Gurdjieff Praxisbuch - Übungen, Rituale und heilige Tänze zur Entfaltung des Bewusstseins


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Table of contents :
Inhalt
Prolog: Wie ich das Wunderbare fand
1 Lernen durch Tun
2 Die Energie der Erfahrung
Beobachtungsubung: Bemerken
Ubung 1: Erdungsiibung
Vorbereitung
Ubungsablauf
3 Absichtliche Aufmerksamkeit
Ubung 2: Empfindungsubung
Ubung 2: Empfindungsubung
4 Energien bewegen
Energien
Mechanische Energien
Lebensenergien
Kosmische Energien
Ubung 3: Energie bewegen
5 Der Mensch, ein dreihirniges Wesen
Die drei Zentren des Menschen
Ubung 4: Kontakt mit den Zentren
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Ubung 5: Wecken der Lebensenergie
Beobachtungsiibung: Emotionale Spannung aushalten
Beobachtungsiibung: Emotionale Spannung aushalten
Ubung 6: Stressentladungsubung
6 Sich selbst beobachten
Beobachtungsiibung: Identifizierung beobachten
7 Unterscheidungen finden
Ubung 7: Gefuhl mit dem Kbrper verbinden
Ubung 8: Meditation mit den drei Zentren
Vorbereitung:
Ubung
8 Durch die Sinne zum Sinn
Ubung 9: Kommunikation mit der Natur
Ubung 10: Die Oktave
Armbewegungen
Beinbewegungen
Kopfbewegung
Kopfbewegung
Kopfbewegung
Kopfbewegung
Kopfbewegung
Kopfbewegung
Kopfbewegung
Kopfbewegung
9 Wirkliche Vorstellungskraft
Denkzentrum
Ubung 11: Vorstellung mit Korperbild verbinden
Ubung 12: Einen Ablauf visualisieren
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Ubung 13: Vorstellung mit Empfindung verbinden
Ubung 14: Sich an die Stelle eines anderen versetzen
Teil 1
Teil 2
10 Ein Mensch hat drei Kdrper
Ubung 15: Ubung der inneren Zentrierung
Ubung 16: Die Fasern des Energiekorpers knupfen
Teil 1
Teil 2
Teil 3:
Ubung 17: Negative Emotionen auflbsen
Ubun9 17; Negative Emotionen auflosen
russtseinsarbeit - Selbsterinnerung
11 Bewusstseinsarbeit - Selbsterinnerung
Bewusstseinszustande
Ubung 18: Selbsterinnerung
Ubung 19: Der gesammelte Zustand
12 Leben im gegenwartigen Augenblick
12 Leben im gegenwartigen Augenblick
Ubung 20: Den gegenwartigen Augenblick ausdehnen
12 Leben im gegenwartigen Augenblick
Wichtiger Hinweis:
13 Die Festigung des wirklichen Ichs
13 Die Festigung des wirklichen Ichs
Ubung 21: Der unbewegliche Punkt
13 Die Festigung des wirklichen Ichs
14 Kommunikation mit der Zukunft
Ubung 22: Eine Entscheidung treffen
Stufe 2: Morgens nach dem Aufwachen
15 Der harmonische Mensch
Ubung 23: Das hohere Gefuhlszentrum stabilisieren
Anhang 1:
Gurdjieffs »Heilige Tanze« oder »Movements«
Ubung 24: OM-Kreise108
Anhang 2:
Das Enneagramm
Anhang 2: Das Enneagramm
Anhang 3:
Das Enneagramm und die Transformation der Energien
Anhang 3: Das Enneagramm und die Transformation der Energien
Kommentierte Bibliografie
Weitere Werke, die in diesem Buch zitiert werden:
Bild- und Zitatnachweis
Bild- und Zitatnachweis
Ubungsverzeichnis
Danksagung
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Gurdjieff Praxisbuch - Übungen, Rituale und heilige Tänze zur Entfaltung des Bewusstseins

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Inhalt Prolog: Wie ich das Wunderbare fand

7

1. Lernen durch Tun

15

2. Die Energie der Erfahrung

27

3. Absichtliche Aufmerksamkeit

41

4. Energien bewegen

47

5. Der Mensch, ein dreihirniges Wesen

57

6. Sich selbst beobachten

71

7. Unterscheidungen finden

85

8. Durch die Sinne zum Sinn

93

9. Wirkliche Vorstellungskraft

105

10. Ein Mensch hat drei Kdrper

121

11. Bewusstseinsarbeit - SeLbsterinnerung

137

12. Leben im gegenwartigen Augenblick

145

13. Die Festigung des wirkLichen Ichs

149

14. Kommunikation mit der Zukunft

153

15. Der harmonische Mensch

159

Anhang 1: Gurdjieffs »Heilige Tanze« oder »Movements«

169

Anhang 2: Das Enneagramm

179

Anhang 3: Das Enneagramm und die Transformation der Kommentierte Bibliografie, Ubungsverzeichnis Danksagung

Energien

Bild- undZitatnachweise

183 185 189

190

»Eine Auster muss zehnmal im Schlaf erschreckt werden, bevor ihr Fleisch gut ist.« Weisheit der Austerntaucher

Prolog: Wie ich das Wunderbare fand Alles schien moglich. Es war eine Zeit des Aufbruchs, als ich mich in den 1968erJahren in Munchen als Student der Politikwissenschaften der Studentenrevolte gegen die etablierten Verkrustungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft und gegen den Wahnsinn des Vietnamkrieges anschloss. Wir produzierten Flugblatter, organisierten Demonstrationen, forderten die Autoritaten heraus. Alles schien möglich, die Türen des Staatsapparats wackelten in den Angeln. Doch sie wackelten nur. Und mir wurde langsam klar, dass nicht nur das Sein das Bewusstsein bestimmt, wie Karl Marx dachte, sondern dass auch das Bewusstsein der Menschen einen maBgeblichen Anteil an der Veranderung des Seins hat. So dauerte es noch dreiBig weitere Jahre bis einige der freiheitlichen Vorstellungen der »68er« auch in der Politik umgesetzt wurden, ohne dass der Staat zusammenbrach. Ich fragte mich damals: »Was sind die Beharrungskrafte im Menschen, die sich gegen jede Veranderung des Bewusstseins und der Lebensumstande strauben?« So begann ich, mich intensiver mit Psychologic, insbesondere mit Sigmund Freud, Wilhelm Reich und C. G. Jung, zu beschaftigen. Die Wohngemeinschaft, in der ich damals lebte, war ein guter Ausgangspunkt fur konkrete Beobachtungen ... Zu dieser Zeit schwappte die Hippiewelle aus den USA nach Deutschland, die psychedelisch beeinflusste Rockmusik wurde popular. Plötzlich waren auch Haschisch aus Afghanistan und LSD aus der Schweiz und den USA verfug bar - und die entsprechende Literatur dazu. Der Harvard-Psychologe Timothy Leary, der Schriftsteller Aldous Huxley und viele andere offene Geister waren die »Propheten« der Bewusstseinsveranderung. Durch die Beatles wurden auch indische »Gurus« wie Maharishi Mahesh Yogi bekannt. Vermutlich hatte ich mich als politisch und rational denkender Mensch gar nicht auf die neue Lebensphilosophie eingelassen, wenn nicht - wie der »Zufall« es so will - eines Tages eine richtige Hippiekommune vor unserer Haustiir gestanden und um eine vorubergehende Unterkunft gebeten hatte. So zog das Chaos in unsere »linksliberale« WG ein. Doch fur mich war es - psychologisch gesehen - ein heilsames Chaos. Es weckte in mir vergessene Wiinsche aus meiner Jugend nach Freiheit und Selbstbestimmung jenseits der damals schon erstarrten, marxistischen Ideale, die ich jetzt als Student vertrat. Als nun Tag und Nacht The Rolling Stones, The Doors, Pink Floyd, Frank Zappa, Soft Machine und andere, weit schragere Musik aus den Lautsprechern schallten, erinnerte ich mich wieder, wie fasziniert ich bereits im Alter von sechzehn Jahren von den Anfangen der Rock- und Bluesmusik, dem Free Jazz und der Literatur der kalifornischen »Beatniks« gewesen war, der Vorlaufer der Hippiebewegung. 7

Prolog: Wie ich das Wunderbare fand Diese anarchistische Hippiekommune, die sich bei uns trotz Platzmangels hausLich

niedergelassen

hatte,

erinnerte

mich

durch

ihr

lockeres

und

unbefangenes

Verhalten an die Zen-Philosophie, liber die ich friiher schon gelesen hatte. Da die anderen Mitbewohner nach einer Weile das wilde HippieLeben nicht mehr ertragen konnten, zog die Kommune weiter - und ich schloss mich mit meiner damaligen Freundin an. Wir wollten das Leben aus vollen Ziigen genieBen, ohne an morgen zu denken. Irgendwann brachte jemand aus Kalifornien LSD-Trips mit dem schdnen Namen Yellow Sunshine in die Kommune. Es war nicht so, dass ich die PiLlen dann einfach einnahm. Ich hatte zwar schon Huxleys Die Pforten der Wahrnehmung und Carlos Castanedas Die Lehren des Don Juan gelesen, doch ein gewisser Respekt davor, ohne Anleitung auf den »Trip zu gehen«, war vorhanden. Ais dann eines Abends bei einer Party Pillen verteilt wurden, raffte ich meinen Mut zusammen und »warf« eine ein. Der darauf folgende Trip war alles andere als »schdn« - manche der Teilnehmer bezeichneten ihn als »Horrortrip«. Spater erkannte ich, dass es eine entscheidende Erfahrung war. Ich hatte die »Unwirklichkeit« der Welt wahrgenommen. Ich musste wohl erst durch die dunklen Seiten der Bewusstseinsbffnung gehen, urn schlieBlich nach weiteren »Trips« die leuchtenden und farbigen Seiten dieser anderen Dimension zu erfahren. Doch damit war mein materialistisches Weltbild erst recht vollig aus den Angeln gehoben. Denn nun hatte ich meine erste »Erleuchtung« erlebt, anders kann man die wunderbaren inneren Erfahrungen nicht bezeichnen. Ich erkannte, dass es jenseits der versteinerten Strukturen von Gesell­ schaft und einer Religion, mit der ich nichts»am Hut hatte«, eine ungeheuer lebendige, klingende, frohliche und schillernde Welt gab, die nicht mit materialistischen Begriffen und Gedanken zu erfassen ist. Ich erlebte eine Bewusstseinsdimension jenseits aller Vorstellungen und Beschreibungen. Im Geist der Wissenschaft ausgebildet, konnte ich nicht so recht »glauben«, was ich erlebt hatte. Mir fehlten einfach die intellektuellen Kategorien, um die neu entdeckte »weite Welt« einordnen und verstehen zu kdnnen. Trotz meiner »rationalen« Weltsicht konnte ich die Einsichten jedoch auch nicht »wegrationalisieren« - ich hatte sie bereits mit dem eigenen Bewusstsein erfahren! Es waren keine Halluzinationen, da war ich mir sicher. Ich hatte keine transparenten Wande gesehen, durch die man hindurchgehen konnte, die Wande waren weiterhin ein Hindernis. Ich war mir auch bewusst, dass ich in diesem anderen Zustand nicht fliegen konnte. Nein, es waren reale Erfahrungen einer anderen Wirklichkeit. Meine 8

___________________________ Prolog: Wie ich das Wunderbare fand innere Welt war nun ganz durcheinander. ALLe meine rationalen Vorstellungen uber die materialistische WirkLichkeit hatten sich in Luft aufgelbst. Eines Tages bekam ich das Buch AufderSuche nach dem Wunderbaren von Pjotr D. Ouspensky in die Hand gedriickt. Ich weiB nicht mehr, von wem, doch die Person sagte: »Lies mat, vielleicht hilft dir das, die anderen WeLten besser zu verstehen.« Vermutlich hatten wir liber meine inneren Konflikte und Fragen gesprochen. Ich begann sofort darin zu Lesen, und beinahe jede Zeile war wie eine Offenbarung. Es ist kein einfaches Buch. Das »Wunderbare« wird iiberraschenderweise sehrsachlich beschrieben, doch gerade dieser nuchterne Stil ubte eine seltsame Faszination auf mich aus. Ouspensky beschreibt in dem Buch die Lehre eines geheimnisvollen Meisters aus

dem

Orient,

eines

»kaukasischen

Griechen«,

der

durch

eine

Zeitungsnotiz

liber ein BaLLettszenario mit dem TiteL Der Kompf der Magier in Moskau auf sich aufmerksam gemacht hatte. Man schrieb das Jahr 1915, der Erste Weltkrieg hatte gerade angefangen. In der aufgeheizten, geistigen Atmosphare Moskaus trieben sich einige Scharlatane herum. Ouspensky, ein Journalist und Mathematiker, der bereits in Indien gewesen war und dort nach »dem Wunderbaren« gesucht, es aber nicht gefunden hatte, war skeptisch. Auf Drangen von Freunden suchte er schlieBlich doch diesen »Meister« auf. »Meine erste Begegnung anderte jedoch vollstandig meine Meinung liberihn und was ich von ihm erwarten kbnne«, schreibt Ouspensky? Nach einigen theoretischen Ausflihrungen des Orientalen, derim Buch nur G. genannt wird,2 liber die »Chemie«, die bei psychologischer Arbeit eine Rolle spielt, und dariiber, dass zurErreichung gewisserZustandein manchen esoterischen Schulen »Rauschgift« gebraucht wird, sagte G. schlieBlich:

»Ja, in vielen Fallen sind diese Stoffe das, was Sie mit >Rauschgift< bezeichnen. Aber sie kdnnen in ganz anderer Richtung gebraucht werden. Es gibt Schulen, die Rauschgifte auf richtige Weise verwenden. Deren Schuler nehmen sie zum Zwecke des Selbststudiums ein, urn ihre Entwicklung, ihre Anlagen besser kennenzulernen, um im Vorhinein zu erkennen, was erst viel spater als Ergebnis langer Arbeit erreicht werden kann. Wenn ein Mensch dies erkennt

1

2

P.D. Ouspensky: Auf der Suche nach dem Wunderbaren, Weilheim 1966, S. 9. In den folgenden FuBnoten als ASW abgekiirzt. Er sprach selbstverstandlich liber G.I. Gurdjieff, der von 1866 bis 1949 lebte, was ich aber erst spater herausfand. Im Rahmen dieses Buches kann ich nicht weiter auf sein Leben und alle Aspekte

seiner

Lehre

Bibliografie dargestellt.

eingehen.

Meine

Literaturempfehlungen

habe

ich

in

der

kommentierten

Prolog: Wie ich das Wunderbare fand--------------------------------------und dadurch iiberzeugt wird, dass das, was er theoretisch gelernt hat, wirklich existiert, dann arbeitet er bewusst, er weiB dann, wohin er geht.« G. I. Gurdjieff, zitiertvon P. D. Ouspensky3

Man kann sich vorstellen, dass ich als junger Mann, der gerade seine ersten LSDErfahrungen gemacht hatte, von dieser Aussage elektrisiert war. Meine »Einblicke in die Wirklichkeit« waren also nur »der rote Apfel der Versuchung«, ein erster Tiirdffner fiir einen ernsthaften Weg der »Arbeit an sich selbst«. Mir war nun klar, dass ich einen Schlussel zu einer Tur in unbekannte Welten gefunden hatte, sodass ich die restlichen 560 Seiten des Buches regelrecht verschlang. Trotz allerTheorie war es nie langweilig, im Gegenteil. Vbllig neue Ideenwelten taten sich auf. Die sachliche Sprache des Buches tat ein Ubriges, weil mir schon damals verschwommene Gedanken liber die Welt widerstrebten und erst recht fromme Aussagen liber die Religion und Gott. Ich suchte nach ganz konkreten, praktischen Methoden, um ohne psychoaktive Substanzen die andere Dimension zu erfahren, von derich einen Geschmack bekommen hatte. Ouspenskys Buch war kein »Ubungsbuch«, dennoch gab es einige konkrete Hinweise, wie zur Methode der »Selbstbeobachtung«, die ich in meinem Eifer sofort anzuwenden versuchte. Es geht bei dieser Psychologic nicht um das Eintauchen ins »Unbewusste«, wie es die Psychoanalytiker lehrten, mit denen ich mich zuvor beschaftigt hatte, sondern vielmehr darum, aus dem gewbhnlichen Schlaf, aus dem unbewussten Leben, das wir normalerweise »Wachbewusstsein« nennen, ins »Bewusstsein aufzuwachen«. Dass ich und die meisten anderen in einer »Schlafwelt« Leben und nur traumen, wach zu sein, hatte ich bereits miteigenen Augen auf meinem ersten Trip erkannt. Deshalb konnte ich sofort verstehen, wovon G. in Ouspenskys Bericht sprach. Bei einer der Selbstbeobachtungsubungen geht es darum, sich seiner drei »Hauptzentren«, des Bewegungszentrums, des Geflihlszentrums und des Denkzentrums, bewusst zu werden mit dem Ziel, diese drei Zentren miteinander zu synchronisieren. Diese Idee war mir vbllig neu, und kein mir bekannter Psychologe sprach davon. Ende der 1960er-Jahre gab es noch keine moderne Gehirnforschung mit alien ihren Mbglichkeiten der »Durchleuchtung« des Gehirns. Das Zusammenspiel von Nervensystem und Gehirn war noch weitgehend unerforscht. Man wusste zwar aus Obduktionen, dass es drei verschiedene Gehirne gab, aber liber

3

P.O. Ouspensky: ASW, S. 9.

10

Prolog: Wie ich das Wunderbare fand ihre einzelnen Funktionen und ihre Zusammenarbeit wusste man noch wenig - als Gurdjieff Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts liber diese drei Zentren sprach. Das Gehirn ist, wie man heute weifi, wesentlich differenzierter aufgebaut, dennoch kann man grundsatzlich von drei Gehirnen sprechen: dem Stammhirn, das die Bewegungsfunktionen steuert, dem Limbischen System oder Zwischenhirn, wo die wesentlichen Emotionen und Gefuhleentstehen, und dem zweigeteilten Neocortex, in dem Denken und Wahrnehmen geschieht. Gurdjieff bezeichnete den Menschen als ein »dreihirniges Wesen« - doch nur als Mbglichkeit, denn seinen Beobachtungen und Erkenntnissen zufolge sind diese Gehirne normalerweise weder entwickelt noch ausreichend miteinander verkniipft, sodass ein starkes Gefiihl, z. B. wenn man sich verliebt, den Verstand vbllig lahmlegen kann. Nun iibte ich also die »Selbstbeobachtung« der drei Gehirne und versuchte naturlich, sie miteinander in Einklang zu bringen. Nach einer Weile hatte ich tatsachlich das »Gefiihl«, dass ich mir meiner »drei Zentren«, wie sie Ouspensky ausfiihrlich beschrieb, immer bewusster wurde. Ich dachte sogar, dass sie durch meine Ubungsversuche nun besser miteinander verbunden waren, dass sie wie die Radchen eines Uhrwerks einrasteten, genauso wie es in der Theorie als grundlegende Notwendigkeit fur ein echtes »Aufwachen« oder das Bewusstwerden beschrieben wurde. Tatsachlich war dieses »Bewusstwerden« nur gedanklicher Art. Ich vertiefte nur die Vorstellung, dass sich die Zentren nun synchronisierten und ich bewusster sei. Doch ich war weiterhin ausschlieBlich in einem Zentrum bewusst: dem Denkzentrum - und das auch nur dann, wenn ich die Anstrengung unternahm, »bewusst zu sein«, und das geschah selten. Meistens vergaB ich, mich daran zu erinnern, dass ich mich selbst beobachten wollte ... Das wurde mir aber erst wirklich klar, als ich schlieBlich die Akademie fur lebenslanges Lernen besuchte, die der Gurdjieff-Schiiler John G. Bennett 1971 in England gegrundet hatte. Ich fand die Akademie auf verschlungenen Wegen, nachdem ich zwischendurch per Anhalter durch halb Europa, die Turkei, den Iran und Afghanistan nach Indien gereist war, wo ich das Elend der Menschen auf den StraBen sah, aber auch einen Einblick in das »Wunderbare« erhielt, denn ich begegnete auch bemerkenswerten Menschen. Durch Lama Govinda wurde ich in den tibetischen Buddhismus eingefuhrt, und von Sunyata, einem damals 80-jahrigen Weisen und Einsiedler, der noch bei Ramana Maharshi gewesen war, erfuhr ich aus erster Hand die Tiefen des Advaita-Vedanta. 11

Prolog: Wie ich das Wunderbare fand

Und nun war ich im regnerischen England auf der Schule von Bennett. Wahrend meiner Hippiezeit ware ich nie auf den Gedanken gekommen, eine Art »Kloster« aufzusuchen, doch eine selfsame Kraft hatte mich dahin gefiihrt. Und dass ich auch dortblieb, warauf die Ausstrahlung von John G. Bennett, dem Leiter der Akademie, zuruckzufuhren.

Er

einen

und

offenen

verkbrperte

nicht

forschenden

nur

Geist,

einen

der

wissenschaftlichen,

nichts

ausschloss

-

sondern

auch

»kompromisslose

Integration« war sein Motto. Und die Akademie war ein Experiment, keine Insti­ tution, wie er immer wieder betonte.

»Sein Verdienst bestand in der Schaffung von Rahmenbedingungen, die einer Vielzahl von Beitragen Platz boten. Er bewahrte sich seine experimentierfreudige Haltung, was im Bereich der Spiritualitat nicht sehr verbreitet ist, wo feste Autoritatssysteme vorherrschen. Zudem forderte er die Meinungsvielfalt. UnzahLige Menschen, die keinesfalls seine >Anhanger< waren, sondern anderen Traditionen und Lehren folgten, suchten seinen Rat.«4

John

G.

Bennett

Kohleforschung

war

Mathematiker

gearbeitet.

Durch

und

seine

Physiker

eigenen

und

hatte

in

der

Lebenserfahrungen

und

britischen die

Be-

gegnung und die Arbeit mit Gurdjieff und Ouspensky war er von der Notwendigkeit

der

Jahren

Gruppen-

er

»harmonischen

genugend

und

des

Menschen«

Seminararbeit,

vor

und

gesammelt,

urn

dieses

Erfahrung

zehnmonatigen

Entwicklung

Kursen

und

rund

einhundert

nach groB

iiberzeugt.

Gurdjieffs

Tod

angelegte

Teilnehmerinnen

Nach

vielen

1949,

hatte

Experiment und

mit

Teilnehmern

in einer abgeschiedenen Umgebung durchzufuhren. Bereits 1971 war ihm vollig klar, dass in Zukunft, in Zeiten des kommenden Klimawandels Welt,

das

und

der

»lebenslange

Veranderungen Lernen«

von

eine

gesellschaftlichen

auBerordentlich

Strukturen

wichtige

in

aller

Voraussetzung

fiir die Menschheit sein wurde. Deshalb hatte er sich zur Aufgabe gesetzt, bei den

meist

Kurs

jungen

teilnahmen,

Menschen, in

einem

hauptsachlich

»unmbglich«

Englander

kurzen

und

Zeitraum

Amerikaner, von

nur

die

zehn

am

Mona-

ten die Grundlagen fiir ein bewusstes, harmonisches Leben zu schaffen. Seinen Mut, dieses Unternehmen iiberhaupt in Angriff zu nehmen, hatte er durch viele Erfahrungen in seinem Leben entwickelt, und das Risiko, zu scheitern, war kein

Anthony Blake, ein langjahriger Schiller und Mitarbeiter. Vgl. dazu das Vorwort in John G. Ben nett: Eine spirituelle Psychologie, Zurich 2007, S. 8.

12

Prolog: Wie ich das Wunderbare fand Problem fur ihn. Seine Lebensphilosophie fasste er in folgendem Satz zusammen: »Wer das Unmbgliche verwirklichen will, muss die Schwierigkeiten erhbhen.«5 Selbstverstandlich warihm klar, dass diese Ausbildung nureine Basis fur ein lebenslanges Lernen und eine kontinuierliche Entwicklung sein konnte. Das Training an der Akademie war ein schwieriges Unterfangen - besonders fur uns Teilnehmer! Bennett hatte sich vorgenommen, den in den Menschen schlummernden Samen, ihr Potenzial, zu wecken, damit dieser Fruchte tragen konnte. Bei vielen der Teilneh­ mer ging diese Saat auch auf. Sie wirken heute in alien Lebensbereichen, einige als Unternehmensberater, Popmusiker, Psychologen, Seminarleiter und als Autoren. Nach dieser Schulung motivierte mich Bennett dazu, mein Wissen weiterzugeben und es so auch zu festigen. So begann ich, Gruppenabende zu veranstalten, zu denen zu meiner Uberraschung und Freude viele Menschen kamen - die Esoterik war Mitte der 1970er-Jahre noch nicht so bekannt. Diese Veranstaltungen waren eine auBerordentlich wichtige Lehre fur mich. Denn so war ich »gezwungen«, immer weiter »an mir zu arbeiten« - wie sonst hatte ich dem Anspruch dieser Arbeit Geniige tun kbnnen? Bei dieser Aufgabe durfte man nicht wieder »einschlafen«. Seit uber dreiBig Jahren leite ich nun Kurse und versuche Menschen Impulse zu geben, wie sie sich zu bewussten »dreihirnigen« Menschen und auch daruber hinaus entwickeln kbnnen. Aus dieser Praxis heraus habe ich Grundziige einer Obungsmethode entwickelt, die interessierte Menschen allein oder in Gruppen durchfuhren kbnnen. Dieses Ubungsprogramm stelle ich in den nachsten Kapiteln vor.

5

Aus einem unverbffentlichen Vortrag von John G. Bennett.

13

1 Lernen durch Tun »Das Hochste, was ein Mensch erreichen kann, ist die Fahigkeit, zu tun.« G. I. Gurdjieff, Aphorismen6

Was meint Gurdjieff mit der Fahigkeit, »zu tun«? Wir tun doch standig alles MbgLiche: Wirarbeiten, fahren Auto, kochen und essen, wirsehen fern, wirmachen Sex, wir denken, surfen im Internet, treiben Sport, uben Yoga, wir meditieren ... Doch bei genauem Hinsehen geschehen die meisten Aktivitaten mit uns, ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen. Den grbBten Teil unserer Zeit leben wir »automatisch«, getrieben von unbewussten Wunschen und VorsteLLungen uber das Leben. Das »bewusste Ich« ist an diesen Aktivitaten kaum beteiligt. Doch wie kann man einem schlafenden Menschen klarmachen, dass er schlaft? Man kann ihn nur wachrutteln - und das ist der Kern von Gurdjieffs Lehre. Seine bedeutende Erkenntnis ist, dass ein Mensch nur »tun kann«, wenn sein »wirkliches Ich« zum zentralen Angelpunkt seines Leben geworden ist, und das erfordert bewusste Arbeit. Vorallem muss dem Menschen klar werden, dass das meiste, was er fur bewusste HandLungen halt, mehr oder weniger automatisch geschieht. Wer sich mit dem Buddhismus beschaftigt, kennt das Konzept des »Nicht-Ich«, d.h., sich leer vom »Ich« zu machen. Doch dieses Konzept ist nur eine andere Sichtweise und widersprichtder »Ich-Vorstellung«in Gurdjieffs System nicht. Denn damit wir offen fur die geistige Kraft werden, die das »Ich« symbolisiert, mussen wir erst leer von alien normalen Ich- oder, besser gesagt, Persbnlichkeits-bezogenen Denk- und Lebensgewohnheiten werden. Wenn wir normalerweise »Ich« sagen, meinen wir tatsachlich unsere »Persbnlichkeit« und unseren Kbrper. Wir sagen: »Ich habe Schmerzen.« - »Ich fuhle mich wohl.« - »Ich denke«, oder: »Ich fahre Auto.« Doch diese Persdnlichkeit, die sich »Ich« nennt, ist nicht das »wirkliche Ich«. Der materialistische Glaube »Ich denke, also bin ich« flihrt zu einer Selbsttauschung. Dieses ubliche »Ich« hat sich im Laufe der Kindheit durch das Elternhaus, die Ausbildung und viele andere gesellschaftliche Einflusse herausgebildet. In hellen Momenten fragen wir, wenn unser Verhalten uns fremd vorkommt: »Bin ich das wirklich?«, oder »So kenne ich mich noch gar nicht.« Manchmal kann das eigene Verhalten sogar vbllig erschreckend sein: »Normalerweise werde ich doch nicht ausfallend, nicht so heftig. Ich bin doch sonst ein geduldiger Mensch!«

6

G.I. Gurdjieff: Aus der wirklichen Welt. Gurdjieffs Gesprache mit seinen Schuler. Basel 1982, S. 307.

15

1 Lernen durch Tun

Doch das ist nicht das »wirkliche Ich«. Die meisten Gefiihle, Gedanken, kbrperlichen Empfindungen und Wahrnehmungen sind Persbnlichkeitsmuster, die von auBen gepragt sind, sie entspringen nicht dem wahren Wesen. Diese Behauptung ware naturlich vereinfacht, wenn das alles ware, was »mich« ausmacht. Aberes gibt noch eine Schicht in mir, die ich tatsachlich als »mein Wesen« bezeichnen kann. Dieses Wesen besteht aus bestimmten Charakterzugen, Eigenschaften, Fahigkeiten und Verhaltensweisen, die nicht alle von der AuBenwelt bestimmt sind. Sie sind mein »eigenes Wesen«. Damit fangt die Schwierigkeit an: Wie kann ich unterscheiden, was nun selbstbestimmt

und

was

fremdbestimmt

ist?

Und

wer

bin

»ich«

wirklich?

»Bin

ich«

iiberhaupt wirklich? Wenn du7 nicht den Wunsch hast, dies zu ergrunden, wirstdu wahrscheinlich

auch

kein

Ubungsprogramm

beginnen,

das

dich

zu

einer

Antwort

fuhren kann. Wenn du das Gefuhl hast, du bist nicht »du selbst«, du reagierstbeinahe wie ein Roboter auf die Impulse, die von innen und auBen in dich gelangen, und

du

leben,

mbchtest

dann

mehr

kann

dich

deinem ein

Wesenskern,

gezieltes

deinem

wirklichen

Ubungsprogramm

diesem

Ich

Ziel

entsprechend

naher

bringen.

Doch du musst dich ernsthaft dafiir entscheiden! Wenn

die

Behauptung

stimmt,

dass

die

meisten

Menschen

die

»Fahigkeit,

zu

tun«, d. h. die Fahigkeit, bewusst zu handeln, erst erwerben mussen, wie kannst du

dann

allein

ein

Ubungsprogramm

durchfuhren?

Ist

das

nicht

zu

viel

verlangt?

Ich denke, es ist mbglich, weil dich die Ubungen nach und nach mit deinem Wesen in

Kontakt

deinem

bringen.

wirklichen

entschieden Gefuhl dem

Selbst Ich

werden,

oder

Bedlirfnis

eigenen

Leben

wenn

getroffen deinem heraus zu

die

Entscheidung

wird,

kann

intellektuellen entstehen,

machen.

In

sie

zum vom

Zentrum.

etwas

diesem

tun Sinne

Uben

vielleicht

»Stellvertreter« Sie

zu

kann mussen

bringt

dich

auch oder

nicht

von

dieses

Ichs

aus

einem

»mehr«

dieses

aus

Programm

bereits mit der Entscheidung in Kontakt,. mit der »Fahigkeit, zu tun«. Eine Selbsttauschung

ware,

wenn

du

meinst,

dass

du

bereits

nach

einer

kurzen

Ubungszeit

fahig warst, vom Wesenskern aus zu handeln. Aber ohne zu beginnen, kann sich nichts entwickeln. Alle, die mit inneren Ubungen Erfahrung haben, wissen, dass es etwas schwieriger ist, eine Ubungsreihe ganz allein durchzufiihren. In einer Ubungsgruppe

Ich verwende die personliche Anredeform, weil ich keine kiinstliche Distanz herstellen mdchte. Sie soil selbstverstandlich nicht dein Zustimmung suggerieren. Auch die wir-Form soil kein vereinnahmender Plural sein. Sie spricht uns Menschen im Allgemeinen an. 16

1 Lernen durch Tun

wird im Allgemeinen ein starkeres »Energiefeld« aufgebaut, sodass jede Ubung tiefere Wirkungen hat. In dieser Hinsicht ware naturlich eine Kombination von Gruppenubungen und privaten Ubungen optimal. Wenn du die Mbglichkeit hast, die Ubungen gemeinsam mit einem Partner, einer Partnerin oder Freunden durchzufiihren, verstarken sich die Ubung und auch die Motivation, dabeizubleiben. Wenn du Ubungserfahrung hast, ob mit Yoga, Meditation oder anderen spirituellen Techniken, wirst du keine Schwierigkeit haben, dich allein auf eine Ubung einzustimmen und diese durch deine Erfahrung so intensiv wie mbglich zu gestalten. Den Ablauf der meisten Ubungen kannst du dir leicht merken, weil die einzelnen Schritte bestimmte Bezugspunkteim Kbrper haben, z. B. mit derinneren Aufmerksamkeit vom Oberarm zur Hand zu »reisen«. Falls du noch unerfahren bist, dann rate ich dir, zuerst die Theorie zu lesen, auf der Gurdjieffs Lehre begrundet ist und die ich in diesem Buch leicht verstandlich erlautere. Wenn du dann denkst: »Diese Ubungen sind interessant, sie kbnnten mich weiterbringen, und darauf will ich mich einlassen«, dann triff die willentliche Entscheidung, die vorgeschlagenen Ubungen einen bestimmten Zeitraum lang regelmaBig zu machen. Es ist allerdings so, dass manche der Ideen, die ich ausfiihre, erst durch die praktische Umsetzung mit den Ubungen verstanden wer­ den konnen. Wenn du dich fur das Ubungsprogramm entscheiden mbchtest, setze dich hin, werde innerlich still, und triff deine Entscheidung. Bekraftige sie innerlich oder auch laut mit folgender Affirmation: »Ich mbchte das Ubungsprogramm beginnen und auch durchhalten.« Setze dir das Ziel, die ersten Ubungen vier Wochen lang zu machen, und entscheide dich danach wieder fiir die nachsten Wochen. Diese Ent­ scheidung starkt deine Absicht und deinen Willen. Du solltest keine Erwartungen damit verbinden, sondern einfach »tun«. Notiere dir jeden Tag alle Beobachtungen, Empfindungen, Einsichten und Gefuhle, die vor, wahrend und nach der Ubung entstehen. Schreibe dir auch auf, wenn du die Ubung »ausgelassen« hast. Sei ehrlich mit dir: Hast du nur eine Ausrede gefunden, oder konntest du einfach nicht wegen einer anderen Anforderung? Schau dir deine Ausfluchte genau an, vielleicht erkennst du darin ein Muster. Du machst es nur fiir dich selbst, keiner kontrolliert dich. Nach einer gewissen Zeit wirkt eine morgendliche Sitzubung auch in den Tag hinein. Wenn du deine Notizen einen Monat spater durchliest, kannst du deinen Ubungsfortschritt besser beurteilen. Ich erklare in diesem Buch jede Ubung in ihrem theoretischen Zusammenhang, damit du weiRt oder zumindest ahnen kannst, wozu sie dient. Es ist unvermeid17

1 Lernen durch Tun

lich, dass du zu Beginn »glauben« musst, was die Ubung bewirkt, du kennstsie vermutlich nicht. Da die Theorie dahinter erklart wird, hast du immerhin einen Anhaltspunkt. Manchmal kommt dir auch bb'tzartig ein Verstehen in den Sinn, das dir eine Bestatigung gibt, dass der theoretische Hintergrund ein gewisses Fundament hat. Wenn du dich auf das »Bewusstseinsfeld« einer bestimmten Linie einstimmst, befindest Menschen,

du die

dich

in

dieses

Resonanz

mit

Bewusstseinsfeld

der

entsprechenden

Liber

einen

Energieschwingung

langeren

Zeitraum

mit

der ihren

Ubungen verstarkt haben. Sie haben eine Kraft im Bewusstseinsfeld hinterlassen. Dadurch bekommst du eine Hilfe oder Verstarkung fiir deine Ubungen. Wenn du schon Erfahrungen mit spirituellen Ubungen einer anderen Richtung hast, wirstdu vielleicht die besondere Schwingung bemerken, mit der du in Beriihrung kommst. Diese angesammelte Energie ist eine auBerordentliche Hilfe, mit der die Ubung starker wirken kann. AuBerdem ist es hilfreich, auch deine eigene auBere Form zu gestalten. Auf dem Ubungsweg, den ich in diesem Buch vorschlage, ist es nicht erforderlich, Raucherstabchen anzuztinden oder ein bestimmtes traditionelles Ambiente oder rituelle Rahmenbedingungen zu schaffen. Aber es kann je nach Veranlagung und Vorbildung eine Bereicherung und einen verstarkenden Impuls geben, wenn du dir einen bestimmten Platz in deinem Ubungszimmer gestaltest, wo du Bilder oder Figuren hinstellst, die fiir dich wichtig sind. Eine Raucherung mit Salbei oder an­ deren Raucherstoffen ist niitzlich, urn stdrende Energien fernzuhalten. Bestimmte Pflanzen oder Harze kdnnen auch »hilfreiche« Krafte wecken.8 Gut ist es auf jeden Fall, deinen auBeren Raum so vorzubereiten, dass du dich innerlich ungestbrtauf die Ubung einstimmen kannst. Vor allem ist es aber wichtig, dass du jede der vorgeschlagenen Ubungen mit bewusster Absicht durchfiihrst.9 Tatsachlich ist jede Ubung bereits ein Ritual. Ritual bedeutet Reihenfolge, d. h., es folgt einer bestimmten Ordnung, welche die kosmische Ordnung widerspiegelt. Es bildet eine Briicke zur Wirklichkeit, zur Welt des Bewusstseins. Es ist auch ein Ritual in dem Sinne, dass du es regelmaBig auf dieselbe Weise durchfiihrst und dich dabei in Verbindung mit dem Schwingungsfeld der Bewusstseinsqualitat bringst, aus dem diese Ubungen stammen. So entsteht eine Resonanz, die dir eine gewisse Sicherheit gibt. " die entsPrechenden Bucher in der kommentierten Bibiiografie. Kapiteh e InfOrn,iltionen zur Absicht und zur Entscheidung findest du in nachfolgenden 18

1 Lernen durch Tun Wenn du dich auf den Ubungsweg dieses Buches einstimmen mbchtest, schlage ich dir vor, dass du dich zur Ubung hinsetzt, die du dann durchfiihren willst, und dir bewusst machst oder aussprichst: »Ich stimme mich nun ein in das Bewusstseinsfeld des Werks. Ich fiihre diese Ubung durch, um an meiner inneren Trans­ formation zu arbeiten, und ich bitte alle mir wohLgesinnten Krafte, mir bei dieser Arbeit zu heLfen. Ich fordere auch alle Krafte auf, die mich behindern wollen, fiir die Zeit dieser Ubung drauBen zu bleiben.« Wer bisher keinen Kontakt mit einer Gruppe der Uberiieferungslinie des Werks hatte, kann sich mit einer solchen oder ahnlichen

Anrufung

oder

Affirmation

willentlich

auf

die

Schwingung

des

Werks

einstimmen. Der Begriff »Werk«, vom Englischen »work«, wie er in der Gurdjieff-Linie gebraucht wird, hat zwei Bedeutungen. Im Deutschen wird er manchmai einfach mit »Arbeit« ubersetzt, doch dieses Wort erfasst nicht die voile Bedeutung. Der Begriff ist ein Hinweis auf das alchemistische »GroBe Werk« der Transformation von Materie in Geist. In diesem Sinne bedeutet er nicht nur »Arbeit«, sondern auch das Feld der Bewusstseinskraft, die dieses PKer/r tragt. Mit gefallt »Werk« auch deshalb, weil es im Deutschen mit »wirken« und »Wirklichkeit« zu tun hat. John G. Bennett sagte: »Das Werk ist nicht alles, und es mag etwas jenseits davon geben. Worauf es ankommt, ist, dass wir im Werk fiir uns etwas Wirkliches finden kdnnen. Was sich daraus erbffnet, hat keine Grenzen.«10 Stehst

du

in

einer

anderen

Uberiieferungslinie,

kannst

du

selbstverstandlich

eine andere Kraft oder ein anderes Schwingungsfeld bei deinen Ubungen »anrufen«. Die im Buch vorgeschlagenen Ubungen sind sehr neutral und lassen sich auch durchfiihren, wenn du dich im Feld einer anderen Lehre bewegst. Es macht meiner Meinung jedoch einen Unterschied, ob du dich mit den Ubungen des Buches in Resonanz mit dem Werk versetzt oder z. B. mit dem Buddhismus, denn jede Linie hat meiner Erfahrung nach eine andere »Frequenz«. Du musst einfach ausprobieren, was fur dich stimmt. Damit die Ubung wirken kann, sind die Resonanz mit dem Feld, mit dem die Ubung verbindet, und die Absicht des Ubenden eine wichtige Voraussetzung. Die Verpflichtung, an dir selbst zu arbeiten, gehst du nur mit dir selbst ein. Es ist jedoch

hilfreich,

dich

in

ein

derartiges

Schwingungsfeld

einzustimmen,

damit

du eine zusatzliche Energie bekommen kannst. Denn viele Menschen haben liber

10

John G. Bennett: Harmonische Entwicklung. Die sieben Aspekte der Arbeit. Gurdjieffs Psycholo­ gic der harmonischen Entwicklung der Menschen. Salzhausen 1982, S. 7.

19

1 Lernen durch Tun

langere

Zeit

derartige

Ubungen

durchgefuhrtz

sodass

ihre

Arbeit

eine

Kraft

im

Bewusstseinsfeld der ArbeitsLinie hintertassen hat, an die du ankniipfen kannst. Mit dieser Einstimmung kbnnen innere Ubungen wirkliche Bedeutung fur fah erlangen

und

selbstgesetzte

dich

bei

Absicht

der

eigenen

ernst

nehmen:

Entwicklung Damit

unterstiitzen.

Du

Ubung

Qualitat

die

ihre

solltest

deine

entfalten

kann, musst du dich bewusst zu dieser Ubung entscheiden. Wenn du die Erfahrung in dir verarbeitest und dir bewusst zu Eigen machst, dann bringst du etwas Neues hervor. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit Nahrungsumwandlung im Kbrper. Genauso wie die Lebensmittel vom Organismus zur Erhaltung des Korpers umgewandelt und in die Zellen ubernommen werden, wird durch deine Absicht die Erfahrung in die Entwicklung des inneren Seins umgewandelt. Genau das haben Gurdjieff und Bennett auch mit den Methoden und Lehren gemacht, die sie auf ihrer Suche erfahren haben. Beide haben sie nicht einfach kopiert, sondern sie erforscht und durch eigene Erfahrung mit den Ubungen in eine neue

Form

gegossen.

Gurdjieff

speziatisierte

sich

mehr

auf

Bewegungsubungen

statt auf Sitziibungen, wahrend mein Mentor John G. Bennett beides fiirwichtig hielt.11 Ebenso

wichtig

war

es

Gurdjieff,

eine

neue

spirituelle

Vermittlungslinie

zu

erschaffen, die nicht an eine bekannte Traditionslinie ankniipft. Er suchte nach etwas, was eine universale Qualitat besitzt und in unserer Zeit und fiir die Zukunft wirken

kann,

ohne

Assoziationen

mit

jahrhundertealten,

zum

Teil

auch

festge-

fahrenen Glaubensformen und Ritualen. So wie ich es durch John G. Bennett verstanden habe, geht es um intelligente und kreative, inhaltliche Arbeit und nicht um das Erhalten alter Formen. Nachdem

Bennett

in

die

Welt

seiner

weiteren

Transformation

iibergegangen

war, wurde es mir zu einem persbnlichen Anliegen, diese neuen Formen in seinem Vorbild zu ergrunden, aber auch andere Wege und Methoden kennenzulernen. So konnte ich ihren Wert und ihre Wirkung herausfinden, auch manches integrieren, was in den Rahmen dieser Methode passt, um das Gelernte so Lebendig zu vermitteln, dass es fiir mich nicht zu einem »Glauben« wurde, sondern sich aus eigener, langer Erfahrung immer wieder neu gestaltet. Es spielt keine Rolle, ob du schon Erfahrungen mit Ubungen gesammelt hast. Jede Ubung wirkt anders und immer wieder neu, und im Zusammenhang mit dem Ubungsprogramm dieses Buches ist es notwendig, sich auf diesen Prozess ganz

Auf diesen Unterschied werde ich in einem anderen Kapitel eingehen.

20

1 Lernen durch Tun einzulassen. Beim Monopoly hei^t eine Karte »Zuriick auf Los«. Dasselbe gilt fur die innere Arbeit. In Gurdjieffs »Wissenschaft der Idiotie« betont er ausdriicklich, dass es wichtig fur die eigene Entwicklung ist, wieder zum »gewbhnlichen Idioten« zu werden, d. h., den »Anfangergeist« in sich zu wecken und noch einmal von vorn anzufangen, um eingefahrene Routinen und Verhaltensmuster aufzubrechen.12 Es ist nicht einfach, »zu lernen, wie man lernt«. Die Verantwortlichen fur unser Schulsystem begreifen nun langsam, dass die Vermittlung von Lernstrategien statt bloBem Allgemeinwissen heute immer grundlegender wird. Jeder Mensch hat eine andere Strategie. Manche pragen sich eine Telefonnummer in Dreierreihen ein, andere in Zweierreihen und wiederum andere mit Bildern. Wichtig ist, dass die Ubungen, die du durchfuhrst, aus einem »lebendigen« Feld stammen und durch deine Arbeit in dir selbst lebendig werden kbnnen. Eine gute Voraussetzung flir die Wirksamkeit von Ubungen ist auch der Wunsch, etwas Neues zu lernen. Wenn ich eine Ubung kennenlerne und denke: »Das kenne ich schon«, oder: »Diese Ubung habe ich schon mal gemacht«, oder: »Ich weiB doch, wie ich mich am besten entspanne«, dann verschlieBe ich die Tur flir eine neue Erfahrung. Deshalb betonte Bennett immer wieder: »Versuche zu lernen, alles so zu sehen, als ob es vbllig neu sei und als ob es keiner Verbindung mit etwas habe, wovon du zuvor gehbrt hast.« Tatsachlich ist alles immer wieder neu und anders, wir nehmen es nur selten wahr. Sogar die Natur hat dafur gesorgt, dass wir die Dinge immer wieder mit einem frischen Blick anschauen. Jedes Mal, wenn sich unsere Lider automatisch uber den Augen schlieBen, wischen wir das Bekannte weg, um wieder neu schauen und entdecken zu kbnnen. Doch wer macht das bewusst? Waches »Sehen«, »H6ren«, »Schmecken« und »Spuren« - das gauze Spektrum der menschlichen Sinne - sind das Tor zur Welt des Lebens. Daruber hinaus erbffnet uns die Tur der Sinne auch die Welt jenseits der Sinne, welche die sichtbare und die nicht-sichtbare, un-begreifliche Welt verbinden. Viele, die sich mit Gurdjieffs Methoden beschaftigt haben, gehen von der Annahme aus, dass dieser Ubungsweg die Menschen zum Aufwachen fiihrt, zum wirklichen »Tun«. Doch es macht einen Unterschied, ob man eine »auBere« Ubung macht und daraus den Schluss ableitet, sie wurde »automatisch« zum Aufwachen flihren, oder ob man lernt, die Ubung von »innen« heraus zu machen, d.h. absichtsvoll und getragen von der Kraft des Bewusstseins. 12

Siehe dazu mein Buch Der verwirklichte Idiot.

21

1 Lernen durch Tun

Der Kernsatz dafiir ist: Um Bewusstseinsenergie herzustellen, muss bereits etwas Bewusstseinsenergie vorhanden sein, und wenn man sie »stehlen« muss, wenn man sie selbst nicht hat. Diese Energie kann z. B. die bewusste Absicht oder die gemeinsame Arbeit in einer Gruppe bereitstellen. Jeder hat schon einmal erlebt, dass zum Beispiel ein gemeinsames Training in einer Sportgruppe zu einer hbheren Leistung anstachelt als das Einzeltraining. Schon wenn ich mit einer Partnerin oder einem Partner ube, merke ich, dass die Ubung starker wirkt. Ubungen sind Tiiroffner - vielleicht fuhren sie uns auch dahin, dass wirfeststellen, dass es keine Turen gibt! Wichtig ist, die Fahigkeit in sich selbst zu entwickeln, aus dem Erfahrenen und dem Erlebten etwas fiir sich zu schbpfen, es in eine eigene Seinsqualitat umzuwandeln. Ein wichtiger Rat zur Abfolge: Bitte fuhre das Ubungsprogramm in der vorgeschlagenen Reihenfolge durch. Die Zeitangaben, z. B. zwei Wochen, sind Mindestvorgaben. Bei Ubungen fiir Fortgeschrittene solltest du dich auf jeden Fall daran halten. Gehe erst zu diesen Ubungen weiter, wenn du sicher bist, dass du tatsachlich Wirkungen mit den einfachen Ubungen erfahrst. Die Grundiibungen 1 und 2 solltest du einige Wochen, sogar zwei bis drei Monate lang durchfiihren, bevor du sie mit den anderen Ubungen erganzt. Wenn du bereits langere Erfahrungen mit Ubungen hast, rate ich dir dennoch, die Grundiibungen zu lernen und sie als Basis zu nutzen. Mit der Reihenfolge der inneren Ubungen kommst du nach und nach in ein Ubungssystem hinein, das modular aufgebaut ist. Es gibt auch Ubungen, die nur eine gewisse Zeit durchgefiihrt werden sollten. Setze sie danach wieder ab, und wahle andere Ubungen. Das Absetzen von inneren Ubungen fiir Fortgeschrittene ist deshalb wichtig, weil sich in dieser Zeit die Energien, die du aktivierst, erst einmal »setzen« oder sortieren konnen. Das ist sicherer, und es stabilisiert dein inneres Sein. Auch im Sport werden nicht taglich stundenlang Spitzenleistungen trainiert. Das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Spannung fiihrt zu einem besseren Ergebnis. Die Wirkungen vieler Ubungen sind so subtil, dass du erst nach einer gewissen Zeit bemerkst, dass sich in dir Transformationen vollziehen. Das Programm, insbesondere der »inneren Ubungen«, habe ich so konzipiert, dass es auch von Menschen durchgefiihrt werden kann, die wenig Ubungserfahrung haben. Es besteht aus Grundiibungen und Ubungen fiir Fortgeschrittene. Es gibt noch intensivere Ubungen, die ich allerdings der direkten Weitergabe in Gruppen vorbehalte, weil sie in ihrer Tiefe erst mit der »Energie der Gruppe« erfahren wer­ den konnen. Die Ubungen dieses Buches sind aber bereits als ganzes Programm 22

1 Lernen durch Tun so intensiv in ihrer Wirkung, dass du Lange damit arbeiten kannst und nicht dauernd einen neuen Reiz bendtigst. Wenn du bereits ein Ubungssystem durchfiihrst, z. B. taglich Hatha-Yoga, Qigong oder Ahnliches machst, kannst du diese Ubungen auch weiterhin beibehalten. Wenn du regelmaBig meditierst, kannst du deine Me­ ditation ebenfalls fortsetzen. Diese Techniken verstarken sich sogar mit meinem Ubungsprogramm gegenseitig. Mache dann z. B. das Ubungsprogramm des Buches am Morgen und deine Meditation am Abend. Wenn du geniigend Zeit hast, kannst du z. B. auch eine Qigong-Ubungsfolge vor der morgendlichen Sitziibung machen, was diese noch verstarken kann. Ich rate jedoch dazu, morgens nicht Langer als eine Stunde insgesamt zu iiben. Besser ist, wenn du tagsiiber noch kleinere Ubungen, auch Korperiibungen, hinzunimmst und abends meditierst. Die Sitziibungen des Buches sind grundsatzlich fiir morgens gedacht, weil sie intensive Energien erzeugen. Wenn du sie nur abends machen kannst, dann rechne damit, dass du hinterher nicht sofort schlafen kannst. Durch seine wissenschaftliche Vorgehensweise hat Bennett auch herausgefunden, dass die Art der Prasentation einer Ubungsanleitung ebenfalls sehr wichtig ist, wenn die eigene Entdeckung im Vordergrund stehen soli. Deshalb »klingen« die meisten Ubungen sehr sachlich oder neutral, wie z. B.: »Spure deinen kleinen Finger.« Wichtig fur mich ist, bei alien Ubungen den Geist der Offenheit zu bewahren und auBerdem jegliche Beeinflussung in irgendeine Richtung zu vermeiden. Es macht einen Unterschied, ob ich nun bei einer Ubungsanleitung sage: »Du spurst, wie dich die Warme umhullt«, oder: »Spure in deinen Kdrper hinein.« Wenn ich in den Kdrper »hineinspure« kann ich jegliche Erfahrung machen, die dabei vorkommt. Dass ich beim »Hineinspuren« z. B. Warme empfinde oder die Glieder schwer werden - was sein kann -, ist der eigenen Wahrnehmung iiberlassen. Ich kann auch frdsteln, wenn ich meinen Kdrper erspure. Mit dieser Art der sachlichen Prasentation einer Ubung gebe ich den Beteiligten die Mdglichkeit, eigene Erfahrungen zu machen, ohne bereits eine Richtung vorzugeben. Ich setze damit auch nichts voraus, was die Teilnehmer erst im Laufe eines Ubungsprogramms mdglicherweise entdecken bzw. erst mit ihrer eigenen Erfahrung »fullen« kdnnen. So kann es ohne suggestive Vorgaben bei Ubungen immer wieder neue Erkenntnisse geben. Eine andere Sache ist mir noch wichtig zu betonen: In vielen Gruppen werden Ubungen gemacht, ohne dass danach liber die Erfahrung gesprochen wird. Ich weiB nicht, warum ein Gesprach Liber die Wirkung einer Ubung vernachlassigt wird. Dabei bewirken gerade der Austausch der Erfahrungen und die Schilderung der 23

1 Lernen durch Tun

Wirkungen, dass sich die Ubung noch weiter vertiefen kann. Jeder Beteiligte kann sich so auch sicherer werden, dass seine Erfahrungen keine Fantasie oder Halluzination sind. Jedes Gruppenmitglied bekommt vielmehr eine Bestatigung, dass es die Ubung »richtig« macht bzw. dass bestimmte Wirkungen und Erfahrungen auch bei anderen vorkommen.13 Dieser Austausch hiLft auch, »am Ball« zu bleiben und nicht zu schnell aufzugeben, wenn die Ubung scheinbar nichts bewirkt. Wenn du die Ubungen gemeinsam mit anderen Menschen durchfuhrst, mit dem Partner, der Partnerin, mit Freunden oder GLeichgesinnten, wird jede Ubung intensiver, wenn ihr hinterher uber eure Erfahrungen sprecht. Auch wenn ich den Forschungsgeist propagiere, rate ich davon ab, die Ubungen des Buches abzuwandeln, wenn du sie nicht eingehend durchdrungen und verstanden hast. Am besten ist es, wenn Anderungen oder Abwandlungen in einer Gruppe geschehen, die langere Zeit gemeinsame Erfahrungen gemacht hat. Man kann nur mit den Dingen experimentieren, von denen man zumindest grundlegendes Wissen hat und deren Wirkungsweise man einigermaBen verstanden hat. Wenn ein Chemiker

einfach

zwei

Substanzen

zusammenschuttet,

ohne

ihre

Eigenschaften

zu kennen, kann es unerwartet passieren, dass dieses Gemisch explodiert. Das kann auch mitinneren Ubungen geschehen, wenn nicht klarist, welche Faktoren zusammenwirken. Ubungen zurSelbstwahrnehmung und Entfaltung der»auBeren« und »inneren« Sinne sind »Kunstwerke«, das ist meine Uberzeugung nach vielen Jahren der Erfahrung mit diesen Ubungen. Es reicht nicht aus, sich allein oder mit einer Gruppe hinzusetzen und eine Ubung zu machen, d.h., irgendeinem Ablauf zu folgen, der von dem Ubungsleiter oder der Ubungsleiterin vorgegeben wird. Um wirklich eine echte Erfahrung zu machen, ist es wichtig, das Wesen der Ubung erfahren. In den meisten Fallen hat es naturlich auch mit »Energien« zu tun oder, anders ausgedruckt, mit Schwingungsmustern, Empfindungen, Gefuhlen und Wahrnehmungen, die aktiviert bzw. die dem Ubenden bewusst werden. Ich glaube nicht, dass die meisten Menschen, die auf einem spirituellen Weg sind und dementsprechende Ubungen praktizieren, je uber die Struktur und die »Substanz« oder »Energie« der Erfahrung nachgedacht haben. Doch dies ist ein wesentlicher Bestandteil jeder Ubung. Ich kann die Erfahrung erst dann wirklich

Die Kommunikation ist auch bei einem Ubungsbuch wie diesem wichtig. Du kannst mir per EMail Fragen stellen oder kurz deine Erfahrung schildern, sodass ich Gelegenheit habe, diese zu kommentieren oder zu bestatigen.

24

1 Lernen durch Tun verarbeiten, wenn ich sie auch reflektiere, wenn ich versuche zu erkennen, was mit mir wahrend der Ubung geschehen ist. Es liegtin der Natur der Dinge, dass sie sich irgendwann »totlaufen« - Entropie nennt das die Physik. DeshaLb ist es ratsam, von Zeit zu Zeit eine neue Ubung zu beginnen, um wieder eine neue Erfahrungsmbglichkeit zu gewinnen. Es gibt aber auch Grundiibungen, die langere Zeit ohne Entropie durchgefuhrt werden kbnnen, genauso wie wir taglich Nahrung benbtigen. Bei manchen Ubungen, die sehr intensiv und nachhaltig wirken, nimmt man es aber nicht sofort wahr. Diese sollten nur eine vorgegebene Zeit lang, ein oder zwei Wochen, durchgefuhrt werden und kbnnen spater gelegentlich wieder ausgeubt werden. Ich habe schon Menschen erlebt, die bestimmte Intensiviibungen liber einen langen Zeitraum hinweg und jeden Tag z. B. zwei Stunden gemacht haben und irgendwann vbllig durcheinander waren, d. h., der ganze Organismus und das Gehirn waren aus dem Gleichgewicht. Du soiltest also nicht iibertreiben! Das »Experiment mit uns selbst«, das wir durchfiihren, ist ein Experiment, das auf langjahrigen Erfahrungen und auf den Erkenntnissen vieler Menschen basiert, die Versuchsanordnung sind wir selbst. Ohne das methodische Wissen, das diesem Experiment zugrunde liegt und liber viele Jahrzehnte weitergegeben wurde, kbnnten wir allerdings den Versuch iiberhaupt nicht durchfuhren: Wir wiissten nicht, in welche Richtung wir forschen und experimentieren sollten. Selbstverstandlich haben die »weisen Alten« ebenfalls experimentiert, um die Dinge herauszufinden, die dann uberliefert wurden. Sie haben offenbar sehr griindlich geforscht. Wenn man allerdings die Vermittlung der Lehre unterschiedlichster spiritueller

Traditionen

anschaut,

bekommt

man

den

Eindruck,

diese

jeweilige

Traditionslinie existiert nur aufgrund der Weitergabe von festgelegten Ubungen und Ritualen, die sich seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten immer gleichbleibend fortgesetzt haben. Visionen, Erkenntnisse, Einsichten und vieles mehr kann man weitergeben, und viele Erkenntnisfortschritte in alien Wissensbereichen basieren auch auf den genialen Einsichten frliherer Forscher. Doch auch spirituelle Erkennt­ nisse - und die Menschen jederZeitalter- entwickeln sich, sodass wir immer wieder neu uberprufen mussen, welche Art von Ubung fllr welche Menschen angemessen sind und was die Ubungen bewirken kbnnen.

1 Lernen durch Tun

»Erfahrung seLbst ist nichts, doch die Erfahrung gibt Ihnen die Mbglichkeit, >zu sehenWille< kann sich nicht unwillkiirlich entwickeln. Die Evolution eines Menschen ist die Evolution seiner Fahigkeit, >zu tunTun< kann nicht das Ergebnis von Dingen sein, die >geschehengeschiehtBegeisterungEiferLeidenschaftSpontaneitatInspiration< oder ahnlich nennen und annehmen, dass nur in einem Zustand der Identifizierung ein Mensch wirklich gute Arbeit, ganz gleich auf welchem Gebiet, leisten kann. In Wirklichkeit ist dies naturlich eine Tauschung.« G. I. Gurdjieff45

Um zu lernen, sich mit nichts zu identifizieren, ist es zuerst notwendig, die Beobachtung darauf zu konzentrieren, dass man aufhbrt, sich mit sich selbst zu identifizieren. Wenn diese Selbst-Identifizierung nicht wirklich klar geworden und die entsprechende Konditionierung aufgebrochen ist, kann man sich nicht objektiv beobachten. Jeder wird ohne diese objektive Beobachtung einen Filter einschalten und nicht bemerken kbnnen, wie und womit er sich identifiziert. Das kann sich B.F. Skinner, der von 1904 bis 1990 lebte, beschrieb in den 1930er-3ahren die »operante« Kon­ ditionierung,

d.h.,

das

Pawlow'sche

Reiz-Reaktionsmuster

erzeugt

auch

eine

Konsequenz,

die

durch eine positive Verstarkung hervorgerufen werden kann. P.D. Ouspensky: ASW, S. 218.

75

6 Sich selbst beobachten allein schon dadurch ausdrucken, dass du reclithaberisch denkst: »Ich identifiziere mich doch gar nicht.« Wenn das Finanzamt dich mit einer unerwarteten Forderung nach Einkommenssteuernachzahlung argert, hast du sofort - zumindest emotional - alle Nichtidentifikationsubungen vergessen und denkst z.B.: »Was wollen die eigentlich von mir? Ich zahle doch immer meine Steuern! Und uberhaupt: Zahle ich denn nicht schon genug davon?« Welcher Steuerzahler, der nicht liber Ersparnisse verfiigt, kennt diese Reaktion nicht? Aber auch Leute mit viel Geld sind so mit dieser Reaktion identifiziert, dass sie ihr Geld mbglichst vor dem Finanzamt verstecken und ins Ausland schaffen. Irgendwann werden sie erwischt, daran sieht man, dass Identifizierung auch zu dummen Reaktionen fuhrt. Kiirzlich habe ich einen weiteren typischen Fall der Identifikation erlebt. Auf einem Parkplatz machte jemand seine Autotiir auf und stieB damit an die Tur des benachbarten Wagens. Der Besitzer dieses Fahrzeugs kam hinzu und schimpfte. Er zeigt auf einen winzigen Kratzer an seiner Autotiir. »Jetzt muss ich die ganze Tur neu lackieren lassen«, meckerte er weiter herum und machte ein Beweisfoto, damit der andere Wagenbesitzer ihm seine Versicherungsdaten aushandigte. Wie hattest du reagiert? Klar, du bist nicht mit dem Lack deines Autos identi­ fiziert, aber du reagierst sofort eifersuchtig, wenn dein Partner nur einen anderen anschaut. Oder du argerst dich, wenn du auf dem Postamt in der Schlange stehst, weil irgendein Idiot am Schalter so lange braucht. Ich kbnnte hier unzahlige Beispiele bringen, wie Identifikation ablauft. Deine Aufgabe bei dieser Ubung istes, einmal zu registrieren - am besten alles auch zu notieren -, wenn du bemerkst, dass du mit dir oder etwas anderem identifiziert bist, sei es ein Gedanke, ein Streit, Arger im Buro oder ein unangenehmes Gefuhl. Am deutlichsten wird die Identifikation beim Anschauen eines Filmes. Werhat sich nicht schon bei einer dramatischen Liebesszene beruhrt gefiihlt oder sogar mitgeweint? Aber die Identifizierung mit Lieblingsdarstellern oder sogar Politikern ist auffallend. Ich habe einmal erlebt, wie ich auf der Buchmesse beinahe einen bekannten Schauspieler griiBen wollte, weil ich das Gefuhl hatte, ich kenne ihn persdnlich, bis mir klar wurde, dass ich ihn nur aus dem Fernsehen kannte. Wenn wir genau beobachten, erfahren wir bei uns, wie wir regelrecht vom Film »aufgesaugt« werden. Bei blutigen Szenen oder Szenen von der Obduktion einer Leiche meinen wir, es ware echt, obwohl wir wissen, dass es ein Film ist und alle Szenen gestellt sind. Erstaunlich ist, dass viele Menschen bei realen Nachrichten mehr Distanz wahren und sie nicht an sich heranlassen. Vermutlich fehlt bei Nach­ richten im Minutentakt der Moment der emotionalen Beruhrung. Auf jeden Fall hat 76

Beobachtungsiibung; Identifizierung beobachten Identifizierung gerade bei emotionaLen Erfahrungen, die eigentlich gar nichts mit uns persbnlich zu tun haben, eine groBe Macht uber uns. Daran ist zu erkennen, wie tief wir in der Welt der Tauschung Leben. Beobachtungsiibung: Identifizierung beobachten Nimm dir mindestens eine ganze Woche Zeit fiir die Beobachtungen, besser ist es, mehrere Wochen daran zu arbeiten. Registriere die Identifikationen, die in dieser Woche und den folgenden Wochen in dein Bewusstsein dringen. Wenn du die Beobachtungsiibung Langere Zeit durchfiihrst, dann versuche zu entdecken, womit du dich am meisten oder am starksten identifizierst. Mache dir Notizen. Versuche, wenn dir deutlich geworden ist, was »Identifikation« mit etwas bedeutet, eine innere Distanz zu der Sache herzustellen, mit der du dich identifizierst. Wenn du also eine Identifizierung bemerkst, d.h. bestimmte, sich wiederholende Umstande bei der Arbeit oder beim Anschauen eines Films, dann versuche, diese Sache nicht mit Gedanken und Emotionen zu verstarken, sondern innerlich Abstand zu gewinnen. Strenge dich an, einem »schlechten« Gefuhl, einem Arger oder einer Aufregung liber etwas, nicht nachzugehen, sondern es abzuschiitteln. Gehe auf Distanz zu emotionaLen oder anderen Reaktionen bei der Arbeit, in der Freizeit oder wahrend eines Films. Versuche wahrzunehmen, wie stark du von bestimmten Umstanden oder Szenen »hypnotisiert« bist. Achte besonders auf die vielen Ruhekissen, die deine eigene Einsicht abfedern, wenn du dir sagst: »Ich finde diese zusatzliche Arbeit, die mir mein Chef aufgeblirdet hat, einfach zu viel und zu argerlich. Jetzt komme ich wieder eine Stunde spater nach Hause, aber es ist ja nicht so schlimm.« Lasse jeden Gedanken daran los, und erfiille den Job ohne jegliches inneres Murren. Umgekehrtsolltestdu

natiirlich

auch

mitderldentifikation

bei

einem

Erfolg umgehen: »Toll, ich habe meinen Job nun gut erledigt. Warum lobt mich mein Chef nicht?« Lasse auch diesen Gedanken los. Du weiBt selbst, dass du eine gute Leistung gebracht hast, doch das ist kein Grund, sich damit zu identifizieren.

77

6 Sich selbst beobachten

wSolange ein Mensch sich identifiziert oder identifiziert werden kann, ist er der Sklave von allem, was mit ihm geschieht. Freiheit bedeutet zuallererst Freiheit von Identifizierung«, sagt Gurdjieff/6

SeLbstbeobachtung funktioniert am besten indirekt. Beobachte dich so, als ob du ein anderer Mensch warst. Diese innere Haltung hilft auch dabei, andere Menschen unvoreingenommen zu sehen. Meistens bewerten wir schnell andere Menschen und verstellen uns so die Moglichkeit, ihre Qualitaten zu sehen. Wenn wir nur nach Sympathie oder Abneigung werten, identifizieren wir uns nur mit unseren emotionalen Reaktionen und machen jede neue Erfahrung unmbgLich. Wenn wir uns mit dem Thema »Identifikation« beschaftigen, konnen wir bei guter, unvoreingenommener Beobachtung auch wahrnehmen, aus welchem Zentrum die Identifikation vorwiegend kommt. Gehe den Fragen nach: Identifiziere ich mich meistens emotional oder gedanklich? Steht mein kbrperliches Wohlbefinden oder gutes Aussehen im Vordergrund? Dabei kommt noch ein zweiter Aspekt der Identifizierung ins Spiel: sich nach jemandem oder etwas zu richten. Das meint in diesem Faile auch eine angesagte Mode, ein bestimmtes Verhalten oder die Fragen: »Wie wirke ich auf die anderen Menschen?« - »Was denkt dieser Mensch wohl uber mich?« Gurdjieff erklart dies folgendermaBen:

»Es gibt Menschen, die sogar fahig sind, sich nicht nur nach der Ungerechtigkeit oder mangelnden Achtung seitens anderer zu richten, sondern die sich zum Beispiel sogar nach dem Wetter richten. [...] Sie konnen durch das Wetter irritiert, ja unwillig und argerlich dariiber werden. Der Mensch nimmt alles so persbnlich, als sei alles in der Welt eigens angeordnet worden, urn ihm Vergnugen zu machen, oder im Gegenteil, urn ihm Unbequemlichkeiten zu bereiten.«