Metaphysik und die Ordination des Bewusstseins 3631652054, 9783631652053

Metaphysik und Logik rechnen die Beziehungen der Bewusstseinsvermögen gewöhnlich nicht zu den logischen Beziehungen. Ein

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German Pages 422 [430] Year 2014

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Inhaltsverzeichnis
[I]. Vorwort und Einführung
[II.] Theoretische Voraussetzungen
[III]. Zur Methodik - Über die methodische Konkurrenz von Urteil und Kategorie, Basisvorstellungen und -vermögen
[IV]. Zur Historie des Begriffes Ordre, Ordination, Ordonnanz: Descartes, Desargues, Leibniz, Kant; die neuere Geometrie (Hilbert)
[V]. Konsequenzen
Bibliographie
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Metaphysik und die Ordination des Bewusstseins
 3631652054, 9783631652053

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Sander Wilkens

Metaphysik und die Ordination des Bewusstseins Metaphysik und Logik rechnen die Beziehungen der Bewusstseinsvermögen gewöhnlich nicht zu den logischen Beziehungen. Eine Ausnahme ist Kants Unterordnung der Sinnlichkeit unter das Verstandesvermögen in der Kritik der reinen Vernunft. Die Logik lehrt außerdem, bei der Anschauung erhalte man stets nur einen einzigen Gegenstand, womit Kant die Geschichte zugleich rekapituliert und prädeterminiert. Fragt man nach der Umkehrbarkeit des Bestimmungsverhältnisses unter den Fakultäten, ergibt sich aber keine Falschheit oder Unmöglichkeit. Es eröffnet sich ein breites Feld an Möglichkeiten, die echte Determination in die Fakultäten zu verlegen und die Formen der Erkenntnis hiervon abhängig zu machen. Die Geschichte der Projektion wird

in den Zeugenstand berufen, inklusive einer abschließenden Neubewertung der Korrespondenz.

Der Autor Sander Wilkens studierte Philosophie, Musikwissenschaft und Linguistik. Er promovierte in Musikwissenschaft und Philosophie und habilitierte anschließend an der Technischen Universität Berlin. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Philosophie der Bewusstseinsvermögen und Metaphysik, zum kollektiven Bewusstsein und zur Ästhetik, Herausgeber eines Bandes zur Philosophie von Leibniz und den Künsten, sowie Verfasser von Essays zur politischen Philosophie.

Metaphysik und die Ordination des Bewusstseins

Sander Wilkens

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Metaphysik und die Ordination des Bewusstseins

ISBN 978-3-631-65205-3

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13.08.14 KW 33 11:28

Metaphysik und die Ordination des Bewusstseins

Sander Wilkens

Metaphysik und die Ordination des Bewusstseins

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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ISBN 978-3-631-65205-3 (Print) E-ISBN 978-3-653-04660-1 (E-Book) DOI 10.3726/978-3-653-04660-1 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2014 Alle Rechte vorbehalten. Peter Lang Edition ist ein Imprint der Peter Lang GmbH. Peter Lang – Frankfurt am Main · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com

Inhaltsverzeichnis [I]. Vorwort und Einführung.......................................................................................1 [II.] Theoretische Voraussetzungen..........................................................................33 1. Die Konvertibilität des Bewusstseins (oder der Ursprungsort logischer Diskrimination)..............................................................................33 2. Zur Projektion – Begriff und neuere Entfaltung in der Philosophie................................................................................................59 A. Der enzyklopädische Zugang. Historische und systematische Beziehungen und Ursprünge....................................................................59 B. Zu Fichtes Wissenschaftslehre (Vortrag 1804).....................................100 C. »Kant’s Perspectives«................................................................................111 D. Ein alternatives Modell............................................................................121 E. Zur Orientierung......................................................................................127 Zur Definition...........................................................................................133 Zusammenfassung und Schluss..............................................................154 [III]. Zur Methodik - Über die methodische Konkurrenz von Urteil und Kategorie, Basisvorstellungen und -vermögen....................................165 [IV]. Zur Historie des Begriffes Ordre, Ordination, Ordonnanz: Descartes, Desargues, Leibniz, Kant; die neuere Geometrie (Hilbert)........................187 A. Von der Metaphysik her............................................................................187 B. Von der Mathematik her...........................................................................226 1. Girard Desargues, Ordre und Ordonnance im Brouillon projet d’une atteinte aux evenemens des rencontres du Cone avec un Plan (1639)................................................................ 242 2. Blaise Pascal, Ordre und Ordonnance im Essai des Coniques (1640)..................................................................................... 245 3. Johann Heinrich Lambert, Die freie Perspektive, oder Anweisung, jeden perspektivischen Aufriß von freyen Stücken und ohne Grundriß zu verfertigen (1759)............................. 253 4. Hermann von Helmholtz, Über den Ursprung der richtigen Deutung unserer Sinneseindrücke........................................................ 255 5. David Hilbert: die latente Ordonnanz und die Erzeugung der Metrik.................................................................... 266 6. Schluss und Ausblick auf die heutige projektive Geometrie.............290

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[V]. Konsequenzen....................................................................................................299 A. Anschauliche Kategorie und Gestaltprinzip(ien).....................................299 1. Einleitung...................................................................................................299 2. Konsequenzen...........................................................................................312 3. Gestalt und Schematismus in Verbindung mit Umkehrung und Zirkelproblem............................................................ 317 4. Kategorien versus Schema, Muster.........................................................325 5. Zu Beweis und Beweisbarkeit der Konvertibilität – logische Subordination in und durch die Anschauung..................................... 338 B. Über Wahrheit...............................................................................................350 1. Die Zielrichtung........................................................................................350 2. Überblick zur Korrespondenz.................................................................358 3. Erklärung und Definition aus der Konvertibilität................................374 Bibliographie..............................................................................................................393

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[I]. Vorwort und Einführung „Hinc de substantiarum immaterialium (quorum tamen eandem ob causam nullus datur intuitus sensitivus, nec sub tali forma repraesentatio) locis in universo corporeo, de sede Animae, […]“1. „On appelle ici ordonner l’action de l’esprit, par laquelle ayant sur un même sujet, comme sur le corps humain, diverses idées, divers jugements, & divers raisonnemens, il les dispose en la manière la plus propre pour faire connoître ce sujet. C’est celle qu’on appelle encore méthode“2. „Der zweite Unterschied ist, dass ich mein Augenmerk nicht bloß auf jene besondere Classe der Vorstellungen, welche den Namen der Begriffe führt, beschränkte, sondern auf Vorstellungen überhaupt sah. Von den Logikern älterer Zeit, welche den Unterschied zwischen reinen Begriffen und Vorstellungen überhaupt noch gar nicht deutlich aufgefasst hatten, dürfen wir eben darum nicht verlangen, dass sie denselben hätten berücksichtigen sollen; oder vielmehr wir finden, dass sie unter der Überschrift: »Von den Begriffen (de conceptibus, de ideis)« wirklich nicht bloß von Begriffen, sondern von Vorstellungen überhaupt (auch solchen, die bloße Anschauungen sind, oder sie doch enthalten) gesprochen haben“3.

I Bücher sind nicht nur Örter, sondern sie besitzen auch eine bestimmte Ähnlichkeit, was heutzutage wie vielleicht noch nie zutage tritt, um, an den letzten

1 Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 27 (in: AA, Band II, S.414): „Daher machen sich leere Fragen nach den Örtern der unstofflichen Substanzen in der Körperwelt (von denen es doch aus ebendieser Ursache keine sinnliche Anschauung gibt, noch einer Vorstellung unter einer solchen Form) nach dem Sitz der Seele und nach anderen dieser Art breit […]“ – das Zitat möge für einen jener unbedachten Momente in der Formulierung Kants stehen, wo er die Möglichkeit, „eine Vorstellung unter der Sinnlichkeit“ zu begreifen, zum Ausdruck bringt oder ihr nahekommt. Abgesehen davon, dass die Philosophie der Frage nach den „unkörperlichen Substanzen in der Körperwelt“ noch immer nicht ausweichen darf. 2 Antoine Arnauld & Pierre Nicole, La Logique ou l’art de Penser, Paris 1965, S.38. 3 Bernhard Bolzano. Wissenschaftslehre. Anhang. Über die bisherige Darstellung der Lehren dieses Hauptstücks. § 115. In: Berhard-Bolzano-Gesamtausgabe. Reihe 1: Schriften, Bd. 11.Teil 3. Hg. v. Jan Berg, Stuttgart 1987, S.131-132.

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Begriff, die Ähnlichkeit, geheftet, Fragen der Verallgemeinerung zu eröffnen, welche die Neuzeit charakterisieren: hier stoßen die Möglichkeit, geometrische, ursprünglich sinnliche Anschauung für die Logik zugänglich zu machen (Leibniz/Wolff) oder nicht (Kant) aufeinander4. Weiterhin, und womöglich mit einer noch weiter reichenden Trennlinie, entfaltet sich an dieser Stelle eine Typologie des Bewusstseins (die insbesondere Alexandre Koyré bemerkt hat)5, nach der das anschaulich-intuitive Bewusstsein auf das gegenteilige stößt, welches die charakteristische, symbolische (insbesondere algebraische) Repräsentation sucht (Desargues, Pascal, und auch Kant zu ergänzen dort, versus p.e. Descartes, Leibniz hier). Kein Zweifel, hat sich diese Spaltung seit der Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert vertieft – seit der Entdeckung von Kurven, die keine Tangenten besitzen respektive nicht differenzierbar sind, somit seit der Kritik am traditionellen Begriff und Vorstellung der Kontinuität. Hier scheint es am Platz, noch einmal Stellung zu beziehen, beziehungsweise, um das erste Anliegen zu artikulieren, die Intuition in ihr Recht zu setzen. Dies geschehe, gleich im Vorhinein und als ob sich Zentrum und Peripherie verkehren, mit einem der maßgeblichen Mathematiker der nicht-euklidischen Epoche in der Wende zum 20. Jahrhundert, Christian Felix Klein, der, inmitten der Darlegung ihrer Grenzen und des vermeintlichen Vorrangs, den die algebraische und angeblich rein logische Darstellung der Mathematik gewonnen hat, ein deutliches Votum für die Anschauung ausgesprochen hat: „On one point Pasch does not agree with me, and that is as to the exact value of the axioms. He believes – and this is the traditional view – that it is possible finally to discard intuition entirely, basing the whole science on the axioms alone. I am of the opinion that, certainly, for the purposes of research it is always necessary to combine the intuition with the axioms“6.

4 Daniel Sutherland, „Kant on Fundamental Geometrical Relations“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 87/2 (2005), S.117-158, § 2. 5 Alexandre Koyré, „Pascal savant“, in: Blaise Pascal. L’homme et l’œuvre, Paris 1956 (Cahiers de Royaumont Philosophie No.1), S.259-285, 259-261. Alexandre Koyré, „Pascal als Wissenschaftler“, in: Leonardo, Pascal und die Entwicklung der kosmologischen Wissenschaft, übersetzt und mit einem Vorwort versehen von Horst Günther, Berlin 1994, S.83-107. 6 William Ewald, From Kant to Hilbert: A Source Book in the Foundations of Mathematics. Vol II, Oxford (Clarendon Press) 1996, S.96. Die Quelle ist Kleins sechste Evanston Colloquium Lecture, 2. September 1893, “On the Mathematical Character of Space-Intuition and the Relation of Pure Mathematics to the Applied Sciences“.

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Sich – unter diesen Umständen – in der Philosophie auf die Anschauung zu berufen, jedoch mit Bezug auf die klassische Historie ihres Verhältnisses zur Mathematik, muss besondere Gründe mit sich führen, die im Folgenden in mehreren Schritten dargelegt werden sollen. Sie haben im Kern mit den Vermögensverhältnissen und nicht schon Vorstellungen bzw. Leistungen zu tun, welche die Bewusstseinsvermögen beisteuern und in den meisten Fällen Theorie und –bildung dominieren. Ausgangspunkt für die gesamte Abhandlung (wie schon früher und andernorts) ist das in der Rezeption eigentlich nie angezweifelte, gleichwohl oft missachtete Theorem Kants in der Kritik der reinen Vernunft und später, es müsse sich • i n der Erkenntnis die Anschauung dem Verstandesvermögen unterordnen, oder die Kategorien erwirkten eine Subordination der Anschauung (als auch Vermögen und nicht nur konkrete Leistung) unter das Verstandesvermögen. In einem späteren Vortrag, der dieselbe Position vertieft und bekräftigt, The Arithmetizing of Mathematics (1895), wiederholt Klein seinen Standpunkt, der im Übrigen dadurch charakterisiert ist, angesichts der erwähnten Typologie nicht nur den Formalisten und den Intuitionisten, sondern zudem noch den Logiker einander gegenüberzustellen, wobei er sich selber diesem, dem Logiker, und dem Intuitionisten zurechnet7. Bezeichnend für die gesamte, die Philosophie einbeziehende Fragestellung, will er sich sodann nicht nur auf die kultivierte Form der Anschauung berufen, die unter dem Einfluss logischer Deduktion entstanden ist, sondern auch die „naive“ einschließen, die als natürliche Gabe („natural gift“) das Bewusstsein ausmacht und auch die abschätzende Tätigkeit des Ingenieurs, der gewohnt ist, differentielle Bewegungen zu entwerfen, einbegreift. „I maintain that mathematical intutition – so understood – is always far in advance of logical reasoning and covers a wider field“8. Abgesehen von der bedeutsamen Wende von Boole zu Venn im späteren 19. Jahrhundert, bei der sich die Boolsche Algebra logischer Verhältnisse (insbesondere der Syllogistik) in eine – kompatible und zugleich vereinfachende – Darstellung durch Figuren verwandelte,9 bedarf es kaum einer Erwähnung, dass auch andere bedeutende Mathematiker wie Jules Henri Poincaré sich seiner

7 „Klein on the Schools of Mathematics“, in: Ewald 1996, S.958 (Vortrag, gehalten in Chicago im Rahmen des Congress of Mathematics, 1893). 8 Chr.F.Klein, „The Arithmetizing of Mathematics“ (1895), in: Ewald 1996, S.969. 9 William & Martha Kneale, The Development of Logic. Oxford (Clarendon Press) 1962, S.404-421.

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Ansicht anschließen10, überdies trifft er eine in der Philosophie seit Platon bis zu Kant wohlbekannte Behauptung – wenn auch hier unter den Bedingungen einer weitaus einfacheren, rudimentäreren Mathematik. Klein folgt diesem Pfad insoweit, als er, trotz seiner Klassifikation, der Überzeugung anhängt, die Intuition gehöre – im Licht der „Antithese“ zum Formalismus – auf die Seite des Unlogischen respektive Außerlogischen. Gleichwohl stützt er sich kaum auf Kant selber, der wenigstens in der transzendentalen Ästhetik als Mustertheorem das Modell vorgebildet hat. Immerhin, wenn auch mit Zweifeln im Hinblick auf die strikte Abgrenzung der logischen Relevanz der Anschauung behaftet, vermochte es in der Ära der nicht-euklidischen und analytischen Geometrie (immer noch) Mathematiker wie Weyl zu motivieren. „The mathematician can do no more than state the character of each particular psychical operation from observations of his own mental process. Perhaps some day physiology and experimental psychology will enable us to draw more accurate conclusions as to the relation between the process of intuition and those of logical thought. The great differences shown by observations of different individuals confirm the supposition that it is indeed a question of distinct, that is, not necessarily connected, mental activities“11.

Dass die Beobachtung der Operationen des Bewusstseins der korrekte Weg sind, um sich dem Problem zu widmen, hat Klein zurecht ausgesprochen; gleichwohl muss der konträre Positivismus, der sich nur noch, wenn nicht begleitend auf die Beobachtung anderer stützt, sodann fehlgehen – in Einklang mit dem bereits dargelegten Rückgriff auf die Vermögensverhältnisse besteht eine zentrale These dieser Abhandlung in dem Nachweis, dass die Intuition nicht wie ein natürlicher, umfassender und »grundständiger« Antipode dem logischen Vermögen des Bewusstseins gegenübersteht, sondern ganz im Gegenteil. Auch • d  as anschauliche Bewusstsein vermag im echten Sinne zu klassifizieren  – in der heutigen Psychologie unter dem Begriff der categorization eine kaum angefochtene Vorstellung (vgl. hier Abb.[10], Bezugsrahmen der Wahrnehmung)12; und, als zentrale Voraussetzung,

10 Zitate und Darlegung unter IV.A, wobei nicht unterschlagen sei, dass Poincaré in ­einem Text wie dem folgenden davon ausgeht, der Ursprung des Raumes sei begrifflicher Natur (Text B „On the Foundations of Geometry“, in: Ewald 1996, S.982-1011. Übersetzung und Veröffentlichung [The Monist 1898] eines französischen Ms.). 11 Klein, „The Arithmetizing […]“, in: Ewald 1996, S.970 (Hervorhebung Vf.).  12 Stevan Harnad, „To cognize is to categorize: cognition is categorization“, in: Henri Cohen & Claire Lefebvre (eds.), Handbook of Categorisation in Cognitive Science, Amsterdam-Tokyo 2005 (Elsevier), S.20-43.

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• d  ie Bestimmung oder Determination, welche, beginnend mit den Axiomen, unter Vorstellungen herrscht, muss keineswegs immer und nur vom begrifflichen respektive Verstandesvermögen ausgehen; womit die Grenzmarken gewärtig. Hiermit ist der zentrale methodische Einlass gefunden, den es unter verschiedenen Blickwinkeln nachzuweisen gilt, freilich verbunden mit der angesichts des Historischen nachhaltigen Bemerkung, dass die Axiome in den allermeisten Fällen eine überaus deutliche, i.e. präzise anschauliche Entsprechung besitzen. Die Kehrseite geht daher mit einer zwangsläufigen und notwendigen Korrektur des Historischen einher, welche, von der Philosophie ausgehend, die Anschauung auf das Sondergleis gebracht hat, als ob hier das Bewusstsein zu mehr oder weniger völligen Sonderleistungen aufgefordert wäre, jedenfalls in Isolierung zu seinen logischen und begrifflichen Kapazitäten, insoweit diese andererseits den Ausgangspunkt, das Prinzip oder die Vorgabe bilden, um sich nunmehr, und vorgeblich einzig, die Anschauung nach- und instantan unterzuordnen. Inmitten all dieser Unterscheidungen entfaltet sich aber auch eine ganz andere Entscheidung und Erkenntnis, • n  ach der der Raum (und eventuell auch die Zeit) zuerst und grundlegend nach ihrer projektiven Bedingung zu begreifen sind, womit nicht nur, in einem bedingten Sinne, eine neue Etappe der Neuzeit eingeläutet wird (die sich zunächst, fast zweihundert Jahre lang, mit der Hauptzeit überschneidet), sondern auch die erste Negation der Ähnlichkeit (noch bevor sie sich mit Möglichkeiten der Krümmung auseinandersetzt, sei es als Fläche und wesentliche Eigenschaft des Raumes, sei es als Projektion durch eine solche hindurch, wie sie bereits Leibniz erwägt). Wie sich auch hier abzeichnet, kann die Logik – logisches Vermögen, logische Funktion und ihre generelle Einsehbarkeit – sich nicht tatsächlich so einseitig verhalten, wie bei der ersten typologischen Trennscheide bemerkt, da sie (i) im Kern an einer Gattungsdifferenz der ursprünglichsten Geometrien teilhat, überdies (ii) die Elemente im Verhältnis der einen zur anderen spontan, ganz aus sich, verschieden zuordnet respektive mit ganz anderen Eigenschaften (p.e. Dualität und Zentralpunkt) ausstattet: das Bewusstsein müsste die ihm so überaus geläufige Differenz, durchaus dem Syllogismus verwandt, durch ein pure »Mechanik« (die nicht mehr reine Anschauung heißen darf) leisten, ein bloßes grundständiges Einsehen, wenn ihm nicht auch die Möglichkeit zur Verfügung stünde, seine logische Wurzel instantan auf der anschaulichen Seite zu aktivieren und den Elementen ihre Stelle zuzuweisen. 5

II Wegen des anderen Begriffs, der Örter, sind Bücher auch Anlass, eine Wegstrecke zu markieren, eine Hodologie13 oder einen Itinéraire, wie man bei dem Nachbarvolk und seinem Staatsgebilde sagt. Der bereits eingeleitete Überblick hat daher eine eigentümliche, nahezu unvermeidliche Bewandtnis. Sollte aber das Vermögen des Bewusstseins, einen Überblick zu besitzen und denselben nachhaltig anzustreben, und anderwärts denselben nicht zu besitzen (wenn nicht mit bestimmter Notwendigkeit und keineswegs nur aus Nachlässigkeit »im Dunkeln zu hausen«, ein Belang, der sich auf Anhieb, ohne großes Nachdenken, bis in die Möglichkeiten der Universalisierung, der Möglichkeit von Allaussagen und die Theorie der Bestätigung oder confirmation, wie sie im Angelsächsischen heißt, erstreckt)14, kein Zufall sein, dann wird • P  rojektion, wenn kraft Verjüngung (i.e. wesentlicher Verkürzung) und Brennpunktbildung genau diese Unterscheidung ihr Wesen ausmacht, auch zum Wesen (zentralen Veranlagung) des Bewusstseins gehören. In einem fundamentaleren und, von der Basis der Philosophie her, zwingenderen Sinne als in die Zukunft zu schauen, gesetzt, dieses Vermögen ist eigentlich für die praevisio respektive praesagatio der neuzeitlichen Fakultätenlehre einzusetzen, und es darf, gemäß Kant15, eine wesentliche Entwicklungsstufe der Menschheit verkörpern, mit der sie sich über Tier- und Pflanzenwelt erhob. 13 Zum Begriff, der hier freilich allgemein und nicht nur im phänomenologischen Sinne gemeint ist: „Ainsi peut-on comprendre toutes les exigences et ces tensions qui nous entourent, ainsi peut-on dresser une carte ‚hodologique‘ de notre Umwelt, carte qui varie en fonction de nos actes et de nos besoins“ (zit. nach: Jean-Paul Sartre, La Transcendance de l’Ego. Esquisse d’une description phénoménologique, introduction par Sylvie Le Bon, Paris (Librairie Philosophique J.Vrin) 1981, S.125 = Esquisse d’une théorie phénomenologique des émotions). 14 Vgl. den Abschnitt zur Orientierung, der einige Literaturhinweise bietet, u.a Pierre Macherey. Zur confirmation und Allaussage vgl. John Nolt, “Truth as an Epistemic Ideal”, in: Journal of Philosophical Logic vol.37/3 (2008), S.203-237. 15 „Der dritte Schritt der Vernunft, nachdem sie sich in die ersten unmittelbar empfundenen Bedürfnisse gemischt hatte, war die überlegte Erwartung des Künftigen. Dieses Vermögen, nicht bloß den gegenwärtigen Lebensaugenblick zu genießen, sondern die kommende, oft sehr entfernte Zeit sich gegenwärtig zu machen, ist das entscheidendste Kennzeichen des menschlichen Vorzuges, um seiner Bestimmung gemäß sich zu entfernten Zwecken vorzubereiten, - aber auch zugleich der unversiegendste Quell von Sorgen und Bekümmernissen, die die ungewisse Zukunft erregt, und welcher alle Thiere überhoben sind (V.13-19)“ (I.Kant, Muthmaßlicher Anfang

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In wenigen Absätzen sei demnach vorangesetzt, was der Leser über diese Unterscheidung(en) hinaus zu erwarten hat. Was die ersten Absätze betrifft und um, im Licht der bereits getroffenen Orientierung, eine generelle Einleitung zu bieten, es findet zum einen ein Plädoyer für die Sinnlichkeit statt, durchaus im Sinne der angeführten Typologie, indem (nicht zum ersten Mal)16 der Nachweis angetreten wird, dass (i) die Sinnlichkeit – als Empfindung oder als Imagination – innerhalb der (niemals endgültig isolier- oder disjungierbaren) Beziehungen der Bewusstseinsvermögen (oder Fakultäten) imstande ist, auch das Verstandesvermögen zu bestimmen respektive zu determinieren und dass innerhalb dieser Beziehungen, wie vermerkt, bereits die Logik wirksam ist: zur Frage der regio idearum respektive der Wahrheiten aus bloßer Vernunft sind somit die Fakultätenbeziehungen hinzuzurechnen, und dies sogar primär, da die Logik, die Setzung und Beherrschung des logischen Verhältnisses, ihren Kern einbegreift (und die Ideen oder Wahrheiten zu den Leistungen zählen). Weiterhin ist dieses Plädoyer mit dem Nachweis verknüpft, dass (ii) zu diesen Vermögen auch ein ganz spezifisches mit hinzugerechnet werden muss, das in der Historie und bis heute oft übergangen – oder in einem bestimmten Sinne verschleift und vereinfacht – wurde, das projektive. Die hieraus erwachsenden Konsequenzen betreffen weiterhin die Polarität (die in der Projektion, zudem im Gegensatz der Geometrien wirksam ist) und die ihr anhängige, komplexe Logik: die Mengenbildung (abseits der instantanen russellschen Klasse), die Form und Fluktuation der Gegensätze (die antike Wurzel), die Frage, wie Diffusion einzuschätzen ist (Definition II.E.1.3). Angesichts des angesprochenen Überblicks gelte, dass er ungeachtet jeglicher Bürde, die auf und zwischen den Regalen waltet – denn sie teilen (wie die Zeilen) ein vielfältiges und ebenso komplexes Wesen –, das beständige Bemühen begleitet, ihn im Angesicht der charakterisierten Lage so angemessen, so treffend wie möglich zu halten. (Wie schon einmal und nunmehr wesentliche Voraussetzung), wird die Proklamation Kants über die Geltung theoretischer Erkenntnis (als insbesondere transzendentaler Idealismus [A 369-372]) aus den soeben angeführten, gleichwohl zwingenden Gründen für ungültig erklärt, da er – mitsamt der Menschengeschichte, in: AA VIII, S.113, das Zitat aus Genesis betrifft Kants Analogie). Die Passage berührt zugleich die expectatio casuum similium, mithin auch das Analogon rationis, was an anderer Stelle erörtert wird, abgesehen von der Fakultätenlehre in der Anthropologie, die hinter der Kritik zurückbleibt. 16 Mehrere Beiträge des Autors für die Zeitschrift Wolkenkucksheim. Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur, für den Kongress für Philosophie 1996 und den Kant-Kongress 2000 sowie Die Konvertibilität des Bewusstseins, Würzburg 2002.

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der erwähnten Literatur (bis hin zur heute geführten Debatte um den (non) conceptual content)17 und abgesehen von der Äquivokation, die seinem eigenen Gebrauch des Bestimmungsbegriffs anhaftet – eine wesentliche Möglichkeit der Bestimmung oder Determination nicht beachtete und untersuchte: jene, die distinktiv, völlig beherrschbar, eindeutig und natürlich von den Sinnen auf das Verstandesvermögen ausgeübt wird, wobei die theoretische und nicht praktische Sinnlichkeit gemeint ist, von der er glaubte, sie könne einzig eine Detraktion, Ablenkung und Verunglimpfung, der vernünftigen Veranlagung des menschlichen Wesens bedeuten. Seine Philosophie begründete gleichwohl einen neuen Schwerpunkt, den kritischen, um zu erläutern, was unter Metaphysik zu verstehen ist, womit er ihr Ende einläutete, wenn es zutrifft, dass der lange Weg von Parmenides über Platon und Augustinus schließlich in Hegels idealischer Philosophie mündete, wo, abseits von Heidegger, dem Geist zum letzten Mal ein ganzes Sein, eine ontologische Bedeutung, in der er sich selbst als Bewusstsein wiederzuerkennen vermag, zuerkannt wurde – bevor der Positivismus, später in Allianz mit anderen Richtungen wie dem Neomarximus und verwurzelt im neuzeitlichen Empirismus, den Weg des Rationalismus vollstreckte, der sich im vergangenen Jahrhundert mit Logizismus und, nicht zuletzt, der scheinbar übermächtigen Sprachphilosophie als endgültigen und vermeintlich einzigen Instanz erneuerte, womit sich eine zeitgenössische Philosophie zu bekleiden vermag. Die wir im Vorhergehenden und eher beiläufig zitierten18, beklagen darin ­einen Niedergang und eine Reduktion der Vernunft auf den Verstand, in Fusion mit der einzig wissenschaftlich-technischen Mentalität. Sollte es daher den Geist immer noch geben, muss er offenbar neue ‚Gründe‘ finden im doppelten Sinne, diesen, die außerhalb, und jenen, die innerhalb seiner selbst liegen, und aufzurichten imstande sein. Mehr, sollte er nicht der beständigen (Kon)Fusion erliegen, indem er (angeblich) nicht imstande ist, den einen beständig vom anderen zu unterscheiden19. Da es aber nun, um mit dem Wenigsten zu beginnen, eine 17 Das Organ ist insbesondere das European Journal of Philosophy. 18 Yves Mongeau et Jean Proulx, „Libérer la démocratie“, in: Critère Nr.22 (1978), Republikation in: L’Encyclopédie de l’Agora unter positivisme (2005). 19 „Denn in der Tat, wenn man äußere Erscheinungen als Vorstellungen ansieht, die von ihren Gegenständen, als an sich außer uns befindlichen Dingen, in uns gewirkt werden, so ist nicht abzusehen, wie man dieser ihr Dasein anders, als durch den Schluß von der Wirkung auf die Ursache, erkennen könne, bei welchem es immer zweifelhaft bleiben muß, ob die letztere in uns, oder außer uns, sei“ (KrV A 372).

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Ordination des Bewusstseins nicht erst an den Begriffen (kraft Subsumtion), sondern schon an den Vermögen gibt – als theoretische Erfahrung oder Erkenntnis und, eine Stufe höher, als freie Entscheidung des moralischen Subjekts20 –, ist das logische Moment, das in ihr zusammenläuft, deutlich zu trennen: die Ordination des Bewusstseins, die aus der gegenseitigen Zu-, Einordnung und Subsumtion von Vermögen geschieht, ist beständig von der Subsumtion der Substrate als Leistungen, die den Fakultäten anhängen, zu unterscheiden – was sich noch kaum in der älteren Logik, als L’Art de Penser, abzeichnete, auch wenn er respektive sie ganz darin Recht hatte, que „tout cela se fait naturellement, & quelquefois mieux par ceux qui n’ont pas appris aucune regle de Logique, que par ceux qui les ont apprises“21. Die Ordination des Bewusstseins ist auch im Folgenden, zumindest nach ihrem ersten Ursprung, nur ein Synonym für die Natur des Bewusstseins selber, wobei, ist ihr Untersuchungsgegenstand der Möglichkeit nach der sprachliche, die aristotelische Analysis nicht unmittelbar weiterhilft, um die Gattungen und Möglichkeiten jener Einordnung und allgemeinen Subsumtion zu ermitteln, vergleichbar oder analog zur transzendentalen Position: Der Rückgang auf ein konkretes, in seinen Bedingungen uneingeschränktes Bewusstsein noch vor jeder sprachlichen Aktualisierung ist unabdingbar, die logische Wurzel aber, die es hier zu klären gilt, um das Bewusstsein aus den Täuschungen seiner bloßen Aggregation zu befreien, bewahrt vor der anderen (vornehmlich positivistischen) Abstraktion, es sei das Bewusstsein sich selber in bloßer Introspektion (wissenschaftlich oder an sich) nicht zugänglich, wodurch es stets die Hälfte seiner selbst einbüßt (eine freilich nur überschlägige Quantität). Beides, die Subsumtion an den Vermögen und an den Leistungen, begründet u.a. ein Feld, welches von seiner Natur her die bereits berührte Geometrie auf den Plan ruft – insbesondere sobald ein Nach- und effektiver Beweis theoretischer Erkenntnis ansteht, bei der ihre zugehörige Ordination des Bewusstseins durch

20 Woran unter Kants Interpreten niemand ernsthaft zweifelt, p.e. im französischen Sprachraum Jules Vuillemin, „Méthode transcendentale, morale et métaphysique“, in: Dieter Henrich, Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Metaphysik nach Kant?, Stuttgart 1988, S.137-143 (Stuttgarter Hegel-Kongreß 1987), oder Gilles Deleuze, La Philosophie critique de Kant, Paris 5.Aufl. 1983; im deutschen Sprachraum, p.e. Hermann Krings, „Über Regel und Regelsetzung. Ein Beitrag zur Logik der Regelbegründung im Anschluß an Kant“, in: Schönrich, Kato (Hg.), Kant in der Diskussion der Moderne, Frankfurt 1996, S.35-51; im englisch-amerikanischen: J.B. Schneewind, „Autonomy, obligation, and virtue: An overview of Kant’s moral philosophy“, in: Paul Guyer (Ed.), The Cambridge Companion to Kant, Cambridge 1992, S.309-341, 315-318. 21 Arnauld & Nicole 1965, S.38.

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eine determinative Sinnlichkeit stattfinden muss22. Die Möglichkeit, im Rahmen der Erläuterung des Bewegungsbegriffs externe Bewegung und interne Bewegung (verbunden mit den Muskel- und Retinaimpressionen als jeweils A und B versus A’ und B’) einander blank gegenüberzustellen, ohne zu klären, wie die statuierte externe Bewegung tatsächlich zu einer Bewusstseinstatsache wird, kann es demnach nicht mehr geben – von Seiten der Philosophie schlägt sich hierin eine theoretische Naivität nieder, die sie schon relativ lange Zeit zu überwinden sucht, auch wenn sie dem auf Exaktheit bedachten Mathematiker gar nicht mehr auffallen mag23. Gewiss ließen sich heute auch andere Semiosen, Techniken in Diagramm und effektiver Signifikation aufsuchen (wobei wir das neuere logische Diagramm24 zwanglos mit der Konvertibilität einhergeht, insbesondere, wenn es gilt, die syntaktische von der symbolischen Ebene im Beweisverfahren zu sondern, schließlich, worin die Klassifikations- oder Verallgemeinerungskraft liegt). Die klassische, mit der Renaissance respektive Neuzeit (Sätze des Desargues und Pascal) auf den Plan tretende, sowie neuere projektive Geometrie (seit Poncelet; den Inzidenrelationen und anhängiger Axiomatik) verdient aber angesichts der Beweiskräftigkeit, insoweit sie zunächst mit der Mathematik gepaart ist, einen unbedingten Vorrang, wie mehrfach und insbesondere im zentralen Kapitel zur Ordonnanz oder ordonnance zu zeigen gesucht wird. Angesichts der Gattungsdifferenz, welche die Projektion ausmacht, noch dazu als natürliches Vermögen des Bewusstseins (was freilich eigens nachzuweisen ist), kann der Begriff nicht so beiläufig angesehen werden, wie er zumeist referiert und/oder direkt übergangen wird. Da wiederum die Allgemeinheit mit der Ordination einhergeht, muss auch die euklidische involviert und von derselben Gesetzmäßigkeit betroffen sein (wie übrigens der mathematische Beweis der projektiven oft euklidische respektive außerprojektive Elemente beansprucht25, so dass wenigstens von 22 Mit dem Hinweis auf die Rezeption Kants heute (ohne determinative Sinnlichkeit), und es wird reichhaltig andere Literatur zitiert: Sutherland 2005, S.137-138 – die Stipulation geometrischer Kongruenz durch Transformation und Konstruktion von Figuren gegenüber der bloßen Schätzungskraft empirischer Anschauung. 23 Poincaré 1898/1996, S.987-990, « Classifications of Displacements ») in einem Kontext, der anderwärts seine deutliche, wenn auch unausgesproche Anlehnung an Kant zu erkennen gibt. 24 Shin, Sun-Joo, Lemon, Oliver, „Diagrams“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2006 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = http://plato.stanford.edu/archives/sum2006/entries/diagrams/; S.1-18. 25 Z.B. der Beweis zu Proposition II, s.u., von Poncelet; auch Hilbert hat sich dieser Möglichkeit bedient; Desargues betreffend, vgl. J.J.Field, The Invention of Infinity. Mathematics and Art in the Renaissance, Oxford-New York-Tokyo 1997, S.199ff.

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der axiomatischen Seite her die projektive die erklärungsreichere oder inklusive Theorie vertritt (T+ versus T)26, wie, nicht zuletzt, an den Schlüssen Felix Kleins und auch an der Beanspruchung Hilberts von sowohl Pasacal als auch Desargues deutlich wird, indem er den Grenzfall der euklidischen Parallelen involviert27). Überhaupt gilt es, wie bereits angedeutet und nunmehr eigens herauszuheben, den Nachweis anzutreten, dass nicht etwa nur die Raumphilosophie im Zeitalter des Rationalismus (Descartes, Spinoza, Leibniz, Locke, Berkeley, Wolff-Baumgarten, Condillac) bis hin zur transzendentalen Ästhetik die Projektion übergangen hätten, sondern dass dem menschlichen – und wahrscheinlich sogar tierischen28 – Bewusstsein, seiner unmittelbaren und mittelbaren Perzeption, das projektive Bewusstsein als ein fundamentales Vermögen zuzurechnen ist – wobei wir Fichte folgen, der wiederum das geometrische missachtete –, und fundamental möge heißen, mit Notwendigkeit oder unabdingbar, so dass das Feld der Metaphysik zumindest nach jener Seite, wo innerhalb desselben Zeitalters die Frage des Apriori anstand, berührt ist: auf dem Hintergrund projektiven Vermögens muss die Geometrie oder Räumlichkeit als Essenz spezifisch figürlicher Darstellung daher schon eine besondere Leistung und Spezifikation des Vermögens ausmachen, insbesondere, da sie – wie das Gehör – die Mathematik (als eine subalterne Wissenschaft, wie sich Leibniz ausdrückte) einschließt. Anderwärts macht die Existenz, der Existenzbeweis, vielleicht das umfassendste Spektrum aus, in dem sich Projektion und projektives Vermögen niederschlägt, wofür so unterschiedliche Autoren wie Spinoza, Wolff, Baumgarten, Fichte, Russell, Bergson, Sartre, Heidegger (mit einer doppelläufigen Lesart29), selbst wiederum Leibniz und noch einmal Kant herangezogen werden oder werden könnten. Die Frage nach Evolution, oder Emanation, des Daseins – oder der Idee – Gottes wird aber nur im 26 Um einen Lexikonartikel (http://fr.wikibooks.org/wiki/Fondements_des_math) aufzugreifen, der sich auf Tarski u.a. Vertreter in den Grundlagen der neueren Mathematik stützt („On dira qu’une théorie T+ est plus puissante qu’une autre T si tous les théorèmes de T peuvent être traduits par des théorèmes équivalents dans T+. Cela se produit lorsque les notions premières de T peuvent être définies à partir de celles de T+ et que les principes de T peuvent être prouvés à partir de ceux de T+. Les principes et les notions les plus fondamentaux sont donc ceux des théories les plus puissantes“). 27 Die Vorausgeltung der projektiven Geometrie vertritt auch er in seiner Vorlesung, vgl. Michel-Markus Toepell, Über die Entstehung von David Hilberts ‚Grundlagen der Geometrie‘, Göttingen (Vandenhoek & Ruprecht) 1986, insb. 34-39. 28 Der Gehörssinn von Fledermäusen, Mauerseglern und die Melone der Delphine ist wenigstens ein einschlägiger Beweis. 29 Worauf wir gelegentlich in Zusammenhang mit einem seiner Interpreten, Hans-­ Georg Gadamers Aufsatzsammlung Die Wege Heideggers (1978), hinweisen.

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Seitengedanken, bei Plato und Feuerbach, berührt, umso weniger, ob ihm oder ihr – aus derselben Voraussetzung, in der das projektive Vermögen im Bewusstsein verwurzelt ist – notwendig Formen der Teilung, als Polarität, zukommen und müssen (mithin die Entleerung, die Verleugnung, eine bestimmte Lesart des Vakuums oder Nichts, das, höchstwahrscheinlich, mit seiner Ergründung im Barockzeitalter, Versuchen u.a. Torricellis und Pascals30, dann aber auch der vanitas als Eigenschaft des Menschen eng zusammenhängt). Die Introspektion aber, die oben als vielleicht Gegen-, zumindest aber als eine Position berührt wurde, die sich im Sockel der Gegenwartsphilosophie als ein verdeckter oder offener Antihegelianismus bekundet, denn eine echte Innerlichkeit ist ihr kein zentrales Anliegen mehr, muss auch auf dieser Grundlage ihre Ab- oder Rückstellung – ­wesentliche Argumente, aufgrund derer sie angeblich unmöglich sei31 – einbüßen.

III Bei Herleitung der möglichen kosmologischen Ideen äußert Kant, es ließen sich anders als bei Substanzen in Gemeinschaft, die bloße Aggregate sind, so dass sie keinen Exponenten einer Reihe haben, infolgedessen sie einander subordiniert wären, sehr wohl „Räume“ denken, „deren Grenze niemals an sich, sondern immer durch einen anderen Raum bestimmt war“32. Zuvor aber galt ihm der Raum als Idee der Vernunft, dabei als ein Aggregat, in dem (wie ihn auch Leibniz dachte) alle Teile zugleich und daher einander nur „beigeordnet sind“33. Wie schon vermerkt, er macht keine Erwähnung der projektiven Bedingung – für sie ist die geometrische, i.e anschauliche Beziehbarkeit durch Grenze distinktiv und generisch –, erläutert überdies nicht, wie, wenn über die Vermittlung der Reihe die logische Beziehung in die originäre Anschauung des Raumes einkehrt, deren Verhältnis zur Idee aufzufassen ist (die er andernorts auch unmittelbar Begriff nennt, ein Problem im Übrigen, das für die gesamte moderne Auffassung der Axiomatik akut bleibt34). Um die zweifache Äquivokation der Bestimmung zu 30 Vgl. die instruktiven Passagen in Koyré 1956/1994. 31 Gemeint ist außer der modernen Hermeneutik und Sprachphilosophie die Tradition des Positivismus (wo sie auch die Evidenz berührt, vgl. Art. „Evidenz“, in: Histörisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Darmstadt 1972, Spalte 831). In Zusammenhang mit der Diagrammatik, Shin & Lemon, S.13 (Stanford Encyclopedia article). 32 KrV A 414/B 441. 33 KrV A 412/B 439. 34 Henri Poincaré, „Les fondements de la géométrie“, in: dernières pensées, Paris 1913, Nd 1963, § 1. Sutherland 2005.

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vermeiden, denn einmal, wie hier (und Kants genereller Standpunkt), geht sie von anschaulichen Grenzen aus, der sich auch die aus der Idee erworbene jeweilige Reihenentwicklung (als das zu Bestimmende) unterordnet, zum anderen trifft sie unterscheidungslos die projektive Auffassung des Raumes gleichermaßen wie die absolute (außerbewusste) oder euklidische (als reine respektive metrische), muss die prinzipielle Unterscheidung nicht nur die Homologie versus Homogenität des Raumes treffen (und bei der erstgenannten sind, nach ihrer allgemeinsten Auffassung, Grenzen unbedingt, spontan oder generisch anstatt Ausdruck differentieller Kontinua), sondern auch die Umkehrbarkeit des Bestimmungsverhältnisses an den Fakultäten als Konvertibilität (die in einem der folgenden Abschnitte gesondert eingeführt und noch einmal erläutert wird)35: Dass geometrische Elemente einander bestimmen ist nicht dasselbe wie die Bestimmung eines Vermögens durch das andere. Auf diesem Hintergrund, das Zitat eingeschlossen, erklärt sich das eingangs eingeführte Hauptanliegen (i), die logische Wurzel auch für die Sinnlichkeit zu beanspruchen, i.e. sie in die Ursprung oder die Wurzel der Fakultäten zu setzen (insoweit auch der Stamm gerechtfertigt): das Kalkül arbeitet bereits hier, nicht erst unter Begriffen oder ‚Vorstellungen‘, perceptions, ideae, repraesentationes36. Mithin vermag sie sich a priori doppelseitig, sogar in einem bestimmten Sinne (durch Orientierungswechsel und Implikation) polyadisch, und nicht, wie Rationalismus und Transzendentalphilosophie veranlagen, nur einseitig zu äußern: als Nach-, unbedingte Unterordnung der Sinnlichkeit. Der Weg des Nachweises durchläuft – mit durchgehendem Bedacht, da die grundlegende Balance, wenn nicht Symmetrie unter den Vermögen gesucht wird, im Gebiet der sogenannten synthetischen oder reinen Geometrie über die figürliche Vorstellung und Möglichkeit, aus ‚natürlicher‘ Gestalt zu kategorisieren, bis hin zum Wahrheitsbegriff. Wie zu erwarten, wird seine Bedeutung in der ‚Einfachheit‘, i.e. in der fundamentalen Beziehung des Bewusstseins zur Außenwelt oder ersten Verankerung in der Realität gesucht, eine Beziehung, die als seine Grundstellung oder gewissermaßen Lotbeziehung herauszustellen gesucht wird, denn über die Reflexion ergeben sich vielfältig andere Einstellungen, und nicht in offen oder verdeckt abgeleiteten methodischen Begriffen, die, heute en vogue, u.a. mit Kohärenz, Konsensus und unmittelbar semantischen Interpretationen in Zusammenhang stehen oder damit, angesichts von Wahrheit nur und vor allem pensées und

35 Vgl. Vf., Die Konvertibilität des Bewusstseins. Würzburg (DWV) 2002. 36 Im neueren Kant-Kontext: Falk Wunderlich, Kant und die Bewusstseinstheorien des 18. Jahrhunderts, Berlin-New York 2005.

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paroles aneinander zu messen37. Was historische Begriffe angeht, mag nunmehr die postkritische, nicht aber ebenso postmetaphysische Ebene Voraussetzung sein, aufgrund derer die Notwendigkeit entfällt, zum Zweck der Erklärung der Figur auf Begriffe wie konstruktive Anschauung (es sei denn, sie wird so definiert, genau diese Möglichkeit der Ordination zu erfassen) und Illustration auszuweichen (wie es noch heute gelegentlich in Mathematiklehrbüchern geschieht). Auch kann die Form der Anschauung nicht länger eine ausschließlich ideale Veranlagung des Bewusstseins bezeichnen, die nur und ausschließlich die Ausmaße und Charaktere des euklidischen Raumes vorausnimmt, gewissermaßen die angeborene ideale Äquivalenz, wie sie Kant für unbedingt ausgemacht hielt und seine Interpreten bis heute verteidigen müssen. Dies trifft auch für den Fluchtpunkt zu, der in der analytischen Geometrie ideal oder uneigentlich heißt38 und auf einer „unendlich fernen Geraden“ liegt39. Dies meint, sie ist eine unleugbare Gegebenheit für die Analysis, sobald aber die Philosophie nach der Bedingung fragt, was insbesondere den Nullpunkt betrifft, aus dem heraus die Koordination zu begründen ist40, muss unvermeidlich auch die empirische Kondition eintreten: nicht allein, weil bei der faktischen Erläuterung der Unendlichkeit, etwa am pascalschen Beispiel eines im Fernglas beobachteten, sich entfernenden Schiffes, auch die Krümmung der Erdkugel in Betracht gezogen werden muss41, sondern

37 Wie, ungewollter Vorläufer der heutigen analytischen Philosophie, Samuel von Pufendorf in seinem Traktat Les devoirs de l’homme et du citoyen: tels qu’ils lui sont prescrits par la loi naturelle. Aus dem Lat. Jean Barbeyrac, I, p.284 (Num. BNF de l’éd. de, Caen: Centre de philosophie politique et juridique de l’Université de Caen, 1984. Bibliothèque de philosophie politique et juridique. Textes et documents, ISSN 07580428, Fac-sim. de l’éd. de, Londres: J. Nourse, 1741) vorausnahm. 38 Judith Cederberg, A Course in Modern Geometries, 2nd edition, Berlin 2000, S.232. Sperner 1963, S.154 („unendlich fern oder uneigentlich“). Zum Ursprung des ‘vanishing point‘ vgl. Field 1997, S.229 (Brook Taylor 1719). 39 Hilbert in der Vorauserläuterung zum Satz des Desargues (Hilbert 1968, S.83). Dessen ungeachtet und trotz Pascal vermerkt Wolff, als Horizont heiße sie Finitor oder Finiens, auch terminus caeli, circulus hemispheri, allesamt für den empirischen Horizont, weil man nicht weiter als bloß in den Horizont sehen kann (Mathematisches Lexicon, hg. v. J.E. Hofmann, Hildesheim (Olms), 1965, S.712. 40 Vgl. Hilbert 1968, § 17, S.66-67 zur Gleichung der Geraden, wie sie auch in Lehrbüchern zur projektiven Geometrie wiederkehrt. Sperner 1963, S.154, Erweiterung der affinen zur projektiven Ebene. 41 So schon La Logique de Port-Royal in Ergänzung zu Pascals Erklärung der Infinität seitens des Horizonts („De l’esprit géométrique“, in: Pascal, Œuvres vol. IX, S.268-269, ebenda).

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weil auch der Gesichtspunkt im Verhältnis zum (idealen) Fluchtpunkt eine empirische Relation begründet (der im Übrigen in den Kegelschnitten, Poncelet eingeschlossen, den Scheitel verantwortet. Exakte Überlegungen im späteren 19. Jahrhundert, bei Helmholtz und Poincaré, zur Vorstellung von Lebewesen in Verbindung mit bestimmten geometrischen Bedingungen, insbesondere Räumen hyperbolischer oder elliptischer Natur, liegen auf derselben Linie). Schon kann, noch einmal Kant betreffend, (ii) das projektive Vermögen a priori und nach seinem gesamten Umfang nicht ebenso fortfallen, sobald es die Probabilität hinter sich lässt, um den „Probierstein der Wahrheit“ definitiv werden zu lassen42, sollte das Bewusstsein angesichts des hypothetischen Vernunftgebrauchs überhaupt imstande sein, seine „projektierte Einheit“ vorzustellen43: dies aber, was die zusammenfassende Hypothese begünstigt und bei Wahrheit scheinbar verschwindet, muss sie mitbegründen und konstitutieren. Schließlich ist das Bewusstsein im Hinblick auf die Systematik, die, zumindest was die Voraussetzung der Fakultäten und die Frage nach dem Apriori betrifft, aus identischen Bedingungen hervorgeht, in jedem Augenblick, in dem es dem Zustand der (vermeintlich) leeren Aggregation entgehen will (oder historischen Theoremen über den Influxus kleinster Körperchen, den Occassionalismus, die prästabilierte Harmonie und später ein bloßes Erscheinungsbewusstsein), auf die Totalität oder Grenze der soeben eingeführten Potenz hin zu untersuchen: nicht nur, dass es gilt, Momente der Empfindung und des Verstandesvermögens auf einander zu beziehen, sondern zugleich alle Substrate – Leistungen – der anderen Vermögen, die traditionell in der Einbildungskraft, der Erinnerung und dem Ahnungsvermögen44, dem Witz und dem Scharfsinn zusammengefasst werden, deren methodologische Verschiebung in die Anthropologie weder an sich noch in jedem Fall gerechtfertigt erscheint45: ihre einfache, unmittelbar theoretische Bedeutung ist längst etabliert, bevor der Mensch die Aufgabe in Augenschein nehmen kann, „etwas aus sich zu machen“, auch bedeutet das p.e.

42 Was neuerdings insbesondere Goodman zum Anlass einer Übersetzung des Induktionsproblems diente (s.w.u.). 43 KrV A 647/B 675. 44 Um ein Schlaglicht auf Dichtung und Kunsttheorie zu werfen: Friedrich Gaede, „Leibniz‘ ‚unmerckliche Perzeptionen‘ als Quelle poetischer Antizipation“, in: MorgenGlantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft. 1998, S.297-311. 45 Wir beziehen uns auf die Maßnahme Kants in Zusammenhang mit der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, inklusive Reinhard Brandt, Kritischer Kommentar zu Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798), Hamburg 1999, im Folgenden S.63. Vgl. KrV A 648-649/B 676-677 zur Erklärung des Kraftbegriffs.

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Gedächtnis eine zu zentrale Funktion, als dass es auf dem Hintergrund der antiken, im späteren 17. Jahrhundert erneuerten Wachstafel ganz oder nach wesentlichen Anteilen in die Nähe der res extensa rücken könnte46 – schon können die Fundamente von Synthesis und Schematismus bei Kant nicht auf sie verzichten, und ihre Leistungen wird man ohne die vergleichende Leistung jener, welche die Kombinations- und Differenzierungsgabe von ingenium und acumen beisteuern, nicht angemessen erübrigen können, wobei, selbst wenn sie am ursprünglichen Knoten bemessen vielleicht nicht denselben Rang haben, noch einmal betont sei, dass, um die echte logische Arbeit, das Beziehungsnetz, -werden und -­verfestigen, zu erkennen, auch hier ein stetes, gefordertes Bestimmungsmoment beiherläuft, ohne welches das Bewusstsein nicht wirklich zu einer definitiven Einstellung gelangen könnte, gleichgültig ob es sich um Erkenntnis, Reflexion oder wiederum eine Erinnerung handelt: eine definitive, einem modernen Verständnis des Bewusstseins angemessene Bewusstseinsanalyse, die sich auf die Realität der Fakultäten (Vermögen) stützt, wird ohne die Unterlegung vielleicht sogar mehrerer Ebenen nicht auskommen, was, die Projektion hinzugenommen, zumindest von der theoretischen Seite her kein Problem bereiten dürfte. Die „Synopsis der Anschauung“, die Kant in der A-Deduktion anspricht47, ist mithin kein leeres, nicht weiter analysierbares Produkt48, und der Möglichkeit nach bereits mehrdimensional (oder polyadisch). Was hingegen den psychophysischen Parallelismus angeht, muss, wie eingangs, zuerst jede Determination unter den Fakultäten selber untersucht und befragt werden – und sie kann gewiss sehr feinmaschig sein –, bevor eine „kausale Determination“ von Seiten der Naturals Organbedingungen ins Spiel kommt, die wiederum überall, nicht nur beim Gedächtnis in Anschlag zu bringen ist49: überdeutlich angesichts des iudicium bei Baumgarten (auf das wir weiter unten zu sprechen kommen), der es als unmittelbares Perzeptionsvermögen von Differenzen entwirft, dabei an einer Distinktheit festhält, die, angeblich, nur dem Intellectus gewährt, und unmittelbar

46 Brandt 1999, S.65. 47 KrV A 97. 48 Vgl., im Sinne der Probe, das Verhältnis von Palimpsest, Engramm und Freuds Wunderblock (in dem wiederum das Wachselement wach wird), welches unmittelbar demonstriert, dass Erinnerungsvermögen und Gedächtnis die theoretische von der physiologischen Seite unterscheiden müssen (Enzyklopedia www.wikipedia.de, Art. Palimpsest). 49 Brandt 1999, S.64. Neuerdings und Hauptschluss gegen Hume: Melissa McBay Merritt. „Kant’s Argument fort he Apperception Principle“. In: Journal of European Philosophy 19/1 (2009), S.59-84.

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in gustus und aestehtica critica übergeht50 – seine Auflösbarkeit oder aber effektiv sprachliche Repräsentation scheint hiermit vorgezeichnet51. Anders besehen ist das Bewusstsein nach seiner ursprünglichen Koordination aus Zeitlichkeit und Erstreckung, anderwärts Sensus und Intellectus stets faszikulär zu begreifen, jene gehen somit nicht zuerst zu Idee und Begriff, sondern zu den Vermögen, und die beigehaltene Koordination wird, notwendig, aktuale Subordination (Verkettung als Bestimmung unter den Vermögen). Das Bewusstsein geht, in seiner Gegenwärtigkeit und aktualen Verhaftung beim Einzelnen, notwendig mit der Figuration eines Knotens als Zentrums einher (was sogleich noch genauer erläutert wird). Die Idee, wiederum der Begriff der Zeit, ist daher stets von jeder natürlichen Vorahnung zu unterscheiden, eine Gewärtigung spatialer Erstreckung von jeder ideellen Imagination oder – Projektion52. Gleichwohl, es wird nicht darauf ankommen, wie in der entsprechenden Rubrik der Metaphysik, die bei Wolff-Baumgarten empirische Psychologie genannt wurde, einen Katalog, vielleicht auch internen Fortschritt der Vermögen aufzustellen, wie dieser insbesondere aus Werken der Sensualisten wie Berkely und Condillac bekannt ist53, bei denen aber das zentrale Theorem der Vermittlung, insbesondere hinsichtlich ihrer logischen Bedeutung, noch auf die kritische, i..e. theoretische Philosophie Kants warten musste (und bei den Idealisten, Fichte bis Hegel, wieder in das theoretische Abseits der Unbedachtsamkeit fiel, als ob an den Vermögen kein logischer Terminus oder Operator wirkungskräftig zu machen wäre). Besteht hingegen das Wesen des Bewusstseins von Anbeginn aus 50 Baumgarten, Metaphysica, 7.Auflage Halle 1779, Nachdruck Hildesheim 1963, §§ 606-607, S.219-221. 51 Was sich noch einmal im Vergleich mit der Dichtung (Kunsttheorie) und an einem früheren historischen Ort zeigt: Friedrich Gaede, „Leibniz‘ Urteilsform und das Ende der Barockliteratur“, in: SIMPLICIANA (Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft III), Münster 1981, S.65-71. 52 Für die unten Fig.2 als Beispiel dienen kann, die Leibniz in Zusammenhang mit dem Studium der Quellen Pascals zur projektiven Geometrie angefertigt hat. 53 Rezent Margaret Atherton, „Mr. Abott and Professor Fraser: A Nineteenth Century Debate about Berkeley’s Theory of Vision“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 85 (2003), S.21-50; Ralf Schumacher, „Die kognitive Undurchdringbarkeit optischer Täuschungen. George Berkeleys Theorie visueller Wahrnehmung im Kontext neuerer Ansätze“, Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. 58 (2004), S.505-526; beide übrigens ohne Bezug auf Henri Poincaré, „Pourquoi l’espace à trois dimensions“, in: dernières pensées, Paris 1913, Nd 1963, §§ 3-4, die den Tast- und Sehsinn exakt in ihrem jeweiligen Vermögen zur Vorstellung der Zwei-, Drei- oder Vierdimenensionalität herleiten.

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einer Aufspaltung seiner Vermögen, die sich einander zuordnen und, um es zu Setzung, Einheit, innerer Übereinstimmung und Durchdringung zu bringen54, implizieren müssen, dann können schon diese Segmente fließen, variieren und sich verschachteln, ohne seine Definitheit preiszugeben, überdies brauchen sie in einer Serie, die kraft Implikation die Aktualität und Einheit eines Bewusstseins verkörpert, nicht notwendig nur einmal vertreten zu sein. Die Bedingung aber, dass sie aus einer Auffächerung und notwendigen Strebung, mehr, einem regelrechten Fächer mitsamt notwendigem Brenn- oder Knotenpunkt – anstatt der allfälligen Tafel oder Fläche – hervorgehen, wird sich niemals verändern. Der moderne Zeichenbegriff der Semiotik und Pragmatik (Saussure, Lyons) dürfte bereits hinreichen, dies umstandslos einzusehen, muss er doch so verschiedene Leistungen wie Akustik (Phon und Phonem), die Imagination (ein semantischer Anteil an der ‚Bedeutung‘), den Intellectus (Begriff), das Gedächtnis (zentrale Systemleistung), die Vorahnung (wesentliche Komponente von Syntax und Grammatik), schließlich eine wesentliche Differenzierungsleistung, die mit Sprecher-Hörer-Implikationen zusammenhängt55, auf einmal beherrschen und involvieren, i.e. ordinieren.

IV Veranschaulichung des bislang vorgestellten Zusammenhangs oder Theorems. Freilich sind Zweifel an der Möglichkeit, originären Eigenschaften und Äußerungen des menschlichen Bewusstseins eine geometrische Veranschaulichung zukommen zu lassen, berechtigt (und nicht erst im Hinblick auf Plato). Nichtsdestotrotz hat Kant selten auf die Möglichkeit verzichtet, zeitliches Bewusstsein durch den Verlauf einer Linie darzustellen, womit insbesondere das essentielle Moment der Kontinuität impliziert war. Überdies ist hiermit nicht bereits entschieden, ob dem Bewusstsein selber, wo es, weithin anerkannt, über reine, intuitiv zugängliche Anschauungen verfügt, nicht auch eine geometrische 54 Die, charakteristisch, nicht einfach eine Leistung der Urteilskraft sein kann (wie soeben, Baumgarten, Metaphysica, § 606), wenn diese, nach der erkannten Vermittlung, die Subordination der Vermögen begreift. 55 Hier und anderorts: Roland Posner, „Believing, causing, intending: The basis for a hierarchy of sign concepts in the reconstruction of communication“, in: René J. Jorna, Barend van Heusden, and Roland Posner (eds.), Signs, Search, and Communication: Semiotic Aspects of Artificial Intelligence, Berlin, New  York 1993, S.215-270; sowie Posner, „Pragmatics“, in: R.Posner, Klaus Robering, Thomas A.Sebeok (Hg), Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, Berlin-New York 1997, S.219-246.

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Veranschaulichung in einer wesentlichen Weise zukommen könnte. Die Veranlagung geometrischen und originären Bewusstseins muss sodann nicht bei der rudimentären Analogie gleich Veranschaulichung verharren, (wofür Kant selber Anlass bietet, wie sogleich zu sehen, und ohne noch an den berühmten Vergleich von Leibniz über die zählende Seele zu erinnern, der freilich in die andere Richtung geht, womit die Musik zu seinem respektive ihrem Gleichnis wird). So schließt etwa die Perspektivität, sobald sie als Natur des Bewusstseins verankert ist, auch die Eigenschaft der projektiven Dualität ein (Austauschbarkeit von Punkt oder Linie innerhalb jedes Theorems zur Geradenschar), und das Theorem über die harmonikale Auffächerung einer (oder mehrerer) Knotenstrecke(n) ist mit natürlicher Erfahrung, der Erschließung perspektivischer Tiefe, identisch56. Weiterhin braucht auch die Behauptung, dass das Bewusstsein aus seinen aktualen Vermögen notwendig eine Faszikel eingeht – eine Nach- und Unterordnung, unabhängig, wenn auch gemeinsam mit deren Leistungen –, die zugleich einen gemeinsamen Knotenpunkt involviert (den die Tradition vor Husserl und seinem ‚Ichpol‘ den Punkt der Apperzeption genannt hätte), auf deren Veranschaulichung nicht zu verzichten. Um dies einzusehen, muss sich die philosophische Darlegung gleichwohl für einen Augenblick auf die Genauigkeit der mathematischen Darstellung einlassen, in der Hoffnung, eben diesen besonderen Gewinn der Veranschaulichung davonzutragen. Auch wenn die Behauptung über die faszikuläre Veranlagung und Verwirklichung des Bewusstseins – es meint, wie erläutert, dass (i) sich die menschlichen Vermögen notwendig in einer bestimmten Form ineinanderfalten oder auffächern müssen – zuerst und vor allem aus sich selbst erschließbar ist und sein muss, so enthält die folgende Proposition II von Poncelet, zugleich ein einführendes Beispiel für die insgesamt weniger geläufige projektive Geometrie, immerhin (ii) einen bestimmten Punkt als ihr Zentrum, der durchaus verdient, als das Zentrum der  – nunmehr ernst gemeinten – p­ rojektierten Einheit im Sinne Kants verstanden zu werden, sogar als die ideale Bedingung der projektiven 56 Der Harmoniebegriff hat eine jahrhundertealte Tradition in der Musiktheorie, gestützt auf mathematische Beziehung, die selbst in modernen Lehrbüchern nicht fehlt (Cederberg 2000, S.229). Ein Beitrag der den Zusammenhang Plato – Leibniz und die übergreifende ideale Bedeutung der Harmonie ins Auge fasst: Patrick Riley, „Music as All-Embracing Metaphor: Leibniz on Harmony“, in Vf. (Hg.), Leibniz, die Künste und die Musik: ihre Geschichte, Theorie und Wissenschaft, München 2007, S.118-128, und zum Harmoniebegriff ebd., Hans Poser, „Der Leibnizsche Harmoniebegriff als Einheit in der Vielheit“, S.129-146. Der insb. Zusammenhang der harmonikalen Beziehung zur projektiven Geometrie findet sich u.a. bei Couturat und Lambert (s.w.u.).

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Veranlagung des Bewusstseins, insoweit ihr noch nicht die empirische Bedingung, das bestimmte Eingreifen und Vergegenständlichen eines Welthorizonts, einverleibt ist, der in einem aktualen Bewusstsein stets hinzutreten muss. Die folgende Abbildung57 (Abb.1): Poncelet, Applications d’analyse et de géométrie […], Proposition II.

57 Jean-Victor Poncelet, Applications d’analyse et de géométrie, qui ont servi, en 1822, de principal fondement au ‘Traité des propriétés projectives des figures’, I, Paris 1862 (Mallet-Bachelier), proposition II, S.4-6: „Étant donnés sur un plan trois cercles (C), (C’) et (C’’); soient menées à ces cercles, en les considérant deux à deux, les tangentes extérieures et intérieures qui leur sont communes, elles détermineront par leurs rencontres respectives, les six points O, O1, O’, O1’, O’’, O1’’: ou bien, ce qui est plus général, soient déterminés pour chaque couple de cercles en particulier, les deux points où se coupent les droites menées aux extrémités de deux rayons parallèles quelconques, dirigés dans le même sens ou en sens contraire; on obtiendra de la sorte six points, qui sont les mêmes que les précédents, lorsque les tangentes sont possibles. / Cela posé, les trois points O, O’, O’’ seront situés sur une même ligne droite; pareille chose aura lieu pour le système des trois points O, O1’, et O1’’, pour celui des points O’, O1’, et O1’’, et enfin pour celui des points O’’, O1, et O1’ “.

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behauptet in Verbindung mit Proposition II, dass bei drei Kreisen (C), (C’) und (C’’) in einer Ebene, indem man sie jeweils zwei zu zwei in Betracht zieht, die ihnen gemeinsamen inneren und äußeren Tangenten durch ihr jeweiliges Zusammentreffen die Punkte O, O1, O’, O1’, O’’, O1’’ bestimmen [um die Erschließung abzukürzen, es handelt sich um die durchgezogenen Linien]; oder aber allgemeiner ausgedrückt, dass für jedes Paar von Kreisen die beiden Punkte bestimmt werden, wo sich die Geraden schneiden, die von den Grenzpunkten jeweils zwei beliebiger paralleler Radien aus geführt werden, und zwar in derselben Richtung oder in Gegenrichtung. Auf diese Weise erhält man sechs Punkte, welche dieselben wie die vorhergehenden sind, sobald die gemeinsamen Tangenten möglich sind [zur Erläuterung: CR ist parallel zu R1’C’R’ und R1’’C’’R’’, und etwa R’R’’ verläuft durch O, die Gerade R’’R durch O’, die Gerade RR’ durch O’’]. Die Proposition behauptet weiterhin, dass unter dieser Voraussetzung ein Charakteristikum der projektiven Geometrie erfüllt ist (das Desargues eine Involution genannt hätte), indem sich geordnete Paare von jeweils drei Punkten ergeben, die auf einer gemeinsamen Geraden liegen, nämlich O, O’, O’’, sodann O, O1’, O1’’ und O’, O1, O1’’, schließlich O’’, O1, O1’. Der Beweis stützt sich auf die Ähnlichkeitsbeziehungen paralleler Dreiecke oder darauf, dass sich aufgrund der parallelen Seiten der Dreiecke (p.e. CRO’’, C’’R’’X) die jeweiligen Ecken „homolog verhalten“. Infolgedessen ergibt sich stets ein Syllogismus, demzufolge alle durch O charakterisierte Punkte jeweils auf einer gemeinsamen Geraden liegen (a 3). Hinsichtlich der Allgemeinheit der Proposition gilt, dass sie in jedem Fall gültig ist, „gleichgültig wie sich die relative Position der Kreise (C), (C’) und (C’’) verhält“. Schließlich führt das Scholium aus, dass das System der Konfiguration in jedem Fall auch einen bislang nicht angeführten Punkt I enthält: „Man kann darüber hinaus bemerken, dass bei den gegenüberliegenden Seiten der beiden Dreiecke CC’C’’ und O1O1’O1’’, die sich jeweils in den drei Punkten O, O’ und O’’ schneiden, welche auf einer [gemeinsamen] Geraden liegen, die drei Geraden CO1, C’O1’ und C’’O1’’, die jeweils die gegenüberliegenden Ecken verbinden, durch einen gemeinsamen Punkt I verlaufen“. Obgleich dieser Punkt I nur eine beiläufige Größe des Theorems darstellt (die keinen Beweis erfordert), stellt er sein eigentliches Zentrum dar, wenn auch, logisch gesehen, auf einer anderen, höheren Ebene als die drei Kreis(systeme). Dass wiederum anschauliches Bewusstsein das logische involviert, bildet einen der Hauptgegenstände dieser Abhandlung, und somit dient dieser Punkt I bereits als Evidenz für die Klassifikationsmöglichkeit aus Anschauung. Wenn nun, in Anlehnung an die Redeweise von einem „Horizont der Begriffe“ (KrV A658-659/ B686-687), auch die beiden übrigen Vermögen, also Sensus und Imagination, 21

jeweils einen solchen eigenen Horizont erhalten, denn es bestünde ja kein Grund, den übrigen Vermögen ebenso eine eigentümliche Sphäre der Ausbreitung vorzubehalten, wenn doch ohnehin jeder empirische Begriff, der hier die Voraussetzung bildet, mit seinem Schema und sinnlichen Korrelat einhergehen muss, dann würde jeder der drei Kreise einen verschiedenen Horizont verkörpern bis hin zu seinem Zentrum, in dem jeweils ein Begriff (so Kant), dessen imaginatives Schema und eine konkrete sinnliche Anschauung verkörpert ist. Der Punkt I wäre sodann nicht etwa, wie leicht zu verwechseln, der „Standpunkt der höchsten Gattung“, sondern freilich jener, aus dem die Koinzidenz der drei Mittelpunkte und ihrer Sphären möglich ist, also der Punkt der transzendentalen Apperzeption, noch in Differenz zum jeweiligen „Standpunkt des Zuschauers“, wenn dieser jeweils mit dem Zentrum seiner sphärischen Ausbreitung (oder C, C’, C’’) einhergeht. Nun muss sich freilich – mit Kants Hauptregel, dass apperzeptives Bewusstsein oder jede Erkenntnis, die sich in einem Urteil zusammenfasst, die Anschauung, sie sei Einbildung oder Empfindung, dem Verstandesvermögen unterordnet – die logische Gleichrangigkeit der Kreise auflösen, i.e. sie müssen auf der Basis ihrer Homologie und nicht nur Homogenität (die gemäß Kant das hergebrachte Prinzip non datur vacuum formarum oder die Entfaltung der Horizonte in Arten und Unterarten erklärt) eine Implikation respektive Ordination ermöglichen: ein koinzidentes Zusammentreten und Subordination. Für die „projektierte Einheit“ wiederum galt, sie stellt einen hypothetischen Gebrauch der Vernunft dar, welche darauf aus ist, einen möglichen Zusammenhang unter den Begriffen herzustellen respektive sich deren problematischer Allgemeinheit untereinander anzunähern, woraus wenigstens folgt, sie hat regulativen, nicht konstitutiven Charakter und bedeutet somit nicht eine Gegebenheit an sich, sondern als Problem eine „bloße Idee“. Hier wie dort benutzt Kant die Begriffe „Horizont“ und „projektiert“ ohne weitere Erläuterung, was nicht ohne nachhaltige Auswirkung auf den Begriff der empirischen Anschauung, anderwärts die Etablierung der Erkenntnis als angeführte Unterordnung der Vermögen bleiben kann, nicht zu reden von jedweder Bedingung der Möglichkeit von, somit des synthetischen Urteils, da der projektierte Gegenstand – in der Region des Ansich gelegen – an seiner Konstitution wesentlich teilhaben muss. So wird also, macht man Ernst mit einer (empirischen) Veranschaulichung des gleichermaßen empirischen „begrifflichen Horizonts“, insbesondere aber mit der Forderung, dass in der Einheit eines Bewusstseins die Vermögen eine Ordination als Subordination oder Implikation eingehen müssen, das Bewusstsein eine Form der Ineinanderfaltung wählen müssen, bei der jeweils der Kreis C, C’ oder C’’ den logischen Vorrang besitzt, um sich die anderen in dem Augenblick, in dem er sie, Ausdruck seiner Einheit, alle zugleich erfasst, „unterzuordnen“, i.e. gegenseitig, jedoch in 22

verschiedener Form, zu bestimmen. Die entsprechende Basisformel (und ihre möglichen Alternativen) werden weiter unten erläutert, jedenfalls kann das Bewusstsein in seiner Aktualität nicht darauf verzichten, die drei Basishorizonte einander exakt zuzuordnen, will es Unklarheit, ja Verworrenheit und den bloßen Zustand der Aggregation überwinden. Sodann besteht aber auch kein Grund anzunehmen, nur der Verstand, gesetzt C in seiner differenten Ausbreitung zu C’ und C’’, denn diese brauchen ja keineswegs beständig umfänglich identisch sein, sei imstande, die anderen zu bestimmen respektive sich unterzuordnen, wenn doch ohnehin eine Projektion aufeinander möglich und – unbedingt oder wesentlich ist. Beides, die Varianz in der Möglichkeit der Implikation und die projektive Bedingung an sich, verbleibt es somit im Folgenden nachzuweisen. Wobei, nunmehr unter Voraussetzung einer ernsthaften Veranschaulichung, der Begriff Fusion, dem das Bewusstsein seit der Neuzeit in einem zumeist pejorativen Sinne unterworfen wurde, einen zugleich definitiven und positiven Sinn erhält, der das Zentrum betrifft. Dieses Zentrum, der Punkt I, verdient auch deshalb als eine Veranschaulichung des Bewusstseins aus der aktualen Veranlagung seiner Vermögen anerkannt zu werden, da er, indem er der Perspektivität (oder dem Satz von Brianchon und Dual des Satzes von Pascal) gehorcht, mit der natürlichen Basis der Raum-, mithin gegenständlichen Wahrnehmung des Bewusstseins einhergeht (freilich im Gegensatz zur transzendentalen Ästhetik, insoweit Kant hier als erster theoretischer Bürge über die gesamte Veranlagung des Bewusstseins eintreten soll. Hilbert im Übrigen hielt die „Brianchon-Pascalsche Konfiguration“ für die „wichtigste Konfiguration der Geometrie“58, was angesichts seiner Grundlagen nicht verwundert). Er muss somit, imstande auch dem geschichtsträchtig punktuellen Zentrum der transzendentalen Apperzeption eine Veranschaulichung zukommen zu lassen, da doch ihre Instanz als Erfahrung verlangt, die Anschauung einzubinden, auch das Ichbewusstsein verkörpern. Gleichwohl, und bezeichnend, nicht als »reine« Setzung noch als Ergebnis eines Prozesses der Erkenntnis (wie ihn ja auch Kant nicht wirklich zu behaupten vermöchte, um die Geltung der Apperzeption zu erklären), sondern erworben aus und einhergehend mit seiner eigenen Projektion (die wiederum nicht mit dem bloßen Sein oder Essential zu verwechseln, das mit ihr einhergehen muss). Hieraus, aus der wesentlich projektiven Basis, ergeben sich sodann weitere Möglichkeiten, die Beziehung interindividueller Verknüpfung oder das Verhältnis zum alter ego im Sinne Husserls zu begreifen, vielleicht sogar Möglichkeiten, das „we intend“ 58 Toepell 1986, S.36.

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im Rahmen der kollektiven Intentionalität zu erklären59, die nicht weiter verfolgt werden sollen. Gleichwohl muss das Bewusstsein methodisch und faktisch nicht mehr so isoliert begriffen werden, wie es in der Neuzeit der nahezu uneingeschränkte Standard geworden ist.

V Überschlägt man diese Verhältnisse auf die Urteilskraft, so verliert sie ihre abgesonderte Stellung neben, und über, den Vermögen (wie sie bei Kant, überdies mehrdeutig, erscheint60), um sich stattdessen in dieses Zentrum, dies sei der zentrale Knoten oder Nodus im Faszikel der Vermögen, aufzulösen, da sie einer steten, immanenten Bestimmung – keiner sporadischen, und jeder eventuelle Sprung in der Bestimmung unter den Vermögen mag ein echtes Problem sein, den zentralen Nodus festzulegen respektive exakt nachzuempfinden – bedürfen, aus der heraus und durch die sich das Bewusstsein in seiner eigentümlichen Historie und Erkenntnis errichtet (denn freilich kann es sein, dass sich bestimmte erkenntnistheoretische Einstellungen lange erhalten). Überdies mag es sein, das Bewusstsein hat gelegentlich, je nach seiner inneren Bewandtnis, auch ein Bewusstsein von seiner Beschaffenheit hinter respektive über der Ebene des aktualen Knotens (als regio idearum und/oder geteiltes Unterbewusstsein, hervorgerufen durch den Reziprok- oder Spiegelfächer, der sich angsichts eines manifesten, wirklichen Bewusstseins entfaltet61). Als wirksames Zentrum der zugleich Unter- und Überordnung (oder Ordination der einzelnen Vermögenssphären) erfordert er nicht zusätzlich, sein Bestehen durch eine darstellende ‚Entität‘, gleichgültig ob abgesondertes Vermögen oder als Werk der Ideen, zu erklären, es sei denn, kraft repräsentiver Beziehung auf die Prädikation zu dem 59 John Searle, The Construction of Social Reality, New York (The Free Press) 1996, 1.ch., S.25-26. 60 In KrV ist Kant noch geneigt, über die Funktion der Einheit den Verstand mit ihr zu identifizieren (KrV A 69/B94 versus A 132/B 171). Fichte, in dessen Wissenschaftslehre sich ein Rest der Fakultätenlehre zusammenzieht, sieht in ihr: „das bis jetzt freie Vermögen, über schon im Verstande gesetzte Objekte zu reflektieren, oder von ihnen zu abstrahieren, und sie, nach Maßgabe dieser Reflexion oder Abstraktion, mit weiterer Bestimmung im Verstande zu setzen“ (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, II. § 4, in: Werke II/1, S.381 = Hamburg 1979, S.160). 61 Womit wir dem Platonismus eine andere Wendung gegeben. Zur Bedeutung des Spiegels in Kürze: Hans Radermacher, „Dialektik“, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg.v. Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner und Christoph Wild, Band 2, München 1973, S.290-309, 296-297.

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einzigen Zweck, das gleichfalls originäre Sprachvermögen anzuzeigen62, (wobei der soeben erläuterte Brenn- oder Schnittpunkt (I) immerhin die Möglichkeit seiner Anzeige darstellt, die notwendig gleichzeitige, sodann koinzidente Ausbreitung der Vermögenssphären vorausgesetzt). Die Absicht der sprachlichen Darstellung dieses Zentrums (als Fokus manifesten, situierten und ordinierten Bewusstseins), die – im heutigen Kontext – sofort mit dem Vermögen zur diagrammatischen Darstellung in Konkurrenz tritt, zeichnet sich in der theoretischen Philosophie Kants trotz der Kritik der Urteilskraft immerhin ab, um den Preis einer nicht geringen Spannung am Verhältnis der Kategorien- zur Urteilstafel, das in der neueren Interpretation eine besondere Prononcierung erlangt hat63. So besehen, steckt hierin zugleich die Tendenz, die Analyse des Bewusstseins nicht bis zu den bereits verankerten Konsequenzen fortzubringen. Die Urteilskraft als Urteilskraft ist ansonsten, noch vor der Sprache, zu eng mit dem Problem und Ausdruck von immanenter Bestimmung verknüpft, als dass deren Wirkungsweise, indem sie verlangt, auf den wahren Grund zurückkehren zu können, zur Gänze in ein einziges, sich hierbei veräußerlichendes Vermögen übergeschlagen werden könnte: – dass im Bewusstsein Ebenen, der Möglichkeit nach auch sekundäre Knotenpunkte (und nicht nur Begriffe oder ‚Vorstellungen‘) zu veranschlagen sind64, wurde bereits angenommen, und sobald eine ungebundene, scheinbar frei ‚assoziierte‘ Erinnerung und Vorahnung, deren Herkunft vielleicht gar nicht zu ermitteln ist, mit einem aktualen, gebundenen Bewusstsein in der Erfahrung koalieren, liegt die Einsicht in die Möglichkeit einer natürliche Verkettung von Ebenen, sogar von Knotenpunkten (N1,2,3…n), in denen sich seine Historie manifestiert, nicht fern, und es ist hiermit keineswegs die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neuralgische Schwelle, der Überschritt in die Psychologie, vollzogen (den Phänomenologie und Neukantianismus, der Neopositivismus, die Konzeption der Soziologie bei Durkheim allesamt ablehnten65).

62 Worin sich die wesentliche Anfechtung der neueren Philosophie gegen die klassische Metaphysik niederschlägt (vgl. p.e. F.L. Jackson, „Post-Modernism and the Recovery of the Philosophical Tradition“, in: Animus, Vol. 1 (1996): Recovering the Tradition, S.10-14). 63 Vgl. den gesonderten Abschnitt weiter unten mit Arbeiten von Brandt, Wolff, Longuenesse. 64 N bedeute Nodus, und die Chiffrierung n einen Unterknoten, etwa im Rahmen der Verbindung eines historischen mit einem Aktualbewusstsein, also N1, 2, 3 etc. 65 Was Durkheim betrifft, p.e. Émile Durkheim (1892), „La contribution de Montesquieu à la constitution de la science sociale“  (Bordeaux 1892), in: Montesquieu et

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Trifft es aber zu, dass die Erkenntnis in ihrem Vollzug die „Prinzipien“ (als „Kategorien“) hinter sich lässt, denn „sie selbst bleiben in dieser Gegenstandserkenntnis unerkannt“66, dann gilt dies nicht weniger für die Urteilskraft selber, deren Leistung somit a priori nicht auf das einzelne, sondern auf die Beziehung von theoretisch, i.e. der Möglichkeit nach allen Vermögen zurückgeht, ohne dass eine Bestimmung nur vom Intellectus ausgehen könnte. Das Vermögen, die Leistung und drittens die Auswirkung (Erstreckung und Durchdringung), gesetzt, hier muss ihre Beziehung untereinander als Implikation greifen, sind aber innerhalb des Bewusstseins a fonte verschieden, ganz gleichgültig gegenüber der Entscheidung, ob man seine angeborene Kunst („l’Art“), die eine „Détermination“, eine „Réflexion“ und einen „Accord“ umfasst, in Anlehnung an Kant so begreifen möchte, qu’il „[ne] réintroduit [que] simplement l’idée d’harmonie et de finalité“67: es wäre, Grundmotiv einer je nach Betrachtung Erneuerung oder Bekräftigung der älteren Metaphysik (als wenigstens metaphysische Beziehung), in jedem Fall falsch oder Täuschung, die Logik erst bei den Leistungen, insbesondere begrifflichen anzusetzen68, womit freilich auch der aristotelische Horizont weit, und dies schon mit dem wesentlichen Schritt Kants zur Subordination unter den Vermögen, überschritten ist. Anderwärts, und erwähntes Hauptmotiv, muss das Bewusstsein über eine instantane Sicherheit verfügen, bei der es, sobald die Sinnlichkeit den Eingang oder die Gegebenheit ausmacht, nicht erst auf Reflexion angewiesen ist, um seine intellektualen Ressourcen zu entdecken – was wiederum, und insbesondere, wenn die hierzu erforderliche Logik ins Spiel kommt, bei Erhaltung von Originalität und Rationalität offenbar nur durch eine einzige Basisrelation zu lösen ist, die projektive, die projektive respektive polare, indem sie in der Erhebung ihres Ursprungs eine echte Mehrseitigkeit – notwendige Basis realer (und nicht nur theoretischer) Orientierung – bis hin zum direkten Gegensatz gestattet69: das Aufeinandertreffen von Gesetztsein und Setzung (was hinsichtlich Fichte weiter unten gesondert behandelt wird, und womöglich das

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Rousseau, précurseurs de la sociologie. Paris (Librairie Marcel Rivière et Cie) 1966, S.25-113 (Série B. Les Classiques de la sociologie. Collection Petite bibliothèque sociologique internationale dirigée par Armand Cuvillier). Nicolai Hartmann, „Geschichtliches und Übergeschichtliches in der Kantischen Philosophie“, in: Joachim Kopper und Rudolf Malter (Hg.), Materialien zu Kants »Kritik der reinen Vernunft«“, Frankfurt 1975, S.205. Gilles Deleuze, La Philosophie critique de Kant, Paris 1963, S.98. Vgl. die heutige Polarität, die sich in der Beweisform des Syllogismus niederschlägt, einmal aus Begriff und deren Formalisierung, dann aus den Venn-Diagrammen. Vgl. Abschnitt zu Fichte, insbesondere Schluss.

Kardinalproblem der Transzendentalphilosophie70). Wobei schon vorauszusetzen ist, dass die Ansprache – und inkludierte Bestimmung – des Intellectus (auch) von Seiten der Sinnlichkeit geschieht, und ihre, oder seine, Isolation, als ob nicht sofort der Fächer sich öffnete, ist ein anderer verbreiteter Fehler (dessen neueren Ursprünge mit dem Modell analytischer Distinktheit zusammenhängen71). War es der Dogmatismus, qui „affirmait une harmonie entre le sujet et l’objet“72, so wird er durch den Nachweis des erwähnten Fundaments in der Bestimmung nicht einfach erneuert. Ganz im Gegenteil, der Hauptteil dieser Abhandlung, in der sich ein historischer Teil mit einem Plädoyer für die Grundlagen einer neuen Methode verbindet, wobei jener wesentliche Teile der Beweislast, dieser aber die Bürde trägt, Projektion und projektive Leistung als Natur des Bewusstseins zu verankern, führt am mittelbaren (übergeordneten) Ende dazu, dem im insbesondere 20. Jahrhundert erwiesenen tragischen Verhältnis, das sich an der Negativität (Adorno, kritische Schule) und in der Kunsttheorie bis hin zur offenen Proklamation der ‚scission‘ (Dufrenne) bekundete73, die Möglichkeit einer Einheit vorzuführen, die zugleich theoretisch und natürlich ist74. Gleichwohl, sie ist kein Manifest einer dialektischen Prozedur und auch kein Produkt einer besonderen, langwegigen Überschau im idealen Gebäude gegenüber einer widerstrebenden, für sich negativ verharrenden Erfahrung, um schließlich die Rekonziliation, Versöhnung, zu finden (Henrich)75. Denn die eigentümlich geforderte Immanenz, spontanes In-sich-Verharren, bei der es nicht aufgibt, ein unbedingtes Real- und Parallelbewusstsein zu sein, vermag das Bewusstsein nicht zu erreichen, sobald es sich aus der Dialektik der Negativität als erste Vorstellungsbedingung auf den Weg zu sich selbst begeben hat, vorschwebend als sein Ansich und stets ein 70 Hierfür können alle Verwendungen der Projektion unter den nachgelassenen Schriften, insb. Band 8, zur Wissenschaftslehre (Vortrag 1804) herangezogen werden: J.G. Fichte, Die Wissenschaftslehre (Vortag 1804), in: Gesamtausgabe der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth & Hans Gliwitzky, Nachgelassene Schriften, Band 8, Stuttgart-Bad Cannstadt 1985. 71 Eine der zahlreichen Wiederaufnahmen: J.  Michael Young, „Functions of thought and the synthesis of intuitions“, in: Paul Guyer, Kant, Cambridge, CUP 1992, S.101-122, 110-111. 72 Deleuze 1963, S.98, 23. 73 Jean-François Lyotard, „À la place de l’homme, l’expression“, in: Revue Esprit (1969), Nachdruck Januar 2004 (www.esprit.presse.fr/). Dufrenne erscheint in seinen Schriften freilich gemäßigter als diese Interpretation durch Lyotard, die positivistische und postidealistische Subjekt-Objekt-Spaltung unbenommen. 74 Zu den Wurzel bei Leibniz und insoweit die Kunsterfahrung verbürgt: Gaede 1981. 75 Dieter Henrich, Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Metaphysik nach Kant?, Stuttgart 1988.

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anderes seiner selbst. Ohne den Doppelsinn kontinuierlich zu bekräftigen, der sich hierbei herausstellt, haftet aber der Bedeutung von Fakultät, gehört sie als Projektion zu Wesen und Veranlagung des Bewusstseins, und mithin ist sie Vermögen und nicht nur Vorstellung, die Möglichkeit an, dass es eine Einstellung des Bewusstseins geben muss, in der ein Objekt oder Gegenstand, eine Situation der Realität differenzlos mit dem Vorstellungsgrund oder Subjekt koinzidiert – und, in diesem Sinn, eine Identität erübrigt (wie sie die Raumvorstellung freilich umstandslos erfüllt). Jede Vorstellung, in der sie nur ein Auswerfen (ejectio) bedeuten soll (in Parallelität zu Setzung qua Bewusstsein), muss eine Amputierung ihres Begriffs, mehr, ein wesentliches Unverständnis darüber verkörpern, wie sie notwendig aus einem Produkt hervorgeht und, als Koinzidenz, ein bestimmtes, einzigartiges Resultat erübrigt (das wohlgemerkt der Natur, nicht einer Reflexion oder allein diesseitigen Vorstellung des Bewusstseins zuzusprechen ist): der Realismus hat demnach hier seine wesentliche Wurzel, und die Subjekt-ObjektSpaltung geht dazu über, vorrangig ein unmittelbar soziales und nicht theoretisches Problem darzustellen, gewissermaßen die Naht- oder Sprungstelle, wo die philia in der aristotelischen Gemeinschaft nicht (mehr oder nie) funktioniert. Dass sie wiederum tatsächlich ein Vermögen repräsentiert, zeigt sich an der ­Variabilität als eigentümliche Fächerung der Vorstellungen, die – bei strenger Korrelation – aus ihr hervorgehen, darüber hinaus, dass sie die eigentliche Basis der Orientierung darstellt – Basis der Koordination mit der Umwelt, die Kant mit einem Gefühl identifizierte und, Tendenz bis heute, des geistigen Vermögens, sich auf eine ausschließlich ideell angesetzte Sphäre einzustellen –, so dass, wie auch in der Mathematik, sich die Veranlagung des Bewusstseins mit ihrer Hinzunahme wesentlich verändert. Im Einklang mit dem Rationalismus hat auch er, Kant, die erste Bedingung nicht benannt, wenn er gelegentlich von den ­‚logischen Horizonten der Begriffe‘ spricht, und die platonische Anerkenntnis der projektiven Veranlagung noch ganz beiseite gesetzt (als sei sie das bloße Spiel unter Malern, vielleicht Himmelsforschern76). Zusammen genommen, muss es ein (quasi) empirisches, von seinen Bedingungen her freilich ebenso normatives Gegenstück zu idealem Bewusstsein geben, solange sich dieses auf seine (vermeintlich) völlig spontane, „von der Sinnlichkeit ganz unabhängige“ Kategorienleistung stützt77. (Was, in seiner Absolutheit, nicht zutreffen kann, wie schon der echte, uneingeschränkte

76 Christian Wolff, Mathematisches Lexicon, hg. u. bearb. v. J.E. Hofmann, in: Gesammelte Werke I/11, Hildesheim 1965, Art. „Projectio“, S.1104-1105. 77 KrV A57/B81, A 64-65/B 89, A 137/B 177.

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Überschlag aus transzendentaler Idealität und empirischer Realität gewärtigt, so dass sich die latente Einfallsbrücke der analytischen, i.e. Sprachphilosophie, zu erkennen gibt, worauf insgesamt mit einem Modell der Erkenntnis geantwortet wird, das die Konvertibilität voraussetzt). Nicht nur, dass es Wahrheit, die in der rechtmäßigen Anwendung der reinen Verstandesbegriffe als Teil zur transzendentalen Logik gehört, davon befreit, stets nur einem nackten Gegebensein anhängen zu können78 (als ob die Analysis des Bewusstseins tatsächlich mit einer anderwärts absoluten Gegengrenze, einer Zensur der Daten, begänne, die es ja allen unmittelbaren Tatsachen gegenüber immer erst erwirken muss: seine Natur, durchaus in Analogie zum Sprachvermögen, ist eine ‚Mitte‘, i.e. ein bestimmtes Äquilibrium oder Durchschnitt und nicht etwa Indifferenz, ganz ebenso wie seine traditionelle Stellung unter den Lebewesen seit der erneuten Betonung durch Pascal, Leibniz79). Sondern dieses Gegenstück wird, indem es Ausdruck einer „empirischen Deduktion“ ist und wenn dies bedeutet, der »Zentralvektor« oder die Orientierung des Bewusstseins wächst mit seiner Verhaftung in der Realität, nicht mit dem Ursprung seiner selbst, ohne aber diesen wegen der projektiven Veranlagung leugnen zu müssen, auch tatsächlich die »Kunst« (als l’art de jugement) vorzuführen imstande sein, „wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe erworben [wird] und daher nicht die Rechtmäßigkeit, sondern das Faktum betrifft, wodurch der Besitz entsprungen“80. Die Empirie verkörpert nicht den unbedingten Zwang der Zerstreuung, die ihm das kritische Vorurteil als transzendentale Doktrin auferlegt, noch den der absoluten Uneinsehbarkeit. Die Rechtmäßigkeit, die Kant an dieser Einstellung in der Tradition bezweifelte, indem sie sich stets wie ein ursprüngliches Gesetztund ein geradezu Außer-Bewusstsein behauptete, beruht aber darauf, dass die logische Wurzel, die gesamte Veranlagung zum Kalkül (für das er einstweilen nur sprachliche Urteilsformen und insbesondere ein Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem einzusehen imstande war81) und dessen unmittelbare Auswirkung, wenn sie sich zuerst, a fonte, unter den Beziehungen der Vermögen niederschlägt, auch auf dieser Seite und unter dieser Bedingung wirksam bleiben muss, anstatt einfach abzureißen oder zu zerfallen (wie man anderwärts 78 KrV A 62/B 87. 79 Ebenso Poincaré in der Alternative 2-, 3-, 4-Dimensionalität (1963, §§ 3-5); MichaelThomas Liske, „Wie soll man Metaphysik betreiben?“, in: Philosophisches Jahrbuch, 11.Jg. (2004), S.17-42 80 KrV A 85/B 117. 81 Wie auch ihre Interpreten anerkennen (Wolff 1998, Longuenesse 2004). Letzteres p.e. KrV A 646/B 674 zur Erklärung der „Subsumtion mittels Urteilskraft“.

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annehmen müsste, da die Manifestation einer Ordination unter ihnen bei Veranlagung einer Kategorie – oder eines Urteils – unabdingbar ist). Ist aber die Bedingung mitsamt ihrem nunmehr Fächer auch anderer Möglichkeiten erkannt, der sich innerhalb von Imagination, prognostischem und/oder historischem Bewusstsein, schließlich Kommunikation und sozialem Verkehr zu entfalten vermag, und dieser, der dritte Fächer jenseits von Leistungen und Vermögen, möge dem eingeführten Wesen des Bewusstseins hinzutreten, das es in jedem Augenblick zuerst als ein Bündel – und manchmal auch nur ein »Oszillar«, dies sei Ausdruck eines beständigen Schwankens, wie es Kant als ein „Spiel“ formulierte – seiner Vermögen ist, dann wird, wie schon erwähnt, die Schlichtung des Verhältnisses Subjekt-Objekt keinen Augenblick die Erwartung hegen, es sei jenseits des Sozialen, als Kollektiv oder gesellschaftliche Aggregation, im nur Theoretischen zu lösen. Auf dieser Basis scheint die theoretische Philosophie nicht mehr unmittelbar mit der praktischen, sondern politischen Philosophie (als Philosophie darüber, wie sich eine Gesellschaft oder ein Kollektiv verhält) zu koalieren, welche die wesentlichen Bedingungen aufnimmt. Weniger aber, um Reflex einer historischen Bewegung zu sein, der bereits von Hegel ausgehend in Marx mündete, sondern um wenigstens anzuzeigen, dass die Ordination des Bewusstseins keine reine ‚Angelegenheit seiner Privatsphäre‘ ist, nichts, das nicht zugleich einen sozialen Belang hätte. Mithin auch nicht mit seinem moralischen Vermögen zusammenfällt, sollte dies tatsächlich zur Gänze aus seinem subjektiven Grund zu erklären sein, wie noch Auguste Comte zu Beginn seines Système de politique positive eine Auffassung des Idealismus, insbesondere Kants, aufnimmt und unterstreicht. Zwischen Zähler und Nenner. „Kant holds that our judgements of congruence depend upon intuition; more particularly, he holds that the translation and rotation of figures is an operation we carry out in pure intutition“82. Diese reine Anschauung, indem sie die Bedingung gleichermaßen für die formale und Form der Anschauung oder Sinnlichkeit in sich birgt, stets unterstellt, sie ist auch imstande, eine Konstruktion zu leisten, bei der der Begriff Vorrang hätte, übernimmt vom Historischen her die Position des aristotelischen A priori oder Früheren. Obgleich (angeblich) nicht innerhalb der logischen Gesetze – aus den logischen Operatoren – wirksam (was die neuere Rezeption, insbesondere Friedman, mehr oder weniger offen anzweifelte, im Kontext des non-cognitional content spielt dies hingegen kaum eine Rolle), kommt ihr gleichwohl dieselbe Stellung zu, Ausdruck einer Bedingung von Bewusstsein 82 Sutherland 2005, S.138.

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sine qua non. Die Phänomenologie hat sich mit Vorsatz und programmatischer Erklärung von dieser Tradition zu befreien gesucht. Gleichwohl dienen auch ihr Vorstellungen des insbesondere Zeitlichen mit apodiktischer Geltung. In der Perspektive des Transzendentalproblems – oder Cogito – treten Möglichkeiten des natürlichen, unmittelbaren Erinnerungs- und Ahnungsbewusstseins auf den Plan, um die Kraft der transzendentalen Reduktion vorzuführen. An einer nur kurzen Studie83, die bereits in die Spätzeit der Rezeption dieser neuen Methode hineinragt, bei Jean-Paul Sartre, zeigt sich in nuce, wie die Übertragung eines ehemals Problem der Metaphysik auf die Analyse des Bewusstseins das erwähnte Erklärungsproblem tradiert. Obgleich er zur Natur des Bewusstseins zurückkehrt und generell nicht von Protentionen und Retentionen spricht – und die Zeiten heißen présent, passé, futur oder avenir – gilt ihm, am Ende der Analyse, dass „la forme psychique n’est pas « à être », elle est déjà faite; elle est déja tout entière, passé, présent, avenir, sur le mode « a été ». Il ne s’agit plus, pour les « maintenant » qui la composent, que de subir, un à un, avant de retourner au passé, le baptême de la conscience“84. Statt eines idealen Apriori, gleichgültig ob de intellectu (Leibniz) oder de sensu (Kant), ist es nunmehr ein Gemachtsein (déjà fait[e]), dem sich die „Taufe des Bewusstseins“ verdankt. Der Ausdruck auf der Waage, wird er sich nicht der Offenbarung überantworten wollen, und auch nicht müssen. Die Ausführungen der Einleitung zusammengenommen und angesichts des Zerwürfnisses, in dem sich die klassische und moderne Philosophie offenbart, kann sich wenigstens der Knoten in einer Form entschlüsseln, wie es ihm tatsächlich gebührt: die Logik weicht von den Begriffen unter die Vermögen – und das (nunmehr transzendentale) Apriori erhält hier seinen primären Sinn –, während den Vermögen eine Entfaltung geschenkt wird, die nicht mehr von ihrer idealen Vorstellung oder ihrem vermussten Vorausgedachtsein abhängt. Die Anknüpfbarkeit oder Kompatibilität mit der natur- und wissenschaftstheoretischen Lage seit Beginn des ungefähr 20. Jahrhundert oder Abschied des Kanons sei nur angedeutet, wesentliche Moment verbleiben später im Einzelnen zu zeigen. Hiermit sei aber – in einer Art von Gegenlicht, zumindest Abhebung vom Standardkontext, wie er sich etwa in den Kant-Studien oder, anders gelagert, im European Journal of Philosophy präsentiert, der gleichwohl öfters nicht unschwer, wenn auch nicht einstimmig zu vermitteln – das Resümee der Forschungen zusammengefasst:

83 Studie II aus L’Être et Le Néant, in: Sartre 1981, S.94-102. 84 Sartre 1981, S.101.

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(i) Die Polarität ist schon in der Veranlagung der Vermögen – als Faszikel – verankert, abgesehen von den Leistungen der Projektion im Bereich der (a) räumlichen, dann (b) der Vorstellung überhaupt, mit wesentlicher Rückwirkung auf den Begriff der Person, des Ich, des Individuums (das es in seiner absoluten Distinktheit nicht geben kann); schließlich (ii) ist die Wurzel der Logik in den gegenseitigen Beziehungen der Vermögen zu erkennen und zu etablieren, mit Rückwirkung auf den Bereich der Naturwissenschaften (Empirie), da es zuallererst gilt, die logische Beziehung in einem anderwärts wohlbegründeten und üblichen Bereich für ‚reine‘ Vorstellung, der Mathematik, als ursprüngliches Verhältnis zwischen der Sinnlichkeit und dem Verstandesvermögen in Verbindung mit (a) zahlreichen geometrischen Instanzen, insbesondere aber (b) der Projektivgeometrie durch die Jahrhunderte nachzuweisen, und in diesem Sinne mögen sie sich, ob klassisches Theorem oder nicht, auf Zähler und Nenner verteilen.

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[II.] Theoretische Voraussetzungen 1. Die Konvertibilität des Bewusstseins (oder der Ursprungsort logischer Diskrimination) Die folgende Zitatreihe (Akkolade 1) möge, zunächst im historischen Vorspann, vorführen, wie im Zeitalter des anhebenden und vollendeten Rationalismus ein Schwanken ([1] vs. [2]), wenn nicht eine wesentliche Ambiguität ([3] in sich vs. [4]) bezüglich des Status der Sinnlichkeit fundamental ist – und, am historischen Moment der eklatanten Polarität mit dem Empirismus bemessen (der mit Pasch und Helmholtz in der Mathematik wiederkehrt85), bleiben wird –, während das Organ des Bewusstseins auszubilden im Zentrum steht. Die Forderung der Tangente in einem der Dokumente zur Differentialrechnung ist – unmittelbar – auch Basistheorem der Perspektivdarstellung bei Lambert (die Tangente der Horizontale auf dem Gesichtskreis oder hemisphaera) und bezeichnet ein unschließbares Wechselverhältnis (i.e. die Interferenz) zwischen dem reinen (idealen) und empirischen Raum. Überdies aber, worauf es nunmehr vor allen ankommt, an Entitäten, die einmal ihre Geburt dem Verstand verdanken, das andere Mal und ebenso notwendig, empirischer Sensation (und Bemessung). In diesem Umfeld ‚begeht‘ Spinoza einen Pas [4], dem, wäre er Richtschnur der theoretischen Orientierung, es zukommen müsste, einen neuen fonds (i.e. Grundstück) zu richten, und somit kein faux pas, sondern juste und berechtigt. Das Prinzip, das dahinter steht – […] der Geist durch den Affect [i.e. die Empfindung] so bestimmt werde, das zu denken, was er klar und bestimmt auffasst […] –, gilt es im Folgenden herauszustellen. Der Ort, in dem die Logik im menschlichen Bewusstsein verankert ist, ist von so eklatanter Bedeutung, dass es für das Folgende und überhaupt angemessen erscheint, ihn eigens durch den beständigen Umschlag zu bezeichnen, der in ihm verwurzelt ist. Akkolade 1 [1] „Wie wir wissen, hat die mathematische Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts eine Grundposition der traditionellen Metaphysik verworfen, wonach die sinnliche Welt ontologisch unterlegen, d.h. unvollkommen strukturiert und daher im Gegensatz zur Sphäre transzendenten Geistes rational nicht erfassbar sei, und die Natur als System von streng gesetzmäßigen Relationen aufgefasst, die sich logisch und mathematisch erfassen und formulieren lassen, weswegen sie nicht den Gegenstand einer im Vergleich zur Metaphysik inferioren Disziplin, sondern den Gegenstand der Wissenschaft par excellence (im heutigen Sinne des Wortes) bilden“ 86 .

85 (Wie zit.) Cassirer 2000, S.42-51. 86 Panajotis Kondylis, Die neuzeitliche Metaphysikkritik, Stuttgart 1990, S.275.

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[2]„All dies deutet doch offenbar darauf hin, dass die Menschen eine ganz neue Art der Herrschaft über die Natur erlangen werden, insbesondere wenn einmal unser Organon des Denkens vollendet sein wird, das die Schärfe unseres Geistes mehr befördern wird als das Fernrohr die Schärfe unserer Augen. Doch es soll uns genügen, mit diesem kleinen Exkurs einen Geschmack davon gegeben zu haben, worin der wahre Nutzen der Geschichte liegt: in der Betrachtung der Güte der Vorsehung, im Anspornen der Geister zur Verehrung Gottes, vor allem aber in der Erkenntnis, dass aus der Geschichte die Wahrheit des Christentums erwiesen werden kann und muß“87. [3] „Man muß nur ein für allemal festhalten, daß eine Tangente finden so viel ist wie eine Gerade zeichnen, die zwei Kurvenpunkte mit unendlich kleiner Entfernung verbinden, oder eine verlängerte Seite des unendlicheckigen Polygons, welches für uns mit der Kurve gleichbedeutend ist. Jene unendlich kleine Entfernung läßt sich aber immer durch irgendein bekanntes Differential, wie dv, oder durch eine Beziehung zu demselben ausdrücken, d.h. durch eine gewisse bekannten Tangente“88. [4] „Huic igitur rei praecipuè danda est opera, ut unumquemque affectum, quantùm fieri potest, clarè, & distinctè cognoscamus, ut sic Mens ex affectu ad illa cogitandum determinetur, quæ clarè, & distinctè percipit, & in quibus planè acquiescit; atque adeò, ut ipse affectus à cogitatione causæ externæ separetur, & veris jungatur cogitationibus“89.

Wahrheit & Pragmatik versus Epistemologie & Zeichenprozess. Mit dieser begrifflichen Abfolge, die sich wie eine Analogie ausnimmt und – nach der historischen Einleitung – in die zeitgenössische Philosophie begibt, wird der Brennpunkt (und mit ihm ein Segment) dingfest, in dem sich nach wie vor das zu umreißende Problem – und zu folgernde Prinzip – niederschlägt. Die Wahrheitsbehauptung löst „die Frage aus, wie denn die Wahrheit einer Aussage vom Kontext ihrer Rechtfertigung noch isoliert werden kann“, um die Erinnerung

87 Leibniz, [Der Nutzen der Geschichte, …], in: Babin & van den Heuvel 2004, S.545. 88 Leibniz 1684 (Acta eruditorum), zit. n. Oskar Becker, Grundlagen der Mathematik: in geschichtlicher Entwicklung, Frankfurt/Main 1975, S.162. 89 Spinoza, Ethica, V, Prop. IV, scholium, in: Spinoza Opera II, S.283 (Wir müssen also hauptsächlich hierauf Mühe verwenden, jeden Affect, so viel geschehen kann, klar und bestimmt zu erkennen, damit der Geist durch den Affect so bestimmt werde, das zu denken, was er klar und bestimmt auffasst, und wobei er sich völlig beruhigt, und zwar so, dass der Affect an sich von dem Gedanken der äussern Ursache getrennt und mit richtigen Gedanken verbunden werde“ [B.de Spinoza’s Sämtliche Werke. Aus dem Lat. v. Berthold Auerbach, Band II, Stuttgart 1871, S.217]). Die zugehörige Proposition IV lautet: „Nulla est Corporis affectio, cujus aliquem clarum, & distictum non possumus formare conceptum“.

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an den „sinnlichen Kontakt mit der Umwelt“ zu wecken90. Wenn aber, für den Augenblick hingenommen, die Korrespondenz – stets mit Problem und Behauptung der Äquivalenz verknüpft91 – sich nicht mehr nachweisen lässt, weil „wir mit der Sprache nicht ‚aus der Sprache‘ heraustreten können“, oder „ein sprachlicher Ausdruck“ sich – angeblich – nicht „mit einem Stück der uninterpretierten oder ‚nackten‘ Wirklichkeit vergleichen lässt“, so gilt dennoch, „obgleich Wahrheit nicht auf Kohärenz und gerechtfertigte Behauptbarkeit reduziert werden kann, es muss eine interne Beziehung zwischen Wahrheit und Rechtfertigung geben“92 – zugestanden, ist sie aber ganz anderer Art, als der moderne Vertreter der Pragmatik und Verfechter einer Wahrheitstheorie annimmt, die sich ganz auf einen prozessualen, elaborativen, resultativen Wahrheitsbegriff konzentriert, als ob es den fundamentalen (quasi axiomatischen) nicht gäbe. Es liegt nicht erst am Diskurs – anstatt an der ‚Information‘ – ob etwas wahr oder falsch ist, wie Habermas früher angenommen hatte93, und wenn die Korrespondenztheorie aus dem sprachlogischen Zirkel muss ‚ausbrechen‘ können, um eine Aussage mit einer Tatsache verbinden, i.e. verifizieren zu können, die nicht selber als Gegenstand in der Welt auftreten darf, sich gleichwohl in den allgemeinen Kanon stellen muss, dass sich Tatsachen auf „Erfahrungen stützen oder auf Gegenstände beziehen“ oder „in irgendeinem Sinne ‚gegeben‘ sind“, und zwar in genau dem Sinne, „in dem diese Eigenschaft ‚wirkliche‘ Gegenstände“ als „Erfahrungsgegenstände haben, die ‚etwas in der Welt sind‘“94, dann muss die reklamierte Reformierbarkeit der Korrespondenztheorie mit (a) einem Prinzip und (b), eng verwandt, einer logischen Vorausnahme verknüpft sein, die (obgleich bekannt) noch einmal vorgeführt werden soll95.

90 Jürgen Habermas, „Wahrheit und Rechtfertigung. Zu Richard Rortys pragmatischer Wende“, in: Wahrheit und Rechtfertigung, Frankfurt 1999, S.245. 91 In der neueren semantischen Theorie (Tarski), vgl. eigenständiges Kap. zur Wahrheitstheorie unten. 92 Habermas 1999, S.246. 93 Jürgen Habermas, „Wahrheitstheorien“, in: Helmut Fahrenbach (Hg.), Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, S.217. 94 Habermas 1973, S.215-216. 95 Vgl. w.u. zu Lehrer und das Resümee zu Rorty, der „als Rudiment der kritisierten Korrespondenzfeststellung an dem Objekt festhält, auf das die naturalistische Reduktion hinausläuft, und das heißt an dem ‚reduktionistischen‘ und ‚atomistischen‘ Rechtfertigungsbegriff des Naturalismus“ (Kirstin Zeyer, Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. Die kontroversen klassischen Positionen von Spicker, Cassirer, Hartmann, Dingler und Popper, Hildesheim 2005, S.5-8, 7).

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Die Wiederkehr, gar Rekursion dieses Zwangs (und nicht nur der Rechtfertigung) ist nicht theoretisch. Ist Wahrheit aber unmittelbar in der Erkenntnistheorie und Epistemologie verankert96, so schneidet das Problem „solcher Dinge, die ‚durch sich selbst wahrgenommen werden‘“ (Sixtus Empiricus), durch beide. So lässt etwa Chisholm gelten, dass „für gewisse Proportionen über unsere Glaubenseinstellung und für gewisse Proportionen über unsere Gedanken wir unsere Rechtfertigung sehr wohl durch die bloße Reiteration der entsprechenden Proposition geben können. Und von ihnen kann man sagen, daß sie unmittelbar Evidentes betreffen“97. Im analytischen Kontext bleibt Evidenz hiermit aber das Signum einer Relation, bei der das Bewusstsein als sprachliches sich selber äußerlich bleibt. Die Gegenständlichkeit, die es ausmacht, indem es sich von seiner Ursprünglichkeit, die erste Wahrnehmungsfähigkeit eingeschlossen, abhebt, reflektiert sich in ihm selbst, durchaus im Sinne einer nunmehr Gegenspirale anstatt eines -zirkels (denn wenn Polarität für das Bewusstsein konstitutiv ist, und schon an der Beziehung innen-außen messbar, so dass die Rede von einem internen versus externen Bewusstsein nicht ausreicht98, dann wird unmittelbar erklärlich, wieso innerhalb der Pragmatik und auf der Gegenseite zum epistemischen Bewusstsein „the number of possible dimensions of reference (so-called ‚pragmatic indices‘) of pragmatic signs is indefinite“99). Wechselt man zum Externalismus (als eine der epistemischen Positionen), so wird mit dieser Indefinitheit, freilich eine Verallgemeinerung und kein Status, wenigstens ein Zweig der Relation (zwischen Realität und epistemischem Bewusstsein) dingfest, um insbesondere die kausale Rechtfertigung heraus- bzw. einzufordern (welcher die „nomological oder frequency correlation“ oder eine „counterfactual dependence“ gegenüberstehen, was hinausführt)100. Und mit Wissen und Glauben tritt eine erneute Iteration auf, 96

Vgl. die Position Rohs, in: Christian Helmut Wenzel, „Spielen nach Kant die Kategorien schon bei der Wahrnehmung eine Rolle? Peter Rohs und John McDowell“, in: Kant-Studien 96. Jg. (2005), S.407-426. 97 Roderick Chisholm, „Das unmittelbar Evidente“, in: Peter Bieri (Hg.), Analytische Philosophie der Erkenntnis, Frankfurt 1987, S.194, zu Empiricus S.192. 98 Der Gegensatz ist seit der neueren klassischen Philosophie fest etabliert; abgesehen vom Gegensatz zwischen Internalismus und Externalismus bleibt er auch in Bereichen der Angrenzung an Kant wirksam (Position McDowell-Evans, vgl. Wenzel 2005, S.411-417). 99 Roland Posner, „Pragmatics“, in: R.Posner, Klaus Robering, Thomas A.Sebeok (Hg), Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, Berlin-New York 1997, S.232. 100 Keith Lehrer, „A Critique of Externalism“, in: Louis P. Pojman, The Theory of Knowledge: classical and contemporary readings, Belmont 1993, S.306-319, 312.

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nunmehr intern101, die nicht übergangen sei, obgleich sie konträrer Natur und mehr als nur eine semantische Folgerung aus (G)glauben oder (W)wissen darstellt. Wenn aber im Verhältnis von Causation und Justification Evidenz der Möglichkeit nach umgehbar und ein Belief auf anderem Wege zu gewinnen ist102, dann wird die Verhaftung in der Welt – als evidente Erfahrung – dennoch auf eine theoretische Situation sich berufen können müssen, in der, wie zu zeigen, die Bestimmungsverhältnisse konvertieren (ein nicht zufällig kanonischer Ausdruck in der Darlegung Lehrer’s)103. Sie gilt ihm als „scientifical evidence“ (was die Lebenswelt und den insb. legalen einfachen Zeugen unrechtmäßig verkürzt), gestützt auf eine „reliability of truthworthyness“ und imstande, ein Wissen zu begründen, das sich von allen Möglichkeiten kausaler Verursachung von Belief, wozu auch das Vorurteil zählt, abgrenzt104. Und er erkennt an, dass es eine Konversion in der insbesondere hier gesuchten Richtung gibt, wobei, gegeben, die Frage der Rechtfertigung zunächst ausgeklammert werden darf, da sich im faszikulären, analytisch von Sprache unabhängig resümierten Bewusstsein ganz andere Möglichkeiten ergeben105: „Beliefs or true beliefs having the appropriate sort of naturalistic external relationship to the facts are, as a result of such relationship, converted into knowledge without being justified“106.

Nun ist die Konversion ein Ausdruck, der zunächst zur (aristotelischen) Beweistheorie gehört – mit i- und e-Propositionen lassen sich per Konversion eine Reihe von Syllogismen für gültig, oder ungültig, zeigen107. Dabei zählt sie in ­einem halb­latenten Sinne auch zur Zeichentheorie108, und zwar insbesondere dann, wenn es gilt, den Zeichenbegriff systematisch von allen pragmatischen Einflüssen abzuhalten oder, mit Posner, to contrast „situation-dependent ­pragmatics (in the narrow sense) with the processes of syntactic and semantic encoding and 101 Franz von Kutschera, Grundfragen der Erkenntnistheorie, Berlin 1982, W7-W9, S.13-14. 102 Lehrer 1993, S.316-318. 103 Lehrer 1993, S.307, 308, 310, 312, 315-16, 319. Ein Exempel im Kant-Kontext: „Pure intuitions determine the possibility of knowledge of objects“ (Senderowicz 2005, S.47). 104 Lehrer 1993, S.319. 105 Ein Standpunkt, der in rezenter Erkenntnistheorie in Frage gestellt wurde (vgl. Thomas Grundmann (Hg.), Erkenntnistheorie. Positionen zwischen Tradition und Gegenwart, Paderborn 2001; Zeyer 2005, S.10, anhand des insb. „nicht-begrifflichen Wahrnehmungsgehalts“). 106 Lehrer 1993, S.307. 107 Vgl. Paul Lorenzen, Formale Logik, Berlin 1962, § 2; oder Willard Van Orman Quine, Grundzüge der Logik, Frankfurt 1969, §§ 13-15. 108 Posner spricht direkt von einer „inversen Relation“ (Posner 1997, S.229).

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decoding“109. Wenn nun aber gewiss ist, dass die Konstituenten message/signified versus signifier/sign vehicle jeweils durch eine direkt (i.e. lotabhängig) gegengerichtete Pfeil- oder Vektoranbindung auf Seiten des Senders und Adressaten verund entschlüsselt werden, diese Prozesse aber gleichzeitig stattfinden („cannot be separated from each other in time“)110 – nach Ansicht der neuerlichen Gehirnforschung handelt es sich bei dem zugrunde liegenden Zusammenspiel der Nervenzellen um einen „seit Jahrmillionen unangestastet gebliebene Polarisierung in einen Empfänger- und Sendebereich“111 –, dann kann, am (i) Medium, (ii) Code und (iii) ersten Beweisstück der analytischen und Sprachphilosophie bemessen, es nicht zutreffen, dass die Sinnlichkeit nicht unmittelbar an den Beweisgründen teilhat, die dafür verantwortlich sind, zunächst (i) eine Bedeutung, sodann (ii) eine Tatsache, (iii) Wahrheit, (iv) Wissen und (v) Erfahrung zu konstitutieren. Die Konvertibilität, welche den pragmatischen als Zeichenprozess ausmacht, muss als Bestimmungsverhältnis, imstande, die Ver- und Entschlüsselung zu einer völligen Kongruenz zu entwickeln, wie es zunächst jede natürliche Sprache bereithält, bis in den – innersten, das Bewusstsein in seinem Ursprung involvierenden – Kern der Beziehung eindringen, aus der heraus Substrate des Intellekts (‚Bedeutungen‘, Morpheme, Semanteme) mit Substraten der Sinnlichkeit (Signifikanten: Lautketten, Phonemketten, schließlich Schemata und natürlichen Gestaltbildungen) systematisch und instantan korrelieren: wenn echte Polarität vorliegt, werden sie auch niemals, in ultimo, völlig zu trennen sein, anderwärts bis zum Einigstsein koinzidieren (und unendlich verschmelzen). Wenn nun aber insbesondere Kant in zuletzt allgemeiner Weise gelehrt hat, es müsse bei diesem Verhältnis, dem der ganze Vorbehalt des Rationalismus gilt, eine Ordination des Bewusstseins aus seinen Vermögen stattfinden112 (worin er, i.d.S. rationale Doktrin par excellence, nur eine Form in der Erkenntnis zu erkennen vermochte), dann wird die Wurzel der Logik als erste Veranlagung der logischen Operatoren ihr Grundstück in einer neuen Form auswerfen, da, je nach Betrachtung, die Sinnlichkeit unmittelbar teilhat oder jene sich dieser ermächtigt, • i ndem die Bestimmungs-, Inklusisons- und Ordinationsverhältnisse von dieser ausgehen; 109 110 111 112

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Posner 1997, S.229. Posner 1997, S.229. Wolf Singer. Der Beobachter im Gehirn. Frankfurt 2002, S.62. Im Kontext: Wenzel 2005, S.416 in Unterscheidung von Wahrnehmungsvermögen und Wahrnehmung selber (und Kritik an McDowell).

– insoweit möge der Rationalismus zutreffen, aber eben nicht, es sei (i) die absolute, einzige Verantwortlichkeit des Verstandes, sich die Sinnlichkeit zu subsumieren, i.e. zu determinieren; oder (ii) es sei Inklusion, Analytizität, nur wirksam, wenn der Ursprung der Relation (oder Vektorierung, denn es handelt sich um Vermögens- als Kraftverhältnisse) im Verstand liegt (dem, so Kant in den Logiken, die einzige Beziehung zur Regel zuzusprechen sei). Wobei das tatsächliche Wechselverhältnis in einer so elementaren, natürlichen und unmittelbaren Weise – sowie Eingewöhnung – stattfindet, dass es – wie exemplarisch im Zeichenprozess – offenbar nicht auffällt. Wahrheit und Pragmatik, (dito die Epistemologie versus Zeichentheorie) stoßen somit auf eine (an und für sich wohlbekannte) Schwelle, die, ohne wieder dem Eklat schlechter Metaphysik und ihrem undurchdringlichen Schatten anheim zu fallen, angesichts dessen das Bewusstsein seine Autonomie preisgeben müsste113, eine neue Form der Analyse offenbart, in der das Bewusstsein sein wirkliches Zentrum als einen Knoten (geometrisch den absoluten oder unbedingten Schnittpunkt) begreift, aus dem heraus es imstande ist, nicht zuerst seine Leistungen (Vorstellungen), sondern den steten Fächer, i.e. die Faszikel seiner Fakultäten zu ordnen, wobei es auf den Kern des logischen Vermögens zurückgreifen muss. (Um einem Missverständnis vorzubeugen, dies ist weder mit einem sogenannten ‚Konvergenzzentrum‘ im Gehirn identisch – noch gemeint (W.Singer) –, und es möge, wenn auch nur probativ oder überschlägig, das tierische Bewusstsein in der Evolution entgegengehalten werden). Schon beginnt diese Analyse mit der Frage, warum in der theoretischen Philosophie die Determination unbedingt einfach zu sein hat (in actu, die suppositio als S-P-Wechsel beiseite genommen) und nicht nur eine, sondern vielleicht sogar die indefinite Inklusion einschließt – an den Vermögen, nicht einer kausalen Kette, noch bereits deren Substraten als manifesten oder halbmanifesten Vorstellungen, zuletzt, sprachlichen Propositionen gemessen: der Ort der aktualen Erfahrung ist ja tatsächlich stets ein verwickelter, in sich verschachtelter Weg, in dem das Bewusstsein seine effektive ›Lichtung‹ beweist (was Leibniz das enveloppement nannte). Was in diesem Kontext die jüngste Literatur, und nur zwei Beispiele, betrifft, so ist von Folgendem auszugehen. Die Autonomie, die Syliane MalinowskiCharles aufgrund der Wendung Baumgartens zur Ästhetik in nunmehr doppelter Form (en deux domaines) wiedererkennt, einmal auf Seiten der Raison, wo sie ohnehin seit Descartes beheimatet war, zum anderen aber in der Sinnlichkeit, deren Fülle und unvermittelte Klarheit das Vermögen des Verstandes überragt114, ist keine 113 Zeyer 2005, S.10-11 mit einem Referat der konträren „Soziologisierung der Erkenntnistheorie“. 114 Syliane Malinowski-Charles, „Baumgarten et le rôle de l’intuition dans les débuts de l’esthétique“, in: Les Études philosophiques Nr.4 (2005), S.542.

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abstrakte Eigenschaft oder ‚Letztgrund‘, der sich nicht noch einmal preiszugeben vermöchte. Schon stellt sich anhand Baumgartens Logik die Frage, warum tatsächlich, und nicht nur kraft Setzung, die „connaissance rationelle reste supérieur à la connaissance sensible“115 – diese (vermeintliche) Superiorität veranlasst auch Kant, bis zuletzt diese überlieferte Architektur beizubehalten, hingegen die Logik, das Analogon rationis, ganz aus der Sinnlichkeit zu verbannen, um wenigstens nicht mehr den Eindruck zu erwecken, es bestünde tatsächlich eine echte Vergleichbarkeit: sollte viel eher Polarität vorliegen, wird sie auch logisch ihren ‚Tribut‘ fordern und Kants früherem conceptus sensitivus einen wohlbegründeten Status zuerkennen (wenn auch noch nicht in den Fakultäten angemessen – im Sinne der transzendentalen Deduktion – verortet). Weiterhin referiert Yaron Senderowicz Kants Doktrin über die reinen Verstandesbegriffe116, dass von ihnen kein „transzendentaler Gebrauch zu machen ist, weil dieser an sich selbst unmöglich ist, indem ihnen alle Bedingungen irgendeines Gebrauchs (in Urteilen) abgehen, nämlichen die formalen Bedingungen der Subsumtion irgendeines angeblichen Gegenstandes unter diese Begriffe“117.

Wenn aber „judgement (in the transcendental sense) is the subsumtion of an object under a concept“, dann gilt es die Heterogenität der logischen Materie zu klären: „Objects are given by means of intuitions“118. Den Syllogismus des Arguments hingenommen, den bislang die Literatur Kants weithin akzeptiert, enthält er trotzdem eine maßgebliche Verschiebung, welche das Dogma darin angreifen muss – die Subsumtion, die es suggeriert und beansprucht, vollzieht sich nicht etwa an ausdrücklich homogenem Vorstellen (insbesondere Begriffen), sondern durch eine Überkreuzung, indem auf einer Seite die (sogar) reinen Verstandesbegriffe, auf der anderen das sinnliche Vermögen, Intuitionen, stehen, wiederum einfach „Gegenstände“ (ein Verhältnis, das maßgeblich auch noch Frege charakterisiert). Mithin – und nicht dass diese Möglichkeit an sich als eine Fähigkeit des Bewusstseins zu leugnen wäre – spaltet sich die Subsumtion als der logische Akt, indem sie (i) (wie in der gewöhnlichen Analysis) auf (von ihrer Materie her homogene) Begriffe geht; (ii) auf eine Subsumtion an und unter den Vermögen selber. Die Superiorität erweist sich somit als Habitus, Konvention und vielleicht auch allgemeine Gewohnheit, aber sie trifft nicht wirklich das Ansich des Bewusstseins, zumindest nicht im Sinne des Rationalismus inklusive Kant. 115 116 117 118

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Malinowski-Charles 2005, S.541. Senderowicz 2005, S.51. KrV A 248/B 305. Senderowicz 2005, S.51.

Akkolade 2 [1.]. „Il est vray que les sciences mathematiques ne se- Leibniz, Lettre touchant ce qui roient point demonstratives, et consisteroient dans une est indépendant des Sens et de la simple induction ou observation, qui ne nous asseureroit Matière119 jamais d’une parfaite généralité des vérités qui s’y trouvent, si quelque chose de plus haut, et que l’intelligence seule peut fournir, ne venoit au secours de l’imagination et des sens”. [2.]. „[…] et le corps est fait en sorte que l’ame ne prend jamais des resolutions où les mouvemens du corps ne s’accordent, les raisonnemens mêmes les plus abstraîts y trouvant leur jeu, par le moyen des caracteres, qui les representent à l’imagination“.

Leibniz, „Reponse aux reflexions contenues dans la seconde Edition du Dictionnaire Critique de M.Bayle, article Rorarius, sur le systeme de l‘Harmonie preétablie“120.

[3.] „On conçoit ordinairement les pensées confuses Leibniz, „Addition à comme d’un genre entierement different des pensées di- l‘Explication du systeme noustinctes, et nostre auteur juge que l’esprit est plus uni au veau […]“121 corps par les pensées confuses que par les distinctes. Cela n’est pas sans fondement, car les pensées confuses marquent notre imperfection, passions et dependance de l’assemblage des choses extérieures ou de la matière, au lieu que la perfection, force, empire, liberté et action de l’ame consistent principalement dans nos pensées distinctes. Cependant il ne laisse pas d’estre vray que dans le fonds les pensées confuses ne sont autre chose qu’une multitude de pensées qui sont en elles mêmes comme les distinctes, mais qui sont si petites que chacune à part n’excite pas notre attention et ne se fait point distinguer. On peut même dire qu’il y en a tout à la fois un nombre veritablement infini enveloppé dans nos sentimens. C’est en cela que consiste veritablement la grande difference qu’il y a entre les pensées confuses et les distinctes, qui est justement la même qu’il y a entre les machines de la nature et de l’art […]“.

119 Leibniz, Lettre touchant ce qui est indépendant des Sens et de la Matière, in: GP Band VI, S.499-508 (= Briefe von besonderem philosophischem Interesse, Darmstadt 1989, S.200). 120 Leibniz, „Reponse aux reflexions contenues dans la seconde Edition du Dictionnaire Critique de M.Bayle, article Rorarius, sur le systeme de l’Harmonie preétablie“, in: GP IV, S.554-571, 559. 121 Leibniz, „Addition à l’Explication du systeme nouveau touchant l’union de l’ame et du corps, envoyée à Paris à l’occasion d’un livre intitulé Connoissance de soy même“, in: GP IV, S.574-575.

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[4.]. „Nempe circulus talis est naturæ, ut omnium linearum rectarum, in eodem sese invicem secantium, rectangula sub segmentis sint inter se æqualia; quare in circulo infinita inter se æqualia rectangula continentur: attamen nullum eorum potest dici existere, nisi quatenus circulus existit, nec etiam alicujus horum rectangulorum idea potest dici existere, nisi quatenus in circuli ideâ comprehenditur. Concipiantur jam ex infinitis illis duo tantùm, nempe E& D existere. Sanè eorum etiam ideæ jam non tantùm existunt, quatenus solummodò in circuli idea Spinoza, Ethica, Scholium zu II, comprehenduntur, sed etiam, quatenus illorum rectan- Proposition VIII 122 gulorum existentiam involvunt, quo fit, ut à reliquis reliquorum rectangulorum ideis”. [5.] „Dispositio autem est rerum apta conlocatio ele- Vitruv, De Architectura / Domigansque compositionibus effectus operis cum qualitate. nique Raynaud, “Une propriété Species dispositionis, quae graece dicuntur ίδεαί, sunt […]”123 hae: ichnographia, orthographia, scaenographia. Ichnographia est circini regulaeque modice continens usus, e qua capiuntur formarum in solis arearum descriptiones. Orthographia autem est erecta frontis imago modiceque picta rationibus operis futuri figura. Item scaenographia est frontis et laterum abscedentium adumbratio ad circinique centrum omnium linearum responsus. Hae nascuntur ex cogitatione et inventione”.

122 Spinoza, L’Éthique, Scholium zu II, Proposition VIII, in: Spinoza Opera II, S.91. (Der Kreis ist also von solcher Natur, daß die Rechtecke aus allen geraden, in ihm sich durchschneidenden Linien einander gleich sind, deshalb sind in dem Kreise unendliche, einander gleiche Rechtecke enthalten; gleichwohl kann keines von ihnen daseyend genannt werden, als insofern der Kreis da ist, und auch die Vorstellung keines dieser Rechtecke kann daseyend genannt werden, als insofern sie in der Vorstellung des Kreises enthalten ist. Nun nehme man an, dass von jenen unendlichen vielen nur zwei da sind, nämlich E und D. Es sind sodann nicht blos ihre Vorstellungen da, insofern sie nur in der Vorstellung des Kreises begriffen sind, sondern auch insofern sie das Daseyn jener Rechtecke in sich schließen, wodurch dann geschieht, dass sie von den übrigen Vorstellungen der übrigen Rechtecke sich unterscheiden“ [Sämmtliche Werke II, S.46]) 123 Vitruvii De Architectura Libri Decem, dt. hg. v. Curt Fensterbusch, Darmstadt 1987, S.36-38. „Dispositio ist die passende Zusammenstellung der Dinge und die durch die Zusammenstellung schöne Ausführung des Baues mit Qualitas. Die Formen der Dispositio, die die Griechen Ideen nennen, sind folgende: Ichnographia,

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Annäherung an die Mathematik und Logik. Mit bestimmtem Grund offenbart die zweite Akkolade, noch immer zum selben Thema, unter [1]-[4] die wesentlichen Akteure oder Protagonisten des Rationalismus, deren Erben – als die ausschlaggebenden Handlungsträger verbindlichen Denkens – sich insbesondere, wenn auch nicht allein in der Semantik der analytischen Philosophie befinden: „pensées“ und „imaginations“, sodann die „Ideen“, die längst etwas anderes als die antiken, etwa des Parmenides geworden sind. Es fehlen „représentations“ und „perceptions“ – bei Spinoza durch den unmittelbaren Gegensatz der „existenten“ Figur gegenüber ihrer „idée“ vertreten –, und der Begriff („pensée distincte“) bezeichnet die später vorherrschende einzige Orientierung, als ob es gelte, den Fächer, den die Vermögen des Bewusstsein notwendig bilden, in seinem Knoten auf ein Vermögen zu reduzieren (das mit der Semantik einhergeht). Der notwendig verkürzende Brennspiegel, dem es ausnahmsweise weniger auf die Autoren ankommt, derer im Übrigen zahlreiche andere hätten eintreten können124, möge zeigen: • I n [1]-[4] verbirgt sich ein bestimmter Widerspruch, der in [3] die Form der petitio (Zirkel im Argument (aufgrund Widerspruchsprinzip) versus aktuale, wirkliche Schleife (aufgrund Polarität), daher nicht abzulehnen) und in [4] die Form einer offenen Alternative oder Parallele annimmt. [1] und [2] hingegen stehen sich gegenüber wie ein Vermögen ohne und mit Abstraktion (denn Charaktere, welche den Elementen der höchsten Intelligenz als Ausdruck und Beweglichkeit dienen, müssen, in der Abstraktion oder Ebene, notwendig ein sinnliches Element beibringen, das – der Möglichkeit nach – ein zugleich induktives oder observatives Teilmoment enthalten kann. Der Orthographia, Scaenographia. Ichnographia ist der unter Verwendung von Linieal und Zirkel in verkleinertem Maßstab ausgeführte Grundriß, aus dem (später) die Umrisse der Gebäudeteile auf dem Baugelände genommen werden. Orthographia aber ist das aufrechte Bild der Vorderansicht und eine den Maßstäben des Bauwerks entsprechende gezeichnete Darstellung in verkleinertem Maßstab. Scaenographia ferner ist die perspektivische (illusionistische) Wiedergabe der Fassade [C.F.] und der zurücktretenden Seiten und die Entsprechung sämtlicher Linien auf einen Kreismittelpunkt. Diese Formen entspringen dem Nachdenken und der Erfindung“. - Dominique Raynaud, „Une propriété mathématique de la synthètique réfutant son existance médiévale (1295-1450)“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 67.Band (2004), S.449-460, 459. 124 P.e. Descartes, Regulae ad directionem ingenii, Regulae, IX, Schluss, über instantane Kraftentfaltung (in: Œuvres des Descartes, publiées par Charles Adam & Paul ­Tannery, Band X, Paris 1966, S.402-403).

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unmittelbare Affront, totale Gegensatz zu Kant, der die Anschauung im Verhältnis zu [1] unmittelbar in ihre autoritativen Rechte gesetzt hätte, sei nicht übersehen, wobei er die Fragmente zur Charakteristik von Leibniz offenbar nicht kannte125). Wenn nun (auf der Basis der tradtionellen Mathematik) gemäß [1] eine unbedingte Wahrheit (angeblich) nur durch die Beihilfe der Intelligenz (als Trägerin des Verstandesvermögens) zustande kommt, gemäß [2] aber der höchsten Abstraktion ein Zugang zum sinnlichen Vermögen, um den Charakter zu bilden, möglich sein muss (und Leibniz hätte erklären müssen, wieso die Deutlichkeit der geometrischen Figur, die er an und für sich anerkennt, nicht ebenso in Parallele zu einem Charakter hätte treten können), und wiederum [3] unmittelbar beansprucht, dass „distinkte Gedanken“ absinken oder ihren Ort in der Architektur des Bewusstsein verändern können, indem sie, konträr, durch ein „Sentiment“ ausgedrückt, wörtlich „verhüllt“ und eigentlich inkludiert werden (insbesondere sobald die Logik in Anschlag gebracht wird), dann müssen „pensées confuses“, obgleich es unzweifelhaft ursprünglich verworrene Gedanken geben mag, in sich different sein, sowohl im Verhältnis zu induktiven Gedanken oder Observations als auch distinkten Gedanken (gesetzt diese entstammen einem Prozess der immanenten, analytischen Verdeutlichung, um ihr Produkt darzustellen, welche im Rahmen der Kantforschung mit dem Problem einhergehen, den Ansatz der Urteile innerhalb der Wahrnehmung zu formulieren): das Inklusions- als Produktverhältnis von der ursprünglichen Vorstellung zur resultierenden muss umkehrbar sei, denn im einen Fall steht die Leistung des Intellectus („pensée distincte“) an zweiter – und insgesamt vorrangiger – Stelle (Abhebung von der Verhaftung des Bewusstseins in äußerer Materie und Reflexion auf seine ihm vermeintlich unmittelbar zur Verfügung stehenden distinkten Vorstellungen oder Ideen, wie L. sonst sagt), während sie im anderen Fall gegeben ist und mit dem Sentiment einhergeht (von ihm „verhüllt“ oder, um den Widerspruch zu vermeiden, inkludiert wird). Im ersten Fall setzt die Distinktion ihren Sinn par excellence, im zweiten hebt sie ihn auf, oder sentiment und pensée d. gehorchen nicht allein dem klassifikatorischen Widerspruch, sondern insb. der Polarität bzw. dem polaren Gegensatz. Dies erläutert zugleich, warum die Verworrenheit, i.e. Con-/Fusion, eine so nachhaltige Bedeutung im Erkenntnisbegriff besitzt (zumindest in der Historie bis zu Bolzano, bedingt

125 Zu schließen nach der Erwähnung der arte characteristica combinatoria in: Nova dilucidatio, Scholium zu Proposition II, in: AA, Band I, S.389 (= Kant’s Latin Writings, hg. Von Lewis White Beck, 2. Aufl. New York 1992, S.45-46).

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Freges Vorstellung), wobei sie ihren unbedingt pejorativen oder zu überwindenden Charakter ablegt: in der Polarität als Basisbeziehung ist sie ein notwendiges – und untilgbares – Begleitmoment. Nun behauptet [4] völlig zu Recht (was die Logik angeht), dass eine indefinite Anzahl von Rechtecken in einem gegebenen Zirkel enthalten ist, (i) wenn der existierende Kreis, dann auch die existierenden Rechtecke, und (ii) wenn die Idee des Kreises, dann auch die Idee der Rechtecke. Die Inklusion bleibt identisch, aber ihre Spontaneität oder Ursprünglichkeit wechselt die Seite des Bewusstseins (und [3] ist, an und für sich, zutreffend oder richtig, nicht aber [1] wegen des „[…]seule peut fournir“, im Übrigen auch [2]). Da das Bewusstsein nun beides, als mit sich identisch, vermag und nicht etwa sich unterscheiden oder abtrennen müsste (einen Schnitt vornehmen, zu dem es gar nicht imstande126), muss die Inklusionsbeziehung, da sie sich am völlig identischen, unveränderten Gegenstand äußert, nicht nur die Sache, Inklusion der geometrischen Vorstellungen, sondern darüber hinaus die Inklusion der Vermögen betreffen. Es ist unmöglich, dass angesichts [4] der Intellectus einmal beteiligt ist, und einmal nicht, und ebenso der Sensus, als Empfindung und Imagination (zu ergänzen)127. Mithin kann die Konversion oder genauer Umkehrbarkeit als Konvertibilität sich nicht nur auf Leistungen (Prädikate oder logische Substrate des Verstandesvermögens) beziehen, vorausgesetzt auch, hierbei findet stets eine Inklusion dieser Vorstellungen statt, sondern sie muss unmittelbar an den Vermögen selber stattfinden, die sich gegenseitig zu inkludieren oder bestimmen vermögen. Mithin kann die absolute Wahrheit, die jeweils in [1]-[4] figuriert, um im Hintergrund den Part der unveränderlichen Gewissheit zu verkörpern (als auch Reflex einer idealen Mathematik), gar nicht in einer ‚reinen‘, spontanen, unmittelbar geschöpften Vorstellung nur eines der Vermögen des Bewusstseins bestehen (gleichgültig ob als Anschauung, wo sie Kant verlangt respektive veranlagt hätte, oder als Intellectus), sondern sie geht in das unbedingte Verhältnis der Beziehungen über, aus denen heraus das Bewusstsein seine Überzeugung – Legitimation und Erkenntnis – schöpft. Da es sich um das Verhältnis seiner Vermögen, nicht aber Vorstellungen handelt, bildet es sein erstes Fundament, sei in metaphysischer oder analytischer Hinsicht, und insbesondere, da das logische Vermögen selber dort verwurzelt ist und – notwendig – in der Lage ist, alle Beziehungen unter den Vermögen zu artikulieren (denn freilich kann 126 Ein in Zusammenhang mit der Einheit des Bewusstseins vertrautes Argument, p.e. Wenzel 2005, S.418, 425. 127 Was unmittelbar in die Gründe von Wahrnehmung und Synthesis einfließen muss (p.e. Wenzel 2005).

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ein Bewusstsein sich intentional alogisch oder irrational, oder auch „zerstreut“ verhalten; und konzentriert versus diffusiert übernehmen die konkretere Vertretung der polaren Beziehung als rational versus alogisch oder irrational, worin eher der Widerspruch waltet). [5] nun, die ‚Modellreihe‘ des Vitruv, die den Raum von vornherein als ein gestaltetes Gebilde, mithin auch Erkenntnisgegenstand begreift, und nicht als eine Entität an sich, ist an und für sich, wider den historischen Abstand, imstande, die gesamte Bedingung aus [1]-[4] zu umfassen. An dem Verhältnis von Ichnographia (Grundriss oder Axionometrie), Orthographia (Aufriss) und Scaenographia (Zentralperspektive) lässt sich zunächst (noch innerhalb der historischen Entwicklung) beweisen, dass eine Proportion, die den Gesichtspunkt des Betrachters (O) mit den Schnittpunkten eines rechtwinkligen Körpers involviert, in der linearen Perspektive immer, hingegen in der „synthetischen“ nicht immer wahr ist128 (die synthetische impliziert eine gekrümmte Linie vor der regulären ebenen Tafel). Wenn aber die Szenografie auch die aktual empirischen Lichtstrahlen voraussetzt129 – und Vitruvs Behauptung Hae nascuntur ex cogitatione et inventione wenigstens unvollständig ist –, dann kann (i) der Ort, in dem sich die Vorstellung des Bewusstseins bildet, nach seiner Bedingung nicht nur in ihm selber, als einer völlig freien, unabhängigen Vorstellung verwurzelt sein (als ob sein Kern absolut sei und der Polarität ledig; oder ens rationis)130. Wenn aber, klassisches Theorem, auch die Einbildung imstande ist, dieselbe Vorstellung auszubilden, die perspektivische eingeschlossen, dann können (ii) die logischen Beziehungen, die Logik selber, die sie einschließen, nicht nur auf einer Seite des Bewusstseins, insb. in seinem Intellectus, verwurzelt sein (und 128 So das Ergebnis der Studie von Raynaud 2004, S.456 + 456-458, welche mit der historischen Frühformen der Perspektive einhergeht. Bei der synthetischen Perspektive gehen die Projektionsstrahlen durch eine gekrümmte Linie – als vergrößerter Repräsentant der Augenlinse – vor der Übertragung auf die gewöhnliche ebene Tafel. Sie verursacht keine Konvergenz oder einheitlichen Fluchtpunkt. Die Annahme der synthetischen Perspektive geht zurück auf Panofski, der das Vorhandensein der Konstruktion für das ausgehende Mittelalter beansprucht (was Raynaud zurückweist). 129 Die axiomatische Grundlage der Perspektive (p.e. Lambert); die Rezeption bei Leibniz: Prèceptes pour advancer les sciences = Recommendationes, in: A VI/IV Teil A, S.709; NE II, ch. IX, § 4, in: GP V, S.121-122; la liaison des courbes: Principium quoddam generale, in: GM VI, S.129-135; an Varignon (1702), in: Philosophische Schriften, Band 4, S.262 (= Phil. Bibliothek Band 108, S.556ff). Die “Scenographie”, s.o. 1995, Einleitung Fragment IX § 1, S.142-145. 130 Zeyer 2005, S.174-180 (in Anlehnung an Hartmann).

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die neueren Widerlegungen der euklidischen Proportionen stehen somit a parte neben der ‚synthetischen‘ und projektiven, insoweit sie empirisch verstanden wird131). Schließlich stehen sich (iii) nicht ein vermeintlich reines und alogisches Anschauungsvermögen und ein insbesondere sprachliches Begriffsvermögen – als zuletzt Urteilsbewusstsein132 – gegenüber, als ob das logische Vermögen des Bewusstseins erst mit einer begrifflichen cogitatio und inventio begönne, sondern es ist bereits Bedingung für beide und bildet den Fonds, die erste Basis des Bewusstseins, aus der heraus es imstande ist, die Faszikel, den stets gegenwärtigen, produktiven Bund der Vermögen zu gliedern, i.e. seiner logischen Wurzel gemäß zu ordnen, womit Notwendigkeit einhergeht. Hiermit möge, wie bereits berührt, die Unterscheidung des Bewusstseins von jedem Sprach-, hermeneutischen oder interpretatorischen Bewusstsein dingfest werden, imstande, eine Philosophie zu verlangen, die sich nicht nur der Realität und Natur gegenüber sieht, sondern auch anderen Subjekten, ohne allerdings, wie gelegentlich betont, den Standpunkt der absoluten Gewissheit, der unbedingten Vereinzelung oder Individualität zu beziehen, der gegenüber das kollektive Bewusstsein, zu unterscheiden von sozialem und intersubjektivem133, schon der Möglichkeit nach unbedeutend ist respektive noch gar nicht in den Blick kommt: die Projektion gilt als Basis der Orientierung (analog zur Gruppentheorie Kleinscher Prägung), gleichwohl als ein unbedingtes, spontan zugängliches Vermögen, welches das Bewusstsein an sich selbst mit Präzision zu beobachten imstande. Und der ‚Spiegel‘, den die neuere Pragmatik, p.e. Rorty, zur Gänze zu entkräften suchte, ist kein Mythos, noch ein „unvermeidliches, ewiges Rätsel“134, so dass weder die unbedingte Absonderung noch Disjunktion dem ‚Realgrund‘ gleichkommen kann. Die »Scaenographia«, (verkörpert in [5], und abstrakt gesehen jede Geradenschar oder, für den Mathematiker, das heutige Basismodell Fano’s, insoweit dies die Axiomatik der projektiven Geometrie darstellt), enthält somit aufgrund seiner Basis, der Projektion respektive Perspektive, die wesentlichen Elemente, um den ersten Part von Akkolade 2 zu verifizieren. Nicht allein, weil sie den Grund 131 Becker 1975, S.178-199; wie zitiert, Cassirer 2000, 1.Kap. 132 Zuletzt Béatrice Longuenesse, „Les concepts a priori kantiens et leur destin“, in: Revue de Métaphysique et de Morale Nr. 4 (2004), S.485-510, mit Rekurs auf Brandt, Wolff und Paton. 133 Zeyer 2005, S.181-183. Sander Wilkens, „Das kollektive Bewusstsein zwischen Positivismus und Kritischer Schule. Adornos Durkheim-Kritik“. In: Journal of New Frontiers in Spatial Concepts, vol.4 2012, 93-104. 134 Gemäß Hartmann, vgl. Zeyer 2005, S.7; s.a.u. Abschnitt Projektion, die Position Reichenbachs.

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der Projektion mit einem definiten Anteil außerhalb des Bewusstseins veranlagen muss (was mit [2] oder damit einhergehen möge, dass präzise sinnliche, der Imagination zugängliche Charaktere auch die „abstraktesten raisonnements“ zu begleiten imstande sind), sondern weil die Veranlagung zur projektiven Vorstellung auch und zugleich im Bewusstsein, in diesem Sinne ideal oder „que seule l’intelligence peut fournir“ ([1]), verankert ist; sodann, weil die Perspektive – und die ihr zugrunde liegende Polarität – zu erklären vermag, wie mit der Tiefenwahrnehmung ehemals distinkte, im Vordergrund wahrgenommene Elemente in das Gegenteil, die Konfusion respektive Diffusion absinken und zugleich im Bewusstsein enthalten sind bzw. seine Substanz bilden ([3], wie gelegentlich in der Literatur die Beschwerde anzutreffen ist, die Fernwahrnehmung böte keine exakte Distinktion des Gegenstands); schließlich weil ([4]) gewährleistet, dass in der figürlichen Wahrnehmung eine logische Abstufung oder Klassifikation enthalten ist – wirkliche versus nur mögliche Rechtecke, und Rechteck überhaupt versus logisch vorgeordnetem Kreis –, so dass ausgehend von den sinnlichen Elementen, ihrer seriell geregelten Varianz, eine reguläre Bestimmung des Verstandesvermögens stattfinden kann. Mithin gilt die Konvertibilität, und den „caracteres“ kommt dieselbe Eigenschaft zu, i.e. die Klassifikation aus den sinnlichen Elementen (und nicht ausschließlich durch die begrifflichen). Da aber die Scaenographia selber ein (im Übrigen exaktes) Verfahren der räumlichen Darstellung verkörpert, muss auch ihren sinnlichen, i.e. geometrischen Elementen diese Eigenschaft zukommen (wobei, an und für sich, jede ihrer vorläufigen Unterscheidungen, Ichnographia und Orthographia, einen Schnitt darstellt, von dem aus sich wiederum eine signifikante Verbindungslinie zur modernen Ablösung der Geometrien ziehen lässt, in diesem Fall Lobascheftski: sobald der Raum ausdrücklich durch seine Grenze, hier „Berührgrenze“, nicht durch seine homogene Ausbreitung kognosziert wird135: nicht dass Projektion den Gegenstand generell aufhebt oder nur einer alternativen Metrik unterwürfe, sondern sie orientiert die Erkenntnis und Wahrnehmung kraft ihres nicht eliminierbaren Wesens, der Überschneidung, generell an der(n) Grenze(n), und Eliminierbarkeit ist nicht mit Reduzierbarkeit zu verwechseln, die freilich beiderseitig möglich). Demnach gebührt auch dem logischen Operator eine Kennzeichnung, die ihn nicht mehr darauf festlegt, notwendig nur Ausdruck von Beziehungen sein 135 Zur historischen Entwicklung des ursprünglichen Schnitts (Berührgrenze) vgl. ­Lucas Amiras, „Lobatschefskis Anfangsgründe der Geometrie als Figurentheorie“, in: Philosophia naturalis H.1 (2003), S.127-153, ohne Projektion und Erwähnung Vitruvs; Homologie und Homogentität garantieren die universale Opposition.

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zu können, die mit Zahlenmengen, begrifflichen Extensionen (instantan abgeschlossenen Mengen) respektive dem „sign vehicle“ zu tun haben136. Vielmehr kooperiert er auch unmittelbar mit dem geometrischen Element, gleichgültig, ob Punkt, Linie, Kreis oder Kubus (woraus, u.a., das Würfelproblem resultiert, das in Zusammenhang mit kategorialem Bewusstsein in einem eigenen Kapitel angesprochen wird137). Jede der logischen Beziehungen, ob Alternation, Koordination, Implikation, Disjunktion oder Äquivalenz, ist ihm unmittelbar, als Bestimmungsverhältnis, die es ausgehend von seinem Vermögen am Intellectus ausübt, zugänglich und möglich138, mitsamt der Möglichkeit, die Ordination, Ausbildung von Sub- und Supraebene, zu manifestieren – die, wie bereits betont, nach ihrem Verhältnis in den Vorstellungen durchgängig von jenem unterschieden werden muss, das sich zugleich in den Fakultäten ausbildet (was in der Rezeption der Transzentalphilosophie unbeachtet blieb139, denn schon die Rekognition muss gegebenenfalls eine mehr- und nicht einfache Determination respektieren, wie erläutert). Zuletzt, da Polarität und Knoten angesprochen wurden, die „intelligence“ ist somit das eigentliche, teilbare Zentrum140 des Bewusstseins (ein Begriff, der ­neben Leibniz auch Kant noch zur Verfügung stand), nicht aber bloß singulärer, 136 Wie sie das neuere Verhältnis der mathematischen Logik zu erläutern sucht, wenn auch nicht immer sicher (Tarski, Weyl). 137 Vgl. Art. „Categories“ von Aimie Thomasson (2004), in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (http://setis.library. usyd.edu.au/stanford/entries/categories/). Der fällige Literaturbericht findet sich jeweils bei den Abschnitten, weiterhin Schlusskapitel. 138 Man möge, bei Voraussetzung der Äquivalenz zwischen begrifflicher und figürlicher Form, die Formulierungen der Axiomatik durchgehen, sei es bei Hilbert, sei in Lehrbüchern der affinen und projektiven Geometrie. 139 Was an jeweilig anderem Ort gezeigt wird, zu Urteilsrezeption, perspektivischem Bewusstsein, Gestaltbegriff, Schematismus und Kategorien sowie Wahrheitsbewusstsein. 140 Leibniz, Reponse aux reflexions, in: GP IV, S.562; im selben oben zitierten Brief äußert sich Leibniz übrigens folgendermaßen, was wir nicht für eine ‘Briefpassage’ oder Unbedachtheit halten: „C’est ce qu’on appelle l’imagination, laquelle comprend à la fois les notions des sens particuliers, qui sont claires mais confuses, et les notions du sens commun qui sont claires et distinctes. Et ces idées claires et distinctes qui sont sujettes à l’imagination, sont les objets des sciences mathematiques, savoir de l’Arithmetique et de la Geometrie, qui ont des sciences pures, et de l’application de ces sciences à la nature, qui font les mathematiques mixtes“ (Leibniz, Lettre touchant ce qui est indépendant des Sens et de la Matière, in: GP Band VI, S.499-508 (= Briefe, Darmstadt 1989, S.198).

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gar ‚reiner‘ Fokus, der, weil er feststünde, sie verurteilen müsste, stets von rechts nach links zu wandern, gesetzt, hier ist der einzige Sitz der Sinnlichkeit (nach den Gehirnhälften) zu verorten – unter Verlust des logischen Vermögens, seiner weitgreifenden Ressource mitsamt der Ordination, die es am Bewusstsein ausübt. Der Titel ‚formale Logik‘ (wie sogleich zu sehen) kann somit nicht mehr bedeuten, sich auf eine (bloße) Begriffslogik oder aristotelisch orientierte Gattungslogik (die mit der Urteilstheorie einhergeht) zu beschränken, noch beschränkt sich die transzendentale auf eine einzige Basisform, in der die Sinnlichkeit durch den Verstand bestimmt würde, als ob die Faszikel der Vermögen durch eingeborene Anlage oder innere Mensur auf diese einzige Deklination und Orientierung festgelegt wäre. So wird weiterhin, wenn auch nur im Nebenprodukt, das in der Dialektik und insbesondere in der Kritischen Theorie wirksam wird141, erklärbar, wieso das Besondere, vielleicht eine sogar Idiosynkrasie, imstande ist, die Gattungsordnung umzukehren respektive eine Regularität zu subsumieren142 – die Inklusion der Vermögen kann, an und für sich, die der Vorstellungen nicht nur überragen, sondern ihrer an Konvention und Kategorien orientierten Klassifikation zuwiderlaufen, womit zugleich ein Argument für die logische Selbstständigkeit gegeben ist, mit der sich das Bewusstsein aus seinen Fakultäten gegenüber seinen Vorstellungen zu behaupten vermag. Zwei Schlüsse. A. „Mit dem Prüfstein der Erfahrung, wie Kant ihn verstand, nämlich dass sich die Gegenstände nach unserer Erkenntnis richten, ist der Nachweis nicht möglich“, „dass es sich bei dem Unerkennbaren [als Sphäre, Noumenon und unbedingte Ursache des Ding-an-sich] nicht um etwas lediglich Gedachtes handelt“. - „Allein die Umkehrung der Kopernikanischen Wende Kants würde hierfür eine Möglichkeit schaffen“143. Diese Umkehrbarkeit, die 141 „Philosophie hat ihr Interesse dort, wo Hegel, einig mit der Tradition, sein Desinteresse bekundete: beim Begriffslosen, Einzelnen und Besonderten“ (Th.W.Adorno, Negative Dialektik, in: Gesammelte Schriften Band 6, Frankfurt 1973, Einleitung, S.19-20). 142 „Approached from this angle, what wants an explanation is why one would subordinate indispensable patterns and regularities in order to emphasize what is idiosyncratic and unique“. Es handelt sich, bei Augustinus, um den Wechsel von der zyklischen zur linearen Geschichtsauffassung (die durch die Heilsgeschichte motiviert ist): Mendelson, Michael, „Saint Augustine“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2000 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = http://plato.stanford. edu/archives/win2000/entries/augustine/. 143 Zeyer 2005, S.179. Dieselbe Problematik im Kontext Strawson-Allison: Yaron Senderowicz, The Coherence of Kant’s Transcendental Idealism, Dordrecht 2005, Introduction.

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nicht nur ein theoretisches Postulat, noch weniger eines der Interpretation sein darf – soll der Metaphysik eine echte Berechtigung und ein Grundstück verbleiben, dessen nicht nur Besitzer, sondern auch Eigentümer nicht zur Gänze in Rationalismus und Phänomenologie übergeht –, haftet an der Erkenntnis und Anerkenntnis gleichermaßen, dass, „wenn ein Subjekt ein Seiendes unter anderem Seiendem ist, auch seine Bedingtheit und Bestimmtheit durch andere Seiende gar nicht zu bestreiten ist“ (Hartmann)144. Diese Bestimmtheit, soll sie auf der Basis der transzendentalen Voraussetzung gültig sein, muss homogen sein, i.e. es darf nicht die Bestimmtheit durch Seiendes mit einer Bestimmtheit, der der Intellectus an der Sinnlichkeit ausübt, de genere auseinanderfallen (wodurch jenes selber zerfiele oder sich spaltete). Da nun ohnehin die letztere Bestimmung zutreffend zuerst an den Fakultäten wirksam wird, i.e. die Kategorien (oder reinen Verstandesbegriffe) artikulieren sich durch eine Ordination der Vermögen, muss freilich auch auf der Gegenseite, in Umkehrung, die Möglichkeit bestehen, dass ein Seiendes, indem es untereinander bestimmt ist und durch die aufnehmende, re- und apprehendierende Sinnlichkeit vertreten wird, den Intellectus ordiniert, i.e. kraft einer Inklusion in der (Basis)Form (1)  FSENSUS (x) ⇒ [GIMAG (x’) ⇒ HINTELLECTUS (x’’)] die Ordination des Bewusstseins herstellt. Da die Verwendung von Formeln in der Philosophie umstritten ist, möge zunächst folgende Erläuterung gelten. Die Formel stellt zunächst nur einen bestimmten Schematismus vor – ein Ausdruck, der zwar noch nicht die exakte Präzision besitzt, welche dem formalen Ausdruck zukommt, diese aber vorbereitet und insbesondere bereits verbindlich angibt, dass, wenn ›x‹ nach wie vor als Variable (oder Argument) gilt, welche (mit Frege) im symbolischen Ausdruck den Gegenstand vertritt, dann ›x’‹ und ›x’’‹ jeweils die Repräsentanten desselben Gegenstands in den jeweiligen Vermögen (Einbildungskraft gleich Imagination oder Schema im Sinne Kants, und Intellectus gleich Verstandesvermögen, jeweils repräsentiert durch ein Symbol für die spezifische Vorstellung; H demnach wie üblich das generalisierte Symbol für Begriff, G = Einbildungsschema oder ›Vorstellung‹ im konkreten Sinne (unabhängig von Wahrnehmung), F = Empfindung/-skomplex). Freilich ist diese Verkettung ›x, x’, x’’‹, bei der ›⇒‹ die Implikation oder – im Gesamttheorem, wie ursprünglich bei Kant im einseitigen Verhältnis ›I⇒S‹ – logische Unterordnung der Vermögen angibt, noch insofern implausibel, als ›x‹ selber einem Vermögen, hier dem Sensus als Ausgangsbasis anhaftet, so dass es ebenso mit einem Index

144 Zeyer 2005, S.181.

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(als Symbolisierung des Bewusstseins) einhergehen müsste, um ›x‹ in der gewohnten Weise freizustellen – als erster oder originärer Träger des Gegenstands im symbolischen Ausdruck. Nun ist hiermit wiederum das Kardinalproblem des symbolischen Ausdrucks überhaupt erreicht. Denn in jedem (2)  Fx  oder jedem  (3’) ∃x Fx gilt stillschweigend seit Frege und in jeder Rezeption, die sich auf eine funktionslogische Interpretation der Prädikation bezieht, dass ›x‹ – ‚für das Bewusstsein‘ – den Gegenstand vertritt, während ›F‹ den funktionslogischen Ausdruck wiedergibt, der wiederum, stets als Begriff einer Menge verstanden, den Begriff von ›x‹ unter sich subsumiert, indem ›x‹ ein Element dieser Menge respektive seine Extension darstellt145. Nicht von ohngefähr halten die Transzendentalphilosophie (als echte, die sich auf den Primat der Kategorien stützt) und die formale Logik eine bestimmte Distanz, die nicht nur historische Gründe hat und (wie noch an späterer Stelle gezeigt wird) auch mit einer forcierten Urteilstheorie nicht einfach zu bereinigen ist. Denn für jedes ›Fx‹ muss unter Voraussetzung des Haupttheorems an und für sich die Regel bestehen, dass ›x‹ als ursprüngliche Anschauung ‚in das Bewusstsein‘ gelangt, das Subjekt des logischen Satzes verkörpert und unter ›F‹, dem Prädikat als seinem Begriff, subsumiert wird. Nun war auch Kant das Problem offenbar nicht völlig entgangen, indem er in einer späten Reflexion, freilich eine völlige Ausnahme gegenüber allen Lehrschriften, behauptet hatte: (3)  „Denn wir kennen ein Objekt nur als ein Etwas überhaupt, dazu die gegebene(n) Anschauungen nur Prädikate sind“ (Reflexion 564)146. Demzufolge müsste nicht nur dieses Etwas, das Objekt als ›x‹, primäre Anschauung verkörpern, sondern sogar auch das Prädikat selber als „gegebene Anschauung“ und nicht Kategorie oder empirischer Begriff, der sich einer Kategorie 145 Vgl. in diesem Zusammenhang Longuenesse 2004, S.507: „La logique transcendantale est donc ce que l’on pourrait peut-être formaliser au moyen de la syntaxe frégéenne des fonctions et de leurs arguments. Mais même dans ce cas, pour déterminer ce à quoi réfèrent les variables liées ou leurs instances, il faudrait, pour Kant, retourner aux formes de l’intuition et aux combinaisons déterminées dans ces formes par l’imagination. Ceci étant, bien qu’il semble possible de trouver des voies de passage de la logique « générale pure » kantienne à la logique transcendantale, il demeure vrai que pour Kant la logique générale pure (la logique formelle) est restreinte à l’investigation des formes de combinaisons des concepts aux schémas d’inférences qu’ils fondent ». 146 Vgl. Henrich 1976, S.47.

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zuordnen lässt, umso mehr und in Einklang mit den Horizonten und „Unterhorizonten“ (s.o.), wenn diesen eine wesentliche Anschauung entsprechen muss, sollten diese Horizonte auch selber, so Kant, aus einem vorausgesetzten Begriff als seinem Zentrum entstehen147. Immerhin erinnert die Reflexion auch an den sinnlichen Begriff der Dissertation, und so hat er hiermit wenigstens zum Ausdruck gebracht, dass der symbolische Ausdruck, gleichgültig ob noch nach älterer Façon auf Basis der Aussagenlogik oder aber insbesondere als funktionslogischer (den er im Sinne seiner quantifikatorischen Auslegung noch nicht kannte) verstanden, die Hauptregel, das Hauptproblem der transzendentalen Erkenntnis reflektiert, wie (i) der Gegenstand in das Bewusstsein gelangt, um seinen logischen Charakter anzunehmen, und wie (ii) sich seine Prädikation dazu verhält. Ein nacktes ›x‹ besagt, streng genommen, ein Wiederaufgreifen der metaphysischen Unzulänglichkeit, indem seine Vorstellung, notwendig in der Erfahrung verankert, ihren Begriff – jenseits der Bedingungen der Transzendentalphilosophie – nur durch eine wie ehedem übliche Setzung besitzt, oder aber, in ihrem Rahmen, nur durch eine bereits prätendierte Einwirkung der Kategorien als reinen Verstandesbegriffe. Gleichwohl sollen diese, so die Deduktion und die meisten Erläuterungen in den Haupt- und Nebenschriften seit der kritischen Periode, eigentlich erst mit dem Prädikat wirksam werden – die zentrale Konklusion, dass sich die Gegenstände nach dem Verstand richten müssen, besteht darin, dass die ursprüngliche Erfahrung, um sichere Erkenntnis bieten und verkörpern zu können, sich nach der Vorgabe des Verstandesvermögens richtet, indem ursprüngliche Anschauungen als Verkörperung des „Etwas“ oder ›∃ = x‹, das hier durchscheint, unter den Kategorien subsumiert werden. Wenn nun aber, siehe oben, auch Anschauungen in das Prädikat treten können, muss die Hauptrelation, diejenige, die sich aus dem Verhältnis von Anschauungen zu ihren Begriffen ergibt und wenn die Begriffe die Leistungen des Verstandesvermögens darstellen, umkehrbar oder konvertibel sein. Freilich wird die Sachlage hiermit deutlich komplexer, da für jeden Ausdruck, mit einem einfachen ›Fx‹ angefangen, im symbolischen Ausdruck gegebenenfalls auch erklärt werden müsste, nach welcher Vorstellungsform er wirksam wird. Überdies müsste der symbolische Ausdruck anzeigen, in welcher Form sich die Vermögen einander zuordnen, dies heißt insbesondere, wie sich die logischen Operatoren, die den Ausdruck im Hinblick auf seine Leistungen – ­Vorstellung des Gegenstands, Vorstellung des Prädikats – ausdrücken, wiederum im Hinblick auf die Implikation der Vermögen verhalten, die ja in jedem Fall eine 147 KrVA658-659/B686-687 sowie oben zur „projektierten Einheit“.

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gleichzeitige gegenseitige Unterordnung oder Implikation eingehen müssen. Für den einstweilen schematischen Ausdruck (1)  FSENSUS (x) ⇒ [GIMAG (x’) ⇒ HINTELLECTUS (x’’)], wenn zugestanden wird, dass hierbei ›x‹ beim ausgehenden, die Ordination des Bewusstseins leitenden Vermögen der Inklusion ohne Index auftritt, da ohnehin der Gegenstand nur durch eine Aufnahme durch das Bewusstsein bekannt werden kann, gilt somit, dass der Operator ›⇒‹, der hierbei nach gar nicht für die Prädikation im eigentlichen Sinne wirksam wird, wenn diese eine Eigenschaft an ›x‹ ausdrückt, die nunmehr jeweils durch ›F‹, ›G‹ und ›H‹ vertreten wird, die erste oder primäre, zugrunde liegende Bestimmung an den Vermögen erfasst, mithin die exakte Beziehung, nach der die Prädikation für das Bewusstsein im Hinblick auf seine Hauptvermögen akut wird (ein Erfordernis, das rechtens besehen schon für die exakte logische Auffassung des zentralen transzendentallogischen Theorems Kants ›I⇒S‹ besteht). Im gegebenen Fall (1) bedeutet sie ausdrücklich eine Bestimmung des Verstandes durch das Empfindungsvermögen, vermittelt über das inkludierte Einbildungsvermögen, und es besteht keine Beschränkung, auch die Wahrheitsfunktion hieran zu binden, d.h. sollte ›FSENSUS (x)‹ gegeben sein, jedoch weder ›GIMAG (x’)‹ noch ›HINTELLECTUS (x’’)‹, dann muss der Audruck falsch sein respektive auf Falschheit hinauslaufen; und gleichermaßen, wenn ›FSENSUS (x) ⇒ GIMAG (x’)‹, aber nicht ›HINTELLECTUS (x’’)‹ – was wiederum nicht bedeutet, es müsse der Ausdruck unbedingt von und nur von einem distinkten ›Hx‹ abhängen, demgegenüber sogar ›Fx’‹ und ›Gx’’‹ (bei entsprechender Um-Indexierung) wegfallen dürfen, sondern dass sehr wohl eine distinkte, bestimmte Vorstellung ›F‹, ›G‹ von ›x‹ möglich ist, die darum noch nicht ebenso begrifflich definit (und freilich auch umgekehrt). Zusammen gefasst, fällt hiermit die Synthesis fokal auseinander – ohne jedoch die Möglichkeit von Einheit des Bewusstseins zu verletzen. Nicht aber, weil die Formen des Bewusstseins, ob es sich nach der Maßgabe der Sinnlichkeit (unbedingtes Erfahrungsbewusstsein) oder nach der Maßgabe des Intellekts richtet (Transzendentalbewusstsein im herkömmlichen Sinne und Kern oder Tenor des Rationalismus), auseinanderfallen, sondern weil (i) die Konvertibilität als Veranlagung des Bewusstseins eine determinative Orientierung im ­einen oder anderen Sinne verlangt und (ii) diese ohnehin nur und im Rahmen einer wesentlich beteiligten Projektion – als zugleich Situativität des (distinkten) Wahrnehmungs- und Erkenntnisbewusstseins – stattfinden kann (letztere Sektion im Sinne der Prolegomena fällt nunmehr fort), von der her alle Elemente, Realität, Gegenstände bis hin zu(m) (den) Erkennenden selber wirksam werden, wobei auch der Fokus, die seit insbesondere Husserls Phänomenologie betonte 54

Perspektivierung, hier fest etabliert ist. Bezeichnet man (in Anlehnung) den Richtungsstrahl, mit dem das Bewusstsein in der Realität (und außerhalb seiner) gründet – es ist demnach wesentlich rezeptiv –, ebenso als Vektor wie jenen, der in ihm selber entsteht und auf diese ausgerichtet ist – und dies sei das wesentlich spontane –, so wird die transzendentale Einheit des Bewusstseins – auf diesem im Übrigen, wie erläutert, polaren (und nicht am Widerspruch orientierten) Gesamthintergrund – in jedem Fall deren Äquivalenz oder Gleichsetzung gewähren müssen, was auch mit einer bestimmten quasi Lotstellung (oder orthogonalen Polarisierung, indem das Bewusstsein einmal aus dem Gegenstand, das andere Mal aus seinem Eigenzentrum fokussiert) identifiziert werden kann. Die Setzung des Bewusstseins als in diesem Sinne objectivus versus subjectivus, sein Verständnis der oben erinnerten Wende wird somit als Alternative wieder begehbar, welche Rationalismus, Transzendental- und analytische Philosophie auf die letztere einschränken woll(t)en; denn insbesondere Rezeptivität muss mit der eingesehenen Konvertibilität nicht mehr bedeuten, es sei das Bewusstsein im Ganzen hierbei nur sinnlich, untergeordnet aggregiert (klar jedoch verworren) und noch völlig für sich, jenseits jeglicher Initiierung der Verstandestätigkeit wirksam, als dass es diese vielmehr maßgeblich herausfordert und – gegebenfalls, dies aber substantiell, bestimmt. Sodann, um Vollständigkeit, muss aber auch gewährt sein, dass angesichts von Einheit des Bewusstseins und im Rahmen von Projektion, welche mit der Natur des Bewusstseins einhergeht, aller Integration von Gegenständlichkeit und von Selbstbewusstsein selber, die Intersubjektivität von einer resultativen und reflexiven Basis (aus dem gewissermaßen Verfahrensvergleich der Apperzeption) in eine fundamentale oder ­vorgängige – als kollektive – muss übersetzt werden können148. B. „Das räumliche ‚Außer‘ hat, wenn es als Anschauungsform begriffen ist, den (‚amphibolischen‘) Doppelsinn eines Außereinanders von Gegenständen (unterhalb ihres Begriffs) und von subjektiven Standpunkten der begrifflichen Bestimmung von Gegenständen“149. Es war auch Kants Auffassung, es müsse dem kritischen Geist möglich sein, auf Fundamenten Konklusionen zu entfalten, die ein überliefertes und insoweit vertrautes Gebäude verlassen. Der Satz 148 Mit einer Replik auf das Problem, eine nicht-reflexive Intersubjektivität, im Rahmen einer breiten Literatur, bei Fichte: Axel Honneth. „Die transzendentale Notwendigkeit von Intersubjektivität. Zum zweiten Lehrsatz in Fichtes Naturrechtsabhandlung“. In: Honneth. Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität. Frankfurt 2003, S.28-48. 149 Josef Simon, Kant. Die fremde Vernunft und die Sprache der Philosophie, BerlinNew York 2003, S.279.

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Josef Simons, der eine Unterscheidung Kants zu referieren sucht, jene, die zwischen einem Gebrauch von Begriffen in der Sinnlichkeit oder aber im reinen Verstande stattfindet und, unbedacht, eine Verwechslung evoziert (die Amphibolie), ist, wie inzwischen einsehbar geworden sein dürfte, komplizierter, als er erscheint. Im Wiederaufgreifen der letzten Abschnitte müsste, soll das kritische Fundament zur Gänze in Frage gestellt werden können, wie es ihr Autor eigens begrüßte, in Rechnung gestellt werden, dass ein Außereinander von Gegenständen ganz verschiedene Geometrien erübrigt, die von der heutigen Mathematik nachhaltig durch ihr Verhältnis zum Parallelenpostulat Euklids klassifiziert werden, als projektive (der noch Kant, kurz von dem Durchbruch zu Poncelet kein Augenmerk schenkte), elliptische, hyperbolische, die analysis situs150. Noch wichtiger aber ist die Frage der Logik – wie kann es unterhalb ihres Begriffs in der Anschauungsform Gegenstände geben, die sodann unter der Bedingung des subjektiven Standpunkts der begrifflichen Bestimmung unterliegen? Wenn der Standpunkt die Vermittlung leisten soll, dann müsste er, um Möglichkeit des Arguments, selber der Möglichkeit der Amphibolie unterliegen und eine sowohl empirische, unmittelbare und damit anschauliche, oder anderwärts begriffliche Bedeutung haben – jene, in der sich alle Anwendung von Kategorie unter Voraussetzung der Deduktion zur transzendentalen Apperzeption zusammenzieht151. „In der Tat ist das Selbstbewußtsein, ‚die Vorstellung der Apperzeption, das Ich‘, auch für Kant kein Begriff, ‚wodurch irgendetwas gedacht würde‘, sondern ‚nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff ‘“152. Da es auch die Grenze, hin zum „Bewusstlosen“, zu verantworten hat, wird es zum Synonym für „Bewusstsein“153, und so scheint tatsächlich diese Vermittlung gewährt. Was aber gilt für die Gegenstände, die Vermittlung der Möglichkeit, das Fichtesche bloße A = A anzusetzen, gleichgültig der Zuwendung, die aus Veranlagung des Standpunkts zu alternieren vermag? Schon um die Möglichkeit der Subreption zu umgehen, verlangt die Identitätsformel jetzt, die Stelle des A zu beachten. Dann aber befindet man sich in der Orientierung, die als Eigenschaft dem Bewusstsein immanent ist, mithin dem Standpunkt selber zukommt 150 Henri Poincaré, „Les fondements de la géométrie (1)“, in: Poincaré, dernières pensées, Paris 1913, Nachdruck 1963, S.174-175. 151 Die in der jüngeren Kant-Rezeption bei weitem dominierende Interpretation (p.e. Wenzel 2005, S.423, Wolfgang Carl), wenngleich Autoren wie Paul Guyer erhebliche Zweifel wegen der Zirkularität des Basisarguments geäußert haben. 152 Gemäß Interpretation eines Zitats aus den Prolegomena durch Wolfram Hogrebe, Metaphysik und Mantik: Die Deutungsnatur des Menschen, Frankfurt 1992, S.82. 153 Hogrebe 1992, S.82.

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und nicht erst zwischen Subjekten oder durch einen äußeren Wechsel wirksam wird, und das klassische Terrain, in dem Kant die Anschauung(sform) begriff, ist verlassen. Der Standpunkt kann somit kein echter Begriff der Transzendentalphilosophie, in den Fundamenten der transzendentalen Ästhetik oder Analytik, sein (zudem müsste er, wie noch zu zeigen, die transzendentale Ästhetik in die projektive überführen154). Woher aber stammt die Gewähr des [Selbst]Bewusstseins, es besäße Gegenstände unter seiner Anschauungsform? Dies müsste, die insbesondere Präposition streng gelesen, heißen, das ultimum subjectum ist unterschreitbar, es gibt, bei Erhaltung der Logik, einen Zugriff, der jenseits des Abstiegs durch klassifizierenden Begriff stattfindet155. In einer sorgfältigen Interpretation der Logik von Leibniz hat Deleuze zu zeigen gesucht156, dass bei Voraussetzung des point de vue, der bei Identität der Immanenz als der eindeutige Gegenspieler zum Standpunkt festgelegt werden müsste: metaphysischer oder (orthogonaler) Realknoten im Seienden, repräsentiert durch das Subjekt (und seine Unerschöpflichkeit oder prädikative Unabschließbarkeit), versus (notwendig) Knoten des Bewusstseins (und Polarität mitsamt Projektion ist Bedingung), eine solche Unterschreitung nur durch eine Gleichsetzung von sujet und concept 154 Vgl. insbesonderen nächsten Abschnitt zur Projektion. – Die „intendierte Subjektivität des Bestimmens“ wird daher – bei Kant – stets eine mögliche „Standortbedingtheit eines jeden Begriffs“ überragen (Simon 2003, S.131); denn „Kant setzt im Interesse eines kritischen Begriffs der Erkenntnis voraus, dass der Gegenstand, insofern er in der Anschauung gegeben ist, von sich aus kein (adäquates) Ende seiner begrifflichen Bestimmung vorgibt. Er bleibt gegenüber jeder Bestimmung durch den Verstand stehen für andere Bestimmungen“ (Simon 2003, S.131). Dann ist er offenbar bereits Gegenstand, mehr, sogar bereits bestimmt (S.134), wenn auch nicht in der Weise, wie durch den begrifflichen Akt geschieht, und imstande, sich dessen Prozess, ohne endgültig aufgezehrt zu werden, zu widersetzen. Und der Standpunkt bleibt, mag sogar auch der Gegenstand in der Anschauung selber sich manifest perspektivisch darbieten, ein Moment in der Objektivität, die ihn aufhebt. 155 Zur Historie der intensionalen Logik, in der das – nach aristotelischen Vorstellungen – ultime Subjekt im Zentrum steht: Hans Poser, „Ens et Unum convertuntur. Zur Leibnizschen Einheit und Monade“, in: A Lamarra (Hg.), Unità e Molteplicità nel pensiero filosofico e scientifico di Leibniz (Simposio Internazionale Roma, 3-5 ottobre 1996), Leo Olski Editore 2000, S.274-283, 275-278. Jean-Gerard Rossi, „La théorie monadique de Leibniz. Ontologie de particuliers ou ontologie d’universels? Sur Leibniz de Strawson“, in: Albert Heinekamp (Hg.), Beiträge zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte von Gottfried Wilhelm Leibniz, Wiesbaden 1986, S.369-375 (=Studia leibnitiana supplementa Band 26). 156 Les cours de Gilles Deleuze. Leibniz 16/12/1986. “Le Pli, recapitulation” [www.webdeleuze.com], Pdf-Version, S.15-18.

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möglich ist – und man befände sich nunmehr im Terrain einer vorkritischen, überdies intensionalen Logik. Sollte diese Toleranz dennoch gewährt sein, dann wird es sich nicht um ein einfaches Unterschreiten aufgrund dieser Logiken handeln, nicht darum, das ultimum subjectum aufzuheben157, um kraft einer Art von Inkavation, bei der wenigstens das Einzelne fokussieren müsste, eine absolute Konkretheit zu erreichen, sondern darum, die Bestimmung anders zu veranlagen: dass sie im Fächer der zugleich wirksamen Fakultäten auch mit der Anschauung kooperiert und Gegenstände erübrigt158, die – sodann – der konversen Bestimmung durch Begriff unterliegen (im ausschließlichen und eigentlich dogmatischen Sinne der Transzendentalphilosophie Kants, die auf diese Weise die Logik der Bestimmung zu rationalisieren sucht). Wie oben dargelegt (und an verschiedener Stelle nachzuweisen gesucht), sind aber diese beiden Formen und, zu ergänzen, eine mittlere nach ihrer Form für das Bewusstsein nicht identisch: (1)  FSENSUS (x) ⇒ [GIMAG (x’) ⇒ HINTELLECTUS (x’’)] (2)  GIMAG (x’) ⇒ [FSENSUS (x) ⇒ HINTELLECTUS (x’’)]

(3)  HINTELLECTUS (x’’) ⇒ [GIMAG (x’) ⇒ FSENSUS (x)],

wenngleich die Beziehung auf ein A=A überaus sinnvoll ist, da sich an ihm die Orientierung manifestiert (in den Formeln durch die Stellenschreibung respektive Indexierung, bei der in diesem Fall ›x‹ durchgehend so verstanden wird, dass der Gegenstand zuerst durch die Erfahrung gleich Sinnlichkeit aufgenommen wird, bevor ihm die jeweiligen Vorstellungen der Einbildungskraft und des Verstandesvermögens nachkommen: ›HINTELLECTUS(x) ⇒ [GIMAG(x’) ⇒ FSENSUS(x’’)]‹ 157 In der Kategorienlehre des Porphyrius das Individuum (Aristoteles, Philosophische Schriften 1, Darmstadt 1995, S.2, 8, auch Einzelding oder –wesen, S.4). 158 „Unterhalb eines Begriffs, der, als unterster, als am nächsten an die Anschauung heranführender Begriff gedacht ist, bleiben ‚im Prinzip‘ immer noch speziellere, konkretere und insofern bessere Bestimmungen möglich“ (Simon 2003, S.131). Da ‚unterhalb‘ einmal die Subordination der Fakultäten meinen muss und von jeder Subordination der Begriffe respektive Vorstellungen zu unterscheiden ist, wird, ist sie einmal eingeführt und hinsichtlich ihrer konträren Bestimmungsleistung erkannt, die Möglichkeit weniger ein Weiterbestimmen unterhalb des untersten Begriff (conceptus inferior) als eine Umkehrung der Erkenntnisrelation verkörpern – die zumindest nicht miteinander zu verwechseln sind. (Ebenso S.138: „Die begriffslose (und insofern noch rein ästhetische) Unterscheidung einzelner Fälle unterhalb des Begriffs, der von einem gegebenen Standpunkt aus als der unterste verstanden wird […]“. Zur Unabschließbarkeit deskriptiver Beschreibung, Ostension und Wahrheitsrelevanz: Nicholas Rescher, „Nonexistents Then and Now“, in: The Review of Metaphysics 57 (2003), S.359-381, §§ VI-VII.

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würde somit effektiv besagen, der Verstand ist auch Ursprung der Vorstellung des Gegenstands für das Bewusstseins, was freilich nicht die Regel sein kann). Das Plädoyer für Logik und Transzendentalphilosophie, insoweit es die Absicht verfolgt, die Fundamente eines an die Basisvermögen gebundenen Bewusstseins mit der überlieferten Metaphysik zu vereinen, läuft somit darauf hinaus, die Rationalisierung der Bestimmung als falsche Einseitigkeit des Bewusstseins aufzugeben, um sie im Kern der Vermögen, ihrer Faszikel, zu verankern.

2. Zur Projektion – Begriff und neuere Entfaltung in der Philosophie A. Der enzyklopädische Zugang. Historische und systematische Beziehungen und Ursprünge „L’esprit humain ne saurait être conduit autrement à placer sa véritable grandeur théorique dans une parfaite soumission à l’ordre naturel que nos artifices pratiques doivent ensuite améliorer autant que possible. […] Quoique nous semblions ainsi poursuivre exclusivement le progrès matériel, nous tendons nécessairement vers le principal perfectionnement intellectuel, consistant à transformer notre cerveau en un miroir fidèle du monde qui nous domine“159. „There is only the positive “fact-world” and individuals who use language to mirror it. Logic is not thought reflecting on its own inward structure - there are no “thinking beings”, only brain-equipped linguistic animals“160.

Dieses Kapitel verfolgt die Absicht, im Rahmen eines kurz gehaltenen Forschungsberichts den Begriff Projektion – neben dem gebräuchlichen Horizont und der Perspektivität – in die Philosophie einzuführen und, wo

159 Auguste Comte, Système de politique positive, 1851-54, in: Œuvres VIII/2, S.382; gesperrt Vf; gleichermaßen: „Le but le plus difficile et le plus important de notre existence intellectuelle consiste à transformer le cerveau humain en un miroir exact de l’ordre extérieur. C’est seulement ainsi qu'elle peut devenir la source directe de notre unité totale, en liant la vie affective et la vie active à leur commune destination […]“. Comte, der Positivismus, ist hiermit gleichfalls ein Ahne jener Philosophie, gegen die sich Rorty in seiner Ablehnung des Bewusstseins als Spiegel der Natur wendet (Zeyer 2005, S.5). 160 F.L. Jackson, “Post-Modernism and the Recovery of the Philosophical Tradition”, in Animus: Vol. 1 (1996): Recovering the the Tradition, p.10), in einer Skizze über Russell. „The realm of propositionally pictured fact is for Russell the only real world there is, the radically finite here-and-now world which analytical philosophy would oppose to the thought-world of traditional metaphysics“.

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geboten, seine Zusammenhänge mit der Konvertibilität aufzuzeigen. Der hierbei verfolgte Weg, der insgesamt eine Übersicht anstrebt, gleichwohl, zum einen wegen der geforderten Kürze, zum anderen weil es die zusammenhängende Geschichte nicht gibt, einen gelegentlich mosaikartigen Eindruck nicht völlig vermeiden kann, greift (i) verschiedene historische, zum Teil bedeutende, zum Teil unbedeutendere Anlagen auf, und er erläutert (ii) in systematischer Absicht Zusammenhänge mit der neueren Sprachtheorie und Logik, bei denen von der Sache her die Beziehung zum Projektionsbegriff geboten erscheint. Dieser Abschnitt kulminiert in der Darstellung und Auseinandersetzung mit dem Versuch Nelson Goodmans, die Projektion als eine Substition der Induktionstheorie zu behandeln sowie Fichtes spätere Berufung in der Wissenschaftslehre.

I Einführung und Begriffswandel. Seit dem Zeitalter des Idealismus, der Hochblüte des Hegelianismus bedeutet Projektion eine „Hinausverlegung des Empfundenen in die Richtung, von welcher ein Reiz das Bewußtsein zu einer Reaktion veranlaßt“161. So erscheint sie, in einem bestimmten Sinne, als eine zugleich Ablösung und Verengung der Spekulation (specula, Überschau oder Umsicht im Anschluss an Henrich)162. Diese moderne, durch den Kritizismus, die Urteilstheorie, die Subjektivität und die Phänomenologie verantwortete Auffassung, die gegenüber der klassischen Metaphysik auf die Projektion einer unbedingt einfachen Rationalität hinaus will163, übersieht gleichwohl mit dem ihr eingeschriebenen, bald schon Gewohnheit gewordenen Vorsatz, den auch

161 H.M.Saas, Art. „Projektion“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Band 7, Darmstadt 1989, S.1458. Simon Blackburn, „Projectivism“, in: Routledge Encyclodia of Philosophy, General editor Edward Craig, London-New  York 1998, S.737-740. „Projektion (mathematisch)“ und „psychoanalytisch und sozialpsychologisch)“, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 3, Stuttgart 1995, S.354-357. 162 Dieter Henrich, „Grund und Gang des spekulativen Denkens“, in: Henrich & Horstmann 1988, S..83-122, 90. 163 In deren Licht diese einfache oder Mono-Rationalität als Anthropomorphismus erscheint: „And the rationalist metaphysical tradition of which we have spoken has officiated at many such nuptials: an essentialism that is appropriate with regard to what we have constituted or made is then projected anthropomorphically out onto the world, which we have not constituted or made“ (Nussbaum 2003, „Aesthetics and the Problem of the Evil“, ch.5).

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die gegenwärtige, analytisch verfasste Erkenntnistheorie kennzeichnet164, das konträre Moment: einen Charakter-, mehr, Wesenszug, ohne den sie gar nicht bestehen könnte. Folgt man dem Historiker, so übersieht sie zudem, dass sie das Produkt einer Projektion selber ist165 – Auguste Comte dient uns mit einem wiederholten Hauptschluss zur wenigstens Verifikation dieser Möglichkeit (die im Übrigen auch im engeren Umkreis der urhebenden Religionsphilosophie wirksam ist, wie weiter unten in Zusammenhang mit Feuerbach in Kürze behandelt wird). Um aber zunächst an den Einleitungssatz anzuschließen, auch Simon Blackburn, der in der Routledge Encyclopedia den Artikel über Projectivism verfasst hat, zieht die Möglichkeit, dass sich hinter der Affektion eine gleichfalls wahre Projektion verbergen könnte, nicht in Erwägung, um sie, in Konsequenz, zu ersetzen. „Perhaps the most simple and forthright combination of doctrines would be that the [projective] mechanism is one of displacing, or relocating, what is in fact a feature of our experience, and making it into a feature of the world. The consequence is that we make a mistake, erronously treating the world as containing features that it does not really contain (an error theory)“166.

Der Fehler oder zunächst „error“, mit dem sich weit gefasste projektive Theorien oder Auffassungen unter dem „projective model“ der Möglichkeit nach oder tatsächlich konfrontiert sehen – hierzu zählen die cartesische Farbtheorie (die Wellenlängen oder das Prisma übersieht), die Kausalitätsannahme ­Humes167, die ästhetische Urteilstheorie Kants168, manifest durch Reichenbach 164 Insbesondere der methodologische Apriorismus im Konzert der übrigen Einstellungen (Grundmann 2001, S.17). 165 „Die Auffassung, das Ich bilde eine vom (reinen) Intellekt beherrschte Hierarchie der Vermögen, ist indes ursprünglich keine empirische ‚Entdeckung‘ gewesen, sondern sie gestaltete sich bereits im Rahmen traditioneller Metaphysik und stellte im Grunde eine Projektion des für diese letztere entscheidenden Dualismus von Geist und Materie in den Menschen selbst dar. Die erste philosophisch herausgearbeitete Hierarchisierung der kognitiven Vermögen in diesem Sinne, wie sie uns bei Platon begegnet [Politeia 476a – 480a sowie 509c-511e], beruhte ausdrücklich auf einer Entsprechung zur Hierarchie der ontologischen Ebenen“ (Panajotis Kondylis, Die neuzeitliche Metaphysikkritik, Stuttgart 1990, S.25 bis Ende des Absatzes). 166 Blackburn 1998, S.738. 167 Bei der offensichtlich Goodman ansetzt, auf den wir weiter unten zu sprechen kommen (Nelson Goodman, Fact, Fiction, and Forecast, Indianapolis 1965, S.81-83). 168 In Einklang mit Interpretationen von Kaulbach bis Ted Kinnaman, „Symbolism and Cognition in Kant’s Critique of Judgement“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 82 (2000), S.266-296, glauben wir nicht, dass das projektive Moment, falls es

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zu ergänzende Wahrscheinlichkeitstheorien (Ramsey und De Finetti‘)169, erkenntnistheoretische und modale Theorien der Vorhersage170, die Interpretationstheorie171 sowie, nicht zuletzt, Interpretationen der neueren klassischen Philosophen (Leibniz/Deleuze versus Kant/Palmquist)172 –, beruht somit an erster Stelle darauf, im Licht eines Begriffs, offen beansprucht oder nicht, bei dem die veranlagte Einseitigkeit oder Fixierung eigentlich unmöglich ist, nur eine Art von Projektion zu veranschlagen: jene, in der man auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch sagt, man habe eine Eigenschaft oder Tugend („virtue“) fälschlich auf die Wirklichkeit, die sich anders verhalte, projiziert (und Möglichkeiten der virtuellen Projektion sind demgegenüber sekundär173). An der Raum- und der Zeiterfahrung bemessen – einem wahrem historischen Bewusstsein, in dem Gegenwarts- und Erinnerungsbewusstsein eine zutreffende natürliche, und keineswegs zufällige oder beliebige, Projektion enthalten –, sieht sich die Metaphysik hingegen mit einem ganz anderen Fehler konfrontiert: jenem, in dem die notwendige Koinzidenz beider Veranlagungen, einer Projektion auf Wirklichkeit und einer Projektion von der Wirklichkeit her, oder aber wenigstens einer Projektion, in der das rezipierende Bewusstsein das Ziel und nicht der Ursprung ist, nicht zustande kommt174. Im Rahmen der Hermeneutik, auch wenn sie nicht den hier prononcierten allgemeinen Standort verkörpert, ist der schlagend gewordene Begriff der Horizontverschmelzung Gadamers hiervon unmittelbar und unausweichlich betroffen, wobei weder er noch sein maßgeblicher Interpret

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in der ästhetischen Theorie Kants verankert ist, ohne eine wesentliche Auslösung erhoben werden könnte. Howson 1992, S.199-200. Neben Goodman p.e. Nicholas Rescher, „Nonexistents Then and Now“, in: The Review of Metaphyiscs 57 (2003), S.359-381. Abel 1993, S.61, 125, 135-142 (mit Beziehung auf Goodman, s.w.u.). Wir haben die Liste ergänzt, diskutieren insbesondere Palmquist weiter unten. Der Vorwurf der einseitigen Projektion trifft am geringsten auf Deleuze zu, seine Interpretation stellt aber andere Probleme im Verhältnis von Inhalt und Texttreue (Gilles Deleuze, Le Pli: Leibniz et le Baroque, Paris 1988). Auch: Deleuze, „Le Pli, recapitulation“, ([www.webdeleuze.com], Pdf-Version). „[…] das Phänomen der Projektion, durchaus im Sinne Freuds […]: dass bei der Fremdbeurteilung viele Personen projizieren, d.h. ihre eigene Situation und Bedürfnislage der Testperson unterstellen“ (Grundlagen und Methoden der Differentiellen Psychologie, hg. v. Kurt Pawlik, Göttingen 1996, S.518 = Enzyklopädie der Psychologie, Reihe C, VIII, Band 1). Hier auch der vorrangige Gebrauch Adornos, p.e. Nr.103, Minima moralia, Frankfurt 1951, S.215. Dies betrifft auch die historische Wahrheit, ausgehend von Kap. IV B-C.

Jean Grondin auf die definitive Grundlage, das Problem und Vermögen der Projektion, bislang zurückgreifen175. Auch wenn die Mathematik manifeste Begriffe und Modelle bereitstellt, darüber hinaus auch die Kartographie (mit einer Genauigkeit, die bereits das ausgehende Renaissancezeitalter charakterisiert)176, sie müsste nicht vorangehen, um die Einsehbarkeit zu gewährleisten. Realismus und Konzeptualismus müssen daher nicht als disparate Elemente der Gabelung der neueren Metaphysik stehen bleiben, wie insbesondere an den Kategorien sichtbar und in diesem Buch als eine Hauptthese vertreten wird177. Vom Begriff her, insbesondere aber, wenn man nunmehr das mathematische Modell zugrundelegt, in dem heute die Transformierbarkeit oder Invarianz unter den Geometrien vorherrscht178, ist die zuvor beanspruchte Umkehrbarkeit unmittelbar ihr Wesen – Verfahren und Ausdruck einer „umkehrbar eindeutigen“ Abbildung179 (und Notwendigkeit). Die Umkehrbarkeit oder Umschlagbarkeit muss somit auch ihr erstes Definiens bedeuten180, wobei von vornherein mit der Tatsache zu rechnen 175 Jean Grondin, „La fusion des horizons. La version gadamérienne de l’adaequatio rei et intellectus?“, in: Archives de Philosophie 68 (2005), S.401-418. 176 Helmut Walser Smith, „The Mapmaker’s Colors. Discovering Germany along the Road to Rome“, in: The Berlin Journal Nr 10 (2005), S.51-53 (Hg. American Academy Berlin). 177 Thomasson, Amie, „Categories“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2004 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = http://plato.stanford.edu/archives/fall2004/ entries/categories/ (Thomasson, Fiction and Metaphysics. Cambridge. CUP 1999); Liske 2004. 178 Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Band 5, in: Gesammelte Werke, Hamburg 2000, 1.Kap. mit Rekurs auf die Arbeiten Felix Kleins. In einem bedingten Sinne gilt dies auch für den Rückgriff auf den Satz des Desargues für Hilbert (worauf wir eigens zurückkommen). 179 So die Darstellung Hilberts: „Wenn wir das ganze Gebiet der projektiven Geometrie übersehen, so erkennen wir als die Grundidee das Princip der umkehrbar eindeutigen Zuordnung – also im Wesentlichen den Begriff der Projektivität“ (Toepell 1986, S.37). Becker deutet diese umkehrbar eindeutige Beziehung wohl als „eineindeutig“: „Den ersten Beweis für die Widerspruchsfreiheit der nichteuklidischen Geometrie im Raume mit rein geometrischen Mitteln gab Felix Klein, indem er die nichteuklidischen geometrischen Grundelemente, Punkte, Geraden, Ebenen, auf bestimmte Punkte, Geraden, Ebenen des euklidischen Raumes eineindeutig abbildete, unter Einführung einer geeigneten ‚projektiven Maßbestimmung‘, die z.B. die Streckenlänge durch den Logarithmus eines Doppelverhältnisses (im Sinne der projektiven Geometrie) darstellt und ursprünglich auf A. Cayley zurückgeht“ (Becker 1975, S.194). 180 Zur Definition siehe weiter unten (I.E: Orientierung).

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ist, dass, ohne Fehler, gleichwohl eine Transformation der Substrate, um es abstrakt auszudrücken, stattfindet (zumindest als Veränderung der Mensur stattfinden kann) – eine projectivity, die einen arbiträren Zentralpunkt involviert, wird auch die Reihe der geordneten Punkte verkehren181 (den man übrigens nicht mehr unmittelbar ‚sieht‘), anderwärts wird eine Projektion (wie sie in der Frühzeit der Entwicklung der Zentralperspektive vorübergehend in Gebrauch war), die über eine gewöhnliche Tafel und eine vorgelagerte gekrümmte Linie (= Linse) verläuft, keine Konvergenz (M) gebieren182, diese aber – als lineare Projektion – ist Basis der menschlichen Visualität (und Kanon oder „convention“ der Malerei seit der Renaissance183). Zusammengenommen, müssen auf diesem Hintergrund die Natur des Bewusstseins und die Natur der Projektion geradezu zu einer Einheit oder Notwendigkeit zusammenwachsen, von der her nicht mehr die Reflexion auf Projektion gefragt ist – wann sie vorliegt und was sie leistet –, sondern warum sie, von Anbeginn, in Vergessenheit geriet und gerät. Der Begriff der Intentionalität ist hier einzubeziehen, denn gemäß Husserls wohlbekannter Auffassung muss sie den Beweis leisten, dass das Bewusstsein stets Bewusstsein von etwas ist, in der Phänomenologie selber aber tritt bereits das resultierende Problem in Erscheinung, ob die ontologische Fundierung des Bewusstseins aus sich selber hinreicht (Heidegger/Gadamer)184. Nach rezenten oder weit zurückliegenden Berührungen in der Literatur, die gelegentlich im Haupttext weiterverfolgt werden müssen, diskutieren wir im Anschluss Ansätze zu einem Modell in der Kantforschung, in der Literaturtheorie und wenigstens die Anfangsgründe für den Zusammenhang mit dem Begriff der Orientierung185, nicht ohne unerwähnt zu lassen, dass 181 Eine Projektivität ist eine mehrfache Projektion geordneter Punkte- oder Geradenpaare („a finite product of perspectivities“, Judith Cederberg, A Course in Modern Geometries, 2nd edition, Berlin 2000, S.232). Wenn ein zusätzlicher – arbiträrer – Zentralpunkt in, p.e., der zweiten Ableitung (oder dritten Ebene) auftritt, verkehrt sich die Projektion der geordneten Punkte (S.234. Der Fall wird aufgegriffen unter dem von Lenk diskutierten Netzwerkmodell, Kap. IV A.4). 182 Dominique Raynaud, „Une propriété mathématique de la synthètique réfutant son existance médiévale (1295-1450)“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 67.Band (2004), S.449-460, 456-458. Leibniz erwähnt gelegentlich ohne weitere Vertiefung diese Möglichkeit. 183 Raynaud 2004, S.260. 184 Hans Georg Gadamer, Les chemins de Heidegger, trad. Par Jean Grodin, Paris 2002, S.124-125. 185 Der neuralgische Ansatzpunkt in der Kant- und Leibnizliteratur sind die kongruenten Gegenstücke, bei der die Projektion bis heute unberücksichtigt blieb (p.e.

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die Relativitätstheorie und die Quantenphysik gleichermaßen Theorien auf der Basis von Projektion darstellen: die Forderung besteht aber durchgehend darin, Projektion aus der Natur des Bewusstseins, ohne physikalische, instrumentelle oder theoretische (Vor-)Bedingungen zu erklären, die jenseits der Philosophie begründet sind. Von der Philosophiegeschichte her lässt sich die andere, alternierende Grundlage der Projektion bis zu einem der berühmtesten Gedanken der Philosophiegeschichte zurückverfolgen, um in der Moderne bei der Veranlagung des Projektionsbegriffs in der Wahrheitstheorie Hans Reichenbachs zu enden186. „Die Gegenstände werden auf unsere Sinnesempfindungen projiziert, aber nicht reduziert“187, legt Reichenbach seinem „Quasi-Realismus“ zugrunde, dem er die ontologischen Folgerungen, das originäre als das ausgehende Sein, gleichwohl kaum mehr zugesteht. Die oben erwähnte Ersetzung der Affektion aber ist hiermit durch einen Wissenschaftstheoretiker möglich geworden, wenngleich sich Reichenbach im Kontext um keine theoretische Voraussetzung des Begriffs Projektion kümmert, sei es ihre Bedingung im (transzendentalen oder anders konstituierten) Bewusstsein, sei es ihre Beziehung zu Polarität und Mathematik, Naturwissenschaft. Anderwärts, insofern ein Plädoyer für die Projektion zu umreißen ist, galt für jenen berühmten Gedanken, der vielleicht den Apex der Philosophiehistorie verkörpert, es sind es nur Schatten, mithin ebenso echte Projektionen und nicht etwa Einbildungen188, die als Manifestation der Ideen auf der Höhlenwand wahrzunehmen sind, nunmehr auf der anderen Seite verwurzelt. Platon leitet daher eine „Kunst der Umlenkung“ ab, die der Seele, sobald das Gleichnis zu deuten ist, ermöglicht einzusehen, dass sie unmittelbar zu einer Brigitte Falkenburg, „Kants Einwände gegen Symmetrieargumente bei Leibniz“, in: Carl Friedrich von Weizsäcker und Enno Rudolph (Hg.), Zeit und Logik bei Leibniz. Studien zu Problemen der Naturphilosophie, Mathematik, Logik und Metaphysik, Stuttgart 1989. Falkenburg, Kants Kosmologie. Die wissenschaftliche Revolution der Naturphilosophie im 18. Jahrhundert, Frankfurt 2000. James van Cleve, Robert E.Frederick (eds.), The Philosophy of Right and Left. Incongruent Counterparts and the Nature of Space, Dordrecht: Kluwer 1991). 186 Außer der Hauptinstanz, dem Höhlengleichnis, die Erklärung des Sehens als ein Produkt des inneren und – ähnlichen – äußeren Feuers, bis hin zur Erklärung des Spiegelbildes, in: Timaios 44d-46c (Werke Band 7, Darmstadt 1990, S.74-79). 187 Hans Reichenbach, Erfahrung und Prognose, in: Gesammelte Werke in 9 Bänden, hg. v. A. Kamlah und Maria Reichenbach, Band 4, Braunschweig 1983, S.81, 82. 188 In der Platon-Interpretation ist der Begriff des Spiegels wirkungskräftig geworden, um die Relation zu erklräen (Radermacher 1973, S.296-297, 1.7.-1.8) Ähnliche Aspekte im Verhältnis Leibnz-Platon, Riley 2006, Abschnitt III.

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­ rkenntnis der Ideen imstande ist, weil sie ihr innewohnen, jedoch nicht so, als E ob ihr „das Sehen erst einzubilden, sondern als ob es dies schon habe und nur nicht richtig gestellt sei und [also] nicht [dahin] sehe, wohin es solle“189. Auch für die Geometrie, in den verschiedenen Fazetten, in denen dieser Begriff wirksam geworden ist – zuerst in der berühmten Tafelperspektive seit der Renaissance (mit Vorläufern im ausgehenden Mittelalter190), dann in der Erneuerung und endlichen Durchdringung der Kegelschnitte (Satz des Desargues und Satz des Pascal) bis hin zu den modernen algebraischen und mengentheoretischen Darstellungen projektiver Flächen191 – ist, wie soeben erwähnt, diese Richtung maßgebend oder wenigstens maßgebender, wenn es gilt, das Produkt, das durch Projektion erzeugt wird, zu erklären (und nach seinen neuartigen, von Euklid abweichenden Proportionen oder Maßen zu beschreiben). Tatsächlich kann man kaum umhin, der jüngeren Geschichte, die am enzyklopädischen Ort referiert wird192, den Vorwurf zu machen, sie habe – gemessen am ersten Modell, dem der Tafelprojektion193 – nicht hinreichend begriffen, was sie konstituiert.

II „Je dirois plustost qu’il y a une maniere de ressemblance, non pas entiere et pour ainsi dire in terminis, mais expressive, ou de rapport d’ordre, comme une Ellipse et meme une Parabole ou Hyperbole ressemblent en quelque facon au cercle don’t elles sont la projection sur le plan, puisqu’il y a un certain rapport exact et naturel entre ce qui est projetté et la projection, qui s’en fait, chaque point de l’un repondant suivant une certaine relation à chaque point de l’autre. C’est ce que les Cartesiens ne considerent pas assés et cette fois vous leur avés plus déferé, que vous n’avés coustume et vous n’aviés sujet de faire“194.

Grundzüge bei Leibniz. Seit (wenigstens) den Nouveaux Essais von Leibniz ist diese Ambiguität der Projektion präsent – sie aus der Besonderung einer 189 Platon, Politeia, 7. Buch, 518d, in: Werke Band 4, Darmstadt 1990, S.166-167. 190 Zwei rezente und aufschlussreiche Beiträge: Michel Gallet, „Réflexions sur la Perspective, à propos d’un livre de Daniel Arasse“, in: Gazette des Beaux-Arts, 6ième période Tome CXXXVI, 142 année (2000), S.69-72); Raynaud 2004, insb. S.451-452). 191 Albert/Sandler 1968. 192 Mit Ausnahme freilich der mathematischen Projektion in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 3, 1995, S.354-356. 193 Unter den Philosophen hat sie wenigstens Leibniz, ohne weitere Konsequenzen, erklärt: Préceptes pour avancer les sciences, in: GP VII, S.157-175 = A VI/IV, Teil A, S.692-712, 708-709. Vgl. im Übrigen, wie erwähnt, Koyré 1956, S.260-261, 264, zur Typologie entre géométrie et algébrisme. 194 Leibniz, NE, II, ch.VIII, § 13, in: GP V, S.118-119 (= Philosophische Schriften 3.1, Frankfurt 1996, S.146-148).

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Methode und geometrischen Darstellungsform herauszuheben in das ganz andere Spezifikum einer generellen Bedingung des Bewusstseins, seiner Vorstellungsform. Obgleich auch er, der sie als Perspektive (in der Kunst der Malerei) gelegentlich erwähnte195, als Analogie seinem Begriff der Kontinuität – als Erläuterung der lex continuitatis196 – unterstellte, in der Analysis und Charakteristik hingegen davon zu befreien suchte (gewiss, weil er den Raumbegriff hätte vollkommen anders konstituieren müssen, da der letzte Grund des Raumes nicht gleichermaßen als Projektion und als projizierter auftreten könnte, überdies eine wesentliche, irreduzible Beziehung zur Polarität unterhalten hätte), und auch weder bei der Veranlagung der Ideen (wo er eine ‚fulguration‘ aus dem göttlichen Geist oder „une mise dans notre ame“ annimmt)197 noch bei der Manifestation phänomenaler Ausdehnung die Projektion tituliert198, die zitierte Passage geht über diesen Rahmen hinaus. Nicht allein, dass die Kegelschnitte, die er zur Erklärung der genannten Beziehung zwischen Körper und Seele (oder Geist, diese Seite schwankt in den Quellen als l’ame ou esprit) heranzieht, in der Visualität fest verankert sind (was, obgleich er sich auf den Kegel bezieht, auch für den Satz des Desargues gilt199), sondern der Vorwurf gegen Descartes muss auch 195 S.o., sowie Leibniz, Brief an Wagner (1696), in: GP VII, S.523 (= Philosophische Schriften V, Darmstadt 1989, S.92). Sie gilt als subalterne Wisskunst, den Vernunftwahrheiten gleichgestellt. 196 Leibniz, Principium quddam generale non in mathematicis tantum sed et physicis utile, in: GM VI, S.129-135; die unbedingte Homogenität des Raumes und seiner geometrischen Begriffe spiegelt sich in den sehr späten „Initia Rerum mathematicarum metaphysica“, in denen er, gleichermaßen erstaunlich wie bedauerlich, die Projektion nicht mehr behandelt (GM VII, S.17-29). 197 Leibniz, Monadologie § 47. „[…] dont toutes les Monades creées ou derivatives sont des productions, et naissent, pour ainsi dire, par des Fulgurations continuelles de la Divinité de moment à moment, bornées par la receptivité de la creature, à laquelle il est essential d’être limitée“. Aufgrund dieser Bedingung (Rezeptivität) sind die Ideen manifest eingeschlossen, wenn auch die Fulguration mit der gesamten Erzeugung der Monaden übereinkommt. La mise dans notre ame: “Nouvelles ouvertures” = 2.Geschichte im Kanon des Wissens und der Wissenschaften (1686), in: Schriften und Briefe zur Geschichte, hg. v. Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel, Hannover 2004, S.64. 198 Gleichgültig, ob eine Schrift wie die Nouveaux Essais, die Briefwechsel mit Arnauld und De Volder oder der Entretien de Philarete et D’Ariste, suite du Premier Entretien D’Ariste et de Theodore herangezogen wird, inklusive der Frage wie die Infinität interpretiert wird (p.e. GP VI, S.579-594, 593). 199 Siehe Kapitel „Ordonnance…“, Abschnitt Satz des Desargues bei Hilbert (den Nachweis über Lambert, Fig.4).

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ihn selber treffen, da er im Umkreis die primären Eigenschaften diskutiert und zu erklären sucht, warum bestimmte Ideen (die Locke zu den sekundären zählt), „[ne] soyent pas arbitraires et sans rapport ou connexion naturelle avec leurs causes“200. Umso mehr muss dies für die Quantitäten, die Ideen der Ausdehnung, gelten, wobei auch das Verhältnis von vis prima und secunda oder derivativa sich der Möglichkeit des Einflusses dieser Beziehung nicht entziehen kann, und die Projektion wandert in die Achse der metaphysischen Beziehung – die Malerei, die Künste, an denen die klassischen Philosophen (Lambert ausgenommen, aber seinen Traktat hat er als Mathematiker verfasst201) konstant vorbeigegangen sind, sind das Residuum der zugleich Praxis gewordenen theoretischen Bemühung bis zur Auflösung der Gegenständlichkeit. Deleuze, den wir oben erwähnten, erzeugt gegenüber diesem Vorbehalt eine Art von Umschlag, oder seine Interpretation steht auf der Grenze. Gewiss, was die Vektorierung der Projektion angeht, hatte Leibniz behauptet, „[que] les perceptions ou expressions des choses externes arrivent à l’ame à point nommé [le point de vue]“202. Wird er aber zu einem Faktum, das auch die Kegelschnitte rechtfertigt – und wie lauten sodann (i) die akkuraten Erfahrungen, wenn sie, nicht nur spatial, auch die Teilung des Zentrums einschließen203 –, (ii) müsste die Seele ihre partout Unräumlichkeit preisgeben – sie partizipiert an der Polarität –, zudem gerät, wie angedeutet, (iii) die Infinität in eine immanente Überschneidung (da sie nicht nur die stets, bis zuletzt prononcierte homogene Ausbreitung und ihre Differenzierung bedeuten kann204, und die inflexion, die Deleuze zum Zentrum der Ontologie erhebt, kann weder einfach ihre Mitte noch ihr Medium bedeuten). Auch glaubte Leibniz, dass das „Grundgeschoss“ der Materie – als Körper oder „masse organisée“ – überall von Seelen bevölkert sei, die alle(!) einen ‚point de vue‘ besitzen, der somit nicht nur den vernunftbegabten Seelen der ersten Etage zukommen kann (so sehr, dass die tote Materie oder Anorganik gegenüber der Kontinuität kaum eine Bedeutung

200 Leibniz, NE, II, ch.VIII, § 13, in: GP V, S.118 (= Philosophische Schriften 3.1, Frankfurt 1996, S.146). 201 Und eine projektive Theorie des Raumes von Seiten der Philosophie nicht eingeschlossen (Lambert 1943). 202 Leibniz, Nouveaux Systeme de la Nature et de la Communication des Substances, § 14 (GP IV, S.484). 203 Die nicht nur durch das „schéma élémentaire des deux foyers de l’inflexion“ bedeuten können, in der jeder einen point de vur repräsentiert (Deleuze 1988, S.35). 204 Was Deleuze (u.a.) nicht deutlich auseinander hält (1988, S.28-29), anlässlich des Übergang von extensio und point de vue.

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gewinnt205. Und seit dem Discours variiert er sehr wohl mit dem intelligiblen, der Einsicht fähigen und an der regio idearum teilnehmenden Subjekt, indem seine jeweilige – bewegliche – Lage und Standort den aller übrigen, das ganze Universum repräsentiert206). Dass die Logik aufgrund dieser ‚Setzung‘ anders funktioniert und das Individuum (subiecturm ultimum) erreicht bzw. in den Anfang setzt207, ist wohlbekannt (wenn auch vielleicht nicht angemessen respektiert). Wenn anderwärts die Inversion zwischen un sur infinité versus infinité sur un das Verhältnis der einfachen Monade zur göttlichen beschreibt – hier aber müsste wiederum die Infinität par projection bereits greifen208 (wie sie demnach auch in der heutigen Mathematik ganz anders ausgedrückt wird, und sie gehört bei ihm zur zweiten Form)209 –, dann vermag Leibniz, mit dieser Unterstreichung durch Deleuze, dennoch, oder wieder, dem seit Putnam verdächtigten Mythos entgegenzutreten, der God’s Point of Vue sei aufzugeben und die metaphysische Beziehung in eine unbedingte Internalität einzuspannen210. Das ›Gewölbe‹ des menschlichen Geistes – seine Spiritualität – muss keineswegs ausschließlich und endgültig mit der durch ihn oder sie selber gesetzten Grenze existieren (als absolutum restitutum), anderwärts verliert auch der Platonismus sein unbedingtes Residuum, wenn dem Geist eine echte und allseitige Projektion unterstellt wird: als eigenes, originäres oder ›gleichursprüngliches‹ Vermögen, nicht nur als ontologisches Charakteristikum, durch

205 Was sich vielleicht bereits durch die folgende Proportion erklärt: „Les plis inorganiques des milieux passent entre deux pli organiques“ (Deleuze 1988, S.14). 206 „Ce n’est pas le point de vue qui varie avec le sujet, du moins en premier lieu; il est au contraire la condition sous laquelle un éventuel sujet saisit une variation (metamorphose), ou quelque chose = x (anamorphose)“ (Deleuze 1988, S.27). Dies scheint den Raum unzulässig, gegenüber Leibniz, zu ontologisieren: Die Polarität verlangt ein Zugleich, nicht die Reduktion oder Entscheidung. 207 Deleuze 1986, S.16-21. 208 In Anlehnung an die Erläuterung des point métaphysique im Système: „Il [le point mathématique] est dans le corps, dans la chose étendue. Mais à ce titre, nous l’avons vu, il est seulement la projection d’un troisième point dans le corps. C’est le point métaphysique, l’âme ou le sujet, ce qui occupe le point de vue, ce qui se projette dans le point de vue“ (Deleuze 1988, S.32). 209 Um die Grundbedingung zu artikulieren gegenüber einer bloßen Zwischenstation, in der Formen der anfänglichen Kurvenreflexion auf Ebene oder Raum projiziert werden (Deleuze 1988, S.22-23 versus „c’est le point de vue dans chaque domaine de variation puissance d’ordonner les cas“, nach Einführung der Kegelschnitte, S.30). 210 Wir kommen hierauf in Zusammenhang mit dem Wahrheitsbegriff zurück.

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das sich sein Dasein in die(der) Materie projiziert(wird)211. In der Postmoderne gibt es gelegentliche Stimmen, etwa der Soziologe Peter Berger, die erneut diese Transzendenz verlangen (s.w.u., VII)212.

III „Omnes clarae et distinctae perceptiones quas formamus, non possunt oriri nisi ab aliis claris et distinctis perceptionibus quae in nobis sunt, nec ullam aliam causam extra nos agnoscunt. Unde sequitur eas ex sola nostra natura ejusque legibus pendere, hoc est ab absoluta ejus potentia, non vero a fortuna“. „Omnis perceptio sensio, sententia est affectio mentis quae involvit objecti existentiam“213. „Mens humana nullum corpus externum, ut actu existens, percipit, nisi per ideas affectionum sui Corporis“214.

Projektion und Ontologie, oder das Verhältnis von existierendem Gegenstand und aggregiertem Bewusstsein. - „Welcher Art sind Erfahrungen und wie ist ihr Gehalt beschaffen? […] Der klassische Empirismus hat Erfahrungen als nichtdoxastische Bewusstseinszustände aufgefasst, bei denen Existenz und Bewusstsein zusammenfallen“215 – oder koinzidieren. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, verbirgt, und schon im selben Zeitalter, die Probleme des aggregierten oder verworrenen versus eines Bewusstseins, das zur Apperzeption gelangt ist216. Dabei kann das Bewusstsein weder seine eigene Existenz noch die des Gegenstands allein durch Reflexion gewinnen, wenn auch versichern, und die Koinzidenz, in der beide – als Relation – existieren, weist auf die Basis der Projektion hin. So sehr

211 „Dès lors, la localisation de l’âme dans une partie du corps, si petite qu’elle soit, est plutôt une projection de haut sur le bas, une projection de l’âme en un ‘point’ du corps, conformément à la géométrie de Desargues, suivant une perspective baroque“ (Deleuze 1988, S.17-18, 32). 212 Bernice Martin, „Berger’s anthropological theology“, in: Linda Woodhead with Paul Heelas and David Martin (eds.), Peter Berger and the Study of Religion, London 2001, S.161. 213 Leibniz, Fragment, in: A VI, S.1434. 214 Spinoza, Ethica, II, Prop. XXVI, in: Spinoza Opera II, S.112. (Der menschliche Geist fasst einen äussern Körper nur durch die Vorstellungen der Affectionen eines Körpers als wirklich daseyend auf “[Sämmtliche Werke II, S.64]). 215 Thomas Grundmann (Hg.), Grundlagen der Erkenntnistheorie, Paderborn 2001, S.24. 216 Syliane Malinowski-Charles, „Baumgarten et le rôle de l’intuition dans les débuts de l’esthétique“, in: Les Études philosophiques Nr.4 (2005), S.537-558.

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diese – über den Gesichts- und Hörsinn oder Visualität und Akustik – notwendig alle Gegenständlichkeit der Welt vermittelt, so sehr stellt sich auch die weitergehende Frage, wie sie in die Konstitution und Artikulation des Bewusstseins selber eingreift, sei es im Hinblick auf Wiedererinnerung und Rekognition, sei es für die Geltung der Intersubjektivität, schließlich der Konstitution und dem Gebrauch von Sprache. Wenn nun für die metaphysische Prämisse der Tradition gilt, dass der Glauben an die Existenz der Gegenstände auf einem „Pouvoir déterminant“, einem determinierenden Vermögen, vielleicht sogar Macht beruht, die der Gegenstand bezeugt respektive innehat und auf das Bewusstsein ausübt, dann ist diese Behauptung – als erste Erklärung der Transzendenz – nicht nur eine Parallele zum oben eingeführten Wahrheitsbegriff Reichenbachs, der behauptet, die Gegenstände werden auf unsere Sinnesempfindungen projiziert (und nicht diese auf die Gegenstände reduziert), sondern dieses Vermögen ist auch eine direkte Parallele zur Konvertibilität und mit dieser konsistent: „En chacun de ces domaines, ce qui qualifiait l’attitude de l’esprit en son acte de connaître était l’immédiate croyance en l’existence d’objets que l’on abordait dans leur extériorité immédiate et sous la raison de leur pouvoir déterminant, étant entendu que cette détermination, pour lors, ne se posait pas au terme d’un mouvement de réflexion, mais procédait d’une visée unilatérale tenant dans la prise en compte de ce que l’on pourrait appeler la transcendance de ce qui se donne: (être), âme, monde, Dieu“217 –

die Determination zugestanden, ist hiermit freilich das Problem noch nicht gelöst, sondern trotz allem erst eröffnet. Die „Bestimmungskraft“, die vom Gegenstand ausgeht, mag und muss gelten, darum besteht aber auch die gegenteilige, die dem Bewusstsein selber zukommt, und weckt die Not der Verwechslung. Überdies gilt es, die Unvermitteltheit oder Immediateté, das „zusammenfallen“ angemessen zu erfassen, so dass nicht das Bewusstsein in der einen Form einfach theoretisch oder abstrakt neben die andere gesetzt werden kann. Noch einmal, ist diese Doppelsinnigkeit mit der Konvertibilität unmittelbar vereinbar, aber als Koinzidenz oder stete Koexistenz von Gegenstand und Bewusstsein, wie sie offenbar erlebt wird und die erste Analyse des Bewusstseins fordert, muss eine Fähigkeit – und Relation – mit einhergehen, welche ein anderer Begriff und Beziehung leistet, die Projektion respektive der Gegensatz, in dem sie verankert ist, die Polarität. Sie nämlich, indem sie ja während ihres Erlebens und ihrer Wirksamkeit – trotz aller Perspektivität – zugleich vergessen macht, dass sie dies leistet – und zumindest ein wesentlicher

217 Gwendoline Jarczyk & Pierre-Jean Labarrière, „La ‘Science Logique’ comme ‘Métaphysique proprement dite’ ou ‘Pure Philosophie spéculative’  “, in: Henrich & ­Horstmann 1988, S.497 (gesperrt Vf.).

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Grund für ihre lange historische Verdecktheit –, ermöglicht widerspruchsfrei und aus sich selbst, dass nicht nur ein Gegenstand unmittelbar mit dem Bewusstsein zusammen existieren kann (und keine Reduktion erforderlich oder auch nur geboten ist), sondern auch, dass die Bestimmung sich hierbei umkehren kann, ja sogar muss, ohne die zugrunde liegende Beziehung zu verletzen: Gegenstand und Bewusstsein sind demnach ihr direktes (oder einfaches) Produkt, und es wäre unstatthaft, die Frage nach Existenz oder nach Bewusstsein jemals ohne ihre Beteiligung zu beantworten. Angesichts der Polarität wiederum ist davon auszugehen, sie kann unmöglich mit Disjunktion identisch sein, wohl aber ermöglicht sie, einmal in der Basisbeziehung (die in der jüngeren Historie auch namentlich nicht völlig unbekannt) etabliert, über oder in sich den gesamten Fächer der logischen Operatoren ertragen, als stets nur mit einem einhergehen zu müssen. Was das Historische angeht und insoweit auch die Autoren der zuletzt zitierten Passage (im Kontext der spekulativen Philosophie) ausdrücklich die Wendung zur Dialektik – oder unbedingten Reflexion – entkräften, welche den Gegenstand auf ein einziges (‚nomothetisches‘) Dasein kraft Bewusstsein verpflichtet hätte, so wird nicht nur – von systematischer Seite her – erkennbar, dass die instantane Basis der Projektion eine Opposition zur Reflexion, und damit auch zur Dialektik als Methode, die sich auf ihren Kern beruft, bildet, sondern dass die Historie und Metaphysik eine andere Wendung hätte nehmen können, wenn sie den späteren Weg Fichtes (wie noch zu sehen) verfolgt hätte, um das Bewusstsein nicht kraft Dialektik, sondern ›grundständiger‹, essentieller Projektion auf eine gegenständliche Welt und Wahrnehmung zu verpflichten – insoweit der Begriff der Impression, des Eindrucks und des anfänglich oder fundamental aggregierten Bewusstseins, auch der Perzeptionsbegriff selber nicht mehr hinreichen, die gesamten Anforderungen zu erfüllen (wie schon oben im Hinblick auf den Begriff der Affektion vermerkt). Ferner, wie bereits enthalten, muss die Berufung auf eine eigentümliche Bestimmungskraft seitens des Gegenstands nicht mit ebensolchem Zwang in den Materialismus geleiten, insofern dieser die historische Opposition zum Idealismus bildete: nicht allein, dass der Einfluss, den das Sein, die Realität, auf das Bewusstsein ausübt, nach dem Eintritt von Kritizismus oder Positivismus nicht Materialismus sein muss, sondern auch diese Positionen alternieren, sobald Projektion und Konvertibilität zur Voraussetzung werden. Auch enthält das Verhältnis Ex- versus Interiorität ganz neue Züge und Eigenschaften, sobald ihm echte Projektion unterstellt wird218,

218 Gerade sie wird übrigens, wo der point de vue oder point of vue thematisch wird (Deleuze, Palmquist, Nagel, Putnam) bislang nicht angesprochen.

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die ein unbedingtes Auseinanderfallen von innerem Zustand versus Außenwelt nicht mehr eröffnen und durch den Psychologismus oder Kontextualismus nicht zu begleichen sind219.

IV „Deinde ostendimus, quòd, si Corpus humanum semel à duobus corporibus externis simul affectum fuit, ubi Mens postea eorum alterutrum imaginabitur, statim & alterius recordabitur, hoc est, ambo, ut sibi præsentia, contemplabitur, nisi causæ occurant, quæ eorum præsentem existentiam secludant“220.

Der Zusammenhang mit Assoziation und Wiedererinnerung. Spinoza erklärt die zentrale Gesetzmäßigkeit, die sich bei den englischen Sensualisten als Assoziation artikuliert, bis hin zu Hume. Auch er, den übrigens Deleuze unter den philosophischsten, gemessen an der Zugänglichkeit für Nicht-Philosophen, für den zugleich unphilosophischsten hält221, womit er offenbar prätendieren will, Spinoza träfe die Natur der Sache, zieht in diesem Scholium oder andernorts die Möglichkeit der Projektion – als Basis der Assoziation – nicht in Betracht (was freilich für viele Philosophen im historischen Kontext, nicht zuletzt auch Berkeleys theory of vision gilt). Die Erinnerung, die er für bewiesen hält und deren Erklärung sich abseits von Psychologie etabliert – es sind somit nicht spezifische Inhalte, die aus irgendeinem individuellen, später ‚subjektiv‘ genannten Grund eine Affektion begründen – lassen als Substanz der Beziehung das projektive Moment dennoch hervortreten: Nicht nur, dass es die Möglichkeit der Gleichzeitigkeit – warum, wenn in einer Reihe ein Glied erinnert wird, sogleich die Begleitumstände mit ihren Repräsentanten einfallen –, sondern auch die immanente logische Ordnung erklärt, von der sich die Assoziation dem Namen nach ganz frei glaubt (mit dem Strich dieser begrifflichen Überhebung, die im 219 Die Schlagwörter aufgegriffen nach Grundmann 2001. 220 Spinoza, Ethica, II, Proposition XLIV, scholium, in: Spinoza Opera Band II, S.125 (Sodann haben wir gezeigt, dass, wenn der menschliche Körper einmal von zweien Körpern zugleich afficirt gewesen ist, der Geist, wenn er sich nachher den einen davon in der Phantasie vorstellt, sich zugleich auch des andern erinnere, das heisst, beide als ihm gegenwärtig betrachten wird, wenn keine Umstände dazwischen treten, welche ihr gegenwärtiges Daseyn ausschliessen [Sämmtliche Werke II, S.76]). 221 „Si bien que le plus philosophes de tous les philosophes, c’est d’une certaine manière le moins philosophe des philosophes, et, dans l’histoire de la philosophie, il y a le plus philosophe de tous les philosophes qui a été aussi le moins philosophe de tous les philosophes, c’est à dire accessible aux non philosophes, c’est Spinoza“ (Deleuze, „Le Pli, recapitulation“, S.5).

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­ brigen auch mit Leibniz’ strengem relationalem Raumbegriff konkurriert). Ü Das assoziierte Glied (der „zweite Körper“) war somit in einer ursprünglichen Wahrnehmung enthalten, an der wiederum – mit natürlicher Gesetzmäßigkeit – eine Projektion der „exterioren Gegenstände“ beteiligt war, und kraft Speicherung und Wiedererinnerung erscheint er mit der späteren Wahrnehmung nur eines der beiden gekoppelt. Sodann ist auch die Grund-Folge-Beziehung (im Verhältnis der Vermögen zueinander und unter Beteiligung ihrer Projektion, denn die Leistungen der Vermögen müssen – bei effektiver Präzision – ­wechselseitig aufeinander projizierbar sein, mehr, macht dies den eigentlichen Kern der Identität stiftenden Gesamtleistung des Bewusstseins aus, sobald sich die Gegenstände, alle Außenbeziehungen, auf ihrer Basis etabliert haben), an und für sich kategorialer Natur222, jedoch weder kausal (noch determiniert im Sinne der Bewusstseinszustände in der neueren Gehirnphysiologie)223. Dieser kategoriale, das logische Verhältnis anzeigende Charakter lässt sich aus der Grund-Folge-Beziehung nicht schon deshalb eliminieren, weil sie vom aktualen Stimulans (in der Aufmerksamkeit) auf die Imagination – und das Gedächtnis – übergeht224 respektive sich in diesem Verhältnis verschiebt. Insofern ein definitiver, bestimmter Gegenstand beteiligt ist, dieser aber – kraft effektiver Projektion – auch eine ihm selber innewohnende respektive von ihm ausgehende Bestimmungskraft auf das Bewusstsein ausübt, muss auch das wechselnde, sich verschiebende Verhältnis unter den Vermögen für eine Bestimmbarkeit respektive Festlegung der Grund-Folge-Beziehung frei bleiben. Und ein imaginierter, wiedererinnerter, ursprünglich erfahrener Gegenstand sollte (um Widerspruchsfreiheit) seine diesbezügliche Bestimmungskraft nicht verlieren. Infolgedessen geht die Projektion des Gegenstands – als Leistung, Immanenz oder konkretes relatum – auch in die Erinnerung, i. e. Speicherung und entsprechende Fähigkeit des Bewusstseins über, anstatt wegen der geforderten Identität nur die Relationen unter Vermögen und Leistungen zu betreffen, und es bleibt unmittelbar verständlich, wieso die Kopplung gegebenenfalls eintritt (denn freilich ist das 222 Vgl. Chisholm (1996, S.7, insb. 59-60, wo er sich auf Russells temporale Logik stützt). 223 P.e. Liske 2004, S.30. 224 Auf diesem Hintergrund mag Kants Erläuterung von communio und commercium erklärt werden – um gleichfalls auf eine wesentlich projektive Eigenschaft des Bewusstseins zu schließen (KrV A 214-215/B 261-262), die er hier freilich nicht eigens namhaft macht: ein (gekürzt) „wechselseitiger Einfluß, d.i. eine reale Gemeinschaft (commercium) der Substanzen“, die als „subjektive Gemeinschaft auf einem objektiven Grunde beruhen, oder auf Erscheinungen als Substanzen bezogen werden“ soll.

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Bewusstsein nicht gezwungen, sondern es handelt sich um eine Unwillkürlichkeit, der das Phänomen unterliegt). Auch dass die Regelmäßigkeit der Assoziation in die Kontingenz wechselt, sobald sie ‚gestört‘ wird, stimmt damit überein, wenn man annimmt, dass die immerhin ‚psychologische‘ Regelmäßigkeit im Kern des Bewusstseins von einer wesentlich projektiven Veranlagung vermittelt wird, die (i) als primäre Projektion die aktuale Erfassung oder ‚Apprehension‘ des Gegenstands ermöglicht (ohne schon hier auf den ausschließlich geometrischen Inhalt eingeschränkt zu sein); (ii) die Beziehungen der Leistungen der Vermögen untereinander, und damit auch diese selber erfasst, da sie stets wechseitig aufeinander projizierbar sein müssen (worin, gegenüber der bloßen Beziehbarkeit, das Moment der definiten Bestimmbarkeit enthalten ist); (iii) diese Bestimmbarkeit auch dann aufrechterhält, wenn sich die Inhalte, das konkret Rezipierte, über den Bewusstseinsprozess, insbesondere die imaginative Einlagerung, verändern. Sobald die Kopplung gestört wird respektive die Wahrnehmung der ursprünglich im Verbund projizierten Gegenstände unterbrochen und willkürlich wird, muss auch der Speichervorgang alternieren respektive seine Prägnanz verlieren, und es wird kontingent, ob bei Wahrnehmung des einen Gegenstands auch tatsächlich immer noch der andere – kraft Imagination und Wiedererinnerung – eintritt oder nicht, ohne dass (i) bis (iii) hierdurch aufgehoben würde, sondern ganz im Gegenteil; was wiederum mit jüngsten Ergebnissen in der Gehirnforschung, übertragen auf das Geschichtsproblem, übereinstimmt, sowohl was (stichwortartig) die „Aktualisierung der ursprünglichen Perspektive“ in der Erinnerung, als auch, und insbesondere, die Möglichkeit betrifft, dass Erinnerungen als „defokussierte Bilder“ verschwimmen respektive „Inhalte miteinander verschmelzen“, hier der terminologische Schwerpunkt.225 Noch immer hält primäre Projektion (i) einen wesentlichen Anteil an der aktualen Wahrnehmung der Gegenstände, demnach auch an deren Selektion, (ii) muss sie diese Selektion und Diskriminierung leisten, insoweit deren Identität und zugleich definite Bestimmbarkeit im Verbund der Vermögen, mithin in Gegenseitigkeit, zu erhalten ist; (iii) muss sie gewährleisten, dass auch die Veränderung des ursprünglichen Wahrnehmungsinhalts, an dem Projektion wesentlich beteiligt war, diese gegenseitige Bestimmbarkeit nicht verletzt respektive verliert, insoweit die Erhebung

225 Singer 2002, S.84-85.

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von Seiendem (als Körper oder Gegenstand) noch immer beteiligt und nicht auf eine pure und ausschließliche Projektion (im fiktiven Sinne) hinauslaufen kann: alles zusammen, zwecks begrifflicher Abhebung, jedoch nicht durch Reflexion und gesonderte, sukzedierende Überlegung, i.e. die gesuchte Herbeiführung durch einen Eigenantrieb des Bewusstseins, sondern instantan, kraft einer Veranlagung, die das Bewusstsein aus sich selber mitbringt. Worin bereits der Sinn der Assoziation nach ihrer eigentümlichen Interpretation von Spinoza, der hier als einer ihrer ersten Beobachter in der Neuzeit zitiert wird, bis hin zu Hume und Kant liegt226. Um ihr beizukommen, ihr bloßes ‚Phänomen‘, das Eigenständigkeit beansprucht, mit modernen Mitteln, jedoch ohne es im Kern anzutasten, ein gutes Stück aufzulösen und zu erklären, wird – im Rahmen der Bestimmbarkeit oder Konvertibilität der Bewusstseinsvermögen – die logische Wurzel des Bewusstseins über die Grund-Folge-Beziehung, an der es sich orientieren muss, in das gegenseitige Verhältnis der Fakultäten einkehren, anstatt stets nur Vorstellungen oder Leistungen betreffen zu können. Die Konvertibilität ist aber mit der Projektion überaus verträglich, weil sie beide eine instantane, im Ergebnis koinzidente Manifestation ihrer Beziehung(en) fordern und ermöglichen (die Faszikel verantwortet den Plural). So werden schließlich Inklusion, Konjunktion und Alternation im aktualen Erleben, das Spinoza beschreibt, wirksam, um die Ordination, die Ineinanderfaltung und in sich definite Auffächerung des Bewusstseins, auszudrücken, sobald es effektiv wahrnimmt und erkennt (i.e. determiniert), noch bevor irgendein Satz dasselbe Erleben zum Ausdruck bringt. Und stets macht sich die Projektion selber vergessen, um ein anderes Moment von scheinbarer Psychologie beizubringen – das es tatsächlich nicht ist –, weil sie nicht nur an sich selbst den Inbegriff einer konvertiblen Relation darstellt, sondern auch darauf angelegt ist, das Bewusstsein entweder auf den Ursprung außerhalb, den Gegenstand, oder aber seine eigenerzeugte Anschaulichkeit und Begrifflichkeit zu konzentrieren und zu verpflichten (wobei die enge Beziehung ihres Wortstamms zu Subjekt und Objekt hier nicht eigens erläutert, gleichwohl nicht übersehen sei): die Bestimmbarkeit aber, die einmal glaubt, sich – im traditionellen Sinne – auf den Gegenstand selber verlassen zu können, dann kraft Reflexion über Dasein und Gesetzmäßigkeit des Bewusstseins darauf beharrt, alles in dessen Leistung, Verfassung/Vorläufigkeit versus Intentionalität setzen 226 Vgl. p.e. Brigitte Sassen, „Varieties of Subjective Judgements: Judgements of Perception“, in: Kant-Studien 99/H.3 (2008), S.269-284. Das Wahrnehmungsurteil bei Kant und seine Problematik ist nachhaltig von der Projektion, und entsprechende Schlüsse müssen übertragen werden, was an dieser Stelle nicht diskutiert sei.

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zu müssen, verliert den eigentlichen Kern – und theoretischen Zwang – des Zusammenhalts, der keineswegs, unter an und für sich keinen Umständen, in diese endgültige, sich noch dazu verabsolutierende (und nicht bloß versteifende) Alternative münden darf. Was eine wesentliche These dieser Abhandlung darstellt, obgleich sie nur eine notwendige Konsequenz der zuvor erläuterten Tatsachen darstellt, das Zusammenwirken einer natürlichen Veranlagung – der Projektion – mit Basis und Ursprung der logischen Beziehung, der Bestimmung respektive Bestimmbarkeit, die in den Fakultäten oder Bewusstseinsvermögen verankert ist, anstatt sich ausschließlich unter der Erläuterung von Sätzen oder Zahlenmengen aufteilen zu müssen. Der nunmehr logische und nicht allein faszikuläre Knoten, der (in seinem übertragenen Sinne) als Assoziation vermeintlich der Psychologie als ein im Grunde willkürliches Spiel der Seele zu überantworten wäre, ist somit durchsichtiger, als es aufgrund ihrer historischen Interpretion erscheinen will.

V Der Zusammenhang mit Logik und Sprachtheorie. Bereits bei Kant hatte sich der erwähnte Knoten der Assoziation nachhaltig in insbesondere den einleitenden Passagen der transzendentalen Deduktion niedergelassen und seine wahre Bedeutung offenbart, was hier im Sinne einer Unterstreichung erwähnt sei. Die systematische Grundlage, die zu dem im letzten Abschnitt erläuterten Schluss auffordert – bei Kant der Zusammenhang mit der transzendentalen Logik –, besteht aber darin, die logische Wurzel in ihrer Manifestation einmal von jeder Arbitrarität, zum anderen aber auch von der bloßen Bindung an die Sprache zu befreien (ein Impuls, der, nicht ohne Mehrdeutigkeit, im Übrigen auch Goodman eigen ist, indem er in einer späteren Erläuterung seiner Theorie, die nachfolgend aufgegriffen wird, auf den Ausdruck category zurückgreift227). In einem rezenten Entwurf zur Wahrheitstheorie, in dem die Sprache eine kriteriale Funktion erfüllt, gilt, dass die Semantik einer Sprache nach der folgenden Struktur zu erschließen ist:

227 In der abschließenden ‘reconception’ seiner Theorie, die gleichwohl keine wirkliche Revision bedeutet: Nelson Goodman/Catherine Z.Elgin, Revisionen. Philosophie und andere Künste (=Reconceptions in Philosophy and their Arts and Sciences), Frankfurt 1989, S.28-35, wo ausdrücklich nichtsprachliche Konventionen (Gemälde, musikalische Notation) behandelt werden. In Bezug auf Abel (Chomsky und Fodor) und Goodman 1965 s.w.u.

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„Four our purposes, we can say that a structure for a language L is a function that maps all the names of L into extralinguistic objects and all the predicates of L into sets of extralinguistic objects“228.

Eine solche Struktur m gilt als wahr, “if all the terms in the sentence were determinate and if they denoted or signified just those entities which m assigns to them”229. Hiermit ist offensichtlich die Situation (wieder)erreicht, die in den beiden einleitenden Zitaten, ganz oben zu A, aufgeführt wurden: ob nun die positivistische Wurzel der modernen Logik oder aber ihr deskriptiver Anspruch, der sich in der wahrheitstheoretischen Veranlagung niederschlägt, das ‚Spiegeltheorem‘ oder die Annahme, dass das Bewusstsein kraft Sprache und sprachlicher Fingierung eine Abbildung der realen Welt darstellt, klingt überdeutlich (mitsamt Korrespondenzbegriff) hindurch. Freilich gewinnt dieses Theorem – oder »Metapher«, als welche sie in der verschiedenartigsten Literatur seit einigen Jahrhunderten, insbesondere Leibniz, wiederkehrt – eine ganz andere und definite Bedeutung, wenn sie auch darauf gegründet wird, dass die Wahrnehmung und Verarbeitung der Welterfahrung und ihrer Gegenstände notwendig auf Projektion beruht, respektive Projektion wesentlich, und dies meine unerlässlich, beteiligt ist. Mithin muss auch die Orientierung respektive die perspektivische Wahrnehmung, wie sie, unter anderem, als ‚Abschattungsphänomen‘ seit der Phänomenologie angesprochen wird, hierauf beruhen. Dass Wahrheit erreicht wird, wenn alle Ausdrücke eines Satzes bestimmt (determinate) sind, verlangt nunmehr aber eine Einlassung auf die Konvertibilität; denn die Bestimmungskraft kann, wie oben erläutert (III), vom Gegenstand oder aber vom Bewusstsein (als Setzung oder ursprüngliche Spontaneität) ausgehen – eine notwendige Ambiguität, die dem Begriff der Bestimmung anhaftet und seine stete Erklärung verlangt, um die metaphysische Basis der Philosophie aus ihrer alten beständigen Verwechselbarkeit, wenn nicht Konfusion dieser Relation herauszuheben, die nicht zuletzt auch die Basis der kritischen Philosophie Kants betrifft230. Sobald wiederum in diese Beziehung auch die projektive Basis (respektive umgekehrt) inklusive ihres polaren Gegensatzes eingeht, welcher die Ambiguität erklärt, dies aber mit Notwendigkeit oder jenseits der Arbitrarität, dann ist zwar ihr steter Zusammenhang gewährt, nicht aber die immanente

228 Hartry Field, Truth and the Absence of Fact, Oxford 2001, S.206. 229 Field 2001, S.207. 230 Wie auch Jarczyk & Labarrière (s.o. 1988), dem theoretischen Gebrauch Kants zuwider, dennoch mit Deutlichkeit annehmen.

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Richtung oder zweite Orientierung, welche den Ursprung der Bestimmung, ob nach den Gegenständen oder nach Setzung und Spontaneität des Bewusstseins zum wesentlichen Faktor macht (womit wiederum auch eine wohlbekannt differente Reduzierbarkeit – und Fluchtlinie – involviert ist) und eine Ungenauigkeit als alles andere als wünschenswert oder tragbar. Für Fields Semantik gilt, Denotation oder Signifikation ist eine ‚blinde‘, nicht weiter analysierbare Funktion oder Beziehung der Sprache231, ihre Terme sind manchmal, und der Möglichkeit nach, opake Münzen. Dass Sprache diese Fähigkeit besitzt, welche sich, nicht zuletzt, in der theoretischen Geschichte zum Ursprung der Sprache niedergeschlagen hat, sei nicht verleugnet, gleichwohl gewinnen Denoation und Signifikation einen anderen Charakter, wenn sie mit der Möglichkeit der Konvertibilität gekoppelt sind und sich, quasi postulativ, hierzu erklären müssen. Anderwärts, um den Zusammenhang mit der Projektion offenzulegen, ist der Ausdruck to map ein etabliertes Fachwort der projektiven (Lehr-)Geometrie (und Kartographie), der seinen Zusammenhang mit der Projektion auch dann nicht verliert, wenn man von 1-zu1-Relationen oder einer orthogonalen Projektion ausgeht (bei der sie, an der Metrik bemessen, keine eigene Manifestation einbringt). An und für sich aber kann Wahrnehmung und Erfahrung auf sie niemals verzichten, und in Fields Definition ist noch deutlich Quines Erläuterung der ontologischen Voraussetzungen der Umgangssprache erkennbar, in denen es galt, die „quantifizierte Schematisierung“ einer bestimmten Sprache, insoweit sie eine ontologische Festlegung repräsentiert, mit einer fremden Sprache L zu konfrontieren, um festzustellen, dass sie – als Übersetzung von der einen in die andere Richtung und umgekehrt – unvereinbar seien und den Schluss zu ziehen, „nach den ontologischen Festlegungen von L zu fragen, heißt in diesem Fall, einfach einen beschränkten Zug des Begriffsschemas unseres Kulturkreises über seinen Gültigkeitsbereich hinaus zu projizieren“232. Was Field to map nennt, ist demnach eine (zutreffende und berechtigte) Umlenkung des to project auf den gewöhnlichen, angestammten oder etablierten Horizont, und wenn dies auch seiner Absicht entsprochen hätte, so hätte er gegenüber Quine, wo dies als Problem wenigstens auftaucht, nur signifikant gemacht, dass schon bei der ontologischen Festlegung des ausgehenden und wohlvertrauten Kulturkreises 231 Die Folgerungen für den Wahrheitsbegriff in Zusammenhang mit sprachlicher Ambiguität behandelt das abschließende Kapitel „Über Wahrheit“ und zum Korrespondenztheorem. 232 W.V.O.Quine, „Die Logik und die Reifizierung von Universalien“, in: Von einem logschen Standpunkt, VI, Frankfurt 1979, S.103 (u.ö.)

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die Veranlagung oder Struktur der sprachlichen Terme notwendig Projektion involviert. Was die weitere Etablierung dieses Ausdrucks – in definiter Beziehung zur Projektion – angeht, so sind die Arbeiten Goodman’s einschlägig, wobei dieser anlässlich der Einführung dieses Begriffs, einer projektiven Hypothese, nicht zu erkennen gibt, ob er sich, außer Quine, auch von Peirce und seinem Konvergenzbegriff der Wahrheit (in der idealen Wissenschaftlergemeinschaft) inspirieren ließ: „Après tout, Peirce ne propose que de projeter dans un idéal future le progrès constaté jusqu’à présent, notamment une plus grande généralité des modèles et une amélioration constante des prédictions, projection dont la possibilité est considérée comme constitutive de notre idée de la vérité“233.

Das Zitat entstammt einer rezenten Auseinandersetzung mit Quine, die insgesamt auch für Field zutrifft, wobei allerdings auch diese Autoren auf die Bedeutung und Tragweite des Begriffs Projektion keinen Wert legen, selbst wenn er im Englischen und Französischen mit einer einfachen Antizipation der Zukunft einhergeht. In seiner Semantik ist dies aber stets disparat zu halten, auch im Hinblick auf seine Verwendung seit dem 19. Jahrhundert (was weiter unten behandelt wird): etwas auf etwas projizieren, sei es unbewusst oder bewusst (durch geformte Vorstellung oder planende Handlung) ist verschieden von ‚abbilden‘ und ‚entwerfen‘, wobei die Projektionsebene nicht mehr freisteht respektive das Bewusstsein nicht mehr als der alleinige Ursprung der projizierenden Vorstellung anzusehen ist, als dass es gebunden ist und die Projektion(sebene) das normale, i.e. notwendige Produkt zwischen ihm selber und der Außenwelt bildet. Dies sei die Basisbedeutung, wie sie sich leicht mit jeder Wahrnehmung verifizieren lässt, in der das Bewusstsein durchgehend, bei der Wahrnehmung und (Re-)Kognition von Landschaft, Gebäuden, Personen und Gegenständen an deren Projektion gebunden ist. Hierin gründet weiterhin, dass die reine Anschauung nicht das letzte Wort über die räumliche Vorstellungsfähigkeit ausmachen kann, dass aber der stets von Seiten der Mathematik geäußerte Wunsch, eine Aufklärung der Philosophie über den Begriff der Intuition zu erhalten, sich mit dieser Tatsache auseinander setzen muss (was in Kapitel IV geschieht).

233 „Quine critique de Peirce: vérité et convergence“, in: Actes du colloque de Barbizon, septembre 1999, « Science et engagement ontologique » Layla Raïd (Université de Picardie, Faculté de Philosophie) Karim Belabas (Université Paris-Sud, Département de Mathématiques), veröff. Publications électroniques de Philosophi@ Scienti@e, vol.1, (http://philosophiascientiae.free.fr).

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VI Goodman und die theory of projection. 1. Bis dato ist die traditionelle, vom Gegenstand ausgehende (und im Sinne dieser Bestimmungsrichtung als ‚Vektor‘ zu identifizierende) Affektionsbeziehung in Semantik und neueren Entwürfen zur Kategorienlehre präsent, um eine latente oder offene Anlehnung bei der Projektion vorzunehmen. Sobald diese manifest ist, muss sie kraft ihrer Natur auch die Konvertibilität einschließen, was im Folgenden zu zeigen (gleichgültig, ob zugleich direkt – und wahrheitsgemäß – in den Fakultäten verankert oder nicht). Goodman ist in dieser Hinsicht mehr zu interpretieren als tatsächlich explizit. „The utility of determining that a hypothesis is confirmed by such [evidence] statements will indeed depend upon their being genuinely accepted evidence statements; but our definition of the confirmation relation is largely independent of this consideration“234.

Mit diesem Satz erklärt Goodman den Grundstock seines „Rohmaterials“235. Seine gesamte Theorie verhält sich so, als ob (a) der Begriff projection unmittelbar oder ‚intuitiv‘ zugänglich wäre (mithin ein Grundvermögen des theoretischen Bewusstseins darstellt), (b) das Induktionsproblem, (das er vornehmlich im historischen Spektrum Hume’s anspricht)236, mittels einer elaborierten Theorie, die auf Projektion basiert, geklärt werden kann, (c) die gesamte Projektionsebene nur auf Elemente des Grundstocks, Evidenzaussagen, angewendet wird, wobei für diese selber, hinsichtlich Zustandekommen und Geltung, scheinbar jede Art von Projektion belanglos ist. Da die Vorhersage (prediction), die im Brennpunkt seiner Theoriebildung steht, einen Sonderfall von Projektion darstellt („[if] all the undetermined cases of a hypothesis are future cases“)237, kann (a) mit den historischen Gründen von Fakultätenlehre und Anthropologie sofort hingenommen werden238 (ohne schon Rekurs auf 234 Nelson Goodman, Fact, Fiction, and Forecast, Indianapolis-New York 2.Aufl. 1965, S.88-89. 235 Goodman 1965, S.92. Goodman, Problems and Projects, Indianapolis-New  York 1972, S.386-393. 236 Goodman 1965, S.82-83, 87, 96; 1972, S.387-388; 1989, S.29 (ohne Rekurs auf Hume). 237 Goodman 1965, S.90, 83; 1972, S.388. 238 Baumgarten, Metaphysica §§ 595-605, 7. Aufl. Halle 1779 Nachdruck Hildesheim 1969; Kant, Anthropologie, in: AA Band VII, S.186-187, wo Kant übrigens keine Anleihe bei der Projektion nimmt, wie sie für das Englische und Französische obligat ist. Die Fakultät ist freilich weit vorgebildet, im 16. Jahrhundert, p.e., bei Spinoza: „At quatenus rem in futurum possibilem esse imaginamur, eatenus quædam imaginamur, quæ ejusdem existentiam ponunt, [[hoc est, quæ Spem, vel Metum fovent;

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die übrigen Annahmen zu nehmen, insbesondere den natürlichen projektiven Raum sowie Projektion als Grundbedingung immanenter Orientierung in der metaphysischen Beziehung (Perspektivität), woran im Folgenden insbesondere zu prüfen). „We, on the contrary [as not being set in motion by predictions as was Hume’s position], regard the mind as in motion from the start, striking out with spontaneous predictions in dozens of directions, and gradually rectifying and channelling its predictive processes“239. In Einklang mit der Grundeinstellung (c), gesuchter Confirmation, ist auch die zweite Orientierung ein manifester (gleichwohl taciter) ‚Generalschnitt über derselben Ebene‘, d.h. sie wurzelt in der Vorstellungsfähigkeit des Bewusstseins, von ihm ausgehend. Angesichts möglicher Konditionierung bleibt aber Grundbedingung, dass „valid predictions are based on regularities“, und für diese gilt, „regularities are where you find them, and you can find them anywhere“240. Als Selektion über gültige Vorhersage(n), Kern von (b), stößt die Spontaneität von Projektion somit auf ihr Gegenteil, eine wesentliche Rezeptivität, die mit der notwendigen „Evidenz“ aller Aussagen verknüpft ist, die in das projektive Kalkül eingehen241. Das Induktionsproblem oder (b) kann daher ohne eine auch immanente Orientierung nicht gelöst werden (wie in den vorhergehenden Abschnitten und später erläutert, insb. III), oder es ist unmöglich, dass Projektion nicht schon in der Evidenzbeziehung wirksam wird, wenn, gleichgültig ob zudem eine auch Analyse des Bewusstseins (mind) vorgenommen werden soll oder nicht242, die wesentlichen Elemente der Vorhersage alle aus einer konträren Orientierung hervorgehen (Antreffen, ursprüngliche Evaluierung243 oder, sein Zentralbegriff, „entrenchment“244).

239 240 241 242 243 244

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atque adeò affectus erga rem possibilem vehementior est]“ (Ethica, IV, Prop. XII, Demonstratio, in: Spinoza Opera II, S.218 (Insofern wir uns aber ein Ding als in der Zukunft möglich vorstellen, insofern stellen wir uns in der Phantasie Einiges vor, was das Daseyn des Dinges setzt, [d.h. was Hoffnung oder Furcht nährt, und somit ist der Affect gegen ein möglices Ding heftiger], Sämmtliche Werke II, S.160). Goodman 1965, S.87. Goodman 1972, S.388 = 1965, S.82. Letzteres exemplariter und zusammengefasst in den Hypothesen H1-H4 in Zusammenhang mit overriding (1972, S.390-391). 1989, S.24-28 oder „Achtung vor der Verankerung“, die das Gegenprinzip zur Einführung neuer Prädikate bildet. Goodman 1965, S.87. “The emeralds named in the positive cases constitute the evidence class for the hypothesis at the time in question” (Goodman 1965, S.90). Goodman 1965, S.100.

Dass schon in Evidenz – to be supported, unviolated, and not exhausted – die projektive Bedingung wirksam ist, da bei allen Wahrnehmungen respektive Wahrnehmungsaussagen, die das Material seiner Theorie bilden, notwendig eine natürliche, zwangsläufige projektive Leistung beteiligt ist, und der Kern dieser Behauptung bedeute, dass sie nicht nur die räumliche Diskriminierung und Anschauung, sondern das, was Gegenständlichkeit selber ausmacht, erfasst, bedeutet die Komplementäraussage zu der eigentlich zu erweisenden, dass projection Konvertibilität einschließt, zu verstehen als determinative Umkehrung des ersten Richtungspfeils oder Vektors der metaphysischen Beziehung (und Richtungspfeil insofern, als jede Wahrnehmung und Erkenntnis einen resultativen Charakter hat respektive anstrebt: die Wurzel des Bewusstseins ist, wie bereits erläutert, polar, demnach kann die Quelle der Gegenständlichkeit – ­unschließbar – von außen, aus dem Gegenstand selber, oder seinem Eigenzentrum herrühren). Obgleich Goodman mit einer beiläufigen Anlehnung bei Kant anerkennt, es müsse bei gültiger Induktion nicht nur, was präsentiert, sondern auch, wie es organisiert, in das Kalkül einbezogen werden – die (vorerst) beiden konträren Richtungen der metaphysischen Beziehung müssen also koinzidieren, es ist aber einzig Projektion, die dies widerspruchsfrei ermöglicht, da sie im Gegensatz zu allen Theorien, die mit der Dualität rechnen, das unmittelbare Produkt der beiden Richtungen voraussetzt, anstatt sie mit dem Versuch einer Eliminierung und Vorrang der einen Seite zu verbinden, wofür Kants Philosophie das Präzedenzbeispiel –, löst er sich von der Annahme, diese Organisation sei irgendeiner unvermeidlichen oder unveränderlichen Eigenschaft in der Natur der menschlichen Erkenntnis zuzusprechen245 – der ‚Härtegrad‘ der Kategorie gibt somit nach. Wenn sie aber „by the use of language“ hervorgerufen wird246, müsste ihr auch die zentrale Basis, Projektion, zuzurechnen sein. Anderwärts gilt jedoch, „that the judgement of projectibility has derived from the habitual projection“, mithin from entrenchment, „rather than the habitual projection from the judgement of projectibility“247. Daher kann (c), zusammen genommen, nur eine methodische Einengung darstellen, die einer vollständigen Erfassung des Kalküls im Wege steht. (Oder das Bewusstsein müsste, wenn es Evidenzen misst  – wofür Goodman nachhaltig auf den Quantorenkalkül 245 Goodman 1965, S.96-97. Was Abel mit Rückgriff auf Chomsky und Fodor hervorhebt (1993, S.142). 246 “But the organization we point to is effected by the use of language […]” (Goodman 1965, S.96). Anders als er später, wie erwähnt, prätendiert (1989, Abschnitt 5. Richtigkeit von Kategorien, S.28-35). 247 Goodman 1965, S.98.

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zurückgreift (kategorische Aussagen) –, seine projektive Bedingung vollständig ablegen, wenn es aber Vorhersagen formuliert, sie zur einzigen erheben, was, da es unausdrücklich geschieht, den Zweifel nährt, als gelte es, an ihr selber als Bedingung vorbeizugehen respektive als ließe sie sich aufheben und sei ein bloßes kumulatives oder additives ‚Werkstück‘ der Methode: tatsächlich, wie vermerkt, kann es aber keine Wahrnehmung von Smaragden und Rubinen, blauen Farben und Taschen mit Glaskugeln geben, an denen Projektion nicht wesentlich, i.e. rationalitätsgerecht oder logikgemäß beteiligt ist). „To predict the outcome of the examination of a statement is not tantamount to predicting the (perhaps past) event prescribed by that statement“248.

2. Mit diesem Satz tritt eine der Hauptbedingungen seiner Theorie auf den Plan, denn um zu projizieren, müssen (mindestens) zwei getrennte Ebenen gegeben sein249, und zwar so, dass die eine nicht zusammen mit der anderen entsteht. Wenn nun die Ebene der Evidenz als verkoppelt mit Vorhersage die soeben zitierten definitorischen Prädikate erlaubt, ‚gestützt‘, ‚nicht verletzt‘ und ‚nicht erschöpft‘ zu sein250, dann muss, wenn anderwärts eine je aktuale Determination zu einem Zeitpunkt t stattfindet, in der sich die Projektion erfüllt, das Bewusstsein eine bestimmte Kenntnis und Erfahrung des Seins, der ersten Ebene, schon besitzen, bevor es dazu übergeht, dieselbe zu prüfen und in Gestalt projektiver Aussagen zu segmentieren (freilich das unerloschene Kardinalproblem der nachkantischen Philosophie). Der „event“ muss in einem Eigenkontext, womöglich wirklicher Kontinuität, verwurzelt sein, damit ihm das statement (und die Abgrenzung oer Distinktion) entgegenzukommen vermag. Ungewollt (indem er die deskriptive Metaphysik behandelt), hat Michael-Thomas Liske Goodman eine Art von Schützenhilfe geleistet, indem er angesichts „des Hinnehmens von Gegebenem“ erläutert, dies sei (mit Strawson) so zu verstehen, dass „wir Personen in unserer Alltagsrede so behandeln, [als ob sie] grundständig räumlichzeitliche Körpersubstanzen [seien], denen wir aber auch ohne Bedenken mentale Bestimmungen des Erkennens, Wollens oder Empfindens zuschreiben. Es belässt die Phänomene mithin in der ganzen Fülle, in der sie sich uns darbieten und sich im Zugang der Alltagssprache widerspiegeln“251.

248 Goodman 1965, S.91. 249 Anderwärts „Erfüllungsgegenstand“ versus „notationales System“ oder „semantisches Symbol“ (Goodman/Elgin 1989, S.32). 250 Goodman 1965, S.90; 1972, S.390-393. 251 Liske 2004, S.19-20.

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Abb.[2]

Woher das Sprachvermögen stammt und wie es sich zur Wurzel der Induktion stellt, lässt Goodman weitgehend offen. Bestimmte Äußerungen legen nahe252, dass ein Prädikat- oder Subjektausdruck, jenes einer „evidence class“, dieses einer „projective class“253, ihre Projektion hervorrufen oder evozieren, darum aber dieses Vermögen selber nicht schon sprachlicher Natur ist (sondern ganz im Gegenteil, denn „recurrent features of experiences“ […] underlie valid projections“254). Da ein Zwingen unnötig (und nicht gestattet), sei wenigstens die Möglichkeit zugelassen, dass im Gebrauch der Sprache tatsächlich ein „Widerspiegeln“, wie eingangs und der eigentliche historische Hintergrund, der es nicht wenig verdiente, im Rahmen der Theorie Goodmans verankert zu werden, nun auch in der gefragten – komplementären – Richtung wirksam ist. Dann wird sich die so genannte ‚Fülle des Dasein‘ der (im wissenschaftlich orientierten Rationalismus stets herabgesetzten) ‚Phänomene‘ fundamental verändern müssen, weil, die projektive Bedingung vorausgesetzt, die eine Ebene 252 „An entirely unfamiliar predicate may be very well entrenched, as we have seen, if predicates coextensive with it have often been projected“. […] „Again, a very familiar predicate may be rather poorly entrenched, since entrenchment depends upon frequency of projection rather than upon mere frequency of use“ (Goodman 1965, S.97). 253 Goodman 1965, S.103. 254 Goodman 1965, S.97. In 1989 (S.26-28) ist das Sprachsystem (Farbausdrücke) gegeben, und es tritt unabhängig Projektion hinzu. Oder „bei der Einführung neuer Ausdrücke in eine Sprache, die projektiv gebraucht wird[…]“ (S.29).

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immer schon Bestimmtsein enthält255, und nur die Bestimmung, die durch das Bewusstsein als Gegeninstanz hinzutritt, eine andere (im Wesen notwendig verschiedene) hinzuträgt256 (– gewiss archaische Verhältnisse, deren Einnahme aber die Alternative nicht zulässt). Goodman bietet keine Veranschaulichung seiner Theorie, obgleich die menschliche Anschauung seit Jahrhunderten tief in der Projektion verwurzelt ist und inzwischen zahlreiche Möglichkeiten der Veranschaulichung (und Berechnung) bietet. Immerhin wäre es möglich (am zentralen Modell der Kegelschnitte gemessen, hier nach einem Beispiel Keplers aus der oft zitierten Abhandlung Beckers257), sich vorzustellen, wie sich Aussagen eines Observanten BG, BH zu einem späteren Zeitpunkt und Feststellung durch einen anderen oder denselben Observanten (die Objektivität oder Positivität ist somit gewährleistet) mit den Aussagen AG, AH effektiv überschneiden (und ein g’ bedeutet, immer noch anwendbar, Kontingenz, ein bloßes Überschlagen respective „projectibility“, die angesichts der Evidenz noch „undeterminate“ ist258 und nicht mit effektiver Messung einhergeht, Kern überhaupt seiner Theorie, insofern nicht nur Instanzen im Plus- und Minussinne oder w/f zu messen sind)259: deutlich genug, setzen seine halbberühmt gewordenen Sprachformungen die Fusion voraus, wie sie eben auch die Brennpunkte als Kardinalinstanzen der Projektion charakterisiert (der Zirkel bezeichnet somit den umläufigen, eventuell beobachterkoinzidenten Horizont). Ob auch das „overriding“, die 4-stufige Hierarchie mit dieser Veranschaulichung verträglich ist, braucht nicht geprüft zu werden, gewiss müssten sich ihre Mittel (ähnlich den beweiskräftigen Venn-Diagrammen) komplizieren, abgesehen davon, dass die Syllogismen Goodmans gelegentlich gesucht erscheinen, 255 Was man im naturwissenschaftlichen Kalkül das Gegebensein nennt, p.e. „Gegeben sei die Länge des durchmessenen Wegs in jedem Zeitmoment. Zu finden die Geschwindigkeit der Bewegung zu einer gegebenen Zeit“ (Newton/Becker 1975, S.148). 256 Vergleichbar ist der euklidische Raum bereits definitiv, wenn er durch eine projektive Geometrie erfasst wird. Da wiederum der euklidische – oder affine – Raum nur eine Grenzbedingung des projektiven darstellt, muss auch der euklidische bereits bestimmt sein, wenn er durch Einheiten, die ihm selber angehören, bestimmt wird – Determination und Orientierung sind nicht miteinander zu verwechseln. 257 Joh.Kepler, Astronomia nova (1606), wiedergegeben und behandelt von Becker 1975, S.136-139 mitsamt Figur 39 (wie oben, C, G, H, E, J, K D in regelmäßigen Abständen auf dem Umkreis). 258 Insb in Zusammenhang mit der Erörterung des induktiven Problems und seiner Begrifflichkeit, Goodman 1965, S.90-92. 259 Angesichts der Veranschaulichung am Kegelschnitt, zum verwandten Problem des Verhältnisses von Spiralkurve und Parabel, Koyré 1956, S.266-269.

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worin sich wahrscheinlich manifestiert, dass er die effektive Projektion, ihre echte Voraussetzung im menschlichen Bewusstein und die daraus folgenden Beziehungen, nicht eigens untersucht. Dies gilt auch für die vielleicht noch bedeutendere Frage, wie sich seine projektive Logik, die gestaffelte „overhypotheses“ einsetzt, um den Grad von Projektibilität zu bestimmen260, nicht etwa nur zur aristotelischen verhält, die hier immer noch durchscheint, sondern zu Fokus und Polar, die mit Projektion von ihrem Wesen her unvermeidlich verknüpft sind – die zentrale Behauptung seiner Theorie müsste sein (wie soeben), dass Goodman mit der Projektibilität an und für sich Aussagen anstrebt, die im Kontext von ‚unterstützt‘, ‚nicht verletzt‘ und ‚nicht erschöpft‘ (= der Horizont) Brennpunkte darstellen. Und mit der overhypothesis tritt dann das theoretische Problem respektive die Möglichkeit auf den Plan, dass auch ein Pol seine Foki zu dominieren vermag. Darüber hinaus gilt es, und noch zuvor, der Eingangsbehauptung zur Konvertibilität nachzugehen, um einzusehen, dass die ‚sachgerechten‘ und wesentlichen Überschneidungen, die zu Wortamalgamierungen wie ‚grue‘ aus ‚green‘ und ‚blue‘ und ‚emerubies‘ aus ‚emeralds‘ und ‚rubins‘ führen, aufgrund einer über eine bestimmte Zeit geprüften Strecke in der Erfahrung gesetzt werden, um insbesondere ein Verhältnis von undeterminate zu determinate zu prüfen, das sich hierin als entrenched oder nicht niederschlägt, und eine Möglichkeit, die, an und für sich, die Projektion tatsächlich auszeichnet. In dem Augenblick aber, in dem dies geschieht, erfolgen sie von der Evidenz, dem Antreffen her (as being confirmed), anstatt bare Erfindungen, Setzungen, reine Gegenprojektion (im uni- statt wenigstens bilateralen Sinne) zu sein: – das Kalkül verlöre sein theoretisches Zentrum, die Vorhersage, Segmentierung und Orientierung der Induktion. Demnach muss Projektion die Konvertibilität einschließen, oder der – erwartete (schon aus einer partiellen Erfahrung vorausprojizierte) – event bedingt in seiner Konkretheit mitsamt Umfeld, wobei die kontingente Absonderung einfließt, eine Bestimmung des Bewusstseins, abzuheben von der Bestimmung, die das Bewusstsein aus seiner eigenen Spontaneität trifft, indem es Abgrenzung und Knotenpunkte herzustellen sucht, oder allgemein die theoretische Segmentierung gleich den Stammbaum der Taxonomie. Mithin ist es wahr, das Projektion ein eigentümliches Zutreffen ausdrückt, eine Grenze, deren jeweiliger Ursprung gleichwohl – mit Notwendigkeit – verschiedener Natur ist, so dass es ein anderes ist als das geometrische Messen in einer homogenen Dimension (von, etwa, event zu event oder G zu H, A zu B) und als das 260 Goodman 1965, Abschnitt 5, insb. 110-112.

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arithmetisches „Bestimmen“261. Wie erwähnt, kann Projektion auch nicht selbst eine Kategorie darstellen, sondern sie bezeichnet deren Bedingung (im doppelten Sinne der Erhebung und der Anwendung), was, nicht zuletzt, nicht verwundert, da sie ja ohnehin im Zentrum der Wahrnehmung beteiligt ist und ihren effektiven (rechts-/rechtfertigungs-, theorie- und aussagefähigen) Kern betrifft. Anderwärts besitzt diese Theorie, selbst wenn sie an den eigentlichen Gründen der Projektion vorbeigeht, den Vorteil, die Möglichkeit eines Schnittpunkts zu erwägen (im Verhältnis zum Beispiel der Veranschaulichung, ein B oder A), in dem eine projektive Schar oder Bündel enthalten ist, das mit einer instantanen Überschneidung von Subjekten gleichzusetzen ist (wie Goodman/Elgin erst später in Zusammenhang mit der Richtigkeit von Kategorien verdeutlichen, wo es gilt, Neuland auszumessen, das nur teilweise mit vertrauten Begriffen zu erfassen ist262). Die projektiven Gründe, die als ganzer Prospekt zu veranschlagen sind, brauchen nicht notwendig bei dem einzelnen Subjekt, der unbedingt individuellen Substanz oder einer (absolut aufgefasst) paarigen Projektion zwischen Einfachsubjekt und Projektionsebene stehen zu bleiben oder, terminus quem, zu verharren. Dass eine distinkte Subjektgruppe, auf genau dieser Basis, einer gemeinsamen Projektion zu Zeitpunkt t, oder in distinktiv vermittelter Zeit auch zu tn, eine gemeinsame Prädikation – projection – vornimmt und sich in der Gegenständlichkeit auch nicht irrt, sollte keineswegs unmöglich sein. Goodman’s Theorie steht somit deutlich in einem Spannungsfeld, das früher, noch vor Hume, mit der ars inveniendi bekleidet worden wäre: einem Aufsuchen von Unbekanntheiten, Unvertrautheiten auf dem Hintergrund von Vertrautheiten, woraus sich sein späterer Exkurs zur Symbol- und insbesondere Kunsttheorie erklärt (der auch dort, wo es naheliegt, in der Malerei oder bei der Figurenperzeption263, die methodische Untersuchung der Projektion und welche Rolle sie abgesehen von der Epistemologie in der Metaphysik – der metaphysischen Basisbeziehung – zu spielen hat, offenlässt). Die Anleihe, die die Interpretationstheorie bei dem Begriff genommen hat, bedeutet demgegenüber in bestimmtem Sinne eine erneute Amputierung und Einschränkung, mit der der Begriff oben eingeführt wurde, was zugleich in den geschichtlichen Kontext des Begriffs Projektion überleitet. Günter Abel hält dafür, dass, da „jede Beobachtung immer schon unter einem Interpretationshorizont steht“, es keine 261 Dass sich bei Kepler exemplarisch durch die Berechnung der Konchoide abhebt (Becker 1975, S.138-139). 262 Goodman/Elgin 1989, S.29, 30-31. 263 Goodman 1988, S.33. Nelson Goodman, Ways of Worldmaking, Indianapolis 1978, ch.V.

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„Unterscheidungsschnitte ‚von den Sachen selbst her‘ gibt, mithin das Ziehen solcher Grenzen als die Bildung von Interpretationskonstrukten behandelt werden kann“264. Projizierbarkeit, da sie hier nur eine Hemisphäre der Orientierung manifestiert und in einem unbedingten, gleichwohl gesetzten Sinne auch nicht in der anderen verwurzelt ist, noch apriorische Bedingungen des Bewusstseins zu erbringen hätte265, gerinnt somit zu einer Funktion von Interpretation selber: Sollte Projektion und Projizierbarkeit notwendig zu einer Fokussierung führen – und, ihre Essenz, sie tut es266 –, so scheint sie hier zur Gänze ein Produkt der Reflexions-, Sprach- und Interpretations-, ja Fusionsfähigkeit des Subjekts (und auch der ‚Horizont‘ scheint demgegenüber frei erzeugt wie ein absoluter, denn der Gesichtspunkt ist es nicht, der sich dort niederschlagen müsste). Diesem Ansatz steht freilich gegenüber, dass Projektion an und für sich in der Wahrnehmung verankert ist, i.e. nicht eliminierbar, und dass sie ihren echten, nicht gekürzten Begriff aus einer Doppelung, dem instantanem Produkt der beteiligten Richtungen erklären muss und tatsächlich konstituiert.

VII Die überschlägige Historie – das insbesondere 19. Jahrhundert. Der zuletzt wirkungskräftige, gekürzte (i.e. unilaterale) Begriff der Projektion ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts, und hiermit hängt zusammen, dass er einen gelegentlich pejorativen Charakter angenommen hat wie im folgenden Beispiel Diltheys, bei dem die Frage, wie Projektion mit einer Komponente in der echten metaphyischen Beziehung verankert ist, offen bleibt (unabhängig davon, dass Projektion, als etablierte Relation, stets eine Reduktion in beide Richtungen gewährt): „Die Weltanschauungen, die in dieser Epoche [des Rationalismus und Barockzeitalters] hervortraten, gewannen gerade durch ihre Interpretation des Menschenlebens ihre eigenste Macht: denn in ihr reflektierte sich die Bewusstseinslage, aus der sie hervorgingen, energischer als in den metaphysischen Projektionen“267.

Wilhelm Dilthey zieht eine deutliche Grenzlinie zwischen dem, was an ursprünglicher Interpretation des Lebens sich entwickelte und als Weltanschauung niederschlug, im Verhältnis zu den philosophischen Entwürfen desselben Zeitalters, 264 Abel 1993, S.140. 265 Abel 1993, S.141, übrigens in Einklang mit Goodman (1965, S.96-97). 266 Sei es vom Verhältnis Pol – Polar her, sei vom Verhältnis Auge (Gesichtspunkt) und Scheitel oder vom Parallelenproblem (der Ordonnanz) her. 267 Wilhelm Dilthey, „Die Affektenlehre des 17. Jahrhunderts“, in: Gesammelte Schriften, Band II, Leipzig und Berlin 1914, S.479-492, 481.

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die er mit dem Ausdruck ‚Projektion‘ bekleidet – und beiseite schiebt. Hierbei hat der Begriff längst jene eindimensionale Seite gewonnen, die vor allem von der Philosophie Feuerbachs ausging, der ‚Rezeption‘ der Gottesvorstellung durch den Menschen. Dass, sinnigerweise, dem gerügten Zeitalter und ihren Entwürfen eigentlich eine Vollwertigkeit des Begriffs und nicht nur ihr reduzierter Restbestand – als wohlbekannter, somit im bedingten Sinne durchaus berüchtigter Eigenimpuls des Verstandes – zukommen müsste, lässt er unerwähnt. Der Begriff hat mithin seine Verbindlichkeit eingebüßt, die ihm an und für sich zukommen muss, indem seine doppelte Verankerung, auf der einen Seite im vereinzelten Bewusstsein, das auf eine bestimmte Vorstellungsweise verpflichtet wird, von der es sich demnach gar nicht zu lösen vermöchte (es sei denn durch verkürzte Reflexion und Abstraktion), auf der anderen Seite vom ganzen Sein, der Erfahrung, her, ausgeblendet und verloren erscheint. Hiermit geht einher, dass Projektion nunmehr einen primär psychologischen Charakter annimmt, zumindest einen mit Psychologie verträglichen, indem sie dem Bewusstsein freisteht und ihre spezifische Vorstellung, angeblich, allein in seinen Ressourcen verwurzelt ist und – um es mit metaphysischen Termini auszudrücken – mit dem Eigengrund des Seienden nicht mehr in Zusammenhang steht respektive den Erkenntnis- oder Vorstellungszwang, der von ihm ausgeht oder ausgehen könnte, zur Gänze abgelegt hat. Gleichwohl, um einen Sprung in die Begriffsgeschichte des 20. Jahrhunderts zu vollziehen, in der sich diese Verkürzung des Begriffs im gewöhnlichen und überwiegend wissenschaftlichen Sprachgebrauch nahezu vollkommen etabliert hat, mag es sein, dass in einer vorgerückten theoretischen Situation, wo – im Rahmen der Informations- respektive Netzwerktheorie – sich System und Benutzer in einer vollkommenen Virtualität bewegen, der Knotenpunkt tatsächlich in einer absoluten Setzung oder unbedingten Diesseitigkeit aufgeht. „The inscribed patterns of use may not succeed because the actual use deviates from it. Rather than following its assigned program of action, a user may use the system in an unanticipated way, she may follow an anti-program (Latour 1991). When studying the use of technical artefacts one necessarily shifts back and forth ‘between the designer’s projected user and the real user’ in order to describe this dynamic negotiation process of design (Akrich 1992, p.209)“268.

Wenn schon das System – durch eine Vorausprogrammierung – mit einer Projektion seines Benutzers einhergeht, wie es einer abgerundeten Netzwerktheorie

268 Ole Hanseth and Eric Monteiro, Network theory, chapter 6: „Understanding Information Infrastructure“. (Nur Online Zugang: http://heim.ifi.uio.no/~oleha/Publications/bok.html).

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konform ist, wird, der Möglichkeit nach, Realität endlich – wenn auch nicht endgültig – zu einer Arbitrarität. ‚Projected‘ hat hier demnach einen mit Goodman verwandten Sinn, indem ein Horizont des tatsächlichen, des möglichen oder virtuellen, und des Nicht-Users im Blick ist, und der virtuelle hat hierbei den Charakter des zentral geplanten (oder echter Fokus). Indem nun der reale User von ihm abweicht, verursacht er einen Verhandlungsprozess im Entwurf der Programmnutzung, nichtsdestotrotz bleibt der Horizont bestehen, indem das System danach sucht, ihn erneut zu etablieren oder restituieren. So korreliert ‚projiziert‘ mit Projektibilität (bei Goodman) oder Projektivität (projectivity) in der Geometrie, bei der die Zentralperspektive nicht, darum aber die – in gekoppelten Ebenen – überschlagene Schar oder Faszikel gewährleistet ist. Und es kann sehr wohl sein, dass die Hierarchisierung der Knotenpunkte, gesetzt, mehrere Foki sind miteinander verschachtelt (was sich aus Schaltdiagrammen in heutiger IT-Architektur relativ leicht nachzuvollziehen lässt), erneut einer präzisen Methode der Inklusion folgt (wobei sich wiederum das Problem der sinnlichen Darstellung stellt, denn sie ist von der Möglichkeit nicht auszuschließen, und insoweit es darauf ankommt, ihre echten Grenzen als Vor- und Darstellungsfähigkeit zu etablieren269. Außerdem steht diese Möglichkeit mit dem Konnexionismus und seiner Modellierung in engerem Zusammenhang – sobald Projektion vermittelt –, was weiter unten behandelt wird [V.4. Kategorien versus Schema, Muster]). Animismus und Dämonen, die Geisterseherei, die Psychologie. 1. Wie bereits berührt, gehört der gekürzte und in diesem Sinne neuere Begriff der Projektion in die Geschichte des Anthropomorphismus, der im folgendem in einem ausdrücklichen Zickzackkurs, der in der Sache, wie vermerkt, kaum vermeidlich, nachgezeichnet wird. Projektion wird somit zu einem ‚Hinauswerfen‘ ursprünglich im menschlichen Bewusstsein beheimateter Vorstellungen, überdies der Möglichkeit nach so ureigentümlich, dass der Kern der Subjektivität oder Innerlichkeit (seit Hegel) mit ihr einhergeht. Nicht von ohngefähr, ist – am Spektrum der metaphysischen Begriffe bemessen – nicht nur das Sein, Erfahrung und die Perzeption betroffen, sondern der zentrale Begriff Gottes respektive die Gottesvorstellung, die stets dafür verantwortlich war, nicht nur das Sein der Substanzen, sondern gegebenenfalls auch den Ursprung der Ideen zu unterhalten. An Feuerbach bemessen, von dessen Rezeptionsgeschichte ausgehend sich nicht zuletzt – im Rahmen des Anthropomorphismus – dieser

269 Im Hinblick auf diese spezifische Möglichkeit: F.William Lawvere, „Categories of Space and of Quantity“, in: Echeverria, Ibarra, Mormann 1992, S.18.

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verkürzte Projektionsbegriff verankert hat, muss allerdings die Vorsichtsmaßnahme eintreten, dass er in seinem Hauptwerk Das Wesen des Christentums, mit dem er einen angestammten Begriff der Metaphysik seiner Idealität beraubte, den Ausdruck Projektion nicht verwendet. Seine Ausdrucksweisen sind, noch stets, deutliche Zeugnisse des vorhergehenden Jahrhunderts oder Anlehnungen an den Idealismus selber: „Du glaubst, dass Gott ein weises, ein gütiges Wesen ist, weil du nichts Besseres von dir kennst als Güte und Verstand; und du glaubst, dass Gott existiert, dass er also Subjekt ist – was existiert, ist ein Subjekt, werde dieses Subjekt nun als Substanz oder Person oder Wesen oder sonst wie bestimmt und bezeichnet –, weil du selbst existierst, selbst Subjekt bist“270. „Den sinnlichen und gemütlichen Menschen beherrscht und beseligt nur das Bild. Die bildliche, die gemütliche, die sinnliche Vernunft ist die Phantasie. Das zweite Wesen in Gott, in Wahrheit das erste Wesen der Religion, ist das gegenständliche Wesen der Phantasie. Die Bestimmungen der zweiten Person sind vorzüglich Bilder. Und diese Bilder kommen nicht her von dem Unvermögen des Menschen, den Gegenstand nicht anders denken zu können als bildlich – was eine ganz falsche Interpretation ist –, sondern die Sache selbst kann gar nicht anders gedacht werden denn bildlich, weil die Sache selbst Bild ist“271.

Als Statthalter des ›Du‹, der zweiten Person (als Wesen), ist Gott demnach „von der Sache her ein Bild“, das die menschliche Phantasie auswirft – womit zugleich besiegelt, ontologisch oder »existenzkritisch« eine bloße Projektion (in diesem verkürzten, psychologischen Sinne), dessen Urheber die menschliche Vorstellung und nur diese ist. Sollte Feuerbach aber, was an dieser Stelle nur zu interessieren braucht, mit einem Nebenwerk der Urheber des Begriffs sein272 (was

270 Feuerbach, Das Wesen des Christentums, in: Werke 5, S.54. „Der Unterschied zwischen den göttlichen Prädikaten und dem göttlichen Subjekt ist nur dieser, dass dir das Subjekt, die Existenz nicht als ein Anthropomorphismus erscheint, weil in diesem deinem Subjektsein die Notwendigkeit liegt, dass dir Gott ein Existierendes, ein Subjekt, ist, die Prädikate dagegen als Anthropomorphismen erscheinen, weil die Notwendigkeit derselben, die Notwendigkeit, dass Gott weise, gut, bewusst usw. ist, keine unmittelbare, mit dem Sein des Menschen identische, sondern durch sein Selbstbewusstsein, die Tätigkeit des Denkens vermittelte Notwendigkeit ist“ (S.55), 78, 117-118. 271 Feuerbach, Das Wesen des Christentums, in: Werke 5, S.153; vgl. 270, 299, 319, 350, 361, 372 (wie zit.), 376. 272 L.Feuerbach, „Zur Kritik der positiven Philosophie“, in: Werke 8, S.181-207; vgl. Andrea Klages, Religion als ‚Projektion menschlicher Sinnhaftigkeit in die öde Leere des Universums‘. Die Religionskritik Feuerbachs im Kontext der Neuzeit, Hamburg 2005, S.100.

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tatsächlich nicht der Fall)273, so hat ihn Peter Berger zugleich in der Gegenrichtung gesucht – die er „reflection“ nennt –, um im Rahmen der Transzendenz, welche die menschliche Existenz im Universum ausmacht, danach zu fragen, „how far the projections of human imagination [and religious phenomena] are also reflections of a wider ‚encompassing reality‘“274. Die nunmehr Psychologisierung oder Übertragung eines im Kern menschlichen Wesens ist ein deutlicher Abkömmling des 19. Jahrhunderts, auch wenn der Gedanke, und Ausdruck, Anthropomorphismus über Hegel275 und Spinoza276 bis in die Antike, die Lehre des Xenophanes, zurückreicht277, wonach, hätte der Mensch die Gestalt des Löwen oder der Ziege, eben auch die Götter. Soll wiederum Freud für die neuerliche Bedeutung des Begriffs Projektion eintreten (was nicht ganz eindeutig), so ist er (uneingestanden) ein Rezipient Feuerbachs278 (und freilich auch Nietzsches):

273 Von der Sache her und größte Annährung, benutzt Feuerbach zur Kennzeichnung der Persönlichkeit Gottes als Projektion des Menschen den „Spiegel, in dem das Subjekt sich erblickt, aber unendlich vergrößert“ (Werke 8, S.194). In einschlägigen Passagen der Erklärung der Beziehung fehlt der Begriff Projektion (Werke 8, S.198199, 204-205: „Manifestation des euch verborgenen menschlichen Wesens“). 274 Martin 2001, S.162. 275 In seiner Behandlung der antiken Götterstatue (G.W.F.Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, in: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Band 2. hg.v. Annemarie Gethmann-Siefert, Hamburg 1998, S.158-159; Vorlesungen über Ästhetik, II, Einleitung I, in: Werke, Frankfurt 1970, S.23-25). 276 „Atque horum etiam ingenium, quandoquidem de eo nunquam quid audiverant, ex suo judicare debuerunt, atque hinc statuerunt, Deos omina in hominum usum dirigere, ut homines sibi devinciant, & in summo ab iisdem honore habeantur“ (Spinoza, Ethica, I, Appendix zu Prop. XXXVI, in: Spinoza Opera II, S.79 u.ö.). Auch deren Sinnesweise mussten sie, da sie nie etwas über sie gehört hatten, nach der ihrigen beurtheilen, und deshalb nahmen sie an, die Götter lenkten alles zum Nutzen der Menschen, um die Menschen sich zu verbinden und auf das höchste von ihnen verehrt zu werden [Sämmtliche Werke II, S.34]; auch II, scholium zu Proposition III, der Vergleich der Macht Gottes mit einem König, Spinoza Opera II, S.87-88. 277 Zit. nach Betrand Russell, Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung, Wien-München-Zürich 1950, S.61-62. Anders als bei Feuerbach sind die Götter bei Xenophanes freilich existent. Klages 2005, S.101-102. 278 Indem er, p.e., das Versprechen der Religion mit einer „von hohem Schwung getragenen Phantasie“ vergleicht (Freud, „Über eine Weltanschauung“, in: Werke 15, S.184-185) oder die – einzige – „Illusion“ ins Feld führt.

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„Die Lehre ist also, dass die Welt von einem menschenähnlichen, aber in allen Stücken, Macht, Weisheit, Stärke der Leidenschaft vergrößerten Wesen, einem idealisierten Übermenschen geschaffen wurde. […] Indem dieser Gott-Schöpfer direkt Vater geheißen wird [,] schließt die Psychoanalyse, es ist wirklich der Vater, so großartig, wie er einmal dem kleinen Kind erschienen war“279.

Die Projektion ist demnach evident – und einzigartig nach ihrer Leistung – ­bestimmt als eine Hinausverlagerung, wie sie auch Feuerbach verstand: „Der Verstand ist der Gesichtskreis eines Wesens. So weit du siehst[!], so weit erstreckt sich dein Wesen, und umgekehrt“280– für dieses Anhängsel, die Umkehrung, ihre Polarität, die möglichen Formen (Sektionen), direkt und indirekt, zuletzt auch ihre Andersartigkeit, die aus einem anderen Wesen als dem eigenen (Verstand) resultieren muss, denn der Ursprung ist nicht identisch, entwickelt er jedoch keine methodische Aufmerksamkeit. Sie müsste die stete Deckung zwischen dem, was das Bewusstsein leistet, und dem, was es als gewissermaßen diastolische Bewegung aus seiner eigenen Leistung heraus wiederempfängt281, auflösen und – der Möglichkeit nach – erneut spalten. 2. Ganz früh in der Menschheitsgeschichte, wohin nur eine bestimmte Portion wissenschaftlicher Spekulation zu reichen vermag, war, so wiederum Freud, der Animismus und das Dasein von Dämonen eine Vorform der Religion282, womit er den Fetichismus Comte’s rezipiert283, der sich mit dem frühreligiösen „Götzendienst“ Feuerbachs überschneidet284. Sind aber diese Naturkräfte real, jenseits der Möglichkeit, sie durch die Überlagerung des eigenen Wesens bestreiten zu können (wie Plato in den Nomoi den Ursprung der Staaten nach der Kronossage erklärt [713c-714b]), muss auch der Einwirkung oder Impression, an und für sich, eine wesentliche projektive Funktion zugestanden werden, die sie – von ihrem Wesen her – ohnehin fordert. (Dies gilt auch im selben Umkreis für das Totem als Repräsentation und Anzeige von Clan und Gottheit gemäß Durkheim).285 Sodann wird Plato dafür eintreten dürfen, um auch diese

279 Freud, „Über eine Weltanschauung“, in: Werke 15, S.175. 280 Feuerbach, Das Wesen des Christentum, in: Werke 5, S.39. 281 Klages 2005, S.100-101. 282 Freud, „Über eine Weltanschauung“, in: Werke 15, S.177-179, 181. 283 Comte, Système de politique positive, II, ch.2, L’age fétichique, in: Œuvres IX/3, S.78ff. 284 Feuerbach, Das Wesen des Christentum, in: Werke 5, S.51; Klages 2005, S.101. 285 Emile Durkheim. Social Structure, Material Culture and Symbolic Communication. (a) Symbolic Meaning and Objectification. (b) Symbolic Objects, Communicative Interaction and Social Creativity. In: Tanner, Jeremy. The Sociology of Art. A Reader. Routledge: London & NY 2003. Ch.4.

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­ öglichkeit – und seine Kunstlehre, die Erklärung der Musen im Ion, bleibe hier M unberührt – für die antiken Götter zu belegen: „[…] indem sie vom Heck aus steuerten und durch Überredung wie durch ein Steuerruder in ihrem Sinn auf die Seele einwirkten, so führten und steuerten sie das gesamte menschliche Geschlecht“ […] und sie bevölkerten es mit wackeren ureingeborenen Männern und gaben die verfassungsmäßige Ordnung nach ihrem Sinn“ (Plato, Kritias 109c-d)286.

Was nun, wenn der Mensch selber diese eminent politische ‚Stelle‘ übernommen hätte, um den Antropomorphismus zu vollenden, wie er es nach dem Geiste ihrer Urheber verlangt? Dieser „Überredung“ gemäß ist es nicht mehr nötig, „wie die Hirten ihr Vieh durch Schläge auf die Weide [zu] treiben“. In der Erhebung zu Tyrannis und „formes de l’esclavage“287 ist diese Form der politischen als menschlichen Beherrschung aber bislang kaum literarisch, i.e. wörtlich und durch Zeugen belegt, dingfest geworden: es müsste ein manifestes Hineinsprechen, ein unmittelbares Lenken sein. In demselben und Gesamtkontext hielt Alexis de Tocqueville die majorité d’une démocratie, der Möglichkeit nach, für eine Tyrannis (worin ihm die Geschichte der Minderheitenachtung Recht gibt)288. Bei der Definition des Sozialismus aber gilt (an selber Stelle), sie sei einer der soeben erwähnten Formen, verbunden mit einer „centralisation administrative“ – ein erstes Moment, der Fokus, also ist getroffen289, den freilich auch eine Majorität zu veranstalten imstande ist. Überdies glaubt er, dass „dans la démocratie […die] action indirecte“ charakteristisch sei, während „dans le socialisme, l‘action directe“290 – durch einfache Ersetzung wäre hier die gesuchte Größe, das Fokal, getroffen, und sie müsste, der Möglichkeit nach, nicht bei dem Sozialismus stehen bleiben. Dass aber der nationale Faschismus, den er noch nicht kannte und indem er den Sozialismus adoptierte, mit diesen beiden Definientia einhergeht, leuchtet somit immerhin nach seinem Grundmuster ein – und die Fokussierung respektive Polarität, welche das zoon politikon

286 Plato, Kritias, in: Werke Band 7, Darmstadt 1990, S.220-221. 287 Alexis de Tocqueville, Écrits et Discours Politiques, in: Œuvres completes, Tome III, Paris (Gallimard) 1990, S.199. 288 Tocqueville, De la Démocratie en Amérique, in: Œuvres completes, Tome I, Paris (Gallimard) 1951, S. 214-215 und insb. 265-272 - Jan-Erik Lane and Svante Ersson, Politics and Society in Western Europe, fourth edition London 1999 (SAGE Publications), S.153. 289 Tocqueville, Écrits et Discours Politiques, in: Œuvres III, S.189. 290 Tocqueville, Écrits et Discours Politiques, in: Œuvres III, S.189.

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mit sich führt, hat wesentlich auch mit Projektion und ihrem Vorstellungsvermögen im doppelten Sinne zu tun, als gleichermaßen rezeptiv und spontan. So verbleibt, vor der reinen (klinischen und empirischen) Psychologie, der Eklat der Geisterseherei, der, im wiederum Zeitalter der Aufklärung, Kant veranlasste, sich gegen Swedenborg auszusprechen, um die wahre, berechtigte und äußerlich fundierte Impression von der Einbildung abzuscheiden. Für jene aber kannte und konnte er (noch) keine Projektion als natürliche(!), und nicht etwa schon psychologische, Bedingung ausmachen. Die Phantasie aber ist mit Projektion nicht gleichzusetzen, sondern von einer ganz anderen Natur, da sie mit der Empfindungskraft, dem Fundament des rezeptiven – und freilich zugleich konstitutiven – Bewusstseins, einhergeht, so dass die grundlegende Frage oder Quaestio nicht mehr allein darauf zu beschränken ist, ob es eine Form von Geisterseherei gibt und ob Swedenborg ihr zuzurechnen, sondern welche Formen der Gegenwärtigkeit, der Kommunikation und der Koinzidenz dem Bewusstsein möglich sind, sobald sie die Philosophie selbstständig, unabhängig von der experimentellen Psychologie und in Abkehr oder wesentlicher Erweiterung der gesellschaftlichen Konvention, mit der natürlichen Veranlagung ausgestattet hat291. Die mögliche dogmatische Verengung wird ohne diese Grundlegung kaum sicher zwischen Emanation oder Halluzination zu unterscheiden sein292, wobei, wie es scheint, die Psychologie bislang kaum Hilfestellung zu leisten imstande ist293, da sie den Begriff einseitig mit einem Moment des Selbstbetrugs, der Selbsttäuschung oder Irrealität besetzt hat, der sich nicht verallgemeinern lässt beziehungsweise das Terrain absichtlich verengt. Ist Wahrheit das wissenschaftliche Problem sui generis, so verdoppelt es sich angesichts dieser Veranlagung.

291 Wir erinnern mit Reinhard Brandt, „Locke und Kant“, in: Martyn P. Thomson (ed), John Locke und Immanuel Kant, Berlin 1991, S.104-105, an A 364 und Locke, um die Möglichkeit zu erwägen, ob es „diversae etenim substantiae per eandem conscientiam non minus in unam personam“ gibt. 292 Peter Strasser, „Aufklärung und Geisterseherei. Oder Ist der Fall Swedenborg ein Fall Kant?“, in: Ästhetik und Kommunikation, Heft 111, Jg. 31 (2000), S.103-110, 106. 293 Ein kleinerer Beitrag von Dean Radin, „Thinking about Telepathy“ (Journal of the Royal Institue of Philosophy, publication date 01/01/2003 www.royalinstitutephilosophy.org) setzt sich (als laboratory director at The Institute of Noetic Sciences, California) deutlich auf die Seite derjenigen, die das Phänomen für real und möglich halten. Der Überblick über Untersuchungen anhand der restriktiven GanzfeldMethode ergibt immerhin ein leichtes Plus über dem Zufall.

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VIII Die Psychologie. Projektion gilt der Psychologie, von Freud ausgehend, der sie durch Verdrängungsmomente mit nicht unbedingt neurotischer Substanz zu erklären suchte294, unter anderem als eine Technik der Abwehr – in einem Spiel als Experiment projizierten Kinder ihrer eigene Selbstsucht auf andere „as a defense against seeing themselves as selfish“295. Eine französische Encyclopédie erläutert im selben Sinne (ohne Notwendigkeit „d’une signification pathologique“), que „d’autres mécanismes de défense ne nécessitent pas l’usage du refoulement. Ainsi, la projection nous fait prêter à l’autrui le sentiment que nous lui portons en réalité et nous fait éviter de percevoir le conflit interne pour un simple déplacement, une erreur d’attribution“296. Projektion wird hiermit der (verengte) Begriff für einen Vorstellungsmechanismus, der seinen Ursprung ausdrücklich und nur in der Psyche besitzt, um einen nahezu unbewussten, gleichwohl absichtsvollen Schein zu erzeugen (gegenüber Erinnerungs- oder Realitätsspuren, die vorhanden sind). Der konträre Begriff beruht auf der Evokation einer Projektion, die im Vorstellungsvermögen ihre Wirkung entfaltet und infolgedessen eng mit Realität und Wahrheit verknüpft ist (p.e. die Raumvorstellung, anhängige Orientierung – nach Schall-, Echo-, Licht- und Schattenquelle – und der Fluchtpunkt, gegenstandsbegründete Eigenschaften; die Wirkung der Ideen im Platonismus). Einzig, wie es scheint, bei Ferenczi tritt eine Art von Vermittlung auf. Indem er sich gegen Philosophie – als Statthalter von Weltanschauungen – wandte297, glaubte er insbesondere an den Gegensatz von Naturwissenschaft und Psychologie. Der neuzeitlichen Entfremdung, die unmittelbar die Naturwissenschaft hervorruft, suchte er entgegenzuwirken, zugleich jeder Assimilation unter den Wissenschaften, die auf eine systematische Abdichtung gegenüber der Erfahrung hinausläuft. So verlangte er, dass sich die „rein psychologisch“ und „rein naturwissenschaftlich“ arbeitenden Wissenschaften „durch eine Analogisierung der inneren und äußeren Erfahrung“ „gegenseitig erhärten – was einer ­Oszillierung zwischen 294 p.e. Die Psychologie des 20.Jahrhunderts, Band II, Freud und die Folgen, hg. v. Dieter Eicke, Zürich 1976, S.186, 295-296. Basis ist die Kindheitsentwicklung: und „Mimesis und Projektion sind die primären Erkenntnismodalitäten, ihre realitätsgerechte Verschränkung ergibt den ‚Wirklichkeitssinn‘“. 295 Dictionary of Concepts in General Psychology, hg. v. John A Popplestone & Marion White McPherson, New York 1988, ‘Defense Mechanisms’, S.85-89, 86-87. 296 Encyclopédie de la Pléiade. Psychologie, publié sous la direction de J.Piaget, P.Mounond et J.-P.Bronckard, Paris 1987, S.1035. 297 Was, wahrscheinlich, durch Freud initiert ist, wenigstens mit ihm in Einklang steht (Freud, XXXV. Vorlesung, in: Gesammelte Werke 15).

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Projektion und Introjektion entspricht“298. Diese Introjektion ist, von Geometrie und Philosophie her, gleichfalls, und insbesondere, Projektion (p.e. am Begriff der (n+1-)tupel [ξ0, ξ1,,…, ξn], die mit n die Richtung des Vektors beschreiben, oder aber unmittelbar wohlbekannte Affektion)299, und die Neutralisierung oder Wahrheitsfähigkeit, der der Begriff hier insgesamt begegnet, ist zu begrüßen. Sie spiegelt sich indirekt in neueren Techniken, und war vorübergehend auch in der Konsumentenforschung populär, um „versteckte Motive des Verbraucherverhaltens zu erfassen“300. Die International Encyclopedia of Psychiatry führt „Projective Techniques“ als Mechanismen an, derer sich ein Subjekt bedient und die unter experimentellen Bedingungen teilweise evident gemacht werden können. Eine wesentliche Subjektivität ist bei der Auswertung und Reliabilität (höchstens .60) seitens der Prüfpersonen nicht zu verkennen. „Whereas the techniques employed with respect to these phenomena are called projective, in a strict sense projection is only one of the mechanisms involved [situations where the examinee has to interprete it]. Projection refers to the tendency of a person to attribute his own unwanted motives and social traits to other people, as in the case of the hostile person […]. Actually, projective techniques are used to measure numerous types of social traits, motives, and forms of maladjustment. Although it would be better to speak of the methods as concerning interpretation rather than projection, the name ‘projective techniques’ is too well ingrained to allow the change“301.

Hiermit schlägt sich noch einmal die – verengte – sprachliche usance nieder (oder: der psychologische Projektionsbegriff), die zugleich auch belegt, wie sehr diese Bedeutung offensichtlich eine Rückübertragung in die Geschichte evoziert hat. Feuerbach galt diese Art von Projektion keineswegs als ausgehend von einem unerwünschten Wesen, sondern ganz im Gegenteil (wobei, 298 Ferenczi nennt dies den Utraquismus (Helmut Dahmer, „Sándor Ferenczi – sein Beitrag zur Psychoanalyse“, in: Die Psychologie des 20.Jahrhunderts, Band II, S.188). 299 Sperner 1963, S.159; Reichenbach 1983, § 15, ausgehend von § 13 (wo übrigens die Projektion unter Elementen der Außenwelt – einige hiervon dienen als Kennzeichen – und die Projektion auf die Sinnesorgane – als Sinneswahrnehmung – wie das selbe behandelt werden. Auch ist die grundsätzliche Gleichstellung der Projektion mit Wahrscheinlichkeit fraglich. Der ontologische Zwang ist stärker, enger). 300 Martin Jole, Marktforschung, in: Handbuch der Psychologie, Band 12/2, hg. v. Martin Jole, Göttingen 1983, S.38-40. 301 International Encycopedia of Psychiatry, Psychology, Psychoanalysis, and Neurology, ed. Benjamin Wolman, vol. 9, New York 1977, S.95.

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wie erwähnt, er den Begriff selber nicht benutzte, der als ‚Mechanismus‘ oder Vorstellungsform für seine Erläuterung der Gottesvorstellung dingfest wurde). Die göttlichen Eigenschaften sind jene, die in seinem eigenen Wesen nach seinem besten Vermögen enthalten sind302. Die erwähnten projektiven Verfahren betreffen, im Bereich der Persönlichkeitsdiagnostik, den (i) Rohrschach-Test oder (ii) den Thematic Apperception Test TAT, was in Kürze (im Sinne des Forschungsberichts zum Begriff) angeschlossen sei, um das Spektrum des psychologischen Begriffs zu erläutern. Im einen Fall handelt es sich um die Erklärung von ‚Perzeptionen‘, die der Proband in Zusammenhang mit Tintenklecksen besitzt, im anderen müssen soziale Situationen aufgrund von Bildern erläutert werden, wodurch charakteristische Prädikate (Aggressivität, Sicherheit, Erfolg, Verwandtschaft) hervortreten und als verdeckte Einstellungen getestet werden. Von ihrem wissenschaftlichen Status her – oder ihrer Stellung innerhalb von objektiven und subjektiven Kriterien – rangiert die Projektion in der Psychologie ganz auf dieser Seite, der Subjektivität als Domäne der life data303. Dies muss nicht verwundern, da der Begriff hier seine Reziprozität, die eindeutige Übersetzbarkeit der projizierten und nicht projizierten Inhalte (und Ebenen), von vornherein eingebüßt hat. Gerade sie ist es, die aber auch die Philosophie (und nicht nur die Mathematik) fordern muss, um zu einer echten Überprüfung der realen und der Bewusstseinsebene gelangen zu können, anstatt sie phänomenologisch, deskriptiv oder in einer springenden Form (und wesentlichen Setzung, wie sie der klassischen Philosophie oblag) zu behandeln. Die Mehrstrahligkeit, mit der sich ein Bewusstseinshorizont entspannt (um eine Ausdrucksweise nahe an Husserl zu bemühen), sollte eben auch erlauben, den Gegensatz ihres vektoriellen Ursprungs sicher zu stellen. Überdies, hat das Bewusstsein nicht auch an spezifisch projektiven Wirkungen teil – in Zusammenhang mit geschichtlicher, politischer Erfahrung –, in denen ein mehrfach umgelenktes Ergebnis eine Art von Fokussierung, zugleich die Potenz des Ursprungs beweist? So ist die Umschlagbarkeit Forderung sui generis, Inhalt oder Essenz ihres Begriffs, und ein ursprünglicher Fond der Kausalität. 302 Hier liegt offenbar auch die – latente – Wurzel für die Verwendung in C.G. Jung’s Archetypenlehre (Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Band XV, hg. v. Gion Condran, Zürich 1979, S.285-287). 303 Beitrag Klaus Kubinger, in: Grundlagen und Methoden der Differentiellen Psychologie, hg. v. Kurt Pawlik, Reihe C VIII, Band 1, Göttingen 1996, S.518. Der Dictionary of Concepts in General psychology 1988, S.273 resümiert: “Unfortunately these inferences [from Rohrschach- and TAT-tests] are difficult to verify”.

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B. Zu Fichtes Wissenschaftslehre (Vortrag 1804) 1. Auch wenn, einer Lebensklugheit Descartes’ zufolge, es wünschenswert wäre, dass „toute la science qui se peut desirer, seroit comprise dans les livres“, so geschähe dies dennoch nur um den Preis, „qu’ils ont de bon est meslé parmy tant de choses inutiles, & semé confusement dans un tas de si gros volumes, qu’il faudroit plus de temps pour les lire, que nous n’en avons pour demeurer en cette vie, & plus d’esprit pour choisir les choses utiles, que pour les inventer de soy mesme“304. Diese Erinnerung betrifft auch die Einleitung in die Philosophie Fichte, wobei ein Vortrag seines Hauptwerks, der Wissenschaftslehre, den Gegenstand bildet. Eine exakte Analyse der Fassungen und Schriften Fichtes kann an dieser Stelle nicht stattfinden (was übrigens auch für den größten Teil der Rezeption seiner Schriften gilt), da sie bei weitem zu viel Raum beanspruchte, wahrscheinlich aber auch den Erkenntniswert nicht maßgeblich erhöhte. Im Zentrum steht, dass eine der späteren Fassungen, in der er die Wissenschaftslehre vorgetragen hat, nachhaltig auf den Begriff Bezug nimmt, der diesem Abschnitt als Überschrift dient. Wobei die direkte Parallele zur hier vorgetragenen Ansicht (und Kern ihrer Methodik) darauf beruht, dass es eine vollkommene Einsicht in die Unbedingtheit oder Notwendigkeit, aus der heraus Bewusstsein sich herzustellen vermag, nur gibt, wenn sie Projektion einschließt – nunmehr nicht allein als räumliche, sondern konstitutionelle im Ursprung der Vorstellungen, und zunächst indifferent gegen Vermögen und/oder Leistung, was bei Fichte in Verhältnisse von Sein, Setzung, [Er]Schein[ung], Nach- und [Vor]construction auseinanderfällt, zum Teil mit präzisester Einsicht verbunden, dass es eine Erkenntnis und Wahrnehmung des authentischen Seins in der zugleich Erscheinung, und selbst noch in der Genesis des Wissen des Bewusstseins von sich, geben muss, wodurch sich der Rückgriff auf den untilgbaren Begriff der Projektion, sein „Faktum“, erklärt, „ohne uns ihrer je entledigen zu können“, sogar „UrPrincip“305. Im Ganzen wird die Lektüre dieser Fassung, abgesehen vom folgenden, auf Späteres und das bereits Gesagte zu übertragen sein, um nicht wenige der Schwierigkeiten, die sich Fichte offenbarten, aus einer anderen Sicht zu erklären. Das Grundproblem, den Realismus mit einem Idealismus in Ausgleich zu bringen, welcher zugleich nach der Forderung der größtmöglichen Erschließung methodischen Vorgehens die Destination verkörpert, bleibt in dieser 304 Descartes, La Recherche de la Verité, in: Œuvres X, S.497-498. 305 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.248, 245, 326 u.ö.

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Fassung erhalten (Vortrag XIV)306. Redlich, bemerkt Fichte, dass (abgesehen von Bewusstsein selber) auch sein Dasein nicht aus der Genesis seiner eigenen Setzungskraft resultieren kann. Anstatt nun aber vorsorglich und der Übersicht halber den Begriff, den er hierfür verantwortlich machen will, nach Herkunft und methodischen Implikation(en) zu untersuchen, denn auch die Mathematik benutzt ihn, und es steht keineswegs fest, dass er sich mit einer bloßen Beziehung zwischen projectio und projectum erschöpft und einer herkömmlichen Subjekt-/ Objektlogik zu begleichen ist307, ohne Beziehung zur Projektivität und Möglichkeit einer eventuell polylateralen Projektion aus einem gemeinsamen Zentrum, geht er sofort dazu über, seine Wirksamkeit nach der beid- und keineswegs einseitigen („idealen“) Lage zu begreifen und zu erklären (noch nahezu vollständig unbewusst gegen die Möglichkeit, wie viel Gegenseitigkeit tatsächlich für ein kollektives, und nicht nur intersubjektives, Bewusstsein aus der projektiven Bedingung zu folgern ist, gesetzt, dieses bedeutet das konstitutiv springende des transzendentalen Ich). Tenor, lässt er das Faktum, dass Projektion das Bewusstsein vermittelt (an sich selbst teilnehmen lässt) und umgekehrt dieses das Sein (um es zunächst im Grundzug anzusprechen)308, unerklärt, indem er sich gezwungen fühlt, es mit einem „scholastischen“ Terminus zu besiegeln, „projectio per hiatum irrationalem“309 (was wohl heißen soll, mit dem scheinbaren Gewand

306 Und später: p.e. Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.359: „Daß die Wiisenschaftslehre Ich ist, dass das Licht durchaus Ich, und nur Ich Licht sey, ist bekannt: […]“. 307 Insb. Vortrag XXIV (Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.359, 361). 308 Die frühre Version der Wissenschaftslehre von 1794, hier zitiert nach der Beziehung auf Dialektik: „Die Grundbehauptung des Philosophen, als eines solchen, ist diese: So wie das Ich nur für sich selbst sei, entstehe ihm zugleich notwendig ein Sein außer ihm; der Grund des letzteren liege im ersteren, das letztere sei durch das erstere bedingt: Selbstbewusstsein und Bewusstsein eines Etwas, das nicht wir selbst – sein sollen, sei notwendig verbunden“ (Hans Radermacher, Art. „Dialektik“, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg.v. Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner und Christoph Wild, Band 2, München 1973, S.289-309, 300). 309 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.219: „Wovon denn nun eigentlich haben wir zu abstrahieren, und welches ist dieser sein unausbleiblicher Effekt? Offenbar von demjenigen punctum saliens und Nerv, um dessen willen es [Bewusstsein einer bestimmten methodischen Stufe der Reflexion] als ungültig abgewiesen worden. Dieser Nerv war aber, laut unserer gestrigen Untersuchung der, dass es faktisch Etwas projicirte, - namentlich in seiner höchsten Potenz, in unserem Falle die Energie, die sodann Denken wurde, - dessen genetischen Zusammenhang mit ihm es durchaus nicht angeben konnte: also dass es rein, und per absolutum hiatum hindurch projicirte“, S.224, 237, 248 u.ö.

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der Scholastik): irrational meint hierbei nicht etwa Widerspruch, noch derselbe als bare Natur, wohl aber diese als zugleich und vor allem (vermeintliche) Uneinsehbarkeit (wie das berühmtere Ding an sich), und hiatus. Er gilt ihm gleichfalls als „absolut“310, unerachtet, ob sich hierin nicht etwa der – in Konflikt und Konkurrenz mit dem Widerspruch – berüchtigte polare Gegensatz niederschlägt, der seine Inkompatibilität teilt. Einem Wort hierzu ermangelt es in der gesamten Auslegung der Wissenschaftslehre 1804. „Noch strenger hingesehen ist in der Einheit im Hintergrunde, eine Projektion des Ansich, und Nichtansich, die sich gegenseitig setzen, zur Erklärung und Verständlichkeit, und vernichten in der Realität; und wiederum die Einheit ist eine Projektion der beiden Glieder“311.

Hiermit ist das Grundproblem, von Kant tradiert, in transformierter Form angesprochen, zugleich mit einer historisch, an und für sich, ganz neuen Behauptung: die Einheit des Bewusstseins – es möge das transzendentale sein – folgt nicht aus reiner Apperzeption, sondern aus reiner (ursprünglicher) Projektion, welche (nach Vermögen und spontaner Leistung) unmittelbar Fundament und Fonds des Bewusstseins bildet, so dass es nicht etwa auszulösen oder wach zu rufen ist, sondern sich mit transzendentalem Zwang (oder Notwendigkeit, um den Natur- mit dem Bewusstseinsbegriff zu konfrontieren) äußern muss312. In der Darlegung der beiden Seiten verwickelt sich Fichte gleichwohl, da er die methodische(n) Implikation(en), wie erwähnt, nicht deutlich genug von unmittelbarer „Intuition“ und Begreifen abhält313, auch Ansich und Ansich nach Beteiligung der beiden maßgeblichen Glieder in Ambiguität überführt (freilich verantwortet durch seine Destination, ein reiner Idealismus als das absolute Wissen des Ich314. Es soll sich durch die einzige Setzungskraft des Bewusstseins behaupten, die im Absoluten errungen wurde, ohne selber absolut – im Sinne Hegels – zu sein315). Was es im Verhältnis des Vortrags der Wissenschaftslehre zur Projektion insbesondere zu klären gilt, sind (a) was „Vernichten“ der beiden Glieder besagt, (b) wie sich die ›Gestalt‹, die Vorstellung des Denkens als Effekt der Projektion, von der angenommen unverstellten Form absondert, schließlich (c) in welcher Form beide Seiten (in der, an und für sich, groben Manifestation zwischen Realismus und Idealismus) vertreten sind.

310 311 312 313 314 315

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Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.237, 248, 326, 350: „absolutes Faktum“. Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.224. Erneut: Fichte, Wissenschaftslehre, Einleitung Vortrag XXXIV. Wissenschaftslehre II/8, S.350. Wie zitiert, Wissenschaftslehre II/8, S.359 u.ö. Radermacher 1973, S. 302 in Differenz zu Hegel.

„Ferner geschieht diese Projektion schlechthin und unmittelbar, per hiatum, ohne gehörige Rechenschaft von sich ablegen zu können. Denn wie aus der Einheit, als blosser reiner Einheit, ein Ansich und ein Nichtansich folge, lässt sich nicht erklären“316 [und, wir ergänzen, an und für sich eine reine Form der Kontrarität bzw. polaren Gegensatzes wie zuvor].

„Schlechthin und unmittelbar“ vollzieht die Projektion die Einheit des Bewusstseins an seinen beiden Gliedern, getrennt durch die einfache, unmittelbare Negation, was zur gegenseitigen Vernichtung führt, so dass, charakteristisch, nicht der Widerspruch, sondern die Polarität den Gegensatz fundiert und erläutert. Anstatt nun – etwa am geometrischen Modell – eine eventuell ausgleichende Interferenz festzustellen (denn das Bewusstsein besitzt die euklidische in der projektiven Vorstellung)317, rubriziert er die Aufhebung, die nur ein „Seyn, und Bestehen“ (später die „absolute Projektion“318) übriglässt. Überdies – und symptomatisch für den Modus seines Gedankengangs, der zu dieser Konklusion führt – hatte er das „unmittelbar [projizierende] Bewusstsein als ein „Faktum“ oder wirkliches Bewusstsein anerkannt, welches als „Unterpfand“ – trotz Unerklärlichkeit – die „Bestimmtheit der Einheit“ verbürgt319. Dann kann es aber, zwei Gedanken später, nicht in erste, bloße Möglichkeit übergehen, und „unser höchster Realismus, d.h. der höchste Standpunkt unsrer eignen Speculation, ist hier selber, als ein bisher nur in seiner Wurzel verborgen gebliebener Idealismus aufgedeckt“, trifft wegen Widerspruch – anstatt Berufung auf den polaren Gegensatz – nicht zu: Der Grund der Unerklärlichkeit, in der das Bewusstsein seinen Sitz hat und die Projektion wahrnimmt, kann unmöglich mit Spekulation gleichzusetzen sein, insbesondere, wenn jene, der das unmittelbare Bewusstsein unterliegt, imstande ist, ohne weiteres – ‚intentionales‘ oder setzendes – Zutun seine Einheit zu stiften. Woran sich nichts ändert, nachdem auch das Gesetz des Wissens in Vortrag XXV abgeleitet ist320. – So heißt es zuvor unter (3): „Obgleich das erst vom Bewusstsein hingespiegelte Denken desselben durch das bisherige erledigt ist, obgleich ferner schon oben zugegeben worden, und zugegeben werden musste, dass dieses Ansich nicht von uns construirt wurde, sondern dass es schon ganz und gar construirt, und fertig, und in sich verständlich, also in sich selber und durch sich selber construirt vorgefunden wurde, also Wir auf alle Fälle dabei nichts zu thun

316 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.225. 317 Wie insbesondre im Kap. zur Ordonnanz gezeigt wird bis hin zur Position von Helmholtz. 318 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.236/237. 319 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.225. 320 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.372, s.w.u.

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haben, so lassen Sie uns dennoch diese ursprünglich fertige Construktion, ihrem stehenden Inhalte nach, näher untersuchen“321.

Der Interpret Radermacher, dem nicht entgangen war, dass Fichte die Projektion eingeführt hatte322, sucht das Problem ganz von der Negation des Produktionscharakters im Produzierten her zu erklären. Das natürliche Bewusstsein sei berechtigt, den Produktionscharakter seines Produkts zu negieren oder dass seine Erfahrung des Ansich, still und abgehalten von jeder Erfahrung seiner eigenen Leistung und Setzung, nicht produziert sei. Anstatt aber alle Implikationen der Projektion – als das eigentlich verantwortliche Vermögen und Ursache aus Bewusstsein selber – beizubehalten, wodurch dies Aufeinandertreffen zwischen Ansich und Nichtansich unmittelbar folgt und sogar notwendig wird – es fällt nicht allzu schwer, hierin (aus Sicht der Gehirnforschung) „das Wissen“ wiederzuerkennen, „das im Lauf der Evolution durch Versuch, Irrtum und Selektion des Bewährten über die Welt erworben und in den Genen gespeichert wurde“323 und bei jedem aktuellen Erkenntnisvorgang zu beanspruchen ist –, gerät er auf den Gedanken, dem natürlichen Bewusstsein eine Überredung seiner Täuschung zumuten zu müssen, so dass der Kern des Gedankens in den Verdacht der „Rhetorik“ gerät324. Nun hatte Fichte aber anerkannt, dass, sobald das Bewusstsein Wissen von sich erlangt, Projektion die „GrundDisjunktion“325[!] verkörpert. Nicht allein, dass sich erneut die Frage nach der Tafel der Kategorien stellt und Kant eine spontane Relation, die polare, hätte achten müssen, die mit den übrigen nicht koinzidiert noch darauf reduzierbar ist326, der Sprung, die Versetzung der Philosophie beruht auf einer direkten Konfrontation, welche – als Koinzidenz der Negation, ohne Widerspruch zu sein – jedem an diesen gebundenen, und insofern einseitigen Rationalismus unmöglich ist: sieht er die Polarität ein, verändern sich die Verhältnisse (i.e. er braucht nicht mehr in den geläufigen Zwang des ›Irrationalismus‹ zu verfallen). Indem, vom realen Standpunkt der Projektion her (der als Bewusstseinstatsache gewährt und durch dieses frei einnehmbar ist), Ansich und Nichtansich zusammenfallen, und stetig zusammenfallen müssen, wird der Absatz gegen Kant (und inwiefern er diese Art von 321 322 323 324 325 326

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Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.221. Radermacher 1973, S.301. Singer 2002, S.90. Radermacher 1973, S.303. Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.371. Fichte freilich glaubt, die Kategorien selber durch die Genesis des absoluten Wissens herleiten zu können, p.e. anhand der Qualität, Vortrag XXXIII (Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.347-349).

Idealismus nicht einzusehen imstande war oder stillschweigend eliminierte) in der Gesamtkonstellation plausibel. „Es wurde hierauf weiter also argumentirt: Dieses Projiciren geschieht wenigstens der Materie, dem darin ausgesagten Inhalte des Wissens nach, nach einem absoluten Gesetze, das nicht nicht Gesetz seyn, nicht nicht Kausalität haben kann; es ist daher absolut imanentes Projiciren und kann daraus nimmer los – und wie wir, als sehr verdeutlichend hinzusetzten, das Licht in der Projektion kann nicht durchaus also seyn, wenn es, oder nach dem Gesetze ohne alle Projektion wäre: Was heißt dies? Es muß fortdauernd die Spur des lebendigen Principiirens an sich tragen, als Produkt eines solchen Principiirens in seiner Form durchaus erscheinen; darum ins unendlich wiederholbar, und in Beziehung auf die ursprüngliche Projektion durch das Gesetz, als Nachconstruction, jene unsprüngliche Construction, was nun die GrundDisjunktion im Wissen“327.

2. Absolutes Gesetz und Unaufhebbarkeit ist gleichbedeutend damit, dass die Kausalität, die es hervorbringt, von jeder spontanen Anwendung (als Kategorie) zu unterscheiden ist (und die Spontaneität wird in ihrer, konträr zum Fichteschen Hiatus veranlagt, transzendentalen Unableitbarkeit fraglich – denn Spontaneität der Kategorien und deren Deduktion ist nicht dasselbe –, mag auch jede kausale Determination in der auswärtigen Erhebung eine andere Bedeutung haben und das Bewusstsein daher anders involvieren). Wiederum als Naturtatsache, ohne die es das „Licht des Bewusstseins“ nicht gibt, sind aber ursprüngliche Construction und Nachconstruction keine theoretischen Schimären, sondern Notwendigkeit, und von jeder (gewiss leichten) Verwechslung, die ihnen die erzeugende, konstitutive Beziehung nahelegt, abzuhalten. Durch die erstgenannte Möglichkeit gilt es, den Realismus zu bekräften, und zwar über den Hiatus hinaus, mit dem sie Fichte durchgehend in verschiedenen Ansprachen, vom Sein, vom Licht und vom Leben her, darlegte. Insbesondere gilt es, seine Möglichkeit in der Konfrontation der Basisrelation zu wahren, ohne unbewusst oder stillschweigend dem rationalen Impuls nachzugeben (der dem Widerspruch gehorcht und die Koinzidenz durch Reduktion auf dessen Kern zu umgehen respektive aufzuheben sucht – was, zum Vergleich, bei Hegel die „subjektive Reflexion des Geistes in sich“ versus „die Reflexion des Etwas in sich“ heißen wird)328. Indem es unmittelbares, ‚natürliches‘ Bewusstsein ist (zugleich der Grundstock des theoretischen), besteht es (i) mit einem bestimmten Gesetztsein (in) der Welt und seiner eigenen Erfahrung, darüber hinaus, mag auch mit der projektiven Bedingung ein nichtkontinuierliches Übergehen, der 327 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.371. 328 G.W.Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, in Gesammelte Werke, Band 15, Hamburg 2000, §§ 330 vs. 336.

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Sprung als Homologie und wesentliche theoretische Möglichkeit, einkehren, (ii) in einem an und für sich kontinuierlichen Zusammensein mit allem anderen Bewusstsein (worauf auch Hegel bei Darlegung des Bewusstseins nicht achtet, gleich der Standpunkt oder, wenn man so will, die transzendentale »Schneise« oder Schere von Bewusstsein zu Bewusstsein)329. Deutlich, wenn auch nicht immer leicht erklärlich, muss es von jeder Eigenleistung zu unterscheiden sein, die es ihm auferlegt. Fichte sucht daher zurecht nach der Form, in der die Gestalt der ursprünglichen Konstruktion, obgleich sie freilich niemals an sich selber isoliert, ohne die einfallende Nachkonstruktion, wird erfahrbar sein können, von dieser abweichen muss – bloße Apprehension versus Reproduktion oder Apperzeption hingegen können darin nicht vollends aufgehen: der Status der Validität besteht schon, er hat einen anderen Grund in der übergreifenden (und unaufhebbaren) Beziehung, während der transzendentale ‚Vektor‘, vorbestimmt oder theoretischer Vorsatz, starr in der Ebene des bestimmenden, urteilenden Bewusstseins ruht, dem sich die in sich zirkuläre (spirale) Verschachtelung der insbesondere A-Deduktion unter- und nachordnen muss. Um nun, vor der Zuwendung zum Hiatus, die Bedeutung des Ansich zu erwägen, erläutert Fichte, „setzten wir [es] oben voraus, indem wir Leben oder Urphantasie hinzuthaten, und in dieser aufgingen, und unsre Wurzel hatten; Freilich sollte dieses Leben nicht unser Leben, sondern das Leben und die SichConstruktion des Ansich selber seyn: dies war nun eine innere, in diesem Zusammnhange sich unmittelbar ergebende Bestimmung des Urlebens selber, das denn doch hier herrschend blieb“330. Mithin kann kein Zweifel bestehen, dass im Bewusstsein eine Wurzel verankert ist, imstande, das Leben aus ihm selber, ohne seine eigene Zugabe, gar notwendige Produktion („[Nach]Construktion“) zu erfahren. So trennt er an späterer Stelle systematisch die Existenz vom Sein als äußere versus innere Bedingung331 (was freilich nur eine Idiosynkrasie). Wenn aber diese „Lebendigkeit“ als nicht die unsere (gesetzte, oder im Hinblick auf Existenz produzierte) mit der Leistung der „UrPhantasie“ einhergeht, die „realiter“ (erst und insbesondere) durch das „wahre Wesen der Vernunft 329 G.W.Hegel, Enzyklopädie, in Gesammelte Werke 15, §§ 329-337. 330 Fichte, Wissenschftslehre II/8, S.223; Parallelstelle S.262. 331 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.250: „Machen wir uns nur den Sinn deutlich. Die ideale Selbstconstruction des Seins wird per hiatum absolut projicirt, also zu einem absolut faktisch, und äusserlich Existenten gemacht. Diese Existenz nun (ich werde das Wort Existenz vorläufig ausschließend von dem äussern Sein brauchen, dagegen Sein, was nur immer verbaliter zu verstehen ist, dem innern, im absoluten Grundsatz aufgestellten Sein vorbehalten, welches hierdurch erinnert sei:) […]“

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abgeläugnet wird“, dann verliert das Ansich seinen angestammten, originären Platz und Bedeutung – seine wahre oder erste Orientierung –, soll es nunmehr mit dem Wesen der Vernunft als „die rein intelligirte Bedeutung des Ansich“ anzusehen sein332. Die Reduktion, der Monismus, das reine Wissen als reiner Idealismus widerspricht oder steht quer zur Basisvoraussetzung, dem absoluten Gesetz der Projektion, aus dem heraus es nur ist und Erklärung finden kann. Gleichzusetzen, wie schon oben, mit der angeblichen Möglichkeit, die polare Basisbeziehung, ihr Fundament, durch ein Aufheben begleichen bzw. erfüllen zu können, welches Aufheben, wie in der gesamten Tradition, die Einheit nicht wirklich erwirbt, auch wenn sie angestrebt. Bis in die letzten Vorträge hinein (ab XXIII) unterliegt das Argument, das an Projektion festhält, dieser Fusion des Ansich, eingeführt über das Licht als Medium333: es wurzelt im Subjekt, dem Individuum und Einzeldasein als inneres, anstatt nicht zugleich mit jedem äußeren Bewusstsein zu korrelieren und korrelieren zu müssen, darin wirksam und verankert zu sein, so dass es, auf einen Schlag, beide Seiten vertritt und die wahre Komplikation oder (wenigstens, denn die Zweiseitigkeit ist nur Grenze im gegenseitigen Verkehr der Subjekte) Verdoppelung auch der Basislogik übernimmt, die mit der Beziehung auf den Plan treten muss (wobei der Geist noch keinen Namen hat, sondern nur Verstand oder Vernunft334): streng besehen, kann kein einziger sprachlicher Satz, keine kategorische, überlieferte Form aus S und P der projektiven Bedingung unmittelbar, einfach und überdies vollständig gerecht werden (was vielleicht auch Goodman vorschwebte, dann jedoch nicht angemessen deutlich werden lässt). Dass in einer Durchgehbarkeit, als Aufstieg zum Sitz des Bewusstseins verstanden, das sich zugleich reflektiert – abzuheben von der intentio recta335, welche den projektiven Basisvektor bezeichnet (und Fichte vielleicht zu seiner ‚scholastischen‘ Namensgebung inspiriert hat) –, ein ‚Vernichten‘ der Glieder wirksam wird, leuchtet zwar, immer noch unter der Hauptvoraussetzung, als Möglichkeit ein, bedingt aber nicht die Absolutheit des Ziels, ein Ich oder Wissen im Sitz der völligen Ruhe und Einheit, das rückwärtig seine Genesis einzuholen b ­ eabsichtigt. 332 Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.223. Parallelstelle S.326. 333 Die zentrale Passage Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.236/237. 334 Präzedent: Fichte, Wissenschaftslehre II/8, S.249, insb. 326: „Wir können diese Sichgenesis, da oben bemerkt wurde, das auch das höhere, die Vernunft projicirende Wissen im Grunde Sichgenesis sei, und nur nicht also erschien, sehr füglich Nachconstruction der nicht erscheinenden Urgenesis, also das Begreiflichmachen der Glieder der Urgenesis, mithin Verstand nennen“. 335 Die Radermacher nicht übersieht (1973, S.294, 298).

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So übersieht Fichte wohl zwei wesentliche Relationen – Bedingungen und Konsequenzen –, die als notwendige Eigenschaften mit projektivem Bewusstsein verknüpft sind und die Differenz zu verdeutlichen imstande sind. Erstens gelangt er nicht dazu, den Schnitt, die Sektion, angemessen zu begreifen, die beständig die mehrfache Proportion Bewusstsein zu Bewusstsein, Bewusstsein zu Welt, ja, notwendig auch Bewusstsein zu sich selbst begleiten muss – erneut erhält ein Lehrstück Kants, der Paralogismus (oder die Uneinsehbarkeit des Selbst, analog zum Ansich) einen ganz anderen Sinn. Der Hiatus, den er nachhaltig rubriziert, freilich ein Element echter Metaphysik, ist demnach zuerst ein Analogon oder, termino quem, eine Faszikel der Sektion oder notwendigen Scheide (die er nicht eigens benennt, insbesondere, weil er sich offenbar nur sehr entlegen an die räumliche Bedingung und den Riss erinnert und insoweit sie unmittelbar mit dem zentralen Begriff korreliert). Die Unerklärlichkeit verliert damit ihre Basis, indem, wenn alles Bewusstsein – als insbesondere und namentlich Vorstellung – aus der Wurzel des projektives Vermögen hervorgeht und kraft ihrer sine hiatus oder aufhebungslos ausgeworfen wird (um beide Ausdrücke anders zu veranlagen), es erst durch diese Scheide hindurch sich gegeneinander zu vereinzeln imstande ist (was eine durchaus realistische Vorstellung des Bewusstseins darstellen sollte, auch wenn der Gemeinverstand, der nur eine Konvention verkörpert, sich sträubt). Sie mag, da sie nicht starr (keine fixe Tafel) ist (es sei denn als natürliche Geometrie), auch die Membran heißen (insoweit es gilt, zugleich an die natürliche, biologische Basis zu erinnern). Und es ist klar, dass auch eine starre, festgehaltene, an sich verabsolutierte »gekerbte Leuchtwand« (zurückzuführen auf den vereinigten Durchgang von Lichtstrahlen im Verein mit den gegenständlichen Vorstellungen, die an sie geknüpft sind), im Bewusstsein selber, als letzte Grenze, nicht gegeben ist, sollte ihr nicht bereits eine Transzendenz oder echte Jenseitigkeit zukommen (wie es zumindest Kant nicht erwog). Keiner der traditionellen Anwärter auf ingeniöses (angeborenes) Bewusstsein kann jedenfalls noch einfach und unversehrt für sich bestehen bleiben, sobald die projektive Bedingung zum Fundament des Bewusstseins gehört und die Erfahrung durchsättigt. Weiterhin, zweitens, achtet Fichte, indem er die Genesis des Bewusstseins zum Kern der Wissenschaftslehre (in allen Fassungen) erklärt, eine andere, ebenso notwendig involvierte Eigenschaft nicht, die Orientierung (die schon vom Terminus her eine Verwandte). Nicht allein, dass der (vom Gesichtspunkt zu unterscheidende) Standpunkt verschieden ausfällt und der Arbitrarität des ‚subjektiven‘ Bewusstseins unterliegt, gesetzt, es begreift sich bereits als fokussierend – eine Schneise oder ‚Perspektive‘ gebärend, in der das aktuale Bewusstsein seine gesamten Fakultäten organisieren muss –, sondern 108

die Orientierung lässt auch die Achse weichen, i.e. systematisch und mit Notwendigkeit wandern respektive alternieren. Das projektive Bewusstsein setzt keinen Zwang, die Welt unbedingt aus dem Einzelding begreifen zu müssen (gleichgültig ob Substanz, Monade oder Etwas336). Indem aber die Längen, in denen das Bewusstsein seine eigene Sphäre erfüllt – seine „Horizonte“, wie sie Kant gelegentlich in der Logik und Kritik ansprach337 –, verschieden ausfallen gegen die Längen (oder Distanzen), mit denen es sich zugleich auf die Außenwelt bezieht, alterniert auch die Orientierung: der Schnitt oder die Scheide, der Kern der objektiven Faszikel, durch die es sich als zugleich in der Welt begreift, bezeichnet eine eigentümliche Lage (zu unterscheiden vom Situs und Inklination oder Neigung). So wird die Abstraktionshöhe, der gewonnene, reale ›Überblick‹, zu einem Index des – an und für sich – projektiven Bewusstseins (um, wie soeben, das Ansich neu zu lagern); denn das Substanzbewusstsein ist, p.e., rechtens nicht etwa unmittelbar konkretes, sondern ganz im Gegenteil Grenze des abstrakten (gleichgültig ob in Berufung auf Descartes, Leibniz oder Kant): imstande, eine Infinität der ab- oder aufsteigenden Konkretion in sich aufzunehmen338. Besteht aber das Erkenntnis- und das erkannte Subjekt derart in Koinzidenz, und zwar unaufhebbar (oder absolut), i.e. ihre mögliche Fusion erlaubt niemals die Endstelle, welche ihre absolute Einheit nur vortäuschte, dann muss sich in ihr die Orientierung, als Basis der wahren logischen Beziehung, welche tatsächlich auf einer Koordinierung der verschiedenen Erkenntnisrichtungen beruht, verändern und veränderlich sein, ohne jemals die proportionale Divergenz der beiden Sphären gegeneinander zu verletzen. Und die projektive Beziehung kann, wie schon oben, indem sie notwendig aus einer (mindestens) Zweiseitigkeit hervorgeht, nicht in einer einfachen (dogmatischen) S-P-Beziehung (oder einer anderen der Relationen) aufgehen: der Antike offenbar noch gänzlich fremd und unbekannt (abgesehen von Vitruvs Scaenografia), ist auch, befremdlich genug, die neuzeitliche Philosophie bis zu Kant und später an ihr vorbeigegangen. In einem bestimmten Sinne aber gebührt ihr dieselbe Stellung wie in der Geometrie, wo sie am Ende des Jahrhunderts in dieser fundamentalen, vorrangigen Form anerkannt ist (das Erlanger Programm/Felix Klein). 336 Hegel, Enzyklopädie §§ 335-336, das sinnliche Bewusstsein der Phänomenologie in Replik, in: Werke 15, S.196-197. 337 Vgl. die Belege KrV und, u.a., Logik Bauch und Hechsel unter dem nächsten Abschnitt. 338 Was an diesr Stelle nicht nachgewiesen zu werden braucht, vgl. zum ultimum subiectum etc. an anderer Stelle.

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Schließlich gelangt die Untersuchung des Hiatus zur Beteiligung der Fakultäten, unter denen das projektive nun ein Vermögen in Basisstellung bedeutet: mitverantwortlich für die stete Faszikel. Von seiner Natur her, die eine bestimmte, stets vorstellungshaltige Verkürzung, einen Aufblick auf ein Ganzes durch einen Teil oder eine natürliche, unwillkürliche Abstraktion (in einem höheren Sinne) darstellt, verlangt das Vermögen zugleich eine Konzentration oder Fokussierung, die einen natürlichen Pol repräsentiert. Mithin gibt es keine Erkenntnis, die nicht zugleich eine Polarität zwischen ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘ widerspiegelt, die Ausdrücke in einem Sinne veranlagt, in dem sie weder den traditionellen, noch den dialektischen, noch den phänomenologischen, sondern projektiven aufbewahren. Bezogen auf die Fakultäten, entfalten sich diese daher in einem Fächer, dessen Knoten, Schnittpunkt des aktualen, wirklichen Bewusstseins oder der Apperzeption, dieser Bedingung gerecht wird: stetig und unbedingt, und nicht durch Interpretation oder Auflassung. Sollten nun die Vermögen, abgehoben, imstande sein, nicht durchgehend nur einer Orientierung gehorchen zu müssen, indem sie entweder ein in toto rezeptives oder aber, umgekehrt, spontanes als setzendes (bestimmendes) Bewusstsein verkörpern, vorläufig – ohnerachtet der steten notwendigen Differentiation – gleichzusetzen mit einem Erfahrungs- versus Urteilsbewusstsein, dann muss sich der Stamm der Vermögen, Bewusstsein schlechthin, dahingehend teilen können, dass je einer die gegenläufige Orientierung übernimmt; und Orientierung nach der resultierenden Lage, wie zuvor, ist somit von bloßer (quasi umgangssprachlicher) Orientierung nach dem innewohnenden Vektor zu unterscheiden (als von Welt, Gegenstand und anderem Bewusstsein oder aber vom Erkenntnis- und projizierenden Subjekt ausgehend, eine Unterscheidung wiederum, die absolute Geltung hat, da es kein erstes, existentiales Bewusstsein gibt, das sich ihrer entledigen könnte). Sodann ist ersichtlich, wieso die Subjekt-Objekt-Spaltung, ist sie doch zugleich ein Ergebnis der projektiven Anlage, dem polaren Gegensatz (und nicht dem Widerspruch respektive tertium non datur) gehorcht. So wie der Fluchtpunkt nicht ohne Stand- respektive Gesichtspunkt existiert, so gibt es auch den Welthorizont mitsamt seiner Fokussierung als konkrete Gegebenheit, in der Gegenstände, anderes, der Möglichkeit nach sprechendes Bewusstsein, die Geschichte und der Ausblick auf die Potentialität der Zukunft figuriert, nicht ohne das konkrete ‚subjektive‘ Bewusstsein, i.e. jenen Knoten, jene Faszikel der Vermögen (wie oben), das Bewusstsein tatsächlich manifestiert, um irgend Erkenntnis, Einsicht, Verhältnis zur Welt manifestieren und beglaubigen zu können.339 Um

339 Wir ergänzen und kontrapunktieren diesen Standpunkt im Verhältnis zu jenen, die, exemplarisch am Selbst- oder Ichbewusstsein orientiert, sich expressis verbis

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es anders und in Beziehung auf das Parallelenproblem zu terminieren, wenn die Vermögen, an und für sich, parallel arbeiten müssen, sobald das Bewusstsein ist, so werden sie sich, um ein aktuales Bestimmungsbewusstsein hervorzubringen, ordnen, i.e. in einem Fächer überschneiden müssen, in dem zugleich die wesentliche Klausel des transzendentalen Bewusstseins, die Ordination der Vermögen, aufgehoben ist.

C. »Kant’s Perspectives« Im Umkreis des Neukantianismus (Cohen) und der Kantinterpretation Heideggers hat sich ein Vokabular eingeschlichen, das in den schwierigsten theoretischen Fragen seiner Philosophie ein scheinbares Remedium bietet, wegen seiner Ambiguität gleichwohl prekär ist340. Wir setzen für das Folgende vorweg, dass wir nicht glauben, eine Häufung von Ausdrücken im Opus postumum oder spätkritischen Schriften, die diesem Umkreis oder Begriffsfeld entstammen, verbürge die wahre Tendenz, nach der auch das kritische Korpus gelesen und interpretiert werden müsste341, (zumindest nicht in einer unreflektierten Weise, die, würde sie die folgenden Unterscheidungen respektieren, tatsächlich aus seiner kritischen Philosophie herausführen müsste). Obgleich kein Zweifel besteht, dass ein Horizont, eine Perspektive, ein Gesichtspunkt eine eminent geistige Bedeutung haben (i.e., an intellectual or conceptual meaning)342, auch, dass sie schon von einem rhetorischen Blickwinkel her ein nützliches Instrument der Ausdrucksweise darstellen343, verändert sich ihre Bedeutung eklatant, sobald sie tatsächlich dazu

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der analytischen Philosophie angliedern (vgl. Vorwort): Revue de Métaphysique et Morale. Octobre-Décembre/4 (2010), Le Moi/The Self/Le Soi, herausgegeben von Béatrice Longuenesse. Außer Simon 2003 (siehe oben), verweisen wir auf Literatur an je gesonderter Stelle, wozu auch die französische Rezeption, u.a. A.Philonenko, zählt. Die Hauptkontroverse besteht durchgehend in einem hermeneutischen (interpretationsphilosophischen) Umgang mit den Zentralbegriffen Gesichtspunkt, Horizont und Perspektive ohne Veranlagung der Projektion, die – von der Metaphysik her – die Gegenposition bilden muss. Stephen Palmquist, Kant’s System of Perspectives. An architectonic interpretation of the Critical Philosophy, Lanham-New York-London 1993, S.39. So auch in der Romantheorie seit 1880 (in Deutschland) und seit der Erscheinung von Jean Pouillon, Temps et roman (1946) in Frankreich (Chalonge 2003, S.71-84). Wofür bereits Zarbarella einstehen könnte, der, indem er sich im Umkreis des – konträren Humanismus – von der aristotelischen Metaphysik zu lösen suchte, gleichwohl dessen Logik untermauerte und „Erkenntnis für eine Angelegenheit“ hielt, „die sich notgedrungen innerhalb der menschlichen Perspektive abspiele und

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verpflichtet werden, die Architektur der Kritischen Philosophie zu verantworten und zu tragen. In jüngster Zeit hat Stephen Palmquist diese Auffassung mit dem weitreichendsten Anspruch vertreten, untermauert durch eine profunde und penible Quellenkenntnis, die gleichwohl nicht verhehlen kann, dass sie selber aus einem perspektivischen Gesichtspunkt erfolgt. Es liegt nicht allein an Übersetzungsschwierigkeiten, bei denen Absicht und Hinsicht zur perspective wird344. Schon wenn aus“ ‚dem mannigfaltigen und besonderen Verstandesgebrauche‘ „die (angeblich) bessere Version“ ‚our manifold and particular conceptual perspectives‘ “wird345 – was bei der Vielzahl ähnlicher Fälle, die Palmquist anstrebt, nur als Beispiel dient –, ergibt sich, wie zu erwarten, ein ganz anderer Sinn. Die Beziehung (die eben nicht immer dasselbe wie Relation ist, darum aber auch von einem englischen Leser nicht verwechselt werden dürfte, der in beiden Fällen mit relation konfrontiert würde, und sollte man daher, zum Vergleich, dem Relationsbegriff bei Leibniz dieselbe Ersetzung durch perspective(s) anraten?) auf das Verstandesvermögen, noch bevor es Begriffe gebildet hat, geht verloren, weiterhin aber auch, dass das Bewusstsein, um Erkenntnis zu erwerben, sich, so Kant, die Sinnlichkeit unterordnen muss (wobei sich das Verhältnis von Vermögen und Leistung wiederholt, auch wenn Kant nicht dazu gelangt, im Ganzen diese Unterscheidung systematisch auszubauen): Erkenntnis, Rekognition (recognition)346 or „an item of knowledge“347 besteht nicht nur darin, eine „epistemologische Perspektive“ einzunehmen348, sondern ganz im Gegenteil, eine wesentliche Unterscheidung unter den Vermögen. Kants häufige Wendung, bei der es gilt, von einer/den Kategorie(n) einen empirischen Gebrauch zu machen („to make use of a category“) [A 402] kann darum nicht bedeuten, „to refer rather more clearly to a use from the empirical perspective“349. Gerade hier sind originäre, transzendentallogische (und nicht allein formallogische) Behauptungen involviert, die entweder latent werden oder ganz verloren gehen. Da aber das System Kants in seinem Kern überaus eng damit zusammenhängt, welchen Bestimmungsleistungen das Bewusstsein unterliegt oder welche insb. von ihm

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dieselbe nicht überwinden könne“ (Panajotis Kondylis, Die neuzeitliche Metaphysikkritik, Stuttgart 1990, S.136-137); womit er in einem bestimmten Sinne Vicos factum et verum convertuntur vorausnahm. Palmquist 1993, S.33, 39. Palmquist 1993, S.52-53. KrV A 103. Palmquist 1993, S.46. Palmquist 1993, S.46-47. Palmquist 1993, S.50.

ausgeübt werden350 – die theoretische, die praktische und die ästhetische (als urteilskritische) Vernunft lassen sich infolgedessen eindeutig und allgemein unterscheiden –, glauben wir nicht, der Grundriss oder das Fundament der Architektur (von seinen eigenen Äußerungen abgesehen, die sich auf die überlieferte Unterscheidung eines oberen und unteren Erkenntnisvermögens beziehen351) erlaube eine Vorschaltung von vier Basisperspektiven, die transcendental, logical, empirical und hypothetical heißen352, um innerhalb der zweiten Ebene der drei Kritiken zu „subsystems“ oder „subordinate perspectives“ zu werden353: diese logische Beziehung enthält, als Subalternation, wenigstens eine eklatante Konversion, deren Grund und Berechtigung Palmquist in seiner theoretischen Grundlegung gleichwohl offen lässt. Sollte die Frage, woher die perspectives stammen, aber tatsächlich auf Projektion beruhen, muss sich nicht nur die Architektur Kants verändern (was aus dem Bisherigen sofort ersichtlich). Selbst wenn die Perspektive davon freigehalten würde, Projektion zu manifestieren – ob dies tatsächlich (in Analogie zum unilateralen Begriff der Projektion seit Feuerbach etc.) möglich ist, sei für den Augenblick offen gelassen –, dann müsste sie dennoch, zum fundamentalen Prinzip der Vernunft erklärt, denselben Anspruch Kants, die überlieferte Dogmatik der Metaphysik außer Kraft zu setzen, verantworten. Die gesamte Begründungsleistung der Vernunft, die sich a priori vor sich selbst auszuweisen und ein „höheres Erkenntnisvermögen“ nicht nur zu umreißen, sondern zu errichten sucht, muss nunmehr als ein Werk, eine neue Mannigfaltigkeit von Perspektiven erscheinen, die, streng genommen, allesamt und jede einzelne einen eigenständigen Begründungskodex besitzen, bereit, für das Apriori einzutreten. In diesem Sinne aber können die Ausdrücke transzendental und perspektivisch niemals miteinander synonym 350 Wir erwähnen, ohne Übereinstimmung, da Bestimmung und Subsumption durch Begriff oder ein Vermögen (Imagination oder insbesondere das Verstandesvermögen oder die Vernunft – praktische Philosophie -) nicht unterschieden wird, Seung-Kee Lee, „The Determinante-Indeterminate Distinction and Kant’s Theory of Judgement“, in: Kant-Studien 95. Jg. (2004), S.204-225. 351 KrV, Drittes Hauptstück der transzendentalen Methodenlehre, A 835/B 863. 352 Wenn die Bildung einer formalen Anschauung, ohne dass die Leistung des Bewusstseins tatsächlich hierauf beschränkt werden könnte, die „transcendental perspective“ begründet, von der die „logical perspective“ abzuheben ist, die auf die Ausbildung des „self-conscious thought“ anzielt (Palmquist 1993, S.211, 213), beide gemeinsam aber einer empirischen Erkenntnis dienen müssen, kann die Einteilung nicht ohne wesentliche Überschneidung bestehen. 353 Palmquist 1993, S.56-58. Wir kommen am Ende des Kapitels zum Ordonnanzbegriff auf die gemeinte kopernikanische Wende zurück.

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werden: auch wenn Kant „a fundamental ‚change of thinking‘ in philosophy“ einläutete, der sich vielleicht als ein „perspectival shift“ begreifen, eher aber interpretieren lässt354, dieser Wechsel ist alles andere als miteinander identisch. Stattdessen ist darauf zu beharren, dass der Kern der kritischen Philosophie und Kants Überzeugung von der Auffassung getragen wurde, es gebe eine erste, unbedingte Legitimation aller theoretischen Erkenntnis aus den Kategorien, die in der Vernunft verankert sind. Eine Perspektive mag dieses wahre (unverrückbare) Fundament verschieden beleuchten, darum aber, selbst wenn andere Gebäudestücke mitsamt ihren Grundrissen demselben Fundament hinzuzurechnen sind, sind beide nicht miteinander zu verwechseln (ichno- und scaenographie sind, zum Vergleich, alles andere als Identitäten). Sollte hingegen die (oben und dem Kapitel überschriebene) Bedingung, die eine Perspektive überhaupt erst ermöglicht, tatsächlich zum Fundament oder Prinzip der Metaphysik werden – und wir glauben nicht, dass, sobald man sich auf diese Bedingung oder aber ihre Folge(n) beruft, sie auf ein einziges Prinzip vereinzeln werden könnte –, dann kann das Ergebnis nicht mehr die Kritische Philosophie heißen. Ob aber diese Möglichkeit besteht und ob sie rechtens auszuziehen ist, lässt sich ihr durchaus zurechnen – und entspricht wenigstens dem Geiste Kants. Wofür nicht erst und ausdrücklich die Prolegomena in Beschlag genommen zu werden brauchen, sondern vor allem jene Äußerungen, in denen die eventuelle Inkrimination seiner Gedanken und Argumente nicht einer Schule oder Dogmatik, und auch nicht dem Leser seiner Schriften, sondern allein seiner mangelnden Einsicht zur Last fallen. Die Perspektive, der Gesichtspunkt, der Flucht- oder Hauptpunkt (le point à l’infini oder the vanishing point), der Horizont und die Distanz(linie), abgesehen von der Grundlinie, bilden ein (Begriffs-)System (um Linse und Polarität, und Brechungsverhältnisse im Verhältnis von Perspektivität und Projektivität, schließlich den leicht Komplikationen hervorrufenden Begriff Fusion noch nicht zu bemühen). Die gesamte Basis dieses Systems ist die Projektion (für deren historische Grundlegung und Auswirkung wir uns an dieser Stelle nicht engagieren wollen, da sich wesentliche Teile der folgenden Abhandlung hierauf beziehen). Palmquist’s Bezugnahme auf „geometrical or geographical metaphors“ nimmt, wie Kant selber, von Anbeginn auf dieses System keine Rücksicht355, ebenso etwa im Verlauf der Erläuterung der transzendentalen Elemente356. Würde man die Geometrie, die diesem System anhängig ist, voraussetzen und veranlagen,

354 Palmquist 1993, S.38. 355 Palmquist 1993, S.53-54. 356 Palmquist 1993, S.207-221.

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­ üsste sich – und nicht nur bei Palmquist, sondern gleichermaßen bei etlichen m anderen Autoren, die sich auf eine perspektivische Interpretation Kants beziehen357 – auch die transzendentale Ästhetik verändern358. Mehr, es würde zum transzendentalen Problem, wie sich die beiden Geometrien, da sie die Natur des Bewusstseins ausmachen, zueinander verhalten359. Schon bei allen Fragen zur Orientierung, in denen sich Kant anfänglich seit Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume bis hin zu der späten kleinen Schrift Was heißt, sich im Denken orientieren? durch eine von Leibniz ausgelöste metaphysische Frage hat leiten lassen360, jene der Distinguierbarkeit von Objekten (und ihrer möglichen Identität), steht allein die gültige erkenntnistheoretische Identifizierbarkeit im Vordergrund. Bis heute aber geschieht die Erörterung ohne eine Beurteilung der (möglicherweise oder tatsächlich) involvierten Projektion als Basis oder Teilhabe an der zentralen Affektion361. In der Elementarlehre wiederum beansprucht Kant vorübergehend eine „projektierte Einheit“ als „systematische Einheit der Vernunfterkenntnisse“, worin er einen nur regulativen und keinen konstitutiven Gebrauch sieht362 (so dass der analytische Teil der theoretischen Kritik von einer solchen Erwägung frei ist). Es dürfte daher keine Frage aufkommen, ob dieser vereinzelte Gebrauch eines Begriffs von so eminenter, systemverwandelnder Bedeutung, (wie sich seit wenigstens Klein und Hilbert auch in der Mathematik zeigt)363, noch dazu in einer so eingeschränkten Bedeutung, die keine konstitutive Funktion berührt, dazu hinreicht, für Kant schlechthin anzunehmen, das Begriffssystem – oder wenigstens die Perspektive – sei 357 Wir möchten insb. auf A.Philonenko verweisen, der weiter unten (in Zusammenhang mit dem Hauptschluss zur metaphysischen Beziehung) behandelt wird. 358 Auch Becker 1975 lässt in seiner geschichtlichen Darstellung, die Kant streift, diese Bedeutung aus gegenüber der einzig verfolgten der Geometrien gekrümmter Flächen. 359 Was, p.e., auch Dinglers operativen Herleitung des euklidischen Raumes in Rechnung zu stellen ist, die Becker in Kürze behandelt (1975, S.209-213). 360 Kant, AA, Band II, VIII, S.375-384, 131-148. Freilich kann man die Frage sehr viel weiter, bis in die aristotelische Topik hinein und, nicht zuletzt, in die Methodenlehre Descartes’ zurückverfolgen, wie Pierre Macherey anregt: “S’orienter dans la pensée“ (www.univ.-lille3.fr/Recherche/set/sem/Macherey). 361 Falkenburg 1989, 2000. Van Cleve 1999; vgl. auch Grondin 2005 zur Horizontverschmelzung Gadamers. 362 KrV A 647/B 675. 363 Um die seit der Renaissance wirksame Tradition der Künste (Malerei) für den Augenblick nicht mit zu belasten (p.e. Bernard Myers, How to look at Art. In: The Book of Art, vol 10, New York 1965).

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Grundlage seiner Vorstellung und Architektur. Wie seine Geometrie noch ganz auf euklidischen Vorstellungen fußt, glauben wir daher auch dieselbe Proportion für sein gesamtes Denken ansetzen zu können. Sein System bedeutet den Entwurf, die Veranlagung und Begründung eines insgesamt Fundaments der Metaphysik – nach den Grenzen, die ihr von der Tradition her noch zugeschrieben werden können –, abgehoben von allen möglichen Hinsichten und Betrachtungen, die als (intellektuelle oder interpretatorische) Perspektiven wiederum nicht (und erneut) mit einer konstitutiven Argumentation zu verwechseln sind. Bezeichnend sind die Horizonte, die unter der regulativen Idee dazu dienen, die Prinzipien der Homogenität, Spezifikation und Kontinuität „sinnlich zu machen“, nicht wirklich Ausdruck einer projektiven Logik, wie sie es müssten: anstatt die gewöhnliche klassische Logik (aristotelisch oder platonisch) aus einem Scheitel als „dem Standpunkte des höchsten Begriffs“ zu entwerfen364 – wie aber heißt dieser Scheitel sodann im Licht der reinen Verstandesbegriffe, die offenbar mit einem spezifischen Schnitt, der die menschliche Vernunft als reine kennzeichnet, ansetzen? –, müsste sich für den darunter entfalteten Begriffshorizont die doppelte Veranlagung oder Konvertibilität zeigen (hier zunächst nicht als mit den Fakultäten einhergehend, sondern im Sinne von Construction und Nachconstruction bei Fichte 1804 aus der Umschlagbarkeit ihrer ersten, konstitutiven Bedingung verstanden – in der Einleitung wurde überdies in Anlehnung an ein Theorem Poncelets eine Veranschaulichung dargelegt, wenn jede Sphäre der Fakultäten ihren eigenen Horizont besitzt, sie zugleich in einem Generalscheitel aufgehoben respektive aus diesem hervorgehen müssen: Konvertibilität der Fakultäten müsste demnach die – reale – Forderung erfüllen, die Leistungen der Fakultäten, als bestimmte Horizonte, durchgehend und wechselseitig aufeinander beziehen zu können, worin wir den Kern des Bewusstseins erblicken, ­insoweit seine Rationalität in Frage steht). Wenn aber dieses Begriffssystem mitsamt seinem Primärbegriff, der Projektion, eingelassen wird, dann stößt der kritische Leser Kants rasch auf das metaphysische Kardinalproblem. Palmquist hat es übergangen, indem er voraussetzt, es gebe, sobald eine perspektivische Wahrnehmung angenommen wird, Unterschiede, die von der Natur des Objekts selber („the nature of the object itself “) verantwortet werden: andere nämlich basieren auf der Natur des Subjekts, und wieder andere gehen aus der Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt hervor (wofür er jedoch dasselbe Phänomen wie im ersten Fall anführt, dass sich Körper von ihrer geometrischen Wahrnehmung her wesentlich verändern, 364 KrV A 658-659/B 686-687.

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sobald sie aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden)365. Auch wenn der Primärgrund der transzendentalen Logik, die Spontaneität der Kategorien, die sich in den Urteilsformen reflektieren, die Natur des Subjekts ausdrückt, die kritische Doktrin lässt als theoretische Erkenntnis nur den mittleren respektive in diesem Sinne synthetischen Fall zu: Kants dezidierter und in der B-Vorrede prononcierter Hauptsatz muss darum als Erfahrung in die Relation zwischen Bewusstsein und Natur(zustand) übergehen, eine Relation, die freilich mit dem Hyperonym der dritten Klasse der Kategorien nicht identisch ist. Ob ihm die Einschränkung dieser Erklärung, von der das Fundament der Metaphysik fortan abhängt, gelungen ist, steht, wie man mit Palmquist sagen darf und müsste, auf einem anderen Blatt. Wenn aber „all these factors – the nature of the object, that of the subject and that of their relationship – work together to determine a ‚perspektive’ in this ordinary sense of the word“366, dann ist der Kern des Systems berührt – die Bestimmung oder Determination –, und es entsteht nunmehr die Hauptfrage, ob, wenn es eine Natur des Objekts gibt, sie durch Projektion erklärt und hinsichtlich ihrer Geltung endgültig begründet werden kann367. An dieser Stelle kann kaum ein Hinweis auf die Interpretation John M ­ cDowells fortfallen, falls ein Leser mit der entsprechenden Diskussion zum ›non-/­ cognitional content‹ oder auch nur seinem Buch Geist und Welt vertraut ist. Der 365 Wir zitieren den Absatz im Auszug, der eine Art von paradigmatischer Funktion für einen Zweig der Literatur – und für seine theoretische Grundlegung – innehat: „In ordinary language, as in geometry, a perspective is primarily a ‚way of considering an object‘ – i.e., a ‚method of perceiving‘ its form and the details of its composition. A person’s perception of an object may be described in different, but really valid ways, if it is viewed from different angles, or perspectives. Some of the differences are due to the nature of the object itself: an ordinary table looks quite different when viewed from the top as when viewed from the side. Other differences may arise from the nature of the subject: if I am wearing someone else’s spectacles, my perspective on the table might be distorted, no matter which angle I view it from. Still other differences arise out of the relation between the subject and the object: a table top which looks square when viewed from a vantage-point directly above its center will look like a trapezoid if viewed from a point above the center of one of the sides, or like a line if viewed from a point on the same plane but off the table’s surface, or indeed, like a point if viewed from a great distance“ (Palmquist 1993, S.29). In der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht macht Kant weder von der Distanzwahrnehmung (eines Menschen) noch von der Perspektive, die er in der Malerei als Illusion denunziert, viel Aufhebens (§§ 5, 13, in: AA VII, S.135, 149-150). 366 Palmquist 1993, S.29. 367 Eine Frage, die übrigens in Lee 2004 („The Determinate-Indeterminate Distinction and Kant’s Theory of Judgement“) nicht gestellt wird.

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›Mythos des Gegebenen‹, dessen metaphysische Basis als notwendige, nicht zu verleugnende Orientierung in der Erfahrung McDowell wenigstens nicht bestreitet – es ist im Übrigen zentrales Anliegen Kants selber, den mit diesem Mythos verbundenen dogmatischen Charakter der Tradition zu überwinden –, verliert freilich seine Unzugänglichkeit, sollte der „Eindruck“, die Gegenständlichkeit, die er vermittelt, mit Projektion einhergehen (was weitreichende Folgerungen für Anlage und Ausführung seiner Argumentation ergeben, die hier nicht verfolgt werden sollen. Der Haupteinwand müsste mit der Tatsache beginnen, dass Kant eine Anwendung des Verstandesvermögens auf die Anschauung – sie besitzt zumeist die eigenständige Auszeichnung als Subordination neben der Subsumtion der Begriffe –, verbunden mit der Beanspruchung der Kategorien, zum Kern seiner Lehre erklärte. Anderwärts ergibt sich auch für die Anschauung ein breites Mittelfeld hin zum empirischen Begriff, Leistungen der Einbildungskraft in Vereinigung mit der Sensation, so dass sich ihre Funktion nicht auf einen Grenzbereich festlegen lässt, in dem die Spontaneität als das unmittelbar – scheinbar unwandelbar – verkoppelte Begriffsvermögen in den Ursprungskontakt mit der Erfahrung gerät. Wenn aber rechtens die im Eindruck, und ein womöglich zu kurzer, gleichwohl virulenter Ansatz, instantiierte Gegenständlichkeit respektive zunächst der Gegenstand selber in Analogie zum Privatsprachenargument Wittgensteins von der Schwäche eines nur subjektiv verhafteten Impulses, dem Allgemeinheit und effektive Rechtfertigung mangelt, freigehalten werden soll, wird – Plädoyer an dieser Stelle – die Frage nach der Bestimmung einkehren müssen, welche (i) von diesem Vektor im Erkenntnisvermögen und (ii) insbesondere von der Sinnlichkeit in toto auf das Verstandesvermögen ausgeht. Sodann erklärt (iii) die durchgehende, zudem bilaterale – wechselseitige –, weiterhin gleichermaßen erfahrungs- wie wissenschaftsrelevante Differenzierung der beiden Hauptanlagen des Bewusstseins die Durchdringung von empirischen Begriffen und Einbildungskraft versus Empfindung, wobei die Konvertibilität des Bestimmungsverhältnisses die Einsehbarkeit oder Rationalität des Verhältnisses garantiert – oder vor der „Oszillation“ bewahrt, wie sie McDowell als Ergebnis des Verhältnisses von Begriff und Anschauung analysiert und rubriziert).368 In einer Anlehnung an die Formulierungen der beiden Deduktionen, die kaum auf die Differenz Rücksicht nimmt, die Kant bei der verschiedenen Formulierung verfolgt haben mag369, entwickelt hingegen Palmquist ein ­perspektivisches 368 John McDowell. Geist und Welt. Deutsche Übersetzung Frankfurt 1998, hier insb. 2. Vorlesung. 369 Rudolf A.  Makreel, Imagination and Interpretation in Kant. The Hermeneutical Import of the Critique of Judgement, Chicago 1990, deutsch Einbildungskraft und

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Gerüst von sechs Stufen, die allesamt, beginnend mit „the thing in itself “ und endend mit „a self-conscious thought“, im Diagramm dieselbe Richtung manifestieren – jene, die auch oben angeführtes Zitat angibt. Tatsächlich aber ist, und zwar expressa conditione, in der Deduktion die (bereits berührte) mögliche Umkehrung dieser Richtung das Kardinalproblem. Die wohlbekannte Schlüsselstelle besteht in der Erklärung der zunächst selbstständig entfalteten „Bestimmung“, die in die Ausbildung eines produktiven Schemas der Einbildungskraft mündet, durch den Einfluss der Kategorien370, (wobei das reproduktive demselben Problem unterliegt). Bei dem folgenden Satz wiederum, bei dem sich das Kardinalproblem auf einer höheren Ebene, gleichwohl innerhalb derselben problematischen metaphysischen Reichweite wiederholt, darf man – mit Guyer – einwenden, dass die mögliche oder tatsächliche Zirkularität des Arguments wirksam bleibt371: innerhalb der letzten Stufe, wo die (nun wieder) transzendentale Apperzeption zu erreichen ist, gilt: „Only through a ‚synthesis according to concepts‘ can ‚apperception demonstrate a priori its complete and necessary identity’ “372. In der Parallelstelle, § 20, schließt Kant aber in einem Syllogismus, dass „alles Mannigfaltige, sofern es in einer empirischen Anschauung gegeben ist, in Ansehung einer der logischen Funktionen bestimmt ist“373, um im nächsten Satz eben dieselbe Bestimmtheit aus der Bestimmung der Kategorien zu erklären: lässt man nun wirklich die Perspektive ein, mithin, es gibt eine Bestimmung, die „aus der Natur der Sache“, des Dings (als sein eigenes, notwendig immanentes Projektionszentrum) herrührt, dann kollabiert die kritische Grenze, das vorgesetzte Programm der Reduktion oder der unbedingt einseitigen Verantwortung. Die resultierende metaphysische Grundlegung muss sich, von vornherein, mit beiden Richtungen auseinandersetzen und sie systematisch involvieren, und es liegt auf der Hand, dass gerade bei ihrer Vermittlung und Umkehrbarkeit, bei der zugleich eine definite Koinzidenz möglich, mehr, ein wesentlichen Zu(sammen) treffen gegeben sein muss, die Projektion wirksam wird. Auch von der Anthropologie her erfüllt Projektion, sobald sie erkannt ist, eine Allianz mit der Metaphysik (im oben angerissenen Sinne), auch wenn Kant nicht dazu gelangt, sie eigens auszusprechen. Indem er unter dem Sujet der

370 371 372 373

Interpretation: die hermeneutische Tragweite von Kants Kritik der Urteilskraft, Paderborn 1997. KrV B 152, B 154; Palmquist 1993, S.213. Paul Guyer, „The transcendental deduction of the categories“, in: P.Guyer (ed.), The Cambridge Companion to Kant, Cambridge Mass. 1992, S.123-160. Palmquist 1993, S.218, zitiert nach KrV A 112. KrV B 143.

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„Täuschung“ aber (erneut) die Unterscheidung von „Einbildungen und Empfindungen“ und den „Gegenstand der äußeren Sinne“ von der „Illusion“, „Schwärmerei“ oder auch „Geisterseherei“374 abzugrenzen sucht (wie in der gleichnamigen früheren Schrift375), muss offenbar in dem Produkt der Vorstellung die Richtung, die sie erzeugt, zu einer stillschweigenden Konstituente werden. Und sobald man in dieses Produkt einzudringen sucht und die (theoretisch im gesamten Zeitalter verbreitete) Affektion voraussetzt, wird man, wie im Übrigen schon bei Plato376, kaum umhin können, der Beziehung von äußerem und innerem Sinn, in der respektive dem die Vorstellungen koinzedieren müssen, ein konstitutives Moment projektiver Beziehung (innerhalb seines eigenen Systems) zu unterstellen, wenn nicht ein Verhältnis von Projektion schlechthin (und außerhalb seiner), da ihre Unterscheidung nur kraft einer reflexiven Abhebung möglich ist und gelingt. Der Beweis ist unschwer an einer anderen Differenz durchzuführen, die in der Philosophie Kants einen historischen Umschlagspunkt erreicht, jener zwischen dem Subjektiven und Objektiven, da eine Form der Anschauung unmöglich, sobald sie zu einer empirischen Messung veranlagt wird, ihren Charakter der Absolutheit bewahren oder ihre subjektive Form ohne Überschneidung mit einer objektiven Anschauung bestehen kann. Dies würde bedeuten, jeder Zoll, jeder Meter, ist letzthin ein Werkzeug der Erfindung oder hinsichtlich seines zweiten Bestimmungsgrundes ein unauslöschliches Wagnis. Selbst Leibniz schließt, abgesehen vom Begriff der comperceptio anlässlich der similitudo, in einer kleinen Schrift zur Analysis situs, es müsse, um die Unterscheidbarkeit eines in der Imagination geringfügigen Maßes zu gewährleisten, eine Intervention eingreifen, die jedes einzelne Maß von der sukzessiven Abmessung des tatsachlichen Gegenstands abnimmt377. Also muss das Bewusstsein in einer anderen Zuwendung als der Reflexion, jener, die die Phänomenologie das Geradehin (intentio recta) nennt – und ob anderwärts nicht auch in dieser, der obliqua, andere Formen der Projektion möglich sind, mag für den Augenblick offen bleiben –, imstande sein, ein objektives mit einem subjektiven Bewusstsein nicht nur zu vermitteln, sondern widerspruchsfrei und wahrheitsfähig unmittelbar koinzidieren zu ­lassen. 374 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, § 24, in: AA Band VII, S.161-162. 375 Kant, AA Band II, S.319-374. 376 An der erwähnten Stelle des Timaios liegt diese „glatte Fläche“, in der ein „einheitliches Feuer“ aus dem „inneren und äußeren entsteht, „an der Fläche des Glänzenden und Glatten“ oder „dort, wo das von innen Herausdringende dem sich entgegenstellt, was von den Dingen außen mit ihm zusammentrifft“ (Timaios 46a-b, 45c, in: Werke Band 7, Darmstadt 1990, S.78-79, 76-77). 377 Leibniz, De Analysi situ, in: GM VI, S.178-183.

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Soll dies daher ohne Konfusion, noch in einer bloßen Form unter dem Titel Aggregation geschehen, muss Projektion die Folge sein – in der, verkörpert sie die wahre Bedingung, sich die klassische Philosophie, so wie sie Kant hinterließ, vor dem einzigen Gerichtshof der Vernunft, den er insgeheim, öfters aber auch in verbo als Berufungsinstanz beanspruchte, um die Geltung seiner Argumente zu prüfen, die nunmehr vielleicht peinliche Frage (Quaestio per tormenta) stellen lassen muss, warum sie bei der doch so selbstgewissen Erhebung ihrer Grenzen übersehen konnte, dass ein dergestalt primäres, fundamentales Vermögen dem Bewusstsein zukommt, mehr, dass es einen eigentümlichen Schein gebiert, den aber der Illusion gleichzusetzen, mag darin auch eine leichte, unbeholfene Konvention sich versucht haben abzuklären, vor ihr, der Vernunft, ein wahres Verdikt bedeuten muss. Dass die Bedeutung dieser anderen (»nicht-kopernikalischen«) Richtung, die unter dieser Bedingung freilich niemals mehr vereinzelt, als einzelne, wird auftreten können, innerhalb der kritischen Philosophie zu einer Kritik selber anwächst und, wie man nun sieht, auch anwachsen muss, wurde bereits vermerkt und soll den folgenden Ausführungen vorbehalten bleiben.

D. Ein alternatives Modell Gesetzt, die Philosophie wäre nicht zu einer eigenständigen Herleitung imstande, so wäre Projektion als Basisfundament, Vermögen und Ausdruck des Bewusstseins wiederum nicht nur an dem Modell der Geometrie abzulesen. Innerhalb der Künste oder Beaux Arts zeigt sie sich auch nachhaltig in der Literatur, deren französische Romantheorie wert ist, an dieser Stelle mit einem zweiten (und womöglich nicht einzigen) Modell vorgeführt zu werden. Es ist in diesem Fall nicht die perspective, sondern der „Point de vue comme Catégorie“378, in der sich Bedingung und Prinzip vereinigen, um die Einstellung des Bewusstseins, danach die Arten der Welterfahrung und, nicht zuletzt, die Möglichkeiten der sprachlichen Darstellung darzulegen. Obgleich das deklarierte philosophische Fundament – mit Sartre – herrührt von Husserl und Heidegger, sind die drei basalen visions, aus denen sich das Verhältnis auteur – personnage rekrutiert, zu einschlägig für den metaphysischen, oder kritischen, Standpunkt, als dass die „perception“ erst hier, auf dem Boden der Phänomenologie, imstande wäre, ihren sensus orientativus zu entfalten (und die übliche Einteilung, die zeitgenössische Philosophie bestenfalls mit der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts beginnen zu lassen, ist somit nicht in jedem Fall gerechtfertigt). Diese Visionen (als Sichtweisen) werden konstituiert durch den Blickpunkt »dehors« – es ist 378 De Chalonge 2003, S.71-72.

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der Standpunkt des klassischen Realismus –, »avec« und »par derrière«. An der Beziehung Autor – Person gemessen, beschreibt der erste Point de vue alles von außen, im Sinne einer Umreißung der äußeren Situation, bei der die Frage, ob es ein Innenleben gibt, ganz von dem Verhalten abhängig wird: „comme s’il suffisait de décrire le comportement pour accéder à la conscience“379. Im zweiten Fall, den die Präposition avec bezeichnet und beschreibt, resultiert aus dem Gesichtspunkt und seiner anhängigen vision eine Überschneidung, ein „roman de la suggestion [qui] jette le cœur du sujet sentant (…) vers l’object du sentiment“380. Der letzte Gesichtspunkt wiederum – „par derrière“ (von hinten) – ist der Standpunkt der nicht zuletzt historischen Reflexion, der „connaissance réfléchie, où le romancier investit directement la vie psychique de ses personnages“381. Leibniz, der gelegentlich eine Anleihe der Historie bei der Literatur („le roman“) wünschte, hätte, indem er „chronologie, généalogie, motifs cachés“ und „détails des circonstances“ unterschied382, als ihr erster Apologet auftreten können, beansprucht er gleichermaßen Gesichtspunkte, die funktional, echt und nicht nur metaphorisch sind (wie ihn der Stadtplan bei Vergleich der Substanz beansprucht383): bei Einhaltung der Wahrheit, die das Zentrum bildet384, müssen sie eine nachprüfbare Übergehbarkeit vom einen zum anderen einschließen. Im Übrigen ist, mit der Berufung auf Chronologie und insbesondere Genealogie, die Substanz involviert. Florence de Chalonge, die diesem Modell Prägnanz und Profil in der jüngeren Geschichte ihrer Disziplin verleiht, zitiert Sartre’s Ergebnisse, die er (u.a.) anhand der Lektüre der Cartesianischen Meditationen Husserls gewonnen hatte. Das Bewusstsein etwa von einem Tisch (dem die Philosophen als äußere Tafel oft ihre Sorgfalt geschenkt haben) ist „conscience positionelle du monde“385. Um dem rationalistischen Zirkel („idea ideae“) oder der Formel einer

379 De Chalonge 2003, S.75. Der Theoretiker, auf den sich Chalonge bezieht, Pouillon, lehnt diese Haltung ab, weil, u.a., sie in den Positivismus stipuliert. 380 De Chalonge 2003, S.74-75. 381 De Chalonge 2003, S.75. 382 Leibniz, „Nouvelles ouvertures“ = Nr. 2 und „Zu Gegenstand, Geschichte und Methoden der Geschichtswissenschaft“ (1695/96) = Nr.4, in: Schriften und Briefe zur Geschichte, hg. v. Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel, Hannover 2004, S.61-66, 69-76. 383 Leibniz, Discours de Métaphysique, §§ 9, 14, in: GP IV, S.433-434, 438-440. 384 Vgl. Kap. IV.B., ins. 4. (Über Wahrheit). 385 De Chalonge 2003, S.74. Jean-Paul Sartre, La Transcendance de L’Ego. Paris 1981, S.115, 117, 119 (ein Auszug aus L’Être et le Néant).

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(­regressfälligen) conscience d’une conscience, weiterhin aber auch dem Akt des Selbstbewusstseins zu entgehen, das sich als ein Absolutum, und Substanz, begreift (Descartes), verklammert Sartre die „conscience positionelle“ mit einer spontanen, unmittelbaren und unablösbaren conscience (de) soi, der die Präposition nur als grammatisches, nicht reelles Erfordernis gilt. Im Resultat wird nicht ein „neues Bewusstsein“ erzielt, sondern „nous devons considérer cette conscience (de) soi comme le seul mode d’existence qui soit possible pour une conscience de quelque chose“386. Und es wundert nicht, dass in der Schlussfolgerung dieses konkrete Bewusstsein, als unmittelbar Bewusstsein seiner eigenen Existenz, Vorrang hat vor dem theoretischen oder davor, in die Illusion des Primats der theoretischen Erkenntnis zurückzufallen (die nicht nur ein Ding, sondern auch das Bewusstsein selber zur Substanz erklären müsste)387. Perspektiven sind Möglichkeiten einer geregelten Verschiebung oder: Transformation. Dies aber nicht etwa aus sich, sondern weil sie der Projektion (und einem „Projektionszentrum“388) unterliegen oder hierdurch begründet werden, und die Subjektivität kann, aber sie muss nicht Ursache und involviert sein, da Projektivität und Perspektivität nicht zusammenfallen389. Gleichwohl lässt das Modell diese Fakultät – wenn es berechtigt ist, dem menschlichen Bewusstsein dieses Vermögen zuzusprechen, das durchwegs in der klassischen Fakultätenlehre fehlt und dessen genauer Ort in der architektonischen Veranlagung des Modells bereits zu ahnen ist – als eine Möglichkeit, die nur hierdurch zu erklären ist, offenbar werden. Um die Parenthese nicht offen zu lassen, sie verdient auch hier als das erste Fundament, das geradezu Zentrum des Bewusstseins noch vor jeder Besonderung in die geläufigen Vermögen der Sinne und des Intellectus anerkannt zu werden, ohne zu verkennen, dass sich die Beschreibung und Annahme einer Vielzahl von Problemen radikal verändert (p.e. die Substanzlehre, das Selbst, die Logik): schon im Geradehin tritt eine Funktion auf, die durchaus nicht Reflexion, sondern ihr echtes (mithin auch konträres) Komplement ist, Grundlage unmittelbarer Bestimmung oder Determination (wie oben bei Fichte erläutert). Die Konklusion Sartres aufgreifend, kann diese Bedingung ohnehin nicht darauf hinauslaufen, eine absolute Subjektivität zu begründen (wie sie der klassischen und nicht nur der rationalen Philosophie vorschwebt. ­Dementsprechend gilt ihm 386 387 388 389

Sartre 1981, S.119. Sartre 1981, S.120-121. Sperner 1963, S.152. s.o., insb. in Zusammenhang mit Fig.7-8 respektive der Geometrie der Geradenschar (Cederberg 2000), sowie der Beweis zu Involvierung von Geradenschar und Satz des Pascal (III.6.).

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in einer Skizze zur Geltung des Solipsismus als gesichert, dass „il n’y a pas de privilège pour mon moi: mon Ego empirique et l’Ego empirique d’autrui apparaissent en même temps dans le monde“390). Aber kraft natürlicher – unmittelbarer und unaufhebbarer – Projektion, die zu einer ‚Konstante‘ oder, im Umkreis der Ausdrucksweise von Leibniz, zu einer Etablierenden (une nécessité établissante) erklärt wird – im Vergleich mit der harmonie préétablie nimmt sie sich als der Komplementärbegriff aus –, ist im Vorhinein ein Äquilibrium möglich, sensible und denkbar, das nicht mehr dazu verpflichtet, die erwähnte Illusion des theoretischen Vorrangs zu unterhalten391, die absolute Grenze des Selbst oder Ich eingeschlossen. Diese Transformation, und Transformierbarkeit gleichermaßen, ist der Sinn des hier berufenen Modells392 (in dem sich eine konträre Relativität des Subjekts oder relative Subjektivität manifestiert, deren Relationalität sich sogleich klären wird). In der „dimension du narratif “ ist der Gesichtspunkt deshalb nicht darauf eingeschränkt, stets nur den Blick (des Erzählers) „sur un autrui intérieur“ zu werfen (der theoretische Standpunkt der Poetik Pouillon’s), sondern in einer freien Transformation kann er sich auch derart verwirklichen, dass durch den regard projeté „[des] êtres pensants et sentants“ miteinander in Beziehung geraten: (auch) der Plural ist „énonciatif “, und so kommt es zu einer frappanten Koinzidenz, in der die erste Person mit der dritten Person ein Verhältnis der „transvocalisation“ eingehen oder – kraft Überschneidung – sogar miteinander identisch werden (Genette)393. Zuletzt wundert nicht, dass aufgrund der „focalisation“ auch diese Vokalisierungen (die sich an dem Verhältnis der Personalpronomen manifestieren) das Sujet freigeben können394, auf dass in einem – nunmehr wohlbestimmten – Sinne die Irreflexivität als „conscience irréflechie“395 zurückkehrt, um eine Ebene der projizierten Erzählung zu bilden396: weder Gesichtspunkt

390 Sartre 1981, S.128. 391 Sartre 1981, S.120. 392 “Cette dernière perspective sollicite alors les liens entre phenomenologie et langage pour inclure dans la narration la dimension intrinsèque de la perception” (De Chalonge 2003, S.84). 393 De Chalonge 2003, S.78. Wir übergehen, dass Genette in diesem Wechselspiel mehr einen Niederschlag von discours sah, als einen Niederschlag existentieller - metaphysischer – Relation (die ja nicht ausgeschlossen. Chalonge fragt deshalb nach einem „ordre de perception“, S.79). 394 De Chalonge 2003, S.83. 395 Sartre 1981, S.118. 396 Chalonge 2003, S.74.

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e­ ines Er oder Ich, und eher Außen- als Innenwelt, bildet sie eine eigenständige Ebene, die, um perspektivisch zu sein, freilich den Schnitt- oder Knotenpunkt mit den übrigen verlangt. Mit dem Modell, das in der Formulierung von De Chalonge zumindest auf dem Gesichtspunkt und den konsequenten Perspektiven beruht, hat sich (auch wenn die fundierende Projektion unerwähnt bleibt, und Sartre überschreitend, der den Existentialismus auf eine Phänomenologie zu beschränken suchte) jedenfalls erwiesen, dass die Möglichkeit projektiven Bewusstseins für das spontane manifest ist, gleichgültig ob als Erzähler oder Leser (und nicht etwa nur Betrachter räumlicher Verhältnisse). Einen kritischen Schritt weiter, kann Satre die deutliche Trennung zwischen dem Standpunkt des „témoin“ oder „complice“ fordern, damit Innen und Außen nicht konfundieren397 (was damit, dass sie eventuell fusionieren, nicht gleichzusetzen). Die Frage nach dem konstitutiven Verhältnis zwischen Apperzeption und Perzeption oder, so Sartre, zwischen einer „conscience spontanée“/„non-thétique“ (das konkrete, unmittelbare Bewusstsein seiner Existenz) und einer „conscience perceptive“/„positionelle“398 (das konträre intententionale, das mit dem Bewusstsein von einem Ding, einem Weltort korrespondiert) kann demnach nicht mehr an dem Leitsatz geprüft werden, ob „cette conscience spontanée de ma perception est constitutive de ma conscience perceptive“399. Wenn aber, in exemplo, das Sujet als „instance“ in eine historische Erzählung („énonciation historique“) übergeht, so dass nicht stets, in jeder Position der relation projective, ein vereinzelnder, die Individuation leitender „observateur“ wirksam wird, dann kann, wenn die Orientierungen der Perzeptionen in jedem Fall konstitutiv sind, da sich nur dann die Projektion analytisch zureichend begreifen lässt, nicht der Standpunkt der Phänomenologie, sondern nur der metaphysische Standpunkt maßgebend sein (woraus das oft, insbesondere der Philosophie selber zu beobachtende Widerstreben erklärlich wird, die Perspektive mit ihrem eigentlichen theoretischen Fundament zu verbinden, i.e. der Gesichtspunkt ist nicht nur eine Einstellung in der Domäne oder ›Reich‹ der Vorstellungen, sondern Instanz der konstitutiven Polarität und ihres zentralen Gegensatzes im Diagramm, der Tafel, der Wirkungsweise der übrigen). Schlussfolgerung. Unter neuem, bislang unbekanntem Vorzeichen führt die Perzeption „de la pelouse, le long de allée, des hortensias, [qui] se fanent dans

397 De Chalonge 2003, S.74. vgl. den Zeugen im Licht von Wahrheit und Geschichte (IV.B.). 398 Sartre 1981, S.120. 399 Sartre 1981, S.117.

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l’ombre des arbres“400 (Marguerite Duras) daher in das klassische Terrain zurück. Es ist Projektion, als Begriff, natürliche Veranlagung (Vermögen im klassischen Sinne) und als Faktum, die zu dem Modell hinzutreten muss, um kraft dieses ersten Schrittes einsehbar zu machen, wie Perzeption eine „présence-aumonde“ fundiert, die nicht darauf beschränkt ist, konzipiert zu sein „comme une voie d’accès à l’intériorité psychique“401. Auch wird sich die Metaphysik davon befreien, und nunmehr befreien dürfen, auf die Grenze der Phänomenologie beschränkt zu sein – wenn schon das Modell, indem es latent auf einer „expérience concrète comme polyvalent“ beruht, vorführt, dass die Behauptung, „qu’une connaissance valable de l’intériorité ne peut se faire qu’en intériorité, ce qui interdit par principe toute connaissance d’autrui tel qu’il se connait“402, nur relativ gilt (vielleicht ansonsten, als Stigma). Die Projektion als Naturbedingung etabliert, mag auch sein und gelten, die Innerlichkeit oder Interiorität des Bewusstseins verliert ihren absoluten, angeblich einer nur völligen Subjektivität zugänglichen Status. Schon muss der Schnittpunkt zwischen Er und Ich eine Grenze bergen, die seinethalben nicht ihr Wesen ändert und dem bedingungslos Leeren anheim fällt. Und die Polarisationen und Objektpole, mit denen Husserl die Nr. 31 der Cartesianischen Meditationen schließt, einem Bewusstsein der gelebten Zustände im unmittelbaren Kontext der Dinge angehörig, das sich vom Bewusstsein des Cogito unterscheidet, zeigen, indem sie dieselbe Grenze (das Interstitium als Korrelat der jeweiligen Sphäre) verallgemeinern, wenigstens die Richtung an, in der sich Philosophie im Ausgang von der klassischen Metaphysik zu bewegen hat403. Sartre aber, indem er auch die übrigen systematischen Begriffe wie „fuite“, „circuit“, „regard“ und „horizon“ benutzt, müsste insbesondere die originäre, nicht eliminierbare Umkehrbarkeit reflektieren, die das Wesen der Projektion, den Inbegriff ihrer Beziehung, ausmacht, sobald er die Bedingungen reflektiert, unter denen das Fürsich-Bewusstsein und das irreflexive Bewusstsein zugleich und koinzident in Korrelation treten – dass sie überdies Reduzierbarkeit offenhält bzw. damit verträglich ist (im Geometrischen expressivis verbis gemäß der Methode nach Lambert, w.w.u.), ist nur der Sekundärstatus, bestimmte Abstraktion, dem der erste theoretische Anspruch, der Metaphysik ausmacht, gerade nicht folgen darf. Wirft daher das reflexive Bewusstsein als Pour-soi einen 400 De Chalonge 2003, S.83. Zitat aus dem Roman Le ravissement de Lol V. Stein (1964) von Marguerite Duras. 401 De Chalonge 2003, S.83. 402 Sartre 1981, S.129, 131. 403 Im hiesigen Kontext, Sartre 1981, Nr.IV.

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„projektierten Schatten“ aus, der angesichts der erlebten affektiven Qualitäten ein vermindertes Zukunftsbewusstsein („un futur dégradé“) besitzt, „[mais] qui fait corps avec elle en déterminant son sens“404, dann wird eben dieselbe Bestimmung verlangen, dass der Ort, aus dem der Schatten generiert, das Cogito und aktuale Ich, durch diesen bestimmbar ist respektive eine definitive Domäne der Bestimmung bereithält, in der sich genau dieses Ich (als Zentrum) zu etablieren imstande ist. Nicht einmal, dass der Hauptvektor, der den „ombre projeté“ repräsentiert, in dem eine Pluralität an Gegenständlichkeit und, eventuell, Personalität anderer Personen enthalten, notwendig an der Grenze des Bewusstseins Halt machen müsste – als vielmehr sie notwendig zu überragen, soll die Verhaftung in der Welt, ihre aktuale Lage (unter allen zugehörigen Modalitäten), begründet bleiben. Mithin ist es allerdings wahr, dass sich das theoretische Bewusstsein, indem es auf die Möglichkeit auch der Erkenntnis sieht, davon freimachen muss, ein notwendiges einzig Setzendes zu sein, Legislatur eines ­anderen wie seiner selbst.

E. Zur Orientierung 1 1. Dem Begriff Orientierung ist in Auswüchsen der Rezeption von Kant und Leibniz eine Bedeutung zugewachsen, die bis in die Wissenschaftstheorie hineinreicht405. Daneben kann die Bedeutung, die dem Orientierungsbegriff in der praktischen Philosophie406, unter anderem in Zusammenhang mit der analytischen Philosophie zugewachsen ist, unberücksichtigt bleiben, da von vornherein ein engerer Begriff die Voraussetzung bildet, jener, der mit Projektion kompatibel, mehr, das Element eines gemeinsamen systematischen Zusammenhangs ist. Im Kern gilt, Projektion inkludiert Orientierung (dies sei P ⇒ O), und nicht umgekehrt, vorausgesetzt, es ist in einem bestimmten abstrakten Sinne möglich, dessen insbesondere die Orientierung bedarf, sich jeweils in einer Ebene der Realität oder aber im Bewusstsein und seinen Inhalten zu orientieren, ohne dass es notwendig ist, über die Stiftung von Kernrichtung und Umfeld hinaus auch Elemente entweder in dieser Ebene selber oder zwischen den Ebenen zu 404 Sartre 1981, S.99. 405 p.e. Lakatos, in Zusammenhang mit dem Wahrheitsbegriff (Kap.IV.B 3.-4.). 406 Die Arbeiten W. Stegmaiers, u.a. „Orientierung an Recht und Religion“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 27/1 (2002), S.3-17. – Hans-Martin Pawlowski, „Werte, Normen und persönliche Orientierung“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, vol. 83 (1996), S.26-42.

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projizieren, wobei die letztere Anwendung den Kern der Projektion bildet407: die Basisbehauptung freilich liegt in der Implikation, so dass, an der Form bemessen, ein Fall, in dem Orientierung gegeben, jedoch Projektion nicht, ein Moment von Schein artikulieren muss (gesetzt, Projektion bildet unabhängig von Orientierung eine notwendige Bedingung des Bewusstseins bzw. der direkte Aufenthalt des Bewusstseins im reinen Sein ist unmöglich), während der umgekehrte Fall, eine nicht-orientierte Projektion, nicht zutreffen kann. (Wenn beispielsweise Ernst Mach erklärt, „dem bloßen Physiker erleichtert der Gedanke eines Körpers die Orientierung, ohne störend zu werden“408, so muss er an und für sich auch mit Projektion einhergehen und nicht nur kompatibel sein). 2. Orientierung meint daher in Anlehnung an die (im kritischen Stadium geäußerte) Frage Kants nicht, nicht allein, sich im Gebiet des Geistigen (des Gedankens) zu bewegen409. Vielmehr ist von der allgemeinen Philosophie her das erste Problem, das sich angesichts ihrer stellt, der Realismus und die Verankerung des Bewusstseins, wodurch auch der Wahrheitsbegriff (unter dem traditionellen - und bis heute virulenten - Gesichtspunkt der Korrespondenz oder adaequatio) berührt wird410 – der Leser möge sich an dieser Stelle exemplarisch 407 Zur Illustration möchten wir auf die Differenz der Gleichheit (sameness) in Castañeda 1988 (S.426-429) verweisen, bei der ein „Paradox der Referenz“ auftritt, abhängig davon, ob ein bestimmter Glaube einer Person oder aber die allgemein zugängliche (und nicht weiter spezifizierte) Realität Grundlage der Identitätsbeziehung darstellt – damit die Differenz auftreten kann, überdies nicht als eine reflexive (und damit arbiträre), muss Projektion zur Bedingung des Verhältnisses gehören. 408 Ernst Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 5.Aufl. Jena 1906, S.25. 409 Die stets aufgesuchte, und wahrscheinlich auch ein wenig überbelastete Quelle, insbesondere wenn man bedenkt, dass Kant hier anerkennt, es gelinge ihm „aus Gefühl“, nicht aber aus der Wendung eines Zirkels „eine Verschiedenheit in der Lage der Gegenstände a priori zu bestimmen“ (AA Band VIII, S.134-135). Einschlägige Lit. mit weiteren Angaben insb. Brigitte Falkenburg, „Kants Einwände gegen Symmetrieargumente bei Leibniz“, in: Carl Friedrich von Weizsäcker und Enno ­Rudolph (Hg.), Zeit und Logik bei Leibniz. Studien zu Problemen der Naturphilosophie, Mathematik, Logik und Metaphysik, Stuttgart 1989. Falkenburg, Kants Kosmologie. Die wissenschaftliche Revolution der Naturphilosophie im 18. Jahrhundert, Frankfurt 2000. James van Cleve, Robert E.Frederick (eds.), The Philosophy of Right and Left. Incongruent Counterparts and the Nature of Space, Dordrecht 1991. George di Giovanni, „Hume, Jacobi, and Common Sense. An Episode in the Reception of Hume in Germany at the time of Kant“, in: Kant-Studien 89 (1998), S.44-58, 54-58. 410 Richard L. Kirkham, Theories of Truth. A Critical Introduction, Cambridge, Massachussets MIT Press 1991, ch.4 (S.124, 140) gegenüber ch.3 (Nonrealism auf der

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die Paragraphen 18, 27 und 29 des Discours de Métaphysique vor Augen führen, um einzusehen, wie eng die Orientierung mit dem Grundproblem der Metaphysik, der „chose réelle“ (gegenüber Hintergrund und Zuweisung der Vernunft), verknüpft ist411. Die methodische Frage, über welche Kapazitäten das Bewusstsein verfügt, um mit Situationen, die es (i) zu überschauen; und solchen, die es (ii) nicht zu durchschauen vermag, fertig zu werden, denen anderwärts der Zufall, gepaart mit einer freien Entscheidung, vorausgesetzt werden kann412, führt daher in das Zentrum der gesuchten Veranlagung. Dass den Gegensatz die Polarität und nicht der Widerspruch beherrscht, dürfte ebenfalls klar sein, denn sie bilden ein breites Mittelfeld, überdies ermöglichen sie ihre gelegentliche Überschneidung (die Definitionsmerkmale weiter unten). So ist es nicht bloße Reflexion, welche diese Unterscheidung gebiert, da sie das Bewusstsein, zum Vergleich, mit Allgemeinheit (oder spezifischer Notwendigkeit als Titel der Allgemeinheit), jedoch jenseits jener Sphären in Beschlag nimmt, die für die Geltung der Urteilskraft in der kritischen Philosophie vorbehalten sind413 – eine wesentliche, gleichwohl grundverschiedene Bestimmung ist für beide Orientierungen charakteristisch: diese, indem sie sich auf den Einzelschritt, jene, auf die Reihe oder Spanne der Implikationen konzentriert. Im einen Fall, dem mangelnden Überblick oder der Unfähigkeit zu durchschauen – an und für sich der Ausgang von Wissenschaft –, ist die theoretische Situation daher nicht damit Basis von Blanshard) – Gleichwohl, N.Rescher hat die adaequatio mit der Kohärenz für kompatibel erklärt („Truth as ideal Coherence“, in: Review of Metaphysics 38 (1985) deutsch „Wahrheit als ideale Kohärenz“, in: L.B.Puntel (Hg.), Der Wahrheitsbegriff, Darmstadt 1987, S.284-297, 293-296). 411 Leibniz, Discours de Métaphysique, § 18, 27, 29, in: GP IV, S.444, 452, 454. - Wenn auch nicht bei Leibniz, sondern bei Kant, taucht darum das Problem auf, es könne „die Charakterisierung des Inhalts sinnlicher Vorstellungen also auf einer Verbindung zweier Gesichtspunkte“ beruhen, „von denen der eine das Objekt, der andere aber den Vorstellungszustand des Subjekts betreffe“ (Brandt 1991, S.96, mit Bezug auf Wolfgang Carl). 412 Eine Diskussion, die Pierre Macherey und Frédéric Keck in der Form des Essais miteinander geführt haben: „S’orienter dans la pensée“ versus „Remarques complémetaires sur le texte de P.Macherey « Qu’est-ce que s’orienter dans la pensée» (www. univ.-lille3.fr/Recherche/set/sem/Macherey). 413 Wie oben erwähnt, wird bezeichnenderweise im englischen Gebrauch des projectionism bereits dem ästhetischen Gebrauch der Urteilskraft vorbehalten, eine Projektion zu beinhalten (Art. „Projectivism“ in: Routledge Enceclypodia 1998, S.738).

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gleichzusetzen, dass Bestimmung nicht stattfände oder (wegen teil- oder vollumfänglicher Konfusion) gänzlich vereitelt wäre. Und Bestimmung und Orientierung sind nicht einfach kongruent, wie gleichermaßen auch Apex und Aufgang verschieden: erneut eine wesentliche Anzeige, dass im Kern des Bewusstseins eine weitere Kraft wirksam sein muss. 3. Dass sie mit der Polarität kompatibel ist wurde bereits vermerkt, daher möge an dieser Stelle – für die gesamte Abhandlung – deren Definition folgen. Sie hat sich in der Neuzeit fast ausnahmslos in der Naturwissenschaft niedergelassen, während sie in der Antike, in der Entwicklung der Vorsokratiker bis zu Aristoteles, ein wesentliches Moment unter der Kristallisation der Gegensätze bildete.414 Es kann kein Zweifel herrschen, dass der Widerspruch zum Primärgesetz der Logik wurde und die Polarität verdrängte – was, im historischen ­Gesamtüberblick, bedauerlich erscheinen muss. Pfade, die hätten begangen werden können, blieben offensichtlich brach oder ohne den gebührenden Einfluss auf Verständnis und Theoriebildung. Sie ist zunächst (i) der antonyme Gegensatz, der ein beziehungsweises Zusprechen der Gegenteile ermöglicht und erlaubt (jedoch nicht gleichzeitig und nicht in derselben Hinsicht, p.e. per ­Definition der aristotelische Bürger, der zugleich regiert und regiert wird). Weiterhin kann er (ii) exhaustiv sein, sodann besetzen die Gegenteile die Extreme, und, direkte Dichotomie zum Widerspruch, (iii) sie ermöglicht und fordert die Übergehbarkeit der Gegenteile bis hin zum signifikanten Grenzfall, dass das eine Gegenteil mit dem andern koinzidiert (‚darin enthalten ist‘; = (i) in der Aussage [apophansis]). Dass hier, in der Kontrarität, die verwechslungsanfällige Beziehung zum Syllogismus liegt, sei gleichfalls vermerkt. Weiterhin aber enthält der Begriffszusammenhang der Polarität, dies wiederum auch in der Anwendung auf die Naturwissenschaft und nicht nur der Vorstellung und ihren möglichen Formen, das (iv) Kriterium der Fusion (Verschmelzung) und ihr Gegenteil der Diffusion, die sich vielfältig und ungemein verzweigen kann und verdient, als Gegenpol erkannt zu werden. (Dass Polarität, als Fundament der Negation oder des Gegensatzes, nicht in Disjunktion – oder Wechselwirkung – aufgehen muss, wurde bereits vermerkt). So bleibt (v) der Hinweis auf ihre eigentümliche Vernetzung oder Hierarchie kraft Zirkuit oder Knoten, der ihr als ein Glied dient (p.e. die Semantik als Zweig der Sprachforschung, die Gehirnforschung) und mit der Klassifikation (als insbesondere auch reine Extension) in direkten Kontrast tritt; die Perspektivität ist ein wesentlicher Anhang, jedoch keine Notwendigkeit (so dass außerdem Projektion und Perspektivität nicht mit ihr zusammenfallen). 414 Die vermutlich aufschlussreichste Abhandlung ist nach wie vor Lloydt 1966.

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4. Die Möglichkeit, dass soziale Konvention wesentlich durch Orientierung zu erklären ist, soll im Übrigen nicht geleugnet werden, mag auch der anfängliche Pfad vielleicht nur ein Usus der Bequemlichkeit gewesen sein, wie ihn Descartes im Discours de la Méthode als Pfad durch das Gebirge erwähnt415 – ­andererseits gehört die Jugend, wie ein Roman derselben Zeit, der Simplicissimus, vorführt, zu dem Lebensstadium, in dem diese wesentliche Unterscheidung, das ÜberblickGewinnen, erlernt und gegebenenfalls in der symbolischen Waldszene schmerzlich erfahren werden muss416. Aber schon für die Unterscheidung zwischen einer Methode, qui „pense le social comme une carte que l’on trace depuis un regard en surplomb“ (Émile Durkheim), und der konträren, „en quoi en s’oriente (comme une ville dans laquelle on marche), ce dans quoi on est pris sans pouvoir en sortir pour en prendre une vue en surplomb (comme la forêt chez Descartes)“ (Mauss)417, wird die fundamentale Bedingung der Projektion offensichtlich: im einen Fall ist das Zentrum der Fusion präsent und manifest, Ursprung des Lots oder Brennpunkt, im anderen nicht. Auch Leibniz bediente sich, hochberühmt, des Vergleichs mit dem Stadtplan, um eine Orientierung in den Substanzen und ihrer Geltung zu gewinnen. Sind sie die Lothalter oder dessen manifester Anthalt (sogar auf der/den Gesamtebene(n) jenseits des Bewusstseins!), so ist die Achse (oder der Grund), aus der diese Differenz gebiert, in jedem Fall so spezifisch, dass sie in jeder Erfahrung wirksam sein muss respektive ist; dabei aber im eigentümlichen Sinne so wenig empirisch (nur auf den empirischen Begriff ausgerichtet oder durch bloße Empirie zu ermitteln), ästhetisch, teleologisch oder ideal-praktisch, dass sie mit irgendeiner dieser ­Einstellungen (oder 415 Vgl. ebenso die vielleicht hilfreiche Erinnerung an die poetische Situation bei Dante. Dort wird das verwandte, jenseitige Orientierungsproblem durch die memoria gelöst, der im Vergleich der Fakultäten der höchste Rang zukommt: „la «noblesse» de la mémoire, qu’il [Dante] appelle «la faculté de l’esprit qui ne s’égare pas»“ (Francoise Graziani, „Ricordi lettor: visin, imagination, mémoire“, in Littérature 133 (2004), S.30-39. 416 Vgl. Friedrich Gaede, „Leibniz, Grimmelshausen und Th.Mann“, in: Vf. (Hg.), Leibniz, die Künste und die Musik: ihre Geschichte, Theorie und Wissenschaft, München (Katzbichler) 2006, sowie früher Friedrich Gaede/Constanze Peres (Hg.), Antizipation in Kunst und Wissenschaft, Ein interdisziplinäres Erkenntnisproblem und seine Begründung bei Leibniz, Tübingen 1997 (Francke), Friedrich Gaede, „Leibniz‘ ‚unmerckliche Perzeptionen‘ als Quelle poetischer Antizipation“, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft. 1998, S.297-311. 417 Keck 2003, S.2. Regard en surplomb ist die Übersicht im Lot, im konträren Fall fehlt diese Möglichkeit, man muss sich orientieren wie bei Durchlaufen einer Stadt, eines Waldes.

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Argumente, die den zugehörigen Grund und Zusammenhang erklären), konform gehen könnte. Anderwärts zählt zu den philosophischen Grundprinzipien – in denen eine bestimmte Vorsicht waltet, die sich (wenigstens und seitdem) aus der aristotelischen Topik erklären lässt –, Grenzerfahrungen, in denen eine Differenz eklatant wird, nicht mit dem Sein, oder Nichtsein, zu verwechseln: das Vorhandensein eines Brennpunkts oder nicht ist somit nicht hier versus dort zu verankern. 5. und Appendix. Es handelt sich, noch im historischen Umfeld, weiterhin auch nicht um die Unterscheidung zwischen einer ratio stricta versus „[ratio] blandior“, in der auf dieser Seite das Prinzip der Deduktion und der logischen Folgerung zur Disposition gestellt werden müsste. Umso mehr, als auch Leibniz dafürhielt (wider die Annahme, er verfolge tatsächlich auch Züge oder Charakteristika einer weicheren Vernunft), es ließe sich durch einen historisch exakten, i.e. orientierten respektive der präzisen Orientierung dienenden Stammbaum der Begriffe bei einem bestimmten Corpus (p.e. des Römischen Rechts) aus wenigen Elementen eine Übersicht und Ableitbarkeit gewinnen, „wie auf Landkarten, die mit einem Blick überschaut werden können“418. Die „Anschaulichkeit“ der letzteren gibt es nicht, gleichgültig ob real oder virtuell, ohne Projektion als ihr konstitutives Element, denn die Karte ist ihr Produkt (was auch für den Fall der orthogonalen oder im Maßstab verkleinerten gilt), und die eine Vorstellung projiziert sich notwendig in die andere, bis ihr ›Gesamtbild‹ erhalten. Gleichwohl hat Leibniz (wie vermerkt) über Passagen hinaus, in denen er die Szenografie erklärt und anerkennt, dass sogar der ursprüngliche Gesichtspunkt hieraus erschlossen und berechnet werden kann – konträr zum eben angeführten Anhalt des Lotes in der (planar aufgefassten) Substanz –, nicht eigentlich erwogen419, in welchem Ausmaß eine Charakteristik, das zentrale Verkürzungsprinzip eingeschlossen, von ihrer analytischen, i.e. logischen Basis her auch mit der Projektion als natürliches, unmittelbares und unumgängliches Vermögen des Bewusstseins, der Perzeption schlechthin, zu rechnen hätte (erneut der soeben erwähnte Stadtplan420, aus dem heraus die Substanz ihre Lage im U ­ niversum 418 Ursula Goldenbaum, „Reason light? – Kritische Anmerkungen zu einer neuen Leibnizinterpretation“, in Studia Leibnitiana XXXVI/I (2004), S.2-21, 13, ein Brief an Chapelain aus der Zeit um 1670. 419 Vgl. paradigmatisch Einleitung zu Fragment IX, in: Leibniz 1995. Zur Anschaulichkeit: Hans Georg Gadamer, „Anschauung und Anschaulichkeit“, in: Neue Hefte für Philosophie 18/19 (1980), S.1-13. 420 Wie erwähnt, ein seit dem Discours de Métaphysique, §§ 9, 14, durchgehaltener ­Tenor seiner Schriften.

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e­ rklärt, eingeschlossen, und so sind die Verirrungen doppelsinnig, welche jenen befallen können, der einen Pfad nicht einhält421).

2 Zur Definition Anstelle einer Anlehnung an die Geometrie, bei der die Funktion des Lots den Anlass der Erläuterung bildet, soll an dieser Stelle eine Definition von Orientierung erfolgen, welche im gesamten Rahmen erklärt, was unter Orientierung zu verstehen ist. (1) Gemessen an der Basisachse, in der sich das Bewusstsein in Ruhe befindet bzw. indifferent verhält, bedeutet Orientierung einen polaren Gegensatz, innerhalb dessen es seiner Verhaftung in der Realität oder in sich selbst nachgeht. (2) Beide Richtungen ermöglichen und enthalten eine direkte polare Verankerung, die im einen Fall, der Verankerung in der Realität, das Lot und im anderen Fall, der Verankerung in sich selbst, das Eigenlot des Bewusstseins heiße (mit ›Raum der Begriffe‹, auch ›Reich der Ideen‹ hat es bis heute namhafte Vertreter, das Vorstellungsbewusstsein die natürliche Mitte). (1) und (2) beinhalten, dass die beiden Pole aufeinander projizierbar sind (und sein müssen). Daraus erklärt sich in der Geometrie das maßgebliche Verhältnis von Gesichts- und Fluchtpunkt (bis hin zum perpendikularen Lot auf einer Rotationsachse, das, an die Visualität als exakter Maßstab gebunden und sobald die eingeführte Gruppe die Grundlage des geometrischen Modells bedeutet, die Subgruppe der euklidischen Geometrie erklärt422). In der Philosophie hingegen erklärt sich hieraus der Basisgegensatz zwischen empirischem und idealem Bewusstsein – den Kants Transzendentalphilosophie symptomatisch in theoretischer Erkenntnis miteinander zu verklammern suchte, und (1) und (2) befinden sich hiermit ausdrücklich in Einklang – und deren methodischen Reduktionen. In der Regel sucht das empirische, sensualistische und positivistische B ­ ewusstsein – als Reduktion und Kongruenz seiner fortschreitenden Theoreme – eine Verhaftung in der Realität, während das phänomenologische, transzendentale (trotz der Verklammerung) bis hin zu idealem Bewusstsein den Gegenweg beschreitet. Auch das analytische Bewusstsein als vorrangiges Sprachbewusstsein ist auf

421 Descartes, La Recherche de la Vérité, in Œuvres X, S.297. 422 Poincaré 1898, in: Ewald 1996, S.1005-1009.

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dieser Seite anzusiedeln, während das logische Bewusstsein eine signifikante, und unschließbare Ambivalenz aufweist. Orientierung im Sinne der Definition besagt weiterhin, dass das Bewusstsein niemals die Totalität seiner selbst oder aber der Realität besitzt – dies widerspräche der Polarität, der es unterliegt, mithin der Notwendigkeit, sich stets nur im Rahmen einer Situation seiner eigenen Lage und Situation, zugleich dasselbe für einen Blickpunkt auf die Realität und ihre Gegenständlichkeit versichern zu können. Orientierung besagt schließlich dezidiert, dass die beiden Hauptrichtungen – Lote oder Achsen – notwendig aufeinander beziehbar sein müssen, dies aber nicht wegen eines reflexiven Abgleichs oder Abstimmung (im stets konklusiven, inferentiellen Sinne), sondern weil die Basiseigenschaft der Projektion dies erfordert und erzeugt – eine „einseitige Projektion nach außen“, wie oben erläutert und wie sie auch Ernst Mach als eine „missverständliche Anwendung physikalischer Gesichtspunkte“ ansieht, liegt demnach a fonte nicht vor, insofern die beiden Richtungen von Anbeginn miteinander kooperieren und ihre Übersetzbarkeit gewährleisten müssen – Räumlichkeit, ursprüngliche Gegenständlichkeit, die Lichtwahrnehmung ist ohne dieses Zusammenwirken nicht zu erklären (wobei sich auch Mach, im Kanon vieler Schriften zum selben Thema, noch immer ambivalent verhält, indem er im Belang und Ausgang vom Lichtstrahl und ursprünglicher Raumwahrnehmung die projektive Bedingung neutralisiert, jedenfalls übergeht423). Es liegt auf der Hand, dass mit diesem Begriff von Orientierung maßgebliche historische Standpunkte betroffen sind, die im Folgenden, zunächst im Hinblick auf Korrespondenz und Wahrheitsbegriff, erläutert werden sollen.

3 Lot und Eigenlot sind eine natürliche Anlage, denen jedoch keine unbedingte Realisierung zukommt – weder ist das Bewusstsein gezwungen, sich als aktuales in jedem Augenblick auf eine bestimmte Gegenständlichkeit zu verpflichten, noch muss es sich beständig auf die transzendentale Apperzeption, ein ego cogito hin reflektieren, insbesondere die Einstellung, die seinem Eigenlot gleichkommt: im Umkreis der zugänglichen, i.e. (i) genetisch vererbten,424 (ii) erfahrungshaltigen, (iii) erlernten Vorstellungen trägt es somit eine persönliche Signatur. Der 423 Ernst Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, 5.Aufl. Jena 1906, S.31-32. 424 Hier darf neuerdings, mit Rückhalt auch der traditionellen Philosophie, die Gehirnforschung eintreten: Singer 2002, S.87-90.

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Überblick, den das Bewusstsein besitzt und kraft dessen es zu einer begrifflichen Verallgemeinerung im traditionellen Sinne imstande ist, muss von ihm in jedem Fall erworben und eventuell bei Überwindung nicht geringer Hürden angestrebt werden.425 Wenn es demnach an und für sich der Orientierung unterliegt, so kann es sich zugleich unorientiert verhalten – seine Orientierung spielen lassen und, nicht zuletzt, miteinander verwischen, eine Konfusion, die aus der philosophischen Literatur in Verbindung mit Petitio und Zirkularitätsverdacht oder -instanz wohlbekannt ist –, und es kann wie gehabt einen effektiven Überblick besitzen oder nicht, womit zwei ursprüngliche Negationen zum Tragen kommen. Im Lot, seiner unmittelbaren Verhaftung, hat das Bewusstsein hingegen einen sicheren Besitz und Gewähr der Realität, hierfür sind aber Erklärungsmomente vonnöten, die neben (i) der Konvertibilität, welche die Bestimmungsverhältnisse der Bewusstseinsvermögen reguliert, auch (ii) die Korrespondenz einbeziehen, abzuhalten, wenn auch nicht a priori negativ, sondern ganz im Gegenteil, gegen (iii) das Kohärenzverhältnis. Was die Negationen betrifft, so gilt, dass ein Bewusstsein, das sich der Orientierung bewusst ist und einen orientierten Überblick, mithin das Lot seiner Vorstellungen, gewinnen will, dies jedoch nicht – oder vorübergehend nicht – zu realisieren vermag, einer bestimmten Befangenheit unterliegt. Als Normalkonstituente ist sie mit wissenschaftlichem Bewusstsein verknüpft, sie kann aber auch aus der Sache herrühren, was bedeutet, der Überblick respektive die definite Allgemeinheit lässt sich nicht erzielen, einmal aus logischen, zum anderen und vor allem aus empirischen Gründen (ein rezenter Fall: die beiden konkurrierenden Hypothesen, klassisch versus Synchronisation, zur Arbeitsweise des neuronalen Gehirns).426 Auf keinen Fall aber kann orientiertes Bewusstsein, der Überblick und die Transparenz seiner Vorstellungen, die es hierbei erzielt und wenn dies zugleich mit einer Veranlagung verknüpft ist, durch die ‚bloße‘ Anwendung von Kategorien oder aber eine gleichgeartete reine Anschauung erklärt werden. John Nolt, ein amerikanischer Logiker, hat zum Vergleich eine Theorie entwickelt, die darauf aus ist, Wahrheit direkt an einen Komplex idealisierter Bedingungen zu knüpfen, die mit ‚warrant‘, ‚confirmation‘ und ‚superassertibility‘ einhergehen – an und für sich gleichermaßen wohlbegründete als auch -­ unterschiedene Begriffe – und die, unter anderem, im hiesigen Sinne ­voraussetzen, dass „humans, lacking clairvoyance, cannot always distinguish propositions that 425 „Denn es scheint ein durch nichts zu überbietendes Wissen zu sein, wenn alle ihr Land genau kennen“ (Platon, Nomoi 763b). 426 Wie soeben Singer 2002, Kap.V.  Der Zusammenhang Orientierung und Gehirnforschung ist zwar naheliegend, aber nicht zwingend.

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are confirmed from those that are warranted but not confirmed“427. Der Grund liegt für ihn darin, dass eine Gewähr, die in einem Augenblick für einen Sprecher gegeben ist, noch nicht die idealisierte Bedingung trifft, auch für gleichgültig viele im Hinblick auf den zukünftigen Zeitraum gewährt zu sein. Diese Differenz zwischen Gewähr und Bestätigung hat, wie erläutert, jedoch genetische und konstruktive Veranlagung im Bewusstsein und liegt nicht allein an der Durchdringung der Materie, sei es logisch oder empirisch. Seine Theorie lässt sich infolgedessen weitgehend auf die Orientierung übertragen, respektive sie ist mit diesem Begriff kompatibel, die Polarität eingeschlossen. Dies zeigt sich auf der positiven Seite (gegenüber Negation und refutation) an dem verschiedenen Orientierungsrahmen, in dem Wahrheit in Geltung zu bringen ist – confirmation als Beziehung zum gesamten Verlauf der Untersuchung („course of inquiry“, annähernd gleichzusetzen mit der effektiven Probeentnahme der Evidenz), sodann eventual confirmation (beruhend auf direkter Idealisierung, welche die Bindung an irgend aktual geprüfte und kollektiv zusammengefasste Evidenz überschreitet), schließlich ideale Bestätigbarkeit oder „superasserbility“ („ideal confirmability“). Hier wächst der Horizont nicht einfach im Peirceschen Sinne in die Annahme einer idealen Letztgrenze, die jenseits des Prozesses ständiger Verbesserung liegt, sondern sie wird an eine (von Wright übernommene) Minimalbedingung gebunden. Sie heißt „combinatorial closure“ und bedeutet eine bestimmte Zusammenfassung, genauer ein „pooling“ der Evidenz von irgend Paar zweiter Untersuchungspersonen („to pool the evidence of any pair of inquirers“, gleichgültig wer oder bei wem dieses pooling stattfindet, der Möglichkeit nach eine dritte Person)428. Hiermit ist aber die weitere Voraussetzung erfüllt, den zentralen Komplementärbegriff zur Orientierung einzuführen, die Polarität. Im hiesigen Sinne entfaltet die Theorie daher Polaritätsbegriffe orientierter Wahrheit, und zwar stets im Gebiet des Eigenlots des Bewusstseins (jenseits der Verhaftung und unmittelbaren Bindung an die Realität als sein Lot). So geht die eben erläuterte Minimalbedingung in den Begriff der pairwise convergence über, der eigentlich einen Fokus der Wahrheit beschreibt und für den gilt, dass „wenn in einem Untersuchungsraum zwei Zustände s und s’ gegeben sind, in demselben Raum zugleich ein dritter Zustand s’’ in der Form gegeben ist, dass s ≤ s’’ und s’ ≤ s’’ (wobei ≤ die Beziehung ‚ist früher als oder identisch mit’ bezeichnet)429.

427 Nolt 2008, S.208. 428 Nolt 2008, S.212-213. 429 Nolt 2008, S.214.

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­ emnach ­bedeutet der Zustand s’’ nicht nur eine gegebenenfalls andere PerD spektive, sondern ein solche, in der notwendig der Brennpunkt jedweden Minimalpaares liegt (die Möglichkeit, dass dieses wächst, eine Gruppe bildet, lässt sich aus Nolt’s Theorie nur indirekt folgern, bedeutet jedoch keinen Widerspruch, sondern ganz im Gegenteil). Zusammengefasst, ist diese paarweise Konvergenz zwar ein Ausdruck zwanghafter Idealität, i.e. sie wird durch die Setzung eines idealen Zustandes (im logischen Sinne) erzwungen, sie dokumentiert aber zugleich eine manifeste Polarisierung, die das Bewusstsein aufgrund seiner natürlichen Veranlagung bereithält. (Dies zeigt sich auch eklatant auf der negativen Seite, bei der Nolt von einem Modellfall ausgeht, der eine Fokussierung der Wahrscheinlichkeit erzwingt – bei einem mittleren Bereich der Quantifizierung erscheint die Aussage erfüllbar („reasonable“), während sie bei extremen Quantifikationen unreasonable wird und sich sicher zurückweisen lässt). Am Wahrheitsbegriff respektive Wahrheitsbewusstsein gemessen bedeutet Orientierung somit nicht nur eine verschiedene Primärbindung des Bewusstseins, sondern zugleich Möglichkeit einer manifesten Veranlagung seiner wesentlichen Substanz, der Polarität, die mit einer methodisch reflektierten und abgestuften Idealisierung einhergeht.

4 In der Konträrrichtung liegt der traditionelle Begriff der Korrespondenz, der gemäß (1) nicht nur einen Pol, sondern gemäß (2) auch eine definite Verankerung – und nicht nur Adaequation zum Ausdruck bringt –, mithin nicht übergangen, endgültig eliminiert oder hinsichtlich seiner Wurzel (souche) verwechselt werden kann. Weiterhin müssen, in Erinnerung an die Einleitung dieses Abschnitts, der effektive Überblick oder die Vue en surplomb +/-, ein Ausdruck, in dem sich das Lotblei noch deutlich genug verbirgt, den Niederschlag einer Opposition verkörpern, die dem natürlichen Bewusstsein innewohnt und die mit Reflexion falsch erklärt wäre. Die Gesetzmäßigkeit, die sich noch über den Vermögen artikuliert, jedoch bereits für deren Haushaltung und Ordination verantwortlich ist, kommt aber erst dann manifest zum Vorschein, wenn dem Bewusstsein auch das projektive Vermögen – in Verkoppelung mit der Polarität – unterstellt wird, was wiederum darauf hinausläuft, den Begriff der Orientierung in seinem angestammten respektive notwendigen Begriffsfeld einzusiedeln. Dies sei im ­Gegenzug zum vorhergehenden Abschnitt 3 verdeutlicht, wobei zwei (mitunter geläufige) Formeln zur Korrespondenz (die außerdem eingehend im Schlusskapitel in Verbindung mit der Konvertibilität behandelt wird) den Maßstab bilden. [3] (t) {t is true iff (∃x) [tRx) & (x obtains)]} 137

Zur Zeichenerklärung. t steht für eine unspezifizierte Klasse von Wahrheitsträgern und x für bestimmte Sachverhalte. ‚R‘ sei der Platzhalter für eine Relation, die geeignet ist, den Wahrheitsträger und den Sachverhalt miteinander in Beziehung zu setzen.

Dieses Schema erfasst gemäß seinem amerikanischen Autor Richard L. Kirkham „the essence of the correspondence theory“430. Das Grundproblem, das sich der Korrespondenztheorie stellt, die, im Gegenzug den sprachanalytischen Impulsen, das Definiens des Wahrheitsbegriffs verbirgt, ist zunächst weniger das ‚R‘ als der kleine Nachsatz „(x obtains)“ – hier gilt es die Gründe zu erfassen, welche (gemäß Nolt) den „state of inquirer“ garantieren, überhaupt die Objektivität verbürgen, mit der sich das Bewusstsein auf einen bestimmten Sachverhalt als Realität verpflichtet, wenn es darüber hinaus (gemäß Voraussetzung) auch die Möglichkeit besitzt, sich auf sich selbst respektive sein Eigenlot als Gegenpol zu berufen und zu verpflichten, freilich jeweils in einem Rahmen, bei dem sich das Einzelbewusstsein sofort in einen Kontext möglichen anderen Bewusstseins eingebunden weiß – was für den Status und Bedingung der Polarität, die Ausbildung eines Fokus, wesentlich, jedoch je nach Orientierung verschiedene Form und Ausdruck besitzt. Bei Bertrand Russell, um den ersten Kontrast im Hinblick auf die Orientierung zu erübrigen, lautete die verwandte Formel: [4] (h) [h is true ⇔ (∃B)(∃x)(∃y)(∃R) (h = < B, x, R, y > & xRy)]431 Zur Zeichenerklärung. „Im Hinblick auf irgendeinen Glauben h gilt, h ist wahr und nur dann wahr, wenn es jemand (B), der glaubt, die Objekte x und y sowie eine Beziehung R gibt es derart, dass B gemäß h glaubt, dass x in der Beziehung R zu y steht, und x tatsächlich in der Beziehung R zu y steht“.

Diese Formel wurde – in einer bezeichnenden Überlagerung der relationalen und Prädikatenlogik – aus einem Satz der Weltliteratur, dass Othello glaubt, das Desdemona Cassio liebt, entwickelt432. Lässt man außer acht, dass in der ontologischen oder realistischen Grundlage, nach der „mind-independent facts“ 430 Kirkham 1991, S.132. „t ranges over some unspecified class of truth bearers and x over states of affairs. ‚R‘ is a placeholder for some relation appropriate for the purpose of correlating bearer and state of affairs“. 431 Kirkham, 1991, S.122. „For any belief h, h is true if and only if there is a believer B, objects x and y, and a relation R such that h is B’s belief that x bears relation R to y, and x does bear relation R to y“. 432 Wobei übrigens, Pikanterie, man nur mit einer fiktionalen Wahrheit zu tun hätte (Dilworth 2004, S.33).

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zugelassen sind433, Variablen für Objekte (= Subjekte) neben solchen für eine Relation in einer Quantifikation ausgedrückt werden – was von Kant (und dem unbedingten Rationalismus der Kategorientafel) her zumindest ein Problem der manifesten Ebene, von Leibniz her aber ein eminent ontologisches Problem bedeutet434 –, dann kulminiert die Geltung der Formel gleichermaßen in diesem „obtains“ versus xRy. Kann sie nicht einfach zugestanden werden435, wird an dieser Stelle auch die kritische Position wach: nicht nur, dass im Übergang vom logischen zum theoretischen Bewusstsein deutlich werden muss, worauf die Verpflichtung, mithin das eigentliche Wahrheitsmoment beruht – zum Vergleich, das gesamte Problem, das bei Husserl die „Selbstgebung der Sache“ heißt. Sondern es gilt auch, die distinkte Unterscheidung der Orientierung, die hierbei manifest werden muss, einzubringen, womit die Problemlage gemäß Kant zugleich erfüllt und – in der Möglichkeit eines Richtens nach der Natur, wofür gleichermaßen Sachverhalt oder Realität gesetzt werden kann – überschritten wird. Noch einmal an Leibniz bemessen muss gleichermaßen die Bewegung, um sie wahrhaft zu orientieren, auf die Kraft („force“), die ihr zugrunde liegt, zurückgeführt werden (und können). Sodann gibt es – im parallelen Sinne – „quelques choses extérieures, [qui] determinent notre âme à certaines pensées“436, welche 433 Kirkham 1991, S.124. 434 In Zusammenhang mit Orientierung auch, und siehe weiter unten, in der Beziehung zwischen Dingen an sich und inkongruenten Gegenstücken, sobald diese dem Prinzip von Leibniz unterzogen werden, relationale Prädikate auf einfache zu reduzieren (James van Cleve, „Inconguent Counterparts and Things in Themselves“, in: Van Cleve & Frederick 1991, S.344-345). Zur Relationalität bei Leibniz und Reduzierbarkeit: N.Rescher, Leibniz’s Metaphysics of Nature, Dordrecht 1982, ch.V, insb.S.59-66; Massimo Mugnai, Leibniz Theory of Relations, Stuttgart 1992. 435 Kirkham diskutiert u.a. die Unmöglichkeit, Sätze oder Wahrheitsträger im selben Sinne wie facts an Ursachefolgen teilnehmen zu lassen (1991, S.138-139). Dass sich die neuerliche Wahrheitstheorie auf diese Nicht-Zugestehbarkeit geradezu fokussiert, braucht (exemplarisch mit Lorenz Bruno Puntel, Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie, Darmstadt 1993) kaum erwähnt zu werden. Auch in der zeitgenössischen Diskussion im Anschluss an Putnam’s brain in a vat-These wird dasselbe Problem virulent. Dort zeigt sich, einer Argumentation Giorgio Volpe’s zufolge, ebenso, dass die Entscheidung über epistemologische justifiedness zuletzt von der Möglichkeit abhängt, im Wahrheitssinne klassifizieren (aussagen) zu können, ob man sich in der einen oder anderen Situation befindet („Ideal epistemic situations and realist truth“, in: Erkenntnis, vol. 58 (2003), S.12-31, 23-25). 436 Wie zitiert, Leibniz im Discours de Métaphysique, § 27, in: GP IV, S.452. Bei Spinoza (Ethica, IV, Prop. XXXVII, scholium, in: Spinoza Opera II, S.236-238) determinieren die äußeren Dinge den Menschen, gleichwohl wird dies auch über dessen

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(da sie im Gegensatz zu den metaphysischen Wahrheiten stehen), die (späteren) „vérités de faits“ sein müssen. Demnach obliegt es – mit der hierdurch zugleich erweiterten (und bedingt widersprochenen) Systematik Kants – der theoretischen, in ihrer gesamten Breite und Fundament wirksamen Sinnlichkeit, die sich auf die distinkteste Weise kraft Impression diskriminiert, (a) die Begriffe (i) zu sondieren, (ii) zu bilden und (iii) zu bestimmen: mithin auch, und insbesondere, (b) die Orientierung zu veranlagen, in der sich der Verstand mitsamt seinen Leistungen zu entfalten vermag und die im epistemologischen Wahrheitskontext bewiesen hat, sich als eine ausschließlich interne „perspective“ nicht behaupten zu können437. Es handelt sich also um keinen Fall um ein bloßes „Gefühl“, so Kant – noch einer bloßen Empfindung im Sinne Husserls438 –, das von den strengen Bedingungen der Sinnlichkeit – und der Vernunft (in seinem Sinne) – ausgenommen werden könnte, da er anderwärts selber sagt, es gelte, kraft seiner „eine Verschiedenheit der Lage der Gegenstände a priori zu bestimmen“439. Wie an anderer Stelle dargelegt, gerät die kritische Position in ihr eigenes Grundproblem, die Äquivokation des Bestimmungsbegriffs (oder Bestimmtsein de re versus Bestimmtsein de mente (als Verstandesvermögen)): zusammengefasst, die Unterscheidung der Determination als (i) Determination durch Leistungen oder Substrate der Vermögen versus (ii) Bestimmung unter den Vermögen selber, die wiederum, wie oben dargelegt, deren Konvertibilität gleichzusetzen ist. Anders besehen, kann die fundamentale Orientierung, welche die beiden zitierten Korrespondenzformeln jeweils voraussetzen, unmöglich dieselbe sein. Zugleich sind ein Realitätsbewusstsein (Bewusstsein von Dingen, Sachen und Personen) und ein Bewusstsein seiner selbst, als Sphäre, in der es eigenen oder nicht-eigenen Vorstellungen nachgeht und unterhält, fundamental voneinander verschieden, beide aber sind nicht etwa nur nacheinander zu vollziehen oder reflektieren, sondern beständig miteinander abzugleichen und der Möglichkeit nach koinzident, worin Bedingung und Möglichkeit von Lot(achse, unmittelbare Beziehung auf) und Polar liegt. Somit kulminieren in der Orientierung ein (i) Sich-Geben-lassen mit dem (ii) Aussagen-von oder eigentlichen Prädizieren Gedanken oder Vorstellungen geschehen; expressis verbis, wie zitiert, V, Proposition IV, scholium und IX + Demonstratio (Spinoza Opera II, S.282, 286: „[…] ille affectus, à quo Mens ad plura simul objecta contemplandum determinantur […]“). 437 Wie soeben zitiert (Volpe 2003, ch.4). 438 Husserl, Cartesianische Meditationen, in: Husserliana XXIX, S.76-77. 439 Kant, Was heißt, sich im Denken orientieren?, in: AA Band 8, S.131-147.

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(„truth“ versus „nature of judgement“440), und die Wahrheit ist abhängig von der Koinzidenz und Kongruenz dieser beiden maßgebenden (komprehensiven) Vorstellungen, die in beiden Richtungen zugleich wirksam sind441 (wobei Kongruenz in einem höheren oder abgehobenen Sinne - ohne A ­ bbildkonnotation verstanden sei und mit der adaequatio oder Korrespondenz als Synonym ­einhergehe, deren Definition, wenn es darauf ankommt, von der Konvertibilität abhängig gemacht werden muss). Diese Koinzidenz, bei konträrer Richtung, kann, bei zugleich Durchsicht und (partieller, vom in eins natürlichen und entwickelten, theoretischen Gesichtspunkt abhängiger) Übersicht nur möglich sein, wenn eine essentielle Projektion der Vorstellung beteiligt und konstitutiv ist: Projektion mithin im Sinne eines echten und unmittelbaren Aus- und Abgleichs der beiden zentralen Gegenrichtungen, anhängig jedwede Berufung auf einen Horizont in den Vorstellungen (wie ihn bereits Kant in seinen Logikvorlesungen offenbart). Anders als das Diagramm Kirkhams offenbart (das Parallelen veranschlagt)442, muss daher im Fall einfacher, unreflektierter Wahrheit die Relation, die de facto Desdemona und Cassio miteinander verbindet (& xRy), konträr oder – in dem nunmehr eingeführten allgemeinen, überhobenen Sinne – lotgerecht zu jener Relation stehen, die durch Othellos Belief konstituiert wird (h = < B, x, R, y>)443. Die Basis der metaphysischen Relation steht somit im Zentrum einer Überschneidung oder Koordination, ohne dass (wie schon vermerkt) eine effektiv räumliche, gar geometrische Manifestation vorausgesetzt werden müsste (auch wenn sie mit der gegenständlichen Wahrnehmung und Konstitution überall einhergeht). Dass aber die Dinge an sich nicht zugänglich seien, ist wahr nur, solange behauptet wird, sie seien ohne eine wesentliche beteiligte Projektion, welche sich mit der Gesamtveranlagung des Bewusstseins niederschlägt, für das Bewusstsein relevant bzw. bewusstseinsträchtig (oder das Sprachvermögen sei das oberste, zuletzt zugängliche444), abgesehen von der möglichen Veranlagung der konstitutiven Vermögensbeziehung als Konvertibilität, welche als

440 Simon Blackburn im Artikel zu “Projectionism”, in: Routledge Encyclopedia of Philosophy, vol. 7, London-New York 1998, S.740. 441 Kirkham 1991, S.124-125, die Position Austins gegenüber Russell (Theory of correspondance as correlation). KrV B 67 kann auch in diesem Kontext eingesetzt werden (in Verbindung mit Van Cleve 1991, S.347). 442 Kirkham 1991, S.121. 443 Was dem Diagramm der Position Austins entspricht (Kirkham 1991, S.125). 444 Was selbst die deskriptive Metaphysik nicht expressis verbis behauptet (Liske 2004, S.33: „Wohlgemerkt, auch die Grundbegriffe der Alltagsontologie sind bloß interpretatorische Begriffe und kein unmittelbares Erfassen der Wikrlichkeit“).

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­ rklärungsmoment hinzutritt. Demnach sind nicht nur die räumlichen, sondern E auch alle übrigen Prädikate, ob etwas scharf ist, gutmütig oder herrschsüchtig, bewegt oder anziehend (gravitierend)445, in sich selber, in ihrer eigenen ursprünglichen Bedeutung davon abhängig, nicht nur aus einem bestimmten Blickwinkel ergriffen zu sein, der, systematisch, mit jenem korreliert, den ein Körper von sich aus einnimmt446, sondern auch als Erkenntnis und natürliches Begreifen aus einem Produkt hervorgehen zu müssen, in dem die beiden ersten, im letzten Absatz etablierten Richtungen (die nicht rechts und links, sondern externalisinternalis bezeichnen) kraft Projektion und kongruenter Bestimmung zu einer Koinzidenz gelangen können447. Freilich geht hiermit auch einher, es gibt ein Grenzprodukt, in dem die Abhebung des „Verhältnisses zwischen Subjekt und Objekt“, durch das (i) allein ein Ding an sich erkennbar ist (Kant)448 und das (ii) eigentlich eine Gegenrichtung enthält, in Identität übergeht: wesentlich ist Subjektivität wie anderwärts ein effektives Realitätsbewusstsein hieran ‚abzurechnen’ respektive abzugleichen. (Dass die Sprachkonvention diese Identität festzulegen, i.e. zu fixieren sucht, ohne gezwungen zu sein, entweder die Natur/ Sache oder aber das Subjekt in seinem Ausdruckswillen, in seiner Intentionalität oder epistemischen Idealisation zu treffen, gilt unbenommen). Anstatt aber von einem Projectionism zu reden, der allein (wie auch Mach in Abrede) ein 445 Wir wählen in freier Anlehnung an: Aristoteles, Topik, 4. Buch, 5. Kapitel 125b127a (Philosophische Schriften 2, Darmstadt 1995, S.82-86). 446 Die oben zitierte „conscience positionelle“ steht somit wenigstens seit Christian Wolff (Pychologia rationalis § 454, hg. v. Jean Ecole, Hildesheim 1972, S.371-372) der Metaphysica Baumgartens, bei der in der empirischen Psychologie der „positus corporis“ eine feste Instanz darstellt, in natürlichem Gegensatz (§§ 509, 513, 534, 557, 562, 595, 597, 608, 617, 619 (je 3 x verkürzte Form „actuantur per vim animae meae repraesentativae [pro positu corporis]“), 625, 626 (Intellectus), zu unterscheiden auch von der memoria localis (§ 583; Metaphysica, 7. Aufl. 1779, Hildesheim 1963, S.175, 176, 187, 197-198, 199, 221, 224-225, 225, 224-225; 209). Bei Wolff hieß es: „Quoniam in vi reprasntativa univrsi pro positu corporis humani organici conveninter mutationibus, quae in organis sensoriis contigunt, essentia ac natura animae consistit“. 447 Worin das eigentliche Problem der Koinzidenz von Gesichtpunkten liegt, das aus dem kritischen Kontext herausführen muss (in Anlehnung an das Zitat oben Brandt 1991, S.96). 448 „Nun wird durch das bloße Verhältnis doch nicht eine Sache an sich erkennt: also ist wohl zu urteilen, daß, da uns durch den äußern Sinn nichts als bloße Verhältnisvorstellungen gegeben werden, dieser auch nur das Verhältnis eines Gegenstandes auf das Subjekt in seiner Vorstellung enthalten könne, und nicht das Innere, was dem Objekte an sich zukommt“ (KrV B 67; Van Cleve 1991, S.347).

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Projizieren innerer Vorstellungen auf die Welt vorsieht449, möchten und müssen wir entgegensetzen und geradezu definieren: Projektion im allgemeinen Sinne bedeutet die Erzeugung eines Vorstellungsprodukts (oder auch Schemas im Sinne des wohlbekannten transzendentalen Problems450), in dem die beiden metaphysischen Richtungen zur Koinzidenz gelangen (und der Möglichkeit nach gelangen müssen). Und nicht etwa ‚nur‘ eine überdies psychologisch aufgefasste Pattern Re-kognition, sondern die Semantik ist elementar betroffen451.

5 „Determinationes possibilis aut sunt in eo repraesentabiles, etiamsi nondum spectetur in nexu, absolutae, aut tunc demum, quando spectatur in nexu, respectivae (assumtivae). Determinationes possibilium respectivae sunt respectus […]. Respectus possibilium in iisdem in se spectatis non repraesentabiles sunt relationes (strictius dictae, ad extra). Relationes possibilium sunt eorundem determinationes externae, (relativae, ad extra, extrinsecae) reliquae omnes, internae“452.

Zu Historie und Orientiertheit inklusive Nachweis der Subordination aus Anschauung. Baumgarten, den wir hier zitieren, hat Leibniz’ Point de Vue in eine Formel der Vorstellungskraft der Seele, die von der Lage des Körpers abhängig ist, übersetzt. Dass Gesichtspunkt – und Lage, die er absolut auffasst – eigentlich koalieren müssen und das Vermögen der Projektion, eine hiermit konstatierte unmittelbare, natürliche facultas projectiva, ergeben, ist in seiner empirischen Psychologie noch nicht nachzuvollziehen. In der Perspicacia gibt es, symptomatisch, lusus und subtilitates453, aber die eigentliche Quelle für die Differenz zwischen diversitates identitatesque, die aus ihrer projektiven Differenz resultieren, benennt er (noch) nicht; dass sie, in Komplexion ihrer Merkmale, distinkt oder sensitiv sind, steht unbenommen (und ohne weiter zu ergründen, ob deren Klassifikation unter der Voraussetzung eines fundamental projektiven Vermögens erhalten bleibt)454. Dabei hätte er, um die Sphäre der Orientierung 449 Der Tenor des Artikels in der Rouledge Encyclopedia (1998) und der, wie oben erläutert, Projektion in der neueren Psychoanalyse und Sozialpsychologie (wie auch der Artikel in der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 1995, aufgreift). 450 Rezent p.e. Longuenesse 2004, S.494-495. 451 Philip Zimbardo, Psychologie, 6.Aufl. Berlin 1995; Stephen K. Reed, „Schemes and Theories of Pattern Recognition“, in: Handbook of Perception, hg. v. Edward C. Carterette, Morton P. Friedman, vol. 9, New York 1978, ch.4. 452 Baumgarten, Metaphysica, 7. Aufl. 1779, Hildesheim 1963, § 37, S.12. 453 Baumgarten, Metaphysica, § 576 (Hildesheim 1963, S.205-206). 454 Baumgarten, Metaphysica, § 575 (Hildesheim 1963, S.205).

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zu vollenden, weiterhin Anlass, die Relation vorne-hinten zu distinguieren, die mit Attention und Memoria, weiterhin den beiden auf Zukünftiges gerichteten Fakultäten praesagitio und praevisio koalieren. Nicht nur, dass ein in Richtung Unendlichkeit projizierter Vektor (der als Erweiterung der affinen zur projektiven Geometrie fungiert), in der Realität in den Hintergrund weicht455, sondern auch in Abhebung vom Raum möchten wir generell eine nicht-reflexive, mithin unmittelbare Relation von Vorstellungen behaupten, die sich in dieser Form einander überlagern – oder projizieren –, um ein gegenwärtiges Produkt als Vorstellung des Bewusstseins zu bilden, das, im Minimum, stets Konzentration und ein teilbares (polares) Zentrum aufweist. Die series perceptionum, die Leibniz entwarf und der metaphysischen Konstitution einer Substanz vorschrieb, erhält hierdurch eine natürliche Gesetzmäßigkeit, die er zwar noch nicht vorsah, die aber, im Vergleich mit der Bildserie (als Cinematographie), der lebendigen, originären Reihe von vornherein eine Eigenschaft zuschreibt, welche der mechanisch-technischen, überdies auch der künstlerischen unmöglich bzw. nur dem Scheine nach möglich ist, obgleich beide nunmehr auf Projektion basieren. Jedenfalls wird ihre Spaltung in eine Primär- und Sekundärentfaltung, wie sie Leibniz lehrte, und dass keine für sich je zu vergegenwärtigen ist, erklärbar (wie es offensichtlich auch dem späteren Fichte vorschwebte). Es sei dieser Kontext, der in eine neu zu formulierende Fakultätenlehre übergeht, an dieser Stelle verlassen, um die systematische Fragestellung im Umkreis der zeitgenössischen Literatur zu Kant aufzugreifen. Da hier durchgehend, der Vorgabe von Leibniz und Kant folgend, die Projektion nicht berücksichtigt wird456, obgleich gemäß dem Satz von Desargues und Pascal die Orientierung auch für den dreidimensionalen (und nicht erst sphärischen oder hyperbolischen457) Raum fest etabliert ist458, seien zwei wesentliche Argumente exponiert und festgehalten.

455 Einführung des Koordinatensystem als anschauliche Basis der Projektion: Sperner 1963, S.152-157; Cederberg 2000, S.219-220. Bei Klein die imaginäre Fundamentalfläche zweiten Grades (1975, S.196). 456 Obgleich er zuletzt noch einmal die Weltgegenden und den Horizont aufgreift, bleibt die Projektion ungenannt (Kant, Was heißt, sich im Denken orientieren?, in: AA Band 8, S.134-135). 457 Cederberg 2000, S.51-60; Martin Gardner, „The Ozma Problem and the Fall of Parity“, in: James van Cleve, Robert E.  Frederick (Hg.), The Philosophy of Left and Right, Dordrecht 1991, S.77, 79-80; Van Cleve, “Incongruence and Things in Themselves”, in: ebd., S.343. 458 Auch Lamberts Reduktionsmethode, die Tangens-Leiter der Nomographie, bei der der Abweichungswinkel des Fluchtpunktes auf der Horizontallinie von der

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I 1. Der Tatsache folgend und Nachdruck verleihend, dass „Kants Philosophie ohne die Logik nicht denkbar ist, die Transzendentalphilosophie die Schöpfung einer eigentümlichen Logik“ darstellt und daher der „Formbegriff “ eine beständige Reflexion verlangt, in der die Philosophie seinem „Primat“ die Möglichkeit zusprechen muss, schon in den „Anfangssetzungen“ und nicht erst über die Erschließung syllogistischer Figuren wirksam zu sein – wo sie eine dialektische oder „artifizielle“ Bedeutung entfalten459 –, sei (a) festgehalten und in genere vorangestellt, dass die Orientierung und das Problem, dass sie von Seiten der Inkongruenz von Gegenstücken stellt, eine primär logische Erschließung verlangt. Die genaue Bedeutung dieser Behauptung sei an dieser Stelle gegeben, ihren Nachweis aber müssen wir der gesamten Abhandlung vorbehalten – auch die Fundamente der Projektion, als projektive Raumanschauung, haben an ihr unmittelbar Anteil und bilden ein wesentliches Beweisstück, wie sich sogleich zeigen wird. Baumgarten exponiert in Paragraph 37, dass „beziehungsweise zukommende Bestimmungen“ möglicher Dinge, die nicht darstellbar sind460, Relationes („Verhältnisse“) oder determinationes externae („äußere Bestimmungen“) sind461. Die Struktur dieses Arguments liegt auch der Argumentation Kants zugrunde, nicht nur im Sinne aller „Verhältnisvorstellungen“, sondern insbesondere auch dann, wenn es gilt, die Frage zu beantworten, ob die externe(n) Relation(en), wenn sie die Orientierung der inkongruenten Gegenstücke ausdrücken, auf intrinsische reduzierbar seien462. Unter den drei einschlägigen Quellen gibt die Dissertation

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Lotgerechten zwischen Gesichts- und Hauptpunkt gemessen wird, ist, in unmittelbarer Nähe zu Kant, einschlägig (§ 26, in: Schriften zur Perspektive, Berlin 1943, S.200). Brandt 1991, S.89, 90-91, 96-97, 102. „Ich nenne es Gefühl; weil diese zwei Seiten äußerlich in der Anschauung keinen merklichen Unterschied zeigen“ (Kant, Was heißt, sich im Denken orientieren?, in: AA Band 8, S.134-135; vgl. II, S.379). Nach der eigenen Übersetzung Baumgartens (Metaphysica 7. Aufl. 1779, Nd 1963, S.12) vs. Leibniz, gemäß Rescher 1982, S.69, der darüber hinaus ein fundamentum in re und Reduzierbarkeit für Relationen auf einfache Attribute verlangte. Eine Position, die Earman ins Spiel bringt (S.174), Van Cleve unmittelbar im Anschluss an Leibniz (und Bukofzer) für die Möglichkeit, den Raum und Figuren als Dinge an sich anzusehen, veranschlagt (S.344-346), während Sklar die intrinsische Eigenschaft – „Handedness“ oder to be enantiomorphic – von der Bedingung des Raumes abhängig macht („Incongruous Counterparts, Intrinsic Features and the Substantiviality of Space“, in: Van Cleve 1991, S.179-180). B 67, wie soeben zitiert, ist eine Möglichkeit, die Struktur des Arguments unmittelbar bei Kant nachzuweisen.

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eine eindeutige Antwort (von der wir nicht glauben, dass sie durch die kritische Systematik zu modifizieren ist, sondern im Gegenteil, von der aber schon der Titel der ersten den wahren Grund angibt und im Text erläutert463): [I.] „Hic non nisi quadam intuitione pura diversitatem, nempe discongruentiam, notari posset“ – nur durch eine Art von reiner Anschauung kann hier die Verschiedenheit, nämlich die Inkongruenz, bemerkt werden464. Der Satz repräsentiert den Hauptschluss darüber, wie vollkommen ähnliche, aber inkongruente Gegenstücke zu erkennen – und zu unterscheiden – sind, wobei die diversitas auch voraussetzt, es sei unmöglich, [II.] „ut termini extensionis coincidant“465. Aufgrund dieser Voraussetzungen muss sodann aber nicht etwa nur auf die Geltung einer reinen Anschauung (oder aber, früher, eines absoluten Raumes) geschlossen werden466, sondern, wie in der Einleitung angekündigt, eine andere These Kants außer Kraft gesetzt werden (die eigentlich ein rationalistisches Dogma repräsentiert), die er in der Dissertation zweimal aufstellt und – schon durch die Anlage der transzendentalen Ästhetik – in der kritischen Systematik übernimmt: dass (b) alle Intuition oder räumliche Anschauung auf einer nur außerlogischen Beiordnung (Koordination) beruhe und auch nur eine solche ermögliche: [III]. “Sensatio, praeterea autem aliquid, quod vocari potest forma, nempe sensibilium species quae prodit, quatenus varia sensus afficiunt, naturali animi lege coordinantur“467. 463 „Sogar sind unsere Urtheile von den Weltgegenden dem Begriffe untergeordnet, den wir von Gegenden überhaupt haben, insofern sie in Verhältnis auf die Seiten unseres Körpers bestimmt sind. Was wir sonst am Himmel und auf der Erde unabhängig von diesem Grundbegriffe an Verhältnissen erkennen, das sind nur Lagen der Gegenstände unter einander“ (Kant, Über den ersten Grund der Unterscheidung der Gegenden im Raume, in: AA Band 2, S.379). 464 Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 15, C, in: AA Band II, S.403. 465 Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 15, C, in: AA Band II, S.403 ([…] eine Verschiedenheit, aufgrund deren die Grenzen der Ausdehnung unmöglich zusammenfallen können […]. 466 Norman Kemp Smith, „The Paradox of Incongruous Counterparts“, in: Van Cleve 1991, S.43-44. 467 Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 4; versus § 5: „Datis igitur cognitionibus sensitivis, per usum intellectus logicum sensitivae subordinantur aliis sensitivis, ut conceptibus communibus“, § 10, in: AA Band II, S.392, 393, 396.

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Dass beziehungsweise zukommende Bestimmungen deutlich in Richtung des polaren Gegensatzes weisen und Links- versus Rechtsseitigkeit ja auch tatsächlich eine solche dokumentieren, bedeutet eine Erklärung der Nichtreduzierbarkeit aus anderer Sicht. Da sie aus dem historischen und rezenten Kontext herausführt, sei sie zunächst nicht weiterverfolgt: die inkongruenten Gegenstücke repräsentieren sehr wohl eine Einheit, jedoch gerade jene, aus der der polare Gegensatz hervorgeht, und mit der Reduktion müsste sie sich selber aufheben. 2. Legt man Kants Hauptschluss zugrunde, den auch § 13, Anmerkung I, der Prolegomena aufrecht erhält468, dann liegt die Kardinallösung der inkongruenten Gegenstücke zunächst darin, einzusehen und logisch zu etablieren, dass, artikuliert über die beiderseitigen Fakultäten (S vs. I) und den Modus ihrer Implikation, die Distinktion durch eine effektive Subordination geschieht (wie auch die frühere Schrift von 1768 etabliert, indem sie sich in derselben Form des Arguments auf die Unterordnung des Begriffes anstatt der reinen Anschauung beruft469). Legt man die folgende Feststellung zugrunde, dann muss auch für sie die Subordination als wahre Konsequenz erkannt werden. „Spatial determinations are not, as Leibniz teaches, subsequent to, and dependent upon, the relations of bodies to one another; it is the former that [representing Kant’s solution] determine the latter“470. Wenn nun von Anbeginn determinative Beziehungen involviert sind, dann ist ebenso nicht einsehbar, warum nicht bereits die zitierte „Koordination“ der natürlichen „species sensiblium“ logischer Natur ist oder die logische Ordinationsfähigkeit des Bewusstseins beansprucht, die – als natürlicher Usus – somit nicht allein dem Intellektualgebrauch oder „oberen Seelenvermögen“ vorbehalten werden kann471. Weiterhin müssen aber 468 Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, § 13, in: AA, Band IV, S.285-286. Wir ziehen ab, dass Kant hier auch behauptet, die Unterschiede durch Spiegelung seien „innerlich“, weiterhin, es seien diese Erscheinungen keine Dinge an sich. Gleichwohl beansprucht Kant, ein Sprachgebrauch, der alle kritischen Quellen durchzieht, auch hier den Bestimmungsbegriff unmittelbar („die innere Bestimmung eines jeden Raumes nur durch die Bestimmung des äußeren Verhältnisses zu dem ganzen Raum“) als Bestimmtsein innerer Eigenschaften, und er gerät in Konflikt mit seinem Begriff theoretischer Erkenntnis: auch der Anschauung muss, siehe oben, Bestimmung aus sich selbst oder kraft Bestimmung des Verstandesvermögens innewohnen. 469 Wie soeben zitiert. 470 Kemp Smith 1991, S.44. 471 Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 5, in: AA Band II, S.393. Wir verweisen an dieser Stelle bereits auf die Ergebnisse der neueren

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insbesondere auch die „leges empiricae“, wenn sie mit der Veranlagung geometrischer Grundsätze einhergehen und als „formae sensitivae principia (respectus in spatio determinati)“ den Verstand zum Zweck logischer Schlüsse beschäftigen, jedoch „non excedunt sensitivorum classem“472, bedeuten, dass die logische Materie, ihr Vermögen, nicht außerhalb, sondern innerhalb der sinnlichen Formen zu veranlagen ist, so dass diese von vornherein die logische Wurzel inkludieren473: schon den intrinsischen Relationen muss insbesondere mit den geometrischen Figuren eine logische Ordination zukommen, was heißt, Punkt, Linie und Fläche, Winkel und Kurve sind allesamt, sobald sie (gemeinsam) auftreten, nicht unmittelbar – ‚automatisch‘ – einer und derselben logischen Ebene zuzuordnen (was, als „koordinantur“, eine gewissermaßen blinde oder einer bloßen Naturkraft folgende Anschauung leisten müsste, die sodann rein genannt wird, denn der Begriff ist es, dem Argument zufolge, ausdrücklich und durchgehend nicht474). Sondern sie sind in und durch die Figur einer eigenen, originären Klassifikation oder logischen Subordination unterworfen, die Substrat um Substrat an die Implikation und Korrespondenz (Konvertibilität) der Fakultäten bindet. Schon mit der Klassifikation von AB als Linienprodukt zweier Punkte, oder aber umgekehrt, den beiden Grenzpunkten A, B aus der Linie (Geraden) a beginnt die logische Arbeit (was wir als Beweis dem weiteren Haupttext vorbehalten)475.

Recognitionspsychologie, insb. auf „Analysis by Snthesis“ – ein nachhaltiger Befund in diesem Bereich besteht darin, dass die Disambiguierung zweideutiger Figuren seriell geschieht. Von der Philosophie her kann unter dieser Voraussetzung die Logik als Ordnungsprinzip nicht mehr abgehalten werden, umso mehr, als es gilt, den Widerspruch zu involvieren und eine Disjunktion zu entscheiden (Reed 1978, S.148-150. Siehe auch Kap. IV.A.Kategorien der Anschauung). 472 Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 5, in: AA Band II, S.393-394. 473 Wie verweisen an dieser Stelle noch einmal auf den Art. „diagrams“ in der Stanford Encyclopedia in insbesondere Zusammenhang mit dem Beweis der Syllogismen. 474 In direktem Gegensatz zum Schluss der transzendentalen Deduktion, die glaubt, auf den Einfluss der Kategorien bei der produktiven Einbildungskraft schließen zu dürfen, ohne einen Zirkel zu begehen (KrV B 154). 475 Wir glauben nicht, dass sich die Philosophie hiermit in Gegensatz zur neueren Axiomatik in der Mathematik begibt, etwa am Beispiel Hilberts und dessen Rezeption (Marvin Jay Greenberg, Euclidian and Non-Euclidian Geometries. Development and History, W.H.Freeman 1972, Kap.3). Ausdrücklich ebenso, wie oben behandelt: Poincaré 1913, S.164.

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3. Die extrinsische Relation aber, die, so Baumgarten, und Kant im Aufsatz über Orientierung476, „non repraesentabile“ sei, gleichwohl auf der „Möglichkeit eines Verhältnisses beruhe“477 (wie auch Baumgarten), welche „kein Verstand als innerlich angeben kann“478, repräsentiert demnach eine erneute und – andere, insbesondere übergeordnete – logische Ebene, hervorgehend aus Scheitel und Achse (oder Möglichkeit der Spiegelung in der Ordination des Bewusstseins); denn, wie bereits zu sehen war (Hauptschluss der späteren Quelle) „die innere Bestimmung eines jeden Raumes ist nur durch die Bestimmung des äußern Verhältnisses zu dem ganzen Raume […] (dem Verhältnis zu äußeren Sinne) […] möglich“479. Von Leibniz her geht dieses Verhältnis als Relation (und in einer komplexeren als der verkürzten Form, auf die Kemp Smith referiert) mit dem idealisatum oder in mente einher480. Relationen gewinnen ihre Berechtigung durch, zuletzt, das ens rationis. Hier jedoch, im Kontext manifester Orientierung, in dem die Relationalität durch (wenigstens) eine definitive Achse über allen Lagenverhältnissen definiert wird, muss sie kraft Projektion, in denen diese Verhältnisse stattfinden und sich manifestieren – die instantane Links- versus Rechtsseitigkeit ist ihr Werk –, in eine andere Systematik ersetzt werden, in der der Gesichtspunkt (als ein der Möglichkeit nach, nicht aber ausschließlich geometrischer) enthalten ist481: als die eigentliche Instanz, kraft derer das Seitenproblem, die Lage der Gegend, zu distinguieren ist. Ist er als Projektionszentrum etabliert, kann (kraft P ⇒ O) sogar die Orientiertheit als eine innere (intrinsische) Eigenschaft eines Gegenstands aufgefasst werden (denn wegen ¬[O ⇒ P] würde keine Mehrdeutigkeit entstehen können). An und für sich inkludiert diese innere Eigenschaft jedoch weder das Projektionszentrum, noch ist es möglich, die Orientiertheit (insbesondere inkongruenter Gegenstücke) außerhalb dieses Zentrums (ohne seine Veranlagung) festzulegen482, (was mit dem Schluss auf Polarität oben übereinstimmt). (I), der

476 Kant, wie zitiert, Was heißt, sich im Denken orientieren? (AA, Band VIII, S.131-148). 477 Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Anmerkung zu § 13, in: AA Band, S.285. 478 Kant, Prolegomena, Anmerkung zu § 13, in: AA Band IV, S.286. 479 Kant, Prolegomena, Anmerkung zu § 13, in: AA Band IV, S.286. 480 Mugnai 1992, ch.VII. 481 Der, wie schon bemerkt, neben dem Horizont noch immer nicht in dem abschließenden Aufsatz Was heißt, sich im Denken orientieren? erwähnt wird (AA, Band VIII, S.131-148): die Projektion bedeutet die klassische Auslassung. 482 Das Zentrum der Argumentation von Martin Gardner, „The Ozma Problem and the Fall of Parity“, in: Van Cleve 1991, S.75-95.

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­ auptschluss, der „quadam intuitione pura diversitatem“ eigentlich verlangt, H die Subordination aus Anschauung (statt „aus Begriff “ in derselben Position des Arguments) manifest zu machen, impliziert darum die unmittelbare Kontradiktion der Behauptung der bloßen Beiordnung, die Kant zuvor wie oben [III] für den Raum in allgemeiner Form aufgestellt hatte483. Die einfache Verallgemeinerung besteht insbesondere darin, dass der Raum – als Bewusstseinstatsache – nicht allein und nur durch eine einfache (historisch lange gepflegte) anschauliche und primäre Koordination zustande kommt, und die Lösung des Widerspruchs und der inkongruenten Gegenstücke läuft darauf hinaus, der Anschauung die logische Wurzel, mithin auch freie Subordination zuzugestehen, was unmittelbar widerspruchsfrei in die Projektion übergeht484 und mit folgender Formel zum Ausdruck gebracht sei: (1) ∃z ∀x ∀y ∃R[G(z) ⇒ (xSOyD ⇒ yR1, 2, … nx = xR1, 2, … ny)] Erläuterung. Die Formel besagt, es gibt einen Gesichtspunkt G von einem Projektionszentrum z, für den gilt, er impliziert die Orientierung(sachse) aller linksund rechtsseitigen in der Ebene oder im dreidimensionalen Raum gelagerten Figuren/Objekte ›xS‹ versus ›yD‹, wobei diese Achse weiterhin ein Verhältnis impliziert, nach dem eine innere oder intrinsische Relation ›yR1, 2, …, nx‹ mit der konträren Relation ›xR1, 2, …, ny‹ identisch ist, indem sie sich nur danach unterscheiden, ob die Relation von ›y ‹oder ›x‹ her ausgezählt wird. Diese Relation (als x/yR 1, 2, …, ny/x) muss, dem Problem der inkongruenten Gegenstücke zufolge, mit dem Existenzquantor einhergehen, denn auch Figuren/Gegenstände, die das Problem der Paarigkeit gar nicht aufwerfen, können gleichwohl Orientierung ausdrücken, so dass die zweite Inklusion (die Kants Hauptargument wiedergibt) die Differenz dieser Möglichkeit ausdrückt485: Handedness oder Orientiertheit ist demnach logisch nicht derselben Ebene wie die übrigen Relationen angehörig (ebenso wie das Schneiden zweier Geraden, die selbst Parallelen sind, nicht

483 „Spatium non est aliquid obiectivi et realis, nec substantia, nec accidens, nec relatio; sed subjiectivum et ideale et e natura mentis stabili lege profiscens veluti schema, omnino externae sensa sibi coordinandi“ (Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 15 D, in: AA Band II, S.403). 484 Z.B. beruft sich der Artikel „Projektion“ darum ohne Weiteres auf Vektorunterräume unter der projektiven Hauptebene (in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 3, S.356). 485 Poincaré 1913, S.166-167 zum Verhältnis der Differenz der „axiomes de l’ordre“ (II) du „axiomes projectifs“ (Axiome der Verknüpfung bei Hilbert; I), welche, ohne Abhängigkeit, die Analysis situs ermöglicht.

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derselben euklidischen Ebene angehören können486, es sei denn, sie gehören zur elliptischen oder hyperbolischen). Ferner halten wir die Quantifikation über eine Relation (die hier die intrinsischen Eigenschaften der Figuren/Gegenstände ausdrückt) für berechtigt (w.o. auch Russells Korrespondenzformel [4]), weil über ›G‹ die Projektion und damit die ontologische Grundlage eindeutig definiert ist: der Forderung gemäß, sind ›xS‹ und ›yD‹ – auf derselben logischen Ebene – nicht nach je ›yR1, 2, … nx‹ oder ›xR 1, 2, … ny‹ auflösbar (weil sich tatsächlich, um diese Verwechslung, eine projektive und eine nicht-projektive Bedingung begegnen, und die materielle Anordnung mit der projektiven einhergeht). Im Ganzen gesehen ist daher die Beiordnung von ›R1,2,… n ‹(die noch eine logische Vereinfachung darstellt487) nicht mit der logischen Ebene von ›O‹, und ›O‹ nicht mit der von ›G‹ identisch (was auch für die – projektive – Fundamentalebene zweiten Grades bei Klein gilt, kraft derer die Maßverhältnisse der drei Geometrien zu distinguieren sind; und schon Desargues schloss regelmäßig, etwa im Beweis zu Figur 14 des Brouillon Projet, auf den höchsten Grund des Scheitels [„but du sommet“]488, abgesehen von einer „génération des figures“ infolge verschiedener Kegelschnitte und der Differenz der „especes“ bei der Erzeugung der Kegel aus dem Rouleau: Wir müssen dafürhalten, die logische Unterscheidung, die in seine Formulierung eingeht und durch anschauliche Konstruktion erzeugt wird (wofür freilich antike Tradition einsteht), ist ein Produkt aus der Bestimmung des Verstandes durch die Sinnlichkeit – die freilich, wie erläutert, nicht als der bloße Datenspender oder Komtor aufzufassen ist – bzw. ein durchgehender

486 Sperner 1963, S.157: in einem zum projektiven Raum erweiterten affinen Raum gilt: „Zwei verschiedene Geraden der projektivem Ebene schneiden sich immer in genau einem Punkt“ (ein wohlbekanntes Axiom der projektiven Geometrie, zumeist als IV. gezählt). 487 Sagt man, p.e., R1 bedeutet einen Umfang von drei distinkten Seitenlängen, dann müsste man die Winkel inkludieren (et reverse, beziehungsweise nach den Gesetzmäßigkeiten des euklidischen Dreiecks vorgehen. Im Übrigen ist die psychologische Distinktionsfähigkeit geometrischer Objekte gut eruiert, allerdings stets ohne Bezug auf die Logik (Reed 1978). Andere Beispiele für R: Van Cleve 1991, S.343 (die Winkelbeziehung in dem Satz: „spherical triangles would differ in that the direction from middle to largest to smallest angle would clockwise in one and counterclockwise in the other“. Gardner 1991, S.84-86. Kant selber in § 13, wenn er von der Beschreibung euklidischer oder sphärischer Triangel spricht. 488 Was in der modernen Mathematik wiederkehrt und hier am Ende der Darlegung zur Ordonnanz in Zusammenhang mit Cederberg 2000 aufgegriffen wird.

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Beweis für die Konvertibilität des Bewusstseins489, was somit für alle anschauliche Konstruktion gelten muss). Ohne dass ›O‹ eine spezifische Differenz ist (die nicht wie ein Gattungsbegriff, so Aristoteles, behandelt werden dürfte490), kann man gleichwohl in der Alternative direkt über diese Achse quantifizieren, um daraus die orientierte Differenz von ›xS‹ und ›yD‹ auf derselben und alle anderen Eigenschaften auf der(n) nächst(unteren) Ebene(n) hervorgehen zu lassen. (Sobald aber, trotz ›O‹, nicht ›yR1x = xR1y‹, würde ein und ›∧‹ anstelle der zweite Inklusion ›⇒‹ die Formel falsch werden lassen, umgekehrt bestünde bei einem ›∨‹ die Möglichkeit, dass die Äquivalenz von ›yR1x = xR1y‹ gegeben, ohne dass Orientiertheit vorliegt; woraus ersichtlich, dass effektive Subordination vorliegt). 4. Ohne an dieser Stelle weiter in den Traktat der Texte Kants einzudringen, vielleicht auch, um sie weiterhin mit Texten der modernen Axiomatik zu konfrontieren491, in denen immerhin die Logik in der Beschreibung und Folgerung der elementarsten geometrischen Tatsachen Eingang gefunden hat, kann der „Beweis von durchgängiger Gleichheit zweier gegebener Figuren“ so wenig wie der „vollständige Raum (der selbst keine Grenze eines anderen Raumes mehr ist)“ und auf dem synthetischen Satz beruht, „daß sich in einem Punkt nicht mehr als drei Linien rechtwinklig schneiden können“, „unmittelbar auf Anschauung beruhen, und zwar [auf] reiner [Anschauung] a priori, weil er apodiktisch gewiss ist“492. Das Apriori oder die apodiktische Gewissheit gehört zum logischen Fundament des Bewusstseins, mithin zu den Ordinationsbeziehungen, die das Bewusstsein den erwähnten Vorstellungen tatsächlich inkludiert. Ebenso wie das Bewusstsein bei der Deutung empirischer Figuren Beziehungen zwischen den Eigenschaften voraussetzt, die anderen Beziehungen zur Voraussetzung dienen493, unterliegt auch die geometrische Figur derselben Bedingung (die sodann nicht nur eine erkenntnispsychologische, sondern vor allem auch logische ist): wenn etwa, (i) um ein Dreieck zu konstituieren, a und c einen Schnittpunkt inkludieren, dann müssen (ii) auch b und c sowie a und b derselben Bedingung gehorchen. Es liegt demnach keine einfache, reine, nicht weiter analysierbare Erfahrung zugrunde, 489 Desargues, Brouillon Proiect d’une atteinte aux evenemens des rencontres du Cone avec un Plan, in: L’Oeuvre Mathématique de G. Desargues, hg. von René Taton, Paris 1988, S.147, 135. 490 Aristoteles, Topik 126b, in: Philosophische Schriften 2, Darmstadt 1995, S.85. 491 Neben Hilbert und Weyl auch die axiomatischen Einführungen in den modernen Lehrbüchern der Geometrie (Albert/Sandler 1968; Gardner 1981, Cederberg 2000). 492 Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, § 12, in: AA Band, S.284-285. 493 Reed 1978, S.138.

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keine bloße ‚Koordination‘ (die immerhin bereits logischer Natur wäre), sondern stets Bestimmungs- und sich inkludierende Ordnungsverhältnisse, an denen zuerst die Vermögen, sodann deren Leistungen (oder Substrate) teilnehmen494. Hingegen gehört der „vollständige Raum“ ohne innere (oben Satz II) noch äußere Grenzen (als deren absoluter Limes) und wenn ihm auch der Sehkegel nicht inkludiert wird (so dass er, mathematisch besehen, weder affin noch projektiv ist), in den Bereich einer nicht-empirischen Imagination, wenn nicht Erfindung; denn eine subjektive Anschauung kann es hier nicht geben, nicht einmal Bewusstsein, das zu einer Erfahrung imstande. In einem bestimmten Sinne mag somit gelten, dass Aussagen über eine Wirklichkeit ohne alle Beziehung auf Bewusstsein unmöglich sind. Wenn aber die Einsicht, dass der Raum „drei Abmessungen habe“, „nicht aus Begriffen“, sondern nur durch die Veranlagung des Schnittpunkts dreier rechter Winkel geleistet werden kann, dann muss das Wort rein zu einem Epitheton verfallen und tatsächlich den ersten Fehlschluss über die logische Wurzel (die Analysis der Transzendentalphilosophie) enthalten, kaum dass dieser Satz selber, von seiner logischen Bedeutung her, einfach und ohne immanente Implikation wäre (was hier nicht ausgebreitet werden soll). II Die Bedingung (II) aber, dass Gegenstände nicht aufgrund ihrer äußeren Grenzen koinzidieren, bildet das zweite Argument, mit dem wir das Thema schließen wollen. In Paragraph 13 der Prolegomena beansprucht Kant (nicht ohne ­Verständnis- als Verwechslungsschwierigkeit) die menschlichen Hände als Umrisse (mithin als unmittelbare und isometrische, bloße Spiegelprojektionen): hierdurch kann (bei Aufhebung und Vertauschung des Realgrundes) eine rechte im direkten Spiegelbild zur linken werden. Die Inkongruenz in der Ebene (die er proponiert), und unter welchen Bedingungen sie auflösbar ist, bildet das manchmal nur Seitenargument, zumeist aber Tenor der Beiträge in Van Cleve 1991. Insbesondere Gardner hat, in der theoretischen Situation, in der einem außerterrestrischen Wesen die effektive Lage auf dieser Erde erklärt werden müsste, dargelegt, wie die Dimensionalität mit der Auflösbarkeit zusammenhängt, indem durch die Addition einer erneuten Dimension jede Inkongruenz in eine Kongruenz verwandelt werden kann495. Mit dieser Situation ist aber auch die 494 Wir erinnern – Bestimmung an der Unterordnung von Begriffen und/oder an der der Inklusion (Subordination) von Fakultäten ist somit verschieden (versus Lee 2004). 495 Außer dem erwähnten Beitrag „The Fourth Dimension“, in: Van Cleve 1991, S.66-67.

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Projektion innerlich sehr eng verwandt, geradezu verklammert. Denn, wie zu sehen war, das Problem liegt nicht nur daran, „eine Art von absoluter, objektiver Struktur“ – „a kind of three-dimensional lattice“496 – zu eruieren, die aus sich selbst, als reale Bedingung oder Eigenschaft, über die Orientiertheit entscheidet. Die Logik verlangt vielmehr, es muss auch und insbesondere die Form der Anschauung des Bewusstseins selber imstande sein, die Ordination (den Schluss von – auf) zu leisten. Wenn aber (wenigstens) beide Gründe (im metaphysischen Sinne) veranlagt werden müssen497, und wirksam sind, dann ist von vornherein die Bedingung der Projektion gewährt, und es kann keine potentielle Situation, die irgend Argument erwägen will, jenseits und vor dieser Bedingung veranschlagt werden – wozu auch der neuralgische Punkt, das gewissermaßen Nervenzentrum der Philosophie Kants, das Ding an sich, zählt. Geordnete (n+1)-tupel der Form [ξ0, ξ1,…, ξn], die den Punkt P = (x1, x2, …, xn) ausdrücken und den affinen Rn in den projektiven Pn übergehen lassen498, sind somit geradezu Bedingung der Möglichkeit, dass ein zunächst natürliches Bewusstsein imstande ist einzusehen, wie eine orientierte Differenz dennoch, durch Hinzunahme einer neuen Dimension, zu einer Kongruenz werden kann. Es wird, im konstruktiven Sinne, möglich, das Lot der Definition zu begreifen, dass auf der Achse des inkongruenten Paares ruht (Definition, [2]). In einem historischen Sinne glauben wir daher nicht zu fehlen, wenn wir behaupten, die im klassischen Zeitraum berühmte gewordene ‚Mitte‘ des menschlichen Bewusstseins in der unendlichen Kontinuität (Pascal, Leibniz)499 berührt hierdurch eine Verankerung, die das Arbitrium, in der sich das Bewusstsein zunächst glauben könnte, übersteigt. Vielleicht sollte, mehr noch, auch der Knoten, der das menschliche Leben an eine bestimmte Uneinsehbarkeit über seine Dimension hinaus bindet, seine mangelnde Transparenz verlieren. Das Leben ist freilich kein Theater, aber die Politik beweist ihn überaus. Zusammenfassung und Schluss. 1. Eine Verhältnismäßigkeit unter Begriffen, wenn nicht Übung in der aristotelischen Dialektik, noch unmittelbar Übersetzung in die Charakteristik, wie sie 496 Gardner 1991, S.64. 497 Was, in einer nunmehr anderen Systematik, immerhin ausdrücklich auch der Auflösung der Relationen bei Leibniz zugrunde liegt (nicht nur „logisch, sondern metaphysisch“, Rescher 1982, V § 5). 498 Sperner 1963, S.158ff. Die umgekehrte Situation, übergehen des Kegels in die „gewöhnliche Maßgeometrie“, Klein 1871 in: Becker 1975, S.196. 499 Heute p.e. Liske 2004, S.28, 30-31, 32.

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Leibniz anstrebte (um auch das Problem der Symmetrie des Bewusstseins unter seinen sinnlichen versus intellektualen Vermögen anzurühren), wird bei Kant zu einem Verhältnis unter Vorstellungen. Der Kanon der Kritik, unermüdliches Hauptargument, verlangt für Erkenntnis und Zustandekommen von Wahrheit ein Zusammentreffen von Anschauung (anschaulicher Leistung, in der Gegenstände, die vielleicht nur als Spur und Insignien der Realität enthalten sind) und Intellectus, der seine Begriffe beisteuert. Nun sollte, indem auch die Symmetrie ihren ursprünglichen Stellenwert zu erkennen gibt, da eine ausgedehnte Sphäre im Einen nicht notwendig eine Kontraktion oder gar Vernichtung (völlige Entleerung) in der anderen nach sich zieht, eine echte Proportion zwischen (i) der Ordination des Bewusstseins, (ii) seiner Symmetrie, (iii) der Konvertibilität und schließlich (iv) dem Aggregat seiner Vorstellungskraft nicht von der Hand zu weisen sein, der Projektion. Sollte wiederum die berühmtere Formel von der Einheit in der Mannigfaltigkeit, indem sie die Notwendigkeit des einen im anderen behauptet500, eigentlich die Polarität verkörpern, der das Bewusstsein – der menschliche Geist – als Kraft- und diffusierendes Vorstellungszentrum unterliegt, auch wenn es hierbei die unbedingte Harmonie dieser klassischen Formel verliert und in die Nachzeit des Kanons tritt, dann geht sie umstandlos zur letzten Stelle (iv) der Proportion über (als Komplementarität oder sogar Äquivalenz, da Projektion und Polarität auf das Engste miteinander gekoppelt sind und sich in der natürlichen, irreflexiven oder unmanipulierten Form absolut durchdringen). Nun hat sich deutlich gezeigt, dass in der Frage nach der Architektur des Bewusstseins, die ja eigentlich das erste Anliegen der Philosophie – und nicht ihre Voraussetzung – darstellen muss, diese Proportion unübersehbar in Erscheinung tritt, sobald die Fakultäten ihren Plan verlangen oder preisgeben: entweder (i) ein Auswurf bloßer Kontingenz, uneinsehbarer ‚Natur‘ (im schlechten Sinne) zu sein, oder aber (ii) und konträr, die logische Facultas in der gesamten Breite zu beanspruchen (für deren Kern noch Kant, mithin die klassische Wurzel namhaft gemacht werden kann), sobald das Verhältnis, das sie eingehen, auch wirklich als Ordination unter jedem modalen Gesichtspunkt wirksam wird (wobei sie nicht nur die Subordination impliziert, sondern das gesamte Spektrum der logischen Funktionen in der Wurzel der Fakultäten). Hat nun die Analysis auch hier ihren Gegenstand erkannt und sucht sie, einer an und für sich überlieferten Forderung getreu, nach einer Deckung und sachgerechten Erhebung der Sphären, nicht erst von Intuitus und Intellectus, sondern 500 KrV A 355, um im Kontext des Selbst diese Frage zu prüfen.

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auch, und insbesondere, von Wirklichkeit und Bewusstsein (analog zu Geist und Welt), dann muss noch einmal das letzte Glied, die Projektion, den Kern und die Bürgschaft der metaphysischen Beziehung erfüllen: als (i) echte und einsehbare (sogar leichthin kalkulierbare) Natur, nicht Akzidens oder Abstraktion, und (ii) zentrale Anlage seines Vorstellungsvermögens, die jede Gegenständlichkeit – oder Ding – erfasst und, da sich das Bewusstsein hiervon nicht eigenständig zu lösen vermag, auf die Statur des gesamten Bewusstseins umschlägt. Umso mehr, als sie auch das Spektrum der Symmetrie, ihre Negation eingeschlossen, zu erfüllen imstande ist, da eine gewählte Projektion ebenso ein Verzehren (die Flucht oder Entleerung als negative Spur) wie ein Entsprechen (im Sinne einer übergeordneten Homogenität) zu erfüllen imstande ist (eine Analyse, die nicht an dieser Stelle ausgeführt werden soll501, im Folgenden aber wenigstens der Möglichkeit nach durchgehend im Hintergrund steht). Vom Historischen her hat sich zuerst die Raumlehre im Licht der Proportionenlehre von der antiken Auffassung getrennt, auch wenn Appollonius und Pappus nachklingen und nicht die eigentliche, heute nicht-euklidisch genannte Geometrie Gegenstand ist502. Es ist Desargues’ Brouillon Projet, in dem das Theorem oder der Satz des Desargues zuerst auftaucht503, der seitdem aus den Lehrbüchern der Geometrie nicht mehr verschwindet, in dem aber (im Gegensatz zur heutigen und zur analytischen Geometrie) alle Beweise noch auf der Basis von Proportionen ausgedrückt sind504. Ein Philosoph mag sich fragen, warum dieser Gattungswandel, der der Klassifikation des Vergleichs von Beziehungen zukommt, nicht auch in seinem Fach Geschichte wurde. Die Antwort liegt, vorderhand, in dem Ausmaß, das der soeben umrissene Ort des Bewusstseins für sich in der Metaphysik zunehmend beansprucht hat und, allem Anschein nach, tatsächlich beanspruchen muss. Dass es in der Legislatur, die von ihm ausgeht, eine zweite, gleichrangige, geben könnte – eine, in der die Proportion das Wesen der Natur, das Verhältnis der natürlichen Existenzen, und eine zweite, in der dieselbe sein eigenes Hinzutreten bezeichnet, und verschieden ist –, erschien 501 Wesentliche Züge der Proportion weden im Abschlusskapitel deutlich (IV.B.3. „Über Wahrheit“). 502 Dieser Bezug auf die projektive Geometrie fehlt in Beckers Darstellung völlig. 503 Vgl. Zur historischen Einschätzung Field 1997. 504 Was Leibniz bei der Lektüre ausdrücklich gestört hat, obgleich ja auch er oft genug proportional bewies oder dachte (Leibniz. Opuscules et fragments inédits, edited from Louis Couturat, Paris 1903, Nd. Hildesheim  1966, S.98; Leibniz 1995, S.63 + introduction von Echeverrîa); Sutherland 2005 in Zusammenhang mit der Axiomenlehre bei Euklid.

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ihm nicht nur überflüssig, sondern unmöglich, wenn die Entscheidung stets und nur zwischen einer Erfahrung, die der Natur gehorcht, oder Erfahrung, die sich – als bloße Erscheinung der Natur – nach Gesetzen der Vernunft richtet, ausfallen kann (und die gelegentliche Übereinkunft, soll sie auch bestehen, entweder mit Kontingenz und Uneinsehbarkeit, oder einem Instinkt erklärt, in dem sich zugleich moralische Wahrheit als ein auch begreifbares – ‚rationales‘ – Prinzip niederschlägt)505. Die (oft durch den Widerspruch induzierte) Disjunktion, wie eine solche Entscheidung auch heißt, ist offenbar nur dann zu bewältigen, wenn sie eine echte Koinzidenz gestattet, und diese müsste, außer ihrer Setzung, indem sie das bloße Vermerktsein überragt und das wesentliche Moment ihrer Bedingung zu erkennen gibt, von ihrem Wesen her Projektion sein – um, wie eingeführt und mehrfach zu sehen, die Lage schlagartig zu verwandeln. „So ist auch der Begriff des Subjekts überhaupt nach Analogie des empirischen Subjekts gebildet. Es ist das ins Große, Allgemeine, Überempirische projizierte menschliche Subjekt. Diese Projektion ist für den Idealisten keine willkürliche. Sie bedeutet die Vermeidung des unhaltbaren empirischen Idealismus, der die Dinge für bloße Vorstellungen des empirischen Subjekts erklärt und dabei in die unheilbare Aporie gerät, nicht erklären zu können, wie das Subjekt dazu kommt, seine eigenen, selbstgeschaffenen Gebilde für gegebene Objekte anzusehen“506.

2. Soll diese historische Kennzeichnung der kritischen Position Kants durch ­Nicolai Hartmann zutreffen, dann erscheint sie in einem wesentlich Punkt unbedacht, der, insgeheim, die gesamte Architektur in Frage zu stellen imstande ist, auf die sich auch Hartmann noch immer stützen will – so sehr, wie sich die alten Klassen, die Ichno- und Orthographie Vitruvs von der Scaenographie unterscheiden507, kann auch hier die Einführung des „menschlichen“ ins Übergroße projizierten Subjekts nicht einfach neben dem anderen zu stehen kommen. Als fundamentale, überhaupt mögliche, ist die Bedingung zwingend und erfordert die Einbettung, da sie das Wesen der gesamten Situation verändert (und die Transzendentalphilosophie kann, im strengen Sinne, nicht sofort und ebenso Philosophie von Perspektiven sein). Denn ist es wirklich „Projektion“ – generell, nicht nur in Bezug auf das psychologisch, wenn auch nicht notwendig v­ erfängliche 505 Wir folgen einer Anregung von Hans Poser, “Innate ideas as the corner stone of rationalism. The Problem of moral principles” (Ms. 2005). 506 Nicolai Hartmann, „Geschichtliches und Übergeschichtliches in der Kantischen Philosophie“, in: Joachim Kopper und Rudolf Malter (Hg.), Materialien zu Kants »Kritik der reinen Vernunft«“, Frankfurt 1975, S.206-207. 507 s.o. Raynaud 2004/Vitruv (in Zusammenhang mit der Erläuterung der Konvertibilität).

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Subjekt –, dann wird die gesamte Legislatur der Metaphysik wegen der notwendigen Natur dieser Beziehung, wenigstens bilateral und untereinander eineindeutig508, umkehrbar. Und, theoretischer Eklat, es wäre der ältere ‚empirische Idealist‘ befriedigt, weil der Rechtsgrund, den sich das neuerliche ‚projizierte Subjekt‘ vorbehält, tatsächlich einen zweiten besitzt, den die ältere Philosophie für Tatsache[nwahrheit] oder für „bloße Vorstellung“ hielt. Dann aber, wie die Geometrie expressis figuris lehrt, muss keineswegs, sondern ganz im Gegenteil, der Gegenstand, wie er ist, sich an sich zeigt, auch im Licht seiner projektiven Erhebung derselbe, völlig homogen oder gleichartig sein, ohne hiermit die kritische Klausel der Unzugänglichkeit zu konzedieren. Ganz im Gegenteil, da ein wirkliches Verschlossensein, die projektive Bedingung als vollständige vorausgesetzt, unmöglich, solange sie ein notwendiges, gesetzmäßiges Sich-geben der Gegenstände, alles außerhalb des Bewusstseins Liegenden erklärt, in dem, je nach Richtung der philosophischen Auslegung, die Rezeptivität, die Passivität und die Synthesis einen bestimmten Knoten der Legislatur des Bewusstseins bilden. Und Hartmann fände ein Beweismittel, das ihm tatsächlich zu zeigen gestattet, warum auf der Basis der Analyse Kants wenigstens die Möglichkeit besteht, dass „der Gegenstand durch die Grenze des Bewusstseins in zwei heterogene Teile zerschnitten wird: einen empirischen und einen transzendentalen, einen bloß als Erscheinung seienden und einen ansichseienden“509. Die Heterogenität mag gelten, denn sie ist, als Spontaneität der Anschauung über instantane Grenzen, gegenüber der konträren Homogenität gut belegt und von Maß, Einheitsbildung und Fundament her der entscheidende Kontrast, der zur Projektion führt (überdies nicht mit der transingenten Unterscheidung zwischen Auto- und Heteronomie identisch. Projektion bewegt sich darüber). Weiterhin möchte man auch die Unterscheidung zwischen den Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen der Prolegomena, die oft behandelt und ins Reine zu bringen gesucht wurde, hier veranlagen510. So dass nicht etwa nur ein Problem der Bestimmung, Determination, zu klären wäre, sondern, an und für sich, bei der Wahrnehmung eine wesentliche (konstitutive) Projektion beteiligt ist, von der sich das Erfahrungsurteil (nach Kants Verständnis) zu entledigen sucht511. Dann muss freilich, wenn die Verabsolutierung der Kategorien (oder V ­ ernunft) nicht zutrifft, 508 509 510 511

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Am Modell von Lichtfall und Schatten, vgl. Casati 2004. Hartmann 1975, S.211. Wie erwähnt, Sassen 2008. Zuletzt, wie erwähnt, Lee 2004. Denn der Gesichtspunkt ist natürliche Instanz, während die Kategorie – gemäß Kant – das Gegenteil, die unbedingt spontane, der bloßen Vernunft zugängliche – äußert.

ein Zentrum der Identitätsbeziehung zwischen entweder Wahrnehmung-Erfahrung oder Natur-Vernunft in Erscheinung treten, an dem alles Zutreffen, innere Kohärenz (der Ebenen, der spontanen Verästelung), den wissenschaftlichen oder Erkenntnisimpuls leitet, so dass es zuletzt (etwa kraft inwendigem Verlassen auf die Kraft oder Macht der Sprache) ein deskriptives Nebeneinander von supponierten Substanzen mit anderwärts „Subjekt, Zeit, Zustand“, es sei denn aus methodischer Abstraktion, nicht gibt512. Was Hartmann noch ganz unbedacht lässt – übrigens auch die Mathematik, insoweit sie sich der Alternative der projektiven Geometrie bedient (Klein, Hilbert)513 –, ist die Polarität, die als Wesenszug zugleich in Erscheinung treten muss. Hiermit aber verliert das „Zerschneiden“ wenigstens den negativen und opaken Sinn, den er ihm Kant gegenüber beilegt, denn es trifft nicht zu, dass „der Gegenstand in seiner Seinsweise [gegenüber der Entfaltung in der Vorstellung] notwendig homogen sein muß“514. Da er Bewusstsein bedarf, um in die Philosophie (oder Mathematik) eintreten zu können, wird er stets heterogene Anteile bewahren, deren Entschlüsselung selbst einem luziden projektiven Bewusstsein, zumindest auf Anhieb, nicht immer gelingt, obgleich es sich seiner bewusst und imstande ist, es ohne begleitende Reflexion zu sein, abgesehen davon, dass es – aus Erfahrung – weiß, dass er in einer ‚reinen‘, von sich abstrahierenden Betrachtung in einer anderen Einheit erscheint als in jener, in der das Bewusstsein seine erste Natur behauptet. Dabei sind jene ‚heterogenen Anteile‘ freilich anderer Natur als die Heterogenität des (projektiven) Bewusstseins gegen die (projektionsfreie, soweit zugänglich) Natur selber. Zuletzt aber, wie berührt, muss auch die Synthesis zwischen/vom Gegenstand her zum Bewusstsein, und zurück überaus philosophisch erscheinen, vielleicht gegenüber den alten, überlieferten Synthesen (in der Alternative) ihr Kernproblem (als das ‚interstitiale‘ Bewusstsein, das die projektive Distanz und Verschiebbarkeit der Gegenständlichkeit zum jeweiligen Bewusstsein misst und an sich selbst zum Gegenstand hat, gegenüber einem intra- und inter-Bewusstsein im herkömmlichen Sinne515, wobei auch das letztere erhebliche neue Bedeutung birgt, sobald die Möglichkeit der methodischen oder realen Isolation aufgehoben). 512 Liske 2004, S.38-39. Mithin steht es auch nicht an, eine Ontologie aus Substanzen oder Ereignissen zu eruieren. 513 Dort in der Fundierung der drei Geometrien druch Projektion, hier bei Veranlagung des Satzes von Desargues (was bei Becker, der nur das Axiomensystem behandelt, unbedacht bleibt, 1975, S.202-208); vs. Cederberg 2000, S.27-29. 514 Hartmann 1975, S.236. 515 P.e. herzuleiten von N.Rescher’s Leibnizinterpretation (Leibniz’s Metaphysics of Nature, Dordrecht 1982, insb. ch. V).

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So ist es nicht die Frage der (lotgerechten, unverzerrten) Vergrößerung, gar des Übersinnlichen oder „Überempirischen“, die zur Projektion führt. Wohl aber, dass es angesichts des Doppelsinns, der in der Substanz verweilt, hier bei dem Denkenden oder dort bei dem Seienden in der Materie, eine Beziehung gegeben muss, die, als identisch gegeben, nicht wieder Reflexion ist. Schon Christian Wolff setzte seiner Deutschen Metaphysik die Formel voran, dass wir uns unserer selbst und der anderen Dinge bewusst sind („so muss der innere Zustand eines jeden einfachen Dinges sich auch nach allen zusammengesetzten richten, die um dasselbe als um einen Mittelpunkt herum sind“516). Ein französischer Interpret, Thierry Arnaud, zieht darum die deutliche Konsequenz: „L’ontologie wolffienne est ainsi une ontologie de la connaissance, une gnoséontologie: une ontologie de l’étant (et non de l’être) en tant qu’être pensé; plus exactement en tant qu’étant pensable“517. Wenn es die Projektion als echte philosophische Methode und grundlegende (zu den Fundamenten gehörende) Betrachtung gibt, dann muss sie also das »Spiel der Karten« – von einem Wechsel der Methoden und Standpunkte nämlich wird sich die Philosophie voraussichtlich nicht befreien können und wollen, und selbst die Aufklärung wird stets einen Brennpunkt verkörpern – neu verteilen und neu bewerten. Der Idealismus und Empirismus, oder 516 Christian Wolff, Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Halle 1719, Nachdruck Hildesheim 1983, § 596, S.367-368. Unter § 600 sagt Wolff hierfür auch in Kurzform: „dass der innere Zustand der einfachen Dinge sich auf alles in der Welt beziehet“ (S.371). In der empirischen Psychologie Baumgarten geht der Satz in alle Paragraphen über, die die „vis repraesentativa [animae]“ und das „repraesentum pro positu corpore“ voraussetzen (Baumgarten, Metaphysica, ND Hildesheim 1963, §§ 506, 512). Auch bei Spinoza ist der Satz, mehr, das Theorem, das sich dahinter verbirgt, vertreten: „Rerum imagines sunt Corporis humani affectiones, quarum ideæ corpora externa, veluti nobis præsentia, repræsentant, hoc est, quarum ideæ naturam nostri Corporis, & simul præsentem externi corporis naturam involvunt“ (Spinoza, Ethica, III, proposition XXVII, demonstratio, in: Spinoza Opera II, S.160. Die Phantasiebilder der Dinge sind Affectionen des menschlichen Körpers, deren Vorstellungen uns die äusseren Körper gleichsam als uns gegenwärtig darstellen, d.h. deren Vorstellungen die Natur unseres Körpers und zugleich die gegenwärtige Natur eines äußeren Körpers in sich schliessen [Sämmtliche Werke II, S.109]). Die eingehende neuerliche Interpretation bei Wolff in Abhebung von der Apperzeption, Falk Wunderlich, Kant und die Bewusstseinstheorien des 18. Jahrhunderts, Berlin-New York 2005, insb. S.29-31. 517 Thierry Arnaud, „Psychologie empirique et Métaphysique. Le critère du métaphysique chez Wolff “, in: Archives de Philosophie 65 (2002), S.42.

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aber der Realismus518, werden ihren Geltungsbereich und Ansatz entscheidend verändern müssen, wenn gewiss ist, dass die Projektion als echte Eigenschaft und grundlegendes, primäres Vermögen des Bewusstseins mit auf den Plan tritt, ein Vermögen, das nicht erst aufgerufen werden müsste, um sich zu beweisen, sondern von Anbeginn, wie das Ich denke Kants, die Manifestation des Bewusstsein begleitet, mehr noch, es im Grunde von mindestens einer Seite fundiert und unterhält. Was anderwärts die Seele hierbei leistet, die nicht nur mit sich selbst, sondern mit jeder anderen in einem innigen Konnex steht, sei wenigstens nicht übersehen. Schon dass die Kausalität, die in die Zukunft weist, eine Projektion heißt (verbo in der Prognostik) – dies, zu erinnern, war bereits der Präzedenzfall der Unterscheidung Kants zwischen einer angeblichen Subjektivität oder Objektivität angesichts von Wahrnehmung oder Erfahrung –, hingegen ihre Umkehrung nicht ebenso nahelegt, spricht für die sprachliche (als strukturelle) Idiosynkrasie oder, bislang, mangelnde Einsicht: jeder zukünftige Zustand/Ereignis kann sich ja nur auf dem Dasein und Beschaffenheit des gegenwärtigen entfalten, und bei einer gleichmäßig veranlagten Basis dürfte die Form der Zeit nicht nur deshalb ihre Reinheit – oder Gesetzmäßigkeit – verlieren bzw. gewinnen, weil sie sich der Vergangenheit zuwendet. Mithin enthält eine Erinnerung auf die Gegenwart hin, oder umgekehrt, dieselbe Bedingung (um den Widerspruch zu vermeiden). Das „empirische“ und „ideale Subjekt“ können „dem Objekt“ gegenüber somit tatsächlich als Polaritäten auftreten, was sie, an und für sich, schon immer waren519, und die Reduktion, die die Disjunktion oder unbedingte Transzendentalphilosophie motivierte – eine absolute Geltung von entweder Ptolemaios oder Kopernikus, denn, so Kant, die Philosophie steht am Portal des vermeintlich einzigen Geltungsgrunds –, verliert ihren Sinn. Er besteht a parte, und (als Wissenschaft, Zutreffen, gnosis) koinzident, so dass der Bürge des Realen oder Idealen520 nur eine Wegstrecke (ein Interstitium) bedeuten, bis die „Überlagerung der Umkreise“ tatsächlich ihre „Projektion“ bewiesen hat. ***

518 Hans-Jürgen Engfer, Empirismus versus Rationalismus. Kritik eines philosophiehistorischen Schemas, Paderborn 1996. 519 P.e. Platons Erklärung des Selbst am Ende des Alkibiades als Stadtmenschen (ab 132b in Zusammenhang mit dem Bild – und Leitmotiv – des Auges, das einen Spiegel bedeutet). 520 Hartmann 1975, S.217.

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In nicht wenigen Absätzen wird im Licht der gesamten Beweisführung, in der es gilt, dem Bewusstsein Fähigkeiten und Leistungen nachzuweisen, die ihm bislang und insbesondere in der klassischen als rationalen Philosophie mangeln, dieser Frage nachgegangen. Dies sei so zu verstehen, dass es für die Philosophie eine Fakultätenlehre geben muss, die durchaus im Licht der wohlbekannten Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von aufzufassen ist521: Gewähr einer Methodik, die (i) gleichermaßen analytische und synthetische Ansprüche befriedigt – hierbei insbesondere auch die neuartig interstitialen –, (ii) mit den logischen Operatoren kompatibel ist, weil, bereits oben entworfen (und weiteres Hauptsujet für nahezu alle Kapitel), diese in und zwischen den Vermögen wirksam sind, insoweit ein wissenschaftlich-determinatives oder Erfahrungsbewusstsein gefordert ist, und (iii) eine Architektur des Bewusstseins nicht von vornherein auf eine gesetzte (und freilich tradierte) Oben-Unten-Kante projiziert werden kann, in der sich die anderwärts aufgesuchten wissenschaftlichen Gegenstände – Theorie, Praxis, Kunst und Teleogie – nicht ohne Stipulation ergeben (p.e. besteht die Kunst seit Jahrhunderten nicht ohne Wiedererkennbarkeit, dann aber kann die Bestimmung ihr nicht völlig entgehen522). Der Ausdruck transzendental wird allerdings nur äußerst selten und sparsam benutzt, da er einerseits durch die Vorgabe Kants überaus belastet ist, andererseits, wie soeben, die Koinzidenz von Bewusstsein und Wirklichkeit in einer Form zu verbürgen imstande sein muss (und tatsächlich auch ist), wie sie mit der transzendentalen Bedingung Kants, die sich ausschließlich auf die Nomenklatur respektive Gesetzmäßigkeit der Vernunft verlassen will, nicht konform geht und einen wesentlichen Bedeutungswandel impliziert, der die Frontstellung oder historische Alternative, die den Begriff ausmacht, wieder aufhebt. Die Fakultätenlehre, die im beabsichtigten Hintergrund und manchmal auch im Zentrum der folgenden Abhandlung steht, ist darum keine empirische – deskriptive – Psychologie im Sinne von Wolff und Baumgarten523 (und

521 „Wenn er sich aber von den meisten Aufklärern bezüglich der Frage trennt, ob die Metaphysik eine natürliche Disposition des Menschen darstelle oder nicht, so ist er andererseits einer Meinung mit ihnen, was die Behandlung aller philosophischen Probleme auf der Basis einer Analyse der geistigen Vermögen des Menschen betrifft. In diesen wurzel nach Kants Auffassung auch die Metaphysik“ (Kondylis 1990, S.353). 522 Die Lee an sich zu Recht als Achse oder Hauptfaktor der Systematik Kants beansprucht (2004). 523 Eine kleine Zusammenschau der Wolff- und Baumgartenliteratur unter IV.B.1 (Fn 10).

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eigentlich einer weitgespannten Tradition, die – mit dem Impuls der Neuzeit – von Descartes über den Sensualismus bis zu jenen Resten und Fundamenten in Kants System reicht, die ihm für wesentliche Theoreme unerlässlich waren): – bis heute ist es seiner Rezeption, etwa am Beispiel der Kant-Studien, nicht gelungen, angesichts der wissenschaft- oder natürlichen Bestimmung deutlich zwischen einer Bestimmung durch Substrate, Begriffe oder Figuren (konkrete Anschauungen), anderwärts durch die Fakultäten zu unterscheiden, die sich in seinen Hauptargumenten durchgehend vermischen524. Mag auch ansonsten, wie Kant prätendiert, die empirische Psychologie eigentlich nur eine pragmatische Anthropologie darstellen525: die Formel Wolffs, nach der, so Arnaud, „tout ce qui y [dans la métaphysique] est découvert l’est à partir de cette expérience primitive qu’est la conscience ‚de nous-mêmes et des autres choses‘ (première phrase du § 1 de la Métaphysique allemande)“526, gibt also ihren tatsächlichen Vorrang erneut zu erkennen. Er liegt in der definiten Koinzidenz des sog. Dingan-sich mit einem Selbstbewusstsein, dem gleichwohl die einzige, unbedingte Obligation durch das Bewusstsein selber – als Idealismus oder Rationalismus – entzogen werden muss. Dies mag auch als einleitender Hinweis für den Leser verstanden sein, sich von vornherein diesen gesonderten Abschnitten zuzuwenden (die ihm aus Register oder Inhaltsangabe zugänglich werden, und sollte ihm die Problematik Kants schon anderwärts überaus vertraut sein, oder aber aussichtlos zu kurieren). Das folgende Kapitel behandelt einen jüngeren Bestandteil dieser Rezeptionsgeschichte, in die sich die Hauptlehre Kants, nicht zuletzt unter dem Einfluss der analytischen und Sprachphilosophie in einen Seitenaspekt aufzulösen drohte, wobei es gilt, die Konvertibilität entgegenzuhalten.

524 P.e. Lee (2004) endet im Einleitungsabschnitt wieder bei der Vermischung, indem die Subsumtion, die zuerst Urteile oder Begriffe erfasen müsste, unvermittelt und folgenlos als „subsumption of intuition under a category, which subsumption can occur only when the rule of subsumtion, i.e., the schema (the transcendental determination of time), is provided“ (S.212). Das Referentensystem der Zeitschriften führt so zwangsläufig zu einer Zementierung der sogenannten Schulphilosophie, der klassischen oder Kant-Philosophie. 525 Wolf Feuerhahn, „Comment la psychologie empirique est-elle née?“, in: Archives de Philosophie 65 vol.1 (2002), S.47-64, 48. 526 Arnaud 2002, S.45.

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[III]. Zur Methodik - Über die methodische Konkurrenz von Urteil und Kategorie, Basisvorstellungen und -vermögen I [1] „Or quoy tous expriment les mêmes phenomenes, Leibniz, Discours de Métaphysice n’est pas pour cela que leurs expressions soyent que, § 14. parfaitement semblables, mais il suffit qu’elles soyent proportionelles“. [2] „En effet rien ne nous peut arriver que des pensées et des perceptions, et toutes nos pensées et perceptions futures ne sont que des suites quoyque contingentes de nos pensées et perceptions precedentes, tellement que si j’estois capable de considerer distinctement tout ce qui m’arrive ou paroist à cette heure, j’y pourrois voir tout ce qui m’arrivera, ou qui me paroistra à tout jamais […]“.

Leibniz, DM, § 14).527

[3A] „Alle sinnliche Anschauungen stehen unter den Kategorien als Bedingungen, unter denen allein das Mannigfaltige derselben in ein Bewußtsein zusammentreten kann (KrV § 20)“; versus [3B] „Die logische Form aller Urteile besteht in der objektiven Einheit der Apperzeption der darin enthaltenen Begriffe (KrV § 19)“.

Kant, Kritik der reinen Vernunft

[4] „Das den Erscheinungen zum Grunde liegende transzendentale Objekt, und mit demselben der Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als andere oberste Bedingungen habe, sind und bleiben für uns unerforschlich, obgleich die Sache selbst übrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen wird“.

Kant, KrV A 613-614/B 641-642, in Zusammenhang mit der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes).

[5] „Denn wir kennen ein Objekt nur als ein Etwas überhaupt, dazu die gegebene(n) Anschauungen nur Prädikate sind“.

Kant, Reflexion 5643528

527 In: GP IV, S.439, 440. 528 Vgl. Henrich 1976, S.47.

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[6] „Denn da ihre Gesetze durch die bloße Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der darnach zu nehmenden Maximen, als oberster (selbst unbedingter) Bedingung aller Zwecke, verbinden: so bedarf sie überhaupt gar keines materialen Bestimmungsgrundes der freien Willkür, das ist keines Zwecks, weder um, was Pflicht / sei, zu erkennen, noch dazu, daß sie ausgeübt werde, anzutreiben: sondern sie kann gar wohl und soll, wenn es auf Pflicht ankommt, von allen Zwecken abstrahiren“.

Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft 529

[7]. „Wir haben in dem analytischen Teile der transzendentalen Logik gezeigt: dass reine Kategorien (und unter diesem auch die der Substanz) an sich selbst gar keine objektive Bedeutung haben, wo ihnen nicht eine Anschauung untergelegt ist, auf deren Mannigfaltigkeit sie, als Funktionen der synthetischen Einheit, angewandt werden können. Ohne das sind sie lediglich Funktionen eines Urteils ohne Inhalt“.

Kant KrV A 348-349.

Einleitung. Angesichts der heutigen Lage von analytischer Philosophie, der Rezeption der klassischen Philosophie und der Metaphysik – beileibe kein so distinktes Verhältnis, wie diese Aufzählung den Anschein erweckt – geht die Erwartung, die Kategorien gehörten einer (mehr oder weniger) obsoleten Tradition an, fehl530. Die deskriptive Metaphysik, die sich auf dem Hintergrund der Pragmatik exponiert (Peirce) und aus dem Gegensatz zur revisionären (konstruktiven) begreift (Strawson), begibt sich kraft Berufung auf das Sprachmedium deutlich in den analytischen Horizont, übernimmt aber dennoch unversehens Fragestellungen, die der Tradition wohlvertraut sind – ihre Berechtigung glaubt sie aus Faktum und, nicht zuletzt, der unterstellten Normativität der Sprache erneuern zu können531: sodann führt die Frage nach der Grundstruktur oder 529 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft, in: AA VI, S.3-4, Vorrede, Die „Bestimmung durch Naturursachen“ I, S.21; Hervorhebung Vf. 530 Über die Entwicklung in der vor allem englischsprachigen Literatur informiert (wie bereits früher zitiert) der Lexikonartikel von Amie Thomasson, „Categories“, in Stanford Encyclopedia of Philosophy (2004). Einen eigenständigen Ansaz im Rahmen eines „platonic extreme realism“ vertritt Chisholm 1996, ansonsten die einschlägie Literatur an diesem Ort, insb. Kap. IV A. 531 Liske 2004, S.24: „Wenn wir es uns zum Prinzip machen, nichts anderes zu tun, als die Umgangssprache auf ihre ontologischen Implikationen hin zu untersuchen […]“.

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Grundordnung unseres inhaltlichen Denkens zur Frage: „Was ist die ontologische Grundstruktur?“ und zu der Aufgabe, im Sinne des ontologischen Sparsamkeitsprinzips „möglichst wenige voneinander unabhängige Grundformen (Kategorien) des Seienden anzunehmen“532. Für den Status der „alltagsontologischen Grundkategorien“ aber gilt am Ende ihrer Erwägung, dass, die Empirie als eingeschränkte Perspektiven von Soziologie und Psychologie hinaussetzend, die ‚ontologische Gerinnung‘ in der Sprache („über Generationen“) die Annahme rechtfertigt, dass die „in der Umgangssprache implizierten und analytisch explizit zu machenden ontologischen Annahmen den Charakter synthetischer Urteile a priori haben. In der Alltagssprache spiegelt sich die Konstruktion eines Begriffsschemas, mittels dessen wir uns in der Welt orientieren“533.

Dieser Auffassung begegnen zwei wesentliche Einwände und eine Konsequenz, die veranlassen, Metaphysik in der Neuzeit und Gegenwart nicht sofort unter dieser Möglichkeit zu subskribieren. Erstens, zunächst beiseite lassend, dass die direkte Berufung auf synthetische Urteile a priori in die Position Kants zurückleitet, steht keineswegs fest, dass, menschliches Bewusstsein und die „[Lebens]welt“ vorausgesetzt, dessen philosophisch tragfähiges oder im originären Sinne relevantes Vermögen erst und nur mit der Sprache beginnt534. Die neuere Phänomenologie, ausgehend von Husserl, hat sich in ihrem analytischen Standpunkt bewusst und nachhaltig außerhalb dieser Annahme entfaltet. Hiervon unablösbar, ist die andere Voraussetzung, es sei die Logik, ursprünglich logisches Vermögen, nur und ausschließlich im Begriffs- als Sprachvermögen wirksam, im Kern ein (wenn auch weit zurückreichendes) bloßes Dogma (und viel eher geeignet, für eine Form von abgestandenem Vorurteil angesehen zu werden). Beides zusammen genommen und dass die Logik, der Schlüssel ihres 532 Liske 2004, S.20. 533 Liske 2004, S.25. 534 Der (sogenannte) ‚nicht-begriffliche Inhalt‘ von Wahrnehmung wird somit anerkannt und unterstrichen (Christiane Schildknecht, „Epistemische Struktur und Begründungsanspruch visueller Erfahrung“, in: Grundmann 2001, S.283-299, insb. II), wenn auch angesichts von Konvertibilität und Determination aus den Bewusstseinsvermögen die jeweilige „Über- oder Unterdeterminiertheit“ nicht den Propositionalisten überlassen bleiben kann (S.298). Longuenesse gelangt, streng besehen, erst über den Leitfaden der Urteilstafel dazu, die Definitheit sprachlicher Terme voraussetzen („[…]dans l’acte de juger, qui à leur tour sont manifestes au moyens de formes du jugement (de la proposition) rendues explicites par le language“ (2004, S.489).

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Kalküls (aus den Operatoren535) bereits im Zentrum der Vermögen wirksam ist, wird an diesem Ort vertreten (durchaus im Sinne einer Neuerung), denn, abgesehen von ‚den‘ Schulphilosophen, die sich in Tradition und übernommener Rezeption bewegen, wurde dies auch dort nicht wahrgenommen, wo es vielleicht hätte geschehen können, bei den Literaten, die sich, wie Madame de Staël, die Mühe gaben, die „dunkle“, durch ihren Idiolekt gesättigte Sprache Kants zu durchdringen, oder bei dezidierten Experimentalwissenschaftlern wie Helmholtz, der sich dennoch zu Kant zu bekennen suchte, was übrigens auch für Hermann Weyl gilt. Die heutige Psychologie und cognitive science sei übrigens nicht ausgeklammert. Was die Fundierung einer in diesem Kontext sehr weit gefassten Kategorie angeht, beruht sie zugleich weitgehend auf einer empirischen Basis, darum aber bilden in der Auseinandersetzung von Psychologie, Linguistik, Computerwissenschaft, Neurophysiologie und Philosophie die Bereiche category/categorization hinsichtlich ihrer sprachlichen Manifestation oder nicht distinkte Felder – dass es ein nicht-sprachliches Zentrum des Bewusstseins geben muss, kann mithin nicht fraglich sein536. Schon beginnt, recte, die Methodik zu wanken (wie sich sogleich zeigt), wenn nicht Urteile (als Möglichkeit schlechthin) die Logik anführen, sondern auch unabhängige Vorstellungen – eben die Kategorien, „notions [ou] lois necéssaires du penser“537. Die deskriptive Metaphysik überschneidet somit oder setzt gleich, was dort zu einem vielleicht nicht zentralen, aber doch nachhaltigen Problem geworden ist. Weiterhin gerinnt in der soeben zitierten Behauptung das Grundproblem der Metaphysik überhaupt – es kommt oder käme ja gerade darauf an, die stete (und vielleicht heterogene, diskontinuierliche) Eigenleistung des Bewusstseins davon zu unterscheiden, was von der Welt her, gleichgültig ob lebendig oder nicht, ob mit aktiver, rezeptiver oder scheinbar keiner Kraft betraut, wirkt und zu gelten hat; denn ob, wenn und unter welchen Umständen „Grundformen des Seienden“ (als Kategorien[!]) und ein „Begriffsschema“ zusammenstimmen, sogar ordinabel sind, begründet Ursprung, Leiter und Umfang des Problems. Wenn nun differente, dem Bewusstsein inhärente Orientierung mit einem der Möglichkeit nach ebenso differenten Maß einhergeht, kann die Rationalität – im strikten (wissenschaftlichen) Sinne – nicht fehlen, und der Vektor des Ursprungs mitsamt einer Differenzierung der Leistung wird zum Problem 535 Hierunter wird der Kanon der logischen Funktion verstanden, wie sie, p.e., die Philosophie der Mathematik an den Anfang setzt (Hermann Weyl). 536 Vgl. Cohen & Lefebvre 2005 (Handbook of Categorization in Cognitive Science). 537 Mme de Staël, De l’allemagne, Paris (Bibliothèque-Charpentier), Nouvelle Edition, S.447-449.

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oder zur eigentlichen Aufgabe – schon war Leibniz durchaus entgangen, dass, wie oben für zentrale ‚Axiome‘ der Charakteristik gezeigt, die Proportionalität der Phänomene, die er fordert ([1]), ein Nebeneinander von projektiven und nicht-projektiven ermöglicht (auch wenn seine Überlegung ein anderes Ziel, ein insbesondere Zusammengehen der idealen und der phänomenalen Kontinuität verfolgte)538. Auch wird, sofort und auf natürliche Weise, die Dichte einer Gegenwart nach ihrem inneren Maß ganz anders erlebt als dieselbe in einer Vergangenheitsvorstellung ([2]). Diese Kontraktion aber (die weder RetentionProtention noch Kennzeichen der physikalischen Relativität und Rückwirkung auf das Bewusstsein) ist unbedingtes Indiz des Gesuchten, da sie die Eigenleistung manifest macht.

II Die Wurzel der Logik. 1. Vorspann. Nun hatte, um die hiesige Position in derselben Linie zu begründen (wo nicht bereits erfolgt), bereits John Wallis, was ihm Becker in der langen Geschichte der Beweisführung des 5. Euklidischen Postulats zu den Parallelen zugesteht, behauptet: „[Es] wäre freilich kein billiges Verlangen, dass man (ohne die nötigen Vorkenntnisse) nach einem gegebenen Maßstabe zu jeder Figur eine ähnliche solle zeichnen können. Aber dass es ausführbar ist, dass darf man bei einer beliebigen Figur ebenso gut wie beim Kreise voraussetzen. Denn nicht deshalb, weil er vor den übrigen Figuren etwas voraus hat, gestattet es der Kreis, dass man ihn ohne Änderung der Gestalt nach Belieben stetig vergrößert oder verkleinert, sondern wegen der Eigenschaften der stetigen Größen, die den übrigen Figuren mit dem Kreise gemeinschaftlich sind. Man darf ebenso voraussetzen, dass auch bei diesen (ohne Änderung der Gestalt) eine stetige und unbegrenzte Vergrößerung oder Verkleinerung möglich sei“539.

Das Beispiel scheint eventuell obsolet (weil oft bemüht), dennoch muss es an dieser Stelle den Kanon vertreten. Aufgrund des Arguments ist es schlechterdings unmöglich, ein Bewusstsein zu behaupten, durch und für das diese Norm (Stetigkeit) der Figurenähnlichkeit vorgeführt wird, der „Gestalt“ (als frei von „Änderung“ oder beharrend[er species]) aber denselben logischen Status wie den einzelnen Formen, in denen sie stetiger Änderung unterliegt, zuzuschreiben540. 538 P.e. bei Berührung von „imago rei“ und scaenographica“, wo er – wie stets – den Eindruck erweckt, perspektivische Wahrnehmung bestünde nur aufgrund entsprechender Zeichnung und Malerei (Leibniz 1995, IX § 1,, S142-145). 539 Becker 1975, S.170-171 (öffentlicher Vortrag 1663). 540 In Opposition zu, p.e., KrV A77-78/B102-103.

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Demnach geht (i) die Logik, hier als einfache Subsumtion respektive Klassifikation, auch zur Sinnlichkeit über541 – ein anderer Fall übrigens sind die „enveloppées“, als Klassen von Ellipsen und Parabeln versus Geraden, die sich in ihrem jeweiligen Schnittpunkt der Konvergenz durch eine Referenzkurve ausdrücken lassen542 –, sind (ii) Leistungen des Bewusstseins (Kreis als übergeordnete Gestalt versus jede ihrer konkreten, ähnlichen Instanzen) strikt von einer Ordnung oder Ordination der Vermögen zu unterscheiden543, und ist (iii) auch die Frage nach dem Ursprung der metaphysischen Beziehung oder Orientierung nicht ohne diese notwendige Differenz zwischen Subsumtion (oder (i)) und Subordination (oder (ii)) zu lösen. Denn, wie bereits früher, es ist die Bestimmung, die auch und unbedingt von möglicher Sinnlichkeit ausgeht, zu unterscheiden544, indem sie zuerst die Vermögen und dann, der Möglichkeit nach, noch einmal und anders die Leistungen impliziert545. Diese Unterscheidung aber spiegelt sich eklatant in Grundformen des Seienden und/oder Begriffsschema (das nunmehr als Tafel der Kategorien wird anzusprechen sein). Da weiterhin das Parallelenproblem selber ursächlich und nachhaltig mit der Projektion verknüpft ist (sobald sie manifest wird, wie es bei Becker nicht geschieht, mithin nicht nur die gekrümmte Fläche den Antipoden des Postulats bildet546), diese aber manifest die Orientierung zu analysieren (und zu disambiguieren) gestattet, mehr, den wahren Ursprung von Orientierung passiert, kann die metaphysische ­Beziehung

541 Wie auch KrV A 414/B 441 „Räume, deren Grenzen durch andere Räume bestimmt und einander subordiniert werden. 542 Was Leibniz, nach seiner ersten Erfahrung mit dem Brouillon projet Desargues’ (1670) in zwei späteren mathematischen Aufsätzen bearbeitete, in denen er auf das Differential abzielte (vgl. Claire Schwartz, „Leibniz et les lois de l’entr’expression“, in: Studia Leibnitiana Band XXXVII/1 (2005), S.20-47). 543 Wobei in KrV dieses Verhältnis – als vermeintliche Ordination, die nur vom Verstandesvermögen ausgehen kann – auseinanderfällt in entweder Intuition/Anschauung versus Verstand (§§ 20-24) oder Erscheinung versus Verstand (A 409/B 436). 544 Wie bereits KrV § 24, B 152. 545 Wofür, an dieser Stelle, p.e. die ‚freien‘, jenseits der Mathematik selber formulierten Theoreme durch Spinoza oder Vitruv, hier aber auch bereits Wallis – in methodischer Einfachheit – einzutreten vermögen. 546 Becker 1975, S.168-175 inklusive Lambert, dessen Projektionslehre unbehandelt bleibt: es gilt die reine Flächenmathematik. Das Parallelenpostulat (oder dass sich zwei Geraden in Pn stets schneiden), Sperner 1963, S.157, 163-164 u.w.u., distinguiert die projektive generell (in der Inzidenzgeometrie zumeist das vierte Axiom) von der euklidischen und den übrigen (wobei die Parallelen hier erneut andere ­Eigenschaften annehmen).

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oder Metaphysik schlechthin nicht ohne die Beteiligung auch dieses Vermögens geklärt werden (was, noch immer, mit der Forderung eines natürlichen Bewusstseins einhergeht)547. Somit wird es einerseits auch, der Möglichkeit nach, ein kategoriales Bewusstsein geben, das sich in der Sinnlichkeit manifestiert – indem übergeordnete sinnliche Vorstellungen die Organisation und Ordination des Bewusstseins leiten ([4, 5]) –548, und ist sinnliches Bewusstsein wiederum alles andere als der Möglichkeit nach nicht auch kompliziert oder logisch hoch entwickelt ([6]). So dass, ob es Substanzen gibt und wie die Kategorien heißen, sich weiterhin nicht ohne das projektive Vermögen, das die mögliche Koinzidenz der metaphysischen Orientierung bezeichnet, einer Rezeptivität, deren (vektorieller oder richtungsgebundener) Ursprung im Sein und einer Spontaneität, deren Setzungsursprung im Bewusstsein liegt, lösen und/oder beantworten lässt. Mehr, wird jede Anwendung von auch tatsächlich eine Beteiligung dieses Vermögens verlangen. 2. Was nun, für die folgende Erörterung und die Frage der Bestimmung vorweggenommen, sind Kategorien, wenn nicht schlechthin die Destillate der natürlichen Sprache(n)? Anders als Kant – und freilich Aristoteles, Porphyrius oder Port-Royal549 – definierte, müssen sie aus einer Überschneidung der beiden

547 Was, aus genannten Gründen, nicht mit „Alltagsontologie“ zu verwechseln ist (Liske 2004, S.21-25). Der historische Ort derselben Veranlagung (auch wenn freilich nicht im selben Sinne von Orientierung die Rede ist): die Fundierung und Begründung der Relationen der Substanzen aus den intrinsischen Eigenschaften (Rescher 1982, Abschnitt V, wie schon einmal zitiert). 548 Siehe Schlusskapitel, und wir berufen uns zu diesem Zweck bereits auf eine Auslegung unter den Kategorien in der Logique du Port-Royal. 549 Für Porphyrius steht die Aussagefähigkeit nach Gattung, Art, Differenz, Proprium und Individuum und deren Verbindung oder Ausschluss im Vordergrund, er erkennt aber an, sobald man sie als seiend ansieht (und nicht als die ersten zehn Genera), sie untereinander als homogen und nicht synonym aufzufassen seien. Anderwärts sind sie einfach die zehn „generellsten Begriffe“ (S.6-7). Aristoteles zählt – unter derselben logischen oder apophantischen Voraussetzung – die zehn Kategorien als die Begriffe auf, die „jedes ohne Verbindung gesprochene Wort“ der Möglichkeit nach „bezeichnet“ (Organon I 1b 4.Kap., in: Philosophische Schriften 1, Darmstadt 1995, S.3; Porphyrius, „Einleitung in die Kategorien“ im selben Band, S.1-23); Antoine Arnauld & Pierre Nicole, La Logique ou L’Art de Penser, Paris: Presses universitaires de France 1965, ch.III: „ce ne sont que divereses classes ausquelles ce Philosophe a voule reduire tous les objets de nos pensées“ (S.49).

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Grundvermögen des Bewusstseins hervorgehen550, tatsächlich wie ein „prisme“551 (während sie Kant einseitig in unbedingter Reinheit auf Seiten eines Hauptstamms, dem Intellectus, veranlagte552: an sich selber keine Erkenntnis, noch konstitutiv, sondern erst in der Erfahrung – oder anderen Achse –, aber aus den Grundbegriffen des Verstandes heraus die erste Grundbedingung für irgend Erkenntnis, die er, allein aus dieser Tatsache heraus, mit dem Titel a priori oder transzendental ausstattete). Weiterhin ist bis heute (abgesehen von den Materien und Disziplinen, die das Schlusskapitel behandelt und freilich inzwischen ohne Rücksicht auf die soeben klausulierte Klammer), der Rückgriff auf die ‚Kategorie‘ in den verschiedenen Wissenschaften fest etabliert553 – um Beispiele herauszugreifen, wenn die „Auffächerung des Theater- und Opernphänomens“ sich durch drei „Kategorien“ „Darstellung“, die „Aktion“ und das „Interesse“ auffächern lässt554. Ohne das Detail zu bemühen, es handelt sich hierbei nicht um schlechthin Oberbegriffe (oder gar Gattungsbegriffe), die eine fertige Subsumtion erlauben, sondern tatsächlich um Vorstellungen, die gestatten, die Organisation der Materie, Teilgebiet einer Disziplin, auf einer Ebene zu behandeln, die zugleich Anknüpfung an fremde Disziplinen gestattet (Soziologie, Handlungstheorie, allgemeine Historie gegenüber der Musikologie). Anderwärts, und ein zweites Beispiel in einem ganz anderen wissenschaftlichen Kontext, gilt gemäß Horkheimer, „[que] les catégories créées par Marx: classe, exploitation, plus-value, profit, paupérisation, effrondrement, sont des facteurs d’un ensemble conceptual don’t le sens ne doit pas être recherché dans la reproduction de la société telle qu’elle est, mais au contraire dans la modification et la correction de ce qu’elle a d’aberrant“555.

550 Koincidenz (‚∞‘) und Intersektion sind auch Begriffe der Charakteristik, Leibniz begreift sie gleichwohl ohne Beziehung auf Projektion (1995, Fragment VII, S.116-117 u.ö.). 551 Mme de Staël, De l’allemagne, S.448: „[…] les sensations peuvent être douteuses, mais le prisme à travers lequel nous les recevons est immuable“. 552 KrV A 67/B92. 553 p.e., auch in der jüngeren Mathematik als category theory: F.William Lawvere, „Categories of Space and of Quantity“, in: Echeverrîa, Ibara, Mormann 1992, S.15-30, mit Bezug auf Hegel; in der Ethik der Verantwortlichkeit in der klinischen Medizin bei L ­ evinas (Lazare Benaroyo, „Fürsorge und die Zeitlichkeit von Leiden“, in: Georg Pfeiderer und Christoph Rehmann-Sutter (Hg.), Zeithorizonte des Ethischen, Stuttgart 2006. Der Gegensatz zwischen Nutzen- und Zielkategorien bei den Ökonomen: Joachim Koch, ­Megaphilosophie. Das Freiheitsversprechen der Ökonomie, Frankfurt 2002, S.55. 554 Reinhard Strohm, „Darstellung, Aktion und Interesse in der höfischen Opernkunst“, in: Händel-Jahrbuch 49. Jg. (2004), S.15-26. 555 Arnsperger 2004, S.266.

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Um auch diese Rezeption der Kategorie aufzugreifen, Marx, der sich ausdrücklich gegen ihre Auffassung als Essenzen, vérités en soi (ou éternelles) wandte556, sieht in ihr nicht das bloße Instrument, um die aktuale Realität zu beschreiben (oder schlechthin zu erkennen557), sondern zugleich das Mittel, sie zu kritisieren respektive ihre Abweichung zu erfassen. So gerinnt in der Kategorie eine andere Überschneidung: Möglichkeit und Wirklichkeit einer Erfahrung in Konkurrenz zu setzen und das kritische Moment nunmehr nicht als Letztbedingung der Erkenntnismöglichkeit, sondern als Orientation, Begreifen in Richtung auf die erstgenannte aufzufassen (der emanzipatorische Faktor, mit dem zugleich die Determination stattfindet). Die Folge ist ein theoretischer Zweck (die Demaskierung der Realität und ihrer ‚Akteure‘)558, der als theoretische Möglichkeit immerhin im Wesen der Kategorie verankert respektive mit ihr kompatibel ist, sobald sie als höchste, organisierende Vorstellung auf eine Erkenntnis verpflichtet wird, die sich der metaphysischen Verankerung in einem angeborenen Fundament entledigt hat. So wird, schon anhand dieser beiden Beispiele, die sich leicht in der Umsicht der Wissenschaften und dem Gebrauch ihres Ausdrucks (übrigens auch in der Rechtslehre) erweitern ließen, die ›Kategorie‹ angesichts ihrer Anbindung an benachbarte Wissenschaften oder Verankerung der Kritik in erster Historizität zu, an Kant orientiert, einem steten, i.e. unbedingten Produkt aus Sinnlichkeit und Verstandesvermögen – wie auch sollte anderwärts, angesichts der Substanz, die das konkrete, einzelne Lebewesen begreift, sie (i) ohne Sinnlichkeit erworben sein und Geltung erlangen559, wie (ii) die Quantität (angesichts von reiner Similitudo und „comperceptio“560) oder (iii) Qualität, die – als ­Intensität – durch 556 Arnsperger 2004, S.264. 557 Was freilich nicht hindert, dass in der Literatur die Grundbgriffe als Katgeorien angesprochen werden, p.e, „catégories générales de la production“, „marchandis, argent, capital“ (Jacqus Bidet, „L’interprétation dialecticienne du capital autour du livre de Christopher Arthur, The New Dialectics and Marx’s Capital, Brill, Leiden (Pays-Bas)“, in: Actuel Marx en Ligne Nr. 25 (29/9/2003), S.1-20, 6, 14). 558 Arnsperger 2004, S.267. 559 „Die substantielle Verfasstheit des in uns allen denkenden Etwas kann dann wie in der abstrakten Perspektive des Denkens und Anschauens überhaupt nach Belieben als einfach oder kollektiv und sogar als identisch mit dem affizierenden Etwas gedacht werden“ (Peter Baumanns, Kants Philosophie der Erkenntnis: durchgehender Kommentar zu den Hauptkapiteln der ‚Kritik der reinen Vernunft‘, Würzburg 1997, S.288 + KrV 359). 560 Wie andernorts zitiert, die sinnliche Bedingung, die Leibniz in der Charakteristik für die Erhebung von Ähnlichkeitsbeziehungen verlangt (in Einklang mit wiederum reiner Anschauung bei Kant).

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­ mpfindung das Differential der Realität darstellt, gleichwohl niemals wird auf E den völligen Nullpunkt gelangen können (in dem die reine Abstraktion, mehr noch, Setzung von Realität stattfände)? Sie bezeichnet daher nicht eine Subsumtionsleistung und -möglichkeit schlechthin, ordine intellectu wie ein Rohprodukt, unhinterfragbar, des nackten Verstandes, sondern erst auf der Basis der Organisation, die sie über die Bewusstseinsinhalte zu leisten imstande ist. Die Ebene, die sie gemeinsam bezeichnet, ist daher nicht absolute Spontaneität, Reinheit a priori, die sich als unbedingte Grenze nur eines Vermögensstamms niederzuschlagen sucht, sondern, je nach Lage – die freilich differieren mag –, ein Durchschnitt, der selbst in puncto apparente nicht verleugnen kann, Tangente zu sein (um einen mathematischen Begriff zu Hilfe zu nehmen) – anderwärts müsste die Kategorie, dass es Bewusstsein nur im Dasein gibt, von vornherein widersprechen, um einen Anspruch und ersten Satz der Philosophie im Sinne von Helmholtz zu retten, den er zugleich als für die Metaphysik ­unmöglich ansah561, „[P]artout il juge que rien n’a nui autant à la philosophie que sa constante confusion avec la métaphysique, c’est-à-dire avec la soi-disant science qui prétend découvrir par la pensée pure les principes primordiaux du monde“.

Und der letzte vorkritische Standpunkt, in dem Kant sie, übrigens „notiones“, als ‚occasione experientiae‘ hervorgerufen betrachtete562, erscheint zutreffender (ohne die Systematik der Dissertation zu übernehmen, die, p.e., den sinnlichen Begriff und sinnliche Erkenntnis, auch deren Subsumtion563, aber eine echte Ordination der Vermögen wie die Kritik der reinen Vernunft noch nicht kennt).

561 TH.  Schoell, Rezension von Alois Riehl, Hermann von Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant, Berlin 1904, erschienen in: Revue critique d'histoire et de littérature, année 38, semestre 2, tome 58, 1904, S.281. Wir behandeln Helmholtz weiter unten. 562 Worauf Brandt, „Locke und Kant“, in: Thomson 1991, S.99, 102 hingewiesen hat. Siehe auch Schlusskapitel, Einleitung und Zusammenfassung. „Cum itaque in metaphysica non reperiantur principia empirica, conceptus in ipsa obvii non quaerendi sunt in sensibus, sed in ipsa natura intellectus puri, non tanquam conceptus connati, sed e legibus menti insitis (attendendo ad eius actiones occasione experientiae) abstracti, adeoque acquisiti. Huius generis sunt possibilitas, exsistentia, necessitas, substantia, causa etc“ (Kant, De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 8, in: AA II, S.395). Peter Baumann, Erkenntnistheorie, Stuttgart 2002, S.227-228, referiert auf den Standpunkt der Disposition, der auch in neuerer Philosophie vertreten wird (Chomsky, Fodor, Kircher). 563 Kant, De Mundi sensibilis atque intelligibils forma et principiis, in: AA II, § 5, S.393: „Datis igitur cognitionibus sensitivis, per usum intellectus logicum sensitivae

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3. Der Idealismus, den die Kategorie in der Kritik prätendiert, kann darum nicht vermeiden, dass er (noch immer) instantane Reflexion um seinet- oder ihretwillen564, einer gesuchten Grenze, ist, die sich als unbedingt ausgeben will – oder dogmatisch kraft Kongruenz mit dem Idealismus muss –, und der ›reine Verstand‹ oder ›reines Bewusstsein‹ ist, solange er oder es nicht wenigstens aus einem Schnittpunkt oder einer ebensolchen –flächenebene als instantane Koinzidenz mit seinem Gegenteil heraus begriffen wird – was zum einen und zuerst die Basis des Bewusstseins (als sogenannte Sinnlichkeit), zum anderen das Dasein selber ist und wiederum nicht mit dem empirischen Begriff Kants zusammenfällt –, eine theoretische Schimäre (i.e. der Schein, so dass, solange Dasein und Existenz die theoretische Philosophie und Metaphysik bestimmen, der Idealismus eher unmittelbar bei der Religionslehre, einem Zweig der Moralität oder der Kunst verbleiben wird, jedenfalls für eine Erhebung des Bewusstseins in Dasein und Wirklichkeit nicht wird einstehen können). Dass aber die Grenze, anstatt als spezifische Differenz zwischen oder, angeblich, in den höchsten Substraten beheimatet zu sein, nunmehr in dieser Rückverlegung auch wirklich vollständig und unabhängig von den Substraten von den Vermögen ausgeht und bei ihnen zu stehen kommt565, zeigt an, dass erst die Koinzidenz, zuerst unter den Vermögen ([3A], sodann zwischen Bewusstsein und Dasein, zu lehren vermag, was die Kategorie leistet und tatsächlich bedeutet (womit Kant ja generell völlig einverstanden war, indem er die Verbindung eines Idealismus mit einem empirischen Realismus lehrte). Auch für eine Verfechterin der Urteilstheorie (als Grundlage der Kritik) gilt unbenommen, dass der wesentliche Akt566, in dem sich freilich das Hauptproblem verbirgt, „[Ne] doit pas être compris comme un évènement psychologique temporellement déterminée. Ce que Kant décrit ici sont des modes universels d’ordonnancement de nos

subordinantur aliis sensitivis, ut conceptibus communibus, et phaenomena legibus phaenomenorum generalioribus“. 564 „La réflexion errait dans cette incertitude immense, lorsque Kant essaya de tracer les limites des deux empires, des sens et de l’âme, de la nature extérieure et de la nature intellectuelle. La puissance de méditation et la sagesse avec laquelle il marqua ces limites n’avaient peut-être point eu d’exemple avant lui: il ne s’égara point dans de nouveaux systèmes sur la création de l’univers; il reconnut les bornes que les mystères éternels imposent à l’esprit humain“ (Mme de Staël, De l’allemagne, S.446. Zur Bestimmung durch Kategorie gehört die Reflexion übrigens ausdrücklich nicht (Longuenesse 2004, S.496). 565 Ein nicht zu übersehender Faktor, wie sich sogleich zeigt (p.e. Baumanns 1997, V.1., Die Urteilstafel. Das Problem). 566 Seine Problematisierung respektive Infragestellung u.a. in Zs. mit Lenk, diskutieren wir im Schlusskapitel.

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représentations, quels que soient les processus empiriquement déterminés par lesquels ces ordonnancements sont produits. Ces modes d’ordonnancement consistent dans la subsomption d’individus sous des concepts, et la subordination de concepts moins ­généraux sous des concepts plus généraux“567.

Dass die Subsumption „des intuitions sous des concepts“568, wie es auch bei ihr heißt569, die Einheit des Bewusstseins bewirkt, bezeichnet zweifelsfrei die Hauptleistung dieses „Aktes“, wobei wir (wie oben) vorziehen, die Subsumtion auf die Substrate570, die Ordination hingegen auf die Fakultäten zu beziehen. Sodann ist, wie soeben zu sehen, die von Kant als einzig herausgestellte Form der Ordination keineswegs die einzige, durch die, abgesehen von den Substraten als Begriffe oder Anschauungen, Einheit des Bewusstsein zu erwirken ist (denn der Begriff [„concept“], hier einer Linie, fällt ja nicht fort, nur weil das Bewusstsein stattdessen die „synthèse d’une multiple a priori (spatial) selon des règles fournies par le concept pertinent“ ausführt, und hierbei ist entscheidend, dass Kant glaubte und lehrte, diese Synthesis sei unmittelbar, aus bloßer Anschauung [„intuition pure“] möglich)571. Eine echte Koinzidenz unter den Vermögen, Akt der Einheit, den die transzendentale Deduktion (mit großer Akribie zweimal) nachzuweisen sucht572, ist auch durch eine ganze andere Inklusion und Koordination seiner Vermögen zu erwirken als die hier einleitend angeführte Norm der theoretischen Erkenntnis573, die Kant

567 Longuenesse 2004, S.487. 568 Longuenesse 2004, S.496, 487, 494-495. 569 Sowie „[…] relation entre les individus (objets d’intuition sensible) pensés sous des concepts“ (Longuenesse 2004, S.506). 570 p.e. Baumanns 1997, S.243 („die Arten der Assertion-Subsumtion“ als „Ergebnisse einer mehrtausendjährigen Erforschung“ der formalin Logik). „Diskursivität und Subsumption […] gehören zum Urteil“ (S.250, 288), „Subsumtionsformen“ des Urteils (291) versus 301, wo die „Subsumtion als Erzeugung von Bewusstseinseinheit durch Zusammenfassung sonst verschiedener Vorstellungen“ eigentlich ihre Subsordination bedeutet. Um dem Missverständnis entgegenzuwirken, Substrate bezeichnen die Leistungen der Vermögen (nicht Urteile). 571 Longuenesse 2004, S.494. 572 Henrich 1976 (); Paul Guyer, „The transcendental deduction of the categories“, in: Guyer (ed.), The Cambridge Companion to Kant, Massachussetts: Cambridge University Press 1992, S.123-160. Wir ergänzen in diesem Zs. Hilmar Lorenz, „Die Gegebenheit und Vollständigkeit a priori der Kantischen Urteilstafel“, in: Kant-Studien 88 (1997), S.386-405. 573 Wir führen in den späteren Kapitel Beispiele vor, im Folgenden und in Anlehnung an die synthetische Linie, die, um sich zu vollenden, zugleich die Umkehrung

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als ‚­transzendentale‘ ausgibt und die, ­freilich insgeheim verkannt, zum neuen Dogma gerinnt (das eigentlich zu beheben eines der Zentralanliegen seiner kritischen Philosophie war). Am einleitenden Beispiel Wallis/Becker bemessen, das die Möglichkeit ausführt, zu jeder Figur ließe sich eine ähnliche ausführen, ergibt sich somit für ein bloßes Paar, dass die effektiven Inklusionen der Vermögen diese Einheit gewährleisten müssen (völlig in Einklang mit theoretischer Erkenntnis oder [7]): (1)  ∃xi ∃xk[F1(Cxi) ⇒ G1(Cxi) ⇒ H1(Cxi)] >[F2(Cxk) ⇒ G2(Cxk) ⇒ H2(Cxk)]. Zeichenerklärung (wie oben unter I.1.A.B.) und Erläuterung: Die Formel besagt, es gibt einen Kreis Cxi, der, jeweils nach seiner Empfindungs- (F), Imaginations(G) und Verstandesleistung (H) aufgefasst, größer ist als ein Kreis Cxk, wobei der Kreis nur durch Verbindung von Vermögen und Leistung, nicht aber jenseits oder ‚an sich selbst‘ logisch wirksam werden kann, die erste, unmittelbare Zählung in diesem Sinne inkludiert. Die jeweiligen ⇒ sind infolgedessen keine bloß prozeduralen Anzeigen, sondern strenge Voraussetzung, indem das Bewusstsein nicht imstande wäre, das Ähnlichkeitspostulat, überhaupt eine vollständige Vorstellung des Kreises zu gewinnen, wenn es nicht gezwungen wäre, jedes seiner Vermögen hierfür in determinative Kraft zu setzen und seine Leistung auszubilden. Dann muss die Implikation – als Symbol der Subordination – zugleich mit der Wahrheitsfähigkeit einhergehen, anderwärts mit der behaupteten Einheit des Bewusstseins – als mögliche Koinzidenz der Vermögen überhaupt –, worin Kant das wesentliche Moment der Verklammerung zwischen transzendentalem und Urteilsbewusstsein erblickte. Diese Einheit oder „Bestimmungsfunktion“ steht jeder Überlegung über die (Ir)reversibilität eines „Nacheinander“ von Urteilskomponenten gegenüber, welche diese Einheit im ersten, ursprünglichen Sinne gar nicht zu erklären imstande ist574. Dass Longuenesse Subsumption und Subordination – in diesem Sinne (und vielleicht halbbewusst) – trennt ([3A/B]), erscheint von der Sache her somit sehr berechtigt, gleichwohl sind die logischen Regeln – als Operatoren – dieselben verlangt, und nicht nur eine Normierung durch die Imagination, als Sensus (S) → Imagination (Imag) → Intellectus (Intell) in Verbindung mit den jeweiligen Substraten. Die Formel am Ende des Satzes möge bedeuten, es werden in einer gleichzeitigen Perzeption (comperceptio) Kreisfiguren verglichen (s.o. Becker/Wallis) und hinsichtlich ihres Größenunterschieds bestimmt (wobei eine Bestimmtheit bereits von der figürlichen Sache als determinatum ausgeht [Leibniz 1995, S.82, 94, 124] und die Perzeption normiert). 574 Baumanns 1997, S.287.

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(Inklusion, Konjunktion, Alternation, Disjunktion575): gerade die Einheit des Bewusstseins, welche die Kritik als Ort ihrer höchsten Rechtfertigung im Sinne der „Unterordnung des Anschauungsmannigfaltigen unter eine gemeinschaftliche Vorstellung“ auszuweisen sucht576, muss dazu führen, den neueren logischen Standpunkt einzunehmen, der sich davon verabschiedet, für die (vermeintlich pertinente, an sich bestehende) Konversion der Tafeln eine noch immer (annähernd) aristotelische Auffassung zu vertreten577. Mit dem theoretischen Dogma, als Unterordnung der Anschauung unter das Verstandesvermögen, manifestiert in den Kategorien, ist bereits eine Inklusion (Subordination) vertreten, die gar nicht aus sprachlicher Form herzuleiten ist oder mit den Aussageformen ursprünglich gar nichts zu tun hat ([7]). Mithin ist es nicht die Ergänzung, die Frage nach Adjunktion oder Konjunktion578, die, schon bei der Tafel der Kategorien, das Deckungs- oder Ableitungsverhältnis insgesamt in Frage stellt. Der große Generalstrich, mit dem Kant, Übergang zur transzendentalen ­Logik, weil dies die allgemeine nicht zu leisten imstande ist, die Funktion auskleidet579, indem sie alle Einheit – als nunmehr „Ordonnanz“ oder [Sub]ordination580 – aus 575 Was bis heute in der Kantforschung, gleichgültig hinsichtlich ihrer Verzweigung, bloße Rezeption darstellt, Hinnahme der Behauptung, es sei Determinaton in den Fakultäten dasselbe wie unter ihren Substraten. 576 Baumanns 1997, S.291. 577 Michael Wolff, Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay über Freges Begriffsschrift, Fankfurt 1995 und anschließende Rezeption (Ulrich Nortmann, „Kants Urteilstafel und die Vollständigkeitsfrage“, Ansgar Beckermann, „Zum Verhältnis von Kantischer und Fregischer Logik“, Michael Wolff, „Erwiderung auf die Einwände von Ansgar Beckermann und Ulrich Nortmann“, in: ZfphF 52 (1998), S.406-421, 422-434, 435-459). Longuenesse 2004, S.490-491. Die Annäherung betrifft, u.a., die Erweiterung der Qualität durch infinite Urteile. 578 Baumanns 1997, S.303. 579 Longuenesse 2004, S.487. Baumanns 1997, S.242. „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Bgriffen, vermittelst der analytischen Einheit die logische Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch, vermittelst der syntheitschen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann“ (KrV 79/B104-105). 580 Wir kommen auf den Begriff weiter unten zu sprechen (in Anlehnung an Pascal, Desargues).

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dem reinen Verstandesbegriff zu erklären sucht581, ist somit kein Repräsentant einer axiomatischen Position oder Unanalysierbarkeit, und Anlass, die logischen Operatoren gemeinsam an einem Ort zu versammeln (in dem sich, wie soeben, auch der einseitig veranlagte, wenngleich zentrale Ort der transzendentalen Logik niederschlägt). Freilich ist das Urteil zunächst sprachlich, oder seine Vorstellungen sind definit als sprachliche Terme vorausgesetzt582, was hingegen für jene „verschiedenen Vorstellungen in einer Anschauung“ sowenig gilt wie, streng genommen, für die ursprünglichen Begriffe und, angeblich, (bloßen) „Titeln“583, die sich den Kategorien zuordnen. Dass Kant Quantität und nicht Menge sagt, oder Relation und nicht Beziehung, dass er Substanz und nicht ein beharrendes Ding sagt, zeigt nicht nur diese Differenz zur oder in der Sprache an, die sich von jedem aktualen Urteil wie ‚der Körper ist teilbar‘ (oder, linguistisch besehen, jeder Performanz in den Urteilen) unterscheiden muss, sondern eben auch, dass in den Kategorien ein ursprünglicher Zusammenhang mit den Vermögen beansprucht wird: eine Bejahung oder Assertion meint, als Kategorie, die Koinizidenz oder „Realität“. Nun ist aber auch das logische Moment, das sich in einem Urteil artikuliert, verschieden von dem anderen, das die – notwendige – Ordination der Fakultäten bewirkt, wobei Kant zurecht, wenn auch nicht eigens und vollends reflektiert, in beiden Fällen die Bestimmung oder Determination beansprucht584. Wenn aber jede Bestimmung der Einheit des Bewusstseins aus der Ordination der Fakultäten (i.e. ihrer vor allem Inklusion) hervorgeht und sie schon in dem einzigen Fall, den er herausstellt (als Subordination der Anschauung unter das Verstandesvermögen), von vornherein etwas ganz Anderes ist und sich an einer ganz anderen Beziehung niederschlägt als darin, in einem sprachlichen Urteil Vorstellungen, die primär als begriffliche auszufassen sind, einander zu subsumieren585, dann kann der Hauptzweck des Leitfadens, der die K ­ ategorien

581 Longuenesse 2004, S.487, 495. 582 Longuenesse 2004, S.489 „formes du jugements […] rendues explicites par le langage“. 583 Wie die Oberbegriffe der Kategorien von den Verfechtern der Urteilstheorie angesprochen werden (p.e. Baumanns 1997, S.282, 286 (Brandt), 293-294, 297-298 (Wolff). 584 Lee 2004, Baumanns 1997, S.242, wobei mit B IX die Bestimmung freilich auch für die Begriffs- und nicht nur Gegenstandsbestimmung beansprucht werden muss, so dass ein logisch betrachtetes Urteil im ersten Sinne nicht unbestimmt (indeterminated) sein kann, weil es, wie jedes i-Urteil, eine Konversion gestattet. 585 Baumanns 1997, S.297 in Anlehnung an Wolff, S.301 in eigener Deutung.

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aus der Urteilstafel herleiten will, gar nicht zutreffen586. Anders als Longuenesse prätendiert, indem sie hier eine resultative, vollumfänglich ineinander aufgehende Konversion der beiden Tafeln glaubt ansetzen zu können587, muss daher die Einheit des Bewusstseins, wenn sie aus einer Ordination der Vermögen hervorgeht, gar keine notwendige Parallele zu jeder Möglichkeit bilden, die aus den Formen sprachlicher Urteile hervorgeht. Warum sollte ein Diagramm, eine determinative Maschinenbauzeichnung, eine definitive Kurve keine Einheit des Bewusstseins repräsentieren? Und die Urteilsformen der grammatisch bedingten Sprache, eine Differenz, die es streng besehen gilt, transparent zu machen, wenn der „Urteilsgebrauch eine Art Grammatik [oder, so Kant] ‚Sprachkunst unserer Vorstellungen“ verkörpert588, können gar nicht abschließend und umfassend jede mögliche Form der Einheit des Bewusstseins ausdrücken. „Dieselbe Funktion“, welche Urteilen ihre Form verleiht oder anderwärts eine Synthesis von Anschauungen garantiert, um sie dem Verstandesvermögen durch seine Repräsentanten, die Kategorien, zu unterwerfen, ist also nicht mit sich „identisch“589, sondern nur Ausdruck einer möglichen Konversion oder Kongruenz, in der die sprachliche Form kraft Wirksamkeit der Operatoren mit der Form des Bewusstseins aus seinen Vermögen übereinstimmt (und die neuere Logik, im Folgenden Frege, neigt zur wohlbekannten Anzeige dieses Sachverhalts, indem etwa der Quantor des Allurteils die Inklusion einschließt ›∀x (Fx ⊃Gx)‹)590. 4. Sollte also „Kant, indem er berufen schien, die großen intellektuellen Allianzen [seines Zeitalters] abzuschließen, aus der Seele einen einzigen Brennpunkt gemacht haben“, so sind die Fakultäten dort keineswegs „untereinander in stetem Akkord“591: die Konfusion unter Vorstellungen, ein wichtiges ­Beweisstück, 586 Was auch, mit ([3A/B]) dem Leitsatz der Interpretation Brandts entgegengestellt sei, der die „Handlung“ aus Ordination der Vermögen mit der logischen Form des Urteils gleichsetzt respektive behauptet, jene wäre durch diese „ermöglicht“, mehr, „abgenötigt“ (Reinhard Brandt, Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67-76; B 92-201, Hamburg 1991, S.58). 587 Longuenesse 2004, S.490. „Cela montre que si les formes logiques servent de ‘fil conducteur’ pour la table des catégories, à l’inverse le but de produire une table des catégories détermine la facture de la table des formes logiques“. 588 Baumanns 1997, S.291. 589 Baumanns 1997, S.242. 590 Wolff 1998, S.443. Wolff merkt an, dass bei Freges Übertragung des klassischen Quadrats die Beziehungen nicht erhalten bleiben. Die i-Aussage lautet: ¬∀x ¬(Fx ⊃ Gx). 591 „Mais Kant, qui semblait appelé à conclure toutes les grandes alliances intellectuelles, a fait de l’âme un seul foyer où toutes les facultés sont d’accord entre elle“. De Staël, De l’allemagne, S.457.

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dürfte und wird gerade auch von ihnen ausgehen. Einheit kann daher nur aus der wirklichen Implikation des Bewusstseins begriffen werden592, denn eine nicht nur Ko-, sondern vor allem auch Subordination seiner Vermögen ist in actu unverzichtbar, und die sprachlichen Formen bezeichnen hierunter nur einen, überdies hinsichtlich der Wirksamkeit der Operatoren nachgeordneten Teilbereich (wie dies schon aus dem korrekten Verständnis der Kategorie hervorgeht, die Baumanns – wie gelegentlich Kant – auch als „Denkformen“ anspricht593). Angesichts ihrer Tragweite erscheint es sinnvoll, die innateness, Eingeborenheit, zuerst und vor allem bei ihnen, den Fakultäten, zu veranlagen, indem sie (i) die logische Wurzel einbetten, und, um den Faden wieder aufzugreifen, der Schlüsselbegriff ist gefallen, der angesichts der Koinzidenz, die sich mit der Grenze, Grenzvermögen des Bewusstseins, artikulieren muss, zu dem einzigen Vermögen geleitet, das nunmehr auch sie – die Kategorien als ‚Grundbegriffe‘ oder eher Grenze des Begreifens – unmittelbar und widerspruchsfrei zu erfüllen imstande ist, (ii) die Projektion594 und, dahinter bzw. darin, die Polarität, die ein gleichermaßen angeborenes wie spontan wirkendes Vermögen bzw. Gegensatz darstellt. Reflexion595 nämlich oder Perzeption, Phänomenalität und Abstraktion596 sind es bei derselben zusammengefassten Bedingung nicht, da sie logisch die Form einer aktualen Implikation annehmen muss und schon in den Vermögen hinsichtlich möglicher und notwendiger zu erweitern ist597, insoweit letztere, wie (1) zeigt, nicht bereits in sie eingreifen. Umso mehr, als auch Kant bei der fälligen Unterscheidung zwischen transzendentaler und empirischer Deduktion – worin sich der erste vektorielle oder Orientierungsunterschied manifestiert, der das

592 So dass die Inklusion, p.e., nicht erst mit der dritten Kategorie/Urteilsform unter den Relationen ins Spiel kommt (Baumanns 1997, S.283 in der Erörterung Reichs), vgl. die neuerliche Darstellung einer einfachen Allprädikation. 593 Oder „Denkfunktion“, Baumanns 1997, S.239 versus 241. 594 Die, in ihrer fundamentalen Bedeutung als Vermögen, nicht damit zusammenfällt, es würden der beiden Tafeln einfach „parallelisiert“ (Longuenesse 2004, S.493) oder aufeinander „projiziert“ (Baumanns 1997, S.243, 246), obgleich dies, bei Wahrheit, tatsächlich unter Beteiligung dieses Vermögens stattfinden muss. 595 Baumanns 1997, S.242: „[D]ie Identität der Richtigkeits- und Wahrheitsfunktionen als auch der Identität der subjektiven und objektiven Grundverhältnisse der Erfahrung nur der standpunkttheoretischen, entelechialen Reflexion begreiflich erscheinen“. 596 Baumanns 1997, S.241, 251. 597 Dies beginnt mit den „Prädikaten möglicher Urteile“ oder dem gewöhnlichen S-PWechsel (Baumanns/Wolff 1997, S.292-293).

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Fundament der Metaphysik berührt598 – die „Reflexion“ auf die Seite der empirischen zieht, um ihr den originären „Besitz“, an dem die konträren Begriffe „entspringen“, entgegenzustellen599. Sollte sich nun, weil seine Anzeige am Grundstück nicht vermerkt ist, kraft einer „Schatzsuche“ der erste erhebliche „Eigentümer“ über das Erkenntnis- und Bewusstsein schlechthin als ein maître des catégories, a master of categories oder Inhaber der Kategorien herausstellen600 – und nicht als ein Sprachsubjekt noch als der Inhaber des logischen Kalküls, was ihm vielleicht auch und ebenso zukommt –, so wird es dennoch nicht sinnvoll sein, ihn entsprechend bloß bzw. privat zu stellen – als sei er es in absoluter Reinheit, an und für sich601. Die Anwendung von, und eben auch die Erzeugung, das Zustandekommen einer Kategorie, sind, auch wenn sie Kant in der Deduktion ganz unter der Anwendung abzuziehen sucht und wie schon die auswärtige Erfahrung lehrt, die vielleicht zum Portikus seiner Wohnstätte führt, nicht ohne das zuvor erwähnte Vermögen zu begreifen602 (was Fichte relativ spät, jedoch nachhaltig bemerkte), ohne dass aber diese Grenze des Begreifens, in der beständig Projektion produktiv beteiligt ist, sprachlich, sprachlicher Term, sein muss. Wenn aber, nach der mindestens notwendigen Teilhabe dieses Vermögens, „[wir] die Idee des reinen Verstandes entwickeln, indem wir eine Einheit der unendlichen Einschränkbarkeit und einer ebenso reinen Einschränkungs- oder Bestimmungstätigkeit projektieren, die sich auf die eigentlich empirische, die Einschränkung der ­unendlichen Einschränkbarkeit veranlassende Affektion erstreckt“603,

dann muss, da Projektion bei Wahrheit und methodischer Vollständigkeit die Umkehrbarkeit einschließt, der reine Verstand zu einem Konstitutivum seiner

598 Als, anders besehen, Verhältnis zwischen Anschauungen als „Affektionen“ und ­Begriffen als „Funktionen“ (Baumanns 1997, S.292, 301). 599 KrV A 85/B 117. 600 Baumanns 1997, S.248. 601 Brandt 1991, S.47, wo die ratio essendi der Kategorien anerkannt, ihre ratio cognoscendi jedoch aberkannt wird. 602 Die echte Erzeugung eines Begriffs ist somit nicht dasselbe wie „acquérir un concept n’est autre qu’acquérir l’apitude à reconnaître un objet comme tombant sous ce concept aussi bien que l’aptitude à reconnaître les relations de subordination de ce concept à d’autres concepts“ (Longuenesse 2004, S.487). 603 Baumanns 1997, S.292, der hier die zuvor unter den Tafeln abgelehnte Projektion anerkennt: um das ganzre Verhältnis recte kollabieren zu machen, denn Projektion impliziert Umkehrbarkeit, mithin geht die Einschränkung von der Sinnlichkeit aus (Flucht, Perspektive etc.).

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Einschränkbarkeit werden, ganz unabhängig von der Einschränkbarkeit, die er im Übergang der Relation bis zur Disjunktion durchläuft604, und der Apperzeptionsstandpunkt, der in ihm ein Korrelat des ‚reinen‘ Ich erblickt, wird zu einem Ausdruck echter Äquivalenz: Es ist nicht erst die Perspektivierung oder der (Bewusstseins)horizont, der zu einer Reform der Transzendentalphilosophie zwingt, wie sie, im Gebiet der Phänomenologie Husserl, Heidegger und Sartre, und in der Rezeption Kants Palmquist direkt und Kaulbach (in wenigstens seiner Ausdrucksweise) vertreten haben605 (und wie sich eine notwendige Perspektivierung, Voraussetzung von Lage und Standpunkt freilich in der neueren Philosophie bis zu Leibniz zurückverfolgen lässt606). 5. Zuletzt, wird Metaphysik nicht nach einem (wieder) „absoluten Kriterium“ zu entscheiden sein, das der „Alltagsontologie“ oder „Annäherung an die Wirklichkeit“ gegenüber einer ‚revisionären‘ oder konstruktiven Auffassung Vorrang verschaffte607. Ganz im Gegenteil, wenn die Bedingung, eine Koinzidenz, i.e. Ordination unter den Vermögen und in Einklang mit der Wirklichkeit herstellen zu müssen, mit dem Vermögen der Projektion einhergeht, welches das natürliche Bewusstein (und tatsächlich jede Erzeugung, Anwendung und Erhebung von Begriffen angesichts der Wirklichkeit) begleitet, dann befindet sich das Bewusstsein – oder die Metaphysik, die sich als theoretisches darüber Rechenschaft abzulegen sucht – nicht mehr in Gebiet oder erstem Einflussbereich der Disjunktion, als müsste es respektive sie tatsächlich den Naturstandpunkt, die (an und für sich) Bestimmung durch Natur ([6]), absolut dem rationalen oder kritischen, mehr dem idealen Standpunkt gegenüberstellen. Es werden beide Auffassungen nicht nur zugleich möglich, sondern, als geforderte Koinzidenz, notwendig, indem der Grad der Entfernung nach dem einen oder anderen ein jeweils Definiens – Setzung, Inhalt und Statur – von Bewusstsein bezeichnet (gleichgültig ob seiner Materie und Wissenschaftlichkeit). Denn nicht nur ist der Horizont und sein Umkreis a fonte unumgänglich, sondern das Bewusstsein, indem es in actu seine eigene Veranlagung auf die Wirklichkeit projiziert (überwirft) und von dort her – unter notwendig derselben Bedingung – seine Eindrücke empfängt, 604 Baumanns 1997, S.302. 605 Palmquist 1993, Friedrich Kaulbach, Philosophie als Wissenschaft. Eine Anleitung zum Studium von Kants Kritik der reinen Vernunft, Hildesheim 1981. Das Sujet bleibt ein Begleittenor. 606 Was die Veranlagung im Verhältnis von Substanzlehre und Relationen angeht, noch einmal Rescher 1982, S.71-72 (zur Realität 72-76). Als eine späte Quelle PNG § 3 „manière de centre“, 13 „centre partout“ (Dieu), in: GP VI, S.599, 604. 607 Liske 2004, S.30-31 (VIII.).

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ist im selben Augenblick gezwungen, (i) die Bestimmung und Anordnung seiner Vermögen anzulegen respektive zu verwirklichen und (ii) der Konfusion selber zu entringen, welche Abstimmung nunmehr, recte, das ‚transzendentallogische‘ Grundproblem ersetzt: jenes Verhältnis zwischen, an und für sich untrennbar, falscher Setzung oder falschem Erwerb, um bis zum Hippias II, der klugen, absichtlichen Falschheit, zurückzureichen, die sich hiermit entlarvt – wer Realität projiziert und zugleich wissentlich negiert. Was eine Substanz ist und was die übrigen Vorstellungen von der Realität her oder in Wahrheit bedeuten, kann daher nicht allein dadurch beantwortet werden, dass das Bewusstsein über (scheinbar) autochthone, selbstständige Vorstellungen verfügt, die ihrer Erfassung dienen. Schon besteht diese Erfassung in einem realen Austausch mit der Erfahrung, dem konkretesten Erleben, worin das Bewusstsein darin übergeht, bis ins Innerste, noch über jede feststell- und empfindbare Grenze hinaus, geistige und körperliche Membran zu sein608, wodurch sich die Grenze nunmehr in einem anderen Sinne, dem realen, Vorrang verschafft (Datum statt Vorstellung). Die (gelegentlich betonte) „Demarkationslinie“ zwischen Erfahrung und Vorstellung(en) aus dem reinen Verstand (oder übersinnlichen Vorstellung bei Brentano)609 ist demnach so wenig ein absolutes (originäres und ausschließliches) Produkt der letzteren wie sie tatsächlich jemals verschwindet610 (woraus sich, wie erläutert, der wesentliche Kontrast zur – vermeintlichen – Abgeschlossenheit und unbedingten Spontaneität der Kategorien begründet, indem sie nicht ohne eine letzte, differentielle Scherung bzw. Schneidung zu begreifen sind, dem Übergang vom affinen zum projektiven Raum vergleichbar, durch den erst die Vollständigkeit des Bewusstseins – und nicht von Tafeln, die mögliche Leistungen bezeichnen – erfüllt wird): insgesamt Anzeige, dass der Gegensatz Sinnlichkeit – Verstand [esvermögen] nicht dem Widerspruch oder Dichotomie, nicht dem relativen oder privaten, nicht der Äquipollenz (wie man sie aus dem sprachlichen Paradigma kennt), sondern der Polarität gehorcht. Überdies erzeugt dasselbe Vermögen, seine Veranlagung und stetige Leistung der Projektivität (die nicht nur, sondern auch Perspektivierung ist, während in jener der Gesichtspunkt nicht notwendig der eigene), ein sofort, je nach Konkretion zu unterscheidendes 608 Wie sie, von der Historie her, wenigstens Leibniz in verbo unter NE, II, ch. XII, in: GP V, S.131-132 erläutert. 609 Bernhard Bolzano, Wissenschaftslehre § 279. In: Gesamtausgabe, Reihe 1, Schriften, Bd. 13, hg. v. Jan Berg, Stuttgart 1989, S.42-44. 610 Mme de Staël, De l’allemagne., S.448 (mit der Unbeweglichkeit des Prismas, demgegenüber die Empfindungen empfangen werden) u.ö.

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definites und i­ndefinites Dasein im Anderen611, Ausdruck der notwendigen Polarität, ohne die es – bei Wahrheit – weder Ich noch Subjekt, noch Bewusstsein gibt, mithin auch nicht ein Individuum ohne Sozietät (und nicht etwa bloße Gattung)612. Leibniz, der die Substanz als einen Begriff (notio) der Idealität anerkannte, anderwärts eine Substanzlehre und Monadologie entfaltete, die den Kern der Realität verbürgt, war darum an und für sich keineswegs im Unrecht, umso mehr, als er die Konzentration des Ich anerkannte und seit dem Discours lehrte. Schließlich ist es keine Schwächung, dass diese Grundbegriffe oder -­vorstellungen (nach dem Verlust der angeblich intellektualen Reinheit) nunmehr einer echten Potenzierung ihres Ursprungs unterliegen – es ist nicht nur die Anwendbarkeit, die über eine wahre Kategorie entscheidet, sondern ihre zugleich Konstitution aus Erfahrung613: dass es wesentliche, die Statur des Gesamtbewusstseins verantwortende Begriffe geben sollte, die einem Nulldifferential der Erfahrung entstammen, ist generell in Frage zu stellen, zumindest dass sie den Kern des Bewusstseins und seiner Wirkungs- und Arbeitsweise ausmachen. Darum kann abschließend die Urteilskraft, wie schon ihr Name sagt, nicht als Hauptvermögen eintreten, da sie entweder doppeldeutig bleibt (Subordination an den Vermögen methodisch gleichsetzt mit Subsumtion an den Begriffen [3A/B]) oder aber in ihrer eigenen Domäne, wo sie sich einer Umkehrung der Reflektierbarkeit hingibt, die Inklusion und fortlaufende, und nicht etwa nur einfache Bestimmung unter den Vermögen gar nicht mehr erwägt (weshalb die Kunst, als ob sie keine [Wieder]erkennbarkeit besäße, alle Bestimmung verliert, anderwärts Kants Methodik demonstriert, dass er die Unterscheidung nicht wirklich vollzieht und sich tatsächlich nur an den Substraten orientiert). Die Äquivalenz, die schon die Anwendung der Kategorie auf Wirklichkeit – bei Wahrheit – erfordert, muss, wenn diese ursprüngliche Setzung tatsächlich (widerspruchsfrei wegen der konträren Orientierung) nur durch die Leistung des projektiven Vermögens möglich ist, einschließen, dass nicht (i) die Urteilskraft die logische Wurzel einbringt, zur Gänze und vollständig, noch (wie die Urteilstheoretiker stillschweigend 611 Wodurch wir die „synoptic compossibility“ respektive erklären wollen, dass „each substance within a possible world carries within itself an ineradicable imprint of all the rest“ (Rescher 1982, S.71). 612 Um gleichfalls einen Leitsatz der jüngeren politischen Philosophie zu kommentieren (Julien Freund, l’essence du politique, Paris 1965, S.24-45). Vgl. außerdem Wilkens 2012. 613 Die mit den schließenden Paragraphen der Deduktion als eine mögliche Urheberin von Synthesis des Bewusstseins nicht mehr in Frage steht.

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prätendieren614) (ii) die Sprache, denn hierdurch geraten ([3A/B]) in den direkten Widerspruch, noch (iii) der Verstand615 (und umgekehrt, denn die Subsumtion von Begriffen ist verschieden von dem Vermögen, Fakultäten zu ordinieren), noch etwa (wider die Tradition) (iv) die Sinnlichkeit, sondern das menschliche Bewusstsein kraft Faszikel, Zentrum oder Kern seiner Vermögen, in die es, je nach Betrachtung, unmittelbar auseinanderfällt oder zusammenwächst. Dieselbe Organisation muss es bereits geleistet haben, bevor es zu sprechen beginnt, und überhaupt betrifft dies seine Vorstellbarkeit, ineins mit dem Auswuchs seiner Vorstellungen. Die Konstitution aus Erfahrung, der „materiale Bestimmungsgrund“ ([6]), der ja auch in der theoretischen Philosophie eine Bedeutung haben und gültig sein muss, ist aber keineswegs bereits notwendig Vernunft, indem sich dieser Kern manifestiert.

614 In Einklang mit der „dogmatischen“ Einschätzung Baumanns über Wolff 1997, S.299. 615 Worin Kant schwankt (Longuenesse 2004, S.489); Baumanns 1997, S.296. Anderwärts: der Rückgang auf die Substanz, welche jede Reflexion über die mögliche Form eines Urteils anhält, sei „extralogic“ (Guyer 1992, S.148, 152).

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[IV]. Zur Historie des Begriffes Ordre, Ordination, Ordonnanz: Descartes, Desargues, Leibniz, Kant; die neuere Geometrie (Hilbert) A. Von der Metaphysik her 1. „Ce qui ne semblera nullement étrange à ceux qui, sachant combien de divers automates, ou machines mouvantes, l’industrie des hommes peut faire, sans y employer que fort peu pièces, à comparaison de la grande multitude des os, des muscles, des nerfs, des artères, des veines, et de toutes les autres parties qui sont dans le corps de chaque animal, considéreront ce corps comme une machine, qui, ayant été faite des mains de Dieu, est incomparablement mieux ordonnée, et a en soi des mouvements plus admirables, qu’aucune de celles qui peuvent être inventées par les hommes“616. Die wohlbekannte Stelle aus dem cartesianischen Discours de la Méthode bezeichnet die vielleicht bedeutsamste Quelle des neueren metaphysischen Ordonnanz-Begriffes (wie wir ihn ansprechen wollen), der an dieser Stelle im Kontext seines Bedeutungsfeldes angesprochen wird – der Über- und Einblick, die hierbei im Vordergrund stehen, sollen die Überschneidung mit dem ordo-Begriff seit insbesondere Plato und seiner reichhaltigen Erneuerung durch Leibniz nicht bestreiten617, gleichwohl eine genuine Bedeutung, die nur ihm zukommt und die im Folgenden zutage treten soll, entgegenstellen. Um wiederum die Verwechslung mit der projektiven – oder perspektivischen – Ordonnanz zu vermeiden, welche Desargues und Pascal gleichzeitig definiert und gebraucht haben, könnte es angebracht erscheinen, zunächst nur von einem metaphysischen Ordnungsbegriff oder einem ordre métaphysique zu sprechen. Hiermit aber würde sich das Feld von seiner ganzen Bedeutung her unangemessen einschränken (obgleich es, zumeist wegen der Anlehnung an eine bestimmte Schule, in dieser Form Usus ist). Dieser ordre métaphysique bezeichnet Ordnungsverhältnisse, die an einem Seienden, einem Lebewesen oder einem 616 Descartes, Discours de la Méthode, in: Œuvres VI, S.55-56. 617 Hierüber verschaffen die Registerbände der Akademie-Ausgabe einen leichten Einblick, zugleich, dass der Ordonannce-Begriff in den Schriften von Leibniz keine Bedeutung hat (was übrigens Echeverría als ein intimer Kenner der Erfahrungen, die Leibniz in Paris mit Pascal und Desargues gewonnen hatte, unbemerkt lässt). Eine Stelle wie GP IV, S.538 bringt den Begriff in die Nähe des heutigen auch juristischen („quelque autres Philosophes et Theologiens qui ont refusé à Dieu la connoissance et l’ordonnance de detail, ont raisonné de la même matière“).

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Körper, festzustellen sind, und zwar an sich, unabhängig von unserem Urteilsvermögen und seiner Beanspruchung618 – womit der neuere (und ebenfalls nicht eindeutige, wie sich in den nächsten Absätzen zeigen wird) Ordinationsbegriff betreten wird (nach seiner systematischen Beanspruchung im System Kants – die selber eine zum Teil verdeckte, nicht völlig manifeste Lehre darstellt)619. Dieselben Ordnungverhältnisse sind wegen ihrer realen Verankerung alles andere als einfach, und tatsächlich muss man den gesamten kausalen, kausal potenzierten und relationalen Apparat veranschlagen, um nur eine metaphysische Ordnung zu erschließen, wobei keineswegs die Gewähr besteht, der Prozess sei abschließbar620. Im Kontext der neueren Philosophie ergibt sich sodann eine nicht zufällige Parallele, sobald der Ordnungs- durch den Kohärenzbegriff ersetzt wird621, was im Sinne einer echten Parallele und nicht nur Reflexion entgegengehalten sei. Anders als Rescher, der darauf hingewiesen hat, wird aber die eine Alternante, jene, in der Kohärenz die »metaphysische« Realität verkörpert, aus Gründen, die 618 Die Unterscheidung ist übrigens mittels einer Alltagsontologie oder deskriptiven Metaphysik, die sich auf die Sprache beruft, nicht zu erfassen (Liske 2004). 619 Eine Stelle wie die folgende aus der Zeit vor Kant steht in der Mitte, indem die ordinatio die Substanzen erfasst (singularium essentialis), zugleich aber auf Zeit und Raum bezogen, die für Leibniz ideale Entitäten darstellten: „Singularium Essentialis ordinatio seu relatio ad tempus et locum intelligenda est de relatione ad contenta in tempore et loco tam vicino quam remoto, quae a quovis singularis exprimi necesse est, ita ut in eo legi potest universum, si lector sit infinitae perspicaciae“ (an De Volder [1705], in: GP II, S.277-278 = PS V, S.174-175). 620 Sind a) die Zeit und b) die Anschauung Bedingung, dann vollzieht sich die compositio des Weltbegriffs – vor der kritischen Schwelle - nach Paragraph 1 der Dissertation Kants auf der Basis desselben Ordnungsverhältnisses (De Mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, in: AA II, S.387-389). Derselbe Sachverhalt mit vorausgesetzter Infinität bei Spinoza, Ethica, I, Prop. XXVII-XXVIII, in: Spinoza Opera II, S.68-69). 621 Nicholas Rescher, „Die Kriterien der Wahrheit“, in: Gunnar Skirbekk (Hg.), Wahrheitstheorien, Frankfurt 1977, S.337-388, 361: Die Kohärenztheorie ist historisch gesehen keine monolithische Theorie, sondern sie enthält „(I) eine metaphysische Doktrin über das Wesen der Realität (dass sie nämlich ein kohärentes System sei); (II) eine logische Doktrin über die Wahrheitsdefinition (wonach Wahrheit als Kohärenz von Propositionen definiert werden muß); (III) eine logisch-erkenntnistheoretische (logico-epistomological) Doktrin über das primäre (oder letzte) Wahrheitskriterium (wonach die kanonische Wahrheitsprüfung in der Feststellung der wechselseitigen Kohärenz [geeignet gefaßter] Propositionen bestehen muß)“. Im Kontext des Fundamentalismus: BonJour 1993, S.216.

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noch deutlich werden, nicht schlechthin auszuklammern sein. Nicht nur, weil es stets Philosophen gab und gibt, die dafürhalten, eine solche Ordnung – oder Kohärenz – sei, gleichgültig, ob auf der Basis einer linearen Ordnung oder nicht622, wahrnehmbar, sondern weil sich auch zeigen wird, dass das Grundproblem räumlicher Vorstellung, durch das sich die ältere (euklidische) von der neueren (nicht-euklidischen) Geometrie selber, und ebenso der affine Rn vom projektiven Raum Pn, unterscheidet623, nicht zu begreifen ist, wenn man ihm die metaphysische Verankerung raubt: ob sich, nach dem axiomatischen Basismodell (Fano), wenigstens zwei Geraden, sodann auch ein ganzes Bündel, in einem Punkt schneiden (=Pn) oder nicht (=Rn)624, obgleich beide Fälle Parallelen beinhalten, setzt voraus, die (einzig) ideale Voraussetzung der Parallele aufzuheben oder, mehr noch, einen empirischen Grund der Parallele zugleich mit seinem nicht identischen Bewusstseinsgrund anzunehmen. Auch wenn die neuere Mathematik (auf dem monolithischen Pfad des Rationalismus) erneut von idealen oder uneigentlichen Punkten spricht (durch die sich die affine zur projektiven Geometrie erweitert)625, von der Genesis und natürlichen Erfahrung her ist nicht zu bestreiten, dass die entsprechenden Fluchtpunkte mit der natürlichen Erfahrung der Perspektive in Erscheinung treten. Neben (i) ordo (als realen oder existierenden Ordnungsverhältnissen) und (ii) Ordination (als nunmehr insbesondere die Ordination des Bewusstseins aus seinen Vermögen und ihren immanenten Determinationen, i.e. verschieden verwurzelten Determinationsbeziehungen) muss es aber eine dritte Beziehung geben, in der beide zugleich stattfinden und sich in einem bestimmtem Sinne akkordieren – dies sei, im systematischen Überschlag, der Kern des (iii) Ordonnanzbegriffes, der für die Grundlegung der metaphysischen Relation benötigt wird, sobald sie die Projektion (und das interstitiale 622 BonJour 1993, S.216. 623 Die letzte Unterscheidung betrifft die Unterscheidung des affinen Vektorraums in Differenz zum projektiven, bei dem die uneigentlichen Punkte (und Ebenen) hinzutreten, die im affinen nicht darstellbar sind und die Fluchtpunkte respektive -ebene bezeichnen (Sperner 1963, S.158-159). 624 Der erste Fall ist anhand der Zentralperspektive das wahrscheinlich berühmteste Beispiel. Aber auch die Pseudosphäre Beltramis (mit negativer Krümmung) enthält dasselbe Theorem („Introduction“ in: L. Boi, L. Giacardi, R. Tazzioli, La Découverte de la Géométrie non euclidienne sur la Pseudosphè. Les lettres d’Eugenio Beltrami à Jules Hoüel (1868-1981), Paris 1998, S.37-38. Hermann von Helmholtz, „Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome (1868/1869), in: Abhandlungen zur Philosophie und Geometrie, Cuxhaven 1987, S.119-120). 625 Sperner 1963, S.157 und öfter, die Erläuterung des Parallelenproblems in der neueren analytischen Darstellung (siehe auch weiter unten).

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Bewusstsein) in sich aufnimmt (dieses bezeichnet die Abstände der Grenzen im Bewusstsein gegen Grenzen im Seienden anstatt stets und ausschließlich Inhalt gegen Inhalte) und insoweit ihm eine historische Verankerung gegeben werden soll. Die historische und historisch gescholtene, gleichwohl noch unvergessene Behauptung, dass „ordo, & connexio idearum idem est, ac ordo, & connexio rerum“ wird hierdurch im Kern aufgehoben626, womit der Hintergrund der kritischen Revolution (oder Wende) im Sinne Kants und eines seiner neueren Interpreten, Henrich627, erhalten bleibt, wenn auch nicht ihre Schlüsse selber. Im Ganzen, es liegt aber keine Ontologisierung des point de vue vor, wie ihn exemplarisch Deleuze’s Leibnizinterpretation, der ihn als Determinant (im sogar Kontext der Kegelschnitte) dem Subjekt vorschaltet628: die „puissance d’ordonner les cas“ wohnt nicht einfach dem point de vue inne oder geht von ihm bedingungslos aus629 (selbst wenn er rechtens den Kern des Ich und Ichbewusstseins verkörpern sollte, sogar eine ›intuitive‹ Rechnungsweise der menschlichen Vorstellung, die der musikalischen im Sinne von Leibniz ebenbürtig ist). Insoweit der Grundriss im Sinne der Historie anzusprechen ist, möchten wir Malebranche Recht geben, dass nicht die volonté des Bewusstseins (esprit) allein für die Erzeugung der Gegenstände verantwortlich gemacht werden kann630, aber es ist stattdessen nicht Dieu, sondern die Projektion (die er wiederum – im Kanon 626 Spinoza, Ethica, II, Prop. VII + Demonstratio et Corollarium, in: Spinoza Opera II, S.89-90; dito Prop. IX, S.91-92, XIX, Demonstratio, S.108 u.ö., zuletzt V, Prop. I, S.281, XX, Scholium, S.293. 627 „[…] haben die kantischen Überlegungen zur spezifischen Synthesisform des Urteils nun zum ersten Male ein Argument eingebracht, das in dem Maße, in dem es überzeugt, auch gegen Humes Zweifel schlüssig ist. Man kann sein Resultat von spezifischen Prämissen der kantischen Erkenntnislehre unabhängig formulieren: Es trifft nicht zu, dass wir es dem faktischen Bestand der Erscheinungen selbst überlassen müssen, ob wir Objekte als Komplexe oder als einfache Gegebenheiten aufzufassen haben“ (Henrich 1976, S.49). 628 Deleuze 1988, S.27. „Ce n’est pas le point de vue qui varie avec le sujet, du moins en premier lieu; il est au contraire la condition sous laquelle un éventuel sujet saisit une variation (métamorphose), ou quelque chose = x (anamorphose)“. 629 Deleuze 1988, S.30. 630 „Ils devront seulement conclure que selon l’ordre de la nature, leur volonté est ordinairement nécessaire afin qu’ils ayent ces idées: mais non pas que la volonté est la véritable & la principale cause qui les présente à leur esprit, & encore moins que la volonté les produise de rien, […]“ (Nicolas Malebranche, Recherche de la Vérité, où l’on traitte de la Nature de l’Esprit de l’homme, & de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences, im Folgenden zitiert nach der 4ºédition, augmentée de plusieurs Eclaircissemens, Amsterdam (Henry Dessordes) 1688, I, S.334.

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seines Zeitalters – bei der Sinnestäuschung und Behandlung der Impressionen missachtet). Schließlich gilt es, auf die neuere cognitive science bezogen, weiterhin, die damit verknüpfte Wurzel des Klassifikationsvermögens zu beachten und freizulegen, um sich von der naiven Annahme lösen zu können, dass Ordnungsverhältnisse der Ideen („concepts“) und der Dinge stets übereinstimmen, sogar einander spiegeln631. Wenn dies, wie Durkheim prätendierte, das Zentrum der wissenschaftlichen Methode begründet632, imstande, gegen die philosophische Interpretation als art aufzutreten, dann wird diese nicht umhin können, erneut die Ordination des Bewusstseins ins Feld zu führen, um dem Soziologen (und früheren Philosophen) einsichtig zu machen, wie seine Vorstellung arbeitet und warum sein Eindruck der Entsprechung zutrifft oder auch nicht, und wie sie sich die Leistungen, Imagination, Begriff, Erinnerung, ordinieren. Die Behauptung, dass das Parallelenproblem, das in dieser Abhandlung und an dieser Stelle eine Art von Schlüsselstellung ausüben muss, in die (wenigstens633) Dualität oder Alternation zurückführt, mit der sich die Metaphysik erneut konstituiert, erscheint demnach wohlbegründet, soll es nicht selber, in diesem bestimmten Sinne, als ein Grundmaß der Beziehung dienen. Umso mehr, sobald ihm seine wahre, auch positive Grundlage unbenommen bleibt, die – aufgrund seiner empirischen Fundierung634 – nicht nur die bloße Kritik 631 Cohen & Lefebvre 2005, Einleitungskapitel (Resumee), insb. S.12: „Although many of the contributors in this book do not directly address the question of the innate or learned nature of categories, it is possible to find a common view between some of them. For those who consider that categories and concepts are percetually based, and that the relations between concepts mirror the relationships between the realworld properties, they refer to, the consensus would be that categories are learned“. 632 „Interpréter les choses, ce n’est rien d’autre que disposer les idées que nous en avons, selon un ordre déterminé qui doit être le même que celui de ces choses. Ce qui suppose que, dans les choses elles-mêmes, cet ordre existe, c’est-à-dire qu’il s’y trouve des séries continues, dont les éléments sont liés entre eux de telle sorte qu’un effet résulte toujours de la même cause et ne peut sortir d’une autre“ (Émile Durkheim (1892), „La contribution de Montesquieu à la constitution de la science sociale“ (Bordeaux 1892), in: Montesquieu et Rousseau, précurseurs de la sociologie. Paris (Librairie Marcel Rivière et Cie) 1966, S.25-113 (Série B. Les Classiques de la sociologie. Collection Petite bibliothèque sociologique internationale dirigée par Armand Cuvillier); Abschnitt III. 633 Diese Klausel meint, es wird nirgendwo prätentiert, die metaphysische Beziehung – oder jede Realität von Subjekt und Welt – sei von vornherein auf diese Dimension beschränkt. 634 Unter den zahlreich möglichen Anknüpfungspunkten zitieren wir – im Konext der Hilbertschen Axiome – Greenberg 1972, S.72.

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oder Infragestellung der Idealität beinhaltet. Auf einer einsehbaren und theoretisch wirksamen Ebene der Realität zu beharren, bedeutet demnach nicht eine bloße Rückwendung zur Tradition. Schon dass es sich – als Ordonnance oder Ordonnanz – wegen seiner immanenten Alternative nicht auf eine Tautologie bringen lässt635, zeigt, dass seine Erklärung den Logizismus überschreiten muss. Die notwendige Wiedereinführung statt „Ausschaltung der Metaphysik“ führt aber nicht, gerade nicht zur Veranlagung unzugänglicher Dinge an sich „hinter den Erfahrungsdingen“, noch zu einem „»Unbedingten«, »Absoluten« hinter allem Bedingten“, wenn dies, die Reserve Rudolf Carnaps aufgreifend636, bedeuten soll, es handelt sich in beiden Fällen um Schlüsse im Zirkelverfahren, denen ein letzter Sprung innewohnt, dessen intrinsische Spanne der Behauptung den Charakter der Setzung verleiht. Ist aber die natürliche – und in diesem Sinne metaphysische – Projektion Wurzel des Parallelenproblems (woran, in Verbindung mit der direkten Erfahrung des Brennpunkts, seiner Konstituente, an und für sich kein Zweifel bestehen kann637), dann widerfährt dem Relationenbegriff als Baustein oder komplementäres Modul der Logik eine wesentliche Bekräftigung, ohne sich (wie soeben in Zusammenhang mit Deleuze berührt) verabsolutieren zu dürfen: die Konversion, die Carnap als das historische Moment der neuen Logik herausstellte638, gehört zu ihrer ersten Natur. 2. Sollte die Inferenz oder „Induktion“, die Helmholtz in einem späten Aufsatz über die Wirksamkeit der Sinneseindrücke resümiert639 – sie wird weiter unten zitiert –, Ordnungsverhältnisse zum Ausdruck geben, in der unser Bewusstsein zu einer regelmäßigen Verknüpfung seiner Perzeptionen gelenkt wird, dann wäre auch ein neuerer, mit dem Axiomen-, Krümmungs- und Kongruenzproblem vertrauter Autor benannt, der die cartesische Wahrnehmbarkeit des ordre métaphysique nicht nur bekräftigt, sondern sogar mit einer Art von physiound psychologischem Mechanismus ausstattet: das Konstanzphänomen in der

635 Die Alternative liegt in den anfänglichen, weiter unten zitierten Definitionen bei Desargues und Pascal vor, mit denen zugleich das natürliche Bewusstsein (seine Interferenz) beschrieben wird. 636 Rudolf Carnap, „Die alte und die neue Logik“, in: Skirbekk 1977, S.73-88, 87. 637 Es sind, streng genommen, (wenigstens) zwei, indem der Gesichtspunkt die Geradenschar des Gesichtskreises bedingt, während der Haupt- oder Fluchtpunkt die projizierte Geradenschar zusammenfasst (klassisches Modell seit der Renaissance). 638 Carnap 1977, S.78-80. 639 Hermann von Helmholtz, „Über den Ursprung der richtigen Deutung unserer Sinneseindrücke“ (1894), in: Abhandlungen zur Philosophie und Geometrie, Cuxhaven 1987, S.186-196, insbesondere 191.

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­ eutigen Psychologie des Sehens, das eine Art von Mediante zwischen den beiden h erkenntnistheoretischen Polen bildet, bedeutet ein Ergebnis und Theorem, das sich in dieser Linie ausziehen lässt640. Zwar ist der Raum hier erneut das primäre Sujet, aber Helmholtz äußert die Gesetzmäßigkeit in einer Form, in der sie auch für andere Gegenstände gelten könnte – wohlgemerkt, nicht als Theorem über einen reinen Sensualismus, gar Positivismus, sondern über eine Prozedur, bei der zugleich eine virtuelle Anlage im Bewusstsein liegt (die als Gewohnheit zuwenig und als Kategorie, unbedingte Vernunftanlage, zu viel Bedeutung besäße). So ergibt sich auch bei Helmholtz eine erneute und andere Parallele (als jene zu Rescher und Kohärenz), indem er, mehr noch als Descartes und mit echten, systematischen Konsequenzen, die Perspektivität betont (wobei, nicht zu vergessen wie in vielen modernen Kontexten, die Projektion deren hinreichende und notwendige Bedingung ist, nicht aber umgekehrt, p.e. Axionometrie641). Die Beziehung von Ordonnanz und Ordre sind hiermit eng verknüpft, wie unten zu sehen sein wird, aber schon Descartes gab in dem einleitenden Abschnitt des Zitats zu erkennen, es sei „tout de même que les peintres“ notwendig642, dem Gegenstand gegenüber eine Einstellung zu beziehen, da nicht alle seine Seiten auf einmal können dargestellt werden. So habe auch er Licht, Sonne, Sterne und Himmel voneinander separieren müssen, und nicht anders empfängt das Herz als Zentrum des körperlichen Kreislaufs eine analytische Aufteilung seiner Perspektive. Bei diesem Ausdruck ist, auf Descartes angewendet, gleichwohl ein Vorbehalt angebracht und Vorsicht geboten; denn sie verkörpert nicht wirklich eine Perspektive im strengen Sinne, indem der Gegenstand, der in ihr figuriert, eine kontinuierliche und notwendige Beziehung auf seinen zugleich Betrachter unterhält. Die Ordnung, die Descartes bei dem körperlichen Automaten erhebt, ist eine wieder abgelöste oder (in diesem Sinne) ‚euklidische‘. Das wesentliche Kennzeichen aber, das ihr im Gegensatz zu dieser euklidischen Ordnung zukommt und solange diese den allgemeinen Vergleichsmaßstab bilden soll, besteht in der metaphysischen (im Seienden, nicht Bewusstsein artikulierten) Ordination als 640 Gregory 2001, S.269-277. Auch hier war Descartes, wie Gregory zitiert, der erste Beobachter: dass sich die Netzhautbilder im Verhältnis zur Entfernung der Objekte in einem höheren Maße verkleinern: der psychologische Mechanismus stipuliert eine Gleichheit als Konstanz. Die Kunst ist im Übrigen ein Bereich der unbewussten Evaluation (Gombrich 1960, S.299-301). 641 Im engeren Kontext der modernen projektiven (aus der affinen hervorgehenden) Geometrie (Cederberg 2004), die projectivity setzt nicht auch perspectivity voraus, wohl aber umgekehrt (s.w.u. zum erläuterten Beweis). 642 Descartes, Discours de la Méthode, in: Œuvres VI, S.41-42.

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I­ neinander- und Überlagerung verschiedener Ebenen – oder Faltung anstatt baren ›Mannigfaltigkeit‹. Unabhängig von der logischen Struktur unserer Urteile (der Kern der erwähnten späteren Ordination bei Kant und somit vollständige Kehrseite), auch des Erhebungsprozesses selber, der an verschiedenen Orten beginnen könnte, behauptet dieser metaphysische Ordnungsbegriff, dass im seienden Gegenstand und seiner Organisation eine Ordnung als vollständig entwickeltes Verhältnis von Über- und Unterordnung gegeben ist (zum Vergleich, die entsprechende Problematik bei Leibniz ergibt sich in Zusammenhang mit dem Aggregationsproblem der ‚zusammengesetzten Substanz‘643). Ob dies tatsächlich einen Gegensatz zur euklidischen Raumauffassung bildet, mithin, ob tatsächlich jede Anwendung euklidischer Raumvorstellung – und ihrer Figuren – die Bedingung des A-logischen einschließt, mithin, es sei mit Kant Raum und Zeit a priori nur reine Anschauung und in sich unbedingt einfach, wird der Leser an verschiedenen Orten, wo der Gegenbeweis angetreten wird, überprüfen müssen (insbesondere in Zusammenhang mit der Möglichkeit, räumliche Grenzen durch andere zu bestimmen644, und ebenso mag, p.e., die Gleichheit der Dimensionen von L1 und L2 in der analytischen Geometrie aufgerufen werden, sobald ein eineindeutiges Bild beider Räume gegeben ist und wenn gilt L1 und< gesetzt werden darf; denn ein point conic (hier aus je A, B, C und P/P’) besteht selbstständig. Würde aber K wegfallen (falsch sein), fiele auch J, K, L weg, mithin auch AJCM . NLCD, und (2) wird falsch. Daher gilt (1), und hierbei drückt – voraussetzungsgemäß – die erste 297

Implikation die Perspektivität über alle Elemente aus, die zweite die Perspektivität innerhalb der Elemente (Situativität), während die dritte und vierte Implikation die Projektivität des point conic respektive der beiden Geradenbündel zum Ausdruck geben. Da in der Bestimmung der Lage die Perspektivität sich logisch höher auswirkt als die Projektivität, gilt (3) K ⇒ C ⇒ [PP’⇒ ABCD ⇒ AJCM . NLCD]⇒ JLK, und, wie vom philosophischen Standpunkt her zu erwarten, die Voraussetzung eines Gesichtspunkts als Zentrum der Perspektivität, der mit möglicher Subjektivität einhergeht, die logische Anordnung einer Figur folgt einer distinkten Gesetzmäßigkeit, die keineswegs in die logische Gleichrangigkeit, ein ‚reines‘ Gegebensein, gar ein bloßes sinnliches Datieren aufzulösen ist, das erst durch die gegenteilige ‚rationale‘ Bemühung, eine begriffliche Erschließung die wahre logische Beziehung erübrigt.

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[V]. Konsequenzen A. Anschauliche Kategorie und Gestaltprinzip(ien) „»Wenn irgend etwas auf flacher Erde vorgeht und alles zuläuft, suchen die Hintersten auf alle mögliche Weise sich über die vordersten zu erheben, man rollt Fässer herbei, fährt mit Wagen heran, legt Bretter herüber und hinüber, stellt wieder Bänke hinauf, man besetzt einen benachbarten Hügel und es bildet sich in der Geschwindigkeit ein Krater. Kommt das Schauspiel, es sei ein Kampf pp oft an derselben Stelle vor, baut man sich leichte Gerüste an einer Seite für die, so bezahlen können und das Volk behilft sich wie es mag«. […] So kann Goethe zwanglos seine Theorie vortragen, wie die Neugier von allen Seiten die Leute nach der Stelle treibt, an der ein Unfall, ein Kampf oder ein Schauspiel das gewohnte Treiben unterbricht, wie die Hintersten sich erst auf die Zehen stellen, dann Fässer und Wagen herbeiholen, dann Bretter übereinanderlegen, bis sich in der Geschwindigkeit ein von Gerüsten umstandener Trichter ergibt. Hatte der Architekt eine andere, höhere Aufgabe, als die aus natürlichsten Bedürfnissen erwachsene Struktur im Steine nachzuschaffen? Eine Urform der Baukunst wie der aus der ersten Hütte hervorgegangene Tempel? Wird dieser nur verständlich, nur vollständig in der Rückbeziehung auf ihren ersten Zweck?“984 „Jedes System – jede philosophische und jede moralische sei Wortspielerei. Eine Flucht aus der bewegten Fülle der Erscheinungen in die Marionettenstrenge der Kategorien. Aber das war es eben, wonach es die Menschen verlangte. Daher alle Philosophie, alle Religion der Sittengesetze. Auf dieser Flucht waren sie immerfort begriffen“985.

1. Einleitung Obgleich es auch das Ziel verfolgt, eine Zusammenfassung zu bieten, eröffnet dieses Einleitungs- im zweiteiligen Schlusskapitel einen neuen Gesichtspunkt: Aspekt und These zugleich in Zusammenhang mit Ursprung und Sitz der logischen Leistung. Er hängt daher eng mit der vorangegangenen Erörterung zusammen, um eine dennoch allgemeine und fundamentale Behauptung anzuschließen. Es wäre, wie mehrfach berührt, mit einer letztendlichen Geltung nicht leicht, entweder Platon, oder aber Aristoteles, die Hauptbürde für den falschen Weg, die Einseitigkeit, die das abendländische Denken seit ihrer Zeit auf sich

984 Goethe in seinem Tagebuch, zitiert und erläutert von Norbert Miller, Der Wanderer. Goethe in Italien, München 2002, S.71. Hervorhebung Vf. 985 Artur Schnitzler, Der Weg ins Freie, in: Gesammelte Werke in 12 Abteilungen, Erzählende Schriften 3, Berlin (Insel) 1912, S.364-365.

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genommen hat986, anzulasten, indem sie die Überschrift Täuschung oder unbedingter Schein der Sinnlichkeit an den Anfang des besseren, des vermeintlich höheren Denkens setzt987. Dass sie ein Vermögen darstellt, dem Grenzen gesetzt sind, gilt als unbenommen988, auch wenn ihr akademischer, an Disziplin und Theorie gebundener Ruf sie zu Unrecht herabsetzt. Dies beginnt, im »Feld« des konfundierten Bewusstseins, mit der Diskriminierung der richtigen Knotenpunkte, aus denen heraus sich die zutreffenden Relationen ergeben, etwa im berühmt gewordenen Fall der Sonne, die den Stein erwärmt und als eine ein wenig leichter gewogene Popularisierung der Kausalität oder Wahrnehmungsurteil in die Geschichte einging; sodann, um den Strang der mathematischen Vorstellung beizuhalten, bei der Topologie als Analysis situs, bei der ein Körper oder eine Fläche alle erdenklichen Deformationen annehmen darf, die freilich nicht vorhersagbar und nicht einmal wie die Translation oder Projektion unmittelbar nachvollziehbar sind, und schon die Projektion ist keineswegs ein Kinderspiel, wie es anderwärts nach dem Zeugnis Platos die ‚reine‘, metrische oder euklidische ist. Aber auch das begriffliche Denken weiß, aus dem Stand, nicht in jedem Fall die richtige Lösung (wie man sich bei einer erneuten Lektüre Bolzanos überzeugen möge). Bei den Handwerkern, Äußerungen der Künstler, nach der Gegenseite – und Möglichkeit einer wenigsten Balance – zu suchen, würde das historische Manifest nicht verändern, in dem sich Gewohnheit, Attitüde und Inbegriff der Rationalität gleichermaßen niederschlagen. Mehrfach aber wurde der Nachweis gesucht (und es soll hier noch einmal geschehen), dass die logische Wurzel der Sinnlichkeit zugänglich ist und die Annahme, es müsse sich alle logische Arbeit, wenn je, auf die Begriffe (oder Zahlen, nicht aber Figuren) stützen, nicht zutrifft. Von den Vorstellungen her, ist sie sofort in den Vermögen (facultates) wirksam, und nicht erst in deren Leistungen (Substraten). Mens, als mens

986 Als Beispiel der Erinnerung Hogrebes Aufsatz, der Vico und Baumgarten als Antipoden der Neuzeit gegen die ‚mater erroris‘ als Synonym der Sinnlichkeit herausstellt (Wolfram Hogrebe, „Erkenntnistheorie ohne Erkenntnis“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 38 (1984), pp.543-559, 547). 987 Leibniz, Théodiçée, I, §§ 64-65 demonstriert das Dilemma – die Unverzichtbarkeit auf wahre Übermittlung durch die Sinne („les sens extérieurs, à proprement parler, ne nous trompent point“), die einer angeblich unvermeidlichen Täuschung gegenübersteht und, in diesem Kontext, sich sogar auf die Projektion beruft (Verwandlung oder Analogien des Kreises). 988 Poincaré, „Pourquoi l’espace à trois dimensions“ (1912), in: Poincaré 1963, S.132157, 132-136. Dito der Zusammenhang der Distinktionsfähigkeit des Fechnerschen Gesetzes (S.140-41).

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rationalis, bedeutet daher nicht intellectualis (per se), und schon im ens rationis (als locus et idea spatii), vergleicht man es mit Kant, ergibt sich eine Überschiebung, die, wenigstens, die fundamentale Frage stellt – wie kann es sein, dass bei derselben Veranlagung eines letzten (für Raum und Zeit gültigen) Grundes, diesem, Kant, das Bewusstsein ein ‘ens intuitus’ (oder reine Anschauung) ist, um sie aus seiner Analysis auszuklammern?989 Wenn das Wahrnehmungsurteil nur eine „logische Verknüpfung der Vorstellungen im Urteil“ darstellen soll990, dann wird wenigstens auch mit der Möglichkeit zu rechnen sein, dass logische Verknüpfung hier zunächst bedeutet, die Sinnlichkeit, die beteiligten sinnlichen Vorstellungen mitsamt ihrer erlernten, gespeicherten Intuitionen als Schemata, determiniert den Verstand respektive ordnet sich das Verstandesvermögen unter, nicht zuletzt im Licht der Selektion unter den kopräsenten Vorstellungen, welche, als klausulierte Relation, das Kategorienbewusstsein für sich vereinnahmt, indem es – in Umkehrung – ein kausales Urteil zum selben Phänomen formuliert. Die neuere Mathematik, die wegen der konkurrierenden Geometrien teilhatte an der geschichtlichen Aufhebung der Ewigkeit, denn die antik verfasste bedeutete ja noch Leibniz tatsächlich eine vérité éternelle, rückt 989 Leibniz, „Reponse aux reflexions contenues dans la seconde Edition du Dictionnaire Critique de M.Bayle, article Rorarius, sur le systeme de l’Harmonie preétablie“, in: GP IV, S.554-571, 568. NE, II, ch.XIII-XV. In: GP V, S.133-142. A.T. Winterbourne, „On the Metaphysics of Leibnizian Time and Space“ (1982). In: R.S.  Woolhouse (ed.), Gottfried Wilhelm Leibniz. Critical Assessments, Vol III, London 1994, S.62-75. Hans Poser, „Relativität bei Leibniz“, in: W. Muschik und W. R. Shea (Hg.), Philosophie, Physik, Wissenschaftsgeschichte, Berlin 1989, S.123-138 [=TUB-Dokumentation Heft 45]. Hans Poser, „Von der Dauer zur Form der Anschauung. Zum Wandel der Zeitkonzepte im 17. und 18. Jahrhundert“, in: Luigi Ruggiu (ed.), Filosofia del Tempo, Milano 1998, S.113-128, insb. Abschnitte 3 und 4. In den Initia rerum mathematicarum metaphysica betont Leibniz den metaphysischen Grund, den Raum und Zeit als ordo existendi bedeuten, nicht. Aber das ens rationis als „chose idéale“ oder Möglichkeit der vérités éternelles, wie sie Poser betont – um auch auf „die Lücke“ hinzuweisen, die Leibniz hinterlassen hat, weil die Zeit „nicht einfach der phänomenalen Welt zugeschlagen werden kann“ – ist der Auffassung von Spinoza (ausnahmsweise) verwandt, der das ens rationis in Appendix (I, VII) zu Renati des Cartes Principiorum Philosophiae Pars I, & II als „nihil est praeter modum cogitandi“ behandelt, hierbei auch unter den Zuständen, durch welche man eine Erklärung der Dinge bewirkt, die Zeit, die Zahl und das Maß einbezieht (Spinoza Opera I, S.233-234, 262). Freilich ergibt sich ein erheblicher Abstand, sobald diesem ens rationis auch die ideale Existenz zugestanden wird („Unde clarè patet, hos modos cogitandi non esse ideas rerum, nec ullo modo ad ideas revocar posse“ [S.234]). 990 Zuletzt diskutiert: Sassen 2008.

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nahe heran an die Antwort, wie sie hier gegeben wird: „Non que je veuille dire que la géométrie métrique repose sur la logique pure, qu’il n’y intervienne aucune vérité intuitive; mais ce sont des intuitions d’une autre nature, analogues à celles qui jouent le rôle essentiel en arithmétique et en algèbre“991. Es liegt aber nicht an der Konstruktion (oder deskriptiven Setzung) eines Analogon rationis, das fortan die Symmetrie, als Balance und Wahrheit des Vermögens, wiederherstellte992. Die richtige Ursache, die sinnlicher Perzeption als Empfindung und als Vorstellung das Vermögen zugesprochen hätte, (i) zuerst – kraft zeitlicher Manifestation oder: Vektorierung (in einem weiter gefassten Sinne, der sich nicht an den affinen Ursprung binden möge) – sich selber, (ii) dann aber auch, und insbesondere, das intellektuale Vermögen zu klassifizieren993 und in der aktualen Form eines Bewusstseins mitsamt der anhängigen Substrate sich ein- und unterzuordnen, hat Baumgarten, der gleichwohl richtig empfand, nicht begriffen994. Er hätte den Rückgriff auf Leibniz, die Abhebung der perceptio distincta 991 Poincaré 1963, S.135. Für Kant übrigens ist das ens rationis (als ratiocinatae) nur problematisch, da ihm, als Idee systematischer Einheit, keine Erfahrung oder Wirklichkeit zukommt (KrV A 681/B 709). So gerät es in die Nähe, wenn nicht Überschneidung zum intellectus archetypus (KrV A 695/B 728) oder, ins Ideal gewendet, zum Prototypon transcendentale (A 578/B 605). 992 Mit wesentlichen Referenzen zu diesem Thema, Hogrebe 1984, In Zusammenfassung der Literatur von Croce, Windelband, Gilbert und Kuhn, Cohen, wie zitiert Nivelle 1971, Kap.1. 993 „Alle unsere Bedürfnisse hängen miteinander zusammen; man könnte deren Perzeptionen als eine Folge von Fundamentalideen ansehen, auf die man alles bezieht, was zu unseren Erkenntnissen gehört. Über jeder dieser Fundamentalideen würden andere Ideenreihen aufgebaut sein, die gewissermaßen Ketten bilden, deren Stärke ganz in der Analogie der Zeichen läge, in der Reihenfolge der Perzeptionen und in der Verknüpfung, die die Umstände hervorgebracht hätten, die manchmal die allerverschiedensten Ideen miteinander vereinen“ (Étienne Bonnot de Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, ch. III, § 29, in: Corpus Général des Philosophes Français, Directeur: Raymond Bayer, Auteurs Modernes, Tome XXXIII, Condillac, vol. 1, Paris (Presses universitaires) 1947, S.17 (Andere Ausgabe, Essai, précédé de l’archéologie de Frivole par Jacques Derrida, Paris 1973; zit. n. Essai über den Ursprung der menschlichen Erkenntnisse, Leipzig 1977, S.91). 994 Wofür auch seine neuere Literatur mit einzubeziehen ist (A.Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft, Halle 1923, Nd. Darmstadt 1967; Armand Nivelle, Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Neuzeit, 2. Aufl. Berlin-New  York 1971, S.7-17; Ursula Franke, Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des AG Baumgarten, Wiesbaden 1972 (Studia Leibnitiana Suppl., 9); Hans Rudolf Schweizer,

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aufheben und Abstand nehmen müssen von der Behauptung, es sei die Sinnlichkeit per se „facultas cognoscitiva inferior“, in dieser Wirksamkeit aber – als Logik, die ihm einzugrenzen vorschwebte – der „Tätigkeit des Verstandes nur ähnlich“995. Auch hätte er Kant (in anderer Hinsicht) präzediert, der wenigstens eine definitive Ordination der Vermögen und nicht nur deren Vergleich, die Verknüpfung oder Reflexion wie die »Sensualisten« verlangte und, wohlbekannt, seit der Dissertation Deutlichkeit für die Anschauung reklamierte. Anderwärts wäre – in diesem Umkreis – nicht erst Hume zu fragen, warum die Assoziation ohne eine sofortige und notwendige Leistung der Logik funktioniert, sondern – neben dem einschlägigen Paragraphen 13 des Treatise concerning the principles of Human Knowledge, in dem Berkeley die Abstraktionsfähigkeit der geometrischen Vorstellung leugnet996 – bereits Locke und Condillac997. Ein unter einer Pluralität von möglichen Beweisen befindet sich in dem soeben erwähnten Text von Poincaré, in dem er anlässlich der Absonderung und Klassifikation der Geometrien voraussetzt998, es ließen sich bei der metrischen und projektiven, nicht aber der Analysis situs alle Fehler, alle Unebenheiten (die ein ungeschickter Zeichner verantwortet), stillschweigend kraft immanentem Modell begradigen – dann muss es, über und jenseits des bloßen Datum (das insbesondere Berkeley beansprucht) ein Vermögen (im Sinne der Veranlagung) geben, auch reguläre Fälle auf einen gemeinsamen zu beziehen: die Gemeinvorstellung zu bilden, welche das Modell (das Dreieck, den platonischen Polyeder jenseits des konvexen und die sie nicht diskutieren) repräsentiert und die Logik involviert (und nicht über den distinkten Begriff, sondern unmittelbar über die Perzeption und sinnliche Imagination999). Interpretationen in der heutigen Kantforschung – ­übrigens auch Psychologie –, die unmittelbar eine (verallgemeinerbare) Klassifikation

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Ästhetik als Philosophie der sinnlichen Erkenntnis, Basel-Stuttgart 1973; Friedhelm Solms, Disciplina aesthetica: Zur Frühgeschichte der ästhetischen Theorie bei Baumgarten und Herder, Stuttgart 1990). Malinowski-Charles 2005). Nivelle 1971, S.8, 13. George Berkeley, A Treatise concerning the Principles of Human Knowledge, in: The Works of George Berkeley Bishop of Cloyne, ed. by A.A. Luce and T.E. Jessop, vol. II, ­Dublin 1964 (deutsche Ausgabe Eine Abhandlung über die Prinzipien des menschlichen Verstandes, Hamburg 1979, S.12-14). Die Widerlegung dieser Behauptung ist unmittelbar aus der Zentralthese herzuleiten, so dass sie hier nicht weiter ausgeführt wird. Siehe auch hier I.3 A IV. Wie soeben Poincaré 1963, S.135. In diesem Punkt treten freilich die Diskrepanzen zutage, da sich, mehr oder weniger unreflektiert, der traditionelle Rationalismus durchsetzt, der von vornherein der Anschauung keine Beziehung auf Logik gestattet.

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zwischen Form und Empfindung, sogar im Wechsel zwischen räumlicher und farblicher Form veranschlagen, sind anhängig, umso mehr, als auch das Verhältnis von determinabile und determinatum in Anspruch genommen wird (das gleichwohl seiner notwendigen Umkehrbarkeit ledig bleibt1000. Demgegenüber handelt es sich in der Psychologie (als cognitive science) um ein weiteres Verhältnis zwischen undetermined, indeterminate und underdetermined1001, die allesamt durch sinnlich geführte Distinktion zu unterscheiden sind und, so das Zentraltheorem, die empirisch verantwortete categorization leiten1002. Anders als bei dem Beweis, den wir unten aus einem anderen Kontext der Psychologie (gleichwohl mit allgemeiner Geltung) aufgreifen, bleibt hier die Logik – als insbesondere ursprüngliche Klassifikationsfähigkeit – noch ganz unberücksichtigt, als ob sie nicht sofort in das Zentralproblem, die refutation of innateness, eingriffe. Lässt sich aber die logische Fakultät nicht ebenso aus der Empirie herleiten, muss offenbar die Philosophie die Kompatibilität verdeutlichen, mit der der Psychologe eine empirische Klassifikationsfähigkeit, i.e. kategorische Leistung, zum Zentrum des menschlichen Erkenntnisvermögens erklärt. So wäre, im historischen Rückblick – der den Ursprung und Sitz der logischen Leistung zu ergründen sucht – auch Locke zu befragen, wenn er erklärt, dass zum ersten Grad des habituellen Wissens „diejenigen im Gedächtnis aufbewahrten Wahrheiten gehören, bei denen der Geist – so oft ihm die Wahrheiten begegnen – sofort die Beziehung wahrnimmt, die zwischen jenen Ideen besteht“1003. Und Condillac, wenn er am Ende des soeben zitierten Kapitels, das die Aufmerksamkeit erklärt, dazu gelangt, Gedächtnis und Imagination in einer Polarität zu verankern, bei der sie auf einer Seite „einen genauen, folgerichtigen und methodischen Verstand ausmachen“1004. Dann wird die Kette, in der die Perzeption angesichts eines Traktats lebendig ist, der – wie Locke, dem er den ersten Beweis zuerkennt – die peripatetische Lehre richtig stellen will, dass „alle unsere Erkenntnisse von den

1000 Darius Koriako, „Was sind und wozu dienen reine Anschauungen? Kritische Fragen und Anmerkungen zu Kants Raumtheorie“, in: Kant-Studien 96. Jg. (2004), S.24. 1001 Im Wesentlichen eine Unterscheidung danach, ob eine Feedbackkontrolle – wegen der Komplexität der Phänomene – wirksam wird. 1002 Harnad 2005, S.27-29. 1003 John Locke, An essai on human understanding, IV, ch.I, 9, in: The works of John Locke, vol.  1-2, London 1823, Nachdruck Aalen 1963 (=Ein Versuch über den menschlichen Verstand, Hamburg 1988, S.171). 1004 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, ch. III, § 34, in: Corpus Général I, S.18-19 (Leipzig 1977, S.92).

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Sinnen herkommen“1005, von Anbeginn nicht ohne den wesentlichen logischen labor, als Ordination des Bewusstseins, wirksam sein, als Schachtelung und Ineinanderfaltung der Vermögen, umso mehr, als die Aufmerksamkeit als das Zentrum dieser Kette mit der Möglichkeit verklammert ist, dass sie sich bei zunehmender Entfernung „in verschiedene kleinere Ketten unterteilt1006“. Mithin ist die ‚Idee eines Gegenstandes‘ zugleich mehreren Ketten gemeinsam, was – unmöglich – in einer Gleichrangigkeit geschehen kann. Aber es ist die Sinnlichkeit, eine Perzeption, die sie gegebenenfalls und zumeist auslöst und einfängt, woran auch der spätere Mentor des Positivismus, Auguste Comte, nicht zweifelt (siehe Zitat vor Einleitung): nicht von ohngefähr gerät – von der Logik her betrachtet – bei der Frage nach den möglichen Vorstellungen und welche Relationen sie einhalten, der Aspekt der Ordination in den Vordergrund, sobald die Distinktion zwischen Sinnlichkeit und Verstand (in diesem Sinne reklamiert ‚der Begriff ‘) methodische Vorgabe wird. Und noch einmal wäre Locke zu fragen, warum, wenn die „vierte und letzte Art [der Übereinstimmung] die ist, dass die tatsächliche reale Existenz mit irgendeiner Idee übereinstimmt“1007, hierbei keine logische Ordination stattfindet, anderwärts die Idee angeblich einfach oder aber die Geltung der realen Existenz ein Dasein ohne Bewusstsein besitzt. Wie bereits – als metaphysische Grundrelation – nachgewiesen, ist dieses Bewusstsein als eine Form von „Erkenntnis“ vielmehr nur notwendiger Ausdruck der projektiven Natur (wie stets zu erinnern, hat sie den ersten Grund gegenständlicher oder Erfahrung von Körpern inne), wodurch, indem sie zur Koinzidenz wird, in der sich die Grundform der Existenz niederschlagen und ausdrücken muss, die Fragen der Beantwortung freistehen. Gestalt und Figur (wie, respectu titulo, im Deutschen) sind somit an und für sich nicht identisch. Auch steht der Schluss frei, dass die Reflexion, als Fähigkeit des Bewusstseins, die sich über den Vermögen artikuliert, eine Folge seiner projektiven Natur ist, und nicht umgekehrt. Es ist die projektive Veranlagung, in der bei Identität eine Austauschbarkeit des – äußeren mit dem inneren – Grundes vorausgenommen ist, die (u.a.) dem Menschen in der ersten Instanz ermöglicht, seine spezifisch theoretische Freiheit zu begreifen, in der „die Seele so lange 1005 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, Introduction, in: Corpus Général I, S.5 (Leipzig 1977, S.61). 1006 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, ch. III, § 29, in: Corpus Général I, S.17: „On put même remarquer qu’â mesure que la chaîne s’étend elle se soudivise en différens chaînons; en sorte que, plus en s’éloigne du premier anneau, plus les chaînons se multiplient“ (oben Leipzig 1977, S.91). 1007 John Locke, An essai on human understanding, IV, ch.I, 7, in: Works II, S:314 (= Ein Versuch über den menschlichen Verstand, Hamburg 1988, S.169).

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[nicht] allem unterworfen ist, was sie umgibt und nichts ohne eine fremde Kraft besitzt, solange sie nicht selbst ihre Aufmerksamkeit lenkt“1008 – ein wesentliches Moment dieser Veranlagung glauben wir auch den Tieren, um die wahre Bezeichnung der Fundamentalität, zuerkennen zu müssen, wodurch sich das Vernunftwesen (ens rationis ratiocinatae) noch einmal absondert, da es von einem als dem wesentlichen Grund seiner Kraft abstrahiert1009: Es ist die projektive Natur, die ihm das Vermögen schenkt, von Anbeginn die Erscheinung zu disambiguieren1010. Infolgedessen muss aber auch der Verstand, ein Querstand in der Auffassung Condillacs gegenüber der oben zitierten Passage, das Monopol auf Schlussfähigkeit, Ordination der Gedanken (als Perzeptionen) verlieren1011, und die weitreichendste und bedeutsamste (von ihm selber gestellte Frage) wird beantwortbar, wie es möglich ist, dass in der Simultaneität, die nunmehr eigentlich Koinzidenz ist, verschiedene Vorstellungen zugleich oder aber in Überschiebung koexistieren können, was, sondern ganz im Gegenteil, weder eine Verwirrung des Bewusstseins auslöst noch seiner Fusion gleichzusetzen, die freilich von eminenter Bedeutung – der nicht mehr klassische Standpunkt Reinholds, bei dem die Vorstellung als vermeintliches Übergenus (premier genre) die gesamte Metaphysik verantworten muss (und in den Idealismus überleitet), ist daher unmöglich1012. Als ‚Kongruenz‘ aber ist diese Koinzidenz, und Überschiebung, nicht so misszuverstehen, als ob eine effektive, absolute Homogenität der Glieder vorhanden sein müsste1013. Wenn eine „wesentliche Bedingung, um richtig zu

1008 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, ch. IV, § 51, in: Corpus Général I, S.22 (Leipzig 1977, S.103). 1009 KrV A 681/B 709, wobei Kant bei der Besprechung des Bewusstseins als Kraft – oder Vermögen – auf die Projektion nicht zu sprechen kommt (A 648-49/B 676-77,), die in der „Grundkraft“ angesichts der Ambiguität der Erscheinungen verankert sein muss, freilich – wie Bolzano – ein Problem der Vollständigkeit seins Systems überhaupt. 1010 KrV A 682-83/B 710-11 mit Bezug auf dieselbe „Grundkraft“, aus der alle Vermögen abzuleiten sind. 1011 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, ch. VIII, §§ 69-74, in: Corpus Général I, S.27-28 (Leipzig 1977, S.113-115). 1012 Wovon sich auch Bolzano distanziert, obgleich er den Vorstellungsbegriff, WL 1837, bevorzugt. Wir beziehen uns auf das Referat H.J.de Vleeschauwer’s, La Déduction transcendentale dans l’Œuvre de Kant, III, Paris 1934-37, Nachdruck New York 1976, S.495-509. Bei Reinhold gilt übrigens trotz des eingeführten Monismus noch immer: „La liaison des catégories avec des schèmes a priori, déterminés par la matière d’affectation empirique, donne les connaissances empiriques“ (S.507). 1013 „[…] biological species may qualify as natural kinds (or as natural-kindlike) to the extent they ground reliable inductions and figure in scientific explanations.

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begreifen, also die ist, dass man sich die Dinge immer unter den Ideen vorstellt, die ihnen entsprechen“1014, dann hat bereits Kant festgestellt, die Einheit des Bewusstseins, als notwendige Ordination seiner Fakultäten, worin wir, gegenüber allen anderen und insbesondere neueren Deutungen, welche die Vollständigkeit und insbesondere die Reflexion der Urteilstafel im Auge haben1015, das Zentrum und Ergebnis der Deduktion erblicken wollen, verlangt keine Homogenität der Glieder, sondern ganz im Gegenteil1016. Tritt aber die projektive Natur, und Bedingung, hinzu, und wird die Ordination davon befreit, stets mit der Leistung anstatt auch und zuerst mit dem Vermögen sich auswirken zu können, dann kann die Idee Condillac’s Perzeption, unmittelbare Sensation, Impression (und der Möglichkeit nach widerspruchsfreie Rekognition) bleiben (freilich ohne den Mythos noch aufrecht zu erhalten, sie sei jemals tatsächlich ‚einfache‘ Entität, absolutes Datum, unzerteilbar letzte Instanz1017 noch, und die Konvertibilität hinzugenommen, es sei die Sinnlichkeit beim Menschen, nach ihrer ­Letztgrenze, das arbitrium sensitivum anstatt des arbitrium brutum1018). Die Wahrheit, das Wahrheitstheorem, ist, wie öfters bemerkt und oben ausgeführt, unmittelbar But this depends on the presence of underlying causal mechanisms that maintain the rich cluster of projectable properties that natural kinds have and that nominal kinds lack“ (Charles Nussbaum, “Kinds, Types, and Musical Ontology”, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 61/3 (2003), S.280). Wir referieren und interpretieren im Folgenden andere Beispiele. 1014 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, ch. VIII, § 72, in: Corpus Général I, S.28 (zit. n. Leipzig 1977 S.114). 1015 An der Geringschätzung bemessen, die Arnauld & Nicole der – aristotelischen – Kategorienlehre – und den Topoi – entgegenbringen, würde Kant zu weit in das Gebiet der Logik oder einer bloßen Urteilslehre gezogen (L’Art de Penser, 1965, S.49-51, 236-241). 1016 Nicht nur nach der Heterogenität der ‚Stämme‘, sondern auch nach der Differenz der dynamischen gegenüber mathematischen Kategorien (KrV A 530/B 558). Weiterhin ist, schon bei der Linie (Reinhard Heckmann, Kants Kategoriendeduktion. In Beitrag zur Philosophie des Geistes, München 1997, S.468), zu unterscheiden, ob es sich um eine projektive handelt oder nicht; die Homogenität verwandelt sich substantiell, indem sie schon nicht mehr durch differentielle Annäherung – ­Leibniz’ homogone Grenze (Initia rerum mathematicarum metaphysica, in: GM VII, S.19-20) – zu erübrigen ist; vgl. Poincaré 1963, „Pourquoi l’espace à trois dimensions“, §§ 1-2, 6 zur Unterscheidung der Linie in den Geometrien). 1017 Vleeschauwer, La Déduction transcendentale dans l’Œuvre de Kant, II, Paris 193437, Nd New York 1976, S.245: „[…] le moment comme une limite extrême et jamais atteinte [comme] l’unité absolue dont Kant veut parler“. 1018 KrV A 534/B 562.

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anhängig, zumindest nach der (nicht-analytischen) Bedeutung1019, in der sie für die „zweite Art [der Metaphysik Anlass gibt, die] sich darum bemüht, die Dinge so zu sehen, wie sie tatsächlich sind, und daher so einfach ist wie die Wahrheit selbst“1020. Weiterhin und zuletzt, was das (elementare) mathematische Bewusstsein angeht, bemerkt Locke, eine einmal erkannte Übereinstimmung konzentriere sich – als Beweis – im Gedächtnis, um fortan dem Bewusstsein sichere Anleitung zu geben. Bei der Erklärung beruft er sich – etwa beim Beweis der Winkelsumme des (euklidischen) Dreiecks – auf die vermittelnden Ideen: „Those intervening ideas which serve to show the agreement of any two others, are called proofs; and where the agreement and disagreement is by this means plainly and clearly perceived, it is called demonstration, it being shown to the understanding, and the mind made to see it is so“1021. Hier fühlt Locke die richtige Beziehung, und Dativ und Kausativ sind alles andere als ein nunmehr grammatisches Arbitrium, auch wenn er am Kern, der Bestimmung und Logik der Fakultäten, der Konvertibilität, die den Beweis garantiert, vorbeigeht. Äquivaliert man nun (noch ohne Notwendigkeit einer auch Beanspruchung der Projektion), dann hätte die Geometrie endlich ihr (oft bemühtes und oben bereits als Prämisse zugestandenes) Instanzenrecht gewonnen, worunter zu verstehen, die erste Berufung auf den Intellectus wird überflüssig1022, der sie angesichts ihrer gleichwohl konträren und schlüssigen Beweiskraft, die das Muster und Vorbild Euklids in einer stets eigenständigen, geometrischen Weise an der Progression des figürlichen Beweises vorzuführen imstande war, zu einer wieder (in bedingtem Sinne abhängigen) Konstruktion erklärt1023: als ob, immer noch, 1019 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, IV, ch.VI, § 56, in: Corpus Général I, S.24 (zit. n. Leipzig 1977, S.106). 1020 Condillac, Essai sur l’origine des connaissances humaines, Introduction, in: Corpus Général I, S.3 (Leipzig 1977, S.58). 1021 John Locke, An essai on human understanding, IV, ch.II, 3, in: Works, II, S.321-322 (=Ein Versuch über den menschlichen Verstand, Hamburg 1988, S.176-177). 1022 Der, angeblich, und selbst bei der Synthesis a priori in der Mathematik, ihr Zustandekommen verantwortet (Heckmann 1997, S.467): „Das Linienzeichnen ist eine synthetische Handlung – also ein Akt des Verstandes – und setzt insofern synthetische Einheit der Apperzeption voraus […]“. Worauf bereits die Einleitung hinzuweisen suchte, Leibniz’ Zugang zur selben Aufgabe von Seiten der geometrischen Charakteristik offenbaren ein historisches Defizit (p.e. Fragment IX §§ 11-12, 83, recta, in: 1965, S.152-155, 216-217). 1023 KrV A 714-724/B 742-752. Michael Friedman, Kant and the Exact Sciences, Massachussetts: Harvard University Press 1992, ch.1, pp.55-95. David Sherry, “Construction and Reductio Proof ”, in: Kant-Studien 90 (1999), pp.23-39

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der Verstand als Begriff, indem er sich darüber hinaus auch des sprachlichen Zeichens bedient, der Inhaber und (absolute) Grund der ersten Bestimmung wäre, Ursache der - nunmehr präzisesten - Verkettung, um Klassifikation, Diversifikation, Subordination und Erfindung aller figürlichen Möglichkeiten und ihre tatsächliche Wirklichkeit zu leisten. Ohne manifeste Abtretung und Urkunde, ist er bei der Sinnlichkeit selber (insoweit es sich um den Titel handelt), da sie nicht nur Spontaneität besitzt, worin sich bei Kant, zuvor bei Tetens, die Teilung bereits anzeigt1024, sondern die logische Wurzel und das Bestimmungsmoment originär auszuüben imstande ist: in der Erfindung, Herbeiziehung und in den Konsequenzen der Elemente, die den Beweis erübrigen – schon gehört, was die „Logik“ oder Disjunktion der Bestimmung, die im Raum liegt und, kraft Satz vom Widerspruch, als ein Zugleich-möglich-sein zu unterscheiden ist vom zeitlichen Nacheinander1025, bei Kant, anders als bei Leibniz, der der Urheber dieses Gedankens ist, zum intuitus oder originären Anschauung. Wir glauben im Übrigen, als Präzedenz, nicht, ein in der modernen Axiomatik durchgeführter Beweis wäre von dieser Voraussetzung ausgenommen1026, so wenig wie Poincaré, indem er die analytische Definition des n-dimensionalen Raumes „für den Philosophen“ für nicht befriedigend hält und die „coupure“ einführt, die imstande ist, auf anschauliche Weise (par „notion intuitive“!) die Bedingung dieses Raumes aus seiner Kontinuität zu erklären1027, auf das logische Moment zu verzichten kann, das zwischen Wahl, Alternation und Kausalität der Schritte den tieferen Grund („la raison profonde“) der Kontinuität in der Analysis situs 1024 H.J.de Vleeschauwer, La Déduction transcendentale dans l’Œuvre de Kant, I, Paris 1934, Nd New York 1976, S.312. 1025 Reinhard Heckmann, Kants Kategoriendeduktion. Ein Beitrag zur Philosophie des Geistes, München 1997, S.464-466: „Die verschiedenen Hinsichten aber, unter denen etwas zum selben Zeitpunkt sowohl grün als auch nicht-grün sein kann, sind a priori, d.h. unabhängig von den spezifischen Hinsichten, die dem bestimmten (empirischen) Begriff eines Objekts zu entnehmen sind, verschiedene Stellen im Raum“ (S.465-466) – bestimmt ist die Anschauung (S.454, Zitat Kant B 237), und hier müsste, die in Kraft gesetzte Konvertibilität vorausgesetzt, das a priori verankert werden, das mit dem empirischen Begriff, dem die Bestimmung zu entnehmen ist, in Konflikt gerät (und sich aufhebt). Übrigens gehört das Zugleichsein der erwähnten Opponenten in einer bestimmten Hinsicht zur expliziten Tradition der Polarität (vgl. Lloyd 1966). 1026 P.e. „Proposition 3.4. If C * A * B and l is the line through A, B, and C (Betweenness Axiom 1), then for every point lying on l, P lies either on ray A→B or on the opposite ray A → C“ (Greenberg 1972, S.65-66). 1027 Poincaré 1963, S.157.

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zu erklären sucht1028. Die Logik, logisches Bewusstsein kann demnach (im Sinne einer äquivalenten Definition) nicht a fonte begrifflich (und nur begrifflich) heißen. Anderwärts, wie erwähnt, kann die sogenannte einfache Perzeption (das singuläre Farbprädikat, ein Punktum der definiten Tastempfindung) schon deshalb nicht einfache Idee (datum singularis) sein, weil sie ist von Anbeginn einer – wenigstens elementaren – Bifurkation unterlegen ist, die, um dem Bewusstsein Sicherheit und elementare Orientierung zu gewähren, die an sich beiderseitige, nicht aber notwendig auch stets äquivalente Bestimmung zwischen Sinnlichkeit und Verstandesvermögen einschließt1029: hier also, in der Konvertibilität der Bestimmung, in der einmal die Sinnlichkeit den Verstand, und umgekehrt das Verstandesvermögen dass sinnliche Datum respektive Perceptum bestimmt, ist das a priori erneut zu befragen und zu verankern, nicht in der Geltung aus Bewusstsein (intuitus seu intellectus) oder nicht: der Ausdruck »transzendental« würde aber an dieser Stelle erneut darauf hinauslaufen, die notwendige Verklammerung oder Verwurzelung, den doppelten Fokus, der das Bewusstsein ausmacht respektive dem es unterliegt, zu verleugnen. In der Unterscheidung beginnen sich auch die Künste zu distinguieren, so dass die Fundierung des ästhetischen Urteils in der „Angemessenheit der Vorstellung zur harmonischen (subjektiv-zweckmäßigen) Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen“ keineswegs dazu führen muss1030, allen Objekten das Urteil zuzusprechen, sie seien schön1031. Die Bedingung, die Kant niederzulegen beabsichtigte, wurzelt und hat ihren Sitz in den Fakultäten (worin, ein Gedanke, den wir nicht übergehen wollen, bereits Poincaré die Bedingung für die Anschauung – intuition – des n-dimensionalen Raumes erblickte1032). Darum aber ist sie nicht erneut zu 1028 Poincaré 1963, S.137-139. 1029 Anstatt der unmittelbaren Referenz der Hinweis auf nicht widersprechende Auffassungen in der Psychologie und Gehirnphysiologie (Aufmerksamkeitslehre, Visualität etc.) sowie in der Interpretationsphilosophie (die gleichwohl das definite – als nachweisbarer Limes – für nicht gegeben hält: Günter Abel, Simon). 1030 Kant, Kritik der Urteilskraft § 39, in: AA Band 5, S.292. 1031 Ted Kinnaman, „Symbolism and Cognition in Kant’s Critique of Judgement“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 82 (2000), S.266-296, 270. 1032 Poincaré 1963, S.157: „Je conclurai que nous avons tous en nous l’intuition du continu d’un nombre quelconque de dimensions, parce que nous avons la faculté de construire un continu physique et mathématique; que cette faculté préexiste en nous à toute expérience parce que sans elle, l’expérience proprement dite serait impossible et se réduirait à des sensations brutes, impropres à toute organisation, que cette intuition n’est que la conscience que nous avons de cette faculté“.

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objektivieren, als ob der Zweckmäßigkeit ohne Zweck, als ‚von einem Objekt‘ ausgehend, nunmehr das übergeordnete höchste Prinzip zuzurechnen wäre, letztlich imstande, die gesamte Hierarchie des theoretischen und praktischen Bewusstseins und noch einmal die beider gemeinsam einsehbar zu machen1033. Kant war damit zufrieden, dass es angesichts der Künste und ihrem Gefallen eine spezifische, gleichwohl verallgemeinerbare Wahrnehmung der Dynamis der Fakultäten gibt, und „appearances“ brauchen darum nicht wirklich „purposive“ zu sein (was eher einem Pragmatiker wie William James angemessen wäre)1034. So ist zwar zuzugestehen, dass, was die Kunst angeht, sich Kant anderwärts fragen lassen muss, ob denn ein Landschaftsgemälde, ein Porträt, das Drama den Ort, sein Gegenstück, das Sujet nicht tatsächlich wiedergibt1035, mehr, ob im Aktus des ästhetischen Urteils nicht auch eine effektive Ordination der Fakultäten stattfinden muss, mag deren Relation auch in anderem Sinne eine Freiheit, und Beziehung auf Proportion, gewärtigen, die dem Erkenntnisurteil nicht freisteht. Sollte die Bejahung beiden Fragen zukommen, wird sie nicht dabei stehen bleiben können, die beiden ersten Synthesen der Deduktion anzuerkennen – um ein Schönsein aller Objekte zu fordern (P.Guyer) –, noch darin, den ‚common sense‘, der in der Erkenntnisdomäne wirksam ist, unter Berufung auf dieselbe Anlage auch den Künsten zu unterschieben1036. Dies geschähe, angesichts der tatsächlichen Differenzierung, zu kursorisch oder unanalytisch. Die Bestimmungsleistung, die zuerst das Kunstwerk selber manifestiert – wir halten Gegenstandsbewusstsein weder hier, in der Kunst, noch dort, in der allgemeinen Metaphysik oder Erkenntnislehre, für indefinit oder ohne Determination –1037, sodann jene, die ein spezifisches Urteil ausmacht, denn 1033 Kinnaman 2000, S.273-277. 1034 Kinnaman 2000, S.276, 270 1035 Kinnaman 2000, S.284-285. Zu den Grundlagen des Realismus in der Kunst: Rudolf Arnheim, Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Sehens, Berlin: Walter de Gruyter 1965 (Englisch: Art and Visual Perception – a psychology of the creatve eye, 1954, S.94-100); Ernst Gombrich mit einer verwandten Ansicht über die Bedeutung des Stils (Gombrich, Art and Illusion. A Study in the Psychology of Pictorial Art, Washington 1960). Versus KU § 14, in dem Kant für die “Zeichnung” nur verlangt, sie möge “durch ihre Form gefallen” (AA Band V, S.225). 1036 Kinnaman 2000, S.270-272, die Erörterung der Standpunkte Guyers und Christel Frickes. 1037 Kinnaman 2000, S.279, 287, stellvertretend für Kant und seine Literatur. Die von Leibniz gestellte Frage, woher „Maler und andere Künstler angemessen erkennen, was richtig und was fehlerhaft gemacht“ (Hogrebe 1987, S.549, nach den Meditationes de cognitione, veritate et ideis), ist somit nicht vollkommen grundlos, jenseits jeder Bestimmung, die die transzendentale Norm berührt.

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nicht jedes Gefallen wird jedem a priori gleich sein, selbst wenn sie derselben Abhebung auf Wahrnehmung einer immanenten Proportion und Abstimmung folgen, wird den Erklärungsgrund abgeben, auf den sich die Verallgemeinerung zu stützen vermag, und die Zweckmäßigkeit, wenn sie einmal auf dem Grund der Konvertibilität als Möglichkeit erkannt wird, gewinnt eine effektive Grundlage der beiläufigen Bestimmbarkeit (wie sie bei Kant in der Teleologie, obgleich als durchgehend reflexiv erklärt, dennoch fühlbar durchscheint – abgehoben von jener im Akkord der Fakultäten). Da aber sodann auch die Bedingung der – metaphysischen – Projektion einkehren muss, diese aber von ihrem Wesen her mit der Polarität eng verkoppelt ist (i.e. schon der Gesichts- und Fluchtpunkt sind ihre natürlichen – i.e. unaufhebbaren – Instanzen), wird die Zweckmäßigkeit ihre Ordination in dem Sinne verlieren, die einzige Orientierung, das einzigmögliche Korrelat der Proportion und ihres Gefühls zu sein – wie die Disharmonie schon immer zu den Künsten gehört und die Moderne nahezu ganz überwältigt hat1038.

2. Konsequenzen Die Konsequenz, die in diesem Kapitel zu ziehen ist, betrifft, in einem doppelten Sinne, den Schematismus oder die Kategorien. Wenn das Bewusstsein zu einer Ordination seiner Fakultäten in einer gegenüber aller Affektion selbstständigen Form imstande ist, so dass die Implikation - oder Unterordnung - der Substrate um seiner Einheit willen keineswegs nur vom Verstandesvermögen oder, als praktisches Bewusstsein, von der Vernunft ausgehen muss, dann wird nicht nur die Wurzel jener spezifischen Leistung, die Kant in der berühmten Passage der Kritik der reinen Vernunft der „unbewussten Seele“ zuschrieb, einer Analysis zugänglich, die dieses Diktum überdeckt. Sondern es wird auch, konträr, die klassifikatorische Leistung, an die sich seit der Antike das logische Denken heftet, ihr unbedingt und durchgängig gegen die Sinnlichkeit gerichtetes Verdikt verlieren: als ob, wie soeben berührt, sie nur Daten, das Rubrum der bloßen Natur liefere, das, sobald es Wissenschaft, Bewährung und Möglichkeit eines konsistenten (»rationalen«) Urteils werden will, die Seite gewechselt haben muss – eine „Conscience de soi“, die sie vorher nicht war1039, unter Einwirkung des rationalen Vorhalts als ausschließlicher Einfluss der Begriffe. Mithin, dies die Behauptung, wird es eine genuine Leistung der Klassifikation auch auf ihrer Seite 1038 Womit wir eine Antwort auf das Defizit geben wollen, wie das Hässliche im Hinblick auf KU und die Künste zu erklären und lokalisieren ist (Kinnaman 2000, S.268). Nussbaum 2003, „Aesthetics and the Problem of Evil“ (in: Wilkens 2007). 1039 Vleeschauwer 1976, S.302.

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geben, worunter wir nunmehr aber auch die berühmte kategoriale fassen (angefangen vom porphyrisch-aristotelischen Modell, wobei freilich die kategoriale Bedingung der formalen des Urteils vorhergeht, wie in der Konzeption Kants und eigentlich auch in der klassischen Auffassung, und nicht umgekehrt1040). Und der moderne Impuls, der zuerst die Metaphysik besiegelte, sodann in einem „heroischen Akt die Scholastik auflöste“, mag – in einem bestimmen zweideutigen Sinne – zu sich zurückkehren und zugleich fortschreiten1041: allzu heroisch erscheint dieser Akt übrigens angesichts einer noch relativ frühen Kritik der Kategorienlehre Kants (schon) bei Bolzano nicht (mehr), der, freilich (anders als Herder) vom nachhaltig versicherten Standpunkt des Logikers aus, nicht nur die Ableitbarkeit aus den Urteilen anzweifelt, sondern ob sie tatsächlich den höchsten Status innehaben und ihre Vollständigkeit prätendieren können1042. Weiterhin ist schon in der Lehre Kants weder das taxonomische Moment, das mit der regulativen Idee koaliert, noch die dynamische Funktion (deren systematisches Auseinandertreten, wenig nach Kant, Foucault für die Biologie gezeigt hat1043) in ihrer jeweiligen Zuordnungsarbeit daran gebunden, definitive Urteile als Materie voraussetzen zu müssen1044. Worin aber sollte, wenn es auch möglich ist, in einer Erinnerung andere Zeiten und Orte zu subsumieren, als bloßes Bewusstsein, nicht als sprachliches Gefüge noch als eine begriffliche Beschreibung, wie sollte dieser Möglichkeit nicht seine logische Natur vorangehen?1045 Wie bereits früher angekündigt, folgt aus diesem Grunde ein Nachweis (quasi) kategorialer Funktionen in der Anschauung. Das klassische Theorem über die 1040 Simon 2003, S.130. In der Psychologie ist die Redeweise von categories angesichts offensichtlich zuerst und nach ihrer Klassifikation sinnlicher Befunde fest etabliert, was freilich ihre philosophische Legitimation noch nicht erübrigt (siehe weiter unten). 1041 Vleeschauwer 1976, I, S.58: „Considérée sous cet angle, la Critique nous paraît être la seconde attaque de la pensée moderne contre la métaphysique (la première date de David Hume), et le second moment héroïque dans la dissolution de la Scolastique“. 1042 Bolzano, Wissenschaftslehre, Anhang §§ 118-119. 1043 Wie schon einmal erwähnt: Michel Foucault, Les Mots et les Choses, Paris Gallimard 1966, ch.II und S.275-292. Der Reflex reicht in die moderne Typentheorie, und im Spiegel der Kunsttheorie Nussbaum 2003, “Kinds, Types, and Musical ­Ontology”, S.273-291, 273-282. 1044 KrV A656-663/B684-691. 1045 Wer es hier, auf Anhieb, nicht zu leisten vermag, möge sich das Ziffernblatt seiner Uhr mit den drei verschiedenen Metren und nach ihrer anschaulichen Erschließung und Regel vor Augen führen. Was Historie und Literatur in Beziehung auf die Vermögen, insbesondere den mémoire angeht: Graziani 2004 ().

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Vorgängigkeit einer Tafel von (eventuell eingeborenen oder aber anlässlich der Erfahrung spontan erlernbaren) Begriffen fußt nunmehr auf der logischen Wurzel als zuerst und notwendig in den Fakultäten wirksam, so dass die Philosophie nicht mit der ersten Frage konfrontiert wird, ob dort, im ersten Grund, auf den das Bewusstsein kraft seiner Natur zurückgreifen muss, bereits ein Fundus reiner Ideen, reiner Vorstellungen verankert sei – wenn, dann zumindest nicht wie Platon, oder Leibniz, noch wie Kant glaubte. Goethe, der oben das vorangestellte Zitat beherrscht, war, als ein Dichter und Künstler, und doch im selben Zeitalter wie dieser, Kant, nicht daran gebunden, so zu begreifen, wie dieser als Gesetz glaubte festlegen zu müssen. Zum einen, ob es zutrifft oder nicht, hielt er angesichts der Modellierung des Hausbaus, seines Urtypus, dafür1046, dass entgegen einer „horizontal verbundenen Konstruktion von Baumstämmen“, die sich von Vitruv herleitet, eine Konstruktion aus ursprünglich gekreuzten Stangen das Modell der „Urhütte“ ausmache, bereit, auch den Tempel zu erfassen1047. Zum anderen aber war es hier, beim Modell des Kollosseums, der Fokus oder Anziehungspunkt eines Ortes, der zum Krater oder Trichterbau gerinnt. So kommt es zur „Auffassung einer gewachsenen Architektur, einer an der Nutzung vorgefundener Naturformen entwickelten Baukunst“, einem „Nachschaffen durch den Architekten der aus natürlichsten Bedürfnissen erwachsenen Struktur“1048. Oder es bildet sich die Anschauung zu einer eigenständigen Form, nicht unter Voraussetzung eines subordinierenden Verstands als legislativer Begriff, sondern umgekehrt, und fortan auch imstande, Ableitung, Subsumtion, und Variation zu ertragen – was es gilt, mit aller Nachdrücklichkeit im zunächst historischen Sinne zu respektieren. Nicht also aufgrund einer (rein begrifflichen) Veranlagung von Substanz und Ursache, einem Maß als Größe und einer Intensität als Stärke der Elemente gelangt der Mensch dazu, den Wunsch seiner Behausung zu erfüllen, sondern weil er in der Natur ‚die Idee‘ entdeckt und, kraft konträrer Bestimmung, imstande ist, den Impuls in die entsprechenden Begriffe fortzusetzen und diese auszubilden. In diesem Sinne (wenn auch im Rahmen des Bauhaus ohne direkte Anlehnung an Goethe) hat sich in der Architekturtheorie seit Mies van der Rohe eine Prinzipienlehre ausgebildet, bei der der Baukubus nicht als einheitliches, unanalysierbares Gebilde begriffen wird, sondern nach bestimmten Prinzipien. Die Konstruktion wird hierbei so entworfen, dass sie sich dem Vorrang eines bestimmten Prinzips unterordnet – dies kann die Strebe oder der Stabbau (wie 1046 Zu intellectus archetypus und ectypus: Brandt 1991, S.97-99. Prauss 1996, S.212-215. 1047 Miller 2002, S.21-22. 1048 Miller 2002, S.22 bzw. siehe oben.

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zuvor), das Dach, die Wand oder der Kubus selber sein1049. Die Prinzipien werden aber anschaulich begriffen – sie haben, als Entwurf, eine vorrangig anschauliche und zugleich imaginative, nicht aber begriffliche Seite –, so dass, von Seiten der Philosophie her, die Klassifikation des Gebäudes auf dieser Basis möglich sein muss. Sie bedeutet, der gesamte Bau, der umbaute Raum als konstruierter, ordnet sich dem Vorrang eines anschaulich verstandenen Prinzips unter, etwa als Stabbau oder als ein Gebäude, das unter der Primärfunktion Dach zu begreifen ist (wie zuvor Goethe angesichts der Urhütte oder Trichter). In diesem Sinne gelangt man zu dem Schluss, dass die echte Klassifikationsleistung, die hierbei wirksam ist, eine auch kategoriale Veranlagung der Sinnlichkeit – als Empfindungs- und Imaginationsvermögen – möglich machen muss. Die Vorstellungen ordnen sich auf ihrer Seite nach einer Hauptvorstellung, dies aber nur deshalb, weil nicht zuerst die Vorstellungen für sich klassifiziert werden müssten, und dann auch nur als Begriffe, sondern weil die logische Leistung, der logische Operator, damit beginnt, zuerst ein Vermögen auszusondern, in diesem Fall im Rahmen der (strengen) Entwurfslehre vor allem die Imagination, um sodann die anderen nachzuordnen und zu implizieren und, auf dieser Basis, alle Vorstellungen einander zuzuordnen und einzuschließen. Dieser Ausdruck hat daher eine übergeordnete Bedeutung, wenn er auch einbegreifen muss, dass sich die Vorstellungen – im Rahmen der Hauptimplikation – durchaus auf anderen Ebenen koordinieren können, Disjunktionen und Alternationen und mögliche Äquivalenzen eingehen. Jedenfalls wird, im Sinne auch einer Gegenprobe, die derartige Form des Bewusstseins und seine gebildete Vorstellung den Wahrheitswert respektive Falschheit ertragen müssen – nicht erst, weil in der Konstruktion Fehler enthalten wären, sondern weil ein Stabbau eben ein Stabbau ist wie die Farbe rot oder grün. Auch/oder/und weiß der Kundige, wenn er Pfahlbauten sieht, dass er mit sumpfigen, eventuell wässrigem Gelände zu rechnen hat. Die Sinnlichkeit kann demnach keine facultas sine mente, keine potentia sine ratio oder, als Vorstellung [repraesentia propria], keine pensée verkörpern, die in ihrer eigenen Domäne schon die absolute Mitte, die sie vom Verstandesvermögen differenziert, nicht erreichte: die „médiatrice“, die die Imagination in der

1049 Vf.,„Gestaltprinzip in der Entwurfstheorie und anschauliche Kategorie“, und Addendum in: Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur, 4/1 (1999) (www.theo.tu-cottbus.de/wolke). Zuvor: „Gestalt, Figur: künstliche Welt“, in: Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur, 3/1 (1998) (URL http://www. theo.tu-cottbus.de/wolke).

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transzendentalen Deduktion übernimmt1050, kann daher nicht einem ausschließlich »planaren« Faktor, einer notwendigen Abfolge des Erkenntnisprozesses unterworfen werden, worin sich Kant vielleicht durch Tetens inspirieren ließ1051 oder aber einem Modell folgt, das seine Zeit nicht zu übersteigen vermochte. Sondern diese Médiatrice, indem sie dem Bewusstsein den logischen Ort des Gegenstands für das Verstandesvermögen vermittelt, muss auch in das Verhältnis ihrer Ursprungsvermögen selber einkehren können, hierbei noch dazu eine wesentliche Projektion, als Möglichkeit, vom Gegenstand her und untereinander (stets an das Prinzip der Identität gebunden) aufgreifen und implizieren (denn die Wahrnehmung von Gegenständlichkeit ist hieran mit natürlicher Gesetzmäßigkeit gebunden), so dass, am Ende, das Bewusstsein im Verhältnis zur primären (Unter-) Ordnung der kritischen Philosophe – Intellectus ⇒ Imagination ⇒ Empfindung – in ein orthogonales Verhältnis übergeht, wodurch sich die Koordination der metaphysischen Beziehung vollendet1052; denn Seiendes, die Welt der Gegenstände, der anderen Personen und Bewusstseinsinhaber und/oder das eine Erkenntnissubjekt respektive Bewusstseinsträger sind beständig koinzident, zugleich und nicht anders gegeben, was wiederum in den Kern der Wahrheitsbeziehung überleitet: Schon sind, zum Abschluss dieser Einleitung, Kant und seine Interpreten zu fragen, warum die logische Notwendigkeit nicht bis zum Kern des Bewusstseins vordringt, um, angesichts des ersten Erkenntnisobjekts und der Trennung von innerem und äußerem Sinn nicht dabei stehen bleiben zu müssen, „[que] le sens [interne] est [seulement] coordonné à la sensibilité externe“1053 – in der die Wahrnehmung des Raumes, mehr, auch alle gegenständlichen, die Identifikation leitenden Umrisse der Körper verwurzelt sind, deren Projizierbarkeit, und tatsächliche Projektion, Leibniz an und für sich, wenn auch ohne weitere Folgen, anerkannte1054, Poincaré 1050 Vleeschauwer 1976, I, S.298 1051 Vleeschauwer 1976, I, S.299-322, der mögliche Einfluss S.310: „ [..] pas arbitraire de supposer une lecture sympatique“. Er stünde neben dem öfter behaupteten durch Baumgarten (Nivelle 1971, S.11). 1052 Siehe unten, Wahrheitsbegriff, Abschnitt 3 Diagramm Koordination der metaphysischen Beziehung. 1053 Vleeschauwer 1976, I, S.306. Heckmann 1997, S.468: der „qualitative Gehalt meiner Empfindungen“, die sich auf „Gegenstände als raumfüllende Größen“ beziehen, und „umgekehrt solche Gegenstände“, derer ich „mir aus Anlass meiner Empfindungen bewusst werde“. 1054 „[…] par l’artifice d’une perspective bien entendue. Lorsque les corps ont des extremités plattes, on peut les representer sans employer les ombres en ne se servant que les contours et en faisant simplement des peintures à la façon des Chinois, mais plus proportionnées que les leurs“ (Leibniz, NE, II, ch.IX, § 8, in: GP, Band

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hingegen bei der Besprechung des Raums für die Sinne gelegentlich übersah1055, und Tetens, der sich der Ergründung derselben Sinnlichkeit aus dem Blickwinkel der Psychologie seiner Zeit widmete, dito, zudem irrte, indem er glaubte, Kant nach der Auffassung in der Dissertation umkehren zu dürfen1056: „Aber die eigentliche Materie zu der Idee von dem Raum, das Bild oder die ­Vorstellung, die als gewahrgenommene Vorstellung die Idee von dem Raum ausmacht, ist nicht der Aktus, womit die mehreren Gefühle zu Einem ganzen vereinigt werden, sondern ­vielmehr ihre Wirkung, das vereinigte Ganze der Empfindung, dessen Bestandtheile die ununterschiedene[n] Gefühle sind, das ist, der ganze vereinigte Aktus der Empfindungen. Vermutlich hat Hr. Kant eben dasselbige im Sinne gehabt, und diese ganzen Gefühle, eine gewisse Weise des Zusammenstellens der empfundenen Gegenstände, genennet“.

3. Gestalt und Schematismus in Verbindung mit Umkehrung und Zirkelproblem „Mit Art (είδος, species; bedeutet auch Form, Gestalt, Bild, Schönheit) kann zwar auch die jeweilige Gestalt von etwas gemeint sein […]. Sie bedeutet aber auch das, was unter der beschriebenen Gattung steht, und in diesem Sinne bezeichnen wir den Menschen als eine Art Sinnenwesen, das die Gattung vorstellt, und weiß als die Art von Farbe, Dreieck als Art von Figur“1057. Aus einem inzwischen wohlbekannten Grund soll dieses Zitat einführen – anders als die klassische Philosophie glaubte, in einem absoluten Sinne festlegen zu dürfen, wird die Subsumtion nicht davon abhängen, vom Begriff ausgehen zu müssen1058. Für den letztgenannten Fall gilt heute, die Fluchtebene in Pn (mit der Dimension n-1), die alle und nur die (sogenannten) uneigentlichen Punkte enthält, lässt sich (in einer

V, S.122). So schließt sich die Frage an, ob der Mensch nicht auch auf natürliche Weise ebenso aufzufassen imstande ist, und sein muss. 1055 Poincaré, „Pourquoi l’espace à trois dimensions“, § 3, l’espace et les sens, in: 1963, S.141-145. 1056 Sollte ihn Kant gelesen haben, so hätte er sich vermutlich zur Richtigstellung herausgefordert gefühlt. Johann Nic. Tetens, Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung, 2 Bände, Bützow und Wismar 1775, Nachdruck Berlin 1913, S.350-351. 1057 Porphyrius, Einleitung in die Kategorien, in: Aristoteles, Philosophische Schriften, Band 1, Darmstadt 1995, S.4; Hervorhebung Vf. 1058 Kinnaman 2000, 270-272, zusammen mit der Erörterung der Positionen Guyers und Frickes.

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klassisch gewohnten Weise) bis hinunter auf die Dimension 0 reduzieren1059, in welchem Fall der einfache Punkt resultiert1060. Was die Logik angeht, und es gilt ausdrücklich, „sich dabei stets die anschauliche Bedeutung aller Definitionen im Sonderfall n = 3 klar zu machen“1061, heißt der „entsprechende lineare Raum mit der Dimension 1 Gerade, der Dimension 2 Ebene und ein Raum mit der Dimension n-1 Hyperebene“. So wenig also die Subsumtion des Dreiecks unter der Figur den reinen, oder bloßen, Begriff (pura vel mera notio qua species contra generem) verlangt, so wenig wird das dimensionale Verständnis der Inklusion das Bewusstsein gezwungen haben, sich auf die ausschließlich begriffliche Seite gewendet haben zu müssen1062: auch für den natürlichen projektiven Raum ist jene Verwandte der Hyperebene einfache Vorstellung, in der alle und nur die (unendlich fernen) Fluchtpunkte der natürlichen Anschauung liegen, „eine Annahme, in der nicht übernatürliches oder metaphysisches liegt, sondern nur eine neue Ausdrucksweise“1063. Oder, um es ‚anschaulicher‘ auszudrücken, das indefinite, gleichwohl unendliche Immensum aller erdenklichen Scheitel, die aus der natürlichen Projektion des Bewusstseins im existierenden Raum resultieren (als Ebene aller Schnittpunkte zwischen, wenigstens, der Distanzlinie und dem Horizont)1064. So besteht guter Grund, die Philosophie zu fordern, um sich – mit einem neuen Leitsatz, der Bedingung, dass die Logik auf Seiten der Sinnlichkeit arbeitet – dem Schematismus zuzuwenden: die »Einheit« des Apfels ist kein Problem, das nur den Begriff beträfe1065.

1059 Sie heißt uneigentliche Hyperebene und folgt, unter der Bedingung, alle unendlich fernen Punkte, und nur diese zu umfassen, der Gleichung ξ = 0 (Sperner 1963, S.161). Zu ξ: „Zum Beispiel stellt die Gleichung ξ = 0 die uneigentliche Hyperebene dar, der alle uneigentlichen Punkte und nur diese angehören. Insbesondere ist ξ0 = 0 im P3 [dreidimensionaler projektiver Raum] die uneigentliche Ebene“. 1060 Sperner 1963, S.161. 1061 Sperner 1963, S.157. 1062 Siehe Einleitung in Zusammenhang mit Poincaré 1963 („Les Fondements de la Géométrie“). 1063 Zitat aus Hilberts Vorlesung zur projektiven Geometrie SS 1891, in: Toepell 1986, S.29. 1064 “It is no more possible for me to take the ‘I’ into the object of consciousness than it is to observe the limits of my own visual field. ‘I’ is the expression of my perspective, but denotes no item within it” (Scruton 1982, S.57). Die Grenzen der visuellen zählen, wie zu zeigen gesucht wurde, zu den präzisesten geometrischen Objekten. 1065 “Das unum per se, έν χαδ’ αύτό, ist dagegen selbst einer mehrfachen Unterscheidung fähig: (1) die Einheit des bloß Zusammengesetzten – etwa einer Maschine; (2) die Einheit der Gestalt, etwa eines Apfels; (3) die Einheit des Allgemeinen – etwa

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Da er mehrfach eingehend behandelt wurde, geht es vor allem darum, unter Einbeziehung des Begriffs der Apprehension das Verhältnis zur Psychologie zu klären. Der A-Teil wird, nach der Behandlung der Erkenntnistheorie im nächsten Abschnitt, mit einem Beweis schließen, dessen Materie der Psychologie entstammt, gleichwohl – ohne Widerspruch im Ergebnis – auf einer unabhängigen Basis, jener, die sich auf die Analyse der Fakultäten beruft, erklärt werden kann und einem vielleicht nicht allgemeinen, hier aber geteilten Zeugnis zufolge die Akzentverschiebung verantwortet, aus welcher die Kopernikanische Revolution hervorging1066 – um sie freilich erneut zu revolutionieren, in der kraft Leitsatz zur Metaphysik, der Projektion, der Konvertibilität und inliegender natürlicher Polarität der vollständige und echte Diapason beider Auffassungen erzeugt wird, dem sich die abendländische Philosophiegeschichte aus Gründen des Widerspruchs in der Alternative, einer Subjektivität, die es über die Jahrhunderte zu erschließen galt und dem Bedürfnis, die im Bewusstsein verankerte Wurzel der Reduktion oder Reduzierbarkeit zu nutzen, bislang versagt hat – wobei, nicht zuletzt, das Durchschauen und die Nutzung einer Reduzibilität zwei verschiedene Dinge sind. Einer der penibelsten Leser Kants, Vleeschauwer, bemerkte nicht, dass, indem er Kants Gedankengang nachzuzeichnen suchte, der sich historisch gegen die Empiristen richtet, um die „auto-suffisance de la sensibilité“ ­abzulehnen1067, in der Materie hingegen einer Synthese zuwendet, die auf dem internen Sinn als Zeit basiert, demselben Zirkelschluss wie dieser erlegen ist. Nicht nur, dass Kant, wie oben, „coordonne ici la synthèse à priori à la synthèse empirique de l’appréhension. Elles ne se distinguent que par l’hétérogénéité de leur matière“. Es soll auch gelten, „la synthèse à priori désigne donc la même fonction que dans le passage précédent, mais appliqué à une matière à priori“1068. Der Zirkel, dem auch Heidegger erlegen ist, ist eklatant1069, indem die spontane

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die Zusammenfassung, was unter den Begriff der Katze fällt; und schließlich (4) die Einheit des lebendigen Individuums, etwa meiner Katze” (Poser 2000, „Ens et unum convertuntur […]“, S.272-273. Zum mathematischen Schema des Apfels, dem sich Kepler widmete: Eberhard Knobloch, „Archimedes, Kepler, and Guldin: the role of proof and anaogy“, in: Rüdiger Thiele (Hg.), Mathesis. Festschrift zum siebzigsten Geburtstag von Matthias Schramm, Berlin 2000, S.82-100). Fred Dallmayr, „Kant and Critical Theory“, in: Thompson 1991, S.288: „Basically, his Copernican Revolution signaled a shift of accent from a seemingly self-­ contained universe to the constitutive role of human faculties - […]“. Vleeschauwer 1976, II, S.244. Vleeschauwer 1976, II, S.248. Er nicht identisch, aber jenem verwandt, den Guyer bei der Analyse der transzendentalen Deduktion bei der Veranlagung der transzendentalen Apperzeption

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Funktion in der Apprehension als eigenständige Synthese der Perzeptionen wirksam sein soll1070, sogar von einer (notwendigen) Bestimmungsleistung begleitet wird, die im inneren Sinn (und nicht Begriff) verankert ist1071, um sodann in eine – dogmatische – Ineinanderschachtelung der Formen der Synthese zurückzufallen, deren höchste die allein begriffliche, durch die Kategorienleistung vermittelte Apperzeption darstellt1072. Bei Heidegger muss sich der Leser zunächst auf seine Sprachschöpfungen einlassen, um ebenso auf den Widerspruch zu stoßen, dass bei drei Unterscheidungen des Bildes, als unmittelbare empirische Anschauung (das Einzelne als ein „Dies-da“), als „Anblick“ in Gestalt einer „unmittelbaren Abbildbetrachtung“ (etwa das Abbild einer Totenmaske) und zuletzt als ein „Anblick“ „im allgemeinen“, der sich „in dem Einen“ niederschlägt, „was für viele gilt“, die Versinnlichung, die von ihrem Ursprung her stets ein originäres „Zeigen“ (oder sich „Zeigen-lassen“) ist1073, in den gegenteiligen Grund verwandelt: „Nur im Vorstellen der Weise, in der die Regel das Hineinzeichnen in einen möglichen Anblick regelt, kann überhaupt die Einheit des Begriffs als einigende, vielgültige, vorgestellt werden“1074. So tradiert sich derselbe – in diesem Sinne ‚rationale‘ – Zirkel, umso mehr, als Heidegger, sobald es gilt, die „Bestimmung der Regel“ zu erklären, aus der die „begriffliche Einheit“ hervorgeht, die unmittelbare Ordination der Vermögen übergeht (obgleich sie Kant in einer Form vorausgesetzt hatte, die, als Lehrsatz, zugleich ein Dogma bedeutet)1075. Zudem lässt er (wie auch dieser) das Schema eines Hauses

­erkennt (Guyer 1992). 1070 „Dans le sens interne, les représentations sont ordonnées, liées et rapportées l’une à l’autre“ (Vleeschauwer 1976, II, S.241). 1071 Vleeschauwer 1976, II, S.245: „Cette caractéristique est sa soumission au temps, dont elle suit toutes les déterminations, parce que ces déterminations lui confèrent la forme“. 1072 Vleeschauwer 1976, II, S.246-247. 1073 Bei Erläuterung der beiden Wege der Deduktion auch: ein „Gegenstehenlassen“ (Martin Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, in: Gesamtausgabe, I.Abt., Band 3, Frankfurt 1991, S.77 und öfter: „Seiendes wird für ein endliches Wesen nur zugänglich auf dem Grunde eines vorgangig sich zuwendenden Gegenstehenlassens. Dieses nimmt im vorhinein das möglicherweise begegnende Seiende in den Einheitshorizont einer möglichen Zusammengehörigkeit“). 1074 Heidegger 1991, § 20, S.93-95. 1075 „Die begriffliche Einheit ist, was sie als einigende sein kann und soll, nur als die regelnde. Die Einheit wird nicht erfasst, sondern sie steht nur dann gerade als wesenhaft die Regelung bestimmende im Blick, wenn von ihr weggesehen wird auf ihr Bestimmen der Regel. Dieses Von-ihr-wegsehen verliert sie nicht überhaupt aus

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schon „bestimmt“ sein1076, noch bevor die Regel des Begriffes hierfür hat einstehen können: angesichts der Frage, wie das allgemeine Schema eines Hauses vorzustellen sei, bietet es bereits einen „bestimmten Anblick“ oder „hat es sich innerhalb des Umkreises von Möglichkeiten des Aussehens für eine bestimmte entschieden[!]“1077. Mag er auch zutreffend den Schematismus Kants verteidigt und ins Zentrum der Kritik gestellt haben, dass die Subsumtion nicht nur eine „vorläufige“ Frage, nicht nur eine „Idee“, keine „ontologische Subsumtion“ und keinen Gesichtspunkt darstellt, der sich nur von der überlieferten Tradition der metaphysica generalis her stellt1078, hat Heidegger offenbar nicht begriffen: die Einheit, die Kant zu kennzeichnen suchte, ist eine Folge der Subsumtion und, allgemein, der Ordination der Vermögen und ihrer Substrate, nicht eine Einheit, die nur durch Subsumtion unter reinen oder empirischen Begriff geschieht. Es sind Erscheinungen oder Anschauung(en)1079, die kraft Wirksamkeit der reinen Verstandesbegriffe die Möglichkeit der transzendentalen Einheit der Apperzeption bewirken, somit, da die Heterogenität anderwärts offenes Theorem ist1080, nicht nur Substrate, sondern auch deren Fakultäten – auch wenn Kant zu einer durchgreifenden Methodik dieser Differenz nicht gelangt ist, die ihn (zumindest) auf die Konvertibilität hätte bringen müssen. Die reine Logik verlangt demnach die Erklärung, warum in der Einheit des Bewusstseins es nicht nur eine Koordination, sondern auch und vor allem Subordination eines (angeblich) fundamentalen Gegensatzes geben muss, in dem sich die empirische und anderwärts apriorische Synthese gegenüber stehen (woran freilich auch reine – rein logisch argumentierende – Logiker wie Bolzano vorbeisehen). Sie verlangt darüber hinaus zu erklären, warum in einem Modell, in dem sich die Synthesen (angeblich) auch „von unten auf “ errichten1081 und, indem sie die Einheit des Bewusstseins in einem Erkenntnisakt anstreben, eine manifeste Hierarchie verfolgen, sie, die Logik als das an und für

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dem Blick, sondern hat so gerade die Einheit als regelnde im Vorblick“ (Heidegger 1991, S.96) – Kant hatte hierfür ausdrücklich eine Subordination der Vermögen veranschlagt, um der Einheit ein Moment zuzusprechen, dass im Kern das bloße Substrat des Begriffs überschreitet. Aus diesem Grund darf die Subsumtion nicht methodisch ausgeklammert werden (§ 23, 1991, S.109-113). Heckmann 1997, S.454 im Rückgriff auf KrV B 237. Heidegger 1991, S.95. Heidegger 1991, S.112, 111, 109, 111. Heidegger 1991, S.110 mit Berufung auf KrV 137-138/B 176-77. Heidegger in Anerkenntnis von soeben KrV A 137-138/B 176-77 (1991, S.111-112). Heidegger nennt ihn den zweiten Weg (1991, S.77, 82-84).

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sich freie (transzendentale) Organ des Bewusstseins, ihre Freiheit verliert und von vornherein darauf verpflichtet wird, die Hierarchie nur und ausschließlich durch den transzendentalen Grund der Apperzeption verantworten zu können – in Umkehrung der Richtung, da sie, wiederum angeblich, mit dem Status des reinen Begriffs einhergeht oder wo das Ich und die höchsten Ideen beheimatet, die der Erfahrung nicht zugänglich sind1082. Was von der Tradition, Aristoteles und Porphyrius als seinem Kommentator her eine echte und unbestreitbare Zweideutigkeit in sich birgt1083, hat durch den bloßen Setzungsakt der Transzendentalphilosophie daher keine wirkliche Klärung erfahren (und müsste, das Plädoyer an diesem Ort, in eine echte, zu jeder Orientierung veranlagten Projektion unter allen Bedingungen, möglich, aktual und notwendig, hineinführen1084, Projektion aber, weil gegenständliches Bewusstsein ohne sie nicht vorstellbar ist und sie eine unwillkürliche Identikation unter den Leistungen der verschiedenen Vermögen verbürgt). Wenn aber eine Synthese als auch Donnée nicht zu leugnen ist1085, zudem eine aktive Leistung des Bewusstseins einkehrt, die, immer noch, einer Nachbildung oder angemessenen Erfassung einer tatsächlich in der Natur, in der Realität längst und zuerst gegebenen Verbindung folgt, wobei freilich die logische Wurzel bereits aktiv ist1086, warum dann nicht auch eine – übergeordnete oder, in diesem Sinne, reine – Implikation in Kraft treten darf, derzufolge die Begriffsbildung1087, sogar das Ich, als manifestes Bewusstsein, in die Konsequenz tritt, ist nicht mehr einzusehen, sobald sich das Bewusstsein

1082 Kinnaman 2000, S.275. 1083 Die logische Schleife ist eklatant, die Porphyrius bei Erläuterung der Kategorien am Beispiel der Substanz erzeugt: als höchste Gattung fällt unter sie Körper, beseelter Körper, Sinnenwesen, Mensch, Sokrates als jeweils neue, subsumierte Arten (Einleitung in die Kategorien, 2.Kap., in: Aristoteles, Philosophische Schriften, Band 1, Darmstadt 1995, S.5). 1084 Die freie Orientierung der Projektion somit in Vervollständigung ihres Sinnes als Projektion von Prädikaten auf die manifeste Außenwelt (in Erinnerung, wie oben: Goodman, Abel 1999, Nussbaum 2003, Rescher 2003). 1085 Demnach ist es unwahr, es gäbe nicht auch eine Einheit als echte Erfahrung (Heidegger 1991, § 17, S.79… „des noch nicht Geeinigten“…. Wie sie ontologisch zu klassifizieren ist, braucht – auf dem Hintergrund von unum per aggregatum und unum per se – nicht zugleich geklärt zu werden). 1086 Mit Bezug auf die oft erläuterte, angeblich bei Kant hinreichend erläuterte Differenz zwischen einem subjektiven und objektiven Bewusstsein angesichts der Analogien der Erfahrung: Heckmann 1997, S.451-458. 1087 „Die empirischen Begriffe sind aus der Erfahrung geschöpft und deshalb mit dem Sachgehalt des Seienden, das sie bestimmen, ‘gleichartig’ “(Heidegger 1991, S.110).

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von einer vorgeordneten Satzung und Setzung, als unbedingte Legislatur des Rationalismus, befreit – was übrigens auch eine der (kraft Selbsteinschätzung) rationalsten Theorien der jüngeren Geschichte, die pragmatischen Konsensustheorie von Jürgen Habermas, auf dem – eigenen – Hintergrund der kritischen Theorie für sich selbst und für diese als Rechtfertigung verlangt1088. Der „Gesetzgeber“ oder Legislator wird, seinem ganzen Vermögen nach, also nicht nur Begriff oder (präsumierte) Idee heißen können, wie Kant selber zugibt, sobald es gilt, den Philosophen davon zu befreien, nur ein „Vernunftkünstler“ zu sein1089. Und auch die Substanz wird sich, als endlich Monade, dieser wohlbekannten Doppeldeutigkeit des Moy nicht entziehen können1090. Anderwärts ist der Gesichtspunkt, als immediate, spontane Perzeption, und regulative Instanz, der ja sogar Kant selber in der Methodenlehre fast nachzuspüren sich genötigt sieht, ohne gleichwohl jemals auch ihre wahre geometrische, und projektive, Bedeutung zu belangen, eine so unmittelbare, effektive und geradezu transzendentale Alliierte der transzendentalen Apperzeption, dass die Notwendigkeit, die Hierarchie nur und ausschließlich als eine Legislation von oben nach unten begreifen zu können1091, auf den Widerspruch trifft – gesetzt, man darf sie, in der nunmehr reinen Logik, die nach den ersten Implikationen des Bewusstseins fragt, noch immer so auffassen. Verlangt die Einheit des Bewusstseins nach den verschiedenen Bedeutungen des Akts, der Transparenz und der Kongruenz (in einem erweiterten, die Projektion einschließenden Sinne)1092 also tatsächlich, dass Legislation und Formation einander durchdringen, oder Umkehrbarkeit beweisen, dann ist der Realgrund nicht zu derogieren, will heißen, ab initio aufzuheben, nur weil es der »reine«, mit sich selbst identische und einer – vermeintlich – inhärenten Idealität anhängige rationale Impuls der Erklärung verlangt – die nicht purgatorio, wie sie vielleicht tatsächlich genannt zu werden verdiente, sondern gelegentlich Paradies genannte Domäne

1088 In der Entgegnung des Vorwurfs Hegels, Kants moralische Position sei nur formal, gilt: „Practical conflicts which need to be morally assessed and consensually resolved, we read [in Habermas], ‘grow out of the communative praxis of everyday life’; they are ‘found or encountered, but not generated’ by ethical reason or the participants of the moral discourse“ (Dallmayr 1991, S.295; was sie selbst angeht, S.302-303). 1089 KrV A 839/B 867; Kinnaman 2000, S.274. 1090 Leibniz, Monadologie § 30, in: GP VI, S.611-612. 1091 Dito Kinnaman 2000, S.273-277. 1092 Poincaré 1963, § 4, S.150.

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Kants1093, mit der er tacite, stillschweigend, die regio idearum beerbte1094. Wenn aber die Einheit des Bewusstseins bei Erfüllung dieser Bedingung eine echte Koinzidenz (als Überschiebung, echte Projektion) wenigstens beider Gründe verlangt (die Involution1095 anderer Subjekte ist a priori nicht ausgeschlossen, sondern ganz im Gegenteil wird sie die nicht formale, sondern natürliche oder empirische Realität des - metaphysisch erneuerten - Bewusstseins bezeichnen), dann muss die (eingeklammerte) Projektion mit der primären oder reinen Logik einhergehen (jener, die Kant als transzendentale und nicht dialektische, noch formale im Auge hatte), und sie wird auch jede vorrangig modale Zuordnung, wie sie Goodman konzipierte, übersteigen: Wir halten die Verwurzelung eines Prädikats („entrenchment“) bereits notwendig mit Projektion verknüpft1096, da sie in der Affektion wirksam ist und sie konstituiert. Es gibt weder ein Gegenstands- noch irgend Ichbewusstsein ohne Projektion – nicht erst durch den Perspektivenwechsel, den es durch sich erfährt, sondern bereits durch diese selber als das wahre, erste Moment in der metaphysischen Beziehung noch vor dem Denken oder Fühlen. In der resultierenden Beziehung 1093 Ein Ausspruch Robert Kagans, aufgegriffen von Thomas Geoghegan, „Litigation hell in America“, in: The Berlin Journal (A Magazine from the American Academy in Berlin) Nr. 8/Frühjahr (2004), S.48. 1094 Eine einschlägige neuere Interpretation für Leibniz und im Spektrum von Mittelalter und Gegenwart, die zugleich, vielleicht, zu ermessen gibt, wo die Einschränkung, aber nicht völlige Aufhebung bei Kant liegt: Nicholas Rescher, „Nonexistents then and now“, in: The Review of Metaphysics 57 (2003), S.359-381. 1095 Ein Ausdruck, den wir ausdrücklich aus dem Brouillon projet und Original des Desargues aufgreifen wollen, wo er im wesentlichen die Involution dreier Schnittpunkte in einer gemeinsamen Geraden ausdrückt (in: Taton 1988, S.110, Definition, mit Anmerkung 18 von Taton; vgl. die Anwendung S.127, in der die Proportion der behaupteten Involution bh, df, cg (Fig.11) aus den den korrespondierenden Punkten auf der Grundlinie B, H, D, F, C, G hergeleitet werden kann. Hier ist der Zentralpunkt manifest (K), den Taton bei Erläuterung der Definition erwähnt, und es lassen sich die Proportionen der resultierenden „rectangles“ deutlich einsehen; Field and Gray 1987, S.77). Noch deutlicher erklärt Field die involution und Desargues in: The Invention of Infinity. Mathematics and Art in the Renaissance, Oxford-New York-Tokyo (Oxford University Press) 1997, S.196-200. 1096 „The entrenchment of a predicate results from the actual projection not merely of that predicate alone but also of all predicates coextensive with it“, führt Goodman selber aus (1965, S.95). Diese actual projection aber begreift er nur setzend, orientiert hin zum Gegenstand des Phänomens, nicht auch der Möglichkeit nach rezeptiv.

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zur Logik, die sich davon befreit hat, ein exklusives Produkt des Verstandesvermögens (intellectus) sein zu müssen, um, stattdessen, das Perpendikel der Vermögen unter jeder Orientierung zu erzeugen und zu bedienen, werden die Fakultäten den Zwang, eine Bestimmung, das Kriterium und geradezu Wahrzeichen der neueren Wissenschaft, nur durch das (insgeheim) autokratische Ich oder den Begriff empfangen zu können, abgelegt und hinter sich gelassen – oder, um es psychologisch zu sagen – überwunden haben: in einer Form, die nicht mehr Verdrängung ist, insoweit auch der moderne, nachmetaphysische Mensch nicht ohne sie zu leben vermag und anderwärts auf einen Ort ihres Ursprungs außerhalb seiner verzichtet. Wie berührt, verliert Kants Nomenklatur und andere Grenze daher ihren Rückhalt, nach der es ein unfragliches Reich von Ideen noch immer geben soll, die der Sinnlichkeit, der Erfahrung, und zwar a priori, nicht zugänglich sind1097 (was keine neue Behauptung, aber immerhin eine neue Begründung erfährt): wenn die Projektion die Konstitution durchdringt, und zwar nicht nur als Form einer gesetzten Vermittlung (wie bei Plato), sondern, der Wahrnehmung des ‚unendlichen Raumes’ und seiner überall Gegenständlichkeit gemäß, bis in die äußerste Flucht, dann steht in der Grenze – bei jeder Orientierung – Erfahrung selber, auch wenn sich ihr Charakter, als dem Reich der Körper und äußeren Sinne oder aber dem inneren Bewusstsein zugehörig, nachhaltig verändert, und verändern muss.

4. Kategorien versus Schema, Muster 1. Die Sinnlichkeit, um sich, zunächst mit einer Rekapitulation, der Erkenntnistheorie und danach abschließend dem Wahrheitsbegriff respektive der Wahrheitstheorie zuzuwenden, ist vielen anders lautenden Traktaten der abendländischen Philosophiegeschichte zum Trotz kein, und zwar ganz und gar kein defizitäres oder Defizit des Bewusstseins schlechthin (ohne uns dem Sensualismus überantworten zu wollen, bei dem die logische Wurzel gleichermaßen nur außerhalb der Sinnlichkeit zu arbeiten vermag, weil die Determination dem rationalen Dogma unterliegt1098). Darum ist, im Umkreis der Schule(n), die Tatsache, dass Leibniz, von einem Gegenprinzip getragen, in einem gereiften Dokument zu den axiomatischen Grundlagen der Mathematik,

1097 Kinnaman 2000, S.274 gemäß Kants Definition, that „the organizing principle of the system is an idea […] as ‘a necessary concept of reason for which no congruent object can be given in the senses’ “. 1098 Wir hatten uns oben auf, p.e., Locke und Condillac berufen.

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die selbst die euklidischen untermauern wollen1099, nicht auf die Unterscheidungs- und Determinationskraft der Sinnlichkeit verzichten konnte1100, kein Defizit – es handelt sich, wo er es glaubt, um einen Scheinschluss1101, und das resultierende Debakel, das nicht unterschlagen noch durch vermeintliche Vorteile der Reduzierbarkeit eliminiert sei, ist kein Fehler der Natur noch einer unmöglichen Erklärbarkeit. Es begann früher als die zuletzt erwähnte Quelle(n), auch wenn tiefgründige und erlesenste Augen seiner, um den Preis neuer Wege, hätten habhaft werden können. La qualité sensible fonde ou justifie une classe de considération des idées. Kein Zweifel, sobald auch ihr entsprechender Begriff formiert ist (was nicht für alle Qualitäten und nicht in jedem Fall leicht ist). Bei dem folgenden Satz aber haben die klassischen Philosophen mit stetem Bedacht dieselbe Konversion derogiert, einem Vorbehalt der Aufhebbarkeit unterworfen, weil, unter anderem, die klassische Geometrie andernfalls ihr natürliches Fundament verlöre (da sie niemals reine Analysis1102, reiner Syllogismus, nicht reine Synthesis a priori, „reine Anschauung“1103, würde, sondern stets mit dem Realgrund einer empirischen Intervention einherginge, 1099 Expressis verbis, p.e. der Zirkel, Fragment IX, § 73, in: Leibniz 1995, S.206-209 (mit Fig.29). 1100 Obgleich schon andernorts behandelt - symptomatisch sind die Kongruenzrelationen, die er für das Rechteck unter IX § 49 beisteuert und mit einer Figur zur Orientierung begleitet, nicht von den abschließenden geometrischen Konklusionen Descartes’ in den Regulae ad directionem ingenii unterschieden, obgleich er sie durch den folgenden Satz kommentiert «  Nunc satis habebimus principium dedisse inveniendi haec solo calculo, sine inspectione figura ». Wenn es gilt, dem Kalkül die Möglichkeit zu unterstellen, dann hat er auch, wie er selber betont, eine sinnliche Repräsentation (Leibniz 1995, S.196), eine Möglichkeit, die er im Übrigen für eineindeutig hält (obgleich sie es nicht sein muss). Das Hauptdokument und Argument dürften allerdings der schließende Paragraph 108 sein, in der Leibniz die Bedeutung der simultanen Perzeption für Kongruenz, Ähnlichkeit und das Extensum darlegt (1995, S.229-231). 1101 Der auch nicht zu beheben ist, indem man sich auf die Grundrelationen, Gleichheit, Koinzidenz, Kongruenz, Größer-als, Kleines-als, Ähnlichkeit bezieht, bei der Leibniz direkt die Sinnlichkeit als einzigen Unterscheidungsgrund anführt (s.o., IX, §§ 31-32, 1995, S.182-185). 1102 Was, überdeutlich, die Zielrichtung der Charakteristik von Leibniz im Gegensatz zu Kant ist (p.e. die Darlegung der Inklusionen unter der Kongruenz, IX §§ 52-56, in: Leibniz 1995, S.198-203). 1103 Die, trotz ihrer Geltung als „durchwegs Prinzip der Rezeptivität“ das „Prinzip für apriorisch gültige, ursprüngliche ‚Ausdehnung‘ als Kontinuität ist“ (Gerold Prauss, „Kant als Deutscher Idealist“, in: Henrich & Horstmann 1987, S.146).

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die ihre Mitbedingung ausmacht, selbst wenn die reine Abstraktion sich hiervon mit dem Schein einer geronnenen Absolutheit zu distanzieren sucht): „La 4 [catégorie]. La forme & la figure, qui est la determination exterieure de la quantité: comme être rond, quarré, spherique, cubique“1104.

Wenn dieser Satz, seine Aussage, in Zusammenhang mit der Herkunft der Ideen als unmittelbarer Gegensatz zu solchen Bewusstseinsinhalten gebraucht wird, die, wie das Ja und Nein (oder die Affirmation und Negation) ihren Ursprung im Bewusstsein selber haben1105, so dass, avoir de la rondeur, ou soit la terre est ronde in den Gegengrund fallen1106, der der ‚Sinnlichkeit‘ gehört, dann muss, faktisch, und vom Argument her, die Logik ihren bloßen Sitz bei den Begriffen verlieren. Die berufene Klassifikation muss auch, und zwar von Anbeginn und ohne Anstrengung, auf Seiten einer sinnlichen Determination arbeiten1107, so dass – der reine Verstandesbegriff zum Konstrukt gerinnt: die Spontaneität, die er bedarf (und kraft transzendentalem Setzungsakt für sich vereinnahmt), hat einen tieferen Ursprung und terminiert die Teilung und anschließende Differentiation der beiden Kardinal-‚Stämme‘, nach deren Grundlage das Bewusstsein seine Organisation vollzieht. Es besteht kein Zweifel, dass die Autoren, die sich auf das aristotelische Tableau der Kategorien beziehen, diesen Schluss einstweilen nicht gezogen – oder übersehen – haben1108 (welche Unterlassung – oder Täuschung – wegen der geronnenen Gewohnheit in einem bedingten Sinne zum Argument gehört). Wenn aber die 1104 Arnauld & Nicole, I, III: Des dix Catégories d’Aristote, 1965, S.50. Die entsprechende Passage bei Aristoteles lautet: „Eine vierte Gattung von Qualität endlich ist die Figur und die die Dinge umkleidende Form, überdies Gradheit und Krummheit u.dgl. Denn in Rücksicht auf all dieses läßt man die Dinge so und so beschaffen sein“ (Organon I, Kategorien 10a, in: Philosophische Schriften 1, Darmstadt 1995, S.24). 1105 Auch wenn dies gelegentlich angezweifelt wird, vgl. Daniel Dahlstrom, „Negation and Being“. In: The Review of Metaphysics 64 (2010), S.247-271. 1106 Arnauld & Nicole, I, I, 1965, S.41. Derselbe Sachverhalt reflektiert sich unter den Topoi, Lieux de logique, 5. „Si on peut affirmer ou unier de quelque chose la propriété, on en peut affirmer ou nier l’espece. Étant impossible de se figurer la moitié d’une pensée, ni une pensée ronde & quarrée, il est impossible que se soit un corps“ (III, XVIII, S.238). 1107 Wir hatten oben (Einleitung zum Abschnitt „Gestalt und Schematismus in der modernen Psychologie und Erkenntnistheorie“) auf die entsprechende Stelle bei Porphyrius hingewiesen – die Belastung von Aristoteles sei im Folgenden ausgesetzt, um nicht über Gebühr auszuweiten. 1108 Was, vielleicht, ihre Geringschätzung der Kategorien erklärt, wenn auch nicht rechtfertigt (Arnauld & Nicole 1965, S.51 „[…] quoiqu’à dire le vrai ce soit une chose de soi très peu utile“.

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Form und Figur (Gestalt) die äußere Bestimmung (Determination) der Menge ist, wie sollte dann in diesem Substrat (Leistung des Bewusstseins) als, von seinem Wesen und seiner ersten Möglichkeit her, vorrangig sinnlich nicht zugleich die logische Subsumtion wirksam sein, vorausnehmend1109, und aktuell? Wie sollte, anderwärts, die Sinnlichkeit angesichts der behaupteten kategorialen Funktion (4.Gruppe) a priori davon ausgeschlossen sein oder werden, ihre originäre Leistung zu erbringen – avoir de la rondeur, ou être quarré, die Aristoteles, bezeichnend in unserem Sinne des inneren Zusammenhang mit der Projektion, als „die Dinge umkleidende Form“ anspricht1110? Dass überdies – wie auch beständig bei Leibniz – der Ausdruck Determination die Relation und ihre Leistung erfasst, sei wegen der Bedeutung dieses Begriffs nicht übergangen. Denn er berechtigt überaus, die formale Logik einem transzendentalen – oder, eher noch, metaphysischen, denn das Bewusstsein wird seine absolute Grenze nicht konservieren1111 – Sinn gegenüberzustellen, der wesentlich mit der Funktion der Fakultäten verknüpft ist – so dass der Bewusstseinsgrund nicht auf die Urteilsformen, ihre sprachliche Repräsentation, zurückfällt, und die Logik, als Wesen der Verknüpfung, Klassifikation und Ordination, frei wird für eine Wirksamkeit unter allen Substraten der Bewusstseinsvermögen, und zwar zuerst und der Möglichkeit nach unter ihnen selbst. Angesichts des oder der Wege, die im Rücken liegen, ist hiermit das Hauptergebnis bezeichnet, nicht zu trennen von seiner Veranlagung in der metaphysischen Grundbeziehung, deren Wesen, ohne Reduktion, mit der Projektion verknüpft ist. Im Folgenden beziehen wir uns auf eine neuere Interpretation des Schematismus, bei der wir uns von der inhärenten Mechanik, die ihr (im Rahmen des Konnektionismus) unterliegt, distanzieren, andererseits ein zentrales Moment darlegen und unterstreichen, das der Projektion, welches sie eminent beansprucht. Stellvertretend für ein inzwischen breites Feld psychologischer Forschung, das mit categorization zusammenhängt1112, folgt danach die

1109 Vielleicht darf man sagen, sie gehört zum Kerngebiet des Spektrum an Antizipation, das Peres umreißt (1997, S.26 unter 2.). 1110 Wie soeben, Aristoteles, Kategorien 10a, (Philosophische Schriften 1, Darmstadt 1995, S.24). 1111 Wie sie Kant in den drei Kritiken zu zementieren sucht (Hermann Krings, „Über Regel und Regelsetzung. Ein Beitrag zur Logik der Regelbegründung im Anschluß an Kant“, in: Schönrich/Kato 1996, S.35-51). 1112 Einen rezenten Überblick vor den nicht wenigen Abhandlungen zum Gestalttheorem und Gestaltwahrnehmung bietet Stephen Reed, Schemes and Theories of Pattern Recognition“, in: Edward C. Carterette, Morton P. Friedman (eds.), Handbook of Perception, vol. IX, ch.4, New York 1978. Insb. hingewiesen sei auf Versuche zur

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Darstellung einer Studie, die sich in diesem Zusammenhang, insbesondere mit der Funktion der Figur (Kategorie 4 gemäß Port-Royal), direkt für das Kalkül der Fakultäten – ihre Implikation und gegenseitige Unterordnung – und die Konvertibilität beanspruchen lässt. Der Beweis, der hiermit verknüpft ist, stützt sich auf eine Materie, die nach traditionellen Begriffen rein heißen müsste, da sie auf einer geometrischen Basis beruht. Wie zuvor im Hinblick auf die (in Abrede gestellte) absolute Grenze des Bewusstseins als in Idealität oder auch einem reinen Verstandes- als Begriffsvermögen verankert, liegt auch hier die Annahme zugrunde, dass die Projektion zum Fundament des Bewusstseins gehört. 2. „They only wish to make clear the mechanism governing the position of concepts in syllogisms, with the purpose – shared by grammarians with regard to languages – of making evident the universal in the use of the understanding, namely, the universal rule for expressing cognitions without reference to the matter contained in them“1113. Hiermit charakterisiert Kant (in der anglisierten Form) den Logiker seiner Zeit1114. Eine verwandte Einstellung, deren positivistischen Ursprünge – zumindest in der Darlegung und Einschätzung Hans Lenks – kaum eigens angesprochen werden, nennt sich das konnektionistische Erkenntnismodell1115. Um vorwegzunehmen, der mechanistische Ansatz bedingt, dass das Bewusstsein im Ergebnis immer noch als ein Organ erscheint, dessen Arbeit und ursprüngliche Organisation ihm selber nicht direkt, unmittelbar und immanent, sondern nur indirekt erschließbar ist. Der Preis dieser Veräußerlichung – oder immanenten Grenze – sei nicht nur etikettiert, das unbewusste Seelenvermögen, dessen sich Kant behelfen musste, spielt hierbei aber nicht mehr die bare Rolle, sondern erscheint als ein Kürzel über die Annahme mikrophysiologischer Vorgänge im Gehirn1116. Klassifikation von Umrissvariation (analysis by synthesis) und Topological Theories, die Prototypentheorie. 1113 Kant in den schließenden Absätzen der kleinen Schrift „Concerning Sensory Illusion and Poetic Fiction“, in: Beck 1992, S.178. 1114 Wobei das Argument und die Unterscheidung zu den Fundamenten der Kritik zählt, etwa in Zusammenhang mit den Gottesbeweisen (KrV A 598/B 626). 1115 Hans Lenk, „Regeln, Lernen, Repräsentieren im konnektionistischen Ansatz“, in: Einführung in die Erkenntnistheorie, Mannheim 1998, S.184-216. Es ist amerikanischen Ursprungs mit Autoren, die aus der Psychologie oder Philosophie stammen wie McClelland, Rumelhard, Smolensky, Hinton, Bechtel-Abrahamson, Paul Churchland. Input-Output zählen zum Stammbeschreibungsvokabular, die ­Anlehnung an den Behaviorismus ist beiläufig (S.185). 1116 Er beruft sich auf Rumelhart und McClelland sowie Churchland als den ‚harten‘ Hauptvertretern dieses Modells, die seine erkenntnistheoretische

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„Man kann zwar manche logischen Konnektive, also logische Verfügungspartikeln, wie ‚entweder oder‘ durchaus nach diesem Netzwerkmuster modellieren und einspielen, aber es scheint doch beim Menschen für das Handeln und insbesondere das Wahrnehmen zwei verschiedene Verarbeitungsweisen zu geben, nämlich einmal eine konfigurative, schnelle, unterbewusst ablaufende, die eben nicht seriell, sondern parallel arbeitet, grob nach dem konnektionistischen Modell. […] Und die andere Verarbeitungsweise ist das langsame, das serielle, schrittweise die Konstituenten oder Elemente abarbeitende, das analytische, bewusst argumentierende, z.B. schrittweise beweisende, Vorgehen, das bei Rechtshändern eher linkshemisphärisch zu lokalisieren ist“.

Mit diesem Hauptschluss durchkreuzen sich, wie angedeutet, die überlieferten Verhältnisse: die Mechanik geht in den Schematismus, das schematische Vermögen, über, während die Logik (an Kant bemessen) das Zertifikat der bewussten Durchdringung erhält – gäbe es ein Zentrum der Perspektivität (vielleicht auch: eine überordnete Homologie [vgl. u. Abb.[8] A/B], zu bemessen etwa an der folgenden Formulierung Hilberts „Zwei Punktreihen, welche zu der nämlichen 3ten Punktreihe perspektiv sind, werden im Allgemeinen nicht wieder perspektiv liegen“1117), wäre dieser Umschlag deutlich erklärbar1118. Um dies aber einschätzen zu können, müsste zuerst eine Untersuchung darüber angestellt werden, welche Rolle der Logik, auch und gerade in der Parallelverarbeitung, zukommt, die mit ‚versteckten Einheiten‘ („hidden units“) arbeitet1119, sodann und vor ­allem, auf welchem Modell die Parallelverarbeitung selber beruht, die das zentrale Argument bildet. Wenn das Mustererkennen1120, weiterhin moderne Theoreme der Psychologie wie die Fähigkeit des Bewusstseins, Lücken in seinen Eindrücken durch Ausfüllen erschließen zu können1121, mit einer

1117 1118 1119

1120 1121

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Universalisierung beanspruchen. „Die konnektionistischen Modelle haben demgegenüber eine eher neurobiologisch-neurophysiologische Ausrichtung, sie sind dem Funktionieren des Gehirns ähnlicher, obwohl auch sie strenggenommen natürlich keine biologischen und physiologischen Modelle sind, sondern ebenfalls abstrakte Modelle von Abläufen in technischen Nachrichten und Aktivierungsnetzwerken“ (S.189). Toepell 1986, S.34, zum Unterschied zwischen Projektivität und Perspektivität im Verhältnis zum Satz von Pappos und Pascal. Der Punkt O in Definition 4.8.a, Cederberg 2000, S.231; zur Homologie S.238. Sie bilden das zentrale Argument über versteckte Ebenen der Verarbeitung, deren Möglichkeit im Rahmen eines Modells neuronaler Verarbeitung, wie Lenk referiert, auch bewiesen wurde (durch Hopfield, Lenk 1998, S.187). Wir kommen auf die Ebenen sogleich zurück. Lenk 1998, S.203-204, 212, und das zentrale ‚Objekt‘. Übrigens auch, wie zitiert, bei Veranlagung in der Psychologie (Harnad 2005, S.28). Lenk 1998, S.204, 206, 210.

fundamentalen, nicht überwindbaren A-Logik einhergehen sollen, dann ist der Widerspruch eklatant. Das ‚Pedal‘ der (oben anhand von Leibniz berufenen) natürlichen Logik (die unbemerkte Schlussweisen im natürlichen Bewusstsein reklamiert, womit Leibniz und Kant, wenn auch unter anderem Namen, eine Parallele bilden1122), hätte somit immer noch nicht das Fundament errungen, obgleich das Modell dies eigentlich prätendiert. Dass, anderwärts, das Bewusstsein schon bei der geringsten Bestimmungsleistung (das seit vielleicht 100 Jahren in der Psychologie für die Differentiation von Aufmerksamkeit und Speicherleistungen kanonische Muster des Buchstabens1123), durch die es seine Fakultäten differenziert – und notwendig impliziert –, auf das logische Vermögen oder Widerspruch und Identität zurückgreifen muss, gilt als die Grundannahme dieser Abhandlung, der Philosophie, die sie zu vertreten sucht. Somit fällt der Schematismus, wie bereits nachzuweisen gesucht wurde, nicht aus dem Kalkül der Fakultäten, seiner logischen Veranlagung und Wurzel, hinaus, und die Zweiteilung muss, zuletzt, zu einem Schein gerinnen: Ausdruck eines Bewusstseins, in dem es, vermeintlich, in ein außerlogisches Aggregat zerfällt, das seinen eigenen Kräften nicht zugänglich ist, in dem nach wie vor eine ‚irrationale‘, materielle, vielleicht organisch-vegetative Sinnlichkeit‘1124 – oder absolute Gewöhnung und letztlich nicht einsehbare Abstimmung (mit sich selbst und/oder mit anderen) – regiert und in dem die Natur ein gewissermaßen eigenes Ressort ausübt. Nicht nur an der Seite der Lumière, sondern auch unter Voraussetzung des modernen (seit Freud psychoanalytisch gewordenen) Unbewussten sei dagegen gehalten, dass es einen solchen Fond an Bewusstsein tatsächlich – als Vor- oder Ingredient seines Erkenntnisbewusstseins – nicht gibt1125 (die Probleme einer 1122 Die, wie oben gezeigt, auch Locke und Condillac vertreten. 1123 Die Analysis fußt hierbei auf der Mikroskala der – im Bewusstsein verankerten – Verarbeitung in Millisekunden. 1124 „Alle Urtheile entspringen aus dem Verstande und der Vernunft. Wenn wir urtheilen wollen; was Wahrheit ist; so müssen wir es nach den Gesetzen der Vernunft thun. Die Sinnlichkeit kann hier nichts thun“ (Kant, Logik Bauch, S.77). 1125 Trieb und Bewusstsein bleiben somit ein Nichtidentisches, wobei die Frage, ob das Verhältnis intern – extern (oder endogen – exogen) sich angesichts der Polarität zwischen Sexual- und Todestrieb (Aggressivität) umkehren, indem der(die) letztere „eine Reaktion auf die Bedrohung vitaler Interessen“ darstellt und nicht, wie Freud und auch Lorenz annahmen, einem gemeinsamen (spontanen) „mechanisch-hydraulischem Triebmodell“ angehören, mag hier offen bleiben (Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, deutsch Reinbek bei Hamburg 1977, S.36, 30). Das Problem zur Aggressivität scheint gerade, ob man einen solchen naturgegebenen alogischen und spontanen (einem mechanisch-energetischen)

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möglichen Kollision zwischen kollektivem und individuellem Bewusstsein im Bereich des Unterbewusstseins beiseite gesetzt). Auch beim Wahrheitsproblem wird, in anderer Parallele, die Annahme widerlegt werden, die Sinnlichkeit sei, wenn überhaupt, nur der nackte Lieferant der Realien, nicht aber auch ein, und zwar das maßgebliche Agens für die Bestimmtheit des Bewusstseins1126 – womit der Rationalismus, der zum Fundament der Kritik gehört, seinem Eklat begegnen muss, da die Konvertibilität den ersten Grund und Stütze aller Substrate einschließlich der Begriffe bildet oder die unbedingte Setzungskraft, die sie aus purem Bewusstsein ­begründet, kollabiert. Es wird, im Wechselfeld der beteiligten Disziplinen, Logik, Mathematik, Philosophie und Psychologie, nicht nötig sein, einen informationstheoretischen Beweis nachzuvollziehen (bei dem, wie vermerkt, das Bewusstsein seine erste Immanenz verliert)1127. Gilt das folgende Modell A als das ‚abstrakte‘ Grundmodell (type)1128, das sich in einer referierten Studie konkret niederschlägt (token; B)1129, dann lässt sich unmittelbar herleiten und einsehen, dass die Parallelverarbeitung oder das Vorhandensein von (sogenannten) ‚versteckten‘ Ebenen auf einer Basisbedingung beruht, der Projektion – darauf, dass das Bewusstsein offensichtlich einer Basispolarität unterliegt, verbunden mit einem notwendigen Zentrum seiner Aufmerksamkeit und Erkenntnis. Die Modifikation hingegen liegt nicht an der Struktur, sondern am Schwellenwert oder Stärkegrad (Amplitude) der beteiligten Knotenpunkte1130. Ob sich die Manifestation der insbesondere Zwischenebene zugleich in Verbindung mit Projektivität(en) verwirklicht, was immerhin möglich, muss als Zusatzfrage gestellt werden; denn die Perspektivität des einen – sich

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Impuls folgenden Fond des Bewusstseins zulässt. Ganz abgesehen von der Frage, wie die Polarität in der Philosophie auftreten muss. Was auch Lenk für die im Folgenden erläuterte Anpassungsfähigkeit des Modells zwischen Umwelt und Bewusstsein beansprucht (1998, S.212, 215): „Nicht nur ‚der Verstand‘ [im Sinne Kants] ist aktiv und bearbeitet das sinnliche Material, sondern jegliches Wahrnehmen und Perzipieren geschieht schon unter diesem grundsätzlich welteingebetteten Zugriff “. Dann wird auch die Ambiguität der Bestimmung, ihres Begriffs, einsehbar, der Kant durchgehend (unnd exemplarisch) im Abschnitt Von dem transzendentalen Ideal unterliegt (A 571-583/B 598-611). Lenk 1998, S.187 Lenk 1998, S.186. Lenk 1998, S.201-203. Für das zweite Modell, das hier nicht referiert werden soll, sei angemerkt, es gestattet einer Apparatur, aufgrund der generierten Hüllkurve (Echoprofil unten) zwei verschiedene Objekte der Außenwelt zu unterscheiden: das Vorhandensein einer Mine, oder aber von Felsen. Lenk 1998, S.198, 203, 207, 209.

polarisierenden – Erkenntnisbewusstseins steht notwendig in Zusammenhang mit der Durchgehbarkeit mit anderem Bewusstsein, und in der Aktualität sind diese gegebenenfalls ‚nur‘ projektiv (i.e. ihr Knoten bleibt verdeckt oder latent). Auch besteht die Möglichkeit, dass bei derselben Manifestation frühere Zustände und deren Verarbeitung maßgeblich involviert sind, die jedoch nicht mit der aktuellen Perspektivität identisch sind. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich zugleich die wesentliche Frage nach Bestätigung oder confirmation. Abbildung [8] Modell A/B. A. Positivistisches Grundmodell (interkonnektionistisch) A. Positivistisches Grundmodell Wechselwirkung von (interkonnektionistisch) Eingangs-und Ausgangsebene durch Aktivierung einervon Wechselwirkung Zwischenebene mit Eingangs-und eigenständiger durch Ausgangsebene Knotenbildung Aktivierung einer (Nach Lenk 1999mit = Zwischenebene MacDonald C. und G. eigenständiger (1995)). Knotenbildung (Nach Lenk 1999 = MacDonald C. und G. (1995)).

Kommentar. Es handelt sich um eine abstrakte, quasi mechanische Nodierung unter EinfühPrototypentheorie rung arbiträrer (logisch freier oder ungebundener) Knoten (als Brechungsebene). B. Studie Gorman Sejnowski (1998) Prototypentheorie

In der Studie ‚erlernt‘ ein System durch ein Echolotprofil –bestimmte B. Studie Gorman Sejnowski (1998) Anregung der Zwischenknoten in der Übertragung auf eine Hüllkurve (siehe In der Studie ‚erlernt‘ ein System darunter)– zwischen Objekten zu durch ein Echolotprofil –bestimmte unterscheiden (hier: Mine versus Anregung der Zwischenknoten in der Felsen). Es handelt sich – im Übertragung auf eine Hüllkurve (siehe informationtheoretischen Kontext – darunter)– zwischen Objekten zu gleichermaßen wie oben um ein unterscheiden (hier: Mine versus Theorem und Modellanwendung Felsen). Es handelt sich – im innerhalb der Prototypentheorie. informationtheoretischen Kontext – gleichermaßen wie oben um ein Theorem und Modellanwendung innerhalb der Prototypentheorie.

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In dem (gelegentlich berufenen) Lehrbuch von Cederberg findet man die mathematische Darlegung des manifesten Grundelements: die Geradenschar als Niederschlag von Perspektivität und Projektivität („perspectivity“, „projectivity“)1131. „Since perspectivities are one-to-one mappings, their inverses exists and are clearly again perspectivities. Also a finite product of perspectivities, that is, a finite number of perspectivities used in succession, produces another mapping known as projectivity“1132. Das finite Produkt, die Perspektivität (als Niederschlag mehrerer konjungierter Geradenscharen) und die Dualität (Austauschbarkeit von Linie und Punkt1133) hingenommen, ist darum die resultierende Projektivität dennoch keine echte (oder natürliche im geometrischen Sinne)1134 – die Sukzession der konstitutiven Perspektivität unterliegt zugleich einer Reduktion (und A, B, C, D…N bleiben nicht A’, B’, C’, D’…N’, nicht a’, b’, c’, d’…n’, wobei unter Einschaltung spezifischer Zentralpunkte beachtenswerte Vertauschungen auftreten können1135, die sogleich dargelegt werden [Modell C, s.u.]): die Wurzel dieser Reduktion – und ihre Basis – macht freilich den Kern des Modells, seiner Theorie aus. Ihre Logik beruht insgesamt auf drei Grundprinzipien, der (i) Projektion als Basis, dem (ii) in seiner Interpretation prononcierten Netzwerk (was, wegen des gemeinsamen Elements, des Knotenpunkts, keinen Widerspruch bedeutet), und (iii) einer maßgeblichen, vorgegebenen respektive angestrebten Reduktion, die wiederum durch ein wesentliches Element vermittelt wird, das beiden vorherigen gemeinsam ist, die (iv) konstitutive Sektion oder Schnittstelle (in der Geometrie das Organon der Dualität1136). Von der Projektion her, die wegen der Koinzidenz der Verarbeitung der Ebenen, zudem wegen der einzig konstitutiven Bedeutung der Schnittpunkte (Knoten) unerlässlich ist, handelt es sich darum, eine bestimmte Vorgabe als resultierenden Zentralpunkt zu erweisen, 1131 Cederberg 2000, S.229-233. Die Entsprechung projektiv – perspektiv im Rahmen der Dualität bei Hilbert (Vorlesung): Toepell 1986, S.27-30. 1132 Cederberg 2000, S.232. 1133 Seit Poncelet, Begründung der Inzidenzrelationen (s.a. Knobloch zu Pascal Eberhard Knobloch, „L'Analogie et la Pensée mathématique“, in: Roshdi Rashed, Mathématiques et Philosophie de l'Antiquité à L'Age classique, Paris 1991, S.217-237). Hilbert/Koepell 1986, S.30-31. 1134 Hierzu empfiehlt es sich, die Figuren 4.20 bis 4.22 und Definition bei Cederberg zu studieren (2000, S.233), was wir aus Platzgründen nicht exponieren. 1135 Cederberg 2000, S.234, Konstruktion einer Projektivität zwischen kolliniierten Punkten („pencils of points“, Fig.4.23). 1136 „Zwei Grundgebilde heißen perspektiv, wenn das eine der Schnitt des anderen ist“ (Hilbert/Koepell 1986, S.34).

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zugleich in einer – wenigstens – binären Alternative, so dass der Output (das Cognoscendum) eine effektive Polarität, der Möglichkeit nach eine plurale, artikuliert1137. (Die Apparaturen ermitteln dies, wie erwähnt, durch ein SamplingVerfahren über Input und Output, ein Ausloten über differente Schwellenwerte auf einer Ebene, die in den Zwischenakkoladen als gerader, unmittelbarer Durchschnitt der Knotenpunkte artikuliert ist1138 – als ihre Gesetzmäßigkeit verstanden, darf das Modell die Dualität beanspruchen). Für diese Zwischenebenen nun ist es aber unmöglich, dass sie logisch unzugänglich oder a-logisch sind (was nicht dasselbe sei): wenn zwischen Output und Input traditionell besehen die Logik wirksam ist (wie Lenk im Übrigen auch in einer späteren Weiterverfolgung des Schemagedankens annimmt1139), dann kommt erneut der Widerspruch ins Spiel, sollten die Schnittebenen einer baren Organik (oder gar Irrationalität) folgen. Ausgehend vom Necker-Würfel, der auch eine Studie und ein Belegbeispiel für das Modell liefert1140, sind sie sogar unmittelbar evident oder intuitiv ersten Grades, indem, ganz im Gegenteil, die wesentlichen Prämissen, Immanenz des Bewusstseins, Projektion und geometrische Kohärenz erfüllt sind (um von der Seite des Fakultätenkalküls her zu argumentieren, wobei der Nachweis, nicht zuletzt, wenn auch nicht notwendig über das Grundmodell der Charakteristik von Leibniz geleistet werden kann1141, und auch die Psychologie, ohne an der an und für sich notwendigen Logik unmittelbar interessiert zu sein, schätzenswerte Diskriminationen des Bewusstseins ermittelt hat1142, die ohne logische Differenzierung nicht funktionieren). Das „Kippbild“ reagiert somit nicht auf ein ­„unbewusstes“ oder „teilbewusstes Erkennen“, umso mehr als sich unter

1137 Die von Lenk diskutierten Fälle sind allesamt binärer Art, bei der Gruppenbildung (jets – sharks) oder Musterbildung (Vergleich Wohnräume), sogar bei der Umgebungsdistinktion (oben Beispiel B kraft dritter Hüllkurve) fällt es aber nicht schwer, das Modell in gleichartiger – auf der projektiven Veranlagung beruhenden – Weise zu erweitern (Lenk 1998, S.195, 199). Als physikalisches Pendant denke man an einen Blasenkörper oder eine Facettenfläche, in der die Polarität der Kugel aufgehoben ist; an eine Fläche mit regelmäßigen Incavationen, die Polaritäten ausbilden, sobald sie einem homogenen Medium ausgesetzt werden. 1138 Lenk 1998, S.206-207, 211. 1139 Lenk 2001, Kap.4 1140 Lenk 1998, S.190-194. 1141 Fragment IX § 21, in: 1995, S.166-171. Was für Leibniz freilich bedeutet, das Modell ist, a priori, doppeldeutig, indem es die Projektion einschließt. 1142 Wie zitiert, Gregory 1998/2001, S.278-283.

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bestimmten Vorausnahmen „bestimmte Alternativdeutungen ausschließen“1143, sondern auf die Logik des projektiv gelernten und repräsentierten Raumes, räumlicher Darstellung, bei allem vorausgesetzt, dass das Bewusstsein auf der Basis von Schema und Modell als verinnerlichte Verstehensvorgaben zu „sehr schnellen“ Vollzügen imstande ist, geradezu „instantane Implikationen“ auszuführen1144. In diesem Zusammenhang aber hat Lenk auch anerkannt, dass ein perspektivisches Koordinatensystem, in dem der eigene Standort oberste Prämisse ist, sich von dem „alltäglichen“ unterscheidet, in dem die räumliche Verortung ‚universell‘, auf euklidischer Basis respektive ohne Anbindung an die projektive Bindung erfolgt1145. Das Bewusstsein kann aufgrund dieser instantanen Alternative aber nicht in ein doppeltes Ich, eine zweifache Apperzeption oder Andersheit seiner selbst auseinanderfallen. 3. Was nun die Rationalisierung des Modells, insbesondere die Ebene der ‚hidden units‘ angeht, so ist nach der grundsätzlichen Erklärung zu suchen, warum diese nicht unmittelbar aufgeht, eventuell überhaupt nicht erschließbar ist. Hier ist mit drei Bedingungen zu rechnen. Wie aus A, dem Basismodell zu sehen, sucht die Theorie des Interkonnektionismus nach einer instantanen Fokussierung der Zentralperspektive, dies heißt zwei Fluchtpunkte alternieren über die Einbeziehung einer Zwischenebene, jeweils so verstanden, dass sich die Alternativen durch Überschneidung bündeln. Hiermit ist an erster Stelle das Zentralproblem der Orientierung im übergeordneten Sinne verknüpft. Das Bewusstsein, indem es mit einer noch nicht durchschauten Erkenntnissituation konfrontiert ist, sammelt Daten, vergleicht sie und sucht nach ihrer Substantialisierung oder Rationalisierung auf dem Hintergrund bereits gewonnener und gespeicherter Erfahrungsleistungen. Dieser Zustand sei die natürliche Befangenheit des Bewusstseins, in der es noch keinen Überblick gewonnen hat, Zentralbegriff, der in die zweite, konträre Bedingung überleitet (und vielleicht überwindet es diese Befangenheit nie oder nur partiell). Hier hat das Bewusstsein die Zuordnung geleistet, es befindet sich – im Sinne des Holismus, nun jedoch mit Voraussetzung der projektiven Basis als effektive Bedingung, welche die Perspektive und das Beziehungssystem verantwortet, sobald es von abstrakter Theorie in die Erfahrung übergeht – im Zustand der Abklärung und bestätigten oder zumindest einordbaren Erkenntnis. Die Alternative ist daher kein Konstrukt, sondern wirkliche Bedingung, die das Bewusstsein beschreibt

1143 Lenk 1998, S.190. 1144 Lenk 2001, S.88 u.ö., 83. 1145 Lenk 2001, S.88.

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(ohne dass der Holismus auch tatsächlich als Endbedingung mit übernommen werden müsste), und verträglich mit dem hier referierten Modell: die von ihm gesuchte Fokussierung findet stets in der Ebene des erzielten Überblicks statt. Die dritte Bedingung nun, die in dieses Modell einfließt, betrifft die Möglichkeit, dass die Zentralperspektive ‚gestört‘, wenigstens vermittelt ist (was weder für A noch B, und auch nicht im Fall des Necker-Würfels zutrifft, der ohnehin rationalisierbar ist). Immerhin, wie schon vermerkt, könnte aber im natürlichen Erfahrungsprozess des Bewusstseins der Fall auftreten, dass die Perspektivität mit Projektivität vermischt ist, ohne dass das Bewusstsein dies auf Anhieb durchschaut – insoweit eine Erfahrungsleistung nicht mit dem aktualen Standpunkt identisch ist und über das gespeicherte Wissen vermittelt wird, ist dies sogar der Regelfall. Abbildung [9]. C. (nach Cederberg 2000)1146

Auch dieser Fall lässt sich veranschaulichen, indem die Achse, auf der sich ‚normalerweise‘ die verborgenen Knoten versammeln, zweifach und nicht als einfache Brechungs- oder Sammlungsebene nur einmal gegeben ist. In der links stehenden Abbildung ist das ‚gewöhnliche‘ Bündel leicht zu erkennen. Über P, den Zentralpunkt, korrelieren die Punkte ABC und A’B1C1 der Achsen p und m. Der Zweck der Abbildung ist jedoch ein anderer, der Nachweis der Projektivität von ABC, A’B’C’ und A’B1C1, was im Folgenden wörtlich aufgegriffen sei: „Let A, B, C be elements of the pencil with axis p and A’, B’, C’ corresponding elements of the pencil with axis p’ (p≠p’). Construct line AA’ and choose a point P ≠ A’ on this line. P Let m ≠ p’ be an arbitrary line through A’. Let B1 = BP • m, C1 = CP • m. Thus, ABC ^

1146 Cederberg 2000, S.234.

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A’B1C1. Now let Q = B1B’•C1C’. Then A’B1C1 Q A’B’C’, and therefore ABC ∧ A’B’C’.“ ∧ Zeichenerklärung: Der Punkt • bezeichnet einen Schnittpunkt zweiter Geraden respektive Achsen. ‚∧’ symbolisiert Projektivität aus dem zugehörigen Zentralpunkt.

Das Bemerkenswerte der Konstruktion ist die Verschachtelung von zwei Perspektivitäten in einer Projektivität. Q wirkt gleichermaßen als ein Zentralpunkt wie P, führt jedoch zur Vertauschung der Lage von jeweils B1 versus B’ und C’ versus C1, bei denen die ‚intuitive‘ Auffassung den Punkt Q nicht sofort ortet, ganz ebenso, wie das gewöhnliche Bewusstsein die Durchschnittspunkte der resultierenden Geraden im Pascalschen Theorem nicht in jedem Fall sofort zu orten imstande ist (und einer Konstruktion bedarf, oder, mit Hilbert, dass „2 Punktreihen, die zu der nämlichen 3ten Punktreihe perspektiv sind, werden im Allgemeinen nicht wieder perspektiv liegen“1147). Nach dem Modell des Interkonnektionismus wäre die Projektivität von ABC zu jeweils A’B’C’ und A’B1C1 gewährleistet, aber nur über einen verborgenen Zentralpunkt Q, der somit selber unter die Kategorie einer ‚hidden unit‘ fiel, obgleich regulär die verborgenen Elemente nur und insbesondere die Vermittlungsachse ausmachen. Der Vergleich mag hiermit abschließen, um (i) die die eklatante Projektion, die dem Modell zugrundliegt, zu verdeutlichen, (ii) zugleich Fälle zu involvieren, mit denen sie auch zu rechnen hat. Insbesondere gilt es zu erinnern, dass nicht alle projektiven Verhältnisse auch perspektivisch sind und dass, auf die Erkenntnistheorie umgewendet, die Fokussierung, die das Modell als Theorie berechtigterweise anstrebt – wenn Projektion ein zentrales Vermögen und Eigenschaft des Bewusstseins ist –, nicht notwendigerweise mit jeweils manifesten Zentralpunkten einhergeht. Fokussierung kann latent sein, und noch dazu hat sie modales Gewicht.

5. Zu Beweis und Beweisbarkeit der Konvertibilität – logische Subordination in und durch die Anschauung Wie oben angedeutet, soll an dieser Stelle stellvertretend für das Verhältnis zur Psychologie ein schlüssiger Beweis erfolgen (der zwar in der Empirie beheimatet ist, jedoch seine Formalisierung unmittelbar nahelegt). Das vergangene Jahrhundert hat

1147 Toepell 1986, S.34. – Cederberg leitet hieraus überhaupt den Zusammenhang von Projektivität und Perspektivität anhand von „pencils of points, pencils of lines, and a pencil of lines and a pencil of points, respectively“ ab, in Verbindung mit der Definition: „A one-to-one mapping between the elements of two pencils is called a projectivity if it consists of a finite product of perspectivities“ (2000, S.232).

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eine reichhaltige Literatur zur visuellen und zur insbesondere Raumwahrnehmung hervorgebracht, nicht zuletzt auf dem/den Gebieten der Psychologie. Nach den kritischen Dogmen wird die Philosophie erst dann zu befriedigen sein, wenn sie sich nicht in den Vorhof dieser Disziplinen begeben muss, will heißen, was ihr aus eigener Einsicht in Gründe und Gesetzmäßigkeiten möglich ist, stattdessen von der ‚Empirie‘ abhängig zu machen. Die Beweisbarkeit, welche in der Überschrift angekündigt wird, muss demnach, als Moment, auch den actus erklären, durch den das Bewusstsein imstande ist, ein kategoriales – subsumierendes und klassifizierendes Bewusstsein – auch auf Seiten der Anschauung zu entwickeln und anzuwenden. Ob die Verstandeshandlung, die Kant, ohne ihr Erfinder zu sein1148, herausstellte, als Handlung die richtige Bezeichnung gefunden hat1149, darf zurückgesetzt werden gegen die Notwendigkeit, dass das Bewusstsein in jedem Fall, und keineswegs nur innerhalb der Erkenntnis, eine Ordination seiner Vermögen vornehmen muss (wofür mehrfach der Fächer oder ihre Faszikel eingeführt wurde, da sie sich in Verkürzung oder Konzentration der Vorstellungen zugleich um einen notwendigen Knotenpunkt segmentieren): die „Aktivität“ oder actus1150, dem das Bewusstsein obliegt, erlaubt, in der ‚Handlung‘, kein Tableau (als eine andere, nicht projektive Form der Übersicht) noch Reflexion, sondern nur das einfache, schlüssige Zusammentreten, in dem es sich selber als Einheit wahrnimmt. Demzufolge wird die Implikation, die schon an den Vermögen, und nicht erst Begriffen, statthat1151, zum vorrangigen Mittel, den Beweis vorzuführen, wobei sie als Ausdruck der Beziehung unter den Vermögen nicht fraglich sein kann, wenn anderwärts, so Kant, die Kategorien als Grund des Verstandesvermögens eine Prädikation vornehmen, deren Subjekt durch die Anschauung erfüllt wird, was von ihm gleichermaßen als Subsumtion oder Unterordnung (Subordination) angesprochen wird1152 – anstatt einfach zu koinzidieren, ist, wie oft betont, das ­Verhältnis unter den Vermögen beständig von dem ihrer 1148 Eine Reminiszenz der antiken und scholastischen Wurzel findet sich in der Neuzeit, p.e., bei Spinoza, Ethica, I, Prop. XXX-XXXI, in: Spinoza Opera, S.71: „Intellectus actu finitus, aut actu infinitus Dei attributa, Deique affectiones comprehendere debet, & nihil aliud“. 1149 Hans Lenk, „Vernunft als Idee und Interpretationskonstrukt. Zur Rekonstruktion des Kantischen Vernunftbegriffs“, in: Schönrich/Kato 1996, S.27-34. 1150 Dieter Henrich, Identität und Objektivität, Heidelberg 1976, S.21-22, 31. 1151 Im Rahmen des Allgemeinurteils bei Frege, vgl. Gottfried Gabriel, „Traditionelle und moderne Logik“, in: Werner Stelzner, Manfred Stöckler (Hg.), Zwischen traditioneller und moderner Logik. Nichtklassische Ansätze, Paderborn 2004, S.21-33, insb. 27-28. 1152 KrV B 143 (§ 20), A137-140/B 176-180 (in Verbindung mit transzendentaler Zeitbestimmung respektive Schema[tismus]). Der Ausdruck Unterordnung

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Leistungen (Substrate gleich Vorstellungen) zu unterscheiden1153, was wiederum, abgesehen von der methodisch unterstellten Blockierung oder Asymmetrie in der theoretischen Erkenntnis, auch in das Fundament der Künste eingeht, bei der Kant ebenso annimmt, es sei die Harmonie unter den Fakultäten dieselbe wie die ihrer Substrate1154. Eine freie Kopulation unter den Vermögen – in Verbindung mit dem Prinzip der Bestimmung1155 – vorausgesetzt, dependiert die Logik des Urteils oder „Funktion zu urteilen“1156 somit von beiden Verhältnissen, einer notwendigen Subsumtion unter den Vorstellungen und, ebenso und überdies vorrangig, Ordnung gleich Implikation unter den Vermögen. Wie schon bemerkt, ist mit dieser Implikation ein Sinn von Notwendigkeit verankert, wie ihn, ohne identisch zu sein, auch das (modern interpretierte) Allgemeinurteil aufwirft – das Wahrheitstheorem ist daher in jedem Fall abhängig auch davon, die Vermögensrelation zu bestimmen und zu kennen. Wenn anderwärts unter den Urteilen, die Objektivität beanspruchen können, die des (gewöhnlichen) theoretischen Urteils in Frage steht, mithin des empirischen, das der Möglichkeit nach mit einer Theorie in Verbindung steht und das sich vom Urteil innerhalb einer logischen Formalkette oder von solchen unterscheidet, die „einzelne, undifferenzierte sinnliche Präsentationen aussagen“ (nach Maßgabe des „Gebrauchs von Demonstrativa“ oder der „Verfügbarkeit von Maßstäben der Ähnlichkeit“), dann wird, wenn die „eigentümliche Objektivität“ der empirischen Urteile „nicht als Implikation der formellen Objektivität zu ­gewinnen ist, die allen Aussagen als solchen zukommen“1157, die Implikation, die das Bewusstsein unter den Vermögen vollziehen muss, um das jeweilige Urteil zu erübrigen, den ­Nachweis respektive die Einsicht in die Form der zugehörigen

1153 1154

1155 1156 1157

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(Allgemeines – Besonderes, p.e. A 843-844/B871-872) ist nicht distinktiv – es ist daher auch möglich, eine Anschauung einer Kategorie unterzuordnen. Vgl. rezente Annäherungen der philosophy of mind und der Interpretation Kants, p.e. Wayne Waxman, Kant's Model of the mind. A New Interpretation of Transcendental Idealism, New York 1991 Vgl. Rudolf A.Makreel, Imagination and Interpretation in Kant. The Hermeneutical Import of the Critique of Judgement, Chicago 1990, deutsch Einbildungskraft und Interpretation: die hermeneutische Tragweite von Kants Kritik der Urteilskraft, ­Paderborn 1997. Neuerdings Sassen 2008. Schon für Leibniz’ Charakteristik galt, dass Determination zu den systematischen Begriffen zählt (Echeverría, „Introduction“, in: Leibniz 1995, S.17), von daher verwundert die Bedeutung, die der Begriff in Kants kritischer Philosophie gewann, nicht. KrV B 143. Henrich 1976, S.25-26, 26. Hier fließt zugleich die Problematik der Distinktion zwischen Erkenntnis oder Erfahrungs- und Wahrnehmungsurteil der Prolegomena ein (vgl. Sassen 2008 inklusive Diskussion im angelsächsischen Raum).

Objektivität allerdings ermöglichen. Im Übrigen mag, gegen den Handlungsbegriff im engeren Sinne gewandt, der Kritik Lenks zugestanden werden1158, dass der gemeinsame Kern beider Verhältnisse, zwischen den Vermögen und zwischen den Substraten, in dem sich die logische Wurzel des Bewusstseins manifestieren muss, (dem Fundament des Schematismus zuwider) nicht eigentlich zeitlich sei, auch als eigenes Zentrum nicht eine erneute Substanz, ein Interesse oder anderes Subjekt verkörpert (wobei der actus freilich auch eine nicht völlig kongruente Semantik impliziert). Wenn aber, als dieser Knoten oder Brennpunkt instantanen Bewusstseins, nicht unbedingt ‚Ich‘, wie es die transzendentale Apperzeption Kants unter dem Gebot der Einheit fordert, so wird ihm eine notwendige Beziehung auf Identität nicht zu bestreiten sein. Im Spektrum der Beziehungen unter den Pronomen (die schon Sprache sind), wird, wie hoffentlich einsehbar wird, sie nicht mehr darauf festzulegen sein, unbedingt die Grenze des ersten Pronomens be- und ergreifen zu müssen. Zudem bleibt die Analyse des Bewusstseins, der Ursprungs der metaphysischen Beziehung gegenüber dem idealtypischen Modell, das Lenk anstrebt, ihrem ‚Gegenstand‘ völlig immanent, und es bleibt sogar die wesentliche, mit Descartes erreichte Interiorität gewahrt, die andere Autoren um den Erhalt eines Selbst, that is „an integral part of social reality“, opfern möchten1159. Die folgende Materie, welche den Beweis (an dieser Stelle nicht zum ersten Mal) anzutreten sucht1160, ist, nach kritischen Begriffen, reiner Natur – es handelt sich, abstrakt gesehen, um nur ein geometrisches Element und dessen Gruppierung. Für beider Interpretation ist aber das Prinzip der Orientierung notwendig hinzuzunehmen (die schon in die moderne Begründung der euklidischen Axiomatik eingreift, wenn man nicht ohnehin jede Links- und Rechtsseitigkeit, jedes ober- und unterhalb zu ihrer wenigstens latenten Substanz hinzurechnen will, wie es Kant zweimal, im Hinblick auf das Gefühl der natürlichen Orientierung als ein „Vermögen, a priori eine Verschiedenheit in der Lage der Gegenstände zu bestimmen“, und im Hinblick auf die inkongruenten Gegenstücke tat1161).

1158 Lenk 1996, S.29. 1159 Kahn 1988, S.540. Das Argument wendet sich gegen die isolierte („disembodied“) res cogitans, die Annahme, „to think of myself [[against] essentially a social and historical being [should be] identical with what goes on in my brain“ (S.539). 1160 Vgl. oben sowie „Gestaltprinzip in der Entwurfstheorie und anschauliche Kategorie“, und Addendum in: Wolkenkuckucksheim. Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur, 4/1 (1999) (www.theo.tu-cottbus.de/wolke). 1161 Dedekind, den Greenberg für den Beweis des gleichseitigen Dreiecks in die euklidische Geometrie einführt, erscheint bei Leibniz als Umschreibung eines Verhältnisses zwischen extra, intra et ambitu figurae (Fragment XII, in: Leibniz 1995,

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S­ einetwegen gibt es Projektion und ist das Bewusstsein manifeste Konstituente eines ansonsten äußerlich, sich außen kontinuierlich erstreckenden Raumes, dessen Koordinaten die Indifferenz verlieren1162. Oder es ist das Bewusstsein davon befreit, sich einen idealen Raum vorstellen zu dürfen, dessen reale Verankerung aus bloßer Vorstellbarkeit (‚axiomatischer Synthese‘, die sich auf die Artikulation nur eines Raumes beschränkt) dispensiert bleibt – mithin ist die projektive Natur oder Achse etabliert (die sich unter traditionellen Voraussetzung als Distanzlinie zwischen projektiver Tafel, Flucht- und Gesichtpunkt oder als Etablierung des projektiven Koordinatensystems in analytischer Auffassung, Übergang von der affinen zur projektiven Geometrie, niederschlägt1163), und die Modalität(en) sind in ihrem Sinne zu erläutern. Auf das psychologische Gestaltprinzip der Einfachheit sich berufend, erklärt Rudolf Arnheim, dass „wenn ein Quadrat um 45 Grad gedreht wird, es zu einer neuen Gestalt [im nunmehr geometrischen Sinne] – einer Raute – wird, weil die Diagonalen als Symmetrieachsen eintreten können“1164. Abgesehen von der sprachlichen Termination, die nach propädeutischen Bedingungen bereits eine logische Klassifikation einschließt1165, besteht kein Zweifel, dass sich die nötige Exaktheit der Materie mindestens seit den reiferen Schriften zur Charakteristik erfüllen lässt, in denen Leibniz die Möglichkeit darlegt, Koinzidenz-, Kongruenz- und Gleichheitsbeziehung an geometrischen Objekten durch eine spezifisch eingeführte Symbolik auszudrücken1166. (Eine Gerade etwa erhält die Symbolisierung 33b63b93b, zusammengefasst zyb, durch kontinuierliche Bewegung ergeben sich Fläche respektive Körper mit den entsprechenden veränderten Punktstellen. Da seine Charakterisierung auch die Möglichkeit vorsieht, an gegebenen Flächen oder Körpern (Zylinder) Schnitte unter Beteiligung von

1162 1163 1164 1165

1166

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S.266-275). Zu Kant (und wie schon andernorts berührt), hier: AA Band VII, S.135 sowie unter den Quellen zur Inkongruenz, Dissertation, De mundi sensibilis atque intelligibilis principiis § 15 C, in: AA Band II, S.402-403. Deren Überhebung Kant übrigens immer noch als „subjektiv“ charakterisiert (AA Band VIII, S.136). S.o. Sperner 1963. Arnheim 1965, S.70-71. Am Kriterium der „Unschärfe“ beziehungsweise der verschiedenen Abgrenzbarkeit zwischen Gegenstand und sprachlichem Ausdruck bemessen, müssen Quadrat und Raute eine echte Disjunktion bilden oder semantisch distinktiv sein (Wilhelm Kamlah/Paul Lorenzen, Logische Propädeutik. Vorschule des vernünftigen Redens, Mannheim 1973, II.Kap., S.46-47). Leibniz 1995, insb. Fragment IX, §§ 18-24. Zur Grundlegung der Geometrie und Modellbildung vgl. Poincaré 1898, in: Ewald 1996 (Text B).

Achsen vorzunehmen, ist die exakte Darstellung des ‚Gestaltprinzips‘ – was übrigens auch für den Würfel gilt – sofort gewährleistet). Mit dieser Basis, auf der sich einfache Kongruenz in einfacher Ebene versus Kongruenz in Beziehung auf eine Schnittebene und/oder Zirkularachse („Symmetrieachse“) voneinander unterscheiden (und exakt darstellen lassen), ist die Grundlage für die Beweisbarkeit der Behauptung erfüllt – dass Anschauung zur spontanen Aufnahme der logischen Wurzel imstande ist, mithin, dass eine Klassifikation oder Implikation durch sie selber möglich ist. Schon in seiner Charakteristik kann (anschauliche) Kongruenz aufgrund einer oder aufgrund von 2 Ebenen logisch nicht identisch sein1167. Figur oder imaginative Vorstellung versus Symbol bedeuten aber nicht nur eine Äquivalenz, sondern die Charakteristik des Symbols ist aus der Anschauung hergeleitet (auch wenn Methode und Absicht sie zu überwinden suchen), und nicht umgekehrt: je gibt etwa A, B, C in einer Geraden oder 3X, 6X, 9X in zX die konkrete Position an, (wobei z, wie erläutert, als Variable für die Position 3, 6, 9 steht). Mithin ist die Kongruenzachse nicht nur, und ohnehin, Manifest einer Inklusion unter den beteiligten geometrischen Elementen (die jeweils die anderen Punktpositionen erfüllen), sondern es muss insbesondere auch die Konvertibilität unter den Vermögen gewährt sein, was auch für das Folgende gilt. Fig.[10]: „Bezugsrahmen in der Wahrnehmung.“

1167 „E dato in superficie plana puncto cum data recta circulum describere […], non ex universali aliqua spatii notione concludi, sed in ipso tantum velut in concreto cerni potest“ [(das kann nicht aus irgendeinem allgemeinen Begriff des Raumes geschlossen, sondern nur in ihm gleichsam in concreto geschaut werden]; De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 15 C, in: AA Band II, S.402-403)

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Das Beispiel entstammt einem Psychologielehrbuch1168. Es erläutert, dass „auf höheren Verarbeitungsebenen die Umrisse von Figuren relativ zu Bezugsrahmen, die durch den räumlichen oder zeitlichen Kontext gegeben sind, wahrgenommen werden“1169. Bereits Arnheim hatte, als er Form und Raumlage erörterte, erklärt, es gebe diese „nur in Beziehung auf einen Rahmen“1170. Anders als Leibniz und reine Anschauung (auf der Basis der transzendentalen Ästhetik), setzt er die Orientierung und Projektion mithin als notwendig voraus, was Kant (wie erwähnt) für die erstere auf der Basis des natürlichen Lagegefühls und der Entscheidung über Inkongruenz anerkannte1171, und die Projektion, die ohne Orientierung unmöglich ist und ihren höheren Begriff darstellt1172, bildet neben den Strukturbeziehungen der Körper untereinander1173 und dem Gleichgewichtssinn (kinästhetischer Zustand des Wahrnehmenden) die zweite Bedingung. Das Beispiel, das auf einen Versuch mit Probanden zurückgeht1174, erklärt einen Wechsel der Subsumtion (wie wir uns ausdrücken möchten) im Übergang von den Einzelfiguren zu ihrer Gruppierung, in der sich eine neue Orientierung manifestiert (die Projektion bleibt als iso- oder axionometrische unerheblich): „Sieht man diese Figuren als Bestandteile diagonaler Reihen, so werden die Umrisse genau umgekehrt wahrgenommen. Die linke Reihe, die aus Rhomben zusammengesetzt ist, sieht aus wie eine gekippte Säule von Quadraten und die aus Quadraten zusammengesetzte rechte Reihe wie eine gekippte Säule von Rhomben“1175.

Die Philosophie wird, im Gegenzug zur Psychologie und sie ergänzend, auf eine Erklärung der logischen Beziehungen des ‚Phänomens‘ nicht verzichten können. 1168 Philip Zimbardo, Psychologie. Deutsche Bearbeitung v. Siegfried Hoppe-Gräf, Barbara Keller und Irma Engel, 6. Aufl. Berlin 1995, S.191. 1169 Zimbardo 1995, S.191. 1170 Arnheim 1965, S.69. 1171 Wie soeben zitiert, in der zur kritischen Phase gehörigen Schrift „Was heißt sich im Denken orientieren?“. Auf die Schriften und das Problem zur Inkongruenz wurde bereits mehrfach an anderem Ort verwiesen., der Projektion, obgleich sie innerlich mit Orientierung zusammenhängt (und Grundlage der natürlichen Raumwahrnehmung darstellt), hat Kant zeitlebens nicht behandelt. 1172 Ein Projektionsverhältnis bedingt notwendig auch eine Orientierung, während umgekehrt, wie sich auch sogleich zeigen wird, nicht jede Orientierung auch Projektion bedingt. 1173 Würde der „Datensensualismus“ die Realität des Bewusstseins beschreiben, dürften hier die „vorläufigen Erwägungen zum Objektbegriff “ eingesetzt werden (Henrich 1976, S.17-20). 1174 Palmer 1986. 1175 Zimbardo 1995, S.191.

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Schon ist mit „Bezugsrahmen“, „Umriss“ und „höherer Verarbeitungsebene“ die eingangs zitierte (wenn auch von ihm selber nicht ausgeschöpfte) Bemerkung Kants erfüllt, nach der räumliche Grenzen durch andere „bestimmt werden“1176. In ihr aber muss, gemäß Leibniz, ein charakteristisches, mithin ein logisches Moment liegen, das freilich auch Kant anzuerkennen hätte, sobald der theoretische Impuls, der jeder echten, funktionalen Bestimmung zukommt, davon befreit wird, die (angebliche) Disjunktion zwischen dem Intuitiven und Diskursiven reflektieren, dies heißt konstituieren und erhalten zu müssen1177. Die Klassifikation, die kraft Orientierung die Elemente konvers gruppiert, ist eklatant, einsichtig ist sie aber erst dann, wenn die Logik, logische Wurzel als Beziehung aus Konjunktion, Alternation und insbesondere Inklusion, davon befreit wird, sich nur auf Begriffe beziehen zu können, um stattdessen auch ursprünglich auf die Anschauung überzugehen, sobald ohnehin gewiss respektive notwendig einzurechnen ist, dass die logische Wurzel, der Operator, auch die Beziehung der Vermögen zueinander einbezieht. Sodann subsumiert das Bewusstsein kraft der Orientierungsachse oder „Diagonale“ (zX am Modell Leibniz oben), da sie einmal auf die Unterkante fällt, Quadrate (ausgehend von der Raute/linke Reihe), da andere Mal aber auf die Spitze fällt, Rauten (ausgehend vom Quadrat/rechte Reihe). Die Inklusion nach einem extensionalen Verhältnis von Genus und Einzelindividuen ist demnach eklatant, und die Determination alterniert zur Gänze nach dem Verhältnis

1176 Ausgangspunkt wäre, zunächst wieder in Zusammenhang mit der Möglichkeit, „die Lage der Gegenstände a priori“ abhängig von der Lage des Wahrnehmenden „zu bestimmen“, der auch für die transzendentale Ästhetik gültig gebliebene Satz, es sei der Begriff des Raumes eine einzelne Vorstellung, die alles in sich begreift, und kein abgesonderte und gemeinsamer Begriff, der alles unter sich enthält. Das logische Problem zeigt sich aber sofort, wenn Teile desselben unermesslichen Raumes nur durch eine bestimmte Lage aufeinander zu beziehen sind („spatii partes, certo positu se invicem respicientes“, Dissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 15 B, in: AA Band II, S.402). 1177 So behauptet Kant in der Dissertation den Raum als die einige Vorstellung, lässt er die axiomatischen Sätze, wie zitiert, als unbedingt aus der Anschauung hergeleitet sein, um sodann festzustellen, es gebrauche die Geometrie Grundsätze, die nicht allein unbezweifelt und diskursiv sind(!), sondern die von der Erkenntniskraft anschaulich erfasst werden („utitur non indubitatis solum ac discursivis, sed sub obtutum mentis cadentibus“). Die Evidenz der entsprechenden Beweise hält er (mit der Tradition, auch wenn die Gründe wechseln.) für die größte (Dissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 15 C, in: AA Band II, S.403).

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[FSENSUS (GIMAG)] ⇒ HINTELLECTUS, worin sich, konträr zum Konstruktionsbegriff Kants und kritischer, i.e. transzendentallogischer Klausel, konträr aber auch zum „Visualisierungsproblem“ in der reinen oder analytischen (auf dem Nachweis der Figuren beruhenden) Geometrie1178, die Konvertibilität des Bewusstseins ausdrückt (im Übrigen, wie schon anderorts, die Möglichkeit, in der symbolischen Logik Funktionen in Argumente zu setzen, wie bereits Frege am Ende von Begriff und Funktion vorsah, insoweit diese, zumindest nach Kant und im Grundmodell, die Möglichkeit der Gegebenheit als anschauliche Vorstellung vorsehen). Hierbei symbolisiert, um die Grundzüge zu erläutert, mit der der symbolische Ausdruck zu gewinnen ist, die erste Klammer die eigentliche Klassifikation des „Bezugsrahmens“, durch die sich, im Schema noch nicht eigens ausgedrückt, eine Bestimmung von räumlichen Grenzen an anderen, ihnen logisch untergeordneten artikuliert, zumindest liegt in der Wahrnehmung und Konstitution der Grenze die Integration der jeweiligen Vorstellung, die mit ihrer eigenen eventuellen Subordination – unabhängig von der Ordination der Vermögen – einhergeht. Will man den symbolischen Ausdruck beider Verhältnisse anstreben, ist, wie schon oben (unter I.1.Schluss A) zunächst zu klären respektive einzuführen, welche Vorstellung effektiv den Gegenstand vertritt – schon das transzendentallogische Theorem, wie zu erinnern, verlangt wenigstens eine Möglichkeit, nach der das subsumierte Subjekt, als x oder ∃x, Anschauung und nicht Begriff ist, so dass dieses x dem gewöhnlichen logischen Verständnis gemäß eine Ambiguität verkörpert, indem zu klären ist, durch welche Vorstellung dieser Gegenstand primär vertreten wird respektive in welcher Form sich das Bewusstsein seiner bemächtigt. Da wiederum nicht einfach der begriffliche Status vorausgesetzt oder universalisiert werden kann (wie ihn gleichwohl die ‚klassische‘ oder gängige Interpretation einer extensionalen Auffassung in der Form ∃xFx oder ∀xFx präsumiert oder einfachhin nahelegt – in den Schriften von Quine bis hin zu Kripke und seinen Interpreten findet man hierzu kaum eine definitive Erläuterung –, und die Alternative zwischen Partikular- und Universalurteil erbringt in dieser Hinsicht keinen Unterschied), muss demnach der logische Ausdruck mit den Vermögen zugleich spezifizieren, wie sich die Vorstellung desselben Gegenstands auf sie verteilt. Wie stets, ist hierbei mit einem höheren Grad an inhaltlicher Aufklärung auch eine Komplizierung des Ausdrucks verbunden. 1178 Wovon bislang auch die synthetische nicht frei ist, vgl. stellvertretend Field 1997, S.224, wie zumeist in der Gegenüberstellung zur analytisch-algebraischen, ausgehend von Descartes.

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Es sei nun Q das Element Quadrat, RH die Rhombe und O1 versus O2 der Übergang der Orientierung von der perpendikularen zur diagonalen Achse. Es sei weiterhin i, k, l je die Vorstellung des Gegenstands als zugehörige Leistung des Empfindungsvermögens, des Einbildungsvermögens und des Verstandesvermögens als den Hauptachsen des Bewusstseins selber, die auch im gegebenen Fall deutlich verlangt werden. Eine andere Möglichkeit der Symbolisierung bestünde in der Indexierung (wie oben), dergestalt, dass x, xi, und xii jeweils die zugehörigen Leistungen der Vermögen als integrierte Vorstellungen darstellen, wobei integriert im Sinne der Knotenbildung oder immanenten Konzentration zu prononcieren ist, da sie mit der effektiven Ordination des Bewusstseins respektive Koinzidenz der verschiedenen Vermögensleistungen einhergeht und diese ergibt – ähnlich, wie sich die Schnittgeraden im Theorem des Desargues oder Pascal auf einer gemeinsamen Geraden, der zehnten1179, treffen müssen, womit wiederum vorausgesetzt sei, in diesem Sinne ist authentische, nicht allein räumliche oder an die Raumwahrnehmung, sondern generell an die Vorstellbarkeit gebundene Projektion, originär und unerlässlich, an Bewusstsein beteiligt und besteht eine echte Projektion als Überschlagbarkeit unter den Vermögensleistungen unter Erhalt ihrer Identität nach den (theoretisch) mannigfaltigsten Verhältnissen; und Identität wiederum ausdrücklich nach ihrer Vorstellung und nicht nach der Gegenständlichkeit, die einhergeht, sobald ihre Koinzidienz oder Einheit, wie sie insbesondere Kant anstrebte, erreicht ist. Freilich brauchen diese Elemente nicht abgezählt zu werden, respektive sie mögen sogar, wie im vorliegenden Fall, abzählbar sein, aber generell ist das Bewusstsein von seiner Natur her nicht so angelegt, als ob es sich auf eine Abzählbarkeit berufen müsste, um diese Identität zu erwirken und zu besitzen. Für die folgende Form, die aus Gründen einer exakten Verständigung gewählt sei, gilt sodann, [FiO1Q (GkO1Q) ⇒ FiO2RH (GkO2RH)] ⇒ [Hl[FiO1Q (GkO1Q)] ⇒ Hl[FiO2RH (GkO2RH)]. Wobei: FiO1Q = die Empfindungsleistung des Quadrats in perpendikularer Orientierung (rechts oben); GkO1Q = die Imaginationsleistung des Quadrats in perpendikularer Orientierung (rechts oben); FiO2RH = die Empfindungsleistung der Rhombe in diagonaler Orientierung (rechts unten); GkO2RH = die Imaginationsleistung der Rhombe in diagonaler Orientierung (rechts unten).

1179 Field 1997, S.221, Desargues betreffend.

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Nach der traditionellen und, soweit abgeleitet, modernen Auffassung müsste demnach je FiO1Q versus FiO2RH in Alternative zu einem Fx treten, verstanden für den Satz >x ist ein Quadratx ist eine Rautei, k, l ist ein Quadrat< (und i, k, l für ein einfaches x, jedoch nunmehr in der Instanz spezifiziert nach je Empfindung, Imagination Begriff, womit sich die Möglichkeit eröffnet, die Variable in der gewöhnlichen nach dem extensionalem Modell zu erläutern). Der zugehörige Wahrheitswert ist infolgedessen auch von der Anerkenntnis der Vermögensverhältnisse abhängig, mithin nicht »kursiv«, wie es der Variable als Symbol 349

zukommt, so dass, sollte nur FiO1Q (GkO1Q), nicht jedoch auch HiO1Ql , dann muss die Aussage falsch sein. Dass wiederum nur HiO1Q gegeben sei, mithin nur der ‚reine’ Begriff, mag eine verlockende Vorstellung sein, um die Implikation des Bewusstseins zu umgehen (wie sie Kant, anderwärts, mit der reinen Anschauung anstrebte). Angesichts der sinnlichen Prägnanz, wiederum der generellen Gesetzmäßigkeit, dass das Bewusstsein Erfahrung nur im Schlüssel aller Vermögen und ihrer Leistungen zu erwirken vermag (wie erläutert), dürfte der Verzicht auf diese Möglichkeit (mitsamt ihrer Widerlegung) einsehbar sein. Insoweit das Experiment eine unvorbereitete, nicht philosophisch vorgebildete Klientel trifft und in diesem Sinne das natürliche Bewusstsein fordert, kann an der Konvertibilität des Bewusstseins kein Zweifel sein, und es erscheint also rechtmäßig, in der Philosophie eine generelle Umkehrbarkeit unter den Vermögen in Verbindung mit der Determination ihrer Leistungen – Vorstellungen und/oder Begriffe – zu fordern.

B. Über Wahrheit 1. Zielrichtung. 2. Überblick zur Korrespondenz. 3. Erklärung und Einführung der Konvertibilität.

1. Die Zielrichtung Jedem mit der neueren Wahrheitstheorie vertrauten Leser, der wenigstens auch den Überblick über die vorangehenden Kapitel gewonnen hat, wird sofort einleuchten, worauf der folgende Abschnitt abzielt – ein Nachweis und eine Untermauerung dessen, was die Tradition die Korrespondenz nennt (correspondentia oder convenientia)1180. Der Begriff hat seit Kant, stets unter der methodischen Voraussetzung, das Bewusstsein von dem Zwang zu befreien, sich auf Gründe außerhalb seiner eigenen Verfasstheit und Einsehbarkeit verlassen zu müssen, erheblich an Bedeutung eingebüßt. Mit Husserls Phänomenologie, im Rahmen von Pragmatik (Peirce) und Existentialismus (James) bis hin zur analytischen respektive Sprachphilosophie sind zahlreiche Varianten hinzugetreten, die bis heute gepflegt werden, nichtsdestotrotz hat der Kern der Korrespondenz seit Frege einen steten Bezug zur Logik bewahrt, sobald es gilt, die Extension ­eines

1180 P.e. Spinoza, Ethica, II, Prop. XXIII, Demonstratio, in: Spinoza Opera II, S.110: „Deinde affectionum, quibus Corpus afficitur, ideæ naturam ipsius Corporis humani involvunt, hoc est, cum naturà Mentis conveniunt“.

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(symbolischen) Ausdrucks zu erläutern. Die folgende Darlegung ist mit diesem Kern kohärent, gleichwohl besteht das Ziel hinsichtlich der Möglichkeit jedwedes Fx oder S(a) nicht in einer empirischen – oder idealen – Auslegung jener Verhaftung, in der das Bewusstsein anerkennt, dass die Verbindung seiner Vorstellungen und die eventuelle Aussage, die sich darauf bezieht, wahr sind, sondern das Ziel ist Wahrheit im Kalkül der Fakultäten. Dieses Kalkül ist hierbei an und für sich stets so zu verstehen, dass die Bewusstseinsvermögen definitiv geordnete Beziehungen eingehen, die zugleich einer logischen Beschreibung und Symbolisierung zugänglich sind (sobald diese eingeführt), auch wenn an dieser Stelle hierauf noch weitgehend verzichtet wird. Es liegt auf der Hand, dass sich der logische Ausdruck erheblich komplizieren muss, wenn er nicht nur den Sachverhalt – Dinge und Gegenstände in der Welt und deren Relationen –, sondern zugleich auch die definitiven Beziehungen der Bewusstseinsvermögen ausdrücken soll, die jenen Sachverhalt wiedergeben respektive durch deren Zusammenhang überhaupt erst eine Verpflichtung auf Wahrheit entsteht. Die soeben gewählte, durchaus geläufige Erläuterung eines Sachverhalts unterlässt es, auch die Person einzubeziehen, obgleich das andere, zweite und koinzidente Bewusstsein eine tragende Stütze für den Wahrheitsbegriff selber ist. Nicht nur zur Erläuterung eines Sachverhalts gehören somit mögliche andere Personen (als Beziehungsträger, der gewöhnlich mit der Variablen einhergeht), sondern auch zur Wahrheit selber, um normativ zu wirken respektive ihren Sinn zu erfüllen. Ein Fürsichsein von Wahrheit, nur auf das sie erhebende subjektive Bewusstsein bezogen, ist eine contradictio in adjecto ihres Begriffs. Hiermit scheint bereits der Zugang zur hermeneutischen Erläuterung der Wahrheit, sodann insbesondere zur Konsensustheorie eröffnet, diese stellt aber viel eher einen methodischen Antipoden dar, insofern sie Wahrheit von einem Prozess und einer methodischen Reflexivität abhängen machen will, anstatt ihre Unvermitteltheit zu bewahren und zu statuieren, auf die auch Habermas, wie noch gezeigt wird, nicht verzichten kann. Der Zielpunkt, auf den sich eine Verteidigung der Korrespondenztheorie, zugleich im ursprünglichen Licht oder anderen Konsens, dass andere Personen unmittelbar an der Wahrheit teilnehmen respektive ihre Sphäre bilden, konzentrieren muss, ist daher viel eher eine Grenzinstanz jener Theorie: Der Zeuge, der gerade nicht als Sprecher auftritt respektive aus Voraussetzung keinen Versuch unternehmen kann, seine Behauptung einem Diskurs zu unterwerfen. In diesem Sinne verlangen ihn die Gerichte und judiziären Protokolle1181, aber auch die Wissenschaft kann auf ihn

1181 Martina Deckert, „Recht und Wahrheit“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie vol. 82 (1996), S.43-54, insb. 47.

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nicht verzichten, ­begonnen mit der Historie1182, in der sich die Geschichtswahrheit der Reflexion von Rechts wegen entzieht – auch wenn sie, als Methode, der Reflexion alles andere als entbehren kann –, über die Gesetzmäßigkeiten in den Naturwissenschaften bis hin zu den Protokollsätzen des logischen Positivismus, bei denen wenigstens von der Sache her, wenn auch nicht erklärtermaßen der einfache Zeuge akut ist. Etwa bei Carnap, mit der Korrespondenz kompatibel, ist hier die Sinnlichkeit zwar substantiell mit dem Wahrheitsbegriff veranlagt, es fehlt aber, nicht zuletzt wegen der Kehrtwendung gegen alles Metaphysische, die wesentliche Einbettung, aus der heraus die Bestimmung des Begriffsvermögens, überhaupt eine Analysis und Auflösung des Bewusstseins aus seinen Vermögen zu verstehen ist, verantwortlich für die allgemeine, philosophische und nicht nur logische Verpflichtung, woraus sich zwar eine bedingte Parallele, jedoch kein gegenteiliger Ansatzpunkt ergibt. Im Folgenden soll die Kehrseite jedweder reflexiven Veranlagung, die Wahrheit schon besitzt, aus dem Theoretischen nicht zu eliminieren ist und in den bereits angeführten Lösungen und Positionen eine Art von Setzzwang repräsentiert, zur Sprache kommen – wie man, im gesetzt definitorischen Kontext, dazu gelangt, einen Einblick in die ›Natur eines gegebenen Ausdrucks‹ zu finden1183, anderwärts und enger noch, wie man gegenüber sich selbst und der Sprachgemeinschaft versichern, somit rechtfertigen kann1184, dass eine Definition nach dem Maßstab Tarski’s (‚s ist true in L if and only if p‘) im gegebenen Fall eines Satzes auch tatsächlich wahr ist1185 – eingestanden gibt jene nur an,

1182 Insoweit eine Verhältnis von histoire und historicité zum Tragen kommt: Marcio Goldman, „Lévi-Strauss et les sens de l’histoire“, in: Les Temps Modernes (2004), S.98-114. André Robinet, „Les fondements métaphysiques des travaux historiques de Leibniz“, in: K. Müller, H. Schepers, W. Totok (Hg.), Leibniz als Geschichtsforscher, Wiesbaden 1982, S.49-67 (Studia Leibnitiana Sonderheft 10). 1183 The „insight into the nature“ hinsichtlich des Wahrheitsgebrauchs eines fraglichen Terms (Guttenplan 1986, S.311). 1184 „The structure m corresponds to the sentence if each name or quantity term of the sentence partially denotes the thing that m assigns to it, and each predicate partially signifies the set that m assigns to it“ (Hartry Field, Truth and the Absence of Fact, Oxford 2001, S.190). 1185 „Of course, such a definition [as „‘Snow is white’ is true if and only if snow is white“, mit Parallelbeispielen] would not tell us whether a given sentence was actually true. For that you would have to do some looking around the world“ (Samuel Guttenplan, The Languages of Logic, Oxford 1986, S.313).

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was unter dem ‚Prädikat‘ wahr „allgemein“ zu verstehen ist1186, und die resultierende ­Ambivalenz in Bezug auf p ist bis heute akut1187 und, wie noch zu zeigen, nicht eliminierbar (und eine andere als die – angeblich defektuöse – ‚ambuity‘, welche den Ausdruck wahr betrifft)1188. Nun gilt es aber nicht, dem Bewusstsein gegenüber den epistemischen Varianten, die assertibility, accessibility oder warrantibility, neuerdings darüber hinaus eine auf ideale Wahrheit ausgerichtete superassertibility betonen1189, erneut, wie ein Rückfall, eine Injektion der Ewigkeit zuzusprechen, sobald es Wahrheit terminiert, verwandt einem Rechtsspruch aus „der Natur der Sache“ im rechtspositivistischen Kontext1190. Sondern zu zeigen, dass das notwendig rezeptive Moment im Wahrheitsbewusstsein weder einem Mythos gleichkommt (Sellars) noch schon bedeuten muss, es überschreibt sich gänzlich und von vornherein einem Dasein jenseits seiner Aktualität selber („how things are independently of ourselves“)1191. Soll dies der realistische Standpunkt (im Theoretischen) heißen, so bedeutet dies nicht, es tritt die Voraussetzung jenseits der Grenze ein, in der „anybody’s cognitive activity or capability“ außer Betracht fällt1192. Gleichwohl muss Wahrheit, um Wahrheit zu sein, die 1186 Alfred Tarski, „Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik“, in: Gunnar Skirbekk (Hg.), Wahrheitstheorien, Frankfurt 1977, S.145. 1187 Bruno Leonardo Puntel, Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie, 3.Aufl. Darmstadt 1993, S.67 – die Frage nach ‚Was ist X?‘ führt zu einem „schillernden Begriff der Adäquatheitsbedingung“; S.256 im Rückgriff auf eine Interpretation Jennings (1987): nach einer Interpretation gibt sie die „Beziehung zwischen einer als wahr qualifizierten Aussage und einem Zustand der Welt an“, nach der anderen zwischen „Ausdrücken der Metasprache und Ausdrücken der Objektsprache“. Zu Tarski, der dem Problem ausweicht (1987, S.164, 169) und es zugleich bekräftigt (S.146). 1188 Hilary Putnam, Realism with a Human Face, Cambridge: Harvard University Press 1992, S.14-15. 1189 Giorgio Volpe, „Ideal epistemic situations and the accessibility of realist truth“, in: Erkenntnis 58 (2003), S.13-29, 14, 20, 26. John Nolt, “Truth as an Epistemic Ideal”, in: Journal of Philosophical Logic vol.37/3 (2008), S.203-237. 1190 Andreas Anter, „Die ‚Natur der Sache‘ und der Hüter der Verfassung“, in: Zeitschrift für Politik Jg. 51/H. 3 (2004), S.277-294. Das Prinzip der „Natur der Sache“ geht mindestens auf Rousseau zurück, noch in Verbindung mit der göttlichen Gerechtigkeit: „Ce qui est bien et conforme à l'ordre est tel par la nature des choses et indépendamment des conventions humaines? Toute justice vient de Dieu » (Contrat social II, 6 [Œuvres III, Paris 1964, S.378, sowie 333]). 1191 Volpe 2003, S.15. 1192 Volpe 2003, S.14: “And I shall call ‘radically’ nonepistemic […] those nonepistemic theories that involve the further claim that the truth value of propositions depends

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Möglichkeit einschließen, jenseits einer vorgängigen Theoriebelastung („theory ladenness“) und begrifflichen Relativität einsehbar und wirksam zu sein1193. Es wäre sinnlos, gerade hier, ähnlich einer Distinktion zwischen naiver und definierter Intuition in der Mathematik, einen »verschleiften« Wahrheitsbegriff in Verbindung mit dem natürlichen Bewusstsein zu veranlagen, um erst für den wissenschaftlichen Wahrheitsbegriff Definitheit und Belastbarkeit zu verlangen. Gerade umgekehrt ist dem natürlichen Bewusstsein ein Wahrheitsverständnis zuzugestehen, das fundamental ist und die Philosophie nicht verletzen darf. Um daher kein Missverständnis aufkommen zu lassen, dieser Sach- und zugleich Setzzwang, da sich in ihm die für den Wahrheitsbegriff notwendige „Beziehung auf Welt“ niederschlägt1194, gehört wie ein Pencil, der Fächer von Geraden, der seinen Fluchtpunkt einschließt, zu jeder Variante der Wahrheitstheorie, was hier nicht in extenso nachgewiesen werden soll – für einen Vertreter des internen Realismus vielleicht erst dann, wenn er anerkennen muss, dass die Äquivalenz zwischen „epistemic access“ und epistemic justification“ zur „Implausibilität“ führt oder dazu, dass „epistemische Wahrheit gleichermaßen unzugänglich erscheint wie, angeblich, die realistische Wahrheit ist“1195. So dass er schließlich auch anerkennen muss, sich in seinem Wahrheitsverhalten auf ein externen epistemischen Zugang berufen können zu müssen, wenn die ideale Situation unterlaufen wird und, der oben erwähnten Historizität verwandt, „rational acceptability depends on truth“ und nicht umgekehrt (or „an epistemic situation […] on whether many different statements are true“, die spätere Modifikation Putnams)1196. Lässt sich aber die Differenz zwischen internem und externem Realismus nicht wirklich schließen – was, die Polarität vorausgesetzt, als Wechsel des Fokus nicht nur nicht verwundert, sondern zu erwartende, zwangsläufige Konsequenz ist –, und kann ein „advocate of realist truth“ die Möglichkeit nicht vermeiden, zwischen dem epistemic acces und der Anerkenntnis, „whether it is actually the case that p or not“1197 unterscheiden zu müssen, dann gerät die

1193 1194 1195 1196 1197

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(among other things) on how the world is independently of anybody’s cognitive activity or capability”. Volpe 2003, S.16. Oder Erfahrung: Martina Deckert, „Recht und Wahrheit“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie vol. 82 (1996), S.43-54, 41 versus 50-51, 53. Der Hauptschluss in Volpes Aufsatz, der darauf beruht, das Brain-in-vat-Experiment umzukehren (2003, S.24). Volpe 2003, S.23-24. Volpe 2003, S.27. Für den Vertreter realistischer Wahrheit gilt, er mag sich in gleicher Situation auf eine „reliabilist epistemology“ berufen.

­ orrespondenz erneut auf dem Prüfstand – elementar, wie sie sich herauskriK stallisiert und wie sie gewissermaßen bar, im Gleichstand des Bewusstseins, schon immer beansprucht wurde. Aufgrund dieses einschlägigen, letztlich im Kontext des conceptual content von McDowell verleugneten, jedoch notwendigen Schnitts – wofür wir die Sektion oder section wegen der projektiven Veranlagung bevorzugen1198 –, durch die sich im und für das Bewusstsein die Beziehung auf Welt eröffnet und artikuliert, kann die Anlehnung an Korrespondenz, wie bereits vermerkt und noch deutlich werden wird, nicht als eine unmittelbar Anlehnung an Tarski ausfallen, der sich, nach dem zentralen Umfang des Wahrheitsproblems, zu sehr als Logiker zu artikulieren sucht. Die Evaluierbarkeit von Wahrheit, die in Ausdrücken wie Erfüllung, saturation/satisfaction oder material adequacy niederschlägt, muss darum aber nicht zur Einführung einer (wieder) divinen Projektion führen (die, vielleicht eine „fulguration“, aus der neueren klassischen Philosophie, gleichgültig, ob Spinoza, Descartes oder Leibniz aufgesucht wird1199, wohlbekannt ist), in der, einem Kegelschnitt verwandt (dessen theoretische Bedingung bei diesen Neophyten einer ausschließlich menschlichen Spiritualität freilich unbedacht bleibt), Putnam’s „God’s eye standpoint“ die gesuchte Perspektivität verkörpert, weil sein (einziger) Geist die gesamte Auffächerung der menschlichen Ideen etabliert1200. Vielmehr besteht sie darin, • W  ahrheit auf der Grundlage des (natürlichen) Kalküls der Fakultäten als Möglichkeit einer zugleich erkenntnistheoretischen und epistemischen Einstellung zu erklären und zu definieren, und dieses ‚zugleich‘ ist nicht Ausdruck der bereits angesprochenen naiven (intuitiven im schlechten oder unwissenschaftlichen Sinne) Gleichsetzung, sondern, an dieser Stelle, wenigstens Anzeige für die Äquivalenz (Doppelimplikation), die sich im Wahrheitsproblem verbirgt. Einfachheit, Konsistenz und bestimmte Notwendigkeit, die sie eröffnet, müsste sie für die Einsetzung in den Knotenpunkt des erwähnten ›Pencils‹ prädestinieren, da sie aus und mit der 1198 Gegenüber Putnam, der, Eugene Wigner aufgreifend, den „cut“ anlässlich der quantenmechanischen Situation wiedereinführt (1992, S.4). Zu McDowell, p.e. Geist und Welt, Paderborn 1998, S.59: „Mir geht es dagegen darum, eine Art und Weise zu beschreiben, in der man an der Behauptung festhalten kann, dass die Welt in der Erfahrung einen rationalen Einfluss auf unser Denken ausübt. Und dazu ist es erforderlich, die äußere Grenze aus dem Bild zu streichen“. 1199 Zur Fulguration Leibniz, Monadologie, § 47, in: GP VI, S.614. 1200 P.e. Spinoza, Ethica, II, Prop. XLIII, Demonstratio, in: Spinoza Opera II, S.123-124.

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Konstitution von Bewusstsein einhergeht, anstatt sie als gegeben hinzunehmen oder von vornherein zu missachten. Wobei auf ihrer Basis einleuchtet anzuerkennen, dass das Wahrheitsproblem schon mit der Wort- und nicht erst Satzsemantik evident wird (wie bei Frege)1201, sobald es gilt, unter der „Norm der Wahrheit“ erklären zu müssen, was der Ausdruck re-praesentari bedeutet, wenn er – im Sinne des Zeitalters – garantiert, „qui verè rem cognoscit, debet simul suæ cognitionis adæquatam habere ideam, sive veram cognitionem“1202: Da nur Entsprechung (mitsamt ihrer inhärenten Logik) gefordert, ist hier noch keine ontologische Verpflichtung am Werke, die anderwärts zwischen Alternativen in die Konvention ausweicht1203. Auch ist Wahrheit von der Möglichkeit, über ∃x Aussagen zu formen, ganz verschieden, zudem von der Wahrheit einer Theorie und ihren hypothetischen oder faktischen "x-Theoremen / Propositionen1204. Gibt es aber von jener, der ontologischen Verpflichtung her, (angeblich) keinen „matter of fact“, der wirklich wahr ist oder erscheint („really true“)1205, dann enthält der Umschlag oder resultierend unabwendbare Schwenk vom externen zum internen Realismus – der direkte Einspruch von Seiten anderer, positivistisch oder naturwissenchaftlich orientierter Wissenschaften wäre nicht schwer zu ermitteln – dennoch bereits eine wenigstens Null- oder Lotstellung, die, alles andere als bloße ›Mitte‹ (im aristotelischen) oder Vermittlung (im hegelschen Sinne), in Anlehnung an die Geometrie als ‚Polar‘ der Verständigung dienen mag, weil das Bewusstsein anderwärts unter derselben Voraussetzung das (vermeintlich) einzige und nur einzige Zentrum für sich reklamiert. Da angesichts des erwähnten Fokus (epistemic access) die Äquivalenz unmöglich in ihm selber verwurzelt sein kann, muss überdies gelten, auch dieses Lot ist, als der epistemische ‚Äquator‘, auf den sich der interne Realist als die Letztgrenze seiner epistemischen Fakultät zu stützen sucht, nur Voraussetzung für das ihm aufliegende 1201 Frege, Sinn und Bedeutung, 1967, S.133 nach der Formulierung, dass „für ein bestimmtes Argument der Funktionswert das Wahre ist“ oder „ein Begriff ist eine Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist“. 1202 Spinoza, Ethica, II, Prop. XLIII, Demonstratio, oder: „nempe, si idea vera, quatenus tantùm dicitur cum suo ideato convenire, [à falsâ distinguitur, nihil ergo realitatis, aut perfectionis idea vera habet præ falsâ]“, in: Spinoza Opera II, 124-125, 125). 1203 Die Überlegungen Putnams in 1992, S.103-104. 1204 Reichhaltiges Anschauungsmaterial über diese Verwechslung findet sich in: Emile Durkheim, „Pragmatism and the question of truth“, in: Pragmatism and Sociology, pub. by Cambridge University Press 1983, Fourteenth lecture “The variations of truth“. Die Verbindung zur confirmation zeigt sich nachhaltig bei Nolt 2008. 1205 Putnam 1992, S.103, 96.

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eigentliche – Schnitt, der die Wahrheit verklammert (und oben – II.2.2.E.2 – mit den beiden Orientierungen aus Lot und Gegenlot eingeführt wurde). So wenig hiermit der Standpunkt eines „reactionary nostalgic“ (der Einsteins gegenüber der Quantenmechanik) eingenommen wird, so gewiss drückt sich in diesem Achsenkreuz eine bestimmte „Impersonalität“ aus1206, die zur Verbindlichkeit der metaphysischen Einstellung gehört und mit der projektiven Bedingung als Veranlagung des Bewusstseins ihre Uneinseh- oder -holbarkeit, ihren (fiktiven) Überschwang, verliert. Wie im Text bereits verschiedentlich berührt – und der Ansatz zu erwarten gibt –, kann somit die Sprachgemeinschaft nicht letzte Instanz und Bürge sein, sondern in der Tradition der metaphysischen Beziehung, die sich nach ihrer Erklärung freilich fundamental verwandelt, gerät die soeben beanspruchte Äquivalenz in bestimmte Konkurrenz zum Konsens (insbesondere Habermasscher Prägung). Schon von der neueren Pragmatik her, die Formen der Semiosis einschließt, welche nicht notwendig auf Codifizierung beruhen und keinen Code einschließen1207, muss man Zweifel hegen, ob wegen der (vermeintlichen) „Unhintergehbarkeit der Sprache“ als erste Bedingung des Bewusstseins wirklich „der vertikale Weltbezug der Vorstellungen von oder der Aussagen über etwas gleichsam in die Horizontale des Miteinanders der Kommunikationsteilnehmer zurückgebogen wird“1208, im Sinne eines einzigen theoretischen Zwangs, Bewusstsein und seine Subjektivität in der nachklassischen Epoche und auf der Grundlage der linguistischen Wende noch ansprechen zu können – die maßgeblichen Termini und nicht topoi „des Weltbezugs“ mitsamt dem Sitz und Orientierung des Organs, das sich ihrer zu versichern sucht, entstammen definiter Theorie, und bevor sie zu beanspruchen sind, dürfte die Frage zu klären sein, ob sie nicht tatsächlich im strengen Sinne gelten und nicht nur vergleichsweise – gibt es Realität für ein Bewusstsein1209 und seine Vorstellungskraft nicht ohne echtes, ursprünglich projektives Vermögen und anhängige Beziehung, wird auch die Bedeutung 1206 Putnam 1992, S.18, 17. 1207 Posner 1997, im Kontext S.234-240 insb. 237-239. 1208 Jürgen Habermas, „Wahrheit und Rechtfertigung. Zu Richard Rortys pragmatischer Wende“, in: Wahrheit und Rechtfertigung, Frankfurt 1999, S.241, die Erläuterung linguistischer Auffassung der Subjektivität. 1209 Für diese Beziehung erinnern wir an die Zitate aus der Zeit der Aufklärung (Spinoza, Wolff, Leibniz), an weiterhin Russell und Bergson 1972, S.101: „Ce que nous voulons établir, c’est ce qu’on ne peut parler d’une réalité qui dure sans y introduire de la conscience“ – die weitere Obligation lautet, nicht ohne Projektion.

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des Wortes wahr, seines Zeichens und der systematischen Stelle im Feld der Begriffe mit dieser einhergehen.

2. Überblick zur Korrespondenz „Prima igitur veri, & falsi significatio, ortum videtur duxisse à narrationibus: eaque narratio vera dicta fuisse, quæ erat facti, quod reverâ contigerat. Falsa verò, quæ erat facti, quod nullibi contigerat. Atque hanc Philosophi postea usurparunt ad denotandam conventientiam ideæ cum suo ideato, & contrà: quare idea vera dicitur illa, quæ nobis ostendit rem, ut in se est: falsa verò, quæ nobis ostendit rem aliter, quàm reverâ est: Ideæ enim nihil aliud sunt, quam narrationes sive historiæ naturæ mentales“1210.

Nach dem Erzählen einer Geschichte habe sich, wie auch Platon, der Ausdruck wahr oder falsch und sein Gebrauch entwickelt, mithin nach einem Verhältnis, bei dem die Historizität, das bloße Faktum, bei dem sich die Akteure der Tatsache, dass sie Geschichte betreiben, nicht bewusst sind1211, in mögliche oder tatsächliche Historiographie übergeht. Spinoza bezeichnet (nach den Begriffen der heutigen Wahrheitstheorie) das unterste Rubrum des Wahrheitsbegriffs – was in der neueren, bereits angesprochenen und verwickelten1212 Philosophiegeschichte ihre unmittelbare Bedeutung, nicht ihr Kriterium ausmacht1213 (und ein Logiker wie Tarski würde es geradewegs, als ohne Verständnis für den ­Wahrheitsbegriff,

1210 Spinoza, Principia philosophiaae, Appendices, I, cap. VI, in: Spinoza Opera I, S.246. „Die erste Bedeutung von wahr und falsch scheint bei Gelegenheit der Erzählungen entstanden zu sein; diejenige Erzählung wurde wahr genannt, welche eine Tatsache traf, die sich wirklich ereignet hatte, und diejenige war falsch, die eine Tatsache betraf, die sich nirgends zugetragen hatte. Allein die Philosophen benutzten diese Bedeutung nachher zur Bezeichnung der Übereinstimmung der Idee mit ihrem Gegenstande und umgekehrt; deshalb heißt diejenige Idee war, welche uns die Sache so zeigt, wie sie an sich ist, und falsch die, welche uns die Sache anders darstellt, als sie wirklich ist; denn die Ideen sind eben nur geistige Erzählungen oder Geschichten der Natur“ (Baruch de Spinoza, Sämmtliche Werke, hg. v. O.Baensch, A. Buchenau, C.Gebhardt, C.Schaarschmidt u.a., II: Prinzipien der Philosophie von Descartes, Leipzig 1897-1907, S.123). 1211 Goldman 2004, S.105. 1212 Einen der nicht spärlichen Über- und Einblicke liefern Richard L.Kirkham, Theories of Truth. A critical Introduction, Cambridge-London 1992; Peter Baumann, Erkenntnistheorie, Stuttgart 2000, Kap.IV; Hans Poser, Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Stuttgart 2000, Kap.V. 1213 Mit der erneuten Betonung des Kohärenzkriteriums ist insbesondere Rescher verantwortlich für diese Betonung („Die Kriterien der Wahrheit“, in: Gunnar Skirbekk (Hg.), Wahrheitstheorien, Frankfurt 1977, S.337-390).

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aus seiner wissenschaftlichen Erörterung ausklammern)1214. Das Problem, das es offenbart, stellt sich gewiss rasch ein, sobald sich ihm ein auch kritisch ­geschultes Bewusstsein zuwendet, auch wenn es in seiner vulgären Praxis, von der Spinoza ausgeht, im Übrigen mit guten Gründen auch in der Gerichtspraxis (bei der Zeugenvernehmung und eidesstattlichen Aussage) bis heute ganz unangetastet ist1215 – angesichts des „regulativen Prinzips“, das Wahrheit verkörpert, wohlberechtigt und nicht verwunderlich1216, so dass seine ‚wahre Erkenntnis‘ und Einschätzung beides zugleich beachten muss. „We must not, as Kant puts it, aspire to ‘unconditioned’ knowledge. At the same time, it seems inevitable that we should do so. Every time we establish something by argument, we assume the truth of the premise. The premise therefore describes the ‘condition’ under which the conclusion is true. But what about the truth of this condition? That too must be established by argument, and will turn out to possess its truth only ‘conditionally’. Hence reason (in its guise as inference) inevitably leads us to search for the ‘unconditioned’, the ultimate premise whose truth is derived from no other source“1217.

Wenn der Regress, den Scruton nachzeichnet, einzig wahr wäre, müsste die Wahrheit, die bei der Prämisse von Konklusionen zu stehen kommt, unzureichend sein1218. Der aristotelische Syllogismus würde, mit Kant, der – „[in realms of] one of the acutest discussions of scientific method to have issued from the pen of a philosopher“1219 – die Bedingungen der Vernunft untersucht, stets bei der dialektischen Wahrheit enden, obgleich sich bereits Aristoteles gegen diesen Regress sicher gewappnet wusste1220 (Organon I oder die Topik1221), worin sich 1214 Tarski 1977, § 17. 1215 Die auch Austin als distinktiv im Umkreis von Kopien und Reproduktionen ­erwähnt (John Austin, „Wahrheit“, in Skirbekk 1977, S.233). 1216 „Natürlich bleiben einige Prinzipien als regulative Prinzipien immer erhalten – so das der Wahrheit oder das der Einheit der Natur; aber ihre inhaltliche Ausprägung, etwa in Überprüfungskriterien, ist geschichtlichen Wandlungen unterworfen“ (Hans Poser, „Probleme und Perspektiven gegenwärtiger Philosophie“, in: URANIA-Festschrift, Berlin 1988, S.247). 1217 Roger Scruton, Kant, Oxford 1982, S.46-47. 1218 Nach den Bedingungen der transzendentalen Deduktion ist sie es freilich nicht (s.f. und Scruton 1982, S.27, 31, 33). 1219 Scruton 1982, S.51. 1220 Aristoteles, Organon I, Kategorien 4a-b, 14b (in: Philosophische Schriften 1, Darmstadt 1995, S.9, 36); weshalb er auch Tarskis theoretische Anlehnung wurde (1987, S.142, 167). 1221 Aristoteles, Topik 111a-b, in: Philosophische Schriften Band 2, Darmstadt 1995, S.35-37 zum Wahrnehmen als Urteilen.

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(„inevitably that we should do so“) zugleich der natürliche Verstand der Wahrheit spiegelt: Ohne Defaitismus gegenüber der (manchmal überaus) reflektierten Profession, hier, in der Praxis, ‚Lebenswelt‘ oder „[within] a plausible account of our ordinary notion of truth“1222, nicht in der Theorie, hat sich demnach die Kennzeichnung und Bedeutung von Wahrheit zu bewähren1223, was bereits als ihr unabwendbarer Prüfstand erkannt wurde. Auch wenn Kant angesichts von formaler und transzendentaler Logik nach einem kurzen „Geschenktsein“ der Erklärung ihres Namens als „die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand“1224 nicht erneut auch den Wahrheitsbegriff einbezieht1225, wenn es gilt, Erfahrung als wahres Urteil zu charakterisieren, in der und in dem eine(die) Kategorie(n) dazu gelangen, kraft Subordination der Sinnlichkeit eine Anwendung ihrer Spontaneität (als spontanen Bedingung) zu garantieren – die „materiale“ als nunmehr „objektive Wahrheit“ hält Kant für nicht geschenkt, mehr, sie ist nicht einmal durch die analytische Wahrheit zu ermitteln1226 (wie sie im Zeitalter des Rationalismus auch von Sensualisten wie Condillac1227 – und bis 1222 Volpe 2003, S.27. 1223 Um ein Beispiel zu präsentieren: „Edward Kennedy yesterday at the Johns Hopkins School of Advanced International Studies: ‘No matter how many times the Administration denies it, there is no question they misled the nation and led us into a quagmire in Iraq. … As in Vietnam, truth was the first casualty of this war.’“ In: A Degenerate Dynastie, by James Taranto, The Wall Street Journal, Friday, January 28, 2005 3:27 p.m. EST. 1224 KrV A A 58/B 82 „[…] wird hier geschenkt, und vorausgesetzt; man verlangt aber zu wissen, welches das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis sei“. 1225 KrV A 58/B 82. 1226 „Weil aber die bloße Form des Erkenntnisses, so sehr sie auch mit logischen Gesetzen übereinstimmen mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (objektive) Wahrheit dem Erkenntnisse darum auszumachen, so kann sich niemand bloß mit der Logik wagen, über Gegenstände zu urteilen, und irgend etwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegründete Erkundigung außer der Logik eingezogen zu haben, um hiernach bloß die Benutzung und die Verknüpfung derselben in einem zusammenhängenden Ganzen nach logischen Gesetzen zu versuchen, noch besser aber, sie lediglich danach zu prüfen“ (KrV A 60/B 85). 1227 „Aus diesen zweierlei Vorstellungen [die, ausgehend von Empfindungen, verworrene von deutlichen unterscheiden,] entstehen zweierlei Wahrheiten. [a] Wenn die Statue [als Zusammenfassung aller Sinne] bemerkt, dass ein Körper dreieckig ist, so fällt sie ein Urteil, das falsch werden kann, denn jeder Körper kann seine Gestalt ändern. [b] Aber wenn sie bemerkt, dass ein Dreieck drei Seiten hat, dann ist ihr Urteil wahr und wird es immer sein, da ja drei Seiten die Vorstellung des

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heute – anerkannt wird1228). Diese gilt ihm vielmehr nur als ein „negativer Probierstein der Wahrheit“1229, und der positive bedeutet, wie das soeben bezeugte Zitat belegt, „eine Erkundigung außer der Logik“ (womit sich der Reflex der Grundlegung der Ästhetik, als kunsthistorische oder als transzendentale1230, wiederholt und – in einem unberechtigten Sinne – festigt): Sollte, Maxime dieser Abhandlung, die logische Verankerung des Bewusstseins nicht vielmehr in den Beziehungen der Fakultäten zu veranschlagen sein, diese aber wesentlich auf einer Seite darüber hinauslangen, dann verwandelt sich dieser wohlbekannte Schluss in den transzendentalen Akten in einen Kurz- oder Fehlschluss. Mithin wird, im Namen der Korrespondenz, auch der notwendige Gegenpart zum eigentlichen Wahrheitsträger1231, in dem der Kern der Wahrheitsbeziehung verankert ist, einen Zugang und Schlüssel zur Logik offenbaren müssen und ein elementares Definiendum nicht verweigern: Das erwähnte ‚Rubrum‘, das mit ‚Être‘, dem ‚Gegenstand‘, dem ‚(tatsächlichen) Sachverhalt‘ oder ‚was der Fall ist‘1232 einhergeht und dem der erläuterte ›Schnitt‹ Dreiecks bestimmen. Sie nimmt also Wahrheiten wahr, die sich ändern oder sich ändern können, sooft sie darüber urteilen will, wie die Dinge an sich beschaffen sind. Umgekehrt nimmt sie Wahrheiten wahr, die sich nicht ändern, sooft sie sich auf Urteile über die deutlichen und abstrakten Vorstellungen beschränkt, die sie von den Größen hat“ (Étienne Bonnot de Condillac, Abhandlung über die Empfindungen, Kap. VII § 13, hg. v. Lothar Kreimendahl, Hamburg 1983, S.202). 1228 Im Rahmen der neueren Logik, p.e. Guttenplan 1986, S.307-310; dito Tarski 1977, S.163. 1229 KrV A 60/B 84. 1230 In Zusammenhang mit der Aesthetica und den Meditationes Baumgartens (A.Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft, Halle 1923, Nd Darmstadt 1967; Armand Nivelle, Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Neuzeit, 2. Aufl. Berlin-New  York 1971, S.7-17; Ursula Franke, Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des AG Baumgarten, Wiesbaden 1972 (Studia Leibnitiana Suppl., 9); Hans Rudolf Schweizer, Ästhetik als Philosophie der sinnlichen Erkenntnis, Basel-Stuttgart 1973; Friedhelm Solms, Disciplina aesthetica: Zur Frühgeschichte der ästhetischen Theorie bei Baumgarten und Herder, Stuttgart 1990). Malinowski-Charles 2005. Was Kant angeht, sei außer der transzendentalen Ästhetik auf seine Deutung des Schematismus, sowie hier die Kategorien der Anschauung verwiesen. 1231 „Truth, unlike aesthetic significance, is unitary, if it is properly understood as a semantic property of declarative sentences[…]“ Charles Nussbaum, „Aesthetics and the Problem of Evil“, in: Metaphilosophy 34/3 (2003) S.250-283, Nd. in: Vf., Leibniz, die Künste und die Musik: ihre Geschichte, Theorie und Wissenschaft, München 2007, S.162. 1232 Volpe 2003, S.26-27.

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der ­Wahrheitsbeziehung aufliegt, wird sich im Kalkül der Fakultäten einer wissenschaftlichen Analyse erschließen. Hier möchten wir zunächst Halt machen und den fälligen Strich ziehen – offensichtlich (und gewiss ein nicht unbedeutender éclat, von dem sich erst die semantische Theorie bereinigt glaubt1233) kommt im Vergleich der beiden Zeugnisse auch die kritische Transzendentalphilosophie, selbst wenn sie die eigentlich Verantwortliche für die erwähnte Verweigerung oder aber Unzugänglichkeit ist1234, nicht aus ohne die stillschweigende, noch immer gültige Annahme, „[qu’une] idée vraie [soit] celle qui montre une chose comme elle est en elle-même“1235. Nicht die Idee, sondern der Nachsatz – wodurch sie ihre Definition begründet – ist das Entscheidende für Begriff und Verständnis von Wahrheit, ungeachtet der (von ihrem Wesen her freilich ganz verschiedenen) Einschränkung, die Kant selber und die moderne formale Logik der Möglichkeit dieses Verständnisses auferlegt haben1236. Wie bereits angerissen, erfordert es ein spezifisches Bewusstsein in der Sache1237, das gleichwohl nicht das Bewusstsein des Substrats der Idee oder, um den Schluss der übernächsten Absätze vorauszunehmen, der Aussage oder irgendeines anderen Vertreters auf dieser Seite ist1238. „Objektive“ oder materiale Wahrheit, die ein Urteil besitzt, muss daher 1233 Insbesondere in Verbindung mit der strengen Variante des Kompositionalitätsprinzips, i.e. ein Satz, dessen Proposition nicht aus unabhängigen Einzeltermen zusammengesetzt ist (Puntel 1993, S.284-285); Guttenplan setzt diesen Fall generell für die Prädikatenlogik voraus (1986, S.308, 318 und öfter). 1234 „The reason why the scenario depicted by Putnam is a predicament for the philosophers committed to a radically nonepistemic view of truth is that they believe no less than the partisans of correspondence that the truth of a proposition, far from consisting ‘in its fitting the world as the world presents itself to some observer or observers’, depends on how the world is itself “ (Volpe 2003, S.19). 1235 Wie sich im Übergang vom ostensionalen Urteil zum „Einzelding“ zeigt (Henrich 1976, S.44). 1236 Wie bereits zitiert, Guttenplan 1986, S.308, 318, 323 in der Interpretation eines ("x) (Fx ⊃ Gx). Bei der Interpretation von (∃xi) (Fxi) tritt aber ausdrücklich der Fall auf, dass angesichts seiner Erfüllung „to satisfy the sentence“ oder „to satisfy the predicate“ auseinanderfallen (S.322). 1237 Wir möchten dies nicht den Sachverhalt nennen, da der Ausdruck – wegen seiner engen Verbindung mit der Proposition – auf die Gegenseite, den (eigentlichen) Wahrheitsträger führt. 1238 Mit den hinzugerechneten Intentionalitäten (Glaube, Überzeugung, Mutmaßung) ergibt sich im Koordinatensystem der Wahrheit eine ziemlich umfangreiche Liste von möglichen Vertretern – die Proposition hat hierbei unter den Anhängern und in den Ausläufen der Philosophie Wittgensteins Vorrang (Baumann 2002,

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als (im Sinne von Kant) »außer der Logik« gewonnen wesentlich mit der Leistung der Anschauung – einem Existentialbewusstsein – zusammenhängen1239 (ein im Übrigen wohlbekanntes Problem aus den jüngeren Schriften McDowells in der Auseinandersetzung mit Kant und Sellars). Man dürfte aber nicht bereits schließen, es sei ausschließlich empirische Empfindung, wenn auch Wahrnehmung (seit Aristoteles), oder, wie es im unreflektierten Sinne heißt, Intuition (intuition)1240: Der Part, den es in der Wahrheitsbeziehung erfüllt, ist nicht unbestimmt, oder variabel, sondern ganz im Gegenteil normativ, mindestens ebenso wie das „extern sichtbare“ Phänomen eines sozialen – weitgreifenden, eine ganze Gesellschaft umfassenden – Faktums (in der Soziologie Durkheims1241, hier auch die politische Wahrheit, und aufgegriffen, um angesichts von Tatsachenbewusstsein aus der wesentlichen Leistung der Sinnlichkeit einem falschen – zu engen – Datensensualismus entgegen zu treten1242). Für denselben historischen Kontext gelte daher zunächst, wenngleich die Vernunft, sich selbst und ihren immanenten Zwängen überlassen, dazu geleitet wird, die Antinomien als ihre Veranlagung zu entdecken, die Prämissen der Konklusionen werden, sobald es gilt, eine nicht regulative, sondern konstitutive Vernunft und ihren Gebrauch festzustellen1243, keine Passage oder fälligen Regress, sondern einen notwendigen Halt verkörpern müssen. Jede in der

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S.142-145; Kirkham 1992, 54-58; Puntel 1993, S.269-271, insb. 282-289), aber dies bedeutet keineswegs, nicht auch hier eine „kognitive Instanz“ hinzuzurechnen. Prauss 1988, S.148-149. “The conflict which results from the propositions thus obtained shows, however, that there is fallacy in this assumption, and so leads us to the discovery of the true constitution of things, as objects of the senses”, zitiert Scruton Kant (in Übersetzung, KrV A 507/B 537). Das Zitat belegt die Täuschung, der die Vernunft erliegt, sobald sie glaubt, einen sicheren Halt ihrer Urteile jenseits der Erfahrung zu erlangen, und sei es insbesondere, wenn sie angesichts von Erscheinungen, die in der Erfahrung Geltung haben, den Begriff der absoluten Totalität zu veranlagen sucht. Er führt (in der kosmologischen Fragestellung) zu einer bloßen Sektion, nicht aber zu einem wahren Schluss einer der beiden Seiten (die endliche, die unendliche Welt). Guttenplan: For to know „whether a given sentence was actually true […] you would have to do some looking around the world“ (1986, S.313). Guttenplan 1986, S.315; Tarski 1977, a.a.O, S.153, 167. Robert Alan Jones, Emile Durkheim: An Introduction to Four Major Works, Beverly Hills 1986, S.60-81, § 2. Ursprünge in der neueren Kantinterpretation Henrich 1976 (1.Teil), anderwärts der logische Positivismus (Reichenbach 1983, II, § 10 und öfter; s.w.u.). Scruton 1982, S.54.

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­ rfahrung verbürgte Anwendung der Kategorien wird infolgedessen auch eine E assertorische Wahrheit erübrigen, vor und mit der Veranlagung der Urteilsformen, die ihrem Ausdruck dienen. In Anerkenntnis, dass eine unbedingte „Außenweltwahrnehmung“ im „Ursprungsfall empirischer Erkenntnis“ Maßgabe, und nicht nur „Umstand“1244 oder Kontext1245 für die Wahrheit eines Urteils darstellt1246, in Abkehr aber von jeder Intentionalität, bei der diese Wahrheit als ‚Erfolg‘ oder ‚Misserfolg‘ anzusprechen wäre, weil „die Rezeptivität der Sinnlichkeit als durch die Spontaneität des Verstandes mindestens bereits zu Zeit verwirklicht“1247 ist, wird Wahrheit nicht in eine Redundanz verfallen, bei der sie „konsequent zugunsten solcher Wirklichkeit des Gegenstandes auszumerzen“ sei1248 – was selbst die dezidiert semantisch-ontologische Theorie anerkennt1249. Ist der „einzelnen Erkenntnis eines Gegenstandes ihre Wahrheit“ so wenig wie „diesem Gegenstand als einzelnem seine Wirklichkeit [nicht] einfach anzusehen“1250, dann wird ein Prinzip eintreten müssen, das die Maßgabe garantiert1251, überdies auch tatsächlich imstande ist, das „Kriterium der Unterscheidung zwischen ihm [einem Fürwahrhalten] und ‚der‘ Wahrheit“ selbst zu geben1252. Wird das eigentliche Wahrheitsproblem hiermit virulent, darf es aber angesichts von Intentionalität (Meinen, Glauben und Wissen) dieselbe Alternative eines ‚ist w‘ nicht erneut geben – nicht nur wegen der Zirkularität des resultierenden Arguments, sondern schon wegen des einfachen Verhältnisses zum Gegenpart ‚ist falsch‘1253, das nicht nur nicht fraglich, sondern auch den

1244 Puntel 1993, S.271. 1245 Worauf auch in Zusammenhang mit der semantischen Theorie und Freges Kontextprinzip hingewiesen sei (Puntel 1993, S.283). 1246 Prauss 1988, S.151. 1247 Prauss 1988, S.149. 1248 Prauss 1988, S.152. 1249 „Hier [in einer früheren Abhandlung desselben Autors] wird deutlich, dass nicht gesagt werden kann, ‚Wahrheit‘ sei der ursprünglichste Begriff überhaupt. Man muß eher sagen, dass ‚Wahrheit‘ (höchstens) gleichursprünglich ist mit Begriffen wie ‚Wirklichkeit‘ (‚Sein‘, ‚Welt‘), ‚Sprache‘, ‚Bezugnahme von Sprache auf Welt‘ u.ä.“ (Puntel 1993, S.287). 1250 Prauss 1988, S.151-152. 1251 Poser 1988, S.247. 1252 Simon 1988, S.512. 1253 Spinoza, der diesem Teil als eine Art von Zeuge in der vorkritischen Ära dient, hält, wert der Erinnerung, die „veritas norma“ für unmittelbar vergleichbar mit dem Licht: „Sanè sicut lux seipsam, & tenebras manifestat, sic veritas norma sui, & falsi est“ (Spinoza, Ethica, II, Prop. XLIII, Scholium, in: Spinoza Opera II, S.124).

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Genus nicht wechseln darf, etwa ein Wissen, während das ‚ist wahr‘ im Meinen geäußert wird –, so dass Wahrheit angesichts seiner, des Kriteriums, das im Folgenden aus Vorsatz nicht in der reflexiven Brechung – als Kohärenz1254 – und nicht in der Applikabilität eines formalisierten Sprachkorpus gesucht wird, von vornherein von jeder Redundanz, weiterhin vor dem Vorwurf der Naivität befreit und gefeit ist1255. Darüber hinaus die Legitimität erklärt, die das Bewusstsein in sich selber einmal zur Aussage und ihrer Berechtigung, andererseits zum eigentlichen Bewusstsein in der Sache führt, das überaus einfach (wie in den meisten Beispielen des Aristoteles1256) oder überaus komplex sein kann (etwa in der langwierigen Beobachtung einer sozialen Entwicklung1257) – wobei, vor allen sonstigen Beziehungen, die Äquivalenz in diese erste gehört. Weiterhin ist der Knoten, der sich im Wahrheitsbegriff verschachtelt (sobald er nicht für einen Korpus zum demonstrativen Zweck isoliert wird), aus dem informellen Gebrauch, den ihm Tarski für seine Bedeutung in natürlichen Sprachen zugerechnet hat, an und für sich wohlbekannt. Gerade das Lügensyndrom, das ihm zum Nachweis diente, offenbart jedoch eine unzureichende Reflexion in Beziehung auf diesen Gegenpart selber, wie auch (in wechselndem Ausmaß) bei seinen Rezipienten deutlich wird – und mit der Auflösung des Vorhalts, der das Vermächtnis der kritischen Philosophie darstellt (die Unzugänglichkeit des Seins), sollte auch die Wahrheitstheorie profitieren. Wenn angesichts des Ausspruchs des Kreters, alle seine Landsleute würden lügen, gebildet wird „(W) Der

1254 Die auch im internen Realismus Putnam’scher Prägung verwurzelt ist (Volpe 2003, S.17), Putnam 1992, S.96-103. 1255 „Es ist nicht so, dass wir über ein Arsenal von ‚abstrakten‘ (‚intensionalen‘) Entitäten (‚Propositionen‘ nach gängiger Auffassung) verfügten, denen auf der Seite der – völlig obskur vorgestellten und ‚anvisierten‘ – Welt Korrelate (‚ontologische‘ Entitäten) gegenüberstünden. Dies ist eine naive Vorstellung, von der sich sowohl Verteidiger als auch Kritiker der Korrespondenzrelation bestimmen lassen“ (Puntel 1993, S.288). 1256 Oder in den Abhandlungen Russells, Austins oder Baumann, wo es sich um eine einfache Liebesbeziehung oder das Liegen einer Katze auf der Matte handelt, auf das wir weiter unten zurückgreifen müssen. 1257 „The formal removal of barriers and the introduction of temporary special measures to encourage the equal participation of both men and women in the public life of their societies are essential prerequisites to the true equality in political life“ (United Nations; General Recommendations adopted by the Committee on the Elimination of Discrimination against Women, Sixteenth Session (1997), General Recommendation No. 23, „Political and public life“, § 15 (S.236), enthalten in ­Dokument A/52/38).

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Satz (W) ist nicht wahr“ und seine Erläuterung lautet, „Wenn (W) wahr ist, dann verhält es sich so, wie (W) sagt, d.h. (W) ist nicht wahr“ und anderwärts „wenn (W) nicht wahr ist, dann trifft das zu was (W) sagt, d.h. (W) ist wahr“1258, dann liegt die Auflösung dieses Paradoxes freilich an der bestimmten Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ‚wahr‘ selber1259 – indem sie einmal mit dem Sachverhalt geht1260, das andere Mal mit der Aussage, worin Putnam übereinstimmt, der das Paradox auflöst in die Differenz zwischen „it says in meta-L and it is true in meta-L“1261. (Die Differenz lässt auch den exakten Vergleich zu, etwa in Verbindung mit der Definition des Koordinatensystems: „Without Dedekind’s axiom there would be no guarantee, for example, of the existence of a segment of length π. With it, we can introduce a rectangular coordinate system and do geometry analytically, as Descartes and Fermat discovered in the seventeenth century. This coordinate system enables us to prove that our axioms for Euclidian geometry are categorical in the sense that the system has a unique model (up to isomorphism […]), namely, the usual Cartesian coordinate plane of all ordered pairs of real numbers“1262.

und der folgenden Aussage: „Accuracy [is defined]: measure of the correctness of data, as given by the difference between the measured value and the true or standard value“1263.

Steht der „wahre Standardwert“ beim physikalischen Momentum, gehört er zur ersten Gruppe, bezeichnet er aber seine definiten, „isomorphen“ Messkoordinaten, als auch Graph, steht er, als Ausdruck von mathematischer Wahrheit, auf der anderen Seite, beim Träger). Im selben Sinne erläutert Austin die Korrespondenz, indem „wir sagen (oder sagen angeblich): [i] ‚Es ist wahr, daß die Katze auf der Matte ist‘, oder [ii] ‚Es ist wahr, zu sagen, dass die Katze auf der Matte ist‘“, womit er, zum erneuten Nachweis dienend, diesen an sich ganz 1258 Baumann 2002, S.165. 1259 Poincaré (1963, S.15) streift übrigens die in der Literatur nicht gebräuchliche Möglichkeit, in eine Ordnungshierarchie überzugehen, in der jeweils höhere bekennt, dass jener der Stufe K-1, insbesondere der 1., ein Lügner ist. 1260 Bei Tarski bleibt dies in der Erläuterung von ‚s‘ im Verhältnis zu „wenn wir uns an den Sinn von ‚s‘ erinnern, dann stellen wir empirisch fest“ verborgen, wobei das „nicht wahr“, das zuerst zur akkuraten Bildung von ‚s‘ gehörte, verschwindet („Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik“, in: Skirbekk 1977, S.149). 1261 Putnam 1992, S.13. 1262 Greenberg 1972, S.79. 1263 Definition, zitiert aus einem industriellen Handbuch (EUROSIL) über den Umgang mit Siliciumdioxidstaub.

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verschiedenen Sachverhalt, diesmal jedoch jenseits der Distinktion von language und meta-language, heraushebt1264. Dann aber ist nicht erst die natürliche Sprache, sondern schon das natürliche Bewusstsein nicht davor gefeit – oder andererseits darauf geeicht –, den Ausdruck ‚wahr‘ ausschließlich und nur in seiner Beziehung auf den Träger zu beziehen. Da Tarski sich dessen durchaus bewusst war1265, kann sein Schluss zum Lügensyndrom, bei dem er die frühere Feststellung nicht mehr berücksichtigt – „eine Absurdität, vor der wir stehen, indem wir gezwungen sind, eine falsche Aussage zu behaupten“ – nicht zutreffen1266, und die Aporie nimmt eine andere Erklärung an als die seinige, die sich auf die (berühmt gewordene) ‚Geschlossenheit‘ der natürlichen Sprache beruft1267. Dass das Eternum wirklich durch die Paradoxie zu ersetzen wäre, das menschliche Antlitz, ergibt sich hier (noch) nicht. Ganz im Gegenteil, müsste die sprachliche – als systematische – Analyse des Ausdrucks ‚wahr‘ zunächst und zugleich seine nominale und adjektivische Verwendung einbeziehen1268, da sich in ihr die natürliche Orientierung am sachlichen Pol (anstatt beim Träger) niederschlägt. Im Sinne der Veranschaulichung, die sich gelegentlich in den Fußnoten niederschlägt, Durkheim, indem er die Bedeutung des sozialen 1264 John Austin, „Wahrheit“, in Skirbekk 1977, S.226. 1265 „Es ist jedoch leicht zu sehen, dass all die Formulierungen, die oben gegeben wurden und darauf abzielen, den Sinn dieses Wortes zu erklären, sich nicht nur auf Aussagen selbst, sondern auch auf Gegenstände beziehen, über die mit Hilfe dieser Aussagen ‚gesprochen‘ wird oder womöglich auf ‚Sachverhalte‘, die durch sie beschrieben werden“ (Tarski 1977, S.146). 1266 Tarski 1977, S.150. Was wohl auch Putnams Auffassung ist, der die Infinität der resultierenden ‚Sprachhierarchie‘ nicht anerkennt. 1267 Tarski 1977, § 8. 1268 Um zu veranschaulichen: „The truth was that the progress of ‘liberal principles’ depended less on the activities of cabinets and foreign offices and much more on such factors as the maintenance of peace, the spread of commerce, and the diffusion of education“ (W.H.  Greenleaf, „British Liberalism and the World“, in: Thompson 1991, S.240-241) versus „Philosophically, Durkheim was clearly a social realist and rationalist – he believed [a] that society is a reality independent of individual minds, and that the methodical elimination of our subjective preconceptions will enable us to know it as it is. In so far as social facts are culturally transmitted from one generation to another, and individuals do learn and are thus shaped by them, this is unobjectionable; [b] but it is equally true that social facts are themselves constituted by the meanings attached to them by those agents whose acts, thoughts, and feelings they are, and that such subjective interpretations are thus a part of the reality to be ‘known’” (Robert Alan Jones, Emile Durkheim: An Introduction to Four Major Works, Beverly Hills 1986, S.60-81, § 7).

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Faktums zu evaluieren sucht, das über „représentations schématiques“ in den „usages courants de la vie“ wirksam ist, gelangte zu dem Schluss, [que] „[n]ous les sentons nous résister quand nous cherchons à nous en affranchir. Or nous ne pouvons pas ne pas regarder comme réel ce qui s'oppose à nous. Tout contribue donc à nous y faire voir la vraie réalité sociale (…)“1269. Indem sich diese Verwendung des Ausdrucks ‚wahr‘ als völlig legitim erweist und alles andere als eine Idiosynkrasie oder sogar andere Bedeutung darstellt, wobei auch mit ihr der Kreis der Wissenschaften wuchs, wodurch, so Putnam, die Paradoxien hervortreten (und vielleicht handelt angesichts von Kreis und ‚cut‘ manchmal um eine Parabel oder Hyperbel)1270, gehört die sachliche oder „realistische“1271 Seite der Wahrheitsbeziehung zum Zentrum ihres Begriffs. Sobald eine Äquivalenzrelation in Anschlag zu bringen ist, kann das theoretische Problem daher nicht darin bestehen, das Spektrum der möglichen Reduktion(en) abzustecken – ein Spektrum, von dem ein dem (externen) Realismus zuzurechnender Autor wie Reichenbach, indem er Aggregat- und komplexe Beziehungen miteinander vergleicht, einzig die projektive Relation ausgenommen glaubt (was unter auch mathematischen Voraussetzungen, die er nicht beachtet, kaum gewährt sein wird1272, obgleich die Unterscheidung der Beziehungen an und für sich

1269 „Mais si le détail, si les formes concrètes et particulières nous échappent, du moins nous nous représentons les aspects les plus généraux de l'existence collective en gros et par à peu près, et ce sont précisément ces représentations schématiques et sommaires qui constituent ces prénotions dont nous nous servons pour les usages courants de la vie. Nous ne pouvons donc songer à mettre en doute leur existence, puisque nous la percevons en même temps que la notre. Non seulement elles sont en nous, mais, comme elles sont un produit d'expériences répétées, elles tiennent de la répétition, et de l'habitude qui en résulte, une sorte d'ascendant et d'autorité. Nous les sentons nous résister quand nous cherchons à nous en affranchir. Or nous ne pouvons pas ne pas regarder comme réel ce qui s'oppose à nous. Tout contribue donc à nous y faire voir la vraie réalité sociale (…)“. Émile Durkheim, Les Règles de la Méthode Sociologique, lère éd.: 1894. 1270 Es ist wohlgemerkt ein Aphorismus Nietzsches, das Putnams Argumentation auslöst (1992, S.3, 16). 1271 Nolt 2008, S.226, in Verbindung mit: „And truth here retains an antirealistic flavor, for it is a matter not of correspondence to independently existing facts, but of inquiry’s exhaustion of possibilities for conformation“. 1272 Reichenbach 1983, II, §§ 13-15. p.e. Lambert hat eine reduktive Methode der Projektion entwickelt, gleichwohl trifft es zu, dass Projektion von ihrem Wesen her dual und nicht reduktiv ist.

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zutrifft1273) –, sondern zunächst darin, die natürliche Verschiebung zu ­erklären (die freilich auch nicht bloße Grammatik ist): in verkürzter Ausdrucksweise, der gesetzliche – normative und dabei gewiss unscheinbare – Übergang von der Eigenschaft („is“) zum Prädikat des Trägers („says“), und ihre Domination, son régime, verhält sich konträr. Es ist, mithin, an und für sich nichts Undeutliches, Opaques oder gar Konfuses im Begriff wahr, so dass ein Begeben nicht ansteht, indem „[according to Tarski, we should have to] abandon the idea that we have a unitary notion of truth“1274. Auch ist nicht erst sein Formalismus – als Definition – notwendig, um die bestimmte Doppelseitigkeit des Begriffs respektive Ausdrucks einzusehen: das Verhältnis Objekt-/Metasprache drückt nur eine bestimmte Analogie zur Definitheit des Ausdrucks aus, nicht (wie sie vorgibt) ihre Manifestation. Abgesehen von einem internen Realisten wie Putnam1275 wird sich auch ein Vertreter der Sprachanalyse, die semantische Theorie generell, gegen dieses ‚natürliche‘ Bewusstsein und seine theoretische Zugänglichkeit sträuben. Der Nachweis steht in diesem Kontext noch aus, der Leser ist aber bereits in Kenntnis, welches Prinzip einzusetzen ist, das diese Zugänglichkeit gestattet und tatsächlich verlangt, zudem die Koinzidenz mit dem wissenschaftlichen Bewusstsein ermöglicht, von der angenommen wurde, dass sie die eigentliche Evaluierung von Wahrheit leistet1276. Schon jetzt, bevor diese Lösung offeriert wird, ist aber gewiss, dass originäres Wahrheitsbewusstsein, sobald es aus der (unsprachlichen) Immanenz des Einzelbewusstseins heraus in die Achse – mehr, Polarität – zwischen Referentiabilität und Rechtfertigung eintritt, seine inhärenten Orientierungen

1273 Wir referieren zum leichteren Verständnis für die letztere das Beispiel der Beziehung einer Mauer aus ihren Ziegelsteinen (Reichenbach 1983, § 13). 1274 Putnam 1992, S.13. 1275 Wie bereits angerissen: „Internal realism denies that there is a fact of the matter as to which of the conceptual schemes serve us s well – the conceptual scheme of commonsense objects, with their vague identity conditions and their dispositional and counterfactual properties, or the scientific philosophical scheme of fundamental particles and their ‚aggregations‘ (that is, their mereological sums) – is ‚really true‘“ (Putnam 1992, S.96). 1276 „Wenn wir dergestalt einen Gymnasiasten oder einen erwachsenen, intelligenten Menschen ohne philosophische Übung fragen, ob er eine Aussage, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt oder einen existierenden Sachverhalt bezeichnet, als wahr ansieht, dann kann einfach gezeigt werden, dass er die Frage nicht versteht. Daher hat seine Antwort, welche sie auch sein mag, für uns keinen Wert“ (Tarski 1977, S.167). Hiermit wird die Kontraposition, die wir im Kern für überheblich halten, angegeben.

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wird deutlich auseinanderhalten müssen1277, was jener, der interne Realist, freilich sofort anerkennen wird1278 – und es ist hiermit nicht bereits ein ‚Übersprung‘ zum ‚God’s eye point of view‘ vollzogen1279. Die beiden soeben zitierten Sätze (i, ii) dürfen deshalb nicht, mit Austin, übergehen in: „‚Es ist wahr (zu sagen), dass die Katze auf der Matte ist‘“1280. In dieser Klammerung fusioniert, was das Lot des Wahrheitsbewusstseins (und freilich auch Tarskis Definition) auseinander zu halten hätte1281. Wiederum dürfte kein Zweifel bestehen, dass das Prädikat ‚ist w‘ an und für sich, von seiner Beziehung zu Sprach- und Symbolsystem her, zum Träger gehört – hier, um einen Ausdruck des Strukturalismus zu verwenden, liegt seine Markierung. Wenn aber die Reihe der Sätze einer natürlichen Sprache infinit ist1282, aus der die Bedeutung des Ausdrucks wahr abzuleiten wäre, dann geht diese Reihe an und für sich bereits durch einen indefiniten Schnitt, eine andere Verschmelzung oder Fusion hindurch (in Beziehung auf Welt die Basis des Gegenschnitts, mithin des Realismus), die, unvermeidlich, in der Objektivation durch Sprache manifest wird. Ein wesentlicher Faktor, wenn, der Unzugänglichkeit des Seins liegt daher in diesem fusionierenden Wesen der Sprache selber. Will man seine Sphären elementar, zugleich mit der systematischen Unabschließbarkeit, die sie absorbiert, auseinanderhalten, zerfällt die Beziehbarkeit einmal in jenes Moment, dem die Referentiabilität aufsitzt, und anderwärts 1277 Wofür auch „intentionale Bestimmung“ und „sachliche Bestimmtheit“ eingesetzt werden dürfen, wobei wir auf die Frage einer möglicherweise nicht-klassischen (mehrwertigen) Logik weiter unten zu sprechen kommen (Zeidler 1997, S.193). 1278 Auch wenn, ohne Bezug auf eine eigentliche Analyse des Bewusstseins, er weder dem Relativisten noch dem dem Realisten zugesteht, „[he could] stand within one’s language and outside it at the same time. In the case of realism this is not an immediate contradiction, since the whole content if Realism lies in the claim that it makes sense to think of a God’s Eye View (or, better, of a ‚View from nowhere‘)“ (Putnam 1992, S.23). 1279 Gesetzt, es gilt auch, nach der Einsetzung, ein Bewusstsein des ‚obeserver‘ von (einem) anderen zu unterscheiden, in dem oder denen sich das System of languages manifestiert (Putnam 1992, S.17-18). 1280 Austin 1977, S.227 1281 Mit dem frühen Einspruch unter 1977, § 15, S.164, wobei sich in (T’) „wenn p wahr ist“ wahr auf die Aussage bezieht, gegenüber (T’’) „wenn p der Fall ist (das heißt: wenn, was p behauptet, der Fall ist)“ – das eigentliche Bewusstsein in der Sache. 1282 Ein verbreitetes Theorem, das Autoren von W.V.O.Quine bis U.Eco einschließt, hier Guttenplan 1986, S.316-317, auf Tarski basierend (1977, S.145: „Die allgemeine Definition muß in einem gewissen Sinne die logische Konjunktion all dieser partiellen Definitionen sein“).

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in das konträre, das im Bewusstsein liegt und seine Kohärenz ausmacht, wo es, als Einbettung, in sein jeweiliges Sprachsystem übergeht und die Reichweite der zugehörigen theoretischen und epistemischen Einstellung bildet. Überdies korreliert diese Differenz mit der Nahtstelle zur mehrwertigen Logik, weil „nichterfüllte Existenzpräsuppositionen“ Unbestimmtheit hervorrufen (U.Blau)1283, die Referenzspanne, die das Bewusstsein besitzt, nicht vollständig deckungsgleich mit dem geäußerten Satz ist1284 oder aber im Satz Terme enthalten sind, deren Referenz heterogen ist (transparent und intern versus opaque und extern1285). Zusammen genommen, muss sich durch die (Haupt-)Differenz die soeben beanspruchte Polarität (als auch Basiseigenschaft klassischer Projektion) erhalten, so dass ihr diese unabschließbare Reihe zum Reflex wird. Wie bereits zu sehen war, kann dann aber die Orientierung innerhalb des ‚Realismus‘ nicht auf eine Diesseitigkeit, unbedingte Immanenz, beschränkt werden, solange die ursächliche Potenz, raison d’être versus Rationalität, grundlos verschwindet1286 (– als ob das Bewusstsein in der metaphysischen Veranlagung, in der es anderes als das Sein ist, nicht stets die Wurzel ziehen müsste, sondern im dem selbst dichtesten 1283 Kurt Walter Zeidler, Grundriß der transzendentalen Logik, 2. Aufl. Cuxhaven & Dartford 1997, S.188-189 im Rückgriff auf Untersuchungen zur dreiwertigen Logik von U.Blau. Vgl. auch die sehr präzisen Beobachtungen in dieser Hinsicht in Nolt 2008. 1284 Zeidler 1997, S.189-190. 1285 Um zu veranschaulichen: „(O) Columbus believed that Fidel Castro’s island was China. Patently, the ordinary (O) [… does not] reveal how exactly Columbus referred to what the speaker calls ‘Fidel Castro’s island.’ Thus, this term, by expressing nothing but speaker’s reference in (O), is in (O), in my terminology, propositionally opaque, and has in (O) […] external construal. On the other hand, ‘China’ has internal construal in (O) and by having a referentially cumulative semantics is propositionally transparent: it reveals one part of the proposition (i.e., truth-valued though-content) that is the accusative of Columbus’s state of believing under consideration. Other philosophers would say that in (O) whereas ‘Fidel Castro’s island occurs de re ‘China’ occurs de dicto“ (Hector-Neri Castañeda, “Thinking Semantics, Kant, and Guise Theory“, in: Henrich & Horstmann 1988, S.421-434, 424-426). 1286 Die raison d’être ist, wiederum bei p.e. Durkheim, deutlich im Sein verankert und nicht wie das ältere ens rationis bei Leibniz in der Idealität des Bewusstseins (« Le « contrât social » de Rousseau », in: Revue de Métaphysique et de Morale, tome XXV (1918), S.1-23 und 129-161. Zum Hintergrund und ens rationis: Leibniz, GP IV, S.568-569; NE II, ch. XIV §§ 26-27, in: GP V, S.140 sowie A.T. Winterbourne, „On the Metaphysics of Leibnizian Time and Space“ (1982), in: R.S. Woolhouse (ed.), Gottfried Wilhelm Leibniz. Critical Assessments, Vol III, London 1994, S.62-75.

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empirischen Gedränge a priori die treffende reelle Zahl, seinen einzigen Vektor, zur Verfügung hätte, der seine Lage beschreibt; wenn es ihn aber tatsächlich besitzt, dann gerade nicht aus bloßer Immanenz, R ­ eflexion, Abstimmung mit oder Abstammung aus sich selbst)1287. Und der epistemic access muss – in dieser irreduziblen Potenz – von vornherein eine neue Ebene aufbrechen (und nicht erst, weil es sein könnte, dass die Perfidie der modernen Gehirnforschung und Psychologie einen Probanden in den Zustand der induzierten Selbsttäuschung versetzt)1288. Auch wenn das Verhältnis zwischen Wahrscheinlichkeit und Äquivalenz, Projektion und natürlichem Aggregat, sowie Nicht- und Reduzierbarkeit nicht so distinkt gelöst werden kann1289, wie die Überlegungen Reichenbachs in Erfahrung und Prognose annehmen, schon sie dokumentierten, dass nicht nur der Realist (der hier in einer Spaltung mit dem Positivisten auftritt1290), mit einer irreduziblen Ebene zu rechnen hat, die durch die Realität gebildet wird1291. Die soeben gezeigte Doppelseitigkeit, mit der ‚wahr‘ selbst mit dem strengen semantischen, mithin isolierten Gebrauch einhergeht, und einhergehen muss, zeigt sich – abschließend – an (einer) Stelle(n), wo sie eigentlich nicht mehr auftauchen dürfte. Wenn unter den drei Elementen, der ‚Proposition‘, dem ‚Satz‘ und der ‚kognitiven Instanz‘, jeweils eine Definition für ‚wahr‘ möglich sein soll1292, geht die Unterscheidung zur Erfüllung (Tarski)1293 respektive Satisfaction1294 verloren, respektive verschwimmt (nicht zuletzt wegen der ‚Antinomie‘) das w-Definiens erneut mit seinem Definiendum (was das metasprachliche Konstrukt abzuhalten suchte). Freilich liegt dies daran, dass eine Proposition, als „nicht-sprachliche, aber doch sprachabhängige Entität“, „einen semantischen Wert“ verkörpert1295: „Die Wahrheit einer Proposition besagt einfach dies: die 1287 Was wir gegenüber der Möglichkeit ergänzen möchten, als ob zwischen dem Mereologen, der eine Menge als Begriff über Individuen als existierend annimmt, und Carnap (der den klassischen Individuenbegriff vertritt) letztlich eine Konvention als Vermittlung eintreten könnte (Putnam 1992). 1288 Volpe 2003, S.20-21 (the „super-psychologists“). 1289 Es gehört, schon vom Historischen her (Lamberts Verfahren) die Reduktion auch zur Technik und Methode der Projektion (die Möglichkeit ist also gleichfalls in ihr enthalten), dennoch drückt sie nicht ihr Wesen aus oder verhält sie sich konträr zu ihrer Bedingung. 1290 Wobei Reichenbach bei dem Realisten Stellung bezieht (1983, S.81-82). 1291 Reichenbach 1983, II, §§ 12-13. 1292 Puntel 1993, S.289. 1293 Tarski 1977, S.156-157 1294 Guttenplan 1986, S.319-324. 1295 Puntel 1993, S.284, 286.

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Eingegliedertheit in eine (nämlich in die anvisierte) Welt“1296. In diesem Fall kann das Hauptproblem der Wahrheit jedoch nicht ‚formal‘, nicht auf dem Wege einer Konstruktion gelöst werden, solange nicht auch die Methode geklärt ist, wie man dazu gelangt, bei „Annahme einer realen Welt“ das „Bestehen der Proposition“ „als Bestandteil dieser realen Welt“ feststellen und kennzeichnen zu können1297, oder wie man, in der unmittelbaren Anlehnung und Rekonstruktion Tarskis, dazu gelangt, einen Sprachkorpus F+ (mit logischen Operatoren) als „a language possessed by fixed meanings“ zu bilden1298. Umso mehr, als in der Definition Tarskis ‚wahr‘ innerhalb einer Äquivalenz auftaucht, so dass, streng genommen, der Term passiert und passieren muss (und die Beseitigung der impliziten zur expliziten Definition nicht befriedigen kann, wenn Wahrheit auf Erfülltheit in ‚p‘ zurückgehen muss)1299. „Wir wollen jede solche Äquivalenz als Äquivalenz der Form (T) bezeichnen (wobei ‚p‘ durch eine Aussage der Sprache, auf die sich das Wort ‚wahr‘ bezieht, ersetzt wird und ‚X‘ durch den Namen dieser Aussage)“1300 – erklärt der neuere Urheber und belegt den Umschlag, zugleich die Fusion, die sich hier verschleiert, weil ‚w‘ unscheinbar auf „eine Aussage“ bezogen wird. Diese Aussage steht in (T) als Form der Äquivalenz rechts. Sie müsste aber, um der metasprachlichen Formalität zu genügen, strikt links, beim gebildeten Namen oder eigens geprägten W-Träger verharren1301, was wiederum unmöglich, da Formalität und Äquivalenz miteinander im Widerstreit stehen, so dass erst eine Aufklärung über den Zugang zu ‚p‘ und den ersten Ort der Verankerung der Beziehung das Problem zu lösen vermag. Womit zugleich als gesichert gelten mag, dass die Berufung auf das Sprachsystem und seine Verinnerlichung, auf das semantische Kalkül, das bei einem Sprecher imstande ist, Argumente in der empirischen Umwelt einzusetzen, nicht hinreicht – es sei denn, es wird seinem eigentlichen Anspruch entgegengesetzt von den ersten Bedingungen seiner Referentiabilität abhängig.

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Puntel 1993, S.287. Puntel 1993, S.287. Guttenplan 1986, S.324. Guttenplan 1986, S.323. Tarki 1977, S.145. Entgegen anders lautenden Interpretationen, wir halten p für den objektsprachlichen Ausdruck und ‚X‘ für den metasprachlichen; denn „Die Definition selber und all die Äquivalenzen, die sie impliziert, müssen in der Metasprache formuliert werden. Allerdings steht das Symbol ‚p‘ in (T) für eine beliebige Aussage unserer Objektsprache“ (Tarski 1977, S.152-153).

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3. Erklärung und Definition aus der Konvertibilität A.  Restriktionen, die nötige Abhaltung. Ohne das theoretische und praktische Corpus, das Evidenz und Beweismaterial liefert (und gelegentlich in den Fußnoten beigesteuert wurde), noch weiter auszudehnen, dürfte der zurückliegende Weg und die erlangte Einsicht ausreichen, um die Konvertibilität in das Wahrheitsproblem einzuführen. Zuvor gilt es zu bedenken, dass, schon in Aristoteles angelegt, die Wahrheitsdefinition nicht mit der ontologischen Verpflichtung verwechselt werden darf1302 – es ist vom Gebrauch des Ausdrucks ‚wahr‘ nicht abhängig, ob es mereologische Entitäten gibt (Putnam)1303, ob Beobachtungssätze eine absolute oder hypothetische Behauptung einschließen oder ob sich Sinneswahrnehmung auf dem Prüfstand der Objektivität in die (vermeintliche) „Ungewissheit“ einer „privaten Welt“ verwandelt (Reichenbach)1304. Ob ein Mensch sitzt oder nicht, schon ob er ist (Aristoteles Kat. 14b), ist weder Ausdruck einer Konfession noch eines Verhältnisses, in dem Habitualisierung und das (vermeintlich isolierte) psychische Erleben eine Art von natürlicher Irreflexivität eingehen, mit der sich die individuelle Lumière – das entsprechende ­Bewusstsein – zugleich in einer Form von Allgemeinheit niederlässt und begleicht. Von der anderen Seite her ist die Anwendung des Ausdrucks ‚wahr‘ oder das Wahrheitsproblem von der nicht nur Verwechslung, sondern Verschmelzung mit dem erkenntnistheoretischen Problem freizuhalten. So sicher zu veranlagen, so eindeutig ist es nicht identisch. Darum kann die Falschheit nicht nur in einer „privatio cognitionis“ bestehen1305, denn ‚wahr‘ würde sodann zu einem Synonym für erlangte oder repräsentierte Erkenntnis. Und die Gegenbegriffe oder Contraria zu Wahrheit, als Falschheit, sind nicht absolute Privation („absoluta privatio“) oder absolute Unkenntnis („absoluta ignorantia“)1306. Wiederum, „veram namque habere ideam“, bezeichnet darum nicht („nihil aliud significat“), 1302 Hartry Fields Hauptthese, derzufolge (a) aus der wissenschaftstheoretischen, absolut verstandenen Voraussetzung die Wahrheit aller früheren Theorien fragwürdog oder nicht entscheidbar wird, (b) eine – angeblich – unüberwindliche Indeterminiertheit das linguistische Lexem, den Term, reguliert (z.B. ‚rabbit‘). Eine Bestimmung, oder wenigstens Bestimmtheit, aus dem Existenzgrund, für den Field gleichwohl mehrfach im Gegenzug zu Quine argumentiert (Truth and the Absence of Fact, Oxford 2001, S.205-206), zieht Field nicht in Betracht (ch.6-7). 1303 Wie zitiert 1992, ch.6. 1304 Reichenbach 1983, II § 9-10, S.52-58. 1305 Spinoza, Ethica, II, Prop. XXXV, Scholium, in: Spinoza Opera II, 116-117. 1306 Spinoza, Ethica, II, Prop. XXXV, Demonstratio, in: Spinoza Opera II, S.117. Womit das neuralgische Attribut, gegen das sich Putnam – als Statthalter der absoluten

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„quam perfecte, sive optime rem cognoscere“1307, denn hiermit würde erneut das Synonym bemüht und die einfache Zeugenaussage, die nur ein ‚ob etwas der Fall ist oder war‘ erfordert, zu einem verdeckten Erkenntnisproblem auf beiden Seiten. Weiter aber, und obgleich wir oben anerkannten, das Wahrheitsproblem müsse jenseits der synkategorematischen Grenze erhoben werden1308 oder damit, die Wurzel von Wahrheit mit den ‚Ideen‘ oder einer Semantik zu verklammern, die sich auch an die Begriffe wendet – der natürliche adjektivische Gebrauch ist ein unmittelbares Indiz, wenn nicht Postulat dieser Einstellung1309 –, ist es angesichts des eine wahre Vorstellung Habens nicht zutreffend, „nec sanè aliquis de hâc re dubitare potest, nisi putet, ideam quid mutum instar picturæ in tabulâ, & non modum cogitandi esse, nempe ipsum intelligere“1310. Wie auch das Scholium weiter ausführt, ist, wie schon anlässlich Putnams Wende zum internen Realismus gezeigt wurde, das Wahrheits- als Erkenntnisproblem nicht mit dem Wissen über Wahrheit identisch, somit nicht mere modo epistemico aufzulösen. Demgemäß hieß es, bevor es ein Wissen (savoir) über das Verstehen einer Sache geben kann, muss zuvor die Sache selbst verstanden sein: Ein Aushandeln, eine endgültige Differenzierung, bei der die warranty(bility) den access eliminiert, kann es nicht geben1311, oder die Orientierung muss sich als Totalität im Doppelsinne von Haftung und Liability erhalten, i.e. die Ursprünge

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Perspektive oder Konvention – sträubt, im anderen Sinne wiederkehrt (Putnam 1992, S.26, 28-29). Spinoza, Ethica, II, XLIII, scholium, Spinoza Opera II, S.124. Putnam 1992, S.102. Field 2001, S.199: “By a correspondence theory of truth, I mean a theory that says the notion of truth can be explained by appealing to the relation between words on the one hand and the objects that they are about on the other”. Außer den bereits angeführten Exempeln gelte das folgende Beispiel: „Le privilège du premier occupant, quoique plus fondé moralement que celui du plus fort, ne devient lui aussi « un vrai droit qu'après l'établissement du droit de propriété », c'est-à-dire après la constitution de l'état civil“ (Durkheim, « Le « contrât social » de Rousseau », S.27). „That truth is a property – and a property which, unlike justification, or probability on present evidence, depends on more than the present memory and experience of the speaker – is the one insight of ‘realism’ that we should not jettison“ (Putnam 1992, S.32). Spinoza, Ethica, II, Prop. XLIII, Scholium, in: Spinoza Opera II, S.124. Denn eine wahre Vorstellung haben, heisst nichts Anderes, als ein Ding vollkommen oder aufs Beste einsehen, und Niemand kann wohl hieran zweifeln, wenn er nicht glaubt, die Vorstellung sey etwas Stummes wie ein Gemälde an der Wand, nicht aber eine Art des Denkens, nämlich das Verstehen selbst (Sämmtliche Werke II, S.75). Was übrigens mit dem Tenor der Schriften Reschers zur Kohärenz übereinstimmt.

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alternieren notwendig. Auch würde, wenn „warrant“ als „property of the concept“ anzusehen ist, derzufolge sie unabhängig davon wird, „whether a majority of one’s peer’s would agree“ [to a given judgement]1312, mit dem Moment logischer ­Wahrheit korrelieren respektive sogar damit fusionieren1313, sobald beider Parallele gesetzt wird. Stattdessen müsste das Postulat umgekehrt, von der Realität her, sanktioniert werden – und erneut die Frage aufwerfen, warum, wenn die Welt weder zentrale und fundamentale, i.e. nicht umgehbare Konvention noch genuines Produkt, …„it’s just the world“1314. Wird mit der Berufung auf die Sache erneut die ontologische Verwechslung und erkenntnistheoretische Fusion berührt (wenn auch nicht vollzogen), muss das Verständnis der Erkenntnisrelation und der Äquivalenz, die sie bei Wahrheit ausmacht, eintreten, um sie abzuhalten. Da diese (als nicht logische oder dialektische) den Hauptschnitt ausmacht (als Beziehung auf Welt), kann sie nicht sprachlich sein1315. Gleichwohl beginnt es, oder er, evidentermaßen mit der kritischen Porta, die, Deduktion und ganzer theoretischer Anspruch, rechtens bezweifelte, es seien die Ideen, einem Stillleben vergleichbar, ‚etwas Stummes wie ein Gemälde auf einer Tafel‘1316. Was (wie zitiert) bereits Spinoza zurücksetzte und anzweifelte, jedoch einem Historiker wie Kondylis zufolge noch für Berkeley gilt1317, verwandelt(e) sich seitdem in das direkte Gegenteil. Um einen Begriff zu fassen, muss, so Kant, eine Verstandeshandlung eintreten, bei der und durch die ihr zugleich eine Beziehung zur Sinnlichkeit oder Anschauung gewährt wird

1312 Putnam 1992, S.22 1313 Wir vernachlässigen für den Augenblick, dass sie sich im Licht der Konvertibilität – und Veranlagung der logischen Wurzel – verändern muss. 1314 Putnam 1992, S.28. 1315 Wie Field 2001, S.205-206: „[…] there is no hope of defining this last predicate [T1 vs. T2] unless we can establish a relation between either T1 or T2 on the one hand, and x (and no object other than x) on the other“. 1316 Um freilich immer noch mit dem latenten Zirkel kämpfen zu müssen (Guyer 1992, Zeidler 1997, S.59). Spinoza erklärt seinen Gegensatz unter Ethica II, Prop. XLVIII, Scholium, in: Spinoza Opera II, S.129 („Non enim per ideas imagines, quales in fundo oculi, &, si placet, in medio cerebro formantur, sed Cogitationis conceptûs intelligo“), sowie Scholium zu Proposition XLIX (S.131-136). Hier wird das NichtAuseinanderhalten von Mentis conceptum und imago rerum, welches dazu führt, „ideas igitur, veluti picturas in tabulâ mutas, aspiciunt“, zu einem præjudicium. 1317 „Hinzu kommt, dass die Ideen an sich passiv oder inert sind, derart, dass als einzige Ursache nur der Geist in Frage kommen kann, der einfach, unteilbar, aktiv und unmittelbar wahrnehmbar ist – nicht durch die Wirkung von Ideen, sondern dank seiner Selbstbezüglichkeit (reflection)“ (Kondylis 1990, S.289).

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(wovon erst die Kategorien als reinen Verstandesbegriffe ausgenommen sind, denen allerdings, wie auch den Ideen, diese aber spielen nicht mehr im wahrheitsgebundenen Erfahrungsraum, eine eigentümliche Trägheit oder Unbeweglichkeit zukommt, i.e. sie werden nicht durch Erfahrung gebildet). Es braucht, hier wie oben, nicht diskutiert zu werden, ob der Ausdruck Handlung ein zutreffender ist1318, über das Wechselverhältnis von spontanéité und activité, das seit Leibniz ein Doppelleben in den Perzeptionen und Willenshandlungen führt1319, ist verbürgt, dass den Verstandes- – und eigentlich Bewusstseins- – -akten eine eigentümliche Beweglichkeit zukommt, und es muss das Bewusstsein gegenüber seiner Rezeptivität grundsätzlich imstande sein, sie auszulösen und zu vollziehen. Das Wesentliche an ihnen ist, dass sie eine Ordination des Bewusstseins bewirken (für Kant als theoretische nur eine einzige), die von synthetischer Aktivität zu unterscheiden ist (da sich diese auf die Wirksamkeit nur einer Fakultät beschränken kann). Ideen als (stummes) unbewegliches Etwas gibt es demnach nicht, umso mehr, als sie nicht in der ausschließlichen Grenze, sondern im konkreten Umgang mit der Welt – als Wahrheit – gefordert sind. Oder ist der Schnitt – nicht als schlechthin »cut«, sondern als Datum, unmittelbare und unaufhebbare Unterscheidung gleich differenzierbare Sektion zwischen Bewusstsein und Welt – konstitutiv1320, dann ist es auch die projektive Bedingung. Wobei es, wie

1318 Vgl. oben in Zusammenhang mit dem Schematismus und Einwänden Lenks. – „Figurative synthesis, synthesis speciosa, and self-affection are not discrete activities spread out in time but moments of a single, complex act“ (James D.Reid, „On the unity of theoretical subjectivity in Kant and Fichte“, in: Review of Metaphysics 57/Dec. (2003), S.243-277, 248-249). In Zusammenhang mit A 68/B 93, A 79/B 104-105, B128-129 und Longuenesse 2004, S.487, möge gelten, das definiens, die Verstandeshandlung, darf nicht reziprok durch sein definiendum, die Funktion, erklärt werden. 1319 „Ego vero nihil aliud ubique et per omnia pono quam quod in nostra anima in multis casibus admittimus omnes, nempe mutationes internas spontaneas, atque ita uno mentis ictu totam rerum summam exhaurio“ (Leibniz, Brief an De Volder (1705), in: GP II, S.276 (=Briefe von besonderem philosophischem Interesse, Darmstadt 1989, S.168-169). Théodicée, II, §§ 299-302, in: GP VI, S.293-296. GP IV, S.564. 1320 „But now, how could Kant claim this much and not also recognize that the body, even at the level of its simplest experiences, already naturally distinguishes itself from a world that both transcends it and yet contains it, and naturally finds a place for itself with respect to it?“(George di Giovanni, „Hume, Jacobi, and Common Sense. An Episode in the Reception of Hume in Germany at the Time of Kant“, in: Kant-Studien 89. Jg. (1998), S.44-58, 57).

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betont, weder der Quantenmechanik noch einer Metasprachenhierarchie bedarf, um endlich auch zu begreifen, dass der observer dem observatum stets inhärent ist und es infolgedessen eine (quasi) absolute Ebene gibt: (i) jene, die, Ausdruck spontaner oder unbedingter Grenze, in der Geometrie mit den uneigentlichen Punkten, Linien und Ebenen verknüpft ist1321 (denn sie liegt, Täuschung, nicht in irgendeiner irrealen Ferne außerhalb des Bewusstseins, die Äußerlichkeit ist aber dennoch akute, unbedingte Bedeutung, die infinite Erstreckung inbegriffen); und (ii) in der klassischen Philosophie jene, die unvermeidlich mit der Simultaneität von Passivität und Aktivität des Bewusstseins evolviert1322: Unbedingte Grenze, die aber nicht mit absoluter Wahrheit oder Objektivität und der Frage ihrer Zugänglichkeit zu verwechseln ist1323. Sie markiert vielmehr den notwendigen Umschlag zwischen Sphäre des Bewusstseins und inliegender, nichtidentischer Sphäre der Welt, ihrer Lebhaftig- und Gegenständlichkeit, welchen Umschlag dieses an sich selber weder für sich, noch (isoliert) gegenständlich zu machen vermag, dessen Existenz ihm aber unmittelbar immanent und einsichtig ist – unbedingt oder absolut, wie das Bewusstsein die interstitiale Differenz der jeweiligen Distanz seiner Eigenvorstellung zu jenen der Welt, der Gegenständlichkeit und dem anderen Bewusstsein begreift (denn im Rahmen von Projektion hat man nicht mehr mit einem bloßen Wechsel von abstrakten und konkreten Vorstellungen zu tun, noch dazu eröffnet die Orientierung die Ebene in der Lage zu wechseln). B.  Wahrheitsbewusstsein oder »Verstandeshandlung«. Es braucht hier keine (erneute) Herleitung des Kalküls der Fakultäten vollzogen zu werden, um die Voraussetzung zu machen, dass sein Kern in diese ‚Handlung‘ aufzulösen ist 1321 Sperner 1963, S.162, Satz 1 und Erläuterung zu L0. 1322 Bei Spinoza, p.e. Ethica, III, Prop. 1, Demonstratio: „Deinde quicquid necessariò sequitur ex ideâ, quæ in Deo est adæquata, non quatenus Mentem unius hominis tantùm, sed quatenus aliarum rerum Mentes simul cum ejusdem hominis Mente in se habet, ejus illius hominis Mens non est causa adæquata, sed partialis, ac proinde Mens quatenus ideas inadæquatas habet, quædam necessariò patitur“. (Was sodann nothwendig aus einer Vorstellung folgt, welche in Gott adäquat ist, nicht insofern er nur eines Menschen Geist, sondern insofern er die Geister anderer Dinge [den Geist anderer Menschen zu anderen Dingen] zugleich mit dem Geiste eben dieses Menschen in sich fasst, hievon ist der Geist jenes Menschen nicht adäquate, sondern theilweise Ursache, und folglich leidet der Geist nothwendig Manches, insofern er inadäquate Ideen hat [Sämmtliche Werke II, S.91]). 1323 Den eigentlich der kritischen Philosophie zukommenden Schnitt oder Abwendung transferiert Malinowski-Charles bereits in das Problem der Aestheticologie bei Baumgarten (unbedingte Perspektivität, Subjektivität; 2005, Abschnitt II).

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(wodurch sich, in bestimmten Sinne, der Schritt von der formalen zur transzendentalen Logik vollendet1324, ohne dass wir diesen Titel wegen Verwechslungsgefahr und falschen Konnotationen, insbesondere bezüglich der Basiseinstellung der Metaphysik, unmittelbar beanspruchen, die bis in die Phänomenologie Husserls hineinreichen; denn „transzendentale Vermögen“ kannte auch dieser1325, während das Ding an sich in seiner Dunkelheit und Unzugänglichkeit überwunden ist). Intellektualität oder Sensualität, zugleich jedes mögliche Wahrheitsbewusstsein, ist ohne jene nicht denkbar. Im selben Kern ist aber auch seine Rationalität verwurzelt – der Schlüssel der logischen Operatoren –, wodurch es dem Bewusstsein (i) instantan oder (ii) durch Anstrengung gelingt, seine (angeborenen und notwendigen) Fakultäten einander bei-, unter- respektive vor- und nachzuordnen, was im Wesentlichen bedeutet, einander beständig und kontinuierlich zu implizieren1326, da, als Träger der einstimmigen (nicht-konfundierten) Vorstellung, ihre gegenseitige und durchgängige Bestimmung gefordert ist. Unter dieser Voraussetzung ist die Unterscheidung des Traumes von der Fantasie, eines Erinnerungsmoments von der Vorahnung (Pro- versus Retention) und die Verwicklung des zeitlichen Knotens, denn an jeder Retention haftet ein Moment Gegenwärtigkeit wie umgekehrt, bereits im Verhältnis der Fakultäten selber – und nicht erst der spezifischen Vorstellung(en) – gewährleistet, und wird es etwa möglich, das Spektrum einer exspectatio casuum similium, das von Leibniz aufgeworfen und von Kant in die Anthropologie verwiesen wird, aufzuwerten und über eine Konklusivität unter den Vermögen, ausgehend von den originär an Erfahrung gebundenen oder in diesem Sinne -haltigen, zu erklären, ebenso wie Baumgartens im Umfeld der Begründung der Ästhetik gesetzte Behauptung, dass „presque tout ce qui est vrai [mithin auch: die ästhetische oder sinnliche Wahrheit] l’est aussi au point de vue logique“1327. Da, was das Argument dieser Behauptung ausmacht, das Bewusstsein keiner absoluten oder unbedingten Spaltung („stricte séparation“) anhängt, und es somit nicht prädeterminiert ist, die Sinnlichkeit (als sinnliche Vermögen inklusive aller Speicher- und Leistungen der Projektion – im eingeschränkt zukünftigen Sinne, praevisio, gemäß dieser Tradition und uneingeschränkt im Sinne einer 1324 Zeidler 1997, S.190. 1325 Edmund Husserl, Cartesianische Meditationen, in: Husserliana, Band XXIX, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Dordrecht 1963, S.62. 1326 Mehr, was die Beziehung Frege – Kant angeht, im Sinne des Konditionals als der Kausalität (Longuenesse 2004, S.505, conditionnalité = Bedingtheit). 1327 Malinowski-Charles 2005, S.548.

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völligen Ausbreitung auch auf die Vergangenheit –) nur dann gebrauchen zu können, wenn sie sich (i) dem Verstandesvermögen unterwirft1328, und noch weniger nur dann, wenn sie (ii) angeblich (anstatt der Mannigfaltigkeit, eines ausgebreiteten, wenn auch vielleicht indefiniten Horizonts) nur bloße Daten liefert1329 (sine ratione), womit sich die Fixierung an den Ideen auf der Gegenseite wiederholt, geht (iii) die Ebene des A priori (der ersten Maßgabe oder des unbedingten Bewusstseinsgrundes, der freilich einen Pol und nicht ein unveränderliches oder erneut fixes Zentrum verkörpert) von jeder sprachlichen oder allein begrifflichen Determination über in die Determination, die die Vermögen in- und aneinander ausüben. Hier wäre demnach die erste Differenz zwischen Realität oder Imagination, (bloße) ›Vorstellung‹ (im ausgezeichneten und logischen Sinne Freges und im Rahmen der Wahrheitsfrage) auszumachen. Es besteht nunmehr keine Restriktion, dass nicht auch die Sinnlichkeit, vertreten durch die Empfindung und Imagination, das Verstandesvermögen determiniert, bis hin in die letzte Grenze, wo die Begriffe aus ihrer Determination entstehen, im Verstandesvermögen entworfen werden und sich verknoten (mithin das Moment der absoluten inventio, selbst der idealen Projektion, Plato, preisgeben. Die überlieferte Architektur des Verhältnisses von facultas superior und inferior bedeutet infolgedessen nur eine kulturell geprägte Habitudo und insbesondere rationale Sanktionierung1330, nicht aber das effektive Ansich, wie es dem Vermögen des Bewusstseins, aufs Ganze gesehen, zukommt). Besteht in diesem wahren Substrat und zugleich Aggregat des Bewusstseins1331, 1328 Di Giovanni 1998, S.56-58; Longuenesse 2004, S.488. 1329 vgl. Einleitung zur komplexesten Bedeutung und Funktion der Sinnlichkeit, die selbst in der Charakteristik die abstraktesten Ideen begleitet (dito GP IV, S.574). Hat hiermit die Sinnlichkeit – als die komplexeste Charakteristik – an der Rationalität notwendig Anteil (Leibniz), ist anderwärts die Mannigfaltigkeit der Erscheinung unmittelbar Zeuge für den Gegensatz zum vermeintlich einzig autorisierten Datensensualismus, wahrscheinlich ein Steckenpferd der Rationalisten neuerer Prägung (zur Mannigfaltigkeit in der Beziehung auf das Kategorienbewusstsein, Zeidler 1997, S.55-56, 63). 1330 An Baumgarten bemessen, Malinowski-Charles 2005, S.541, 544, 545, 549. 1331 Im guten Sinne, freizuhalten vom Aggregatbegriff der Ungeordnetheit (als Gegenbegriff zur ‚association‘ [Durkheim, «Le « contrât social » de Rousseau», S.22, 25]) und Gegenbegriff zum unum per se (ens per aggregaionem, Leibniz, GP IV, S.547; Hans Poser, „Ens et Unum convertuntur. Zur Leibnizschen Einheit und Monade“, in: A. Lamarra (Hg.), Unità e Molteplicità nel pensiero filosofico e scientifico di Leibniz (Simposio Internazionale Roma, 3-5 ottobre 1996), Leo Olski Editore 2000, S.274-283).

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als ­logischer Kern, keine vorgängige natürliche Beschränkung (Formen einer bloßen Datierung) noch ein notwendiges Springen vom einen zum anderen (Formen einer notwendig begriff- oder aber sinnlich vorgängigen und unüberwindbaren Abstraktion), muss eigentlich, womit die Polarität kongruiert, ein Differential vorausgesetzt werden1332, so dass die Kontinuität, die insbesondere die klassische Anschauung für sich reklamiert, nicht erst mit dem Substrat einer vorgestellten Ausdehnung beginnt (extensum oder extensio, und Möglichkeiten einer physikalischen Diskontinuität in Verbindung mit dem Messvorgang respektive ihrer geometrischen Modellierung im Sub-Wahrnehmungsbereich brauchen hier nicht diskutiert respektive erhoben zu werden, da Substrat und Substantialisierung am Bewusstsein selber haften1333). Sodann besteht aber keine Schwierigkeit, den oben • a ls Lot der Wahrheitsbeziehung charakterisierten, exakt differenzierbaren Bewusstseinsschnitt, in dem die Beziehung auf Welt in der Umkehrbarkeit ihres jeweiligen Ursprungs manifest wird, als eine Determination oder Bestimmung durch Sinnlichkeit zu definieren. So wesentlich diese Konversion ist, so wesentlich wird diese Einsicht auch eine Aufwertung der Sinnlichkeit oder aber Derogation, i.e. Aufhebung der Entwertung einschließen, die sie in den letzten 200 Jahren in der Philosophie (und Mathematik, hier jedoch uneindeutig, insbesondere im Verhältnis der reinen zur analytischen Geometrie) erlitten hat1334: Komplexe Verfahren, Diagramme zu entwerfen, neuartige Kartografien für abstrakte Sachverhalte, die satellitengestützten Bewegungssysteme und generell die Visualisierung in Zusammenhang mit moderner Computertechnologie sind bereits Anzeige des Rückwegs – und eigentlich nur einer erforderlichen Bilanzierung (im Sinne des Gleichgewichts, bei dem die Abschreibungswerte nicht blind oder dogmatisch prädeterminiert werden dürfen). Um etwas als wahr er- und auch anerkennen zu können, muss demnach dieser erste, neuralgische Part des Wahrheitsbewusstseins oder der Verwendung des 1332 Wie es sich, p.e. auch in den Studien zur Aufmerksamkeit im Millisekundenbereich beweist. 1333 Poincaré, „On the Foundations of Geometry“, in: Ewald 1996, S.988-993, 1001-1002. 1334 Eminente Beispiele, ohne dies näher bewerten zu wollen, sind etwa die Lösung des Problems beim euklidischen Beweis des gleichseitigen Dreiecks durch eine Formel der logischen Polyquantifikation (Friedman 1992). Übrigens gehört auch die Mathematik, etwa in der Vermittlung realer – mehrfacher - Projektion, zu diesem Postulat.

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Ausdrucks ‚wahr‘ durch eine determinative Sinnlichkeit gebildet werden (was, als Terminus, den Widerpart zu Kants determinativem Intellectus – Unterordnung der Anschauung unter das Verstandesvermögen – darstellt). Als Realismus geht diese Auffassung durchaus mit der Möglichkeit einher, einen Urzustand des Menschen oder der Menschheit aus einem bestimmten Äquilibrium mit seiner Umwelt im Sinne Rousseaus zu erklären1335 (das, da wir die projektive Veranlagung voraussetzen, gleichwohl in sich und für die sich anschließende Evolution, in der seine soziale ‚Perfektion‘ stattfindet, wird andere Züge aufnehmen müssen). Indem dieses Bewusstsein als das zugleich komplexeste Tatsachenbewusstsein alles andere als auf punktuelle Sinnessubstrate – oder die Wahrnehmung von Einzelindividuen – festgelegt ist und die Natur des Bewusstseins keineswegs verlangt, es müsse sich hier notwendig in den ‚historischen‘, indirekten oder ‚opaquen‘ Status, die Berufung auf andere, begeben, als ob es keine komplexe, umfassende, verbindliche und gebildete Anschauung gäbe, die wiederum, aufgrund des Differentials in der Beziehung und Beziehbarkeit unter den Vermögen, ihrer (a) Kontinuität, (b) Konvertibilität, (c) Möglichkeit, dass eine abstrakte Grenze des einen mit der konkreten Fülle eines anderen zusammenwirkt, i.e. »kollabiert«, koinzidiert oder (mehr oder weniger) einheitlich zusammenstimmt, gar keine reine, bloße Anschauung ist (es sei denn durch gewollte, ›intentionale‹ Abstraktion, und hierher rührt, dass man eine Ansicht hat oder einem Gesichtspunkt unterliegt), muss die erste Implikation, sie sei FSENSUS ⇒ FINTELLECTUS, davon befreit werden1336, ausgehend von (angeblich) ‚reinen‘ Qualitäten als Grenze nur ebenso einfach sein zu dürfen, anstatt nicht auch selber den vollen Zugriff auf den logischen Kern zu besitzen. Respektive als ob die Funktion, die den logischen Kern ausmacht und die gar nicht mehr davon abhängig ist, als Einheit der transzendentalen Apperzeption zu sich ‚Ich‘ sagen zu können oder zu müssen1337, nicht auch mit dem gesamten Spektrum an Artikulation des Bewusstseins einherginge, gleichgültig ob sinnlich oder intellektuell und gleichgültig, ob selbst nach der aktualen oder fakultativen, nur möglichen Seite erwogen. Dann muss sich diese Basisrelation (und Ordination) mit zunehmender Komplexität der wahren 1335 Durkheim, Le « contrât social » de Rousseau », ch. II, ‘origine des sociétés’. 1336 F symbolisiert die Fakultät, in der Kennzeichnung steckt demnach bereits das Differential (und erste Klassifikation). Zum Problem der Symbolisierung und Einführung der Fakultäten in Verbindung mit Funktionen: I.1.A und B, sowie IV.5., Schluss. 1337 Zeidler 1997, S.55, 65 (hier „Funktion der Synthesis nach einer Regel“). Henrich 1976, S.89-90. Graham H. Bird, „The Paralogisms and Kant’s Account of Psychology“, in: Kant-Studien vol. 91 (2000), S.129-145, 143-144, conclusion.

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Tatsache potenzieren – ursprüngliche Potentialitäten verwandeln sich in miteinander verkoppelte, effektive Aktualitäten –, und auch das Bewusstsein wird, notwendig, komplex und, mit dem historischen Ausdruck, zu einer ‚ordonnance‘ (im spezifischen Sinne)1338, wenn die Ordnung unter den Fakultäten und ihren Substraten zugleich – unter auch Voraussetzung der projektiven Veranlagung, welche das gesamte gegenständliche Bewusstsein begleitet – einer Ordnung in den Sachen entspricht (eine sprachliche Korrespondenz als zugleich grammatische, Russell, ist es darum nicht1339). Was wiederum, nicht nur wegen der möglichen Subjektivität, sondern schon wegen der Variabilität dieser nunmehr Einstellung, keineswegs ein absolutes Geradehin, etwas Selbstverständliches darstellt; ohne aber, wie erläutert, im Kern mit dem Erkenntnisproblem identisch zu sein – eine Mechanik des Bewusstseins, die hier emanieren könnte, wird durch ein wahres oder Wahrheitsbewusstsein als der äquivalente Part einer wahren Aussage nicht gefordert oder impliziert. Auch ist die Unbestimmtheit, die mit Sätzen verbunden ist1340, nicht deckungsgleich mit der Unbestimmtheit des Bewusstseins aus seinen Fakultäten. Weiterhin aber, um ein Schlaglicht auf die Historie nach Kant zu werfen, ist eine Einstellung überwunden, bei der der Wahrheitsträger, als selbstständige Proposition oder schon und nur Urteil, von einer bloßen „Vorstellungsverbindung“ (Frege, ähnlich Bolzano) abhängt oder als ein „fertiges Ganzes“ und „abgeschlossenes Resultat unseres Denkens“ (Sigwart) auftritt1341: Auf diese Verbindung respektive Abschließbarkeit kommt es in ihrer Einsehbarkeit gerade an, um den Kern des theoretischen Bewusstseins und seiner Tätigkeit zu offenbaren, und die transzendentale Logik Kants, die hier ein einziges, wenn auch methodisch noch unreflektiertes Ordinationsverhältnis der Fakultäten verlangte, besitzt den wesentlichen, freilich aus der Tradition geschöpften Vorteil, da sie Vermögen und Tätigkeit – oder Substrat – immer noch in ein Wechselverhältnis setzt, anstatt nur die Leistung, den Begriff zu verlangen. Weiterhin ist, insbesondere über involvierte Erinnerungsleistungen, nicht auszuschließen, dass in der Gesamtverkettung, die stets eine instantane Implikation bleibt und fordert, auch eine Konversion stattfindet respektive das Bewusstsein 1338 Ordonnancement gemäß Longuenesse 2004, S.487. 1339 Betrand Russell, „Wahrheit und Falschheit“, in: Skirbekk 1977, S.63-72, eine Lösung der Korrespondenz, der die neuere Wahrheitstheorie zumeist kritisch begegnet (Baumann 2002, S.155-162). 1340 Die Akkolade (52) in Zeidler 1997, S.188; z.B. ‚Der Jupitermond ist größer als der Erdmond‘, ‚B.Russell hat seine siebte Frau überlebt‘. 1341 Werner Stelzner, Lothar Kreiser, Traditionelle und nichtklassische Logik, Paderborn 2004, S.116-117, 113.

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eine früher stattgefundene Konversion aufgreift, ohne die Basisbeziehung zu verändern (die, zur Orientierung, die transzendentale Kants erneut auf die Füße stellt oder den antiken Teller (als »Berechnungsgrundlage«) des Ptolemaios zurückerwirbt, den Kopernikus in die abhängige Sphaera verwandelte1342: Gemäß Gesamtvoraussetzung respektive Bedingung ist im Rahmen einer effektiven Fakultätenlehre, welche die Polarität, die Projektion und die Konvertibilität einschließt, diese historische Alternative im strengen Sinne unmöglich. Leibniz hatte im Übrigen, zur Rechtfertigung und ohne die prästabilierte Harmonie umfassen zu müssen, ebenso behauptet, es könnten distinkte Ideen, mithin solche, die dem Verstand zugänglich geworden sind, als „petite perception“ in und eigentlich unter einer aktualen Perzeption (als „sentiment“) enthalten sein, ja, gerade sie wären, durch diese Verwandlung, einer „pensée confuse“ gleichzusetzen1343). Da nun, abgesehen von Sprüngen innerhalb der Basisorientierung, die Kontinuität mit dem logischen Kern einhergeht, muss und kann die Formel determinative Sinnlichkeit von vornherein nur so verstanden werden, dass in der instantanen Verkettung als, gesetzt, parallele Verwirklichung der Vermögen und ihrer Leistungen, die wesentliche – oder zentrale – Bestimmung von den sinnlichen Vermögen ausgeht, wobei, schon wegen der Polarität oder Brennpunktbildung, freilich kein absolutes Gleichgewicht oder stete Balance in der Materialität (oder den interstitialen Distanzen) gefordert ist (letztere wiederum aber auch nicht absolut frei sind). Infolgedessen handelt es sich nicht um ein »sinnliches Bewusstsein« im gewöhnlichen Sinne, um einem Missverstand vorzubeugen

1342 Um der Kopernikalischen Revolution im Vorwort der Kritik der reinen Vernunft einen etwas gewandelten Sinn beizulegen (B XIII-XIV, XVI-XVII). Bei der „Deutlichkeit der Anschauung“, welche Kant ausdrücklich anerkannte, stellt sich im Übrigen bereits das Legitimationsproblem, warum, wenn in Deckung mit empirischer Anschauung gegeben, sie nur durch das eigene Vermögen des Bewusstseins erklärbar ist (A XVIII). 1343 „Cela n’est pas sans fondement, car les pensées confuses marquent notre imperfection, passions et dependance de l’assemblage des choses extérieures ou de la matière, au lieu que la perfection, force, empire, liberté et action de l’ame consistent principalement dans nos pensées distinctes. Cependant il ne laisse pas d’estre vray que dans le fonds les pensées confuses ne sont autre chose qu’une multitude de pensées qui sont en elles mêmes comme les distinctes, mais qui sont si petites que chacune à part n’excite pas notre attention et ne se fait point distinguer. On peut même dire qu’il y en a tout à la fois un nombre veritablement infini enveloppé dans nos sentimens“ (Leibniz, Addition à l’Explication du systeme nouveau […], in: GP IV, S.574-575).

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(bei dem das Bestimmungsmoment in seiner Verbindlichkeit freigesetzt ist oder das Bewusstsein allein seine sinnlichen Qualitäten auszuschöpfen gedenkt). Angesichts der berühmten Instanz der Variablen p, dem ‚weißen Schnee‘, von dem der definitorische Spalier auszugehen sucht, dürfte das Vorangehende sofort einleuchten, im Übrigen auch, was bislang die Faszikel des Bewusstseins genannt wurde und warum sie zustande kommt – das Bewusstsein ist (i) orientiert (im Sinne der traditionellen Impression als Richtung von der Wirklichkeit her, die nunmehr aber das gesamte Fakultätenkalkül belastet), es hat (ii) Perspektive (als Ausdruck seines wirklichen Standpunkts und als Ausdruck von Bewusstsein zu Bewusstsein bzw. im Verhältnis zueinander; denn die Wahrheitsäquivalenz lässt sich ohne nicht angemessen erläutern), und es ist hinsichtlich der Faszikel unter seinen Vermögen (iii) konklusiv (fokusbildend, um unter ihnen eine geordnete, unmittelbar koinzidente Implikationsbeziehung herzustellen, abzugrenzen von Voreinstellungen wie der inferenten und „look as“-~sowie möglichen anderen). Sodann gilt, ob (i) etwas der Fall ist1344, ob (ii) jemand als Zeuge einzutreten vermag1345, was davon abzusetzen ist, ob er (iii) (‚nur‘, wenn auch notwendig) eine Perspektive vertritt1346 oder ob (iv) eine „Historizität“ gegeben ist1347, die sogar die Basis von „standards and norms“ bildet1348, es muss das Fakultätenbewusstsein so veranlagt werden, dass die Hauptimplikation von der Sinnlichkeit, einer Verhaftung in der realen Existenz, welche die Bestimmungsleistung normiert, ausgeht. Auch ist, überdeutlich im Verhältnis zur Unbestimmtheit,

1344 Wir übergehen die Differenz zwischen starker und schwacher Negation (Zeidler 1997, S.189), da, vor der sprachlichen Leistung, Referenz zuerst aus dem Fakultätenbewusstsein zu erklären ist (vgl. Putnam 1992, S.39-40 in Anbetracht eines antireductionist metaphysical realism). 1345 P.e.: „The convictions were largely based on the testimony of witnesses who said they heard the teenagers talk of the murders […]“. In: NYT 20.August 2011 („Deal Frees ‘West Memphis Three’ in Arkansas“). 1346 Vgl. Merleau-Ponty 1945, S.414-415. 1347 „Nolim etiam Bodino prorsus assentiri contemporaneos Historicos nolenti, et vereor ne Historia post centum annos scripta audacius quam verius rumores pro veritate obtrudat“ (Leibniz, Schriften und Briefe zur Geschichte, hg. v. Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel, Hannover 2004, S.94-95. Ich möchte auch Bodin nicht ganz beipflichten, wenn er zeitgenössische Historiker ablehnt. Ich fürchte, dass hundert Jahre danach geschriebene Geschichte mehr ungeniert als wahrheitsgetreu [dem Leser] Gerüchte als Wahrheit verkaufen wird). 1348 „In one sense, the ‚historicity‘ of norms and standards is just a fact of life, but it is nonetheless necessary to have some picture of how norms and standards change“ (Putnam 1992, S.25).

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hier die Differenzspanne verankert, die der Möglichkeit nach den Satz und aktuales oder mögliches Referenzbewusstsein ausmacht1349. Wenn wiederum auch die umgekehrte Möglichkeit gegeben ist, mehr, sie das Zentrum der rationalen und insbesondere kritischen – als transzendentalen – Einstellung bildet1350, wird ein ebensolches Bewusstseinslot, eine ausgezeichnete ‚Position‘ (im Sinne der möglichen reflexiven und andersartigen, etwa durch Zweit- oder Drittpersonen vermittelten Einstellungen), nicht fehlen dürfen, welche, vor allen anderen, zwischen den beiden Hauptspektren fungiert: Kern der logischen Äquivalenz. Ist sodann der gerade Durchgang durch denselben Ausdruck der unmittelbaren Referenz- und insbesondere Wahrheitsbeziehung (inklusive unmittelbar transzendentaler Erkenntnis im Sinne Kants, um als Koinzidenz gleich Unterordnung die Einheit des Bewusstseins darzustellen und auszumachen), dann sei, • d  as Wahrheitslot jenes, in der das Bewusstsein in Forderung genommen wird (und nicht gleichermaßen umgekehrt), um Begriffe zu bilden und/oder zu beanspruchen. (Wenigstens in der räumlichen Vorstellung ist diese Position eine buchstäblich ingeniöse Gabe, mehr, als Gleichgewichtssinn und Vorsphäre auch dem ursprünglichen Tastgefühl unmittelbar verwandt, und es liegt nahe, die (i) Unbestimmtheit, (ii) Opaqueheit und (iii) wenigstens eine Form der Konfusion geradezu als eine inhärente Brechung des Lots zu erklären1351, weil eine mögliche oder tatsächliche Differenz im Verhältnis der Spektren involviert ist, unter denen sich die Fakultäten auffächern und immanent einander gegenüberstehen, schließlich im Akt der Erkenntnis versus Wahrheit koinzidieren). Sodann ist auch die Voraussetzung gewährt, die Äquivalenz einzusetzen, die mit Tarski’s Bestreben, Wahrheit unter dem formalen Anspruch transparent zu machen, mit Recht hervorgetreten ist (obgleich sie passiert und den formalen Kern verfehlt: die Nicht-Übergehbarkeit auf p und Festhaltung am Träger1352). Beide (an seinen unmittelbaren Stammleistungen, determinativer Sensus versus determinativer Intellectus, orientierten) Formen, i.e. Spektren des Bewusstseins 1349 Für den Fall der, p.e., Äußerung des Satzes ‚der Marsmond ist bewohnt‘, und es nicht genau nur einen Marsmond gibt (Zeidler 1997, S.189). 1350 Das sprachanalytische Bewusstsein ist hier gleichfalls insbesondere dann zu veranlagen, wenn offen eine interne und externe Konstruktion (construal) sowie eine opaque und transparent proposition einander gegenüberstehen ([16]), so dass auch die sprachlich manifestierte Immanenz des Bewusstseins offen deklariert wird. 1351 Wir geben unten noch eine genauere Erklärung für seine Existenz. 1352 Wie, p.e., auch bei Putnams Auslegung deutlich wird (1992, S.12-13).

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vorausgesetzt, ist unmittelbar einzusehen, dass ‚ist w’ genau diese Äquivalenz unter ihnen ­bezeichnet – insbesondere, weil es ein existentiales (nicht-logisches oder dialektisches) Wahrheitsbewusstsein nicht ohne ein Tatsachenbewusstsein gibt, seine Inklusion aber zugleich die umgekehrte (als insbesondere Satz geäußerte) Form evoziert. Was auf die folgende Weise verdeutlicht sei. C.  Zur logischen Form. Die Crux der logischen Symbolisierung eines Wahrheitsverhältnisses besteht darin, dass bislang das Argument, das im Wahrheitsträger mit dem neueren Verständnis der Funktion verbunden ist, stets nur eine einfache Variable erhält. Hierbei muss sich notwendig das Substrat vergleichgültigen, indem sein Ursprung und seine Geltung, ob der Sinnlichkeit oder vorrangig dem Verstandes- als Begriffsvermögen zugehörig, neutralisiert wird (wobei die Setzung, Stipulation oder Definition in der Sache ungültig ist). In dieser Formulierung verbirgt sich das weitere Problem, die Vermögen überhaupt gegeneinander zu dissoziieren, als ob sie nicht von Anbeginn und durchgehend in Vereinigung arbeiten und arbeiten müssten, als ob nicht gerade ihre gegenseitige, unerlässliche Durchdringung (nicht zuletzt im Sprachgebrauch) die Potenz des Bewusstseins ausmacht – mithin kommt es bei dem Substrat darauf an, den Ursprung und die Geltung seiner Prägnanz und Verhaftung im Bewusstsein aus dem eigentlich zugrundliegenden Bestimmungsverhältnis unter den Vermögen zu erklären und offenzulegen. Sodann kann es nicht gleichgültig sein, wie die Variable zu interpretieren ist, die mithin nicht mehr mit einem einfachen x oder y erfüllt ist, wie in der Literatur zur Logik überall geschieht, sei es in den Schriften, welche ihre Vorbedingungen, sei es in denen, welche die Symbolik entfalten, selber. „Dieselbe Rede scheint wahr und falsch zu sein. Ist z.B. die Rede, [1] daß einer sitzt, wahr, so muß dieselbe Rede, wenn [2] er aufgestanden ist, falsch werden. Ebenso ist es mit der Meinung: meint man wahrheitsgemäß, daß einer sitzt, so muß man es, wenn er aufgestanden ist, fälschlich verneinen, obschon man dieselbe Meinung über denselben Mann hat. […] Rede und Meinung werden nicht deshalb als für Konträres empfänglich bezeichnet, weil sie selbst ein Konträres aufnehmen, sondern deshalb, weil ein anderes von diesem Vorgang getroffen wird. Denn darum, weil das Ding ist oder nicht ist, wird auch die Rede als wahr oder falsch bezeichnet, und nicht darum, weil sie etwa selbst für Konträres empfänglich wäre. Denn Rede und Meinung wird schlechthin weder irgendwie noch durch irgendwas bewegt, und so sind sie denn für kein Konträres empfänglich, da kein passiver Vorgang in ihnen stattfindet“1353.

1353 Aristoteles, Organon I, Kategorien 4a-b (in: Philosophische Schriften 1, Darmstadt 1995, S.9).

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Die aristotelische Darlegung, Kern der Korrespondenz, sei aufgegriffen, um zu erläutern, dass wenn (1)  ∃x Fx als Darstellung einer sprachlichen Repräsentation wie [1] dient, nach den an und für sich transzendentalen Voraussetzungen Kants zu klären ist, wie beides, x und F, in ihrer Verpflichtung des Bewusstseins zu verstehen sind (womit das neunzehnte Jahrhundert, die Arbeiten von Bolzano bis Frege virulent werden). Immerhin besteht nicht nur die Möglichkeit, dass Rede und Meinung selber Konträres aufnehmen, sondern dass das Bewusstsein die bloße Vorstellung hat (so auch Frege, symbolisiert durch den Waagerechten ohne Aufstrich), ohne sich tatsächlich an eine reale Situation zu binden, in der „einer sitzt“. Da nun kein bloßes Wahrnehmungsbewusstsein gefordert ist, wenn das Bewusstsein eine Wahrheitsaussage treffen will, muss das Bewusstsein eine Form erübrigen, in der es sich auf den realen Tatbestand verpflichtet, gleichwohl in der ursprünglichen Form, in der es auf sich selbst beruhend hierzu imstande ist. Da dies, im Ursprung, kein theoretischer Satz sein kann, denn hier stünde es ihm frei, sofort den Intellectus als determinative Instanz fungieren zu lassen, insbesondere, sobald sie durch die Kohärenz übriger Sätze oder sogar eines Systems gestützt wird (in Anlehnung an Quine’s Holismus-Postulat), muss es sich um die Form handeln, in der nicht etwa (i) eine bloße Aggregation und nachfolgend (ii) reflexive Zusammenziehung unter den Vermögen stattfindet, verbunden mit einer anfänglich ‚rohen‘ Impression, sondern in der (iii) das gesamte Bewusstsein inklusive seines Verstandesvermögens über die determinierende Sinnlichkeit in Beschlag respektive Forderung genommen wird. Wobei unter der umgekehrten Voraussetzung fraglich bleibt, wie im Rahmen einer Impression, gesetzt, sie ist bloße Empfindung (wie es im Normalfall der Wahrnehmung und Äußerung des Bewusstseins nicht stattfindet, das sich vielmehr erst auf den Status einer reinen Impression hin abstrahieren muss, mithin in Gegenrichtung zum Begriff), die effektive, nicht-reflexive Verknüpfung mit dem Verstandesvermögen stattfindet, da ja auch in diesem Fall ihre Kongruenz gepaart bleibt – Wahrheitsbewusstsein kann infolgedessen nicht in Impression plus Zuschlag der reflexiven Statuierung übergehen und aufzulösen sein. Da wiederum die Symbolisierung dieses Bewusstseins, insbesondere auch in der (nicht endgültig entscheid-, i.e. auflösbaren) Hauptalternative, sie sei in der Basis Fsensus ⇒ Fintellectus versus Fintellectus ⇒ FSensus (F stehe für Fakultät schlechthin, indem nicht nur Empfindung, sondern auch Imagination und jeweils die für die Speicherung nötigen Varianten der beiden 388

Hauptachsen einzubeziehen sind), nicht mit der obigen Form (1) zu befriedigen ist, muss diese die verschiedene Leistung der Vermögen involvieren, insoweit hierdurch die Verhaftung des Bewusstseins wirksam werden soll, zudem, wie sich diese Vermögen selber, abgesehen von den Vorstellungen, ordnen, i.e. insbesondere inkludieren; denn der Vollzug verlangt konklusive Einheit und Koinzidenz (wie schon bei Kant, insoweit die Deduktion, im Ergebnis, einen einfachen Akt bezeichnet). Infolgedessen wird es notwendig, an x und F die Vermögen und ihre jeweiligen Substrate aufzuspalten, deren Kongruenz und Koinzidenz vorzubehalten, die sich logisch in der ersten, vorrangigen Position als Unterordnung und Implikation äußert – andere Möglichkeiten bestehen darin, den Vermögensverhältnissen die Alternative (∨), Koordination (∧) und strikte Disjunktion (|), sogar bestimmte Negation (¬) vorzubehalten, freilich stets in Rückbezug auf die Erläuterung der sodann bestehenden Kongruenz oder Koinzidenz unter den Vermögen –, und (wie schon früher) eine Form der Variablen einzuführen, die jeweils die mit diesen Substraten verbundenen Vorstellungen bezeichnet. Per Konvention kann dies entweder in der Form der Indexierung geschehen, mithin x, x’ und x’’, wobei x ohne Index die Ursprungsvorstellung oder den Ursprung des determinativen Verhältnisses unter den Vermögen bezeichnet, oder aber durch eigens eingeführte gesonderte Variablen wie k, l, m oder α, β, γ. Mit der zweiten Option, welche die Möglichkeit offen lässt, nach Klärung der Vermögensverhältnisse auf eine reduktive Form Fx zurückzugreifen, bei der die Variable nach ihren Vermögensverhältnissen spezifiziert ist, ergibt sich, mit der Hilfsform [FSENSUS (GIMAG)] ⇒ HINTELLECTUS, bei der F, G und H nunmehr stets als die zugehörige Funktionsvorstellung des einen Prädikats ‚sitzen‘ aufzufassen sind (mithin nicht drei verschiedene Funktionsbegriffe wie in der neueren klassischen Logik), die Alternative (2a) ∃k, l, m [Fk(Gl)] ⇒ Hm versus (2b) ∃x [Fx(Gx’)] ⇒ Hx’’. Hierbei hat (2a) den Vorrang, an k,l,m sofort auszudrücken, dass es sich nicht um eine Entität außerhalb des Bewusstseins handelt – die ja niemals ohne dessen Mitwirkung auch eine Tatsache werden kann (gleichwohl in der üblichen Symbolisierung wenigstens die stetige, irreduzible Ambiguität enthält, als ob dieses x ganz ohne Zutun des Bewusstseins bestünde) – während (2b) an x genau diese Ambiguität zum Ausdruck bringt, allerdings nunmehr klärt, wie die koinzidenten Vorstellungen von x nach der Inanspruchnahme des Bewusstseins 389

aufzufassen sind, worin zugleich die Bindung des Quantors einen expliziten Ausdruck findet. >∃x< sagt demnach, dass es jemand gibt, der tatsächlich existent ist, aber nur über die Bindung, in der dieses x an den Sensus, sodann die zugehörige Imagination (als verallgemeinernde, an die schematische bzw. gestaltbildende Tätigkeit der Einbildungskraft gebunden), schließlich das Verstandesvermögen – in einer zusammenfassenden Vorstellung, die sich mit der Aussage verknüpft – angeschlossen ist. Die Bindung des Quantors geschieht infolgedessen in einem direkten Rückgriff auf die beteiligten verschiedenen Vermögensleistungen, da die Aussage – das Wahrheitsbewusstsein – notwendig seine Ordination unter den Vermögen voraussetzt, die Instanz des Zeugen seine Grenz- oder Kardinalmanifestation. Demnach, wenn sich [Fx(Gx’)] an die Möglichkeit anschließt, eine Funktionsvorstellung in die Position des Arguments eintreten zu lassen1354, wobei dies freilich für ein Verhältnis innerhalb einer der beiden Hauptachsen der Vermögen von Natur her näher liegt, als wenn dieses Verhältnis auch über die Achsen hinausgreift (was wenigstens als Möglichkeit nicht bestritten sein soll), dann bezeichnet ⇒ Hx’’ in (2b) eine echte Implikation des Verstandesvermögens durch die konträre Hauptachse, den Sensus als Verbindung aus Empfindungs- und Einbildungsvermögen (mit ihren jeweiligen Vorstellungen als, gemäß (2b), je x’, x’’). Sodann ist (2b), als – angenommen – Synonym für (1) und „einer sitzt“, und gleichgültig ob imperial oder nicht, die weiteren Vorstellungen lassen sich aber leicht als Fusion des Prädikatbegriffs darstellen und begreifen, nur deshalb wahr, weil das Bewusstsein imstande ist, das Verstandesbewusstsein mitsamt seiner eigentümlichen Vorstellung, Begriff, durch seine Sinnlichkeit in Beschlag zu nehmen, dies heißt zu inkludieren oder, um den Ausdruck Kants aufzugreifen, dieser unterzuordnen oder zu subsumieren. Und (2b), als Erläuterung von (1), ist genau dann falsch, wenn nur >Fx(Gx’)< und nicht auch >⇒ Hx’’< oder > ¬Fx(Gx’) ∨ Hx’’