; BAG vom 11.5.2000 – 2 AZR 54/99, NZA 2000, 1055; BAG vom 9.7.2003 – 5 AZR 305/02, NZA 2003, 1191: Macht der Betriebsrat mit seinem Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG geltend, der Arbeitgeber habe zu Unrecht Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen, müssen diese Arbeitnehmer vom Betriebsrat entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale bestimmbar sein. Zur Begründung des Widerspruchs nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG ist weiter erforderlich, dass der Betriebsrat plausibel darlegt, warum ein anderer Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sei. Hierzu sind zwar nicht die einzelnen Sozialdaten i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG aufzuführen. Der Betriebsrat hat aber aufzuzeigen, welche Gründe aus seiner Sicht zu einer anderen Bewertung der sozialen Schutzwürdigkeit führen. 2 Fitting/Kaiser/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 98 m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 665
Arbeitsrechtliche Grundlagen
tigten ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung lediglich Bedenken äußert. 665
Vor Ablauf der Anhörungsfristen kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen, wenn eine erkennbar abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt1. Diese kann auch darin liegen, dass der Betriebsrat erklärt, er wolle sich zur Kündigung nicht äußern2.
Û
Hinweis: Vorsicht ist allerdings bei der bloßen Erklärung des Betriebsrats geboten, „er nehme die Kündigung zur Kenntnis“. Sofern der Betriebsrat nicht gleichzeitig deutlich macht, dass es sich hierbei um seine abschließende Stellungnahme handelt, sollte in dem Fall der Ablauf der Anhörungsfristen vom Arbeitgeber abgewartet werden. Gleiches gilt, wenn beim Arbeitgeber Zweifel an der ordnungsgemäßen Beschlussfassung der Stellungnahme des Betriebsrats bestehen.
666
Hat der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung – mündlich oder schriftlich – ausdrücklich zugestimmt, kann er die Erklärung nicht mehr widerrufen, selbst wenn die Wochenfrist noch nicht abgelaufen ist3.
667
Die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber4. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats muss vom Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess jedoch nur dann dargelegt und ggf. nachgewiesen werden, wenn die unterbliebene oder fehlende Anhörung nach § 102 BetrVG vom Arbeitnehmer gerügt wird, sofern sich die unrichtige Betriebsratsanhörung nicht bereits aus dem Vorbringen der Parteien als unstreitig ergibt5.
668
Ist die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung streitig, gelten nach der Rechtsprechung des BAG6 die Grundsätze der sog. abgestuften Darlegungslast. Danach hat im Prozess der Arbeitnehmer zunächst die für ihn günstige Tatsache vorzutragen, dass überhaupt ein Betriebsrat besteht7 und deshalb nach § 102 BetrVG vor Ausspruch einer Kündigung dessen Anhörung erforderlich war. Ohne dieses Vorbringen ist das Gericht nicht berechtigt und nicht verpflichtet, das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung – von Amts wegen – zu prüfen. Auf einen entsprechenden Sachvortrag des Arbeitnehmers obliegt es sodann dem Arbeitgeber darzulegen, dass der Betriebsrats ordnungsgemäß angehört worden ist. Nach einem solchen Prozessvortrag des Arbeit1 BAG vom 3.4.2008 – 2 AZR 965/06, NZA 2008, 807 (808). 2 Vgl. BAG vom 1.4.1976 – 2 AZR 179/75, DB 1976, 1241; BAG vom 12.3.1987 – 2 AZR 176/86, NZA 1988, 137. 3 KR-Etzel, § 102 BetrVG Rz. 126; Fitting/Kaiser/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 55 m. w. Nachw. 4 BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 193/04, NZA 2005, 1233; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 57 m. w. Nachw. 5 BAG vom 15.6.1989 – 2 AZR 600/88, NZA 1990, 65. 6 BAG vom 16.3.2000 – 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332; BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 193/04, NZA 2005, 1233. 7 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 57.
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Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 671 Teil 1
gebers darf sich der Arbeitnehmer nicht mehr darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung pauschal mit Nichtwissen zu bestreiten. Er hat sich vielmehr nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO vollständig über den vom Arbeitgeber vorgetragenen Sachverhalt zu erklären und im Einzelnen zu bezeichnen, ob er rügen will, der Betriebsrat sei entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden, oder in welchen einzelnen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält. Dies erfordert ggf. einen ergänzenden Sachvortrag des Arbeitgebers und ermöglicht eine Beweiserhebung durch das Gericht über die tatsächlich streitigen Tatsachen1. Unterlässt dies der Arbeitnehmer, so ist das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden und damit die Betriebsratsanhörung als ordnungsgemäß anzusehen2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Streitfall eine Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG wegen wirksamen Bestehens eines Betriebsrats überhaupt erforderlich war, trägt der Arbeitnehmer3. Dieser muss daher das Vorhandensein eines funktionsfähigen Betriebsrats darlegen und ggf. beweisen.
669
Keine Anwendung findet das Anhörungsrecht des Betriebsrats vor Kündigungen nach § 102 BetrVG auf leitende Angestellte i.S. von § 5 Abs. 3 BetrVG. In dem Fall hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Kündigung lediglich gemäß § 105 BetrVG rechtzeitig mitzuteilen4. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen die Mitteilungspflicht nach § 105 BetrVG führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung des leitenden Angestellten5.
670
Der betriebsverfassungsrechtliche Begriff des leitenden Angestellten wird in § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG näher umschrieben. Diese Bestimmung enthält drei Tatbestandsgruppen, wobei es für die Zuordnung zum Kreis der leitenden Angestellten genügt, dass der Arbeitnehmer unter eine dieser Gruppen fällt6.
671
1 BAG vom 23.6.2005 – 2 AZR 193/04, NZA 2005, 1233. S. dazu auch LAG Köln vom 31.1.1994 – 3 Sa 1136/93, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 38: Hat der Arbeitgeber sich substantiiert und vollständig zur Anhörung des Betriebsrats geäußert, so kann sich der Arbeitnehmer nicht mehr mit einem bloßen „Bestreiten mit Nichtwissen“ begnügen. Vielmehr muss er sich gezielt dazu äußern, was am Vorbringen des Arbeitgebers unzutreffend sein soll. Denn § 138 Abs. 4 ZPO setzt voraus, dass die Partei sich das erforderliche Wissen nicht in zumutbarer Weise beschaffen kann. Insofern kommt auch eine Anfrage bei dem Betriebsrat in Betracht. Ähnlich Spitzweg/Lücke, NZA 1995, 406. S. weiterhin Mühlhausen, NZA 2002, 644 (650), wonach der Arbeitnehmer die Betriebsratsanhörung nur dann wirksam mit Nichtwissen bestreiten könne, wenn er nachweise, dass er sich beim Betriebsrat vergeblich um Informationen zum Anhörungsverfahren bemüht habe. 2 BAG vom 16.3.2000 – 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332. 3 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 102 Rz. 57. 4 Die Mitteilungspflicht nach § 105 BetrVG bezieht sich auch auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit leitenden Angestellten, s. Bauer, II Rz. 290 m. w. Nachw. 5 Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 89 m. w. Nachw. 6 Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 7 m. w. Nachw.
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Teil 1 Rz. 672
Arbeitsrechtliche Grundlagen
672
(1) Zu den leitenden Angestellten gehört zunächst, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist (§ 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG). Für die Abgrenzung gegenüber dem Kreis der sonstigen Arbeitnehmer genügt nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG bereits die Erfüllung eines formalen Merkmals1. Allerdings bedarf diese Vorschrift nach der Rechtsprechung des BAG2 wegen der Gleichwertigkeit der in den Nrn. 1 bis 3 geregelten Funktionen und ihres Zwecks folgender teleologischer Beschränkung: Die in Nr. 1 aufgeführte formale Befugnis der Personalverantwortung kann den Status als leitender Angestellter nur begründen, wenn sie von erheblicher unternehmerischer Bedeutung ist. Diese kann sich aus der Zahl der betreffenden Arbeitnehmer oder aus der Bedeutung von deren Tätigkeit für das Unternehmen ergeben.
673
Die Befugnis muss sich – anders als im Rahmen von § 14 Abs. 2 KSchG (s.o. Rz. 497 ff.) – sowohl auf die Einstellung als auch auf die Entlassung beziehen. Die Ermächtigung nur zu dem einen von beiden genügt nicht3.
674
Die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis muss sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis bestehen. An dem Merkmal der Selbständigkeit fehlt es daher, wenn der Angestellte nur im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, nicht aber im Verhältnis zu seinen Vorgesetzten befugt ist, über Einstellungen und Entlassungen zu entscheiden. Die Ausübung der Personalkompetenz darf nicht von der Zustimmung einer anderen Person abhängig sein4. Allerdings liegt nach der Rechtsprechung des BAG keine Beschränkung der Einstellungsund Entlassungsbefugnis vor, wenn der Angestellte lediglich Richtlinien und Budgets zu beachten hat oder Zweitunterschriften einholen muss, die einer Richtigkeitskontrolle dienen, aber nicht mit einer Entscheidungsbefugnis des Dritten verbunden sind5.
675
Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG sind nicht nur dann erfüllt, wenn der Angestellte zur selbständigen Einstellung und Entlassung aller Arbeitnehmer des Betriebs oder der Betriebsabteilung befugt ist, sondern auch dann, wenn sich die Befugnisse nur auf einen Teil der Belegschaft beziehen, sofern die dem Angestellten nachgeordneten Mitarbeiter ein für das Unternehmen bedeutsames Aufgabengebiet betreuen. Bei Arbeitnehmern, deren
1 Richardi, in: Münchener Handbuch des Arbeitsrechts, § 26 Rz. 28; Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 20 m. w. Nachw. 2 BAG vom 16.4.2002 – 1 ABR 23/01, NZA 2003, 56; BAG vom 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, NZA 2008, 664. 3 BAG vom 16.4.2002 – 1 ABR 23/01, NZA 2003, 56; Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 21; Weber/Ehrich/Hörchens/Oberthür, Handbuch zum Betriebsverfassungsrecht, Teil A, Rz. 80; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 5 Rz. 336 m. w. Nachw. 4 BAG vom 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, NZA 2008, 664. 5 BAG vom 16.4.2002 – 1 ABR 23/01, NZA 2003, 56; BAG vom 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, NZA 2008, 664.
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 680 Teil 1
Personalkompetenzen nur von untergeordneter Bedeutung für den Betrieb und damit auch für das Unternehmen sind, liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Der zeitliche Anteil, den die tatsächliche Ausübung der Einstellungs- und Entlassungsbefugnis des Angestellten ausmacht, ist – anders als bei § 14 Abs. 2 KSchG (s.o. Rz. 497) – für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG unerheblich1. Danach wurden u.a. der einstellungs- und entlassungsbefugte Polier auf der Baustelle, der Leiter eines kleinen Filialgeschäftes, der Hilfskräfte einstellen und entlassen darf2, sowie der Restaurantleiter in einem Fast-Food-Restaurant mit der (arbeitgeberseitig „begleitenden“) Kompetenz zur Einstellung und Entlassung gewerblicher Mitarbeiter3 nicht als leitende Angestellte i.S. von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG angesehen. Ferner lasse die Ausübung der in § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG genannten Befugnisse gegenüber noch nicht einmal einem Prozent der Gesamtbelegschaft einen Chefarzt der geriatrischen Abteilung eines Krankenhauses nach Auffassung des BAG „schwerlich als Repräsentanten der Arbeitgeberin gegenüber dem Betriebsrat erscheinen“4.
676
(2) Leitender Angestellter ist weiterhin, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb Generalvollmacht oder Prokura hat, sofern die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist (§ 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG).
677
Generalvollmacht ist die zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigende Vollmacht (§ 105 Abs. 1 AktG) oder eine Vollmacht, welche die Besorgung eines wesentlichen Teils der Geschäfte des Vollmachtgebers umfasst. Der Inhalt der Prokura ist in den §§ 48, 49 HGB gesetzlich festgelegt.
678
Die Erteilung einer Handlungsvollmacht wird zwar von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 679 BetrVG nicht erfasst. Allerdings können bei Handlungsbevollmächtigten die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG gegeben sein5. Aufgrund des letzten Halbsatz es der Nr. 2 („und die Prokura auch im Verhält- 680 nis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist“) kann ein Prokurist leitender Angestellter auch dann sein, wenn seine Vertretungsbefugnis im Innenverhältnis Beschränkungen unterliegt6. Für die Erfüllung des in § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG enthaltenen funktionellen Merkmals ist maßgebend, ob der Prokurist bedeutende unternehmerische Leitungsaufgaben i.S. von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG wahrnimmt. Sind die formalen Voraussetzungen der Tatbestände des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG erfüllt, ist nur zu prüfen, ob die durch ei-
1 2 3 4 5
BAG vom 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, NZA 2008, 664. Vgl. Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 25 m. w. Nachw. LAG Hessen vom 7.9.2000 – 12 TaBV 64/98, DB 2001, 932 (rechtskräftig). BAG vom 10.10.2007 – 7 ABR 61/06, NZA 2008, 664. Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 31; Weber/Ehrich/Hörchens/Oberthür, Handbuch zum Betriebsverfassungsrecht, Teil A, Rz. 90; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 5 Rz. 351 m. w. Nachw. 6 BAG vom 11.1.1995 – 7 ABR 33/94, NZA 1995, 747.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 681
Arbeitsrechtliche Grundlagen
ne Prokuraerteilung nach außen dokumentierten unternehmerischen Befugnisse nicht so weit aufgehoben sind, dass eine erhebliche unternehmerische Entscheidungsbefugnis in Wirklichkeit nicht besteht1. Bloße Titularprokuristen, die aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung oder Weisung des Arbeitgebers von der Prokura keinen Gebrauch machen dürfen, werden nicht von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG erfasst2. Auch Prokuristen, die ausschließlich Stabsfunktionen wahrnehmen, sind keine leitenden Angestellten i.S. von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG3. Zulässige Beschränkungen der Prokura (z.B. in Form einer Gesamt- oder Niederlassungsprokura) schließen dagegen die Tatbestandsgruppe der Nr. 2 grundsätzlich nicht aus4. 681
(3) Zu den leitenden Angestellten gehört schließlich gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst. Dies kann, wie im folgenden Halbsatz klargestellt wird, auch bei Vorgaben insbesondere auf Grund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein5.
682
Ergänzt wird die dritte Tatbestandsgruppe durch die sog. Auslegungsregel des § 5 Abs. 4 BetrVG. Danach ist leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 im Zweifel, wer 1. aus Anlass der letzten Wahl des Betriebsrats, des Sprecherausschusses oder von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer oder durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung den leitenden Angestellten zugeordnet worden ist oder 2. einer Leitungsebene angehört, auf der in dem Unternehmen überwiegend leitende Angestellte vertreten sind, oder 3. ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das für leitende Angestellte in dem Unternehmen üblich ist, oder
1 BAG vom 11.1.1995 – 7 ABR 33/94, NZA 1995, 747. 2 BAG vom 11.1.1995 – 7 ABR 33/94, NZA 1995, 747; Weber/Ehrich/Hörchens/Oberthür, Handbuch zum Betriebsverfassungsrecht, Teil A, Rz. 88; Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 34 a m. w. Nachw. 3 BAG vom 11.1.1995 – 7 ABR 33/94, NZA 1995, 747. Angestellte in Stabsfunktionen können jedoch leitende Angestellte i.S. von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG sein, sofern von ihnen darüber hinaus eine bedeutsame unternehmerische Führungsaufgabe wahrgenommen wird, vgl. BAG vom 11.1.1995 – 7 ABR 33/94, NZA, 1995, 747. 4 BAG vom 11.1.1995 – 7 ABR 33/94, NZA, 1995, 747; Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 35. 5 Einzelheiten dazu s. bei Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 36 ff. S. auch die Einzelbeispiele bei Weber/Ehrich/Hörchens/Oberthür, Handbuch zum Betriebsverfassungsrecht, Teil A, Rz. 127 ff.
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 687 Teil 1
4. falls auch bei der Anwendung der Nummer 3 noch Zweifel bleiben, ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das das Dreifache der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet1. Bei der Anwendung der Auslegungsregel des § 5 Abs. 4 BetrVG ist stets äußerste Zurückhaltung geboten. Denn § 5 Abs. 4 BetrVG umfasst keine eigenen Tatbestandsmerkmale, nach denen ein Angestellter den leitenden Angestellten zugeordnet werden kann. Ebenso wenig ändert diese Vorschrift den Inhalt der Legaldefinition von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG. Vielmehr gibt § 5 Abs. 4 BetrVG nur eine Entscheidungshilfe und greift erst dann ein, wenn Zweifel bestehen, ob ein Angestellter leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG ist oder nicht2.
683
Eine Heranziehung von § 5 Abs. 4 BetrVG kommt nur bei rechtlich erheblichen Zweifeln in Betracht, wenn also die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Feststellung der funktionsbezogenen Merkmale nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten nicht geklärt werden können und beide Auslegungsergebnisse gut vertretbar und begründbar erscheinen. § 5 Abs. 4 BetrVG ist mithin lediglich eine „Orientierungshilfe in Grenzfällen“3.
684
Somit kann es leitende Angestellte geben, welche die Merkmale des § 5 Abs. 4 BetrVG nicht erfüllen. Umgekehrt können bei Angestellten die Merkmale des Abs. 4 vorhanden sein, ohne dass es sich bei ihnen um leitende Angestellte i.S. von § 5 Abs. 3 BetrVG handelt4.
685
Das Erfordernis der begründeten Zweifel ist Tatbestandsvoraussetzung von § 5 Abs. 4 BetrVG, deren Vorliegen der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Bei allzu leichtfertiger Annahme von Zweifeln ist die Zuordnung fehlerhaft5.
686
Die Abgrenzung der leitenden Angestellten von den sonstigen Angestellten des Betriebes nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG ist zwingend, so dass weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarung festgelegt werden kann, wer leitender Angestellter ist. Entsprechende Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat oder den Tarifvertragsparteien über den Kreis der leitenden Angestellten sind daher ohne rechtliche Wirkung. Ebenso wenig begründet eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den
687
1 Zu den Merkmalen im Einzelnen s. Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 66 ff. 2 Richardi, in: Münchener Handbuch des Arbeitsrechts, § 26 Rz. 48; Fitting/Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 5 Rz. 375, 380 ff.; Weber/Ehrich/Hörchens/Oberthür, Handbuch zum Betriebsverfassungsrecht, Teil A, Rz. 106; Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 60 m. w. Nachw. 3 Richardi, in: Münchener Handbuch des Arbeitsrechts, § 26 Rz. 51; Fitting/Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 5 Rz. 385; Weber/Ehrich/Hörchens/ Oberthür, Handbuch zum Betriebsverfassungsrecht, Teil A, Rz. 109; Ehrich, HwBAR „Leitende Angestellte“, Rz. 63 m. w. Nachw. 4 Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 64; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, § 5 Rz. 385. 5 Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 65 m. w. Nachw.
Ehrich
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Teil 1 Rz. 688
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Status des leitenden Angestellten, da der Begriff des leitenden Angestellten der Disposition der Parteien des Arbeitsvertrages entzogen ist. Gleiches gilt für „Ernennungen“ zum leitenden Angestellten oder die Bezeichnung eines Angestellten als „leitender Angestellter“ im Arbeitsvertrag, aber ohne die Übertragung der in § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG erwähnten Aufgaben und Funktionen. Maßgebend sind vielmehr allein die Aufgaben und Funktionen des Angestellten im Betrieb und Unternehmen1. 688
Bestehen im Einzelfall Zweifel an der Zuordnung eines Arbeitnehmers, dem der Arbeitgeber kündigen will, zu den leitenden Angestellten, so sollte der Arbeitgeber vorsorglich das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG durchführen. Bestreitet nämlich der Angestellte im Kündigungsschutzprozess den Status des leitenden Angestellten, so trägt der Arbeitgeber – bei unterbliebener Anhörung des Betriebsrats – die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, welche die Rechtsstellung eines leitenden Angestellten begründen, damit die Kündigung nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist2. Die Mitteilung an den Betriebsrat nach § 105 BetrVG kann grundsätzlich nicht in eine Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG umgedeutet werden, wobei dies selbst dann gilt, wenn auch der Betriebsrat und der Arbeitnehmer (unzutreffenderweise) vom Status als leitender Angestellter ausgehen3.
11. Anhörung des Sprecherausschusses 689
Besteht in einem Betrieb oder Unternehmen ein Sprecherausschuss, so ist dieser gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 SprAuG vor jeder Kündigung eines leitenden Angestellten zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§ 31 Abs. 2 Satz 2 SprAuG). Die Anhörungspflicht bezieht sich auf jede Art der Kündigung durch den Arbeitgeber, somit auf ordentliche und außerordentliche Beendigungs- und Änderungskündigungen gleichermaßen. Auf andere Beendigungsgründe, wie z.B. den Aufhebungsvertrag, den Zeitablauf eines wirksam befristeten Arbeitsverhältnisses oder die Anfechtung des Arbeitsvertrages findet § 31 Abs. 2 SprAuG keine Anwendung4.
690
Da in § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 SprAuG die Regelung des § 102 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG inhaltlich übernommen wurde, gelten hier die Grundsätze zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats vor der Kündigung sonstiger Arbeitnehmer entsprechend: Der Arbeitgeber hat dem Sprecherausschuss die Person des zu kündigenden leitenden Angestellten, dessen grundlegende soziale Daten, die Art der Kündigung und die Kündigungsgründe mitzuteilen. Einzelheiten s.o. Rz. 633 ff.
691
Ist der Sprecherausschuss vom Arbeitgeber von einer geplanten Kündigung ordnungsgemäß unterrichtet worden, kann er innerhalb von einer Woche 1 Vgl. Weber/Ehrich/Hörchens/Oberthür, Handbuch zum Betriebsverfassungsrecht, Teil A, Rz. 73; Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 8 m. w. Nachw. 2 Vgl. Ehrich, HwB-AR „Leitende Angestellte“, Rz. 135 m. w. Nachw. 3 BAG vom 19.8.1975 – 1 AZR 613/74, DB 1975, 2138. 4 Ehrich, HwB-AR „Sprecherausschuss“, Rz. 157; Löwisch, SprAuG, § 31 Rz. 16 f.
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Ehrich
Allgemeine Grundsätze des Kündigungsschutzes
Rz. 695 Teil 1
schriftlich und unter Angabe von Gründen Bedenken gegen die Kündigung mitteilen, § 31 Abs. 2 Satz 4 SprAuG. Bei einer außerordentlichen Kündigung muss sich der Sprecherausschuss unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen schriftlich unter Angabe der Gründe äußern. Äußert sich der Sprecherausschuss innerhalb der Anhörungsfrist nicht, so gilt dies nach § 31 Abs. 2 Satz 5 SprAuG als Einverständnis des Sprecherausschusses mit der Kündigung. Im Gegensatz zu § 102 Abs. 3 BetrVG sieht § 31 Abs. 2 SprAuG kein Wider- 692 spruchsrecht des Sprecherausschusses gegen ordentliche Kündigungen vor, aus dem sich ein besonderer Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung (vgl. § 102 Abs. 5 BetrVG) ergeben kann. Ebenso wenig kommt ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch des leitenden Angestellten in Betracht, weil stets das Interesse des Arbeitgebers überwiegen wird, in leitender Funktion nur Personen seines Vertrauens zu beschäftigen1. Kündigt der Arbeitgeber einem leitenden Angestellten ohne vorherige Anhö- 693 rung des Sprecherausschusses, ist die Kündigung gemäß § 31 Abs. 2 Satz 3 SprAuG unwirksam. Die Sanktion der Unwirksamkeit einer ohne Anhörung des Sprecherausschusses ausgesprochenen Kündigung gilt aufgrund einer ausdehnenden, entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift auch bei nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Sprecherausschusses2. Die nachträgliche Zustimmung des Sprecherausschusses zu einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung kann den Mangel der ordnungsgemäßen Anhörung nicht heilen3. Will der Angestellte die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen unterbliebener oder nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Sprecherausschusses geltend machen, hat er gemäß § 4 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben. Anderenfalls gilt die Kündigung gemäß § 7, § 13 Abs. 1 Satz 1 KSchG als wirksam4.
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Hinweis: Ist der Status eines Angestellten zweifelhaft, so besteht für den Arbeitgeber die Gefahr, dass die irrtümliche Anhörung des falschen Repräsentationsorgans zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Auch wenn der Angestellte in dem Verfahren nach § 18a BetrVG den leitenden Angestellten zugeordnet wurde, kann sich der Arbeitgeber hierauf nicht verlassen, weil die Zuordnung keine materiellrechtliche Bindungswirkung entfaltet. Bei Zweifeln über den Status eines Mitarbeiters als leitender Angestellter sollte der Arbeitgeber – insbesondere nach der Freistellung von etwaigen leitenden Angestellten5 – stets vorsorglich sowohl den
Ehrich, HwB-AR „Sprecherausschuss“, Rz. 162 m. w. Nachw. Ehrich, HwB-AR „Sprecherausschuss“, Rz. 164 m. w. Nachw. Löwisch, SprAuG, § 31 Rz. 41. Vgl. BAG vom 28.6.2007 – 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972. Vgl. Powietzka/Hager, DB 2006, 102 (103) unter Hinweis auf ArbG München vom 26.8.2004 – 28 Ca 12794/03, NZA-RR 2005, 194, wonach ein Arbeitnehmer aufgrund
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Teil 1 Rz. 696
Arbeitsrechtliche Grundlagen
Sprecherausschuss als auch den Betriebsrat anhören, weil damit unabhängig vom rechtlichen Status des betroffenen Angestellten der Unwirksamkeitsgrund der fehlenden Anhörung vermieden wird1. 696
Bei der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem leitenden Angestellten durch Aufhebungsvertrag hat der Arbeitgeber den Sprecherausschuss hierüber nach § 31 Abs. 1 SprAuG rechtzeitig zu unterrichten2. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 31 Abs. 1 SprAuG durch den Arbeitgeber führt aber nicht zur individualrechtlichen Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages3.
einer längeren Freistellung vor Ausspruch einer Kündigung seine Befugnisse, die seinen Status als leitender Angestellter begründeten, verliere, so dass er kein leitender Angestellter mehr sei und damit nicht der Sprecherausschuss, sondern der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung anzuhören sei. 1 Ehrich, HwB-AR „Sprecherausschuss“, Rz. 159 m. w. Nachw. 2 Ehrich, HwB-AR „Sprecherausschuss“, Rz. 153 m. w. Nachw. Zur umstrittenen Frage, wann die Unterrichtung zu erfolgen hat s. Bauer, BB 1991, 274 f. 3 Ehrich, HwB-AR „Sprecherausschuss“, Rz. 155.
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Teil 2 Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen I. Auslegung, AGB- und AGG-Kontrolle von Aufhebungsverträgen 1. Auslegung Aufhebungsverträge sind wie andere Verträge nach §§ 133, 157 BGB auszulegen1. Zunächst ist vom Wortlaut der Vereinbarung auszugehen. Neben dem Wortlaut sind die Begleitumstände (z.B. Äußerungen der Parteien während der Vorverhandlungen oder späteres Verhalten), die Entstehungsgeschichte und der Zweck des Aufhebungsvertrages bzw. seiner Regelungen, die bestehende Interessenlage, Treu und Glauben (angemessene Berücksichtigung der berechtigten Belange beider Parteien) sowie die Verkehrssitte (die im Arbeitsleben herrschende tatsächliche Übung) zu berücksichtigen2.
1
Haben die Parteien im Aufhebungsvertrag einen bestimmten regelungsbedürftigen Punkt nicht bedacht und sollte die getroffene Regelung nach dem Willen der Parteien insoweit nicht bewusst abschließend sein, so liegt eine Regelungslücke vor, die nach Maßgabe von § 157 BGB im Wege der sog. ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist. Ausgehend vom Vertrag und von dessen Sinn und Zweck muss der hypothetische Parteiwille ermittelt werden. Dabei ist darauf abzustellen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Zu berücksichtigen sind neben Treu und Glauben und der Verkehrssitte auch objektive Maßstäbe3.
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2. AGB-Kontrolle a) Gegenstände der AGB-Kontrolle bei Aufhebungsverträgen Die einvernehmliche Vereinbarung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags unterliegt als solche grundsätzlich keiner AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB, weil es sich bei der Beendigungsvereinbarung um ein selbständiges Rechtsgeschäft handelt, bei dem die Hauptleistung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist. Eine Regelung über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegt – soweit sie nach dem gesamten Erscheinungsbild des Vertrags nicht überraschend (§ 305c Abs. 1 BGB) sowie klar und eindeutig formuliert ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) – keiner Angemessenheitskontrolle i.S. des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil hierdurch nicht von Rechtsgeschäften abgewichen wird4. 1 Bauer, I Rz. 221. 2 S. zur Auslegung von Rechtsgeschäften im Einzelnen die Ausführungen bei Palandt/ Ellenberger, BGB, § 133 Rz. 14 ff. 3 Vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, § 157 Rz. 7 m. w. Nachw. 4 So ausdrücklich BAG vom 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148 = DB 2008, 1974 = BB 2008, 2020. Ähnlich bereits zuvor BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03, NZA 2004, 1295.
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Teil 2 Rz. 4
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
4 Ist dagegen die Beendigungsvereinbarung in einem vom Arbeitgeber für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten Vertrag enthalten, der als „Ergänzung zum Arbeitsvertrag“ zugleich den Übertritt des Arbeitnehmers in eine „betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE)“ regelt, kann es sich je nach den Umständen um eine ungewöhnliche Bestimmung handeln, die gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsinhalt wird1. 5 Keiner AGB-Kontrolle unterliegen grundsätzlich die Regelungen über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und über eine ggf. zu zahlende Abfindung sowie deren Höhe, da es sich jeweils um Abreden über die Hauptleistungspflichten eines Aufhebungsvertrags handelt2. 6 Die im Aufhebungsvertrag enthaltenen Nebenpflichten unterliegen allerdings einer AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB, sofern sie vom Arbeitgeber vorformuliert worden sind3. Das in § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene Merkmal „vorformulierte Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen“ wird vom BAG als erfüllt angesehen, wenn ein Text in mindestens drei Fällen zur Grundlage von Vertragsbedingungen gemacht wird4. 7 Hinsichtlich der Inhaltskontrolle nach §§ 307–309 BGB ist unerheblich, wie oft der Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag bereits abgeschlossen hat bzw. künftig noch abschließen will. Einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB unterliegen die im Aufhebungsvertrag vereinbarten – vom Arbeitgeber vorformulierten – Nebenpflichten bereits dann, wenn der Aufhebungsvertrag nur einmal verwendet werden soll und der Arbeitnehmer aufgrund der Vorformulierung auf seine Inhalte keinen Einfluss nehmen konnte, da das BAG den Arbeitnehmer als „Verbraucher“ i.S. der §§ 13, 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB ansieht5. 8 Bei den vom Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag vorformulierten Nebenpflichten ist zunächst das Verbot überraschender Klauseln nach § 305c Abs. 1 BGB zu beachten. Danach werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner nicht mit ihnen zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Da Aufhebungsverträge regelmäßig nur einen Umfang von wenigen Seiten haben und deren Regelungen vom Arbeitnehmer vor der Unterschriftsleistung erfahrungsgemäß genauestens überprüft werden, dürften solche „Überraschungen“ von einzelnen Nebenpflichten eher die Ausnahme sein6. 9 Zu beachten ist weiterhin, dass nach § 305c Abs. 2 BGB Zweifel bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich zu Lasten des 1 2 3 4
BAG vom 15.2.2007 – 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614. Kleinebrink, ArbRB 2008, 121 (123 f.). Kroeschell, NZA 2008, 560 (561). S. etwa BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111; BAG vom 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004 = DB 2008, 1805. 5 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111; BAG vom 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004 = DB 2008, 1805. 6 Bauer, I Rz. 218 a.
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Auslegung, AGB- und AGG-Kontrolle von Aufhebungsverträgen
Rz. 14 Teil 2
Verwenders gehen. Voraussetzung hierfür ist, dass gemäß §§ 133, 157 BGB auch unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte, des Gesamtzusammenhangs und des Zweck der Regelungen des Aufhebungsvertrags ein eindeutiges Auslegungsergebnis nicht erzielt werden kann. Nur sofern nach diesen Grundsätzen die Erzielung eines eindeutigen Auslegungsergebnisses nicht möglich ist, sondern – stattdessen – mehrere Varianten denkbar sind, kommt die für den Arbeitnehmer günstigere Variante zum Tragen1. Die vom Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag vorformulierten Nebenpflichten müssen ferner einer Angemessenheits- und Transparenzkontrolle i.S. des § 307 Abs. 1 BGB standhalten. Gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus, ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Bei der Gestaltung eines Aufhebungsvertrags durch den Arbeitgeber ist deshalb stets auf eine klare und verständliche Formulierung der einzelnen Bestimmungen zu achten.
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Schließlich müssen die vom Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag vorformulierten Nebenpflichten den sog. Klauselverboten der §§ 308, 309 BGB Rechnung tragen.
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Ob und inwieweit die vom Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag vorformulierten Nebenpflichten des Arbeitnehmers mit den AGB-Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB vereinbar sind, ist für jede Nebenpflicht gesondert zu untersuchen (s. daher im Einzelnen die Ausführungen zu den möglichen Inhalten von Aufhebungsverträgen unter Rz. 28 ff.).
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Dem Arbeitgeber ist es als Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der von ihm selbst vorformulierten Regelungen im Aufhebungsvertrag zu berufen2.
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b) Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Aufhebungsverträgen Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zu legen sind3. Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu 1 Bauer, I Rz. 218 a. 2 Vgl. BAG vom 27.10.2005 – 8 AZR 3/05, NZA 2006, 257; BAG vom 26.6.2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157. 3 BAG vom 19.3.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757.
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Teil 2 Rz. 15
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
erwartenden nicht rechtskundigen Vertragspartners. Der Verwender ist demgemäß verpflichtet, die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Sie müssen so gestaltet sein, dass der nicht rechtskundige Durchschnittsarbeitnehmer die benachteiligende Wirkung ohne Einholung von Rechtsrat erkennen kann1. 15 Ausgangspunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Wortlaut des Formulararbeitsvertrags. Ist der Wortlaut des Formulararbeitsvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Von Bedeutung sind schließlich auch der von den Arbeitsvertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die Interessenlage der Beteiligten2. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Überprüfung durch das BAG3. c) Rechtsfolgen der Unwirksamkeit einzelner Regelungen im vorformulierten Aufhebungsvertrag 16 Soweit einzelne Regelungen im Aufhebungsvertrag nach §§ 305 ff. BGB ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, führt dies gemäß § 306 Abs. 1 BGB nicht zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags. Hinsichtlich der Regelungen, die nicht Bestandteil des Aufhebungsvertrags geworden oder unwirksam sind, richtet sich der Aufhebungsvertrag nach den gesetzlichen Vorschriften, § 306 Abs. 2 BGB. Für den – bei Aufhebungsverträgen nur sehr schwer vorstellbaren – Fall, dass auch unter Berücksichtigung dieser vorzunehmenden Änderung ein Festhalten am Aufhebungsvertrag eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde, ordnet § 306 Abs. 3 BGB an, dass der Vertrag unwirksam ist. d) Entbehrlichkeit der AGB-Kontrolle von Regelungen des Aufhebungsvertrags 17 Einer AGB-Kontrolle unterliegen die im Aufhebungsvertrag vereinbarten Nebenpflichten dann nicht, wenn sie vom Arbeitnehmer selbst formuliert und in den Vertrag eingeführt worden sind4. 18 Ebenso wenig handelt es sich bei den im Aufhebungsvertrag vereinbarten Nebenpflichten um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die einer AGB-Kontrolle
1 Vgl. BAG vom 19.3.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757, wonach bei einer Bankangestellten „gewisse Rechtskenntnisse“ erwartet werden dürften, die sich aber „typischerweise“ nicht auf die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Ausschlussfristen beziehen sollen. 2 BAG vom 19.3.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757. 3 So ausdrücklich BAG vom 19.3.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757. 4 Kroeschell, NZA 2008, 560 (562).
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Auslegung, AGB- und AGG-Kontrolle von Aufhebungsverträgen
Rz. 23 Teil 2
nach §§ 305 ff. BGB unterliegen, soweit sie zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt worden sind, § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB. „Ausgehandelt“ i.S. von § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB ist eine Vertragsbedingung aber nur, wenn der Verwender die betreffende Klausel inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsmöglichkeit zur Wahrung der eigenen Interessen mit der realen Möglichkeit einräumt, die inhaltliche Gestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Dies setzt voraus, dass sich der Verwender deutlich und ernsthaft zu den gewünschten Änderungen der zu treffenden Vereinbarungen bereit erklärt1.
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Letzteres wurde etwa vom LAG Köln in einer Entscheidung vom 20.1.2006 in einem Fall angenommen, in dem u.a. der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erklärt hat, die jeweilige Klausel sei „verhandelbar“, er diesen Standpunkt gegenüber dem Arbeitnehmer „hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat“, vom Arbeitnehmer der Vertrag sodann „in Ruhe studiert“ und, nachdem er ihn für in Ordnung befunden habe, mit der Erklärung gegengezeichnet wurde, „es sei kein unüblicher Inhalt enthalten“2.
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Weiterhin würde es sich beispielsweise bei einer nachträglich in den vom Arbeitgeber vorformulierten Aufhebungsvertrag aufgenommenen Vereinbarung der Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses um eine reine Individualvereinbarung i.S. der §§ 305b, 310 Abs. 1 Nr. 1 BGB handeln, die keiner AGBKontrolle unterliegt, wenn diese vom Arbeitnehmer ausdrücklich gewünscht wurde3.
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3. AGG-Kontrolle Der Abschluss von arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen wird auch als „Entlassungsbedingung“ i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG grundsätzlich vom sachlichen Geltungsbereich des AGG erfasst. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden, wobei dies auch dann gilt, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur annimmt.
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Als „Benachteiligung“ i.S. von § 7 Abs. 1 AGG gilt sowohl eine unmittelbare Benachteiligung (§ 3 Abs. 1 AGG) als auch eine mittelbare Benachteiligung (§ 3 Abs. 2 AGG). Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in vergleichbarer Lage. Eine mittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 2 AGG vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Per-
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1 So ausdrücklich BAG vom 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746. Bestätigt durch BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219. 2 LAG Köln vom 20.1.2006 – 4 Sa 178/04, zitiert nach juris. 3 Kleinebrink, ArbRB 2008, 153 (154).
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Teil 2 Rz. 24
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
sonen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich. 24 Im Zusammenhang mit dem Abschluss von Aufhebungsverträgen sind folgende drei Benachteiligungsmöglichkeiten i.S. des AGG denkbar: (1) Der Arbeitgeber versucht, bestimmte, durch § 1 AGG geschützte Arbeitnehmergruppen (etwa ausschließlich weibliche oder ausländische) Arbeitnehmer aus seinem Betrieb zu entfernen, indem er sie zum Abschluss von Aufhebungsverträgen veranlasst. (2) Der Arbeitgeber bietet etwa in nicht sozialplanpflichtigen Betrieben im Falle der von ihm beabsichtigten Betriebsstilllegung allein männlichen oder deutschen Arbeitnehmern den Abschluss von Aufhebungsverträgen an, die Abfindungzahlungen vorsehen, während er den sonstigen Mitarbeitern betriebsbedingt kündigt, ohne von der Möglichkeit des § 1a KSchG Gebrauch zu machen. (3) Der Arbeitgeber bietet bestimmten, durch § 1 AGG geschützten Arbeitnehmergruppen Aufhebungsverträge mit schlechteren Inhalten (insbesondere mit geringeren Abfindungszahlungen) an als anderen, vergleichbaren Arbeitnehmern. 25 Etwaige – unmittelbare oder mittelbare – Benachteiligungen von durch § 1 AGG geschützten Arbeitnehmern führen, wie sich aus der gesetzlichen Wertung des § 15 Abs. 6 AGG ergibt, insbesondere in den Fällen von (1) und (3) nicht zur Unwirksamkeit der Aufhebungsverträge, sondern begründen lediglich (finanzielle) Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG1. 26 Bei den Varianten (2) und (3) hätten die benachteiligten Arbeitnehmer daher Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber, die auf diejenigen Leistungen gerichtet wären, die der Arbeitgeber den anderen, vergleichbaren Arbeitnehmern gewährt hat. 27 Zudem hätten die benachteiligten Arbeitnehmer Ansprüche auf Entschädigung zum Ausgleich für die aufgrund der Benachteiligung eingetretenen im-
1 Bedenklich ist die Annahme von Bauer, I Rz. 218 e, wonach noch nicht einmal eine Benachteiligung vorliege, wenn ein Arbeitgeber versuche, ausländische Mitarbeiter aus dem Unternehmen zu „drängen“, indem er ihnen das Angebot einer freiwilligen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung unterbreite, weil er in diesem Fall einer nach § 1 AGG geschützten Arbeitnehmergruppe lediglich eine zusätzliche Option einräume und es daher an einer „weniger günstigen“ Behandlung i.S. von § 3 Abs. 1 AGG fehle. Gegenüber der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – selbst gegen Zahlung einer Abfindung – dürfte der Erhalt des Arbeitsplatzes bzw. die dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig weitaus „günstiger“ sein.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 31 Teil 2
materiellen Schäden, deren Höhe im Ermessen der Arbeitsgerichte liegt und die sich im drei- bis vierstelligen Bereich bewegen dürfte1.
II. Inhalt von Aufhebungsverträgen Die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch außergerichtlichen oder gerichtlichen Aufhebungsvertrag wird – insbesondere wenn das Arbeitsverhältnis längere Zeit bestanden hat – nicht selten eine Vielzahl von Regelungen umfassen, mit denen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die endgültige Beendigung ihrer vertraglichen Beziehungen bezwecken. Sämtliche Regelungen des Aufhebungsvertrages sollten von beiden Parteien stets genauestens durchdacht und unmissverständlich formuliert werden, da bei unzutreffender Behandlung oder Außerachtlassung einzelner Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses spätere Streitigkeiten bzw. Folgeprozesse drohen.
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1. Mindestinhalt Zwingender Bestandteil eines jeden Aufhebungsvertrages ist die Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden. Die rückwirkende Auflösung eines bereits vollzogenen Arbeitsverhältnisses ist nicht möglich2. Etwas anderes gilt jedoch, wenn bereits eine Kündigung ausgesprochen wurde. In dem Fall kann im Rahmen eines – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Vergleiches vereinbart werden, dass das Arbeitsverhältnis wegen dieser Kündigung geendet hat. Denn hier ist regelmäßig unklar, ob das Arbeitsverhältnis überhaupt noch besteht3.
29
Auch der Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (z.B. im gegenseitigen Einvernehmen, auf Veranlassung des Arbeitgebers, aufgrund arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung unter Einhaltung der vertraglichen/ tariflichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist) kann im Aufhebungsvertrag aufgenommen werden. Von Bedeutung ist dies insbesondere im Hinblick auf etwaige Sperrzeiten und Ruhenszeiträume beim Bezug von Arbeitslosengeld. Einzelheiten hierzu s.u. Teil 6 Rz. 70 ff. und 103 ff.
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2. Weitere Inhalte a) Arbeitsvergütung aa) Allgemeines In dem Aufhebungsvertrag können alle Leistungen festgelegt werden, die der Arbeitnehmer noch erhalten soll. Zur Arbeitsvergütung gehören neben der 1 So auch die Einschätzung von Bauer, I Rz. 218 g. 2 Vgl. BAG vom 13.3.1961 – 2 AZR 509/59, DB 1961, 747. 3 Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 115 Rz. 17; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 31 Teil 2
materiellen Schäden, deren Höhe im Ermessen der Arbeitsgerichte liegt und die sich im drei- bis vierstelligen Bereich bewegen dürfte1.
II. Inhalt von Aufhebungsverträgen Die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch außergerichtlichen oder gerichtlichen Aufhebungsvertrag wird – insbesondere wenn das Arbeitsverhältnis längere Zeit bestanden hat – nicht selten eine Vielzahl von Regelungen umfassen, mit denen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die endgültige Beendigung ihrer vertraglichen Beziehungen bezwecken. Sämtliche Regelungen des Aufhebungsvertrages sollten von beiden Parteien stets genauestens durchdacht und unmissverständlich formuliert werden, da bei unzutreffender Behandlung oder Außerachtlassung einzelner Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses spätere Streitigkeiten bzw. Folgeprozesse drohen.
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1. Mindestinhalt Zwingender Bestandteil eines jeden Aufhebungsvertrages ist die Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden. Die rückwirkende Auflösung eines bereits vollzogenen Arbeitsverhältnisses ist nicht möglich2. Etwas anderes gilt jedoch, wenn bereits eine Kündigung ausgesprochen wurde. In dem Fall kann im Rahmen eines – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Vergleiches vereinbart werden, dass das Arbeitsverhältnis wegen dieser Kündigung geendet hat. Denn hier ist regelmäßig unklar, ob das Arbeitsverhältnis überhaupt noch besteht3.
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Auch der Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (z.B. im gegenseitigen Einvernehmen, auf Veranlassung des Arbeitgebers, aufgrund arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung unter Einhaltung der vertraglichen/ tariflichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist) kann im Aufhebungsvertrag aufgenommen werden. Von Bedeutung ist dies insbesondere im Hinblick auf etwaige Sperrzeiten und Ruhenszeiträume beim Bezug von Arbeitslosengeld. Einzelheiten hierzu s.u. Teil 6 Rz. 70 ff. und 103 ff.
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2. Weitere Inhalte a) Arbeitsvergütung aa) Allgemeines In dem Aufhebungsvertrag können alle Leistungen festgelegt werden, die der Arbeitnehmer noch erhalten soll. Zur Arbeitsvergütung gehören neben der 1 So auch die Einschätzung von Bauer, I Rz. 218 g. 2 Vgl. BAG vom 13.3.1961 – 2 AZR 509/59, DB 1961, 747. 3 Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 115 Rz. 17; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077.
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Teil 2 Rz. 32
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
regelmäßigen Grundvergütung (Lohn oder Gehalt) zahlreiche Sonderzuwendungen, wie z.B. Gratifikationen, ein 13. (u.U. auch ein 14.) Monatsgehalt, Urlaubsgeld, Jubiläumszuwendungen, Jahresabschlussvergütungen, Treueprämien sowie Tantiemen. 32 Die regelmäßige Grundvergütung ist dem Arbeitnehmer bis zu dem im Aufhebungsvertrag festgelegten Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zu zahlen. Eine Herabsetzung dieser Bezüge während der Kündigungsfrist bzw. während der Auslauffrist ist nur möglich, wenn sich der Arbeitnehmer hiermit einverstanden erklärt1. bb) Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit 33 Während einer unverschuldeten Krankheit hat der Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG bis zur Dauer von sechs Wochen einen Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitsvergütung. Maßgebend für die Höhe des dem Arbeitnehmer im Krankheitsfall fortzuzahlenden Entgelts ist gemäß § 4 Abs. 1 EFZG dessen „regelmäßige Arbeitszeit“. Diese ergibt sich in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag. Dabei ist nach Auffassung des BAG auf das „gelebte Rechtsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens und nicht auf den Text des Arbeitsvertrags abzustellen“2. Werde regelmäßig eine bestimmte, erhöhte Arbeitszeit abgerufen und geleistet, sei dies Ausdruck der vertraglich geschuldeten Leistung. Schwanke die Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer stets seine Arbeitsaufgaben vereinbarungsgemäß zu erledigen habe, bemesse sich die Dauer nach dem Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate3. Die gesetzliche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall umfasse nicht (tariflich geregelte) Zuschläge für Über- oder Mehrarbeit4. 34 Der Anspruch auf Vergütungsfortzahlung erlischt grundsätzlich mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt oder der Arbeitnehmer aus einem vom Arbeitgeber zu vertretenen Grund kündigt, § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 EFZG. Diese Vorschrift ist entsprechend anwendbar, wenn das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Aufhebungsvertrages endet5. Solange der Anspruch besteht, sind auch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. 35 Leistet die Krankenkasse an den Arbeitnehmer trotz bestehender Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers Krankengeld, geht der Entgeltfortzahlungsanspruch des versicherten Arbeitnehmers gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Krankenkasse über. Der Anspruchsübergang erfolgt mit der tatsächlichen
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Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1078); Bauer, IV Rz. 266. BAG vom 21.11.2001 – 5 AZR 296/00, NZA 2002, 439. BAG vom 21.11.2001 – 5 AZR 296/00, NZA 2002, 439. BAG vom 21.11.2001 – 5 AZR 296/00, NZA 2002, 439. BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77, DB 1980, 1448; BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 589/79, DB 1981, 221; Bauer, IV Rz. 491 m. w. Nachw.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 37 Teil 2
Zahlung durch die Krankenkasse1 und erfasst das an den Arbeitnehmer ausgezahlte Nettokrankengeld, nicht aber von der Krankenkasse geleisteten Sozialversicherungsbeiträge, die damit auch weiterhin vom Arbeitnehmer geltend gemacht werden können2. Der Anspruchsübergang hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer insoweit „Nichtberechtigter“ i.S. von § 185 Abs. 1 BGB ist und der Arbeitgeber an ihn nicht mit schuldbefreiender Wirkung im Verhältnis zur Krankenkasse leisten kann. Bestehen (zunächst) Zweifel, ob und in welchem Umfang Entgeltfortzahlungsansprüche des Arbeitnehmers auf die Krankenkasse übergegangen sind, sollte im – außergerichtlichen oder gerichtlichen – Aufhebungsvertrag zur Vermeidung von weiteren Auseinandersetzungen des Arbeitgebers mit dem Arbeitnehmer und/oder der Krankenkasse stets ausdrücklich klargestellt werden, dass sich der Arbeitgeber bis zum Zeitpunkt des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung der Arbeitsvergütung verpflichtet, soweit diese nicht auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Einigen sich der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nach vorheriger Kündigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer noch kein Krankengeld erhalten hatte, muss die Krankenkasse eine solche Vereinbarung auch dann gegen sich gelten lassen, wenn sie zuvor an den Arbeitnehmer Krankengeld gezahlt hatte und ein etwaiger Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers für die Zeit nach der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses deshalb kraft Gesetzes auf sie übergegangen war3. Etwas anderes dürfte nach Maßgabe der obigen Grundsätze (s.o. Rz. 35) allerdings dann gelten, wenn der Aufhebungsvertrag anlässlich der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geschlossen worden ist4.
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cc) Annahmeverzug Erhebt der Arbeitnehmer gegen eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung des Arbeitgebers Kündigungsschutzklage und einigen sich die Parteien daraufhin im Rahmen eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsvertrages auf einen späteren Beendigungszeitpunkt, so ist der Arbeitgeber regelmäßig zur Zahlung der Arbeitsvergütung nach Maßgabe von § 615 Satz 1 BGB bis zu diesem Beendigungszeitpunkt selbst dann verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer nach Zugang der fristlosen Kündigung bzw. nach Ablauf der (ursprünglichen) Kündigungsfrist nicht weiterbeschäftigt worden ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BAG5 gerät der Arbeitgeber im Falle einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, wenn er dem Arbeitnehmer nicht einen funktionsfähigen Arbeitsplatz vorgehalten und Arbeit zugewiesen hat, damit der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung er-
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Vgl. BAG vom 22.8.2001 – 5 AZR 699/99, NZA 2002, 610. BAG vom 4.12.2002 – 7 AZR 437/01, NZA 2004, 64. BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 227/79, DB 1981, 108. Ebenso Bauer, IV Rz. 59. BAG vom 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, NZA 1991, 228; BAG vom 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, NZA 1995, 263; BAG vom 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1348; ebenso LAG Köln vom 5.12.2006 – 9 Sa 937/06, NZA-RR 2007, 289.
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Teil 2 Rz. 38
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
bringen kann. Eines wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer i.S. von § 295 BGB bedarf es nach einer unberechtigten außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers nicht. Der Arbeitgeber gibt hier deutlich zu erkennen, dass er die Arbeitsleistung für die Zukunft ablehnt. Er gerät daher nach § 296 Satz 1 BGB mit dem Zugang der fristlosen Kündigung bzw. nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in Annahmeverzug, wenn er den Arbeitnehmer nicht aufgefordert hat, die Arbeit wieder aufzunehmen. Denn es bedarf einer nach dem Kalender bestimmten Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers, nämlich der Errichtung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes unter Zuweisung der Arbeit1. 38 Der Annahmeverzug kann vom Arbeitgeber grundsätzlich nur dadurch beendet werden, dass er dem Arbeitnehmer die ursprünglich geschuldete Arbeit anbietet. Der Annahmeverzug des Arbeitgebers endet deshalb nach ständiger Rechtsprechung des BAG2 nicht allein dadurch, dass der Arbeitgeber unter Aufrechterhaltung der Kündigung die Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen anbietet. Ebenso soll der Arbeitgeber – jedenfalls im Regelfall – auch dann in Annahmeverzug geraten, wenn sich der Arbeitnehmer bei einer Beendigungskündigung im Kündigungsschutzprozess darauf beruft, in einer anderen Funktion weiterbeschäftigt werden zu können, und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer diese Position anbietet, dieser sie jedoch ablehnt3. U.U. kommt aber in diesen Fällen eine Anrechnung nach § 615 Satz 2 BGB, § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG wegen böswilligen Unterlassens von anderweitigem Verdienst in Betracht, s.u. Rz. 52 f. 39 War der Arbeitnehmer zum Kündigungstermin befristet arbeitsunfähig erkrankt, so gerät der Arbeitgeber nach der Wiedergenesung des Arbeitnehmers jedenfalls dann in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder sonstigem Widerspruch gegen die Kündigung seine weitere Leistungsbereitschaft deutlich macht. Seine Arbeitskraft muss der Arbeitnehmer nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit nicht einmal tatsächlich anbieten. Denn die Klageerhebung soll nach Auffassung des BAG4 dessen Arbeitswilligkeit hinreichend dokumentieren. Gleiches gelte bei mehrfach befristeter Arbeitsunfähigkeit5. Dauert die einmal bekundete Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers fort, soll der Arbeitgeber auch dann in Annahmeverzug geraten, wenn der Arbeitnehmer zum Zeit1 BAG vom 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, NZA 1991, 228; BAG vom 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, NZA 1995, 263; LAG Düsseldorf vom 23.3.2007 – 9 Sa 292/07, NZA-RR 2007, 457. 2 BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, EzA § 615 BGB 2002 Nr. 1; BAG vom 24.9.2003 – 5 AZR 500/02, NZA 2004, 90; BAG vom 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1348. 3 BAG vom 27.1.1994 – 2 AZR 584/93, NZA 1994, 840. 4 BAG vom 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, NZA 1991, 228. Ebenso BAG vom 24.10.1991 – 2 AZR 112/91, NZA 1992, 403; BAG vom 21.1.1992 – 2 AZR 309/92, NZA 1993, 550; BAG vom 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, NZA 1995, 263. 5 BAG vom 24.10.1991 – 2 AZR 112/91, NZA 1992, 403.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 43 Teil 2
punkt des Ablaufs der Kündigungsfrist bzw. zum Zeitpunkt des Zugangs einer fristlosen Kündigung nach mehreren befristeten Krankschreibungen weiterhin auf bestimmte Dauer arbeitsunfähig krank ist und sich anschließend einer Heilkur unterzieht, ohne den Arbeitgeber von der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu informieren1. Dagegen scheidet Annahmeverzug regelmäßig aus, wenn der Arbeitnehmer die ursprünglich geschuldete Leistung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erbringen kann, und allein geltend macht, der Arbeitgeber könne ihn auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigen2. Ausnahmsweise gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn ihm die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar ist. Dies ist jedoch nur bei besonders groben Pflichtverstößen, wie z.B. Tätlichkeiten gegenüber dem Arbeitgeber, der Fall. Es muss sich um einen besonders verwerflichen Eingriff in absolut geschützte Rechtsgüter des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer handeln, deren Schutz Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes hat. Die Pflichtverletzung muss schwerwiegender als der wichtige Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung sein3. Bei einem noch nicht rechtskräftigen Beschluss über die Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG kann die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber unter den gleichen Voraussetzungen unzumutbar sein4.
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Ebenso wenig kommen Ansprüche des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn für den Zeitraum in Betracht, zu dem ihn der Arbeitgeber rechtswirksam von der Arbeitspflicht befreit hat, etwa durch Erteilung von Urlaub oder Anordnung von Freizeitausgleich. Eine während der Freistellung erklärte (rechtsunwirksame) fristlose Kündigung des Arbeitgebers lässt die Arbeitsbefreiung unberührt5.
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Ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Annahmeverzugsvergütung besteht nicht, wenn und soweit der Arbeitnehmer nicht leistungsfähig oder nicht leistungswillig ist, § 297 BGB6. Die subjektive Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers muss während des gesamten Verzugszeitraums vorliegen7.
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An der Leistungsfähigkeit fehlt es insbesondere, wenn der Arbeitnehmer wäh- 43 rend des Annahmeverzugszeitraums über sechs Wochen hinaus, für die der Arbeitgeber unter den Voraussetzungen des § 3 EFZG Entgeltfortzahlung leisten muss, arbeitsunfähig erkrankt oder aus gesundheitlichen Gründen (wei1 Vgl. LAG Hamburg vom 15.12.1992 – 3 Sa 65/92, LAGE § 615 BGB Nr. 33; s. auch LAG Baden-Württemberg vom 15.11.1990 – 13 Sa 33/90, LAGE § 615 BGB Nr. 28. 2 LAG Köln vom 21.1.1993 – 5 Sa 949/92, LAGE § 615 BGB Nr. 32. 3 BAG vom 29.10.1987 – 2 AZR 144/87, NZA 1988, 465. 4 Vgl. BAG vom 11.11.1976 – 2 AZR 457/75, DB 1977, 1190. 5 BAG vom 23.1.2001 – 9 AZR 26/00, NZA 2001, 597. 6 BAG vom 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1348. 7 BAG vom 19.5.2004 – 5 AZR 434/03, NZA 2004, 1064.
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Teil 2 Rz. 44
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
terhin) nicht in der Lage ist, die vertragsgemäße Arbeit zu verrichten1. Der Arbeitnehmer ist allerdings nicht stets schon dann leistungsunfähig i.S. von § 297 BGB, wenn er aus Gründen in seiner Person nicht mehr alle Arbeiten verrichten kann, die zu den vertraglich vereinbarten Tätigkeiten gehören. Ist es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar, dem krankheitsbedingt nur eingeschänkt leistungsfähigen Arbeitnehmer leidensgerechte Arbeiten zuzuweisen, ist die Zuweisung anderer, nicht leidensgerechter Arbeiten unbillig. Unterlässt der Arbeitgeber die ihm mögliche und zumutbare Zuweisung leidensgerechter und vertragsgemäßer Arbeit, steht die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen2. Dagegen kann der Annahmeverzug nicht darauf gestützt werden, der Arbeitgeber hätte eine bestimmte Arbeit anbieten müssen, obwohl der Arbeitnehmer diese Arbeit bereits abgelehnt hat. Dies gilt auch dann, wenn ein Arbeitsgericht die Beendigungskündigung des Arbeitgebers rechtskräftig mit der Begründung für unwirksam erklärt hat, der Arbeitgeber hätte trotz der Ablehnung seitens des Arbeitnehmers die Arbeit im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen3. 44 Die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers, im Annahmeverzugszeitraum die Arbeitsleistung zu erbringen, trägt der Arbeitgeber. Dazu reicht es aus, dass er Indizien vorträgt, aus denen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann. In Betracht kommen insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum. Hat der Arbeitgeber solche Tatsachen vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Trägt er dazu nichs vor, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden4. 45 Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für den Beschäftigungsanspruch eines schwerbehinderten Menschen nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX5. 46 Von einer subjektiven Leistungsunwilligkeit des Arbeitnehmers ist etwa auszugehen, wenn dieser eine ihm vom Arbeitgeber angebotene mögliche und zumutbare Arbeit abgelehnt hat6 oder erklärt, das Arbeitsverhältnis sei völlig zerrüttet und er werde sich eine neue Arbeitsstelle suchen7. Ebenso fehlt es an der Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers, wenn ihm der Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung eine sog. Prozessbeschäftigung anbietet und der Arbeitnehmer die Forderung nach einem Verzicht auf die Wirkungen der Kündigung zur Bedingung der Arbeitsaufnahme macht8. 1 2 3 4 5 6 7 8
BAG vom 27.8.2008 – 5 AZR 16/08, NZA 2008, 1410. BAG vom 27.8.2008 – 5 AZR 16/08, NZA 2008, 1410. BAG vom 27.8.2008 – 5 AZR 16/08, NZA 2008, 1410. BAG vom 5.11.2003 – 5 AZR 562/02, DB 2004, 439; LAG Düsseldorf vom 23.3.2007 – 9 Sa 292/07, NZA-RR 2007, 457. So zu Recht LAG Düsseldorf vom 23.3.2007 – 9 Sa 292/07, NZA-RR 2007, 457. Vgl. BAG vom 27.8.2008 – 5 AZR 16/08, NZA 2008, 1410. BAG vom 24.9.2003 – 5 AZR 591/02, NZA 2003, 1387. BAG vom 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1348.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 49 Teil 2
Der Anspruch des Arbeitnehmers aus § 615 Satz 1 BGB wird dadurch beschränkt, dass er sich den Wert desjenigen anrechnen lassen muss, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, § 615 Satz 2 BGB.
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Hinsichtlich des anderweitigen Verdienstes vertritt das BAG in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass dieser auf die Vergütung für die gesamte Dauer des Annahmeverzuges anzurechnen ist und nicht nur auf die Vergütung für den Zeitabschnitt, in dem der Arbeitnehmer seine Verdienste anderweitig erzielt (pro rata temporis) hat. Für die deshalb erforderliche Vergleichsberechnung (Gesamtberechnung) ist die Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dieser Gesamtvergütung ist gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit anderweitig erwirbt1. In die Vergleichsberechnung sind zugunsten des Arbeitnehmers alle Ansprüche einzustellen, die er gegen den Arbeitgeber erworben hat. Ein zwischenzeitliches Erlöschen wegen nicht fristgerechter Geltendmachung der Forderung ist unerheblich2.
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Dass der Arbeitnehmer anderweitig gearbeitet und dadurch Verdienst erzielt hat, muss der Arbeitgeber darlegen und im Bestreitensfall beweisen3. Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber jedoch auf dessen Verlangen Auskunft über den anderweitig erzielten Arbeitsverdienst erteilen. Bis zur Erfüllung der Auskunftspflicht kann der Arbeitgeber die Zahlung nach § 615 Satz 1 BGB verweigern. Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers ist selbständig einklagbar4. Erteilt der Arbeitnehmer die verlangte Auskunft nicht, kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verweigern. Eine vom Arbeitnehmer erhobene Vergütungsklage ist in dem Fall als zurzeit unbegründet abzuweisen5. Die wahrheitswidrige Auskunfterteilung durch den Arbeitnehmer kann einen (versuchten) (Prozess-)Betrug i.S. von § 263 StGB darstellen, der den Arbeitgeber ggf. sowohl zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses als auch zur Anfechtung des Aufhebungsvertrags berechtigt6.
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1 BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, NZA 1994, 116; BAG vom 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, NZA 2000, 818. 2 So ausdrücklich BAG vom 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, NZA 2000, 818. 3 BAG vom 19.7.1978 – 5 AZR 748/77, DB 1978, 2417. 4 BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, NZA 1994, 116; BAG vom 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, NZA 2000, 818. Besteht Grund zu der Annahme, dass die Angaben des Arbeitnehmers über die Höhe seines Zwischenverdienstes unvollständig sind, hat der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Dieser Anspruch ist nicht bereits dadurch erfüllt, dass der Arbeitnehmer im Prozess vor dem Arbeitsgericht an Eides statt versichert hat, eine bestimmte im Prozess vorgelegte Aufstellung, die mit seinen sonstigen Angaben nicht übereinstimmt, sei richtig, so BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, NZA 1994, 116. 5 BAG vom 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, NZA 2000, 818. 6 Zutreffend Bauer, IV Rz. 91.
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Teil 2 Rz. 50
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
50 Die vollständige Anrechnung des gesamten anderweitigen Erwerbs setzt nach § 615 Satz 2 BGB regelmäßig die Beendigung des Annahmeverzugs voraus. Dauert der Annahmeverzug zur Zeit der Entscheidung über eine Vergütungsklage des Arbeitnehmers noch an, kann der Arbeitgeber nur Auskunft über die Höhe des anderweitigen Verdienstes aus den Zeitabschnitten verlangen, für die der Arbeitnehmer fortlaufend seit Beginn des Annahmeverzugs Entgelt geltend gemacht hat1. 51 Wird der Arbeitgeber rechtskräftig verurteilt, für einen bestimmten Zeitraum des Annahmeverzuges nach § 615 BGB die vereinbarte Vergütung zu zahlen und erfährt er später von einem anrechenbaren Verdienst des Arbeitnehmers in dieser Zeit, so ist er durch das rechtskräftige Urteil nicht gehindert, den überzahlten Betrag nach § 812 BGB zurückzufordern bzw. bei der Endabrechnung über die restliche Zeit des Annahmeverzuges zur Anrechnung zu bringen2. 52 Nach § 615 Satz 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer weiterhin den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er zu erwerben „böswillig unterlässt“. Diese Regelung hält das BAG3 für „inhaltsgleich“ mit § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG, wonach sich der Arbeitnehmer im Falle des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses nach einer Entscheidung des Gerichts auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen muss, „was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen“. Beide Bestimmungen stellten darauf ab, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar sei. Eine Anrechnung komme auch in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber bestehe, der sich mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers im Verzug befinde. Maßgebend seien die Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der Arbeit könne sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie könne ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Demgegenüber könne nicht auf die Zumutbarkeitskriterien des § 121 SGB III abgestellt werden4. 53 „Böswillig“ handelt der Arbeitnehmer, dem ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert5. Böswilligkeit setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer in der Absicht handelt, den Arbeitgeber zu schädigen. Es genügt das vorsätzliche Außerachtlassen einer dem Arbeitnehmer bekannten Gelegenheit zur Er1 2 3 4 5
BAG vom 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, NZA 2000, 818. BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, NZA 1994, 116. BAG vom 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 2062. BAG vom 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 2062. Ständige Rechtsprechung des BAG, s. zuletzt BAG vom 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, NZA 2006, 314; BAG vom 11.10.2006 – 5 AZR 754/05, NZA 2007, 1392; BAG vom 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 2062.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 56 Teil 2
werbstätigkeit. Fahrlässiges, auch grob fahrlässiges Verhalten reicht dagegen nicht aus1. Nach einer Entscheidung des BAG vom 16.5.20002 soll allein das Unterlassen der Meldung des Arbeitnehmers bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend nicht das Merkmal des böswilligen Unterlassens i.S. von § 615 Satz 2 BGB erfüllen, da der Arbeitnehmer nicht gehalten sei, eigene Anstrengungen zu unternehmen, um eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu finden. Wolle der Arbeitgeber sein Entgeltrisiko im Annahmeverzug mindern, müsse er die hierfür erforderlichen Handlungen selbst vornehmen, etwa dem Arbeitnehmer anbieten, ihn vorläufig für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen, oder den Arbeitnehmer über konkrete Stellenangebote informieren. Aufgrund der seit dem 1.7.2003 geltenden Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III n.F. (zuvor § 37b Satz 1 SGB III a.F.), wonach Personen, deren Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis endet, verpflichtet sind, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung arbeitssuchend zu melden, dürften diese Erwägungen jedoch weitgehend hinfällig geworden sein, so dass das Unterbleiben der Meldung des Arbeitnehmers bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend nunmehr durchaus bei der Klärung der Frage, ob ein „böswilliges Unterlassen“ anderweitigen Erwerbs vorliegt, zumindest mit zu berücksichtigen ist3.
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Die Zumutbarkeit der dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber während des Kündigungsschutzprozesses angebotenen vorläufigen Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen richtet sich zum einen nach der Art der Kündigung und ihrer Begründung, zum anderen nach dem Verhalten des Arbeitgebers während des Kündigungsrechtsstreits4. Während dem Arbeitnehmer die vorläufige Weiterbeschäftigung nach Ausspruch einer Kündigung aus betriebs- oder personenbedingten Gründen in aller Regel zumutbar sein dürfte, muss bei einer Kündigung, die der Arbeitgeber auf unberechtigte verhaltensbedingte Gründe stützt, davon ausgegangen werden, dass dem Arbeitnehmer die vorläufige Weiterbeschäftigung im Betrieb des Arbeitgebers unzumutbar und damit der Vorwurf der Böswilligkeit ausgeschlossen ist5. Etwas anderes gilt aber, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht die Verurteilung des Arbeitgebers zur vorläufigen Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits erwirkt. In dem Fall ist ihm mangels besonderer, von ihm darzulegender Umstände nicht unzumutbar, der Aufforderung des Arbeitgebers nachzukommen, die Beschäftigung entsprechend der arbeitsgerichtlichen Entscheidung vorläufig wieder aufzunehmen6.
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Nicht „böswillig“ i.S. von § 615 Satz 2 BGB, § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG soll der Arbeitnehmer handeln, wenn er einer angebotenen Beschäftigung nicht Folge
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BAG vom 16.5.2000 – 9 AZR 203/99, NZA 2001, 26. BAG vom 16.5.2000 – 9 AZR 203/99, NZA 2001, 26. Ähnlich Bauer, IV Rz. 75 m. w. Nachw. Bauer, IV Rz. 76. BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, EzA § 615 BGB Nr. 1. BAG vom 24.9.2003 – 5 AZR 500/02, NZA 2004, 90.
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Teil 2 Rz. 57
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
leistet, bei der es sich um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung nach §§ 99, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG handelt, die ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats erfolgt ist1. Ebenso wenig braucht sich der Arbeitnehmer auf eine dauerhafte Änderung des Arbeitsvertrags einzulassen, da die Arbeit beim bisherigen Arbeitgeber nur zumutbar i.S. von § 615 Satz 2 BGB, § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG ist, wenn sie auf den Erwerb von Zwischenverdienst gerichtet ist2. Ferner handelt der Arbeitnehmer, dem der Arbeitgeber nicht angeboten hat, ihn jedenfalls für die Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits weiterzubeschäftigen, nicht böswillig, wenn er es unterlässt, ein Urteil des Arbeitsgerichts, mit dem der Arbeitgeber verurteilt worden ist, den Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen, zu vollstrecken oder die Vollstreckung anzudrohen3. 57 Nach neuerer Rechtsprechung des BAG4 kann ein böswilliges Unterlassen von Erwerb i.S. des § 615 Satz 2 BGB aber auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer eine vertraglich nicht geschuldete Arbeitsleistung ablehnt. Diese könne nach den konkreten Umständen zumutbar, u.U. sogar mit einer Verbesserung (!) für den Arbeitnehmer verbunden sein. Zu berücksichtigen seien alle Umstände des Einzelfalls5. Regelmäßig wird es sich bei der dem Arbeitnehmer angebotenen vorläufigen anderweitigen Beschäftigung – wie die Erfahrungen aus der Praxis lehren – indes um eine geringwertigere Tätigkeit handeln. Unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das BAG im Zusammenhang mit dem Erfordernis des Vorrangs der Änderungskündigung vor einer Beendigungskündigung entwickelt hat6, dürfte dem Arbeitnehmer auch hier eine ihm vom Arbeitgeber angebotene vorläufige Weiterbeschäftigung zu verschlechterten Arbeitsbedingungen nur dann unzumutbar sein, wenn es sich um einen „Extremfall“ handelt, bei dem das Angebot des Arbeitgebers gleichsam beleidigenden Charakter hätte, etwa weil der betroffene Arbeitnehmer in der Personalhierarchie so weit zurückgestuft würde, dass viele seiner bisherigen Untergebenen ihm nunmehr Weisungen erteilen könnten und deshalb erhebliche Konflikte zu erwarten sind (Legendärbeispiel: Pförtner oder Gärtner statt Personalleiter). 58 Da die Vorschrift des § 615 Satz 1 BGB nicht zwingend ist, können Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Aufhebungsvertrag auch vereinbaren, dass keine Ansprüche aus Annahmeverzug nach § 615 Satz 1 BGB bestehen oder anderweitiger Verdienst nicht nach § 615 Satz 2 BGB angerechnet wird7. Dieser Frage kommt insbesondere im Falle der Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wesentliche Bedeutung zu, s. dazu u. Rz. 156 ff. 1 2 3 4 5 6 7
So BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, EzA § 615 BGB Nr. 1. BAG vom 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, NZA 2006, 314. BAG vom 22.2.2000 – 9 AZR 194/99, NZA 2000, 817. BAG vom 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 561. BAG vom 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NZA 2007, 561. Vgl. BAG vom 21.9.2006 – 2 AZR 607/05, NZA 2007, 431. Vgl. BAG vom 6.11.1968 – 4 AZR 186/68, DB 1969, 399; BAG vom 9.3.1983 – 4 AZR 301/80, DB 1983, 1496.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 62 Teil 2
Schließlich muss sich der Arbeitnehmer auf seine Annahmeverzugsansprüche gegen den Arbeitgeber gemäß § 11 Satz 1 Nr. 3 KSchG anrechnen lassen, was ihm „an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder der Sozialhilfe für die Zwischenzeit“ gezahlt worden ist. Diese Beträge, die im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs auf den jeweiligen Sozialversicherungsträger übergehen (vgl. § 115 Abs. 1 SGB X), hat der Arbeitgeber der Stelle zu erstatten, die sie gezahlt hat, § 11 Satz 2 KSchG. Ob der Arbeitgeber im Rahmen von § 11 Satz 2 KSchG Einwendungen geltend machen kann, die im Arbeitsverhältnis begründet sind (§§ 404, 412 BGB), wie z.B. das Eingreifen von tariflichen Verfallfristen, ist zwar umstritten, aber wohl zu bejahen1.
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Bezieht der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers Arbeitslosengeld und unterlässt er zugleich einen ihm zumutbaren Erwerb, hat eine proportionale Zuordnung der Anrechung nach § 11 Satz 1 Nr. 2 und 3 KSchG zu erfolgen2.
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dd) Sonstige Vergütungsbestandteile Neben der „normalen“ (Grund-)Vergütung werden vom Arbeitgeber häufig übertarifliche Zahlungen sowie weitere Sonderzuwendungen, wie insbesondere Gratifikationen, ein 13. und 14. Monatsgehalt, Bonuszahlungen und Tantiemen geleistet. Im Rahmen der Verhandlungen über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist stets zu klären, ob und inwieweit dem Arbeitnehmer solche Vergütungsbestandteile zustehen. Zusätzliche Probleme ergeben sich, wenn diese Vergütungsbestandteile mit Widerrufs-, Anrechnungs- und Freiwilligkeitsvorbehalten sowie mit sog. Stichtags- und Rückzahlungsklauseln versehen sind. Hat der Arbeitgeber letztere einseitig vorformuliert, unterliegen sie der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB3. Die genaue Kenntnis der diesbezüglichen, im Folgenden dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für beide Arbeitsvertragsparteien unerlässlich.
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(1) AGB-Kontrolle von Widerrufs-, Anrechnungs- und Freiwilligkeitsvorbehalten Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts hinsichtlich übertariflicher Leistungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird vom BAG4 grundsätzlich für zulässig erachtet, soweit der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende wi1 Bauer, IV Rz. 84 m. w. Nachw. 2 BAG vom 11.1.2006 – 5 AZR 125/05, NZA 2006, 313. 3 S. dazu u.a. Dieckmann/Bieder, DB 2005, 722 ff.; Maties, DB 2005, 2689 ff.; Thüsing/ Leder, BB 2005, 938 ff.; Gaul, ArbRB 2005, 146 ff.; Zöllner, NZA 2006, Beilage 3, S. 99 ff.; Worzalla, NZA 2006, Beilage 3, S. 122 ff.; Däubler, NZA 2006, Beilage 3, S. 133 ff.; Annuß, BB 2006, 1333 ff.; Lingemann/Gotham, DB 2007, 1754 ff.; Junker, BB 2007, 1274 ff.; Hunold, NZA-RR 2008, 449 ff. 4 BAG vom 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87.
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Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
derrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25 % liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird. Sind darüber hinaus Zahlungen des Arbeitgebers widerruflich, die nicht eine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, sondern Ersatz für Aufwendungen, die an sich der Arbeitnehmer selbst tragen muss, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf bis zu 30 % des Gesamtverdienstes. 63 Die Vertragsklausel in einem Formulararbeitsvertrag, nach der dem Arbeitgeber das Recht zustehen soll, „übertarifliche Lohnbestandteile jederzeit unbeschränkt“ zu widerrufen, ist jedoch gemäß § 308 Nr. 4 BGB unwirksam1. Der Widerruf darf nicht ohne Grund erfolgen. Dieser muss sich aus der vertraglichen Regelung selbst ergeben, die zumindest auch die Art der Widerrufsgründe (z.B. wirtschaftliche Gründe, Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers) benennen muss. Werden solche Gründe vertraglich nicht benannt, führt dies zur Unwirksamkeit der Widerrufsregelung2. 64 Bei Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden, soll indes nach Auffassung des BAG3 die unwirksame Vertragsklausel nicht gemäß § 306 Abs. 2 BGB ersatzlos wegfallen. Da die Unwirksamkeit allein auf förmlichen Anforderungen beruhe, die die Parteien bei Vertragsabschluss nicht hätten kennen können, würde eine Bindung des Arbeitgebers an die vereinbarte Leistung ohne Widerrufsmöglichkeit unverhältnismäßig in die Privatautonomie eingreifen. Die entstandene Lücke sei durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Im Rahmen der Auslegung sei zu fragen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn ihnen die gesetzlich angeordnete Unwirksamkeit der Widerrufsklausel bekannt gewesen sei. Maßgeblich sei nicht die subjektive Vorstellung einer Vertragspartei, sondern was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten4. 65 Die Regelung eines Widerrufsvorbehalts in einer Betriebsvereinbarung unterliegt dagegen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB5. 66 Wird in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Zulage unter dem Vorbehalt der Anrechnung gewährt, ohne dass die Anrechnungsgründe näher bestimmt sind, führt dies nicht zur Unwirksamkeit nach § 308 Nr. 4 BGB. Eine solche Klausel verstößt auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Nr. 2 1 BAG vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465. 2 Vgl. BAG vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465. 3 BAG vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465; BAG vom 11.1.2006 – 5 AZR 125/05, NZA 2006, 313. 4 BAG vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465; BAG vom 11.1.2006 – 5 AZR 125/05, NZA 2006, 313. 5 BAG vom 1.12.2006 – 5 AZR 187/05, NZA 2006, 563. S. dazu auch BAG vom 9.2.2005 – 5 AZR 209/04, EzA § 315 BGB 2002 Nr. 1: Durch Tarifvertrag kann bestimmt werden, dass der Arbeitgeber die Übertragung einer bestimmten Tätigkeit jederzeit widerrufen kann, ohne bei der Ausübung des Widerrufsrechts an billiges Ermessen i.S. von § 315 BGB gebunden zu sein.
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BGB1. Die Formulierung „… anrechenbare betriebliche Ausgleichszulage“ wird vom BAG für „hinreichend klar und verständlich“ erachtet. Für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer sei erkennbar, dass im Falle einer Erhöhung des tariflich geschuldeten Arbeitsentgelts die Zulage bis zur Höhe der Tarifsteigerung gekürzt werden könne. Anrechnungsvorbehalte seien in arbeitsvertraglichen Vergütungsabreden „seit Jahrzehnten gang und gäbe“. Sie stellten eine Besonderheit des Arbeitsrechts dar, die gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB angemessen zu berücksichtigen seien2. In kollektivrechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass die Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung kein Verteilungsspielraum verbleibt3. Die Anrechung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen ist demgemäß nur dann mitbestimmungsfrei, wenn die Tariflohnerhöhung im Rahmen des rechtlich möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Vergütung sämtlicher Arbeitnehmer angerechnet wird4.
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Ein im vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag enthaltener Freiwilligkeitsvorbehalt hinsichtlich einer monatlich zu zahlenden Leistungszulage („Die Zahlung erfolgt als freiwillige Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.“) benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam5.
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Mit dem bloßen Hinweis auf die „Freiwilligkeit“ einer Leistung drückt der Arbeitgeber lediglich aus, nicht aus anderen Gründen zu der Leistung verpflichtet zu sein. Will der Arbeitgeber jeden Anspruch für die Zukunft ausschließen, hat er dies für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich zu machen. Die Bezeichnung als „freiwillige (Sozial-)Leistung“ reicht insoweit nicht aus6.
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Weist der Arbeitgeber in einem vorformulierten Arbeitsvertrag darauf hin, dass die Gewährung einer Sonderzahlung keinen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf die Leistung für künftige Bezugszeiträume begründet, benachteiligt ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt den Arbeitnehmer nicht unangemessen. Die Klausel ist auch dann wirksam, wenn die Sonderzahlung ausschließlich im Bezugszeitraum geleistete Arbeit zusätzlich vergütet. Heißt es jedoch in einem Formulararbeitsvertrag, dass der Arbeitnehmer einerseits
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1 BAG vom 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746; BAG vom 27.8.2008 – 5 AZR 820/07, DB 2008, 2766. 2 BAG vom 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746. 3 Grundlegend BAG (GS) vom 3.12.1991 – GS 2/90, NZA 1992, 749. Seitdem ständige Rechtsprechung des BAG. 4 BAG vom 27.1.2004 – 1 AZR 105/03, NZA 2004, 1239; BAG vom 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746. 5 BAG vom 25.4.2007 – 5 AZR 627/06, NZA 2007, 853. 6 Vgl. BAG vom 28.4.2004 – 10 AZR 481/03, NZA 2005, 599; BAG vom 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746.
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Teil 2 Rz. 71
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
eine Sonderzahlung in einer bestimmten Höhe erhält, andererseits ein Rechtsanspruch hierauf nicht besteht und, falls diese gewährt wird, eine freiwillige, stets widerrufliche Leistung des Arbeitgebers darstellt, verstößt eine solche Regelung gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist deshalb unwirksam, ohne dass eine geltungserhaltende Reduktion in Betracht kommt1. (2) Gratifikation 71 Die Gratifikation ist eine Sonderzuwendung, die der Arbeitgeber aus bestimmten Anlässen (z.B. Weihnachten, Urlaub, Jubiläen) zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitsvergütung gewährt. Sie kann eine Anerkennung für geleistete Dienste und ein Anreiz für weitere Dienstleistungen sein2. Ein allgemeiner Anspruch auf Zahlung einer solchen Gratifikation besteht nicht. Vielmehr muss eine besondere Rechtsgrundlage vorhanden sein. In Betracht kommen eine tarifliche Regelung, eine Betriebsvereinbarung, eine Gesamtzusage, eine betriebliche Übung oder der Gleichbehandlungsgrundsatz. 72 Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmer oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Erklärung des Arbeitgebers, zusätzliche Leistungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahmeerklärung des in der Gesamtzusage enthaltenen Angebots wird nicht erwartet; ihrer bedarf es auch nicht. Das in der Gesamtzusage liegende Angebot wird gemäß § 151 BGB ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Gesamtzusagen werden bereits dann wirksam, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart werden, die den einzelnen Arbeitnehmer typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf die konkrete Kenntnis des einzelnen Arbeitnehmers kommt es dabei nicht an3. 73 Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Dem Verhalten des Arbeitgebers wird eine konkludente Willenserklärung entnommen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis ge1 BAG vom 30.7.2008 – 10 AZR 606/07, NZA 2008, 1137 = DB 2008, 2194 = BB 2008, 2465. S. dazu auch Lingemann/Gotham, DB 2008, 2307 ff.; Bayreuther, BB 2009, 102 ff. 2 S. etwa BAG vom 5.8.1992 – 10 AZR 88/90, NZA 1993, 130; BAG vom 16.3.1994 – 10 AZR 669/92, NZA 1994, 747. 3 BAG vom 28.6.2006 – 10 AZR 385/05, NZA 2006, 1174. S. dazu auch LAG Düsseldorf vom 11.9.2003 – 11 (18) Sa 308/03, DB 2004, 1370: Die Bindungswirkung einer Gesamtzusage, die einem bestimmten Arbeitnehmerkreis sowohl durch ein Schriftstück als auch durch die Hinterlegung im firmeneigenen Intranet bekannt gegeben wird, kann nicht durch bloße Herausnahme der Gesamtzusage aus dem Intranet beseitigt werden. Das in ihr enthaltene Vertragsangebot kann deshalb von dem begünstigten Personenkreis auch noch nach Entfernung aus dem Intranet angenommen werden.
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Rz. 75 Teil 2
schaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr schon dadurch ein, wenn der Erklärende aus Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gemäß § 242 BGB und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften1. Unerheblich ist, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst bisher schon in die Übung einbezogen worden ist. Eine Mitteilung über die an andere Arbeitnehmer erfolgten Zahlungen gegenüber den übrigen Arbeitnehmern ist ebenso wenig erforderlich wie eine allgemeine Veröffentlichung im Betrieb2. Den Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer anspruchsbegründenden, auch ihn erfassenden betrieblichen Übung3. Eine allgemeinverbindliche Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen der Arbeitnehmer erwarten darf, dass auch er die Leistung erhält, soll es nach neuester Rechtsprechung des BAG nicht geben4. Lediglich für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen sei die Regel aufgestellt worden, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarke. Bei anderen Sozialleistungen sei auf Art, Dauer und Intensität der Leistungen abzustellen. Wie lange die Übung bestehen müsse, damit die Arbeitnehmer berechtigterweise erwarten könnten, dass sie fortgesetzt werde, hänge davon ab, wie häufig die Leistungen erbracht worden seien. Dabei komme es auf die Zahl der Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke an. Ferner seien in die Bewertung die Relation von Anzahl der Wiederholungen und Dauer der Übungen auch Art und Inhalt der Leistungen einzubeziehen. Bei für den Arbeitnehmer weniger wichtigen Leistungen seien an die Zahl der Wiederholungen höhere Anforderungen zu stellen als bei bedeutsameren Leistungsinhalten5.
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Eine zu weit gefasste sog. doppelte Schriftformklausel, die beim Arbeitnehmer den – nicht der Rechtslage entsprechenden – Eindruck erwecken kann, je-
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1 BAG vom 28.6.2006 – 10 AZR 385/05, NZA 2006, 1174 m. w. Nachw.; BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 = DB 2008, 1808 = BB 2008, 1847, dort auch zu den Möglichkeiten der Beseitigung einer betrieblichen Übung. 2 BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 = DB 2008, 1808 = BB 2008, 1847. 3 BAG vom 19.8.2008 – 3 AZR 194/07, NZA 2009, 196 (198) m. w. Nachw. 4 So ausdrücklich BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 = DB 2008, 1808 = BB 2008, 1847. 5 BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 = DB 2008, 1808 = BB 2008, 1847.
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de später vom Vertrag abweichende mündliche Abrede sei gemäß § 125 Satz 2 BGB nichtig (etwa die Klausel: „Änderungen und Ergänzungen des Arbeitsvertrags sind, auch wenn sie bereits mündlich getroffen werden, nur wirksam, wenn sie schriftlich festgelegt und von beiden Parteien unterzeichnet worden sind. Dies gilt auch für den Verzicht auf das Schriftformerfordernis.“), benachteiligt den Arbeitnehmer wegen Irreführung unangemessen i.S. von § 307 Abs. 1 BGB, so dass sie das Entstehen einer betrieblichen Übung mangels Wirksamkeit nicht verhindert1. 76 Will der Arbeitgeber die Zahlung einer Vergünstigung von einer Entscheidung im jeweiligen Einzelfall abhängig machen, muss er dies nach außen hin erkennbar zum Ausdruck bringen2. Eine – für den Arbeitnehmer erkennbar – auf das jeweilige Kalenderjahr bezogene Zusage einer Leistung begründet keine Ansprüche der Leistungsempfänger aus einer betrieblichen Übung für künftige Jahre. Ein Widerrufsvorbehalt bzw. die Mitteilung, dass die Leistung freiwillig erfolgt, ist in diesem Fall nicht erforderlich, um Ansprüche für die Zukunft zu beseitigen bzw. überhaupt nicht entstehen zu lassen3. 77 Enthält eine Gratifikationszusage einen Freiwilligkeitsvorbehalt des Inhalts, dass Ansprüche für die Zukunft auch aus wiederholten Zahlungen nicht hergeleitet werden können, dann schließt dieser Vorbehalt Ansprüche sowohl für die Zukunft als auch für den laufenden Bezugszeitraum aus4. Der Arbeitgeber ist aufgrund eines solchen Vorbehalts jederzeit frei, erneut zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen er eine Gratifikation gewähren will. Zur Vereinbarkeit eines solchen Freiwilligkeitsvorbehalts mit den AGB-Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB s.o. Rz. 68 ff. 78 Zu beachten ist ferner, dass ein Anspruch aus betrieblicher Übung nur dann entstehen kann, wenn es an einer kollektiv- oder individualrechtlichen Grundlage für die Leistungsgewährung fehlt5.
1 BAG vom 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, NZA 2008, 1233 = DB 2008, 2365 = BB 2008, 2242. S. dazu auch Leder/Scheuermann, NZA 2008, 1222 ff.; Schramm/Kröpelin, DB 2008, 2362 ff. 2 BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 = DB 2008, 1808 = BB 2008, 1847 m. w. Nachw. 3 BAG vom 16.4.1997 – 10 AZR 705/96, NZA 1998, 423. 4 BAG vom 5.6.1996 – 10 AZR 883/95, NZA 1996, 1028, unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren gegenteiligen Rechtsprechung (vgl. BAG vom 26.6.1975 – 5 AZR 412/74, DB 1975, 2089). S. dazu auch BAG vom 6.12.1995 – 10 AZR 198/95, NZA 1996, 1027: Wird in allgemeinen Arbeitsbedingungen unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit der Leistung eine Weihnachtsgratifikation für Arbeitnehmer in Aussicht gestellt, deren „Arbeitsverhältnis während des ganzen Jahres bestanden hat und im Auszahlungszeitpunkt nicht gekündigt ist“, so hindert diese normierte Anspruchsvoraussetzung den Arbeitgeber nicht, künftig den Personenkreis auch anders zu bestimmen und etwa Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht, von der Leistung auszunehmen. 5 BAG vom 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, NZA 2005, 349; BAG vom 20.6.2007 – 10 AZR 410/06, NZA 2007, 1293; BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 = DB 2008, 1808 = BB 2008, 1847.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 81 Teil 2
Obwohl der Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des BAG1 in seiner Entscheidung frei ist, ob und unter welchen Voraussetzungen er seinen Arbeitnehmern eine zusätzliche Leistung gewährt, ist er an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden, wenn er nach von ihm gesetzten allgemeinen Regeln freiwillig Sonderzahlungen leistet. Er darf einzelne Arbeitnehmer nicht sachfremd gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage schlechter stellen. Gewährt der Arbeitgeber aufgrund einer abstrakten Regelung eine freiwillige Leistung nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip und legt er gemäß dem mit der Leistung verfolgten Zweck die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung fest, darf er einzelne Arbeitnehmer von der Leistung nur ausnehmen, wenn dies sachlichen Kriterien entspricht. Arbeitnehmer werden dann nicht sachfremd benachteiligt, wenn sich nach dem Zweck der Leistung Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, diesen Arbeitnehmern die den anderen Arbeitnehmern gewährte Leistung vorzuenthalten. Die Zweckbestimmung einer Sonderzahlung ergibt sich vorrangig aus ihren tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, wobei die Bezeichnung nicht allein maßgeblich ist. Ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, kann der benachteiligte Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmer behandelt zu werden2.
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Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber in Bezug auf seine Arbeitnehmer. Er findet jedenfalls dann unternehmensweit Anwendung, wenn die verteilende Entscheidung des Arbeitgebers nicht auf einzelne Betriebe beschränkt ist, sondern sich auf alle oder mehrere Betriebe des Unternehmens bezieht. Eine Unterscheidung zwischen einzelnen Betrieben ist nur zulässig, wenn es hierfür sachliche Gründe gibt. Dabei sind die Besonderheiten des Unternehmens und der Betriebe zu berücksichtigen3.
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Dem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspricht es etwa, wenn ein Arbeitgeber eine Sonderzahlung, deren Höhe in hohem Maße durch Krankheitstage bestimmt wird und die im Hinblick auf Rückzahlungsklauseln für den Fall eines Ausscheidens im Folgejahr zur Betriebstreue anreizen soll, nur solchen Arbeitnehmern gewährt, die neue, verschlechternde Arbeitsbedingungen akzeptiert haben, die sich zudem im Anspruchsjahr vergütungsmäßig nicht auswirkten4. Dagegen wurde ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
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1 S. etwa BAG vom 26.9.2007 – 10 AZR 569/06, NZA 2007, 1424; BAG vom 30.7.2008 – 10 AZR 497/07, NZA 2008, 1412 jeweils m. w. Nachw. 2 BAG vom 26.9.2007 – 10 AZR 569/06, NZA 2007, 1424; BAG vom 30.7.2008 – 10 AZR 497/07, NZA 2008, 1412. S. ganz generell zur Reichweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers Weber/Ehrich, ZIP 1997, 1681. 3 BAG vom 3.12.2008 – 5 AZR 74/08, NZA 2009, 196 m. w. Nachw. 4 BAG vom 30.7.2008 – 10 AZR 497/07, NZA 2008, 1412. Ähnlich bereits zuvor BAG vom 26.9.2007 – 10 AZR 569/06, NZA 2007, 1424: Bietet der Arbeitgeber nur solchen Arbeitnehmern ein vertragliches Weihnachtsgeld an, die zuvor einer Entgeltreduzierung zugestimmt haben, verletzt er den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrund-
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Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
vom BAG verneint, wenn der Arbeitgeber den Angestellten eine höhere Weihnachtsgratifikation gewährt als den gewerblichen Arbeitnehmern und er damit den Zweck verfolgt, eine Benachteiligung der Angestellten bei der Zahlung übertariflicher Zulagen auszugleichen1. Will der Arbeitgeber aus sachlichen Gründen die Angestellten stärker an sein Unternehmen binden und gewährt er ihnen deshalb eine höhere Jahressonderzahlung als den gewerblichen Arbeitnehmern, so sollen auch in dem Fall die gewerblichen Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Anspruch auf die höhere Zuwendung aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung haben2. Ebenso wenig soll es nach Auffassung des BAG3 nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, wenn der Arbeitgeber den im Zeitungsbetrieb beschäftigten Innendienstangestellten ein höheres Weihnachtsgeld zahlt, den Zeitungszustellem jedoch nicht. Diese Differenzierung sei sachlich gerechtfertigt, weil die Zeitungszusteller anders als die Innendienstangestellten die Möglichkeit hätten, zur Weihnachtszeit von den Abonnenten ein jedenfalls nicht unerhebliches Trinkgeld zu erhalten. Darauf, ob das gezahlte Weihnachtsgeld in seiner Höhe dem zumindest durchschnittlichen Trinkgeldbezug in etwa entspreche, komme es nicht an. 82 Der Arbeitgeber kann weiterhin grundsätzlich in zulässiger Weise festlegen, dass die Gratifikation nur solchen Arbeitnehmern gezahlt wird, die zu einem bestimmten Stichtag noch in einem Arbeitsverhältnis zum Betrieb stehen (zur Vereinbarkeit von Stichtagsregelungen mit den AGB-Bestimmungen i.S. der §§ 305 ff. BGB s.u. Rz. 106). Macht dagegen eine einzelvertragliche, betriebliche oder tarifliche Regelung den Anspruch auf Zahlung einer Gratifikation davon abhängig, dass das Arbeitsverhältnis zum festgelegten Zeitpunkt der Zahlung „ungekündigt“ besteht, so schließt der vor diesem Zeitpunkt vereinbarte Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis erst nach dem Termin der Auszahlung der Gratifikation endet, den Anspruch auf die Gratifikation nicht aus4. 83 Selbst wenn im Arbeitsvertrag allein die Zahlung eines „Weihnachtsgeldes“ in bestimmter Höhe zugesagt und diese Zusage an keine weiteren Voraussetzungen (wie z.B. eine Stichtagsregelung) geknüpft wird, kann diese Zusage
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satz dann, wenn er mit der Zahlung solche Zwecke verfolgt, die nicht im Ausgleich von Vergütungsunterschieden bestehen, sondern ein Verhalten honorieren, das von allen Arbeitnehmern erwünscht wird. S. dazu aber auch LAG Nürnberg vom 12.3.2008 – 4 Sa 172/07, NZA-RR 2009, 13: Es verstößt weder gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, noch stellt es eine unzulässige Maßregelung dar, wenn der Arbeitgeber am Jahresende lediglich den Mitarbeitern eine freiwillige Gratifikationszahlung gewährt, die Monate zuvor untertarifliche neue Arbeitsbedingungen akzeptiert haben. Der Arbeitgeber darf die Betriebstreue dieser Mitarbeiter besonders fördern und mit der Sonderzahlung einen teilweisen Ausgleich der entstandenen unterschiedlichen Arbeitsbedingungen herbeiführen. BAG vom 30.3.1994 – 10 AZR 681/92, NZA 1994, 786. BAG vom 19.3.2003 – 10 AZR 365/02, EWiR § 611 BGB 2/03, 805 (m. Anm.von Ehrich). BAG vom 19.4.1995 – 10 AZR 344/94, NZA 1995, 985. BAG vom 7.10.1992 – 10 AZR 186/91, NZA 1993, 948. Ähnlich BAG vom 14.12.1993 – 10 AZR 661/92, NZA 1994, 463.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 85 Teil 2
nach Auffassung des BAG „durchaus dahin verstanden werden, dass ein Anspruch auf dieses Weihnachtsgeld nur gegeben sein soll, wenn auch das Arbeitsverhältnis zu Weihnachten noch besteht“1. Ist im Arbeitsvertrag vereinbart, dass der Arbeitgeber jeweils im November eines jeden Jahres in Abhängigkeit von der Geschäftslage und der persönlichen Leistung festlegt, ob und in welcher Höhe ein Weihnachtsgeld gezahlt wird und hierauf auch bei wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch besteht, muss sich ein Arbeitnehmer, wie das BAG am 10.12.2008 entschieden hat, zu diesem Zeitpunkt noch in einem Arbeitsverhältnis befinden, damit auch für ihn ein Anspruch entstehen könne. Ein anteiliger ratierlicher Anspruch für jeden Monat des zuvor beendeten Arbeitsverhältnisses könne ohne weitere Voraussetzungen daraus nicht hergeleitet werden. Eine solche Klausel sei weder unklar noch widersprüchlich, auch wenn eine darin enthaltene Rückzahlungsklausel wegen der unbestimmten Höhe des Anspruchs und damit der nicht überprüfbaren Bindungsfrist unwirksam sei2. Der Anspruch auf eine freiwillige Weihnachtsgratifikation kann zudem nach Ansicht des BAG3 auch dann vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht werden, wenn die Gratifikation auch „als Anerkennung für die Leistung“ gelten soll. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer vom Bezug der Gratifikation ausnimmt, der im Laufe des Bezugszeitraums aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Dies gilt auch bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers aufgrund betriebsbedingter arbeitgeberseitiger Kündigung4. Wird im Arbeitsvertrag eindeutig festgelegt, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf eine Sonderzahlung entsteht und aus welchen Gründen die Leistung wieder zurückzuzahlen ist, ist damit auch der Zweck der Leistung abschließend definiert. Es können dann nicht im Nachhinein weitere Anspruchsvoraussetzungen, wie etwa das Bestehen eines „aktiven Arbeitsverhältnisses“ aufgestellt werden5.
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Krankheitsbedingte Fehlzeiten, für die der Arbeitnehmer kein Entgelt vom Arbeitgeber mehr beanspruchen kann, können nach der Rechtsprechung des BAG6 bei der Bemessung einer Weihnachtsgratifikation anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Krankheit in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft steht7. Ein erheblich höherer Krankenstand der gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber dem der Angestellten vermag eine Schlechterstellung der gewerblichen Arbeitnehmer durch Kürzung
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1 BAG vom 30.3.1994 – 10 AZR 134/93, NZA 1994, 651 (kein Anspruch auf Zahlung 9/12 des Weihnachtsgeldes, wenn das Arbeitsverhältnis zum 30.9. des betreffenden Kalenderjahres beendet wird). 2 BAG vom 10.12.2008 – 10 AZR 15/08, NZA 2009, 322. 3 BAG vom 26.10.1994 – 10 AZR 109/93, NZA 1995, 307. 4 BAG vom 25.4.1991 – 6 AZR 532/89, NZA 1991, 763. 5 BAG vom 10.12.2008 – 10 AZR 35/08, NZA 2009, 258. 6 BAG vom 5.8.1992 – 10 AZR 171/91, NZA 1993, 132; BAG vom 14.9.1994 – 10 AZR 216/93, NZA 1995, 429. 7 BAG vom 27.7.1994 – 10 AZR 314/93, NZA 1995, 233.
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Teil 2 Rz. 86
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
einer Sonderzuwendung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten allerdings nur dann zu rechtfertigen, wenn er in der Sphäre der Arbeitnehmer und nicht in der Sphäre des Arbeitgebers begründet liegt. Solange nicht ausgeschlossen ist, dass der hohe Krankenstand der gewerblichen Arbeitnehmer auf gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen beruht, für die der Arbeitgeber verantwortlich ist, soll es nach einer Entscheidung des BVerfG vom 1.9.19971 „offensichtlich ungerechtfertigt“ sein, dass ihnen der Arbeitgeber wegen der aus diesen Risiken erwachsenen Schadensfolgen auch noch finanzielle Nachteile auferlegt. 86 Eine tarifliche Regelung über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung, deren Zweck es – auch – ist, im Bezugszeitraum für den Betrieb geleistete Arbeit zusätzlich zu vergüten, kann zwar nach Auffassung des BAG im Einzelnen bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd und anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Allerdings könne über entsprechende Vereinbarungen hinaus einer solchen Regelung nicht der Rechtssatz entnommen werden, dass Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum sei2. 87 Besteht nach einer tariflichen Regelung kein Anspruch auf eine Sonderzahlung für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes ruht, so gilt dies auch bei Inanspruchnahme von Elternzeit. Eine solche tarifliche Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht3. 88 Die Gratifikation kann grundsätzlich in zulässiger Weise mit einem Rückzahlungsvorbehalt verbunden werden, wenn der Arbeitnehmer innerhalb einer bestimmten Zeit nach ihrer Gewährung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Die Rückzahlungsklausel muss eindeutig und klar formuliert sein sowie die Voraussetzungen für die Rückzahlungspflicht und einen eindeutig bestimmten Zeitraum für die Bindung des Arbeitnehmers festlegen4. Die Rückzahlungspflicht muss dem Arbeitnehmer spätestens bei der Auszahlung bzw. bei der Gutschrift auf seinem Konto bekannt sein. Allein ein „Freiwilligkeitsvorbehalt“ genügt nicht5. 89 Ein Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers kommt nur in Betracht, wenn sich der Rückzahlungsvorbehalt ausdrücklich auch auf die Beendigung des 1 BVerfG vom 1.9.1997 – 1 BvR 1929/95, NZA 1997, 1339. 2 BAG vom 5.8.1992 – 10 AZR 88/90, NZA 1993, 130; BAG vom 8.12.1993 – 10 AZR 66/93, NZA 1994, 421; BAG vom 16.3.1994 – 10 AZR 669/92, NZA 1994, 747; BAG vom 11.10.1995 – 10 AZR 985/94, NZA 1996, 542. 3 BAG vom 24.11.1993 – 10 AZR 704/92, NZA 1994, 423; BAG vom 24.5.1995 – 10 AZR 619/94, NZA 1996, 31. Ähnlich BAG vom 28.9.1994 – 10 AZR 697/93, NZA 1995, 176; BAG vom 6.12.1995 – 10 AZR 198/95, NZA 1996, 1027 (kein Verstoß einer tariflichen Regelung gegen Art. 119 EWG-Vertrag, nach der Zeiten der Elternzeit den Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung mindern). 4 BAG vom 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032 (1033). 5 Bauer, IV Rz. 235; Bengelsdorf, S. 130.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 90 Teil 2
Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag erstreckt1. Ist dies der Fall, so muss für die Beurteilung der Rückzahlungsverpflichtung auf den Anlass für den Abschluss des Aufhebungsvertrages abgestellt werden2. Ein Rückzahlungsanspruch besteht regelmäßig nicht, wenn dem Aufhebungsvertrag eine unwirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist3. Gleiches gilt, wenn sich der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet hat oder das Arbeitsverhältnis nach §§ 9, 10 KSchG aufgelöst wird4. Mit Sonderzahlungen verbundene einzelvertragliche Bindungs- und Rückzahlungsklauseln dürfen den Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise in seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) behindern und unterliegen insoweit einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte gemäß § 307 BGB5. Hierzu hat das BAG folgende Grenzwerte entwickelt, bei deren Überschreitung anzunehmen ist, dass der Arbeitnehmer durch die vereinbarte Rückzahlung in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsausübung behindert wird: – Sofern die Gratifikation 100 Euro oder weniger beträgt (sog. Kleinstgratifikation), ist ein Rückzahlungsvorbehalt generell unzulässig6. – Bei Gratifikationen von über 100 Euro bis zu einem Monatsverdienst ist eine Bindung bis zum 31.3. des Folgejahres möglich. Ist danach eine Bindungsfrist bis zum 31.3. des Folgejahres zulässig, muss die Rückzahlungsklausel das Ausscheiden am 31.3. des Folgejahres ermöglichen. Anderenfalls ist sie unzulässig. Dies bedeutet, dass die Rückzahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe einer halben Monatsvergütung nicht verlangt werden kann, wenn der Arbeitnehmer zum 31.3. des Folgejahres kündigt7. – Beträgt die Gratifikation mehr als einen Brutto-Monatsverdienst, ist eine Bindung in der Regel bis zum 30.6. des Folgejahres möglich8. Wird als Weihnachtsgratifikation ein Betrag in Höhe von zwei Brutto-Monatsverdiensten gezahlt, ist eine Rückzahlungsklausel zulässig, nach der bei Ausscheiden bis zum 31.3. des Folgejahres 1,5 Monatsverdienste, zum 30.6. des Folgejahres ein Monatsverdienst und bei Ausscheiden bis zum 30.9. des Folgejahres ein halber Monatsverdienst zurückzuzahlen sind9. 1 LAG Berlin vom 10.11.1967 – 3 Sa 90/67, DB 1968, 853. 2 LAG Hamm vom 4.5.1977 – 2 Sa 132/77, DB 1977, 1660. 3 LAG Düsseldorf vom 5.12.1974 – 14 Sa 1106/74, BB 1975, 562; ebenso Bauer, IV Rz. 236; Bengelsdorf, S. 130. 4 Bauer, IV Rz. 236; Bengelsdorf, S. 130. 5 BAG vom 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875. 6 BAG vom 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032 (1033); BAG vom 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875. 7 BAG vom 9.6.1993 – 10 AZR 529/92, NZA 1993, 935; BAG vom 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032 (1033); BAG vom 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875; LAG Düsseldorf vom 25.3.1997 – 16 Sa 1724/96, BB 1997, 1693. 8 S. dazu auch LAG Köln vom 14.5.1993 – 14 Sa 119/93, LAGE § 611 BGB Gratifikation Nr. 19 (Zulässigkeit einer Bindung bis zum 31.12., wenn im Mai eine Jubiläumszuwendung in Höhe von 1,5 Monatsgehältern ausgezahlt wird). 9 BAG vom 13.11.1969 – 5 AZR 232/69, DB 1970, 325.
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Teil 2 Rz. 91
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
91 Die zulässige Bindungsdauer richtet sich nach der Höhe und dem Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit der Leistung1. Dies gilt auch dann, wenn eine als einheitlich bezeichnete Leistung in zwei Teilbeträgen zu unterschiedlichen Zeitpunkten fällig wird2. Sieht beispielsweise der Arbeitsvertrag vor, dass der Arbeitnehmer eine Gratifikation in Höhe eines Monatsgehalts erhält, die jeweils zur Hälfte am 30.6. und 30.11. eines jeden Jahres zusammen mit dem dann fälligen Monatsgehalt ausgezahlt wird, ist eine Rückzahlungsklausel unwirksam, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die gesamte Gratifikation zurückzuzahlen, wenn er bis zum 31.3. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres ausscheidet3. 92 Eine arbeitsvertragliche Rückzahlungsklausel hinsichtlich des Weihnachtsgeldes ist unwirksam, wenn sie weder Voraussetzungen für die Rückzahlungspflicht noch einen eindeutig bestimmten Zeitraum für die Bindung des Arbeitnehmers festlegt. Sind keine entsprechenden Anhaltspunke gegeben, kommt die ergänzende Auslegung einer solchen allgemeinen Rückzahlungsklausel dahin, dass die Rückforderung im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grenzen erfolgen könne, nicht in Betracht4. 93 Werden zu lange Bindungsfristen vereinbart, sind die Rückzahlungsvereinbarungen unwirksam. Da nach neuester Rechtsprechung des BAG die Rückzahlungsregelungen einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB unterliegen5, kommt eine sog. geltungserhaltende Reduktion in der Weise, dass sie mit den zulässigen Fristen aufrechtzuerhalten sind, im Hinblick auf § 306 Abs. 2 BGB nicht in Betracht, so dass sie nicht zu einem (teilweisen) Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers führen. 94 Handelt es sich dagegen um zulässige Bindungsfristen und werden diese vom Arbeitnehmer nicht eingehalten, muss er die Gratifikation in voller Höhe zurückzahlen. Ein Sockelbetrag in Höhe von 100 Euro steht ihm nicht zu6. 95 Auf einen tariflichen Rückzahlungsvorbehalt, der wegen der in § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB angeordneten Gleichstellung von Tarifverträgen mit Rechtsvorschriften i.S. von § 307 Abs. 3 BGB keiner Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB unterliegt, so dass dieser auch längere Bindungsfristen vorsehen kann, kann der Arbeitgeber einen Anspruch auf Rückzahlung einer Zuwendung nur dann stützen, wenn der entsprechende Tarifvertrag – sofern er nicht bereits aufgrund beiderseitiger Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeit auf das 1 BAG vom 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032; BAG vom 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875. 2 BAG vom 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032. 3 Die Zahlung eines halben Monatsgehalts im November kann den Arbeitnehmer in diesem Fall nur bis zum 31.3. des Folgejahres binden, so dass er auch dieses halbe Monatsgehalt nicht zurückzahlen muss, wenn er mit Ablauf des 31.3. des Folgejahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, vgl. BAG vom 21.5.2003 – 10 AZR 390/02, NZA 2003, 1032 (1033 f.). 4 BAG vom 14.6.1995 – 10 AZR 25/94, NZA 1995, 1034. 5 Vgl. BAG vom 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875. 6 Vgl. BAG vom 11.6.1964 – 5 AZR 472/63, DB 1964, 1267; Bengelsdorf, S. 131.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 99 Teil 2
Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden sollte – insgesamt und auf Dauer arbeitsvertraglich in Bezug genommen worden ist1. (3) 13. Monatsgehalt Bei dem 13. oder 14. Monatsgehalt handelt es sich regelmäßig um eine echte Vergütung zur unmittelbaren Abgeltung der vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistung2. Es ist damit ein Teil der Gesamtvergütung und hat somit keinen Gratifikationscharakter. Der Arbeitnehmer, der vor dem Auszahlungstermin während des Kalenderjahres ausscheidet, hat grundsätzlich einen zeitanteiligen Anspruch von je 1/12 des 13. oder 14. Monatsgehalts für jeden vollen Monat3. Gleiches gilt für die Zusage einer „Jahresleistung“, die an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft ist4.
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Ob es sich bei einer arbeitsvertraglich vereinbarten „Sonderzahlung“ um eine Gratifikation oder um ein 13. Monatsgehalt handelt, richtet sich nach der Zweckbestimmung der Sonderzahlung, die sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen ergibt, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Die Bezeichnung ist nicht maßgeblich5.
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Ergibt die Auslegung einer kollektiven oder einzelvertraglichen Regelung über die Zahlung eines 13. Monatsgehalts, dass diese einen Teil der im Austauschverhältnis zur Arbeitsleistung stehenden Vergütung darstellt, hat der Arbeitnehmer keinen anteiligen Anspruch auf dieses 13. Monatsgehalt für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis etwa wegen Eltern- und Pflegezeit oder aus sonstigen Gründen ruht6. Ebenso wenig entsteht ein anteiliger Anspruch auf das 13. Monatsgehalt für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähikeit infolge Krankheit keinen Entgeltfortzahlungsanspruch hat, ohne dass es hierfür einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Kürzungsvereinbarung bedarf7.
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Bei der Angabe eines Datums für die Zahlung eines 13. Monatsgehalts ist wie folgt zu unterscheiden: Soweit geregelt ist, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zu diesem Zeitpunkt (ungekündigt) bestehen muss, handelt es sich um eine sog. Stichtagsklausel (zur Wirksamkeit von Stichtagsklauseln s.u. Rz. 106). Heißt es dagegen, dass dem Arbeitnehmer das 13. Monatsgehalt zu diesem Datum gezahlt wird, liegt lediglich eine sog. Fälligkeitsvereinbarung
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1 BAG vom 25.4.2007 – 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875. 2 Bauer, IV Rz. 239; Bengelsdorf, S. 131. 3 BAG vom 8.11.1978 – 5 AZR 358/77, DB 1979, 505; BAG vom 13.6.1991 – 6 AZR 421/89, EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 86; Bauer, IV Rz. 231. 4 BAG vom 8.11.1978 – 5 AZR 358/77, DB 1979, 505; Bengelsdorf, S. 131. 5 So ausdrücklich BAG vom 13.6.1991 – 6 AZR 421/89, EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 86. Ähnlich BAG vom 24.3.1993 – 10 AZR 160/92, NZA 1993, 1043. 6 Bauer, IV Rz. 241. 7 Vgl. BAG vom 21.3.2001 – 10 AZR 28/00, NZA 2001, 785.
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Teil 2 Rz. 100
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
vor, die grundsätzlich nicht voraussetzt, dass das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch (ungekündigt) besteht1. (4) Jahresabschlussvergütung 100
Wird an alle Arbeitnehmer oder an bestimmte Arbeitnehmergruppen des Betriebes unabhängig von der individuell erbrachten Arbeitsleistung eine Jahresabschlussvergütung gezahlt, liegt eine Leistung mit Gratifikationscharakter vor. Hierbei handelt es sich entweder um einen Pauschalbetrag, der nach dem Bruttoarbeitsverdienst bemessen ist, oder um einen Betrag, der sich aus einer Kombination von Gewinnfaktoren und Faktoren wie der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters usw. zusammensetzt. Nach der Rechtsprechung des BAG sind für Jahresabschlussvergütungen in der Form einmaliger Sonderzahlungen die für die Gratifikation geltenden Grundsätze (s.o. Rz. 71 ff.) anzuwenden2. (5) Treueprämie und Jubiläumszahlung
101
Treueprämien und Jubiläumszahlungen3 stellen ebenfalls Gratifikationen dar, sofern sie mit Rückzahlungsvorbehalten im Falle des vorzeitigen Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis versehen werden4. Die Treue- und Bindungswirkung kann durch diese auch dadurch erreicht werden, dass sie nach geleisteter Arbeitszeit berechnet, allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgezahlt werden und sie vollständig oder teilweise entfallen, wenn der Arbeitnehmer vorzeitig ausscheidet, wobei der Auszahlungstermin im nahen zeitlichen Zusammenhang mit dem Bezugszeitraum stehen muss5. (6) Anwesenheitsprämie
102
Weiterhin sollte im Aufhebungsvertrag festgelegt werden, ob und in welcher Höhe dem Arbeitnehmer eine Anwesenheitsprämie zusteht. Mit der Anwesenheitsprämie gewährt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Sondervergütung für den Fall, dass dieser während eines bestimmten Zeitraumes tatsächlich und ununterbrochen arbeitet. Nach neuerer Rechtsprechung des BAG6 kann einzelvertraglich oder kollektivrechtlich grundsätzlich wirksam 1 Vgl. Bauer, IV Rz. 240. 2 BAG vom 21.2.1974 – 5 AZR 302/73, BB 1974, 695. 3 Zum Entstehen eines Anspruchs des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung einer Jubiläumszahlung wegen betrieblicher Übung siehe BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 = DB 2008, 1808 = BB 2008, 1847. 4 Bauer, IV Rz. 244. 5 Vgl. BAG vom 12.10.1972 – 5 AZR 227/72, DB 1973, 285. S. dazu auch LAG Köln vom 14.5.1993 – 14 Sa 119/93, LAGE § 611 BGB Gratifikation Nr. 19, wonach bei einer im Mai ausgezahlten Prämie für 10-jährige Betriebstreue in Höhe von 1 ½ Monatsgehältern eine Bindung an künftige Betriebstreue (höchstens) bis zum Ende des Auszahlungsjahres zulässig sei. 6 Vgl. BAG vom 15.2.1990 – 6 AZR 381/88, NZA 1990, 601; BAG vom 26.10.1994 – 10 AZR 482/93, NZA 1995, 266.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 105 Teil 2
vereinbart werden, dass sich eine freiwillig gezahlte Anwesenheitsprämie durch Krankheits- oder sonstige Fehlzeiten mindert. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass nach § 4a Satz 2 EFZG die Kürzung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten darf. (7) Bonus In Arbeitsverträgen ist – insbesondere bei Führungskräften – nicht selten eine Aufspaltung der Arbeitsvergütung in ein Grundgehalt und einen (variablen) Bonus anzutreffen. Der Bonus soll dem Mitarbeiter regelmäßig dann gezahlt werden, wenn bestimmte Gewinne, Umsätze oder persönliche Ziele erreicht werden. Vertragstechnisch wird dies regelmäßig in der Weise umgesetzt, dass im Arbeitsvertrag nur eine Rahmenregelung enthalten ist und die Festlegung der für den jeweiligen Zeitraum zu erreichenden Ziele einer gesonderten Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien vorbehalten bleibt. Über die sich daraus ergebenden rechtlichen Probleme hatte das BAG in zwei – bei Aufhebungsvertragsverhandlungen überaus beachtenswerten – Grundsatzentscheidungen im Jahre 2007 zu befinden.
103
Der ersten Entscheidung vom 24.10.20071 lag eine arbeitgeberseitig vorformulierte Vereinbarung zugrunde, wonach der Mitarbeiter, dessen Bruttojahresverdienst 49 200 Euro betrug, einen „gewinn- und leistungsabhängigen Bonus“ erhalten sollte, der im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit 7700 Euro nicht unterschreite und im Frühjahr des Folgejahres zur Auszahlung komme. Danach sollte der Arbeitnehmer an dem üblichen Bonussystem des Arbeitgebers teilnehmen. Weiterhin heißt es im Arbeitsvertrag u.a.: „Die Zahlung des Bonus erfolgt in jedem Falle freiwillig und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft. Der Anspruch auf Zahlung eines Bonus entfällt, wenn Sie am 1. April des Auszahlungsjahres nicht mehr in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis mit unserem Hause stehen.“ Nachdem der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis am 29.6.2004 zum 30.9.2004 gekündigt hatte, begehrte er von der Beklagten für die Monate Januar bis September 2004 eine von dieser nicht geleistete Bonuszahlung.
104
Das BAG hat die arbeitgeberseitig vorformulierte Regelung im Arbeitsvertrag, wonach die Zahlung des Bonus in jedem Fall freiwillig erfolgt und keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet, wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam erachtet. Ein Verstoß gegen das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verankerte Transparenzgebot, Vertragsklauseln klar und verständlich zu formulieren, liege vor, wenn der Arbeitgeber in einem von ihm vorformulierten Arbeitsvertrag sich zu einer Bonuszahlung verpflichte und im Widerspruch dazu in einer Vertragsklausel einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Bonuszahlung ausschließe. In einem
105
1 BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 = DB 2008, 126 = BB 2008, 166. S. dazu auch Lingemann/Gotham, NZA 2008, 509 ff.; Albicker/Wiesenecker, BB 2008, 2631 ff.; Freihube, DB 2008, 124 ff.; Reinecke, BB 2008, 554 ff.
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Teil 2 Rz. 106
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
solchen Fall sei die Bonusregelung nicht insgesamt unwirksam, sondern nur insoweit, als der Arbeitnehmer durch den Ausschluss eines Rechtsanspruchs auf die Bonuszahlung benachteiligt werde1. 106
Weiterhin hat sich das BAG in dieser Entscheidung mit der Rechtswirksamkeit von Bindungsklauseln (Stichtags- und Rückzahlungsregelungen) wie folgt auseinander gesetzt: Eine Stichtagsregelung, die unabhängig von der Höhe der Bonuszahlung – wie hier – den Arbeitnehmer bis zum 30. September des Folgejahres binde, sei zu weit gefasst, benachteilige den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen i.S. von § 307 BGB und sei deshalb unwirksam2. Ausdrücklich „unentschieden“ gelassen hat das BAG, ob bei der Inhaltskontrolle von Bindungsklauseln zwischen Stichtagsund Rückzahlungsklauseln zu differenzieren sei, ob eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers vorliege, wenn Bindungsklauseln bei Sonderzahlungen nicht zwischen Kündigungen differenzierten, die in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers fielen, und ob bei Stichtagsregelungen, die mindestens 25 % der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers ausmachten, Stichtags- und Rückzahlungsklauseln zulässig seien3.
107
Mit Urteil vom 12.12.20074 hat das BAG erstmals die bis dahin überaus umstrittenen Folgen einer unterbliebenen Zielvereinbarung für eine Bonuszahlung wie folgt entschieden: Hat der Arbeitnehmer aufgrund einer Rahmenvereinbarung im Arbeitsvertrag Anspruch auf einen Bonus in bestimmter Höhe, wenn er die von den Arbeitsvertragsparteien für jedes Kalenderjahr gemeinsam festzulegenden Ziele erreicht, steht ihm wegen entgangener Bonuszahlung Schadensersatz zu, wenn aus vom Arbeitgeber zu vertretenen Gründen für das Kalenderjahr keine Zielvereinbarung getroffen wurde. Der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus bildet die Grundlage für die Schadensermittlung. Weist der Arbeitgeber nach, dass er seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung, für jede Zielperiode gemeinsam mit dem Arbeitnehmer Ziele festzulegen, nachgekommen ist und dem Arbeitnehmer Ziele vorgeschlagen hat, die dieser nach einer auf den Zeitpunkt des Angebots bezogenen Prognose hätte erreichen können, fehlt es an einer Verletzung der Verhandlungspflicht des Arbeitgebers und damit an einer Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers. Ein vom Arbeitnehmer nicht angenommenes Angebot des Arbeitgebers zur Fortführung einer abgelaufenen Zielvereinbarung kann geeignet sein, ein Verschulden des Arbeitgebers am Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung auszuschließen. Dies setzt allerdings
1 BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 = DB 2008, 126 = BB 2008, 166. 2 BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 = DB 2008, 126 = BB 2008, 166. 3 BAG vom 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 = DB 2008, 126 = BB 2008, 166. 4 BAG vom 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, NZA 2008, 409 = DB 2008, 473 = BB 2008, 617. Bestätigt durch BAG vom 10.12.2008 – 10 AZR 889/07, NZA 2009, 256 = DB 2009, 513 = BB 2009, 837. S. dazu auch Gaul/Rauf, DB 2008, 869 ff.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 108 Teil 2
voraus, dass sich die für den Abschluss der abgelaufenen Zielvereinbarung maßgebenden Umstände nicht wesentlich geändert haben und dem Arbeitnehmer das Erreichen der für den abgelaufenen Zeitraum gemeinsam festgelegten Ziele nach wie vor möglich ist. Macht der Arbeitgeber den Abschluss einer Zielvereinbarung davon abhängig, dass der Arbeitnehmer einer Änderung des Arbeitsvertrags zustimmt, und lehnt der Arbeitnehmer die ihm angetragene Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen ab, hat der Arbeitgeber das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung zu vertreten1. Trifft auch den Arbeitnehmer ein Mitverschulden am Zustandekommen der Zielvereinbarung, ist dieses Mitverschulden angemessen zu berücksichtigen. Ist allein aus dem Verschulden des Arbeitnehmers eine Zielvereinbarung nicht zu Stande gekommen, weil er z.B. zu einem Gespräch mit dem Arbeitgeber über mögliche Ziele nicht bereit war, verletzt er eine vertragliche Nebenpflicht und hat weder einen Anspruch auf den Bonus noch auf Schadensersatz wegen entgangener Bonuszahlung2. (8) Tantieme Die Tantieme ist eine Beteiligung am gesamten Geschäftsgewinn des Unternehmens oder eines Unternehmensteils. Hauptsächlich wird sie an Führungskräfte gezahlt. Berechnungsgrundlage der Tantieme ist – bei Fehlen einer abweichenden Vereinbarung – der jährliche Reingewinn3. Die Höhe der Beteiligung richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, so ist die für gleichartige Fälle übliche oder angemessene Vergütung zu zahlen (§ 612 Abs. 2 BGB). Ihre Bestimmung kann aber auch der Entscheidung der Geschäftsleitung nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) vorbehalten bleiben4. Der Anspruch auf die Tantieme wird fällig, sobald die Bilanz festgestellt ist oder bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang hätte festgestellt sein können5. Endet das Arbeitsverhältnis im Laufe des Geschäftsjahres, ist keine Zwischenbilanz zu erstellen, sofern nichts anderes vereinbart wurde. Maßgebend bleibt die Jahresbilanz. Der Anspruch mindert sich auf den dem Zeitraum der Beschäftigung entsprechenden Gewinnanteil. Gewinne und Verluste, die erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetreten sind, können berücksichtigt werden. Auch die anteilige Forderung wird erst nach der Feststellung des Jahresabschlusses fällig6. Wurde die Zahlung einer Tantieme im Arbeitsvertrag vereinbart, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Auskunft über das Bestehen und den Umfang der Tantieme7.
1 BAG vom 10.12.2008 – 10 AZR 889/07, NZA 2009, 256 = DB 2009, 513 = BB 2009, 837. 2 BAG vom 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, NZA 2008, 409 = DB 2008, 473 = BB 2008, 617. 3 Bengelsdorf, S. 128. 4 Bauer, IV Rz. 248. 5 Vgl. LAG Baden-Württemberg vom 31.3.1969 – 4 Sa 4/69, DB 1969, 1023; LAG Berlin vom 7.10.1975 – 4 Sa 62/75, DB 1976, 636; Bauer, IV Rz. 249. 6 Bauer, IV Rz. 249; Bengelsdorf, S. 128 f. 7 Bauer, IV Rz. 251.
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Teil 2 Rz. 109
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
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Sieht eine einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Regelung vor, dass eine Gewinnbeteiligung bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers vor Feststellung der Bilanz entfällt, besteht in dem Fall kein Anspruch auf Tantiemezahlung. Denn im Hinblick auf die Rechtsprechung des BAG1 muss davon ausgegangen werden, dass solche Klauseln wirksam vereinbart werden können2.
110
Zur Vermeidung von Folgestreitigkeiten über die Höhe einer vom Arbeitgeber zu zahlenden Tantieme empfiehlt es sich, im Aufhebungsvertrag folgende Regelung aufzunehmen:
Formulierungsbeispiel Da zurzeit nicht abzusehen ist, in welcher Höhe dem Mitarbeiter eine Tantieme für das Geschäftsjahr 2008/2009 zusteht, wird die Tantieme hiermit in Höhe der für das vergangene Geschäftsjahr gezahlten Tantieme in Höhe von . . . Euro pauschaliert. Die Tantieme wird mit der letzten Gehaltsabrechnung ausgezahlt.
111
Wird eine Tantieme vom Umsatz gezahlt (Umsatztantieme), hat diese nach der Rechtsprechung des BAG3 Provisionscharakter. Es liegt keine zusätzliche Leistung, sondern erdientes Arbeitsentgelt vor. (9) Provision
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Bei Provisionen handelt es sich um eine Vergütungsform, die insbesondere an im Außendienst beschäftigte Mitarbeiter für die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften geleistet wird. Sofern diese nicht allein für die Vermittlung, sondern für den Abschluss und die Ausführung des Geschäfts zwischen dem Arbeitgeber und dessen Vertragspartner gezahlt wird, handelt es sich um erfolgsabhängige Vergütung4.
113
Mit Provision vergütete Arbeitnehmer haben grundsätzlich noch Anspruch auf Provision für die Geschäfte, die von ihnen vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen oder vermittelt worden sind, sofern ein solcher Anspruch nicht vertraglich ausgeschlossen oder abweichend geregelt ist. Außerdem hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf Provision für Geschäfte, die innerhalb angemessener Frist nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustande kommen, wenn er das betreffende Geschäft vermittelt oder es so eingeleitet und vorbereitet hat, dass der Abschluss des Geschäftes überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist (§ 87 Abs. 3 HGB).
1 Vgl. BAG vom 4.9.1985 – 5 AZR 655/84, NZA 1986, 225; BAG vom 25.4.1991 – 6 AZR 532/89, NZA 1991, 763. 2 So zu Recht Bauer, IV Rz. 250; a.A. Bengelsdorf, S. 129. 3 BAG vom 12.1.1973 – 3 AZR 211/72, DB 1973, 1177. 4 Bauer, IV Rz. 262, dort auch zu den jeweiligen Provisionsformen.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 117 Teil 2
Eine vom Arbeitgeber für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung (§ 305 Abs. 1 BGB), wonach dem Mitarbeiter bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur die Hälfte der bereits erarbeiteten, aber erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fälligen Provision (sog. Überhangprovision) zustehen soll, benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam1.
114
(10) Aktienoptionen Gewährt der Arbeitgeber seinen Führungskräften Aktienoptionen, unterliegen die Ausübungsbedingungen einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Bei dieser Inhaltskontrolle können die zu anderen Sondervergütungen entwickelten Grundsätze in Bezug auf Bindungs- und Verfallklauseln (s.o. Rz. 90 ff., 264) nicht uneingeschränkt herangezogen werden. Wird das Bezugsrecht auch nach Ablauf der in § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG vorgeschriebenen Wartezeit von mindestens zwei Jahren an das Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses geknüpft, benachteiligt diese Regelung den Arbeitnehmer nicht unangemessen2.
115
ee) Darlehen und Kredite
Û
Hinweis: Hat der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber Darlehen oder Kredite 116 erhalten und diese bislang nicht oder nicht vollständig zurückgezahlt, sollten die noch zu zahlenden Beträge sowie die Modalitäten der Rückzahlung bei einer einvernehmlichen Beendigung unbedingt im Aufhebungsvertrag festgehalten werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers von einer sog. Ausgleichsklausel (s.u. Rz. 369 ff.) erfasst werden.
Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass nach der Rechtsprechung3 Darlehen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht automatisch sofort und in voller Höhe zur Rückzahlung fällig werden. Außerdem wird die in einem Darlehensvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgesehene jederzeitige Kündigungsmöglichkeit teilweise für unwirksam gehalten, weil sie im Hinblick auf eine gleichzeitig langfristige Tilgungsvereinbarung eine unangemessene Benachteiligung des Darlehensnehmers i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstelle4. Daher muss davon ausgegangen werden, dass auch einzelvertragli1 BAG vom 20.2.2008 – 10 AZR 125/07, NZA 2008, 1124, wo ausdrücklich „unentschieden“ gelassen wurde, ob daran festzuhalten sei, dass der Anspruch des Handlungsgehilfen nach den §§ 65, 87 Abs. 1 Satz 1 HGB auf bereits erarbeitete, aber erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällige Provision (Überhangprovision) von den Arbeitsvertragsparteien abgedungen werden könne, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliege (vgl. BAG vom 20.8.1996 – 9 AZR 471/95, NZA 1996, 1151). 2 BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066. 3 BAG vom 23.9.1992 – 5 AZR 569/91, NZA 1993, 996; LAG Baden-Württemberg vom 15.7.1969 – 7 Sa 20/69, DB 1969, 1850. 4 LAG Hamm vom 19.2.1993 – 10 Sa 1397/92, DB 1994, 1243 = LAGE § 9 AGBG Nr. 2 zum damaligen § 9 AGBG.
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Teil 2 Rz. 118
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
che Vereinbarungen, denenzufolge Arbeitgeberdarlehen und -kredite im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit sofortiger Wirkung zur Rückzahlung fällig werden, einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. 118
Û
Hinweis: Umgekehrt ist in der betrieblichen Praxis seit einiger Zeit festzustellen, dass auch Arbeitnehmer ihren – von Finanzschwäche bedrohten – Arbeitgebern Darlehen und Kredite gewähren. Das „Schicksal“ und die etwaigen Rückzahlungsmodalitäten dieser Darlehen und Kredite sollten im Aufhebungsvertrag unbedingt geregelt werden, weil anderenfalls die Gefahr bestünde, dass diese ebenfalls von einer darin enthaltenen Ausgleichsklausel erfasst werden.
ff) Ausschlussfristen, Verjährung und Verwirkung 119
Um gewissermaßen eine geeignete „Verhandlungsmasse“ bei Aufhebungsvertragsverhandlungen darzustellen, dürfen wechselseitige Zahlungsforderungen der Arbeitsvertragsparteien nicht aufgrund von kollektiv- oder einzelvertraglichen Ausschlussfristen verfallen, nicht verjährt und auch nicht verwirkt sein.
120
Bei tariflichen Ausschlussfristen handelt es sich um Fristen, nach deren Ablauf die darin geregelten Forderungen nicht mehr geltend gemacht werden können. Sie finden auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, wenn entweder beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden sind, der jeweilige Tarifvertrag allgemeinverbindlich i.S. von § 5 TVG ist oder dessen Geltung einzelvertraglich vereinbart wurde.
121
Tarifliche Ausschlussfristen unterliegen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keiner Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB, wobei dies auch dann gilt, wenn sie in einem auf das Arbeitsverhältnis kraft vertraglicher Bezugnahme anwendbaren Tarifvertrag enthalten sind1.
122
Bedarf es nach der tariflichen Ausschlussfrist der schriftlichen Geltendmachung eines Anspruchs, kann dies auch in Form eines Telefaxschreibens geschehen2. Durch eine E-Mail dürfte das tarifliche Schriftformerfordernis für die Geltendmachung von Ansprüchen dagegen nicht gewahrt werden3. Zu beachten ist weiterhin, dass dem Gläubiger der Nachweis der rechtzeitigen Geltendmachung einer Forderung innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist obliegt. Dem Sendebericht mit einem sog. „OK-Vermerk“ kommt nicht der Wert eines Anscheinsbeweises zu, da es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, dass Telefaxsendungen den Empfänger vollständig und richtig erreichen4. Auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung tariflicher Ausschlussfristen findet § 174 Satz 1 BGB keine (entsprechende) Anwen1 BAG vom 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NZA 2006, 845. 2 BAG vom 11.10.2000 – 5 AZR 313/99, NZA 2001, 231. 3 Vgl. Peetz/Rose, DB 2006, 2346 ff.; a.A. ArbG Krefeld vom 31.10.2005 – 5 Ca 2199/05: Verlangt eine arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen die Schriftform, genügt eine e-Mail diesem Erfordernis. 4 BAG vom 14.8.2002 – 5 AZR 169/01, NZA 2003, 158.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 125 Teil 2
dung1. Die Geltendmachung des Anspruchs muss allerdings durch einen bevollmächtigten Vertreter erfolgen. Entsprechend § 180 Satz 1 BGB ist ein Handeln eines Vertreters ohne Vertretungsmacht unzulässig. Eine Genehmigung nach § 180 Satz 2 BGB kommt nicht in Betracht, weil dies der mit den Ausschlussfristen bezweckten Rechtssicherheit entgegenstünde. Im Zweifel hat der Gläubiger die Bevollmächtigung des Vertreters zur Zeit der Geltendmachung des Anspruchs darzulegen und ggf. zu beweisen2. Soweit sich tarifliche Ausschlussfristen ganz generell auf „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ beziehen (s. etwa § 22 Abs. 1 Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 1.4.2004, § 15 Nr. 1 Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik Deutschland vom 20.8.2005), erfassen sie auch Ansprüche auf Sozialplanabfindungen3 sowie monatlich fällig werdende Ansprüche auf Karenzentschädigung4, u.U. auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung5.
123
Fordert eine tarifliche Verfallklausel „nur“ die Geltendmachung von Ansprüchen, wird nach ständiger Rechtsprechung des BAG6 mit der Kündigungsschutzklage der Verfall von Vergütungsansprüchen verhindert, die von dem Ausgang des Kündigungsschutzrechtsstreits abhängen, ohne dass dabei zwischen Klauseln, die eine formlose Geltendmachung erfordern, und Klauseln, die eine schriftliche Zahlungsforderung vorsehen, zu unterscheiden ist. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass über den prozessualen Inhalt des Kündigungsschutzbegehrens hinaus das vom Arbeitnehmer verfolgte Gesamtziel der Klage zu berücksichtigen sei. Dieses beschränke sich regelmäßig nicht nur auf den Erhalt des Arbeitsplatzes, sondern sei zugleich auch auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet, die durch den Verlust der Arbeitsstelle möglicherweise verloren gingen. Mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage sei der Arbeitgeber ausreichend vom Willen des Arbeitnehmers unterrichtet, die durch die Kündigung bedrohten Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten 7.
124
Sieht dagegen eine sog. zweistufige tarifliche Ausschlussfrist auf der zweiten 125 Stufe vor, dass Ansprüche auch dann verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach Ablehnung oder Nichtäußerung gerichtlich geltend gemacht werden (s. etwa § 22 Abs. 2 Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 1.4.2004, § 15 Nr. 2 Mantel1 BAG vom 14.8.2002 – 5 AZR341/01, NZA 2002, 1344. 2 Vgl. BAG vom 14.8.2002 – 5 AZR341/01, NZA 2002, 1344. 3 BAG vom 30.11.1994 – 10 AZR 79/04, NZA 1995, 643; BAG vom 27.3.1996 – 10 AZR 668/95, NZA 1996, 986. 4 BAG vom 17.6.1997 – 9 AZR 801/95, NZA 1998, 258. 5 LAG Berlin vom 3.4.1995 – 9 Sa 140/04, NZA-RR 1996, 138. S. dazu aber auch BAG vom 1.6.1995 – 6 AZR 912/94, NZA 1996, 135. Zu einer solchen Mitteilung ist der Arbeitnehmer verpflichtet, wenn er bemerkt hat, dass er eine gegenüber sonst ungewöhnlich hohe Zahlung erhalten hat, deren Grund er nicht klären kann. 6 S. etwa BAG vom 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NZA 2006, 845. 7 BAG vom 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NZA 2006, 845.
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Teil 2 Rz. 126
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
tarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik Deutschland vom 20.8.2005), reicht die Kündigungsschutzklage zur Wahrung dieser weiteren Ausschlussfrist nicht aus. Vielmehr setzt die gerichtliche Verfolgung von Zahlungsansprüchen die Einreichung einer Klage voraus, deren Gegenstand diese Ansprüche sind, die allein von der Kündigungsschutzklage nicht erfasst werden1. Der vom Arbeitgeber vor der Antragstellung im Kündigungsschutzprozess schriftsätzlich angekündigte Klageabweisungsantrag stellt i.S. der zweiten Stufe einer zweistufigen tariflichen Ausschlussfrist eine „(schriftliche) Ablehnung“ der mit der Kündigungsschutzklage vom Arbeitnehmer geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche dar. Eine ausdrückliche schriftliche Ablehnungserklärung ist nicht erforderlich, wenn die Verfallklausel nur eine schriftliche Ablehnung verlangt2. 126
Anders als bei den gesetzlichen Verjährungsfristen, auf die sich der Schuldner im Rechtsstreit durch sog. Einrede ausdrücklich berufen muss, sind tarifliche Ausschlussfristen von den Gerichten gleichsam „von Amts wegen“ zu berücksichtigen, da die Einhaltung einer einschlägigen tariflichen Ausschlussfrist nach Auffassung des BAG3 zum schlüssigen Vortrag des Gläubigers gehört. Die Anwendung von tariflichen Ausschlussfristen kann jedoch, was ebenfalls „von Amts wegen“ zu berücksichtigen ist, im Einzelfall ausgeschlossen sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ihre Einhaltung zu Gunsten des Arbeitnehmers einvernehmlich, etwa aufgrund einer Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers, sich gegenüber Zahlungansprüchen des Arbeitnehmers, die vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängen, auf Ausschlussfristen bis zur Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens nicht zu berufen, abbedungen wird, was nach dem in § 4 Abs. 3 TVG gesetzlich verankerten Günstigkeitsprinzip jederzeit möglich ist. Der Anwendbarkeit der tariflichen Ausschlussfristen kann zudem § 242 BGB entgegenstehen, wenn der Schuldner den Gläubiger veranlasst hat, die fristwahrenden Schritte nicht vorzunehmen, etwa indem er ihm versichert, die Leistungsverpflichtung beim Bestehen der sonstigen Voraussetzungen auch ohne formelle Geltendmachung zu erfüllen4.
127
Gelegentlich enthalten auch Betriebsvereinbarungen Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, die gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ebenfalls keiner Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterliegen. Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die von den Arbeitnehmern bereits während des laufenden Kündigungsschutzprozesses die gerichtliche Geltendmachung von Annahmeverzugsansprüchen verlangt, die 1 Vgl. BAG vom 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NZA 2006, 845. 2 BAG vom 26.4.2006 – 5 AZR 403/05, NZA 2006, 845 im Anschluss an BAG vom 20.3.1986 – 2 AZR 295/85, EzA BGB § 615 Nr. 48 und unter Ablehnung der gegenteiligen Auffassung von BAG vom 11.12.2001 – 9 AZR 510/00, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 145. 3 BAG vom 25.1.2006 – 4 AZR 622/04, NZA 2007, 472; BAG vom 22.1.2008 – 9 AZR 416/07, NZA-RR 2008, 525. 4 BAG vom 25.1.2006 – 4 AZR 622/04, NZA 2007, 472; BAG vom 22.1.2008 – 9 AZR 416/07, NZA-RR 2008, 525.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 132 Teil 2
vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängen, soll allerdings nach einer Entscheidung des BAG vom 12.12.20061 die Arbeitnehmer unverhältnismäßig belasten und deshalb unwirksam sein. Ein- oder zweistufige Ausschlussfristen können daneben grundsätzlich in zulässiger Weise einzelvertraglich – auch in Formulararbeitsverträgen – vereinbart werden. Im Gegensatz zu tariflichen Ausschlussfristen unterliegen sie allerdings einer AGB-Kontrolle i.S. der §§ 305 ff. BGB, sofern sie vom Arbeitgeber vorformuliert verwendet werden und nicht zwischen den Parteien ausgehandelt worden sind2.
128
In einem umfangreichen Formulararbeitsvertrag inmitten der Schlussbestimmungen nach salvatorischen Klauseln und Schriftformklauseln geregelte Ausschlussfristen sind nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags so ungewöhnlich, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Solche Klauseln werden gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags3.
129
Eine Klausel, nach der Ansprüche binnen einer bestimmten Frist geltend zu machen sind, ohne dass eine Rechtsfolge an die Nichteinhaltung der Frist geknüpft ist, führt regelmäßig nicht zum Verfall von Ansprüchen4. Zudem benachteiligen vorformulierte Ausschlussfristen, nach denen nur der Arbeitnehmer binnen einer bestimmten Frist Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend zu machen hat, den Arbeitnehmer unangemessen und sind deshalb nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam5. Gleiches gilt für Klauseln, die für den Beginn der Ausschlussfrist nicht die Fälligkeit der Ansprüche berücksichtigen, sondern allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellen6.
130
Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Ausschlussfristen müssen sowohl auf der ersten als auch auf der zweiten Stufe jeweils mindestens drei Monate betragen7.
131
Enthält die einzelvertragliche Ausschlussklausel eine kürzere Frist, ist sie unwirksam und fällt bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen ersatzlos weg (§ 306 Abs. 1 und 2 BGB)8. Eine sog. geltungserhaltende Reduktion, etwa durch „Verlängerung“ einer zu kurz bemessenen Ausschlussfrist auf
132
1 BAG vom 12.12.2006 – 1 AZR 96/06, NZA 2007, 453. 2 Vgl. BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111; BAG vom 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699. 3 BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324. 4 BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324. 5 BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324. 6 BAG vom 1.3.2006 – 5 AZR 511/05, NZA 2006, 783. 7 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111; BAG vom 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, NZA 2006, 149; BAG vom 28.11.2007 – 5 AZR 992/06, NZA 2008, 293; BAG vom 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699; BAG vom 19.3.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757. 8 BAG vom 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, NZA 2006, 149; BAG vom 28.11.2007 – 5 AZR 992/06, NZA 2008, 293.
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Teil 2 Rz. 133
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
das zulässige Mindestmaß, ist auch bei „Altverträgen“, die vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2002 geschlossen wurden, nach Auffassung des BAG nicht möglich, da dies im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vorgesehen sei1. Allerdings nimmt das BAG bei zweistufigen Ausschlussfristen neuerdings einen „blue-pencil-test“ vor, d.h. die Teilbarkeit der Klausel sei mittels einer Streichung des unwirksamen Teils mit einem „blauen Stift“ zu ermitteln. Sei die verbleibende Regelung weiterhin verständlich, bleibe sie bestehen. Maßgeblich sei, ob sie mehrere sachliche Regelungen enthalte und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abtrennbar sei. Gegenstand der Inhaltskontrolle seien dann für sich jeweils verschiedene, nur formal verbundene AGB-Bestimmungen2. Danach führt die Unwirksamkeit der zweiten Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist wegen dort zu kurz bemessener Frist nicht zum Wegfall der ersten Stufe, sofern darin eine Mindestfrist von drei Monaten enthalten ist. Im umgekehrten Fall, in dem nur die zweite und nicht die erste Stufe eine zulässige Mindestfrist enthält, versagt dagegen der „blue-pencil-test“, weil bei einem ersatzlosen Wegfall der Klausel, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zunächst innerhalb einer bestimmten Frist außergerichtlich geltend zu machen sind, für die Ausschlussfrist der zweiten Stufe kein Raum mehr bleibt3. 133
Zu klären ist weiterhin, ob etwaigen Forderungen die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199 Abs. 1 BGB. Insbesondere durch die Erhebung einer Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjährung gehemmt. Allein die Kündigungsschutzklage bewirkt nicht die Unterbrechnung der Verjährung der sich aus § 615 BGB ergebenden Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers4. Solange zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, ist die Verjährung gemäß § 203 Satz 1 BGB gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Die Verjährung tritt dann frühestens drei Monate nach dem Eintritt der Hemmung ein, § 203 Satz 2 BGB. Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet (§ 209 BGB). Nach Wegfall der Hemmung läuft die Verjährungsfrist sofort weiter, nicht erst mit dem Ende des Kalenderjahres. Sie verlängert sich um den Zeitraum der Hemmung5.
1 Vgl. BAG vom 28.11.2007 – 5 AZR 992/06, NZA 2008, 293. 2 BAG vom 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, NZA 2008, 699. Ähnlich BAG vom 25.9.2008 – 8 AZR 717/07, DB 2009, 569 (572) – ganz generell zur Teilung von Vertragsklauseln. 3 Vgl. BAG vom 28.11.2007 – 5 AZR 992/06, NZA 2008, 293. 4 BAG vom 7.11.1991 – 2 AZR 159/91, NZA 1992, 1025. 5 ErfK/Preis, 230 BGB §§ 194 bis 218 Rz. 16.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 136 Teil 2
Ausnahmsweise können wechselseitige Zahlungsforderungen auch nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt sein. Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung, die ihre Rechtsgrundlage in dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hat. Ein Anspruch ist verwirkt, wenn ihn der Berechtigte längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage war (sog. Zeitmoment), sich infolge dieses Zeitablaufs für den Schuldner ein Vertrauenstatbestand gebildet hat, mit der Geltendmachung des Anspruchs nicht mehr rechnen zu müssen, und dem Schuldner deshalb eine Einlassung auf die Geltendmachung des Anspruchs nicht mehr zugemutet werden kann (sog. Umstandsmoment)1. Diese Voraussetzungen dürften indes nur in den seltensten Fällen gegeben sein, zumal ein bloßes Abwarten des Gläubigers für sich allein nicht geeignet ist, die Annahme einer Verwirkung zu rechtfertigen2.
134
Ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers geregelt, dass von der Gegenseite abgelehnte Ansprüche binnen einer Frist von mindestens drei Monaten einzuklagen sind, um deren Verfall zu verhindern, genügt – anders als bei zweistufigen tariflichen Ansschlussfristen (s.o. Rz. 125) – die Erhebung der Kündigungsschutzklage, um das Erlöschen der vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhängigen Annahmeverzugsansprüche des Arbeitnehmers zu verhindern3.
135
b) Abfindung aa) Allgemeine Grundsätze Zur Vermeidung oder Erledigung eines Kündigungsrechtsstreits vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsverträgen häufig die – freiwillige – Zahlung einer Abfindung als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes bzw. des sozialen Besitzstandes. Die gebräuchliche Abfindungsvereinbarung lautet in Aufhebungsverträgen wie folgt:
Formulierungsbeispiel Die Firma . . . verpflichtet sich, an Herrn/Frau . . . für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstandes eine Abfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG in Höhe von . . . Euro brutto zu zahlen.
1 Ständige Rechtsprechung des BAG, s. etwa BAG vom 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324; BAG vom 29.1.2008 – 3 AZR 42/06, NZA-RR 2008, 459 (474) jeweils m. w. Nachw. 2 Vgl. BAG vom 29.1.2008 – 3 AZR 42/06, NZA-RR 2008, 459 (474). S. dazu auch Matthiesen, NZA 2008, 1165 ff. 3 BAG vom 19.3.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757.
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Teil 2 Rz. 137 137
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
Die Höhe der Abfindung kann zwar zwischen den Parteien frei vereinbart werden. Die Vorschriften der §§ 9, 10 KSchG finden insoweit keine unmittelbare Anwendung. Im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen haben jedoch gerichtliche Vergleichsvorschläge sehr häufig maßgebenden Einfluss auf die Abfindungsverhandlungen und -vereinbarungen. Größtenteils gehen die Arbeitsgerichte dabei von folgender Berechnung aus: Anzahl der Beschäftigungsjahre × 0,5 Bruttomonatsverdienste. War z.B. ein Arbeitnehmer acht Jahre im Betrieb des Arbeitsgebers zu einem monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 3000 Euro beschäftigt, so errechnet sich eine Abfindung in Höhe von 12 000 Euro (8 × 3000 Euro: 2). Hierbei handelt es sich indes nur um eine Regelberechnung, die zugrundegelegt wird, wenn das Prozessrisiko in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf beide Seiten gleichmäßig verteilt ist. Bestehen dagegen Zweifel an der Wirksamkeit einer Kündigung, führt dies u.U. zu einer ganz erheblichen Erhöhung des „Regelsatzes“. Umgekehrt wird sich die Höhe eines gerichtlichen Abfindungsvorschlags gegenüber der Regelberechnung reduzieren, wenn die Kündigung aller Voraussicht nach einer gerichtlichen Überprüfung standhält.
138
Als Abrede über die Hauptleistungspflichten eines Aufhebungsvertrags unterliegt die Regelung über eine ggf. zu zahlende Abfindung und deren Höhe keiner AGB-Kontrolle (s.o. Rz. 5).
139
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Abfindung geht nach § 143 SGB III, § 115 Abs. 1 SGB X in Höhe des im Ruhenszeitraum bezogenen Arbeitslosengeldes auf die Bundesagentur für Arbeit über. Wollen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Innenverhältnis hiervon abweichen, muss dies ausdrücklich vereinbart werden. Eine allgemeine Ausgleichsklausel in einem Vergleich, den die Parteien im Kündigungsschutzprozess geschlossen haben, reicht dazu nicht aus1.
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Der Abfindungsanspruch kann vom Arbeitnehmer abgetreten werden, sofern im Aufhebungsvertrag hierüber keine anderweitige Vereinbarung getroffen worden ist2. Zulässig ist auch eine Vorausabtretung. Die Vorausabtretung von Arbeitsvergütungsansprüchen umfasst jedoch nicht den Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers3.
141
Abfindungen sind als „Arbeitseinkommen“ i.S. von § 850 ZPO anzusehen und können daher nach Maßgabe der §§ 850a bis 850k ZPO gepfändet werden4, wobei nicht die Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO gelten. Pfändungsschutz kann der Arbeitnehmer lediglich auf Antrag nach § 850i ZPO erlangen, 1 BAG vom 9.10.1996 – 5 AZR 246/95, NZA 1997, 376. 2 Vgl. LAG Düsseldorf vom 29.6.2006 – 11 Sa 291/06, DB 2006, 2691 = LAGE § 767 ZPO 2002 Nr. 2; ArbG Karlsruhe vom 10.4.2002 – 9 Ca 679/01, NZA-RR 2003, 212. 3 LAG Düsseldorf vom 29.6.2006 – 11 Sa 291/06, DB 2006, 2691 = LAGE § 767 ZPO 2002 Nr. 2. 4 Vgl. BAG vom 13.11.1991 – 4 AZR 20/91, NZA 1992, 384; BAG vom 20.8.1996 – 9 AZR 964/94, NZA 1997, 563.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 146 Teil 2
da es sich bei Abfindungen um „nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen i.S. dieser Vorschrift handelt1. Ohne einen solchen Pfändungsschutzantrag und/oder eine entsprechende Entscheidung des Vollstreckungsgerichts ist die Abfindung in vollem Umfang pfändbar2. Den Arbeitgeber trifft grundsätzlich keine Fürsorgepflicht, den Arbeitnehmer über die Möglichkeit eines Vollstreckungsschutzantrags nach § 850i ZPO zu belehren. Insoweit ist allein das Rechtsverhältnis des Arbeitnehmers zu dessen Gläubigern betroffen, für das der Arbeitgeber keine Schutzpflichten hat3. Tarifliche oder einzelvertragliche Ausschlussfristen finden – anders als bei Sozialplanabfindungen (s.o. Rz. 123) – grundsätzlich keine Anwendung auf Abfindungen, die in außergerichtlichen Aufhebungsverträgen oder gerichtlichen Vergleichen vereinbart werden4.
142
Abfindungsansprüche, die in einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag vereinbart werden, verjähren nach der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB innerhalb von drei Jahren5. Wird dagegen in einem vollstreckbaren Prozessvergleich i.S. von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Zahlung einer Abfindung vereinbart, verjährt diese gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst nach 30 Jahren.
143
Im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers ist der Abfindungsanspruch, der auf einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber bzw. Insolvenzschuldner und dem Arbeitnehmer beruht, grundsätzlich nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO und nicht Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, auch wenn er erst nach Insolvenzeröffnung entsteht6.
144
Nach Auffassung des BAG konnte der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer in einem Aufhebungsvertrag auch rechtswirksam vereinbaren, dass er gegen ihn einen Anspruch auf Rückforderung einer im Aufhebungsvertrag zugesagten Abfindung oder anderen Leistung (z.B. Überbrückungszahlung) hat, soweit er Erstattungsleistungen nach § 147a SGB III an das Arbeitsamt erbringt (sog. 128er-Vereinbarung, benannt nach dem früheren § 128 AFG). Eine solche Vereinbarung wurde vom BAG nicht als nichtig nach § 32 SGB I erachtet7. Da die Regelung des § 147a SGB III gemäß § 434l Abs. 4 SGB III für Ansprüche, die seit dem 1.2.2006 entstanden sind, keine Anwendung mehr findet, sind solche Vereinbarungen nunmehr praktisch bedeutungslos.
145
bb) Steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Abfindungen Siehe hierzu unten Teil 6 Rz. 63 ff. und Teil 7. 1 2 3 4 5 6 7
146
BAG vom 12.9.1979 – 4 AZR 420/77, DB 1980, 358. Bauer, IV Rz. 352. BAG vom 13.11.1991 – 4 AZR 20/91, NZA 1992, 384. Vgl. Bauer, IV Rz. 354–359 m. w. Nachw. Vgl. BAG vom 30.10.2001 – 1 AZR 65/01, NZA 2002, 449. BAG vom 27.9.2007 – 6 AZR 975/06, DB 2008, 764. Vgl. BAG vom 25.1.2000 – 9 AZR 144/99, NZA 2000, 516. S. dazu auch BAG vom 28.10.1999 – 6 AZR 288/99, NZA 2000, 778.
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Teil 2 Rz. 147
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
cc) AGG-Entschädigung als Alternative zur Abfindung? 147
Da zum einen die in § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG geregelte sog. Diskriminierungsentschädigung im Gegensatz zu Abfindungen steuerfrei ist und zum anderen nach den geänderten Dienstanweisungen der Bundesagentur für Arbeit für die Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags i.S. von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III u.a. dann vorliegt, wenn eine Abfindung von mindestens 0,25 und höchstens 0,5 Monatsgehältern je Beschäftigungsjahr gezahlt wird, stellt es gewissermaßen eine lockende Versuchung dar, im Aufhebungsvertrag anstelle einer Abfindung oder neben einer Abfindung, deren Höhe sich im Rahmen von 0,25 und 0,5 Monatsgehältern je Beschäftigungsjahr bewegt, die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zu vereinbaren.
148
Hiervon ist jedoch zumindest dann strikt abzuraten, wenn keine Anhaltspunkte für eine Diskriminierung des Arbeitnehmers i.S. des AGG vorliegen, sondern eine Abfindung ganz oder teilweise als Entschädigung gleichsam „umetikettiert“ werden soll, weil sich in dem Fall sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber in mehrfacher Hinsicht – Steuerhinterziehung und Betrug! – strafbar machen würden1.
149
Keinen Bedenken begegnet demgegenüber die Vereinbarung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG im Aufhebungsvertrag, wenn eine Diskriminierung des Arbeitnehmers i.S. des AGG tatsächlich vorgelegen hat oder hierfür jedenfalls konkrete Anhaltspunkte bestehen. Dabei sind aber zur Vermeidung von Problemen im Hinblick auf die Reichweite des Bestehens einer Steuerpflicht die jeweiligen Beträge einer Abfindung und einer Entschädigung voneinander abgegrenzt im Aufhebungsvertrag aufzunehmen und nicht in einer Gesamtsumme zusammenzufassen2. dd) Fälligkeit der Abfindung
150
Der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers wird erst mit dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses fällig, sofern nicht die Parteien einen anderen Fälligkeitszeitpunkt ausdrücklich vereinbart haben3. Gleichwohl sollte im Aufhebungsvertrag klargestellt werden, dass die Abfindung erst am Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird. Bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages nach Ablauf der Kündigungsfrist ist die Abfindung ohne gegenteilige Fälligkeitsabrede sofort fällig.
151
Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem Aufhebungsvertrag, „für den Verlust des Arbeitsplatzes“ bzw. „für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses“
1 So zu Recht Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 ff.; Klein, ArbRB 2008, 18 ff. 2 Cornelius/Lipinski, BB 2007, 496 (498); Klein, ArbRB 2008, 18 (20). 3 LAG Köln vom 21.9.1983 – 9 Ta 148/83, DB 1984, 568; LAG Düsseldorf vom 23.5.1989 – 16 Sa 475/89, NZA 1989, 850; ArbG Passau vom 27.5.1997 – 3 Ca 651/97, BB 1997, 2114; Bauer, XII Rz. 7; Bengelsdorf, S. 94; a.A. LAG Hamm vom 16.5.1991 – 8 Ta 181/91, LAGE § 9 KSchG Nr. 21.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 152 Teil 2
zum Ende des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zu zahlen, entfällt nach der Rechtsprechung des BAG ein Anspruch auf Zahlung dieser Abfindung, wenn der Arbeitnehmer vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses verstirbt1. Nach Ansicht des BAG ist der Anspruch auf die Abfindung im Falle einer solchen Vereinbarung nicht bereits mit Abschluss des Aufhebungsvertrages entstanden. Vielmehr setzt er weiter voraus, dass das Arbeitsverhältnis zum vorgesehenen Beendigungstermin noch besteht. Endet das Arbeitsverhältnis früher, etwa durch Tod des Arbeitnehmers, entsteht der Anspruch nicht2. Dagegen soll ein in einem Prozessvergleich vereinbarter Abfindungsanspruch grundsätzlich auf die Erben übergehen, wenn der Arbeitnehmer vor dem im Abfindungsvergleich festgelegten Auflösungszeitpunkt verstirbt. Etwas anderes gelte nur, wenn die Parteivereinbarung ergebe, dass das Erleben des vereinbarten Beendigungszeitpunkts Vertragsinhalt geworden sei. Fehle eine derartige Vereinbarung, sei die im Vertrag verlautbarte Interessenlage der Parteien zu würdigen3. Keinen Einfluss hat der Tod des Arbeitnehmers vor dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses auf den Abfindungsanspruch, wenn im Aufhebungsvertrag die Vererblichkeit der Abfindung vereinbart wird4. Probleme können sich ergeben, wenn das Arbeitsverhältnis erst längere Zeit nach Abschluss des Aufhebungsvertrages enden soll und der Arbeitgeber während der Auslauffrist das Arbeitsverhältnis aus Gründen fristlos kündigt, die eine fristlose Kündigung i.S. von § 626 Abs. 2 BGB rechtfertigen, und die bei Abschluss des Aufhebungsvertrages noch nicht vorlagen oder noch nicht bekannt waren (Einzelheiten s.u. Teil 3 Rz. 87 ff.). Ein Rechtsstreit über die Frage, ob in dem Fall dennoch die im Aufhebungsvertrag vereinbarte Abfindung zu zahlen ist, wird regelmäßig durch Aufnahme folgender Klausel vermieden:
Formulierungsbeispiel Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung der Abfindung besteht nicht, wenn dem Arbeitgeber nach Abschluss dieser Vereinbarung bis zum Beendigungszeitpunkt ein Sachverhalt bekannt wird, der einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB darstellt.
1 BAG vom 26.8.1997 – 9 AZR 227/96, NZA 1998, 643; BAG vom 16.5.2000 – 9 AZR 277/99, NZA 2000, 1236. Ebenso bereits BAG vom 25.9.1996 – 10 AZR 311/96, NZA 1997, 163. Bestätigt durch BAG vom 27.6.2006 – 1 AZR 322/05, NZA 2006, 1238 (mit der leicht zynisch klingenden Erwägung, im Falle der Betriebsstilllegung sei „insbesondere“ zu berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer keine wirtschaftlichen Nachteile entstünden, wenn er vor der betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses versterbe). 2 BAG vom 26.8.1997 – 9 AZR 227/96, NZA 1998, 643; BAG vom 16.5.2000 – 9 AZR 277/99, NZA 2000, 1236. 3 BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 250/02, NZA 2004, 1352. 4 S. dazu im Einzelnen Reiter, BB 2006, 42 ff.
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Teil 2 Rz. 153
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
c) Outplacement und Coaching 153
Statt oder neben einer Abfindung kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Aufhebungsvertrag auch eine sog. Outplacementberatung zukommen lassen. Immer häufiger sind derartige Beratungen nicht mehr nur auf Führungskräfte beschränkt, sondern werden auch anderen Mitarbeitern einzeln oder in Gruppen angeboten oder sogar in Sozialplänen für alle ausscheidenden Arbeitnehmer geregelt1. Dadurch soll den betreffenden Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben werden, sich anderweitig erfolgreich zu bewerben. Auftraggeber der Outplacement-Beratung ist grundsätzlich der Arbeitgeber, der zu Gunsten der Arbeitnehmer die dadurch entstehenden – oftmals ganz erheblichen – Kosten trägt2.
154
Weiterhin kann im Aufhebungsvertrag auch ein sog. Coaching zu Gunsten des ausscheidenden Mitarbeiters vereinbart werden, worunter eine personenbezogene Beratung und Begleitung in der Arbeitswelt mittels begleitender Beobachtungen, Hinweisen und Kontrolle von zeitgerechten Aufgabenerledigungen („Supervision“) zu verstehen ist3.
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Coaching wird u.a. von Unternehmens- und Personalberatern angeboten. Mittlerweile wird es auch als interne Führungsaufgabe definiert und als Aufgabe von Personalabteilungen angesehen. In dem Fall ist der Coach Mitarbeiter des Arbeitgebers. Besondere praktische Bedeutung dürfte dem Coaching bei der einvernehmlichen Beendigung von Arbeitsverhältnissen – zumindest derzeit – nicht zukommen, da es häufig an der Akzeptanz der betreffenden Arbeitnehmer fehlen dürfte und die Gefahr besteht, dass ein betriebsangehöriger Coach in Loyalitätskonflikte geraten kann, da er auch die Interessen seines Unternehmens zu beachten hat4. d) Freistellung aa) Einvernehmliche Freistellung
156
Sieht der Aufhebungsvertrag vor, dass das Arbeitsverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt enden soll, so können Arbeitgeber und Arbeitnehmer darin vereinbaren, dass der Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Bezüge – widerruflich oder unwiderruflich – von der Arbeitspflicht freigestellt wird5.
Û
Hinweis: Will sich der Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeitnehmers zugleich von etwaigen Urlaubsansprüchen und Freizeitguthaben des Arbeitnehmers gewissermaßen „entledigen“, ist unbedingt darauf zu
1 S. etwa den Sachverhalt der Entscheidung des BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997. 2 Zu den sich daraus möglicherweise ergebenden steuerrechtlichen Problemen s. Kern/ Wege, NZA 2008, 554 ff. 3 Vgl. Bauer, IV Rz. 367. 4 So zu Recht Bauer, IV Rz. 367. 5 Zur etwaigen Statusänderung von leitenden Angestellten bei Freistellung s. Powietzka/Hager, DB 2006, 102 ff.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 158 Teil 2
achten, dass in dem Fall die Freistellung unwiderruflich erfolgen muss und im Aufhebungsvertrag eine ausdrückliche Vereinbarung über die Anrechung des Urlaubs und von Freizeitausgleichsansprüchen getroffen wird, etwa durch folgende Regelung:
Formulierungsbeispiel Bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am … wird der Mitarbeiter bei Fortzahlung seiner Bezüge unter Anrechnung etwaiger restlicher Urlaubsansprüche und unter Gewährung von Freizeitguthaben von seiner Arbeitspflicht unwiderruflich freigestellt.1
Mit der Vereinbarung einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung der Vergütung wird regelmäßig kein Rechtsgrund für eine Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers geschaffen, die über die gesetzlich geregelten Fälle der Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit hinausgeht2. Von einem Fortbestehen des Anspruchs auf Arbeitsvergütung, unabhängig von der Arbeitsfähigkeit und über sechs Wochen hinaus, ist daher auch bei dauernder unwiderruflicher Freistellung von der Arbeitspflicht nur dann auszugehen, wenn dies von den Parteien ausdrücklich vereinbart worden ist3. Die Arbeitsfähigkeit beurteilt sich nach der vom Arbeitnehmer auf Grund des Arbeitsvertrags geschuldeten Leistung, die der Arbeitgeber als vertragsgemäß hätte annehmen müssen. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen Krankheit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung einer vorhandenen Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert wird. Entscheidend ist die Arbeitsfähigkeit im Betrieb des Arbeitgebers4.
157
Weiterhin sollte im Aufhebungsvertrag stets geregelt werden, ob bei einer Freistellung anderweitig erzielter Verdienst auf die Bezüge anzurechnen ist. Fehlt es an einer ausdrücklichen Vereinbarung über die Anrechung anderweitig erzielten Verdienstes, so soll dieser nach neuerer Rechtsprechung des BAG nicht auf das vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt anzurechnen sein5.
158
1 Zu der – eher akademischen – Frage der Rechtsnatur einer solchen Freistellungsvereinbarung s. Bauer, IV Rz. 34 n. 2 BAG vom 29.9.2004 – 5 AZR 99/04, NZA 2005, 104; LAG Hessen vom 24.1.2007 – 6 Sa 1393/06, NZA-RR 2007, 401. 3 BAG vom 23.1.2008 – 5 AZR 393/07, NZA 2008, 595. 4 BAG vom 23.1.2008 – 5 AZR 393/07, NZA 2008, 595. 5 Vgl. BAG vom 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, NZA 2002, 1055 = BB 2002, 1703. Ebenso Nägele, BB 2003, 45 ff.; Klar, NZA 2004, 576 ff. Ähnlich LAG Köln vom 21.8.1991 – 7 (5) Sa 385/91, NZA 1992, 123 = LAGE § 615 BGB Nr. 30: Wird in einem Prozessvergleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit vereinbart, ist davon auszugehen, dass eine Anrechnung anderweitigen Erwerbs nicht erfolgen soll; für einen gegenteiligen Willen trägt der Arbeitgeber
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Teil 2 Rz. 159
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
159
Schließlich sollte im Aufhebungsvertrag ausdrücklich klargestellt werden, ob das gesetzliche Wettbewerbsverbot nach § 60 HGB während der Auslauffrist bestehen bleibt. Fehlt eine anderweitige Vereinbarung, so gilt das Wettbewerbsverbot auch bei einer Freistellung bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses1.
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Einen Anspruch auf Freistellung während der Auslauffrist hat der Arbeitnehmer nicht. Bleibt der Arbeitnehmer nach Abschluss des Aufhebungsvertrages ohne Einverständnis des Arbeitgebers der Arbeit fern, verliert er damit seine Vergütungsansprüche und riskiert eine fristlose arbeitgeberseitige Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB.
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Umgekehrt kann der Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses die tatsächliche Beschäftigung verlangen2. Dieser Anspruch kann auch im Wege der einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) durchgesetzt werden3. bb) Einseitige Freistellung
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Wird im Aufhebungsvertrag keine Regelung über eine einvernehmliche Freistellung des Arbeitnehmers bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien getroffen, ist der Arbeitgeber dennoch berechtigt, den Arbeitnehmer – auch gegen dessen Willen – einseitig von der Arbeitspflicht freizustellen4, wenn der Arbeitsvertrag eine sog. Freistellungsklausel enthält (zur Vereinbarkeit einer solchen Freistellungsklausel mit den AGB-Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB s.u. Rz. 167 ff.)5, der Arbeitgeber keine Be-
1 2
3 4 5
die Darlegungs- und Beweislast. Anders noch BAG vom 6.2.1964 – 5 AZR 93/63, BB 1964, 552; BAG vom 2.8.1971 – 3 AZR 121/71, DB 1971, 2166; LAG Hamm vom 27.2.1991 – 2 Sa 1289/90, DB 1991, 1577; LAG Thüringen vom 21.11.2000 – 5 Sa 352/99, DB 2001, 985; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1079); Bauer/Baeck, NZA 1989, 784; Bengelsdorf, S. 132. S. dazu auch LAG Hamm vom 27.2.1991 – 2 Sa 1289/90, DB 1991, 1577 = LAGE § 615 BGB Nr. 26: Stellt ein Arbeitgeber bereits mit Ausspruch der Kündigung den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht frei und schließen beide Parteien im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits einen gerichtlichen Vergleich, der die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses abschließend regeln soll mit dem Inhalt, dass für die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer bezahlt von der Arbeit freigestellt wird, so scheidet eine Anrechnung des während dieser Zeit anderweitig erzielten Verdienstes auf die vereinbarte Lohnfortzahlung aus. BAG vom 30.5.1978 – 2 AZR 598/76, BB 1979, 325; Nägele, NZA 2008, 1039 ff. Grundlegend BAG vom 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG vom 19.8.1976 – 3 AZR 173/75, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG vom 26.5.1977 – 2 AZR 632/76, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. ArbG Leipzig vom 8.8.1996 – 18 Ga 337/96, BB 1997, 366; Schaub/Koch, AR-Hdb., § 110 II 3 (Rz. 7). Zu möglichen Freistellungsformulierungen durch den Arbeitgeber s. Kramer, DB 2008, 2538 ff. Vgl. ArbG Düsseldorf vom 3.6.1993 – 9 Ga 28/93, NZA 1994, 559; Lessmann, RdA 1988, 149.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 165 Teil 2
schäftigungsmöglichkeit mehr für den Arbeitnehmer hat1 oder ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers (z.B. Verdacht von Straftaten oder schwerer Pflichtverletzungen) vorliegt2. In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht unterliegt die einseitige Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber keinen Beteiligungsrechten des Betriebsrats3.
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Allein die – einseitige – Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber wird von der Rechtsprechung des BAG4 nicht zugleich als Urlaubsgewährung angesehen. Sollen mit der Freistellung zugleich die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllt werden, muss die Freistellung stets unwiderruflich und ausdrücklich „unter Anrechnung restlicher bzw. noch entstehender Urlaubsansprüche“ erfolgen, wobei nicht erforderlich ist, dass der Urlaub innerhalb der Beendigungsfrist zeitlich genau festgelegt wird5. Bei nur widerruflicher Freistellung des Arbeitnehmers behält dieser seinen Urlaubsanspruch auch dann, wenn der Arbeitgeber erklärt, dass die Freistellung unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen erfolgt. Möglich ist aber, dass der Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit nur widerruflich und danach unwiderruflich und unter Anrechung seiner Urlaubsansprüche freigestellt wird6. Ein bereits entstandener Anspruch auf Überstundenvergütung kann nicht durch einseitige Freistellung von der Arbeit erfüllt werden, sofern keine Ersetzungsbefugnis vereinbart ist7.
164
Zu beachten ist schließlich, dass bei einer unwiderruflichen Freistellung unter dem Vorbehalt der Anrechnung etwaigen anderweitigen Verdienstes der Arbeitnehmer nach Auffassung des BAG regelmäßig davon ausgehen könne, in der Verwertung seiner Arbeitsleistung frei und nicht mehr an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden zu sein. Wenn der Arbeitgeber durch die Freistellung den Annahmeverzug mit der Möglichkeit der Verdienstanrechnung herbeiführe, mache er deutlich, dass ihn Wettbewerbshandlungen des Arbeitnehmers in der Zeit der Freistellung nicht störten. Einen abweichenden Willen habe der Arbeitgeber in der Freistellungserklärung zum Ausdruck zu bringen8.
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1 BAG vom 13.9.1967 – 4 AZR 337/66, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 2 BAG vom 19.8.1976 – 3 AZR 173/75, DB 1976, 2308; LAG München vom 19.8.1992 – 5 Ta 185/92, DB 1993, 2292. 3 BAG vom 22.1.1998 – 2 AZR 267/97, NZA 1998, 699; BAG vom 28.3.2000 – 1 ABR 17/99, NZA 2000, 1355; a.A. ArbG Minden vom 14.6.1996 – 2 BV 19/06, AiB 1997, 231; ArbG Wesel vom 7.1.1998 – 3 Ca 3942/97, NZA-RR 1998, 266. 4 BAG vom 25.1.1994 – 9 AZR 312/92, NZA 1994, 652; BAG vom 9.6.1998 – 9 AZR 43/97, NZA 1999, 80. 5 Vgl. BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 295/04, NZA 2006, 512; BAG vom 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008; BAG vom 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36. 6 Bauer, IV Rz. 34g. 7 BAG vom 18.9.2001 – 9 AZR 307/00, NZA 2002, 268. 8 BAG vom 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36. Kritisch dazu Nägele, NZA 2008, 1039 ff.
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Teil 2 Rz. 166
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
cc) AGB-Kontrolle 166
Die in einem arbeitgeberseitig vorformulierten Aufhebungsvertrag enthaltene Freistellungsabrede unterliegt zwar als Nebenregelung durchaus der AGBKontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB und damit insbesondere der Billigkeitskontrolle des § 307 BGB. Unter Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) stellt jedoch die bloße Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht – unter Fortzahlung der Arbeitsvergütung (!) – keine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar, zumal sie im Hinblick auf die absehbare Beendigung des Arbeitsverhältnisses üblicherweise auch den Interessen des Arbeitnehmers entspricht1.
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Wird die Freistellungsklausel auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers in den Aufhebungsvertrag aufgenommen, handelt es sich um eine gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorrangige Individualabrede (§§ 305b, 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
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Ob und unter welchen Voraussetzungen eine im Formulararbeitsvertrag enthaltene Freistellungsregelung einer AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB Stand hält, ist – soweit ersichtlich – bislang vom BAG noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Die Instanzgerichte vertreten hierzu unterschiedliche Auffassungen. Teilweise halten sie insbesondere generelle, einschränkungslose Freistellungsklauseln nach § 307 BGB für unwirksam2, teilweise erachten sie diese für vereinbar mit § 307 BGB3. Keinen Bedenken dürften Freistellungsklauseln in Formulararbeitsverträgen zumindest dann unterliegen, wenn für die Freistellung sachliche Gründe bestehen und diese bereits in der Freistellungsklausel genannt werden4, etwa in folgender Weise:
Formulierungsbeispiel Die Firma ist berechtigt, Herrn/Frau … im Falle der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen, wenn hierfür sachliche Gründe (insbesonde schwere Vertragspflichtverletzungen durch den/die Mitarbeiter/in oder die Gefahr des Geheimnisverrats oder von Konkurrenztätigkeiten) gegeben sind.
1 Bauer, IV Rz. 34r. 2 ArbG Frankfurt a.M. vom 19.11.2003 – 2 Ga 251/03, DB 2004, 934; ArbG Berlin vom 4.2.2005 – 9 Ga 1155/03, BB 2006, 559; LAG München vom 7.5.2003 – 5 Sa 297/03, LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 2; LAG Baden-Württemberg vom 5.1.2007 – 7 Sa 93/06, NZA-RR 2007, 406. 3 ArbG Frankfurt a.M. vom 22.9.2005 – 19 Ga 199/05, BB 2006, 1915; LAG Köln vom 20.2.2006 – 14 (10) Sa 1394/05, NZA-RR 2006, 342. 4 Hunold, NZA-RR 2008, 449 (453). S. dazu auch Bauer, NZA 2007, 409 ff.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 171 Teil 2
dd) Sozialversicherungsrechtliche Folgen Nach einer Entscheidung des BSG vom 25.4.20021 wirke sich eine Sperrzeit i.S. des § 144 SGB III immer dann nicht für den Arbeitnehmer aus, wenn zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von mehr als zwölf Wochen liege und der Arbeitnehmer während dieser Zeit von der Arbeit freigestellt worden sei, da insoweit kein „Beschäftigungsverhältnis“ gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III bestanden habe. Die Beschäftigungslosigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sei unabhängig von dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts durch die tatsächliche Nichtbeschäftigung des Versicherten gekennzeichnet. Die Freistellung des Arbeitnehmers mit Fortzahlung von Arbeitsentgelt sei ein typisches Beispiel für die rechtliche Möglichkeit der Arbeitslosigkeit bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis.
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Offenbar inspiriert von dieser Entscheidung haben sich die Spitzenverbände der Krankenkassen, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger sowie die Bundesagentur für Arbeit in einer gemeinsamen Besprechung am 5./6.7.2005 auf einheitliche Grundsätze zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Freistellungsvereinbarungen verständigt2. Danach soll kein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne mehr bestehen, wenn der Arbeitgeber trotz Fortzahlung des Arbeitsentgelts endgültig auf die vertraglich geschuldete Leistung verzichtet, indem der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer etwa durch Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag unwiderruflich die Freistellung des Arbeitnehmers vereinbaren3. Zur Vermeidung dieses – für die betriebliche Praxis überaus unbefriedigenden – Ergebnisses wurden von der Literatur als alternative Gestaltungsmöglichkeiten entweder die widerrufliche Freistellung oder die einseitige Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber vorgeschlagen4.
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In einer Entscheidung vom 24.9.2008 hat das BSG5 dagegen erfreulicherweise ausdrücklich klargestellt, dass die Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch dann der Sozialversicherungspflicht unterliegen, wenn sie ihrer Freistellung zugestimmt haben. Für die betriebliche Praxis steht damit fest, dass in Aufhebungsverträgen ohne Weiteres auch unwiderrufliche Freistellungsvereinbarungen (wieder) getroffen werden können, ohne dass dadurch für den Arbeitnehmer die Gefahr des Verlustes seines Sozialversicherungsschutzes besteht.
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1 BSG vom 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, NZA-RR 2003, 105. S. dazu auch Heuchemer/ Insam, DB 2004, 1562 ff. 2 Im Internet abrufbar unter www.vdr.de. 3 Einzelheiten hierzu s. bei Giesen/Ricken, NZA 2006, 88. 4 Vgl. Lindemann/Simon, BB 2005, 2462 ff.; Bauer/Krieger, DB 2005, 2242 ff.; Bauer, NZA 2007, 409 (412). 5 BSG vom 24.9.2008 – B 12 KR 22/07 R, zitiert nach juris.
Ehrich
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Teil 2 Rz. 172
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
e) Urlaub aa) Urlaubsgewährung während der Auslauffrist 172
Wird der Arbeitnehmer nicht unter Anrechnung restlicher Urlaubsansprüche freigestellt, ist ihm auf seinen Wunsch vom Arbeitgeber der Urlaub während der Auslauffrist zu gewähren, sofern nicht dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang haben, entgegenstehen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Ein Selbstbeurlaubungsrecht des Arbeitnehmers besteht nicht. Der eigenmächtige Urlaubsantritt kann den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen1. Ggf. muss der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch gerichtlich – mittels einstweiliger Verfügung (§§ 935, 940 ZPO) – durchsetzen.
173
Umgekehrt ist der Arbeitgeber grundsätzlich dazu berechtigt, dem Arbeitnehmer auch gegen dessen Willen den Urlaub während der Kündigungs- oder Auslauffrist zu gewähren, weil nur dadurch erreicht werden kann, dass der Urlaub noch als bezahlte Freistellung zu gewähren ist2. Dies gilt auch dann, wenn der Urlaub bereits zu einer Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt worden ist. Denn mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses verliert die Festlegung ihre Wirksamkeit3. Ausnahmsweise darf der Resturlaub vom Arbeitgeber nicht während der Auslauffrist gewährt werden, wenn dies für den Arbeitnehmer aus von ihm darzulegenden Gründen unzumutbar ist4.
174
Die zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderliche Erklärung des Arbeitgebers muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub gewährt wird5. Die Erfüllung von Urlaubsansprüchen durch den Arbeitgeber bedarf der unwiderruflichen Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht, weil es diesem nur dann möglich ist, anstelle der geschuldeten Arbeitsleistung die ihm aufgrund des Urlaubsanspruchs zustehende Freizeit uneingeschränkt zu nutzen6. 1 BAG vom 25.2.1983 – 2 AZR 298/81, DB 1983, 1605; BAG vom 22.1.1998 – 2 ABR 19/97, NZA 1998, 708; BAG vom 16.3.2000 – 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332; LAG Köln vom 16.3.2001 – 11 Sa 1479/00, NZA-RR 2001, 533. Einschränkend BAG vom 20.1.1994 – 2 AZR 521/93, NZA 1994, 548, wonach bei einem eigenmächtigen Urlaubsantritt des Arbeitnehmers eine fristlose Kündigung im Einzelfall unwirksam sein könne, wenn der Arbeitgeber u.a. aus eigenem Interesse erhebliche Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers habe auflaufen lassen, ein Wegfall des Urlaubs drohe und gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung des Urlaubsanspruchs nicht rechtzeitig zu erlangen sei. 2 BAG vom 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008; BAG vom 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473. 3 BAG vom 10.1.1974 – 5 AZR 208/73, DB 1970, 1023. 4 BAG vom 10.1.1974 – 5 AZR 208/73, DB 1970, 1023; LAG Hamburg vom 12.7.1976 – 2 Sa 54/76, BB 1976, 1321 (für den Fall, dass dem Arbeitnehmer in diesem Zeitraum bereits Bildungsurlaub bewilligt worden war). 5 BAG vom 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008. 6 BAG vom 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 177 Teil 2
Die Freistellung muss sich auf einen bestimmten künftigen Zeitraum beziehen1. Ist der Arbeitnehmer bereits aus anderen Gründen von der Arbeitspflicht befreit, kommt eine nachträgliche Festlegung dieser Zeiten als Urlaub nicht in Betracht2. Die zeitliche Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber ist in jedem Fall rechtswirksam, wenn der Arbeitnehmer keine anderen Urlaubswünsche geltend macht3.
175
Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub freigestellt, kann er ihn nicht aus dem Urlaub zurückrufen. Eine Vereinbarung, in der sich der Arbeitnehmer gleichwohl verpflichtet, den Urlaub abzubrechen und die Arbeit wieder aufzunehmen (sog. vereinbartes Rückrufrecht des Arbeitgebers), verstößt gegen zwingendes Urlaubsrecht und ist rechtsunwirksam4.
176
Der Urlaub muss grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG). Eine Übertragung des Urlaubs in das nächste Kalenderjahr ist gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Sind diese gesetzlichen Voraussetzungen gegeben, bedarf es keines besonderen Verlangens des Arbeitnehmers. Die Übertragung vollzieht sich insoweit kraft Gesetzes. Besonderer Übertragungserklärungen der Arbeitsvertragsparteien, insbesondere einer Genehmigung der Übertragung durch den Arbeitgeber, bedarf es nicht5. Für die Übertragung von Teilurlaub i.S. von § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG auf das gesamte nächste Kalenderjahr ist dagegen nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG erforderlich, dass der Arbeitnehmer zumindest konkludent deutlich macht, der Teilurlaub solle in das folgende Kalenderjahr übertragen werden. An ein solches Verlangen sind zwar nur geringe Anforderungen zu stellen. Ausreichend ist jede Handlung des Arbeitnehmers, aus der sein Wunsch, den Teilurlaub erst im nächsten Jahr zu nehmen, deutlich wird. Allein die Erhebung einer Kündigungsschutzklage (ohne fristgerechte Geltendmachung des Urlaubsanspruchs) reicht hierfür aber nicht aus. Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen des Verlangens der Urlaubsübertragung auf das Folgejahr ist der Arbeitnehmer6.
177
1 BAG vom 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473. 2 BAG vom 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473. 3 BAG vom 23.1.2001 – 9 AZR 26/00, NZA 2001, 597; BAG vom 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, NZA 2008, 473. 4 BAG vom 20.6.2000 – 9 AZR 405/99, NZA 2001, 100; bestätigt durch BAG vom 23.1.2001 – 9 AZR 26/00, NZA 2001, 597. 5 Vgl. BAG vom 29.7.2003 – 9 AZR 270/02, NZA 2004, 385; LAG Schleswig-Holstein vom 23.11.2005 – 3 Sa 433/05, NZA-RR 2006, 123. 6 BAG vom 29.7.2003 – 9 AZR 270/02, NZA 2004, 385 unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren gegenteiligen Rechtsprechung (BAG vom 10.3.1966 – 5 AZR 498/65, DB 1966, 788), derzufolge auch dann, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr seinen Teilurlaub nicht geltend mache, ein stillschweigendes Verlangen vorliege, den Urlaub auf das folgende Kalenderjahr zu übertragen.
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Teil 2 Rz. 178
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
178
Im Falle der Übertragung des Urlaubs aus dem laufenden in das nächste Kalenderjahr muss der Urlaub gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG in den ersten drei Monaten, also bis zum 31.3., des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Hat der Arbeitnehmer seinen – nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG auf das Folgejahr übertragenen – Urlaubsanspruch innerhalb des Übertragungszeitraums rechtzeitig geltend gemacht, der Arbeitgeber diesen aber abgelehnt, gerät der Arbeitgeber in Schuldnerverzug. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach Ablauf des Übertragungszeitraums den Urlaub aus dem vorangegangenen Kalenderjahr im Wege des Schadensersatzes nach §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1, 287 Satz 2, 249 Abs. 1 BGB als Ersatzurlaub gewähren muss1.
179
Kann der als Schadensersatz geschuldete Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, ist der Arbeitnehmer nach § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen2. Allein die Erhebung einer Kündigungsschutzklage reicht aber für die Begründung eines solchen Schadensersatzanspruchs nicht aus. Auch bei der Erhebung einer Kündigungsschutzklage bedarf es der fristgemäßen Geltendmachung des Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs3.
180
Einigen sich die Parteien nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers in einem Vergleich über eine rückwirkende Auflösung des Arbeitsverhältnisses, ist der Urlaubsabgeltungsanspruch bereits mit dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses entstanden. Sofern die Parteien keine abweichende Regelung getroffen haben, bestehen keine Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers für den infolge Fristablaufs erloschenen Urlaubsabgeltungsanspruch, wenn sich der Arbeitgeber nicht mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug befunden hatte4.
181
Zum Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers bei dauernder Arbeitsunfähigkeit s.u. Rz. 184 ff.
182
Die Arbeitsvertragsparteien können zwar vereinbaren, dass der Arbeitnehmer Urlaub ohne Rücksicht auf das Bestehen von gesetzlichen oder tariflichen Urlaubsgründen während des gesamten folgenden Kalenderjahres beanspruchen kann. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, da sie günstiger ist als die gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG auf den 31.3. des Folgejahres befristete Übertragung. Eine solche Übertragungsregelung kann auch Gegenstand einer betrieblichen Übung sein. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich eine solche betriebliche Übung ergeben soll, trägt allerdings der Arbeitnehmer. Eine betriebliche Übung ist nicht bereits
1 BAG vom 10.5.2005 – 9 AZR 251/04, NZA 2006, 439; BAG vom 6.9.2005 – 9 AZR 492/04, NZA 2006, 450. 2 BAG vom 11.4.2006 – 9 AZR 523/05, NZA 2007, 56. 3 BAG vom 17.1.1995 – 9 AZR 664/93, NZA 1995, 531; BAG vom 21.9.1999 – 9 AZR 705/98, DB 2000, 2611. 4 BAG vom 21.9.1999 – 9 AZR 705/98, DB 2000, 2611.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 185 Teil 2
dann schlüssig vorgetragen, wenn ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer behauptet, Resturlaub sei stets im gesamten Folgejahr gewährt worden. Es ist zumindest darzulegen, wann und in welchem Jahr nach dem 31.3. des Folgejahrs Urlaub gewährt worden sein soll1. bb) Urlaubsabgeltung Soweit der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann, ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Durch diese Bestimmung wird der noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt, ohne dass es dafür weiterer Handlungen des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers bedarf2. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nicht auf den bestehenden Mindesturlaub i.S. der §§ 1, 3 BUrlG beschränkt, sondern umfasst den gesamten – auch den kollektivrechtlich oder arbeitsvertraglich bestimmten längeren – Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllt ist3. Kann der Resturlaub bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr vollständig gewährt werden, so darf der Urlaub teilweise gewährt und teilweise abgegolten werden, weil das Teilungsverbot des § 7 Abs. 2 BUrlG nur bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis eingreift4.
183
Lange Zeit vertrat das BAG in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung als Ersatz des Urlaubsanspruchs (sog. „Surrogat“) dann erlösche, wenn der Urlaubsanspruch wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungsanspruchs nicht hätte erfüllt werden können5.
184
Auf ein sog. Vorabentscheidungsersuchen u.a. des LAG Düsseldorf vom 2.8.20066 hat der EuGH am 20.1.20097 entschieden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch dann nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Wenn die Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses andauere, müsse zudem eine finanzielle Vergütung zum Ausgleich des bezahlten Jahresurlaubs geleistet werden. Anderweitigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten stehe Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des
185
1 BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 200/04, NZA 2006, 232. 2 BAG vom 19.8.2003 – 9 AZR 619/02, NZA 2004, 1352; BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 200/04, NZA 2006, 232. 3 BAG vom 18.10.1990 – 8 AZR 490/89, NZA 1991, 466. 4 Bengelsdorf, S. 133. 5 S. etwa BAG vom 13.5.1982 – 6 AZR 360/80, DB 1982, 2470; BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 200/04, NZA 2006, 232. 6 LAG Düsseldorf vom 2.8.2006 – 12 Sa 486/06, NZA-RR 2006, 628. 7 EuGH vom 20.1.2009 – C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135 („Gerhard SchultzHoff ./. Deutsche Rentenversicherung Bund und Stringer u.a. ./. Her Majesty’s Revenue and Customs“). S. dazu auch Dornbusch/Ahner, NZA 2009, 180 ff.; Subatzus, DB 2009, 510 ff.; Gaul/Josten/Strauf, BB 2009, 497 ff.
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Teil 2 Rz. 186
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (sog. Arbeitszeitrichtlinie)1 entgegen. Kurze Zeit später gab das BAG angesichts dessen seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich auf und hat angenommen, dass die Ansprüche auf Gewährung und Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums sowie darüber hinaus arbeitsunfähig erkrankt ist2. § 7 Abs. 3 und 4 BUr1G sei im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern nach den Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gemeinschaftsrechtskonform fortzubilden. Jedenfalls seit Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf vom 2.8.2006 bestehe auch kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der bis dahin ständigen Rechtsprechung des BAG. Gesetzlichen Ansprüchen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfallen gewesen seien, stehe trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kein Erfüllungshindernis entgegen3. 186
Für die betriebliche Praxis steht damit fest, dass im Falle der (einvernehmlichen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllte Ansprüche des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub4 selbst im Falle der Dauererkrankung ohne Beschränkung auf das jeweilige Urlaubsjahr oder den Übertragungszeitraum (finanziell) abgegolten werden müssen, sofern keine Ausschluss- oder Verjährungsfristen eingreifen5.
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Bei der Altersteilzeitarbeit im Blockmodell bewirkt der Übergang von der Arbeits- in die Freistellungsphase keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses i.S. des § 7 Abs. 4 BUrlG. Zu diesem Zeitpunkt offene Urlaubsansprüche sind daher nur dann abzugelten, wenn sie zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verfallen sind und die in der Person des Arbeitnehmers liegenden Voraussetzungen für die Urlaubsgewährung erfüllt sind6.
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Die Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs bemisst sich entsprechend § 11 BUrlG grundsätzlich nach der Arbeitsvergütung der vorangegangenen drei Monate.
1 ABl. EG Nr. L 299 vom 18.11.2003, S. 9. 2 BAG vom 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, DB 2009, 1018; BAG vom 19.5.2009 – 9 AZR 477/07, Pressemitteilung Nr. 46/09 (zum Anspruch auf Urlaubsgeld bei dauernder Arbeitsunfähigkeit). 3 BAG vom 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, DB 2009, 1018. 4 Hierunter dürfte nicht nur der in § 3 Abs. 1 BUr1G vorgesehene Urlaubsanspruch von jährlich mindestens 24 Werktagen, sondern auch der in § 125 SGB IX geregelte Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen zu verstehen sein. Hinsichtlich darüber hinausgehender Urlaubsansprüche aufgrund einzelvertraglicher Abrede oder tariflicher Regelungen kann dagegen auch der Verfall dieser „Mehrurlaubsansprüche“ bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit vereinbart werden, so zu Recht LAG Düsseldorf vom 2.2.2009 – 12 Sa 486/06, NZA-RR 2009, 242. S. hierzu die Formulierungsbeispiele bei Oberthür, ArbRB 2009, 150 (152). 5 S. dazu im Einzelnen Gaul, BB 2009, 497 (499). 6 BAG vom 15.3.2005 – 9 AZR 143/04, NZA 2005, 994; BAG vom 10.5.2005 – 9 AZR 196/04, NZA 2005, 1432.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 192 Teil 2
Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt der Steuer- und Sozialabgabenpflicht und ist – ebenso wie Ansprüche auf Arbeits- und Urlaubsentgelt – pfändbar1. Sofern der Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten hat oder beanspruchen kann, ruht gemäß § 143 Abs. 2 Satz 1 SGB III dessen Arbeitslosengeldanspruch für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs.
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Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist grundsätzlich nicht vererblich, da der Urlaubsanspruch mit dem Tod des Arbeitnehmers erlischt und somit kein Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht, der auf den Erben übergehen könnte2. Hat allerdings ein – arbeitsfähiger – Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden erfolglos von seinem früheren Arbeitgeber Urlaubsabgeltung verlangt und Klage auf Zahlung der Urlaubsabgeltung erhoben, ist der frühere Arbeitgeber für die beim Tod des Arbeitnehmers eintretende Unmöglichkeit der Abgeltung nach § 287 Satz 2 BGB verschuldensunabhängig verantwortlich. Da der Anspruch des Arbeitnehmers durch die Nichterfüllung geschädigt wird, geht sein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB gemäß § 1922 Abs. 1 BGB insoweit auf die Erben über3.
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Hinweis: Nicht selten ist festzustellen, dass die Arbeitsvertragsparteien unstreitige Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüche des Arbeitnehmers durch Zahlung bzw. Erhöhung einer Abfindung gleichsam „kapitalisieren“ wollen. Von einer solchen Vorgehensweise kann nicht zuletzt im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen nur strikt abgeraten werden4.
cc) „Vorsorgliche“ Urlaubsgewährung bei Kündigung Lange Zeit bestand Uneinigkeit darüber, ob der Arbeitgeber insbesondere bei Ausspruch einer fristlosen Kündigung dem Arbeitnehmer gewissermaßen „vorsorglich“ Urlaub für den Fall gewähren kann, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflösen sollte. Diese Frage ist nunmehr vom BAG in einer Entscheidung vom 14.8.2007 abschließend geklärt worden. Danach ist der Arbeitgeber zur „vorsorglichen“ Urlaubsgewährung grundsätzlich berechtigt, sofern eine vom ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung liege im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitgebers. Sie solle die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen verhindern5.
1 LAG Berlin vom 22.7.1991 – 12 Sa 25/91, NZA 1992, 122 = LAGE § 7 BUrlG Nr. 31. 2 BAG vom 23.6.1992 – 9 AZR 111/91, NZA 1992, 1088. 3 BAG vom 19.11.1996 – 9 AZR 376/95, NZA 1997, 879. Ähnlich bereits zuvor BAG vom 22.10.1991 – 9 AZR 433/90, NZA 1993, 28. 4 Mehr als bedenklich ist daher auch die Annahme von Bauer, IV Rz. 49, den Parteien bleibe es bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags „unbenommen“, eine (etwaige) Urlaubsabgeltung so zu formulieren, dass der „entsprechende Betrag von der Abfindung mit umfasst“ werde. 5 BAG vom 14.8.2007 – 9 AZR 934/06, DB 2008, 415.
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Teil 2 Rz. 193
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
f) Wettbewerbsverbot aa) Wettbewerbsverbot während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses 193
Bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt für den Arbeitnehmer das gesetzliche Wettbewerbsverbot des § 60 HGB. Ein zuvor abgeschlossener Aufhebungsvertrag kann aber für die Zeit bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine hiervon abweichende Regelung treffen. Bei einer unwiderruflichen Freistellung des Arbeitnehmers unter dem Vorbehalt der Anrechnung etwaigen anderweitigen Verdienstes kann der Arbeitnehmer nach einer Entscheidung des BAG vom 6.9.20061 regelmäßig davon ausgehen, in der Verwertung seiner Arbeitsleistung frei und nicht mehr an das gesetzliche Wettbewerbsverbot gebunden zu sein. Wenn der Arbeitgeber durch die Freistellung den Annahmeverzug mit der Möglichkeit der Verdienstanrechnung herbeiführe, mache er deutlich, dass ihn Wettbewerbshandlungen des Arbeitnehmers während der Zeit der Freistellung nicht störten. Einen abweichenden Willen müsse der Arbeitgeber in der Freistellungserklärung zum Ausdruck bringen2.
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Sofern der Arbeitgeber Wettbewerbshandlungen des Arbeitnehmers während der Zeit von dessen Freistellung verhindern will, sollte dies daher im Aufhebungsvertrag unbedingt klargestellt werden, etwa durch folgende Regelung:
Formulierungsbeispiel Bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses wird der Mitarbeiter von seiner Arbeitspflicht unter Anrechnung anderweitigen Verdienstes unwiderruflich freigestellt. Die Aufnahme einer Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen bedarf der vorherigen Zustimmung des Arbeitgebers.
195
Nach Ansicht des BAG ist der Arbeitnehmer an das für die Dauer des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses bestehende Wettbewerbsverbot auch dann gebunden, wenn der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung ausspricht, deren Wirksamkeit der Arbeitnehmer bestreitet. Wettbewerbshandlungen, die der Arbeitnehmer im Anschluss an eine unwirksame (!) außerordentliche Kündigung begehe, könnten einen wichtigen Grund für eine weitere außerordentliche Kündigung bilden, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles ein Verschulden anzulasten sei. Für die weiter erforderliche Interessenabwägung, ob dem Arbeitgeber wegen des unerlaubten Wettbewerbs die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei, komme es auf den Grad des Schuldvorwurfs sowie auf Art und Auswirkung der Wettbewerbshandlung an3. Diese Auffassung ist in jeder Hinsicht abzulehnen. Bietet sich nämlich für den Ar1 BAG vom 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36. 2 Kritisch dazu Nägele, NZA 2008, 1039 ff. 3 BAG vom 25.4.1991 – 2 AZR 624/90, NZA 1992, 212.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 198 Teil 2
beitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber die Möglichkeit, eine Tätigkeit bei einem Konkurrenzunternehmen aufzunehmen, befindet er sich gewissermaßen in der „Zwickmühle“: Nimmt er diese Tätigkeit auf, hat er mit einer (erneuten) fristlosen Kündigung seines bisherigen Arbeitgebers zu rechnen. Nimmt er sie nicht auf, muss er befürchten, dass sich sein bisheriger Arbeitgeber gegenüber Annahmeverzugsansprüchen auf ein böswilliges Unterlassen der Erzielung anderweitiger Einkünfte i.S. von § 615 Satz 2 BGB beruft. Richtigerweise kann der Arbeitgeber nach Ausspruch einer vom Arbeitnehmer angefochtenen Kündigung die Unterlassung von Wettbewerbshandlungen des Arbeitnehmers bis zum rechtskräftgen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses nur dann verlangen, wenn er ihm hierfür gleichzeitig eine monatliche Entschädigung mindestens in Höhe einer Karenzentschädigung nach §§ 74 ff. HGB anbietet1. Ist der Arbeitnehmer nicht durch ein den §§ 74 ff. HGB entsprechendes wirksames Wettbewerbsverbot gebunden, so darf er nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu seinem Arbeitgeber in Wettbewerb treten. Weder die nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht noch die nachvertragliche Treuepflicht des Arbeitnehmers begründen für den Arbeitgeber Ansprüche auf Unterlassung von Wettbewerbshandlungen2. Will der Arbeitgeber verhindern, dass der Mitarbeiter nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar zur Konkurrenz wechselt, muss er deshalb mit dem Arbeitnehmer ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach Maßgabe der §§ 74 ff. HGB vereinbaren.
196
bb) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot Haben die Parteien im Arbeitsvertrag oder während des Arbeitsverhältnisses rechtswirksam ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart, so sollte im Aufhebungsvertrag eine ausdrückliche Regelung über die Geltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots aufgenommen werden. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann auch im Aufhebungsvertrag erstmals vereinbart werden.
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Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nur wirksam, wenn
198
– es schriftlich abgeschlossen worden ist und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine von ihm unterzeichnete Originalurkunde übergeben hat, in der die vereinbarten Bedingungen enthalten sind (§ 74 Abs. 1 HGB). Unterbleibt die in § 74 Abs. 1 HGB vorgesehene Übergabe der Originalurkunde über ein vertraglich vereinbartes Wettbewerbsverbot, hindert dies den Arbeitnehmer nicht daran, sich auf das Wettbewerbsverbot zu berufen, soweit die dort ebenfalls vorgesehene Schriftform eingehalten worden ist3; – der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Abschlusses des Wettbewerbsverbots nicht minderjährig ist (§ 74a Abs. 2 Satz 1 HGB); 1 So zu Recht LAG Köln vom 4.7.1995 – 9 Sa 484/95, NZA-RR 1996, 2. 2 BAG vom 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200; LAG Köln vom 14.4.2008 – 5 Sa 413/08, zitiert nach juris; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1082). 3 BAG vom 23.11.2004 – 9 AZR 595/03, NZA 2005, 411.
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Teil 2 Rz. 199
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
– das Wettbewerbsverbot dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Arbeitgebers dient (§ 74a Abs. 1 Satz 1 HGB). Ein solches Interesse ist nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber Gelegenheit erhält, Kenntnisse oder Erfahrungen zu erwerben oder geschäftliche Beziehungen herzustellen oder zu festigen, die für die Konkurrenz von Interesse sind1; – der Arbeitgeber sich verpflichtet, dem Arbeitnehmer für die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Entschädigung zu zahlen (sog. Karenzentschädigung), die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der letzten vertraglichen Bezüge des Arbeitnehmers erreicht (§ 74 Abs. 2 HGB)2; – das Wettbewerbsverbot unter Berücksichtigung der gewährten Entschädigung nach Ort, Zeit oder Gegenstand keine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Arbeitnehmers enthält. Es darf sich insbesondere nicht auf einen längeren Zeitraum als zwei Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erstrecken (§ 74a Abs. 1 Satz 2 und 3 HGB). 199
Hat sich der Arbeitgeber die Entscheidung vorbehalten, auf das Wettbewerbsverbot zu verzichten, so liegt ein unverbindliches Wettbewerbsverbot vor. In dem Fall steht dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht zu: Er kann sich an das Wettbewerbsverbot halten und die Karenzentschädigung verlangen oder sich vom Wettbewerbsverbot lösen und auf die Karenzentschädigung verzichten3. Für einen Anspruch auf Karenzentschädigung aus einem für den Arbeitnehmer unverbindlichen Wettbewerbsverbot genügt es, wenn sich der Arbeitnehmer zu Beginn der Karenzzeit endgültig für das Wettbewerbsverbot entscheidet und seiner Unterlassungsverpflichtung nachkommt. Einer darüber hinausgehenden Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber bedarf es nicht4. Der Arbeitgeber hat in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 264 Abs. 2 Satz 1 BGB das Recht, den wahlberechtigten Arbeitnehmer unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Vornahme der Wahl aufzufordern. Mit Ablauf der Frist geht das Wahlrecht gemäß § 264 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Arbeitgeber über5.
1 S. dazu auch LAG Baden-Württemberg vom 30.1.2008 – 10 Sa 60/07, NZA-RR 2008, 508: Ein berechtigtes geschäftliches Interesse des Arbeitgebers an einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot (§ 74a HGB) kann auch dann bestehen, wenn sich die Warensortimente nur teilweise überschneiden. Eine feste Grenze dafür, wie groß die Überschneidung der Warensortimente mindestens sein muss (z.B. 10 %), gibt es nicht. 2 Zur Berechnung der Karenzentschädigung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit s. BAG vom 22.10.2008 – 10 AZR 360/08, DB 2009, 404. 3 BAG vom 22.5.1990 – 3 AZR 647/88, NZA 1991, 263. S. auch BAG vom 1.8.1995 – 9 AZR 884/93, NZA 1996, 310; BAG vom 5.9.1995 – 9 AZR 718/93, NZA 1996, 700. Vgl. dazu Bauer/Diller, DB 1997, 94. Zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot während des Kündigungsschutzprozesses und bei weiteren Formen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses s. Wertheimer, NZA 1997, 522. 4 BAG vom 22.5.1990 – 3 AZR 647/88, NZA 1991, 263. 5 BAG vom 22.5.1990 – 3 AZR 647/88, NZA 1991, 263.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 203 Teil 2
Verpflichtet sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber im Arbeitsvertrag, nach der Beendigung des Arbeitsverhältnises für längstens zwei Jahre bestimmte Wettbewerbshandlungen zu unterlassen, und ist im Arbeitsvertrag geregelt, dass im Übrigen die gesetzlichen Vorschriften der §§ 74 ff. HGB gelten, ist die Wettbewerbsabrede nicht wegen Fehlens einer Karenzentschädigung nichtig. In einem solchen Fall decken die Arbeitsvertragsparteien mit der Bezugnahme auf die §§ 74 ff. HGB aufgrund der Regelungsdichte dieser gesetzlichen Vorschriften alle wesentlichen Elemente einer Wettbewerbsabrede und damit auch die Zahlung einer Karenzentschädigung ab. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot setzt nicht voraus, dass das Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf einer vereinbarten Probezeit endet. Soll das Verbot erst nach Ablauf einer bestimmten Frist in Kraft treten, müssen die Parteien dies vereinbaren. Fehlt eine solche Abrede, kann sich der Arbeitgeber auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Wettbewerbsverbot diene nicht dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses. Diese rechtshindernde Einwendung steht nur dem Arbeitnehmer zu1.
200
Für die Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung kommt es – abgesehen vom Fall der Verbüßung einer Freiheitsstrafe (§ 74c Abs. 1 Satz 3 HGB) – nicht darauf an, weswegen der Arbeitnehmer den Wettbewerb unterlässt. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung einer Karenzentschädigung entfällt deshalb nicht, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist2.
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Ein arbeitsvertraglich vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot können der Arbeitgeber und Arbeitnehmer jederzeit einvernehmlich aufheben3. Die Auflösung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots bedarf nicht der Schriftform4.
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Eine oftmals in gerichtlichen und außergerichtlichen Aufhebungsvereinbarungen anzutreffende allgemeine Erledigungsklausel sollte nach früherer Rechtsprechung nicht das nachvertragliche Wettbewerbsverbot erfassen5. Dagegen hat das BAG in einer Entscheidung vom 31.7.20026 angenommen, der Wortlaut einer Ausgleichsklausel in einem gerichtlichen Vergleich, wonach „mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sämtliche Ansprüche der Parteien hinüber und herüber aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten und ausgeglichen“ sein sollen, decke auch Ansprüche aus einem vertraglichen Wettbewerbsverbot ab. Aus weiteren Umständen wie dem Zustandekommen der Vereinbarung oder dem nachvertraglichen Verhalten könne sich jedoch ergeben, dass die Parteien ein Wettbewerbsverbot dennoch hätten
203
1 BAG vom 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157. 2 BAG vom 23.11.2004 – 9 AZR 595/03, NZA 2005, 411. 3 BAG vom 22.10.2008 – 10 AZR 617/07, NZA 2009, 139; BAG vom 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318. 4 BAG vom 10.1.1989 – 3 AZR 460/87, NZA 1989, 797. 5 BAG vom 20.10.1981 – 3 AZR 1013/78, DB 1982, 907; LAG Baden-Württemberg vom 22.9.1995 – 5 Sa 28/95, NZA-RR 1996, 163. 6 BAG vom 31.7.2002 – 10 AZR 513/01, NZA 2003, 100. S. dazu auch Bauer/Diller, BB 2004, 1274 ff.
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Teil 2 Rz. 204
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
aufrechterhalten bzw. nicht auf Ansprüche daraus verzichten wollen. Knapp vier Jahre später gab das BAG in einer Entscheidung vom 8.3.20061 seine Erwägungen vom 31.7.2002 „teilweise“ wieder auf und führte im Kern aus, dass die Parteien in die Ausgleichsklausel eines gerichtlichen Vergleiches, wonach „alle gegenseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung“ erledigt sein sollten, weder ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot noch die Karenzentschädigung hätten einbeziehen wollen. Sollen aber mit Ausgleichsklauseln in Aufhebungsverträgen, gerichtlichen und außergerichtlichen Vergleichen – ganz generell – „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten“ sein, können diese nach einer Entscheidung des BAG vom 22.10.20082 auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot und eine Karenzentschädigung umfassen, selbst wenn der Zusatz „und seiner Beendigung, seien sie bekannt oder unbekannt“ fehlt. Demgegenüber soll – wie das BAG in einer Entscheidung vom 19.11.20083 ausgeführt hat – ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nicht in die Abgeltungsklausel einer Aufhebungsvereinbarung einzubeziehen sein, wenn die Parteien „bei Abschluss des Abwicklungsvertrags ausdrücklich über das nachvertragliche Wettbewerbsverbot gesprochen hätten und dieses jedoch erst später hätten behandeln wollen“. 204
Û
Hinweis: Angesichts dieser sprunghaften und kaum noch kalkulierbaren Rechtsprechung des BAG sollte daher eine etwa gewollte Aufhebung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots im Aufhebungsvertrag stets ausdrücklich vereinbart werden, etwa durch folgende Regelung:
Formulierungsbeispiel Das zwischen den Parteien in § . . . des Arbeitsvertrages vom . . . vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot wird einvernehmlich mit sofortiger Wirkung/ mit Wirkung zum . . . aufgehoben. Eine Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung besteht nicht mehr.
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Kommt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen der Aufhebungsverhandlungen zu keinem Einvernehmen über die Beendigung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, so muss geklärt werden, ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot gemäß § 75 Abs. 1 und 2 HGB, der bei der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses entsprechende Anwendung findet4, unwirksam ist. Hat der Arbeitgeber durch vertragswidriges Verhalten den Anlass zum Abschluss des Aufhebungsvertrages gegeben, kann der Arbeitnehmer entweder die nachvertragliche Wettbewerbsabrede wirksam 1 2 3 4
BAG vom 8.3.2006 – 10 AZR 349/05, NZA 2006, 854. BAG vom 22.10.2008 – 10 AZR 617/07, NZA 2009, 139. BAG vom 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318. Schaub/Schaub, AR-Hdb., § 58 VII 5 (Rz. 103); Bengelsdorf, S. 141 jeweils m. w. Nachw.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 208 Teil 2
werden lassen oder sich hiervon gemäß § 75 Abs. 1 HGB lossagen. Hat für die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein erheblicher Grund in der Person des Arbeitnehmers vorgelegen, kann er sich ebenfalls lossagen, es sei denn, der Arbeitgeber bietet eine erhöhte Karenzentschädigung an (§ 75 Abs. 2 HGB). In dem Fall muss aber das schriftliche Angebot der erhöhten Entschädigung bereits bei der Einigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegen1. Wird das Arbeitsverhältnis wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers aufgehoben, kann der Arbeitgeber entsprechend § 75 Abs. 1 HGB entweder an dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot festhalten oder auf das Verbot verzichten. Dieses Wahlrecht setzt voraus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer beim Abschluss des Aufhebungsvertrages zu erkennen gibt, er nehme das vertragswidrige Verhalten als wichtigen Grund für die Vertragsbeendigung für sich in Anspruch2.
Û
Hinweis: Zur Vermeidung möglicher Streitigkeiten sollte im Aufhebungsvertrag stets festgehalten werden, welche Partei (vertragswidrig) Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat und ob das Wettbewerbsverbot durch eine Lösungserklärung entsprechend § 75 HGB erledigt ist3.
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Sind die Voraussetzungen des § 75 HGB nicht gegeben und kommt es zu keiner einvernehmlichen Auflösung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, so kann der Arbeitgeber gemäß § 75a HGB schriftlich auf das Wettbewerbsverbot verzichten. Der Verzicht hat zur Folge, dass der Arbeitgeber mit Ablauf eines Jahres von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei wird. Die schriftliche Verzichtserklärung muss dem Arbeitnehmer vor dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses zugehen. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist ein einseitiger Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot durch den Arbeitgeber nicht mehr möglich4.
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Soll im Rahmen eines Aufhebungsvertrages ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart werden, so ist zu berücksichtigen, dass die Vorschriften der §§ 74 ff. HGB nach der Rechtsprechung des BAG5 auch anwendbar sind, solange das Wettbewerbsverbot noch im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Abwicklung vereinbart wird. Deshalb ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, das mehrere Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Aufhebungsvertrages vereinbart wird, nichtig, wenn es überhaupt keine Karenzentschädigung vorsieht. Eine für den Verlust des Arbeitsplatzes zugesagte Abfindung ist keine Karenzentschädigung i.S. von § 74 Abs. 2 HGB6.
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1 Bauer, IV Rz. 126. 2 Vgl. BAG vom 13.11.1967 – 3 AZR 471/66, DB 1968, 577; BAG vom 24.4.1970 – 3 AZR 328/69, DB 1970, 790. 3 Bauer, IV Rz. 126; Bengelsdorf, S. 139. 4 Vgl. Bauer, IV Rz. 127; Bengelsdorf, S. 139 m. w. Nachw. 5 BAG vom 3.5.1994 – 9 AZR 606/92, NZA 1995, 72. 6 BAG vom 3.5.1994 – 9 AZR 606/92, NZA 1995, 72; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1082). Bedenklich Bauer, IV Rz. 136, wonach im Aufhebungsvertrag gere-
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Teil 2 Rz. 209
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
209
Zur Anrechnung anderweitigen Erwerbs auf eine Karenzentschädigung s. § 74c HGB.
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Die frühere Pflicht des Arbeitgebers zur (teilweisen) Erstattung des an den ehemaligen Arbeitnehmer gezahlten Arbeitslosengeldes ist mit der Aufhebung des § 148 SGB III a.F. mit Wirkung vom 1.1.2004 entfallen. cc) AGB-Kontrolle
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Arbeitgeberseitig vorformulierte Wettbewerbsverbote in Arbeits- und Aufhebungsverträgen unterliegen als Allgemeine Geschäftsbedingungen grundsätzlich der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB1. Teilweise wird angenommen, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot i.S. der §§ 74 ff. HGB unterliege hinsichtlich seiner inhaltlichen, örtlichen und zeitlichen Reichweite keiner AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, da es jedenfalls bei nachträglicher Vereinbarung einen gegenseitigen Vertrag i.S. der §§ 320 ff. BGB darstelle und die Regelung der vertraglichen Hauptleistungspflichten („Leistungsbeschreibung“) ebenso wie das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (Höhe der Karenzentschädigung) gemäß § 307 Abs. 3 BGB kontrollfrei blieben. Eine Inhaltskontrolle finde daher nur nach Maßgabe von § 74a HGB statt, der eine geltungserhaltende Reduktion vorsehe2. Soweit einer anderen Auffassung zufolge eine Inhaltskontrolle vorzunehmen sei, soll ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 BGB nicht vorliegen, wenn der Gegenstand eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots mit der Beendigung objektiv feststellbar sei3. Ein Wettbewerbsverbot, das dem Schutz der geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers diene und auf das Gebiet der „alten“ Bundesländer beschränkt sei, erschwere das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unbillig4.
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Eine Klausel, nach der der Arbeitgeber „für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe in Höhe von zwei durchschnittlichen Brutto-Monatseinkommen verlangen“ kann und „im Falle einer dauerhaften Verletzung der Verschwiegenheitspflicht oder des Wettbewerbsverbots jeder angebrochene Monat als eine erneute Vertragsverletzung“ gilt, benachteiligt den Arbeitnehmer nach einer Entscheidung des BAG vom 14.8.20075 unangemessen i.S. des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V. mit § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, da nicht erkennbar sei, wann eine „dauerhafte Verletzung“ vertraglicher Pflichten vorliegen soll,
1 2 3 4 5
gelt werden könne, dass die Karenzentschädigung i.S. von § 74 Abs. 2 HGB in vollem Umfang in der zu zahlenden Abfindung enthalten sei. Von einer solchen Vereinbarung kann im Hinblick auf die damit verbundenen steuerrechtlichen Risiken nur abgeraten werden. Probleme ergeben sich unabhängig davon, wenn die Abfindung nicht die nach § 74 Abs. 2 HGB zwingend vorgeschriebenen Bezüge erreicht. Vgl. LAG Niedersachsen vom 8.12.2005 – 7 Sa 1871/05, NZA-RR 2006, 426. LAG Baden-Württemberg vom 30.1.2008 – 10 Sa 60/07, NZA-RR 2008, 508. LAG Niedersachsen vom 8.12.2005 – 7 Sa 1871/05, NZA-RR 2006, 426. LAG Niedersachsen vom 8.12.2005 – 7 Sa 1871/05, NZA-RR 2006, 426. BAG vom 14.8.2007 – 8 AZR 973/06, NZA 2008, 170.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 215 Teil 2
die zu einer monatlich erneut fällig werdenden Vertragsstrafe führe und wann ein einmaliger Vertragsverstoß gegeben sein soll, für den nur eine einmalige Vertragsstrafe vorgesehen sei. Die Unwirksamkeit einer Vertragsstrafenabrede wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers rechtfertige es nicht, von dem Grundsatz abzuweichen, dass im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine geltungserhaltende Reduktion nach § 306 Abs. 2 BGB nicht vorgesehen sei1. Ist eine Wettbewerbsabrede in Bezug auf die Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung nicht klar und verständlich i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, kann sich der Arbeitgeber hierauf nicht mit Erfolg berufen, wenn er die Wettbewerbsabrede selbst vorformuliert hat2.
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g) Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Unabhängig vom Bestehen eines Wettbewerbsverbots ist der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses und nach dessen Beendigung verpflichtet, Verschwiegenheit über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse seines bisherigen Arbeitgebers zu bewahren3. Aus Gründen der Klarstellung sollte diese Pflicht im Aufhebungsvertrag ausdrücklich hervorgehoben werden, etwa durch folgende Regelung:
214
Formulierungsbeispiel Herr/Frau . . . verpflichtet sich, alle ihm/ihr während seiner/ihrer Tätigkeit für die Firma zur Kenntnis gelangten betriebsinternen Vorgänge, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, auch nach dem Ausscheiden geheim zu halten.
Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind solche Tatsachen, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und nicht offenkundig sind und nach dem Willen des Arbeitgebers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden4. Die Verschwiegenheitspflicht verbietet dem Arbeitnehmer jedoch nicht, Kunden seines ehemaligen Arbeitgebers zu umwerben5. Unzulässig ist dagegen, dass der Arbeitnehmer die von ihm für den früheren Arbeitgeber vorbereiteten Kundenaufträge, deren Erteilung nur noch Formsache ist,
1 BAG vom 14.8.2007 – 8 AZR 973/06, NZA 2008, 170. S. dazu auch Diller, NZA 2008, 574 ff. (mit verzweifelten Formulierungsbemühungen für etwaige AGB-konforme Vertragsstrafenabreden bei Wettbewerbsverboten). 2 BAG vom 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157. 3 BAG vom 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, NZA 1988, 502. 4 BAG vom 16.3.1982 – 3 AZR 83/79, DB 1982, 2247; BAG vom 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, NZA 1988, 502. 5 BAG vom 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, NZA 1988, 502.
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Teil 2 Rz. 216
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
durch günstigere Preisgestaltung seinem neuen Arbeitgeber zuführt1. Ansonsten ist dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer eine Konkurrenztätigkeit zum früheren Arbeitgeber nur untersagt, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot wirksam vereinbart worden ist. 216
Bei einer Verletzung der Pflicht zur Verschwiegenheit über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse kommen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche des früheren Arbeitgebers in Betracht2. h) Erfindungen
217
Nach § 26 ArbNErfG3 werden die Rechte und Pflichten aus diesem Gesetz nicht dadurch berührt, dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird. Diese Vorschrift bezieht sich auch auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses4. Erfasst werden – freie und gebundene – Erfindungen i.S. der §§ 2, 4 ArbNErfG sowie qualifizierte technische Verbesserungsvorschläge nach § 20 Abs. 1 ArbNErfG, soweit sie bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fertig gestellt worden sind5. Wegen der Bestimmung des § 26 ArbNErfG hat der Aufhebungsvertrag grundsätzlich keinen Einfluss auf die einmal begründeten Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers nach §§ 9, 10, 17, 20 Abs. 1 ArbNErfG. Dennoch sollten diese Ansprüche im Aufhebungsvertrag zur Vermeidung künftiger Streitigkeiten stets aufgeführt werden.
218
Von den Vorschriften des ArbNErfG kann grundsätzlich nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, § 22 Satz 1 ArbNErfG. Möglich sind aber gemäß § 22 Satz 2 ArbNErfG Vereinbarungen über Diensterfindungen nach ihrer Meldung, über freie Erfindungen und technische Verbesserungsvorschläge nach ihrer Mitteilung. Haben die Parteien eine solche Vereinbarung getroffen (etwa bei der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses), so unterliegt sie nach Maßgabe von § 23 ArbNErfG der Unbilligkeitskontrolle. Darüber hinausgehende Abweichungen von den Vorschriften des ArbNErfG im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind nicht möglich6. Insbesondere erfasst eine allgemeine Ausgleichsklausel nicht die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Erfindervergütung. Ebenso wenig ist eine für den Verlust des Arbeitsplatzes zugesagte Abfindung eine Erfindervergütung i.S. der §§ 9, 10, 17, 20 Abs. 1 ArbNErfG7. i) Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten
219
Bei der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt sich nicht selten die Frage, ob und in welchem Umfang der Arbeitgeber vom Ar1 2 3 4 5 6 7
S. BAG vom 11.12.1967 – 3 AZR 22/67, DB 1968, 985. Vgl. BAG vom 25.4.1989 – 3 AZR 35/88, NZA 1989, 860. Gesetz über Arbeitnehmererfindungen vom 25.7.1957 (BGBl. I S. 756). Bengelsdorf, S. 141 m. w. Nachw. Bengelsdorf, S. 141 m. w. Nachw. A.A. Bauer, IV. Rz. 666; Bengelsdorf, S. 141 f. Vgl. BAG vom 3.5.1994 – 9 AZR 606/92, NZA 1995, 72.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 222 Teil 2
beitnehmer die Rückzahlung der von ihm aufgewandten Kosten für Ausbildungs-, Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen verlangen kann. aa) Allgemeine Anspruchs- und Wirksamkeitsvoraussetzungen Ein Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung solcher Kosten setzt zunächst eine ausdrückliche einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Vereinbarung (sog. Rückzahlungsklausel) voraus1. Eine solche Vereinbarung muss eindeutig sein. Der Arbeitnehmer muss die Folgen erkennen können, die sich für ihn aus dem Abschluss einer solchen Vereinbarung ergeben2. Häufig beziehen sich Rückzahlungsklauseln auf einen Zeitraum von drei Jahren mit einer Minderung der Rückzahlungsverpflichtung um monatlich jeweils 1/36.
220
Nach der vor Geltung der §§ 305 ff. BGB zur allgemeinen Inhaltskontrolle von Rückzahlungskosten ergangenen ständigen Rechtsprechung des BAG waren einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich der Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, wenn er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, grundsätzlich zulässig3. Daran hat das BAG auch nach dem Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB ausdrücklich festgehalten4.
221
Ausnahmsweise können jedoch derartige Zahlungsverpflichtungen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt einer übermäßigen Beeinträchtigung der arbeitsplatzbezogenen Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) unwirksam sein. So muss einerseits eine Rückzahlungsverpflichtung bei verständiger Betrachtung einem billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen und andererseits der Arbeitnehmer mit der Fortbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Die für den Arbeitnehmer zumutbaren Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Das Interesse des Arbeitgebers, der seinem Arbeitnehmer eine Aus- oder Weiterbildung finanziert, geht dahin, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst langfristig für seinen Betrieb nutzen zu können. Dieses grundsätzlich berechtigte Interesse gestattet es dem Arbeitgeber, als Ausgleich für seine finanziellen Aufwendungen von einem sich vorzeitig abkehrenden Arbeitnehmer die Kosten der Ausbildung ganz oder zeitanteilig zurückzuverlangen. Die berechtigten Interessen des Arbeitgebers sind gegen das Interesse des Arbeitnehmers
222
1 S. etwa BAG vom 19.3.1980 – 5 AZR 362/78, DB 1980, 1703; BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. 2 BAG vom 21.11.2002 – 6 AZR 77/01, NZA 2003, 991. 3 BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559; BAG vom 24.6.2004 – 6 AZR 383/03, NZA 2004, 1035; BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. Zur Zulässigkeit von tariflichen Rückzahlungsklauseln s. Hennige, NZA-RR 2000, 617 (618 f.). 4 BAG vom 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042.
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Teil 2 Rz. 223
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
abzuwägen, seinen Arbeitsplatz ohne Belastung mit Kosten frei wählen zu können. Die Abwägung hat sich insbesondere daran zu orientieren, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Aus- oder Fortbildung einen geldwerten Vorteil erlangt1. 223
Eine Kostenbeteiligung ist dem Arbeitnehmer umso eher zuzumuten, je größer der mit der Fortbildung verbundene berufliche Vorteil ist. Die Gegenleistung für die durch die Rückzahlungsvereinbarung bewirkte Bindung kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer eine Ausbildung erhält, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder im Bereich des bisherigen Arbeitgebers berufliche Möglichkeiten eröffnet, die ihm zuvor verschlossen waren. Auch Fortbildungsmaßnahmen können für den Arbeitnehmer von geldwertem Vorteil sein, der eine Bindung rechtfertigen kann, sei es, dass er bei seinem bisherigen Arbeitgeber die Voraussetzungen einer höheren Vergütung erfüllt oder sich die erworbenen Kenntnisse auch anderweitig nutzbar machen lassen2.
224
Demgegenüber scheidet eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers regelmäßig aus, wenn die Fortbildung nur innerbetrieblich von Nutzen ist oder es lediglich um die Auffrischung vorhandener Kenntnisse oder die Anpassung dieser Kenntnisse an vom Arbeitgeber veranlasste neuere betrieblichen Gegebenheiten geht3. bb) Zulässigkeit der Bindungsdauer
225
Auch bei beruflichen Vorteilen für den Arbeitnehmer müssen Fortbildungsund Bindungsdauer in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Höhe der Arbeitgeberaufwendungen und die Qualität der erworbenen Qualifikation hängen regelmäßig von der Dauer der Fortbildung ab4.
226
Zur Zulässigkeit der Bindungsdauer von vertraglich vereinbarten Verpflichtungen des Arbeitnehmers zur Rückzahlung von Ausbildungskosten hat das BAG folgende Grundsätze entwickelt: – Eine Fortbildung, die nicht länger als einen Monat dauert, rechtfertigt regelmäßig nur eine Bindung des Arbeitnehmers bis zu sechs Monaten5. – Eine Lehrgangsdauer von bis zu zwei Monaten rechtfertigt im Regelfall höchstens eine Bindungsdauer von einem Jahr6.
1 BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937; BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559; BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542; BAG vom 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042. 2 BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559; BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. 3 BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937; BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. 4 BAG vom 21.11.2001 – 5 AZR 158/00, NZA 2002, 551; BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559; BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. 5 BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. 6 BAG vom 15.12.1993 – 5 AZR 279/93, NZA 1994, 835.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 229 Teil 2
– Eine Lehrgangsdauer von bis zu vier Monaten kann eine Bindungsdauer bis zu 24 Monaten rechtfertigen1. – Eine Lehrgangsdauer von sechs bis zu zwölf Monaten kann eine Bindungsdauer von 36 Monaten rechtfertigen2. – Bei einer mehr als zweijährigen Dauer der Fortbildungsmaßnahme ohne Arbeitsleistung ist eine Bindung von bis zu fünf Jahren zulässig3. Allerdings gelten diese Grundsätze nur für den Regelfall. Im Einzelfall kann auch bei kürzerer Ausbildungsdauer eine verhältnismäßig lange Bindung gerechtfertigt sein, wenn etwa der Arbeitgeber erhebliche Mittel aufwendet und der Arbeitnehmer durch die Teilnahme an der Fortbildung eine besonders hohe Qualifikation mit überdurchschnittlichen Vorteilen erlangt4. Hohe Aufwendungen des Arbeitgebers allein können eine verhältnismäßig lange Bindung in aller Regel nicht rechtfertigen. Die Höhe der vom Arbeitgeber bezahlten Reise- und Hotelkosten sowie die Höhe des fortgezahlten Entgelts ist kein Indiz für die dem Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme erwachsenden beruflichen Vorteile5. Vielmehr kommt es auch insoweit in erster Linie darauf an, in welchem Ausmaß sich die beruflichen Chancen des Arbeitnehmers infolge der Fortbildung erhöht haben6.
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Wurde zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine nach diesen Grundsätzen unzumutbar lange Bindungsfrist vereinbart, sollte dies nach früherer Rechtsprechung des BAG nicht bedeuten, dass die Vereinbarung insgesamt nichtig wäre. Die Bindungsfrist sollte vielmehr auf das nach den obigen Grundsätzen zulässige Maß zu reduzieren sein, jedoch die Höhe des ursprünglich pro Monat anrechenbaren Betrages unverändert bleiben7.
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitnehmer durch die Aus- oder Weiterbildung einen beruflichen Vorteil erlangt hat, liegt beim Arbeitgeber8. Dieser genügt seiner Darlegungslast jedenfalls dann, wenn er substantiiert vorträgt, dass der Arbeitnehmer durch die Aus- oder Weiterbildung eine anerkannte Qualifikation erworben und ihm diese innerbetriebliche Vorteile gebracht hat. Dabei kann der Vorteil auch in der Einstellung selbst liegen9. Außerdem muss der Arbeitgeber im Einzelnen darlegen und ggf. beweisen, dass er die Ausbildung des Arbeitnehmers finanziert und welche konkreten Kosten er tatsächlich aufgewandt hat.
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1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937; BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559; BAG vom 21.7.2005 – 6 AZR 452/04, NZA 2006, 542. BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937; BAG vom 6.9.1995 – 5 AZR 241/94, NZA 1996, 314; Rischar, BB 2002, 2550 (2552). Vgl. BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937; BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01, NZA 2003, 559. BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937; Rischar, BB 2002, 2550 (2552).
Ehrich
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Teil 2 Rz. 230
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
Die einverständliche Festlegung eines bestimmten Betrages ändert nichts daran, dass der Arbeitgeber substantiiert vorzutragen hat, wie sich die Forderung zusammensetzt1. Im Ergebnis muss damit der Arbeitgeber sämtliche Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Rückzahlungsklausel darlegen und beweisen. Maßgebend sind dabei grundsätzlich die Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Spätere Entwicklungen können nur dann herangezogen werden, wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits vorhersehbar waren2. 230
Diese Grundsätze gelten regelmäßig auch dann, wenn vereinbart wird, dass der Rückzahlungsbetrag als Darlehen geschuldet werden soll (§ 488 Abs. 1 BGB)3. cc) AGB-Kontrolle
231
Eine vom Arbeitgeber vorformulierte Rückzahlungsklausel, die den Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber unter vertraglich näher festgesetzten Voraussetzungen die finanziellen Aufwendungen zu erstatten, die dieser für eine berufliche Fortbildung des Arbeitnehmers erbracht hat, unterliegt der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB4.
232
Auch unter der Geltung dieser AGB-Bestimmungen sind Rückzahlungsklauseln für vom Arbeitgeber verauslagte Aus- und Fortbildungskosten grundsätzlich zulässig. Insbesondere benachteiligen sie den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen5. Voraussetzung für eine Rückzahlungsklausel ist jedoch, dass die Ausbildung von geldwertem Vorteil für den Arbeitnehmer ist und dieser nicht unangemessen lange an das Arbeitsverhältnis gebunden wird. Bei der Bestimmung der zulässigen Bindungsdauer sind im Rahmen der von der Rechtsprechung des BAG entwickelten Richtwerte (s.o. Rz. 226 f.) einzelfallbezogen die Vorteile der Ausbildung mit den Nachteilen der Bindung abzuwägen6.
233
Haben die Parteien in einem vorformulierten Arbeitsvertrag vereinbart, dass ein Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf einer bestimmten Frist vom Arbeitgeber übernommene Ausbildungskosten zurückzahlen muss, ohne dass es auf den Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ankommt, ist diese Rückzahlungsklausel – wie das BAG am 11.4.2006 entschieden hat7 – unwirksam.
1 BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. 2 Vgl. BAG vom 24.7.1991 – 5 AZR 443/90, NZA 1992, 405; BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, NZA 1994, 937. 3 BAG vom 26.10.1994 – 5 AZR 390/92, NZA 1995, 305. 4 Vgl. BAG vom 5.6.2007 – 9 AZR 604/06, NZA-RR 2008, 107; BAG vom 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, DB 2009, 1129. S. dazu auch Kleinebrink, ArbRB 2006, 345 ff.; Düwell/ Ebeling, DB 2008, 406 ff. 5 S. etwa BAG vom 5.6.2007 – 9 AZR 604/06, NZA-RR 2008, 107; BAG vom 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004. 6 BAG vom 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, DB 2009, 1129. 7 BAG vom 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042.
304
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
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Rz. 236 Teil 2
Beispiel: Im Streitfall enthielt der Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers, der bei einem technischen Überwachungsverein beschäftigt war und nach Abschluss einer entsprechenden Ausbildung als amtlich anerkannter Sachverständiger mit Teilbefugnissen für den Kraftfahrzeugverkehr eingesetzt werden sollte, folgende Regelung: „Die voraussichtlichen Ausbildungskosten werden ca. DM 15 000 betragen. Sie gelten für die Dauer von zwei Jahren ab dem Ausbildungsverhältnis als Vorschuss. Wird das Arbeitsverhältnis vor Ablauf dieser Zeit beendet, verpflichtet sich der Mitarbeiter, den Betrag, der nach abgeschlossener Ausbildung genau ermittelt wird, anteilig … zurückzuzahlen. Dabei wird für jeden Monat 1/24 verrechnet.“
234
Nach Auffassung des BAG benachteilige eine solche Klausel den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und sei damit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Eine Auslegung der Klausel dahin, dass sie nur für den Fall gelte, dass das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer selbst oder wegen eines von ihm zu vertretenen Grundes beendet werde (sog. geltungserhaltende Reduktion), scheide aus1.
235
Eine Rückzahlungsklausel, die einen Mitarbeiter zur (anteiligen) Rückzahlung der als Darlehen gewährten Studiengebühren verpflichtet, „wenn das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet wird“ und nicht danach unterscheidet, ob der Grund der Beendigung des Arbeitverhältnisses der Sphäre des Arbeitgebers oder der des Arbeitnehmers zuzuordnen ist, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil durch sie der Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt wird. Diese unbeschränkte, für alle Beendigungsgründe geltende Rückzahlungspflicht wird nicht dadurch eingeschränkt, dass der Darlehensvertrag nach dem Passus „wenn das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet wird“, die Ergänzung enthält: „insbesondere, wenn der Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis selbst kündigt oder wenn das Arbeitsverhältnis vom Unternehmen aus einem Grund gekündigt wird, den der Mitarbeiter zu vertreten hat.“ Eine mit „insbesondere“ eingeleitete Auflistung von Einzelfällen stellt nach allgemeinem Sprachgebrauch keine abschließende Aufzählung dar. Die Rückzahlungsklausel ist nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion mit dem Inhalt aufrechtzuerhalten, dass der Arbeitnehmer nur in den genannten beiden Beispielsfällen, in denen der Beendigungsgrund seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen ist, zur Rückzahlung der verauslagten Studiengebühren verpflichtet ist. Eine geltungserhaltende Reduktion der zu weit gefassten Klausel scheidet aus2.
236
1 BAG vom 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042. Ähnlich bereits zuvor LAG Schleswig-Holstein vom 25.5.2005 – 3 Sa 84/05, BB 2006, 560: Eine formularmäßige arbeitsvertragliche Regelung, nach der ein Arbeitnehmer über die Vertragskonstruktion eines Darlehens uneingeschränkt zur Rückzahlung anteiliger Fortbildungskosten verpflichtet wird, ungeachtet einer etwaigen Betriebstreue und/oder ungeachtet einer Differenzierung bezüglich der Rückzahlungsverpflichtung danach, aus welchem Verantwortungs- und Risikobereich eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses entspringt, stellt eine unangemessene Benachteiligung i.S. des § 307 BGB dar. Eine solche Vereinbarung ist unwirksam. 2 BAG vom 23.1.2007 – 9 AZR 482/06, NZA 2007, 748.
Ehrich
305
Teil 2 Rz. 237
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
237
Eine Klausel über die Rückerstattung von Leistungen muss für den Rückzahlungspflichtigen nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verständlich und klar sein. Wird in einer Nebenabrede zum „Volontariatsvertrag“ geregelt, dass die für die Dauer der reinen Studienzeit zu erbringenden Ausbildungsvergütungen und Zuschüsse nur als „Darlehen“ zur Verfügung gestellt werden und nach erfolgreichem Abschluss des Studiums in 60 Monaten durch „Berufstätigkeit“ beim Darlehensgeber „abgebaut“ werden sollen, so muss bereits bei Vertragsschluss mindestens rahmenmäßig bestimmt sein, zu welchen Bedingungen die „Berufstätigkeit“ bei dem Darlehensgeber erfolgen soll. Dazu gehören Angaben zu Beginn des Vertragsverhältnisses, zu Art und Umfang der Beschäftigung und zur Gehaltsfindung für die Anfangsvergütung. Eine Klausel, die dazu keine Angaben enthält, lässt den Studierenden im Unklaren und verstößt damit gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, so dass sie unwirksam ist1. Unerheblich ist, wenn der Darlehensgeber kurz vor Ende der Vertragslaufzeit ein ausreichend konkretisiertes Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags für die Zeit nach Beendigung des Studiums abgibt. Nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB sind bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nur der Vertragstext und die den Vertragsabschluss begleitenden Umstände, nicht jedoch spätere Ereignisse zu berücksichtigen2. Eine weitere unangemessene Benachteiligung des Studierenden liegt vor, wenn wesentliche Rechte entgegen den Geboten von Treu und Glauben eingeschränkt werden. Eine Klausel die einen ratierlichen Abbau der „darlehensweise“ gewährten Leistungen durch Berufstätigkeit vorsieht, ohne einen Anspruch auf Beschäftigung nach Abschluss der Studienzeit einzuräumen, schränkt ein wesentliches Recht des Vertragspartners ein3.
238
Dagegen benachteiligt eine Bindung des Arbeitnehmers für die Dauer von drei Jahren diesen nicht unangemessen i.S. von § 307 BGB, wenn sich die Fortbildung über mehr als sechs Monate erstreckt, er in dieser Zeit bezahlt freigestellt ist und der Arbeitgeber neben den Unterrichts- und Prüfungsgebühren die Kosten für die auswärtige Unterbringung und wöchentlichen Heimfahrten übernimmt4. Die herstellerübergreifend durchgeführte Ausbildung zum zertifizierten Automobilverkäufer ist geeignet, den teilnehmenden Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt einen zusätzlichen Nutzen zu verschaffen. Beträgt die
1 BAG vom 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004; LAG Schleswig-Holstein vom 23.5.2007 – 3 Sa 28/07, NZA-RR 2007, 514 = LAGE § 611 BGB 2002 Ausbildungsbeihilfe Nr. 4. 2 BAG vom 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004. 3 BAG vom 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004. Ähnlich LAG SchleswigHolstein vom 23.5.2007 – 3 Sa 28/07, NZA-RR 2007, 514 = LAGE § 611 BGB 2002 Ausbildungsbeihilfe Nr. 4: Eine Rückzahlungsklausel in einem Studien- und Ausbildungsvertrag mit nachvertraglicher betrieblicher Bleibefrist stellt eine unangemessene Benachteiligung i.S. des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, wenn der Arbeitgeber seinerseits keinerlei Verpflichtung eingeht, dem Arbeitnehmer die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung überhaupt zu ermöglichen. S. dazu auch Maier/Mosig, NZA 2008, 1168 ff. 4 BAG vom 5.6.2007 – 9 AZR 604/06, NZA-RR 2008, 107.
306
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 242 Teil 2
Ausbildungsdauer in dem Fall ein Jahr, benachteiligt eine dreijährige Bindungsfrist den Arbeitnehmer nicht unangemessen i.S. von § 307 BGB1. Enthält eine vorformulierte Rückzahlungsklausel eine zu lange Bindungsdauer und benachteiligt sie deshalb den Arbeitnehmer unangemessen i.S. von § 307 BGB, kommt eine Reduzierung der Bindungsfrist auf das an sich zulässige Maß, wie dies das BAG in früheren Entscheidungen vor dem Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB angenommen hat (s.o. Rz. 228), nicht mehr in Betracht, da die sog. geltungserhaltende Reduktion einer zu weit gefassten AGB-Klausel vom BAG ausdrücklich abgelehnt wird2. Ausnahmsweise sollen jedoch zumindest die Besonderheiten des Arbeitsrechts und -lebens nach Auffassung des BAG eine ergänzende Vertragsauslegung dann rechtfertigen, wenn es für den Arbeitgeber objektiv schwierig gewesen sei, die zulässige Bindungsdauer zu bestimmen und sich dieses Prognoserisiko für den Arbeitgeber verwirkliche3.
239
Klauseln, die die Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten regeln, müssen Angaben zur etwaigen Größenordnung der auflaufenden Kosten enthalten, um dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu genügen. Anderenfalls sind sie unwirksam4.
240
Die Vereinbarung in einem Formulararbeitsvertrag, wonach der Mitarbeiter im Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Gehaltsrückzahlungen leisten muss, weil er zu Förderungszwecken in Abteilungen eingesetzt wurde, in denen seine Arbeitskraft nicht voll verwertbar ist, ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam5.
241
Nicht selten ist festzustellen, dass Arbeitgeber angesichts der Unsicherheit, ob Rückzahlungsvereinbarungen einer gerichtlichen AGB-Kontrolle Stand halten, sog. „umgekehrte Rückzahlungsvereinbarungen“ treffen, d.h. der Mitarbeiter trägt die Fortbildungskosten zunächst selbst, der Arbeitgeber verpflichtet sich aber unter bestimmten Voraussetzungen zur (monatlichen) Erstattung dieser Kosten. Eine solche Klausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB i.V. mit § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, soweit die Erstattungspflicht des Arbeitgebers auch im Falle einer betriebsbedingten Kündigung oder einer Betriebsstilllegung entfallen soll. Zudem ist diese Klausel ebenfalls nach § 307 Abs. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam, wenn dem Arbeitgeber darin erlaubt wird, bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch dessen Kündigung die vom Arbeitnehmer verauslagten Fortbildungskosten in monatlichen Raten zurück zu zahlen6.
242
1 LAG Köln vom 6.3.2006 – 14 (11) Sa 1327/05, NZA-RR 2006, 404. 2 BAG vom 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, DB 2009, 1129. Ebenso bereits zuvor ArbG Karlsruhe vom 25.4.2006 – 6 Ca 19/06, NZA-RR 2006, 516 unter Hinweis auf BAG vom 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, NZA 2004, 73. 3 BAG vom 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, DB 2009, 1129. 4 LAG Schleswig-Holstein vom 23.5.2007 – 3 Sa 28/07, NZA-RR 2007, 514 = LAGE § 611 BGB 2002 Ausbildungsbeihilfe Nr. 4. 5 ArbG Krefeld vom 1.8.2007 – 3 Ca 1125/07, NZA-RR 2008, 15. 6 ArbG Karlsruhe vom 25.4.2006 – 6 Ca 19/06, NZA-RR 2006, 516.
Ehrich
307
Teil 2 Rz. 243
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
dd) Besonderheiten beim Aufhebungsvertrag 243
Wird im Aufhebungsvertrag eine Pflicht des Arbeitnehmers zur (anteiligen) Rückzahlung von Kosten für Ausbildungs-, Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen nicht aufgenommen, kann ein solcher Anspruch vom Arbeitgeber später nicht mehr geltend gemacht werden, sofern der Aufhebungsvertrag eine allgemeine Erledigungsklausel enthält1. j) Dienstwagen
244
Ist dem Arbeitnehmer zu Beginn oder während des Arbeitsverhältnisses ein Dienstwagen, der überwiegend bei Führungskräften als „wichtiges Statussymbol“2 angesehen wird, zur Verfügung gestellt worden, können sich insbesondere dann Probleme ergeben, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem Aufhebungsvertrag erst zu einem späteren Zeitpunkt endet und der Arbeitnehmer bis dahin von der Arbeitspflicht freigestellt wird.
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245
Hinweis: Zur Vermeidung dieser Probleme kann nur dringend empfohlen werden, dass im Aufhebungsvertrag die Modalitäten der (weiteren) Nutzung und Herausgabe eines Dienstwagens durch den Arbeitnehmer umfassend und abschließend geregelt werden.
Im Einzelnen sind dabei folgende rechtliche Gesichtspunkte zu beachten: Wurde das Fahrzeug dem Arbeitnehmer ausschließlich zu dienstlichen Zwecken überlassen, hat die Überlassung keinen Vergütungscharakter3, so dass der Arbeitgeber mit der Freistellung gleichzeitig die Herausgabe des Dienstwagens verlangen darf4. Ist der Arbeitnehmer dagegen berechtigt, einen Pkw auch privat zu nutzen, ist die Möglichkeit der Privatnutzung des Fahrzeugs Bestandteil des Arbeitsentgelts. Es handelt sich um eine zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeit in Form eines Sachbezugs5. Unerheblich ist dabei, ob das Fahrzeug vornehmlich zur Privatnutzung oder zur gemischtprivaten Nutzung überlassen wird und ob die Privatnutzung Beschränkungen unterliegt. In dem Fall darf der Arbeitgeber selbst bei der Freistellung des Arbeitnehmers von diesem den Dienstwagen nicht vor dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses herausverlangen.
246
Ein nach § 37 Abs. 2 BetrVG von der beruflichen Tätigkeit vollständig befreites Betriebsratsmitglied hat daher Anspruch auf Überlassung eines Firmenfahrzeugs zur privaten Nutzung, wenn ihm der Arbeitgeber vor der Freistellung zur Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ein Firmenfahrzeug zur Verfügung gestellt hatte und er dieses aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung auch privat nutzen durfte6. 1 2 3 4 5 6
Bauer, IV Rz. 215. So die Formulierung von Bauer, IV Rz. 179. Vgl. BAG vom 23.6.2004 – 7 AZR 514/03, NZA 2004, 1287. Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1079); Bengelsdorf, S. 134 m. w. Nachw. BAG vom 23.6.2004 – 7 AZR 514/03, NZA 2004, 1287. BAG vom 23.6.2004 – 7 AZR 514/03, NZA 2004, 1287.
308
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 250 Teil 2
Da es sich bei dem Recht zur privaten Nutzung eines Dienstfahrzeugs um einen Bestandteil der Arbeitsvergütung handelt, endet dieses Recht automatisch mit Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums, sofern die Arbeitsvertragsparteien nichts anderes vereinbart haben1.
247
Die arbeitgeberseitig vorformulierten Dienstwagenüberlassungsverträge unterliegen der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Eine Vertragsklausel, die den Arbeitnehmer verpflichtet, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen ihm zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagen zurückzugeben und dennoch für die restliche Laufzeit des Leasingvertrags die anfallenden Raten in einem Einmalbetrag zu zahlen, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen i.S. von § 307 BGB und ist daher unwirksam2.
248
Die Vereinbarung in einem Formularvertrag, nach welcher der Arbeitgeber be- 249 rechtigt ist, jederzeit die Überlassung eines auch zur Privatnutzung zur Verfügung gestellten Firmenwagens zu widerrufen, ist nach § 307 BGB i.V. mit § 308 Nr. 8 BGB unwirksam. Sie benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen, weil hier das Widerrufsrecht an keinen Sachgrund gebunden ist. Die Widerrufsklausel kann auch nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion oder der ergänzenden Vertragsauslegung auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Arbeitgeber zum Widerruf berechtigt ist, wie etwa im Falle einer berechtigten Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht3. Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für sog. „Altverträge“, also für Dienstwagenvereinbarungen, die vor dem Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB am 1.1.2002 geschlossen wurden, sofern der Arbeitgeber nicht innerhalb der einjährigen Übergangsfrist des Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB den Versuch unternommen hat, die nicht mehr den Anforderungen des § 308 Nr. 4 BGB entsprechende Widerrufsklausel der neuen Gesetzeslage anzupassen und im Dienstwagenvertrag die Gründe aufzunehmen, die ihn zum Widerruf des Nutzungsrechts am Firmenwagen berechtigen sollen4. Wird der Widerruf der Privatnutzung eines Dienstwagens im Formularvertrag vom Vorliegen sachlicher Gründe abhängig gemacht5, ist weiterhin zu beachten, dass der Widerruf nur zulässig ist, wenn der geldwerte Vorteil der Privatnutzung weniger als 25 % der Gesamtvergütung beträgt. Werden daneben noch weitere Entgeltbestandteile widerrufen, darf der Anteil aller widerrufe1 Zutreffend LAG Köln vom 29.11.1995 – 2 Sa 843/95, NZA 1996, 986 = LAGE § 616 BGB Nr. 8. 2 Vgl. BAG vom 9.9.2003 – 9 AZR 574/02, NZA 2004, 484. 3 BAG vom 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809. 4 So ausdrücklich BAG vom 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809. A.A. Bauer, IV Rz. 182, wonach beim Fehlen von Widerrufsgründen in Formularverträgen vor dem 1.1.2002 eine „entstandene Lücke im Vertrag durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden“ könne. 5 Als sachliche Gründe kommen beispielsweise die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, die Leistung oder das Verhalten des Arbeitnehmers, eine berechtigte Freistellung des Mitarbeiters, die Änderung der Arbeitsaufgabe (Wechsel vom Außen- in den Innendienst) oder der Verlust der Fahrerlaubnis in Betracht, vgl. Hunold, NZARR 2008, 449 (457).
Ehrich
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Teil 2 Rz. 251
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
nen Entgeltbestandteile 30 % der Gesamtvergütung nicht übersteigen1. Schließlich muss der Widerruf der Dienstwagengestellung billigem Ermessen i.S. von § 315 Abs. 3 BGB entsprechen2. 251
Im Hinblick auf die Entscheidung des BAG vom 19.12.2006 dürfte auch eine formularmäßige Vereinbarung, die dem Arbeitgeber eine Ersetzungsbefugnis einräumt, unwirksam sein, wenn es danach dem Arbeitgeber jederzeit – ohne Vorliegen von Sachgründen – möglich sein soll, das überlassene Fahrzeug gegen ein anderes auch nicht gleichwertiges Fahrzeug („Ente“ statt „Jaguar“) auszutauschen.
252
Entzieht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen auch zur privaten Nutzung überlassenen Dienst-Pkw unberechtigterweise, so kann der Arbeitnehmer Schadensersatz in Geld in Höhe der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeiten (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) verlangen3. Der Wert der privaten Nutzung eines Kraftfahrzeugs wird dabei vom BAG für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises zum Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich Umsatzsteuer angesetzt. Dagegen kann nach Ansicht des BAG im Arbeitsverhältnis der Wert einer längerfristigen Gebrauchsmöglichkeit – und somit ein Schadensersatzanspruch wegen des unberechtigten Entzugs eines auch zur privaten Nutzung überlassenen Dienst-Pkw – nicht anhand der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch bemessen werden, da sich diese nicht am Wert der Gebrauchsmöglichkeit des eigenen Pkw orientiere, sondern am Wert der Gebrauchsmöglichkeit des Mietwagens, den zu nehmen der Geschädigte unterlasse4.
253
Eine einstweilige Verfügung auf Gestellung eines – dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber nach Ausspruch einer Kündigung entzogenen – Dienstwagens zur privaten Nutzung kommt regelmäßig mangels erforderlichen Verfügungsgrundes nicht in Betracht, da es dem Arbeitnehmer zumutbar ist, selbst für Ersatz zu sorgen und die Kosten im Wege des Schadensersatzes durchzusetzen5. 1 Vgl. BAG vom 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809. 2 BAG vom 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809. 3 BAG vom 27.5.1999 – 8 AZR 415/98, NZA 1999, 1038. Bestätigt durch BAG vom 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809. S. dazu auch die Kritik von Meier, NZA 1999, 1083 ff. 4 BAG vom 27.5.1999 – 8 AZR 415/98, NZA 1999, 1038. Ähnlich bereits BAG vom 16.11.1995 – 8 AZR 240/95, NZA 1996, 415: Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Schadensersatz wegen unterbliebener Bereitstellung eines Pkw auch zur privaten Nutzung zu leisten, kann der Arbeitnehmer im Falle der tatsächlichen Nutzung eines privaten Pkw nur die hierfür aufgewendeten Kosten ersetzt verlangen. Eine abstrakt nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch ermittelte Nutzungsausfallentschädigung steht ihm nicht zu. S. aber auch LAG Rheinland-Pfalz vom 19.11.1996 – 4 Sa 733/96, NZA 1997, 942, wonach der Wert der Nutzung wegen Entzuges eines auch zur privaten unentgeltlichen Nutzung überlassenen Geschäftswagens zumindest dann der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch entnommen werden könne, wenn es sich um einen kurzfristigen Entzug (hier ein Monat) handele. 5 LAG Köln vom 5.11.2002 – 2 Ta 330/02, NZA-RR 2003, 300.
310
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 257 Teil 2
Im Falle der arbeitgeberseitigen Kündigung ist ein Dienstwagen, den der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags auch zu privaten Zwecken nutzen darf, von diesem nach Ablauf des Kündigungstermins trotz Streites über die Wirksamkeit der Kündigung herauszugeben, solange die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist und kein Urteil erster Instanz vorliegt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet wurde1.
254
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Hinweis: Ist der Dienstwagen zurückzugeben, sollte im Aufhebungsvertrag der Übergabetermin in örtlicher und zeitlicher Hinsicht genau festgelegt werden2. Unterbleibt eine diesbezügliche Regelung, so ist Erfüllungsort für die Rückgabeverpflichtung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich die Betriebsstätte des Arbeitgebers3.
255
Wurde dem Arbeitnehmer die Verwendung des Dienstwagens auch für private Zwecke vertraglich eingeräumt, so können die Parteien im Aufhebungsvertrag vereinbaren, dass der Arbeitnehmer den Dienstwagen vor Vertragsende gegen Ersatz des ihm entstehenden geldwerten Vorteils der privaten Nutzung zurückgibt. Insoweit bietet sich folgende Regelung an:
256
Formulierungsbeispiel Herr/Frau . . . verpflichtet sich, den ihm/ihr überlassenen Dienstwagen der Marke . . . mit dem polizeilichen Kennzeichen . . . einschließlich der Wagenpapiere sofort/bis spätestens zum . . ./am . . . an die Firma zurückzugeben. Die Firma verpflichtet sich, an Herrn/Frau . . . für die vorzeitige Herausgabe bei seinem/ihrem Ausscheiden eine Nutzungsentschädigung in Höhe von . . . Euro zu zahlen.
Unter steuerlichen Gesichtspunkten sollte darauf geachtet werden, dass die 257 Rückgabe des Dienstwagens spätestens zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt. Wird dem ausgeschiedenen Mitarbeiter der Dienstwagen aufgrund des Aufhebungsvertrags für einen längeren Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterhin zur privaten Nutzung überlassen, so stellt dies neben der Barabfindung einen weiteren Teil der Entschädigung für die Aufgabe des Arbeitsverhältnisses dar. Erstreckt sich die private Nutzung nach der Beendigung auf zwei Kalenderjahre (etwa wenn das Arbeitsverhältnis zum 30.9.2008 aufgelöst wird und der Mitarbeiter den Dienstwagen bis zum 31.3.2009 nutzen darf), kann dies zum Verlust der Steuerbegünstigung der Barabfindung führen, weil es nunmehr an der für §§ 24, 34 EStG notwendigen Zusammenballung fehlt4. 1 LAG München vom 11.9.2002 – 9 Sa 315/02, NZA-RR 2002, 636. 2 Zu den haftungs- und versicherungsrechtlichen Konsequenzen bei schuldhafter Beschädigung des Dienstfahrzeugs durch den Arbeitnehmer s. Lohr, MDR 1999, 1353 (1358 f.). 3 Bauer, IV Rz. 193 (dort auch zu etwaigen Ausnahmen). 4 Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1079).
Ehrich
311
Teil 2 Rz. 258
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
258
Schließlich kann im Aufhebungsvertrag auch vereinbart werden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Dienstwagen verkauft bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt übereignet. Diese Möglichkeit bietet sich insbesondere an, wenn der Dienstwagen bereits längere Zeit genutzt wurde und deshalb nicht mehr sinnvoll verwendet werden kann.
259
Ist der Arbeitnehmer zur Rückgabe des Firmenfahrzeugs verpflichtet, macht er sich zivilrechtlich nicht nur gegenüber dem Arbeitgeber schadensersatzpflichtig, sondern u.U. auch nach § 248b StGB strafbar, wenn er den Dienstwagen unberechtigterweise nicht zurückgibt1. In letzterem Fall wird man den Arbeitgeber für berechtigt halten müssen, den Pkw zunächst abzumelden und ihn auch polizeilich zur Fahndung ausschreiben zu lassen.
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Hinweis: Um nicht gewissermaßen einen „Konter“ durch den Arbeitnehmer in Gestalt einer Strafanzeige wegen Vortäuschens einer Strafttat i.S. von § 145d StGB und falscher Verdächtigung i.S. von § 164 StGB zu riskieren, sollte der Arbeitgeber von diesen Möglichkeiten allerdings erst dann Gebrauch machen, wenn rechtlich definitiv feststeht, dass der Arbeitnehmer den Dienstwagen an den Arbeitgeber herauszugeben hat.
k) Werkwohnung 260
Bewohnt der Arbeitnehmer eine Werkwohnung, sollten bei der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Aufhebungsvertrag unbedingt auch die Modalitäten der Abwicklung der Wohnungsnutzung geregelt werden.
261
Die Werkwohnung ist Wohnraum, der dem Arbeitnehmer und seinen Angehörigen mit Rücksicht auf ein bestehendes Arbeitsverhältnis überlassen wird (vgl. §§ 576 Abs. 1, 576b Abs. 1 BGB). Dabei ist zwischen Werkmietwohnungen und Werkdienstwohnungen zu unterscheiden. aa) Werkmietwohnung
262
Werkmietwohnungen sind nach § 576 Abs. 1 BGB Wohnungen, die mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden. § 576 Abs. 1 BGB untergliedert die Werkmietwohnungen in einfache und funktionsgebundene Wohnungen. Eine funktionsgebundene Wohnung liegt vor, wenn das Arbeitsverhältnis seiner Art nach die Überlassung des Wohnraumes, der in unmittelbarer Beziehung oder Nähe zur Arbeitsstätte steht, erfordert (vgl. § 576 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Typische Beispiele sind die Werkwohnungen für Hausmeister, Pförtner oder Verwalter.
263
Da der Arbeitsvertrag und der Mietvertrag über die Werkwohnung selbständig nebeneinander bestehen, führt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht automatisch zur Beendigung des Mietvertrages. Vielmehr bedarf es einer eigenen Kündigung des Mietvertrages nach Maßgabe des § 576 Abs. 1 BGB2. 1 Einzelheiten dazu s. bei Bauer, IV Rz. 194. 2 Bauer, IV Rz. 200; Bengelsdorf, S. 135 m. w. Nachw.
312
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 265 Teil 2
Im Falle der funktionsgebundenen Werkmietwohnung kann das Mietverhält- 264 nis gemäß § 576 Abs. 1 Nr. 2 BGB spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats für den Ablauf dieses Monats gekündigt werden, wenn der Wohnraum für einen anderen funktionsgebundenen Mitarbeiter dringend benötigt wird. Außerdem kann sich hier der Arbeitnehmer nicht auf die Sozialklausel des § 574a BGB berufen (§ 576a Abs. 2 Nr. 1 BGB). Dagegen gelten bei der Kündigung einer einfachen Werkmietwohnung, die weniger als zehn Jahre überlassen war, die Kündigungsfristen des § 576 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Zudem kann sich der Mieter einer einfachen Werkmietwohnung grundsätzlich auf die Sozialklausel des § 574a BGB berufen. Danach kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit § 576a Abs. 1 BGB). Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann, § 574 Abs. 2 BGB i.V. mit § 576a Abs. 1 BGB. Den Widerspruch muss der Mieter gemäß § 574b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB i.V. mit § 576a Abs. 1 BGB schriftlich und spätestens zwei Monate vor der Beendigung des Mietverhältnisses erklären. Anderenfalls kann der Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses ablehnen. Hat der Vermieter den Mieter nicht rechtzeitig auf die Form und die Frist des Widerspruchs hingewiesen, kann der Mieter den Widerspruch aber noch im ersten Verhandlungstermin vor Gericht rechtzeitig erklären, § 574b Abs. 2 Satz 2 i.V. mit § 576a Abs. 1 BGB. Das Widerspruchsrecht ist weiterhin ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis gelöst hat, ohne dass ihm der Arbeitgeber dazu gesetzlich begründeten Anlass geliefert hat, oder der Arbeitnehmer durch sein Verhalten dem Arbeitgeber gesetzlich begründeten Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat (§ 576a Abs. 2 Nr. 2 BGB). Für Rechtsstreitigkeiten um Werkmietwohnungen ist nach § 29a ZPO, § 23 Nr. 2a GVG das Amtsgericht ausschließlich sachlich und örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich der Wohnraum befindet1. Allerdings können die Parteien auch vor den Arbeitsgerichten im Rahmen einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Räumungsvergleich abschließen2. Die zwingenden gesetzlichen Vorschriften über die Kündigung von Werkmietwohnungen (vgl. §§ 576 Abs. 2, 576a Abs. 3 BGB) schließen einvernehmliche Regelungen über die Beendigung des Werkwohnmietverhältnisses nicht aus. Entsprechende Vereinbarungen können daher in gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsverträgen grundsätzlich wirksam getroffen werden. Insbesondere sollten der Auszugstermin festgelegt und mögliche Streitfragen für die Restlaufzeit des Mietverhältnisses geklärt werden, wie z.B. die Höhe des Mietzinses und die Übernahme von Renovierungsarbeiten. Bei der Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall verspäteter Rückgabe der Werk1 BAG vom 24.1.1990 – 5 AZR 749/87, NZA 1990, 539; ArbG Wetzlar vom 5.7.1988 – 1 Ca 129/88, NZA 1989, 233. 2 Vgl. Bauer, IV Rz. 209.
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Teil 2 Rz. 266
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
wohnung ist § 571 Abs. 1 und 3 BGB zu berücksichtigen. Danach sind eine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht des Arbeitnehmers oder Vereinbarungen, die dem Arbeitnehmer das Recht nehmen, sich gegenüber dem Schadensersatzanspruch auf Billigkeitsgründe zu berufen, unwirksam. bb) Werkdienstwohnung 266
Bei Werkdienstwohnungen wird der Wohnraum „im Rahmen eines Dienstvertrages“ überlassen, § 576b Abs. 1 BGB. Ein selbständiger Mietvertrag liegt neben dem Arbeitsvertrag nicht vor. Vielmehr wird nur ein einheitlicher Vertrag abgeschlossen, bei dem die arbeitsrechtlichen Elemente überwiegen und die Überlassung der Wohnung Teil der Vergütung ist1. Das Nutzungsrecht an der Werkdienstwohnung entfällt daher grundsätzlich mit der Beendigung des Arbeitsvertrages. Umgekehrt kann die Verpflichtung zur Überlassung der Wohnung nicht isoliert unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses gekündigt werden, da dies eine unzulässige Teilkündigung wäre2.
267
Auf die Überlassung von Werkdienstwohnungen finden die Vorschriften des Mietrechts keine Anwendung, es sei denn, der Arbeitnehmer hat den Wohnraum ganz oder überwiegend mit Einrichtungsgegenständen ausgestattet oder er lebt in dem Wohnraum mit seiner Familie oder Personen, mit denen er einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führt (§ 576b Abs. 1 BGB). In dem Fall entsteht nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein gesetzliches Schuldverhältnis, aus dem sich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf weitere Überlassung der Wohnung ergibt3. Da die Werkdienstwohnungen grundsätzlich funktionsgebunden sind, gelten insoweit regelmäßig die Vorschriften über die funktionsgebundene Werkmietwohnung und damit die Kündigungsmöglichkeit nach § 576 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
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Anders als bei den Werkmietwohnungen sind für Rechtsstreitigkeiten über Werkdienstwohnungen die Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG zuständig, weil die Überlassung des Wohnraums unmittelbarer Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ist4. Im Rahmen einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsvereinbarung kann die Beendigung der Überlassung der Werkdienstwohnung wirksam geregelt werden. Auch hier sollten insbesondere der Auszugstermin und alle weiteren Fragen hinsichtlich der restlichen Nutzungsdauer festgelegt werden. l) Betriebliche Altersversorgung
269
Im Rahmen von Aufhebungsverträgen sollte unbedingt geregelt werden, wie sich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf die betriebliche Altersversorgung auswirkt, wenn eine solche zu Gunsten des Arbeitnehmers besteht. 1 2 3 4
Vgl. Bauer, IV Rz. 197; Bengelsdorf, S. 135 m. w. Nachw. BAG vom 23.8.1989 – 5 AZR 569/88, NZA 1990, 191. Bauer, IV Rz. 206 m. w. Nachw. BAG vom 2.11.1999 – 5 AZB 18/99, NZA 2000, 277; a.A. ArbG Wetzlar vom 5.7.1988 – 1 Ca 129/88, NZA 1989, 233.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 270 Teil 2
aa) Begriff der „betrieblichen Altersversorgung“ Unter dem Begriff der „betrieblichen Altersversorgung“ ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG die Zusage des Arbeitgebers von Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung des Arbeitnehmers aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Hierfür gelten die Vorschriften des Betriebsrentengesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. BetrAVG), das in den vergangenen Jahren durch eine Vielzahl von Gesetzen mehrmals – teilweise grundlegend – geändert worden ist1.
1 Zum Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung gemäß § 1a BetrAVG, der durch Art. 9 Nr. 4 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG) vom 26.6.2001 (BGBl. I S. 1310) teilweise rückwirkend zum 1.1.2001, teilweise mit Wirkung vom 1.1.2002 in das BetrAVG eingefügt worden ist s. Heither, NZA 2001, 1275 ff.; Höfer, DB 2001, 1145 ff.; Blomeyer, DB 2001, 1413 ff.; Blomeyer, NZA 2001, 913 ff.; Gohdes/Haferstock/Schmidt, DB 2001, 1558 ff.; Böhm/Scheurich, NZA 2001, 1291 ff.; Schliemann, DB 2001, 2554 ff.; Klemm, NZA 2002, 416 ff.; Klemm, NZA 2002, 1123 ff.; Horlemann, FA 2002, 199 ff.; Langohr-Plato/Teslau, DB 2003, 661 ff.; Schwark/Raulf, DB 2003, 940 ff. Zu etwaigen Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats bei der Einführung einer betrieblichen Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung s. Feudner, DB 2001, 2047 ff.; Schnitker/Grau, BB 2003, 1061 ff. Zu den Änderungen des BetrAVG durch Art. 3, 3a des Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes (HZvNG) vom 21.6.2002 (BGBl. II 2002 S. 2167) mit Wirkung vom 1.7.2002 s. Schwark/Gunia, DB 2003, 338 ff.; Bode/Saunders, DB 2002, 1378 f.; Hopfner, DB 2002, 1050 ff. Zu den Änderungen des BetrAVG durch Art. 8 des Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG) vom 5.7.2004 (BGBl. I S. 1427 ff.) s. Höfer, DB 2004, 1426 ff.; Reichel/Volk, DB 2005, 886 ff. Zur Umsetzung der Pensionsfonds-Richtlinie (Richtlinie 2003/41/EG vom 3.6.2003 über die Tätigkeiten und Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (ABl. EG Nr. L 235 vom 23.9.2003, S. 10) durch das am 1.9.2005 in Kraft getretene 7. Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (BGBl. I 2005 S. 2546) s. Baumeister, DB 2005, 2076 ff.; Zeppenfeld/ Rößler, BB 2006, 1221 ff. Zu den Auswirkungen der Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demographische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz – RVAGAnpG) vom 20.4.2007 (BGBl. I S. 554 ff.) mit Wirkung vom 1.1.2008 auf die betriebliche Altersversorgung s. Cisch/Kruip, BB 2007, 1162 ff.; Höfer/Witt/ Kuchem, BB 2007, 1445 ff.; Schipp, ArbRB 2008, 50 ff. Zu den Auswirkungen des am 18.8.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (BGBl. I S. 1897 ff.) auf betriebliche Altersversorgungen s. Rengier, NZA 2006, 1251 ff.; Cisch/ Böhm, BB 2007, 602 ff.; Thum, BB 2008, 2291 ff. S. dazu auch BAG vom 11.12.2007 – 3 AZR 249/06, NZA 2008, 532: Das AGG gilt trotz der dort in § 2 Abs. 2 Satz 2 enthaltenen Verweisung auf das Betriebsrentengesetz auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentenrecht nicht vorrangige Sonderregelungen enthält. Bei einer dem AGG widersprechenden Diskriminierung ergibt sich aus der Wertung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG und § 8 Abs. 2 AGG i.V. mit der zugrunde liegenden diskriminierenden Regelung, dass eine Grundlage für Ansprüche auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit gegeben ist.
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Teil 2 Rz. 271
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
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Eine betriebliche Altersversorgung liegt vor, wenn die im Betriebsrentengesetz abschließend aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sind: Der Arbeitgeber muss die Zusage aus Anlass eines Arbeitverhältnisses erteilen. Die Leistungspflicht mus sich nach dem Inhalt der Zusage durch ein im Gesetz genanntes biologisches Ereignis (Alter, Invalidität oder Tod) ausgelöst werden. Die zugesagte Leistung muss einem Versorgungszweck dienen. Unter einer „Versorgung“ sind alle Leistungen zu verstehen, die den Lebensstandard des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Versorgungsfall, wenn auch nur zeitanteilig, verbessern sollen. Auf die Bezeichnung der Leistung und sonstige Formalien kommt es nicht an. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, aus welchen Gründen und aus welchem Anlass die Versorgungsordnung versprochen wurde1.
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Betriebliche Altersversorgung liegt gemäß § 1 Abs. 2 BetrAVG auch vor, wenn (1) der Arbeitgeber sich verpflichtet, bestimmte Beiträge in eine Anwartschaft auf Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung umzuwandeln (beitragsorientierte Leistungszusage), (2) der Arbeitgeber sich verpflichtet, Beiträge zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung zu zahlen und für Leistungen zur Altersversorgung das planmäßig zuzurechnende Versorgungskapital auf der Grundlage der gezahlten Beiträge (Beiträge und die daraus erzielten Erträge), mindestens die Summe der zugesagten Beiträge, soweit sie nicht rechnungsmäßig für einen biometrischen Risikoausgleich verbraucht wurden, hierfür zur Verfügung zu stellen (Beitragszusage mit Mindestleistung), (3) künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistung umgewandelt werden (Entgeltumwandlung) oder
1 BAG vom 28.10.2008 – 3 AZR 317/07, zitiert nach juris. Im Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde lag, wurde im Zuge einer Umstrukturierung der betrieblichen Altersversorgung die feste Altersgrenze von 65 Jahren auf 60 Jahre abgesenkt. Zum Ausgleich dafür war ab Eintritt in den Ruhestand bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres die Zahlung sog. „Übergangsbezüge“ vorgesehen. Dies war nicht in der Versorgungsordnung, sondern in einer besonderen Richtlinie geregelt. Der Anspruch auf diese Leistungen sollte bei einem Ausscheiden vor Vollendung des 60. Lebensjahres entfallen. Der Arbeitnehmer beendete sein Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 55. Lebensjahres durch Eigenkündigung. Der Arbeitgeber hat sich wegen des vorzeitigen Ausscheidens geweigert, ihm „Übergangsbezüge“ ab Vollendung des 60. Lebensjahres zu gewähren. Das BAG hat angenommen, die vom Arbeitnehmer erworbene unverfallbare Versorgungsanwartschaft (§ 1b BetrAVG) habe auch die sog. „Übergangsbezüge“ erfasst. Bei ihnen handele es sich nicht nur um eine Übergangsversorgung, die dazu diene, die Zeit bis zum Eintritt in den Ruhestand oder in ein neues Arbeitsverhältnis zu überbrücken. Denn die „Übergangsbezüge“ seien erst mit Beginn des Ruhestandes zu zahlen gewesen. Weshalb der Arbeitgeber die zeitlich befristete zusätzliche Rente zugesagt habe, spiele keine Rolle. Die für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens vereinbarte Verfallklausel sei deshalb nichtig (§ 17 Abs. 3 BetrAVG, § 134 BGB).
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 276 Teil 2
(4) der Arbeitnehmer Beiträge aus seinem Arbeitsentgelt zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung leistet und die Zusage des Arbeitgebers auch die Leistungen aus diesen Beiträgen umfasst. Hierbei sind die Regelungen für Entgeltumwandlung entsprechend anzuwenden, soweit die zugesagten Leistungen aus diesen Beiträgen im Wege der Kapitaldeckung finanziert werden. Gemäß § 30e Abs. 1 BetrAVG gilt die Bestimmung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Halbs. 2 BetrAVG erstmals für Zusagen, die ab dem 1.1.2003 erteilt worden sind. Weiterhin findet § 1 Abs. 2 Nr. 4 Halbs. 2 BetrAVG gemäß § 30e Abs. 2 Satz 1 BetrAVG auf Pensionskassen, deren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam finanziert werden und die als beitragsorientierte Leistungszusage oder als Leistungszusage durchgeführt werden, mit der Maßgabe Anwendung, dass dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer das Recht zur Fortführung mit eigenen Beiträgen nicht eingeräumt werden und eine Überschussverwendung gemäß § 1b Abs. 5 Nr. 1 BetrAVG nicht erfolgen muss. bb) Verfallbarkeit und Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften Bei der betrieblichen Altersversorgung ist zwischen verfallbaren und unverfallbaren Versorgungsanwartschaften zu unterscheiden.
273
Die Unverfallbarkeit bedeutet, dass die Anwartschaft nicht erlischt, sondern zeitanteilig bestehen bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls endet. Zudem ist der Pensionssicherungsverein bei Insolvenz des Arbeitgebers mit Eintritt des Versorgungsfalles einstandspflichtig. Bei einem Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH kann eine Unverfallbarkeit der ihm erteilten Versorgungszusage nur dann eintreten, wenn ihm auch die Unverfallbarkeit zugesagt worden ist, da er vom persönlichen Anwendungsbereich des BetrAVG nach § 17 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst wird1.
274
Seit dem 1.1.2001 war eine Versorgungsanwartschaft gemäß § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG unverfallbar, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 30. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf Jahre bestanden hat. An die Stelle des „30. Lebensjahres“ trat mit Wirkung vom 1.1.2009 gemäß Art. 4 und 7 des Gesetzes zur Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge und zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom 10.12.20072 das „25. Lebensjahr“.
275
Zu beachten ist hierbei allerdings die Übergangsregelung des § 30f Satz 1 BetrAVG, die in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung wie folgt lautete:
276
1 BGH vom 15.10.2007 – II ZR 236/06, NZA 2008, 648 = DB 2008, 287 = BB 2008, 620. A.A. Bauer, IV Rz. 274, wonach die §§ 1a, 2 bis 5, 16 BetrAVG auch für nicht beherrschende vertretungsberechtigte Organmitglieder „zwingend gelten“. 2 BGBl. I S. 2838.
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Teil 2 Rz. 277
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
„Wenn Leistungen der betrieblichen Altersversorgung vor dem l. Januar 2001 zugesagt worden sind, ist § 1b Abs. 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Anwartschaft erhalten bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles, jedoch nach Vollendung des 35. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt 1. mindestens zehn Jahre oder 2. bei mindestens zwölfjähriger Betriebszugehörigkeit mindestens drei Jahre bestanden hat (unverfallbare Versorgungsanwartschaft); in diesen Fällen bleibt die Anwartschaft auch erhalten, wenn die Zusage ab dem 1. Januar 2001 fünf Jahre bestanden hat und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 30. Lebensjahr vollendet ist.“1 277
Durch Art. 4 des Gesetzes zur Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge und zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom 10.12.2007 (BGBl. I, S. 2838) wurde diese Übergangsregelung mit Wirkung vom 1.1.2009 dahin geändert, dass der bisherige Wortlaut nunmehr Absatz 1 Satz 1 wurde, der Klammerzusatz „unverfallbare Versorgungsanwartschaft“ ersatzlos gestrichen und folgender Absatz 2 angefügt wurde: „Wenn Leistungen in der betrieblichen Altersversorgung vor dem 1. Januar 2009 und nach dem 31. Dezember 2000 zugesagt worden sind, ist § 1b Abs. 1 Satz 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Anwartschaft erhalten bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 30. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre bestanden hat; in diesen Fällen bleibt die Anwartschaft auch erhalten, wenn die Zusage ab dem 1. Januar 2009 fünf Jahre bestanden hat und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 25. Lebensjahr vollendet ist.“
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Sind die Voraussetzungen für eine gesetzlich unverfallbare2 Anwartschaft beim Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht erfüllt, behält er seine Versorgungsanwartschaft nur, wenn dies die Parteien abweichend von § 1b BetrAVG vereinbart haben3. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die Anrechnung fiktiver Nachdienstzeiten gegenüber dem Pensionssicherungsverein keine Wirkungen hat, da eine lediglich arbeitsvertragliche Unverfallbarkeit für den gesetzlichen Insolvenzschutz eines Versorgungsanwärters nicht ausreicht4.
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Beispiel: Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer hat am 1.1.2005 unter gleichzeitiger Erteilung einer Versor-
1 S. dazu auch BAG vom 14.1.2009 – 3 AZR 529/07, Pressemitteilung Nr. 3/08: Es genügt, dass die Unverfallbarkeitsfrist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist. 2 Anwartschaften, die auf Entgeltumwandlung i.S. von § 1a BetrAVG beruhen, sind gemäß § 1b Abs. 5 BetrAVG sofort unverfallbar und von Anfang an insolvenzgeschützt. 3 S. Bengelsdorf, S. 137 m. w. Nachw. Zu den steuerrechtlichen Konsequenzen einer Zusage der Unverfallbarkeit einer noch nicht gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft im Aufhebungsvertrag s. Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1081). 4 BAG vom 22.2.2000 – 3 AZR 4/99, NZA 2001, 1310.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 282 Teil 2
gungszusage begonnen. Am 15.12.2008 schließen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, in dem es u.a. heißt: 1. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2008 enden wird. 2. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, an den Arbeitnehmer für den Verlust seines sozialen Besitzstandes eine am 31.12.2008 fällige Abfindung in Höhe von . . . Euro zu zahlen. 3. Hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung wird der Arbeitnehmer so gestellt, als sei das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2009 beendet worden. Nach Abschluss des Aufhebungsvertrages gerät der Arbeitgeber in Insolvenz. Gegenüber dem Arbeitgeber ist die fiktive Anrechnung von Nachdienstzeiten ohne Weiteres wirksam. Wäre der Arbeitgeber nicht in Insolvenz gefallen, hätte der Arbeitnehmer bei Erreichen der Altersgrenze Anspruch auf Betriebsrente gehabt. Die vertraglich wirksam zugesagte Unverfallbarkeit der Anwartschaft wirkt allerdings nicht zu Lasten des Pensionssicherungsvereins. Für den Insolvenzschutz bleibt es dabei, dass der Arbeitnehmer nur eine vierjährige Betriebszugehörigkeit (vom 1.1.2005 bis zum 31.12.2008) aufweisen kann und damit die Voraussetzungen für eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft nicht erfüllt sind.
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Sagt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis zu, ihm nach einer festgelegten Zeitspanne eine Versorgungszusage zu erteilen, und verbleibt dem Arbeitgeber nach deren Ablauf kein Entscheidungsspielraum, ob er die Zusage erteilt oder nicht, so beginnt die Unverfallbarkeitsfrist bereits mit dem Zeitpunkt der „Zusage der Zusage“1.
280
Bei rechtlichen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses muss die gesetzliche Unverfallbarkeit nach § 1b Abs. 1 BetrAVG neu erworben werden, ohne dass es dabei auf den Grund und die Dauer der Unterbrechung ankommt2. Vertragliche Zusagen des Arbeitgebers, denenzufolge frühere Beschäftigungszeiten angerechnet werden, können den Insolvenzschutz nach § 7 Abs. 2 BetrAVG nicht bewirken3.
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Beschäftigungszeiten bei verschiedenen (Konzern-)Unternehmen können selbst bei enger wirtschaftlicher Verflechtung der jeweiligen Gesellschaften im Hinblick auf die gesetzliche Unverfallbarkeit nicht zusammengerechnet werden4.
282
1 So BAG vom 24.2.2004 – 3 AZR 5/03, NZA 2004, 789. 2 BAG vom 22.2.2000 – 3 AZR 4/99, NZA 2001, 1310; BAG vom 21.3.2003 – 3 AZR 121/02. 3 BAG vom 21.1.2003 – 3 AZR 121/02, NZA 2004, 152; BAG vom 25.4.2006 – 3 AZR 78/05, NZA 2007, 408. 4 BAG vom 20.4.2004 – 3 AZR 297/03, NZA 2005, 327.
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Teil 2 Rz. 283 283
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
Scheidet ein Arbeitnehmer mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus dem ersten Arbeitsverhältnis aus und begründet er später mit dem Arbeitgeber ein weiteres Beschäftigungsverhältnis, das nicht nahtlos an das erste Arbeitsverhältnis heranreicht, so beginnt die Unverfallbarkeitsfrist für die im zweiten Arbeitsverhältnis erteilte Versorgungszusage mit dem Beginn dieses neuen Beschäftigungsverhältnisses. Die im zweiten Arbeitsverhältnis erteilte Versorgungszusage kann dahin auszulegen sein, dass sie die im ersten Beschäftigungsverhältnis erdiente Versorgungsanwartschaft ablösen soll, sofern sie mit einem höheren Betrag unverfallbar wird1. cc) Abfindung von Versorgungsanwartschaften
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Soll bei der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Versorgungsanwartschaft abgefunden werden, ist dies im Aufhebungsvertrag nur dann ohne Weiteres möglich, wenn diese Versorgungsanwartschaft nach § 1b BetrAVG noch verfallbar ist, selbst wenn sie aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung „unverfallbar“ geworden ist2. Insoweit kann eine Abfindungsvereinbarung etwa wie folgt wirksam getroffen werden:
Formulierungsbeispiel Herr/Frau . . . hat aufgrund der ihm/ihr im Vertrag vom . . . erteilten Zusage einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung gegen die Firma. Die Firma verpflichtet sich, an Herrn/Frau . . . zur Abgeltung der Anwartschaft beim Ausscheiden eine Abfindung in Höhe von . . . Euro zu zahlen. Damit sind sämtliche Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung erledigt.
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Für gesetzlich unverfallbare Anwartschaften enthält dagegen § 3 BetrAVG in der seit dem 1.1.2005 geltenden Fassung einschränkende Regelungen. Gemäß § 3 Abs. 1 BetrAVG dürfen unverfallbare Anwartschaften im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und laufende Leistungen nur unter den Voraussetzungen der Abs. 2 bis 6 von § 3 BetrAVG abgefunden werden.
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Der Arbeitgeber kann nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG eine Anwartschaft ohne Zustimmung des Arbeitnehmers abfinden, wenn der Monatsbetrag der aus der Anwartschaft resultierenden laufenden Leistung bei Erreichen der vorgesehenen Altersgrenze 1 %, bei Kapitalleistungen 12/10 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht übersteigen würde.
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Die Bezugsgröße i.S. des § 18 SGB IV beträgt im Jahre 2009 gemäß § 2 der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2009 in den alten Bundesländern 30 240 Euro jährlich und 2520 Euro monatlich, in den neuen Bundesländern 25 620 Euro jährlich und 2135 euro monatlich. Bezogen auf das Jahr 2009 kön1 LAG Köln vom 15.1.2008 – 9 Sa 1142/07, NZR-RR 2008, 487. 2 Bauer, IV Rz. 284; Bengelsdorf, S. 137 m. w. Nachw.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 296 Teil 2
nen damit in den alten Bundesländern Monatsrenten in Höhe von bis zu 25,20 Euro (bei Kapitalleistungen bis zu 3024 Euro), in den neuen Bundesländern Monatsrenten in Höhe von bis zu 21,35 Euro (bei Kapitalleistungen bis zu 2562 Euro) vom Arbeitgeber einseitig abgefunden werden. Dies gilt entsprechend für die Abfindung einer laufenden Leistung (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG).
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Die Abfindung ist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG unzulässig, wenn der Arbeitnehmer von seinem Recht auf Übertragung der Anwartschaft Gebrauch macht.
289
Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist die Anwartschaft abzufinden, wenn die Beträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet worden sind, § 3 Abs. 3 BetrAVG.
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Der Teil der Anwartschaft, der während eines Insolvenzverfahrens erdient worden ist, kann gemäß § 3 Abs. 4 BetrAVG ohne Zustimmung des Arbeitnehmers abgefunden werden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wird.
291
Die Abfindung ist gesondert auszuweisen und einmalig zu zahlen (§ 3 Abs. 6 BetrAVG).
292
§ 3 BetrAVG verbietet nicht nur die vollständige Abfindung aller Versorgungsrechte, sondern auch Teilabfindungen1.
293
§ 3 BetrAVG führt nur zur Aufrechterhaltung der bei Abschluss des Abfindungsvertrags bereits bestehenden Versorgungsanwartschaften, nicht aber zu deren Erhöhung2.
294
Das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG ist nicht anwendbar, wenn die Versorgung lediglich inhaltlich verändert wird und die neuen Versorgungsleistungen wirtschaftlich gleichwertig sind. Denn bei der bloßen Umgestaltung erfolgt weder eine Zahlung vor Eintritt des Versorgungsfalls noch ein entschädigungsloser Verzicht auf Versorgungsrechte. Im Aufhebungsvertrag kann daher vereinbart werden, dass eine Invaliditätserhöhung durch eine entsprechend höhere Altersversorgung abgelöst wird. Ob eine Abfindungsvereinbarung oder eine inhaltliche Veränderung der Versorgungszusage vorliegt, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln3.
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Weiterhin gilt das grundsätzliche Abfindungsverbot des § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG nur für gesetzliche Anwartschaften nach § 1b BetrAVG „im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ sowie für laufende Leistungen. Es setzt voraus, dass der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses objek-
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1 BAG vom 20.11.2001 – 3 AZR 28/01, DB 2002, 2333. 2 BAG vom 20.11.2001 – 3 AZR 28/01, DB 2002, 2333. 3 BAG vom 20.11.2001 – 3 AZR 28/01, DB 2002, 2333.
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Teil 2 Rz. 297
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
tiv noch Versorgungsanwärter ist1. Möglich ist daher die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Zwecke der Kapitalisierung einer Anwartschaft.
Û
Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist seit dem 1.7.2004 in einem Unternehmen beschäftigt. Seit diesem Zeitpunkt wurde ihm auch eine Versorgungszusage erteilt. Die vertragliche Kündigungsfrist beträgt ein Jahr zum Jahresende. Ende 2008 kündigt der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2009. Da der Arbeitnehmer ab 1.7.2009 eine neue Tätigkeit gefunden und das Unternehmen kein Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Kündigungstermin hat, einigen sich beide Seiten einvernehmlich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 29.6.2009. Hier kann die Anwartschaft auf die betriebliche Altersversorgung mit Zustimmung des Arbeitnehmers kapitalisiert werden, weil die Versorgungszusage am 29.6.2009 noch nicht fünf Jahre bestanden hat. Auf den 31.12.2009 kann insoweit nicht abgestellt werden.
297
Das gesetzliche Verbot des § 3 BetrAVG kommt nur zur Anwendung, wenn ein Versorgungsberechtigter auf unstreitige und zweifelsfrei vorhandene Versorgungsrechte verzichtet. Eine Vereinbarung, in der ein Versorgungsberechtigter mit seinem bisherigen Arbeitgeber eine bestimmte Versorgungshöhe vereinbart, um einen sowohl Rechtsfragen als auch Tatsachenfragen umfassenden Streit über die Höhe der ihm zustehenden laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung beizulegen, verstößt deshalb nicht gegen das Verbot des § 3 BetrAVG2.
298
Verstößt die Abfindung der gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft gegen das gesetzliche Verbot des § 3 Abs. 1 BetrAVG, ist die getroffene Vereinbarung gemäß § 134 BGB i.V. mit § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG nichtig3. Zwar kann dem Arbeitgeber nach § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Bereicherungsanspruch zustehen, ohne dass dieser – wie vom BAG in einer Entscheidung vom 17.10.20004 entgegen der bis dahin im Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht5 angenommen – durch § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen wird. Gleichwohl kann im Falle des Eingreifens des Abfindungsverbots des § 3 BetrAVG vor der Vereinbarung einer Kapitalabfindung der Versorgungsanwartschaft mit dem ausscheidenden Arbeitnehmer in Aufhebungsverträgen nur dringend gewarnt werden.
1 BAG vom 21.3.2000 – 3 AZR 127/99, AP Nr. 9 zu § 3 BetrAVG. 2 Vgl. OLG Frankfurt a.M. vom 22.2.2007 – 16 U 197/06, NZA 2007, 317. 3 BAG vom 22.3.1983 – 3 AZR 499/80, NZA 1985, 218; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1080); Bengelsdorf, S. 137. S. weiterhin BAG vom 24.3.1998 – 3 AZR 800/96, NZA 1998, 1280. Ähnlich BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 7/00, NZA 2001, 963: Soll die in einem Aufhebungsvertrag vereinbarte Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes mit der Vollendung des 60. Lebensjahres entstehenden betrieblichen Invalidenrente verrechnet werden, so ist die in der Verrechnungsabrede enthaltene aufschiebend bedingte Tilgungsbestimmung wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 BetrAVG unwirksam. 4 BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 7/00, NZA 2001, 963. 5 S. etwa Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1080); Bengelsdorf, S. 137.
322
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 304 Teil 2
Kann nach § 3 Abs. 2, 3 oder 4 BetrAVG eine Anwartschaft in zulässiger Weise abgefunden werden, gilt für die Berechnung des Abfindungsbetrags gemäß § 3 Abs. 5 BetrAVG die Regelung des § 4 Abs. 5 BetrAVG entsprechend (s.u. Rz. 311).
299
dd) Übertragung von Anwartschaften Die Möglichkeit der Übertragung von unverfallbaren Versorgungsanwart- 300 schaften und laufenden Leistungen richtet sich nach § 4 BetrAVG. Diese Bestimmung wurde durch das Alterseinkünftegesetz vom 5.7.20041 mit Wirkung vom 1.1.2005 völlig neu gefasst2. Gemäß § 4 Abs. 1 BetrAVG dürfen unverfallbare Anwartschaften und laufende Leistungen nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 6 von § 4 BetrAVG übertragen werden. Gesetzlich beschränkt ist damit allein die Übertragung von unverfallbaren Anwartschaften und laufenden Versorgungsleistungen. Über lediglich vertraglich verfallbare oder gesetzlich unverfallbare Ansprüche können die Arbeitsvertragsparteien somit auch weiterhin frei disponieren. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass Versorgungsansprüche aus Entgeltumwandlung sofort unverfallbar sind (vgl. § 1b Abs. 5 BetrAVG). Deren Übertragung richtet sich seit dem 1.1.2005 ausnahmslos nach der Vorschrift des § 4 BetrAVG und ist daher nur unter den dort genannten Voraussetzungen möglich.
301
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann gemäß § 4 Abs. 2 BetrAVG im Einvernehmen des ehemaligen mit dem neuen Arbeitgeber sowie dem Arbeitnehmer
302
1. die Zusage von dem neuen Arbeitgeber übernommen werden oder 2. der Wert der vom Arbeitnehmer erworbenen Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung (Übertragungswert) auf den neuen Arbeitgeber übertragen werden, wenn dieser eine wertgleiche Zusage erteilt; für die neue Anwartschaft gelten die Regelungen über die Entgeltumwandlung entsprechend. Ansprüche aus der wertgleichen Versorgungszusage des neuen Arbeitgebers sind sofort unverfallbar (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 BetrAVG i.V. mit § 1b Abs. 5 BetrAVG) und über den PSV insolvenzgeschützt (§ 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG).
303
Innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer von seinem ehemaligen Arbeitgeber gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG verlangen, dass der Übertragungswert auf den neuen Arbeitgeber übertragen wird, wenn
304
1. die betriebliche Altersversorgung über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchgeführt wird und 1 BGBl. I S. 1427 ff. 2 Zu der bis zum 31.12.2004 geltenden Regelung des § 4 BetrAVG s. die Ausführungen in der Vorauflage unter Teil 1 Rz. 770 ff.
Ehrich
323
Teil 2 Rz. 305
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
2. der Übertragungswert die Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung nicht übersteigt. 305
Es gilt insoweit das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“: Überschreitet der Übertragungswert die Schwelle der Beitragsbemessungsgrenze (im Jahre 2009: 64 800 Euro in den alten Bundesländern und 54 600 Euro in den neuen Bundesländern), besteht kein „Mitnahmeanspruch“, auch nicht auf den Wert der Beitragsbemessungsgrenze beschränkt.
306
Der Anspruch richtet sich gegen den Versorgungsträger, wenn der ehemalige Arbeitgeber die versicherungsförmige Lösung nach § 2 Abs. 2 oder 3 BetrAVG gewählt hat oder soweit der Arbeitnehmer die Versicherung oder Versorgung mit eigenen Beiträgen fortgeführt hat, § 4 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG.
307
Der neue Arbeitgeber ist verpflichtet, eine dem Übertragungswert wertgleiche Zusage zu erteilen und über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchzuführen (§ 4 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG). Damit ist der Aufbau eines einheitlichen „Altersvorsorgekontos“ durch den Arbeitnehmer gegen den Willen sowohl des bisherigen als auch des neuen Arbeitgebers möglich1.
308
Für die neue Anwartschaft gelten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 4 BetrAVG die Regelungen über Entgeltumwandlung entsprechend, d.h. die Unverfallbarkeit und im Falle der Erteilung einer Pensionsfondszusage die Insolvenzsicherung durch den PSV treten sofort ein (§ 4 Abs. 3 Satz 4 BetrAVG i.V. mit § 1b Abs. 5 BetrAVG; § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG).
309
Aufgrund der Übergangsregelung des § 30b BetrAVG gilt § 4 Abs. 3 BetrAVG nur für Zusagen, die nach dem 31.12.2004 erteilt wurden.
310
Wird die Betriebstätigkeit eingestellt und das Unternehmen liquidiert, kann eine Zusage von einer Pensionskasse oder einem Unternehmen der Lebensversicherung ohne Zustimmung des Arbeitnehmers oder Versorgungsempfängers übernommen werden, wenn sichergestellt ist, dass die Überschussanteile ab Rentenbeginn entsprechend § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG verwendet werden, § 4 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG.
311
Der Übertragungswert entspricht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG bei einer unmittelbar über den Arbeitgeber oder über eine Unterstützungskasse durchgeführten betrieblichen Altersversorgung dem Barwert der nach § 2 BetrAVG bemessenen künftigen Versorgungsleistung zum Zeitpunkt der Übertragung; bei der Berechnung des Barwerts sind die Rechnungsgrundlagen sowie die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik maßgebend. Soweit die betriebliche Altersversorgung über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchgeführt worden ist, entspricht der Übertragungswert dem gebildeten Kapital zum Zeitpunkt der Übertragung, § 4 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG2. 1 Bauer, IV Rz. 313. 2 S. dazu auch Blumenstein, DB 2006, 218 f.
324
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 314 Teil 2
Die Übertragung einer Direktversicherung auf den Arbeitnehmer ist nach wie vor ohne Weiteres möglich.
312
ee) Zulässigkeit der Zillmerung von Lebensversicherungsverträgen In einer Aufsehen erregenden Entscheidung vom 15.3.2007 hat die 4. Kammer des LAG München1 die „Zillmerung“ von Lebensversicherungsverträgen2, mit denen eine Versorgungszusage im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung auf der Grundlage einer Entgeltumwandlungsvereinbarung nach dem BetrAVG abgesichert wird, für unzulässig erachtet, weil sie u.a. gegen das zwingende gesetzliche Verbot der Umwandlung in eine den umgewandelten Entgeltansprüchen „wertgleiche Anwartschaft“ auf Versorgungsleistungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG) verstoße. Damit sei auch die Entgeltumwandlungsvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien rechtsunwirksam. Eine „Zillmerung“ verstoße des Weiteren gegen die zum 1.1.2005 neu und verbessert geregelte Portabiliät der Betriebsrentenansprüche (§ 4 BetrAVG n.F.) und, zumal bei einer rein arbeitnehmerfinanzierten betrieblichen Altersversorgung, gegen die Grundsätze der neueren Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zu den Grenzen der Zulässigkeit einer „Zillmerung“ von Lebensversicherungsverträgen3.
313
Der Entscheidung lag folgender – stark vereinfachter – Sachverhalt zugrunde: Eine Arbeitnehmerin wandelte während ihrer Beschäftigung vom 1.4.2002 bis zum 30.4.2005 35 Mal 178 Euro ihres Monatsverdienstes, insgesamt 6230 Euro, um und erhielt hierfür eine Versorgungszusage in einer rückgedeckten Unterstützungskassenzusage. Der Arbeitgeber führte vereinbarungsgemäß monatlich 178 Euro an die Unterstützungskasse ab, die damit die Beiträge zu einer Rückdeckungsversicherung bezahlte. Die zugesagten Leistungen sollten aus dieser Rückdeckungsversicherung stammen. Zum 30.4.2005 hatte sich ein Versicherungswert von 639 Euro angesammelt, der für die Versorgungskasse zur Verfügung stand. Die 4. Kammer des LAG München hat der Arbeitnehmerin den von ihr gegenüber ihrem (früheren) Arbeitgeber geltend gemachten Differenzbetrag zwischen den von ihr im Wege der Entgeltumwandlung aufgewandten 35 monatlichen Beträge in Höhe von 6239 Euro
314
1 LAG München vom 15.3.2007 – 4 Sa 1152/06, NZA 2007, 813. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Revision wurde wenige Tage vor dem Verhandlungstermin beim BAG am 14.1.2009 zurückgenommen, so dass das Urteil des LAG München rechtskräftig geworden ist. 2 Ein Versicherungstarif ist „gezillmert“, wenn die im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss einmalig anfallenden Abschluss- und Vertriebskosten mit den ersten Versicherungsprämien verrechnet werden. Hierbei handelt es sich in erster Linie um die Abschlussprovision für den Vermittler oder Makler und um die Kosten des Versicherers, die ihm unmittelbar im Zusammenhang mit der Einrichtung des Vertrags entstehen. 3 LAG München vom 15.3.2007 – 4 Sa 1152/06, NZA 2007, 813 unter Hinweis auf BVerfG vom 15.2.2006 – 1 BvR 1317/96, NJW 2006, 1783 f. und BGH vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, NJW 2005, 3559 f.
Ehrich
325
Teil 2 Rz. 315
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
und dem Rückkaufswert der Versicherung in Höhe von 639 Euro zugesprochen. 315
Das Urteil der 4. Kammer des LAG München vom 15.3.2007 ist in der Literatur teilweise heftig kritisiert worden1. Bemerkenswerterweise hat nur wenige Monate später eine andere Kammer des LAG München angenommen, der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer bei Kündigung eines im Wege der betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Rentenversicherungsvertrags auf eventuell anfallende Stornokosten hinzuweisen, so dass er insoweit nicht schadensersatzpflichtig werde2. Auch nach Ansicht des LAG Köln in einer Entscheidung vom 13.8.20083 bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, eine Entgeltumwandlungsvereinbarung mit dem Abschluss einer Altersrenten- bzw. Lebensversicherung zu kombinieren, für die sog. gezillmerte Tarife gelten. Für die Beurteilung, ob eine „wertgleiche“ Anwartschaft auf Versorgungsleistungen i.S. von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG bestehe, sei in dem Fall nicht auf den vertragszweckwidrigen Störfall des vorzeitigen Rückkaufs der Lebensversicherung vor Eintritt des Versorgungsfalls abzustellen, sondern auf die Höhe der Versorgungsanwartschaft, die der Arbeitnehmer bei zweckentsprechender Durchführung des Vertrags aufgrund des vollständigen Einsatzes der von ihm finanzierten Versicherungsbeiträge im Versorgungsfall zu erwarten habe.
316
Da gegen die Entscheidung des LAG Köln vom 13.8.2008 Revision eingelegt wurde4, ist zu erwarten, dass diese Problematik demnächst vom BAG abschließend höchstrichterlich geklärt wird. ff) Übertragung von Versorgungsverbindlichkeiten auf eine Rentnergesellschaft
317
Höchstrichterlich entschieden hat das BAG dagegen mittlerweile, dass Versorgungsverbindlichkeiten durch umwandlungsrechtliche Ausgliederung auf eine sog. Rentnergesellschaft übertragen werden können, ohne dass dies der Zustimmung der Versorgungsempfänger und/oder des Pensionssicherungsvereins bedarf. Der Übergang wird auch nicht durch einen Widerspruch der Berechtigten verhindert5.
1 Cisch/Kruip, NZA 2007, 786 ff.; Reisch/Rutzmoser, DB 2007, 2314 ff.; Döring/Grau, BB 2007, 1564 ff.; Hopfner, DB 2007, 1810 ff. 2 LAG München vom 11.7.2007 – 10 Sa 12/07, NZA 2008, 362. S. dazu auch Diller, Zillmern: In München steht’s jetzt 1:1!, NZA 2008, 338 ff. 3 LAG Köln vom 13.8.2008 – 7 Sa 454/08, DB 2009, 237 = BB 2009, 671. 4 Az. beim BAG: 3 AZR 17/09. 5 BAG vom 22.2.2005 – 3 AZR 499/03 (A), NZA 2005, 639. Bestätigt durch BAG vom 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, DB 2008, 2369 = BB 2009, 329 (m. Anm. von Hock). S. dazu auch Klemm/Hamisch, BB 2005, 2490 ff.; Passarge, DB 2005, 2746 ff.; Berenz, DB 2006, 2125 ff.; Powietzka, DB 2008, 2593 ff.; Neufeld, BB 2008, 2346 ff.; Höfer/Küpper, DB 2009, 118 ff.; Kleffmann/Reich, BB 2009, 214 ff.; Kemper/Hey, BB 2009, 720 ff.
326
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 322 Teil 2
Eine unzureichende Ausstattung der Rentnergesellschaft führt zwar nicht zur Unwirksamkeit der partiellen Gesamtrechtsnachfolge, kann aber Schadensersatzansprüche auslösen. Den versorgungspflichtigen Arbeitgeber trifft grundsätzlich die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die Gesellschaft, auf die Versorgungsverbindlichkeiten ausgegliedert werden, so auszustatten, dass sie nicht nur die laufenden Betriebsrenten zahlen kann, sondern auch zu gesetzlich vorgesehenen Anpassungen in der Lage ist1.
318
gg) Reichweite einer Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag Eine im Aufhebungsvertrag enthaltene Erledigungsklausel erfasst Versorgungsansprüche und -anwartschaften nur dann, wenn diese ausdrücklich und unmissverständlich bezeichnet werden2. Handelt es sich jedoch um unverfallbare Anwartschaften i.S. von § 1b BetrAVG, ist selbst die ausdrückliche Bezeichnung in der Erledigungsklausel ohne rechtliche Bedeutung, da § 3 BetrAVG nicht nur die Abfindung, sondern auch den entschädigungslosen Erlass dieser unverfallbaren Anwartschaften verbietet3.
319
hh) Dokumentation unverfallbarer Anwartschaften Gemäß § 2 Abs. 6 BetrAVG i.d. bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung hatte der Arbeitgeber dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer Auskunft darüber zu erteilen, ob für ihn die Voraussetzungen einer gesetzlich unverfallbaren betrieblichen Altersversorgung erfüllt waren und in welcher Höhe er Versorgungsleistungen bei Erreichen der in der Versorgungsregelung vorgesehenen Altersgrenze beanspruchen konnte. Die Auskunft war nur auf Verlangen des Arbeitnehmers zu erteilen.
320
Durch das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG) vom 5.7.20044 wurde mit Wirkung vom 1.1.2005 die bis dahin geltende Regelung des § 2 Abs. 6 BetrAVG a.F. durch § 4a BetrAVG ersetzt.
321
Danach hat der Arbeitgeber oder der Versorgungsträger dem Arbeitnehmer bei einem berechtigten Interesse auf dessen Verlangen schriftlich mitzuteilen,
322
1. in welcher Höhe aus der bisher erworbenen unverfallbaren Anwartschaft bei Erreichen der in der Versorgungsregelung vorgesehenen Altersgrenze ein Anspruch auf Altersversorgung besteht und 2. wie hoch bei einer Übertragung der Anwartschaft nach § 4 Abs. 3 BetrAVG der Übertragungswert ist (sog. allgemeiner Auskunftsanspruch). 1 BAG vom 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, DB 2008, 2369 = BB 2009, 329. 2 Vgl. BAG vom 27.2.1990 – 3 AZR 213/88, NZA 1990, 689. 3 BAG vom 22.9.1987 – 3 AZR 194/86, NZA, 1998, 470; BAG vom 14.8.1990 – 3 AZR 301/89, NZA 1991, 174. 4 BGBl. I S. 1427 ff.
Ehrich
327
Teil 2 Rz. 323
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
323
Daneben hat der neue Arbeitgeber oder der Versorgungsträger nach § 4a Abs. 2 BetrAVG dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen schriftlich mitzuteilen, in welcher Höhe aus dem Übertragungswert ein Anspruch auf Altersversorgung und ob eine Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung bestehen würde (sog. punktueller Auskunftsanspruch).
324
Dieser Anspruch dient dazu, den Arbeitnehmer praktisch in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte Entscheidung über die Geltendmachung seines Übertragungsrechts zu treffen.
325
Nicht anders als bei § 2 Abs. 6 BetrAVG i.d. bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung stellt die Auskunftserteilung nach § 4a BetrAVG i.d. seit dem 1.1.2005 geltenden Fassung weder ein konstitutives noch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar1. m) Geschäftsunterlagen und Arbeitsmittel
326
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die ihm zur Verfügung gestellten Geschäftsunterlagen und Arbeitsmittel, wie z.B. Geschäftspapiere, Akten, Werkzeuge, Schutzkleidung, Dienstwagen sowie sonstiges Firmeneigentum (wie etwa den Betriebsausweis) herauszugeben. Die Herausgabepflicht ergibt sich aus §§ 861, 985 BGB, dem Arbeitsvertrag und §§ 666, 667, 675 BGB2. Aus Gründen der Klarstellung kann diese Pflicht im Aufhebungsvertrag festgehalten werden. Kommt der Arbeitnehmer seiner Herausgabepflicht nicht nach und bestehen Zweifel über das Ausmaß der in seinem Besitz befindlichen Geschäftsunterlagen und Arbeitsmittel, hat der Arbeitgeber einen gesetzlich durchsetzbaren Anspruch auf Auskunftserteilung und Abgabe einer eidesstattlich versicherten Vermögensoffenbarung3. Ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) an den Geschäftsunterlagen und Arbeitsmitteln steht dem Arbeitnehmer regelmäßig nicht zu4. n) Zeugnis und Auskunft
327
Der Arbeitnehmer hat nach § 109 Satz 1 GewO bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Erteilung eines schriftlichen Zeugnisses. Das Zeugnis muss gemäß § 109 Satz 2 GewO mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit enthalten (sog. einfaches Zeugnis). Auf Verlangen des Arbeitnehmers muss sich das Zeugnis gemäß § 109 Satz 3 GewO auch auf die Beurteilung der Leistungen und die Führungen im Dienste erstrecken (sog. qualifiziertes Zeugnis). Ein Anspruch des Ar-
1 2 3 4
Vgl. BAG vom 8.11.1983 – 3 AZR 511/81, DB 1994, 836. Bengelsdorf, S. 142; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 151 1 (Rz. 1 f.) m. w. Nachw. Bengelsdorf, S. 142; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 151 2 (Rz. 2) m. w. Nachw. Bengelsdorf, S. 142; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 151 3 (Rz. 4).
328
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 331 Teil 2
beitnehmers auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses besteht auch bei kurzfristiger Tätigkeit1. Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch des Arbeitnehmers durch Erteilung eines Zeugnisses, das nach Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Genügt das Zeugnis diesen Amforderungen nicht, kann der Arbeitnehmer dessen Berichtigung oder Ergänzung beanspruchen2. Mit seiner Klage auf Berichtigung oder Ergänzung des ihm erteilten Zeugnisses soll der Arbeitnehmer nach Auffassung des BAG weiterhin die Erfüllung seines Zeugnisanspruchs und keinen Berichtigungs- oder Ergänzungsanspruch geltend machen, der dem Gesetz „fremd“ sei3.
328
Der gesetzlich geschuldete Inhalt des Zeugnisses bestimmt sich nach den mit ihm verfolgten Zwecken. Es dient dem Arbeitnehmer regelmäßig als Bewerbungsunterlage und ist insoweit Dritten, insbesondere möglichen künftigen Arbeitgebern, Grundlage für ihre Personalauswahl. Dem Arbeitnehmer gibt es zugleich Aufschluss, wie der Arbeitgeber seine Leistung und sein Sozialverhalten beurteilt. Vom Arbeitgeber wird dabei verlangt, dass er den Arbeitnehmer auf der Grundlage von Tatsachen beurteilt und, soweit dies möglich ist, ein objektives Bild über den Verlauf des Arbeitsverhältnisses vermittelt. Inhaltlich muss daher das Zeugnis den Geboten der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit gerecht werden4.
329
Das Gebot der Zeugniswahrheit erstreckt sich auf alle wesentlichen Tatsachen, die für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers von Bedeutung sind und an deren Kenntnis ein künftiger Arbeitgeber ein berechtigtes und verständiges Interesse haben kann. Die Tätigkeiten des Arbeitnehmers sind so vollständig und genau zu bezeichnen, dass sich ein Arbeitgeber ein klares Bild machen kann5.
330
Das Gebot der Zeugnisklarheit ist nach § 109 Abs. 2 GewO gesetzlich normiert. Danach muss das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Es kommt nicht darauf an, welche Vorstellungen der Zeugnisverfasser mit seiner Wortwahl verbindet. Abzustellen ist vielmehr auf den objektiven Empfängerhorizont des Zeugnislesers6.
331
1 LAG Köln vom 30.3.2001 – 4 Sa 1485/00, BB 2001, 1959 (im Streitfall: bei zweimonatiger Beschäftigung). 2 BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104; BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349. 3 BAG vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298; BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349 jeweils m. w. Nachw. 4 BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104; BAG vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298; BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349. 5 BAG vom 10.5.2005 – 9 AZR 261/04, NZA 2005, 1237; BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349. 6 BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104; BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349.
Ehrich
329
Teil 2 Rz. 332
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
332
Im Interesse des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers ist das Zeugnis außerdem wohlwollend zu fassen1. Deshalb ist Grundlage des Zeugnisses das Verhalten, das für den Arbeitnehmer kennzeichnend ist. Einmalige Vorfälle oder Umstände, die für den Arbeitnehmer, seine Führung und Leistung nicht charakteristisch sind, gehören nicht in das Zeugnis. Dem Arbeitnehmer kann mithin auch bei kleineren Auffälligkeiten oder einem einmaligen Fehlverhalten zu bescheinigen sein, dass sein Verhalten einwandfrei gewesen sei2. Gab das Verhalten des Arbeitnehmers dagegen keinen Anlass zu Beanstandungen, muss sich dieses positive Moment im Zeugnis, etwa durch sprachliche Beiwörter wie „immer“, „durchweg“ oder „ausnahmslos“, niederschlagen3.
333
In diesem Rahmen ist die inhaltliche Formulierung des Zeugnisses allein Sache des Arbeitgebers. Die Wahl der Worte kann ihm nicht vorgeschrieben werden, solange das Zeugnis nichts Falsches enthält. Der Arbeitgeber kann deshalb auch darüber entscheiden, welche positiven oder negativen Leistungen er stärker hervorheben will. Maßstab ist der eines wohlwollenden verständigen Arbeitgebers4.
334
Begrenzt wird das Recht des Arbeitgebers, selbst darüber zu entscheiden, ob er bestimmte Leistungen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers hervorhebt, durch die eben erwähnten Gebote der Zeugnisklarheit und -wahrheit. Ist es für Arbeitnehmer einer Branche oder Berufsgruppe üblich, bestimmte positive Eigenschaften oder Leistungen hervorzuheben, muss diesem Brauch auch in einem Zeugnis Rechnung getragen werden5.
335
Nach § 109 Abs. 2 Satz 2 GewO ist es unzulässig, ein Zeugnis mit geheimen Merkmalen oder unklaren Formulierungen zu versehen, durch die der Arbeitnehmer anders beurteilt werden soll, als dies aus dem Zeugniswortlaut ersichtlich ist. Weder Wortwahl noch Auslassungen dürfen dazu führen, dass bei Lesern des Zeugnisses der Wahrheit nicht entsprechende Vorstellungen entstehen können. Ein Zeugnis darf deshalb keine Auslassungen enthalten, wo der verständige Leser eine positive Hervorhebung erwartet, etwa bei der „Ehrlichkeit“ eines Kassierers6. Anspruch auf ausdrückliche Bescheinigung bestimmter Merkmale hat damit der Arbeitnehmer, in dessen Berufskreis dies üblich ist und bei dem das Fehlen einer entsprechenden Aussage im Zeugnis sein berufliches Fortkommen behindern könnte. Das Weglassen bestimmter Prädikate oder berufsspezifischer Merkmale ist bei einer im Übrigen positiven Beurteilung zwar grundsätzlich noch kein Hinweis auf deren Fehlen, wenn das Prädikat zu den Selbstverständlichkeiten des Berufskreises des Arbeitnehmers gehört. Soweit jedoch die Merkmale in besonderem Maße gefragt sind, 1 2 3 4
BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104. So ausdrücklich BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104. BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104. BAG vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298; BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349 jeweils m. w. Nachw. 5 So ausdrücklich BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349. 6 BAG vom 29.7.1971 – 2 AZR 250/70, BB 1971, 1280. Bestätigt durch BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349.
330
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 339 Teil 2
kann die Nichterwähnung i.S. des sog. beredten Schweigens ein (verdeckter) Hinweis für den Zeugnisleser sein, der Arbeitnehmer sei in diesem Merkmal unterdurchschnittlich oder allenfalls durchschnittlich zu bewerten1. Es darf auch nicht mit Hilfe von Widersprüchen eine Herabsetzung der Beurteilung erfolgen. Enthält das Zeugnis widersprüchliche, verschlüsselte bzw. doppelbödige Formulierungen, sind diese ersatzlos zu streichen2.
336
Eine Betriebsratstätigkeit ist im Zeugnis nur dann zu erwähnen, wenn dies der Arbeitnehmer verlangt oder der Arbeitnehmer mehrere Jahre freigestelltes Betriebsratsmitglied war3.
337
Die Elternzeit eines Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber in einem Zeugnis nur erwähnen, sofern sich die Ausfallzeit als eine wesentliche tatsächliche Unterbrechung der Beschäftigung darstellt. Das ist dann der Fall, wenn diese nach Lage und Dauer erheblich ist und bei ihrer Nichterwähnung für Dritte der falsche Eindruck entstünde, die Beurteilung des Arbeitnehmers beruhe auf eine der Dauer des rechtlichen Bestands des Arbeitsverhältnisses entsprechenden Arbeitsleistung4.
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Nach einer Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 3.5.20055 darf das Arbeitszeugnis nur Tatsachen, nicht aber bloße Verdächtigungen enthalten. Dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Arbeitnehmer anhängig sei, stelle keine Tatsache in diesem Sinne dar und habe daher regelmäßig keine Erwähnung im Arbeitszeugnis zu finden. Demgegenüber hat das LAG Baden-Württemberg in einer Entscheidung vom 29.11.20076 angenommen, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, im Zwischenzeugnis für eine Krankenschwester ein gegen diese
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1 BAG vom 12.8.2008 – 9 AZR 632/07, NZA 2008, 1349 (hinsichtlich der Nichterwähnung der Belastbarkeit eines Tageszeitungsjournalisten in Stresssituationen). 2 LAG Hamm vom 17.12.1998 – 4 Sa 630/98, BB 2000, 1090 hinsichtlich des Satzes „Sie war sehr tüchtig und in der Lage, ihre eigene Meinung zu vertreten.“ im Anschluss an eine positive Leistungsbewertung. Nach Auffassung des LAG Hamm soll aus der Verbindung, dass die Mitarbeiterin (einerseits) sehr tüchtig und (andererseits) in der Lage war, ihre eigene Meinung zu vertreten, verschlüsselt deutlich werden, dass die Mitarbeiterin von sich selbst eine hohe Meinung hat und hiervon ausgehend sachliche Kritik nicht zu akzeptieren vermag. Damit müsse bei einem unbefangenen Leser der Eindruck entstehen, die Mitarbeiterin sei querulatorisch. S. dazu auch LAG Hamm vom 28.3.2000 – 4 Sa 648/99, BB 2000, 2578 (zur Bewertung des Führungsergebnisses einer Führungskraft sowie zur Zulässigkeit der Formulierung „Wir haben Frau X als eine freundliche und zuverlässige Mitarbeiterin kennen gelernt“. 3 Vgl. BAG vom 19.8.1992 – 7 AZR 262/91, NZA 1993, 222; LAG Frankfurt vom 2.12.1983 – 13 Sa 141/83, ArbuR 1984, 287; LAG Hamm vom 12.4.1976 – 9 Sa 29/76, DB 1976, 1112. 4 BAG vom 10.5.2005 – 9 AZR 261/04, NZA 2005, 1237. Im Streitfall nahm das BAG an, dass es für einen Koch eine erhebliche Ausfallzeit darstellt, wenn er während eines 50 Monate bestehenden Arbeitsverhältnisses 33 ½ Monate Elternzeit in Anspruch genommen hat. Die Erwähnung der Elternzeit im Zeugnis stelle dann keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 612a BGB dar. 5 LAG Düsseldorf vom 3.5.2005 – 3 Sa 359/05, DB 2005, 1779. 6 LAG Baden-Württemberg vom 29.11.2007 – 11 Sa 53/07, BB 2008, 441.
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Teil 2 Rz. 340
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
bei Zeugniserteilung noch laufendes Ermittlungsverfahren wegen Mordversuchs an Patienten zu erwähnen. Ein Anspruch auf Entfernung des entsprechenden Zeugnishinweises bestehe „allerdings aber auch nur dann“, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren unangemessen derart verzögere, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vorliege. Die überlange Dauer des Ermittlungsverfahrens habe der Arbeitnehmer zunächst bei der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht mit dem Ziel der Verfahrenseinstellung geltend zu machen. 340
Einen Anspruch auf die in vielen Zeugnissen anzutreffende sog. Dank- und Wunschabschiedsformel („Wir bedauern sein/ihr Ausscheiden und danken ihm/ihr für die stets gute Zusammenarbeit. Für die Zukunft wünschen wir Herrn/Frau alles Gute und weiterhin viel Erfolg.“) hat der Arbeitnehmer nicht, da diese Formel nicht zu dem gesetzlich bestimmten Mindestinhalt eines Zeugnisses gehört1.
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Besondere Bedeutung hat in einem qualifizierten Arbeitszeugnis stets die sog. zusammenfassende Zufriedenheitsauslage, wobei die Bewertungsskala von „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ bis „hat sich bemüht“ reicht. Insoweit hat der Arbeitnehmer einen – gerichtlich durchsetzbaren – Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber im qualifizierten Arbeitszeugnis die Leistungen wahrheitsgemäß beurteilt. Zwar steht dem Arbeitgeber bei der Leistungsbewertung des Arbeitnehmers ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Arbeitsgerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist. Dagegen sind die Tatsachen, die der Arbeitgeber seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, gerichtlich voll überprüfbar2.
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Darlegungs- und beweispflichtig für die Tatsachen, die der Zeugniserteilung und der darin enthaltenen Bewertung zugrunde liegen, ist grundsätzlich der Arbeitgeber, insbesondere wenn dem Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen bescheinigt werden3. Für eine über den normalen Durchschnitt hinausgehende Spitzenbewertung trägt dagegen der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast4. 1 BAG vom 20.2.2001 – 9 AZR 44/00, NZA 2001, 843; ArbG Bremen vom 11.2.1992 – 4a Ca 4168/91, NZA 1992, 800; a.A. ArbG Darmstadt vom 22.12.2000 – 3 Ca 440/00, DB 2001, 931; ArbG Berlin vom 7.3.2003 – 88 Ca 604/03, ArbRB 2005, 9. 2 So ausdrücklich BAG vom 14.10.2003 – 9 AZR 12/03, NZA 2004, 843. 3 BAG vom 14.10.2003 – 9 AZR 12/03, NZA 2004, 843. 4 BAG vom 14.10.2003 – 9 AZR 12/03, NZA 2004, 843 (wonach der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit der Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“ nach der in der Arbeitspraxis üblichen Zufriedenheitsskala lediglich eine durchschnittliche und keine gute Leistung bescheinige); LAG Düsseldorf vom 12.3.1986 – 15 Sa 13/86, LAGE § 630 BGB Nr. 2; LAG Frankfurt/Main vom 6.9.1991 – 13 Sa 250/91, LAGE § 630 BGB Nr. 14; LAG Hamm vom 13.2.1992 – 4 Sa 1077/91, LAGE § 630 Nr. 16; LAG Köln vom 2.7.1999 – 11 Sa 255/99, NZA-RR 2000, 235; LAG Bremen vom 9.11.2000 – 4 Sa 101/00, NZA-RR 2001, 287, wonach die Formulierung „Er hat die ihm übertragenen Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt“ die Bescheinigung befriedigender Leistungen bedeute. Die Bewertung „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ bedeute gute Leistungen. Die „Zusage“ des Arbeitgebers aus Anlass einer vergleichs-
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 344 Teil 2
Ein Arbeitgeber, der auf das berechtigte Verlangen des Arbeitnehmers diesem ein „neues“ Zeugnis zu erteilen hat, ist an seine bisherigen Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen gebunden, soweit keine neuen Umstände schlechtere Beurteilungen rechtfertigen1. Ebenso ist der Arbeitgeber bei der Erstellung eines Endzeugnisses grundsätzlich an den Inhalt des zuvor bereits erteilten Zwischenzeugnisses gebunden, sofern sich die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers nicht geändert haben, wobei dies auch dann gilt, wenn das Zwischenzeugnis vor einem Betriebsübergang von dem Betriebsveräußerer erteilt worden ist und der Arbeitnehmer das Endzeugnis vom Betriebserwerber verlangt2.
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In formeller Hinsicht sind beim Arbeitszeugnis folgende Grundsätze zu beachten: Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form (etwa per E-Mail oder Telefax) ist gemäß § 109 Abs. 3 GewO nicht möglich. Das Ausstellungsdatum darf grundsätzlich nicht weit vom Zeitpunkt des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Betrieb entfernt liegen3. Weitere Anforderungen an die äußere Form eines Zeugnisses hat das BAG in einer Entscheidung vom 3.3.19934 aufgestellt: Es ist haltbares Papier von guter Qualität zu benutzen. Das Zeugnis muss sauber und ordentlich geschrieben sein und darf keine Flecken, Radierungen, Verbesserungen oder Ähnliches enthalten. Außerdem muss die äußere Form des Zeugnisses so gestaltet sein, dass es nicht einen seinem Wortlaut nach sinnentstellenden Inhalt ausweist. Durch die äußere Form darf nicht der Eindruck erweckt werden, der Arbeitgeber distanziere sich vom Wortlaut seiner Erklärung. Verwendet der Arbeitgeber im Geschäftsverkehr üblicherweise Geschäftsbögen (Firmenbögen), kann der Arbeitneh-
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weisen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, man werde dem Arbeitnehmer ein „wohlwollendes“ Zeugnis erteilen, bedeute nicht, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf habe, dass ihm „gute“ Leistungen bescheinigt würden. Siehe auch LAG Hamm vom 22.5.2002 – 3 Sa 231/02, NZA-RR 2003, 71: Will ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ein „gehobenes Befriedigend“ bescheinigen, ist dies mit der Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“ zum Ausdruck zu bringen. BAG vom 21.6.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104. BAG vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298. S. dazu auch LAG Köln vom 22.8.1997 – 11 Sa 235/97, NZA 1999, 771 = LAGE § 630 BGB Nr. 30: Der Arbeitgeber kann bei gleicher Beurteilungsgrundlage nicht seine im Zwischenzeugnis zum Ausdruck gekommenen Beurteilungen im Schlusszeugnis ändern; bei einem fünfjährigen Arbeitsverhältnis spricht eine Vermutung dafür, dass die Beurteilungsgrundlage die gleiche geblieben ist, wenn bei Abfassung des Schlusszeugnisses nur zehn Monate seit dem Zwischenzeugnis vergangen sind. Der Grundsatz, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf bestimmte Formulierungen hat, bezieht sich nur auf die formale Seite des Zeugnisses. Deshalb kann der Arbeitgeber dazu verurteilt werden, in das Schlusszeugnis die Formulierungen des Zwischenzeugnisses zu übernehmen, wenn seine Änderungsvorstellungen in Wahrheit Abweichungen in der Bewertung sind (z.B. nur „volle Zufriedenheit“ statt „vollste Zufriedenheit“). Es macht keinen Unterschied, wenn der Autor des Zwischenzeugnisses für das Schlusszeugnis nicht mehr zur Verfügung steht, sofern er im Rahmen seiner Befugnisse gehandelt hat und den Arbeitgeber wirksam vertreten konnte. BAG vom 9.9.1992 – 5 AZR 509/91, NZA 1993, 698. BAG vom 3.3.1993 – 5 AZR 182/92, NZA 1993, 219. Bestätigt durch BAG vom 21.9.1999 – 9 AZR 893/98, NZA 2000, 257.
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Teil 2 Rz. 345
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
mer verlangen, dass das Zeugnis auf diesen geschrieben wird. In dem Fall ist das Zeugnis nicht ordnungsgemäß, wenn es nur mit einem der Unterschrift beigefügten Firmenstempel versehen ist. 345
Da das Arbeitszeugnis schriftlich zu erteilen ist, muss es vom Aussteller eigenhändig unterzeichnet werden. Ein Faksimile, eine kopierte Unterschrift oder eine Paraphe reichen insoweit nicht aus1. Eine vom Arbeitgeber im Arbeitszeugnis verwendete überdimensionale, im Wesentlichen aus bloßen Aufund Abwärtslinien bestehende Unterschrift ist nicht ordnungsgemäß, wenn dadurch der Verdacht aufkommen kann, der Arbeitgeber wolle sich vom Zeugnisinhalt distanzieren2.
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Nicht erforderlich ist zwar, dass der Arbeitgeber oder sein gesetzliches Vertretungsorgan das Zeugnis fertigt oder unterzeichnet. Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen unternehmensangehörigen Vertreter des Arbeitgebers. Im Zeugnis ist jedoch deutlich zu machen, dass dieser Vertreter dem Arbeitnehmer gegenüber weisungsbefugt war. Ist ein Arbeitnehmer der Geschäftsleitung direkt unterstellt gewesen, so ist das Zeugnis von einem Mitglied der Geschäftsleitung auszustellen. Der Unterzeichnende muss in dem Zeugnis außerdem auf seine Position als Mitglied der Geschäftsleitung hinweisen3.
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Auf ein „ungeknicktes“ Zeugnis hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch. Vielmehr erfüllt der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auch mit einem Zeugnis, das er zweimal faltet, um den Zeugnisbogen in einem Geschäftsumschlag üblicher Größe unterzubringen, wenn das Originalzeugnis kopierfähig ist und die Knicke im Zeugnisbogen sich nicht auf den Kopien abzeichnen, z.B. durch Schwärzungen4.
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Verlangt der Arbeitnehmer nachträglich ein Arbeitszeugnis, so handelt es sich hierbei grundsätzlich um eine Holschuld, d.h. der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer das Zeugnis nicht übersenden, sofern nicht ausnahmsweise das Abholen des Arbeitszeugnisses für den Arbeitnehmer mit unzumutbaren Belastungen verbunden ist5.
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Vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann auf den Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses nicht verzichtet werden. Ob ein anlässlich oder nach der Be1 LAG Hamm vom 28.3.2000 – 4 Sa 1588/99, NZA-RR 2001, 576, wonach die Unterschrift des Ausstellers des Weiteren auch der maschinenschriftlichen Namensangabe bedürfe. 2 LAG Nürnberg vom 3.8.2005 – 4 Ta 153/05, NZA-RR 2006, 13. 3 So BAG vom 26.6.2001 – 9 AZR 392/00, NZA 2002, 33. Ähnlich BAG vom 4.10.2005 – 9 AZR 507/04, NZA 2006, 436: Auch im öffentlichen Dienst ist der Zeugnisanspruch des Angestellten regelmäßig nur dann erfüllt, wenn das Zeugnis von einem ranghöheren Bediensteten unterschrieben ist. War der Angestellte als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig, ist das Zeugnis zumindest auch von einem der ihm vorgesetzten Wissenschaftler zu unterzeichnen. Eine von diesem Grundsatz abweichende behördeninterne Regelung der Zeichnungsbefugnis rechtfertigt keine Ausnahme. 4 BAG vom 21.9.1999 – 9 AZR 893/98, NZA 2000, 257. 5 BAG vom 8.3.1995 – 5 AZR 848/93, NZA 1995, 671.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 353 Teil 2
endigung des Arbeitsverhältnisses erklärter Verzicht des Arbeitnehmers auf ein qualifiziertes Zeugnis rechtswirksam ist, wurde vom BAG bislang offen gelassen1. Jedenfalls erfasst eine allgemeine Ausgleichsklausel im Zweifel nicht den Zeugnisanspruch2. Der Zeugnisanspruch unterliegt als Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis ta- 350 riflichen Ausschlussfristen3. Erteilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb der laufenden Ausschlussfrist ein Zeugnis, muss der Arbeitnehmer, der das Zeugnis nicht als Erfüllung seines Anspruchs akzeptiert, innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist tätig werden und den Arbeitgeber ggf. unter Beachtung des tariflichen Formerfordernisses für die Geltendmachung von Ansprüchen zur Erfüllung des Anspruchs auffordern. Weiterhin geht das BAG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses wie jeder schuldrechtliche Anspruch der Verwirkung unterliegt4. Die Verwirkung des Zeugnisanspruchs setzt voraus, dass der Arbeitnehmer sein Recht über längere Zeit nicht ausgeübt hat (Zeitmoment) und bei dem Arbeitgeber dadurch die Überzeugung hervorgerufen hat, er werde sein Recht nicht mehr durchsetzen (Umstandsmoment)5. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist dem Arbeitgeber die Erfüllung des Zeugnisanspruchs nach Treu und Glauben nicht zumutbar6.
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Gegenüber dem Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig, wenn er das Zeugnis schuldhaft verspätet, unrichtig oder überhaupt nicht erteilt. Der Arbeitnehmer muss darlegen und beweisen, dass ihm wegen der Nichterteilung des Zeugnisses oder wegen dessen unrichtigen Inhalts eine Arbeitsstelle entgangen ist oder dass er nur eine schlechtere Stelle erlangen konnte7. Dabei kommen ihm jedoch die Darlegungs- und Beweiserleichterungen des § 252 Satz 2 BGB zugute, wobei die Gerichte den Schaden nach den Maßstäben des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO schätzen und würdigen können8.
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Hinweis: Unbedingt zu beachten ist, dass der Arbeitgeber für eine vorsätzlich unrichtige Zeugnisausstellung gegenüber einem Dritten haftet,
Vgl. BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74, NJW 1975, 407. BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74, NJW 1995, 407. BAG vom 4.10.2005 – 9 AZR 507/04, NZA 2006, 436. BAG vom 4.10.2005 – 9 AZR 507/04, NZA 2006, 436; BAG vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298. BAG vom 4.10.2005 – 9 AZR 507/04, NZA 2006, 436; BAG vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298. S. dazu auch LAG Köln vom 8.2.2000 – 13 Sa 1050/99, NZARR 2001, 130 (Vorliegen des sog. Zeitmoments bei einem Untätigkeitszeitraum von zwölf Monaten); LAG Hamm vom 3.7.2002 – 3 Sa 248/02, NZA-RR 2003, 73 (Vorliegen des sog. Zeitmoments bei einem Untätigkeitszeitraum von 15 Monaten). BAG vom 4.10.2005 – 9 AZR 507/04, NZA 2006, 436; BAG vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07, NZA 2008, 298. BAG vom 25.10.1967 – 3 AZR 456/66, DB 1968, 1183; BAG vom 24.3.1977 – 3 AZR 232/76, DB 1977, 1369. Vgl. BAG vom 26.2.1976 – 3 AZR 215/75, DB 1976, 1239; BAG vom 24.3.1977 – 3 AZR 232/76, DB 1977, 1369.
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Teil 2 Rz. 354
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
der den Einstellungsbeschluss u.a. wegen des Zeugnisses fasst, wobei dies auch dann gilt, wenn der Arbeitgeber erst nachträglich erkennt, dass das Zeugnis grob unrichtig ist und ein bestimmter Dritter durch Vertrauen auf das Zeugnis Gefahr läuft, Schaden zu nehmen1. 354
Häufig enthalten Aufhebungsverträge eine Vereinbarung, wonach sich der Arbeitgeber verpflichtet,
Formulierungsbeispiel dem Arbeitnehmer ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt und diesen an seinem beruflichen Fortkommen fördert bzw. nicht hindert.
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In diesen Fällen kommt es indes nicht selten zu Zeugnisrechtsstreitigkeiten, sofern der Arbeitgeber ein Zeugnis erteilt, mit dessen Inhalt der Arbeitnehmer nicht einverstanden ist. Im Ergebnis wird damit ein Rechtsstreit geführt, der an sich aufgrund des Aufhebungsvertrages gerade vermieden oder erledigt werden sollte. Um einem solchen Zeugnisrechtsstreit vorzubeugen, sollte bereits im Aufhebungsvertrag der Inhalt des Zeugnisses (zumindest aber die vom Arbeitnehmer im Einzelnen wahrgenommenen Tätigkeiten, dessen Leistungs- und Verhaltensbeurteilung sowie die etwaige Aufnahme der sog. „Dank- und Wunschabschiedsformel“) stets festgelegt werden.
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Endet das Arbeitsverhältnis erst längere Zeit nach Abschluss des Aufhebungsvertrages, so kann der Arbeitnehmer bereits vorher ein Zwischenzeugnis verlangen. Insoweit gelten die vorangegangenen Ausführungen zum Schlusszeugnis sinngemäß. Der Inhalt des Schlusszeugnisses muss grundsätzlich dem des Zwischenzeugnisses entsprechen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn sich die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers während der Auslauffrist geändert haben (s.o. Rz. 343).
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Häufig werden bei früheren Arbeitgebern Auskünfte über ausgeschiedene Arbeitnehmer eingeholt. Solche Auskünfte kann der frühere Arbeitgeber auch ohne Einverständnis des Arbeitnehmers erteilen, sofern der Dritte, bei dem es sich regelmäßig um einen potentiellen neuen Arbeitgeber handeln wird, hieran ein berechtigtes Interesse hat2. Die Auskunft des Arbeitgebers muss
1 BGH vom 15.5.1979 – VI ZR 230/76, DB 1979, 2378. Im zugrundeliegenden Sachverhalt wurde ein Buchhalter in einem Zeugnis als zuverlässig qualifiziert, obwohl er einen sechsstelligen Betrag unterschlagen hatte, was der Arbeitgeber allerdings erst nach Ausstellung des Zeugnisses bemerkte. Der BGH hielt den Arbeitgeber für verpflichtet, den neuen Arbeitgeber zu warnen. Da er dies unterlassen hatte, wurde der ehemalige Arbeitgeber zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. 2 Vgl. BAG vom 25.10.1957 – 1 AZR 434/55, DB 1958, 659; LAG Berlin vom 8.5.1989 – 9 Sa 21/89, NZA 1989, 965; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 147 3 (Rz. 3).
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 363 Teil 2
richtig im Sinne einer wahrheitsgemäßen Zeugniserteilung sein1. Im Aufhebungsvertrag kann vereinbart werden, dass der Arbeitgeber nur Auskünfte erteilt, die den Angaben im ausgestellten bzw. auszustellenden Zeugnis entsprechen. Im Falle der unrichtigen, unvollständigen oder sonst fehlerhaften Auskunftserteilung kann der Arbeitgeber dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer zum Schadensersatz verpflichtet sein. Insoweit gelten die obigen Ausführungen zum Zeugnis entsprechend. o) Arbeitspapiere Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitgeber verpflichtet, die in seinem Besitz befindlichen Arbeitspapiere des Arbeitnehmers diesem ordnungsgemäß ausgefüllt herauszugeben.
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Zu den Arbeitspapieren gehören in erster Linie die Lohnsteuerkarte, das Versicherungsnachweisheft, die Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III, der Sozialversicherungsausweis sowie die Urlaubsbescheinigung nach § 6 Abs. 2 BUrlG. Die zu übergebenden Arbeitspapiere und deren Inhalte können im Aufhebungsvertrag einvernehmlich festgelegt werden.
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Bei der Pflicht zur Herausgabe der Arbeitspapiere handelt es sich um eine Holschuld, d.h. der Arbeitnehmer muss die Papiere selbst oder durch einen legitimierten Vertreter beim Arbeitgeber abholen (§ 269 BGB). Nur ausnahmsweise ist der Arbeitgeber aufgrund der Fürsorgepflicht zur Übersendung verpflichtet, z.B. wenn dem Arbeitnehmer die Abholung der Arbeitspapiere wegen einer längeren Krankheit nicht möglich ist2.
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Ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) wegen angeblicher Schadensersatzansprüche oder wegen Ansprüchen auf Rückgabe von Werkzeugen oder Arbeitskleidung steht dem Arbeitgeber nicht zu. Allerdings kann der Arbeitgeber bei Herausgabe der Arbeitspapiere die Unterzeichnung einer schriftlichen Empfangsbestätigung (Quittung) verlangen.
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Bei verspäteter, unrichtiger oder unvollständiger Ausstellung der Arbeitspapiere kann sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig machen. Darlegungs- und beweispflichtig für den Ursachenzusammenhang zwischen der verspäteten, unrichtigen oder unvollständigen Erteilung der Arbeitspapiere und einem Schaden ist der Arbeitnehmer3.
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p) Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht Insbesondere gegenüber Nettovergütungs- und Abfindungsansprüchen des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber nach Maßgabe der §§ 387 ff. BGB mit eigenen Geldforderungen aufrechnen, wobei allerdings die Pfändungsgrenzen der §§ 850 ff. ZPO zu beachten sind, § 394 Satz 1 BGB. Zur Vermeidung solcher 1 BAG vom 25.10.1957 – 1 AZR 434/55, DB 1958, 659; Bengelsdorf, S. 143. 2 Schaub/Linck, AR-Hdb.§ 149 I 3 (Rz. 4). 3 Vgl. BAG vom 25.10.1967 – 3 AZR 456/66, DB 1968, 1183.
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Teil 2 Rz. 364
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
Aufrechnungen können Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag ein Aufrechnungsverbot vereinbaren, das keinen rechtlichen Bedenken unterliegt1. 364
Überdies kann sich der Arbeitgeber gegenüber den Ansprüchen des Arbeitnehmers aus dem Aufhebungsvertrag auf ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB berufen, wenn ihm ein erfüllbarer, fälliger Gegenanspruch zusteht (z.B. ein Anspruch auf Herausgabe von Werkzeugen, Arbeitsgeräten und dgl.). Das Zurückbehaltungsrecht berechtigt den Arbeitgeber, seine Leistungen solange zu verweigern, bis der Arbeitnehmer seiner Leistungsverpflichtung nachgekommen ist. Anders als bei der Aufrechnung muss zwar der Gegenstand der Leistung nicht gleichartig sein. Allerdings muss eine sog. Konnexität der beiden Ansprüche bestehen, d.h. der Anspruch des Arbeitgebers und der Gegenanspruch des Arbeitnehmers müssen auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen2. Dies ist bei gegenseitigen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis regelmäßig der Fall. Kein Zurückbehaltungsrecht besteht jedoch an Arbeitspapieren3.
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Ebenso wie bei der Aufrechnung können die Parteien im Aufhebungsvertrag wirksam vereinbaren, dass ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers ausgeschlossen wird4. Ausnahmsweise kann sich der Arbeitgeber in dem Fall gleichwohl auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen, wenn der Arbeitnehmer sodann eine grobe Vertragsverletzung begeht5. q) Steuer- und sozialrechtliche Konsequenzen
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Zur Vermeidung etwaiger Schadensersatzforderungen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen Verletzung von Hinweis- und Aufklärungspflichten über steuer- und sozialrechtliche Konsequenzen des Aufhebungsvertrages sollte in diesem stets festgehalten werden, dass – solche Hinweise des Arbeitgebers erfolgt sind oder – dem Mitarbeiter bekannt ist, dass verbindliche Hinweise nur vom zuständigen Arbeits- bzw. Finanzamt erteilt werden können oder – der Mitarbeiter auf solche Hinweise verzichtet.
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S. dazu die möglichen Formulierungen o. Teil 1 Rz. 120 ff.
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Zu den steuer- und sozialrechtlichen Konsequenzen der Beendigung des Arbeitsverhältnis im Einzelnen s.u. Teil 6 und Teil 7. 1 Vgl. Bauer, IV Rz. 372. 2 Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 273 Rz. 9 m. w. Nachw. 3 Vgl. BAG vom 20.12.1958 – 2 AZR 336/56, DB 1959, 175; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 149 I 5 (Rz. 6). 4 Bauer, IV. Rz. 370. 5 Vgl. BGH vom 15.3.1972 – VIII ZR 12/71, DB 1972, 868.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 372 Teil 2
r) Ausgleichsklausel Da die Parteien mit dem Aufhebungsvertrag die Modalitäten der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses abschließend regeln und weitere rechtliche Auseinandersetzungen vermeiden wollen, werden in gerichtlichen und außergerichtlichen Aufhebungsvereinbarungen häufig sog. Ausgleichsklauseln aufgenommen.
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aa) Rechtsqualität von Erklärungen in Ausgleichsklauseln Welche Rechtsqualität und welchen Umfang die in Ausgleichsklauseln abgegebenen Erklärungen haben, ist nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln1. Als rechtstechnische Mittel für den Willen der Parteien, ihre Rechtsbeziehungen zu bereinigen, kommen insbesondere der Erlassvertrag, das konstitutive und das deklaratorische Schuldanerkenntnis in Betracht. Ein Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) ist dann anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend als nicht mehr zu erfüllen betrachten. Ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis i.S. von § 397 Abs. 2 BGB liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtsfolge eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen2. Maßgebend ist das Verständnis eines redlichen Erklärungsempfängers. Dieser ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Zu berücksichtigen ist ferner der Grundsatz der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung. Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch für die Frage, ob überhaupt eine rechtsgeschäftliche Erklärung vorliegt3.
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Im Interesse klarer Verhältnisse sind Ausgleichsklauseln in einem Aufhebungsvertrag grundsätzlich weit auszulegen. Denn in einem Aufhebungsvertrag wollen die Parteien regelmäßig das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie an diese dachten oder nicht4.
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Die Formulierung in einem gerichtlichen Vergleich „Damit ist der Rechtsstreit … (Az.) erledigt“, kann regelmäßig nicht als Ausgleichsklausel ausgelegt werden5.
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BAG vom 7.11.2007 – 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355. BAG vom 7.11.2007 – 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355. BAG vom 7.11.2007 – 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355. So ausdrücklich BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03, NZA 2004, 1097. Bestätigt durch BAG vom 7.11.2007 – 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355; BAG vom 22.10.2008 – 10 AZR 617/07, NZA 2009, 139; BAG vom 19.12.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318. 5 LAG Köln vom 28.10.1994 – 13 Sa 807/94, NZA 1995, 739.
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Teil 2 Rz. 373
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
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Durch eine Regelung, derzufolge „alle Ansprüche abgegolten sind“, sollen nach einer Entscheidung des BAG vom 7.11.20071 etwa noch bestehende Ansprüche nicht zum Erlöschen gebracht werden. Wenn feststehe, dass eine Forderung entstanden sei, verbiete dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht nach § 397 Abs. 1 oder 2 BGB „einfach wieder aufgegeben“. Ein Erlass liege im Zweifel nicht vor, da an die Feststellung eines Verzichtswillens gemäß § 397 BGB hohe Anforderungen zu stellen seien. Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers dürfe ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden seien2.
374
Etwas anderes gilt dagegen, wenn im Aufhebungsvertrag eine allgemeine („umfassende“) Ausgleichsklausel aufgenommen wird, die typischerweise folgenden Inhalt hat:
Formulierungsbeispiel Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, bekannt oder unbekannt, erledigt.
375
Hierdurch erlöschen grundsätzlich etwaige, nicht im Aufhebungsvertrag ausdrücklich geregelte wechselseitige Ansprüche der Parteien, weil insoweit ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis vorliegt3.
376
Û
Hinweis: Bei der Vereinbarung einer solchen Ausgleichsklausel sollte von den Parteien zuvor genauestens geprüft werden, ob neben den bereits im Aufhebungsvertrag geregelten Ansprüchen noch weitere Ansprüche bestehen, wie z.B. Schadensersatzansprüche, Ansprüche auf Rückzahlung aus Arbeitgeberdarlehen, da diese von der allgemeinen Ausgleichsklausel erfasst werden4.
377
Û
Hinweis: Auf eine allgemeine Ausgleichsklausel sollte stets verzichtet werden, wenn das Arbeitsverhältnis nicht bereits zum Zeitpunkt des Ab-
1 BAG vom 7.11.2007 – 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355. 2 BAG vom 7.11.2007 – 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355. 3 Vgl. BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03, NZA 2004, 1097; BAG vom 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, NZA 2005, 1193. S. dazu bereits zuvor BAG vom 23.9.2003 – 1 AZR 576/02, NZA 2004, 440: Ausgleichsklauseln, die ausdrücklich auch unbekannte Ansprüche zum Gegenstand haben und auf diese Weise zu erkennen geben, dass die Parteien an die Möglichkeit des Bestehens ihnen nicht bewusster Ansprüche gedacht und auch sie in den gewollten Ausgleich einbezogen haben, sind regelmäßig als umfassender Anspruchsausschluss zu verstehen. 4 A.A. Bauer, IV Rz. 379, wonach beim Arbeitgeberdarlehen der Anspruch auf Erfüllung, Schadensersatz, Rückzahlung oder Belassung des Darlehens kein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis sei.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 382 Teil 2
schlusses des Aufhebungsvertrages beendet ist oder endet, sondern bis zu einem späteren Zeitpunkt fortdauert und keine Freistellung erfolgt. In dem Fall können nämlich noch Ansprüche entstehen, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht abzusehen sind. Stattdessen sollten für die verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses detaillierte Regelungen im Aufhebungsvertrag vereinbart werden1. bb) Reichweite und Folgen von Ausgleichsklauseln Wird in einem – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Aufhebungsvertrag, der den Streit über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen fristlosen Kündigung beenden soll, ein späterer Beendigungszeitpunkt vereinbart als in der Kündigung angegeben, ohne dass der Aufhebungsvertrag Angaben zur Vergütungspflicht oder zur Abwicklung des Arbeitsverhältnisses für diesen Zeitraum enthält, so werden mögliche Vergütungsansprüche von einer allgemeinen Ausgleichsklausel erfasst2.
378
Wird in einem Aufhebungsvertrag vom Arbeitnehmer zugleich der Erhalt der Arbeitspapiere bestätigt und im Anschluss an den Aufhebungsvertrag zusätzlich eine umfassende Ausgleichsquittung unterzeichnet, umfasst diese regelmäßig auch den vertraglichen Anspruch des Arbeitnehmers auf ein anteiliges 13. Monatsgehalt3.
379
Eine Ausgleichsklausel, wonach sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und anlässlich seiner Beendigung abgegolten sind, erfasst grundsätzlich auch Ansprüche aus Aktienoptionen, wenn die Bezugsrechte vom Arbeitgeber eingeräumt wurden4.
380
Die Regelung in einem Aufhebungsvertrag, wonach sämtliche Ansprüche des Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsverhältnis und aus Anlass von dessen Beendigung – gleich aus welchem Rechtsgrund – abgegolten sein sollen, kann auch etwaige Schadenersatz- oder Entschädigungsansprüche des Arbeitnehmers gegen seinen Vorgesetzten wegen sog. Mobbings erfassen5.
381
Eine allgemeine Ausgleichsklausel erfasst dagegen nicht
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– den Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses (s.o. Rz. 327 ff.); – die Ansprüche auf Herausgabe der Arbeitspapiere (s.o. Rz. 358 ff.); – Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung (s.o. Rz. 629 ff.)6; – Ansprüche auf Arbeitnehmererfindervergütung (s.o. Rz. 217 f.);
1 2 3 4 5
So zu Recht Bauer, IV Rz. 381. BAG vom 10.5.1978 – 5 AZR 97/77, DB 1978, 2083. BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03, NZA 2004, 1097. BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066. LAG Berlin vom 26.8.2005 – 6 Sa 633/05, NZA-RR 2006, 67 = LAGE § 397 BGB 2002 Nr. 1. 6 S. dazu auch BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 69/99, NZA 2001, 203.
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Teil 2 Rz. 383
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
– Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlungen, sofern diese dem Arbeitgeber nicht bekannt waren oder hinsichtlich derer er nicht mit der Möglichkeit des Bestehens gerechnet hat1; – tarifliche Rechte, sofern es sich nicht um einen von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich handelt (§ 4 Abs. 4 Satz 1 TVG) oder die Vereinbarung eine Ungewissheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des tariflichen Anspruchs (z.B. über die Anzahl der geleisteten Überstunden) im Wege gegenseitigen Nachgebens ausräumen soll2; – Rechte aus Betriebsvereinbarungen oder Richtlinien ohne Zustimmung des Betriebsrats oder Sprecherausschusses (§ 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG, § 28 Abs. 2 Satz 3 SprAuG), wobei auch hier Tatsachenvergleiche möglich sind; auf einen bereits entstandenen Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 BetrVG kann der Arbeitnehmer jedoch auch ohne Zustimmung des Betriebsrats wirksam verzichten3; – (unstreitige) Ansprüche auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen (§ 3 Abs. 1 BUrlG) bzw. auf Urlaubsabgeltung (§ 7 Abs. 4 BUrlG)4; – titulierte Ansprüche des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers gegen die jeweils andere Partei, die zur Zeit des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung bereits bestanden5. 383
Stellt sich nach Abschluss eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsvertrages, der eine allgemeine Ausgleichsklausel umfasst, heraus, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch Forderungen bestanden, die von einer Partei oder von beiden Parteien übersehen wurden, können diese nicht mehr durchgesetzt werden. Eine Anfechtung der Ausgleichsklausel ist in dem Fall grundsätzlich nicht möglich, weil insoweit die Voraussetzungen der §§ 119, 123 BGB regelmäßig nicht gegeben sind. Ausnahmsweise kann die Berufung des Arbeitnehmers auf eine allgemeine Ausgleichsklausel jedoch rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Arbeitnehmer durch eine vorsätzliche Vertragsverletzung und zugleich durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung seinem bisherigen Arbeitgeber Schaden zugefügt hat und der Arbeitgeber hiervon bei Abschluss der eine Ausgleichsklausel umfassenden Aufhebungsvereinbarung keine Kenntnis hatte6.
1 Vgl. BAG vom 27.1.2000 – 8 AZR 98/99, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf vom 28.8.2001 – 16 Sa 610/01, BB 2002, 104. 2 Schaub/Schaub, AR-Hdb., § 204 IX 1b (Rz. 64 f.); Bauer, IV Rz. 385 m. w. Nachw. 3 BAG vom 23.9.2003 – 1 AZR 576/02, NZA 2004, 440. 4 Vgl. BAG vom 31.5.1990 – 8 AZR 132/89, NZA 1990, 935; BAG vom 20.1.1998 – 9 AZR 812/96, NZA 1998, 816. 5 Weitergehend LAG Hamm vom 7.12.2002 – 16 Sa 1152/00, NZA-RR 2002, 15, wonach auch Lohnansprüche, die noch nicht abgerechnet worden seien und über die kein Streit bestehe, von einer Ausgleichsklausel, die in einem Aufhebungsvertrag vereinbart werde, nicht erfasst würden. 6 BAG vom 9.3.1972 – 1 AZR 165/71, DB 1972, 2216.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 387 Teil 2
cc) AGB-Kontrolle Eine im vorformulierten Aufhebungsvertrag enthaltene Ausgleichsklausel unterliegt grundsätzlich der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB1.
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Ausgleichs- und Abgeltungsklauseln in Aufhebungsvereinbarungen, gerichtlichen Auflösungsvergleichen und sog. Abwicklungsvereinbarungen sind grundsätzlich nicht überraschend oder ungewöhnlich i.S. des § 305c BGB, sondern im Gegenteil die Regel2. Eine allgemeine Ausgleichsklausel, nach welcher sämtliche Ansprüche „gleich aus welchem Rechtsgrund sie entstanden sein mögen, abgegolten und erledigt sind“, wird gemäß § 305c Abs. 1 BGB nur dann nicht Vertragsinhalt, wenn sie in einer Erklärung mit falscher oder missverständlicher Überschrift ohne besonderen Hinweis oder drucktechnische Hervorhebung enthalten ist3.
385
Eine vom Arbeitgeber in einem Aufhebungsvertrag vorformulierte Ausgleichsklausel, wonach der Arbeitnehmer auf finanzielle Ansprüche verzichtet, kann u.U. eine unangemessene Benachteiligung i.S. von § 307 Abs. 1 BGB darstellen, wenn der Arbeitnehmer keine „kompensatorische Gegenleistung“, etwa im Bezug auf den Beendigungszeitpunkt, Zahlung einer Entlassungsentschädigung, Verzicht auf eigene Ersatzansprüche o.ä. erhält4.
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Abzulehnen ist die vom LAG Berlin-Brandenburg in einer Entscheidung vom 5.6.2007 vertretene Auffassung, der anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber vorformulierte und vom Arbeitnehmer erklärte Verzicht auf alle bestehenden Ansprüche verstoße gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn er nicht ausreichend klar erkennen lasse, welche Ansprüche erfasst sein sollen5. Denn deutlicher als durch das Wort „alle“ (… Ansprüche) kann schlechterdings nicht zum Ausdruck ge-
387
1 Vgl. BAG vom 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, NZA 2005, 1193; LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05, DB 2005, 1463 = LAGE § 307 2002 Nr. 7. 2 So zu Recht BAG vom 19.11.2008 – 10 AZR 671/07, NZA 2009, 318. 3 BAG vom 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, NZA 2005, 1193. 4 Kroeschell, NZA 2008, 560 (561); Kleinebrink, ArbRB 2008, 153 (156); Schewiola, ArbRB 2009, 55 (57), jeweils unter Hinweis auf BAG vom 6.9.2007 – 2 AZR 722/06, NZA 2008, 219. Wonach der ohne Gegenleistung erklärte formularmäßige Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage eine unangemessene Benachteiligung i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellt. Weitergehend LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05, DB 2005, 1463 = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7: Die in einer vom Arbeitgeber vorformulierten Ausgleichsquittung enthaltene Erklärung des Arbeitnehmers, auf alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung zu verzichten, stellt regelmäßig eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar und ist daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Abweichend LAG Berlin-Brandenburg vom 5.6.2007 – 12 Sa 524/07, LAGE § 307 BGB Nr. 13, demzufolge der anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber vorformulierte und vom Arbeitnehmer erklärte Verzicht auf alle bestehenden Ansprüche als Hauptleistungsvereinbarung nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB keiner Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unterliege, wenn er erkennbar selbständig und isoliert von einer Empfangsbestätigung unterzeichnet und nicht mit anderen Regelungen verbunden werde. 5 LAG Berlin-Brandenburg vom 5.6.2007 – 12 Sa 524/07, LAGE § 307 BGB Nr. 13.
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Teil 2 Rz. 388
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
bracht werden, dass hiervon auch sämtliche nicht anderweitig ausdrücklich geregelte Forderungen – unabhängig davon, ob sie bekannt oder unbekannt sind – erfasst sein sollen. Eine vom LAG Berlin-Brandenburg offenbar verlangte ausdrückliche Aufzählung bekannter oder gar unbekannter (!) Ansprüche, auf die sich der Verzicht beziehen soll, wäre zudem sowohl mit Sinn und Zweck als auch mit dem Wesen einer im Aufhebungsvertrag enthaltenen allgemeinen Ausgleichsklausel unvereinbar. Denn durch diese wollen die Parteien im Interesse der Vermeidung von (weiteren) rechtlichen Auseinandersetzungen die Modalitäten der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses abschließend regeln und damit gerade „klare“ Verhältnisse schaffen. s) Salvatorische Klausel 388
Bei umfangreichen Aufhebungsvereinbarungen empfiehlt es sich, eine sog. salvatorische Klausel in den Vertrag aufzunehmen, wonach die Unwirksamkeit eines Teiles des Aufhebungsvertrages die Wirksamkeit der sonstigen Abreden nicht berührt. Durch diese Klausel wird der Wille der Parteien deutlich, dass eine Teilnichtigkeit des Aufhebungsvertrages nicht gemäß § 139 BGB zur Nichtigkeit der gesamten Aufhebungsvereinbarung führen soll. Salvatorische Klauseln haben jedoch keine Wirkung, wenn ein wesentlicher Bestandteil des Aufhebungsvertrages nichtig ist1. Zur Vermeidung der Nachteile, die sich aus der Unwirksamkeit einer Regelung des Aufhebungsvertrags für eine Seite ergeben können, sollte in der salvatorischen Klausel gleichzeitig festgelegt werden, dass sich die Parteien verpflichten, anstelle der unwirksamen Bestimmung eine dieser Bestimmung möglichst nahe kommende wirksame Regelung zu treffen.
3. Musterverträge a) Kurzer Aufhebungsvertrag
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Aufhebungsvereinbarung zwischen der ABC-GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer – im Folgenden „Gesellschaft“ genannt und Herrn Stefan Müller 1. Die Gesellschaft und Herr Müller sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Anstellungsverhältnis aufgrund der betriebsbedingten Kündigung vom 10.6.2009 mit dem 30.9.2009 sein Ende finden wird. 2. Bis zum 30.9.2009 wird das Anstellungsverhältnis von beiden Seiten ordnungsgemäß erfüllt. Herr Müller wird insbesondere dafür Sorge tragen, dass er
1 Vgl. BGH vom 8.4.1976 – II ZR 203/74, DB 1976, 2106; Bauer, IV Rz. 419; Bengelsdorf, S. 145.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 390 Teil 2
seinen ihm für 2009 zustehenden Urlaub in natura bis zum Beendigungstermin genommen hat. 3. Für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Gesellschaft an Herrn Müller eine Abfindung gemäß §§ 24, 34 EStG sowie in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 15 000 Euro brutto. Die Abfindung wird am 30.9.2009 fällig. 4. Herr Müller erhält zum Beendigungstermin ein qualifiziertes Zeugnis, welches ihn in seinem beruflichen Fortkommen nicht behindert. 5. Nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung nimmt Herr Müller die Klage vor dem Arbeitsgericht Köln zurück. Darüber hinaus sind mit Erfüllung der vorstehenden Punkte sämtliche Ansprüche zwischen den Parteien – bekannt oder unbekannt – endgültig erledigt. 6. Hinsichtlich der steuer- und sozialrechtlichen Konsequenzen dieser Vereinbarung hatte Herr Müller Gelegenheit, sich durch die zuständigen Behörden – insbesondere die Agentur für Arbeit – informieren zu lassen. Im Übrigen wird Herr Müller gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III darauf hingewiesen, dass er zur Aufrechterhaltung ungekürzter Ansprüche auf Arbeitslosengeld nach § 38 Abs. 1 SGB III verpflichtet ist, sich unverzüglich persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Außerdem wird Herr Müller darauf hingewiesen, dass er verpflichtet ist, aktiv nach einer anderweitigen Beschäftigung zu suchen. Köln, 25.6.2009 ABC-GmbH
Stefan Müller
b) Ausführlicher Aufhebungsvertrag
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Aufhebungsvereinbarung zwischen der ABC-GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer – im Folgenden „Gesellschaft“ genannt und Herrn Stefan Müller 1. Die Gesellschaft und Herr Müller sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Anstellungsverhältnis auf Veranlassung der Gesellschaft zur Vermeidung einer ansonsten unumgänglichen ordentlichen betriebsbedingten Kündigung mit dem 31.12.2009 sein Ende finden wird. 2. Die Gesellschaft räumt Herrn Müller das Recht ein, das Anstellungsverhältnis mit einer Ankündigungsfrist von 14 Tagen vorzeitig zu beenden.
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Teil 2 Rz. 390
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
3. Bis zu dem unter Ziffer 1 festgelegten Beendigungszeitpunkt bleibt Herr Müller von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung seiner vertragsgemäßen Bezüge in Höhe von monatlich . . . Euro und unter Anrechnung auf seine Resturlaubsansprüche und Freizeitguthaben unwiderruflich freigestellt. Während der Freistellung ist Herr Müller berechtigt, sämtliche Büroeinrichtungen einschließlich des in seiner Wohnung installierten Diensttelefons auf Kosten der Gesellschaft für Bewerbungsaktivitäten zu nutzen. 4. Herr Müller ist berechtigt, den ihm zur Verfügung gestellten Dienstwagen einschließlich des Autotelefons bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses im bisherigen Umfang auch zu privaten Zwecken zu nutzen. Er wird den Wagen am 31.12.2009 in ordnungsgemäßem Zustand mit allen Wagenpapieren, der Telefonkarte und sämtlichen Schlüsseln der Gesellschaft auf dem Betriebsgelände in Köln übergeben. 5. Für den Verlust des sozialen Besitzstandes zahlt die Gesellschaft Herrn Müller gemäß §§ 24, 34 EStG sowie in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von 300 000 Euro brutto. Die Abfindung erhöht sich für jeden vollen Monat des vorzeitigen Ausscheidens gemäß Ziffer 2 dieser Vereinbarung um . . . Euro brutto. Die Abfindung wird gemäß §§ 24 Nr. 1a, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG mit dem ermäßigten Steuersatz abgerechnet. Die Gesellschaft wird insoweit nach § 39b Abs. 3 EStG verfahren. Die Abfindung ist bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses fällig. 6. Die Herrn Müller für das Jahr 2009 zustehende Tantieme wird in Höhe der für das Jahr 2008 gezahlten Tantieme von 25 000 Euro brutto pauschaliert. 7. Herr Müller hat aufgrund der ihm im Anstellungsvertrag vom 23.7.1995 erteilten Zusage einen Anspruch auf Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung. Herr Müller erhält spätestens acht Wochen nach seinem Ausscheiden eine Bestätigung gemäß § 2 Abs. 6 BetrAVG. 8. Herr Müller ist berechtigt, die bei der XYZ-Versicherungs-AG unter der Versicherungs-Nr. . . . abgeschlossene Direktversicherung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung nach seinem Ausscheiden fortzuführen. Die Gesellschaft wird auf Wunsch von Herrn Müller gegenüber der XYZ-Versicherungs-AG die hierzu notwendigen Erklärungen abgeben. Eventuell anfallende Kosten werden durch Herrn Müller getragen. 9. Der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag vom 15.3.2005 wird zu den vereinbarten Konditionen fortgeführt. 10. Herr Müller hat das Recht, nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung Vortragstätigkeiten, Veröffentlichungen etc. auf eigene Rechnung durchzuführen. Die im Rahmen dieser Tätigkeit erzielten Einkünfte stehen alleine Herrn Müller zu.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 390 Teil 2
11. Herr Müller erhält das diesem Vertrag beigefügte Zwischenzeugnis. Zum Beendigungstermin wird ihm ein auf dieses Datum ausgestelltes Endzeugnis erteilt, das inhaltlich mit dem Zwischenzeugnis übereinstimmt. 12. Presseveröffentlichungen und andere Verlautbarungen an einen unbestimmten Personenkreis werden beide Vertragspartner nur in einer vorher miteinander abgestimmten Form abgeben. Die Parteien werden gemeinsam einen Text entwerfen, der als Richtschnur für Erklärungen an Dritte dienen kann. Die Gesellschaft wird Auskünfte nur in diesem Sinn erteilen. 13. Das zwischen den Parteien aufgrund von § 13 des Anstellungsvertrages vom 23.7.1995 bestehende nachvertragliche Wettbewerbsverbot wird einvernehmlich mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Ein Anspruch auf Karenzentschädigung besteht nicht mehr. 14. Herr Müller gibt innerhalb von zwei Wochen nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung die in seinem Besitz befindlichen, jedoch im Eigentum der Gesellschaft stehenden Unterlagen und Gegenstände an die Gesellschaft zurück. 15. Herr Müller verpflichtet sich, alle ihm während seiner Tätigkeit für die Gesellschaft zur Kenntnis gelangten betriebsinternen Vorgänge – insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse – auch nach dem Ausscheiden geheim zu halten. 16. Mit dieser Vereinbarung ist der Fortbestand des Anstellungsverhältnisses zwischen der Gesellschaft und Herrn Müller bis zum 31.12.2009 und dessen Beendigung zu diesem oder einem früheren Zeitpunkt gemäß Ziffer 2 dieser Vereinbarung abschließend geregelt. Zugleich sind mit Erfüllung der Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung alle wechselseitigen Ansprüche der Vertragsparteien – bekannt oder unbekannt – endgültig erledigt. Nebenabreden sind nicht getroffen. Ergänzungen bedürfen der Schriftform. Dieses Schriftformerfordernis kann ebenfalls nur schriftlich aufgehoben werden. 17. Herr Müller hatte Gelegenheit, sich über die steuer- und sozialrechtlichen Konsequenzen dieser Vereinbarung bei den zuständigen Behörden – insbesondere der Agentur für Arbeit – zu informieren. Im Übrigen wird Herr Müller gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III darauf hingewiesen, dass er zur Aufrechterhaltung ungekürzter Ansprüche auf Arbeitslosengeld nach § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III verpflichtet ist, sich spätestens drei Monate vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Außerdem wird Herr Müller darauf hingewiesen, dass er verpflichtet ist, aktiv nach einer anderweitigen Beschäftigung zu suchen. 18. Die Rechtsanwaltskosten in Höhe von . . . Euro, die Herrn Müller im Zusammenhang mit dem Abschluss dieser Vereinbarung entstanden sind, werden von der Gesellschaft übernommen. 19. Sollte Herr Müller vor dem in Ziffer 1 genannten Beendigungszeitpunkt versterben, so bleiben die Ansprüche aus dieser Vereinbarung davon unberührt. An die Stelle von Herrn Müller treten dessen Erben.
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Teil 2 Rz. 390
Inhalt und Auslegung von Aufhebungsverträgen
20. Sollte eine Bestimmung dieser Vereinbarung unwirksam sein oder werden, so wird dadurch die Wirksamkeit der anderen Bestimmungen dieser Vereinbarung nicht berührt. An die Stelle der unwirksamen Bestimmung tritt eine rechtlich zulässige, die Sinn und Zweck der unwirksamen Bestimmung so nahe wie möglich kommt. Köln, 25.6.2009 ABC-GmbH
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Stefan Müller
Teil 3 Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen 1. Nichtigkeit Der Aufhebungsvertrag kann wie jedes andere Rechtsgeschäft nach § 105 BGB (Geschäftsunfähigkeit oder vorübergehende Störung der Geistestätigkeit von Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses), § 125 BGB (Nichteinhaltung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses gemäß § 623 BGB1), § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot) sowie § 138 BGB (Verstoß gegen die guten Sitten) nichtig und damit unwirksam sein. Die Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages muss nicht von einer Partei geltend gemacht werden, sondern ist im Prozess von Amts wegen zu berücksichtigen2.
1
a) Nichtigkeit nach § 105 BGB Die vorübergehende Störung der Geistestätigkeit i.S. von § 105 Abs. 2 BGB 2 setzt einen Zustand voraus, in dem die freie Willensbildung nicht nur geschwächt oder gemindert, sondern völlig ausgeschlossen ist. Bloße Willensschwäche und leichte Beeinflussbarkeit durch andere schließen die Möglichkeit freier Willensbildung nicht aus. Bestimmte krankhafte Vorstellungen und Empfindungen des Erklärenden oder Einflüsse Dritter müssen derart übermäßig geworden sein, dass eine Bestimmung des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen war. „Hochgradige“ alkoholbedingte Störungen reichen nicht ohne Weiteres aus3. War der Arbeitnehmer seinen Angaben zufolge beim Abschluss des Aufhebungsvertrages „vollkommen oder erheblich“ verwirrt, so führt dies allein ebenfalls nicht bereits zur Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages gemäß §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 und 2 BGB4. b) Nichtigkeit nach § 134 BGB Ein Aufhebungsvertrag kann weiterhin wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder wegen Umgehung zwingender gesetzlicher Vorschriften nach § 134 BGB nichtig sein. Unwirksam sind z.B. – wegen Umgehung zwingender Kündigungsschutzbestimmungen – Vertragsvereinbarungen, wonach das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Arbeitnehmer nach dem Ende seines Urlaubs die Arbeit an dem vereinbarten Tag nicht wieder aufnimmt5. Veranlasst der Arbeitgeber die Arbeitnehmer im Rahmen einer Be1 2 3 4
S.o. Teil 1 Rz. 17 ff. Vgl. BGH vom 18.5.1989 – V ZB 4/89, NJW 1989, 2059 m. w. Nachw. BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811 (812). Vgl. BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81, NJW 1983, 2958; BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91 (93). S. dazu auch LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 6.7.1995 – 1 Sa 629/94, NZA 1996, 535. 5 Vgl. BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, DB 1975, 1890.
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Teil 3 Rz. 4
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
triebsveräußerung zum Abschluss von Aufhebungsverträgen, um dann mit dem Erwerber neue Arbeitsverträge zu schließen, liegt darin eine Umgehung des § 613a Abs. 4 BGB und damit ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S. von § 134 BGB1. 4 Da sich die allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzbestimmungen gerade nicht auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses beziehen, ist ein Aufhebungsvertrag aber grundsätzlich nicht per se wegen Umgehung dieser Kündigungsschutzvorschriften nichtig. c) Nichtigkeit nach § 138 BGB 5 Ein Aufhebungsvertrag ist nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit nichtig, wenn ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten rechtfertigt2. Dieses Erfordernis dürfte beim Aufhebungsvertrag nur in seltenen Fällen gegeben sein. So ist ein Aufhebungsvertrag nicht bereits nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- und Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gespräches vorher nicht mitgeteilt hat. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, um die Annahme zu rechtfertigen, das Geschäft sei nach seinem Gesamtcharakter gemäß § 138 BGB als sittenwidrig und damit als nichtig anzusehen3. Ebenso wenig ist ein Aufhebungsvertrag bereits deshalb sittenwidrig, weil er ohne jede Abfindungsregelung geschlossen wird4. 6
Û
Beispiel: Gehen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer etwa davon aus, dass ein vom Arbeitnehmer vorsätzlich verursachter Schaden 140 000 Euro betragen kann, und einigen sie sich auf Vorschlag des Arbeitnehmers auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von 60 000 Euro, liegt ein Verstoß gegen die guten Sitten auch dann nicht vor, wenn der Schaden tatsächlich
1 BAG vom 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198. 2 Vgl. Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (419); Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1084); Müller, S. 112; Bengelsdorf, S. 12 f. 3 So zu Recht BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209. Ebenso Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (419); Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1084). Bedenklich Zwanziger, DB 1994, 982 (984), wonach ein Aufhebungsvertrag gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sei, wenn der Arbeitgeber durch sein Direktionsrecht eine Verhandlungssituation schaffe, um auf den Arbeitnehmer mit dem Ziel einzudringen, einen Aufhebungsvertrag zu schließen und eine Überlegungsfrist nicht eingeräumt werde. S. dazu auch LAG Niedersachsen vom 3.6.2008 – 3 Sa 1041/07, DB 2008, 2084, wonach ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, auf Weisung des Arbeitgebers an einem Personalgespräch teilzunehmen, in dem es ausschließlich um Verhandlungen über vom Arbeitgeber gewünschte Änderungen des Arbeitsvertrags gehen soll. 4 Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (419); Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1084); Ernst, S. 159; Bengelsdorf, S. 13.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 9 Teil 3
nur 50 000 Euro beträgt1. Allerdings kann nach Ansicht des BAG2 ein Vergleich, der die Abfindung einer Versorgungsanwartschaft durch einen Kapitalbetrag vorsieht, gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein, wenn ein grobes Missverhältnis des beiderseitigen Nachgebens besteht.
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Hinweis: Ein rückdatierter Aufhebungsvertrag zum Zwecke der Umgehung der Folgen des § 143 SGB III wird zwar grundsätzlich nicht nach § 138 Abs. 1 BGB für nichtig gehalten, da nach dem beiderseitigen Vertragswillen der Hauptzweck eines rückdatierten Aufhebungsvertrages nicht in der Täuschung der Arbeitsverwaltung, sondern in der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (u.U. gegen Zahlung einer Abfindung) liege3. Gleichwohl kann vor rückdatierten Aufhebungsverträgen angesichts drohender strafrechtlicher Konsequenzen (Betrug zum Nachteil der Bundesagentur für Arbeit) nur gewarnt werden.
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d) Nichtigkeit eines Prozessvergleichs Eine aus prozessualen Gründen unwirksame gerichtliche Aufhebungsvereinbarung (z.B. wegen Verstoßes gegen §§ 160 ff. ZPO) kann als außergerichtlicher Vergleich aufrechterhalten werden (s.o. Teil 1 Rz. 83).
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e) Folgen der Teilnichtigkeit eines Aufhebungsvertrages Sind nur einzelne Regelungen des Aufhebungsvertrages nichtig, ist damit an sich gemäß § 139 BGB grundsätzlich der gesamte Aufhebungsvertrag nichtig, sofern nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen worden wäre. Eine Teilnichtigkeit ist insbesondere dann gegeben, wenn eine unverfallbare Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung unter Verstoß gegen § 3 BetrAVG im Aufhebungsvertrag finanziell abgegolten wird (s.o. Teil 2 Rz. 285 ff.). Haben die Parteien im Aufhebungsvertrag eine sog. salvatorische Klausel aufgenommen (s.o. Teil 2 Rz. 388), geht diese der Auslegungsregel des § 139 BGB vor4. Anderenfalls ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (s.o. Teil 2 Rz. 2) der mutmaßliche Parteiwille zu ermitteln. Bei der unzulässigen Kapitalisierung einer Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung wird die Auslegung regelmäßig ergeben, dass die sonstigen Regelungen der Aufhebungsvereinbarung bestehen bleiben, insbesondere das Arbeitsverhältnis beendet ist5. Dies gilt erst recht, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Nichtigkeit der Teilregelung gekannt haben.
1 Vgl. BAG vom 11.9.1984 – 3 AZR 184/82, DB 1985, 1352. 2 BAG vom 30.7.1985 – 3 AZR 401/83, NZA 1986, 519. 3 LAG Baden-Württemberg vom 22.5.1991 – 12 Sa 160/90, LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 4; Bauer, I Rz. 211; a.A. ArbG Wetzlar vom 24.8.1993 – 1 Ca 209/93, EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 14. 4 Vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, § 139 Rz. 14, 17. 5 Bauer, I Rz. 215.
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Teil 3 Rz. 10
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
2. Anfechtung 10 Die Erklärungen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, gerichtet auf Abschluss der Aufhebungsvereinbarung, können von diesen wie jede andere Willenserklärung nach Maßgabe der §§ 119, 123, 143 BGB angefochten werden1. Bei Vorliegen eines Anfechtungsgrundes führt die Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur rückwirkenden Beseitigung des Aufhebungsvertrages. a) § 119 BGB 11 Ein Anfechtungsrecht wegen Inhaltsirrtums (§ 119 Abs. 1 BGB) oder Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 119 Abs. 2 BGB) wurde früher im Rahmen von Aufhebungsverträgen zwischen Arbeitgeber und schwangeren Arbeitnehmerinnen oder schwerbehinderten Arbeitnehmern kontrovers diskutiert. 12 Einigkeit besteht darüber, dass eine werdende Mutter oder ein Schwerbehinderter, die bei Abschluss des Aufhebungsvertrags von der Schwangerschaft bzw. von der Schwerbehinderung nichts wussten, zur Anfechtung ihrer Erklärungen nach § 119 Abs. 1 BGB nicht berechtigt sind, da dieser Irrtum einen bloßen Motivirrtum darstellt, der im Interesse des Rechtsverkehrs unbeachtlich ist2. 13 Jedoch sollte nach einer früher z.T. vertretenen Ansicht3 der Irrtum einer Arbeitnehmerin über den mit dem Aufhebungsvertrag eingetretenen Verlust der Rechte aus dem MuSchG zur Anfechtung wegen Inhaltsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB berechtigen, da die Erklärung der Schwangeren gleichzeitig einen Verzicht auf mutterschutzrechtliche Ansprüche umfasse. Außerdem wurde vereinzelt angenommen, dass der schwangeren Arbeitnehmerin, die in Unkenntnis ihrer Schwangerschaft einen Aufhebungsvertrag abschließe, ein Anfechtungsrecht wegen Irrtums über wesentliche Eigenschaften i.S. von § 119 Abs. 2 BGB zustehe4.
1 Unstreitig. S. etwa Ehrich, DB 1992, 2239; Bauer, I Rz. 179; Schaub/Linck, AR-Hdb., § 122 III 1a (Rz. 25); Müller, S. 114 m. w. Nachw. Die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages wegen Willensmängeln (§ 123 BGB) enthält nicht ohne Weiteres einen Widerruf des entsprechenden Vertragsangebots des Anfechtenden wegen Vertretungsmängeln bei dessen Annahme durch den Anfechtungsgegner, so BAG vom 31.1.1996 – 2 AZR 91/95, NJW 1996, 2594. 2 KR-Bader, § 9 MuSchG Rz. 153; Bengelsdorf, S. 14 f.; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1084); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (419); Ehrich, DB 1992, 2239 m. w. Nachw. 3 Bulla, Kommentar zum Mutterschutzgesetz, 3. Aufl. 1968, § 9 Rz. 40; weitere Nachw. bei Müller, S. 116. 4 Bulla, Kommentar zum Mutterschutzgesetz, 3. Aufl. 1968, § 9 Rz. 40; Gamillscheg, Mutterschutz und Sozialstaat, in: FS für Molitor, 1962, S. 57 (80); neuerdings auch Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 115 Rz. 30.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 17 Teil 3
Demgegenüber lehnen das BAG1 und die heute weit überwiegende Meinung 14 im Schrifttum2 zutreffend ein Anfechtungsrecht sowohl nach § 119 Abs. 1 BGB als auch nach § 119 Abs. 2 BGB grundsätzlich ab. Denn einerseits handelt es sich bei dem Irrtum der werdenden Mutter über die mutterschutzrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages lediglich um einen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum, der nicht zur Anfechtung wegen Inhaltsirrtums berechtigt, zum anderen können die Schwangerschaft und die mit ihr gesetzlich verbundenen Mutterschutzrechte nicht als Dauerzustände und damit als verkehrswesenschaftliche Eigenschaften in der Person der Arbeitnehmerin gewertet werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verzicht auf die mutterschutzrechtlichen Ansprüche ausdrücklicher oder stillschweigender Inhalt der Willenserklärung war und hierüber ein Irrtum vorlag3 oder dem Arbeitgeber erkennbar war, dass es der Arbeitnehmerin bei der von ihr erklärten Kündigung maßgeblich auf das Fehlen der – ihr bislang unbekannten – Schwangerschaft ankam4. Beides dürfte aber kaum feststellbar sein.
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Zu beachten ist schließlich, dass die Anfechtung in den Fällen des § 119 BGB stets unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen muss, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, § 121 Satz 1 BGB5.
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b) § 123 BGB aa) Arglistige Täuschung Eine Anfechtung des Aufhebungsvertrages gemäß § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung kommt in Betracht, wenn der Arbeitgeber durch be-
1 BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81, DB 1983, 1663; BAG vom 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, DB 1992, 1529. Ebenso LAG Köln vom 7.11.1997 – 11 Sa 451/97, NZA 1998, 824. 2 KR-Bader, § 9 MuSchG Rz. 152 f.; Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1084); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 51; Bauer, I Rz. 180; Bengelsdorf, S. 15; Müller, S. 115 ff.; weitere Nachw. bei Ehrich, DB 1992, 2239 (2240). 3 BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81, DB 1983, 1663; BAG vom 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, DB 1992, 1529; Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (419); Ehrich, DB 1992, 2239 (2240) m. w. Nachw. 4 BAG vom 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, DB 1992, 1529; Ehrich, DB 1992, 2239 (2240); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (419). 5 S. dazu LAG Hamm vom 24.1.2000 – 19 Sa 1637/99, NZA 2000, 960: Die Anfechtung eines im Gütetermin des Kündigungsschutzverfahrens (mit anwaltlicher Vertretung) geschlossenen Prozessvergleichs wegen – angeblichen – Inhaltsirrtums mehr als sieben Wochen nach seinem Abschluss, sechs Wochen nach Beratung und Aufklärung über die Anfechtungsmöglichkeit durch einen anderen Rechtsanwalt und Erhebung von gebührenrechtlichen Einwendungen gegenüber dem Arbeitsgericht und weiteren vier Wochen nach Erteilung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung über einen Anwaltswechsel ist nicht unverzüglich i.S. des § 121 Abs. 1 BGB und damit verspätet.
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Teil 3 Rz. 18
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
wusstes Vorspiegeln falscher oder Unterdrückung wahrer Tatsachen beim Arbeitnehmer einen Irrtum herbeiführt oder aufrechterhält, um diesen vorsätzlich zum Abschluss des Aufhebungsvertrages zu veranlassen. 18 Ein (vertraglich vereinbarter) Verzicht auf das Anfechtungsrecht aus § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung ist grundsätzlich unwirksam1. 19 Versichert der Arbeitgeber wahrheitswidrig, dass die vertragliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses den allgemeinen oder besonderen Kündigungsschutz nicht beeinträchtige und bewegt er den Arbeitnehmer dadurch zur Annahme des Aufhebungsangebots, so ist eine arglistige Täuschung i.S. des § 123 Abs. 1 BGB zu bejahen2. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch die Vorspiegelung zum Abschluss des Aufhebungsvertrages veranlasst hat, der Betrieb müsse alsbald stillgelegt werden, obwohl tatsächlich eine Betriebsveräußerung bereits feststeht oder konkret geplant ist3. Dagegen berechtigt das Verschweigen des Verlustes eines allgemeinen oder besonderen Kündigungsschutzes den Arbeitnehmer nicht zur Anfechtung des Aufhebungsvertrages nach § 123 Abs. 1 BGB, weil insoweit keine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers besteht4. 20 Bewusst oder unbewusst falsche Auskünfte des Arbeitgebers über etwaige Sperr- und Ruhenszeiten nach §§ 143, 144 SGB III können zwar Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers begründen (s. Teil 1 Rz. 116, Teil 3 Rz. 92 f.). Eine Anfechtung des Aufhebungsvertrages nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung ist hier aber grundsätzlich nicht möglich, da es in aller Regel an der erforderlichen Ursächlichkeit der Täuschung für die Abgabe der Willenserklärung fehlen wird5. 21 Unterlässt der Arbeitgeber bei Abschluss des Aufhebungsvertrages einen Hinweis auf die drohende Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzreife, liegt darin eine arglistige Täuschung durch Unterlassen, die den Arbeitnehmer zur Anfechtung des Aufhebungsvertrages berechtigt6. Ebenso kann der Arbeitnehmer einen im Kündigungsschutzprozess geschlossenen Vergleich über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen arglistiger Täuschung des Arbeitgebers anfechten, wenn dieser den Arbeitnehmer durch bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag, der auch bei pflichtwidrigem Verschweigen entscheidungserheblicher Umstände gegeben ist, zu einem Vergleichsabschluss veranlasst hat7.
1 Vgl. BGH vom 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, DB 2007, 457. 2 Ehrich, DB 1992, 2239 (2240) m. w. Nachw. 3 Ehrich, DB 1992, 2239 (2240); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (418); Bengelsdorf, S. 16; Müller, S. 119 m. w. Nachw. 4 Ehrich, DB 1992, 2239 (2240); Bengelsdorf, S. 16; Müller, S. 119 ff. 5 Vgl. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; Bauer, I Rz. 156; a.A. Bengelsdorf, S. 17; Ernst, S. 244; ArbG Wetzlar vom 7.8.1990 – 1 Ca 48/90, DB 1991, 976; ArbG Wetzlar vom 29.8.1995 – 1 Ca 273/95, DB 1995, 2376. 6 ArbG Darmstadt vom 23.12.1987 – 5 Ca 135/87, DB 1988, 918. 7 BAG vom 15.5.1997 – 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 22 Teil 3
Umgekehrt soll dem Arbeitgeber weder ein Recht zur Anfechtung einer gerichtlichen Aufhebungsvereinbarung wegen arglistiger Täuschung noch ein Schadensersatzanspruch zustehen, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen gerichtlicher Vergleichsverhandlungen wahrheitswidrig erklärt, er habe noch keinen Anschlussarbeitsplatz gefunden und die Höhe der sodann vereinbarten Abfindung nach den in der arbeitsgerichtlichen Praxis üblichen Regeln bestimmt worden ist1. Zur Vermeidung dieses Ergebnisses kann im Aufhebungsvertrag vereinbart werden, dass sich die Abfindung reduziert, wenn der Arbeitnehmer einen Anschlussarbeitsplatz findet und damit eventuell überzahlte Beträge vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind. Möglich ist dies z.B. in Gestalt folgender Regelung:
Formulierungsbeispiel Die Firma . . . verpflichtet sich, an Herrn/Frau . . . für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstandes eine Abfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG in Höhe von . . . Euro brutto zu zahlen. Die Abfindungssumme reduziert sich für den Fall, dass Herr/Frau . . . innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anschlussarbeitsplatz findet, für jeden vollen Monat der neuen Beschäftigung um . . . Euro. Herr/Frau . . . verpflichtet sich, die Eingehung des Anschlussverhältnisses innerhalb einer Woche der Firma . . . mitzuteilen. Herr/Frau . . . verpflichtet sich, eventuell überzahlte Beträge an die Firma . . . zurückzuzahlen. Sollte Herr/Frau . . . den Anschlussarbeitsplatz aus nicht zu vertretenden Gründen innerhalb der ersten sechs Monate des neuen Arbeitsverhältnisses wieder verlieren, so verpflichtet sich die Firma . . ., die Abfindung nachzuzahlen. Ein zu vertretender Arbeitsplatzverlust liegt vor, wenn Herr/Frau . . . durch vertragswidriges und vorwerfbares Verhalten Anlass zu dem Ausscheiden gegeben hat. Auf die Art der Beendigung (Kündigung oder Aufhebungsvertrag) kommt es nicht an.
1 So jedenfalls LAG Hamm vom 19.5.1994 – 16 (10) Sa 1545/93, BB 1994, 2072 und ArbG Rheine vom 25.6.1993 – 2 Ca 606/93, BB 1993, 1810 (Vorinstanz). A.A. Liebscher in der Anm. zu ArbG Rheine vom 25.6.1993 – 2 Ca 606/93, BB 1993, 2236; Bauer, I Rz. 201 f., wonach der Arbeitgeber in diesem Fall den Prozessvergleich wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB anfechten und das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 BGB fristlos kündigen könne. Differenzierend Hoß/Kothe-Heggemann, MDR 1997, 1077 (1084), wonach ein Anfechtungsrecht des Arbeitgebers wegen arglistiger Täuschung dann bestehe, wenn dieser zum einen konkret nach einer Anschlussbeschäftigung gefragt habe und zum anderen den Nachweis führen könne, dass sich die wahrheitswidrige Beantwortung des Arbeitnehmers tatsächlich auf die Abfindungshöhe ausgewirkt habe.
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Teil 3 Rz. 23
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bb) Widerrechtliche Drohung 23 Die praktisch wichtigste Rolle im Zusammenhang mit der Anfechtung von Aufhebungsverträgen spielt die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB. Denn immer wieder werden Aufhebungsverträge von Arbeitnehmern mit der Begründung angefochten, sie seien während der Aufhebungsverhandlungen vom Arbeitgeber „massiv unter Druck gesetzt worden“1. Das Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers wegen widerrechtlicher Drohung richtet sich danach, mit welchen Mitteln dieser zur Annahme des Aufhebungsangebots veranlasst worden ist2. (1) Androhung einer Kündigung 24 Das „beliebteste“ Druckmittel auf Seiten der Arbeitgeber ist das Inaussichtstellen einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung für den Fall des Nichtzustandekommens einer Auflösungsvereinbarung. Nach allgemeiner Ansicht stellt die Ankündigung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer eine Kündigung auszusprechen, eine „Drohung“ i.S. von § 123 Abs. 1 BGB dar3. Denn hierdurch kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Zufügung eines zukünftigen, empfindlichen Übels an, dessen Verwirklichung in seiner Macht liegt4. Die Drohung muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sondern kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen5. Unerheblich für die Drohungsanfechtung ist zudem, von welcher Person die Drohung stammt. Diese kann auch von einer Hilfsperson des Arbeitgebers oder von einem Dritten ausgehen6.
1 Umgekehrt haben die Klageerwiderungen der Arbeitgeber im arbeitsgerichtlichen Verfahren ebenfalls beinahe schon Textbausteincharakter („Das Gespräch ist in ruhiger, sachlicher Atmosphäre geführt worden.“). 2 Auf den Sonderfall der „Anfechtung bei Pflichtenkollision“ soll hier nicht näher eingegangen werden. S. dazu ausführlich Müller, S. 132 ff. 3 In der Ankündigung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch Fristablauf enden zu lassen, wenn der Arbeitnehmer nicht zu einer (u.U. auch objektiv unwirksamen) befristeten Fortsetzung zu den vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Bedingungen bereit sei, liegt dagegen keine Drohung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB. Ein solches Angebot des Arbeitgebers ist kein Übel, sondern bietet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, seiner Erwerbstätigkeit weiter nachgehen zu können, ohne dass er dies vom Arbeitgeber verlangen könne, so BAG vom 13.12.2007 – 6 AZR 200/07, NZA-RR 2008, 341. 4 S. etwa BAG vom 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1923 = EzA § 123 BGB Nr. 36; BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; BAG vom 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731; BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 478/01, DB 2003, 1685; BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466; BAG vom 18.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; Ehrich, DB 1992, 2239 (2240); Müller, S. 121 m. w. Nachw. 5 BAG vom 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731; BAG vom 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA, 2006, 841. 6 BAG vom 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA, 2006, 841.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 27 Teil 3
Erhebliche Schwierigkeiten bereitet dagegen die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Drohung mit einer Kündigung das Tatbestandsmerkmal der „Widerrechtlichkeit“ verwirklicht.
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Nach ständiger Rechtsprechung des BAG1 ist die Androhung einer fristlosen und/oder ordentlichen Kündigung für den Fall des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrags widerrechtlich i.S. von § 123 Abs. 1 BGB und soll damit den Arbeitnehmer zur Anfechtung des Aufhebungsvertrags berechtigen, sofern ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.
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Nicht erforderlich sei zwar, dass sich die in Aussicht gestellte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess nach der objektiven Rechtslage als wirksam erwiesen hätte. Denn ein Anfechtungsprozess nach § 123 BGB dürfe nicht wie ein fiktiver Kündigungsschutzprozess behandelt werden. Von dem Arbeitgeber könne nicht erwartet werden, dass er bei seiner Abwägung generell die Beurteilung des Tatsachengerichts „treffe“. Die Rechtsgewissheit, die sich erst mit dem Abschluss eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer Kündigung ergebe, brauche zur Zeit der Drohung daher noch nicht vorgelegen zu haben. Zu berücksichtigen seien allerdings nicht nur die dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Drohung bekannten, sondern auch die – z.B. erst im Prozess gewonnenen – Erkenntnisse weiterer Ermittlungen, die ein verständiger Arbeitgeber zur Aufklärung des Sachverhalts aufgestellt hätte. Maßgebend für die Beurteilung sei also der objektiv mögliche und damit hypothetische Wissensstand des Arbeitgebers2. Wenn dieser „unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles“ davon ausgehen müsse, die Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ nicht standhalten, dürfe er die Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen3.
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1 BAG vom 30.3.1960 – 3 AZR 201/58, DB 1960, 956; BAG vom 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77, DB 1980, 1450; BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84, NZA 1986, 25; BAG vom 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 BGB Nr. 36; BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; BAG vom 31.1.1996 – 2 AZR 91/95, NZA 1996, 756; BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811; BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030; BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, NZA 2000, 27; BAG vom 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731; BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 478/01, DB 2003, 1685; BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NZA 2004, 597; BAG vom 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841; BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466; zuletzt BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. Die gegenteilige Rechtsauffassung, die das BAG in einem Urteil vom 14.7.1960 – 2 AZR 64/59 (DB 1960, 1101), vertreten hatte, wurde in einer späteren Entscheidung (BAG vom 20.11.1969 – 2 AZR 51/69, DB 1970, 548) ausdrücklich aufgegeben. 2 Vgl. BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91 (92); BAG vom 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 BGB Nr. 36. 3 So ausdrücklich BAG vom 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA, 2006, 841; BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348.
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Teil 3 Rz. 28
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
28 Die Instanzgerichte1 und das Schrifttum2 sind der Rechtsprechung des BAG größtenteils gefolgt. 29 Zwar ist dem BAG insoweit zuzustimmen, als es den Anfechtungsprozess nicht für einen fiktiven Kündigungsschutzprozess erachtet. Gleichwohl ist die Rechtsprechung des BAG zur Widerrechtlichkeit der Drohung mit einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung nicht unproblematisch3. Denn für den Arbeitgeber wird nicht selten Unklarheit bestehen, wann er sich nur als „verständiger Arbeitgeber“ fühlen darf, der in der konkreten Situation eine ordentliche oder gar eine außerordentliche Kündigung „ernsthaft in Erwägung“ ziehen kann. Das ganze Ausmaß der Tragödie um den „verständigen Arbeitgeber“ zeigt sich in der Entscheidung des BAG vom 21.3.19964. Dieser lag folgender – vereinfachter – Sachverhalt zugrunde: Die 1947 geborene Klägerin war seit 1974 als Schwesternhelferin bei der Beklagten beschäftigt und nach den – kraft einzelvertraglicher Bezugnahme anwendbaren – Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages ordentlich unkündbar. Von 1991 bis 1993 fehlte sie an insgesamt ca. 600 Tagen. Aus diesem Grund war für den 25.2.1994 ein Personalgespräch mit ihr anberaumt. Einen Tag vor dem Gespräch erfuhr die Beklagte gerüchteweise, die Klägerin habe während einer längeren Arbeitsunfähigkeitsperiode im Jahre 1991 in ihrer tschechischen Heimat den Führerschein gemacht. Bei dem Personalgespräch wurde die Klägerin hierzu befragt und mit dem Vorwurf konfrontiert, auch die seit 1991 aufgetretenen weiteren Fehlzeiten seien vorgetäuscht gewesen. Die Klägerin wurde aufgefordert, ihren Führerschein vorzulegen. Dieser trug als Ausstellungsdatum den 24.6.1991. Seine Gültigkeit ist auf den 20.6.1991 zurückdatiert. Der Personalleiter der Beklagten teilte der Klägerin daraufhin mit, man beabsichtige, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, vor allem weil die Klägerin während ihrer Krankheit in Urlaub gefahren sei und den Führerschein gemacht habe. Zugleich wurde der Klägerin der Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten. Ihr wurde ein Schreiben vorgelegt, mit dem sie um die sofortige Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses bat. Dieses Schreiben 1 LAG Düsseldorf vom 30.4.1991 – 16 Sa 98/91, LAGE § 123 BGB Nr. 14; LAG Frankfurt vom 19.12.1985 – 3 Sa 6/85, LAGE § 123 BGB Nr. 9; LAG Frankfurt vom 17.6.1991 – 10 Sa 95/91, LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 7; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 6.7.1995 – 1 Sa 629/94, NZA 1996, 535; Hessisches LAG vom 2.6.1997 – 11 Sa 2061/96, DB 1998, 82 = BB 1998, 111; ArbG Hannover vom 10.1.2002 – 10 Ca 250/01, NZA-RR 2002, 582. Anders aber LAG München vom 28.1.1988 – 4 Sa 1056/87, LAGE § 123 Nr. 10, wonach die Erklärung des Arbeitgebers, er werde das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder in einen Aufhebungsvertrag einwillige, auch dann, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung habe ziehen dürfen, nach allgemeinem Urteil sittlich noch nicht in so hohem Maße missbilligenswert sei, dass sie als rechtswidrige Drohung i.S. von § 240 Abs. 2 StGB anzusehen sei, sofern nicht sonstige gravierende unzulässige Maßnahmen des Arbeitgebers hinzukämen. 2 Schaub/Linck, AR-Hdb., § 122 III 3b (Rz. 28); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 51; Bengelsdorf, S. 19. Zu abweichenden Ansichten s. Ehrich, DB 1992, 2239 (2240 f.). 3 S. dazu im Einzelnen die Kritik von Ehrich, DB 1992, 2239 (2241). 4 BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030.
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Rz. 32 Teil 3
wurde von ihr und sodann mit dem handschriftlichen Vermerk „Zur Kenntnis genommen und einverstanden“ auch von dem Personalleiter unterzeichnet. Etwa zwei Wochen später hat sie den Aufhebungsvertrag gemäß § 123 BGB angefochten. Das BAG ging – ebenso wie die Vorinstanzen – davon aus, dass die Aufhebungsvereinbarung vom 25.2.1994 durch die Anfechtungserklärung der Klägerin rückwirkend beseitigt worden sei. Zur Begründung führte das BAG im Wesentlichen aus, ein verständiger Arbeitgeber hätte zumindest im Rahmen einer Interessenabwägung nach den Gesamtumständen eine außerordentliche Kündigung nicht ernsthaft in Betracht gezogen, selbst wenn zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt würde, die Klägerin sei während ihrer Krankheit in ihr Heimatland gefahren und habe dort die Führerscheinprüfung abgelegt.
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Zwar könne die Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit je nach den Umstän- 31 den des Einzelfalles eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen. Unstreitig habe die Klägerin der Beklagten aber ein ärztliches Attest vorgelegt, nach dem sie in der Zeit, in der sie angeblich in ihr Heimatland gefahren sei und dort die Führerscheinprüfung abgelegt habe, arbeitsunfähig krank gewesen sei. Mit der Auslandsreise und der Führerscheinprüfung hätten zwar Umstände vorgelegen, die bei der Beklagten Bedenken hätten aufkommen lassen, ob die Klägerin während des fraglichen Zeitraums wirklich krank gewesen sei. Ohne weitere Sachverhaltsaufklärung seien diese Bedenken jedoch nicht geeignet gewesen, den Beweiswert des ärztlichen Attestes zu erschüttern. Eine Auslandsreise hätte nach Ansicht des BAG „bequem nachts mit dem Zug erfolgt sein“1 können. Außerdem sei eine Führerscheinprüfung den Ausführungen des BAG zufolge mit einem geringen Zeitaufwand zu absolvieren gewesen. Dabei sei nicht einmal klar gewesen, ob die Klägerin nicht ohnehin berechtigt gewesen sei, sich zum Auskurieren ihrer Krankheit an ihrem Heimatort aufzuhalten. Es seien zahlreiche Krankheiten denkbar, die zwar eine vollschichtige Arbeit der Klägerin als Krankenschwesternhelferin ausgeschlossen, eine Auslandsreise und das Ablegen einer Fahrprüfung aber ohne Weiteres zugelassen hätten2. Da der Beweiswert des ärztlichen Attestes sonach nicht erschüttert gewesen sei, sondern nur gewisse Verdachtsmomente bestanden hätten, die Arbeitnehmerin habe andere Tätigkeiten verrichtet, die der Arbeitgeber mit der Erkrankung nicht für vereinbar halte, müsse er die Arbeitnehmerin konkreter zu der Art ihrer Erkrankung befragen und ihr Gelegenheit zu der Erklärung geben, weshalb die Krankheit diese anderen Tätigkeiten zulasse, aber der vertragsgemäßen Arbeit im Betrieb entgegenstehe. Angesichts der Gesamtumstände, vor allem im Hinblick auf den erheblichen sozialen Besitzstand der Klägerin, stelle es aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers eine völlig überzogene Reaktion dar, wenn die Beklagte ohne weitere Sachaufklärung sofort an das äußerste Mittel der fristlosen Kündigung gedacht, eine solche der Klägerin an1 BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030. 2 BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030.
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Teil 3 Rz. 33
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gedroht und die Klägerin damit zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages bewogen habe1. 33 Die Entscheidung des BAG vom 21.3.1996 mag zwar menschlich verständlich sein. Den Bedürfnissen der betrieblichen Praxis trägt sie unter dem Gesichtspunkt der Befriedungsfunktion des Aufhebungsvertrages (s.o. Teil 1 Rz. 3) jedoch wenig Rechnung. Überdies begegnet sie auch durchgreifenden dogmatischen Bedenken. Denn die Begründung der Entscheidung läuft in weiten Teilen auf einen fiktiven Kündigungsschutzprozess hinaus, um den es sich bei dem Anfechtungsprozess nach bisheriger Rechtsprechung des BAG gerade nicht handeln soll2. Die Formel vom „verständigen Arbeitgeber“ hat zwar – wie die Entscheidung vom 21.3.1996 zeigt – durchaus den Vorteil, dass sich mit ihr jedes gewünschte Ergebnis begründen lässt. Allerdings handelt es sich bei ihr um nichts anderes als eine nichtssagende Leerfloskel, an der im Interesse der Rechtssicherheit nicht länger festgehalten werden sollte. Stattdessen sollte zur Klärung der Frage, ob die Androhung einer fristlosen und/oder ordentlichen Kündigung für den Fall des Nichtszustandekommens eines Aufhebungsvertrags widerrechtlich ist, darauf abgestellt werden, ob bei objektiver Betrachtung eine solche Kündigung zum Zeitpunkt ihrer Androhung nach dem möglichen und zumutbaren Kenntnisstand des Arbeitgebers von der Rechtslage von vornherein offensichtlich unwirksam wäre. 34 Offen bleibt nach der Entscheidung des BAG vom 21.3.1996 weiterhin, ob der Arbeitgeber jedenfalls dann zur Androhung einer – ordentlichen oder fristlosen – Kündigung berechtigt ist, wenn er zuvor versucht hat, die Verdachtsmomente durch Befragung des Arbeitnehmers (hier über die Art der Erkrankung) aufzuklären, der Arbeitnehmer jedoch nicht bereit ist, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen (substantiiert) zu äußern3. 35 In einer späteren Entscheidung vom 28.11.20074 hat das BAG gleichsam noch „einen draufgesetzt“: Im Streitfall war der Kläger bei einer beklagten Gesellschaft bürgerlichen Rechts als angestellter Rechtsanwalt beschäftigt. Am 10.12.2004, einem Freitag, übersandte ein Gesellschafter dem Kläger eine E-Mail, in der diesem der Ausspruch einer fristlosen Kündigung angedroht werde, sofern er am folgenden Montag den der E-Mail beigefügten Aufhebungsvertrag nicht unterschreibe, der u.a. eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2005, die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 12 000 Euro, die sich bei einem Ausscheiden zum 31.3.2005 auf 18 000 Euro erhöhen sollte, sowie die Erteilung eines „wohlwollenden“ Zeugnisses vorsah. Etwa zwei Stunden später antwortete der Kläger mit einer E-Mail, in der er den Entwurf des Aufhebungsvertrags mit kenntlich gemachten Änderun1 BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030. 2 Vgl. BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91; BAG vom 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 BGB Nr. 36. 3 S. dazu nunmehr BAG vom 28.11.2007 – 5 AZR 952/06, NZA-RR 2008, 344 = EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4; BAG vom 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809. 4 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 38 Teil 3
gen zurücksandte. Noch am selben Tag kam es zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, in dem es u.a. heißt, dass sich die Parteien einig sind, das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2005 zu beenden, der Kläger berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis bereits zuvor mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche vorzeitig zu beenden, der Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 18 000 Euro erhält und dem Kläger ein wohlwollendes, als „sehr gut“ zu beurteilendes Zeugnis erhält. Nach Abschluss des Aufhebungsvertrags war der Kläger weiterhin für die beklagte Gesellschaft bürgerlichen Rechts tätig. Mit Schreiben vom 1.12.2005 erklärte der Kläger die Anfechtung des Aufhebungsvertrags wegen widerrechtlicher Drohung. Nach unbefangener Lektüre dieses – stark verkürzten – Sachverhalts dürfte bei Anwendung des im Volksmund gerne zitierten sog. „gesunden Menschenverstands“ die Anfechtung an sich keinen Erfolg haben. Das BAG sah dies anders:
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Unter ausdrücklicher Ablehnung der bis dahin im Schrifttum – wohl überwie- 37 gend – vertretenen Aufassung1 soll nach dem Sechsten Senat des BAG eine Widerrechtlichkeit der Drohung mit einer Kündigung, die im Streitfall bei ihrem Ausspruch „mit hoher Wahrscheinlichkeit an § 626 Abs. 2 BGB scheitern würde“, nicht durch eine dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eingeräumte Bedenkzeit ausgeräumt werden. Wörtlich heißt es in der Entscheidung vom 28.11.2007 u.a.: „Falls eine Widerrechtlichkeit der Drohung vorgelegen haben sollte, wird diese nicht durch die dem Kläger von der Beklagten eingeräumte Bedenkzeit beseitigt. Soweit dies im Schrifttum ohne nähere Gründe vertreten wird (…), steht dem entgegen, dass die angedrohte Kündigung durch die eingeräumte Bedenkzeit nicht ‚wirksamer’ wird. Zur Feststellung der Widerrechtlichkeit einer Drohung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB sind äußere Umstände nicht einzubeziehen, wenn sie nicht von Einfluss auf den Inhalt der Drohung sind (…). Dies ist für die Bedenkzeit zu verneinen. An der Inadäquanz zwischen dem Mittel und dem Zweck ändert eine dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Drohung eingeräumte Bedenkzeit nichts. Der Zweck – Abschluss des Aufhebungsvertrags – und das Mittel – Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung – bleiben auch bei einer eingeräumten Möglichkeit einer rechtlichen Beratung unverändert.“2 Das sich hieraus an sich ergebende Ergebnis – „einmal Drohung, immer Drohung“ (mit der Konsequenz der Anfechtungsmöglichkeit eines Aufhebungsvertrags durch den Arbeitnehmer selbst bei Einräumung einer Bedenkzeit) – 1 S. etwa Bauer, I Rz. 186; Legerlotz, in: Mues/Eisenbeis/Legerlotz/Laber, Handbuch zum Kündigungsrecht, Teil 1 Rz. 615. Noch offen gelassen von BAG vom 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841, wonach es dahingestellt bleiben könne, ob eine ausreichende und angemessene Bedenkzeit die Widerrechtlichkeit der Drohung ausschließe, weil zwischen der ausdrücklichen Drohung der Vorgesetzten und der Unterzeichnung des Auflösungsvertrags durch den Arbeitnehmer lediglich ein Zeitraum von ca. drei Stunden vergangen sei und der Arbeitnehmer in diesen Zeitraum unter Fortwirkung der Drohung durch seine Vorgesetzten zur Räumung seines Spindes und Abgabe seiner Ausrüstungsgegenstände veranlasst worden sei. 2 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348.
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schien dem BAG offenbar selbst Unbehagen zu bereiten, da es in der Entscheidung vom 28.11.2007 weiterhin ausführte, die Drohung müsse für die angefochtene Willenserklärung des Bedrohten gemäß § 123 Abs. 1 BGB ursächlich gewesen sein. Dabei genüge es, dass die Drohung nach der Vorstellung des Drohenden mitursächlich gewesen sei. Eine Willenserklärung könne nur dann erfolgreich wegen Drohung angefochten werden, wenn der Anfechtende einem auf die Bestimmung des Willens gerichteten Verlangen nachgegeben und die Willenserklärung nicht aus eigener, selbständiger Überlegung abgegeben habe1. 39 Die Ursächlichkeit der Drohung könne nicht schon dann ohne Weiteres bejaht werden, wenn die widerrechtliche Drohung conditio sine qua non, d.h. nicht wegzudenkende Ursache für die angefochtene Willenserklärung sei. Nach § 123 Abs. 1 BGB müsse der Anfechtende vielmehr durch die Drohung zur Abgabe der Willenserklärung „bestimmt“ worden sein. Er müsse noch bei der Abgabe der Willenserklärung unter dem Eindruck der Drohung gehandelt haben und nicht aufgrund einer davon „nicht mehr maßgeblich beeinflussten autonomen Willensbildung“2. Davon sei zwar regelmäßig auch dann auszugehen, wenn dem widerrechtlich Bedrohten eine Bedenkzeit eingeräumt worden sei. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ändere eine dem Arbeitnehmer eingeräumte Bedenkzeit nichts an der Ursächlichkeit der Drohung. Für eine von der Drohung nicht mehr maßgeblich beeinflusste Willenserklärung spreche jedoch, dass der Anfechtende die Bedenkzeit dazu genutzt habe, die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung durch ein aktives Verhalten – z.B. neue eigene Angebote – erheblich zu seinen Gunsten zu beeinflussen, insbesondere wenn er selbst rechtskundig sei oder zuvor Rechtsrat eingeholt habe bzw. aufgrund der Dauer der eingeräumten Bedenkzeit hätte einholen können. Nach § 150 Abs. 2 BGB gelte nämlich die Annahme eines Vertragsangebots unter Erweiterungen, Einschränkungen, oder sonstigen Änderungen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. In diesem Fall bedürfe es weiterer substantiierter Darlegungen und im Bestreitensfall eines entsprechenden Beweisantritts dafür, dass der Anfechtende seine Willenserklärung letztlich immer noch unter dem Druck der widerrechtlichen Drohung abgegeben und damit weiterhin nur das kleine wenn auch aufgrund des Nachverhandelns verkleinerte Übel gewählt und nicht etwa die Drohung nur zum Anlass dafür genommen habe, einen selbstbestimmt gewählten Willen (hier: Abkehrwillen) zu von ihm angestrebten oder jedenfalls im Ergebnis als annehmbar angesehenen Bedingungen zu verwirklichen. Maßgebend seien insoweit die tatsächlichen Umstände zum Zeitpunkt der Abgabe der angefochtenen Willenserklärung3. 1 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 2 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 3 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. Das BAG hat die Sache an das LAG zurückverwiesen, um dem Kläger „Gelegenheit“ zu geben, darzulegen und zu beweisen, dass er den Aufhebungsvertrag im Streitfall „letztlich“ immer noch unter dem Druck der widerrechtlich Drohung abgeschlossen und damit weiterhin nur das kleinere, wenn auch aufgrund des Nachverhandelns verkleinerte Übel gewählt hat. Wie der Arbeitnehmer diese subjektive Komponente konkret darlegen und im
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Rz. 43 Teil 3
Hinweis: Aufgrund dieser Entscheidung und des Umstands, dass mit einer grundlegenden Änderung der Rechtsprechung des BAG zum „verständigen Arbeitgeber“ kaum zu rechnen ist, kann jedem Arbeitgeber nur dringend empfohlen werden, in Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag entweder von der Androhung einer fristlosen und/ oder ordentlichen Kündigung im Falle des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrags entweder ganz abzusehen oder eine solche Kündigung nur dann in Aussicht zu stellen, wenn „unter verständiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalles“ davon ausgegangen werden kann, dass die anzudrohende Kündigung im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des BAG „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ standhalten wird. Für den Arbeitgeber sollte nach seinem objektiv möglichen und hypothetischen Wissensstand die Gewissheit bestehen, dass die – fiktive – Kündigung in allen Punkten rechtmäßig wäre1.
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Im Einzelnen muss dabei zwischen den Gründen, aus denen das Arbeitsverhältnis beendet und aufgrund derer eine Kündigung in Aussicht gestellt werden soll, unterschieden werden.
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(a) Androhung einer ordentlichen Kündigung (aa) Verhaltensbedingte Gründe Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen Störungen im Verhaltensund Leistungsbereich, die nach der Rechtsprechung eine vorherige Abmahnung erfordern (z.B. Verletzung der Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall, wiederholtes Zuspätkommen), mit dem Arbeitnehmer durch Aufhebungsvertrag beenden, so darf er bei den Aufhebungsverhandlungen eine ordentliche Kündigung für den Fall des Nichtzustandekommens einer Aufhebungsvereinbarung nur androhen, wenn der Arbeitnehmer zuvor wegen gleichartiger Pflichtverletzungen bereits wirksam abgemahnt worden ist (s.o. Teil 1 Rz. 285 ff., 294). Zur Entbehrlichkeit einer vorherigen Abmahnung s.o. Teil 1 Rz. 286 f.
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(bb) Personenbedingte Gründe Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen, etwa wegen häufiger Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers, durch Aufhebungsvertrag beenden, darf er den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung für den Fall des Nichtzustandekommens einer Aufhebungsvereinbarung nur in Aussicht stellen, wenn nach seinem objektiv möglichen und hypotheti-
Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber nachweisen soll, lässt sich – soweit ersichtlich – der Entscheidung des BAG vom 28.11.2007 trotz zahlreicher „Beachtungshinweise“ an die Vorinstanz nicht entnehmen. 1 Ehrich, DB 1992, 2239 (2241).
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Teil 3 Rz. 44
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schen Wissensstand die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung i.S. der Rechtsprechung des BAG gegeben sind (s.o. Teil 1 Rz. 244 ff.). 44 Danach wäre die Androhung einer Kündigung für den Fall des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrages z.B. widerrechtlich, wenn der Arbeitnehmer erstmals in einem Kalenderjahr weniger als 30 Arbeitstage arbeitsunfähig krank war, oder – bei höheren Fehlzeiten – die Krankheit mittlerweile vollständig ausgeheilt ist (s.o. Teil 1 Rz. 247). Dagegen dürfte die Androhung einer krankheitsbedingten Kündigung für den Fall der Nichtunterzeichnung eines Aufhebungsvertrages im Allgemeinen nicht widerrechtlich sein, wenn der Mitarbeiter während eines Zeitraumes von mindestens zwei Jahren krankheitsbedingte – nicht ausgeheilte – Fehlzeiten aufweist, die 30 Tage jeweils erheblich übersteigen und dadurch Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen entstanden sind (s.o. Teil 1 Rz. 263 f.). Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer bereits längere Zeit arbeitsunfähig krank und die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit noch völlig ungewiss ist (s.o. Teil 1 Rz. 266 f.). (cc) Betriebsbedingte Gründe 45 Besondere Probleme entstehen, wenn der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen einen Aufhebungsvertrag schließen und für den Fall des Nichtzustandekommens eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung androhen will. Insoweit dürfte – nach Maßgabe der Rechtsprechung des BAG – die Androhung einer solchen Kündigung nur dann nicht widerrechtlich sein, wenn dringende betriebliche Erfordernisse gegeben sind, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem vergleichbaren freien Arbeitsplatz nicht möglich ist und vom Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte i.S. von § 1 Abs. 3 KSchG ausreichend berücksichtigt worden sind (s.o. Teil 1 Rz. 300). (b) Androhung einer fristlosen Kündigung 46 Die Drohung mit einer fristlosen Kündigung für den Fall des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrages ist nicht widerrechtlich, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einer strafbaren Handlung (z.B. Spesen- oder Stechkartenbetrug, Diebstahl, Unterschlagung oder Untreue) überführt hat oder nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten gegen den Arbeitnehmer der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung besteht1. 47
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Beispiel: Konkret darf der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung etwa eine fristlose Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen, wenn – der Arbeitnehmer erhebliche Vertragsverletzungen begangen hat2,
1 Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (418); wohl auch BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030. 2 Vgl. BAG vom 31.1.1996 – 2 AZR 91/95, NZA 1996, 756; BAG vom 6.11.1997 – 2 AZR 162/97, NZA 1998, 373.
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Rz. 47 Teil 3
– der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hat1, – der Arbeitnehmer gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat2, – der als arbeitsunfähig krankgeschriebene Arbeitnehmer trotz Vergütungsfortzahlung im eigenen Betrieb oder bei einem anderen Arbeitgeber tätig geworden ist3, – eine Gleitzeitmanipulation vorliegt und der Arbeitnehmer vorsätzlich falsche Zeitangaben auch noch beharrlich leugnet4, – der stellvertretende Marktleiter einer ausdrücklichen Weisung seines Vorgesetzten zuwider eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet5, – eine Buchhalterin, die erfahren hat, dass eine andere Mitarbeiterin einen Firmenscheck über ihr Privatkonto hat einziehen lassen, anschließend dieser Mitarbeiterin den fraglichen Kontoauszug noch aushändigt, anstatt den Arbeitgeber sofort zu benachrichtigen6, – der Arbeitnehmer wider besseren Wissens Belege falsch ausgefüllt hat, um sich auf Kosten des Arbeitgebers zu bereichern7, – Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten in der Spesenabrechnung eines Außendienstmitarbeiters vorliegen, bei dem Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers schwierig sind8, – ein (auch langjährig beschäftigter) Arbeitnehmer umfangreiche private Telefongespräche geführt und diese nicht abgerechnet hat9, – der in einem Kaufhaus angestellte Arbeitnehmer einen auf der unteren Ablage des Einkaufswagens mitgeführten Bierkasten an der Kasse nicht abgerechnet und sich dadurch dem Diebstahlsverdacht ausgesetzt hat10, – die als Abteilungsleiterin eingesetzte Mitarbeiterin entgegen einer ausdrücklichen Anordnung drei Kleider aus ihrer Abteilung entnommen, den Betrieb nicht auf dem vorgeschriebenen Weg durch den Personaleingang verlassen hat und die Kleider unauffindbar geblieben sind11,
1 BAG vom 21.3.1996 – 2 AZR 543/95, NZA 1996, 1030 unter Hinweis auf BAG vom 26.8.1993 – 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63. 2 BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811. 3 BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91; Hessisches LAG vom 2.6.1997 – 11 Sa 2061/96, DB 1998, 82 = BB 1998, 111. 4 BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, NZA 2000, 27. 5 BAG vom 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731. 6 BAG vom 6.11.1997 – 2 AZR 162/97, NZA 1998, 374. 7 BAG vom 30.3.1960 – 3 AZR 201/58, DB 1960, 956. 8 LAG Düsseldorf vom 30.4.1991 – 16 Sa 98/91, LAGE § 123 BGB Nr. 14. 9 BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 478/01, DB 2003, 1685. 10 BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84, NZA 1986, 25. 11 BAG vom 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77, DB 1980, 1450.
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– der Arbeitnehmer fremde User ID und Codes seines Vorgesetzten entschlüsselt, um sie latent für spätere – wenn auch nur dienstliche – Zwecke zu nutzen1. 48 Besonders zu beachten ist weiterhin, dass ein „verständiger Arbeitgeber“ eine außerordentliche Kündigung unabhängig vom Gewicht der Pflichtverletzungen dann nicht (mehr) ernsthaft in Betracht ziehen darf, wenn die insoweit maßgebenden Tatsachen bereits länger als zwei Wochen bekannt waren und damit die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen ist2. 49 Dagegen ergibt sich die Widerrechtlichkeit der Drohung nicht bereits aus der fehlenden Anhörung des Betriebsrats, weil allein der Ausspruch, nicht aber die Androhung der Kündigung eine Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG voraussetzt3. Gleiches gilt für die Zustimmungserfordernisse nach § 15 KSchG i.V. mit § 103 BetrVG, § 9 Abs. 3 MuSchG, § 18 Abs. 1 BEEG, § 5 Abs. 2 PflegeZG, §§ 85 ff. SGB IX. 50 Ebenso wenig ist die Drohung mit einer ordentlichen Kündigung widerrechtlich, wenn der Arbeitnehmer keinen Kündigungsschutz genießt (z.B. wegen Nichterfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG oder weil es sich um einen Kleinbetrieb i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG handelt) und das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag zu einem Zeitpunkt beendet wird, zu dem es auch durch die Kündigung beendet werden könnte4. Insoweit wird aber der Abschluss eines Aufhebungsvertrages regelmäßig gerade wegen der Kündigungsfreiheit nicht in Betracht kommen. 51 Äußerst bedenklich ist die teilweise vertretene Ansicht, die Androhung einer (ordentlichen) Kündigung sei nicht widerrechtlich, wenn zwar der Arbeitgeber damit rechnen müsse, dass seine Kündigung sozialwidrig sei, er aber annehmen könne, wenigstens mit einem hilfsweisen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG (s.o. Teil 1 Rz. 453) das Arbeitsverhältnis beenden zu können5. Streng dogmatisch darf hier der Arbeitgeber (allein) die Kündigung als solche gerade nicht „ernsthaft in Erwägung“ ziehen. Insoweit dürfte konsequenterweise vom Arbeitgeber auch nur – gleichsam vollständig – mit dem Ausspruch einer Kündigung und der Stellung eines Auflösungsantrags im Kündigungsschutzprozess für den Fall des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrags gedroht werden.
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Hinweis: Da das BAG zu dieser Frage – soweit ersichtlich – noch nicht Stellung genommen hat und für einen „verständigen“ Arbeitgeber regelmäßig kaum vorhersehbar ist, ob bei objektiver Betrachtung tatsächlich Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zu-
1 ArbG Hannover vom 10.1.2002 – 10 Ca 250/01, NZA-RR 2002, 582. 2 Vgl. BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 478/01, DB 2003, 1685; BAG vom 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841; BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 3 Ehrich, DB 1992, 2239 (2241); Bengelsdorf, S. 20; Müller, S. 131. 4 Bauer, I Rz. 186. 5 So Bauer, I Rz. 190.
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Rz. 54 Teil 3
sammenarbeit zwischen den Vertragsparteien nicht erwarten lassen (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG), kann vor dieser Vorgehensweise allerdings nur dringend gewarnt werden. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt und schließen die Parteien sodann einen Aufhebungsvertrag, ist eine Anfechtung durch den Arbeitnehmer nach § 123 Abs. 1 BGB wegen widerrechtlicher Drohung nicht möglich, da es – im Hinblick auf die bereits ausgesprochene Kündigung – begrifflich schon an einer Drohung fehlt1. Lediglich bei einem engen zeitlichen Zusammenhang soll nach Auffassung des BAG2 eine angedrohte Kündigung auch nach ihrem Ausspruch beim Arbeitnehmer als Androhung eines künftigen Übels auf den später abgeschlossenen Aufhebungsvertrag nachwirken.
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Höchstrichterlich bislang noch nicht entschieden ist die Frage, ob eine Anfech- 53 tung des Aufhebungsvertrages durch den Arbeitnehmer gemäß § 123 Abs. 1 BGB wegen widerrechtlicher Drohung in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch die Äußerung „Wir wollen uns von Ihnen trennen“ zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages veranlasst hat. Die Möglichkeit der Anfechtung ist hier von vornherein zu verneinen, da es bereits an dem Merkmal der Drohung fehlt. Ein konkretes „zukünftiges Übel“3 für den Fall des Nichtzustandekommens einer Aufhebungsvereinbarung wird dem Arbeitnehmer mit einer solchen Mitteilung gerade nicht in Aussicht gestellt. (2) Androhung einer Strafanzeige Auch die Drohung mit einer Strafanzeige kann den Arbeitnehmer nach § 123 54 Abs. 1 BGB zur Anfechtung des Aufhebungsvertrages berechtigen. Die Widerrechtlichkeit der Drohung ist zu bejahen, wenn die Verdachtsmomente völlig haltlos sind4. Die Drohung mit einer Strafanzeige ist aber rechtmäßig, wenn schwerwiegende Verdachtsmomente gegen den Arbeitnehmer vorliegen und das Begehren des Arbeitgebers mit der Straftat in einem inneren Zusammenhang steht5. Ein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn das Arbeitsverhältnis durch die Straftat, auf die sich die angedrohte Strafanzeige bezieht, konkret berührt wird. Nach Auffassung des BAG6 beurteilt sich die Widerrechtlichkeit in erster Linie danach, ob das Gewicht des erhobenen Vorwurfs einen Tatverdacht ergibt, der – unter Berücksichtigung auch später gewonnener Ermittlungsergebnisse – einen verständigen Arbeitgeber bewogen hätte, eine Strafanzeige ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Letzteres ist beispielsweise zu bejahen, wenn der arbeitsunfähig krankgeschriebene Arbeitnehmer während der Zeit der Entgeltfortzahlung bei einem anderen Arbeitgeber tätig ist und
1 BAG vom 23.11.2006 – 6 AZR 394/06, NZA 2007, 466; LAG Brandenburg vom 16.10.1997 – 3 Sa 196/97, NZA-RR 1998, 248; Bauer, Rz. 186. 2 BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, NZA 2000, 27. 3 Vgl. BAG vom 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 BGB Nr. 36. 4 LAG Baden-Württemberg vom 29.12.1966 – 4 Sa 85/66, BB 1967, 1421. 5 Ehrich, DB 1992, 2239 (2241) m. w. Nachw. 6 BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91 (92 f.).
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Teil 3 Rz. 55
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
sich dieses Fehlverhalten für seinen Arbeitgeber als Missbrauch der Entgeltfortzahlung darstellt1. (3) Androhung von Schadensersatzforderungen 55 Entsprechend den Grundsätzen zur Androhung einer Strafanzeige (s.o. Rz. 54) kommt ein Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers wegen widerrechtlicher Drohung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB nur dann in Betracht, wenn der vom Arbeitgeber bezweckte Abschluss des Aufhebungsvertrages mit der angedrohten Geltendmachung von Schadensersatzforderungen in keinem inneren Zusammenhang steht2. (4) Androhung der Betriebsratsanrufung 56 Die Ankündigung des Arbeitgebers, den Betriebsrat einzuberufen, um mit diesem die Kündigung des Arbeitnehmers zu beraten, mag zwar als Drohung zu werten sein. Gleichwohl berechtigt sie den Arbeitnehmer wegen fehlender Widerrechtlichkeit nicht zur Anfechtung eines daraufhin abgeschlossenen Aufhebungsvertrages, da anderenfalls die Mitbestimmung des Betriebsrats in Personalangelegenheiten in Misskredit gebracht würde3. (5) Abhängigmachen nicht geschuldeter Leistungen vom Aufhebungsvertrag 57 Die im Rahmen von Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag gefallene Äußerung des Arbeitgebers oder seines Bevollmächtigten, dass der Arbeitnehmer eine Abfindung und ein gutes Zeugnis nur erhalte, wenn er die Auflösung des Arbeitsverhältnisses akzeptiere, stellt – wie das LAG Brandenburg in einer Entscheidung vom 16.10.19974 zu Recht ausgeführt hat – keine Drohung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB dar, die zur Anfechtung des Aufhebungsvertrags berechtigt. Denn ein Anspruch auf eine Abfindung steht dem Arbeitnehmer nur in den Ausnahmefällen der §§ 1a, 9, 10 KSchG bzw. § 112 BetrVG zu. Ebenso wenig besteht per se ein Anspruch auf ein „gutes“ Zeugnis. Vielmehr müssen hierfür entsprechende Leistungen des Arbeitnehmers vorliegen. Die Infragestellung der Abfindung und eines „guten“ Zeugnisses betrifft daher zusätzlich zu vereinbarende Vertragskomponenten und kann nicht als Drohung mit einem „Übel“ aufgefasst werden, die eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB rechtfertigt5. (6) Zeitdruck 58 Bloßer Zeitdruck infolge Drängens auf Abschluss eines Anfhebungsvertrages kann den Arbeitnehmer nach allgemeiner Ansicht6 nicht zur Anfechtung 1 Vgl. BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91 (92 f.). 2 Ehrich, DB 1992, 2239 (2241). 3 LAG Baden-Württemberg vom 6.12.1973 – 7 Sa 63/73, DB 1974, 195; Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Bengelsdorf, S. 20. 4 LAG Brandenburg vom 16.10.1997 – 3 Sa 196/97, DB 1998, 2376. 5 Zutreffend LAG Brandenburg vom 16.10.1997 – 3 Sa 196/97, DB 1998, 2376. 6 Grundlegend BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81, DB 1983, 1663; bestätigt von BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; LAG Frankfurt vom 19.12.1985 – 3
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 60 Teil 3
nach § 123 Abs. 1 BGB wegen widerrechtlicher Drohung berechtigen. Zwar hat das BAG in mehreren Entscheidungen1 offen gelassen, ob eine widerrechtliche Drohung dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitgeber eine überstürzte Entscheidung erzwingt und dem Arbeitnehmer durch das Ablehnen jeder Überlegungsfrist die Möglichkeit der freien Entschließung nimmt. Eine analoge Anwendung des § 123 BGB auf Fälle, in denen eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung allein wegen eines „Zeitdruckes“ zustandegekommen ist, lehnt das BAG2 jedoch zu Recht ab. Insoweit rechtfertigt der Zweck des § 123 Abs. 1 BGB – Schutz der freien Selbstbestimmung im Rechtsverkehr – keine analoge Anwendung dieser Bestimmung, da die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen nicht allgemein gegen jede Art von Beeinträchtigung durch eine Zwangslage, sondern nur gegen die rechtswidrige Beeinflussung durch arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung geschützt wird3. Die vom BAG bislang offen gelassene Frage, ob eine widerrechtliche Drohung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB vorliegt, wenn eine vom Arbeitnehmer erbetene Bedenkzeit seitens des Arbeitgebers abgelehnt wird, ist zu verneinen4. Denn die bloße Ablehnung einer Bedenkzeit bedeutet als solche kein Inaussichtstellen eines Übels und kann nicht als derart schwerwiegender Eingriff in die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit gewertet werden, der an Intensität einer arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung gleichsteht. Lehnt der Arbeitgeber den Wunsch des Arbeitnehmers auf Bedenkzeit ab und geht dem Arbeitnehmer gleichsam „alles zu schnell“, liegt nichts näher, als das Angebot des Arbeitgebers auf einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses einfach abzulehnen5.
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c) Anfechtungsverzicht Zuweilen enthalten Aufhebungsverträge folgende Vereinbarung:
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Formulierungsbeispiel Beide Seiten verzichten auf ein etwa bestehendes Recht der Anfechtung wegen aller in Betracht kommender Anfechtungsgründe.
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2 3
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Sa 6/85, LAGE § 123 Nr. 9 (in einem „abschließenden Hinweis“); Ehrich, DB 1992, 2239 (2243); Stahlhacke/Preis/Vossen, Rz. 34; Müller, S. 122. BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91; BAG vom 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 BGB Nr. 36; BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209. BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209. BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81, DB 1983, 1663; BGH vom 7.6.1988 – IX ZR 245/86, NJW 1988, 2599; BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; Ehrich, DB 1992, 2239 (2243); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (417 f.). S. Ehrich, DB 1992, 2239 (2244); ebenso KR-Bader, § 9 MuSchG Rz. 154. So zu Recht BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209.
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Teil 3 Rz. 61
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
61 Ein solcher Anfechtungsverzicht ist jedoch ohne Bedeutung, da er von einer erfolgreichen Anfechtung ebenfalls erfasst wird1. d) Anfechtungsfrist 62 Die Anfechtung wegen eines Irrtums i.S. von § 119 Abs. 1 oder 2 BGB muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, nach positiver Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Als unverzüglich kann höchstens eine Frist von zwei Wochen angesehen werden2. 63 Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung kann gemäß § 124 Abs. 1 BGB nur innerhalb eines Jahres erfolgen. Die Anfechtungsfrist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung zu dem Zeitpunkt, zu dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zwangslage aufhört, § 124 Abs. 2 Satz 1 BGB. 64 Eine teleologische Reduktion des § 124 Abs. 1 BGB in der Weise, dass die in § 2 Satz 2 KSchG geregelte Drei-Wochen-Frist zur Annahme eines Änderungsangebots unter Vorbehalt analoge Anwendung finde, hat das BAG in einer Entscheidung vom 28.11.20073 ausdrücklich abgelehnt, weil hierfür angesichts der „klaren Regelung in § 124 Abs. 1 BGB kein Raum“ sei und die gesetzgeberische Wertung, die in § 124 Abs. 1 BGB bei der widerrechtlichen Drohung dem Bedrohten eine lange Überlegungsfrist von einem Jahr gewähre und damit deutlich mache, dass das Recht des Drohenden, schnellstmöglich über die Rechtslage Bescheid zu wissen, verhältnismäßig gering eingeschätzt werde, „eindeutig und zu respektieren“ sei4. 65 Das sich aus § 123 Abs. 1 BGB ergebende Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers hinsichtlich seiner auf Abschluss des Aufhebungsvertrags gerichteten Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung kann zwar – wie jedes andere Recht auch – nach allgemeinen Grundsätzen verwirken. 66 Die Verwirkung ist ein Untertatbestand der unzulässigen Rechtsausübung. Diese hat ihre Rechtsgrundlage in dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Ein Recht ist verwirkt, wenn der Inhaber mit der Geltendmachung län1 Bauer, I Rz. 192. 2 Vgl. BAG vom 14.12.1979 – 7 AZR 38/78, DB 1980, 739 (zur „Unverzüglichkeit“ der Anfechtung des Arbeitsvertrages); Bauer, I Rz. 196; zweifelnd Bengelsdorf, S. 22. 3 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 4 Ebenso bereits zuvor BAG vom 6.11.1997 – 2 AZR 162/97, NZA 1998, 374. A.A. Bauer, I Rz. 196, wonach bei der Anfechtung des Aufhebungsvertrags entegen § 124 BGB eine analoge Anwendung des § 4 KSchG „zum Zuge kommen“ müsse, da es unbillig wäre und einen Wertungswiderspruch ergeben würde, wenn dem Arbeitnehmer gestattet werde, noch lange nach Ablauf der Dreiwochenfrist den Aufhebungsvertrag anzufechten. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass insoweit ein Schutzbedürfnis des Arbeitgebers im Hinblick auf die arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung nicht besteht.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 71 Teil 3
gere Zeit abwartet, sich infolge dieses Zeitablaufs für den Gegner ein Vertrauenstatbestand gebildet hat, mit der Geltendmachung dieses Rechts nicht mehr rechnen zu müssen, und dem Gegner deshalb eine Einlassung auf die Geltendmachung des Rechts nicht mehr zugemutet werden kann1. Angesichts der dem Anfechtenden in § 124 Abs. 1 BGB eingeräumten Jahresfrist und der Regelung des § 144 Abs. 1 BGB bedarf es hierfür aber – wie das BAG in der eben genannten Entscheidung vom 28.11.2007 ausdrücklich betont hat – „ganz besonderer Umstände“, damit diese gesetzlichen Vorgaben nicht durch § 242 BGB ausgehöhlt werden2.
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Solche „ganz besonderen Umstände“ dürften, sofern die Anfechtung innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB erfolgt, wohl nur in absoluten Ausnahmefällen gegeben sein.
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e) Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen der Anfechtungsgründe nach §§ 119, 123 BGB trägt der Arbeitnehmer3. Dieser muss sonach im Anfechtungsprozess die tatsächlichen Umstände vortragen und im Bestreitensfall beweisen, aus denen sich ein Irrtum i.S. von § 119 Abs. 1 oder 2 BGB bzw. eine arglistige Täuschung oder eine widerrechtliche Drohung i.S. von § 123 Abs. 1 BGB ergeben soll. Im Hinblick darauf sollte der Arbeitnehmer zu Gesprächen mit dem Arbeitgeber über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses stets einen Zeugen hinzuziehen4.
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Bei der Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung sind folgende Besonderheiten zu beachten, die das BAG in der bereits mehrfach genannten Entscheidung vom 28.11.20075 herausgearbeitet hat:
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Der Arbeitnehmer hat nicht nur die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer seitens des Arbeitgebers erfolgten Drohung mit dem Ausspruch einer – fristlosen und/oder ordentlichen – Kündigung für den Fall des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrags, sondern darüber hinaus auch die Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche die angedrohte Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen und beweisen, dass der Arbeitgeber als verständiger Arbeitgeber nicht annehmen durfte, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei unzu-
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1 Vgl. BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 2 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. Ähnlich bereits zuvor BAG vom 6.11.1997 – 2 AZR 162/97, NZA 1998, 374. 3 BAG vom 15.5.1997 – 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33; BAG vom 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, NZA 2000, 27; BAG vom 6.12.2001 – 2 AZR 369/00, NZA 2002, 731; BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348; LAG Düsseldorf vom 22.6.2001 – 14 Sa 491/01, NZA-RR 2002, 12 (14); ArbG Hannover vom 10.1.2002 – 10 Ca 250/01, NZA-RR 2002, 582 (583 f.); Ehrich, DB 1992, 2239 (2241); Bauer, I Rz. 222; Bengelsdorf, S. 23. S. auch BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84, NZA 1986, 25. 4 So zu Recht Bauer, I Rz. 222. 5 BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348.
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Teil 3 Rz. 72
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
mutbar und die Kündigung deshalb gerechtfertigt. Da es sich jedoch um einen Negativbeweis handelt, genügt hierfür zunächst eine entsprechende pauschale (!) Behauptung. Wegen der Schwierigkeiten des Negativbeweises ist vom Arbeitgeber als Anfechtungsgegner nach den Grundsätzen der sog. sekundären Beweislast das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positive sprechenden Tatsachen und Umstände zu verlangen. Der Arbeitgeber hat damit im Einzelnen darzulegen, dass er in vertretbarer Weise einen Kündigungsgrund annehmen durfte. Nur die vom Arbeitgeber in diesem Zusammenhang vorgetragenen Umstände braucht der beweispflichtige Arbeitnehmer dann zu widerlegen. Soweit die maßgeblichen Gespräche allein zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stattgefunden haben sollten, ist ggf. auch § 448 ZPO (sog. Parteivernehmung von Amts wegen) zu beachten1.
3. Rücktritts- und Widerrufsrecht 72 Die Beseitigung eines einmal geschlossenen Aufhebungsvertrages durch Rücktritt oder Widerruf des Arbeitnehmers ist nur möglich, sofern dafür eine entsprechende gesetzliche, kollektiv- oder individualvertragliche Regelung besteht2. a) Gesetzliches Rücktritts- und Widerrufsrecht 73 Bis zur Schuldrechtsreform 2002 bestand ein gesetzliches Widerrufsrecht für Verbraucher i.S. des VerbrKrG nach § 7 Abs. 1 VerbrKrG a.F. und für Kunden bei Haustürwiderrufsgeschäften nach § 1 Abs. 1 HaustürWG a.F.3. Dagegen waren derartige gesetzliche Rücktritts- oder Widerrufsrechte zugunsten des Arbeitnehmers im Hinblick auf den von ihm abgeschlossenen Aufhebungsvertrag nicht vorgesehen. Eine analoge Anwendung der §§ 7 Abs. 1 VerbrKrG a.F., 1 Abs. 1 HaustürWG a.F. auf Aufhebungsverträge wurde allgemein abgelehnt4. 74 Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden die Vorschriften der §§ 312, 355 BGB neu gefasst. § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB sieht u.a. vor, dass bei einem Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, der ei1 So ausdrücklich BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 2 Das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann ferner nach § 178 Satz 1 BGB wegen Vertretungsmängeln bei dessen Annahme durch den Vertragspartner widerrufen werden. Die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages wegen Willensmängeln (§ 123 BGB) enthält aber nicht ohne Weiteres einen solchen Widerruf, vgl. BAG vom 31.1.1996 – 2 AZR 91/95, NZA 1996, 756. 3 Gemeint ist hier die bis zum 30.9.2000 geltende Fassung des § 1 Abs. 1 HaustürWG. Für Verträge, die nach dem 30.9.2000 abgeschlossen wurden, enthält § 1 Abs. 1 HaustürWG n.F. eine Übergangsvorschrift (vgl. § 9 Abs. 3 HaustürWG), die inhaltlich der nunmehr geltenden Regelung des § 312 Abs. 1 BGB entspricht. Insoweit gelten hier die Ausführungen zu § 312 Abs. 1 BGB (s.u. Rz. 74) entsprechend. 4 BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; Ehrich, DB 1992, 2239, 2242; Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Germelmann, NZA 1997, 236 (240).
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Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
mutbar und die Kündigung deshalb gerechtfertigt. Da es sich jedoch um einen Negativbeweis handelt, genügt hierfür zunächst eine entsprechende pauschale (!) Behauptung. Wegen der Schwierigkeiten des Negativbeweises ist vom Arbeitgeber als Anfechtungsgegner nach den Grundsätzen der sog. sekundären Beweislast das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positive sprechenden Tatsachen und Umstände zu verlangen. Der Arbeitgeber hat damit im Einzelnen darzulegen, dass er in vertretbarer Weise einen Kündigungsgrund annehmen durfte. Nur die vom Arbeitgeber in diesem Zusammenhang vorgetragenen Umstände braucht der beweispflichtige Arbeitnehmer dann zu widerlegen. Soweit die maßgeblichen Gespräche allein zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stattgefunden haben sollten, ist ggf. auch § 448 ZPO (sog. Parteivernehmung von Amts wegen) zu beachten1.
3. Rücktritts- und Widerrufsrecht 72 Die Beseitigung eines einmal geschlossenen Aufhebungsvertrages durch Rücktritt oder Widerruf des Arbeitnehmers ist nur möglich, sofern dafür eine entsprechende gesetzliche, kollektiv- oder individualvertragliche Regelung besteht2. a) Gesetzliches Rücktritts- und Widerrufsrecht 73 Bis zur Schuldrechtsreform 2002 bestand ein gesetzliches Widerrufsrecht für Verbraucher i.S. des VerbrKrG nach § 7 Abs. 1 VerbrKrG a.F. und für Kunden bei Haustürwiderrufsgeschäften nach § 1 Abs. 1 HaustürWG a.F.3. Dagegen waren derartige gesetzliche Rücktritts- oder Widerrufsrechte zugunsten des Arbeitnehmers im Hinblick auf den von ihm abgeschlossenen Aufhebungsvertrag nicht vorgesehen. Eine analoge Anwendung der §§ 7 Abs. 1 VerbrKrG a.F., 1 Abs. 1 HaustürWG a.F. auf Aufhebungsverträge wurde allgemein abgelehnt4. 74 Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden die Vorschriften der §§ 312, 355 BGB neu gefasst. § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB sieht u.a. vor, dass bei einem Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, der ei1 So ausdrücklich BAG vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348. 2 Das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann ferner nach § 178 Satz 1 BGB wegen Vertretungsmängeln bei dessen Annahme durch den Vertragspartner widerrufen werden. Die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages wegen Willensmängeln (§ 123 BGB) enthält aber nicht ohne Weiteres einen solchen Widerruf, vgl. BAG vom 31.1.1996 – 2 AZR 91/95, NZA 1996, 756. 3 Gemeint ist hier die bis zum 30.9.2000 geltende Fassung des § 1 Abs. 1 HaustürWG. Für Verträge, die nach dem 30.9.2000 abgeschlossen wurden, enthält § 1 Abs. 1 HaustürWG n.F. eine Übergangsvorschrift (vgl. § 9 Abs. 3 HaustürWG), die inhaltlich der nunmehr geltenden Regelung des § 312 Abs. 1 BGB entspricht. Insoweit gelten hier die Ausführungen zu § 312 Abs. 1 BGB (s.u. Rz. 74) entsprechend. 4 BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; Ehrich, DB 1992, 2239, 2242; Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Germelmann, NZA 1997, 236 (240).
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Rz. 76 Teil 3
ne entgeltliche Leistung zum Gegenstand hat und zu dessen Abschluss der Verbraucher durch mündliche Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz bestimmt worden ist (Haustürgeschäft), dem Verbraucher ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zusteht. Hierdurch wurde jedoch – wie zunächst mehrere Instanzgerichte1 und sodann auch das BAG in zwei Grundsatzurteilen vom 27.11.20032, die von ihm zwischenzeitlich mehrmals bestätigt wurden3, zu Recht entschieden haben und die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum4 zutreffend annimmt – kein gesetzliches Rücktritts- oder Widerrufsrecht bei Aufhebungsverträgen geschaffen5. Zwar kann der Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen des § 323 BGB vom Aufhebungsvertrag zurücktreten, etwa wenn der Arbeitgeber mit der Abfindungszahlung in Verzug geraten ist und ihm der Arbeitnehmer eine Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt hat6. Darüber hinausgehende gesetzliche Rücktritts- und Widerrufsrechte gibt es bei Aufhebungsverträgen de lege lata jedoch nach wie vor nicht7.
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b) Tarifvertragliches Widerrufsrecht Vereinzelt enthalten dagegen Tarifverträge ein Recht des Arbeitnehmers zum Widerruf des Aufhebungsvertrages. Beispielsweise besagt § 11 Abs. 10 des – allgemeinverbindlichen – Manteltarifvertrages Einzelhandel-NRW vom 25.7.2008: „Auflösungsverträge bedürfen der Schriftform. Jede der Parteien kann eine Bedenkzeit von 3 Werktagen in Anspruch nehmen. Ein Verzicht hierauf ist schriftlich zu erklären.“8 1 LAG Brandenburg vom 30.10.2002 – 7 Sa 386/02, NZA 2003, 503; LAG Hamm vom 1.4.2003 – 19 Sa 1901/02, NZA-RR 2003, 401; ArbG Frankfurt (Oder) vom 29.5.2002 – 6 Ca 500/02, NZA-RR 2003, 412; ArbG Kassel vom 10.2.2003 – 3 Ca 505/02, NZARR 2003, 299. 2 BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 und 2 AZR 177/03, AP Nrn. 1 und 2 zu § 312 BGB. 3 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03, NZA 2004, 1295; BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145. 4 Bauer/Kock, DB 2002, 42 (44 f.); Brors, DB 2002, 2046 (2048); Lembke, DB 2002, 2648 (2650); Mengel, BB 2003, 1278 (1280); Kienast/Schmiedl, DB 2003, 1440 (1442); a.A. Schleusener, NZA 2002, 949 (950 ff.) m. w. Nachw. 5 Einzelheiten hierzu s. in der Voraufl. unter Teil 1 Rz. 865. 6 Bauer, NZA 2002, 169 (170 f.). Zum stillschweigenden Ausschluss des Rücktrittsrechts in einem gerichtlichen Vergleich s. LAG Köln vom 5.1.1996 – 4 Sa 909/94, BB 1996, 907. S. dazu auch Bauer/Haußmann, BB 1996, 901. 7 Ebenso (zur Rechtslage vor dem 1.1.2002) BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Germelmann, NZA 1997, 236 (240); Bengelsdorf, S. 23. Zur – im Interesse der Rechtssichterheit zu verneinenden – Frage, ob sich de lege ferenda die Einführung eines gesetzlichen Rücktrittsrecht empfiehlt s. Bauer, I Rz. 176 f. 8 Ähnliche Regelungen enthalten die Manteltarifverträge Einzelhandel Baden-Württemberg und Bayern sowie der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW vom 1.1.1997 in § 7 Nr. 1 Satz 2. S. dazu auch LAG Düsseldorf
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Teil 3 Rz. 77
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
77 Die Effektivität dieser Vorschriften ist jedoch als nur sehr gering einzustufen. Denn zum einen kann der Verzicht auf das Widerrufsrecht auch in den Aufhebungsvertrag aufgenommen und muss nicht gesondert von dem übrigen Vertragstext oder in einer besonderen Urkunde erklärt werden1. Zum anderen beginnt das Widerrufsrecht unabhängig davon zu laufen, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf sein Widerrufsrecht hingewiesen hat oder nicht2. c) Individualvertragliches Rücktritts- oder Widerrufsrecht 78 Schließlich können Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht hinsichtlich des Aufhebungsvertrages auch individualvertraglich in zulässiger Weise vereinbaren3. Eine solche Rücktritts- oder Widerrufsvereinbarung dürfte jedenfalls bei außergerichtlichen Aufhebungsverträgen in der Praxis nur selten anzutreffen sein. 79 Dagegen werden im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen gerichtliche Aufhebungsvereinbarungen sehr häufig mit Widerrufsvorbehalt geschlossen. Üblich ist die Formulierung am Schluss des gerichtlichen Vergleichs:
Formulierungsbeispiel Dieser Vergleich kann von der klagenden Partei/der beklagten Partei/beiden Parteien durch schriftliche Eingabe beim Arbeitsgericht . . . bis zum . . . widerrufen werden.
80 In dem Fall muss der Widerruf spätestens am letzten Tag der Frist vor 24.00 Uhr beim betreffenden Arbeitsgericht schriftlich eingegangen sein. Fällt der letzte Tag der Frist für den Widerruf eines Prozessvergleiches auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag, so endet die Frist im Zweifel erst am nächsten Werktag, §§ 222 Abs. 2 ZPO, 193 BGB. Eine Verlängerung der Widerrufsfrist durch Gerichtsbeschluss ist nicht möglich4.
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vom 22.6.2001 – 14 Sa 491/01, NZA-RR 2002, 12: Die Einhaltung der Schriftform ist beim Widerruf eines Aufhebungsvertrags gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Manteltarifvertrag Groß- und Außenhandel NRW Wirksamkeitserfordernis. BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84, NZA 1986, 25; BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209; Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Bauer, I Rz. 162; Bengelsdorf, S. 24. S. aber auch ArbG Nürnberg vom 6.8.1993 – 12 Ca 1500/93, BB 1993, 2310, wonach das in § 18 Nr. 9 MTV Einzelhandel-Bayern vom 11.7.1989 geregelte Widerrufsrecht einzelvertraglich nicht abdingbar sei. LAG Köln vom 11.4.1990 – 7 Sa 67/90, BB 1990, 2047; Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Bauer, I Rz. 162; Bengelsdorf, S. 24. S. Ehrich, DB 1992, 2239 (2242). Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Bauer, I Rz. 148.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 87 Teil 3
Ist der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären, kann er im Zweifel stattdessen nicht wirksam gegenüber dem Prozessgegner erklärt werden1. Ebenso ist ein schriftsätzlicher Widerruf unwirksam, der zwar fristgerecht beim Arbeitsgericht eingeht, aber weder von der Partei noch von ihrem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet worden ist2.
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Û
Hinweis: Ein Vergleich, der mit Einreichung eines Schriftsatzes bei der Außenkammer eines Stammgerichts (im Streitfall: Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg) widerrufen werden kann, kann auch durch Einreichung eines Schriftsatzes beim Stammgericht (im Streitfall: Arbeitsgericht Würzburg) wirksam widerrufen werden3.
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Die Vorlage eines „OK-Vermerks“ im Sendebericht eines Anwalts, der für seinen Mandanten einen auf Widerruf geschlossenen Vergleich widerruft, reicht nicht aus, den Zugang bei Gericht nachzuweisen4.
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Û
Hinweis: Versäumt eine Partei die Widerrufsfrist, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO nicht in Betracht, weil es sich um eine vertraglich vereinbarte Frist handelt5.
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Die in der Erklärung, der Vergleich „wird nicht widerrufen“ liegende Verzichtserklärung einer Partei gegenüber dem Gericht ist als Prozesshandlung unwiderruflich und unanfechtbar6.
85
Gelegentlich behalten sich die Arbeitnehmer den Widerruf im gerichtlichen Aufhebungsvergleich vor, falls sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die in der Aufhebungsvereinbarung vereinbarte Abfindungszahlung nicht erhalten haben7. In dem Fall ist der Widerruf nur wirksam, wenn die Zahlung bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht erfolgt ist. Im Übrigen gelten die obigen Grundsätze zum allgemeinen Widerrufsvorbehalt entsprechend.
86
4. Fristlose oder ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses Fraglich ist, ob ein Aufhebungsvertrag – insbesondere eine darin enthaltene Abfindungsvereinbarung – durch eine fristlose oder ordentliche Kündigung 1 Vgl. BAG vom 21.2.1991 – 2 AZR 458/90, NZA 1992, 134; BAG vom 22.1.1998 – 2 AZR 367/97, NZA 1998, 637; LAG Düsseldorf vom 6.3.1997 – 5 Sa 1839/96, BB 1997, 1212. 2 BAG vom 31.5.1989 – 2 AZR 548/88, NZA 1989, 860. 3 BAG vom 4.3.2004 – 2 AZR 305/03, NZA 2004, 999. 4 LAG Düsseldorf vom 24.2.2004 – 8 Sa 1806/03, DB 2004, 1159. 5 BAG vom 10.11.1977 – 2 AZR 269/77, DB 1978, 1181; BAG vom 22.1.1998 – 2 AZR 367/97, NZA 1998, 637; LAG Düsseldorf vom 6.3.1997 – 5 Sa 1839/96, BB 1997, 1212; Bauer, I Rz. 147. 6 LAG Köln vom 20.11.2003 – 5 Sa 633/03, DB 2004, 608. 7 Möglich ist auch der Abschluss eines Aufhebungsvertrages unter der Bedingung, dass die vereinbarte Abfindung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gezahlt wird. Eine solche auflösende Bedingung reicht noch weiter als das Rücktrittsrecht, da sie zur automatischen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führt, vgl. Bauer/Haußmann, BB 1996, 901 (903).
Ehrich
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 87 Teil 3
Ist der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären, kann er im Zweifel stattdessen nicht wirksam gegenüber dem Prozessgegner erklärt werden1. Ebenso ist ein schriftsätzlicher Widerruf unwirksam, der zwar fristgerecht beim Arbeitsgericht eingeht, aber weder von der Partei noch von ihrem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet worden ist2.
81
Û
Hinweis: Ein Vergleich, der mit Einreichung eines Schriftsatzes bei der Außenkammer eines Stammgerichts (im Streitfall: Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg) widerrufen werden kann, kann auch durch Einreichung eines Schriftsatzes beim Stammgericht (im Streitfall: Arbeitsgericht Würzburg) wirksam widerrufen werden3.
82
Die Vorlage eines „OK-Vermerks“ im Sendebericht eines Anwalts, der für seinen Mandanten einen auf Widerruf geschlossenen Vergleich widerruft, reicht nicht aus, den Zugang bei Gericht nachzuweisen4.
83
Û
Hinweis: Versäumt eine Partei die Widerrufsfrist, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO nicht in Betracht, weil es sich um eine vertraglich vereinbarte Frist handelt5.
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Die in der Erklärung, der Vergleich „wird nicht widerrufen“ liegende Verzichtserklärung einer Partei gegenüber dem Gericht ist als Prozesshandlung unwiderruflich und unanfechtbar6.
85
Gelegentlich behalten sich die Arbeitnehmer den Widerruf im gerichtlichen Aufhebungsvergleich vor, falls sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die in der Aufhebungsvereinbarung vereinbarte Abfindungszahlung nicht erhalten haben7. In dem Fall ist der Widerruf nur wirksam, wenn die Zahlung bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht erfolgt ist. Im Übrigen gelten die obigen Grundsätze zum allgemeinen Widerrufsvorbehalt entsprechend.
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4. Fristlose oder ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses Fraglich ist, ob ein Aufhebungsvertrag – insbesondere eine darin enthaltene Abfindungsvereinbarung – durch eine fristlose oder ordentliche Kündigung 1 Vgl. BAG vom 21.2.1991 – 2 AZR 458/90, NZA 1992, 134; BAG vom 22.1.1998 – 2 AZR 367/97, NZA 1998, 637; LAG Düsseldorf vom 6.3.1997 – 5 Sa 1839/96, BB 1997, 1212. 2 BAG vom 31.5.1989 – 2 AZR 548/88, NZA 1989, 860. 3 BAG vom 4.3.2004 – 2 AZR 305/03, NZA 2004, 999. 4 LAG Düsseldorf vom 24.2.2004 – 8 Sa 1806/03, DB 2004, 1159. 5 BAG vom 10.11.1977 – 2 AZR 269/77, DB 1978, 1181; BAG vom 22.1.1998 – 2 AZR 367/97, NZA 1998, 637; LAG Düsseldorf vom 6.3.1997 – 5 Sa 1839/96, BB 1997, 1212; Bauer, I Rz. 147. 6 LAG Köln vom 20.11.2003 – 5 Sa 633/03, DB 2004, 608. 7 Möglich ist auch der Abschluss eines Aufhebungsvertrages unter der Bedingung, dass die vereinbarte Abfindung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gezahlt wird. Eine solche auflösende Bedingung reicht noch weiter als das Rücktrittsrecht, da sie zur automatischen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führt, vgl. Bauer/Haußmann, BB 1996, 901 (903).
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Teil 3 Rz. 88
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
des Arbeitgebers in der Zeit nach Abschluss des Aufhebungsvertrages während der Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses hinfällig wird.
Û
Beispiel: Ein Arbeitnehmer war als Mechaniker seit dem 1.1.2004 bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Am 25.9.2008 schlossen die Parteien im Rahmen von Personalanpassungsmaßnahmen auf Veranlassung des Arbeitgebers einen Aufhebungsvertrag zum 31.12.2008, demzufolge der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung in Höhe von 12 000 Euro erhalten sollte. Anfang November 2008 stellte sich heraus, dass der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der internen Materialvergabe bei Erhalt eines kompletten Bohrersatzes die Unterschrift eines Gruppenleiters gefälscht hatte. Bei einer durchgeführten Spinduntersuchung wurden u.a. 17 weitere Bohrer sichergestellt. Am 6.11.2008 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2008.
88 Nach Ansicht des BAG1 steht der Aufhebungsvertrag regelmäßig – wenn auch nicht ausdrücklich, so doch konkludent – unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB), dass das Arbeitsverhältnis bis zum vereinbarten Auflösungszeitpunkt fortgesetzt wird. Falls eine (rechtswirksame) außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis vor dem vorgesehenen Auflösungszeitpunkt auflöst, tritt die Bedingung, nämlich der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum vereinbarten Auflösungszeitpunkt, nicht ein. Damit wird der Aufhebungsvertrag – einschließlich einer darin vereinbarten Abfindung – gegenstandslos2. 89 Etwas anderes soll hingegen für eine nach Abschluss eines betriebsbedingten Aufhebungsvertrages zum gleichen Zeitpunkt ausgesprochene verhaltensbedingte ordentliche Kündigung gelten3. Sofern der Aufhebungsvertrag für den Fall einer gleichzeitigen Beendigung aufgrund wirksamer Kündigung keine Regelung enthalte, werde es von den Parteien nicht – auch nicht stillschweigend – zur Geschäftsgrundlage gemacht, dass keine weiteren Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis zu dem vorgesehenen Zeitpunkt eventuell auflösen würden. Grundlage des Aufhebungsvertrages sei vielmehr, die Unsicherheit für den Arbeitgeber hinsichtlich der Personalplanung zu beenden. Diese Unsicherheit bezüglich des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses werde für den Arbeitgeber beendet, weil er über den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers zukunftsbezogen disponieren könne. Als Gegenleistung hierfür werde dem Arbeitnehmer die Abfindung zugebilligt. Diese Voraussetzungen änderten sich nicht durch eine ordentliche Kündigung zum gleichen Auflösungszeitpunkt, so dass Leistung und Gegenleistung weiterhin in einem adäquaten Verhältnis zueinander stünden4.
1 2 3 4
BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813. BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813. Vgl. BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813. BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 94 Teil 3
Aus den vorangegangenen Grundsätzen folgt, dass ein Entstehen von Abfindungsansprüchen, die in betriebsbedingten Aufhebungsverträgen vereinbart werden, im Falle einer späteren ordentlichen Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Kündigungen zum gleichen Auflösungszeitpunkt nur dadurch vermieden werden kann, dass allein das betriebsbedingte Ausscheiden des Arbeitnehmers zum Gegenstand des Aufhebungsvertrages gemacht wird.
90
Wird eine (verhaltens- oder personenbedingte) ordentliche Kündigung zwar erst nach Abschluss eines betriebsbedingten Aufhebungsvertrages, jedoch zu einem früheren Auflösungszeitpunkt ausgesprochen als im Aufhebungsvertrag vereinbart, so dürften die obigen Ausführungen zur (überholenden) fristlosen Kündigung (s.o. Rz. 89) sinngemäß gelten. Von Bedeutung ist dies insbesondere dann, wenn die Parteien im Aufhebungsvertrag einen Beendigungszeitpunkt vereinbart haben, der über die ordentliche Kündigungsfrist hinausgeht.
91
5. Schadensersatz Da der Abschluss eines Aufhebungsvertrages möglicherweise zum Verlust von Versorgungsanwartschaften, zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 143 SGB III oder zur Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 144 SGB III führt, können diesbezüglich besondere Hinweispflichten des Arbeitgebers bestehen (s. dazu bereits o. Teil 1 Rz. 98 ff.).
92
Eine Verletzung der Hinweispflichten kann zwar nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz begründen1. Der Anspruch ist jedoch immer nur auf Geldersatz – z.B. für einen Versorgungsschaden in der betrieblichen Altersversorgung – gerichtet. Dagegen kann der Arbeitnehmer nicht gemäß § 249 BGB im Wege der sog. Naturalrestitution die Beseitigung des Aufhebungsvertrages bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangen2. Denn insoweit wird es in aller Regel an der erforderlichen Kausalität zwischen der Fürsorgepflichtverletzung und dem Schaden fehlen.
93
6. Wegfall der Geschäftsgrundlage Kommt es auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer Kündi- 94 gung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, ist dieser nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen, wenn in der Zeit zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und dem vereinbar-
1 Vgl. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811. 2 BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Bauer, I Rz. 156; a.A. ArbG Wetzlar vom 7.8.1990 – 1 Ca 48/90, DB 1991, 976; ArbG Wetzlar vom 29.8.1995 – 1 Ca 273/95, DB 1995, 2376; ArbG Freiburg vom 20.6.1991 – 2 Ca 145/91, DB 1991, 2600; Bengelsdorf, S. 30; Ernst, S. 129.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 94 Teil 3
Aus den vorangegangenen Grundsätzen folgt, dass ein Entstehen von Abfindungsansprüchen, die in betriebsbedingten Aufhebungsverträgen vereinbart werden, im Falle einer späteren ordentlichen Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Kündigungen zum gleichen Auflösungszeitpunkt nur dadurch vermieden werden kann, dass allein das betriebsbedingte Ausscheiden des Arbeitnehmers zum Gegenstand des Aufhebungsvertrages gemacht wird.
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Wird eine (verhaltens- oder personenbedingte) ordentliche Kündigung zwar erst nach Abschluss eines betriebsbedingten Aufhebungsvertrages, jedoch zu einem früheren Auflösungszeitpunkt ausgesprochen als im Aufhebungsvertrag vereinbart, so dürften die obigen Ausführungen zur (überholenden) fristlosen Kündigung (s.o. Rz. 89) sinngemäß gelten. Von Bedeutung ist dies insbesondere dann, wenn die Parteien im Aufhebungsvertrag einen Beendigungszeitpunkt vereinbart haben, der über die ordentliche Kündigungsfrist hinausgeht.
91
5. Schadensersatz Da der Abschluss eines Aufhebungsvertrages möglicherweise zum Verlust von Versorgungsanwartschaften, zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 143 SGB III oder zur Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 144 SGB III führt, können diesbezüglich besondere Hinweispflichten des Arbeitgebers bestehen (s. dazu bereits o. Teil 1 Rz. 98 ff.).
92
Eine Verletzung der Hinweispflichten kann zwar nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz begründen1. Der Anspruch ist jedoch immer nur auf Geldersatz – z.B. für einen Versorgungsschaden in der betrieblichen Altersversorgung – gerichtet. Dagegen kann der Arbeitnehmer nicht gemäß § 249 BGB im Wege der sog. Naturalrestitution die Beseitigung des Aufhebungsvertrages bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangen2. Denn insoweit wird es in aller Regel an der erforderlichen Kausalität zwischen der Fürsorgepflichtverletzung und dem Schaden fehlen.
93
6. Wegfall der Geschäftsgrundlage Kommt es auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer Kündi- 94 gung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, ist dieser nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen, wenn in der Zeit zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und dem vereinbar-
1 Vgl. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811. 2 BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Bauer, I Rz. 156; a.A. ArbG Wetzlar vom 7.8.1990 – 1 Ca 48/90, DB 1991, 976; ArbG Wetzlar vom 29.8.1995 – 1 Ca 273/95, DB 1995, 2376; ArbG Freiburg vom 20.6.1991 – 2 Ca 145/91, DB 1991, 2600; Bengelsdorf, S. 30; Ernst, S. 129.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 94 Teil 3
Aus den vorangegangenen Grundsätzen folgt, dass ein Entstehen von Abfindungsansprüchen, die in betriebsbedingten Aufhebungsverträgen vereinbart werden, im Falle einer späteren ordentlichen Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Kündigungen zum gleichen Auflösungszeitpunkt nur dadurch vermieden werden kann, dass allein das betriebsbedingte Ausscheiden des Arbeitnehmers zum Gegenstand des Aufhebungsvertrages gemacht wird.
90
Wird eine (verhaltens- oder personenbedingte) ordentliche Kündigung zwar erst nach Abschluss eines betriebsbedingten Aufhebungsvertrages, jedoch zu einem früheren Auflösungszeitpunkt ausgesprochen als im Aufhebungsvertrag vereinbart, so dürften die obigen Ausführungen zur (überholenden) fristlosen Kündigung (s.o. Rz. 89) sinngemäß gelten. Von Bedeutung ist dies insbesondere dann, wenn die Parteien im Aufhebungsvertrag einen Beendigungszeitpunkt vereinbart haben, der über die ordentliche Kündigungsfrist hinausgeht.
91
5. Schadensersatz Da der Abschluss eines Aufhebungsvertrages möglicherweise zum Verlust von Versorgungsanwartschaften, zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 143 SGB III oder zur Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 144 SGB III führt, können diesbezüglich besondere Hinweispflichten des Arbeitgebers bestehen (s. dazu bereits o. Teil 1 Rz. 98 ff.).
92
Eine Verletzung der Hinweispflichten kann zwar nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz begründen1. Der Anspruch ist jedoch immer nur auf Geldersatz – z.B. für einen Versorgungsschaden in der betrieblichen Altersversorgung – gerichtet. Dagegen kann der Arbeitnehmer nicht gemäß § 249 BGB im Wege der sog. Naturalrestitution die Beseitigung des Aufhebungsvertrages bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangen2. Denn insoweit wird es in aller Regel an der erforderlichen Kausalität zwischen der Fürsorgepflichtverletzung und dem Schaden fehlen.
93
6. Wegfall der Geschäftsgrundlage Kommt es auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer Kündi- 94 gung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, ist dieser nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen, wenn in der Zeit zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und dem vereinbar-
1 Vgl. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811. 2 BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85, NZA 1988, 837; Ehrich, DB 1992, 2239 (2242); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (420); Bauer, I Rz. 156; a.A. ArbG Wetzlar vom 7.8.1990 – 1 Ca 48/90, DB 1991, 976; ArbG Wetzlar vom 29.8.1995 – 1 Ca 273/95, DB 1995, 2376; ArbG Freiburg vom 20.6.1991 – 2 Ca 145/91, DB 1991, 2600; Bengelsdorf, S. 30; Ernst, S. 129.
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Teil 3 Rz. 95
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
ten Vertragsende der Beendigungsgrund unvorhergesehen wegfällt1. Die Vertragsanpassung kann dabei auch in einer Wiedereinstellung liegen2. 95 Die Anpassung eines Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage setzt zunächst voraus, dass der Grund, der die Parteien zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst hat, nachträglich weggefallen ist. Erforderlich ist hierbei zum einen, dass der Geschäftswille von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Abschluss des Aufhebungsvertrages auf dem künftigen Eintritt der Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses aufbaut. Zum anderen müssen sich die gemeinsamen Vorstellungen der Parteien vom künftigen Eintritt dieser Auflösung nachträglich geändert haben. Bloße einseitig gebliebene Motive einer Vertragspartei reichen für eine Anpassung des Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage allein nicht aus3. Die Anpassung eines Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist daher z.B. nicht möglich, wenn die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages nur vom Arbeitnehmer ausgegangen ist, weil er sich selbständig machen oder bei einem anderen Arbeitgeber tätig werden will und dieses Vorhaben scheitert. Insoweit fällt das Motiv für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses typischerweise in den Risikobereich des Arbeitnehmers. 96 Wurde dagegen der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Abschluss des Aufhebungsvertrages in den diesem zugrunde liegenden gemeinschaftlichen Geschäftswillen beider Parteien aufgenommen, so ist bei nachträglichem Wegfall des Grundes für die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses – ebenso wie in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG hinsichtlich der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen, arbeitgeberseitigen Beendigungskündigung – zwischen betriebsbedingten, personenbedingten und verhaltensbedingten Gründen zu unterscheiden. 97 Bei betriebsbedingten Aufhebungsverträgen ist ein nachträglicher Wegfall des Beendigungsgrundes insbesondere in den Fällen gegeben, in denen die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass einer vom Arbeitgeber ernsthaft und endgültig beabsichtigten Betriebs- oder Betriebsteilstilllegung erfolgte und der Arbeitgeber den Betrieb oder Betriebsteil entgegen seiner ursprünglichen Absicht fortführt oder im Wege des Betriebsübergangs i.S. von § 613a BGB an einen nach Abschluss des Aufhebungsvertrages unerwartet gefundenen Erwerber veräußert4. Gleiches gilt bei einem Aufhebungsvertrag anlässlich fehlender Aufträge, sofern dem Arbeitgeber nach Abschluss des Vertrages plötzlich ein Großauftrag erteilt wird. Ebenso ist von einem nachträglichen Wegfall des Beendigungsgrundes auszugehen, wenn der Arbeitgeber mit einem von betrieblichen Personalabbaumaßnahmen betroffenen 1 Vgl. BAG vom 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148 = DB 2008, 1974 = BB 2008, 2020 m. w. Nachw. 2 BAG vom 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148 = DB 2008, 1974 = BB 2008, 2020. S. dazu auch Fröhlich, ArbRB 2006, 214 ff. 3 Palandt/Grüneberg, BGB, § 313 Rz. 9. 4 Vgl. BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757.
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 101 Teil 3
Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag schliesst und sich für diesen später die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung ergibt, etwa weil ein vergleichbarer Arbeitnehmer, dem wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit arbeitgeberseitig nicht gekündigt werden konnte, durch Eigenkündigung aus dem Betrieb ausscheidet. Bei personenbedingten Aufhebungsverträgen kommt ein nachträglicher Wegfall des Auflösungsgrundes in erster Linie in Betracht, wenn die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten des Mitarbeiters vereinbart wurde und die Erkrankung, auf der die Fehlzeiten beruhten, nach Abschluss des Aufhebungsvertrages endgültig ausheilt. Ebenso ist von einem nachträglichen Wegfall des Beendigungsgrundes auszugehen, wenn der Aufhebungsvertrag wegen dauerhafter – krankheitsbedingter – Unmöglichkeit des Arbeitnehmers geschlossen wurde, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, und sich später die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz ergibt, etwa weil ein solcher Arbeitsplatz nach Abschluss des Aufhebungsvertrages frei wird oder der Betriebsrat seine zunächst verweigerte Zustimmung zur Umsetzung eines dort beschäftigten Arbeitnehmers nachträglich erteilt1.
98
Nach einer Entscheidung des BAG vom 16.6.19992 genügt es für die Begründung der Voraussetzungen eines Wiedereinstellungsanspruchs einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung allerdings nicht, dass der Arbeitnehmer Tatsachen vorträgt, die die negative Gesundheitsprognose erschüttern. Vielmehr komme ein Wiedereinstellungsanspruch allenfalls dann in Betracht, wenn nach dem Vorbringen des Arbeitnehmers von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen sei. Diese Erwägungen dürften in gleicher Weise für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags wegen erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten des Arbeitnehmers gelten.
99
Außerdem kommt ein Wiedereinstellungsanspruch dann nicht in Betracht, wenn die neu eintretenden Umstände auf einem neuen Kausalverlauf beruhen3.
100
Ist die nachträgliche überraschende grundlegende Besserung des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetreten, kann der Arbeitnehmer seine Wiedereinstellung nicht verlangen4.
101
1 2 3 4
Vgl. BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709. BAG vom 16.9.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 593/01, DB 2003, 724. BAG vom 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, NZR 2001, 1135. S. dazu auch LAG Hamm vom 28.7.1999 – 18 Sa 2523/97, NZA-RR 2000, 134: Entfällt bei einer Kündigung wegen langandauernder Erkrankung die Grundlage für die negative Gesundheitsprognose 14 Monate nach Zugang der Kündigung und acht Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist, besteht in der Regel kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers, sofern der Arbeitgeber keinen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.
Ehrich
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Teil 3 Rz. 102
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
102
Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer positiven Gesundheitsprognose als Voraussetzung eines eventuellen Wiedereinstellungsanspruchs ist der Arbeitnehmer1.
103
Bei verhaltensbedingten Aufhebungsverträgen ist ein nachträglicher Wegfall des Auflösungsgrundes insbesondere in den Fällen denkbar, in denen der Aufhebungsvertrag wegen des Verdachts schwerwiegender Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers geschlossen wird und sich im Nachhinein die Unschuld des Mitarbeiters herausstellt. Die Einstellung des gegen den Arbeitnehmer eingeleiteten Ermittlungsverfahrens (§ 170 Abs. 2 Satz 1 StPO) reicht insoweit jedoch nicht aus2.
104
Der Grund für die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss spätestens bis zum Ablauf des im Aufhebungsvertrag vereinbarten Auflösungszeitpunktes weggefallen sein. Denn mit Ablauf dieses Auflösungszeitpunktes sind die Vertragsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beendet. Entfällt der Beendigungsgrund erst nach diesem Zeitpunkt, so kommt eine Anpassung des Aufhebungsvertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht3. Eine Anpassung des Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage dürfte sonach bei der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit sofortiger Wirkung in aller Regel nicht möglich sein.
105
Die Anpassung des Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann vom Arbeitnehmer weiterhin nur dann verlangt werden, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls seine schutzwerten Interessen das Interesse des Arbeitgebers überwiegen, es beim Ergebnis des Aufhebungsvertrages, also der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen4. Ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird vom BAG angenommen, wenn dieser im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits Dispositionen getroffen hat oder ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist5.
106
Für ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nennt das BAG im Rahmen des Wiedereinstellungsanspruchs des gekündigten Arbeitnehmers wegen nachträglichen Wegfalls des Kündigungsgrundes folgende zwei Beispiele: Zum einen soll das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen, wenn der 1 BAG vom 16.9.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328. 2 BAG vom 20.8.1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340. Siehe dazu auch BAG vom 22.1.1998 – 2 AZR 455/97, NZA 1998, 726. 3 Vgl. BAG vom 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254. Ausdrücklich bestätigt durch BAG vom 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097; BAG vom 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, NZA 2001, 1135. 4 Vgl. BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757. Wiedereinstellung, zu II. 4. d) dd) der Gründe (zum Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers). 5 Vgl. BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757.
380
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 109 Teil 3
Arbeitgeber etwa bei einer krankheitsbedingten Kündigung in gutem Glauben an die Wirksamkeit der Kündigung den Arbeitsplatz neu besetzt habe. Zum anderen könne bei einer zum Zeitpunkt der Kündigung beabsichtigten Betriebsstilllegung die spätere Chance, den Betrieb zu veräußern, davon abhängen, dass der Erwerber den Kauf von der vorherigen Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen oder der Änderung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer abhängig mache1. Dann werde es dem Arbeitgeber regelmäßig unzumutbar sein, den wirksam gekündigten Arbeitnehmern die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zumindest zu den bisherigen Arbeitsbedingungen anzubieten, da es anderenfalls zu der von Anfang an geplanten Betriebsstilllegung kommen müsse. Insoweit könne es dem Arbeitgeber ggf. zumutbar sein, den Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung zu Arbeitsbedingungen anzubieten, unter denen ein Interessent zum Betriebserwerb bereit sei2. Diese Erwägungen dürften auch bei der Anpassung des Aufhebungsvertrages wegen nachträglichen Wegfalls des Beendigungsgrundes maßgebend sein, weil das BAG insoweit dieselben Maßstäbe anlegt wie bei dem Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers wegen nachträglichen Wegfalls des Kündigungsgrundes.
107
Hat der Arbeitgeber bis zum Zeitpunkt der im Aufhebungsvertrag vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch keine Dispositionen getroffen und ist ihm die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu den bisherigen Bedingungen nicht unzumutbar, so werden regelmäßig die Interessen des Arbeitnehmers an der Anpassung des Aufhebungsvertrages und somit an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen überwiegen. Ohne schutzwertes Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber bei nachträglichem Wegfall des Beendigungsgrundes nicht am Aufhebungsvertrag festhalten3.
108
Probleme können sich ergeben, wenn zwar der Grund für die einvernehmli- 109 che Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachträglich wegfällt, aber nur für einen Teil der betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung besteht. Nach Auffassung des BAG hat hier der Arbeitgeber bei der Auswahl der wiedereinzustellenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte (Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten der Arbeitnehmer, Schwerbehinderung) zumindest mitzuberücksichtigen (s.o. Teil 1 Rz. 379 ff.). Insoweit sind die im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen entwickelten Grundsätze zur Sozialauswahl i.S. von § 1 Abs. 3 KSchG (s. hierzu im Einzelnen o. Teil 1 Rz. 322 ff.) entsprechend heranzuziehen.
1 BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, zu II. 4. d) dd) der Gründe unter Hinweis auf BAG vom 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148. 2 BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, zu II. 4. d) dd) der Gründe. 3 Vgl. BAG vom 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, zu II. 4. d) bb) der Gründe, wonach der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich handele, der ohne schutzwertes Interesse auch nach Wegfall des Kündigungsgrundes auf seiner Kündigung beharre.
Ehrich
381
Teil 3 Rz. 110
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
110
Nicht beanstandet wurde vom BAG bei der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers hinsichtlich der Besetzung der verbleibenden Arbeitsplätze allerdings auch die Bevorzugung von Mitarbeitern, denen noch nicht gekündigt wurde, gegenüber einem gekündigten Arbeitnehmer, der mit dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren einen Vergleich geschlossen hat, in dem u.a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung von 20 000 Euro anstatt eines dem Arbeitnehmer aus dem Sozialplan zustehenden Betrages von 13 500 Euro vereinbart wurde1. Eine solche Auswahlentscheidung wäre ebenfalls nicht zu beanstanden gewesen, wenn eine entsprechende Abfindungsvereinbarung in einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag anstatt in einem Prozessvergleich getroffen worden wäre.
111
Die Auswahlgesichtspunkte, die vom Arbeitgeber bei der Wiedereinstellung entlassener Mitarbeiter – sei es durch Kündigung, sei es durch Aufhebungsvertrag – zu berücksichtigen sind, können auch in einem Sozialplan geregelt werden2.
112
Sind die Voraussetzungen für eine Anpassung des Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gegeben, so soll der Arbeitnehmer nach Ansicht des BAG einen Anspruch auf Wiedereinstellung haben3. Dogmatisch ist diese Annahme nicht frei von Bedenken, da nach den bisherigen allgemeinen Grundsätzen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Unzumutbarkeit des Festhaltens an einem Vertrag (hier am Aufhebungsvertrag) auch die Vertragsauflösung in Betracht kommt4. Mit der seit dem 1.1.2002 geltenden Regelung des § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten kann, sofern eine Anpassung des Vertrags nicht möglich ist oder einem Teil nicht zugemutet werden kann. Unter diesen Voraussetzungen besteht somit auch ein Recht des Arbeitnehmers auf Rücktritt vom Aufhebungsvertrag, was die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen zur Folge hat. Sofern sich die Wiedereinstellung i.S. der Rechtsprechung unmittelbar an den im Aufhebungsvertrag vereinbarten Auflösungszeitpunkt anschließt, ist diese Frage im Hinblick auf den sozialen Besitzstand des Arbeitnehmers indes regelmäßig ohne besondere praktische Bedeutung.
113
Die Anpassung des Aufhebungsvertrages nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hat weiterhin zur Folge, dass der Arbeitnehmer eine im Aufhebungsvertrag vereinbarte Abfindung nicht mehr verlangen kann. Denn diese soll gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden. Kann der Arbeitnehmer aber vom Arbeitgeber die Wiedereinstellung bzw. Weiterbeschäftigung verlangen, so entfällt der Rechtsgrund für die vereinbarte Abfindung. Ist dem Arbeitnehmer die Abfindung bereits gezahlt worden, etwa weil die Parteien einen früheren Fälligkeitszeitpunkt als den der Beendigung des 1 Vgl. BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. 2 Vgl. BAG vom 18.12.1990 – 1 ABR 37/90, NZA 1991, 195. 3 BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701; BAG vom 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148 = DB 2008, 1974 = BB 2008, 2020. 4 Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 313 Rz. 42.
382
Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 117 Teil 3
Arbeitsverhältnisses vereinbart haben (s.o. Teil 2 Rz. 150), muss die Abfindung an den Arbeitgeber zurückgezahlt werden1. Für den Arbeitgeber besteht hierbei allerdings das Risiko, dass sich der Arbeitnehmer mit Erfolg auf den Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB beruft. Die Anpassung des Aufhebungsvertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen nachträglichen Wegfalls des Beendigungsgrundes kann von jeder Partei verlangt werden, die sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft2, mithin sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber. Zwar wird das Verlangen der Anpassung des Aufhebungsvertrages regelmäßig vom Arbeitnehmer ausgehen. Denkbar ist jedoch auch, dass der Arbeitgeber – insbesondere bei betriebsbedingten Aufhebungsverträgen – den Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend macht, etwa weil er eine qualifizierte Fachkraft weiterbeschäftigen oder hohe Abfindungszahlungen einsparen will3.
114
Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen der Anpassung des Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist diejenige Partei, die sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft4. Begehrt z.B. der Arbeitnehmer nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegenüber dem Arbeitgeber die Wiedereinstellung wegen angeblich nachträglichen Wegfalls des Grundes, der die Parteien zum Abschluss des Aufhebungsvertrages veranlasst hat, so muss er im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber den nachträglichen Wegfall des Beendigungsgrundes darlegen und beweisen. Gleiches gilt für die nicht ordnungsgemäße Interessenabwägung und für etwaige Fehler einer ggf. vorzunehmenden Sozialauswahl (s.o. Teil 1 Rz. 379), wobei den Arbeitgeber insoweit eine prozessuale Mitwirkungspflicht (vgl. § 138 Abs. 2 und 4 ZPO, § 1 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbs. KSchG) trifft.
115
In prozessualer Hinsicht ist zu beachten, dass es sich bei der Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags hilfsweise eines Wiedereinstellungsanspruchs um zwei unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Will der Berufungskläger beide Streitgegenstände zum Gegenstand der Berufung machen, muss für jeden der Streitgegenstände eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügende Begründung gegeben werden5.
116
7. Unzulässige Rechtsausübung wegen „Überrumpelung“ Für die betriebliche Praxis stellte sich des Weiteren die Frage, ob ein einmal geschlossener Aufhebungsvertrag vom Arbeitnehmer erfolgreich mit der Begründung beseitigt werden kann, er sei vom Arbeitgeber „überrumpelt“ worden. Anlass dafür war eine spektakuläre Entscheidung des LAG Hamburg 1 2 3 4 5
So ausdrücklich BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. Vgl. BAG vom 28.8.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109. S. BAG vom 28.8.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109. Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 313 Rz. 43 m. w. Nachw. der Rechtspr. BAG vom 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148 = DB 2008, 1974 = BB 2008, 2020.
Ehrich
383
117
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 117 Teil 3
Arbeitsverhältnisses vereinbart haben (s.o. Teil 2 Rz. 150), muss die Abfindung an den Arbeitgeber zurückgezahlt werden1. Für den Arbeitgeber besteht hierbei allerdings das Risiko, dass sich der Arbeitnehmer mit Erfolg auf den Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB beruft. Die Anpassung des Aufhebungsvertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen nachträglichen Wegfalls des Beendigungsgrundes kann von jeder Partei verlangt werden, die sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft2, mithin sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber. Zwar wird das Verlangen der Anpassung des Aufhebungsvertrages regelmäßig vom Arbeitnehmer ausgehen. Denkbar ist jedoch auch, dass der Arbeitgeber – insbesondere bei betriebsbedingten Aufhebungsverträgen – den Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend macht, etwa weil er eine qualifizierte Fachkraft weiterbeschäftigen oder hohe Abfindungszahlungen einsparen will3.
114
Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen der Anpassung des Aufhebungsvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist diejenige Partei, die sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft4. Begehrt z.B. der Arbeitnehmer nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegenüber dem Arbeitgeber die Wiedereinstellung wegen angeblich nachträglichen Wegfalls des Grundes, der die Parteien zum Abschluss des Aufhebungsvertrages veranlasst hat, so muss er im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber den nachträglichen Wegfall des Beendigungsgrundes darlegen und beweisen. Gleiches gilt für die nicht ordnungsgemäße Interessenabwägung und für etwaige Fehler einer ggf. vorzunehmenden Sozialauswahl (s.o. Teil 1 Rz. 379), wobei den Arbeitgeber insoweit eine prozessuale Mitwirkungspflicht (vgl. § 138 Abs. 2 und 4 ZPO, § 1 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbs. KSchG) trifft.
115
In prozessualer Hinsicht ist zu beachten, dass es sich bei der Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags hilfsweise eines Wiedereinstellungsanspruchs um zwei unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Will der Berufungskläger beide Streitgegenstände zum Gegenstand der Berufung machen, muss für jeden der Streitgegenstände eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügende Begründung gegeben werden5.
116
7. Unzulässige Rechtsausübung wegen „Überrumpelung“ Für die betriebliche Praxis stellte sich des Weiteren die Frage, ob ein einmal geschlossener Aufhebungsvertrag vom Arbeitnehmer erfolgreich mit der Begründung beseitigt werden kann, er sei vom Arbeitgeber „überrumpelt“ worden. Anlass dafür war eine spektakuläre Entscheidung des LAG Hamburg 1 2 3 4 5
So ausdrücklich BAG vom 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. Vgl. BAG vom 28.8.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109. S. BAG vom 28.8.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109. Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 313 Rz. 43 m. w. Nachw. der Rechtspr. BAG vom 8.5.2008 – 6 AZR 517/07, NZA 2008, 1148 = DB 2008, 1974 = BB 2008, 2020.
Ehrich
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Teil 3 Rz. 118
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
vom 3.7.19911, in der einer Arbeitnehmerin, die einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet hatte, ein Recht zum Widerruf des Aufhebungsvertrages zugebilligt wurde, weil sie vom Arbeitgeber „überrumpelt“ worden sei. 118
Im Schrifttum stieß die sog. „Überrumpelungs-Entscheidung“ des LAG Hamburg weitgehend auf Ablehnung2. Auch die Instanzgerichte gingen in der Folgezeit zu der „Überrumpelungs-Entscheidung“ des LAG Hamburg immer mehr auf Distanz3. Mit Urteil vom 30.9.1993 hat das BAG4 einen Schlussstrich unter die „Überrumpelungs-Diskussion“ gezogen, indem es einen Aufhebungsvertrag nicht allein deshalb für unwirksam hält, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht einräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gespräches vorher nicht mitgeteilt hat. Zwar könne nicht verkannt werden, dass immer häufiger die rechtspolitische Forderung erhoben werde, der Gesetzgeber möge ein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers bei Aufhebungsverträgen einführen. Aus dem geltenden Recht lasse sich ein solches Recht jedoch nicht herleiten. Das Recht der Arbeitsvertragsparteien, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden, gehöre zum Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und sei gleichzeitig als negative Vertragsfreiheit ein Bestandteil der Privatautonomie im Arbeitsvertragsrecht. Es obliege grundsätzlich der freien Entscheidung des Arbeitnehmers, ob er an seinem Arbeitsvertrag festhalten wolle und deshalb den angebotenen Aufhebungsvertrag ablehne, oder ob er sich zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages bewegen lasse. An einem wirksam abgeschlossenen Aufhebungsvertrag müsse er sich nach §§ 145 ff. BGB festhalten lassen. Mit der Konstruktion eines gesetzlich nicht vorgesehenen Rücktritts- oder Widerrufsrechts werde der Grundsatz „pacta sunt servanda“ durchbrochen. Der Rückgriff auf § 242 BGB sei nicht geeignet, einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Privatautonomie zu begründen, da die allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln weder Quelle noch Grundlage einer freien richterlichen Rechtsschöpfung seien5.
119
In einer weiteren Entscheidung hat das BAG im Jahre 1996 diese Rechtsprechung nochmals ausdrücklich bestätigt6. Erfreulicherweise ist das BAG in dieser Entscheidung auch auf die im Schrifttum kontrovers diskutierte An1 LAG Hamburg vom 3.7.1991 – 5 Sa 20/91, NZA 1992, 309 = LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 6. 2 S. insbesondere Ehrich, DB 1992, 2239 (2243); Bauer, NZA 1992, 1015 (1017); Bengelsdorf in der Anm. zu LAG Hamburg vom 3.7.1991 – 5 Sa 20/91, LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 6; Bengelsdorf, NZA 1994, 193 (195); Boemke, NZA 1993, 532 (537). Zustimmend nur Wank, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 112 Rz. 28. 3 LAG Düsseldorf vom 26.1.1993 – 16 Sa 1037/02, NZA 1993, 702; ArbG Köln vom 1.6.1993 – 16 Ca 9583/92, DB 1993, 2135. 4 BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209. S. dazu auch Ehrich, NZA 1994, 438. 5 BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, NZA 1994, 209. Ebenso LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 6.7.1995 – 1 Sa 629/94, NZA 1996, 535; Hessisches LAG vom 2.6.1997 – 11 Sa 2061/96, DB 1998, 82 = BB 1998, 111. 6 BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 121 Teil 3
wendbarkeit des Beschlusses des BVerfG vom 19.10.19931 zur Inhaltskontrolle von Bürgschaften einkommens- und vermögensloser Familienangehöriger2 eingegangen. Insofern führt das BAG aus, eine Rechtsfortbildung sei nicht mit dem Argument geboten, der Arbeitnehmer sei beim Abschluss von Aufhebungsverträgen in einer Verhandlungsposition struktureller Unterlegenheit i.S. des Beschlusses des BVerfG vom 19.10.1993. Es fehle nämlich an der strukturell ungleichen Verhandlungsstärke als Voraussetzung der vom BVerfG geforderten Inhaltskontrolle. Dem Arbeitnehmer, der dem Ansinnen des Arbeitgebers ggf. nur ein schlichtes „Nein“ entgegenzusetzen braucht, kann nicht die zur Durchsetzung seiner berechtigten Interessen erforderliche Verhandlungsmacht abgesprochen werden. Vielmehr habe er die Möglichkeit, sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ und „Wann“ der Vertragsbeendigung von seinem vollen Konsens abhängig zu machen3. Dem BAG, das damit der Mindermeinung4 eine deutliche Absage erteilt hat, ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zuzustimmen. Mag auch ein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers bei Aufhebungsverträgen rechtspolitisch wünschenswert erscheinen, kann es gleichwohl nicht unter Zuhilfenahme der Generalklausel des § 242 BGB „konstruiert“ werden. Letzteres hätte zur Folge, dass der tragende zivilrechtliche – und auch verfassungsrechtlich geschützte – Grundsatz der Vertrags(beendigungs)freiheit aus den Angeln gehoben würde5.
120
Zwar mag es dem Arbeitgeber in Einzelfällen durchaus nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) bzw. wegen Störung der Geschäftsgrundlage i.S. von § 313 BGB n.F. verwehrt sein, sich auf die Aufhebungsvereinbarung oder die darin enthaltenen Vereinbarungen zu berufen, sofern ein Festhalten hieran entweder rechtsmissbräuchlich oder für den Arbeitnehmer unzumutbar, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbar wäre6. So verstößt z.B. ein Arbeitgeber, wenn dieser und der Arbeitnehmer bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages versehentlich ein der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist nicht entsprechendes Enddatum zugrunde gelegt haben, gegen Treu und Glauben, wenn er den Arbeitnehmer an diesem Enddatum festhalten will7. Die bloße „Überrumpelung“ stellt für sich genommen jedoch kein derartiges un-
121
1 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, DB 1983, 2580. 2 S. Bauer/Diller, DB 1995, 1810; Bengelsdorf, BB 1995, 978; Bengelsdorf, BB 1996, 904; Bengelsdorf, DB 1997, 874; Germelmann, NZA 1997, 236; Dieterich, RdA 1995, 134; Zwanziger, DB 1994, 982; Zwanziger, BB 1996, 903. 3 BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95, NZA 1996, 811 (812). Im Ergebnis auch LAG Köln vom 6.6.1997 – 11 Sa 1328/96, ARSt 1998, 161 f.; LAG Köln vom 6.6.1997 – 11 Sa 1310/96, ARSt 1998, 162. 4 Zwanziger, DB 1994, 982; Dieterich, RdA 1995, 129 (135). 5 Ehrich, NZA 1994, 438 (440); Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 (421). 6 Umgekehrt kann auch dem Arbeitnehmer die Berufung auf die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages (in dem z.B. die Zahlung einer hohen Abfindung vereinbart worden ist) nach Treu und Glauben verwehrt sein, etwa bei kollusivem Zusammenwirken mit einem Vertreter des Arbeitgebers und zu dessen Nachteil, vgl. BAG vom 29.1.1997 – 2 AZR 472/96, NZA 1997, 485. 7 Zutreffend LAG Berlin vom 28.4.2000 – 6 Sa 329/00, NZA-RR 2001, 85.
Ehrich
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Teil 3 Rz. 122
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
redliches Verhalten des Arbeitgebers dar, das die Einräumung eines Rücktritts- oder Widerrufsrechts rechtfertigt. Eine strukturell ungleiche Verhandlungsstärke zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Voraussetzung der vom BVerfG geforderten Inhaltskontrolle besteht beim Abschluss des Aufhebungsvertrages – wie das BAG zu Recht ausgeführt hat – nicht. 122
Der allgemeinen Gefahr einer möglichen „Überrumpelung“ des Arbeitnehmers, etwa weil die Vertragsverhandlungen zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten im Betrieb stattfinden, ist – wie das BAG in einer Entscheidung vom 22.4.20041 zutreffend ausgeführt hat – allein über Informationspflichten und das Gebot fairen Verfahrens zu begegnen.
8. Prozessuale Folgen bei Unwirksamkeit oder Beseitigung des Aufhebungsvertrages 123
Ist ein – gerichtlicher oder außergerichtlicher – Aufhebungsvertrag, dem keine Kündigung vorausgegangen ist, unwirksam oder wurde er erfolgreich angefochten, hat dies zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag nicht beendet wurde, sondern zu den ursprünglichen Bedingungen fortbesteht2.
124
Hat der Arbeitgeber dagegen eine Kündigung ausgesprochen, der Arbeitnehmer hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben und haben die Parteien sodann im Kündigungsschutzverfahren einen Prozessvergleich geschlossen, so führt die Unwirksamkeit oder die erfolgreiche Anfechtung dieses Prozessvergleiches dazu, dass die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs nicht eingetreten ist. Die Rechtshängigkeit des Prozesses besteht daher fort und das bisherige Verfahren ist fortzusetzen (s.o. Teil 1 Rz. 88)3.
125
Ganz erhebliche Probleme können sich allerdings ergeben, wenn der Arbeitgeber zunächst eine Kündigung ausgesprochen, der Arbeitnehmer hiergegen form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben hat, die Parteien später einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag abschließen, der Arbeitnehmer sodann die Kündigungsschutzklage zurücknimmt und sich der Aufhebungsvertrag im Nachhinein als unwirksam erweist oder erfolgreich angefochten wird.
Û
Beispiel: Arbeitnehmer A ist seit dem 1.1.2003 bei Arbeitgeber B zu einem monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 2500 Euro beschäftigt. Am 13.11.2008 kündigt B das Arbeitsverhältnis wegen angeblichen Umsatzrückganges fristgemäß zum 31.12.2008. Gegen diese Kündigung erhebt A am 24.11.2008 beim zuständigen Arbeitsgericht form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage. Am 2.1.2009 schließen die Parteien außergerichtlich eine Aufhebungsvereinbarung, wonach das Arbeitsverhält-
1 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03, NZA 2004, 1295. 2 Weber/Ehrich, DB 1995, 2369 m. w. Nachw. 3 BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, NZA 1997, 485; Bauer, I Rz. 121; Bengelsdorf, S. 7.
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Ehrich
Teil 3 Rz. 122
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
redliches Verhalten des Arbeitgebers dar, das die Einräumung eines Rücktritts- oder Widerrufsrechts rechtfertigt. Eine strukturell ungleiche Verhandlungsstärke zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Voraussetzung der vom BVerfG geforderten Inhaltskontrolle besteht beim Abschluss des Aufhebungsvertrages – wie das BAG zu Recht ausgeführt hat – nicht. 122
Der allgemeinen Gefahr einer möglichen „Überrumpelung“ des Arbeitnehmers, etwa weil die Vertragsverhandlungen zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten im Betrieb stattfinden, ist – wie das BAG in einer Entscheidung vom 22.4.20041 zutreffend ausgeführt hat – allein über Informationspflichten und das Gebot fairen Verfahrens zu begegnen.
8. Prozessuale Folgen bei Unwirksamkeit oder Beseitigung des Aufhebungsvertrages 123
Ist ein – gerichtlicher oder außergerichtlicher – Aufhebungsvertrag, dem keine Kündigung vorausgegangen ist, unwirksam oder wurde er erfolgreich angefochten, hat dies zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag nicht beendet wurde, sondern zu den ursprünglichen Bedingungen fortbesteht2.
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Hat der Arbeitgeber dagegen eine Kündigung ausgesprochen, der Arbeitnehmer hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben und haben die Parteien sodann im Kündigungsschutzverfahren einen Prozessvergleich geschlossen, so führt die Unwirksamkeit oder die erfolgreiche Anfechtung dieses Prozessvergleiches dazu, dass die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs nicht eingetreten ist. Die Rechtshängigkeit des Prozesses besteht daher fort und das bisherige Verfahren ist fortzusetzen (s.o. Teil 1 Rz. 88)3.
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Ganz erhebliche Probleme können sich allerdings ergeben, wenn der Arbeitgeber zunächst eine Kündigung ausgesprochen, der Arbeitnehmer hiergegen form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben hat, die Parteien später einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag abschließen, der Arbeitnehmer sodann die Kündigungsschutzklage zurücknimmt und sich der Aufhebungsvertrag im Nachhinein als unwirksam erweist oder erfolgreich angefochten wird.
Û
Beispiel: Arbeitnehmer A ist seit dem 1.1.2003 bei Arbeitgeber B zu einem monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 2500 Euro beschäftigt. Am 13.11.2008 kündigt B das Arbeitsverhältnis wegen angeblichen Umsatzrückganges fristgemäß zum 31.12.2008. Gegen diese Kündigung erhebt A am 24.11.2008 beim zuständigen Arbeitsgericht form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage. Am 2.1.2009 schließen die Parteien außergerichtlich eine Aufhebungsvereinbarung, wonach das Arbeitsverhält-
1 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03, NZA 2004, 1295. 2 Weber/Ehrich, DB 1995, 2369 m. w. Nachw. 3 BAG vom 5.8.1982 – 2 AZR 199/80, NZA 1997, 485; Bauer, I Rz. 121; Bengelsdorf, S. 7.
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Ehrich
Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 128 Teil 3
nis zwischen ihnen aufgrund der Kündigung aus betriebsbedingten Gründen fristgemäß zum 31.12.2008 beendet wurde und sich B verpflichtet, an A eine Abfindung in Höhe von 5000 Euro zu zahlen. A nimmt daraufhin – entsprechend einer Regelung im Aufhebungsvertrag – die Kündigungsschutzklage zurück. (1) Anfang März 2009 stellt sich heraus, dass B seit Dezember 2007 vorübergehend bis Mitte Januar 2009 – unerkennbar – geistesgestört und damit geschäftsunfähig war1. (2) Am 24.8.2009 erfährt A durch Zufall, dass ihn B am 2.1.2009 während der Aufhebungsverhandlungen durch Vorlage gefälschter Bilanzen arglistig über die wirtschaftliche Situation des Betriebes getäuscht und dadurch zum Abschluss des Aufhebungsvertrages veranlasst hat. Noch am selben Tag ficht er deshalb den Aufhebungsvertrag wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB an. In beiden Fällen ist eine Aufhebungsvereinbarung nicht wirksam zustande gekommen, weil die Willenserklärung des B gemäß § 105 Abs. 2 BGB nichtig (1) bzw. der Aufhebungsvertrag aufgrund der Anfechtung des A nach § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen war (2).
126
Fraglich ist unter Berücksichtigung der zunächst ausgesprochenen Kündigung, ob die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages zum Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses führt oder ob der Aufhebungsvertrag ohne Auswirkung auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist – diese mithin existent bleibt – und das Arbeitsverhältnis beendet ist. Man könnte die Auffassung vertreten, mit Abschluss des Aufhebungsvertrages habe eine vorangegangene Kündigung – zumindest stillschweigend – beseitigt werden sollen. Allerdings ist die Rechtsgrundlage einer einvernehmlichen Rückgängigmachung einer ausgesprochenen Kündigung dann entfallen, wenn das hierfür eingesetzte Mittel – der Aufhebungsvertrag – aus Rechtsgründen unwirksam gewesen ist. Die mit dem Aufhebungsvertrag beabsichtigte Beseitigungswirkung der Kündigung wäre dann ebenfalls rückgängig beseitigt mit der Folge, dass die ursprünglich ausgesprochene Kündigung wieder zum Tragen kommt2.
127
Für den Arbeitnehmer ergibt sich daher die prekäre Situation, dass die zunächst erhobene Kündigungsschutzklage wegen der Klagerücknahme als nicht rechtshängig anzusehen ist, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V. mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Dies hätte an sich zur Folge, dass – sofern die Drei-Wochen-Frist (wie im Beispiel) verstrichen ist – eine möglicherweise vorliegende Sozialwidrigkeit der Kündigung gemäß § 7 KSchG geheilt, das Arbeitsverhältnis also durch die insoweit von Anfang an wirksame Kündigung aufgelöst wird3.
128
1 Dass es sich hierbei nicht nur um einen akademischen Fall handelt, zeigt der Sachverhalt der Entscheidung des BAG vom 6.2.1985 – 5 AZR 411/83, NZA 1985, 735. 2 So LAG Hamburg vom 7.4.1994 – 2 Sa 96/93, DB 1995, 2376; LAG Hamm vom 18.12.1996 – 2 Sa 340/96, BB 1997, 1799. 3 Vgl. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rz. 81; KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 294 m. w. Nachw.
Ehrich
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Teil 3 Rz. 129
Mängel und Beseitigungsmöglichkeiten von Aufhebungsverträgen
129
Ob und unter welchen Voraussetzungen hier der Arbeitnehmer gleichwohl eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG erreichen kann, ist bislang – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschieden. Eine Anfechtung der Klagerücknahme gemäß §§ 119, 123 BGB kommt nicht in Betracht, da Prozesshandlungen nach der Rechtsprechung1 anders als rechtsgeschäftliche Willenserklärungen wegen der prozessualen Gestaltungshandlung nicht von Willensmängeln abhängig, mithin nicht anfechtbar sein sollen. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 1 KSchG gegeben. Danach ist die Klage auf Antrag des Arbeitnehmers nachträglich zuzulassen, wenn dieser nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben. Voraussetzung für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage ist das fehlende Verschulden des Arbeitnehmers hinsichtlich der Fristversäumung. Dabei ist ein Verschulden dann zu verneinen, wenn der Arbeitgeber die Klageunterlassung veranlasst hat2 oder den Arbeitnehmer arglistig von der Erhebung der Kündigungsschutzklage abhält3 (s. auch o. Teil 1 Rz. 441). Allerdings zeigt die Einreichung der ursprünglichen fristgemäßen (später zurückgenommenen) Kündigungsschutzklage, dass der Arbeitnehmer durchaus in der Lage war, rechtzeitig Klage zu erheben4.
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Jedoch rechtfertigen Sinn und Zweck des § 5 KSchG eine analoge Anwendung dieser Bestimmung in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer eine rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage wegen einer außergerichtlichen Aufhebungsvereinbarung zurücknimmt und sich diese nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG als unwirksam herausstellt oder wirksam angefochten wird5.
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Zwar rechtfertigen schwebende Vergleichs- oder Aufhebungsverhandlungen als solche noch keine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage (s.o. Teil 1 Rz. 441). Kommt es aber zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages, dann hat der Arbeitgeber durch sein Verhalten Anlass zur Klagerücknah1 Vgl. BVerwG vom 21.3.1979 – 6 C 10/78, NJW 1980, 135; BGH vom 27.5.1981 – IVb ZR 589/80, NJW 1981, 2193. 2 LAG Frankfurt vom 5.9.1988 – 11/1 Ta 389/88, LAGE § 5 KSchG Nr. 40 (In diesem Fall hatte der Arbeitgeber mehrmals gekündigt, das Arbeitsverhältnis ist aber dann gleichwohl fortgesetzt worden, ohne dass er im Zusammenhang mit der letzten Kündigung ausdrücklich auf die Rechtswirksamkeit und Endgültigkeit der Kündigung hingewiesen hat oder sich dies für den Arbeitnehmer aus sonstigen Umständen ergeben hat). 3 LAG Köln vom 19.4.2004 – 5 Ta 63/04, LAGE § 5 KSchG Nr. 8a (wonach aber die Versäumung der Klagefrist nicht erfolgreich mit der Behauptung entschuldigt werden kann, der Betriebsleiter des Arbeitgebers habe dem Arbeitnehmer erklärt: „Warte mal ab, vielleicht erledigt sich dies und wir machen die Kündigung rückgängig.“); KR-Friedrich, § 5 KSchG Rz. 40 m. w. Nachw.; a.A. von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 5 Rz. 6. 4 Vgl. KR-Friedrich, § 5 KSchG Rz. 63 m. w. Nachw. 5 S. dazu Weber/Ehrich, DB 1995, 2369 (2370 f.).
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Inhalt von Aufhebungsverträgen
Rz. 133 Teil 3
me gegeben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Klagerücknahme die Unwirksamkeit oder die Anfechtbarkeit der Aufhebungsvereinbarung weder kannte noch kennen musste (vgl. § 142 Abs. 2 BGB). Denn mit der Möglichkeit der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 1 KSchG sollen unbillige Härten für den von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer vermieden werden1. Um eine solche unbillige Härte würde es sich hier aber bei Eingreifen der Fiktion des § 7 KSchG handeln, weil der Arbeitnehmer eine an sich rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage im Vertrauen auf die Wirksamkeit, eines außergerichtlichen Aufhebungsvertrages zurücknimmt, der sich später als unwirksam erweist oder erfolgreich angefochten wird. Einem weiteren Festhalten an der Kündigungsschutzklage stand der Sinn und Zweck des Aufhebungsvertrages entgegen, die Berufung des Arbeitgebers auf die Klagerücknahme bzw. die Fiktion des § 7 KSchG wäre treuwidrig (§ 242 BGB). In entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann der Arbeitnehmer daher innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der Unwirksamkeit oder des Anfechtungsgrundes beim Arbeitsgericht die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beantragen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Antrag nach Ablauf von sechs Monaten, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, nicht mehr gestellt werden kann (§ 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Diese Ausschlussfrist gilt auch bei Arglist des Arbeitgebers2. Demzufolge war bei Variante (2) am 24.8.2009 die Anfechtung des Aufhebungsvertrages zwar noch möglich; eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 1 KSchG analog ist dagegen ausgeschlossen, weil die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG mit dem 4.6.2009 endete. Bei Variante (1) wäre demgegenüber die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG Anfang März 2009 noch nicht abgelaufen, so dass ein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage entsprechend § 5 KSchG Erfolg hätte.
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Hinweis: Im Hinblick auf die nicht eindeutige Rechtslage sollte der Arbeitnehmer, der sich nach erfolgter Kündigung und hiergegen erhobener Kündigungsschutzklage außergerichtlich mit dem Arbeitgeber auf eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verständigt, zur Vermeidung der Folgen des § 7 KSchG stets darauf achten, dass die Aufhebungsvereinbarung im anhängigen Kündigungsschutzverfahren als Prozessvergleich protokolliert wird. In dem Fall bleibt – wie oben ausgeführt (s. Teil 1 Rz. 88, Teil 3 Rz. 124) – bei Unwirksamkeit oder erfolgreicher Anfechtung der Aufhebungsvereinbarung die Rechtshängigkeit des bisherigen Prozesses bestehen und das Verfahren ist fortzusetzen.
1 KR-Friedrich, § 5 KSchG Rz. 6. 2 LAG Hamm vom 29.10.1987 – 8 Ta 106/87, LAGE § 5 KSchG Nr. 33.
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Teil 4 Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz I. Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung Vor dem Hintergrund der Probleme, die betriebsbedingte Kündigungen, insbesondere im Hinblick auf die Sozialauswahl, mit sich bringen (vgl. Teil 1 Rz. 300, 322 ff.), bietet sich der Aufhebungsvertrag gerade im Rahmen von Betriebsänderungen und den damit häufig verbundenen Massenentlassungen als die gegenüber der Kündigung bessere Alternative an. Da die Betriebsänderung in der Regel mit dem Abschluss eines Sozialplanes verbunden ist1, hat ein ausscheidender Arbeitnehmer in der Regel bereits einen Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung. Insofern stellt sich dann die Frage, in welchem Verhältnis die sich aus dem Sozialplan ergebende Abfindung zu der sich aus einem Aufhebungsvertrag ergebenden Abfindung steht und ob gegebenenfalls Mitarbeiter, die einen Aufhebungsvertrag geschlossen haben, von den Sozialplanabfindungen ganz oder zumindest teilweise ausgeschlossen werden können. Daneben ist zu klären, welche Anreizwirkung ein Arbeitgeber setzen kann und darf, um einen möglichst zügigen und komplikationsfreien Personalabbau durch einvernehmliche Lösungen zu erreichen, um Kündigungsschutzprozesse zu vermeiden. Insoweit kommt die Möglichkeit einer zusätzlichen Abfindung außerhalb eines Sozialplans in Betracht, die unter dem Begriff „Turboprämie“ diskutiert wird.2
1 Unabhängig von den im Gesetz genannten und unten näher dargestellten Voraussetzungen einer Betriebsänderung setzt ein Sozialplan stets voraus, dass in dem von der Betriebsänderung betroffenen Betrieb im Zeitpunkt der Durchführung der Personalreduzierung bereits ein gewählter Betriebsrat besteht. Entschließt sich die Belegschaft erst in dem Zeitpunkt dazu, einen Betriebsrat zu wählen, in dem der Arbeitgeber bereits mit der Durchführung des Personalabbaus begonnen hat, kann dieser dann gewählte Betriebsrat die im Rahmen einer Betriebsänderung bestehenden Mitwirkungsrechte – insbesondere einen Sozialplan – nicht mehr geltend machen (BAG vom 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, AP Nr. 15 zu § 112 BetrVG 1972; BAG vom 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420). Von einer Durchführung des Personalabbaus kann nach herrschender Meinung allerdings erst dann gesprochen werden, wenn der Arbeitgeber bereits mit dem Ausspruch der Kündigungen begonnen hat; streitig. Besteht ein Unternehmen aus mehreren Betrieben und betrifft der Personalabbau nur einen einzigen dieser Betriebe, in dem kein Betriebsrat gewählt worden ist, so kann der Sozialplan nunmehr nicht vom Gesamtbetriebsrat durchgesetzt werden. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn der Personalabbau mehrere Betriebe betrifft oder der betroffene Betrieb nicht betriebsratsfähig ist, d.h. weniger als 5 wahlberechtigte Mitarbeiter hat. 2 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997; BAG vom 3.5.2006 – 4 AZR 189/05, NZA 2006, 1420; BAG vom 15.2.2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117; vgl. hierzu auch Gaul/Otto, ArbRB 2005, 344 ff.
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Teil 4 Rz. 2
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
1. Betriebsänderung a) Voraussetzungen einer Betriebsänderung 2 Was unter einer Betriebsänderung zu verstehen ist, definiert § 111 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Gemäß § 111 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ist hierunter beispielsweise die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen zu verstehen. Umstritten war in diesem Zusammenhang zunächst die Frage, ob unter den Tatbestand der Nr. 1 nur die Einschränkung sächlicher Betriebsmittel oder auch der bloße Personalabbau fällt, sofern von letzterem erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind. Das BAG hat diese Frage bereits früh bejaht und ausgeführt, dass die Betriebseinschränkung i.S.von § 111 BetrVG durch eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes gekennzeichnet sei1. Unerheblich sei insofern, ob die Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes auf einer Außerbetriebsetzung von Fertigungsanlagen bzw. einzelner Abteilungen oder auf einem erheblichen Personalabbau beruhe. 3 Dieser Ansicht des BAG hat sich im Jahre 1985 auch der Gesetzgeber angeschlossen. Im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes2 wurde § 112a BetrVG in das Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen, der die Erzwingbarkeit eines Sozialplans auch auf die Fälle erweiterte, in denen die Betriebsänderung „alleine in der Entlassung von Arbeitnehmern“ besteht, wenn die in § 112a BetrVG genannten Zahlen erreicht werden (s. Rz. 4). 4 Trotz der Einführung des § 112a BetrVG stellt das BAG hinsichtlich der Frage, wann erhebliche Teile der Belegschaft i.S. von § 111 BetrVG betroffen sind, nach wie vor auf die Zahlen und Prozentangaben des § 17 KSchG mit der Maßgabe ab, dass mindestens 5 % der gesamten Belegschaft betroffen sein müssen3. Der für § 17 KSchG maßgebliche Beurteilungszeitraum von 30 Tagen spielt allerdings für die Einordnung eines Personalabbaus als Betriebsänderung keine Rolle. Unerheblich ist darüber hinaus, ob die Personalreduzierung in einem einzigen Schritt oder stufenweise über einen längeren Zeitraum erfolgt, solange die einzelnen Entlassungswellen auf eine einheitliche Unternehmerentscheidung zurückzuführen sind4. Nach einer Entscheidung des LAG Köln vom 21.2.1997 stellt ein vom Unternehmen aufgestellter Rahmenplan über einen eventuellen Personalabbau noch keine einheitliche Unternehmerentscheidung dar, wenn zunächst nur einige Mitarbeiter entlassen werden, um die weitere Entwicklung abzuwarten5.
1 Vgl. BAG vom 22.5.1979 – 1 AZR 848/76, AP Nr. 3 zu § 111 BetrVG 1972; BAG vom 2.8.1983 – 1 AZR 516/81, AP Nr. 12 zu § 111 BetrVG 1972; BAG vom 7.8.1990 – 1 AZR 445/89, NZA 1991, 113; BAG vom 31.5.2007 – 2 AZR 254/06, NZA 2007, 1307. 2 Gesetz vom 26.4.1985, BGBl. I 1985 S. 710. 3 Vgl. BAG vom 21.10.1980 – 1 AZR 145/79, AP Nr. 8 zu § 111 BetrVG 1972; BAG vom 7.8.1990 – 1 AZR 445/89, NZA 1991, 113. 4 Vgl. BAG vom 8.6.1989 – 2 AZR 624/88, AP Nr. 6 zu § 17 KSchG 1969; LAG Düsseldorf vom 14.5.1986 – 6 Ta BV 18/86, LAGE § 111 BetrVG Nr. 4. 5 Vgl. LAG Köln vom 21.2.1997 – 11 Sa 271/96, DStR 1997, 1380.
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Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung Notwendige Entlassungen für:
Rz. 6 Teil 4
§ 17 KSchG
§ 112a BetrVG
21–59 AN:
6 AN
20 %, mind. 6 AN
60–249 AN:
10 % od. 26 AN
20 % od. 37 AN
250–499 AN:
10 % od. 26 AN
15 % od. 60 AN
>500 AN:
30 AN
10 % od. 60 AN
in Betrieben mit
Ein Betriebsübergang i.S. von § 613a BGB stellt nach h.M. in Rechtsprechung1 und Literatur2 als solcher keine Betriebsänderung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes dar, da der Begriff der Betriebsänderung voraussetzt, dass sich konkrete Änderungen der betrieblichen Arbeitsorganisation bzw. Eingriffe in die Betriebsidentität ergeben, während der Wechsel des Arbeitgebers die Betriebsorganisation gerade unverändert lässt, so dass eine derartige Maßnahme auch nicht sozialplanpflichtig ist. Die Rechte der Arbeitnehmer werden hier durch § 613a BGB umfassend gesichert. Etwas anderes gilt regelmäßig für den Teilbetriebsübergang, da dieser grundsätzlich mit einer Spaltung des Ausgangsbetriebs einhergeht und damit einen Tatbestand der Betriebsänderung nach § 111 BetrVG erfüllt. Ist der Betriebsübergang nach § 613a BGB aber mit Maßnahmen verbunden, die als solche einen der Tatbestände des § 111 Satz 3 BetrVG erfüllen, so stehen dem Betriebsrat die Beteiligungsrechte der §§ 111, 112 BetrVG zu3.
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b) Unterrichtungspflichten aa) Betriebsrat Liegt eine Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG vor, so ist diese Maßnahme nur mit Beteiligung des Betriebsrates, sofern ein solcher besteht und in dem Unternehmen noch mindestens 21 Mitarbeiter beschäftigt sind4, durchzufüh1 Vgl. BAG vom 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, DB 2000, 2329; BAG vom 24.7.1979 – 1 AZR 219/77, DB 1980, 164; BAG vom 17.3.1987 – 1 ABR 47/85, AP Nr. 18 zu § 111 BetrVG 1972. 2 Vgl. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 49 ff.; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 111 BetrVG Rz. 55; Richardi, § 111 BetrVG Rz. 84; a.A. Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, § 111 BetrVG Rz. 94; GK-Fabricius, § 111 BetrVG Rz. 296; Weber/Ehrich/Hörchens, Handbuch des Betriebsverfassungsrechts, Teil J Rz. 20. 3 BAG vom 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, DB 2000, 2329. 4 Hinsichtlich der Feststellung der Zahl der in der Regel in dem betroffenen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer siehe die Ausführungen des BAG (noch zum Betrieb) in der Entscheidung vom 9.5.1995 – 1 ABR 51/94, AP Nr. 33 zu § 111 BetrVG 1972. Hier hatte sich das BAG mit der Frage auseinander zu setzen, inwieweit auch ein bereits vor der Stilllegung durchgeführter schrittweiser Personalabbau bei der Feststellung der Anzahl der regelmäßig beschäftigten Mitarbeiter zu berücksichtigen ist. Das BAG differenziert insofern wie folgt: „a) Erweist er [= vorhergehender Personalabbau] sich im Zeitpunkt des Stilllegungsbeschlusses rückblickend als Vorstufe der Betriebsstilllegung, die damit in der Form
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Teil 4 Rz. 7
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
ren. Der Betriebsrat ist nicht nur rechtzeitig und umfassend über die geplante Maßnahme zu unterrichten, sondern sie ist darüber hinaus vor ihrer Durchführung mit ihm zu beraten. Die Pflicht zur Information des Betriebsrates beginnt in dem Zeitpunkt, in dem sich die Geschäftsleitung des Unternehmens entschlossen hat, die von ihr geplante Maßnahme grundsätzlich durchzuführen. Fehlt im Zeitpunkt der Entscheidung noch die Genehmigung eines Beirates, Aufsichtsrates oder der Gesellschafterversammlung, so ist dies für die Auslösung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates unbedeutend, da es für § 111 BetrVG alleine auf den Beschluss der Geschäftsleitung/des Vorstandes ankommt1. Während des Stadiums der bloßen Vorüberlegungen innerhalb der Geschäftsleitung, ob eine bestimmte Änderung der betrieblichen Organisationsstruktur grundsätzlich vorgenommen werden soll, besteht hingegen noch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, so dass dieser im Planungsstadium noch keine Beteiligungsrechte reklamieren kann2. 7 Sind von einer Betriebsänderung mindestens zwei Betriebe eines Unternehmens betroffen, so sind grundsätzlich nicht die einzelnen Betriebsräte, sondern der Gesamtbetriebsrat für die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan zuständig. Verhandelt der Arbeitgeber mit dem falschen Gremium, so droht ihm die Verurteilung zu einem Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG bei denjenigen Arbeitnehmern, die ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige Nachteile durch die Betriebsänderung erleiden3. 8
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Hinweis: Dem Arbeitgeber ist deshalb zu empfehlen, die in Betracht kommenden Arbeitnehmervertretungen zur Klärung der Zuständigkeitsfrage bei Zweifeln über den zuständigen Verhandlungspartner aufzufordern. Verhandelt er mit der Arbeitnehmervertretung, die ihm gegenüber von den in Betracht kommenden betriebsverfassungsrechtlichen Organen übereinstimmend als zuständig bezeichnet wurde, liegt ein dem Sanktionszweck des § 113 Abs. 2 BetrVG genügender Versuch eines Interessenausgleichs vor4.
bb) Sprecherausschuss 9 Da gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG die leitenden Angestellten nicht durch den Betriebsrat repräsentiert werden, hat der Arbeitgeber im Hinblick auf diese Arbeitnehmergruppe den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten ähnlich
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eines gleitenden Übergangs eingeleitet wurde, so bleibt er außer Betracht; maßgebend ist die ursprüngliche Beschäftigtenzahl. b) Sollte die Personalverminderung dagegen eine Fortführung des Betriebs ermöglichen und hat sie für eine nicht unerhebliche Zeit zu einer Stabilisierung der Belegschaftsstärke auf niedrigerem Niveau geführt, so ergibt sich die Zahl der in der Regel Beschäftigten aus der Belegschaftsstärke dieser Zwischenstufe.“ Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, § 111 BetrVG Rz. 129 m. w. Nachw.; Weber/Ehrich/Hörchens, Handbuch Betriebsverfassungsrecht, Teil J Rz. 49. Stege/Weinspach, §§ 111–113 BetrVG Rz. 14; HWK-Hohenstatt/Willemsen, § 111 BetrVG Rz. 60. Vgl. BAG vom 24.1.1996 – 1 AZR 542/95, AP Nr. 16 zu § 50 BetrVG 1972. BAG vom 24.1.1996 – 1 AZR 542/95, AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972.
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Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung
Rz. 13 Teil 4
wie den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme auf die leitenden Angestellten zu unterrichten. Nach dem Sprecherausschussgesetz ist in Betrieben mit in der Regel mindestens zehn leitenden Angestellten ein Sprecherausschuss zu wählen. cc) Wirtschaftsausschuss Der nach § 106 BetrVG in Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern zu bildende Wirtschaftsausschuss hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu informieren. Gemäß § 106 Abs. 3 BetrVG gehören zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten insbesondere:
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– die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens; – die Produktions- und Absatzlage; – das Produktions- und Investitionsprogramm; – Rationalisierungsvorhaben; – Fabrikations- und Arbeitsmethoden, insbesondere die Einführung neuer Arbeitsmethoden; – Fragen des betrieblichen Umweltschutzes; – die Einschränkung oder Stilllegung von Betrieben oder Betriebsteilen; – die Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen; – der Zusammenschluß oder die Spaltung von Unternehmen oder Betrieben; – die Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks; – die Übernahme des Unternehmens, wenn hiermit der Erwerb der Kontrolle verbunden ist, sowie – sonstige Vorgänge und Vorhaben, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren können. Zu den Unterlagen, die dem Wirtschaftsausschuss vorgelegt werden müssen gehören beispielsweise: Berichte, Vorschläge, Pläne und Analysen zur Verbesserung der Arbeitsmethoden, Organisations- und Rationalisierungspläne, Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Erfolgsberechnungen, Betriebsstatistiken, Investitionsplanungen und Marktanalysen.
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dd) Agentur für Arbeit Neben den zuvor erwähnten innerbetrieblichen Gremien hat der Arbeitgeber die örtliche Agentur für Arbeit vor Durchführung der Betriebsänderung in bestimmten Fällen rechtzeitig zu informieren.
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Gemäß § 17 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Ar- 13 beit anzuzeigen, wenn er innerhalb von 30 Kalendertagen Mitarbeiter in der in dieser Vorschrift genannten Größenordnung entlässt. Kündigungen, die ohFröhlich
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Teil 4 Rz. 14
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
ne eine entsprechende Anzeige an die Agentur für Arbeit erfolgen, sind gemäß § 18 KSchG unwirksam. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut fallen nicht nur Kündigungen, sondern auch sonstige vom Arbeitgeber veranlasste Beendigungen – insbesondere Aufhebungsverträge – unter die Sperrwirkung des § 17 KSchG. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er verstärkt auf den Beendigungszeitpunkt der von ihm ausgesprochenen Kündigungen bzw. abgeschlossenen Aufhebungsverträge achten muss, wenn er vermeiden will, dass sämtliche Kündigungen bzw. Aufhebungsverträge wegen der fehlenden Anzeige an die Agentur für Arbeit unwirksam werden. § 17 KSchG ist insbesondere dann im Auge zu behalten, wenn der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, ein Anstellungsverhältnis unter Einhaltung einer bestimmten Ankündigungsfrist vorzeitig zu beenden1. Hier droht dem Unternehmen die Gefahr, dass ggf. erst durch die Handlung eines Dritten die Voraussetzungen für eine anzeigepflichtige Massenentlassung entstehen. 14 Die Anzeige an die Agentur für Arbeit hat auf einem dafür vorgesehenen Formular zu erfolgen. Der Anzeige ist eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat über die vorgesehene Massenentlassung beizufügen. Gemäß § 17 Abs. 2 KSchG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über folgende Punkte im Zusammenhang mit einer geplanten Massenentlassung i.S. von § 17 KSchG informieren: – die Gründe für die geplanten Entlassungen, – die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, – die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, – den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, – die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, – die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Die Information an den Betriebsrat hat mindestens zwei Wochen vor der Erstattung der Anzeige bei der Agentur für Arbeit zu erfolgen. Der Anzeige ist dann eine Stellungnahme des Betriebsrates beizufügen. Gibt der Betriebsrat keine Stellungnahme ab, so reicht es aus, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat rechtzeitig informiert hat und der Agentur für Arbeit gegenüber den Stand der Beratungen darlegt2. 15 Folge einer Massenentlassungsanzeige ist, dass die Kündigungen vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit 1 Siehe oben Musterverträge Teil 2 Rz. 389 f. 2 Bei Konzernunternehmen ist hier zu beachten, dass die Auskunfts-, Beratungs- und Anzeigepflichten nach § 17 KSchG auch dann bestehen, wenn die Entscheidung über die Entlassungen von der Konzernobergesellschaft getroffen wurden. Das Unternehmen kann sich nach dem eindeutigen Wortlaut nicht darauf berufen, dass das für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen die erforderlichen Auskünfte nicht mitgeteilt hat.
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Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung
Rz. 16 Teil 4
ausdrücklicher Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam werden. Im Einzelfall kann diese so genannte Sperrfrist durch die Agentur für Arbeit auf bis zu zwei Monate ausgedehnt werden. Nach Ablauf der Sperrfrist müssen die beantragten Entlassungen gemäß § 18 Abs. 4 KSchG innerhalb einer Frist von 90 Tagen durchgeführt werden. Hinsichtlich dieser Durchführung ist seit der so genannten Junk-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.1.2005 eine Rechtsprechungswende zu beachten. Seit dieser Entscheidung des EuGH1 und der dem folgenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts2 ist unter dem Begriff der Entlassung in §§ 17, 18 KSchG der Ausspruch der Kündigungen und nicht mehr die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber, der einen Personalabbau plant, auf der Grundlage der Belegschaftsstärke zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigungen prüfen muss, ob die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschritten sind und eine anzeigepflichtige Massenentlassung vorliegt. Bejahendenfalls hat er hierüber zunächst den Betriebsrat und dann die Agentur für Arbeit zu unterrichten. Nach § 18 Abs. 1 KSchG werden anzeigepflichtige Massenentlassungen nicht vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam, sofern die Agentur für Arbeit dem nicht ausdrücklich zustimmt. Nach § 18 Abs. 2 KSchG kann die Agentur für Arbeit im Einzelfall bestimmen, dass die Entlassungen nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach Eingang der Anzeige wirksam werden.
2. Sozialplan Im Falle einer Betriebsänderung i.S. von § 111 BetrVG kann der Betriebsrat in Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmern gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG die Aufstellung eines Sozialplanes erzwingen. Der Sozialplan regelt anders als ein Interessenausgleich nicht das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung, sondern regelt vielmehr deren Folgen, die für die Betroffenen sozial verträglich gestaltet werden sollen. Sozialplanansprüche sind nach der Rechtsprechung des BAG ihrem Zweck nach keine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern dienen einzig und allein als Ausgleich bzw. Milderung für die wirtschaftlichen Nachteile, die der Arbeitnehmer infolge der geplanten Betriebsänderung erleidet3. Falls sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einvernehmlich auf einen bestimmten Sozialplan einigen, so kann jede Seite die Einigungsstelle anrufen, deren Spruch dann gemäß § 112 Abs. 4 Satz 2 BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt. Beabsichtigt der Unternehmer, einen Betrieb stillzulegen, in dem ein Betriebsrat besteht, ohne zuvor mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan verhandelt zu haben, so entfällt dessen Anspruch auf Aufstellung eines Sozialplans nicht dadurch, dass der Betriebsrat nunmehr wegen Stilllegung des Betriebes nicht mehr existiert. Zwar erlischt mit Stilllegung des Betriebes auch das Betriebsratsamt, doch wurde schon bislang von der Rechtsprechung für 1 EuGH vom 27.1.2005, Slg. 2005, I 885, DB 2005, 454. 2 BAG vom 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971. 3 Vgl. BAG vom 9.11.1994 – 10 AZR 281/94, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972; BAG vom 6.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 232.
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Teil 4 Rz. 17
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
die Verhandlungen über die Aufstellung eines Sozialplanes dem Betriebsrat ein so genanntes „Restmandat“ zuerkannt, da andernfalls der Arbeitgeber durch bloße Verweigerung von Verhandlungen vor und während der Betriebsstilllegung die Aufstellung eines Sozialplanes verhindern könnte1. Seit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 ist in § 21b BetrVG das Restmandat ausdrücklich anerkannt. 17 Sinn und Zweck eines Sozialplanes besteht in erster Linie darin, wie oben bereits dargestellt, einen Ausgleich für die wirtschaftlichen Nachteile der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer zu schaffen. Von daher wird bei Sozialplanverhandlungen das Hauptaugenmerk auf die Regelungen über die Berechnung der Abfindung für die einzelnen Arbeitnehmer gelegt. Hinsichtlich der Frage, auf welche Art und Weise die Abfindung für die Arbeitnehmer berechnet wird, steht den Betriebspartnern, die hinsichtlich der Frage, welche Nachteile sie ausgleichen oder mildern wollen, grundsätzlich frei sind2, ein weiter Gestaltungsspielraum zu3. Im Rahmen dieses Gestaltungsspielraumes müssen die Betriebspartner lediglich den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten und im Falle von Differenzierungen sachliche Gründe vorweisen können4. Hinsichtlich der Regelung von Abfindungsformeln im Sozialplan ist jüngst die Problematik von Höchstbetragsklauseln bzw. anspruchsbeschränkender Berücksichtigung etwaiger Rentennähe vor dem Hintergrund der europäischen Diskriminierungsrichtlinien (insbesondere RL 2000/78/EG) und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskutiert worden. Dabei ist § 10 AGG, der im Wesentlichen auf Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 beruht und deren Umsetzung dient5, richtlinienkonform auszulegen. Dabei kann sich eine besondere Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters aus § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG ergeben, der Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen erlaubt, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben. Dazu müssen die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sein, wobei die gesetzliche Regelung sogar den Ausschluss von Leistungen des Sozialplans erlaubt, wenn die Beschäftigten gesetzlich abgesichert sind, weil sie, ggf. unterbrochen durch eine Phase des Bezugs von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind. Mit dieser Norm hat sich der Gesetzgeber erkennbar an der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts orientiert6. Das Ziel, eine wirtschaftliche Absicherung rentennaher Jahrgänge bei der Abfindungsbemessung anspruchsbeschränkend zugunsten weniger gut abgesicherter jüngerer Arbeitnehmer zu berücksichtigen, ist daher legitim i.S. von 1 Vgl. BAG vom 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, AP Nr. 63 zu § 112 BetrVG 1972; BAG vom 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, NZA 2001, 849; BAG vom 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, NZA 2002, 109. 2 BAG vom 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, NZA 2000, 1069. 3 BAG vom 14.8.2001 – 1 AZR 760/00, NZA 2002, 451. 4 Vgl. BAG vom 28.10.1992 – 10 AZR 489/91, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 66. 5 BT-Drucks. 16/1780, S. 36. 6 BAG vom 19.10.1999 – 1 AZR 838/98, NZA 2000, 723.
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Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung
Rz. 17 Teil 4
§ 10 AGG und auch Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG1. Auch eine Altersdifferenzierung ist danach möglich, solange ein legitimes Ziel angeführt werden kann. Zu den Eckpunkten eines Sozialplanes, die grundsätzlich beachtet werden sollten, gehören insbesondere: – Deckelung der individuellen Abfindung, d.h. dass der Sozialplan hinsichtlich der Abfindung Höchstbegrenzungsklauseln enthält, die die Abfindung unabhängig von der im Sozialplan enthaltenen Formel begrenzt; – Differenzierung zwischen einzelnen Arbeitnehmergruppen; der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet nicht, aus sachlichen Gründen zwischen einzelnen Arbeitnehmergruppen zu differenzieren. Hieraus folgt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten insbesondere, dass für Arbeitnehmer aus „rentennahen Jahrgängen“ eine andere Regelung gefunden werden kann, als für die übrigen Mitarbeiter2; – Verhinderung von zweifachen Abfindungen; um zu verhindern, dass das Unternehmen unter bestimmten Umständen doppelt zahlen muss, muss in dem Sozialplan klargestellt werden, dass die Sozialplanabfindung mit einer im Kündigungsschutzverfahren erstrittenen Abfindung verrechnet wird; – Persönlicher Geltungsbereich; der Sozialplan sollte nicht nur festlegen, für welche Maßnahme er gilt, sondern darüber hinaus auch, welche Mitarbeiterkreise unter den Sozialplan fallen sollen; – Verfallklausel; sofern auf die Arbeitsverhältnisse kein Tarifvertrag3 mit entsprechender Verfallklausel Anwendung findet, kann der Sozialplan selbst bestimmen, dass Ansprüche aus diesem Sozialplan innerhalb von beispielsweise drei Monaten geltend zu machen sind; bei Versäumnis dieser Frist verfallen die Ansprüche; – Regelung von Aufhebungsverträgen und Eigenkündigungen; um spätere Auseinandersetzungen über die Berechtigung bezüglich des Bezuges einer Abfindung aus dem Sozialplan zu vermeiden, sollte der Sozialplan von vornherein im Rahmen der diesbezüglichen Rechtsprechung des BAG klar regeln, inwieweit Mitarbeiter, die eine Eigenkündigung ausgesprochen oder einen Aufhebungsvertrag geschlossen haben, von den Leistungen des Sozialplanes ausgeschlossen sind bzw. inwieweit Leistungen des Sozialplanes gegenüber diesen Mitarbeitern gemindert werden4; 1 Körner, NZA 2008, 497 (502). 2 Vgl. BAG vom 26.7.1988 – 1 AZR 156/87, AP Nr. 45 zu § 112 BetrVG 1972, wonach es zulässig ist, diejenigen Arbeitnehmer von Sozialplanabfindungen auszuschließen, die vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen können. Hessisches LAG vom 23.10.2007 – 4/11 Sa 2089/06, juris; LAG Berlin-Brandenburg vom 20.11.2007 – 19 Sa 1416/07, AE 2008, 124. 3 Nach Auffassung des BAG sind auch Ansprüche aus einem Sozialplan innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist geltend zu machen; vgl. BAG vom 30.11.1994 – 10 AZR 79/94, AP Nr. 88 zu § 112 BetrVG 1972. 4 Vgl. unten Rz. 19.
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17a
Teil 4 Rz. 17
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
– Stichtagsregelung; nach der Rechtsprechung des BAG ist es darüber hinaus zulässig, im Sozialplan festzulegen, dass nur diejenigen Mitarbeiter Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialplan haben, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem ungekündigten Anstellungsverhältnis gestanden haben. Eine derartige Regelung setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber bis zu diesem Stichtag selbst noch keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen hat. Nach Auffassung des BAG verstößt eine derartige Stichtagsregelung nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 BetrVG, wenn sich die Wahl des Zeitpunktes am gegebenen Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar ist. Im Übrigen ist jeder Stichtagsregelung immanent, dass sie gewisse Härten in sich birgt1; – Hinweis auf Pfändbarkeit der Sozialplanabfindung, so dass die betroffenen Arbeitnehmer rechtzeitig beim Amtsgericht gemäß § 850i ZPO Pfändungsschutz beantragen können2; – keine Abfindung bei Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzes (weiter Vermittlungsbegriff)3; – keine Abfindung aus Sozialplan bei Aufhebungsvertrag und Tod des Arbeitnehmers vor Beendigungsdatum4. Abgesehen von diesen beachtenswerten Eckpunkten eines Sozialplans ist es unbedingt zu empfehlen, die Variablen in der üblicherweise im Sozialplan enthaltenen Formel zur Berechnung der Sozialplanabfindung klar zu definieren, um spätere Streitigkeiten über die richtige Berechnung der Abfindungshöhe zu vermeiden. Wegen der in § 77 Abs. 4 BetrVG geregelten grundsätzlichen Unverzichtbarkeit auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung5 schützen auch Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrag regelmäßig nicht vor Folgestreitigkeiten bei unklaren Regelungen, es sei denn, sie beinhalten auch einen so genannten Tatsachenvergleich, nach dem Einigkeit über die zutreffende Berechnung besteht. 17b
Wenn leitende Angestellte i.S. des § 5 Abs. 3 BetrVG von der Betriebsänderung betroffen sind und in deren Folge wirtschaftliche Nachteile erleiden, sind diese von einem Sozialplan nach § 112 BetrVG regelmäßig nicht erfasst. Insbesondere kann der Betriebsrat insoweit mangels Zuständigkeit keinen Sozialplan erzwingen. Der Arbeitgeber hat hier aber mit dem Sprecherausschuss nach § 32 SprAuG über Maßnahmen zum Ausgleich oder zur Milderung der Nachteile zu beraten. Es besteht hier jedoch keine Verpflichtung zum Abschluss von Vereinbarungen, die dem Sozialplan nach § 112 BetrVG entsprechen. Der Arbeitgeber kann daher im Grundsatz frei darüber befinden, ob er Einzelvereinbarungen in Anlehnung an den Sozialplan abschließen möchte. 1 2 3 4 5
Vgl. BAG vom 30.11.1994 – 10 AZR 578/93, AP Nr. 89 zu § 112 BetrVG 1972. Vgl. BAG vom 13.11.1991 – 4 AZR 20/91, AP Nr. 13 zu § 850 ZPO. Vgl. BAG vom 19.9.1996 – 10 AZR 23/96, AP Nr. 102 zu § 112 BetrVG 1972. Vgl. BAG vom 25.9.1996 – 10 AZR 311/96, AP Nr. 105 zu § 112 BetrVG 1972. Nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG hat der Sozialplan die Wirkung einer Betriebsvereinbarung, so dass ein Verzicht auf eingeräumte Rechte wegen § 77 Abs. 4 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam ist.
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Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung
Rz. 19 Teil 4
Insoweit gelten die §§ 145 ff. BGB, und das Zustandekommen des Aufhebungsvertrages mit Abfindungsabrede richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist im Verhältnis zu dem Sozialplan unterfallenden Arbeitnehmern i.S. des § 5 Abs. 1 BetrVG nicht einschlägig. Er könnte allenfalls im Verhältnis zu anderen leitenden Angestellten in Betracht kommen.
3. Aufhebungsvertrag a) Aufhebungsvertrag als Entlassung Wie oben dargestellt hängt die Frage, ob bei einem reinen Personalabbau ein Sozialplan erzwungen werden kann, davon ab, wieviele Mitarbeiter entlassen werden. Da das Gesetz in § 112a BetrVG von Entlassungen spricht, könnte man zunächst auf den Gedanken kommen, den Personalabbau nur teilweise durch betriebsbedingte Kündigung durchzuführen, um auf diese Art und Weise die für einen Sozialplan notwendigen Zahlen zu unterschreiten. Da der Gesetzgeber diese Umgehungsmöglichkeit gesehen hatte, bestimmte er in § 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG, dass als Entlassung auch der vom Arbeitgeber aus Gründen der Betriebsänderung veranlasste Aufhebungsvertrag gilt. Für den Betriebsrat stellt sich insofern jedoch das Problem, dass er nur über die Kündigungen im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG informiert wird, da es bei Aufhebungsverträgen kein Beteiligungsrecht des Betriebsrates gibt.
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b) Ausschluss im Sozialplan In einem Sozialplan wird unter der Rubrik „Persönlicher Geltungsbereich“ 19 vielfach bestimmt, dass nur diejenigen Mitarbeiter eine Abfindung erhalten, die aufgrund betriebsbedingter, arbeitgeberseitiger Kündigung aus dem Anstellungsverhältnis ausscheiden. Derartige Regelungen sieht das BAG grundsätzlich als Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 BetrVG an1. Enthält der Sozialplan somit keinerlei Regelung bezüglich derjenigen Mitarbeiter, die mittels Aufhebungsvertrag ausgeschieden sind, so ist nach betriebsverfassungsrechtskonformer Auslegung des Sozialplanes davon auszugehen, dass auch diese Mitarbeiter Anspruch auf die aus dem Sozialplan resultierende Abfindung haben, wenn die Eigenkündigung oder der Aufhebungsvertrag vom Arbeitgeber veranlasst worden ist. Eine Veranlassung in diesem Sinne wird von der Rechtsprechung allerdings nur dann angenommen, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter „im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung bestimmt, selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen, um so eine sonst notwendig werdende Kündigung zu vermeiden. Ein bloßer Hinweis des Arbeitgebers auf eine unsichere Lage des Unternehmens, auf notwendig werdende 1 Vgl. BAG vom 28.4.1993 – 10 AZR 222/92, AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972; BAG vom 20.4.1994 – 10 AZR 323/94, AP Nr. 77 zu § 112 BetrVG 1972; BAG vom 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, AP Nr. 96 zu § 112 BetrVG 1972.
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Teil 4 Rz. 20
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
Betriebsänderungen oder der Rat, sich eine neue Stelle zu suchen, genügt nicht“1. Für die im Einzelfall zu beantwortende Frage der arbeitgeberseitigen Veranlassung der Eigenkündigung bzw. des Aufhebungsvertrages kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bzw. des Abschlusses des Aufhebungsvertrages auf Grund der Erklärungen des Arbeitgebers davon ausgehen musste, er werde möglicherweise durch die ihm in Umrissen dargelegte Betriebsänderung und den damit auch in seinem Tätigkeitsbereich zu erwartenden Personalabbau betroffen2. 20 Vor diesem Hintergrund ist daher den Betriebspartnern zu raten, für derartige Fälle Sonderregelungen in den Aufhebungsvertrag aufzunehmen. Als wirksam wurde von der Rechtsprechung des BAG beispielsweise folgende Klausel in einem Sozialplan angesehen3:
Formulierungsbeispiel Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte Kündigung oder durch nach dem 20.12.1990 abgeschlossene Beendigungsvereinbarung endet bzw. geendet hat, erhalten eine volle Abfindung. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch eine nach dem 8.10.1990, aber vor dem 20.12.1990 geschlossene Beendigungsvereinbarung endet bzw. geendet hat, erhalten 50 % der im Folgenden angesetzten Abfindung. Auf diese Abfindungen werden bereits in den Aufhebungsverträgen vereinbarte Abfindungen angerechnet.
21 In den Fällen, in denen der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran nachweisen kann, dass kein Mitarbeiter vor dem vorgesehenen Stilllegungstermin ausscheidet, ist es nach der Rechtsprechung des BAG sogar zulässig, Mitarbeiter, die durch Eigenkündigung bzw. durch Aufhebungsvertrag vorzeitig ausscheiden, ganz von den Abfindungszahlungen des Sozialplanes auszunehmen4. c) Begrenzte Wirkung der Ausgleichsklausel 22 Wie oben in Teil 2 unter Rz. 369 ff. erläutert, gehört zu den wesentlichen Bestandteilen eines Aufhebungsvertrages die so genannte Ausgleichsklausel. Durch die Ausgleichsklausel soll vermieden werden, dass im Anschluss an die einvernehmliche Beendigung des Anstellungsverhältnisses zwischen den Parteien Streit über weitere mögliche Ansprüche entsteht. Der Schutz einer
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Vgl. BAG vom 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, AP Nr. 96 zu § 112 BetrVG 1972. BAG vom 17.4.1996 – 10 AZR 560/95, ArbuR 1996, 408. Vgl. BAG vom 24.11.1993 – 10 AZR 311/93, AP Nr. 72 zu § 112 BetrVG 1972. Vgl. BAG vom 9.11.1994 – 10 AZR 281/94, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972.
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Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung
Rz. 23 Teil 4
derartigen Ausgleichsklausel ist jedoch nicht grenzenlos. Gerade im Zusammenhang mit Sozialplanansprüchen entfaltet eine derartige Ausgleichsklausel in der Regel keinerlei Wirkung. Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG hat der Sozialplan die Wirkung einer Betriebsvereinbarung. Dies bedeutet, dass auch auf einen Sozialplan die für die Betriebsvereinbarung geltenden Vorschriften anzuwenden sind. Gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG darf ein Arbeitnehmer nur mit Zustimmung des Betriebsrates auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung verzichten. Fehlt diese Zustimmung, so ist der Verzicht unwirksam. Die in einem Aufhebungsvertrag enthaltene Ausgleichsklausel bezüglich anderweitiger, im Vertrag nicht geregelter Ansprüche stellt nichts anderes als den Verzicht auf den Anspruch aus dem Sozialplan dar. Da der Aufhebungsvertrag in der Regel nur vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer unterzeichnet wird, fehlt es somit an der Zustimmung des Betriebsrates bezüglich der Verzichtserklärung des Mitarbeiters, so dass die Ausgleichsklausel im Hinblick auf die Sozialplanabfindung keinerlei Wirkung entfalten kann1. Die Tatsache, dass der Personalleiter in den individuellen Aufhebungsvereinbarungen des Unternehmens wirtschaftlich günstigere Konditionen erzielt hat, als ihm dies in den Verhandlungen mit dem Betriebsrat im Rahmen des Sozialplanes gelungen ist, ist somit für das Unternehmen letztendlich bedeutungslos, da es verpflichtet ist, den Mitarbeitern die Differenz zwischen der sich aus dem Aufhebungsvertrag und der sich aus dem Sozialplan ergebenden Abfindung zu zahlen2. Im umgekehrten Fall, d.h., die im Aufhebungsvertrag ausgehandelte Abfindung ist höher als die im Sozialplan festgelegte Abfindung, besteht im Übrigen kein Rückforderungsrecht des Arbeitgebers, da es an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage fehlt; denn der Sozialplan gewährt nur dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung der dort festgelegten Abfindung. Als Fazit aus der oben beschriebenen Rechtsprechung des BAG lässt sich für die Arbeitgeberseite daher festhalten, dass der Arbeitgeber, der bei Abfindungen im Vorfeld des Sozialplanes erfolgreich gepokert hat, anschließend im Sozialplan nicht vergessen darf, Regelungen hinsichtlich dieser Mitarbeiter zu treffen. Vergisst er diese Mitarbeiter, kann dies ggf. zu erheblichen Nachzahlungen für das Unternehmen führen und das Abfindungsvolumen in nicht vorhergesehene Höhe treiben. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber mit älteren Arbeitnehmern sog. Frühpensionierungsvereinbarungen geschlossen hat und von daher die Abfindung unter Berücksichtigung von Alter und Beschäftigungszeit relativ gering ist. Wird nunmehr im Sozialplan vergessen, diese Frühpensionierungsregelung einschließlich des persönlichen Geltungsbereiches aufzunehmen, so haben die älteren Mitarbeiter ebenfalls Anspruch auf die „normale“ Abfindung, was im Regelfall für den Arbeitnehmer wesentlich günstiger ist.
1 Zulässig soll nach der Rechtsprechung des BAG nur ein so genannter Tatsachenvergleich sein, d.h. eine einvernehmliche Festschreibung von Tatsachen; BAG vom 31.7.1996 – 10 AZR 138/96, AP Nr. 63 zu § 77 BetrVG 1972. 2 Vgl. BAG vom 28.4.1993 – 10 AZR 222/92, AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972; BAG vom 20.4.1994 – 10 AZR 323/94, AP Nr. 77 zu § 112 BetrVG 1972.
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Teil 4 Rz. 24
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
d) Anspruch auf Aufhebungsvertrag 24 Ein Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages besteht grundsätzlich nicht, da es sich hierbei um eine Individualvereinbarung handelt. Unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann ein Mitarbeiter jedoch ausnahmsweise dann einen Anspruch auf Zahlung einer freiwilligen Abfindung haben, wenn der Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsänderung freiwillig an seine ausscheidenden Arbeitnehmer eine Abfindung zahlt. Eine derartige Fallkonstellation dürfte immer dann in Betracht kommen, wenn der Personalabbau entweder nicht sozialplanpflichtig ist oder wenn es in dem betroffenen Betrieb keinen Betriebsrat gibt. Gewährt der Arbeitgeber in diesem Fall der Mehrzahl seiner ausscheidenden Mitarbeiter eine freiwillige Abfindung, so sind diese Leistungen gemäß § 242 BGB nach dem vom Arbeitgeber bestimmten Verteilungsschlüssel am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der Betriebsänderung für verschiedene Arbeitnehmergruppen gleich oder zumindest vergleichbar, so darf das Unternehmen nicht willkürlich der einen Gruppe eine Abfindung zahlen und die andere Gruppe von derartigen Leistungen ausnehmen1. e) Nachbesserungsklausel 25 Plant ein Unternehmen einen größeren Personalabbau, so wird es neben den Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan häufig auch Einzelgespräche mit Mitarbeitern bezüglich einer einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses führen. Werden die Gespräche über einen Aufhebungsvertrag vor den Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat abgeschlossen, so kann in den Aufhebungsvertrag eine so genannte „Nachbesserungsklausel“ aufgenommen werden. Sinn und Zweck dieser Klausel ist es, dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachzahlung zu gewähren, falls der Sozialplan eine höhere Abfindung als der Aufhebungsvertrag enthält. Die Nachbesserungsklausel kann von den Betriebspartnern nach der Rechtsprechung des BAG nicht dadurch umgangen werden, dass der zeitliche Geltungsbereich des Sozialplans so gestaltet wird, dass der Arbeitnehmer nicht mehr unter den Sozialplan fällt2. Enthält der Sozialplan allerdings eine Regelung für Arbeitnehmer, die eine Aufhebungsvereinbarung im Vorfeld unterzeichnet haben, wonach diese Mitarbeiter eine geringere Sozialplanabfindung erhalten, so führt die Nachbesserungsklausel jetzt nicht dazu, dass dem Arbeitnehmer die gleiche Abfindung zusteht wie Mitarbeitern, denen betriebsbedingt gekündigt wurde3. Zweck der Nachbesserungsklausel ist nur, zu verhindern, dass der Mitarbeiter aus dem zeitlichen Geltungsbereich des Sozialplans herausfällt. Im Übrigen kann die Klausel nicht in den Sozialplan eingreifen.
1 Vgl. BAG vom 25.11.1993 – 2 AZR 324/93, AP Nr. 114 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG vom 8.3.1995 – 5 AZR 869/93, AP Nr. 123 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 2 BAG vom 6.8.1997 – 10 AZR 66/97, AP Nr. 116 zu § 112 BetrVG 1972. 3 BAG vom 6.8.1997 – 10 AZR 66/97, AP Nr. 116 zu § 112 BetrVG 1972.
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Aufhebungsvertrag bei Betriebsänderung
Rz. 27 Teil 4
f) „Turboprämie“ Leistungen in Sozialplänen i.S. des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dürfen nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden1, was gleichermaßen für einen im Sozialplan selbst geregelten Abfindungszuschlag bei Klageverzicht gilt2. Hintergrund hierfür ist der Zweck des Sozialplans, die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer infolge der geplanten Betriebsänderung auszugleichen bzw. zu mildern, was nicht im Sinne einer Bereinigungsfunktion dem arbeitgeberseitigen Interesse an Planungssicherheit zu dienen bestimmt ist3. Der Sozialplan dient danach nicht dazu, die individualrechtlichen Risiken des Arbeitgebers bei der Durchführung der Betriebsänderung zu reduzieren oder gar zu beseitigen. Ein so ausgestalteter Sozialplan verfehlt seine Funktion, insbesondere wenn der Anspruch auf Sozialplanabfindung von dem individualrechtlichen Verzicht des Arbeitnehmers zur gerichtlichen Überprüfung einer ihn betreffenden Kündigung abhängig gemacht wird, da dies nichts mit den wirtschaftlichen Nachteilen zu tun hat, die dem betreffenden Arbeitnehmer durch die Betriebsänderung entstehen4. Das Bundesarbeitsgericht hält diese Würdigung auch im Licht des § 1a Abs. 1 KSchG aufrecht: Diese Norm belege zwar, dass nach der legislatorischen Wertung die Verknüpfung eines individuellen Abfindungsanspruchs mit der Nichtwahrnehmung des Klagerechts nach § 4 KSchG von der Rechtsordnung belegt werde, woraus sich aber nichts für Sozialplanansprüche herleiten lasse5. Der in § 1a KSchG vorgesehene Abfindungsanspruch entspräche seinem Charakter nach einer einzelvertraglich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber für die Hinnahme einer Kündigung vereinbarten Abfindung, womit Sozialplanleistungen nicht vergleichbar seien.
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Möglich ist jedoch nach aktueller Rechtsprechung eine der Planungssicherheit dienende Abfindungszusage außerhalb des Sozialplans. Nach den beiden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 15.2.20056 und vom 31.5.20057 gilt, dass der Arbeitgeber (im Fall einer Betriebsänderung, wenn er der Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nachgekommen ist) grundsätzlich frei in der Bestimmung der Zwecke ist, die er mit einer bisher noch nicht vereinbarten freiwilligen Leistung verfolgen will. Neben einer freiwilligen Betriebsvereinbarung, die im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit finanzielle Leistungen für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht, kommt hier auch eine einzelvertragliche Regelung, z.B. eine Gesamtzusage in Betracht. Der Arbeitgeber muss sich dabei nicht am Leitbild
27
1 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 m. w. Nachw. 2 LAG Schleswig-Holstein vom 20.4.2004 – 5 Sa 539/03, NZA-RR 2005, 30. 3 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 unter Verweis auf BAG vom 20.12.1983 – 1 AZR 442/82, NZA 1984, 53. 4 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997. 5 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997. 6 BAG vom 15.2.2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117. 7 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997.
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Teil 4 Rz. 27
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
des § 112 BetrVG (Ausgleich oder Milderung der infolge der Betriebsänderung eintretenden finanziellen Nachteile) orientieren, sondern ist vielmehr befugt, die Zahlung von Abfindungen als Steuerungsmittel einzusetzen, um die geplante und begonnene Betriebsänderung störungsfrei durchzusetzen, solange dadurch nicht das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem entsprechenden Verzicht abhängig zu machen, umgangen wird. Außerhalb eines Sozialplans kann die Abfindung sogar insgesamt mit der Bedingung verknüpft werden, dass keine Kündigungsschutzklage erhoben wird. Unschädlich ist dabei, wenn der Arbeitgeber die Höhe einer solchen freiwilligen Leistung sozialplanähnlich nach abstrakt-generellen Merkmalen bestimmt, wenn dies den mit der Abfindung verfolgten Zweck (Planungssicherheit) nicht „sachfremd“ macht. Für das Vorhandensein eines sachlichen Grundes für eine solche Abfindungszusage außerhalb eines Sozialplans spricht dabei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der frühzeitigen Klärung, ob das Arbeitsverhältnis ohne Durchführung eines Kündigungsschutzrechtsstreits und unter Vermeidung der damit verbundenen Kosten beendet wird. Durch ein solches Anreizmodell wird das Maßregelungsverbot – so das Bundesarbeitsgericht – auch nicht tangiert, da dessen Zweck nicht in der Verhinderung der Einigung der Arbeitsvertragsparteien bei Kündigungen liegt. Im Fall der Abfindung bzw. Abfindungserhöhung bei Klageverzicht würde der Arbeitnehmer auch nicht für die Wahrnehmung seiner Rechte gemaßregelt. Vielmehr bleibt ihm die freie Entscheidung, ob er sein Klagerecht verfolgt oder für den Verzicht auf dieses Recht die Gegenleistung des Arbeitgebers erhält1. Auch in seiner Entscheidung vom 3.5.20062 bestätigt das Bundesarbeitsgericht die Möglichkeit von Regelungen außerhalb von Sozialplänen, in denen den Arbeitnehmern für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung versprochen wird, die jedoch dann entfallen soll, wenn der Begünstigte Kündigungsschutzklage erhebt. Betont wird dabei aber, worauf arbeitgeberseitig zu achten ist, dass eine solche Regelung dahingehend nach Sinn und Zweck einschränkend auszulegen ist, dass die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nur dann zum Erlöschen des Abfindungsanspruches führt, wenn für den Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt erkennbar ist, dass er die Wahl zwischen Abfindung und Klageerhebung hat.
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Hinweis: Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die schriftliche Kündigungserklärung um den entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers auf diese Wahlmöglichkeit (Abfindung oder Klageerhebung) zu ergänzen. Der Arbeitgeber muss also die im Zusammenhang mit einer „Turboprämie“ stehenden Verhaltensalternativen klar und unmissverständlich deutlich machen. Etwaige Unklarheiten würden schon wegen §§ 305c Abs. 2, 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB im Zweifel zu seinen Lasten gehen.
1 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997. 2 BAG vom 3.5.2006 – 4 AZR 189/05, NZA 2006, 1420.
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Aufhebungsvertrag bei Insolvenz der Arbeitgeberin
Rz. 29 Teil 4
II. Aufhebungsvertrag bei Insolvenz der Arbeitgeberin Auch in der Konstellation, dass über das Vermögen der Arbeitgeberin das In- 28 solvenzverfahren eröffnet wurde, bleiben Aufhebungsverträge möglich. Indes sind einige Besonderheiten zu beachten. Nach § 80 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners (= der Arbeitgeberin), das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über, der dann auch die Funktion des Arbeitgebers wahrnimmt und für Kündigungen von Arbeitsverträgen ebenso zuständig ist wie für den Abschluss von Aufhebungsverträgen. Gleiches gilt, wenn das Insolvenzgericht dem Schuldner schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 22 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt; auch dieser nimmt dann die Arbeitgeberfunktion wahr. Anders verhält es sich lediglich, wenn das Insolvenzgericht im Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung (§ 270 ff. InsO) anordnet. Dann bleibt die insolvente Arbeitgeberin – unter Aufsicht eines Sachverwalters – berechtigt, die Insolvenzmasse zu verwaltern, wobei zu beachten ist, dass das Insolvenzgericht für bestimmte Rechtsgeschäfte nach § 270 InsO Zustimmungsbedürftigkeit anordnen kann. Bei der Verhandlung eines Aufhebungsvertrages in der Situation der Insolvenz stellen sich insbesondere die Fragen der Behandlung einer zugesagten Abfindung – ggf. im Verhältnis zu Sozialplanabfindungsansprüchen – und der Bewertung der kündigungsrechtlichen Lage. Hinsichtlich der Abfindung ist allein deren Entstehungszeitpunkt für die insolvenzrechtliche Bewertung maßgeblich. Hinsichtlich derjenigen Abfindungsansprüche, die noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden, sei es in einem Aufhebungsvertrag oder in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich, sind die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer lediglich Insolvenzgläubiger i.S. des § 38 InsO. Ein Abfindungsanspruch, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Arbeitgeberin vereinbart wurde, ist lediglich eine einfache Insolvenzforderung und als solche zur Insolvenztabelle anzumelden. Diese Problematik kann in der Praxis vor allem dann auftreten, wenn im Aufhebungsvertrag bzw. Prozessvergleich hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses noch eine längere Restlaufzeit geregelt ist. Die schon bei Abschluss des Aufhebungsvertrages oder Prozessvergleichs begründete Abfindungsforderung ist üblicherweise erst nach Ablauf dieser Restlaufzeit mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin nun vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Fälligkeit des Abfindungsanspruchs eröffnet, geht der Arbeitnehmer, dessen Abfindungsanspruch nicht (z.B. durch eine Bankbürgschaft) abgesichert ist, abgesehen von der Insolvenzquote, die zudem oft erst nach Jahren feststeht, weitgehend leer aus. Es empfiehlt sich daher, aus Sicht des Arbeitnehmers bei finanziell ungewissem Zustand der Arbeitgeberin und längerer Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Fälligkeit der Abfindung Vorkehrungen zu treffen; neben den üblichen Sicherungsinstrumenten – wie z.B. einer Bankbürgschaft – kommt auch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung in BeFröhlich
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Teil 4 Rz. 30
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
tracht1. Der Aufhebungsvertrag wird dann auflösend bedingt vereinbart; auflösende Bedingung ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse. Der Aufhebungsvertrag ist dann nicht wirksam und das Arbeitsverhältnis besteht fort. Die auflösende Bedingung hat allerdings den Nachteil, dass der Abfindungsanspruch dann insgesamt beseitigt ist und auch keine Insolvenzforderung mehr darstellen kann. Die auflösende Bedingung erweist sich insbesondere auch dann als nicht nützlich, wenn der Arbeitnehmer die Restlaufzeit zur beruflichen Umorientierung nutzen will und nutzt. Mit dem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses mit der insolventen Arbeitgeberin ist ihm dann nicht gedient. 30 Die üblichen Sicherungsmittel sind daher regelmäßig vorzugswürdig. In jedem Fall stellt sich aber bei solchen Sicherungsmodellen bei ungewissem finanziellen Zustand der Arbeitgeberin die Frage einer etwaigen insolvenzrechtlichen Anfechtung. Grundsätzlich kommt dabei die Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung nach § 133 InsO in Betracht. Voraussetzung hierfür, die der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen müsste, ist, dass die Arbeitgeberin (= Gemeinschuldnerin) die Rechtshandlung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, ihre Gläubiger zu benachteiligen, und der andere Teil (= der Arbeitnehmer) diesen Vorsatz kannte. In der Sache geht es darum, ob der Wille der Arbeitgeberin auf Benachteiligung der Gläubiger gerichtet war. Wenn diese Benachteiligung lediglich als möglich angesehen wird, jedoch nicht gewollt oder zumindest gebilligt wurde, ist bereits keine Gläubigerbenachteiligungsabsicht gegeben. Eine Anfechtung nach § 133 InsO ist dann nicht möglich. 31 Anders ist die insolvenzrechtliche Bewertung eines Abfindungsanspruches, wenn der Insolvenzverwalter und der Arbeitnehmer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Aufhebungsvertrag bzw. einen arbeitsgerichtlichen Vergleich abschließen und sich auf eine Abfindungszahlung einigen. Dann liegt eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Bei Sozialenplanabfindungsansprüchen ist in der Insolvenz § 123 InsO beachtlich, der das Volumen des Sozialplans begrenzt. Hier gilt die absolute Obergrenze von 2 ½ Monatsverdiensten aller von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und eine relative Obergrenze von nicht mehr als einem Drittel der zur Verteilung stehenden Masse. § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO stellt dabei klar, dass die Verbindlichkeiten aus einem solchen Sozialplan, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt wird, Masseverbindlichkeiten sind. Die Überschreitung der absoluten Obergrenze im Sozialplan führt zu seiner Nichtigkeit. In diesem Fall müssen Insolvenzverwalter und Betriebsrat einen neuen – wirksamen – Plan aufstellen, der die absolute Obergrenze beachtet. Im Fall der Nichteinigung muss ein erneutes Tätigwerden der Einigungsstelle initiiert werden. Demgegenüber führt die relative Obergrenze dazu, dass die Sozialplangläubiger, die aus dem Sozialplan anspruchsberechtigten Arbeitnehmer, grundsätzlich nur und erst dann befriedigt werden, wenn die übrigen Masseverbindlich1 Bauer, V Rz. 15.
408
Fröhlich
Aufhebungsvertrag bei Insolvenz der Arbeitgeberin
Rz. 33 Teil 4
keiten voll erfüllt werden können. Zuerst sind gemäß § 53 InsO die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten zu berichtigen. Von dem Betrag, der dann verbleibt, kann bis zu ein Drittel zur Berichtigung der Sozialplanansprüche verwandt werden. Der Rest ist dann die Teilungsmasse, die den übrigen Insolvenzgläubigern zur Verfügung steht. Wenn die relative Obergrenze überstiegen wird, sind die einzelnen Sozialplanforderungen anteilig zu kürzen. Weiter ist für Sozialpläne, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbart worden sind, § 124 InsO zu beachten. Danach kann ein Sozialplan, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden ist, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden. Zur Prüfung der Widerruflichkeit eines vor Insolvenz aufgestellten Sozialplans kommt es allein auf den Tag des Eröffnungsantrages an, von dem aus die Drei-MonatsFrist nach §§ 187, 188 BGB berechnet wird. In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass hinsichtlich der Ansprüche aus einem Sozialplan vor Verfahrenseröffnung gilt, dass diese grundsätzlich einfache Insolvenzforderungen darstellen. Die Ansprüche aus Sozialplänen, die in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen worden sind, sind nur ausnahmsweise dann Masseschulden, wenn der Sozialplan mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis vereinbart wurde. Durch § 123 Abs. 3 InsO wird dann darauf hingewirkt, dass die betroffenen Arbeitnehmer möglichst frühzeitig, nämlich so oft hinreichende Mittel in der Barmasse vorhanden sind, Abschlagszahlungen auf ihre Sozialplanforderungen erhalten. Hierbei ist die Zustimmung des Insolvenzgerichts erforderlich. Zu beachten ist, dass § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO lediglich eine Sollvorschrift darstellt.
32
Kündigungsrechtlich ist in der Insolvenz § 113 InsO zu beachten, der die Kün- 33 digungsfrist auf höchstens drei Monate zum Monatsende limitiert. Diese Kündigungsfrist geht auch bei einzelvertraglich vereinbartem Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung. Dies gilt gleichermaßen nach umstrittener Auffassung im Fall des tarifvertraglichen Kündigungsausschlusses1. Auch in der Insolvenz sind kündigungsrechtlich alle formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu beachten. Die Kündigung ist auch materiell sozial zu rechtfertigen. Der allgemeine und besondere Kündigungsschutz ist insolvenzfest. Die Insolvenz als solche stellt keinen Kündigungsgrund dar2. Auch die Kündigung seitens des Insolvenzverwalters gemäß § 113 InsO setzt einen Kündigungsgrund i.S. des § 1 KSchG voraus. Allein das Fehlen hinreichender finanzieller Mittel stellt keinen Kündigungsgrund dar3. Die Insolvenz des Arbeitgebers lässt auch den Beschäftigungsbedarf nicht entfallen, solange nicht der Verwalter den Betrieb oder Teile davon z.B. stilllegt oder rationalisiert4. 1 2 3 4
BAG vom 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, NZA 1999, 1331. HWK-Annuß, § 113 InsO Rz. 2. BAG vom 5.12.2001 – 2 AZR 571/01, NZA 2003, 789. HWK-Quecke, § 1 KSchG Rz. 311.
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Teil 4 Rz. 34
Aufhebungsverträge bei Betriebsänderung und Insolvenz
34 Kündigt der Insolvenzverwalter, so gibt § 113 Satz 3 InsO dem Dienstverpflichteten einen Anspruch auf Ersatz des ihm wegen der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens, wobei es sich um eine gewöhnliche Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO handelt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um den sog. Verfrühungsschaden, der aufgrund der Abkürzung der vereinbarten längeren Kündigungsfrist eintritt. Zu beachten ist hier, dass der Abschluss eines Aufhebungsvertrages zwischen Arbeitnehmer und Insolvenzverwalter keine Schadensersatzansprüche gemäß § 113 Satz 3 InsO begründet1.
1 BAG vom 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, NZA 2008, 1135.
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Teil 5 Aufhebungsverträge mit Vorstandsmitgliedern und GmbH-Geschäftsführern I. Zuständigkeit für den Abschluss von Aufhebungsverträgen 1. Differenzierung zwischen Anstellungsvertrag und Organposition Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft sowie Geschäftsführern einer GmbH ist gemeinsam, dass sie die jeweiligen Kapitalgesellschaften gerichtlich und außergerichtlich vertreten und damit als deren Organ handeln. Der Organposition liegt eine Bestellung nach den einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zugrunde. Sie begründet ein Organverhältnis, das vom Anstellungsverhältnis zur Gesellschaft zu trennen ist1.
1
Das Anstellungsverhältnis wird im Regelfall als Dienstvertrag i.S. des § 611 BGB einzuordnen sein, soweit sich der Organvertreter zu Dienstleistungen gegen Entgeltzahlung verpflichtet hat2.
2
Demgegenüber wird die unentgeltliche Tätigkeit eines Organs aufgrund Auftrags, gesellschaftsrechtlicher Verpflichtung oder anderer Rechtsgrundlage eher die Ausnahme darstellen3.
3
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer erlangen damit eine Doppelstellung. Organ- und Anstellungsverhältnis folgen unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen und einem eigenen Schicksal. Endet die Organstellung infolge Zeitablaufs, Widerrufs oder Amtsniederlegung, so bleibt das Anstellungsverhältnis davon zunächst unberührt und besteht bis zu seinem Ablauf, seiner ggf. gleichzeitig erfolgten Kündigung oder seiner einvernehmlichen Aufhebung fort4.
4
Zunächst ist daher zu klären, wer für die trennungswilligen Vertragsparteien der richtige Ansprechpartner ist, wenn es um die Beendigung des Organverhältnisses einerseits und des Anstellungsverhältnisses andererseits geht.
5
1 Vgl. nur BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NZA 2008, 1002; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750; OLG Köln vom 6.12.1999 – 16 U 94/98, NZG 2000, 551 (552); Uwe H. Schneider/Sethe, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 150. 2 BAG vom 21.2.1994 – 2 AZB 28/93, AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1979; Hümmerich, NJW 1995, 1178; a.A. für den Fremdgeschäftsführer einer GmbH: Groß, Das Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers, S. 375 (383). 3 Reiserer, DB 1994, 1822. 4 BGH vom 28.10.2002 – II ZR 146/02, ZIP-aktuell 2002, Nr. 305; BGH vom 9.10.2000 – II ZR 75/99, GmbHR 2000, 1256 (1257); BGH vom 10.1.2000 – II ZR 251/98, NZG 2000, 654 (655).
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Teil 5 Rz. 6
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
2. Zuständigkeit für die Abberufung aus der Organposition a) Vorstandsmitglieder 6 Die Abberufung eines Vorstandsmitglieds, die gleichbedeutend mit dem Widerruf seiner Bestellung ist, kann gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. §§ 112, 107 Abs. 3 Satz 2 AktG nur durch den gesamten Aufsichtsrat erfolgen. Das Plenum kann diese Entscheidung nicht an einen gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG gebildeten (Personal-)Ausschuss delegieren. Dies gilt auch, wenn das Organverhältnis einverständlich aufgehoben werden soll1. 7 Die Abberufung ist nur aus wichtigem Grund möglich2. 8 Zu beachten ist, dass der Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied gemäß § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG im Interesse der Rechtssicherheit sofort wirksam wird und es solange bleibt, bis ggf. seine Unwirksamkeit auf Betreiben des Betroffenen rechtskräftig festgestellt ist. Erst ein rechtskräftiges Urteil über die Unwirksamkeit der Abberufung hat seine Wiedereinsetzung in alle Rechte und Pflichten eines Vorstandsmitglieds zur Folge3. 9 Eine einstweilige Verfügung auf vorläufige Aufhebung der Abberufung ist nur zulässig, soweit sie auf das Fehlen oder Formfehler des notwendigen Aufsichtsratsbeschlusses gestützt wird4. 10 Auch wenn das Vorstandsmitglied seines Amtes zumindest vorläufig enthoben ist, wird die AG in einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Abberufung in entsprechender Anwendung des § 112 AktG dennoch durch den Aufsichtsrat vertreten5. 11 Eine rechtskräftige Entscheidung dieser Angelegenheit wird allerdings im Regelfall erst nach Ablauf der Amtszeit des Vorstandsmitglieds vorliegen. Dies führt dazu, dass sich der Kern juristischer Auseinandersetzungen auf die Frage verlagert, inwieweit die mit dem Widerruf der Bestellung meistens verbundene Kündigung des Anstellungsverhältnisses gerechtfertigt gewesen ist6. b) Geschäftsführer einer GmbH 12 Für den Widerruf der Bestellung zum GmbH-Geschäftsführer ist nach § 46 Nr. 5 GmbHG die Gesellschafterversammlung zuständig. Allerdings kann diese Kompetenz durch abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag gemäß § 45 Abs. 2 GmbHG auf andere Organe der GmbH übertragen werden, etwa auf einen fakultativen Aufsichtsrat oder Beirat.
1 Hüffer, AktG, § 84 Rz. 37. 2 Vgl. etwa OLG München vom 13.10.2005 – 23 U 1949/05, NZG 2006, 313 und unten Rz. 68 ff. 3 Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 84 Rz. 123; Geßler, AktG, § 84 Rz. 17. 4 OLG Stuttgart vom 15.4.1985 – 2 U 57/85, DB 1985, 1458. 5 BGH vom 9.10.1986 – II ZR 284/85, NJW 1987, 254. 6 Bauer, DB 1992, 1413 (1414); vgl. unten Rz. 80 ff.
412
Burmester
Zuständigkeit für den Abschluss von Aufhebungsverträgen
Rz. 15 Teil 5
Gemäß § 38 Abs. 1 GmbHG ist eine Abberufung zunächst jederzeit und mit sofortiger Wirkung möglich. Allerdings ist häufig das Widerrufsrecht durch Gesellschaftsvertrag gemäß § 38 Abs. 2 GmbHG auf das Vorliegen wichtiger Gründe beschränkt.
13
Eine Abberufung ist entbehrlich, wenn bereits die Bestellung in die Organfunktion unter einer auflösenden Bedingung gestanden hat. Dann endet das Amt ohne Abberufung in dem Zeitpunkt, in dem die Bedingung eintritt. Diese Konstellation hat der BGH für einen Geschäftsführer ausdrücklich für zulässig gehalten1. In der Literatur wird dieses streitig diskutiert. Insbesondere wird eingewandt, die Rechtssicherheit erfordere, dass für jedermann deutlich sei, welche Person die im öffentlichen Interesse stehenden Pflichten aus §§ 41, 43 Abs. 3 und 64 GmbH zu erfüllen habe2. Der BGH ließ dieses nicht gelten. Bei einer auflösend bedingten Bestellung seien Belange der Rechtssicherheit nicht weniger als bei einer anderen Form der Abberufung berührt, es gelte auch hier § 158 BGB. Die Bestellung bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Geschäftsführer nicht mehr seine volle Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung stellt, ist danach wirksam auflösend bedingt.
13a
Darüber hinaus kann der Gesellschaftsvertrag dem Gesellschafter-Geschäftsführer ein Sonderrecht auf das Geschäftsführeramt und damit eine Rechtsposition einräumen, die nur mit seiner Zustimmung beeinträchtigt, verkürzt oder aufgehoben werden kann3. Ohne Zustimmung des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers ist deshalb der Abberufungsbeschluss schwebend unwirksam. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Gesellschafter für ihr Vorgehen einen wichtigen Grund haben und kein milderes Mittel in Betracht kommt4. Dem Fremdgeschäftsführer kann ein solches mitgliedschaftliches Sonderrecht auf das Geschäftsführeramt naturgemäß nicht eingeräumt werden. Er kann sich nur durch vertragliche Absprachen gegen die Folgen einer Abberufung schützen.
14
Fällt die GmbH unter das Mitbestimmungsgesetz oder das Montan-Mitbestimmungsgesetz, findet gemäß § 31 MitbestG bzw. § 3 Abs. 2 Montan-MitbestG die Regelung des § 84 AktG entsprechende Anwendung mit der Folge, dass wiederum der Aufsichtsrat für den Widerruf der Bestellung zuständig ist und die Abberufung nur aus wichtigem Grund ausgesprochen werden darf. Ist für die GmbH ein Aufsichtsrat nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) einzurichten, verbleibt es dagegen für den Fall von Bestellung und Abberufung wie auch für den Abschluss und die Beendigung des Dienstverhältnisses des Geschäftsführers bei der nach dem GmbHG vorgesehenen Zuständigkeitsverteilung. Entsprechend handeln hier die Gesellschafter selbst.
15
1 BGH vom 24.10.2005 – II ZR 55/04, NZG 2006, 62. 2 So etwa Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, § 6 Rz. 27; a.A. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 38 Rz. 38b. 3 Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 6 Rz. 42 f. 4 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 38 Rz. 23.
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413
Teil 5 Rz. 16
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Der Aufsichtsrat als reines Kontroll- und Informationsorgan hat hier keine Entscheidungsbefugnis1 16 Soweit der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt, genügt für den Beschluss über den Widerruf die einfache Mehrheit der Gesellschafter. Der Gesellschafter, der zugleich der von einer möglichen Abberufung betroffene Geschäftsführer ist, hat Stimmrecht, soweit es sich nicht um eine Abberufung aus wichtigem Grund handelt. Anderenfalls könnte er, etwa als Mehrheitsgesellschafter, seine Abberufung aus wichtigem Grund blockieren. Er bleibt jedoch zur Teilnahme und zur Stellungnahme in der Gesellschafterversammlung befugt2. 17 Die übrigen Gesellschafter können den Gesellschafter-Geschäftsführer also zunächst von der Abstimmung mit der bloßen Behauptung eines wichtigen Grunds ausschließen3. Dem Betroffenen steht es allerdings frei, umgehend gerichtlich klären zu lassen, ob der behauptete wichtige Grund wirklich bestanden hat4. 18 Im Unterschied zu § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG fehlt im GmbH-Recht eine gesetzliche Regelung für die Wirkung der Abberufung des Geschäftsführers. Hier ist wie folgt zu differenzieren: 19 Ist die Abberufung in Anwendung des § 38 Abs. 1 GmbHG nicht an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gebunden, wird sie mit Zugang der Erklärung (§ 130 BGB) wirksam. Die Gesellschafterversammlung kann einen Gesellschafter oder ggf. einen anderen Geschäftsführer bevollmächtigen, den Zugang zu bewirken. 20 Wenn es sich um den Widerruf eines Geschäftsführers einer mitbestimmten GmbH handelt, wird der Widerruf gemäß § 31 MitbestG bzw. § 3 Abs. 2 Montan-MitbestG i.V.m. § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG sofort wirksam und kann lediglich angefochten werden5. 21 Ob die Regelung des § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG auch bei nicht nach den vorgenannten Bestimmungen mitbestimmten Gesellschaften anzuwenden ist, ist umstritten. In diesem Zusammenhang ist mit der überwiegenden Ansicht nach der Stellung des Geschäftsführers zu differenzieren: 22 Handelt es sich bei dem Abberufenen um einen Fremdgeschäftsführer ohne Beteiligung an der Gesellschaft, ist der Widerruf seiner Bestellung in analoger
1 Uwe H. Schneider/Sethe, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 202. 2 OLG Karlsruhe vom 25.6.2008 – 7 U 133/07, NZG 2008, 785(n.rkr.); BGH vom 9.3.1992 – NJW-RR 1992, 993; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 38 Rz. 17. 3 Z.B. OLG Karlsruhe vom 25.6.2008 – 7 U 133/07, NZG 2008, 785 (n.rkr.); Westermann/Pöllath, Abberufung und Ausschließung von Gesellschaftern/Geschäftsführern in Personengesellschaften und GmbH, S. 44. 4 OLG Celle vom 1.4.1981 – 9 U 195/80, GmbHR 1981, 264 f. 5 OLG Stuttgart vom 15.4.1985 – 2 U 57/85, WM 1985, 600.
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Burmester
Zuständigkeit für den Abschluss von Aufhebungsverträgen
Rz. 25 Teil 5
Anwendung des § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG mit Zugang der Erklärung wirksam1. Der Rechtsschutz des Fremdgeschäftsführers ist auf die Möglichkeit einer Feststellungsklage beschränkt, die auf die Feststellung der Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses gerichtet ist2. Dazu müsste er das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen i.S. von § 241 AktG geltend machen. Ein Anfechtungsrecht hinsichtlich des Gesellschafterbeschlusses über seine Abberufung steht dem Fremdgeschäftsführer allerdings nicht zur Verfügung. Sein Rechtsschutz ist auch dann nicht erweitert, wenn der Gesellschaftsvertrag die Abberufung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässt. Denn diese satzungsmäßige Beschränkung stellt keine Regelung zugunsten außenstehender Fremdgeschäftsführer entsprechend § 328 BGB dar3. Ist ein Geschäftsführer mit satzungsmäßigem Sonderrecht an der Geschäftsführung von der Abberufung betroffen, wird diese erst mit ihrer rechtskräftigen gerichtlichen Bestätigung wirksam. Die entsprechende Feststellungsklage kann sowohl von der Gesellschaft bzw. den übrigen Gesellschaftern als auch umgekehrt vom Gesellschafter-Geschäftsführer gegen die Gesellschaft erhoben werden. Darüber hinaus kann letzterer die Feststellungsklage auf Nichtigkeit bzw. die Anfechtungsklage hinsichtlich des Abberufungsbeschlusses erheben. Vor Rechtskraft des Urteils kann die Tatsache der Abberufung eines solchen Geschäftsführers nicht in das Handelsregister eingetragen werden.
23
Die Gestattung eines auch nur vorläufigen Eingriffs ist mit seiner durch Gesellschaftsvertrag eingeräumten besonderen Rechtsposition nicht vereinbar4.
24
Fehlt dem Gesellschafter-Geschäftsführer jedoch das Sonderrecht an der Geschäftsführung, so büßt er sein Amt gemäß § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG analog bereits mit Zugang der Abberufungserklärung ein. Dieses ist auch im Handelsregister so einzutragen. Allerdings kann er aus seinem Gesellschafterstatus den Abberufungsbeschluss anfechten. Er kann sich dabei auf allgemeine Gründe oder darauf stützen, dass es an dem satzungsgemäß vorgesehenen wichtigen Grund für die Abberufung fehlt5.
25
Eine Zwischenstellung nimmt der Gesellschafter-Geschäftsführer ohne Geschäftsführersonderrecht in der personalistischen Gesellschaft, insbesondere in der Zweimann-Gesellschaft ein. Hier können sehr strenge Anforderung an die Wirksamkeit einer Abberufung aus wichtigem Grund bestehen. Es müssen dann Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung das Ergebnis rechtfertigen, dass der Geschäftsführer wegen grober Pflichtverletzungen für die Gesellschaft untragbar geworden ist6. In dieser Konstellation soll die Wirksamkeit der Abberufung von der materiellen Rechtslage abhängen: bei
25a
1 BGH vom 20.12.1982 – II ZR 110/82, NJW 1983, 938. 2 BGH vom 11.2.2008 – II ZR 187/06, NZG 2008, 319; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 38 Rz. 27. 3 Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 38 Rz. 64. 4 Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 38 Rz. 66. 5 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 38 Rz. 30. 6 OLG Düsseldorf vom 15.2.1991 – 16 U 130/90, WM 1992, 14 (19).
Burmester
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Teil 5 Rz. 26
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
unberechtigter Abberufung bleibt der Gesellschafter-Geschäftsführer im Amt. Bei berechtigter Abberufung dagegen sind deren Rechtswirkungen bereits mit Zugang der Abberufungserklärung eingetreten. Die Eintragung in das Handelsregister darf solange nicht vorgenommen werden, wie eine rechtskräftige Entscheidung diesbezüglich aussteht. 25b
Während des danach u.U. eintretenden Schwebezustandes zwischen Zugang der Abberufungserklärung und rechtskräftiger Entscheidung über ihre Wirksamkeit stehen sowohl der Gesellschaft als auch dem Gesellschafter-Geschäftsführer einstweiliger Rechtsschutz zur Seite1. Inhaltlich kann die einstweilige Verfügung nicht nur darauf abzielen, bestimmte Tätigkeiten zu unterlassen, sondern auch darauf, dem Geschäftsführer Zugang zu den Geschäftsräumen einstweilen zu untersagen bzw. zu gewähren oder die Herausgabe bestimmter Geschäftsunterlagen aufzugeben bzw. zu verbieten2. Sofern ein umfassendes Tätigkeitsverbot nicht ausreicht und auch sonst keine Möglichkeit besteht, geordnete Verhältnisse zu schaffen, kann für die Dauer der Abberufungsklage oder für die Dauer der Auflösungsklage die Amtsenthebung angeordnet werden3.
3. Zuständigkeit für die Beendigung des Anstellungsverhältnisses a) Vorstandsmitglieder 26 Über die Kündigung des Anstellungsvertrages des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft hat grundsätzlich deren Aufsichtsrat zu befinden. Allerdings kann diese Kompetenz, anders als beim Widerruf der Bestellung, an einen gemäß § 107 Abs. 3 AktG gebildeten Personalausschuss delegiert werden4. In Anbetracht des ausschließlich dem Gesamtaufsichtsrat überlassenen Entscheidungsrechts in Fragen der Bestellung und Abberufung des Vorstands aus der Organfunktion darf der Ausschuss allerdings keinesfalls eine Kündigung des Anstellungsvertrags aussprechen, bevor der komplette Aufsichtsrat über den Widerruf der Bestellung entschieden hat5. Das Recht der endgültigen Entscheidung über die Kündigung muss stets beim Aufsichtsrat verbleiben. Hat etwa der Aufsichtsrat seinen Vorsitzenden und Stellvertreter in einem Beschluss dazu beauftragt, zunächst mit dem Organ eine gütliche Einigung zu suchen und einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, muss für den Fall des Scheiterns dieser Verhandlungen erst wieder das gesamte Gremium mit der Entscheidung über die Kündigung befasst werden, ehe diese vollzogen wird. Die Möglichkeit, diese Entscheidung je nach dem Ergebnis der Gespräche mit dem Organ an einzelne Mitglieder zu delegieren, besteht ausdrücklich nicht6.
1 2 3 4 5 6
OLG Stuttgart vom 18.2.1997 – 20 W 11/97, GmbHR 1997, 312 (313). Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 38 Rz. 36. Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 38 Rz. 68. Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 61. BGH vom 14.11.1983 – II ZR 33/83, DB 1984, 104. BGH vom 21.3.2005 – II ZR 16/06, AG 2005, 475; vgl. auch Köhler, NZG 2008, 161 (162) unter Vertiefung der Rechtslage bei fehlerhaften Vorstandsverträgen.
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Burmester
Zuständigkeit für den Abschluss von Aufhebungsverträgen
Rz. 32 Teil 5
Es bedarf eines ausdrücklichen Beschlusses des Aufsichtsrats über die Kündigung des Anstellungsvertrags. Dieser Beschluss erfolgt in der Regel zugleich mit der Beschlussfassung über die Abberufung des Vorstandsmitglieds aus wichtigem Grund. Dabei ist besondere Sorgfalt auf die Einberufung der betreffenden Sitzung zu legen. Verweist die mit der Einladung zuzustellende Tagesordnung lediglich auf den TOP „Vorstandsangelegenheiten“, so ist dieses zu unbestimmt und führt zur Nichtigkeit der darauf beruhenden Beschlüsse des Gremiums1.
27
Eine ohne vorherige Beschlussfassung des Aufsichtsrats abgegebene Kündigungserklärung ist unheilbar nichtig2. Der Gesellschaft verbleibt lediglich die Möglichkeit, eine neue Kündigung nach dem entsprechenden Beschluss des Aufsichtsrats auszusprechen.
28
Der Beschluss des Aufsichtsrats ist durch Unterzeichnung der Kündigungserklärung zu vollziehen. Die Kündigungserklärung ist durch den Aufsichtsratsvorsitzenden zu unterzeichnen. Dieser bedarf dazu einer Vollmacht, die sich aus der Satzung, der Geschäftsordnung oder im Einzelfall durch Beschluss des Aufsichtsrats ergeben kann. Mit Blick auf die Möglichkeit der Zurückweisung der Kündigung unter Berufung auf § 174 Satz 1 BGB ist ausdrücklich zu empfehlen, mit der Kündigungserklärung das Bestehen der Vollmacht nachzuweisen. Dazu ist entweder eine von allen Aufsichtsratsmitgliedern zu unterschreibende Originalvollmacht, die Originalsitzungsniederschrift über den betreffenden Aufsichtsratsbeschluss oder eine gesonderte Originalausfertigung dieses Beschlusses dem Kündigungsschreiben beizufügen3.
29
Die Kündigungskompetenz verbleibt auch dann beim Aufsichtsrat, wenn die Kündigung der Abberufung des Vorstands in einem gewissen zeitlichen Abstand nachfolgt4. Hier soll nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Zuständigkeitskontinuität des Aufsichtsrats gewahrt bleiben5.
30
Der Vorstand erlangt erst dann die Entscheidungsbefugnis über die Kündigung, wenn das Dienstverhältnis des Vorstandsmitglieds nach dem Widerruf seiner Bestellung bzw. nach Amtsniederlegung durch das Vorstandsmitglied – ausnahmsweise – in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt worden ist6.
31
Für das Vorstandsmitglied eines eingetragenen Vereins gilt ebenfalls, dass für die Kündigung des Anstellungsvertrags dasselbe Organ zuständig ist, das auch über die Anstellung entscheidet. Dies ist nach der gesetzlichen Regelung in
32
1 BGH vom 29.5.2000 – II ZR 47/00, NZG 2000, 945 (946). 2 BGH vom 1.2.1968 – II ZR 212/65, DB 1968, 847. 3 So ausdrücklich OLG Düsseldorf vom 17.11.2003 – I-15 225/02, NZG 2004, 141 (142); a.A. Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247: „übertriebene Förmelei“; dazu auch Schockenhoff/Topf, DB 2005, 539 (543). 4 Vgl. auch Uwe H. Schneider, in: Scholtz, GmbHG, § 35 Rz. 220. 5 BGH vom 5.3.1990 – II ZR 86/89, DB 1990, 930; BGH vom 22.4.1991 – II ZR 151/90, DB 1991, 1216: vgl. auch Konstellation bei LG Essen vom 10.2.2006 – 45 O 88/05, NZG 2006, 356 (357). 6 Weber/Burmester, Anstellungsvertrag für Manager, S. 112; vgl. unten Rz. 251 ff.
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Teil 5 Rz. 33
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
§ 27 Abs. 1 BGB die Mitgliederversammlung, wobei die Zuständigkeit kraft Satzungsbestimmung auch auf ein anderes Vereinsorgan übertragen werden kann1. 33 Die Zuständigkeit bleibt auch dann erhalten, wenn das Vorstandsmitglied bereits abberufen worden ist. 34 Auch über die Aufhebung des Dienstverhältnisses eines Vorstandsmitgliedes in einer Genossenschaft entscheidet der gesamte Aufsichtsrat. Wie beim Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist auch hier der Aufsichtsratsvorsitzende allein erst dann handlungsfähig, wenn das Gremium insgesamt einen Beschluss über die Konditionen der Beendigung gefasst hat2. Die Genossenschaft wird in entsprechender Anwendung des § 39 GenG in Aktiv- und Passivprozessen gegen gegenwärtige ebenso wie gegen ehemalige Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat vertreten3. 35 Diese Rechtsprechung, die zunächst zu § 112 AktG entwickelt worden ist, zielt darauf ab, Interessenkollisionen und Rücksichtnahmen zu unterbinden, die zwangsläufig entstehen würden, wenn die Gesellschaft bei Vertragsschlüssen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen mit gegenwärtigen oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern durch ihren amtierenden Vorstand und damit durch deren Kollegen oder Nachfolger vertreten würde. Dies soll im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unabhängig davon gelten, ob diese Besorgnis im konkreten Fall tatsächlich berechtigt ist. Die abstrakte Gefahr einer nicht unbefangenen Vertretung der Gesellschaft reiche aus4. b) Geschäftsführer einer GmbH 36 Über die Kündigung des Anstellungsvertrags entscheidet bei zeitlichem Zusammenhang mit der Abberufung das auch für den Abschluss des Anstellungsvertrags zuständige Organ der Gesellschaft5. Im Regelfall sind dies die Gesellschafter6. Der zeitliche Zusammenhang bleibt auch dann gewahrt, wenn die Kündigung nicht zugleich mit der Erklärung der Abberufung zugeht, sondern ihr zeitlich nachfolgt7. Das für die Kündigung zuständige Gesellschaftsorgan vertritt die GmbH auch in einem von dem ausgeschiedenen Geschäftsführer angestrengten Zivilprozess8.
1 BGH vom 21.1.1991 – II ZR 144/90, NJW 1991, 1727 (1730). 2 BGH vom 17.3.2008 – II ZR 239/06, NZG 2008, 471. 3 BGH vom 26.6.1995 – II ZR 122/94, WM 1995, 1716 (1718), OLG Karlsruhe vom 15.6.1999 – 3 U 33/98, NZG 1999, 1012. 4 BGH vom 26.6.1995 – II ZR 122/94, WM 1995, 1716 (1717). 5 Sog. Annexkompetenz zu § 46 Nr. 5 GmbHG: BGH vom 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876; BGH vom 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140; BGH vom 27.3.1995 – II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373. 6 Musterformulierungen bei Weber/Reinhardt, GmbH-StB 2002, 147 f. 7 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 51. 8 So OLG München vom 31.7.2002 – 7 U 2216/02, NZG 2003, 634 (635) für den Aufsichtsrat einer GmbH.
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Zuständigkeit für den Abschluss von Aufhebungsverträgen
Rz. 42 Teil 5
Die Kompetenz kann jedoch bei ausdrücklicher Regelung im Gesellschaftsvertrag auf andere Organe oder auch auf einzelne Gesellschafter übertragen werden1. Deshalb ist für die Beendigung des Anstellungsvertrages mit einem Geschäftsführer stets die Satzung aufmerksam zu prüfen, ob die Zuständigkeit eines anderen Gremiums besteht. In Betracht kommt etwa ein fakultativer Aufsichtsrat oder weitere Einrichtungen verschiedener Benennung, z.B. Beirat, Verwaltungsrat, Präsidium o.ä. Ist in der Satzung nur die Zuständigkeit des betreffenden Organs für die „Bestellung und Abberufung“ geregelt, umfasst diese im Zweifel auch die Kompetenz zur Begründung und Beendigung des dem Organverhältnis zugrunde liegenden Dienstverhältnisses2.
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Dagegen fällt die Kündigung in den Zuständigkeitsbereich des/der verbliebenen oder neu bestellten Geschäftsführer(s), wenn das Anstellungsverhältnis als Geschäftsführer nach der Abberufung im Wege der einvernehmlichen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung3 zunächst als Arbeitsverhältnis weitergeführt worden ist4.
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Auch die Entscheidung über die einvernehmliche Beendigung des Anstellungsverhältnisses fällt in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafterversammlung5.
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Dies gilt kraft sog. nachwirkender Zuständigkeit auch dann, wenn der Geschäftsführer bereits ausgeschieden ist, solange ein gewisser zeitlicher Zusammenhang gegeben ist6.
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Für die GmbH im Anwendungsbereich des MontanMitbestG sowie des MitbestG gilt auch hier, dass für die Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem Geschäftsführer zwingend der Aufsichtsrat zuständig ist.
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Gilt für die GmbH das DrittelbG, so verbleibt jedoch diese Zuständigkeit grundsätzlich bei der Gesellschafterversammlung. c) Geschäftsführer einer GmbH & Co KG Handelt es sich um einen Geschäftsführer einer GmbH & Co KG, ist zunächst zu prüfen, ob die GmbH oder die KG (aktuelle) Vertragspartnerin des Anstellungsvertrages ist. Soweit es sich dabei (aktuell) um eine GmbH handelt, gelten keine Besonderheiten. Im Regelfall handelt dann deren Gesellschafterversammlung. Ist dagegen die KG (aktuelle) Vertragspartnerin, so ist zunächst zu prüfen, ob deren Satzung eine Sonderregelung enthält und einem Gremium explizit die 1 BGH vom 26.3.1984 – II ZR 120/83, BGHZ 91, 217 (219). 2 BGH vom 21.1.1991 – II ZR 144/90, NJW 1991, 1727. 3 Vgl. BAG vom 22.2.1974 – 2 AZR 289/73, AP Nr. 19 zu § 5 ArbGG 1953; BAG vom 27.6.1985 – 2 AZR 425/84, AP Nr. 2 zu § 1 AngKG. 4 BGH vom 4.10.1973 – II ZR 130/71, WM 1973, 1320. 5 BGH vom 25.3.1991 – II ZR 169/90, GmbHR 1991, 363. 6 Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 220; a.A. BGH vom 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341.
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Teil 5 Rz. 43
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Zuständigkeit u.a. für die Beendigung des Anstellungsverhältnisses zuweist. Ist dies nicht der Fall, wird die KG nicht etwa durch ihre Gesellschafter vertreten. Bei der Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH handelt es sich vielmehr um eine Geschäftsführungsmaßnahme i.S. des § 164 HGB mit der Folge, dass diese der Komplementär-GmbH obliegt. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann wiederum bei der Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH als deren Annexkompetenz aus § 46 Nr. 5 GmbHG. Hat die Komplementär-GmbH nur einen Gesellschafter, so sind zur Entscheidung über die Kündigung deren Geschäftsführer berufen1. Die Kündigung ist dann im Wege der Erklärung durch vertretungsberechtigte Personen dieses Alleingesellschafters zu vollziehen2.
II. Beendigungstatbestände bei Organvertretern 1. Grundtypen der Vertragsgestaltung 43 Bei Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführern von paritätisch mitbestimmten GmbHs sind bei Vertragsgestaltung hinsichtlich der Beendigung des Dienstverhältnisses stets §§ 84 Abs. 1 AktG, 31 MitbestG zu beachten. Danach werden diese Organvertreter durch den Aufsichtsrat für höchstens fünf Jahre bestellt. Die Dienstverträge weisen deshalb ebenfalls als Höchstdauer fünf Jahre aus. Auch die Vereinbarung einer kürzeren Laufzeit, immer häufiger anzutreffen etwa für drei Jahre, ist zulässig. Dienstverträge, die auf unbestimmte Zeit oder für länger als fünf Jahre geschlossen worden sind, enden wegen der aktienrechtlichen Beschränkungen mit Ablauf der gesetzlichen Fünf-Jahres-Frist3. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung während der Laufzeit ist eher selten anzutreffen. 44 Bei Gestaltung der Beendigung von Anstellungsverhältnissen von GmbH-Geschäftsführern, die nicht, etwa aufgrund Verweisung in den Mitbestimmungsgesetzen, dem Aktienrecht unterliegen, besteht Wahlfreiheit. Insbesondere unterliegt der Geschäftsführer nicht – je nach Blickwinkel – den Beschränkungen bzw. Schutzvorschriften des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG)4. Sein Dienstverhältnis kann also befristet oder unbefristet abgeschlossen werden. Bei einer Befristung stellt die Festlaufzeit die Regel dar. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung besteht hier nicht. Soll das Dienstverhältnis vorzeitig ordentlich kündbar sein, ist dies ausdrücklich in den Vertragswortlaut mit aufzunehmen. Bei einem unbefristeten Dienstverhältnis ist die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung meist explizit ausgestaltet. Es variieren hier Kündigungsregelungen unter Festlegung von Frist und Beendigungszeitpunkt (z.B. sechs Monate zum Quartalsende, zwölf Mo1 2 3 4
BGH vom 8.1.2007 – II ZR 267/05, NZG 2007, 590. BGH vom 16.7.2007 – II ZR 109/06, NZG 2007, 751. Wiesner, in: MünchHdb.AG, § 21 Rz. 19. Offen gelassen wegen des zeitlichen Geltungsbereiches in BGH vom 25.7.2002 – II ZR 207/01, NJW 2002, 3104; h.M., Boewer, TzBfG, 2002, § 1 Rz. 13; Stück, GmHR 2006, 1009; Bauer, Rz. 22; a.A. Busch/Schönhoft, DB 2007, 2650.
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Teil 5 Rz. 43
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Zuständigkeit u.a. für die Beendigung des Anstellungsverhältnisses zuweist. Ist dies nicht der Fall, wird die KG nicht etwa durch ihre Gesellschafter vertreten. Bei der Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH handelt es sich vielmehr um eine Geschäftsführungsmaßnahme i.S. des § 164 HGB mit der Folge, dass diese der Komplementär-GmbH obliegt. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann wiederum bei der Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH als deren Annexkompetenz aus § 46 Nr. 5 GmbHG. Hat die Komplementär-GmbH nur einen Gesellschafter, so sind zur Entscheidung über die Kündigung deren Geschäftsführer berufen1. Die Kündigung ist dann im Wege der Erklärung durch vertretungsberechtigte Personen dieses Alleingesellschafters zu vollziehen2.
II. Beendigungstatbestände bei Organvertretern 1. Grundtypen der Vertragsgestaltung 43 Bei Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführern von paritätisch mitbestimmten GmbHs sind bei Vertragsgestaltung hinsichtlich der Beendigung des Dienstverhältnisses stets §§ 84 Abs. 1 AktG, 31 MitbestG zu beachten. Danach werden diese Organvertreter durch den Aufsichtsrat für höchstens fünf Jahre bestellt. Die Dienstverträge weisen deshalb ebenfalls als Höchstdauer fünf Jahre aus. Auch die Vereinbarung einer kürzeren Laufzeit, immer häufiger anzutreffen etwa für drei Jahre, ist zulässig. Dienstverträge, die auf unbestimmte Zeit oder für länger als fünf Jahre geschlossen worden sind, enden wegen der aktienrechtlichen Beschränkungen mit Ablauf der gesetzlichen Fünf-Jahres-Frist3. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung während der Laufzeit ist eher selten anzutreffen. 44 Bei Gestaltung der Beendigung von Anstellungsverhältnissen von GmbH-Geschäftsführern, die nicht, etwa aufgrund Verweisung in den Mitbestimmungsgesetzen, dem Aktienrecht unterliegen, besteht Wahlfreiheit. Insbesondere unterliegt der Geschäftsführer nicht – je nach Blickwinkel – den Beschränkungen bzw. Schutzvorschriften des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG)4. Sein Dienstverhältnis kann also befristet oder unbefristet abgeschlossen werden. Bei einer Befristung stellt die Festlaufzeit die Regel dar. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung besteht hier nicht. Soll das Dienstverhältnis vorzeitig ordentlich kündbar sein, ist dies ausdrücklich in den Vertragswortlaut mit aufzunehmen. Bei einem unbefristeten Dienstverhältnis ist die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung meist explizit ausgestaltet. Es variieren hier Kündigungsregelungen unter Festlegung von Frist und Beendigungszeitpunkt (z.B. sechs Monate zum Quartalsende, zwölf Mo1 2 3 4
BGH vom 8.1.2007 – II ZR 267/05, NZG 2007, 590. BGH vom 16.7.2007 – II ZR 109/06, NZG 2007, 751. Wiesner, in: MünchHdb.AG, § 21 Rz. 19. Offen gelassen wegen des zeitlichen Geltungsbereiches in BGH vom 25.7.2002 – II ZR 207/01, NJW 2002, 3104; h.M., Boewer, TzBfG, 2002, § 1 Rz. 13; Stück, GmHR 2006, 1009; Bauer, Rz. 22; a.A. Busch/Schönhoft, DB 2007, 2650.
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Beendigungstatbestände bei Organvertretern
Rz. 46 Teil 5
nate zum Halbjahresende) mit der Festlegung von Kündigungsrhythmen, etwa dergestalt, dass sich das Vertragsverhältnis jeweils um drei Jahre verlängert, wenn es nicht mit Wirkung zum 31.12. unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten gekündigt wird.
2. Vorzeitige Beendigung bei sog. „Koppelungsklausel“ Eine Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung von Amt und Vertrag ergibt sich meist zu Gunsten allein der Gesellschaft dann, wenn der Dienstvertrag eine sog. „Koppelungsklausel“ vorsieht. Dadurch wird das Trennungsprinzip zwischen Amt und Vertrag in der Weise aufgehoben, dass das Schicksal des Dienstverhältnisses an das jeweilige des Organverhältnisses gekoppelt wird. Seltener wird die Koppelungsklausel auch zugunsten des Organmitglieds vereinbart, so dass seine Amtsniederlegung auch die Beendigung des Dienstvertrages bewirkt.
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Koppelungsklauseln finden sich in folgendem Zusammenhang im Dienstvertrag:
Formulierungsbeispiel (1) Dieser Vertrag hat beginnend mit dem 1.1.2009 eine feste Laufzeit von drei Jahren. (2) Sollte während der Laufzeit gem. Abs. 1 ein Widerruf der Bestellung gem. § 38 Abs. 1 GmbHG erfolgen, so endet dieser Anstellungsvertrag mit Ablauf der Fristen des § 622 BGB (analog). oder Wird Herr . . . von seinem Amt als Geschäftsführer abberufen, ist die Gesellschaft zur ordentlichen Kündigung des Dienstvertrages unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen berechtigt. oder Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt für beide Vertragsteile vorbehalten. Ein wichtiger Grund für die Kündigung seitens der Gesellschaft ist insbesondere die Abberufung von Herrn . . . aus seinem Amt als Geschäftsführer.
Eine derartige Klausel erweist sich bereits deshalb für den Organvertreter als gefährlich, weil die Erfahrung zeigt, dass das darin meist allein zu seinen Lasten liegende Risiko bei den Vertragsverhandlungen häufig nicht erkannt wird1. Er nimmt den Dienstvertrag laienhaft z.B. als „Dreijahresvertrag“ wahr, ohne dass in der Verknüpfung von Amt und Mandat liegende Risiko zu realisieren. Deshalb steht die Zulässigkeit derartiger Klauseln zu Recht auf dem Prüfstand, wobei dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1 So auch Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809 (810).
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Teil 5 Rz. 47
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
nach seiner Neufassung mit Wirkung auch für Altverträge spätestens seit dem 1.1.2003 besondere Bedeutung zukommt1. Unter der Voraussetzung, dass der Anstellungsvertrag des Betroffenen tatsächlich ein vorformuliertes Vertragsmuster darstellt, das die Gesellschaft für eine Vielzahl von Fällen zu verwenden beabsichtigt, könnten Koppelungsklauseln an dem Verbot überraschender Klauseln gemäß § 305c Abs. 1 BGB wie auch an dem Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB scheitern2. Dabei wird es jedoch stets auf den konkreten Wortlaut der Formulierung und darauf ankommen, inwieweit hier der Umstand der Koppelung in besonderer Weise verschleiert wird3. Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung liegt insoweit noch nicht vor. Allerdings verlangt diese gerade von den Organvertretern einen aufmerksamen Umgang mit dem Inhalt ihres Vertragsverhältnisses. Deshalb hat insbesondere der BGH bislang die Zulässigkeit derartiger „Koppelungsklauseln“ grundsätzlich mitgetragen4. Allerdings tritt die Beendigung des Dienstverhältnisses nach den Vorgaben des BGH nur unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist für Arbeitnehmer gem. § 622 Abs. 1 BGB, entsprechend vier Wochen zum 15. oder Monatsende, ein. 47 Dabei wirkt nicht jede Klausel wirklich als „Koppelungsklausel“. Sieht etwa der Dienstvertrag die Formulierung vor, dass die „Abberufung des Geschäftsführers . . . jederzeit möglich ist und als Kündigung des Anstellungsvertrages zum nächstmöglichen Termin“ gilt, ist im Übrigen jedoch nur eine Festlaufzeit und nicht die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung vereinbart, müssen, um die Koppelung zu bewirken, die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund vorliegen5. 48 Auch die Formulierung, dass „für die Gesellschaft ein wichtiger Grund zur Kündigung dann vorliegt, wenn der Geschäftsführer aus der Gesellschaft ausscheidet“, wurde vom BGH nicht als wirksame Koppelungsklausel interpretiert. Diese war durch die Gesellschaft „gedankenlos“ aus einem Geschäftsführervertrag mit einem Gesellschafter-Geschäftsführer in den dem Streitfall zugrunde liegenden Dienstvertrag eines Fremdgeschäftsführers übernommen worden6. Der Organvertreter ist also bei Verwendung einer derartigen Klausel in seinem Anstellungsvertrag zur Vorsicht aufgerufen. Ist sie wirksam vereinbart, entwertet sie die vom Organvertreter bezweckte Festlaufzeit und den damit verbundenen Schutz vollständig7. 1 2 3 4
Vgl. bereits BGH vom 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, zu §§ 3 ff. AGBG. So z.B. Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337 (2343). So Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 70. BGH vom 29.5.1989 – II ZR 220/88,NJW 1989, 2683, allerdings für die seltene Konstellation, dass die Koppelungsklausel beidseitig galt, also auch dem betroffenen Vorstandsmitglied die Möglichkeit des kurzfristigen Ausstiegs über die Amtsniederlegung zur Verfügung stand; zurückhaltend: BGH vom 1.12.1997 – II ZR 232/96, GmbHR 1998, 534. 5 So BGH vom 21.6.1999 – II ZR 27/98, ZIP 1999, 1669. 6 BGH vom 1.12.1997 – II ZR 232/96, GmbHR 1998, 534. 7 Zu den Nachteilen einer Koppelungsklausel im Urkundsprozess Reiserer, DB 2008, 167 (171).
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Burmester
Beendigungstatbestände bei Organvertretern
Rz. 48 Teil 5
3. Hinauskündigungsklauseln bei Gesellschafter-Geschäftsführern Amt und Vertrag können auch in sog. Managermodellen miteinander verknüpft werden. Im Fokus stehen dann sog. Hinauskündigungsklauseln. Grundsätzlich sind zwar in Personengesellschaften und GmbHs Regelungen, die einem Gesellschafter, einer Gesellschaftergruppe oder der Mehrheit der Gesellschafter das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung jedoch nicht ausnahmslos. Insbesondere im sog. Managermodell gelten danach Erleichterungen. Das Grundmuster ist wie folgt: Eine GmbH betreibt eine Vielzahl von Märkten, die jeweils in der Rechtsform einer GmbH organisiert sind. Für das operative Geschäft ist ein „Vor-Ort-Geschäftsführer“ zuständig. Die administrativen Aufgaben werden von einem zweiten Geschäftsführer mit Sitz in der Holding erledigt. Das Unternehmenskonzept sieht vor, die Motivation des Geschäftsführers, der sich als Unternehmer „seines“ Marktes fühlen soll, zu steigern. Entsprechend beteiligt die GmbH den Vor-Ort-Geschäftsführer mit einem Geschäftsanteil von bis zu zehn Prozent der von ihm geleiteten GmbH. Das restliche Stammkapital hält die GmbH. Der Geschäftsführer hat für den Erwerb seines Anteils i.d.R. nur den Nominalwert zu zahlen und ist am Gewinn, nicht aber am Verlust der Gesellschaft beteiligt. Zugleich wird vereinbart, dass diese Gesellschafterstellung enden soll, wenn er als Geschäftsführer abberufen und/ oder sein Geschäftsführeranstellungsvertrag gekündigt wird. Dazu gibt der Geschäftsführer bei dem Erwerb des Geschäftsanteils ein Angebot zum Rückkauf und zur Rückübertragung seines Gesellschaftsanteils im Fall der Abberufung und/oder Vertragsbeendigung ab, das die GmbH nur binnen zwei Monaten annehmen kann. Als Kaufpreis für die Rückübertragung wird ein Betrag vereinbart, der sich nach dem Einheitswert des Betriebsvermögens und einem dreijährigen Durchschnittsertrag richtet, jedoch das Zehnfache des Nominalwertes nicht übersteigen darf1.
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Von dem grundsätzlichen Verbot sog. Hinauskündigungsklauseln lässt der BGH in Konstellationen wie dieser Ausnahmen zu. Hier hätte die Möglichkeit des Verlustes von Gesellschafterstellung, Amt und Dienstvertrag nicht die Wirkung eines „Damoklesschwertes“. Für den Manager überwögen vielmehr die Vorteile. Er erlange auf diesem Wege eine treuhänderähnliche Stellung. Deren wirtschaftlicher Wert läge in dem erheblichen Gewinnausschüttungspotential für den Fall eines positiven Geschäftsverlaufes während seiner organschaftlichen und dienstvertraglichen Bindung an die Gesellschaft. Dabei ginge er ein „denkbar geringes eigenes wirtschaftliches Risiko“ ein. Die Gesellschaft sei im Übrigen nur durch die Möglichkeit der Hinauskündigung in die Lage versetzt, dieses Geschäftsmodell im Fall der Trennung auch mit dem nachfolgenden Geschäftsführer weiterzuführen und wiederum diesen zu höheren Leistungen zu motivieren2. Derartige Modelle sind nach der BGH-
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1 So BGH vom 19.9.2005 – II ZR 173/04, GmHR 2005, 1558 (1560). 2 Zustimmend etwa Bütter/Tonner, BB 2005, 283; kritisch Binz/Sorg, GmHR 2005, 893.
Burmester
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Teil 5 Rz. 49
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Rechtsprechung auch grundsätzlich AGB-fest, soweit man das AGB-Recht überhaupt zur Anwendung gelangen lässt.
4. Beendigung durch ordentliche Kündigung 49 Soll das Anstellungsverhältnis des Organmitglieds vorzeitig beendet werden, liegt jedoch weder ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Vertragsbeendigung noch eine wirksam vereinbarte Koppelungsklausel vor, kommt die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung in Betracht. 50 Stets ist in diesem Zusammenhang zwischen Organvertretern, die aufgrund des Umfangs ihrer Beteiligung und ihrer Stellung als Gesellschafter die Gesellschaft beherrschen, und nicht beherrschenden Organvertretern zu differenzieren. 51 Zudem entstand durch Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes am 15.10.1993 eine neue Rechtslage. Der Gesetzgeber trug jedoch nicht dafür Sorge, dass eine Neuregelung der für Organmitglieder anzuwendenden Kündigungsfristen erfolgt. Weder der Wortlaut noch die amtliche Begründung des Gesetzes enthalten einen Anhaltspunkt dafür, welche Vorschriften zukünftig auf diesen Personenkreis angewendet werden sollen1. a) Vorstandsmitglieder 52 Soweit der Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds eine feste Laufzeit von im Regelfall fünf Jahren im Hinblick auf die maximale Dauer der Bestellung gemäß § 84 Abs. 1 AktG vorsieht, ist die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung gemäß § 620 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, es sei denn, der Vertrag sieht das Recht zur ordentlichen Kündigung ausdrücklich vor. 53 Ist der Anstellungsvertrag dagegen auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, so endet er jedenfalls mit Ablauf der gesetzlichen Fünf-Jahres-Frist des § 84 Abs. 1 AktG2. Von einem Recht zur vorzeitigen ordentlichen Kündigung sollte zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten auch in dieser Konstellation nur dann ausgegangen werden, wenn der Anstellungsvertrag diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht3. 54 Hier ist weiterhin zu beachten, dass eine ordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags nur zulässig ist, wenn zuvor oder gleichzeitig die Bestellung des Vorstandsmitglieds aus wichtigem Grund gemäß § 84 Abs. 3 AktG widerrufen wird, um das Bestehen der Organfunktion ohne korrespondierenden Dienstvertrag zu verhindern4. 1 Eingehend: Hümmerich, NJW 1995, 1177 (1180). 2 Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 21 Rz. 74. 3 Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 84 Rz. 92; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341 (1345). 4 BGH vom 24.11.1980 – II ZR 182/79, DB 1981, 308; Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 21 Rz. 74.
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Burmester
Beendigungstatbestände bei Organvertretern
Rz. 60 Teil 5
Auch nach Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes von 1993 ist unverändert streitig, ob sich die Frist für eine ordentliche Kündigung des Vorstandsmitglieds nach § 621 Nr. 3 BGB, nach § 622 Abs. 1 BGB oder sogar nach § 622 Abs. 2 BGB unter Anerkennung der Beschäftigungszeiten des Betroffenen bestimmt.
55
Während Einigkeit darüber besteht, dass mindestens die neue Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Schluss eines Monats auf nicht beherrschende Vorstandsmitglieder anzuwenden ist, wird kontrovers diskutiert, ob für die Kündigung des beherrschenden Vorstandsmitglieds lediglich die Frist des § 621 Nr. 3 BGB1 oder die (geringfügig) längere Frist des § 622 Abs. 1 BGB gelten soll2.
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Aus unserer Sicht sollte sich die Entscheidung über die Länge der Kündigungsfrist nach wie vor an der Rechtsprechung des BGH zur Anwendbarkeit des § 621 Nr. 3 BGB auf beherrschende Organmitglieder, im konkret entschiedenen Fall einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, orientieren. Bei einem beherrschenden Organmitglied kann – allen Abgrenzungsschwierigkeiten zum Trotz3 – u.E. nicht mehr eine einem Arbeitnehmer auch nur annähernd vergleichbare Stellung angenommen werden, die bei nicht beherrschenden Organvertretern die Anwendung der für Arbeitnehmer geltenden Kündigungsfristen rechtfertigt.
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Es verbleibt mithin u.E. insoweit bei der Anwendung des § 621 Nr. 3 BGB Ansonsten gilt mindestens § 622 Abs. 1 BGB, bei weiteren Anhaltspunkten, z.B. bei einem langjährigen Vorstandsmitglied, sollte auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden können4.
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b) GmbH-Geschäftsführer Auch für den GmbH-Geschäftsführer gilt zunächst, dass das Recht zur – vorzeitigen – ordentlichen Kündigung im Falle der Befristung des Anstellungsvertrags nur bei entsprechender ausdrücklicher Regelung besteht. Ist der Anstellungsvertrag hingegen auf unbestimmte Dauer abgeschlossen, so ist er jederzeit ordentlich kündbar.
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Der Anstellungsvertrag kann insoweit auch eine zugunsten des Dienstnehmers von dem Standard der §§ 621, 622 BGB abweichende Regelung vorsehen5. Aus Sicht insbesondere des Fremdgeschäftsführers sind dabei langfristige Regelungen zu bestimmten Kündigungsterminen, z.B. die Frist von 12 Monaten zum Halb- oder Jahresende, anzustreben. Soweit eine solche Verein-
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1 BGH vom 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073 (für GmbH-Geschäftsführer); Bauer/Rennpferdt, AR-Blattei, Kündigung V, Kündigungsfristen, Rz. 30. 2 Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 84 Rz. 36; Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 21 Rz. 74; Geßler, AktG, § 84 Rz. 15; Hüffer, AktG, § 84 Rz. 16. 3 Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 84 Rz. 36. 4 So Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337 (2342). 5 LAG Berlin vom 30.6.1997 – 9 Sa 43/97, AP Nr. 41 zu § 5 ArbGG 1979.
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Teil 5 Rz. 61
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
barung nicht getroffen ist, stellt sich auch in diesem Zusammenhang wiederum die Frage, welche gesetzliche Kündigungsfrist nach Inkrafttreten des § 622 BGB Anwendung finden soll. 61 Hier vertritt der überwiegende Teil der Literatur weiterhin die Auffassung, dass § 621 Nr. 3 BGB nur für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer, im Übrigen jedoch die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB und ihre Verlängerung in Abhängigkeit von der Dauer des Anstellungsverhältnisses nach Maßgabe des § 622 Abs. 2 BGB analog heranzuziehen ist1. 62 Die Anwendung der Regelungen in § 622 Abs. 1 und 2 BGB entspricht unverändert den Gegebenheiten und Bedürfnissen der Praxis. Danach ist auch für den nicht beherrschenden Gesellschafter- bzw. den Fremdgeschäftsführer einer GmbH dafür Sorge zu tragen, dass er durch Anwendung einer seiner Unternehmenszugehörigkeit angemessenen Kündigungsfrist (§ 622 Abs. 2 BGB) in die Lage versetzt wird, eine neue, vergleichbare Position zu suchen, die ihm zukünftig den Lebensunterhalt sichert. Dabei wird die gesamte durch den Geschäftsführer im Unternehmen zurückgelegte Dienstzeit zugrunde zu legen sein, d.h. bei vorangegangenem Arbeitsverhältnis auch die Zeiten der Tätigkeit als Arbeitnehmer2. Unseres Erachtens muss dies auch dann gelten, wenn der Geschäftsführerdienstvertrag, der an die Stelle eines Arbeitsvertrages tritt, eine solche Anerkennung der vorangegangenen Unternehmenszugehörigkeit nicht ausdrücklich trifft und dennoch zwischen Arbeits- und Dienstverhältnis als Geschäftsführer ein zeitlicher Zusammenhang (oft ein nahtloser Übergang) gegeben ist. Dies gilt umso mehr, als dass die Gesellschaft bei Anwendung des § 622 Abs. 2 BGB mit einer maximalen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende nach 20 Dienstjahren konfrontiert wird. Im weiteren Fall, dass der Geschäftsführer nach seiner Abberufung als Arbeitnehmer weiterbeschäftigt wird, ist nach neuerer Klarstellung durch das BAG davon auszugehen, dass, soweit die Parteien keine abweichende Regelung treffen, die Beschäftigungszeit als Geschäftsführer auf das neu begründete Arbeitsverhältnis anzurechnen. Dann muss der frühere Geschäftsführer weder eine Wartezeit i.S. des § 1 Abs. 1 KSchG zurücklegen noch auf die Anerkennung seiner Vorbeschäftigungszeit bei Berechnung der Dauer seiner Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 BGB verzichten3.
III. Voraussetzungen für die Abberufung und außerordentliche Beendigung des Anstellungsvertrags 1. Aus Sicht der Gesellschaft 63 Häufig wird der Spielraum und die Taktik bei Verhandlungen über die vorzeitige Auflösung von Anstellungsverträgen maßgeblich davon bestimmt, ob die Gesellschaft ihrer Führungskraft in Organposition ein Verhalten zur Last le1 Reiserer, DB 1994, 1822 (1823); Bauer, BB 1994, 855 (856). 2 Vgl. auch LAG Köln vom 18.11.1998 – 2 Sa 1063/98, NZA-RR 1999, 300. 3 BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366.
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Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
barung nicht getroffen ist, stellt sich auch in diesem Zusammenhang wiederum die Frage, welche gesetzliche Kündigungsfrist nach Inkrafttreten des § 622 BGB Anwendung finden soll. 61 Hier vertritt der überwiegende Teil der Literatur weiterhin die Auffassung, dass § 621 Nr. 3 BGB nur für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer, im Übrigen jedoch die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB und ihre Verlängerung in Abhängigkeit von der Dauer des Anstellungsverhältnisses nach Maßgabe des § 622 Abs. 2 BGB analog heranzuziehen ist1. 62 Die Anwendung der Regelungen in § 622 Abs. 1 und 2 BGB entspricht unverändert den Gegebenheiten und Bedürfnissen der Praxis. Danach ist auch für den nicht beherrschenden Gesellschafter- bzw. den Fremdgeschäftsführer einer GmbH dafür Sorge zu tragen, dass er durch Anwendung einer seiner Unternehmenszugehörigkeit angemessenen Kündigungsfrist (§ 622 Abs. 2 BGB) in die Lage versetzt wird, eine neue, vergleichbare Position zu suchen, die ihm zukünftig den Lebensunterhalt sichert. Dabei wird die gesamte durch den Geschäftsführer im Unternehmen zurückgelegte Dienstzeit zugrunde zu legen sein, d.h. bei vorangegangenem Arbeitsverhältnis auch die Zeiten der Tätigkeit als Arbeitnehmer2. Unseres Erachtens muss dies auch dann gelten, wenn der Geschäftsführerdienstvertrag, der an die Stelle eines Arbeitsvertrages tritt, eine solche Anerkennung der vorangegangenen Unternehmenszugehörigkeit nicht ausdrücklich trifft und dennoch zwischen Arbeits- und Dienstverhältnis als Geschäftsführer ein zeitlicher Zusammenhang (oft ein nahtloser Übergang) gegeben ist. Dies gilt umso mehr, als dass die Gesellschaft bei Anwendung des § 622 Abs. 2 BGB mit einer maximalen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende nach 20 Dienstjahren konfrontiert wird. Im weiteren Fall, dass der Geschäftsführer nach seiner Abberufung als Arbeitnehmer weiterbeschäftigt wird, ist nach neuerer Klarstellung durch das BAG davon auszugehen, dass, soweit die Parteien keine abweichende Regelung treffen, die Beschäftigungszeit als Geschäftsführer auf das neu begründete Arbeitsverhältnis anzurechnen. Dann muss der frühere Geschäftsführer weder eine Wartezeit i.S. des § 1 Abs. 1 KSchG zurücklegen noch auf die Anerkennung seiner Vorbeschäftigungszeit bei Berechnung der Dauer seiner Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 BGB verzichten3.
III. Voraussetzungen für die Abberufung und außerordentliche Beendigung des Anstellungsvertrags 1. Aus Sicht der Gesellschaft 63 Häufig wird der Spielraum und die Taktik bei Verhandlungen über die vorzeitige Auflösung von Anstellungsverträgen maßgeblich davon bestimmt, ob die Gesellschaft ihrer Führungskraft in Organposition ein Verhalten zur Last le1 Reiserer, DB 1994, 1822 (1823); Bauer, BB 1994, 855 (856). 2 Vgl. auch LAG Köln vom 18.11.1998 – 2 Sa 1063/98, NZA-RR 1999, 300. 3 BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366.
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Abberufung und außerordentliche Kündigung
Rz. 69 Teil 5
gen kann, das an sich als wichtiger Grund für eine Abberufung aus der Organposition, ggf. verbunden mit einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses, geeignet ist. Deshalb ist im Folgenden ein Überblick darüber zu geben, welche Voraussetzungen für eine Beendigung der jeweiligen Rechtsbeziehungen vorliegen müssen.
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a) Differenzierung zwischen wichtigem Grund zur Abberufung und wichtigem Grund zur außerordentlichen Kündigung Auch in diesem Zusammenhang ist zwischen Organ- und Anstellungsverhält- 65 nis zu unterscheiden. Zwar ist für die Abberufung eines Vertreters einer AG oder einer GmbH aus seiner Organfunktion gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG und ggf. § 38 Abs. 2 GmbHG ebenso ein „wichtiger Grund“ erforderlich wie nach Maßgabe des § 626 BGB zur außerordentlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses. Diese Gründe sind jedoch nicht per se deckungsgleich. Grundsätzlich sind die Voraussetzungen, unter denen eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden darf, enger gezogen als der Kreis der Gründe, die einen Widerruf der Organstellung erlauben1. So setzt die fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses, anders als die Abberufung aus der Organposition, in der Regel einen in der Person des Betroffenen liegenden wichtigen Grund voraus2.
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Allerdings kann die Gesellschaft eine Identität der Beendigungstatbestände aus wichtigem Grund herstellen, indem sie bereits im Anstellungsvertrag ausdrücklich vereinbart, dass wichtige Gründe i.S. des § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG bzw. § 38 Abs. 2 GmbHG auch zur außerordentlichen Beendigung des Anstellungsvertrags berechtigen sollen3.
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b) Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen der Abberufung aus wichtigem Grund aa) Vorstandsmitglieder Der Gesetzgeber hat im Aktiengesetz und im GmbH-Gesetz definiert, was als wichtiger Grund in jedem Fall zur Abberufung aus der Organposition berechtigen soll.
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Für das Vorstandsmitglied sind dies namentlich gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 69 AktG eine grobe Pflichtverletzung, die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung sowie der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, soweit dies nicht aus offensichtlich unsachlichen Gründen erfolgt ist.
1 BGH vom 29.5.1989 – II ZR 220/88, AP Nr. 26 zu § 622 BGB; GK-AktG-Kort, § 84 Rz. 143. 2 Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 38 Rz. 43. 3 Weber/Burmester, Anstellungsvertrag für Manager, S. 113.
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Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
70 Weitere Gründe sind unter der Voraussetzung denkbar, dass sie in der Sache ähnlich gravierend sind1. 71 Wichtig für den Betroffenen ist, dass der von der Gesellschaft herangezogene Grund weder in seiner Person liegen muss noch schuldhaftes, d.h. persönlich verantwortliches Handeln erfordert. Dies gilt insbesondere für den Widerruf, der sich auf den Vertrauensentzug der Hauptversammlung stützt. Gerade für den Vertrauensentzug ist eine besondere Begründung oder ein objektiv vorwerfbares pflichtwidriges Verhalten nicht erforderlich2. Nicht die Person des Vorstandsmitgliedes, sondern die Fortsetzung seines Organverhältnisses bis zum geplanten Ende seiner Amtszeit muss im Ergebnis der noch näher darzulegenden Interessenabwägung unzumutbar sein3. 71a Die Abberufung auf Druck Dritter, etwa von Banken, ist kritisch zu betrachten. Allerdings kann sie dann zulässig sein, wenn aus Sicht des Unternehmens die Beibehaltung der Organstellung eines Vorstandsmitgliedes zu einer unmittelbaren Existenzgefährdung des Unternehmens führt, weil eine kreditgebende Bank die zur Abwendung der Insolvenz notwendige Verlängerung eines Kredites von der Abberufung eines bestimmten Vorstandsmitgliedes abhängig macht4. bb) GmbH-Geschäftsführer 72 Anders als das Vorstandsmitglied kann der GmbH-Geschäftsführer gemäß § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit und frei, d.h. ohne Angabe von Gründen abberufen werden, solange dieses Recht nicht laut Gesellschaftsvertrag auf das Vorliegen wichtiger Gründe gemäß § 38 Abs. 2 GmbHG, namentlich grobe Pflichtverletzung und Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, beschränkt ist5. 73 Eine solche Vereinbarung ist nach überwiegender Ansicht sowohl bei Gesellschafter-Geschäftsführern als auch bei Fremdgeschäftsführern zulässig6. 74 Die Reduzierung der Widerrufsmöglichkeit muss sich mindestens im Wege der Auslegung aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Davon kann etwa ausgegangen werden, wenn der Geschäftsführer auf Lebenszeit, für die Dauer des Bestehens der Gesellschaft oder seiner Zugehörigkeit als Gesellschafter bestellt ist7. Umgekehrt reicht dafür je für sich genommen nicht aus, dass der Betreffende im Gesellschaftsvertrag zum Geschäftsführer bestellt wurde, dass
1 2 3 4 5
LG Darmstadt vom 4.2.1987 – 9 O 339/86, AG 1987, 318. Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 50. Hüffer, AktG, § 84 Rz. 27. So bei OLG München vom 13.10.2005 – 23 U 1949/05, NZG 2006, 313. Mit den Rechtsfolgen einer Abberufung für den Beschäftigungsanspruch des Geschäftsführers setzt sich Leuchten in GmbHR 2001, 750 f. auseinander. 6 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 38 Rz. 13; Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 40. 7 Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, § 32 Rz. 46.
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Abberufung und außerordentliche Kündigung
Rz. 77 Teil 5
er als einziger Geschäftsführer Einzelgeschäftsführungsbefugnis hat oder zugleich Gesellschafter ist1. Auch wenn die Satzung keine ausdrückliche Regelung trifft, können sich aus den unter den Gesellschaftern bestehenden Treuebindungen jedoch Beschränkungen der Widerruflichkeit eines Geschäftsführers dann ergeben, wenn es sich um einen Geschäftsführer handelt, der gleichzeitig Gesellschafter ist. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Abberufung nicht auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes gesteigert werden. Es reicht aus, wenn nach den Gesamtumständen ein sachlicher Grund vorliegt, der einen verständigen Entscheidungsträger zur Abberufung veranlassen würde. Dies kann etwa dann angenommen werden, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer infolge einer dauerhaften Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, seine Funktion als Geschäftsführer auszuüben2. Dem Gestaltungsspielraum der Gesellschafter bei Festlegung eines „wichtigen Grundes“ sind allerdings Grenzen gesetzt: So ist es unzulässig, im Gesellschaftsvertrag die wichtigen Gründe abschließend aufzuzählen oder zu bestimmen, dass ein Geschäftsführer auch aus wichtigem Grund nicht abberufen werden kann3. Auch der auf den bloßen Vertrauensentzug durch die Gesellschafter gestützte Widerruf stellt für sich genommen keinen wichtigen Grund i.S. des § 38 Abs. 2 GmbHG dar4, weil dies einer faktisch jederzeitigen Abrufbarkeit gleichkommt und den Geschäftsführer so schutzlos stellt, wie er es bei einem Gesellschaftsvertrag ohne Beschränkung der Abberufung auf das Bestehen wichtiger Gründe sein würde.
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Umgekehrt wird jedoch aus dem Grundsatz der freien, aber beschränkbaren Widerrufbarkeit des GmbH-Geschäftsführers gefolgert, dass der Gesellschaftsvertrag wirksam objektiv unwichtige Umstände als wichtigen Grund für einen Widerruf festlegen kann.
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Anders als für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB gilt für die Erklärung der Abberufung aus wichtigem Grund keine zweiwöchige Ausschlussfrist. Allerdings kann das Abberufungsrecht auch verwirken. Dies gilt zum einen dann, wenn die den „wichtigen Grund“ tragenden Vorgänge bereits bei der Bestellung des Geschäftsführers vorlagen und den Gesellschaftern bekannt gewesen sind5. Dies gilt aber auch dann, wenn die Gesellschaft den Geschäftsführer in Kenntnis eines als „wichtiger Grund“ geeigneten Sachverhaltes über längere Zeit hinweg weiter im Amt belässt und deshalb der Geschäftsführer davon ausgeht, dass auf diesen Sachverhalt keine Abberufung gestützt werden soll.
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1 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 38 Rz. 9. 2 Aufschlussreich: OLG Zweibrücken vom 5.6.2003 – 4 U 117/02, NZG 2003, 931 (932). 3 Westermann/Pöllath, Abberufung und Ausschließung von Gesellschaftern/Geschäftsführern, S. 169. 4 OLG Köln vom 16.3.1988 – 6 U 38/87, GmbHR 1989, 79; so auch Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 38 Rz. 22; a.A. Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 38 Rz. 52. 5 BGH vom 12.7.1993 – II ZR 65/92, ZIP 1993, 1228 (1229).
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Teil 5 Rz. 78
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
78 Darüber hinaus ist mit Blick auf das Trennungsprinzip stets zu beachten, dass Abberufung und außerordentliche Kündigung im Regelfall einer gesonderten und eigenständigen Beschlussfassung bedürfen. Die Beschlussfassung über die Abberufung eines Geschäftsführers kann allerdings zugleich als Beschlussfassung über die fristlose Kündigung eines Anstellungsvertrages aufgefasst werden, wenn der Anstellungsvertrag als Klausel enthält, dass die Abberufung zugleich als Kündigung des Anstellungsvertrages zum nächstmöglichen Zeitpunkt gilt1. Die Gesellschaft dürfte dennoch gut beraten sein, jeweils eine explizite Beschlussfassung vorzunehmen2. 79 In prozessualer Hinsicht ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Gesellschaft jederzeit weitere Gründe nachschieben kann, soweit sie darüber zuvor einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss gefasst hat. Das Gericht, das zur Überprüfung des behaupteten wichtigen Grundes angerufen worden ist, darf sich in seiner Entscheidung nur auf die von der Gesellschaft in ihrem Abberufungsbeschluss und etwaigen Folgebeschlüssen geltend gemachten Gründe stützen3. c) Materiellrechtliche Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags aa) Wichtiger Grund 80 Die außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses bedarf in der Regel eines in der Person des Organvertreters liegenden wichtigen Grundes. Ein pflichtwidriges oder gar schuldhaftes Verhalten ist hingegen nicht erforderlich. So ist etwa auch die langandauernde Krankheit des Organvertreters an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Beendigung des Vertragsverhältnisses geeignet. 81 Für den Fall, dass der wichtige Grund in der Gesellschaft begründet liegt, etwa in deren wirtschaftlichen Niedergang, soll die außerordentliche Kündigung ebenfalls möglich sein, allerdings unter Wahrung der für den Fall einer ordentlichen Kündigung anzuwendenden Kündigungsfrist4. Die fristlose Kündigung eines Organvertreters setzt regelmäßig keine vorangegangene Abmahnung voraus5. Der BGH stellt in ständiger Rechtsprechung darauf ab, dass der Geschäftsführer einer GmbH nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft ist, sondern eine organschaftliche Aufgabe wahrzunehmen hat. Er müsse nicht gesondert von den Gesellschaftern oder ggf. dem Aufsichtsrat darauf hingewiesen werden, dass er sich an Gesetz, Satzung und Dienstvertrag zu halten hat. Er habe sich vielmehr ohne gesonderte Aufforderung „im Rahmen seines Pflichtenkreises dem Standard eines ordentlichen Geschäftsmannes entspre1 2 3 4
OLG Düsseldorf vom 24.6.1999 – 6 U 144/97, NZG 2000, 209. Musterformulierung bei Weber/Reinhardt, GmbH-StB 2002, 147. BGH vom 25.3.1985 – II ZR 240/84, GmbHR 1985, 259. Ggf. unter Einhaltung einer Auslauffrist: BGH vom 29.5.1989 – II ZR 220/88, AP Nr. 26 zu § 622 BGB. 5 BGH vom 14.2.2000 – II ZR 218/98, WM 2000, 774.
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Abberufung und außerordentliche Kündigung
Rz. 86 Teil 5
chend zu verhalten“1. Teilweise wird jedoch mit Blick auf die Schuldrechtsmodernisierung und insbesondere auf § 314 Abs. 2 BGB vertreten, dass das Abmahnungserfordernis nun auch für Geschäftsführer gilt. Die Abmahnung sei danach nur dann entbehrlich, wenn ein Fall besonders schwerer Pflichtverletzungen i.S. der §§ 323 Abs. 2 i.V.m. 314 Abs. 2 BGB vorliege2. Allerdings weisen die Gesetzgebungsmaterialien genau in die andere Richtung. Danach wollte der Gesetzgeber mit Einführung des § 314 Abs. 2 BGB die bisherige Rechtsprechung kodifizieren und das Abmahnungserfordernis nicht auf weitere Sachverhaltskonstellationen ausdehnen3. Entsprechend hat sich zwischenzeitlich auch der BGH positioniert und ausdrücklich an seiner bisherigen Rechtsprechung auch unter der neuen Rechtslage festgehalten4. Sowohl der Abberufung aus der Organposition als auch der außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses hat zwingend eine Interessenabwägung vorauszugehen, die den Umständen des Einzelfalls Rechnung trägt.
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Dabei kann ein wichtiger Grund zur Beendigung der jeweiligen Rechtsverhältnisse angenommen werden, wenn der Gesellschaft der Verbleib des Geschäftsführers oder des Vorstandsmitglieds im Amt bei Würdigung aller Umstände und unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen nicht länger, d.h. beim AG-Vorstandsmitglied nicht bis zum Ablauf seiner Amtszeit, beim GmbH-Geschäftsführer ggf. nicht bis zum Ablauf einer vertraglich vereinbarten Befristung bzw. einer ggf. vertraglich vereinbarten ordentlichen Kündigungsfrist, zugemutet werden kann5.
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Dabei spielen das Gewicht der Verfehlungen, deren Auswirkungen für das Unternehmen, der Grad des Verschuldens und die Wiederholungsgefahr auf Unternehmensseite eine gewichtige Rolle. Sie sind gegen die bisherigen Verdienste der Führungskraft für die Gesellschaft, die bisherige und noch verbleibende Dauer der Amtszeit und deren störungsfreien oder belasteten Verlauf, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Kündigung für den Betroffenen und dessen berufliche Perspektive abzuwägen.
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Diese Vielzahl von zu berücksichtigenden Umständen zeigt, dass es stets einer genauen Würdigung des Einzelfalls bedarf, um Aussagen darüber treffen zu können, ob ein bestimmter Sachverhalt als Grundlage für eine Beendigung der bestehenden Rechtsverhältnisse aus wichtigem Grund taugt.
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Als Einzelfälle aus der Rechtsprechung für einen wichtigen Grund zur Abberufung wie zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses
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1 BGH vom 10.9.2001 – II ZR 14/00, NZG 2002, 46 (47); a.A. Schumacher-Mohr, DB 2002, 1606. 2 So etwa Uwe H. Schneider, GmbHR 2003, 1 (4); von Hase, NJW 2002, 2278; Koch, ZIP 2005, 1621 (1626.). 3 Vgl. RegE des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6060, S. 177. 4 BGH vom 2.7.2007 – II ZR 71/06, NZG 2007, 674, dazu auch Anmerkung von Hülbach in ArbRB 2008, 8. 5 BGH vom 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 f.
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Teil 5 Rz. 87
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
seien nur strafbare, gegen die Gesellschaft gerichtete Handlungen, insbesondere Annahme von Schmiergeldern1, Bilanzmanipulationen2 und Fälschung von Buchungsunterlagen3, aber auch Spesenbetrug4 oder Verletzung der Insolvenzantragspflicht5 genannt. 87 Auch der dringende Verdacht einschlägiger strafbarer Handlungen zulasten der Gesellschaft bzw. sonstiger schwerer dienstvertraglicher Verfehlungen kommen als Kündigungsgrund in Betracht6. 87a Bei einem GmbH-Geschäftsführer kann auch die beharrliche Weigerung, einer ausdrücklichen und rechtmäßigen Weisung des oder der Gesellschafter nachzukommen, einen fristlosen Kündigungsgrund darstellen7. 87b
Grundsätzlich gilt, dass Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur, wie sie etwa durch Umwandlung des Unternehmens oder durch Beherrschung bzw. Eingliederung der Gesellschaft dieser keinen wichtigen Grund zur Erklärung einer außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses vermitteln8. Verweigert sich jedoch der Geschäftsführer einer kleinen GmbH mit einer geringen Anzahl nachgeordneter Mitarbeiter, nach Eingliederung der Gesellschaft in einen Konzern neben seinen Leitungsaufgaben anteilig auch inhaltlich zumutbare Sachbearbeiter-Tätigkeiten auszuüben, so kann dies eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses, ggf. unter Einräumung einer Auslauffrist, rechtfertigen9.
87c Unwirksam wäre es im Übrigen, im Dienstvertrag des Geschäftsführers eine Abfindung für den Fall der Kündigung aus wichtigem Grund zu vereinbaren. Dadurch wird das Recht der Gesellschaft zur außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses in unzulässiger Weise eingeschränkt, eine derartige Klausel verstößt deshalb gegen § 134 BGB10. 88 Reicht der Kündigungssachverhalt nach Auffassung des überprüfenden Gerichtes nicht zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund aus, prüft die Rechtsprechung gemäß § 140 BGB die Möglichkeit einer Umdeutung der Erklärung in eine ordentliche Kündigung, soweit diese nach dem Anstellungsvertrag vorgesehen ist11. Des Weiteren setzt die neuere Rechtsprechung des BGH voraus, dass nach der Sachlage angenommen werden kann, dass die ordentliche Kündigung dem Willen der kündigenden Ge1 2 3 4 5 6 7 8
BAG vom 17.8.1972 – 2 AZR 415/71, AP Nr. 65 zu § 626 BGB. OLG Düsseldorf vom 15.2.1991 – 16 U 130/90, WM 1992, 14. OLG Hamm vom 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119. BGH vom 28.10.2002 – II ZR 353/00, ZIP 2002, 2204. BGH vom 15.10.2007 – II ZR 236/06, NZG 2008, 148. LAG Berlin vom 30.6.1997 – 9 Sa 43/97, AP Nr. 41 zu § 5 ArbGG 1979 m. w. Nachw. OLG Frankfurt/M. vom 7.2.1997 – 24 U 88/95, GmbHR 1997, 346 f. Vgl. dazu eingehend Röder/Lingemann, DB 1993, 1342 f.; anderes gilt umgekehrt für die Eigenkündigung des betroffenen Organmitglieds, vgl. unten Rz. 112. 9 OLG Nürnberg vom 9.6.1999 – 12 U 4408/98, NZG 2000, 154 (rkr.). 10 BGH vom 3.7.2000 – II ZR 282/98, BB 2000, 1751 (1752). 11 BGH vom 8.9.1997 – II ZR 165/96, AP Nr. 8 zu § 140 BGB.
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Rz. 94 Teil 5
sellschaft entspricht und dieser Wille in ihrer Erklärung gegenüber dem Kündigungsempfänger erkennbar zum Ausdruck kommt1. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger Gesellschafter-Geschäftsführer mit nicht unerheblichen eigenen Stimmenanteilen. Zu berücksichtigen war weiterhin, dass gemäß § 47 Abs. 4 GmbHG der Gesellschafter-Geschäftsführer zwar vom Stimmrecht hinsichtlich des Beschlusses über die außerordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, diese Einschränkung jedoch hinsichtlich der Beschlussfassung über die ordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses nicht gilt. Angesichts der konkreten Stimmverhältnisse war laut BGH nicht zu erwarten, dass eine solche Beschlussfassung mit eindeutigem Ausgang zustande gekommen wäre. bb) Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB Eine außerordentliche Kündigung ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB auszusprechen und dem Vorstandsmitglied oder dem Geschäftsführer nach den allgemeinen Regeln des Zugangs von Willenserklärungen zur Kenntnis zu bringen.
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Zu beachten ist, dass jede neue Tatsache, die für sich oder gemeinsam mit anderen Tatsachen den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigt, erneut die Zwei-Wochen-Frist in Gang setzt2.
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Diese in der Praxis schwierig zu handhabende Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von dem für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt Kenntnis erlangt.
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Für die Kündigung eines Vorstandsmitglieds ist mithin die Kenntnis des Aufsichtsrats, für die Kündigung eines Geschäftsführers die Kenntnis der Gesellschafter erforderlich.
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Für den Aufsichtsrat ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob die Kenntnis aller Aufsichtsratsmitglieder erforderlich ist oder ob es ausreicht, dass der Aufsichtsratsvorsitzende oder sogar nur ein einfaches Aufsichtsratsmitglied ausreichend über die Kündigungstatsachen informiert ist3.
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Da der Aufsichtsrat ein Kollegialorgan darstellt, ist die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds nicht den anderen Aufsichtsratsmitgliedern zuzurechnen4, so dass die Kenntnis eines (einfachen) Aufsichtsratsmitglieds nicht ausreichen wird, um die Zwei-Wochen-Frist beginnen zu lassen. Für die Praxis wird man davon ausgehen müssen, dass die Kenntnis des Aufsichtsratsvorsitzenden oder seines amtierenden Stellvertreters in jedem Fall den Lauf der
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1 2 3 4
BGH vom 14.2.2000 – II ZR 285/97, GmbHR 2000, 376. OLG Düsseldorf vom 18.6.1998 – 6 U 78/97, GmbHR 1999, 550. Übersicht über den Meinungsstand bei Hüffer, AktG, § 84 Rz. 42. BGH vom 9.11.1992 – II ZR 234/91, GmbHR 1993, 33; Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 84 Rz. 144.
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Teil 5 Rz. 95
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Frist auslöst1 und auch bei Kenntnis zweier Aufsichtsratsmitglieder Eile geboten ist, eine Aufsichtsratssitzung einzuberufen. 95 Die erforderliche Kenntnis aller Aufsichtsratsmitglieder gilt dann vereinfachend bereits als hergestellt, wenn der maßgebliche Sachverhalt in einer Aufsichtsratssitzung behandelt wird, zu der die Mitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung, die die Beendigung des Vorstandsanstellungsverhältnisses aus wichtigem Grund als Tagesordnungspunkt aufführt, ordnungsgemäß geladen und in einer beschlussfähigen Anzahl und Zusammensetzung erschienen sind2. 96 Die Unkenntnis von Aufsichtsratsmitgliedern, die an der betreffenden Sitzung nicht teilnehmen, ist in dieser Konstellation unschädlich. 97 Die Streitfrage, wessen Kenntnis bei der GmbH den Lauf der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB in Gang setzt, ist durch den BGH weitestgehend geklärt worden3. Danach gilt grundsätzlich, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB mit dem Zusammentritt desjenigen Organs, das laut Gesellschaftsvertrag die Kündigungskompetenz hat, beginnt. Im Regelfall ist dies die Gesellschafterversammlung. Innerhalb der Zwei-Wochen-Frist ist im Kollegialorgan nach Beratung und Abwägung zu einer Entscheidung zu gelangen. Einschränkend gilt nunmehr, dass im Interesse des Geschäftsführers die Gesellschafterversammlung mit der gebotenen Beschleunigung einberufen werden muss. Dies gilt, sobald ein zur Einberufung Berechtigter, etwa der Mitgeschäftsführer gemäß § 49 Abs. 1 GmbHG oder der Gesellschafter nach § 50 Abs. 3 GmbHG oder eine Person, die aufgrund sonstiger Treuepflicht zum Betreiben einer Gesellschafterversammlung verpflichtet ist (im Zweifel jeder Gesellschafter bzw. jedes Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglied) von einem Sachverhalt Kenntnis erlangt hat, der eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen könnte4. Für den Fall, dass die Gesellschafterversammlung bzw. das sonst zur Kündigung berechtigte Organ mit unangemessener Verzögerung einberufen worden ist, muss sich nach neuer Rechtsprechung des BGH die Gesellschaft nunmehr gegenüber ihrem Geschäftsführer so behandeln lassen, als wäre das zur Kündigung berechtigte Organ mit der billigerweise zumutbaren Beschleunigung einberufen worden. Dieser fiktive Zeitpunkt des Beginns ist dann für die Zwei-Wochen-Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB maßgeblich5. 98 In der Praxis bereitet es auch oft Schwierigkeiten, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem die vollständige Kenntnis der Kündigungstatsachen vorgelegen hat. 1 Wie hier Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 84 Rz. 144. 2 BGH vom 19.5.1980 – II ZR 169/79, DB 1980, 1984. 3 BGH vom 10.9.2001 – II ZR 14/00, NZG 2002, 46 (48); BGH vom 15.6.1998 – II ZR 318/96, GmbHR 1998, 827; OLG Frankfurt a.M. vom 18.9.1998 – 10 U 272/96, NZG 1999, 356. 4 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 64. 5 BGH vom 15.6.1998 – II ZR 318/96, GmbHR 1998, 828.
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Burmester
Abberufung und außerordentliche Kündigung
Rz. 100 Teil 5
Ein solcher Kenntnisstand ist nur dann anzunehmen, wenn die zur Kündigung Berechtigten die volle, sichere und umfassende Kenntnis aller einschlägigen Tatsachen erlangt haben, die Voraussetzung für eine überlegte Entscheidung unter Würdigung aller Umstände ist1. Soweit dazu noch Ermittlungen wie etwa die Anhörung des Betroffenen durchzuführen sind, müssen diese zügig erfolgen, um den Fristbeginn hemmen zu können2. Der Beginn der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nur solange als gehemmt, als der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile tatsächlich Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen3.
99
Dies hat besondere Relevanz bei der Verdachtskündigung. Hier haben die Gesellschafter unverzüglich für die Aufklärung der Verdachtsmomente zu sorgen. Sie können dazu bei strafbaren Vorwürfen Strafanzeige erstatten und das Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen abwarten. Sie können die notwendigen Ermittlungen jedoch auch in eigener Regie führen. Dies hat „unverzüglich“ zu erfolgen. Verzögerungen in der Aufklärung will die Rechtsprechung so werten, dass sie gegen ein hinreichendes Gewicht des angegebenen Kündigungsgrundes sprechen4. Für den Sachverhalt, der einer Verdachtskündigung zugrunde gelegt werden soll, müssen danach objektive Anhaltspunkte bestehen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung begründen. Nur so könne der Geschäftsführer vor haltlosen Verdächtigungen mit der Folge willkürlicher Beendigung des Anstellungsverhältnisses geschützt werden5. Sobald der Kündigungsberechtigte den erreichten Kenntnisstand für ausreichend hält, um darauf eine fristlose Kündigung stützen zu können, muss er binnen zwei Wochen nach diesem Zeitpunkt die Kündigung aussprechen und zugehen lassen6. Der Kündigungsberechtigte trägt im Bestreitensfalle die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden ist7.
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Eine Verpflichtung, das Organ vor Ausspruch der Kündigung anzuhören, besteht nicht. Ebenso wenig muss das Kündigungsschreiben die Gründe der Kündigung benennen. Der Betroffene kann jedoch gemäß § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB verlangen, dass ihm die Gründe unverzüglich schriftlich mitgeteilt werden.
100a
1 BGH vom 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 (999); BGH vom 26.2.1996 – II ZR 114/95, AP Nr. 34 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 2 BGH vom 19.5.1980 – II ZR 169/79, DB 1980, 1984: fast drei Monate sind nicht mehr „zügig“; BGH vom 26.2.1996 – II ZR 114/95, AP Nr. 34 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 3 BAG vom 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, AP Nr. 117 zu § 626 BGB; OLG Jena vom 1.12.1998 – 5 U 1501/97, NZG 1999, 1069. 4 OLG Celle vom 5.3.2003 – 9 U 111/02, NZG 2003, 820. 5 OLG Celle vom 5.3.2003 – 9 U 111/02, NZG 2003, 820 (820 f.). 6 BAG vom 29.7.1993 – 2 AZR 90/93, AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist. 7 BGH vom 2.7.1984 – II ZR 16/84, WM 1984, 1187.
Burmester
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Teil 5 Rz. 101
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
2. Aus Sicht des Organvertreters 101
Auch für den Organvertreter können sich vielfältige Konstellationen ergeben, die ihn dazu veranlassen, seinen Rücktritt in Betracht zu ziehen.
102
Hier ist wiederum zwischen dem Organverhältnis, das durch Amtsniederlegung beendet werden kann, und dem Anstellungsverhältnis, für dessen Beendigung eine Eigenkündigung des Organvertreters oder ein Aufhebungsvertrag zur Wahl steht, zu trennen. a) Amtsniederlegung
103
Zur Amtsniederlegung waren das Vorstandsmitglied und gleichermaßen der Geschäftsführer einer GmbH nach der früheren BGH-Rechtsprechung nur berechtigt, soweit ein wichtiger Grund vorlag, der die Weiterführung des Amtes unzumutbar werden ließ1.
104
Als wichtige Gründe kommen schwere Störungen des Vertrauensverhältnisses zu anderen Gesellschaftsorganen bzw. deren Mitgliedern2 oder die Unzumutbarkeit weiterer Führung der Geschäfte wegen eigenen Haftungsrisikos beim GmbH-Geschäftsführer3 in Betracht. Auch die Selbsteinschätzung des Geschäftsführers, von der Wahrnehmung seiner Geschäftsführungspflichten ausgeschlossen zu sein, weil entweder Mitgeschäftsführer oder Dritte, z.B. ein Beiratsvorsitzender, die Aufgaben an sich gebunden haben, muss ihn zur sofortigen Amtsniederlegung veranlassen, will er die persönliche Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer ausschließen4. Auch unzulässige Eingriffe des Aufsichtsrats in die Geschäftsführungshandlungen des Vorstands und insbesondere die grundlegende Änderung der Verhältnisse der AG oder GmbH durch Unternehmensumwandlung oder -veräußerung5, etwa der Verlust der eigenverantwortlichen Leitungsmacht als Folge eines Beherrschungsvertrags oder einer Eingliederung gehören hierher.
104a Nach nunmehr überwiegender Auffassung in Rechtsprechung6 und Literatur7 wird die Amtsniederlegung wirksam, auch wenn objektiv kein wichtiger Grund vorliegt, um im Interesse der Rechtssicherheit einen Schwebezustand zu umgehen. Der BGH nimmt zu Recht an, dass es für die Beteiligten und den allgemeinen Rechtsverkehr unzumutbar ist, es im Anschluss an eine Amts-
1 Für GmbH-Geschäftsführer: BGH vom 9.2.1978 – II ZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG; BGH vom 14.7.1980 – II ZR 161/79, NJW 1980, 2415. 2 Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 38 Rz. 25. 3 BGH vom 9.2.1978 – II ZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG. 4 Vgl. Konstellation bei BFH vom 20.4.2006 – VII B 280/05, GmbHR 2006, 894 (895); vgl. auch BFH vom 31.10.2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274. 5 Dazu eingehend: Röder/Lingemann, DB 1993, 1342 f. 6 BGH vom 26.6.1995 – II ZR 109/94, WM 1995, 1665; BGH vom 8.2.1993 – II ZR 58/92, DB 1993, 830 (831), Sonderkonstellation in BGH vom 17.2.2003 – II ZR 340/01, NZG 2003, 394 (395). 7 Vgl. nur Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 84 Rz. 163.
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Burmester
Abberufung und außerordentliche Kündigung
Rz. 106 Teil 5
niederlegung hinnehmen zu müssen, dass bis zur Klärung in einem Rechtsstreit und damit unter Umständen über Jahre hinweg Ungewissheit darüber besteht, ob die Niederlegungserklärung wirksam ist und durch wen die Gesellschaft in dieser Zeit vertreten wird1. Der Organvertreter muss jedoch im Falle einer objektiv ungerechtfertigten Amtsniederlegung damit rechnen, dass die Gesellschaft gegen ihn Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Anstellungsvertrags geltend macht2. Dies gilt insbesondere bei einer rechtsmissbräuchlichen Amtsniederlegung bzw. einer Amtsniederlegung zur Unzeit3. Rechtsmissbräuchlich soll derjenige Geschäftsführer handeln, der Gesellschafter-Geschäftsführer einer Einmann-Gesellschaft ist, seine Stellung als Gesellschafter leugnet und zugleich keinen Nachfolger bestellt4. Eine Amtsniederlegung zur Unzeit ist anzunehmen, wenn der Geschäftsführer auf diesem Wege die Gesellschaft handlungsunfähig werden lässt und sie damit der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten entzieht5. Gerade in diesen Konstellationen wird es auf die Verhältnisse der Gesellschaft im Einzelfall ankommen, die den Geschäftsführer zu dem Schritt der Amtsniederlegung veranlasst haben. Ebenso kann die Gesellschaft ihrerseits die Bestellung aus wichtigem Grund widerrufen und den Anstellungsvertrag fristlos kündigen6 oder eine unberechtigte Amtsniederlegung zum Anlass nehmen, ihrerseits das Dienstverhältnis außerordentlich und fristlos zu kündigen7
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Das jeweilige Amt endet mit Zugang der Niederlegungserklärung beim Bestellungsorgan. Für das Vorstandsmitglied genügt es dabei, wenn die Erklärung dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats übermittelt wird; der GmbH-Geschäftsführer sollte im Zweifel die Erklärung – soweit kein Beirat oder diesem vergleichbares Gesellschaftsorgan besteht – vorsorglich gegenüber allen Gesellschaftern abgeben8. Zwar hat der BGH in dieser für die Praxis wichtigen Frage jedenfalls für Gesellschaften „mit überschaubarem Gesellschafterkreis“ klargestellt, dass der Zugang der Erklärung bei einem der Gesellschafter ausreicht, mithin im Bereich der Passivvertretung der Gesellschafter der GmbH nach § 46 Nr. 5 GmbHG der Grundsatz der Gesamtvertretung zur Anwendung gelangt. Danach wird die Erklärung bereits dann wirksam, wenn sie nur einem von mehreren Gesellschaftern nachweislich zur Kenntnis gelangt ist. Das Risiko, wann bzw. innerhalb welchen Zeitraums die Entscheidung des
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1 2 3 4 5 6 7 8
BGH vom 8.2.1993 – II ZR 58/92, DB 1993, 830 (831). Für die GmbH: BGH vom 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82. Schuhmann, GmbHR 2007, 305 f. BayObLG vom 6.8.1981 – BReg. 1 Z 39/81, BB 1981, 1726; OLG Hamm vom 21.6.1988 – 15 W 81/88, DB 1988, 1537. Vgl. Konstellation bei OLG Koblenz vom 26.5.1994 – 6 U 455/91, GmbHR 1995, 730 (731). Uwe H. Schneider, in: Scholtz, GmbHG, § 38 Rz. 83. Vgl. OLG Celle vom 3.2.2004 – 9 U 203/03, GmbHR 2004, 425. Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 38 Rz. 91; a.A. Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 38 Rz. 27: Zugang bei einem Mitglied des Bestellungsorgans ausreichend.
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Teil 5 Rz. 107
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
ehemaligen Organs allen Gesellschaftern bekannt wird, trägt damit die Gesellschaft selbst. Für Gesellschaften „mit größerem Gesellschafterkreis“ gilt dies jedenfalls ausdrücklich nicht, da der BGH insofern annimmt, dass diese Frage in der Satzung geregelt ist. Fehlt es aber bei GmbHs letzterer Ausprägung an einer entsprechenden Regelung, besteht das praktische Problem für den Geschäftsführer fort, die Erklärung seiner Amtsniederlegung gegenüber allen Gesellschaftern abgeben zu müssen1. Die Erklärung an einen etwaigen Mitgeschäftsführer reicht ausdrücklich nicht aus2. 107
Zudem ist es ratsam, auch für die Erklärung der Amtsniederlegung die ZweiWochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten, um nicht eine Verwirkung dieses Rechts zu riskieren3.
108
Aus der Erklärung sollte zweifelsfrei hervorgehen, ob nur das Amt niedergelegt oder zugleich eine Kündigung des Anstellungsverhältnisses ausgesprochen werden soll. Anderenfalls ist die Reichweite der Erklärung durch Auslegung zu ermitteln4. Gleiches gilt für die Frage, ob die von einem geschäftsführenden Gesellschafter mit Sonderrecht an der Geschäftsführung erklärte Amtsniederlegung auch den Verzicht auf das durch Gesellschaftsvertrag eingeräumte Sonderrecht umfasst5.
109
Darüber hinaus sollte das Organmitglied zweckmäßigerweise die Gründe für seine Entscheidung angeben. Die Erklärung wird allerdings auch dann sofort wirksam, wenn sie mit gar keiner bzw. mit einer Begründung versehen ist, die objektiv keinen wichtigen Grund darstellt6. b) Kündigung des Anstellungsvertrags
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Will das Organmitglied nicht nur sein Amt niederlegen, sondern auch der Gesellschaft seine Dienste nicht weiter zur Verfügung stellen, muss es zudem die Kündigung seines Vertragsverhältnisses aussprechen.
111
Soweit im Anstellungsvertrag des Organmitglieds eine feste Laufzeit vereinbart und die Möglichkeit der vorzeitigen, ordentlichen Kündigung nicht ausdrücklich vorgesehen ist, bedarf es gemäß § 626 Abs. 1 BGB eines wichtigen Grundes, um das Anstellungsverhältnis vorzeitig zu lösen.
112
Dabei kann in dem Entzug des vertraglich vorgesehenen Amtes als Folge einer Verschmelzung oder Umwandlung der Gesellschaft regelmäßig ein solcher wichtiger Grund gesehen werden7. Ein weiteres Beispiel aus der Rechtsprechung ist die systematische Verweigerung von Informationen über die Buch-
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So Schneider in Anmerkung zu BGH vom 17.9.2001, NZG 2002, 43 (45). OLG Düsseldorf vom 3.6.2005 – I-3 Wx 118/05, DB 2005, 1451. Röder/Lingemann, DB 1993, 1343. BGH vom 9.2.1978 – II ZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG. OLG Düsseldorf vom 26.9.2006 – I-3 Wx 77/06, GmbHR 2007, 90 (92). BGH vom 8.2.1993 – II ZR 58/92, DB 1993, 830 (831). Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 38 Rz. 41.
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Burmester
Abberufung und außerordentliche Kündigung
Rz. 118 Teil 5
führung durch einen Mitgeschäftsführer1. Allerdings werden an das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der den vorzeitigen Ausstieg aus dem Vertrag rechtfertigt, hohe Anforderungen gestellt2. Für den Fall, dass die Gesellschaft ihrem Organvertreter vor dem Hintergrund der gesellschaftsrechtlichen Veränderungen eine neue Position anbietet, entfällt der wichtige Grund für die fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses nur, soweit die angebotene Stellung zumutbar ist3.
113
Dies ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls und hängt u.a. davon ab, wie der gegenwärtige Dienstvertrag ausgestaltet ist, welche Gründe zum Wegfall der bisherigen Position führten und insbesondere, ob die neue Tätigkeit nach Geschäftsbereich, Stellung und Ausstattung mit der bisherigen Aufgabe vergleichbar ist.
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Das Organmitglied muss seine Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 BGB binnen zwei Wochen ab Kenntnis des dazu berechtigenden Sachverhalts, etwa ab Information über den bevorstehenden Wegfall der Organstellung, aussprechen und zugehen lassen.
115
Vorstandsmitglieder richten auch diese Erklärung an den Aufsichtsrat als in diesem Fall gemäß § 112 AktG zuständiges Vertretungsorgan der Aktiengesellschaft.
116
Geschäftsführer sind auch hier gut beraten, die Erklärung, sofern kein Beirat oder ähnliches Vertretungsorgan gebildet ist, gegenüber allen Gesellschaftern abzugeben4. Auch bei der GmbH ist insofern Umsicht geboten. Allenfalls bei Gesellschaften „mit überschaubarem Gesellschafterkreis“ wird die Abgabe der Kündigungserklärung gegenüber einem der Gesellschafter ausreichen
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c) Schicksal des Vergütungsanspruchs aa) Amtsniederlegung ohne Kündigung des Anstellungsverhältnisses Legt das Organmitglied nur sein Amt nieder, ohne die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags zu erklären, besteht nach Beendigung der Organstellung sein Vergütungsanspruch für die Restlaufzeit des Vertrags bzw. bis zur Beendigung infolge ordentlicher Kündigung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nach Maßgabe der §§ 615 Satz 1, 293 f. BGB fort. Ob es dazu eines tatsächlichen bzw. wörtlichen Angebotes der Dienstleistung bedarf, hat der BGH5 dahin stehen lassen. Nach Auffassung des BGH ist ein Angebot jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft erkennen las-
1 BGH vom 26.6.1995 – II ZR 109/94, WM 1995, 1665 (1666). 2 Z.B. OLG Köln vom 18.9.1996 – 26 U 4/96, GmbHR 1997, 30 (31). 3 Vgl. auch Konstellation bei OLG Nürnberg vom 9.6.1999 – 12 U 4408/98, NZG 2000, 154. 4 Vgl. Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 38 Rz. 85. 5 BGH vom 9.10.2000 – II ZR 75/99, WM 2000, 2384.
Burmester
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Teil 5 Rz. 119
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
se, dass sie unter gar keinen Umständen bereit sei, den Geschäftsführer nach Abberufung bzw. Amtsniederlegung weiter zu beschäftigen. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die GmbH durch Abberufung des bestehenden Geschäftsführers und anschließender Bestellung eines neuen Geschäftsführers zum Ausdruck gebracht hat, dass für sie eine Geschäftsführertätigkeit des früheren Geschäftsführers endgültig nicht mehr in Frage kommt1. 119
Für die Gesellschaft verbleibt in dieser Konstellation regelmäßig nur die Regelung des § 615 Satz 2 BGB, der zufolge auf den Vergütungsanspruch aus Annahmeverzug anzurechnen ist, was der Betreffende „infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt“.
120
Hinsichtlich der letztgenannten Verpflichtung hat der BGH in bislang zwei Fällen2 entschieden, dass das Organmitglied während der Restlaufzeit seines Vertrags eine ihm angebotene andere, zumutbare Tätigkeit übernehmen müsse, um seinen Vergütungsanspruch aufrecht zu erhalten. Das OLG Karlsruhe hat von einem abberufenen Geschäftsführer verlangt, nach seiner Abberufung eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessene andere leitende Stellung anzunehmen3. Allerdings stellt der BGH hohe Anforderungen an einen wirksamen Verzicht auf die Anrechnung jedweden anderweitig erzielten Verdienstes durch die Gesellschaft. Dieser komme nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber durch sein gesamtes Verhalten zu erkennen gegeben habe, dass ihm das Verhalten des Arbeitnehmers bis zum Ablauf des Vertrages in keiner Weise mehr interessiere. Hiervon soll nach BGH nur dann ausgegangen werden können, wenn die Parteien über Zeitpunkt und Anlass der Vertragsbeendigung im Einvernehmen auseinander gegangen sind4.
Û 121
Hinweis: In der Praxis dürfte beiden Parteien Vorsicht bei dieser u.U. sensiblen Regelung und damit im Zweifel eine explizite Vereinbarung zu empfehlen sein.
Nur in Ausnahmefällen wird die Gesellschaft zur Vermeidung ihrer Pflicht zur Fortzahlung der Vergütung auf eine außerordentliche Kündigung zurückgreifen können. Eine solche Ausnahme besteht nach der Rechtsprechung des BGH dann, wenn das frühere Organmitglied es unter grober Verletzung des weiterhin bestehenden Gebots der Rücksichtnahme auf die Belange der Gesellschaft unterlässt, sich ernsthaft um eine neue Anstellung zu bemühen5.
1 Weiter Röder/Lingemann, DB 1993, 1341 (1346): kein tatsächliches bzw. wörtliches Angebot erforderlich. 2 BGH vom 9.2.1978 – II ZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG; BGH vom 14.7.1966 – II ZR 212/64, DB 1966, 1306. 3 OLG Karlsruhe vom 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208; a.A. Kothe-Heggemann/Dahlbender, GmbHR 1996, 650 (652); Röder/Lingemann, DB 1993, 1341 (1347); differenzierend Dernbach, BB 1982, 1266 (1269) und Baums, ZHR 156 (1992), 248 (253); Leuchten, GmbHR 2001, 750 (751). 4 BGH vom 9.10.2000 – II ZR 75/99, WM 2000, 2384. 5 BGH vom 9.2.1978 – II ZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG.
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Abberufung und außerordentliche Kündigung
Rz. 126 Teil 5
bb) Amtsniederlegung und Kündigung des Anstellungsverhältnisses Soweit das Organmitglied zugleich sein Amt niederlegt und den Anstellungsvertrag fristlos unter Berufung auf einen wichtigen Grund i.S. des § 626 Abs. 1 BGB kündigt, ist regelmäßig zu prüfen, inwieweit die vertraglich vereinbarten Vergütungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes nach Maßgabe des § 628 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden können.
122
Danach ist Voraussetzung, dass die Kündigung „durch vertragswidriges Verhalten“ der Gesellschaft veranlasst worden ist. In diesem Fall ist die Gesellschaft zum Ersatz des durch die Beendigung des Anstellungsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet.
123
Eine solche Verpflichtung hat der BGH in einem Fall bejaht, in dem vertragswidriges Verhalten der Gesellschafter den Geschäftsführer veranlasst hatten, sein Amt aus „wichtigem Grund“ niederzulegen1.
124
Vor dem Hintergrund des Trennungsprinzips zwischen Organ- und Anstel- 125 lungsverhältnis konnte allerdings die Frage kontrovers diskutiert werden, ob umgekehrt die Abberufung aus der Organfunktion das Organmitglied zur außerordentlichen Kündigung und Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs aus § 628 Abs. 2 BGB berechtigt. Berechtigt erscheint dies ohnehin nur dort, wo der Anstellungsvertrag ausdrücklich den Einsatz als Organvertreter vorsieht bzw. sich durch tatsächliche Handhabung des Vertragsverhältnisses die Tätigkeit auf eine solche Führungsposition konkretisiert hat2. Der BGH hat sich jedoch in seiner Entscheidung vom 28.10.2002 auf den gegenteiligen Standpunkt gestellt: Danach stellt die Abberufung aus dem Amt gerade kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft dar. Aus der rechtlichen Trennung von Organ- und Anstellungsverhältnis folge grundsätzlich, dass beide Rechtsverhältnisse rechtlich selbständig nebeneinander stehen und demgemäß auch rechtlich unabhängig voneinander nach den jeweiligen dafür geltenden Vorschriften beendet werden können. Lässt der Gesellschaftsvertrag also die Abberufung des Geschäftsführers gemäß § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit und ohne Beschränkung auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes gemäß § 38 Abs. 2 GmbHG zu, begründet dieser Schritt keinen Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB. Unterbleibt die gleichzeitige Kündigung des Anstellungsverhältnisses, ergibt sich vielmehr der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung aus § 615 Satz 1 BGB. Etwas Anderes ergibt sich nach BGH auch nicht aus der Tatsache, dass ein Dienstvertrag mit fünfjähriger Laufzeit abgeschlossen worden ist, der auf diese Weise das abberufene Organ lange im Dienstvertrag und in der Verpflichtung zur Wettbewerbsenthaltung festhält3. Überdies ist zu bedenken, dass auch der Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB die vertraglich vereinbarten Ansprüche nur bis zu dem Zeitpunkt sichert, zu dem der Anstellungsvertrag erstmalig vorzeitig beendet werden 1 BGH vom 9.2.1978 – II ZR 189/76, AP Nr. 1 zu § 38 GmbHG. 2 So auch Röder/Lingemann, DB 1993, 1341 (1348). 3 BGH vom 28.10.2002 – II ZR 146/02, ZIP-aktuell 2002, Nr. 305.
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Teil 5 Rz. 127
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
kann. Zudem muss sich der Betroffene im Hinblick auf seine Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB jeden schuldhaft und nicht nur den gemäß § 615 Satz 2 BGB „böswillig“ unterlassenen Erwerb anrechnen lassen. 127
Insgesamt ist der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB demnach mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, die im Wege einer einvernehmlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses umgangen werden sollten. Auch umgekehrt können auf den Geschäftsführer nach Amtsniederlegung und fristloser Eigenkündigung seines Anstellungsverhältnisses Schadensersatzansprüche der Gesellschaft zukommen, etwa in Gestalt der für die Suche eines geeigneten Nachfolgers im Amt entstandenen Aufwendungen1. Allerdings sind diejenigen Kosten, und damit regelmäßig der größte Anteil, nicht ersatzfähig, die auch bei einer Beendigung nach dem „Zeitplan“ des Vertrages, also nach Auslaufen der Befristung oder durch ordentliche Kündigung, angefallen wären2.
IV. Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern 1. Einfluss des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 128
Auch bei der Betrachtung von Führungskräften kommt dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Bedeutung zu. Grund ist die ausdrückliche Regelung in § 6 Abs. 3 AGG, der zufolge explizit auch „Selbständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen sowie Vorstände“ vor Benachteiligungen zu schützen sind, jedenfalls soweit es „die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft“. Damit gelten die §§ 6–18 AGG für den genannten Personenkreis zumindest entsprechend. Hinsichtlich des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird von einem weiten Verständnis auszugehen sein mit der Folge, dass sowohl die Bestellung als auch der Dienstvertrag des Organs diskriminierungsfrei zu handhaben sind3. Damit ist fraglich, ob insbesondere Regelungen in Satzungen einer GmbH oder einer AG bzw. in dem Anstellungsvertrag eines entsprechenden Organmitgliedes zulässig sind, die eine Altersregelung im Sinne eines erforderlichen Mindestalters für die Übernahme der Tätigkeit oder eine Altersgrenze enthalten4.
Û
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Hinweis: Infolgedessen ist ein sorgfältiger Umgang mit derartigen Klauseln anzuraten. So sollte eine das Alter als möglichem Diskriminierungstatbestand betreffende Zugangsregelung sachlich begründbar sein5. Im Zweifel ist das Lebensalter als Anknüpfungspunkt im Bewerbungs- und
OLG Köln vom 18.9.1996 – 26 U 4/96, GmbHR 1997, 30 (31). OLG Köln vom 18.9.1996 – 26 U 4/96, GmbHR 1997, 30 (31). Krause, AG 2007, 392 (394). Eingehend Lutter, BB 2007, 725 f. Vorschläge bei Lutter, BB 2007, 725 (726).
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Teil 5 Rz. 127
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
kann. Zudem muss sich der Betroffene im Hinblick auf seine Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB jeden schuldhaft und nicht nur den gemäß § 615 Satz 2 BGB „böswillig“ unterlassenen Erwerb anrechnen lassen. 127
Insgesamt ist der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB demnach mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, die im Wege einer einvernehmlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses umgangen werden sollten. Auch umgekehrt können auf den Geschäftsführer nach Amtsniederlegung und fristloser Eigenkündigung seines Anstellungsverhältnisses Schadensersatzansprüche der Gesellschaft zukommen, etwa in Gestalt der für die Suche eines geeigneten Nachfolgers im Amt entstandenen Aufwendungen1. Allerdings sind diejenigen Kosten, und damit regelmäßig der größte Anteil, nicht ersatzfähig, die auch bei einer Beendigung nach dem „Zeitplan“ des Vertrages, also nach Auslaufen der Befristung oder durch ordentliche Kündigung, angefallen wären2.
IV. Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern 1. Einfluss des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 128
Auch bei der Betrachtung von Führungskräften kommt dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Bedeutung zu. Grund ist die ausdrückliche Regelung in § 6 Abs. 3 AGG, der zufolge explizit auch „Selbständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen sowie Vorstände“ vor Benachteiligungen zu schützen sind, jedenfalls soweit es „die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft“. Damit gelten die §§ 6–18 AGG für den genannten Personenkreis zumindest entsprechend. Hinsichtlich des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird von einem weiten Verständnis auszugehen sein mit der Folge, dass sowohl die Bestellung als auch der Dienstvertrag des Organs diskriminierungsfrei zu handhaben sind3. Damit ist fraglich, ob insbesondere Regelungen in Satzungen einer GmbH oder einer AG bzw. in dem Anstellungsvertrag eines entsprechenden Organmitgliedes zulässig sind, die eine Altersregelung im Sinne eines erforderlichen Mindestalters für die Übernahme der Tätigkeit oder eine Altersgrenze enthalten4.
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Hinweis: Infolgedessen ist ein sorgfältiger Umgang mit derartigen Klauseln anzuraten. So sollte eine das Alter als möglichem Diskriminierungstatbestand betreffende Zugangsregelung sachlich begründbar sein5. Im Zweifel ist das Lebensalter als Anknüpfungspunkt im Bewerbungs- und
OLG Köln vom 18.9.1996 – 26 U 4/96, GmbHR 1997, 30 (31). OLG Köln vom 18.9.1996 – 26 U 4/96, GmbHR 1997, 30 (31). Krause, AG 2007, 392 (394). Eingehend Lutter, BB 2007, 725 f. Vorschläge bei Lutter, BB 2007, 725 (726).
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Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 132 Teil 5
Auswahlverfahren zu umgehen, indem etwa nicht eine langjährige, sondern eine einschlägige Berufserfahrung verlangt wird1. Im Fall einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung stehen auch dem betrof- 129 fenen Organvertreter der verschuldensunabhängige Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG sowie der verschuldensabhängige Schadensersatzanspruch gemäß § 15 Abs. 1 AGG i.V.m. §§ 249 ff. BGB zur Seite. Im ersten Fall ist der Anspruch bei Nichtanstellung auf drei Monatsgehälter beschränkt, im letzten Fall stehen die Vergütungsansprüche bis zum ersten hypothetischen Kündigungstermin im Raum. In Anbetracht der Besonderheiten der Vertragsgestaltung bei Organvertretern und der hier häufig anzutreffenen befristeten Dienstverträge unter Ausschluss der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ist mithin das daraus für die Gesellschaft erwachsene Risiko nicht von der Hand zu weisen. Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob zumindest Fremd- 130 geschäftsführer einer GmbH über den Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG hinaus auch dann den Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes genießen, wenn es um die Beendigung von Amt und Vertrag geht. Hintergrund ist der europäische Ursprung des Gesetzes sowie der Umstand, dass der EuGH im Kontext europäischer Richtlinien bereits verschiedentlich Organe mit Blick auf ihre Weisungsgebundenheit als Arbeitnehmer eingeordnet hat2. Vorstandsmitglieder einer AG dürften bereits mit Blick auf ihre ihnen nach § 76 Abs. 1 AktG zugewiesene eigene Leitungsmacht ebenso wie Geschäftsführer mit beherrschendem Einfluss auf die Gesellschaft hier gleichwohl auszunehmen sein3. Für Fremdgeschäftsführer einer GmbH sollte jedoch gegenwärtig vorsichtshalber auch die Beendigung von Organstellung und Dienstvertrag diskriminierungsfrei ausgestaltet werden4, um einerseits der unklaren Rechtslage zu genügen und andererseits Gegenwehr nicht nur des Betroffenen selbst zu vermeiden5.
2. Abfindungsregelung Wesentlichen Raum auch bei der Verhandlung von Aufhebungsverträgen mit Führungskräften nimmt naturgemäß die Regelung der Abfindung ein. Dabei ist hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen zwischen Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern einer GmbH zu differenzieren.
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a) Vorstandsmitglieder Bei der Behandlung von Abfindungen an Vorstandsmitglieder ist sowohl der Problematik vorzeitiger Wiederbestellung als auch wesentlich zwei aktuellen 1 2 3 4
So Krause, AG 2007, 392 (396). EuGH vom 7.5.1998 – Rs. C-350/96 – Clean Car, Slg. 1998, I-2521 (2547). Bauer/Göpfert/Krieger (noch zum ADG-E), DB 2005, 595 (597). Willemsen/Schweibert, NJW 2006, 2583 (2584); Bauer/Göpfert/Krieger (noch zum ADG-E), DB 2005, 595 (597). 5 Krause, AG 2007, 392 (395).
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Teil 5 Rz. 133
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Umständen Rechnung zu tragen. Zum einen haben Festlegungen in Vorstandsdienstverträgen börsennotierter Aktiengesellschaften die Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodexes zu berücksichtigen1. Zum anderen sind, auch zur Vermeidung der strafrechtlichen Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder, die Vorgaben zu beachten, die der 3. Strafsenat des BGH in seinem „Mannesmann-Urteil“ für die Gestaltung von Aufhebungsvereinbarungen mit scheidenden Vorstandsmitgliedern aufgestellt hat2. aa) Vorzeitige Wiederbestellung 133
Vorstandsmitglieder können gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG für die Dauer von höchstens fünf Jahre bestellt werden. Insofern stellt die zum Zeitpunkt der angestrebten einvernehmlichen Trennung noch verbleibende Restlaufzeit einen für die Verhandlung der Abfindung maßgeblichen Faktor dar.
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Wird in dem Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds bereits eine Regelung zur Abfindung oder anderweitigen geldwerten Verpflichtungen der Aktiengesellschaft aufgenommen, ist darauf zu achten, dass dadurch nicht die Regelung des § 84 Abs. 1 AktG umgangen wird. Denn durch die Begrenzung der Laufzeit der Bestellung und entsprechend des Anstellungsvertrags des Vorstandsmitglieds auf zunächst höchstens fünf Jahre soll sichergestellt werden, dass der Aufsichtsrat als zuständiges Organ, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit über eine Verlängerung beschließen darf, nicht durch die Zusage unangemessen hoher finanzieller Leistungen für den Fall der Nichtverlängerung in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. Zwar ist der Anstellungsvertrag in einem solchen Fall trotz Vereinbarung überhöhter geldwerter Leistungen als wirksam anzusehen, da in Anwendung des § 139 BGB anzunehmen ist, dass er auch ohne eine derartige Regelung abgeschlossen worden wäre. Die Leistungen sind dann jedoch auf einen angemessenen Umfang zu reduzieren3.
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Hinweis: Da regelmäßig zweifelhaft sein dürfte, was nach den Umständen des Einzelfalls als „unangemessen hoch“ einzuordnen ist, sollte von einer Regelung im Anstellungsvertrag Abstand genommen werden zugunsten einer späteren Regelung aus konkretem Anlass der Nichtverlängerung der Amtsperiode4.
Allerdings hat sich die Praxis vermehrt mit dem Phänomen der vorzeitigen Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern auseinander zu setzen. An sich darf der Aufsichtsrat gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG über eine Wiederbestellung in das Vorstandsamt erst ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit ent1 Aktuelle Fassung vom 6.6.2008 unter www.corporate-governance-code.de bzw. im Elektronischen Bundesanzeiger. 2 BGH vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323. 3 BGH vom 28.1.1953 – II ZR 265/51, DB 1953, 233. 4 Bauer, DB 1992, 1413 (1414).
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Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 138 Teil 5
scheiden. Immer öfter wird jedoch zu einem früheren Zeitpunkt über die Vertragsverlängerung entschieden1.
Û
Beispiel: Das Vorstandsmitglied ist für die Zeit vom 1.7.2007 bis 30.6.2012 wirksam bestellt. Der Aufsichtsrat beschließt bereits im März 2009, die laufende Bestellung im Einvernehmen mit dem Betroffenen zu beenden und ihn für den Zeitraum vom 1.4.2009 bis zum 31.3.2014 erneut zu bestellen.
Diese Vorgehensweise ist höchst strittig, wobei höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ersichtlich ist. Während sie teilweise als Umgehung der gesetzlichen Vorgabe in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG für unzulässig2, teilweise, weil außerhalb des Wortlautes der gesetzlichen Regelung für zulässig gehalten wird3, vertreten im Vordringen befindliche Stimmen eine vermittelnde Auffassung. Danach ist die vorzeitige Vertragsverlängerung zulässig, wenn sie auf einen sachlichen Grund gestützt werden kann4. Dieser kann etwa darin liegen, dass dem Vorstandsmitglied aufgrund Veränderungen in der Gesellschaft eine höhere Verantwortung, etwa in Gestalt der Übertragung des Vorstandsvorsitzes oder eines weiteren Vorstandsressorts, übertragen wird oder es in Anbetracht eines Angebotes einer anderen Gesellschaft an den jetzigen Dienstgeber gebunden werden soll.
Û
136
Hinweis: Aufgrund des nach hiesiger Auffassung entgegenstehenden Wortlautes des Aktiengesetzes sollte eine vorzeitige Wiederbestellung auf sachlich triftige Gründe beschränkt werden5.
Für das betroffene Vorstandsmitglied ist diese Praxis schwieriges Terrain. Sollte sich im Nachhinein, etwa im Rahmen einer Due Diligence im Fall der Übernahme durch Dritte, herausstellen, dass die Vorgehensweise von der Gesellschaft nicht (mehr) mitgetragen wird, liegt eine fehlerhafte Bestellung und ein fehlerhaftes Dienstverhältnis vor. Beides, insbesondere das sog. faktische Dienstverhältnis kann der Aufsichtsrat nach Beschluss mit einfacher Erklärung und Wirkung für die Zukunft lösen. Dem Betroffenen kommt dann keinerlei Schutz, auch nicht einer etwaigen Restlaufzeit, zugute. Jegliche Abfindungsvorstellungen laufen rechtlich ins Leere.
137
Auch für den handelnden Aufsichtsrat birgt die Vorgehensweise Risiken. Unabhängig davon, ob sie mit Blick auf die Vorgabe in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG zulässig ist, wird er sich der Frage stellen müssen, inwieweit die vorzeitige Wiederbestellung der Ausübung seines Amtes nach pflichtgemäßem Ermessen entspricht. Lässt er sich von unzulässigen Motiven leiten, wären Scha-
138
1 Eingehend Bauer/Arnold, DB 2006, 260 f. 2 Hüffer, AktG, § 84 Rz. 7; Götz, AG 2002, 305 (306). 3 Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 16; Hölters/Weber, AG 2005, 629; Bauer/Krets, DB 2003, 811 (817). 4 GK-AktG-Kort, § 84 Rz. 114; Fleischer, AG 2006, 429 (436). 5 Die aktuelle Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodexes empfiehlt börsennotierten Aktiengesellschaften gemäß Ziff. 5.1.2., die vorzeitige Wiederbestellung nur „bei Vorliegen besonderer Umstände“ vorzunehmen.
Burmester
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Teil 5 Rz. 139
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
densersatzansprüche gemäß §§ 116, 93 AktG die Folge. Abhilfe schafft zum einen, nur in besonders begründeten Fällen auf diese Gestaltung zurück zu greifen. Zum anderen wird empfohlen, dass der Aufsichtsrat zu einem späteren, innerhalb des zeitlichen Korridors nach § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG liegenden Zeitpunkt einen bestätigenden Beschluss fasst1. bb) Deutscher Corporate Governance Kodex 139
Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex stellt die gleichnamige Regierungskommission wesentliche (gesetzliche) Vorschriften zur Leitung und Überwachung von deutschen börsennotierten Gesellschaften zusammen. Er enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung. Der Kodex wird durch die Regelung in § 161 AktG flankiert. Seine Empfehlungen sind im Text durch die Verwendung des Wortes „soll“ gekennzeichnet. Abweichungen durch die Gesellschaft sind möglich, aber verpflichten zu deren Offenlegung. Anregungen, von denen ohne Offenlegung abgewichen werden kann, sind mit den Begriffen „sollte“ bzw. „kann“ ausgedrückt. Gemäß § 161 AktG müssen Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften jährlich erklären, dass den Empfehlungen des Kodex entsprochen wurde oder wird bzw. welche Empfehlungen nicht angewendet worden sind oder werden. Auch den Organen nicht börsennotierter Aktiengesellschaften empfiehlt die Regierungskommission ausdrücklich, die Vorgaben des Kodexes einzuhalten. Auch wenn die Rechtsfolgen einer nicht bzw. fehlerhaft abgegebenen Entsprechenserklärung nach § 161 AktG für börsennotierte Aktiengesellschaften umstritten ist2, ist die öffentliche Wahrnehmung solcher Umstände nicht zu unterschätzen.
140
In Ziff. 4.2.3. beschäftigt sich der Kodex u.a. mit der Vergütung von Vorstandsmitgliedern. Hier findet sich auch eine Empfehlung zur Gestaltung von Abfindungszusagen mit folgendem Wortlaut: „Bei Abschluss von Vorstandsverträgen soll darauf geachtet werden, dass Zahlungen an ein Vorstandsmitglied bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit ohne wichtigen Grund einschließlich Nebenleistungen den Wert von zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten (Abfindungs-Cap) und nicht mehr als die Restlaufzeit des Anstellungsvertrages vergüten. Für die Berechnung des Abfindungs-Caps soll auf die Gesamtvergütung des abgelaufenen Geschäftsjahres und gegebenenfalls auch auf die voraussichtliche Gesamtvergütung für das laufende Geschäftsjahr abgestellt werden.“
141
In seinem Status als „Empfehlung“ im vorbezeichneten Sinn weicht die aktuelle Fassung des Kodexes von seiner Vorgängerregelung ab, die insoweit noch eine „Anregung“ enthalten hatte3. So unbestritten die Signalwirkung gerade 1 So Bauer/Arnold, DB 2006, 260 (262). 2 Vgl. nur OLG München vom 23.1.2008 – 7 U 3668/07, NZG 2008, 337. 3 Vorgängerfassung ebenfalls unter www.corporate-governance-code.de, dort unter „Archiv“; dazu Bauer/Arnold, BB 2007, 1793; Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846 (848); Dauner/Lieb, DB 2008, 567 (568).
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 143 Teil 5
auch dieser Aufwertung ist, so zweifelhaft ist die konkrete rechtliche Bedeutung der „Empfehlung“. Zunächst bezieht sich der Kodex nur auf Fälle der Beendigung der Vorstandstätigkeit „ohne wichtigen Grund“. Der AbfindungsCap kommt also nicht zum Zuge, wenn die Gesellschaft über einen wichtigen Grund sowohl für die Abberufung aus dem Amt als auch für die außerordentliche Kündigung des Dienstvertrages verfügt. In diesem Fall ist keinerlei Abfindungszahlung gerechtfertigt. Ebenfalls keinen Anwendungsfall für den Abfindungs-Cap stellt es dar, wenn die Gesellschaft im Falle der vorzeitigen Beendigung von Amt und Vertrag eines Vorstandsmitglieds auf der rechtlichen Grundlage allein des Aufhebungsvertrages eine Abfindung zahlt, die die Restlaufzeit des Dienstvertrages kapitalisiert. Nach den Vorstellungen der Regierungskommission sollen zukünftig Regelungen zum Abfindungs-Cap bereits bei Abschluss des Dienstvertrags berücksichtigt und Gegenstand des Vertragswortlautes werden. Insofern ist der Neuregelung für alle nach dem 6.6.2008 geschlossenen Neuverträge bzw. Neuabschlüsse im Rahmen der Wiederbestellung in das Amt des Vorstandsmitglieds Rechnung zu tragen1. Sinnvoll ist dies an sich nur dann, wenn eine solche Regelung entweder aktienrechtlich zulässig oder zumindest mit Einverständnis des Betroffenen vereinbart werden kann. Der Regelungsvorschlag im Kodex stößt jedoch aktienrechtlich an Grenzen und ist daher, gerade vor dem Hintergrund des jetzt erlangten Charakters einer „Empfehlung“, äußerst kritisch zu betrachten.
142
Sein Wortlaut wird unverändert als „missglückt“ eingeschätzt. Es wird nicht klar, ob die „vorzeitige Beendigung der Vorstandstätigkeit ohne wichtigen Grund“ auf das Fehlen eines solchen Grundes für den Widerruf der Bestellung nach § 84 Abs. 3 AktG oder für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB abstellt. Ein „wichtiger Grund“ für die Abberufung eines Vorstandsmitgliedes ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 84 Abs. 3 AktG gerade zwingend erforderlich. Eine „vorzeitige Beendigung der Vorstandstätigkeit ohne wichtigen Grund“ scheidet also aufgrund des zwingenden Charakters der gesetzlichen Regelung bereits begrifflich aus, eine entsprechende vertragliche Regelung wäre unwirksam2. Zwar ist eine Formulierung vorstellbar, mit der sich der Betroffene in diesem Fall auf eine derartige Begrenzung seiner Abfindungsansprüche einlässt3. Fraglich ist jedoch nicht nur, ob die Gesellschaft eine solche im Rahmen der Anbahnung des Vertragsverhältnisses durchsetzen kann und will, sondern auch, ob der Betreffende diese Regelung gegen sich im Fall einer vorzeitigen und damit häufig streitigen Trennung gegen sich gelten lassen wird. Gerade wegen der deutlich gestiegenen Sensibilität der Öffentlichkeit bei dem Thema Vorstandsvergütung ist damit zu rechnen, dass sich die Vertragspraxis auf diese schwierig zu handhabende Regelung einlassen wird. So wird eine sog. modifizierte Koppelungsklausel vorgeschlagen, um einerseits eine aktienrechtlich wirksame, anderer-
143
1 Bauer/Arnold, BB 2008, 1692 (1693). 2 Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846 (848). 3 Beispiel bei Bauer/Arnold, BB 2007, 1793 (1794).
Burmester
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Teil 5 Rz. 144
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
seits eine die Vorgaben des Kodex erfüllende Vertragsgestaltung nachweisen zu können1. Dadurch wird in einem ersten Schritt die Laufzeit des Dienstvertrags an die Dauer der Bestellung gekoppelt und in einem zweiten Schritt für den Fall der wirksamen Abberufung aus wichtigem Grund eine Abfindung in der durch den Kodex vorgegebenen begrenzten Höhe zugesagt. Zwar dürfte die Einhaltung des Kodex damit sichergestellt sein. Der praktische Nutzwert einer solchen Klausel ist jedoch begrenzt. Zum einen bleibt der Streit um das Vorliegen des wichtigen Grundes zur Abberufung erhalten und motiviert u.U. auch zu entsprechenden langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Zum anderen ist zu bedenken, dass umgekehrt eine solche Fixierung der Abfindungshöhe je nach den konkreten Umständen der späteren Trennung für die Gesellschaft tatsächlich die finanziell günstigere Alternative darstellt. Nicht selten lassen sich trennungswillige Organmitglieder etwa mit Blick auf ein anderweitiges Engagement auf eine niedrigere Kompensation ein2. 144
Zu ergänzen ist, dass die Neufassung des Kodex mit Wirkung ab 6.6.2008 auch durch eine weitere Empfehlung zu einem neuen Umgang mit dem Thema Vorstandsvergütung anhält. So bestimmt Ziff. 4.2.2., dass das „Aufsichtsratsplenum auf Vorschlag des Gremiums, das die Vorstandsverträge behandelt, das Vergütungssystem für den Vorstand einschließlich der wesentlichen Vertragselemente beschließen und es regelmäßig überprüfen soll“3. Bewusst zieht die Regierungskommission damit die Verantwortung für die Vorstandsvergütung auf die Ebene des Gesamtaufsichtsrates. Bislang war es nicht nur üblich, sondern auch aktienrechtlich zulässig, mit diesem sensiblen Thema nur etwa den Personalausschuss zu befassen. Allerdings zwingt das am 18.6.2009 vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) zu einer Behandlung im Gesamtaufsichtsrat. Faktisch wird damit nicht nur der Gesamtaufsichtsrat in seiner Verantwortung, sondern insbesondere die Arbeitnehmerbank im Fall von mitbestimmten Aktiengesellschaften gestärkt. cc) Einfluss des „Mannesmann-Urteils“
145
Auch das „Mannesmann-Urteil“ ist für die Gestaltung von Abfindungszusagen in Aufhebungsverträgen mit Vorstandsmitgliedern richtungsweisend. Es vermeidet zwar die Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit die einzelnen, darin zu betrachtenden finanziellen Leistungen an verschiedene Empfänger „angemessen“ i.S. des § 87 Abs. 1 AktG sind, indem es die Zahlungen bereits dem Grunde nach für pflichtwidrig hält und damit den Straftatbestand der Untreue zulasten der Angeklagten als erfüllt ansieht. Gleichwohl setzt es gerade im Rahmen der Vertragsgestaltung Maßstäbe, denen sich kein verantwortungsbewusstes Aufsichtsratsmitglied, auch im Bewusstsein der 1 Beispiele bei Bauer/Arnold, BB 2008, 1692 (1695) und bei Hohenstatt/Willemsen, NJW 2008, 3462 (3464). 2 So zu Recht Bauer/Arnold, BB 2008, 1692 (1696). 3 Vgl. aktuelle Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodexes im elektronischen Bundesanzeiger oder unter www.corporate-governance-code.de.
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 148 Teil 5
ggf. drohenden persönlichen strafrechtlichen wie zivilrechtlichen Haftung entziehen kann. Wesentlich ist jedoch, dass Gegenstand der „Mannesmann-Entscheidung“ 146 nicht die häufig anzutreffende Konstellation gewesen ist, dass bei vorzeitiger Trennung die Restlaufzeit des Festvertrages kapitalisiert und als Abfindung ausgezahlt wird. In dieser Weise war man auch im Fall Mannesmann vorgegangen, ohne dass dieses strafrechtlich relevant geworden ist. Es wird daher auch unter Berücksichtigung dieser Entscheidung weiterhin zivil- und strafrechtlich beanstandungsfrei möglich sein, eine Abfindung in Höhe der bis zum regulären Vertragsende ausstehenden (Fest-)Vergütung zu zahlen. Dies gilt auch dann, wenn die Summe weder abgezinst noch unter Anrechnung ggf. anderweitigen Erwerbs berechnet wird1. Der BGH hatte sich vielmehr in dieser Entscheidung u.a. mit „Anerkennungsprämien“ („appreciation awards“) zu befassen, die der Aufsichtsrat dem damaligen Vorstandsvorsitzenden und seinen vier Vorstandskollegen zugestanden hatte. Diese waren den Managern nachträglich gewährt worden, ohne dass aus den jeweiligen Dienstverträgen ein auf derartige Zahlungen gerichteter Anspruch zu entnehmen gewesen sei. Darin sah das Gericht eine „kompensationslose“ Leistung, die nichts anderes sei als eine „treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens“. Es setzte die strafrechtliche Verantwortung dazu bei einem allgemeinen Schädigungsverbot als Ausfluss der jedem Aufsichtsratsmitglied obliegenden Treuepflicht an. Das Aufsichtsratsmitglied habe alle Maßnahmen zu unterlassen, die den Eintritt eines sicheren Vermögensschadens bei der Gesellschaft zur Folge haben. Entscheidend ist dann der daraus abgeleitete allgemeine Rechtssatz: Danach ist die Gewährung einer nachträglichen Leistungsprämie nur zulässig, wenn und soweit dem Unternehmen gleichzeitig Vorteile zufließen, die den Vermögensverlust wettmachen.
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Für die Gestaltung von Dienst- und Aufhebungsverträgen sind danach drei Konstellationen abzuleiten:
148
(1) Der Dienstvertrag sieht eine an den Geschäftserfolg gekoppelte Zahlung als variablen Vergütungsbestandteil vor. Diese Leistung darf auch im Fall der Trennung nachträglich erbracht werden. Bei Festlegung ihrer Höhe begrenzt die Regelung in § 87 Abs. 1 AktG das Ermessen des Aufsichtsrates. Die konkrete Zahlung muss also in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitgliedes einerseits und zur Lage der Gesellschaft andererseits stehen. (2) Der Dienstvertrag sieht entweder gar keine Grundlage für eine nachträgliche Sonderzahlung vor bzw. es soll über eine etwa vorhandene Zusage eines erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteiles hinaus eine weitere Zahlung fließen. Hier bedarf es einer Kompensation für die Gesellschaft. Die mit der Sonderzahlung verbundene Minderung des Gesellschaftsver1 Bauer/Arnold, DB 2006, 546 (548).
Burmester
449
Teil 5 Rz. 149
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
mögens muss durch Vorteile anderer Art in angemessenen Umfang ausgeglichen werden können. Beispielhaft nennt der BGH dazu eine mit der Zahlung verbundene vorteilhafte Anreizwirkung. Diese müsse nicht notwendig bei der konkret begünstigten Führungskraft feststellbar sein. Es reiche aus, wenn damit anderen aktiven oder potentiellen Führungskräften signalisiert werde, dass sich außergewöhnliche Leistungen lohnen. Wenn diese Auswirkung auf Dritte gegeben sei, wäre eine Zahlung auch an demnächst ausscheidende Organmitglieder strafrechtlich nicht zu beanstanden. (3) Weder der Dienstvertrag enthält einen Ansatz für die nachträgliche Gewährung einer zusätzlichen Leistung noch wird diese durch andere Vorteile zugunsten der Gesellschaft kompensiert. Bei Gewährung einer solchen Leistung erfüllt das agierende Aufsichtsratsmitglied objektiv den Straftatbestand der Untreue. 149
Mit der dargestellten Differenzierung begibt sich der BGH auf schwieriges Terrain. Im wünschenswerten Fall, dass sich ein Vorstandsmitglied außergewöhnlich gut bewährt, wird eine Zahlung, die nicht bereits in seinem Dienstvertrag angelegt ist, nur dann als zulässig betrachtet, wenn sie angemessen kompensiert wird. Eine nachträgliche Belohnung ohne konkreten Anreiz für die Zukunft, die jahrzehntelang die Vergütungspolitik in den Aufsichtsräten mit bestimmt hat, ist damit strafrechtlich fragwürdig1. Vermeidungsstrategien müssen also bereits bei der Formulierung des Dienstvertrags ansetzen. Das künftige Vorstandsmitglied wird Wert darauf legen, dass auch nachträgliche Sonderzahlungen bereits nachvollziehbar im ursprünglichen Dienstvertrag angelegt sind. Die verbreiteten „Sprechklauseln“, wonach die Angemessenheit der Gesamtbezüge in regelmäßigen Abständen etwa von zwei Jahren zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu erörtern sind, dürften hier weder der einen noch der anderen Seite weiterhelfen2. Umgekehrt muss die Gesellschaft bei „notgedrungen“ offen gehaltenen Klauseln zur nachträglichen Anpassung der Vergütung befürchten, dass der Manager insbesondere im Trennungsfall eine ermessensfehlerfreie Bemessung der Sonderleistung verlangt.
150
Jegliche über den Vertragswert hinausgehende Zahlung bedarf zukünftig also einer Kompensation im Sinne der zitierten BGH-Rechtsprechung. Ob hier als weiterer Vorteil auch ins Gewicht fallen darf, dass eine solche – zusätzliche – Zahlung den Trennungsvorgang erfahrungsgemäß erleichtern kann und dabei insbesondere den Vorteil einer stillschweigenden Trennung unter Ausschluss der interessierten Öffentlichkeit bietet, ist allerdings zu bezweifeln3. dd) CIC- bzw. COC-Regelungen
151
In der jüngeren Zeit haben bei der Gestaltung insbesondere von Vorstandsdienstverträgen sog. CIC (Change in Control)- bzw. COC (Change of Control)1 Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127 (129). 2 Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127 (130). 3 So aber Bauer/Arnold, DB 2006, 546 (548).
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 154 Teil 5
Klauseln Bedeutung erlangt. Dadurch wird bereits im Dienstvertrag Vorsorge dafür getroffen, dass sich während der Laufzeit des Vertrages Wechsel in der Kontrolle des Unternehmens vollziehen und zu einem Verlust der Organposition führen. Derartige Klauseln lösen im Fall des Kontrollwechsels Abfindungsansprüche zugunsten des Betroffenen aus, ohne dass diese aus Anlass der Trennung gesondert zu verhandeln wären. Damit dienen sie zunächst der Absicherung der Betroffenen. Ihr Zweck liegt weitergehend darin, das Organmitglied auch in einer Übernahmesituation dazu anzuhalten, sich allein im Interesse der Gesellschaft zu verhalten und seine Verhaltensweise nicht an seinem von der eigenen Vertragssituation geleiteten Interesse auszurichten1. Die Vereinbarung zu Beginn oder während der Laufzeit des Dienstvertrags aus neutralem Anlass ist rechtlich auch für die Gesellschaft unproblematisch. Schwieriger ist es, wenn diese Absicherung im Angesicht einer konkret bevorstehenden Übernahme vereinbart werden soll. Hier stehen die handelnden Organe der Gesellschaft in der Gefahr, für daraus entstehende Lasten in die Haftung genommen zu werden.Begrifflich gilt die COC-Klausel der Konstellation, dass bereits ein Eigentümer die Kontrolle über das Unternehmen ausübt, die CIC-Klausel dagegen der Konstellation, dass dies bislang noch nicht der Fall gewesen ist. Wesentlich ist jedoch der Inhalt der Abrede.
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Die Absicherung greift in der Regel ein, wenn sowohl der Kontrollwechsel stattgefunden als auch die Bestellung in das Amt geendet hat (sog. „double trigger“-Klauseln). Als Kontrollwechsel kann an umwandlungsrechtliche Vorgänge, z.B. die Eingliederung oder die Verschmelzung des Unternehmens auf ein anderes, an Unternehmensverträge mit einem anderen Unternehmen, wesentlich auf den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages oder auch auf den Erwerb eines bestimmten Prozentsatzes der Anteile am Unternehmen durch einen Dritten angeknüpft werden2. Im letztgenannten Fall kann etwa auf die Regelung in § 29 Abs. 2 WpÜG und damit an die Übernahme von 30 % der Anteile abgestellt werden. Der konkrete Prozentsatz ist hier Verhandlungssache, rechtliche Grenzen bestehen insoweit nicht. Weitere Voraussetzung ist, dass das Organ infolge des Kontrollwechsels sein Amt verliert. Dies kann in engeren Klauseln auf die Fälle des unfreiwilligen Verlustes der Amtsstellung begrenzt sein. In weiter gefassten Klauseln (sog. „single-trigger-Klauseln) wird auf diese Voraussetzung ganz verzichtet oder sie wird dahingehend abgeschwächt, dass das Organ in diesem Fall ein Eigenkündigungsrecht eingeräumt erhält. In Betracht kommt etwa, das Eigenkündigungsrecht für den Fall der Beschränkung der Zuständigkeit, bei Änderung des Ressortzuschnittes oder auch bei Verlagerung der Gesellschaft zu formulieren.
153
Tritt der definierte Fall des Kontrollwechsels und des Amtsverlustes ein, ist der Dienstvertrag abzufinden. Wichtig ist es, die einzelnen Bestandteile der
154
1 Fonk, in: Semler/von Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl. 2004, § 9 Rz. 269. 2 Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846 (847).
Burmester
451
Teil 5 Rz. 155
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
zu leistenden Zahlungen vorab eindeutig zu definieren. Dies gilt insbesondere für den Umfang der abzugeltenden Festbezüge und den Modus der Festlegung variabler Vergütungsbestandteile. 155
Auch in diesem Zusammenhang ist jetzt die Empfehlung in der Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodexes zu beachten. In Ziff. 4.2.3. heißt es dazu: „Eine Zusage für Leistungen aus Anlass der vorzeitigen Beendigung der Vorstandstätigkeit infolge eines Kontrollwechsels (Change of Control) soll 150 % des Abfindungs-Caps nicht übersteigen“1. b) Geschäftsführer einer GmbH
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Während die Laufzeit des Anstellungsvertrags eines Vorstandsmitgliedes von vorneherein gemäß § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG auf maximal fünf Jahre mit der Möglichkeit der Verlängerung um jeweils weitere fünf Jahre begrenzt ist, kommt es beim GmbH-Geschäftsführer auf die konkrete vertragliche Regelung an, die regelmäßig die Stärke seiner Verhandlungsposition bei Vertragsabschluss widerspiegeln dürfte.
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So sind Anstellungsverträge von GmbH-Geschäftsführern, die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres befristet sind und zuvor nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden können, zwar juristisch zulässig, in der Praxis jedoch die Ausnahme, da hier die Befristung auf eine bestimmte, je nach Verhandlungsposition mehr oder weniger lange Laufzeit überwiegt.
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Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Vertragsparteien bereits in den Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers zulässigerweise eine Abfindungsregelung für den Fall vorzeitiger Trennung aufnehmen können.
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Grundsätzlich ist die Vereinbarung einer Abfindung bereits im Anstellungsvertrag ohne die genannten aktienrechtlichen Einschränkungen möglich, jedoch in der Praxis in Abhängigkeit von der konkreten Verhandlungsposition zu sehen. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass durch die Vereinbarung einer Abfindungszahlung bei vorzeitiger Trennung nicht das Recht der Gesellschafter eingeschränkt wird, das Vertragsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu kündigen2.
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War der Geschäftsführer zuvor für die Gesellschaft als (leitender) Angestellter tätig, sieht der Geschäftsführeranstellungsvertrag häufig zugleich die Aufhebung des bestehenden Arbeitsvertrags vor.
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Der Geschäftsführer gibt damit bei seiner erstmaligen Bestellung zum Organvertreter nicht selten den in langen Jahren erworbenen Besitzstand einer sozial umfassend gesicherten Arbeitnehmerposition auf und fängt außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes und der Regelungen zum besonderen Kündigungsschutz neu an. 1 Kritisch Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846 (847). 2 BGH vom 3.7.2000 – II ZR 282/98, BB 2000, 1751 (1752).
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 167 Teil 5
Insbesondere der Fremdgeschäftsführer einer GmbH, der sein Schicksal in ähnlicher Weise wie ein Arbeitnehmer an das der GmbH bindet, sollte also, ggf. unter Verweis auf die Aufgabe des erworbenen Besitzstands, möglichst eine Regelung verhandeln, die den wegfallenden Schutz zumindest teilweise kompensiert. Er kann dazu, soweit der Dienstvertrag überhaupt ordentlich kündbar sein soll, auf die Vereinbarung einer langen Kündigungsfrist, besser noch auf die Vereinbarung einer langen Laufzeit drängen. Idealerweise gelingt es ihm, bereits im Anstellungsvertrag die Frage der Abfindung unter Berücksichtigung der vollen bislang zurückgelegten Unternehmenszugehörigkeit positiv zu regeln, indem für die bisherige Dauer der Unternehmenszugehörigkeit ein Fixbetrag oder ein fester Prozentsatz seiner aktuellen Bezüge pro vollendetem Dienstjahr vereinbart wird.
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Hinweis: Auch für den Geschäftsführer einer GmbH kann es nach Lage der Dinge vorteilhaft sein, in seinen Dienstvertrag eine CIC- bzw. COCKlausel mit aufzunehmen. Diese soll ihn für den Fall des Kontrollwechsels während der (Fest-)Laufzeit seines Dienstvertrages absichern. Dieses kann z.B. bei bislang familiengeführten Gesellschaften angeraten sein, in denen altersbedingt ein Wechsel in der Gesellschafterstrukur ansteht. Wesentlich kann dazu auf die diesbezüglichen Ausführungen für das Vorstandsmitglied einer AG Bezug genommen werden. Wichtig ist auch in diesem Fall, sowohl den Fall des Kontrollwechsels als auch die finanziellen Ansprüche so genau wie möglich vorab zu definieren.
3. Tantieme Die variable Vergütung von Organvertretern kennt viele Gestaltungsformen. Es kann sich um Bonus- oder Prämienregelungen, um Aktienoptionsprogramme oder Sonderzahlungen für bestimmte Umstände oder Leistungen handeln. Soweit es Tantiemen anbelangt, kommen Tantiemezahlungen in Gestalt einer Gewinn-, Umsatz-, Ermessens- oder Garantietantieme in Betracht1.
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a) Vorstandsmitglieder Rechtsgrundlage für den Tantiemeanspruch des Vorstandsmitglieds ist in der Regel der Anstellungsvertrag. Ein gesetzlicher Anspruch besteht nicht2.
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Für ein einzelnes Geschäftsjahr kann auch der Aufsichtsrat durch Beschluss eine Tantieme festlegen. Allerdings kann das Vorstandsmitglied auch nach mehrmaliger Gewährung einer Tantieme durch den Aufsichtsrat daraus keinen Anspruch für die Zukunft ableiten3.
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Auch die Hauptversammlung kann dem Vorstandsmitglied, soweit die Satzung eine entsprechende Ermächtigung vorsieht, im Rahmen der Beschluss-
167
1 Hüffer, AktG, § 86 Rz. 3–4; Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 35 Rz. 74. 2 Bauer, DB 1992, 1413 (1420). 3 Wiesner, in: MünchHdb.AG, § 21 Rz. 37.
Burmester
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Teil 5 Rz. 168
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
fassung über die Verwendung des im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschafteten Gewinns eine Tantieme zusprechen1. 168
Ist eine auf den Jahresgewinn bzw. Jahresüberschuss der Aktiengesellschaft bezogene Tantieme vereinbart, so ergab sich früher aus § 86 Abs. 2 Satz 1 AktG a.F. zum Schutz der Gesellschaft zwingend, wie sich der Gewinnanteil berechnet. Entgegenstehende Vereinbarungen waren nicht nichtig, sondern im Sinne der hier getroffenen zwingenden Auslegungsregel zu handhaben2. Diese Regelung ist zwischenzeitlich aufgehoben. Nach Auffassung des Gesetzgebers war sie überflüssig und überholt. Dennoch ist sie für das Verständnis und die Auslegung von § 87 AktG weiterhin von Bedeutung, soweit es die Handhabung von Tantiemeregelungen für Vorstandsmitglieder anbelangt3.
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Die Tantieme kann, wenn sie im Anstellungsvertrag in bestimmter Höhe ausdrücklich garantiert wird, auch erfolgsunabhängig geschuldet sein4.
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In der Regel ist die Tantiemeregelung eines Vorstandsmitglieds allerdings erfolgsabhängig ausgestaltet. In diesem Fall hat der Aufsichtsrat zwingend § 87 Abs. 1 AktG Rechnung zu tragen. Danach hat er bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des Vorstands, zu denen ausdrücklich auch „Gewinnbeteiligungen“ gehören, dafür zu sorgen, dass die „Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitgliedes und zu der Lage der Gesellschaft stehen“. In der Neufassung des § 87 Abs. 1 AktG durch das „Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“ (VorstAG) vom 18.6.2009 wird des weiteren verlangt, dass „langfristige Verhaltensanreize zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung“ gesetzt werden sollen. Die gesetzliche Regelung wird durch die als „Anregungen“ ausgestalteten Vorgaben des Deutschen Corporate Governance Kodex flankiert. Danach bilden insbesondere die Aufgaben des Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die Leistung des Vorstands sowie die wirtschaftliche Lage, der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens unter Berücksichtigung seines Vergleichsumfelds wesentliche Kriterien. Variable Vergütungsteile „sollten dabei einmalige sowie jährlich wiederkehrende, an den geschäftlichen Erfolg gebundene Komponenten und auch Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter enthalten“5.
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Grundsätzlich steht dem Aufsichtsrat ein weiter Ermessens- und Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Festsetzung der einzelnen Bestandteile zu, aus denen sich die Vergütung zusammensetzt. Lediglich die Gesamtbezüge müssen in dem in § 87 Abs. 1 AktG beschriebenen angemessenen Verhältnis stehen. Explizit sind Bestandteile, die sich am Erfolg des Unternehmens orientieren, zulässig. Dies soll auch dann gelten, wenn variable Leistungen zugesagt sind, die sich am Aktienkurs der Muttergesellschaft orientieren6. Auch 1 2 3 4 5 6
Mertens, in: KölnKomm zum AktG, § 86 Rz. 4. Hüffer, AktG, § 86 Rz. 7. GK-AktG-Kort, § 86 Rz. 1. OLG Celle vom 29.8.2007 – 3 U 37/07, NZG 2008, 79 (Vorstandsmitglied einer AG). So Ziff. 4.2.3. des Deutschen Corporate Governance Kodex i.d.F. vom 6.6.2008. LG München I vom 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, NZG 2008, 114 (n.rkr.).
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 175 Teil 5
sollen überragende Leistungen, die zu einem überdurchschnittlichen Ergebnis der Gesellschaft beitragen, überdurchschnittlich hohe Vergütungen rechtfertigen können1. An diesem Grundsatz hat sich auch durch das „Mannesmann-Urteil“ des BGH2 nichts geändert. Allerdings ist dadurch die Frage in den Fokus gerückt, ob der Aufsichtsrat bei Festlegung der Parameter erfolgsabhängiger Vergütung das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß handhabt3. Im Zweifel wird dies nur anhand des Einzelfalls entschieden werden können. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Aufsichtsrat die endgültige Bemessung der Tantieme entweder ausschließlich oder zusätzlich zu definierten erfolgsabhängigen Faktoren in sein Ermessen gestellt hat4.
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Auch im Angesicht des Mannesmann-Urteils wird es unverändert zulässig sein, im Fall der vorzeitigen Trennung den Wert der Restlaufzeit unter Einschluss der variablen Komponenten, also insbesondere der Tantieme, als Grundlage für die Festlegung der Abfindungshöhe im Aufhebungsvertrag zu wählen. Für die Bemessung der Höhe der Tantieme kann dazu unverändert auf die Zielerreichungsgrade der Vorjahre zurück gegriffen werden5. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn die Tantieme davon nach oben abweichend bei der Höhe der Abfindung Berücksichtigung finden soll. Dazu muss nach dem Mannesmann-Urteil eine solche Abweichung entweder bereits im Wortlaut des Dienstvertrags angelegt sein oder es müssen der Gesellschaft gleichzeitig Vorteile zufließen, die in einem angemessenen Verhältnis zu der mit der Zahlung verbundenen Minderung des Gesellschaftsvermögens stehen.
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Umgekehrt muss die Frage erlaubt sein, ob der Dienstvertrag im Fall der wirksamen Abberufung aus wichtigem Grund für den Fall des Fortbestands des Dienstvertrags bei Freistellung des Vorstandsmitglieds zulässigerweise vorsehen darf, dass der Anspruch auf variable Vergütungsbestandteile, insbesondere die Tantieme, entfällt. Grundsätzlich ist dieses zu bejahen6. Allerdings bedarf es insoweit, auch in Anbetracht einer möglichen AGB-Kontrolle derartiger Vertragsklauseln7 einer transparenten Regelung. Dem Betroffenen muss dadurch klar vor Augen geführt werden, dass und unter welchen Umständen er seinen Anspruch auf variable Vergütung verliert.
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b) GmbH-Geschäftsführer Auch für den GmbH-Geschäftsführer muss Bemessungsgrundlage und Höhe der Zahlung einer Tantieme oder eines anderen leistungs- bzw. erfolgsabhän1 2 3 4 5 6
LG München I vom 29.3.2007 – 5 HK O 12931/07, NZG 2008, 477 (n.rkr.). BGH vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323. Kritisch Feudner, NZG 2007, 779 (780). Dazu Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127 (130). Bauer/Arnold, DB 2006, 546 (548). So auch Bauer/Arnold, BB 2007, 1793 (1795) im Zusammenhang mit der Diskussion des Abfindungs-Caps gemäß Deutschem Corporate Governance Kodex. 7 Dazu Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337 (2340).
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Teil 5 Rz. 176
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
gigen variablen Vergütungsbestandteils im Einzelnen vereinbart werden. Die Regelungen der § 612 Abs. 2 BGB oder § 87 Abs. 1 AktG finden keine Anwendung1. Die Gesellschaft hat jedoch bei Tantiemezusagen gegenüber mehreren Geschäftsführern den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten2. Des Weiteren wird die Gestaltung des Dienstvertrages auch hier den Geboten der AGB-Kontrolle Rechnung zu tragen haben. Dies gilt insbesondere für das Transparenzgebot. Gleichwohl bestehen keine Bedenken, den Anspruch auf variable Vergütungsbestandteile durch eine klare und verständliche Regelung im Dienstvertrag auf den Fall der aktiven Tätigkeit zu beschränken und für den Fall der vorzeitigen Abberufung und Freistellung bis zur Beendigung des Dienstvertrages auszuschließen. Aus Sicht des Geschäftsführers sind derartige Regelungen insbesondere dann zu vermeiden, wenn die Satzung der Gesellschaft keine Beschränkung des Grundsatzes der freien Abberufung, d.h. einer solchen ohne wichtigen Grund, vorsieht. 176
Soweit im Rahmen des Aufhebungsvertrags nichts anderes vereinbart wird, steht dem während eines Geschäftsjahres ausscheidenden Organmitglied die zugesagte Tantieme anteilig – pro rata temporis – zu3. Der Tantiemeanspruch mindert sich entsprechend der Relation zwischen dem vollen Geschäftsjahr und der Tätigkeitszeit des ausscheidenden Organvertreters4.
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Der Zahlungsanspruch bei einer auf das Geschäftsjahr bezogenen Tantieme entsteht in der Regel erst mit dessen Ende und wird mit Feststellung des Jahresabschlusses durch das zuständige Gesellschaftsorgan fällig.
178
Abweichende Vereinbarungen sind auch im Rahmen eines Aufhebungsvertrags möglich. Dabei sollte im besonderen Maße auf Klarheit und Vollständigkeit der Regelung geachtet werden, um nach Abwicklung des Anstellungsverhältnisses Streitigkeiten über den Fälligkeitszeitpunkt und die Höhe der noch ausstehenden Zahlungen zu vermeiden.
Û
Hinweis: Unter Umständen bietet es sich an, im Aufhebungsvertrag zum Ausgleich aller noch offenen Tantiemeansprüche die Zahlung einer Pauschale vorzusehen.
4. Aktienoptionen 179
Die Gewährung von Aktienoptionen hat sich als weiterer Bestandteil variabler Vergütung in Verträgen mit Organvertretern etabliert. Dabei sind die Ausgestaltungsformen, häufiger mit Bezug auf ausländische Gesellschaften
1 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh § 6 Rz. 32. 2 BGH vom 9.5.1994 – II ZR 128/93, NJW-RR 1994, 1055. 3 Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 21 Rz. 38; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 32. 4 OLG Hamm vom 8.10.1984 – 8 U 265/83, BB 1984, 2214; Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 35 Rz. 75.
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Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 181 Teil 5
und damit verbunden ausländischem Recht, vielfältig1. Nach der „Empfehlung“ in Ziff. 4.2.3. des Deutschen Corporate Governance-Kodex sollen „Aktienoptionen und vergleichbare Gestaltungen auf anspruchsvolle, relevante Vergleichsparameter bezogen sein. Eine nachträgliche Änderung der Erfolgsziele oder der Vergleichsparameter soll ausgeschlossen sein. Für außerordentliche, nicht vorhergesehene Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine Begrenzungsmöglichkeit (Cap) vorsehen“2. Rechtlich sind tatsächliche und virtuelle Aktienoptionen zu unterscheiden. Handelt es sich um tatsächliche Aktienoptionen, ist für deren Handhabung, auch im Einzelfall, regelmäßig die Hauptversammlung nach Maßgabe des konkreten Optionsprogramms zuständig. Wichtig wird dies in der Situation der Verhandlung eines Aufhebungsvertrags3. Da die Optionsbedingungen, tatsächliche wie virtuelle Optionen betreffend, in der Regel bei Ausscheiden sowohl den Verfall bereits gewährter Optionen4 als auch den Ausschluss von der Gewährung zukünftiger Tranchen vorsehen, ist eine Regelung anzustreben, die den dadurch eingetretenen empfindlichen Verlust zumindest abmildert. Dabei ist die Verhandlungsposition für bereits ausgegebene, aber noch nicht ausgeübte Optionen günstiger. Hier sollte im Aufhebungsvertrag fixiert werden, dass das Ausübungsrecht aufrecht erhalten bleibt. Bei tatsächlichen Aktienoptionen ist diese Entscheidung allerdings der Hauptversammlung vorbehalten und damit praktisch schwierig zu erhalten. Alternativ kommt ein finanzieller Ausgleich in Betracht. Dieser begegnet jedoch nicht nur der Schwierigkeit seiner konkreten Bemessung, sondern auch dem Risiko, unter dem Gesichtspunkt des „Mannesmann-Urteils“5 angreifbar zu sein.
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Dies gilt erst recht für die Einbeziehung und Bemessung solcher Tranchen von Optionen, deren Gewährung erst in der Zukunft, d.h. nach – vorzeitiger – Auflösung des Dienstverhältnisses ansteht. Hier wird es vielfach an einer gesicherten Rechtsposition fehlen, was die Chancen auf Berücksichtigung in einer Aufhebungsvereinbarung mindert.
5. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot Ein über die Amtszeit des Organvertreters hinausreichendes Wettbewerbsverbot muss im Anstellungsvertrag oder in einer Zusatzvereinbarung ausdrücklich festgelegt werden, um nach dem Ausscheiden des Betroffenen Wirksamkeit zu erlangen6.
1 Als Beispiel aus der aktuellen Rechtsprechung: LG München I vom 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, NZG 2008, 114 f. (n.rkr.). 2 Vgl. aktuelle Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodexes im elektronischen Bundesanzeiger oder unter www.corporate-governance-code.de. 3 Bauer/Krets, DB 2003, 811 (816). 4 Zu einem Aktienoptionsprogramm für Arbeitnehmer als Führungskräfte vgl. aktuell BAG vom 28.5.2008 – 10 AZR 352/07, WM 2008, 1923 f. 5 BGH vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323. 6 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 25.
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Teil 5 Rz. 182
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
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Nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung1 und Literatur2 finden die für Arbeitnehmer geltenden Regelungen der §§ 74 ff. HGB auf Organvertreter zumindest insoweit keine entsprechende Anwendung, als dass die Wirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nicht analog § 74 Abs. 2 HGB von der Zusage einer Karenzentschädigung abhängt. Im Übrigen sollen die §§ 74 ff. HGB herangezogen werden, soweit sie dem Schutz der Unternehmensinteressen gegenüber dem ausscheidenden Organmitglied dienen3.
183
Ein Teil der Literatur nimmt allerdings für Fremdgeschäftsführer und nicht an der Aktiengesellschaft beteiligte Vorstandsmitglieder an, dass sich aus deren erhöhter Schutzbedürftigkeit eine Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung in entsprechender Anwendung des § 74 Abs. 2 HGB ergibt4.
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Die Zulässigkeit einer nachvertraglichen Wettbewerbsvereinbarung mit Organvertretern unterliegt anstelle der §§ 74 ff. HGB den engen Grenzen des Art. 12 GG einerseits und der Regelung in § 138 BGB andererseits5. Über § 138 BGB ist sodann wieder mittelbar auf die Regelungen in §§ 74 ff. HGB zurückzugreifen6.
185
Eine entsprechende Vereinbarung ist danach nur zulässig, wenn sie dem Schutz eines berechtigten Unternehmensinteresses dient und sowohl nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung und wirtschaftliche Betätigung des ausscheidenden Organmitglieds nicht unbillig erschwert7.
186
Dabei wird für den Regelfall von einer maximalen Geltungsdauer von zwei Jahren ausgegangen8.
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Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ohne Karenzentschädigung wird daher nur im Ausnahmefall zulässig und wirksam sein9. Maßgeblich sind stets 1 BGH vom 7.7.2008 – II ZR 81/07, NZG 2008, 753; BGH vom 26.3.1984 – II ZR 229/83, NJW 1984, 2366; OLG Düsseldorf vom 10.3.2000 – 17 U 133/99, NZG 2000, 737; OLG Hamm vom 11.1.1988 – 8 U 142/87, GmbHR 1988, 346; OLG Koblenz vom 1.8.1985 – 6 U 618/85, WM 1985, 1484 (1485). 2 Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 21 Rz. 61; Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 25; a.A. Gaul, GmbHR 1991, 147; Groß, Das Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 64 ff.; Überblick bei Thüsing, NZG 2004, 9 f. 3 BGH vom 17.2.1992 – II ZR 140/91, GmbHR 1992, 263. 4 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 25; Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 35 Rz. 91. 5 BGH vom 7.7.2008 – II ZR 81/07, NZG 2008, 753; BGH vom 4.3.2002 – II ZR 77/00, NZG 2002, 475 (476). 6 Weber/Hoß/Burmester, Handbuch der Managerverträge, Teil 2 Rz. 478. 7 BGH vom 26.3.1984 – II ZR 229/83, NJW 1984, 2366; OLG Düsseldorf vom 8.1.1993 – 16 U 73/92, GmbHR 1993, 581; OLG Celle vom 13.9.2000 – 9 U 110/00, NZG 2001, 131. 8 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 25. 9 Für grundsätzliche Zulässigkeit: BGH vom 4.3.2002 – II ZR 77/00, NZG 2002, 475 (476).
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Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 189 Teil 5
die Umstände des Einzelfalls. Wichtig ist überdies, dass aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot mit einem Organvertreter, das wegen Fehlens einer Karenzentschädigung gemäß § 138 BGB unwirksam ist, kein Anspruch auf Zahlung der Karenzentschädigung folgt. Mit Unwirksamkeit der Regelung entfällt zugleich die Anspruchsgrundlage für die bezahlte Karenz. Auch das aus § 75d HGB für den Arbeitnehmer folgende Wahlrecht im Fall eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes ohne (ausreichende) Karenzentschädigungszusage gilt ausdrücklich nicht zugunsten eines Organvertreters in der entsprechenden Situation. Er kann also nicht wählen, ob er an der „unverbindlichen“ Wettbewerbsabrede festhalten und Karenzentschädigung verlangen oder frei von Wettbewerbseinschränkungen agieren will1. Für die nähere Ausgestaltung des Wettbewerbsverbots können die Vertragsparteien eine eigenständige Regelung treffen, den Wortlaut der gesetzlichen Regelungen in §§ 74 ff. HGB wiederholen oder ausdrücklich auf diese Regelungen verweisen.
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Für den Fall, dass eine eigenständige Regelung getroffen werden soll, ist diese außerordentlich sorgfältig abzufassen, da ein Rückgriff auf die §§ 74 ff. HGB dann regelmäßig ausscheidet. Dies gilt etwa für die Frage, ob sich das ausgeschiedene Organmitglied anderweitigen Erwerb auf den Anspruch auf Karenzentschädigung anrechnen lassen muss, wie es für Arbeitnehmer aus § 74c HGB folgt. So hat es der BGH jüngst abgelehnt, eine Anrechnung ohne ausdrückliche vertragliche Regelung vorzunehmen. Eine analoge Anwendung des § 74c HGB auf die Situation des GmbH-Geschäftsführers scheidet danach aus. Die Regelung sei ersichtlich auf den zwingenden Charakter der Karenzentschädigung für den Arbeitnehmer zugeschnitten. Im Unterschied dazu müsse die Gesellschaft ihrem ehemaligen Organ gar keine derartige Zahlung versprechen. Werde dennoch eine Karenzentschädigung zugesagt, sei deren Höhe bei einem Organvertreter ebenso frei verhandelbar wie die Höhe des etwaig anrechenbaren anderweitigen Verdienstes2. Ebenso frei zu verhandeln ist die Frage, ob der Anspruch auf Karenzentschädigung im Fall der wirksamen außerordentlichen Kündigung durch die Gesellschaft entfällt oder aufrecht erhalten bleibt3.
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Bei freier Ausgestaltung der Wettbewerbsabrede des Organvertreters ist auch auf das vollständige Lösungsrecht einer der beiden Vertragsparteien unter den Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 bzw. 2 HGB zu achten. Danach kann der von einer einseitigen Beendigung betroffene Vertragspartner dem anderen Teil binnen einen Monats nach der Kündigung mitteilen, dass er das bestehende nachvertragliche Wettbewerbsverbot als unwirksam betrachtet. Er wird dadurch von der Verpflichtung zur Wettbewerbsenthaltung befreit, verliert allerdings umgekehrt auch seinen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Karenzentschädigung. Dieses Lösungsrecht besteht nicht, wenn der betroffene Vertragspartner selbst erheblichen Anlass für die Trennung gegeben hat. Das 1 So ausdrücklich BGH vom 7.7.2008 – II ZR 81/07, NZG 2008, 753. 2 BGH vom 28.4.2008 – II ZR 11/07, NZG 2008, 664. 3 BGH vom 7.7.2008 – II ZR 81/07, NZG 2008, 753.
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Teil 5 Rz. 190
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Lösungsrecht gemäß § 75 HGB besteht ausdrücklich auch dann, wenn die Trennung auf Initiative eines Vertragspartner letztlich im Wege des Aufhebungsvertrags vollzogen wird. In diesem Fall beginnt die einmonatige Frist zur Erklärung der Loslösung mit Wirksamwerden des Aufhebungsvertrags1. 190
Im Zusammenhang mit einer Aufhebungsvereinbarung ist regelmäßig von Interesse, inwieweit der Regelung des § 75a HGB Rechnung zu tragen ist, derzufolge die Gesellschaft zwar durch schriftliche Erklärung auf das vereinbarte Wettbewerbsverbot verzichten kann, dies allerdings nur mit der Wirkung, dass sie nach Ablauf eines Jahres nach Erklärung des Verzichts von der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung befreit ist.
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Ist der Verzicht auf die Wettbewerbsabrede von den Parteien ausdrücklich ausgeschlossen, scheidet seine Geltendmachung aus.
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Nimmt die Abrede die gesetzlichen Regelungen unmittelbar oder mittelbar in Bezug, findet § 75a HGB Anwendung.
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Dies soll zum Schutz des Unternehmens auch dann gelten, wenn die Wettbewerbsvereinbarung keinerlei Regelung zum einseitigen Verzicht enthält2.
194
Der BGH hat offen gelassen, ob bei entsprechender Anwendung des § 75a HGB auch die Jahresfrist einzuhalten ist3.
195
Hier wird man zum Schutz des betroffenen Organmitglieds annehmen müssen, dass die Gesellschaft nur unter Einhaltung einer angemessenen Auslauffrist einseitig den Verzicht erklären darf und für diese Zeit zur Zahlung einer Karenzentschädigung verpflichtet ist. Nur so wird der ausscheidende Organvertreter in die Lage versetzt, neu zu disponieren und sich nach Wegfall des Wettbewerbsverbots einen neuen Einsatzbereich zu schaffen4. Allerdings besteht auch hier laut BGH Spielraum für der Gesellschaft günstige Regelungen. Dazu müsse der Verzicht aber auch deutlich und rechtzeitig erklärt werden. Die Gesellschaft kann sich nach Abberufung und ordentlicher Kündigung und Freistellung des Geschäftsführers mit nachvertraglichem Wettbewerbsverbot nicht auf den Standpunkt stellen, sie habe den Geschäftsführer bereits während des Zeitraums der ordentlichen Kündigungsfrist regulär vergütet5. Allerdings besteht die Möglichkeit, bei entsprechender ausdrücklicher vertraglicher Abrede, den Zeitraum der Freistellung im bestehenden Dienstverhältnis auf die Laufzeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes anzurechnen6. Gleichfalls kann die Karenzentschädigung mit anderen Ansprüchen aus
1 OLG Schleswig vom 17.3.2000 – 1 U 8/00, NZG 2000, 894. 2 BGH vom 25.6.1990 – II ZR 119/89, GmbHR 1990, 389. 3 BGH vom 17.2.1992 – II ZR 140/91, GmbHR 1992, 263; offen insoweit auch BGH vom 4.3.2002 – II ZR 77/00, NZG 2002, 475 (476). 4 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 25; Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 1990, S. 81 f.; Bauer, DB 1992, 1413 (1417). 5 Vgl. Konstellation bei BGH vom 4.3.2002 – II ZR 77/00, NZG 2002, 475 (476). 6 Braun, ArbRB 2002, 167 zu BGH vom 4.3.2002 – II ZR 77/00, NZG 2002, 475 f.
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Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 201 Teil 5
dem Dienstvertrag bzw. dem Umstand seiner Beendigung verrechnet werden, sofern eine Regelung im Dienst- oder Aufhebungsvertrag dies vorsieht. Im Übrigen bleibt es den Parteien einer Aufhebungsvereinbarung unbenommen, darin zugleich die Aufhebung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots mit sofortiger Wirkung ohne die Verpflichtung zur Karenzentschädigung einvernehmlich vorzusehen. Allerdings ist dabei auf eine ausdrückliche Regelung zu achten. Insbesondere auslegungsfähig und -bedürftig wäre die bei Aufhebung des Anstellungsvertrages als sog. „Ausgleichsklausel“ getroffene Regelung, dass sämtliche Ansprüche „aus dem Anstellungsverhältnis und seiner Beendigung erledigt sein“ sollten. Denn die Wirkung eines Wettbewerbsverbots und die daran geknüpfte Karenzentschädigung treten erst nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses ein1.
196
6. Betriebliche Altersversorgung Im Rahmen der Verhandlung von Aufhebungsvereinbarungen von Organmitgliedern kommt weiterhin dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung besondere Bedeutung zu. Hier ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf die bestehende Versorgungszusage das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) Anwendung findet und infolgedessen keine Besonderheiten gegenüber der Rechtslage bei Arbeitnehmern bestehen.
197
Der Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG ist zu entnehmen, dass §§ 1–16 BetrAVG für Personen entsprechend gelten, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind.
198
Daraus wird allgemein gefolgert, dass nur die Organmitglieder nicht dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des BetrAVG unterfallen, die aufgrund des Umfangs ihrer Beteiligung und der Stärke ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung so sehr mit dem Unternehmen verbunden sind, dass sie selbst als Unternehmer betrachtet werden können2.
199
Es sind also stets die Kapital- und Stimmrechtsverhältnisse im Wege einer Gesamtwürdigung auszuwerten3. Die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Dienstverhältnisses ist dagegen ohne Bedeutung.
200
Nicht in den Genuss des BetrAVG als typisches Arbeitnehmerschutzgesetz kommen demnach z.B. der als Geschäftsführer tätige Alleingesellschafter, der Mehrheitsgesellschafter, nach umstrittener Auffassung auch der Minderheitsgesellschafter, dessen Beteiligung nicht ganz unbedeutend ist und der gemein-
201
1 OLG Köln vom 25.3.1997 – 22 U 225/96, GmbHR 1997, 743. 2 BGH vom 28.4.1980 – II ZR 254/78, AP Nr. 1 zu § 17 BetrAVG; Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 21 Rz. 41; Höfer, BetrAVG, § 17 Rz. 5531 f. und 5583 f.; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 31. 3 Uwe H. Schneider/Sethe, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 259.
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Teil 5 Rz. 202
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
sam mit einem oder mehreren am Kapital beteiligten Geschäftsführern die Mehrheit der Anteile bzw. Stimmen besitzt1. 202
Falls die Versorgungszusage für diesen Personenkreis keine ausdrückliche Regelung zum Eintritt der Unverfallbarkeit enthält, ist auf die Rechtsprechung des BAG vor Inkrafttreten des BetrAVG zurückzugreifen. Danach kann Unverfallbarkeit spätestens nach 20-jähriger Unternehmenszugehörigkeit angenommen werden2.
203
Organmitglieder, die aufgrund ihrer fehlenden oder geringen Einflussmöglichkeit auf die Gesellschaft in den Anwendungsbereich des BetrAVG fallen, können sich dagegen insbesondere auf die Unverfallbarkeitsvorschriften und den Insolvenzschutz durch den Pensionssicherungs-Verein berufen. Insoweit wird auf die Ausführungen oben in Teil 2 unter Rz. 273 ff. verwiesen.
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Die Gesellschaft ist grundsätzlich in ihrer Entscheidung darüber frei, ob und ggf. in welchem Umfang sie ihrem Organmitglied Versorgungsleistungen zusagen will. Ein darauf gerichteter Anspruch ergibt sich weder aus einer Branchenüblichkeit noch aus dem Aspekt einer betrieblichen Übung3. Auch eine gerade die Geschäftsführer einer Gesellschaft betreffende Übung genügt nicht, da die Zusage nur jeweils einmalig erteilt wird4. Entsprechend bedarf es eines ausdrücklichen vertraglichen Anspruchs, wobei kein Schriftformerfordernis besteht5.
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Eine Ausnahme stellt insofern die Regelung in § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG dar. Danach haben auch Organe, die mangels wesentlicher Beteiligung an der Gesellschaft dem Geltungsbereich des BetrAVG unterliegen, gegen ihren Dienstgeber Anspruch auf Entgeltumwandlung in Höhe von 4 % der jeweiligen Bemessungsgrundlage in der Rentenversicherung. Diese Altersversorgung wird jedoch von den Dienstnehmern selbst finanziert6. Entschließt sich die Gesellschaft zur Zusage einer betrieblichen Altersversorgung, bedarf deren Formulierung besonderer Sorgfalt. Dies gilt vor allem für die Regelungen zur Berechnung der Höhe und der Definition etwaig anzuerkennender Dienstzeiten, u.U. aus der Phase vor der Bestellung in das Amt. Sollen auf den Ruhegeldanspruch anderweitige Einkünfte angerechnet werden, so ist dies, allerdings unter Beachtung des Auszehrungsverbotes gemäß § 5 Abs. 2 BetrAVG, explizit vorzusehen. Anderenfalls scheidet eine Anrechnung aus7. 1 BGH vom 14.7.1980 – II ZR 224/79, AP Nr. 3 zu § 17 BetrAVG; OLG Köln vom 22.9.1988 – 14 U 12/87, GmbHR 1989, 81, 82; zweifelnd Uwe H. Schneider/Sethe, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 260. 2 Vgl. nur BAG vom 10.3.1972 – 3 AZR 278/71, WM 1972, 1133. 3 GK-AktG-Kort, § 84 Rz. 356. 4 Uwe H. Schneider/Sethe, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 252. 5 Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 31. 6 Für den Fremdgeschäftsführer einer GmbH: Uwe H. Schneider/Sethe, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 252. 7 GK-AktG-Kort, § 84 Rz. 368.
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 208 Teil 5
Auch im Zusammenhang mit der Gestaltung von Versorgungszusagen an Vor- 206 standsmitglieder einer AG kommt der Regelung in § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG besondere Bedeutung zu. Danach gilt für „Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art“ der Grundsatz entsprechend, dass die „Gesamtbezüge“ des Vorstands in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstands und der Lage der Gesellschaft stehen müssen. Das Angemessenheitsgebot gilt dabei für sämtliche Elemente der Versorgungszusage1. Dem ist nach dem „Mannesmann-Urteil“ des BGH in besonderem Maße Rechnung zu tragen2. Dieser hatte sich u.a. mit der Abfindung von sog. Alternativpensionsansprüchen auseinander zu setzen. Danach waren Pensionsansprüche abgefunden und durch eine Neuregelung ersetzt worden. Der Aufsichtsrat wird vor dem Hintergrund des Mannesmann-Urteils insbesondere mit Versorgungszusagen vorsichtig umzugehen haben, die erst anlässlich des Ausscheidens erteilt oder zu diesem Zeitpunkt wesentlich und zugunsten des scheidenden Vorstandsmitglieds verändert werden3. Für jede nachträgliche und nicht bereits im Dienstvertrag angelegte Verbesserung wird ein „zukunftsbezogener Nutzen“ zu fordern sein, um dem strafrechtlichen Vorwurf der Untreue auszuweichen. Will der Aufsichtsrat im Nachhinein von einer getroffenen Zusage abweichen, bedarf diese der ausdrücklichen Änderung. Dafür ist auch für zwischenzeitlich ausgeschiedene Vorstandsmitglieder unverändert der Aufsichtsrat der Gesellschaft zuständig4. Rechtsgrundlage ist hier nicht § 87 Abs. 2 AktG, der lediglich auf § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG Bezug nimmt. Der Anspruch gegen das Vorstandsmitglied folgt vielmehr aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, ggf. verbunden mit der nachvertraglichen Verpflichtung des Vorstandsmitglieds, auf die wirtschaftliche Situation der AG Rücksicht zu nehmen5. Der Eingriff unterliegt jedoch engen Grenzen. Neben der prekären wirtschaftlichen Situation, die zu einer Bestandsgefährdung der AG führen könnte, sind auch die Leistungen des pensionierten Vorstandsmitglieds während seiner aktiven Tätigkeit zu berücksichtigen6.
207
In Extremfällen kommt auch ein gänzlicher Widerruf der Versorgungszusage in Betracht7. Im Zusammenhang mit einer Regelung zu den Versorgungsanwartschaften im Aufhebungsvertrag eines Organmitgliedes ist auch die Frage ihrer Insolvenzsicherung zu beachten. Unterfällt das Organmitglied dem Geltungsbereich des BetrAVG, bestimmt sich der Insolvenzschutz für Versorgungs-
1 2 3 4 5 6 7
Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 31. BGH vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04, DB 2006, 323; vgl. oben Rz. 145 ff. Bauer/Arnold, DB 2006, 540 (549). LG Essen vom 10.2.2006 – 45 O 88/05, NZG 2006, 356. GK-AktG-Kort, § 84 Rz. 386. LG Essen vom 10.2.2006 – 45 O 88/05, NZG 2006, 356 (357). Problematisch OLG München vom 25.1.2005 – 18 U 3299/03, DB 2005, 2198; GKAktG-Kort, § 84 Rz. 384.
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208
Teil 5 Rz. 209
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
ansprüche und Versorgungsanwartschaften nach Maßgabe des § 7 BetrAVG1. Regelmäßig problematisch ist dabei der Insolvenzschutz von sog. Übergangsgeld vor Erreichen des 63. bzw. frühestens des 60. Lebensjahres2. Im Übrigen ist der Insolvenzschutz der Höhe nach begrenzt. Gemäß § 7 Abs. 3 BetrAVG beträgt er nach Neufassung dieser Vorschrift mit Wirkung zum 1.1.1999 das Dreifache der im Zeitpunkt der ersten Fälligkeit maßgeblichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV, somit das Dreifache des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr. Die Höchstgrenze liegt dabei bei Organmitgliedern häufig unterhalb des Niveaus der individuellen Versorgungszusage. Daher ist eine anderweitige und zusätzliche Absicherung, z.B. durch die Verpfändung von Immobilien, Wertpapieren oder Forderungen, oder der Abschluss einer Rückdeckungsversicherung, anzuraten3.
7. Zeugnis 209
Insbesondere dem nicht an der Gesellschaft beteiligten Organmitglied wird es bei seinem Ausscheiden darauf ankommen, dass er durch ein Zeugnis Art, Umfang und Bewertung seiner Tätigkeit bescheinigt erhält.
210
Der Zeugnisanspruch, der sich für Arbeitnehmer unmittelbar aus § 630 BGB ergibt, wird allgemein auch jedem Organvertreter unabhängig von einer etwaigen Beteiligung an der Gesellschaft zuerkannt4.
211
Das Dienstzeugnis eines Vorstandsmitglieds ist stets – auch nach Ende der Bestellung – vom Aufsichtsrat5, das eines GmbH-Geschäftsführers vom zuständigen Anstellungsorgan, im Regelfall also von den Gesellschaftern zu erteilen6.
212
Die Gesellschafter einer GmbH haben das Zeugnis ihres ausscheidenden Geschäftsführers durch Beschluss auf einer Gesellschafterversammlung, die der Geschäftsführer eigens zu diesem Zweck einberufen kann, festzustellen. Ist der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter, ist er auch zur Teilnahme an der Abstimmung berechtigt.
213
Das Zeugnis kann dabei von einem beauftragten Gesellschafter oder von dem hiermit durch die Gesellschafterversammlung beauftragten Nachfolger im Geschäftsführeramt ausgestellt werden. Allerdings ist der scheidende Geschäftsführer nicht verpflichtet, das von einem Mitgeschäftsführer oder einem Prokuristen ausgestellte Zeugnis zu akzeptieren7. 1 2 3 4
Eingehend dazu Neumann, DB 2007, 744 f. Wiesner, in: MünchHdb.AG, § 21, Rz. 59. GK-AktG-Kort, § 84 Rz. 394. BGH vom 9.11.1967 – II ZR 64/67, NJW 1968, 396; Hüffer, AktG, § 84 Rz. 17; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 29. 5 Wiesner, in: MünchHdb.AG, § 21 Rz. 57. 6 Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 35 Rz. 90. 7 Uwe H. Schneider/Sethe, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 358.
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Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
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Rz. 216 Teil 5
Hinweis: Nicht nur vorteilhaft, sondern auch üblich ist es, dass der Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses bereits im Aufhebungsvertrag geregelt wird. Hier sollte zweckmäßigerweise auch entweder der Wortlaut des Zeugnisses, etwa als Gegenstand einer Anlage des Aufhebungsvertrages, oder hinreichend konkret die Befugnis des scheidenden Managers vorgesehen werden, für das Zeugnis einen Entwurf zu erstellen. Zugleich sollte hier die Verpflichtung der Gesellschaft fixiert werden, entweder den Wortlaut so zu übernehmen oder nur aus wichtigem Grund davon abzuweichen. Ebenso sinnvoll ist es, in den Aufhebungsvertrag bzw. den Zeugniswortlaut bereits mit aufzunehmen, wer das Zeugnis für die Gesellschaft zu unterzeichnen hat.
214
Anstelle oder zusätzlich zu einem Zeugnis kann auch vereinbart werden, dass das zuständige Anstellungsorgan eine Referenz ausstellt, die auf Wunsch des Betroffenen auch etwa auf Englisch abzufassen ist.
8. D&O-Versicherung Der Organhaftung kommt, auch unter Berücksichtigung der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, verstärkte Bedeutung zu. Ihren rechtlichen Ausgangspunkt bildet die Regelung in § 93 AktG für das Vorstandsmitglied, in § 43 GmbHG für den Geschäftsführer einer GmbH. Danach sind die Organvertreter verpflichtet, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Der BGH hat sich umfassend mit der Frage der Organhaftung einerseits und den Voraussetzungen, unter denen der Aufsichtsrat etwaige Haftungsansprüche geltend zu machen hat, in seiner „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung auseinander gesetzt1 und sich dabei an der sog. Business Judgement Rule aus dem amerikanischen Recht orientiert. Mit Wirkung zum 1.11.2005 hat daraufhin der Gesetzgeber die Regelung in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Aktienrechts (UMAG) aufgenommen. Danach liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, „wenn das Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohl der Gesellschaft zu handeln“.
215
Das Risiko eines Organmitgliedes, für Pflichtverletzungen auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden, ist dadurch jedoch nicht wesentlich kalkulierbarer geworden. Deshalb ist die Tendenz, im Rahmen der Vertragsverhandlungen auch den Abschluss einer sog. D&O-Versicherung zugunsten des Organvertreters vorzusehen, spürbar gestiegen. Jedenfalls bedarf es einer ausdrücklichen Regelung im Dienstvertrag. Anders als bei Arbeitnehmern trifft die Gesellschaft hier keine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Organvertretern, aus der abgeleitet werden könnte, dass über eine D&O-Versicherung für adäquaten Versicherungsschutz Sorge zu tragen ist2. Seitens der Aktiengesellschaft steht das Verbot des Verzichts auf Ersatzansprüche gegen das Vor-
216
1 BGH vom 21.4.1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926. 2 Deilmann, NZG 2005, 54 (55).
Burmester
465
Teil 5 Rz. 217
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
standsmitglied aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG der Vereinbarung einer derartigen Versicherung nicht entgegen. 217
Die „Directors’ and Officers’ Liability Insurance“ ist eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung. Als Fremdhaftpflichtversicherung wird die von der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin zugunsten ihrer Organmitglieder und u.U. auch leitenden Angestellten als versicherte Personen abgeschlossen. In der Regel gewährt sie eine Deckung im Innenverhältnis, d.h. für Haftungsansprüche der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin gegen die versicherten Organmitglieder und eine Deckung im Außenverhältnis, d.h. für Haftungsansprüche Dritter gegen die versicherten Organmitglieder. Regelmäßig profitieren beide Parteien des Dienstverhältnisses von einer solchen Versicherung. Das Organmitglied ist von der Sorge der persönlichen finanziellen Inanspruchnahme, die Gesellschaft von der Sorge der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit ihres Organmitgliedes im Umfang des Versicherungsschutzes befreit.
218
Im Krisenfall ist für das Organmitglied regelmäßig relevant, ob nach den Versicherungsbedingungen nicht nur die Kosten der anwaltlichen Vertretung gegen die dienstgebende Gesellschaft zur Abwehr von Haftungsansprüchen, sondern auch diejenigen zur Abwehr einer fristlosen Kündigung des Dienstverhältnisses abgedeckt sind. Hinsichtlich der konkret versicherten Risiken sind stets die Versicherungsbedingungen im Einzelfall maßgeblich. Einheitliche Standards sind insoweit noch nicht feststellbar. Allerdings besteht regelmäßig kein Versicherungsschutz für vorsätzliches Verhalten des Versicherten. Auch die Vereinbarung eines Selbstbehaltes ist nicht nur üblich, sondern entspricht auch einer „Empfehlung“ gemäß Ziff. 3.8 des Deutschen Corporate Governance Kodexes. Danach ist ein solcher in „angemessener“ Höhe zu vereinbaren1.
219
Ist entgegen einer klaren Festlegung im Dienstvertrag der Abschluss der D&O-Versicherung unterblieben, stellt sich die Frage nach den Rechtsfolgen. Jedenfalls steht dem Organmitglied in diesem Fall ein Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft zu, der inhaltlich auf Freistellung einer Inanspruchnahme zu den Konditionen der vertraglich in Aussicht gestellten D&O-Versicherung hinausläuft2. Darüber hinaus kann das Fehlen einer vertraglich zugesicherten D&O-Versicherung nach Abwägung der im Einzelfall bestehenden Interessen von Gesellschaft und Organmitglied einen „wichtigen Grund“ zur Amtsniederlegung darstellen3.
220
Aufgrund der Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes mit Wirkung zum 1.1.2008 dürfen Versicherungsbedingungen (AVB) nicht mehr formularmäßig ein Abtretungsverbot vorsehen, soweit es nicht um Großrisiken geht. Dadurch wird es möglich, dass der versicherte Manager seinen Deckungs1 Vgl. aktuelle Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodexes im elektronischen Bundesanzeiger oder unter www.corporate-governance-code.de. 2 Bauer/Krets, DB 2003, 811 (814). 3 Deilmann, NZG 2005, 54 (55).
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 223 Teil 5
anspruch an die geschädigte Gesellschaft abtritt. Die außergerichtliche oder gerichtliche Auseinandersetzung über Grund und Umfang der Haftung beschränkt sich dann auf das Verhältnis zwischen Versicherer und Gesellschaft. Dieses kann für die Beteiligten vorteilhaft sein, da ihre dienstvertragliche Beziehung dann nicht mehr unmittelbar mit der Handhabung des Haftungsfalls belastet wird.
Û
Hinweis: Vorsicht ist jedoch insoweit geboten, als dass der versicherte Manager damit die Durchsetzung seines Deckungsanspruchs in die Hände der Gesellschaft legt. Daher sollte er einer Abtretung nur Zug um Zug gegen die Zusage der Gesellschaft zustimmen, ihn persönlich in diesem Fall nicht mehr in Anspruch zu nehmen1.
9. Ausgleichsklausel Auch bei Organvertretern sollte von beiden Parteien eines Aufhebungsvertrages sorgfältig erwogen werden, ob und inwieweit es angeraten ist, eine Ausgleichs- oder Erledigungsklausel in die Vereinbarung mit aufzunehmen2. Wie bei Arbeitnehmern auch, ist diese Klausel grundsätzlich geeignet, sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche durch die Feststellung zu erledigen, dass mit Erfüllung der Verpflichtungen aus der Aufhebungsvereinbarung derartige Verpflichtungen nicht mehr bestehen.
221
Bei Organvertretern erhält die Ausgleichsklausel jedoch weitere Bedeutung dadurch, dass geklärt werden muss, ob und inwieweit damit auch ein Verzicht der Gesellschaft auf etwaige Haftungsansprüche gegen ihr ausscheidendes Organ verbunden sein kann. Hier ist zwischen Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft und GmbH-Geschäftsführern zu differenzieren.
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Für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft bestimmt § 93 Abs. 4 AktG abschließend, wann und unter welchen Voraussetzungen seitens der Gesellschaft auf „Ersatzansprüche“ verzichtet werden kann. Jedenfalls ist die Bildung eines rechtsgeschäftlichen Willens durch die Hauptversammlung erforderlich. Eine solche Beschlussfassung kann frühestens drei Jahre nach Entstehung eines Anspruches erfolgen3. Für das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft gibt es mithin keinen Verhandlungsspielraum bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages dahingehend, damit einen Verzicht der Gesellschaft auf etwaige Haftungsansprüche zu verbinden. Der für die Gesellschaft handelnde Aufsichtsrat bzw. der Personalausschuss kann einen solchen verbindlichen Verzicht nicht erklären. Ebenso wie die übliche Ausgleichs- oder Erledigungsklausel in einem Aufhebungsvertrag sind insoweit auch ein Erlassvertrag, ein negatives Schuldanerkenntnis, ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich sowie Maßnahmen der Gesellschaft ausgeschlossen, die einem Verzicht oder Vergleich wirtschaftlich gleichkommen, so z.B. ein Kla-
223
1 Eingehend Böttcher, NZG 2008, 645 (649). 2 Vgl. Teil 2 Rz. 369 ff. 3 Zum Beginn der Verjährungsfrist u.a. nach § 93 AktG vgl. Schmitt-Rolfes/Bergwitz, NZG 2006, 535.
Burmester
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Teil 5 Rz. 224
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
geverzicht der Gesellschaft oder eine Stundung. Eine entgegenstehende Vereinbarung im oder zusätzlich zu einem Aufhebungsvertrag wäre unwirksam. Ob der Aufhebungsvertrag mit Ausgleichsklausel im Übrigen wirksam bleibt, entscheidet sich nach Maßgabe des § 139 BGB1. 224
Rechtlich zulässig ist es aber, die Ausgleichsklausel mit Bezug auf alle anderen als Ersatzansprüche der Gesellschaft in den Vertragswortlaut auch mit einem Vorstandsmitglied aufzunehmen und Folgendes hinzuzufügen:
Musterformulierung Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnis und dem Anlass seiner Beendigung ausgeglichen und erledigt, sofern seitens der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG darauf wirksam verzichtet werden kann.2
225
Ebenfalls als rechtlich zulässig gilt eine Zusage, durch die sich ein Dritter verpflichtet, Vorstandsmitglieder von Haftungsansprüchen der Gesellschaft freizustellen3.
226
Somit liegt es für den Vorstand einer Aktiengesellschaft nahe, der Entlastung durch die Hauptversammlung besondere Beachtung zu schenken. Allerdings bestimmt hier § 120 Abs. 3 AktG zum einen, dass die Verhandlung über die Entlastung eines Vorstandsmitgliedes mit der Verhandlung über die Verwendung des Bilanzgewinns verbunden werden soll. Zudem bestimmt § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG, dass die Entlastung gerade keinen Verzicht auf Ersatzansprüche gegen das Vorstandsmitglied beinhaltet. Ihr kommt damit lediglich eine moralische, aber keine rechtliche Billigung der Geschäftsführung zu4.
227
Anders und günstiger verhält sich die Rechtslage für den GmbH-Geschäftsführer. Hier hat die Entlastungserklärung durch die Gesellschafterversammlung nach mittlerweile herrschender Meinung die Wirkung der Präklusion. Die Gesellschaft ist also gegenüber ihrem entlasteten Geschäftsführer mit der Geltendmachung von Tatsachen präkludiert, die innerhalb der Reichweite des Entlastungsbeschlusses liegen5. Die Entlastung umfasst damit alle Rechte aus Pflichtwidrigkeiten, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung für die Gesellschafter erkennbar waren, soweit der Geschäftsführer damit nicht zugleich gegen die Grundsätze der Kapitalsicherung verstoßen hat (vgl. §§ 30 Abs. 1, 9b Abs. 1 GmbHG)6. Dabei soll auch die Kenntnis eines Mehrheitsgesell-
1 2 3 4 5 6
Krieger/Sailer, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rz. 53. Bauer/Krets, DB 2003, 811. GK-AktG-Hopt, § 93 Rz. 378. Nägele/Nestel, BB 2000, 1253 (1254). Rowedder/Fuhrmann/Koppensteiner, GmbHG, § 46 Rz. 24. K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 46 Rz. 95.
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Burmester
Inhalt des Aufhebungsvertrags mit Organmitgliedern
Rz. 228 Teil 5
schafters, der zugleich Geschäftsführer ist, ausreichen1. Der infolge einer Eigenkündigung oder altersbedingt ausscheidende Geschäftsführer sollte damit, auch unabhängig von einer Aufhebungsvereinbarung, unbedingt darauf achten, dass ihm die Gesellschaft aus Anlass seines Ausscheidens, entweder unterjährig oder nach Abschluss des entsprechenden Geschäftsjahres, Entlastung erteilt. Steht zugleich die Verhandlung eines Aufhebungsvertrages an, sollte zweckmäßiger Weise über die Entlastung hinausgehend darin eine sog. Generalbereinigung vereinbart werden. Dazu wird durch Ausgleichsklausel vereinbart, dass sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche erledigt sind. Es bedarf dazu explizit einer vertraglichen Regelung. Die Mitteilung an den Geschäftsführer, dass ihm aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung Entlastung erteilt worden wäre, stellt demgegenüber eine reine Information dar2. Zwingend notwendig ist darüber hinaus ein entsprechender Beschluss der Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG3. Ist ein Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafer ist, involviert, ist zugleich § 47 Abs. 4 GmbHG zu beachten. Die Gesellschafterversammlung ist, kraft Annexkompetenz, auch für den Abschluss des Erlassvertrages zuständig. Andere Personen, z.B. ein (Mit-)Geschäftsführer oder Prokurist, sind nur aufgrund besonderer Bevollmächtigung durch die Gesellschafterversammlung handlungsfähig4. Die Regelung im Sinne einer Generalbereinigung kann auch Gegenstand des Aufhebungsvertrages sein. In diesem Fall ist aber gesondert darauf zu achten, dass ein entsprechender Gesellschafterbeschluss gefasst wird.
10. Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG Personalveränderungen im Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft 228 können die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 1 WpHG auslösen. Danach muss der Emittent von Finanzinstrumenten5, die zum Handel an einem inländischen organisierten Markt zugelassen sind oder für die die Zulassung beantragt wurde, unverzüglich Informationen über nicht öffentlich bekannte Umstände veröffentlichen. Diese Umstände müssen bereits eingetreten sein oder es muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass sie eintreten werden. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Umstände geeignet sind, den Börsen- oder Marktpreis der Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. Zweck dieser Verpflichtung ist es, durch eine schnelle und gleichmäßige Unterrichtung des Marktes einen gleichen Informationsstand der Marktteilnehmer zu erreichen, damit sich keine unangemessenen Börsen- oder Marktpreise aufgrund fehlerhafter oder unvollständiger Unterrichtung des Marktes bilden. Die Ad-hoc-Publizität soll daher dem Interesse des gesamten Anlegerpublikums dienen, aber auch dem Missbrauch von Insiderinformationen vorbeugen. Entsprechend ist ein Verstoß mit emp1 2 3 4 5
Vgl. BGH vom 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131. K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 46 Rz. 103. Bauer/Krets, DB 2003, 811 (813). K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 46 Rz. 104. Vgl. Definition in § 2b Abs. 2 WpHG.
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Teil 5 Rz. 229
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
findlichen Geldstrafen geahndet. Näheres beschreibt der sog. Emittentenleitfaden als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, den die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am 15.7.2005 veröffentlicht hat1. 229
Nach Ziff. IV.2.2.11. dieses Emittentenleitfadens „können Personalveränderungen innerhalb der Führungsebene eines Unternehmens im Einzelfall eine Ad-hoc-Publizitätspflicht auslösen.“ Insbesondere dann, „wenn es sich um die Berufung oder Abberufung von Organmitgliedern in Schlüsselpositionen handelt, bei denen eine maßgebliche Einwirkung auf den Geschäftsverlauf zu erwarten ist oder bisher bestand“, kann danach „eine solche Veränderung ein erhebliches Preisbeeinflussungspotential besitzen.“ Beispielhaft nennt der Leitfaden das „überraschende Ausscheiden des Vorsitzenden oder des Sprechers des Organs oder das Ausscheiden eines Gründungsmitglieds aus einem Organ“. Davon könne Signalwirkung für den Markt ausgehen. Bei Unternehmen, deren Entwicklung von der Innovationsfähigkeit oder Kreativität einzelner Personen abhängt, kann dies nach Auffassung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auch für Personalveränderungen außerhalb der Organe in den Bereichen Forschung und Entwicklung gelten. Darüber hinaus wird diese Publizitätspflicht für den Fall des Ausscheidens eines Finanzvorstands diskutiert2.
230
Û
Beispiel: Das Ausscheiden von Jürgen Schrempp aus der Funktion des Vorstandsvorsitzenden der DaimlerChrysler AG im Juli 2005 stellt ein prominentes Beispiel im Anwendungsbereich des § 15 WpHG dar. Mit der Behauptung, die Aufgabe des Amtes habe bereits seit Mai 2005 auf der Grundlage eines mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper geführten Gesprächs festgestanden, haben rund 100 Kläger nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz eine Schadensersatzklage gegen den Autohersteller angestrengt, mit der sich nach dem OLG Stuttgart3 auch der BGH4 zu befassen hatte5. Der BGH bestätigte zwar, dass das Ausscheiden eines Vorstandsvorsitzenden Kursrelevanz besitzt und der geäußerte Plan eines Vorstandsorgans, aus dem Amt auszuscheiden, eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellt, wenn das Ausscheiden nur hinreichend wahrscheinlich ist. Diese hinreichende Wahrscheinlichkeit sah der BGH allerdings für den Zeitraum vor der einschlägigen Aufsichtsratssitzung im Juli 2005 noch nicht als gegeben an. Seiner Ansicht nach war es aus einer ex-ante-Betrachtung noch offen, ob der Aufsichtsrat die von seinem Vorsitzenden vorgeschlagene Lösung mittragen würde6.
1 2 3 4 5
Abzurufen unter www.bafin.de. Bauer/Krets, DB 2003, 811 (815). OLG Stuttgart vom 15.2.2007 – 901 Kap 1/06, NZG 2007, 352. BGH vom 25.2.2008 – II ZB 9/07, NZG 2008, 300. Überdies hatte die BaFin gegen die Gesellschaft unter dem 6.9.2007 einen Bußgeldbescheid in Höhe von 200 000 Euro wegen Nichtrechtzeitigkeit der Ad-hoc-Publizität erlassen, Möllers, NZG 2008, 330 (331). 6 Kritisch: Möllers, NZG 2008, 330 (331 f.).
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Burmester
Gerichtliche Auseinandersetzungen
Rz. 234 Teil 5
Für die Praxis bleibt damit der richtige Zeitpunkt für die Ad-hoc-Publizität schwierig zu bestimmen. Dies gilt gerade bei dem dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages regelmäßig vorangehenden Verhandlungsprozess. Soweit hier die Vorläufigkeit der Verhandlungsergebnisse inhaltlich und etwa auch durch einen Gremienvorbehalt sichergestellt ist, dürfte die Publizitätspflicht noch nicht ausgelöst werden. Sie knüft im Übrigen an den tatsächlichen Verlauf an. Wird also ein Vorstandsmitglied mit sofortiger Wirkung abberufen, läuft der Dienstvertrag jedoch noch weiter, ist die Tatsache der Abberufung gemäß § 15 WpHG „unverzüglich zu veröffentlichen“.
231
V. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied Für den von einer Kündigung betroffenen AG-Vorstand oder GmbH-Geschäftsführer ist es häufig von großer Bedeutung, ob Streitigkeiten vor dem Landgericht oder dem Arbeitsgericht auszutragen sind. Dies gilt sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist kostengünstiger und risikoärmer. Einerseits trägt zumindest in der ersten Instanz gemäß § 12a ArbGG jede Partei die Kosten ihres eigenen Anwaltes und hat nicht die Möglichkeit, diese der unterliegenden Partei aufzuerlegen. Andererseits sind zumindest die Gerichtskosten hier niedriger als bei Verfahren vor dem Landgericht. Ebenso entfällt die Notwendigkeit für den Kläger, den Prozess durch Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses vorzufinanzieren – eine Aufgabe, die insbesondere nach außerordentlicher Kündigung des Dienstverhältnisses unter Umständen schwer zu schultern ist.
232
Mit Blick auf die Verfahrensdauer dürfte sich wenigstens bei Berücksichtigung der Terminstände bei den Arbeitsgerichten in manchen Großstädten und Ballungsgebieten kein zeitlicher Vorteil für das Arbeitsgericht ergeben. Umgekehrt steht nur bei Auseinandersetzungen vor dem Zivilgericht die Möglichkeit eines Urkundenprozesses zur Verfügung. Dieser kann zu einer schnellen Entscheidung führen und stellt deshalb häufig ein Druckmittel im Verhandlungsprozess dar. Er erweist sich auch inhaltlich als flexibles Instrument, da er etwa im Fall einer außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses parallel oder anstelle einer Bestandsschutzklage angestrengt werden kann und finanziell meist nur einen Teil des streitigen Volumens berücksichtigt, was wiederum das Kostenrisiko schmälert1
233
1. Rechtsweg bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied Da GmbH-Geschäftsführer wie Vorstandsmitglieder einer AG in ihren Betrieben bereits „kraft Gesetzes (. . .) allein oder als Mitglied des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person (. . .) berufen sind“, bestimmt die Rege-
1 Reiserer/Peters, DB 2008, 167 (170 f.).
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Gerichtliche Auseinandersetzungen
Rz. 234 Teil 5
Für die Praxis bleibt damit der richtige Zeitpunkt für die Ad-hoc-Publizität schwierig zu bestimmen. Dies gilt gerade bei dem dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages regelmäßig vorangehenden Verhandlungsprozess. Soweit hier die Vorläufigkeit der Verhandlungsergebnisse inhaltlich und etwa auch durch einen Gremienvorbehalt sichergestellt ist, dürfte die Publizitätspflicht noch nicht ausgelöst werden. Sie knüft im Übrigen an den tatsächlichen Verlauf an. Wird also ein Vorstandsmitglied mit sofortiger Wirkung abberufen, läuft der Dienstvertrag jedoch noch weiter, ist die Tatsache der Abberufung gemäß § 15 WpHG „unverzüglich zu veröffentlichen“.
231
V. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied Für den von einer Kündigung betroffenen AG-Vorstand oder GmbH-Geschäftsführer ist es häufig von großer Bedeutung, ob Streitigkeiten vor dem Landgericht oder dem Arbeitsgericht auszutragen sind. Dies gilt sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist kostengünstiger und risikoärmer. Einerseits trägt zumindest in der ersten Instanz gemäß § 12a ArbGG jede Partei die Kosten ihres eigenen Anwaltes und hat nicht die Möglichkeit, diese der unterliegenden Partei aufzuerlegen. Andererseits sind zumindest die Gerichtskosten hier niedriger als bei Verfahren vor dem Landgericht. Ebenso entfällt die Notwendigkeit für den Kläger, den Prozess durch Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses vorzufinanzieren – eine Aufgabe, die insbesondere nach außerordentlicher Kündigung des Dienstverhältnisses unter Umständen schwer zu schultern ist.
232
Mit Blick auf die Verfahrensdauer dürfte sich wenigstens bei Berücksichtigung der Terminstände bei den Arbeitsgerichten in manchen Großstädten und Ballungsgebieten kein zeitlicher Vorteil für das Arbeitsgericht ergeben. Umgekehrt steht nur bei Auseinandersetzungen vor dem Zivilgericht die Möglichkeit eines Urkundenprozesses zur Verfügung. Dieser kann zu einer schnellen Entscheidung führen und stellt deshalb häufig ein Druckmittel im Verhandlungsprozess dar. Er erweist sich auch inhaltlich als flexibles Instrument, da er etwa im Fall einer außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses parallel oder anstelle einer Bestandsschutzklage angestrengt werden kann und finanziell meist nur einen Teil des streitigen Volumens berücksichtigt, was wiederum das Kostenrisiko schmälert1
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1. Rechtsweg bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied Da GmbH-Geschäftsführer wie Vorstandsmitglieder einer AG in ihren Betrieben bereits „kraft Gesetzes (. . .) allein oder als Mitglied des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person (. . .) berufen sind“, bestimmt die Rege-
1 Reiserer/Peters, DB 2008, 167 (170 f.).
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Teil 5 Rz. 235
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
lung in § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG zunächst, dass diese Organvertreter „nicht als Arbeitnehmer gelten“ und enthält insoweit eine negative Fiktion mit der Folge, dass nicht das Arbeitsgericht, sondern im Regelfall das Landgericht, dort die Kammer für Handelssachen, zuständig ist. 235
Dies wird allgemein damit begründet, dass der genannte Personenkreis im Betrieb regelmäßig Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt. Auf den Grad der persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit des Organvertreters von der Anstellungskörperschaft kommt es in diesem Zusammenhang nicht an1.
236
Es bestehen jedoch einige Ausnahmen, die nichtsdestotrotz zur Zuständigkeit des Arbeitsgerichts führen können. a) Prorogationsvereinbarung gemäß § 2 Abs. 4 ArbGG
237
In verfahrensrechtlicher Hinsicht sieht § 2 Abs. 4 ArbGG die Möglichkeit für juristische Personen des Privatrechts und solchen Personen vor, die kraft Gesetzes allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zu deren Vertretung berufen sind, eine Vereinbarung zu treffen, der zufolge entstehende Streitigkeiten vor die Arbeitsgerichte zu bringen sind.
238
Eine solche Prorogationsvereinbarung kann bereits im Anstellungsvertrag, aber auch im Gesellschaftsvertrag, der Satzung oder einer gesonderten Vereinbarung getroffen werden2.
239
Die Vereinbarung kann erst nach Auftreten der Streitigkeit abgeschlossen und auch mündlich getroffen werden, da § 2 Abs. 4 ArbGG als speziellere Regelung gegenüber § 38 ZPO Vorrang hat3.
240
Ohne eine solche Vereinbarung gelangen die Parteien auch dann zur Zuständigkeit des Arbeitsgerichts, wenn die beklagte Gesellschaft gemäß § 39 ZPO rügelos zur Hauptsache verhandelt4. b) GmbH & Co KG
241
In materiellrechtlicher Hinsicht ist stets darauf zu achten, welches Rechtsverhältnis Gegenstand der entstandenen Streitigkeit ist.
242
Die negative Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt nur dem der Organstellung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis.
243
Besonderheiten ergaben sich daher nach früherer Rechtsprechung des BAG bei Streitigkeiten zwischen einer als GmbH & Co KG organisierten Gesellschaft und „ihrem“ Geschäftsführer.
1 2 3 4
Grunsky, ArbGG, § 5 Rz. 24a. Gift/Baur, Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen, Rz. 228. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 2 Rz. 137. Kissel, GVG, § 13 Rz. 206.
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Burmester
Gerichtliche Auseinandersetzungen
Rz. 250 Teil 5
Hier ist zwischen der KG und der Komplementär-GmbH zu trennen. Der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers kann sowohl mit der GmbH mit der Folge des Ausschlusses nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG als auch mit der KG abgeschlossen worden sein.
244
Im letztgenannten Fall war nach früherer Rechtsprechung des BAG anhand der tatsächlichen Umstände zu prüfen, ob der Geschäftsführer als freier Dienstnehmer, aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit als arbeitnehmerähnliche Person1 oder infolge sowohl der persönlichen als auch der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Gesellschaft als Arbeitnehmer einzuordnen ist2.
245
Diese taktisch für das betroffene Organ zuweilen wertvolle Chance gehört mit Änderung der Rechtsprechung des BAG durch Beschluss vom 20.8.20033 der Vergangenheit an. Danach zählt auch der Geschäftsführer, dessen Dienstvertragsverhältnis bei der KG angebunden ist, in gleicher Weise zum Arbeitgeberlager wie der Geschäftsführer, der dienstvertraglich an die Komplementär-GmbH gebunden ist.
246
Das BAG folgert diese Wendung aus dem Sinn und Zweck der Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG. Danach gehöre der Geschäftsführer der KomplementärGmbH zu den Personen, die kraft Gesetzes nicht als Arbeitnehmer gelten. Das BAG begründet dies zu Recht damit, dass das Organ der GmbH & Co KG den Arbeitgeber vertritt und ihn damit im Wortsinne verkörpert.
247
Damit weist das BAG der Trennung von GmbH und KG im Rahmen einer GmbH & Co KG die Bedeutung einer juristischen Konstruktion zu, die für die hier zu beurteilende Status-Frage zukünftig ohne Belang sein muss.
248
Der vorliegende Beschluss ist zu § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ergangen und betrifft daher die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit. Nur bei einer über das „übliche Maß“ bei Fremdgeschäftsführern hinausgehenden persönlichen Weisungsgebundenheit des Betroffenen von der KG wird man von arbeitsrechtlichen und nicht von dienstvertragsrechtlichen Grundlagen ausgehen können.
249
c) Drittanstellung im Konzern Bei arbeitsvertraglichen Beziehungen innerhalb eines Konzerns kann es zu Bindungen zu mehreren Konzerngesellschaften kommen. Nicht selten ist mit einer weiteren Bindung auch ein Karriereschritt verbunden, wenn etwa einer Führungskraft in einem Arbeitsverhältnis mit der Konzernobergesellschaft die Geschäftsführerposition in einer abhängigen Tochtergesellschaft angetra1 ArbG Düsseldorf vom 5.6.1997 – 9 Ca 2709/97, GmbHR 1997, 1105. 2 BAG vom 27.11.1995 – 5 AZB 15/95, n.v.; BAG vom 13.7.1995 – 5 AZB 37/94, EzA Nr. 10 zu § 2 ArbGG; BAG vom 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, AP Nr. 1 zu § 5 ArbGG 1979. 3 5 AZB 79/02, mit zustimmender Anmerkung von Reiserer, BAG EWiR § 5 ArbGG 2/03, 1171.
Burmester
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250
Teil 5 Rz. 251
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
gen wird. Häufig besteht dann zur Tochtergesellschaft nur eine organschaftliche Bindung, während die vertragliche Bindung unverändert mit der Konzernobergesellschaft fortbesteht1. Entsteht im Arbeitsvertragsverhältnis Streit, ist dieses Rechtsverhältnis nicht durch die Regelung in § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte entzogen. Denn die Organfunktion gilt nicht der Gesellschaft, mit der das Arbeitsverhältnis besteht. Des Weiteren wird der Betreffende unverändert in den Genuss des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes gelangen. Insbesondere § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG stellt hier kein Hindernis dar2. d) Umwandlung des Dienst- in ein Arbeitsverhältnis kraft Vereinbarung 251
Da Organfunktion und Dienstverhältnis infolge des Trennungsprinzips eine unterschiedliche rechtliche Entwicklung nehmen können, ist im Falle der Abberufung aus der Organfunktion in zwei Konstellationen die Umwandlung des Dienstverhältnisses in ein Arbeitsverhältnis vorstellbar:
252
Zum einen besteht die Möglichkeit, dass bereits der Dienstvertrag für den Fall der vorzeitigen Abberufung und/oder Amtsniederlegung durch das Organmitglied bestimmt, dass das Dienstverhältnis automatisch als Arbeitsverhältnis fortzusetzen ist mit der Folge, dass das Organmitglied ohne weiteres verpflichtet ist, der Gesellschaft bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als Arbeitnehmer zur Verfügung zu stehen.
253
Zum anderen können die Parteien des Dienstvertrages anlässlich der Abberufung einvernehmlich und ausdrücklich vereinbaren, dass das ehemalige Organmitglied zukünftig befristet oder unbefristet in der Funktion eines Arbeitnehmers für die Gesellschaft tätig wird.
254
Erfolgt dann zu einem späteren Zeitpunkt die Kündigung, findet nicht nur das Arbeitsgerichtsgesetz, sondern auch der allgemeine und besondere Kündigungsschutz Anwendung3.
255
Beide Konstellationen stellen in der Praxis allerdings die Ausnahme dar4. e) Ruhendes Arbeitsverhältnis
256
In der Vergangenheit hatte dagegen folgende Konstellation große praktische Bedeutung: Durch die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sind lediglich diejenigen Rechtsstreitigkeiten der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit entzogen, die das Anstellungsverhältnis eines Organvertreters als im Regelfall freies Dienstverhältnis betreffen. Demgegenüber bleibt der Rechtsweg zu den Arbeitsgerich1 Vgl. etwa Konstellation in BAG vom 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, DB 2008, 355. 2 Bauer/Arnold, DB 2008, 350 (352). 3 BAG vom 22.2.1974 – 2 AZR 289/73, AP Nr. 19 zu § 5 ArbGG 1953; aktuell eingehend BAG vom 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NZA 2008, 1002 f. 4 Beispiel: BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366.
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Burmester
Gerichtliche Auseinandersetzungen
Rz. 261 Teil 5
ten für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis eröffnet, das neben dem Anstellungsverhältnis als Arbeitsverhältnis besteht bzw. bestanden hat. Dies gilt einerseits nach der insoweit ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für die Konstellation, dass zwischen der juristischen Person und dem Organvertreter ein vom Anstellungsverhältnis eindeutig abgrenzbares Arbeitsverhältnis besteht1. Als Beispiel wird in der Literatur der Fall eines bei einer Baugesellschaft angestellten Architekten genannt, der zugleich Geschäftsführer der Baugesellschaft ist2.
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Dies galt weiterhin für die Figur des ruhenden Arbeitsverhältnisses, die zumindest nach der früheren Rechtsprechung des BAG dann zum Zuge kommen konnte, wenn ein langjähriger Mitarbeiter zum Organ bestellt wurde, ohne dass sich seine Vertragsbedingungen wesentlich änderten und ohne dass eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung zustande kam, die das bestehende Arbeitsverhältnis zugunsten eines freien Dienstverhältnisses ablöste.
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Ohne eine ablösende Vereinbarung sollte das Arbeitsverhältnis bei Beendigung der Organstellung durch Zeitablauf, Widerruf oder Amtsniederlegung aus dem ruhenden Zustand wieder aufleben und auf seinen ursprünglichen Inhalt zurückgeführt werden3.
259
Nach früherer Ansicht des Bundesarbeitsgerichts war nicht davon auszugehen, dass ein bislang als gehobener oder leitender Angestellter beschäftigter Arbeitnehmer mit der Bestellung zum Vertretungsorgan ohne weiteres endgültig auf den bisher erworbenen Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses verzichten will4. Daher war nach Ansicht des BAG eine ausdrückliche Vereinbarung über die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses anlässlich der Bestellung zum Organvertreter wünschenswert, da sie dem Arbeitnehmer den Verlust seines arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes bewusst mache und dadurch Unklarheiten über den Inhalt künftiger Rechtsbeziehungen ausgeschlossen werden könnten5.
260
Fehlte eine solche ausdrückliche Vereinbarung, so war laut BAG auf den Parteiwillen im Einzelfall abzustellen6. Dabei konnte ein Risikoausgleich in Ge-
261
1 BAG vom 12.3.1987 – 2 AZR 336/86, AP Nr. 6 zu § 5 ArbGG 1979; BAG vom 27.6.1985 – 2 AZR 425/84, AP Nr. 2 zu § 1 AngKG; BAG vom 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979; BAG vom 27.10.1960 – 5 AZR 578/53, AP Nr. 14 zu § 5 ArbGG 1953. 2 Reiserer, DB 1994, 1822 (1824). 3 BAG vom 17.8.1972 – 2 AZR 359/71, AP Nr. 4 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; BAG vom 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979; BAG vom 27.6.1985 – 2 AZR 425/84, AP Nr. 2 zu § 1 AngKG; BAG vom 12.3.1987 – 2 AZR 336/86, AP Nr. 6 zu § 5 ArbGG 1979; BAG vom 21.2.1994 – 2 AZB 28/93, AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1979. 4 BAG vom 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979. 5 BAG vom 12.3.1987 – 2 AZR 336/86, AP Nr. 6 zu § 5 ArbGG 1979. 6 BAG vom 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979.
Burmester
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Teil 5 Rz. 262
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
stalt einer höheren Vergütung für den erheblich geminderten Bestandsschutz ein Anhaltspunkt für die Ablösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses sein1. Vergünstigungen wie etwa die Stellung eines Firmenwagens auch zu privater Nutzung oder die Übernahme der Kosten des privaten Telefonanschlusses waren nach Auffassung des BAG allerdings kein ausreichender Ausgleich2. 262
In der Literatur stieß diese Rechtsprechung des BAG teilweise auf scharfe Kritik3.
263
Mit seiner Entscheidung vom 7.10.19934 rückte der 2. Senat des BAG von dieser Rechtsprechung erstmals für den Fall, dass das vorgeschaltete Arbeitsverhältnis nur der Erprobung dienen sollte, ab. Solle ein Arbeitnehmer zwecks späterer Anstellung als Geschäftsführer einer GmbH zunächst in einem Arbeitsverhältnis erprobt werden, sei im Zweifel anzunehmen, dass mit Abschluss des Geschäftsführeranstellungsvertrages das ursprüngliche Arbeitsverhältnis beendet werden solle. Der fehlende Bestandsschutz spreche für den Willen der Arbeitsvertragsparteien, das ursprüngliche Arbeitsverhältnis aufzuheben. Dem Urteil lag insofern die besondere Situation zugrunde, dass der spätere Geschäftsführer zunächst zur Erprobung eingestellt und vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit nach Kündigungsschutzgesetz zum Geschäftsführer bestellt worden war.
264
Dagegen hielt der 2. Senat des BAG in seinem Urteil vom 21.2.1994 nochmals an seiner früheren Rechtsprechung in einem Fall fest, in dem die Parteien ausdrücklich die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses vereinbart hatten5.
265
Nachdem innerhalb des BAG die Zuständigkeit für derartige Rechtswegstreitigkeiten vom zweiten auf den fünften Senat gewechselt hatte, griff der 5. Senat in seinen Entscheidungen vom 28.9.19956 und 18.12.19967 den Ansatzpunkt in dem Urteil des 2. Senates vom 7.10.19938 wieder auf. Werde ein vollständig neuer Anstellungsvertrag abgeschlossen, der das Dienstverhältnis neu regele, könne im Zweifel nicht angenommen werden, dass parallel hierzu das ursprüngliche Arbeitsverhältnis ruhend fortbestehen solle. Das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis solle nach Abberufung des zum Geschäftsführer bestellten Arbeitnehmers gerade nicht wieder aufleben. Dies gelte insbesondere dann, wenn für die Tätigkeit als Geschäftsführer eine wesentlich höhere Vergütung gezahlt werde.
1 BAG vom 7.10.1993 – 2 AZR 260/93, AP Nr. 16 zu § 5 ArbGG 1979. 2 BAG vom 12.3.1987 – 2 AZR 336/86, AP Nr. 6 zu § 5 ArbGG 1979. 3 Martens, Anm. zu BAG vom 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 4, 70; Westermann/Pöllath, Abberufung und Ausschließung von Gesellschaftern/Geschäftsführern, S. 52 f.; Hohlfeld, GmbHR 1987, 256; Henssler, RdA 1992, 289 f.; Bauer, BB 1994, 857 f. 4 BAG vom 7.10.1993 – 2 AZR 260/93, AP Nr. 16 zu § 5 ArbGG 1979. 5 BAG vom 21.2.1994 – 2 AZB 28/93, AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1979. 6 BAG vom 28.9.1995 – 5 AZB 4/95, EzA Nr. 12 zu § 5 ArbGG 1979. 7 BAG vom 18.12.1996 – 5 AZB 25/56, EzA Nr. 25 zu § 2 ArbGG 1979. 8 BAG vom 7.10.1993 – 2 AZR 260/93, AP Nr. 16 zu § 5 ArbGG 1979.
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Burmester
Gerichtliche Auseinandersetzungen
Rz. 268 Teil 5
Auf dieser – neueren – Linie der Rechtsprechung des BAG lag auch seine Entscheidung vom 8.6.20001. Auch in dem dort zugrunde liegenden Sachverhalt hatten es die Parteien versäumt, eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich des Schicksals des Arbeitsverhältnisses anlässlich der Bestellung eines langjährigen Arbeitnehmers zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft zu treffen. Hierzu entschied wiederum der 2. Senat, dass im Zweifel mit Abschluss des Geschäftsführerdienstvertrages das bisherige Arbeitsverhältnis aufgehoben wird, wenn ein in leitender Position beschäftigter Arbeitnehmer zum Geschäftsführer einer neu gegründeten GmbH bestellt wird, der die wesentliche Teilaufgabe des Betriebes seines bisherigen Arbeitgebers übernimmt. Für die Annahme des Fortbestehens eines ruhenden Arbeitsverhältnisses fehle in dieser Konstellation die Vermutungsbasis.
266
Diese Tendenz wurde durch das Urteil des BAG vom 25.4.2002 nochmals bestätigt2. Auch hier war ein langjähriger leitender Angestellter in der Funktion eines Niederlassungsleiters ohne ausdrückliche Aufhebung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses zum Geschäftsführer der Komplementärin bestellt worden. Das BAG stellte maßgeblich darauf ab, dass aus diesem Anlass ein völlig neuer Geschäftsführer-Dienstvertrag mit einer anderen Gesellschaft als dem ursprünglichen Arbeitgeber abgeschlossen worden war. Zudem waren auch hier die festen und variablen Bezüge für die Geschäftsführertätigkeit wesentlich angehoben worden. Entsprechend lehnte das BAG auch hier den „Rückweg“ in den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ab. Diese Linie setzte das BAG mit seinen Entscheidungen vom 24.11.20053 und 14.6.20064 fort. In der Entscheidung vom 19.7.2007 setzte es sich erstmals auch mit der AGB-Kontrolle hinsichtlich vorformulierter Vertragsklauseln in dem neu abgeschlossenen Geschäftsführerdienstvertrag auseinander. Danach ergibt sich auch unter Berücksichtigung insbesondere der Unklarheitenregel gemäß § 305c Abs. 2 BGB kein Anhaltspunkt, die Wirksamkeit der Ablösung eines früheren Arbeitsvertrags durch einen späteren Geschäftsführerdienstvertrag in Abrede zu stellen5.
267
Mit dem Urteil vom 19.7.2007 liegt auch ein klares Votum zur Bedeutung des Schriftformerfordernisses gemäß § 623 BGB in diesem Zusammenhang vor. Eine ausdrückliche schriftliche Aufhebung des vorherigen Arbeitsverhältnisses, die an sich der zum 1.5.2000 in Kraft getretenen Regelung Genüge tun würde, ist hier nach Auffassung des BAG nicht erforderlich. Es reiche aus, wenn der Wille, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden, bei Auslegung der neu getroffenen schriftlichen Vereinbarung zumindest andeutungsweise zum Ausdruck gekommen ist6.
268
1 2 3 4 5 6
BAG vom 8.6.2000 – 2 AZR 207/99, GmbHR 2000, 1092. BAG vom 25.4.2002 – 2 AZR 352/01, NZG 2003, 223 (224). BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366. BAG vom 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 1154 (1155). BAG vom 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NZA 2007, 1095 (1096). BAG vom 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NZA 2007, 1095 (1096); zustimmend Bauer/Arnold, DB 2008, 350 (353); Sasse/Schnitger, BB 2007, 154 (156); im Ergebnis auch Hümmerich/Schmidt-Westphal, DB 2007, 222 (225).
Burmester
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Teil 5 Rz. 269 269
Bei Ablösung des Arbeitsvertrags durch einen späteren Dienstvertrag, der von dem zuständigen Gesellschaftsorgan bei AG bzw. GmbH abzuschließen ist, stellt sich dann die weitere Frage nach der rechtsgültigen Vertretung des Arbeitgebers. Bei strenger Sicht der Dinge ist etwa für den Aufhebungsvertrag hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses in der GmbH deren Geschäftsführer, für die Begründung des Dienstverhältnisses als Geschäftsführer im Regelfall die Gesellschafterversammlung zuständig. Die „Arbeitgeberseite“ könnte dann, wenn nur die Gesellschafterversammlung agiert, nicht ordnungsgemäß vertreten sein. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt dazu noch nicht vor1. Vorsichtshalber sollte deshalb auch die Unterschrift des Geschäfsführers bzw. weiterer gegenüber einem Arbeitnehmer vertretungsberechtigter Personen eingeholt werden, wenn es um die ausdrückliche oder stillschweigende Aufhebung eines zunächst begründeten Arbeitsverhältnisses geht.
Û
270
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Hinweis: Angesichts dieser Situation kann man Gesellschaft wie Organmitglied unverändert und umso mehr empfehlen, im Fall der erstmaligen Organbestellung bei zuvor bestehendem Arbeitsverhältnis eine ausdrückliche Vereinbarung über dessen Schicksal zu treffen und formwirksam umzusetzen.
Die zuvor unter Rz. 237 bis 269 geschilderten Konstellationen stellen Ausnahmen dar. Grundsätzlich gilt, dass die Arbeitsgerichte für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Anstellungsverhältnis mit einem Organvertreter nicht zuständig sind. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob das Anstellungsverhältnis zwischen Organvertreter und Gesellschaft ein freies Dienstverhältnis oder ein Arbeitsverhältnis ist. Auch diese Frage haben die Organvertreter durch Erhebung der Klage vor dem örtlich zuständigen Landgericht (Kammer für Handelssachen) zu klären2.
2. Durchsetzungswege 271
Ist das Organmitglied von der (außerordentlichen) Kündigung seines Anstellungsverhältnisses betroffen, bieten sich für die Interessenverfolgung zwei Wege an, die sich nicht wechselseitig ausschließen. Zum einen besteht die Möglichkeit, in einem Bestandsschutzrechtsstreit die Rechtswirksamkeit der Kündigung im Wege der Feststellungsklage überprüfen zu lassen. Zum anderen kann im Wege der Leistungsklage die etwa nach Zugang einer außerordentlichen Kündigung sofort ausbleibende regelmäßige Vergütung geltend gemacht werden. Hierzu steht vor den Zivilgerichten, nicht jedoch vor den Arbeitsgerichten die Möglichkeit des Urkundenprozesses zur Verfügung.
1 In der Entscheidung vom 19.7.2007 wurde der beklagte Dienstgeber bei dem fraglichen Akt jeweils wirksam durch den alleinvertretungsberechtigten geschäftsführenden Gesellschafter vertreten. 2 BAG vom 6.5.1999 – 5 AZB 22/98, NZA 1999, 839.
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Burmester
Gerichtliche Auseinandersetzungen
Rz. 277 Teil 5
a) Feststellungsklage Will das von der Kündigung betroffene Organmitglied die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit für sich in Anspruch nehmen, muss es die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG im Auge behalten und rechtzeitig Kündigungsschutzklage beim örtlich zuständigen Arbeitsgericht erheben, um etwa das Wirksamwerden der Kündigung nach Maßgabe des § 7 KSchG zu verhindern.
272
Dann besteht für ihn das weitere Risiko, dass das Arbeitsgericht die Arbeitnehmereigenschaft verneint und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Landgericht verweist. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG die sofortige Beschwerde zulässig.
273
Im Übrigen ist der Beschluss gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend.
274
Soll der Bestandsschutzrechtsstreit vor dem Landgericht ausgefochten wer- 275 den, besteht zumindest keine Klagefrist. Jedoch ist, gerade als Reaktion auf eine außerordentliche Kündigung, zügiges Handeln geboten, um die Verwirkung der Ansprüche zu vermeiden. b) Urkundenprozess Für die schnellere und u.U. auch kostengünstigere Durchsetzung von Vergütungsansprüchen kann – nur – vor dem Landgericht auf das Mittel des Urkundenprozesses zurück gegriffen werden. Dieser ist nur statthaft, wenn alle zur Begründung des Vergütungsanspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden belegt und bewiesen werden können1. Die Widerklage ist ausgeschlossen. Die Gesellschaft als beklagte Partei hat hier regelmäßig zwei Probleme: Zum einen lässt sich der Kündigungsgrund nur in Ausnahmefällen allein durch Urkunden beweisen; zum anderen entfällt durch den Ausschluss der Widerklage die Möglichkeit, ihrerseits den Druck auf das scheidende Organ dadurch zu erhöhen, dass gegen ausstehende Vergütungsansprüche mit Schadensersatzansprüchen wegen vermeintlichen Fehlverhaltens aufgerechnet wird. Ihr bleibt nur die Möglichkeit, sich die Ausübung ihrer Rechte für das sog. Nachverfahren vorzubehalten, für das die o.g. Beschränkungen nicht mehr bestehen.
276
Die klagende Partei erhält jedoch im Falle des Obsiegens einen schnellen und vor allem vorläufig vollstreckbaren Titel. Für sie ist in zwei Konstellationen Vorsicht geboten: Einerseits wird teilweise in Frage gestellt, ob auf diesem Weg zukünftige Ansprüche, d.h. zum Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. Antragstellung noch nicht fällige Ansprüche eingeklagt werden können. Dieses Risiko umgeht nur der, der seine Urkundsklage auf bereits fällige Leistungen beschränkt und im Übrigen auf den dadurch auf die Gesellschaft ausgeübten Druck vertraut.
277
1 Dazu eingehend Pröpper, BB 2003, 202 (203).
Burmester
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Teil 5 Rz. 278
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Andererseits besteht die Gefahr, dass für den Fall eines parallel anhängigen Bestandsschutzstreites der Urkundenprozess gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit der Feststellungsklage ausgesetzt wird. Dann wäre durch die an sich schnellere Verfahrensart nichts mehr gewonnen. Während hier lange Zeit Rechtsprechung und Literatur einhellig davon ausgingen, dass sich die Aussetzung aufgrund von Sinn und Zweck des Urkundsverfahrens verbietet, liegen zwei jüngere Entscheidungen vor, die diesen Grundsatz aufweichen. Danach soll eine Aussetzung im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände, namentlich bei der Gefahr widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen, doch möglich sein1. Diese rechtsschutzverkürzende Variante sollte jedoch nur dort eingreifen dürfen, wo nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage tatsächlich divergierende Entscheidungen im Urkundsverfahren einerseits und im Bestandsrechtsstreit andererseits zu erwarten sind2. 278
Zu umgehen ist dieses Risiko nur dort, wo nach der tatsächlichen Ausgangssituation das Mittel der Urkundsklage allein ausreicht, um mit der Gesellschaft zu einer gütlichen Einigung auch in allen weiteren Punkten zu gelangen, die ansonsten im Wege der Feststellungsklage mit betrachtet werden müssten, z.B. hinsichtlich der Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung.
VI. Anwendbarkeit der Regelungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz für Organvertreter? 1. Allgemeiner Kündigungsschutz nach Kündigungsschutzgesetz? 279
Das Kündigungsschutzgesetz greift zugunsten von Vorstandsmitgliedern einer AG oder GmbH-Geschäftsführern nicht ein. Die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen sind kraft ausdrücklicher Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG aus dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes herausgenommen3, dies jedenfalls solange, wie sie die Organposition einnehmen und ihnen noch nicht die Abberufung bekannt gemacht worden ist. Die Bestimmungen des KSchG kommen mithin nur dann zum Zuge, wenn nach der Abberufung aus der Organposition ausnahmsweise unter den oben beschriebenen Voraussetzungen (vgl. Rz. 251 ff.) ein Arbeitsverhältnis besteht.
280
Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie die gemäß § 1 Abs. 1 KSchG erforderliche Wartezeit zu handhaben ist. Streng genommen, bedarf es für den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes einer sechsmonatigen Wartezeit, die in Arbeitnehmerfunktion zurückzulegen ist. Da es nach der Neufassung des KSchG im Jahre 1969 allerdings nicht mehr auf die ununterbrochene Beschäftigung, sondern lediglich auf den ununterbrochenen Bestand des Arbeitsverhältnisses ankommt und dem Erprobungszweck insoweit geringere Bedeu1 So BGH vom 8.1.2004 – III ZR 401/02, NJW-RR 2004, 1000 im Anschluss an OLG München vom 22.8.2002 – 14 W 150/02, JurBüro 2003, 154. 2 So Seidel/Schönhöft, GmbHR 2005, 1113 (1114). 3 Anschaulich bei BAG vom 25.10.2007- 6 AZR 1045/06, DB 2008, 355; dazu Bauer/Arnold, DB 2008, 350 (351).
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Burmester
Teil 5 Rz. 278
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
Andererseits besteht die Gefahr, dass für den Fall eines parallel anhängigen Bestandsschutzstreites der Urkundenprozess gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit der Feststellungsklage ausgesetzt wird. Dann wäre durch die an sich schnellere Verfahrensart nichts mehr gewonnen. Während hier lange Zeit Rechtsprechung und Literatur einhellig davon ausgingen, dass sich die Aussetzung aufgrund von Sinn und Zweck des Urkundsverfahrens verbietet, liegen zwei jüngere Entscheidungen vor, die diesen Grundsatz aufweichen. Danach soll eine Aussetzung im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände, namentlich bei der Gefahr widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen, doch möglich sein1. Diese rechtsschutzverkürzende Variante sollte jedoch nur dort eingreifen dürfen, wo nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage tatsächlich divergierende Entscheidungen im Urkundsverfahren einerseits und im Bestandsrechtsstreit andererseits zu erwarten sind2. 278
Zu umgehen ist dieses Risiko nur dort, wo nach der tatsächlichen Ausgangssituation das Mittel der Urkundsklage allein ausreicht, um mit der Gesellschaft zu einer gütlichen Einigung auch in allen weiteren Punkten zu gelangen, die ansonsten im Wege der Feststellungsklage mit betrachtet werden müssten, z.B. hinsichtlich der Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung.
VI. Anwendbarkeit der Regelungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz für Organvertreter? 1. Allgemeiner Kündigungsschutz nach Kündigungsschutzgesetz? 279
Das Kündigungsschutzgesetz greift zugunsten von Vorstandsmitgliedern einer AG oder GmbH-Geschäftsführern nicht ein. Die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen sind kraft ausdrücklicher Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG aus dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes herausgenommen3, dies jedenfalls solange, wie sie die Organposition einnehmen und ihnen noch nicht die Abberufung bekannt gemacht worden ist. Die Bestimmungen des KSchG kommen mithin nur dann zum Zuge, wenn nach der Abberufung aus der Organposition ausnahmsweise unter den oben beschriebenen Voraussetzungen (vgl. Rz. 251 ff.) ein Arbeitsverhältnis besteht.
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Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie die gemäß § 1 Abs. 1 KSchG erforderliche Wartezeit zu handhaben ist. Streng genommen, bedarf es für den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes einer sechsmonatigen Wartezeit, die in Arbeitnehmerfunktion zurückzulegen ist. Da es nach der Neufassung des KSchG im Jahre 1969 allerdings nicht mehr auf die ununterbrochene Beschäftigung, sondern lediglich auf den ununterbrochenen Bestand des Arbeitsverhältnisses ankommt und dem Erprobungszweck insoweit geringere Bedeu1 So BGH vom 8.1.2004 – III ZR 401/02, NJW-RR 2004, 1000 im Anschluss an OLG München vom 22.8.2002 – 14 W 150/02, JurBüro 2003, 154. 2 So Seidel/Schönhöft, GmbHR 2005, 1113 (1114). 3 Anschaulich bei BAG vom 25.10.2007- 6 AZR 1045/06, DB 2008, 355; dazu Bauer/Arnold, DB 2008, 350 (351).
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Anwendbarkeit der Regeln zum Kündigungsschutz?
Rz. 284 Teil 5
tung zukommt1, wird man davon ausgehen können, dass die Wartezeit unabhängig von der wahrgenommenen Funktion bereits nach sechsmonatiger Unternehmenszugehörigkeit eintreten wird. So jedenfalls hat das BAG eine Konstellation bewertet, in der ein Arbeitnehmer, der zunächst zum Geschäftsführer einer GmbH aufgestiegen und nach seiner Abberufung wiederum als Arbeitnehmer weiterbeschäftigt worden war. Dieser hatte keine Wartezeit nach KSchG zurückzulegen und genoss von Anfang an allgemeinen Kündigungsschutz. Hätten die Parteien etwas anderes gewollt, so hätten sie es, so das BAG, in dem neuen Arbeitsvertrag hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen müssen2.
2. Besonderer Kündigungsschutz? Es stellt sich weiterhin die Frage, ob sich die Organvertreter wie die leitenden Angestellten der Gesellschaft auf den nach Schwerbehindertenrecht, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz bestehenden besonderen Kündigungsschutz berufen können.
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Auch hier geht die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur3 davon aus, dass die genannten Regelungen typische Schutzgesetze für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darstellen, die Organmitglieder in Vertretung für die Gesellschaft jedoch die Stellung des Arbeitgebers einnehmen, so dass für eine analoge Anwendung in dieser Konstellation kein Raum bleibt.
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Der Ausschluss vom besonderen Kündigungsschutz gilt dabei unabhängig von der Position als beherrschendes oder nicht beherrschendes Organmitglied4.
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Nach der Rechtsprechung des BGH gilt dies uneingeschränkt. Der Anstellungsvertrag eines Geschäftsführers begründet danach ausnahmslos ein freies Dienstverhältnis, nicht ein Arbeitsverhältnis5. Das BAG neigt teilweise zu einer abweichenden Betrachtung6, jedoch bislang ohne zu dem Ergebnis zu gelangen, dass tatsächlich Vorschriften des besonderen Kündigungsschutzes auch etwa Fremdgeschäftsführern zugute kommen würden. Mit Blick etwa auf das Urteil vom 26.5.19997 ist festzustellen, dass laut BAG die Stellung des GmbH-Geschäftsführers als Organvertreter einer zugleich bestehenden arbeitsrechtlichen Weisungsabhängigkeit nicht zwingend entgegensteht. Zu-
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1 KR-Becker, § 1 KSchG Rz. 42. 2 BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 615/04, NZA 2006, 366. 3 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 6 Rz. 47; Uwe H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rz. 230; Reiserer, DB 1994, 1822 (1826); Hümmerich, NJW 1995, 1177 (1181); a.A. Groß, Das Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers, S. 376; für § 9 Abs. 1 MuSchG differenzierend: Henssler, RdA 1992, 289. 4 Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Ausschlusses äußert Hümmerich, NJW 1995, 1177 (1181). 5 Vgl. BGH vom 23.1.2003 – II ZR 39/02, DB 2003, 657; BGH vom 8.1.2007 – II ZR 267/05, DB 2007, 1072. 6 Andeutung auch bei BAG vom 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, DB 2008, 355. 7 BAG vom 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, AP Nr. 10 zu § 35 GmbHG.
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Teil 5 Rz. 285
Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer
grunde lag das Anstellungsverhältnis einer stellvertretenden Geschäftsführerin einer GmbH, der gekündigt worden war, nachdem sie die Gesellschaft von ihrer Schwangerschaft informiert hatte. Die Geschäftsführerin erhob Kündigungsschutzklage mit der Begründung, sie sei Arbeitnehmerin der Gesellschaft. Die Position als stellvertretende Geschäftsführerin habe sie nur formal inne gehabt. Im Innenverhältnis habe sie dagegen strikten Weisungen der Gesellschaft unterlegen und über keinerlei Geschäftsführerbefugnisse verfügt. Die Kündigung verstoße auch gegen § 9 MuSchG. Für diesen Sachverhalt hat das BAG das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses verneint. Dabei hat es klargestellt, dass jedenfalls bei Mehrpersonengeschäftsführung die Repräsentation der Gesellschaft, die unternehmerische Willensbildung und die Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen auch dann noch möglich ist, wenn einzelne Mitglieder der Geschäftsführung wegen entsprechender Weisungsabhängigkeit nach materiellem Recht als Arbeitnehmer anzusehen sind. Dann schlössen sich Geschäftsführerstatus und Arbeitnehmereigenschaft nicht aus. Abzustellen sei auf die Umstände des Einzelfalls. Diese sprachen im Ausgangsfall im Ergebnis gegen das Bestehen einer derart weitreichenden Weisungsgebundenheit, so dass die Klage der Geschäftsführerin aus diesem Grund abgewiesen worden ist. 285
Der besondere Kündigungsschutz kann darüber hinaus also nur in Frage kommen, wenn das Dienstverhältnis im Zuge einer der oben dargestellten Entwicklungen als Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird.
482
Burmester
Teil 6 Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen I. Einführung Bei der Beendigung von Anstellungsverhältnissen spielen neben den arbeitsund steuerrechtlichen Vorschriften auch eine Reihe von sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eine wichtige Rolle. Wechselt der Arbeitnehmer nicht nahtlos in ein neues Arbeitsverhältnis über, so sollten beide Parteien sich vor Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages der Konsequenzen im Bereich des Arbeitslosengeldes, der Krankenversicherung und der Altersrente bewusst sein.
1
In keinem der bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu beachtenden Rechtsgebiete hat sich in den vergangenen Jahren so viel getan wie bei den sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen der Beendigung des Anstellungsverhältnisses. Der Gesetzgeber hat durch die Einführung des Altersteilzeitgesetzes (siehe hierzu die Ausführungen unten unter Rz. 243 ff.) für die Arbeitsvertragsparteien eine Alternative zu den früher praktizierten Frühpensionierungen geschaffen. Kombiniert man die Altersteilzeit mit dem Modell der Frühpensionierung, so zeigt sich, dass die vom Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen unter dem Strich die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses mit einem älteren Arbeitnehmer für den Arbeitgeber verbilligt haben. Das Altersteilzeitgesetz ist wiederholt geändert worden. Auch das Rentenrecht wurde in den vergangenen Jahren mehrfach reformiert. Um die Rentenkassen zu entlasten, muss nun auch beim Bezug von vorgezogenem Altersruhegeld aus der gesetzlichen Versicherung ein versicherungsmathematischer Abschlag hingenommen werden. Diese Neuregelung des Gesetzes führt dazu, dass im Rahmen von Aufhebungsvereinbarungen nicht nur über einen Ausgleich bis zum Eintritt in die Rente verhandelt wird, sondern der Arbeitnehmer zunehmend auch einen Ausgleich der lebenslang geltenden Kürzung seiner Rente fordert. Aus letzter Zeit ist insbesondere das Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.20071 zu beachten. Diese „Rentenreform“ wird unter dem Stichwort „Rente mit 67“ diskutiert.
2
Tiefgreifende und heftig diskutierte Änderungen gab es im Bereich des Arbeitslosengeldes (z.B. die wieder aufgehobene Anrechnung nach § 140 SGB III), wobei einige der zwischenzeitlichen Änderungen, noch bevor sie praktische Auswirkungen haben konnten, ihrerseits Änderungen unterworfen waren. Die Schwierigkeit des Rechtsgebiets der Arbeitsförderung resultiert nicht zuletzt daraus, dass der Gesetzgeber ständig die Rahmenbedingungen für den Bezug von Arbeitslosengeld ändert. Beispielhaft ist hier zu nennen, dass die mit dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.20032 eingeführte
3
1 BGBl. I S. 554. 2 BGBl. I S. 3002.
Fröhlich
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Teil 6 Rz. 4
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
Reduzierung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.20081 wieder verändert wurde. 4 Die Ruhenszeit bei Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist und gleichzeitiger Zahlung einer Abfindung (früher § 117 AFG) wurde wieder neu als § 143a SBG III eingeführt. Daneben ist die Sperrzeit bei versicherungswidrigem Verhalten (§ 144 SGB III) beachtlich mitsamt der praktisch bedeutsamen Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit, die mit ihren jeweiligen Aktualisierungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu folgen sucht. Schließlich mussten Arbeitgeber zwischenzeitlich wieder die Erstattungspflicht bei Trennung von älteren Arbeitnehmern berücksichtigen. Der neue § 147a SGB III entsprach im Wesentlichen dem früheren § 128 AFG2. Er wurde aber mit der Verkürzung der Bezugsdauer de facto wieder abgeschafft und spielt nur noch eine Rolle für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 31.1.2006 endeten, und wenn ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu diesem Tag entstanden war (§ 434l Abs. 1 SGB III). Die vorläufig jüngsten Änderungen der sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages bedacht werden müssen, haben sich schließlich aus der gesetzgeberischen Umsetzung des „Hartz-Konzepts“ (1.–4. Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) sowie der so genannten „Agenda 2010“3 und aus deren Korrekturen4 ergeben. Danach sind unter anderem eine neue Meldepflicht zur Arbeitslosmeldung, Änderungen beim Arbeitslosengeld, Änderungen des Sperrzeitenrechts und die Anhebung der Altersgrenze für den frühestmöglichen Bezug von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit von 60 auf 63 Jahren zu beachten.
II. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld 1. Voraussetzungen 5 Gemäß § 118 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, – wer arbeitslos ist, – sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und – die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
1 BGBl. I S. 681. 2 Zum Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetz vgl. Johannsen, ZTR 1999, 241; Rockstroh/Polduwe, DB 1999, 529; Schaub, BB 1999, 1059. 3 Erstes und Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 – BGBl. I S. 4607 und 4621; Drittes und Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. bzw. 24.12.2003 – BGBl. I S. 2848 und 2954. 4 BGBl. I S. 681.
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Teil 6 Rz. 4
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
Reduzierung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.20081 wieder verändert wurde. 4 Die Ruhenszeit bei Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist und gleichzeitiger Zahlung einer Abfindung (früher § 117 AFG) wurde wieder neu als § 143a SBG III eingeführt. Daneben ist die Sperrzeit bei versicherungswidrigem Verhalten (§ 144 SGB III) beachtlich mitsamt der praktisch bedeutsamen Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit, die mit ihren jeweiligen Aktualisierungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu folgen sucht. Schließlich mussten Arbeitgeber zwischenzeitlich wieder die Erstattungspflicht bei Trennung von älteren Arbeitnehmern berücksichtigen. Der neue § 147a SGB III entsprach im Wesentlichen dem früheren § 128 AFG2. Er wurde aber mit der Verkürzung der Bezugsdauer de facto wieder abgeschafft und spielt nur noch eine Rolle für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 31.1.2006 endeten, und wenn ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu diesem Tag entstanden war (§ 434l Abs. 1 SGB III). Die vorläufig jüngsten Änderungen der sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages bedacht werden müssen, haben sich schließlich aus der gesetzgeberischen Umsetzung des „Hartz-Konzepts“ (1.–4. Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) sowie der so genannten „Agenda 2010“3 und aus deren Korrekturen4 ergeben. Danach sind unter anderem eine neue Meldepflicht zur Arbeitslosmeldung, Änderungen beim Arbeitslosengeld, Änderungen des Sperrzeitenrechts und die Anhebung der Altersgrenze für den frühestmöglichen Bezug von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit von 60 auf 63 Jahren zu beachten.
II. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld 1. Voraussetzungen 5 Gemäß § 118 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, – wer arbeitslos ist, – sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und – die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
1 BGBl. I S. 681. 2 Zum Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetz vgl. Johannsen, ZTR 1999, 241; Rockstroh/Polduwe, DB 1999, 529; Schaub, BB 1999, 1059. 3 Erstes und Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 – BGBl. I S. 4607 und 4621; Drittes und Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. bzw. 24.12.2003 – BGBl. I S. 2848 und 2954. 4 BGBl. I S. 681.
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 7 Teil 6
Dabei kann der betroffene Arbeitnehmer gemäß § 118 Abs. 2 SGB III bis zur Entscheidung über seinen Anspruch bestimmen, dass dieser nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll. a) „arbeitslos“ Der Begriff der Arbeitslosigkeit wird in § 119 SGB III definiert. Danach ist ein Arbeitnehmer arbeitslos i.S. des SGB III, wenn er nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
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Was unter den Eigenbemühungen und der Verfügbarkeit zu verstehen ist, wird in den Absätzen 4 und 5 des § 119 SGB III geregelt. Der Arbeitslose muss danach im Rahmen seiner erforderlichen Eigenbemühungen alle Möglichkeiten zur beruflichen Eingliederung nutzen1. Nach § 119 Abs. 5 SGB III steht den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung, wer 1. eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, 2. Vorschläge der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, 3. bereit ist, jede Beschäftigung i.S. der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben und 4. bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen. Eine Beschäftigung von regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche schließt dabei nach § 119 Abs. 3 SGB III ebenso wenig wie eine ehrenamtliche Tätigkeit, die die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt (§ 119 Abs. 2 SGB III), die Beschäftigungslosigkeit aus. – Hier ist zu beachten, dass der Gesetzgeber im Rahmen des SGB III zwischen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis unterscheidet. In § 119 SGB III kommt es daher nicht auf den formalen Bestand eines Arbeitsverhältnisses an, sondern Arbeitslosigkeit wird immer dann angenommen, wenn der Arbeitnehmer nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht. Daraus, dass der Gesetzgeber in § 119 Abs. 3 SGB III Beschäftigungslosigkeit nicht ausschließt, wenn der Arbeitslose eine Erwerbstätigkeit von weniger als 15 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit ausübt, folgt, dass Personen, die bis zu dieser Grenze erwerbstätig sind, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen gleichwohl arbeitslos sind. Überschreitet der Arbeitnehmer gelegentlich die
1 § 119 Abs. 4 SGB III nennt die – nicht abschließenden – Beispiele Wahrnehmung der Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung, Mitwirkung bei der Vermittlung durch Dritte und Inanspruchnahme der Selbstinformationseinrichtungen der Agentur für Arbeit.
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Teil 6 Rz. 8
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
Grenze von 15 Wochenstunden, so ist dies für die Einordnung als Arbeitsloser unbedeutend. Ausdrücklich geregelt ist allerdings, dass mehrere Beschäftigungsverhältnisse zusammengerechnet werden. Bei der geringfügigen Beschäftigung („400 Euro-Job“) nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV, bei der der Gesetzgeber seit dem 1.4.2003 durch das 2. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 auf die 15-Stunden-Grenze verzichtet, kommt es darauf an, ob diese Wochenstundenzahl unterschritten wird. Wenn dies der Fall ist, kann auch der geringfügig Beschäftigte arbeitslos sein. 8 Wie oben bereits angesprochen, versteht der Gesetzgeber im Rahmen des SGB III unter dem Begriff „Beschäftigungsverhältnis“ nicht notwendigerweise ein Arbeitsverhältnis. Deswegen wurde in § 119 Abs. 3 SGB III ausdrücklich festgeschrieben, dass sowohl eine selbständige Tätigkeit als auch eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger als Erwerbstätigkeit anzusehen sind. Ergibt sich somit aus einem 400 Euro-Arbeitsverhältnis und einer nebenher ausgeübten selbständigen Tätigkeit, dass der Arbeitnehmer mehr als 15 Stunden wöchentlich arbeitet, so liegt keine Beschäftigungslosigkeit und damit auch keine Arbeitslosigkeit mehr vor. 9 In Zusammenhang mit der Beschäftigungslosigkeit bedarf die in Zusammenhängen mit Aufhebungsverträgen regelmäßig anzutreffende Problematik der Freistellung einer besonderen Beachtung. Hintergrund hierfür ist der eigenständige Beschäftigungsbegriff des Sozialversicherungsrechts. Sozialversicherungsrechtlich stellt sich die Frage, welche Folgen eine Freistellung von der Arbeit nach sich zieht. § 7 Abs. 1 SGB IV i.V.m. §§ 25 Abs. 1 SGB III, 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI erfordern hier grundsätzlich eine Beschäftigung gegen Entgelt. Voraussetzung für den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses ist, dass einerseits der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber gegen Vergütung zur Verfügung stellt und dieser andererseits über die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers rechtlich und tatsächlich verfügt. Mit Urteil vom 25.4.20021 hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass die Beschäftigungslosigkeit unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts durch die tatsächliche Nichtbeschäftigung des Versicherten gekennzeichnet ist und eine einvernehmliche, unwiderrufliche Freistellung eines Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung dessen Beschäftigungslosigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne (§ 119 Abs. 1 SGB III) begründen kann. Damit wird bestätigt, dass der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung funktionsdifferenziert auszulegen ist. Im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung kann eine andere Interpretation geboten sein, als hinsichtlich der Fragen nach der Versicherungspflicht und dem Beitragsrecht2. Die Entscheidung vom 25.4.20023 ließ ungeklärt, ob für den Freistellungszeitraum Versicherungspflicht besteht und Beiträge zur Sozialversicherung abzuführen sind. Hier hatten die Spitzenverbände der Sozialver1 BSG vom 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, NZA 2002, 1026. 2 BSG vom 28.9.1993 – 11 RAr 69/92, BSGE 73, 126; Moderegger, ArbRB 2006, 90. 3 BSG vom 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, NZA 2002, 1026.
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 9 Teil 6
sicherungsträger mit ihrem Besprechungsergebnis vom 5./6.7.2005 einen Leitfaden für die sozialversicherungsrechtliche Handhabung in Freistellungsfällen entwickelt, wonach zwischen einseitiger und einvernehmlicher, widerruflicher und unwiderruflicher Freistellung unterschieden werden sollte. Damit hatten sich die Spitzenverbände gegen die herkömmliche funktionsdifferenzierte Betrachtung gewand. Sie haben die Auffassung vertreten, dass bei einer einvernehmlichen und unwiderruflichen Freistellung des Arbeitnehmers bereits ab dem Tag der Freistellung insgesamt kein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis mehr bestünde. Begründet wurde dies damit, dass der Arbeitgeber ab diesem Zeitpunkt auf sein Weisungsrecht endgültig verzichte und der Arbeitnehmer somit nicht mehr weisungsgebunden sei. Dieses Besprechungsergebnis wurde intensiv diskutiert1. Jüngst hat die Rechtsprechung die Gelegenheit gehabt, die beitragsrechtliche Behandlung einer einvernehmlichen und unwiderruflichen Freistellung zu beurteilen und sich im Ergebnis gegen das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger gestellt. In seiner Entscheidung vom 24.9.20082 hat das Bundessozialgericht in dieser Konstellation die Versicherungspflicht bejaht. Danach setzt der Begriff der Beschäftigung insofern zum einen voraus, dass ein Rechtsverhältnis (z.B. ein Arbeitsverhältnis) vorliegt, das die Erbringung von Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zum Inhalt hat, und fordert zum anderen, dass dieses Rechtsverhältnis auch vollzogen wird. Schon in der Vergangenheit hatte das Bundessozialgericht entschieden, dass von einem derartigen „Vollzug“ nicht allein bei tatsächlicher Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit ausgegangen werden kann. In einer früheren Entscheidung3 hat das Bundessozialgericht eine Beschäftigung auch dann angenommen, wenn dem Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Freistellung von der Arbeitspflicht und Zahlung von Entgelt schon vor Arbeitsaufnahme gekündigt worden ist. Es hat außerdem entschieden, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs der sich hieraus ergebende Beendigungszeitpunkt auch das Ende der sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung bestimme. Diese Rechtsprechung ist in Fällen fortgeführt worden, in denen das vereinbarte Ende des Arbeitsverhältnisses zeitlich nach einem Vergleichsabschluss liegt und der Arbeitnehmer für die Zeit bis dahin von jeglicher Arbeitspflicht freigestellt wurde4. Im Ergebnis kann man hinsichtlich der Freistellungsproblematik daher sagen, dass „der Spuk ein Ende hat“.
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Hinweis: Gleichwohl kann es, bis die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger sich mit diesem BSG-Urteil auseinander gesetzt und es akzeptiert haben, vorsorglich geboten sein, weiterhin einvernehmliche und unwiderrufliche Freistellungen zu vermeiden.
1 Schlegel, NZA 2005, 972 ff.; Moderegger, ArbRB 2006, 90; Laber/Götzmann, ArbRB 2006, 123; Lindemann/Simon, BB 2005, 2462 ff.; Bauer/Krieger, DB 2005, 3242. 2 BSG vom 24.9.2008 – B 12 KR 22/07 R, BB 2009, 782. 3 BSG vom 18.9.1973 – 12 RK 15/72, BSGE 36, 161. 4 BSG vom 25.10.1990 – 12 RK 40/89, HV-Info 1991, 789.
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Teil 6 Rz. 10
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
b) „Beschäftigungssuche“ 10 Sinn und Zweck der Arbeitsverwaltung ist es weniger, dem arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer Arbeitslosengeld zu zahlen, als ihn vielmehr in ein neues Arbeitsverhältnis zu vermitteln. Zudem soll der Betroffene („fordern und fördern“) auch selber eine neue Beschäftigung suchen und die Beendigung seiner Beschäftigungslosigkeit anstreben. Daher sind die Verfügbarkeit für die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit und die Eigenbemühungen wichtige Voraussetzungen für die Arbeitslosigkeit i.S. der Arbeitsförderung (SGB III) und damit für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. 11 Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer die oben genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt, die in der Sache Arbeitsfähigkeit und Arbeitsbereitschaft betreffen. Besondere Aufmerksamkeit verdient das Abstellen auf eine zumutbare Beschäftigung, da hier über eine Neubestimmung des Begriffs der Zumutbarkeit in § 121 SGB III eine durchgreifende Änderung eingetreten ist. § 121 SGB III erweitert den Begriff der Zumutbarkeit nämlich erheblich und stellt unter Aufgabe eines Berufsschutzes nach qualitativen Merkmalen primär lediglich auf das durch eine Beschäftigung erzielbare Arbeitsentgelt ab. Nach einer Arbeitslosigkeit von sechs Monaten ist einem Arbeitslosen eine Beschäftigung nur dann unzumutbar, wenn das aus der Beschäftigung erzielbare Nettoeinkommen unter Berücksichtigung der mit der Beschäftigung zusammenhängenden Aufwendungen niedriger als das Arbeitslosengeld ist. Überdies werden in § 121 Abs. 4 SGB III erhöhte Anforderungen an die Mobilität der Arbeitslosen gestellt, denen nach dieser Norm jetzt ein Umzug zur Aufnahme einer Beschäftigung außerhalb des Pendelbereichs grundsätzlich zumutbar ist. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn dem Umzug ein wichtiger Grund entgegensteht, der beispielsweise wegen einer familiären Bindung gegeben sein kann. 12 Die Frage, welche Arbeit für einen Arbeitslosen zumutbar ist, hat der Gesetzgeber in § 121 SGB III selbst ausdrücklich geregelt. Danach sind einem Arbeitslosen alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar, soweit allgemeine oder personenbezogene Gründe dem nicht entgegenstehen. Von daher ist eine Beschäftigung einem Arbeitslosen dann beispielsweise unzumutbar, wenn die Beschäftigung gegen gesetzliche, tarifliche oder in Betriebsvereinbarungen festgelegte Bestimmungen über Arbeitsbedingungen oder gegen Bestimmungen des Arbeitsschutzes verstößt. 13 Die personenbezogenen Gründe, die zur Unzumutbarkeit der Beschäftigung führen können, können entweder in der Bezahlung der angebotenen Beschäftigung (s.o. Rz. 10) oder aber in der vom Arbeitslosen zurückzulegenden Fahrtstrecke liegen. Als unverhältnismäßig lang sieht der Gesetzgeber in § 121 Abs. 4 Satz 2 SGB III tägliche Pendelzeiten von insgesamt zweieinhalb Stunden an, wenn die Arbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt. Liegt die Arbeitszeit unterhalb von sechs Stunden, so sind bereits Pendelzeiten von zwei Stunden als unzumutbar anzusehen. Sind in der betreffenden Region bei vergleichbaren Arbeitnehmern allerdings längere Pendelzeiten üblich, so sind diese als Maßstab heranzuziehen. Wie vorstehend erwähnt, ist unter den in 488
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 18 Teil 6
§ 121 Abs. 4 SGB III näher geregelten Voraussetzungen auch ein Umzug zur Aufnahme einer Beschäftigung zumutbar. Unerheblich für die Frage, ob eine Beschäftigung im Einzelfall zumutbar ist, ist im Übrigen gemäß § 121 Abs. 5 SGB III, dass dem Arbeitslosen lediglich ein befristeter Arbeitsvertrag angeboten wird oder dass die Tätigkeit nicht zum Kreis derjenigen Beschäftigungen gehört, für die er ausgebildet ist bzw. die er früher ausgeübt hat. Darüber hinaus soll auch eine vorübergehende getrennte Haushaltsführung, die die neue Beschäftigung mit sich bringt, nicht von vornherein zur Unzumutbarkeit führen.
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Unabhängig von der Frage der Zumutbarkeit einer bestimmten Tätigkeit entstehen Probleme im Bereich der Verfügbarkeit des Arbeitslosen häufig dann, wenn er entweder arbeitsunfähig erkrankt oder aufgrund seines Alters der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung stehen möchte. Auch bei Arbeitslosen, die ein Studium an einer Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte aufgenommen haben, können Zweifel an der Verfügbarkeit bestehen.
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aa) Verfügbarkeit bei Arbeitsunfähigkeit Grundsätzlich fehlt es bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit an der Ver- 16 mittlungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Da die Arbeitsunfähigkeit jedoch auch spezifisch auf eine bestimmte Tätigkeit beschränkt sein kann, gewährt das SGB III unter bestimmten Voraussetzungen auch einem arbeitsunfähigen Arbeitslosen Leistungen. Gemäß § 125 SGB III haben insbesondere diejenigen Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, die wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit keine mindestens 15 Wochenstunden umfassende versicherungspflichtige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben können. Gegebenenfalls muss die Frage der Dauer der Leistungsminderung durch ein medizinisches Gutachten geklärt werden. Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld ist in diesem Fall allerdings, dass der zuständige Rentenversicherungsträger nicht verminderte Erwerbsfähigkeit festgestellt hat. Selbst bei Vorliegen einer derartigen Feststellung kann die Bundesagentur für Arbeit unter bestimmten Umständen frei entscheiden, ob der Arbeitnehmer noch über ein ausreichendes Leistungsvermögen verfügt, um eine auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Beschäftigung auszuüben1.
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Tritt die Arbeitsunfähigkeit während der Arbeitslosigkeit ein, so hat der Arbeitslose unabhängig von den vorstehenden Ausführungen für die Dauer von sechs Wochen gemäß § 126 SGB III Anspruch auf Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes.
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1 Vgl. BSG vom 9.8.1990 – 11 RAr 1/89, SozR 3-4100 § 105a Nr. 1.
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Teil 6 Rz. 19
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
bb) Arbeitslosmeldung bei Langzeiterkrankung 19 Ein besonderes Problem im Bereich der Arbeitslosenversicherung sind langzeiterkrankte Arbeitnehmer. Nach der Rechtsprechung des BAG kann ein Arbeitgeber dann eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen, wenn ein Mitarbeiter über einen sehr langen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt ist und mit einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist1. Will der Arbeitgeber von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch machen, so stellt sich nach Ablauf des Lohnfortzahlungszeitraumes sowie nach Ablauf des Zeitraumes, für den die Krankenkasse Krankengeld zahlt, die Frage, ob der Mitarbeiter eventuell Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen kann. 20 Der Bezug von Arbeitslosengeld trotz fortbestehendem Anstellungsverhältnis ist möglich, da im Sozialrecht zwischen Anstellungsverhältnis und tatsächlichem Beschäftigungsverhältnis unterschieden werden muss2. Für die Frage, ob ein Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, kommt es alleine darauf an, ob er in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Wird er trotz fortgeltendem Anstellungsverhältnis nicht beschäftigt, so ist er im sozialrechtlichen Sinne arbeitslos. Dieser Sichtweise trägt beispielsweise § 143 Abs. 1 und 3 SGB III Rechnung, der bestimmt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Zeit ruht, für die der Arbeitslose – genauer gesagt Beschäftigungslose – Arbeitsentgelt erhält oder zumindest zu beanspruchen hat. 21 Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der Langzeiterkrankung scheitert nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes nun auch nicht mehr an der Voraussetzung „Verfügbarkeit für die Arbeitsverwaltung“. Da, wie oben dargestellt, in der Arbeitslosenversicherung der Begriff der Arbeitslosigkeit alleine an die tatsächliche Beschäftigungslosigkeit anknüpft, ist auch ein Arbeitnehmer, der krankheitsbedingt seinen Arbeitsvertrag nicht erfüllen kann, grundsätzlich arbeitslos. Solange sich die Arbeitsunfähigkeit daher nicht auf sämtliche in Betracht kommenden Tätigkeiten, sondern lediglich auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit bezieht, steht der Mitarbeiter in einem gewissen Rahmen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld während des formal weiterbestehenden Arbeitverhältnisses war jedoch früher, dass der Arbeitgeber ausdrücklich auf sein Direktionsrecht verzichtet3. Diese Auffassung hat die Bundesagentur für Arbeit mittlerweile aufgrund entsprechender Entscheidungen des Bundessozialgerichtes4 aufgegeben. Heute werden diesbezügliche Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien nur noch als Indizien gewertet5; entscheidend ist in erster Linie, ob der Arbeitgeber nach den objektiven Umständen die Arbeitskraft des 1 Vgl. BAG vom 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG vom 21.5.1992 – 2 AZR 399/91, AP Nr. 30 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. 2 Vgl. BSG vom 28.9.1993 – 11 RAr 69/92, SozR 3-4100 § 101 Nr. 5. 3 Vgl. Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Rz. 438. 4 Vgl. BSG vom 9.9.1993 – 7 RAr 96/92, SozR 3-4100 § 101 Nr. 4; BSG vom 28.9.1993 – 11 RAr 69/92, SozR 3-4100 § 101 Nr. 5. 5 Vgl. Brand in Niesel, SGB III, § 118 Rz. 15.
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 24 Teil 6
Mitarbeiters nicht mehr in Anspruch nimmt oder ob der Arbeitnehmer sie nach wie vor auf Abruf bereithalten muss1. cc) Verfügbarkeit von älteren Arbeitslosen Eine Ausnahme von dem Erfordernis der Verfügbarkeit i.S. einer Arbeitsbereitschaft und von dem Erfordernis, alle Möglichkeiten zu nutzen und nutzen zu wollen, die Beschäftigungslosigkeit zu beenden, macht § 428 SGB III für über 58-jährige, jedoch nur noch, wenn der Arbeitslosengeldanspruch vor dem 1.1.2008 entstanden ist und der Arbeitslose an diesem Tag auch schon das 58. Lebensjahr vollendet hatte. Voraussetzung für diese Privilegierung ist allerdings, dass der Arbeitslose zum frühestmöglichen Zeitpunkt die gesetzliche Altersrente beantragt. In Betracht kommt hier in der Regel das vorgezogene Altersruhegeld wegen vorausgegangener Arbeitslosigkeit gemäß § 237 SGB VI (siehe hierzu unten unter Rz. 196 ff.).
22
dd) Verfügbarkeit bei Studenten Handelt es sich bei dem Arbeitslosen um einen Schüler oder Studenten einer Schule, Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte, so wird gemäß § 120 Abs. 2 SGB III vermutet, dass dieser Arbeitslose nur eine versicherungsfreie Beschäftigung ausüben kann. Dem Arbeitslosen bleibt in diesem Fall allerdings die Möglichkeit erhalten, diese Vermutung zu widerlegen. Er muss hierzu darlegen und ggf. nachweisen, dass sein Studium die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulässt.
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c) „bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet“ Änderungen haben die Regelungen der Meldung bei der Agentur für Arbeit erfahren, wobei zwischen der Meldung als arbeitssuchend und derjenigen als arbeitslos zu unterscheiden ist. Durch § 38 SGB III ist die Obliegenheit geregelt, dass alle Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet sind, sich spätestens drei Monate vor dem Beendigungszeitpunkt, sofern zwischen Kenntnis von diesem und der Beendigung weniger als drei Monate liegen, innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Diese Meldepflicht, die unabhängig von der Art der Beendigung besteht, bezweckt, dass die Vermittlungsbemühungen so früh wie möglich eingeleitet werden können. Sie ist gegeben, wenn der Betroffene Kenntnis vom Beendigungszeitpunkt hat, welche dann gegeben ist, wenn er eine Kündigung tatsächlich erhalten bzw. einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet hat, und muss spätestens drei Monate vor der Beendigung beachtet werden. Sofern der Arbeitnehmer seiner Meldeobliegenheit nicht nachkommt, muss er nach § 144 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 6 SGB III mit Sanktionen in Form einer Sperrzeit rechnen, die eine Wo1 Vgl. Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Rz. 439.
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Teil 6 Rz. 25
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
che beträgt. Um die Erfüllung der Meldeverpflichtung zu gewährleisten, soll der Arbeitgeber den von der Beendigung des Arbeitsvertrages betroffenen Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig über die Notwendigkeit eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer anderweitigen Beschäftigung sowie über die Verpflichtung zur Meldung bei der Agentur für Arbeit nach § 38 Abs. 1 SGB III unterrichten, ihn hierzu freistellen und die Teilnahme an erforderlichen Qualifikationsmaßnahmen ermöglichen, § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III. Die Frage, welche Folgen eine Missachtung dieser Sollvorschrift durch den Arbeitgeber hat, wurde kontrovers diskutiert, wobei ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen der aufgrund nicht rechtzeitiger Meldung eingetretener Minderung erwogen wurde1. Das Bundesarbeitsgericht2 hat hierzu inzwischen entschieden, dass es keinen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber begründet, wenn der Arbeitgeber den nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III gebotenen Hinweis an den Arbeitnehmer über dessen Pflicht, sich vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverzüglich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, unterlässt. Die Norm sei kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB und ihr Schutzzweck bestehe auch nicht darin, den Arbeitnehmer vor den Nachteilen einer Sperrzeit zu bewahren. Die Sanktion der Minderung des Arbeitslosengeldes solle auch nur den säumigen Arbeitnehmer treffen. Schließlich gäbe es auch keine allgemeine, sich aus § 242 BGB ergebende vertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer über das Erfordernis einer frühzeitigen Meldung bei der Agentur für Arbeit zu informieren. Gleichwohl empfiehlt sich, bei Erklärungen in Bezug auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (sowohl in Kündigungsschreiben als auch in Aufhebungsverträgen) eine Musterformulierung aufzunehmen, die auf die Meldepflicht nach § 38 Abs. 1 SGB III aufmerksam macht:
Musterformulierung Der Arbeitnehmer wird darauf hingewiesen, dass es ihm obliegt, sich unverzüglich nach Abschluss dieser Vereinbarung (bzw. Zugang dieser Kündigungserklärung) spätestens drei Monate vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Andernfalls tritt eine einwöchige Sperre ein.
25 Im Fall eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung spätestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. Neben dieser Meldepflicht nach § 38 SGB III besteht für den Arbeitnehmer als Anspruchsvoraussetzung des Arbeitslosengeldes nach § 122 SGB III die Pflicht, sich spätestens am ersten Tag der Arbeitslosigkeit persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit ar-
1 Dafür z.B. Gaul/Ott, DB 2002, 2486; a.A. Ansicht Vetter, DB 2005, 891. 2 BAG vom 29.9.2005 – 8 AZR 571/04, NZA 2005, 1406 ff.
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 29 Teil 6
beitslos zu melden, wenn er ab diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld beziehen möchte. Die Arbeitslosmeldung kann – und sollte – auch schon vorher erfolgen, wenn das Ende des Anstellungsverhältnisses und der Eintritt der Arbeitslosigkeit datumsmäßig feststehen. Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist die Meldung allerdings frühestens drei Monate vor dem tatsächlichen Eintritt der Arbeitslosigkeit zulässig. Die Möglichkeit der rechtswirksamen Arbeitslosmeldung innerhalb der letzten drei Monate vor der Arbeitslosigkeit ist in Angleichung an die Regelung der frühzeitigen Meldung der Arbeitssuche (§ 38 SGB III) erfolgt. Die Wirkung der Arbeitslosmeldung erlischt gemäß § 122 Abs. 2 SGB III bei einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit oder wenn der Arbeitslose eine Beschäftigung bzw. eine selbständige Tätigkeit aufnimmt und dies der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich anzeigt. Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn er nur eine Tätigkeit als „mithelfender Familienangehöriger“ ergreift. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld entsteht mit der erstmaligen Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen. Um dem Arbeitslosen die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Anspruchsentstehung zu verschaffen, die z.B. von Vorteil ist, wenn er bei Anspruchsentstehung bereits ein höheres Lebensalter mit längerer Bezugsdauer erreicht hat, ist nunmehr in § 118 Abs. 2 SGB III in der Sache die Rücknahme der Arbeitslosmeldung bis zur Bewilligung der Leistungen gestattet.
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d) „die Anwartschaftszeit erfüllt“ Die Anwartschaftszeit ist gemäß § 123 SGB III dann erfüllt, wenn der Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit (sog. Rahmenfrist gemäß § 124 SGB III) mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Zur Frage des Vorliegens eines Versicherungspflichtverhältnisses sind die §§ 24 ff. SGB III beachtlich.
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In bestimmten Ausnahmefällen verlängert sich die zweijährige Rahmenfrist des § 124 Abs. 1 SGB III. Gemäß § 124 Abs. 3 SGB III werden Zeiten, in denen der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat, nicht in die Rahmenfrist eingerechnet. In diesem Fall endet die Rahmenfrist allerdings gemäß § 124 Abs. 3 Satz 2 SGB III spätestens fünf Jahre nach ihrem Beginn.
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Aufgrund der Regelung in § 26 Abs. 2a SGB III kann auch mit einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer nach Abschluss der Elternzeit oder während der Elternzeit unmittelbar ein Aufhebungsvertrag geschlossen werden, ohne dass die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter aufgrund der fehlenden tatsächlichen beitragspflichtigen Beschäftigung von 12 Monaten innerhalb der Rahmenfrist des § 124 SGB III von Leistungen der Agentur für Arbeit ausgeschlossen wäre. In § 26 Abs. 2a SGB III ist nämlich geregelt, dass die Versicherungspflicht für Personen in der Zeit bestehen bleibt, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, sofern sie unmit-
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Teil 6 Rz. 30
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
telbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren, eine laufende Entgeltersatzleistung bezogen oder eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt haben, die ein Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung unterbrochen hat, und sich mit dem Kind in Inland gewöhnlich aufhalten bzw. bei Auslandsaufenthalt Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz oder dem Bundeskindergeldgesetz haben oder ohne die Anwendung von § 64 oder § 65 EStG oder § 3 oder 4 BKiGG haben würden.
Û
Hinweis: Im Fall eines Aufhebungsvertrages mit einem Mitarbeiter, der sich in der Elternzeit befindet, sollte jedoch im Interesse dieses Arbeitnehmers zuvor auch die für § 18 BEEG zuständige Arbeitsschutzbehörde eingeschaltet werden. Andernfalls droht dem Mitarbeiter eine Sperrzeit nach § 144 SGB III (siehe unten Rz. 103; insbesondere zur vergleichbaren Rechtslage bei schwerbehinderten Menschen vgl. Rz. 141 ff.).
30 Die zweijährige Rahmenfrist des § 124 SGB III verkürzt sich in den Fällen, in denen sie in eine andere, vorausgegangene Rahmenfrist hineinreichen würde. Sinn dieser Regelung ist es zu vermeiden, dass ein und dieselbe Beschäftigungszeit zweimal eine Anwartschaftszeit begründet.
Û
Beispiel: Arbeitnehmer A ist in der Zeit vom 1.1.2009 bis zum 28.2.2010 arbeitslos. Ab 1.3.2010 steht er wieder in einem beitragspflichtigem Beschäftigungsverhältnis, das jedoch zum 31.8.2010 ebenfalls beendet wird. Die Rahmenfrist zur Feststellung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ab 1.9.2010 reicht nunmehr nur bis zum 1.1.2009 zurück. Innerhalb dieser verkürzten Rahmenfrist hat A keine 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, so dass er keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben hat. Falls der vorherige Anspruch durch die Inanspruchnahme vom 1.2.2009 bis 28.2.2010 aufgebraucht worden war, erhält A kein Arbeitslosengeld mehr.
31 Die Anwartschaftszeit ist dann erfüllt, wenn der Arbeitslose innerhalb der Rahmenfrist 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Darauf, dass während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich Beiträge abgeführt worden sind, kommt es nicht an. Entscheidend ist alleine, ob die Tätigkeit objektiv eine beitragspflichtige Beschäftigung war1. Dies bedeutet, dass trotz regelmäßiger Beitragszahlung unter Umständen kein Versicherungsschutz besteht, weil objektiv tatsächlich kein beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat. Die Arbeitsagenturen sind insofern nicht an die Entscheidung der Krankenkasse, die als Einzugsstelle für die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung fungiert, gebunden2. Da es eine freiwillige Versicherung in der Arbeitslosenversicherung nicht gibt, bleibt einem Arbeitslosen in diesem Fall lediglich die Rückforderung der zu Unrecht eingezogenen Beiträge3. Diese Rückforderung ist aber nur hinsichtlich der noch 1 Vgl. Brand in Niesel, SGB III, § 123 Rz. 5. 2 Vgl. BSG vom 6.2.1992 – 7 RAr 36/91, BB 1992, 2437. 3 Vgl. Brand in Niesel, SGB III, § 25 Rz. 10.
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 34 Teil 6
nicht gemäß § 25 SGB IV verjährten Ansprüche möglich. Die Verjährungsfrist beträgt vier Jahre. aa) Arbeitnehmer Gemäß § 24 Abs. 1 SGB III stehen in einem Versicherungspflichtverhältnis diejenigen Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Der Begriff des „Beschäftigten“ wird in § 25 SGB III selbst definiert. Danach sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt werden. Nach § 27 Abs. 2 SGB III sind Personen, die nach § 8 SGB IV nur in einer geringfügigen Beschäftigung stehen – sog. 400-Euro-Arbeitsverhältnis –, nicht versicherungspflichtig.
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Sonstige Versicherungspflichtige sind in § 26 SGB III genannt. bb) Freie Mitarbeiter Sog. freie Mitarbeiter üben keine abhängige Beschäftigung aus und haben daher auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach Beendigung ihrer Tätigkeit. Problematisch ist in diesem Zusammenhang jedoch stets die Abgrenzung zwischen echtem freien Mitarbeiterverhältnis und abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Insofern muss an dieser Stelle auf die diesbezügliche Rechtsprechung des BAG verwiesen werden1.
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Interessant in diesem Zusammenhang ist insbesondere für Personen, die nach 34 Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses den Schritt in die Selbständigkeit erwägen, wie sich dies auf ihre Anwartschaftszeit während der Rahmenfrist auswirkt. Hier hilft die Möglichkeit des § 28a SGB III und die dort geregelte Versicherungspflicht auf Antrag. Ausgangspunkt ist dabei, dass es auch bei „Existenzgründern“, Personen, die sich selbständig gemacht haben, in Bezug auf eine etwaige spätere Arbeitslosigkeit und den Bezug von Arbeitslosengeld bei dem Erfordernis der zwölfmonatigen Anwartschaftszeit (Versicherungspflichtverhältnis) innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist des § 124 SGB III verbleibt. Der Gesetzgeber hat hier aber zeitgleich mit der Verkürzung der Rahmenfrist auf zwei Jahre mit § 28a SGB III die Möglichkeit u.a. für Selbständige eingeführt, eine freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung vorzunehmen. Entschließt sich der Betroffene zu dieser Versicherungslösung, muss er allerdings die Ausschlussfrist des § 28 Abs. 1 Satz 3 SGB III beachten, wonach der Antrag auf freiwillige Weiterversicherung bei der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit spätestens innerhalb von ei1 Vgl. BAG vom 8.6.1967 – 5AZR 461/66, vom 14.2.1974 – 5 AZR 298/73, vom 3.10.1975 – 5 AZR 427/74, vom 9.3.1977 – 5 AZR 110/76, vom 15.3.1978 – 5 AZR 819/76, vom 23.4.1980 – 5 AZR 426/79, vom 13.1.1983 – 5 AZR 149/82, AP Nr. 6, 12, 16, 21, 26, 34, 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG vom 16.10.1987 – 7 AZR 519/86, AP Nr. 69 zu § 613a BGB; LAG Frankfurt vom 16.3.1990 – 13 Sa 151/89, BB 1990, 2492; LAG Düsseldorf vom 6.3.1991 – 4 TaBV 119/90, BB 1991, 911; Berger-Delhey/ Alfmeier, NZA 1991, 257 ff.
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Teil 6 Rz. 35
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
nem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden muss. Gemäß § 345b SGB III gilt dann als beitragspflichtige Einnahme bei der freiwilligen Weiterversicherung, und zwar unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Einnahmen ein Arbeitsentgelt in Höhe von 25 % der monatlichen Bezugsgröße. cc) Geschäftsführer 35 Der Geschäftsführer einer GmbH, der nicht gleichzeitig Gesellschafter ist, übt eine abhängige Beschäftigung aus und unterliegt somit der Beitragspflicht1. Hiervon macht die Rechtsprechung lediglich dann eine Ausnahme, wenn es sich um Familiengesellschaften handelt und die Geschäftsführung daher durch die familiären Bindungen geprägt ist. In diesem Ausnahmefall wird auch derjeinge Geschäftsführer, der zwar keine Anteile besitzt, aber zur Familie gehört, als Selbständiger angesehen, so dass eine Beitragspflicht nicht besteht2. 36 Besitzt der Geschäftsführer weniger als fünfzig Prozent der Gesellschaftsanteile, so ist grundsätzlich ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit Beitragspflicht anzunehmen3. Übt der Geschäftsführer tatsächlich aber einen größeren Einfluss auf die Gesellschaft aus, als ihm dies nach seinem Kapitalanteil möglich sein sollte, so kann ausnahmsweise doch von einer beitragsfreien, d.h. selbständigen Tätigkeit die Rede sein. Denn der Umkehrschluss, dass mangels eines durch Kapitalbeteiligung hervorgerufenen beherrschenden Einflusses auf die Gesellschaft regelmäßig ein Abhängigkeitsverhältnis des Gesellschafter-Geschäftsführers anzunehmen sei, wird von der Rechtsprechung nicht gebilligt; das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses wird dann vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen bestimmt4. Für den Gesellschafter-Geschäftsführer, der nur über eine Minderheitsbeteiligung verfügt, kann sich daher erst bei Beantragung des Arbeitslosengeldes trotz jahrelanger Beitragszahlung herausstellen, dass er objektiv gar nicht beitragspflichtig war und ihm von daher auch kein Arbeitslosengeld zusteht5. 37 Besitzt der Geschäftsführer fünfzig oder mehr Prozent der Gesellschaftsanteile, so ist grundsätzlich von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen6. Hat ein Geschäftsführer nämlich aufgrund seiner Kapitalbeteiligung einen so maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft, dass er jeden ihm nicht genehmen Beschluss verhindern kann, so fehlt die das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis kennzeichnende persönliche Abhängigkeit7. 1 2 3 4 5
Vgl. Brand in Niesel, SGB III, § 25 Rz. 19. Vgl. BSG vom 8.12.1987 – 7 RAr 25/86, BB 1989, 72. Vgl. BSG vom 7.9.1988 – 10 RAr 10/87, NZA 1989, 288. BSG vom 30.6.1999 – B 2 U 35/98 R, NZS 2000, 147. Die gezahlten Beiträge können in diesem Fall – soweit noch keine Verjährung (vier Jahre) eingetreten ist – zurückgefordert werden. 6 Vgl. BSG vom 9.11.1989 – 11 RAr 39/89, BB 1990, 783. 7 BSG vom 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618.
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 40 Teil 6
dd) Vorstandsmitglieder Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III sind Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft versicherungsfrei. Ein Vorstandsmitglied hat daher nach Auslaufen seines Vertrages keinerlei Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Aufgrund dieser fehlenden sozialen Absicherung sehen Dienstverträge für Vorstandsmitglieder häufig Übergangsgelder oder einen frühzeitigen Bezug der Pension vor.
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ee) Mitarbeitende Gesellschafter Auch Gesellschafter, die in ihrem Unternehmen mitarbeiten, unterliegen grundsätzlich der Beitragspflicht. Beträgt der Anteil an den Geschäftsanteilen der Gesellschaft allerdings fünfzig oder mehr Prozent oder verfügt der Gesellschafter über eine allgemein gültige Sperrminorität1, so spricht dies für eine selbständige und damit beitragsfreie Tätigkeit2. Weitere Indizien für eine selbständige Tätigkeit sind beispielsweise: Entscheidungsverantwortlichkeit für die wesentlichen Funktionen des Unternehmens3, Urlaubsantritt ohne Genehmigungserfordernis, keine Entgeltfortzahlung bei Krankheit, keine Weisungsunterworfenheit4. Entscheidend für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit des Mitgesellschafters vorliegt, sind aber jeweils die Gesamtumstände des Einzelfalles5.
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ff) Familienangehörige Die Tatsache allein, dass ein im Unternehmen beschäftigter Mitarbeiter mit einem der Inhaber verwandt oder verheiratet ist, schließt die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht von vornherein aus6. Auch hier kommt es auf eine Würdigung der Gesamtumstände an. Zu prüfen ist, ob der Familienangehörige/Ehegatte tatsächlich wie ein sonstiger Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert ist (Fremdvergleich)7; ob die Bezüge im Hinblick auf die ausgeübte Tätigkeit angemessen sind; ob Lohnsteuer abgeführt wird und das Arbeitsentgelt als Betriebsausgabe deklariert worden ist8. Fehlt es an einer tatsächlichen Auszahlung des mit dem Ehepartner vereinbarten Entgeltes, so muss dies nicht ohne weiteres gegen ein abhängiges, beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sprechen9.
1 Vgl. BSG vom 7.9.1988 – 10 RAr 10/87, NZA 1989, 288; vgl. hinsichtlich einer auf die Festlegung der Unternehmenspolitik, die Änderung des Gesellschaftsvertrages und die Auflösung der Gesellschaft beschränkte Sperrminorität die Entscheidung des BSG vom 24.9.1992 – 7 RAr 12/92, DB 1992, 2634, wo eine abhängige Beschäftigung trotz Sperrminorität bejaht worden war. 2 Vgl. BSG vom 9.11.1983 – 5 AZR 204/81, BB 1984, 405. 3 Vgl. BSG vom 30.1.1990 – 11 RAr 47/88, NZA 1990, 950. 4 Vgl. BSG vom 29.10.1986 – 7 RAr 43/85, BB 1987, 406. 5 Vgl. BSG vom 23.6.1994 – 12 RR 72/92, NJW 1994, 2974 (2975). 6 Vgl. BSG vom 30.1.1990 – 11 RAr 47/88, NZA 1990, 950. 7 Fröhlich/Mirwald, ArbRB 2007, 217 ff. 8 Vgl. BSG vom 21.4.1993 – 11 RAr 67/92, AP Nr. 67 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 9 Vgl. BSG vom 21.4.1993 – 11 RAr 67/92, AP Nr. 67 zu § 611 BGB Abhängigkeit.
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Teil 6 Rz. 41
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
41 Bei im Unternehmen mitarbeitenden Ehepartnern kommt darüber hinaus dem ehelichen Güterstand eine ggf. entscheidende Rolle zu1. Leben die Eheleute im Güterstand der Gütergemeinschaft (§ 1415 ff. BGB) und gehört das Unternehmen zur Gütergemeinschaft2, so schließt dies die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus, weil der mitarbeitende Ehepartner in diesem Fall automatisch auch Miteigentümer der Gesellschaft ist3. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn die Tätigkeit des mitarbeitenden Ehepartners im Vordergrund steht und es an einem nennenswerten Betriebsvermögen fehlt4. gg) Wehrdienstleistende/Zivildienstleistende 42 Wird das Arbeitsverhältnis durch den gesetzlich abzuleistenden Wehrdienst oder Zivildienst unterbrochen, so besteht gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB III auch in dieser Zeit Versicherungspflicht, sofern der Dienst länger als drei Tage dauert und der Wehrdienstleistende unmittelbar vor dem Wehrdienst versicherungspflichtig war oder eine Beschäftigung gesucht hat, die eine Versicherungspflicht nach dem SGB III begründet hätte. e) Antrag auf Arbeitslosengeld 43 Letzte Voraussetzung des Bezuges von Arbeitslosengeld ist schließlich ein entsprechender Antrag. Nach § 118 Abs. 2 SGB III kann der Arbeitnehmer bis zur Entscheidung über seinen Anspruch bestimmen, dass dieser nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll.
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Hinweis: Da die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes u.a. vom Alter des Arbeitslosen abhängt, kann es unter Umständen ratsam sein, nicht unmittelbar nach Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis Arbeitslosengeld zu beantragen. Die Bezugsdauer beurteilt sich nämlich nach den im Zeitpunkt der Antragsstellung maßgeblichen Daten des Arbeitslosen. Wird dieser beispielsweise in wenigen Tagen/Wochen das 58. Lebensjahr vollenden, kann ein Hinauszögern des Arbeitslosengeldantrages auf diesen Tag je nach vorausgegangener Beschäftigungszeit in einem Versicherungspflichtverhältnis eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um sechs Monate bringen (siehe unten Rz. 45 die Tabelle, aus der sich in Abhängigkeit von Alter und Beschäftigungszeit des Arbeitslosen die Bezugsdauer ergibt).
1 Vgl. BSG vom 23.6.1994 – 12 RK 50/93, NZS 1995, 31. 2 Denkbar ist auch, dass das Unternehmen zum sog. Sondergut (§ 1417 BGB) oder zum sog. Vorbehaltsgut (§ 1418 BGB) gehört. Dies würde ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht von vornherein ausschließen. 3 Vgl. BSG vom 10.11.1982 – 11 RK 1/82, SozR 5420 § 32 Nr. 5. 4 Vgl. Brand in Niesel, SGB III, § 25 Rz. 25.
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Rz. 45 Teil 6
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
2. Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeldleistungen Die Frage nach der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeldleistungen ist streng von der Frage zu trennen, ab wann der Arbeitslose Leistungen der Agentur für Arbeit erhält. Während die §§ 143a und 144 SGB III durch die Anordnung von Ruhens- und Sperrzeiten regeln, ab wann die Agentur für Arbeit Arbeitslosengeld zahlen muss, bestimmen die §§ 127 und 128 SGB III, für welchen Zeitraum der Arbeitslose die Leistungen erhält. Dass die Fragen dennoch aneinander gekoppelt sind, ergibt sich daraus, dass die Kürzung der Dauer des sich aus § 127 SGB III ergebenden Grundanspruchs auch an denjenigen Tatbestand (§ 144 SGB III) anknüpft, der auch zu einer Verschiebung des Beginns der Arbeitslosengeldzahlungen führt.
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a) Grundanspruch Auch im Hinblick auf die Anspruchsdauer für den Bezug des Arbeitslosengeldes ist der Gesetzgeber wiederholt aktiv geworden1. Während bei einer Arbeitslosmeldung bis zum 31.1.2006 die maximale Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld 32 Monate betrug (nach einem Versicherungspflichtverhältnis mit einer Dauer von insgesamt mindestens 64 Monaten und nach Vollendung des 57. Lebensjahres), ist mit dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt eine erhebliche Verkürzung der Anspruchsdauer normiert worden, die eine maximale Anspruchsdauer von 18 Monaten (nach einem Versicherungspflichtverhältnis von mindestens 36 Monaten und nach Vollendung des 55. Lebensjahres) vorsah. Aktuell hat der Gesetzgeber – rückwirkend zum 1.1.2008 – wieder eine Erhöhung vorgenommen; maßgeblich ist nunmehr die nachfolgende, in § 127 Abs. 2 SGB III enthaltene Tabelle. Dieser kann anhand der versicherungspflichtigen Beschäftigungsdauer und des Lebensalters die jeweilige Anspruchsdauer entnommen werden. Tabelle 1: Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestens … Monaten
und nach Vollendung des … Lebensjahres
… Monate
12
6
16
8
20
10
24
12
30
50.
15
36
55.
18
48
58.
24
1 Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl. I S. 3002; Siebtes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008, BGBl. I S. 681.
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Teil 6 Rz. 46
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
46 Nach der aktuellen Regelung beträgt danach die längstmögliche Anspruchsdauer 24 Monate für Arbeitslose, die bei Anspruchsbeginn zumindest das 58. Lebensjahr vollendet hatten und jedenfalls 48 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis beschäftigt waren. Eine Übergangsregelung findet sich in § 434r SGB III. Danach erhöht sich die Anspruchsdauer bei Arbeitslosen, die bereits vor dem 1.1.2008 das 50. bzw. 58. Lebensjahr vollendet haben, sofern ihr Arbeitslosengeldanspruch nach der bis zum 31.12.2007 geltenden Regel auf der Basis des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt bis dahin noch nicht erschöpft war, entsprechend auf 15 bzw. 20 Monate. b) Wiederholte Arbeitslosigkeit 47 Wird der Arbeitnehmer nach vorausgegangener Arbeitslosigkeit innerhalb kürzerer Zeit wieder arbeitslos, so bleibt sein ursprünglich erworbener Anspruch auf Arbeitslosengeld auch für diese erneute Arbeitslosigkeit maßgebend, sofern noch kein neuer Anspruch entstanden ist (vgl. oben in Rz. 27 ff. die Ausführungen zur Anwartschaftszeit) und der alte Anspruch noch nicht aufgebraucht worden ist1. Gemäß § 127 Abs. 4 SGB III verlängert sich die Anspruchsdauer um die Restdauer des wegen Entstehung eines neuen Anspruchs erloschenen alten Anspruchs2, wenn nach der Entstehung des alten, erloschenen Anspruchs noch nicht fünf Jahre vergangen sind. Die Anspruchsdauer erhöht sich allerdings höchstens bis zu der der jeweiligen Altersstufe zugeordneten Höchstdauer. Wegen dieser Regelung und der vorgenannten Übergangsregelung behalten diejenigen Arbeitnehmer, die nach Inkrafttreten des Gesetzes erneut arbeitslos werden, mindestens die Restdauer des erloschenen Anspruchs. c) Minderung der Anspruchsdauer 48 Während § 127 SGB III die grundsätzliche Anspruchsdauer bestimmt, enthält § 128 SGB III diejenigen Tatbestände, die zu einer Verkürzung der Anspruchsdauer führen. Dies bedeutet, dass die im SGB III genannten Sperrzeiten (zu den Voraussetzungen der Sperrzeit nach § 144 SGB III siehe unten Rz. 69 ff., 103 ff.) sich nur dann auf die Anspruchsdauer auswirken, wenn dies ausdrücklich in § 128 SGB III bestimmt wird. aa) Minderung wegen Erfüllung 49 In Nr. 1 enthält § 128 SGB III die Selbstverständlichkeit, dass sich die Anspruchsdauer um die Zeiten vermindert, für die der Arbeitslose Leistungen der Agentur für Arbeit erhalten hat. Insofern ist der Anspruch erfüllt. An der Erfüllung des Arbeitslosengeldanspruches ändert sich auch in den Fällen nichts, in denen die Agentur für Arbeit die erbrachten Leistungen beispielsweise gemäß § 147a SGB III von einem Dritten erstattet bekommt. Eine Erfül1 Vgl. Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Rz. 73. 2 Gemäß § 147 SGB III erlischt der Anspruch auf Arbeitslosengeld mit der Entstehung eines neuen Anspruchs.
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Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
Rz. 51 Teil 6
lung ist ausnahmsweise nach Auffassung des Bundessozialgerichtes sogar dann anzunehmen, wenn die Agentur für Arbeit dem Arbeitslosen lediglich nach § 143a Abs. 4 SGB III im Wege der Gleichwohlgewährung Arbeitslosengeld zahlt1 und den auf ihn gemäß § 115 SGB X übergegangenen Anspruch auf Erstattung gegen den zur Zahlung verpflichteten Arbeitgeber trotz berechtigter Erfolgsaussichten nicht durchsetzt2. In diesem Fall bleibt dem Arbeitslosen zur Erhaltung seines vollständigen Anspruches nur die Möglichkeit, selbst gegen den Arbeitgeber auf Zahlung an die Bundesagentur für Arbeit zu klagen3. bb) Minderung wegen Sperrzeit Die Anspruchsdauer mindert sich des Weiteren gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB III in den Fällen, in denen gegenüber dem Arbeitslosen eine Sperrzeit verhängt wird. Grundsätzlich entspricht die Dauer der nach § 144 SGB III verhängten Sperrzeit auch dem Umfang der Verkürzung der Bezugsdauer (siehe zur Sperrzeit nach § 144 SGB III unten Rz. 103 ff.). Erhält der Arbeitslose jedoch eine zwölfwöchige Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, weil ihn ein Verschulden an dem Arbeitsplatzverlust trifft4, so tritt gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III eine Minderung um mindestens ein Viertel der Anspruchsdauer ein.
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Beispiel: Ein Arbeitnehmer scheidet im Alter von 58 Jahren nach 20-jähriger Beschäftigungszeit mittels Aufhebungsvertrags gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis aus. Es liegen weder betriebs- noch personenbedingte Kündigungsgründe vor. Es liegt auch kein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses vor. In diesem Fall wird die Agentur für Arbeit eine zwölfwöchige Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III verhängen. Folge dieser Sperrzeit ist nun u.a., dass sich die ursprüngliche Anspruchsdauer in Höhe von 24 Monaten auf nur noch 18 Monate verringert.
Eine Minderung der Anspruchsdauer scheidet im Fall einer Sperrzeit dann gemäß § 128 Abs. 2 SGB III aus, wenn das Ereignis, das zur Sperrzeit geführt hat, im Zeitpunkt der Erfüllung aller Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld mehr als ein Jahr zurückliegt. Bei einer derartigen Konstellation bleibt dem Arbeitslosen die volle Anspruchsdauer erhalten, und zwar nach Ablauf der Sperrzeit, die als Sanktion verbleibt. 1 Die Agentur für Arbeit zahlt immer dann nach § 143a Abs. 4 SGB III, wenn der Arbeitgeber während des laufenden Kündigungsschutzprozesses den Arbeitnehmer nicht beschäftigt und folglich auch nicht bezahlt. Gewinnt der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess, so muss der Arbeitgeber die Gehälter nachzahlen, wobei der Anspruch hierauf in Höhe des an den Mitarbeiter gezahlten Arbeitslosengeldes auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen ist. 2 Vgl. BSG vom 24.6.1999 – B 11 AL 7/99 R, SozR 4100 § 117 Nr. 18. 3 Vgl. Brand in Niesel, SGB III, § 128 Rz. 3. 4 Hier sind die Fälle der verhaltensbedingten Kündigung und die des Aufhebungsvertrages ohne wichtigen Grund gemeint; im Einzelnen siehe unten Rz. 103 ff.
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Teil 6 Rz. 52
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Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
Beispiel: Ein Arbeitnehmer scheidet aufgrund eines Aufhebungsvertrages zum 30.9.2010 aus dem Anstellungsverhältnis aus, ohne dass es hierfür einen wichtigen Grund i.S. von § 144 SGB III gibt. Wenn dieser Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag als das die Sperrzeit auslösende Ereignis z.B. bereits im August 2009 abgeschlossen hat, entfällt die Minderung der Anspruchsdauer; nach Ablauf der Sperrzeit steht dann die volle Bezugsdauer zur Verfügung.
52 Ein Arbeitnehmer, der ein bereits vom Arbeitgeber gekündigtes Beschäftigungsverhältnis mit Wirkung zu einem früheren Zeitpunkt löst, kann den Eintritt einer Sperrzeit für die Gewährung von Arbeitslosengeld und damit die Kürzung der Anspruchsdauer allerdings nicht dadurch vermeiden, dass er Arbeitslosengeld erst für die Zeit beansprucht, in der er ohnehin aufgrund der Kündigung arbeitslos gewesen wäre1.
3. Höhe des Arbeitslosengeldes 53 Die Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt gemäß § 129 SGB III grundsätzlich 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Hat der Arbeitslose oder sein Ehegatte bzw. seine Ehegattin mindestens ein Kind i.S. von § 32 EStG, so beträgt das Arbeitslosengeld 67 %. Berücksichtigt wird allerdings nur das Einkommen bis zur jährlich neu festzulegenden Beitragsbemessungsgrenze2. Wie hoch das Arbeitslosengeld tatsächlich im Einzelfall ist, ergibt sich aus der jährlich vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Leistungsordnung. In dieser Leistungsentgeltverordnung wird das Arbeitslosengeld getrennt nach Leistungsgruppen, die wiederum von der Lohnsteuerklasse abhängig sind, zugeordnet. 54 Nach der Übertragung des Arbeitslosengeldrechtes in das SGB III spricht der Gesetzgeber nicht mehr von Arbeitsentgelt, sondern von Bemessungsentgelt. Bemessungsentgelt ist gemäß § 132 SGB III das im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende Entgelt, welches der Arbeitnehmer für seine Arbeitsleistung erhält. Als Bemessungszeitraum sieht § 130 Abs. 1 SGB III die abgerechneten Entgeltzeiträume im Bemessungsrahmen vor, der wiederum ein Jahr umfasst, das mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs endet. Nach § 130 Abs. 3 SGB III wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält oder, soweit der Arbeitslose dies verlangt und die zur Bemessung erforderlichen Unterlagen vorlegt, wenn es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum auszugehen. 1 BSG vom 20.1.2000 – B 7 AL 20/99, NZA 2000, 644. 2 Im Jahre 2009 beträgt die monatliche Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung im Westen 5400 Euro, im Osten 4550 Euro im Monat.
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Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit
Rz. 57 Teil 6
Bemessungsentgelt ist dann gemäß § 131 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich 55 auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 SGB III bleiben trotz dieses Grundsatzes Leistungen außer Betracht, die der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind. Hierdurch soll verhindert werden, dass in der Endphase des Arbeitsverhältnisses bzw. in Zusammenhang mit der Verhandlung über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im kollusiven Zusammenwirken zum Nachteil der Agentur für Arbeit Absprachen getroffen werden, die darauf zielen, das Bemessungsentgelt und damit (im Rahmen der Beitragsbemessungsgrenze) das zu erwartende Arbeitslosengeld zu erhöhen.
III. Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit In den Fällen, in denen die Bundesagentur für Arbeit anstelle des Arbeitgebers Leistungen an den Arbeitnehmer erbringt – beispielsweise nach einer ungerechtfertigten Kündigung –, gehen die Gehaltsansprüche1 in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes gemäß § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit über. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nach einem verlorenen Kündigungsschutzprozess die Gehälter nicht in voller Höhe an den Arbeitnehmer nachzahlen darf, sondern in Höhe des vom Arbeitnehmer erhaltenen Arbeitslosengeldes an die Agentur für Arbeit überweisen muss. Die Bundesagentur für Arbeit übersendet dem Arbeitgeber insofern in der Regel unmittelbar im Anschluss an die Arbeitslosmeldung des Mitarbeiters eine so genannte Überleitungsanzeige. Der Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit bedarf aber keines gesonderten Verwaltungsaktes2.
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Die Problematik des Übergangs von Ansprüchen des Arbeitnehmers auf die Bundesagentur für Arbeit spielt allerdings nicht nur bei vom Arbeitnehmer gewonnenen Kündigungsschutzprozessen eine wichtige Rolle, sondern auch bei Prozessen, die im Wege eines Abfindungsvergleiches beendet worden sind. Gerade bei Vergleichen im Zusammenhang mit einer außerordentlichen Kündigung ist häufig ein Teilbetrag der ausgehandelten Abfindung gemäß § 143a Abs. 1 und 4 SGB III i.V.m. § 115 SGB X automatisch auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen, wenn sich die fristlose Kündigung im Laufe des Prozesses als unwirksam erwiesen hat und dennoch unter Zahlung einer Abfindung an dem ursprünglichen Beendigungsdatum festgehalten wird. Der Arbeitgeber sollte in derartigen Fällen die Abfindung nur unter Abzug des auf die Agentur für Arbeit übergegangenen Betrages an den Arbeitnehmer auszahlen, da ihm ansonsten die Gefahr droht, doppelt zu zahlen.
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1 Zu den übergehenden Gehaltsansprüche gehören Sonderzahlungen (z.B. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld etc.); vgl. BAG vom 26.5.1992 – 9 AZR 41/91, AP Nr. 4 zu § 115 SGB X. 2 Vgl. BSG vom 14.7.1994 – 7 RAr 104/93, AP Nr. 8 zu § 115 SGB X.
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Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit
Rz. 57 Teil 6
Bemessungsentgelt ist dann gemäß § 131 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich 55 auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 SGB III bleiben trotz dieses Grundsatzes Leistungen außer Betracht, die der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind. Hierdurch soll verhindert werden, dass in der Endphase des Arbeitsverhältnisses bzw. in Zusammenhang mit der Verhandlung über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im kollusiven Zusammenwirken zum Nachteil der Agentur für Arbeit Absprachen getroffen werden, die darauf zielen, das Bemessungsentgelt und damit (im Rahmen der Beitragsbemessungsgrenze) das zu erwartende Arbeitslosengeld zu erhöhen.
III. Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit In den Fällen, in denen die Bundesagentur für Arbeit anstelle des Arbeitgebers Leistungen an den Arbeitnehmer erbringt – beispielsweise nach einer ungerechtfertigten Kündigung –, gehen die Gehaltsansprüche1 in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes gemäß § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit über. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nach einem verlorenen Kündigungsschutzprozess die Gehälter nicht in voller Höhe an den Arbeitnehmer nachzahlen darf, sondern in Höhe des vom Arbeitnehmer erhaltenen Arbeitslosengeldes an die Agentur für Arbeit überweisen muss. Die Bundesagentur für Arbeit übersendet dem Arbeitgeber insofern in der Regel unmittelbar im Anschluss an die Arbeitslosmeldung des Mitarbeiters eine so genannte Überleitungsanzeige. Der Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit bedarf aber keines gesonderten Verwaltungsaktes2.
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Die Problematik des Übergangs von Ansprüchen des Arbeitnehmers auf die Bundesagentur für Arbeit spielt allerdings nicht nur bei vom Arbeitnehmer gewonnenen Kündigungsschutzprozessen eine wichtige Rolle, sondern auch bei Prozessen, die im Wege eines Abfindungsvergleiches beendet worden sind. Gerade bei Vergleichen im Zusammenhang mit einer außerordentlichen Kündigung ist häufig ein Teilbetrag der ausgehandelten Abfindung gemäß § 143a Abs. 1 und 4 SGB III i.V.m. § 115 SGB X automatisch auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen, wenn sich die fristlose Kündigung im Laufe des Prozesses als unwirksam erwiesen hat und dennoch unter Zahlung einer Abfindung an dem ursprünglichen Beendigungsdatum festgehalten wird. Der Arbeitgeber sollte in derartigen Fällen die Abfindung nur unter Abzug des auf die Agentur für Arbeit übergegangenen Betrages an den Arbeitnehmer auszahlen, da ihm ansonsten die Gefahr droht, doppelt zu zahlen.
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1 Zu den übergehenden Gehaltsansprüche gehören Sonderzahlungen (z.B. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld etc.); vgl. BAG vom 26.5.1992 – 9 AZR 41/91, AP Nr. 4 zu § 115 SGB X. 2 Vgl. BSG vom 14.7.1994 – 7 RAr 104/93, AP Nr. 8 zu § 115 SGB X.
Fröhlich
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Teil 6 Rz. 58
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Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
Beispiel: Die B-GmbH kündigt das mit dem Außendienstmitarbeiter A bestehende Anstellungsverhältnis fristlos am 31.5.2009, weil dieser die Tätigkeitsberichte wiederholt nicht korrekt ausgefüllt hat. Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht einigen sich beide Parteien darauf, dass das Anstellungsverhältnis durch „betrieblich veranlasste Kündigung der Beklagten am 31.5.2009 geendet hat“. Zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt A eine Abfindung in Höhe von 9500 Euro. Des Weiteren enthielt der Vergleich die Klausel, dass mit Erfüllung dieses Vergleiches alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien erledigt sind. Die Agentur für Arbeit forderte nunmehr nach Bekanntwerden des Vergleiches von der B-GmbH die Erstattung des Arbeitslosengeldes für die Zeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.
58 Die Forderung der Agentur für Arbeit ist rechtmäßig, da ein Teil der Abfindung gemäß § 143a Abs. 1 und 4 SGB III i.V.m. § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen war, weil es im vorliegenden Fall an den Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gefehlt hat und somit die Kündigungsfrist hätte eingehalten werden müssen. 59 Nach § 143 Abs. 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit, für die der Arbeitslose Anspruch auf Arbeitsentgelt hat oder zumindest zu beanspruchen hätte. Erhält der Arbeitslose in dieser Zeit tatsächlich kein Arbeitsentgelt, so tritt die Agentur für Arbeit gemäß § 143 Abs. 3 SGB III ein. Um einen Doppelbezug des Arbeitnehmers zu vermeiden, gehen im Fall des § 143 Abs. 3 SGB III die Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung der vereinbarten Vergütung in Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes in dem Moment auf die Agentur für Arbeit über, in dem sie tatsächlich Leistungen erbracht hat1. § 143a SGB III hat ebenfalls den Normzweck, einen Doppelbezug (Arbeitslosengeld und Entlassungsentschädigung) zu vermeiden. Auch dort ist für den Fall der Gleichwohlgewährung ein Anspruchsübergang geregelt (§ 143a Abs. 4 SGB III). Mit dem Anspruchsübergang verliert der Arbeitnehmer die Verfügungsgewalt über diese Ansprüche2. Schließen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – wie im obigen Beispielsfall – im Kündigungsschutzprozess wegen der Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung einen Vergleich, wonach es bei dem Beendigungstermin bleibt und der Arbeitgeber eine Abfindung zahlt, so verzichtet der Arbeitnehmer hierdurch gleichzeitig konkludent auf seine Gehaltsansprüche bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist3. 60 Ein derartiger Vergleich bindet jedoch arbeitsrechtlich nur die beiden Arbeitsvertragsparteien. Gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, auf die die Gehaltsansprüche nach dem außerordentlichen Beendigungstermin aufgrund der Arbeitslosengeldzahlungen gemäß § 143a Abs. 4 SGB III i.V.m. § 115 SGB X 1 Vgl. BAG vom 28.4.1983 – 2 AZR 446/81, AP Nr. 3 zu § 117 AFG. 2 Vgl. BAG vom 28.4.1983 – 2 AZR 446/81, AP Nr. 3 zu § 117 AFG. 3 In derartigen Fällen wird sich die Höhe der Abfindung regelmäßig an den bis zum ordentlichen Kündigungstermin ausstehenden Gehältern orientieren.
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Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit
Rz. 62 Teil 6
übergegangen waren, entfaltet dieser Prozessvergleich keinerlei Wirkung1, da ein Vertrag zu Lasten Dritter nicht möglich ist. Konsequenz dieser fehlenden Drittwirkung ist, dass die Abfindung in Höhe des bis zum ordentlichen Beendigungstermin gezahlten Arbeitslosengeldes ebenfalls auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen war, da die Abfindung nunmehr an die Stelle des ansonsten in dieser Zeit seitens des Arbeitgebers zu zahlenden Arbeitsentgeltes getreten ist. Voraussetzung dieses Forderungsüberganges ist allerdings, dass die außerordentliche Kündigung tatsächlich unwirksam ist. Die an sich durch den Vergleich erledigte Frage bezüglich der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung wird daher in dem Moment wieder relevant, in dem die Bundesagentur für Arbeit aufgrund von § 143a Abs. 4 SGB III i.V.m. § 115 SGB X vom Arbeitgeber Zahlung der übergegangen Entgeltansprüche verlangt. Der Arbeitgeber muss in dem Fall, in dem er die Abfindung bereits vollständig an den Arbeitnehmer ausgezahlt hat, diesen zur Rückzahlung des entsprechenden Teilbetrages auffordern, wenn er nicht doppelt zahlen will2. Das Rückforderungsrecht des Arbeitgebers scheitert hier nicht an der Vorschrift des § 814 BGB, da der Arbeitgeber nicht wusste, dass er die Abfindung nicht in voller Höhe schuldete. Nach Auffassung des BAG hindert darüber hinaus auch die allgemeine Erledigungsklausel nicht das Rückforderungsbegehren des Arbeitgebers, weil auch im Fall der ordentlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses der Arbeitnehmer sich die von der Agentur für Arbeit erbrachten Leistungen auf seine Vergütungsansprüche hätte anrechnen lassen müssen und der Vergleich keinerlei Anhaltspunkte dafür enthält, dass der Arbeitgeber alleine die Erstattungsansprüche des Arbeitsamtes tragen soll3. Diese Argumentation erscheint allerdings in Anbetracht der Bedeutung einer allgemeinen Erledigungsklausel4 – Ausschluss aller bekannten und unbekannten Ansprüche, um weitere Auseinandersetzungen zwischen den Parteien zu vermeiden – überaus zweifelhaft.
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Hinweis: Kommt es im Prozess, in dem über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung gestritten wird, zu einem Vergleich, der die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Beendigungsdatums gegen Zahlung einer Abfindung vorsieht, so sollte der Arbeitgeber vor Auszahlung der Abfindung prüfen, inwieweit Ansprüche der Arbeitsagentur bezüglich der Abfindung bestehen. Auf diese Weise lässt sich ggf. ein weiterer auf die Rückforderung eines Teils der Abfindung gerichteter Prozess gegen den ehemaligen Mitarbeiter verhindern.
1 Vgl. BAG vom 25.3.1992 – 5 AZR 254/91, AP Nr. 12 zu § 117 AFG; BAG vom 28.4.1983 – 2 AZR 446/81, AP Nr. 3 zu § 117 AFG; Brackmann, Anmerkung zu AP Nr. 3 zu § 117 AFG. 2 Vgl. BAG vom 25.3.1992 – 5 AZR 254/91, AP Nr. 12 zu § 117 AFG; BAG vom 9.10.1996 – 5 AZR 246/95, AP Nr. 9 zu § 115 SGB X. 3 Vgl. BAG vom 25.3.1992 – 5 AZR 254/91, AP Nr. 12 zu § 117 AFG; BAG vom 9.10.1996 – 5 AZR 246/95, AP Nr. 9 zu § 115 SGB X. 4 Siehe zur Bedeutung der allgemeinen Erledigungsklausel in Aufhebungsverträgen bzw. Prozessvergleichen oben Teil 2 Rz. 369 ff.
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Teil 6 Rz. 63
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
IV. Sozialversicherungsrechtliche Behandlung einer Abfindung 63 Für den Arbeitnehmer ist im Rahmen der Festlegung der Höhe der Abfindung die entscheidende Frage, was von dieser Abfindungssumme tatsächlich bei ihm auf dem Konto ankommt und wie sich die Zahlung einer Abfindung auf seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld auswirkt. 64 Grundsätzlich unterliegt eine Abfindung, die wegen der Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes als Überbrückung für die Zeit nach der Beendigung gezahlt wird, nicht der Sozialversicherungspflicht1. Dies bedeutet, dass von einer Abfindung weder Beiträge zur Kranken- und Pflege- noch zur Rentenoder zur Arbeitslosenversicherung abgeführt werden müssen2. Beitragspflichtig ist bei versicherungspflichtig Beschäftigten gemäß § 342 SGB III nur das tatsächliche Arbeitsentgelt, das während der Dauer des Arbeitsverhältnisses erzielt worden ist. 65 Hauptkriterium für die Frage der Beitragspflicht ist für das Bundessozialgericht die zeitliche Zuordnung der Abfindung. Da eine Abfindung grundsätzlich wegen der Beendigung des Anstellungsverhältnisses als Ausgleich für den Verlust des sozialen Besitzstandes gezahlt wird, lässt sich diese Zahlung zeitlich nicht der Zeit des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zuordnen, so dass eine Beitragspflicht ausscheidet3. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn in der Abfindung bereits erdientes Arbeitsentgelt enthalten ist. Setzt sich die Abfindung beispielsweise aus dem dem Arbeitnehmer zustehenden Weihnachtsgeld, einer bereits verdienten Tantieme, einer Vergütung für geleistete Überstunden und einer „echten“ Abfindung zusammen, so gilt die Versicherungsfreiheit nur für die „echte“ Abfindung4. Die übrigen Bestandteile der Gesamtabfindung – die verstecktes Arbeitsentgelt darstellen – unterliegen der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherungspflicht. 66 Die Frage nach der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Abfindung stellt sich insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer unter Verkürzung seiner Kündigungsfrist aus dem Anstellungsverhältnis ausgeschieden ist.
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Beispiel: Der 54-jährige Arbeitnehmer A, der seit 25 Jahren bei der B-GmbH beschäftigt ist, scheidet aufgrund eines Aufhebungsvertrages vom 15.8.2009 zum 31.8.2009 gegen Zahlung einer Abfindung aus, obwohl seine ordentliche Kündigungsfrist nach § 622 BGB sieben Monate beträgt.
So BSG vom 21.2.1990 – 12 RK 20/88, NZA 1990, 751. Zur steuerlichen Behandlung der Abfindung siehe unten Teil 7. Vgl. BSG vom 21.2.1990 – 12 RK 20/88, NZA 1990, 751. Die gleiche Problematik stellt sich auch bei der steuerlichen Behandlung der Abfindung. Auch hier ist zwischen „echter“ Abfindung und „verstecktem Arbeitsentgelt“ zu differenzieren. Nur die „echte“ Abfindung unterliegt dem günstigen halben Steuersatz; vgl. unten Teil 7.
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Übersicht über Ruhens- und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld
Rz. 69 Teil 6
Hier vermutet der Gesetzgeber nicht zu Unrecht1, dass in dieser Abfindung unter anderem die Gehälter enthalten sind, die bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist angefallen wären. Auf die Beitragsfreiheit der Abfindung wirkt sich diese vorzeitige Beendigung des Anstellungsverhältnisses jedoch nicht aus. Da nur dasjenige Arbeitsentgelt der Beitragspflicht unterliegt, das zeitlich der Dauer des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zugeordnet werden kann, fehlt es für die aus der abgekürzten Kündigungsfrist resultierenden Bestandteile der Abfindung, die bei ordnungsgemäßer Beendigung des Anstellungsverhältnisses versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt gewesen wären, an der Beitragspflicht; denn diese Bestandteile der Abfindung sind zweifelsohne der Zeit nach der rechtlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses zuzuordnen.
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Dieses Beispiel zeigt, dass durch eine Verkürzung der Kündigungsfrist die da- 68 durch ersparten Gehälter in die Abfindung einfließen können und so aufgrund der Ersparnis der Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der Steuerbegünstigung eine Optimierung der Abfindung möglich ist, ohne dass sich die vom Unternehmen aufzuwendende Bruttosumme erhöht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch der Gesetzgeber diesen Weg erkannt und ein derartiges Vorgehen zum einen mit Nachteilen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sanktioniert hat2 und zum anderen der Arbeitslose für eine gewisse Zeit selbst seinen Krankenversicherungsschutz übernehmen muss3.
V. Übersicht über Ruhens- und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld Der Gesetzgeber hat im SGB III eine Reihe von Tatbeständen geregelt, bei deren Vorliegen der Anspruch auf Arbeitslosengeld für einen gewissen Zeitraum ruht. Zunächst sind die Ruhenszeiträume nach §§ 143, 143a SBG III zu beachten. Neben dem bloßen Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld kann nach § 144 SGB III auch eine Sperrzeit eintreten, während der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht, und die nach § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III zu einer Minderung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um ein Viertel führt. Im Folgenden soll nun eine Übersicht über die wichtigsten Ruhens- und Sperrzeiten gegeben werden, die als erste Orientierung dienen kann: – Aufhebungsvertrag ohne wichtigen Grund: Sperrzeit nach § 144 SGB III – Verhaltensbedingte Kündigung: Sperrzeit nach § 144 SGB III 1 Der Gesetzgeber ordnet in diesem Fall für eine gewisse Zeit über § 143a SGB III ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld an. 2 Demjenigen Arbeitslosen, der das Anstellungsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gelöst hat, droht neben dem Ruhenszeitraum nach § 143a SGB III (siehe hierzu unten Rz. 78) auch eine Sperrzeit nach § 144 SGB III (siehe hierzu unten Rz. 103) mit den entsprechenden Folgen für den Beginn und die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (siehe zur Dauer oben Rz. 44 ff.). 3 Dies bedeutet, dass er neben dem eigenen Arbeitnehmeranteil auch den Arbeitgeberanteil tragen muss.
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Übersicht über Ruhens- und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld
Rz. 69 Teil 6
Hier vermutet der Gesetzgeber nicht zu Unrecht1, dass in dieser Abfindung unter anderem die Gehälter enthalten sind, die bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist angefallen wären. Auf die Beitragsfreiheit der Abfindung wirkt sich diese vorzeitige Beendigung des Anstellungsverhältnisses jedoch nicht aus. Da nur dasjenige Arbeitsentgelt der Beitragspflicht unterliegt, das zeitlich der Dauer des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zugeordnet werden kann, fehlt es für die aus der abgekürzten Kündigungsfrist resultierenden Bestandteile der Abfindung, die bei ordnungsgemäßer Beendigung des Anstellungsverhältnisses versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt gewesen wären, an der Beitragspflicht; denn diese Bestandteile der Abfindung sind zweifelsohne der Zeit nach der rechtlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses zuzuordnen.
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Dieses Beispiel zeigt, dass durch eine Verkürzung der Kündigungsfrist die da- 68 durch ersparten Gehälter in die Abfindung einfließen können und so aufgrund der Ersparnis der Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der Steuerbegünstigung eine Optimierung der Abfindung möglich ist, ohne dass sich die vom Unternehmen aufzuwendende Bruttosumme erhöht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch der Gesetzgeber diesen Weg erkannt und ein derartiges Vorgehen zum einen mit Nachteilen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sanktioniert hat2 und zum anderen der Arbeitslose für eine gewisse Zeit selbst seinen Krankenversicherungsschutz übernehmen muss3.
V. Übersicht über Ruhens- und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld Der Gesetzgeber hat im SGB III eine Reihe von Tatbeständen geregelt, bei deren Vorliegen der Anspruch auf Arbeitslosengeld für einen gewissen Zeitraum ruht. Zunächst sind die Ruhenszeiträume nach §§ 143, 143a SBG III zu beachten. Neben dem bloßen Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld kann nach § 144 SGB III auch eine Sperrzeit eintreten, während der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht, und die nach § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III zu einer Minderung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um ein Viertel führt. Im Folgenden soll nun eine Übersicht über die wichtigsten Ruhens- und Sperrzeiten gegeben werden, die als erste Orientierung dienen kann: – Aufhebungsvertrag ohne wichtigen Grund: Sperrzeit nach § 144 SGB III – Verhaltensbedingte Kündigung: Sperrzeit nach § 144 SGB III 1 Der Gesetzgeber ordnet in diesem Fall für eine gewisse Zeit über § 143a SGB III ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld an. 2 Demjenigen Arbeitslosen, der das Anstellungsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gelöst hat, droht neben dem Ruhenszeitraum nach § 143a SGB III (siehe hierzu unten Rz. 78) auch eine Sperrzeit nach § 144 SGB III (siehe hierzu unten Rz. 103) mit den entsprechenden Folgen für den Beginn und die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (siehe zur Dauer oben Rz. 44 ff.). 3 Dies bedeutet, dass er neben dem eigenen Arbeitnehmeranteil auch den Arbeitgeberanteil tragen muss.
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Teil 6 Rz. 70
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
– Betriebsbedingte Kündigung: Keine Sperrzeit – Personenbedingte Kündigung: Keine Sperrzeit – Abfindung und Verkürzung der Kündigungsfrist: Ruhenszeit nach § 143a SGB III und evtl. Sperrzeit nach § 144 SGB III – Bezug anderweitiger Sozialleistungen: Ruhenszeit nach § 142 SGB III
VI. Ruhenszeiten 70 Der Gesetzgeber knüpft an unterschiedliche Tatbestände die Rechtsfolge des zeitweiligen Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Gemeinsam ist allen Ruhenszeiträumen, dass ein Doppelbezug von Arbeitslosengeld und Arbeitsentgelt oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Leistung verhindert werden soll.
1. Ruhenszeitraum wegen Nichtbeantragung des vorgezogenen Altersruhegeldes 71 Ein Arbeitnehmer, der das 58. Lebensjahr vollendet hat, hat gemäß § 428 SGB III auch dann Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn er der Arbeitsverwaltung nicht mehr zur Vermittlung zur Verfügung steht, soweit sein Anspruch vor dem 1.1.2008 entstanden ist und der Arbeitslose bereits zuvor das 58. Lebensjahr vollendet hatte. Sinn dieser Regelung ist es, zum einen die Arbeitsagenturen zu entlasten, da eine Vermittlung älterer Arbeitsloser ohnehin wenig erfolgversprechend ist, und zum anderen die älteren Arbeitslosen nicht mit der Verpflichtung zu belasten, ständig ihre Arbeitsbereitschaft signalisieren zu müssen1. 72 Konsequenz dieser Privilegierung ist jedoch, dass der Arbeitslose gemäß § 428 Abs. 2 SGB III verpflichtet ist, nach Aufforderung durch die Agentur für Arbeit einen Antrag auf – vorgezogene – Altersrente bei seinem Rentenversicherungsträger zu stellen2. Die Agentur für Arbeit soll den Arbeitslosen, bei dem die erleichterten Voraussetzungen vorliegen, dann zur Antragsstellung auffordern, wenn er die entsprechenden Voraussetzungen für ungekürztes vorgezogenes Altersruhegeld3 in „absehbarer Zeit“ erfüllt4. Stellt der Arbeitslose den Antrag nicht, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Tage nach Ablauf der gesetzten Frist an bis zu dem Tage, an dem der Arbeitslose Altersren1 Vgl. BT-Drucks. 10/4211, S. 17. 2 Dies gilt im Übrigen nicht, wenn der Arbeitslose eine befreiende Lebensversicherung abgeschlossen hatte und aufgrund fehlender Beitragszahlungen keinen Rentenanspruch gegen die gesetzliche Rentenversicherung hat. Der Bezug von Leistungen aus einer Lebensversicherung steht einem gleichzeitigen Bezug von Arbeitslosengeld auch im Rahmen des § 428 SGB III nicht entgegen. 3 Zu den Voraussetzungen eines vorzeitigen Bezuges von Altersruhegeld siehe unten Rz. 179 ff. 4 Unter „absehbarer Zeit“ versteht man im Rahmen des § 428 Abs. 2 SGB III eine Zeitspanne von ca. vier bis sechs Monaten.
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Teil 6 Rz. 70
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
– Betriebsbedingte Kündigung: Keine Sperrzeit – Personenbedingte Kündigung: Keine Sperrzeit – Abfindung und Verkürzung der Kündigungsfrist: Ruhenszeit nach § 143a SGB III und evtl. Sperrzeit nach § 144 SGB III – Bezug anderweitiger Sozialleistungen: Ruhenszeit nach § 142 SGB III
VI. Ruhenszeiten 70 Der Gesetzgeber knüpft an unterschiedliche Tatbestände die Rechtsfolge des zeitweiligen Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Gemeinsam ist allen Ruhenszeiträumen, dass ein Doppelbezug von Arbeitslosengeld und Arbeitsentgelt oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Leistung verhindert werden soll.
1. Ruhenszeitraum wegen Nichtbeantragung des vorgezogenen Altersruhegeldes 71 Ein Arbeitnehmer, der das 58. Lebensjahr vollendet hat, hat gemäß § 428 SGB III auch dann Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn er der Arbeitsverwaltung nicht mehr zur Vermittlung zur Verfügung steht, soweit sein Anspruch vor dem 1.1.2008 entstanden ist und der Arbeitslose bereits zuvor das 58. Lebensjahr vollendet hatte. Sinn dieser Regelung ist es, zum einen die Arbeitsagenturen zu entlasten, da eine Vermittlung älterer Arbeitsloser ohnehin wenig erfolgversprechend ist, und zum anderen die älteren Arbeitslosen nicht mit der Verpflichtung zu belasten, ständig ihre Arbeitsbereitschaft signalisieren zu müssen1. 72 Konsequenz dieser Privilegierung ist jedoch, dass der Arbeitslose gemäß § 428 Abs. 2 SGB III verpflichtet ist, nach Aufforderung durch die Agentur für Arbeit einen Antrag auf – vorgezogene – Altersrente bei seinem Rentenversicherungsträger zu stellen2. Die Agentur für Arbeit soll den Arbeitslosen, bei dem die erleichterten Voraussetzungen vorliegen, dann zur Antragsstellung auffordern, wenn er die entsprechenden Voraussetzungen für ungekürztes vorgezogenes Altersruhegeld3 in „absehbarer Zeit“ erfüllt4. Stellt der Arbeitslose den Antrag nicht, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Tage nach Ablauf der gesetzten Frist an bis zu dem Tage, an dem der Arbeitslose Altersren1 Vgl. BT-Drucks. 10/4211, S. 17. 2 Dies gilt im Übrigen nicht, wenn der Arbeitslose eine befreiende Lebensversicherung abgeschlossen hatte und aufgrund fehlender Beitragszahlungen keinen Rentenanspruch gegen die gesetzliche Rentenversicherung hat. Der Bezug von Leistungen aus einer Lebensversicherung steht einem gleichzeitigen Bezug von Arbeitslosengeld auch im Rahmen des § 428 SGB III nicht entgegen. 3 Zu den Voraussetzungen eines vorzeitigen Bezuges von Altersruhegeld siehe unten Rz. 179 ff. 4 Unter „absehbarer Zeit“ versteht man im Rahmen des § 428 Abs. 2 SGB III eine Zeitspanne von ca. vier bis sechs Monaten.
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Ruhenszeiten
Rz. 76 Teil 6
te beantragt. Dieser Ruhenszeitraum wirkt sich allerdings nicht auf die Gesamtanspruchsdauer aus, da § 428 SGB III nicht in § 128 SGB III erwähnt ist. Nach der Stellung des Rentenantrages wird das Arbeitslosengeld, sofern die Anspruchsdauer dies noch zulässt, bis zum Beginn der Rentenleistungen weitergezahlt. Anschließend ruht der Restanspruch auf Arbeitslosengeld erneut gemäß § 142 SGB III, um einen Doppelbezug von Rente und Arbeitslosengeld zu vermeiden1. Die Vorschrift des § 428 SBG III hat seit 2000 an Bedeutung verloren, da vorzeitige Rente seither nur noch mit Abschlägen bezogen werden kann.
2. Ruhenszeitraum wegen Urlaubsabgeltung Konnte der Arbeitnehmer seinen Urlaub vor Beendigung des Anstellungsver- 73 hältnisses nicht mehr in natura nehmen, so ist dieser grundsätzlich gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Da der für die Urlaubsabgeltung gezahlte Betrag Arbeitsentgelt darstellt, bestimmt § 143 Abs. 2 SGB III, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer des abgegoltenen Urlaubs ruht, um einen Doppelbezug von Arbeitslosengeld und Arbeitsentgelt zu vermeiden. Eine Umgehung dieses Ruhenszeitraum durch ein „Verstecken“ der Urlaubsabgeltung in der Abfindung ist rechtlich nicht möglich, da der Arbeitgeber zum einen gemäß § 6 Abs. 2 BUrlG eine Bescheinigung über den gewährten bzw. abgegoltenen Urlaub ausstellen muss, und der Arbeitnehmer zum anderen gemäß § 13 BUrlG nicht auf seinen Urlaubsanspruch – soweit er den gesetzlichen Urlaub betrifft – verzichten kann. Folge des Ruhens nach § 143 SGB III ist lediglich, dass sich der Beginn der Zahlung des Arbeitslosengeldes um den Ruhenszeitraum verschiebt. Die Anspruchsdauer bleibt hiervon unberührt.
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Bei der Berechnung der Dauer des Ruhenszeitraums nach § 143 Abs. 2 SGB III ist von der für das vorangegangene Arbeitsverhältnis des Arbeitslosen geltenden Wochenarbeitszeit (d.h. in der Regel Fünf-Tage-Woche) auszugehen. Eine Abgeltung für halbe Urlaubstage führt dennoch zu einem Ruhen für einen ganzen Tag, da bei Inanspruchnahme des Urlaubs Bruchteile von Urlaubstagen, sofern sie mindestens einen halben Tag betragen, gemäß § 5 Abs. 2 BUrlG auf volle Tage aufzurunden sind.
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Im Gegensatz zum laufenden Arbeitsverhältnis sind bei der Festlegung des Ruhenszeitraums zugunsten des Arbeitslosen auch Feiertage als Urlaubstage zu zählen, da der Arbeitslose diese Tage nun nicht mehr bezahlt erhält.
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Beispiel: Der Arbeitnehmer A scheidet zum 31.3.2010 aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der Kündigungsfrist aus dem Anstellungsverhältnis aus. Er hatte in den ersten drei Monaten nur 3 von 8 Tagen Urlaub (bei 30 Tagen Jahresurlaub, § 5 Abs. 1 lit. e Abs. 2 BUrlG) genommen. Der Arbeitgeber musste demnach fünf Tage abgelten. A hat ab 6.4.2010 (Dienstag) Anspruch auf Arbeitslosengeld. Den 2.4.2010 (Karfrei-
1 Vgl. unten die Ausführungen zu § 142 SGB III in Rz. 101 f.
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Teil 6 Rz. 77
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
tag) und die Osterfeiertage muss die Agentur für Arbeit auf die abzugeltenden Urlaubstage anrechnen, weil A diese Tage nun nicht mehr vergütet erhält. 77 Eine Sonderregelung im Hinblick auf das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Urlaubsabgeltung enthielten die Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift in § 117 Abs. 1a AFG für die Urlaubsabgeltung im Bau- und Baunebengewerbe. Gemäß Nr. 3 (2) der Durchführungsanweisung stellt die Zahlung des Urlaubsentgeltes in den durch §§ 8, 8a des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe geregelten Fällen keine Urlaubsabgeltung i.S. von § 117 AFG dar, „weil der Anspruch auf diese Urlaubsabgeltung nicht nur die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern als entscheidende weitere, den Fortbestand der Arbeitslosigkeit ausschließende Bedingung eine dreimonatige Beschäftigung außerhalb des Baugewerbes voraussetzt.“ Das Gleiche gilt für die an Arbeitnehmer gezahlte Urlaubsabgeltung, die unter den Geltungsbereich der Rahmentarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer des Maler- und Lackiererhandwerks, für das Gerüstbaugewerbe oder für die gewerblichen Arbeitnehmer des Nassbaggergewerbes fallen. Da die Vorschrift des § 117 Abs. 1a AFG unverändert in § 143 Abs. 2 SGB III übernommen worden ist, gelten die Ausführungen der Bundesagentur für Arbeit auch nach Einführung des SGB III weiter.
3. Ruhenszeitraum wegen Verkürzung der Kündigungsfrist 78 Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht gemäß § 143a Abs. 1 und 2 SGB III bis zu einem Jahr, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigungsfrist beendet worden ist und der Arbeitslose eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten oder zu beanspruchen hatte. Auch diese Vorschrift dient der Vermeidung eines Doppelbezuges von Arbeitslosengeld und Arbeitsentgelt, da der Gesetzgeber auf dem Standpunkt steht, dass bei einer Aufhebung eines Anstellungsverhältnisses unter Verkürzung der ordentlichen Kündigungsfrist und gleichzeitiger Gewährung einer Abfindung die Vergütungen für die Zeit der abgekürzten Kündigungsfrist aus steuerlichen Gründen1 in der Abfindung enthalten sind2. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes kann nach den Umständen des Einzelfalles auch eine ausdrücklich als Abfindung gekennzeichnete Zahlung als Arbeitsentgelt gewertet werden3. 1 Siehe unten Teil 7. 2 Die Bundesagentur für Arbeit sieht in ihrer Durchführungsanweisung zu § 143a SGB III (12/2000) Rz. 17 in dem „Zusammentreffen einer Leistung, für deren Gewährung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ursächlich ist, mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der nach Abs. 1 maßgeblichen Frist die unwiderlegbare Vermutung (. . .), dass die Leistung in dem sich aus Abs. 2 ergebenden Umfang Arbeitsentgelt für die Zeit bis zum Ablauf der nach Abs. 1 maßgeblichen Frist enthält, das wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugestanden wurde.“ 3 Vgl. BSG vom 14.7.1994 – 7 RAr 104/93, AP Nr. 8 zu § 115 SGB X.
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Ruhenszeiten
Rz. 83 Teil 6
a) Voraussetzungen aa) Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist Erste Voraussetzung für das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist die Nichteinhaltung der ordentlichen, für den Arbeitgeber geltenden Kündigungsfrist. Eine derartige Konstellation ist sowohl bei einem Aufhebungsvertrag als auch bei einer unwirksamen fristlosen Kündigung denkbar. In letzterem Fall wird die Vorschrift des § 143a SGB III immer dann relevant, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien anschließend in einem Vergleich darauf einigen, dass das Anstellungsverhältnis zum Zeitpunkt der – unwirksamen – fristlosen Kündigung gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung endet1. Die Abfindung wird in derartigen Fällen häufig der Summe der Bruttogehälter bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechen.
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Welche ordentliche arbeitgeberseitige Kündigungsfrist2 für das Arbeitsverhältnis gilt, ergibt sich aus den vertraglichen Absprachen der Parteien, dem zuständigen Tarifvertrag oder dem Gesetz. Ist über das Vermögen des Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet, so sind die verkürzten Kündigungsfristen des § 113 InsO auch im Rahmen des § 143a SGB III zu berücksichtigen3.
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Ist die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung durch eine einzelvertragliche Absprache, Tarifvertrag oder Gesetz ausgeschlossen oder zumindest für eine bestimmte Zeitspanne unzulässig, so sind die in § 143a Abs. 1 Satz 3 SGB III enthaltenen fiktiven Kündigungsfristen zu beachten:
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(1) Zeitlich unbegrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung Bestimmt beispielsweise ein Tarifvertrag, dass einem älteren Mitarbeiter ab einem bestimmten Alter und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit ordentlich nicht mehr gekündigt werden darf, so gilt im Falle einer einvernehmlichen Beendigung im Rahmen des § 143a SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten. Wird diese Frist in einem Aufhebungsvertrag nicht beachtet4, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu dem sich aus § 143a Abs. 2 SGB III ergebenden Zeitpunkt5. Die fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten ist nicht an einen konkreten Beendigungszeitpunkt (Monats- oder Quartalsende) gekoppelt.
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Ein zeitlich unbegrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigungsfrist wird immer dann angenommen, wenn die ordentliche Kündigung während des üblichen, verbleibenden Arbeitslebens – d.h. bislang in der Regel bis zur Voll-
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1 Vgl. zu den Folgen eines derartigen Falles oben die Ausführungen unter Rz. 57 ff. 2 Dass für den Arbeitnehmer ggf. eine kürzere Kündigungsfrist gilt als für den Arbeitgeber (vgl. § 622 BGB), ist für die Anwendung des § 143a SGB III belanglos. 3 Vgl. Düe in Niesel, SGB III, § 143a Rz. 17. 4 Bei einem Aufhebungsvertrag wird die – fiktive – Kündigungsfrist ab dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrages durch beide Seiten berechnet. 5 Vgl. unten Rz. 90.
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endung des 65. Lebensjahres1 – ausgeschlossen ist2. Sieht der Tarifvertrag für bestimmte Kündigungssachverhalte eine Ausnahme vom Ausschluss der ordentlichen Kündigung vor, so gilt in diesen Fällen wieder die im Tarifvertrag oder Gesetz vorgesehene ordentliche Kündigungsfrist3. (2) Vorliegen der Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist 84 Auch bei Ausschluss der ordentlichen Kündigung gibt es Sachverhalte, bei denen eine Beendigung des Anstellungsverhältnisses notwendig ist. In der Rechtsprechung des BAG sind eine Reihe von Fallkonstellationen anerkannt, in denen einem ordentlich unkündbaren Mitarbeiter außerordentlich unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt werden kann. Beispielhaft können hier die Betriebsstilllegung4, die Teilbetriebsstilllegung5 oder in Ausnahmefällen auch die krankheitsbedingte Kündigung6 genannt
1 Auch bei Tarifverträgen, die ab einem bestimten Alter die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber ausschließen, ist die ordentliche Kündigung nach der Vollendung des 65. Lebensjahres des Arbeitnehmers wieder zulässig, da andernfalls der Arbeitgeber nie mehr eine Möglichkeit hätte, sich von dem Arbeitnehmer zu trennen; so für den BAT LAG Niedersachsen vom 27.6.1995 – 11 Sa 944/94, Bibliothek BAG. Diese Grenze wird künftig bei dem jeweils maßgeblichen (erhöhten) Alter für ungekürzten Bezug der Regelaltersrente liegen. 2 Vgl. Rz. 33 der Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 143a SGB III (Stand 12/2006). 3 Der Tarifvertrag der nordrhein-westfälischen Metallindustrie sieht beipielsweise einen derartigen Ausschluss bei Betriebsänderungen vor. Darüber hinaus kann nunmehr im Geltungsbereich des nordrhein-westfälischen Tarifvertrages der Metallindustrie das Anstellungsverhältnis mit älteren Arbeitnehmern einvernehmlich unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist aufgehoben werden, wenn zuvor die Zustimmung der jeweiligen Tarifpartner eingeholt worden ist. Liegt die Zustimmung vor, so gilt wieder die normale gesetzliche bzw. tarifvertragliche Kündigungsfrist. 4 Vgl. BAG vom 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, AP Nr. 86 zu § 626 BGB. 5 Bei der Teilbetriebsstilllegung fordert die Bundesagentur für Arbeit in Nr. 4.32 (8) ihrer Durchführungsanweisung zu § 117 AFG im Hinblick auf die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, dass „eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz desselben Unternehmens bzw. Betriebes unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des BAG ([BAG vom 28.3.1985 – 2 AZR 113/84] BAGE 48, 220 ff.) erforderlichen Interessenabwägung nicht möglich ist.“ 6 Vgl. einerseits BAG vom 9.9.1992 – 2 AZR 190/92, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Krankheit und andererseits BAG vom 12.7.1995 – 2 AZR 762/94, AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit; die Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 143a SGB III enthalten in Rz. 41 folgende Anmerkung: „Dauernde Arbeitsunfähigkeit stellt im Regelfall keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. In eng begrenzten Ausnahmefällen kann jedoch eine fristgebundene außerordentliche Kündigung bei sog. Unkündbaren zulässig sein, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände bis zum sonst maßgeblichen Ende des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. (. . .) Voraussetzung ist, dass der Arbeitslose wegen der gesundheitlichen Einschränkungen die von ihm arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit auf Dauer (nach dem Rechtsgedanken des § 101 Abs. 1
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werden. In diesen von der Rechtsprechung des BAG anerkannten Ausnahmefällen wäre es unbillig, wenn diese Mitarbeiter nun beim Arbeitslosengeld durch einen Ruhenszeitraum „bestraft“ würden, weil die fiktive Kündigungsfrist nicht eingehalten worden ist. Von daher bestimmt § 143a SGB III für diese Fälle, dass hier als soziale Auslauffrist nur die ansonsten geltende ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten ist. Das Bundessozialgericht hat für den Fall, dass ein Arbeitnehmer nur noch bei Vorliegen eines Sozialplans ordentlich kündbar ist, und dieser Sozialplan eine Abfindung vorsieht, entschieden, dass die aus dem Sozialplan gezahlte Abfindung selbst dann zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld führen kann, wenn das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet worden ist1. Nach § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III gilt nämlich eine (fiktive) Kündigungsfrist von einem Jahr, wenn dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung gekündigt werden kann. Diese einjährige Kündigungsfrist ist in der vorgenannten Konstellation teleologisch auf die Dauer der ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers zu reduzieren, wenn ohne die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung wegen des Sozialplans zugleich die Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund vorgelegen hätte (§ 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III)2.
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(3) Zeitlich begrenzter Ausschluss der ordentlichen Kündigung Bei einer Reihe von Arbeitnehmern ist kraft Gesetz die ordentliche Kündigung lediglich für eine bestimmte Zeitspanne ausgeschlossen. Für diese Mitarbeiter gilt im Rahmen des § 143a SGB III dennoch die ordentliche Kündigungsfrist. Dies bedeutet, dass es bei einem Aufhebungsvertrag ausreicht, wenn die ordentliche Kündigungsfrist zwischen Vertragsunterzeichnung und Beendigung des Anstellungsverhältnisses eingehalten ist, um ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 143a SGB III zu vermeiden. Nach den Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 143a Satz 3 Nr. 2 SGB III fallen unter diese Gruppe beispielsweise Betriebsratsmitglieder (zeitweiser Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach § 15 KSchG), schwerbehinderte Menschen (Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich § 85 SGB IX)3 sowie Arbeitnehmer/-innen, die sich im Mutterschutz oder in der Elternzeit befinden (vorherige Zustimmung der jeweiligen Arbeitsschutzbehörde nach § 9 MuSchG bzw. § 18 BEEG erforderlich)4. Entsprechendes muss richtigerweise auch für die Pflegezeit (§ 5 PlegeZG) gelten.
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SGB VI mehr als 6 Monate) voraussichtlich nicht mehr erbringen kann und eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz nicht möglich ist.“ BSG vom 29.1.2001 – B 7 AL 62/99 R, AuB 2001, 182. BSG vom 29.1.2001 – B 7 AL 62/99 R, AuB 2001, 182. Siehe zur Frage des Aufhebungsvertrages mit einem schwerbehinderten Menschen auch die Ausführungen unten unter Rz. 103 ff. zur Sperrzeit. Vgl. Rz. 36 der Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 143a SGB III (12/2006).
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Hinweis: Bei Aufhebungsverträgen mit Betriebsratsmitgliedern empfiehlt es sich trotz der Regelung in § 143a Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB III, dass das Betriebsratsmitglied vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages sein Amt niederlegt1. Zwar wird es hierdurch nicht wieder unmittelbar ordentlich kündbar, da der nachwirkende Kündigungsschutz erhalten bleibt, doch wird die zeitliche Begrenzung der ordentlichen Unkündbarkeit auf diese Weise deutlicher dokumentiert.
(4) Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung 87 Ist die ordentliche Kündigung tarifvertraglich nur dann zulässig, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig eine Abfindung an den Arbeitnehmer zahlt, dann gilt gemäß § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr. Insoweit hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die rechtliche Grundlage für die Abfindung bei der Anwendung dieser Regel in § 143a Abs. 1 S. 4 SGB III unerheblich ist, wenn sich aus den für das Arbeitsverhältnis maßgebenden Vereinbarungen ergibt, dass eine ordentliche Kündigung nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung erfolgen kann2. In so einer Situation tritt ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ein, wenn bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht die fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr beachtet wird. bb) Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung 88 Als zweite Voraussetzung für das Eintreten eines Ruhenszeitraumes nennt § 143a SGB III die Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung wegen der Beendigung des Anstellungsverhältnisses. Zwischen der Arbeitgeberleistung und der Beendigung des Anstellungsverhältnisses durch den Arbeitnehmer muss daher nach dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschrift eine Kausalitätsbeziehung bestehen3, d.h. nur solche Abfindungen oder ähnlichen Leistungen führen zur Anordnung eines Ruhenszeitraumes, die als Gegenleistung für die vorzeitige Beendigung des Anstellungsverhältnisses gedient haben. Das LSG Baden-Würtemberg sprach in einer Entscheidung aus dem Jahre 1988 zu der wortgleichen Vorschrift der alten Fassung des § 128 AFG davon, dass sich das Wort wegen auf ein zweckgerichtetes Handeln des Arbeitgebers im Sinne einer finalen Verknüpfung beziehen muss4. Zah1 So auch Bauer, VIII, Rz. 38. 2 BSG vom 19.12.2001 – B 11 AL 53/01 R, NZA-RR 2002, 217. 3 Vgl. Rz. 24 f. der Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 143a SGB III (12/2006). 4 Das LSG Baden-Württemberg hatte in seiner Entscheidung vom 13.9.1988 – L 5 Ar 1388/86, Bibliothek BSG, einen derartigen „Anreiz“ bzw. eine „finale Verknüpfung“ für einen Fall verneint, in dem ein 59-jähriger Arbeitnehmer am Tage seines frei gewollten Ausscheidens eine „Sonderleistung als Dank für langjährige Betriebstreue“ erhalten hatte. Eine derartige Sonderleistung war weder in einer Betriebsvereinbarung vorgesehen, noch war im Zusammenhang mit der Eigenkündigung des Mitarbeiters über eine solche Gratifikation gesprochen worden. Die von der Bundesagen-
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lungen, die lediglich anlässlich des Ausscheidens des Mitarbeiters an ihn erbracht werden, können nicht als Abfindung etc. im Sinne der Norm angesehen werden, da sie nicht dazu bestimmt waren, den Ausspruch der Eigenkündigung zu fördern1. Derartige Zahlungen sind dann allerdings auch nicht nach den §§ 24, 34 EStG steuerbegünstigt, da diese Vorschriften gerade eine Zahlung wegen der Beendigung des Anstellungsverhältnisses voraussetzen. Auf die Bezeichnung der Leistung kommt es nicht an. Der Ruhenszeitraum muss bei jedem vom Arbeitgeber zweckgerichtet im Hinblick auf das Ausscheiden des Arbeitnehmers gewährten Vorteil angeordnet werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Arbeitgeberleistung in Raten (z.B. bei der Frühpensionierung) gezahlt wird, erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig wird, die Abfindung in einem Sozialplan festgelegt ist, die Höhe der Leistung im Beendigungszeitpunkt noch ungewiss ist, Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Leistung eine andere Zweckbestimmung geben oder die Leistung von einem Dritten erbracht wird. Auch die Gewährung eines zinslosen oder zinsgünstiges Darlehens ist als ähnliche Leistung i.S. von § 143a SGB III zu werten2. Zahlungen, die auf arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen etc. beruhen, sind dann unschädlich, wenn sie der Mitarbeiter aufgrund einer unabhängig von der Beendigung des Anstellungsverhältnisses erworbenen Rechtsposition erhält. Wird dieser Anspruch allerdings im Zusammenhang mit der Beendigung des Anstellungsverhältnisses zugunsten des Arbeitnehmers modifiziert, so stellt auch dies eine „ähnliche Leistung“ dar3. Beispielhaft können hier genannt werden: Vorverlegung des Stichtages einer Treueprämie; ungekürzter, vorzeitiger Bezug der Betriebsrente; Veränderung der Berechnungsfaktoren der Betriebsrente.
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b) Beginn und Dauer des Ruhenszeitraums Die genaue Dauer des Ruhenszeitraums ergibt sich aus einer der fünf in Absatz 1 und 2 genannten Berechnungsmethoden, wobei die für den Arbeitnehmer günstigste Berechnungsmethode im Einzelfall maßgeblich ist. Dies bedeutet, dass der Ruhenszeitraum entweder endet: – nach Ablauf eines Jahres (§ 143a Abs. 2 Satz 1 SGB III), – nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (§ 143a Abs. 1 Satz 2 SGB III), – nach Ablauf der vereinbarten Befristung (§ 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III), – sofort, wenn der Arbeitgeber aus wichtigem Grund hätte kündigen können (§ 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III), tur für Arbeit gegen diese Entscheidung eingelegte Revision wurde von ihr am 28.5.1990 zurückgenommen. 1 Vgl. Düe in Niesel, SGB III, § 143a Rz. 12; Hanau, DB 1992, 2625 (2630); Wissing, NZA 1993, 385 (390). 2 Wissing, NZA 1993, 385 (390); Gagel, in Gagel, SGB III, Stand: 2009, § 143a SGB III Rz. 32. 3 Vgl. für denselben Begriff bei § 128 AFG die dortigen Ausführungen der Bundesagentur für Arbeit in Nr. 3.34 (5/6) der Durchführungsanweisungen zu § 128 AFG.
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– nach Ablauf des Zeitraums, den der Arbeitnehmer benötigt, um einen bestimmten, in § 143a Abs. 2 Satz 3 SGB III festgelegten Prozentsatz seiner Abfindung (siehe nachfolgende Tabelle) zu verdienen. 91
Tabelle 2: Zu berücksichtigender Teil der Abfindung Dauer des Arbeitsverhältnisses
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