Subjekt und Welt: Zur Konzeption des Bewusstseins in Jean-Paul Sartres »L'Être et le Néant« 9783737004466, 9783847104469, 9783847004462


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Subjekt und Welt: Zur Konzeption des Bewusstseins in Jean-Paul Sartres »L'Être et le Néant«
 9783737004466, 9783847104469, 9783847004462

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Neue Studien zur Philosophie

Band 28

Begründet von Rüdiger Bubner †, Konrad Cramer † und Reiner Wiehl † Fortgeführt von Jürgen Stolzenberg, Michael Hampe und Holmer Steinfath

Svaneke Schüler

Subjekt und Welt Zur Konzeption des Bewusstseins in Jean-Paul Sartres »L’§tre et le N¦ant«

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5456 ISBN 978-3-8471-0446-9 ISBN 978-3-8470-0446-2 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0446-6 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. Ó 2015, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1. Zur Rolle des Subjekts in der Philosophie: Descartes, Kant, Fichte, Hegel, Brentano und ihre Relevanz für das sartresche Denken . . . . .

15

2. Die Entwicklung des sartreschen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Aufnahme der Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zu Sartres Husserl-, Heidegger- und Hegelrezeption . . . . . . . . 2.3 Die Aufsätze aus den dreißiger Jahren: La Transcendance de l’Êgo und L’Imaginaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 28

3. Die Konzeption des Bewusstseins in L’§tre et le N¦ant . . . . . . . . 3.1 Zur Notwendigkeit einer Konzeption des Bewusstseins . . . . . 3.2 Die Exposition von zwei Seinstypen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Struktur des Ansichseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Binnenstruktur des Bewusstseins als Fürsichsein . . . . . . . 3.4.1 Das präreflexive Cogito: nicht-thetisches versus thetisches Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Das Bewusstsein als Einheit von Zweien . . . . . . . . . . 3.4.3 Das Bewusstsein existiert ›durch sich‹ . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Die ›Anwesenheit bei sich‹ des Bewusstseins . . . . . . . . 3.5 Die Rolle des ›Nichts‹ in Sartres Konzeption des Bewusstseins . 3.5.1 Der Ausgang von der Phänomenologie: Regressive Analyse und Negatitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Das Bewusstsein als ›Einheit von Sein und Nichts‹ . . . . .

. . . . .

71 71 73 77 80

. . . . .

80 83 84 88 92

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94 106

4. Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein . . . . . . . . . . 4.1 Das Fürsichsein als Mangel an Ansich . . . . . . . . . . . . . . . .

117 117

43

6

Inhalt

4.2 Das ›Mögliche‹ des Fürsichseins und der ›Entwurf‹ . . . . . . 4.3 Das Fürsichsein als Zeitliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Erkenntnis als Beziehungstypus zwischen Fürsichsein und Ansichsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die intentionale Struktur als Bindeglied zwischen bewusstem Subjekt und Welt; zum Vorwurf des Formalismus . . . . . .

. . . . . .

124 129

. . .

134

. . .

143

5. Fürsichsein und Füranderesein: Zur Möglichkeit und Problematik der Intersubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Das Sein-für-Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die konkreten Beziehungen zum Anderen . . . . . . . . . . . . .

161 161 171 181

6. Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Juni 2012 vom Philosophischen Seminar der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angenommen wurde. Mein ausdrücklicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Cramer für die Förderung und Begleitung dieser Arbeit. Sehr herzlich danke ich Herrn Prof. Dr. Jürgen Stolzenberg für seine Betreuung und Unterstützung. Dem Evangelischen Studienwerk Villigst e.V. danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums und dem Verlag V& R unipress sowie den Herausgebern der Reihe Neue Studien zur Philosophie für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe. Göttingen, im März 2015 Svaneke Schüler

Einleitung

Das Subjekt und sein Verhältnis zur Welt ist ein Grundthema der Philosophie. Die Frage, wie dieses Verhältnis angemessen beschrieben werden kann, wird durch die philosophische Diskussion seit der Antike vorbereitet und erfährt in der Neuzeit durch Ren¦ Descartes’ cogito, ergo sum1 einen entscheidenden Wandel. Dieser ist als ›subjekttheoretisch‹ zu bezeichnen, da das Subjekt in den Mittelpunkt der Untersuchungen rückt. Die Folgen dieses Wandels bestimmen die philosophischen Positionen bis in das 20. Jahrhundert hinein. Die Fähigkeit des Subjekts, etwas über einen Gegenstand in der Welt und damit außerhalb seiner Subjektivität auszusagen und somit im weiteren Sinne von ›Wissen über die Welt‹ oder gar ›Erkenntnis der Welt‹ zu sprechen, legt nahe, ebendiese Fähigkeit genauer zu untersuchen. Im Anschluss ließen sich Antworten auf die Fragen geben, inwiefern eine Beziehung zwischen Subjekt und Welt, die wir mit dem Gebrauch der oben genannten Termini implizit und explizit unterstellen, möglich ist, wodurch sie ermöglicht wird und welcher Art diese Beziehung sein kann. Das menschliche Bewusstsein gilt subjekttheoretischen Positionen als Grundbedingung dafür, dass dem bewussten Subjekt innerweltliche Gegenstände ›begegnen‹ können und dieses wie auch immer hinsichtlich ihres Wahrheitswertes zu bestimmende ›Kenntnisse‹ von der Welt haben kann. Die Untersuchung der Struktur des Bewusstseins ist demnach entscheidend für die Beantwortung der Frage, wie eine Beziehung des Subjektes auf die Welt gedacht werden muss und was sie zu leisten hat, damit das bewusste Subjekt und sein Verhältnis zur Welt angemessen beschrieben werden können. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Konzeption des Bewusstseins, wie sie in Jean-Paul Sartres erstem Hauptwerk L’§tre et le N¦ant2 von 1943 exponiert 1 Ren¦ Descartes: Discours de la m¦thode [EA 1637 in Leyden], zitiert nach: französischdeutsche Ausgabe, Meiner, Hamburg 1990, 55. [Descartes, Discours]. 2 Jean-Paul Sartre: L’§tre et le N¦ant. Essai d’ontologie ph¦nom¦nologique, zitiert nach: Ausgabe Gallimard, Paris 1998. Die angegebenen Seitenzahlen folgen der Originalpaginierung der Erstausgabe von 1943. [EN].

10

Einleitung

wird. Entwickelt wird diese Konzeption seit Mitte der 1930er Jahre, so dass insbesondere die sartreschen Aufsätze La Transcendance de l’Êgo3 (1936) und L’Imaginaire4 (1940) bereits entscheidende Thesen formulieren, die dem Hauptteil dieser Arbeit vorangestellt werden. Die Notwendigkeit einer Konzeption des Bewusstseins ergibt sich für Sartre in erster Linie aus dem Bestreben, mit Hilfe der Phänomenologie als Methode dem bewussten Subjekt einen ›Zugang‹ zur Welt zu ›eröffnen‹5, in welchem sowohl das Phänomen als auch das bewusste Subjekt in ihrem Sein ontologisch begründet werden können. Dies meint der Untertitel zu L’§tre et le N¦ant: ›Essai d’ontologie ph¦nom¦nologique‹. Darüber hinaus ist Sartre mit der Problematik einer adäquaten Explikation einer Theorie des Bewusstseins, die den Sachverhalt des Selbstbewusstseins kohärent vorzustellen hat, vertraut. Daher beginnt L’§tre et le N¦ant mit folgenden Thesen aus den oben genannten Aufsätzen: Die Hauptthese im Anschluss an La Transcendance de l’Êgo stellt die Notwendigkeit der Annahme eines unmittelbaren Selbstbewusstseins vor jeglicher Reflexion, eines ›präreflexiven Cogito‹, zur Explikation des Sachverhaltes ›Selbstbewusstsein‹ vor. Die Hauptthese im Anschluss an den Aufsatz L’Imaginaire exponiert die Notwendigkeit einer Konzeption des ›Nichts‹ und ihre Einbettung in die Binnenstruktur des Bewusstseins. Die erste These gründet in der Einsicht in die Unzulänglichkeit der Reflexionstheorie hinsichtlich einer adäquaten Beschreibung des Sachverhaltes ›Selbstbewusstsein‹ und dem daraus resultierenden Bestreben, diesen Unzulänglichkeiten zu entgehen. Die Reflexionstheorie vermag den Sachverhalt ›Selbstbewusstsein‹ deshalb nur unzureichend zu explizieren, da sie ›Bewusstsein‹ als ›Kenntnisnahme‹ oder ›Erkenntnis‹ von etwas versteht und diese ›paarige‹6 Struktur von ›Subjekt‹ und ›Objekt‹ der Erkenntnis auch für die Erklärung des Sachverhaltes ›Selbstbewusstsein‹ in Anschlag bringt. ›Selbstbewusstsein‹ wird verstanden als ›Bewusstsein von Bewusstsein‹, so dass ein jeweiliges Bewusstsein durch das Bewusstsein von sich ›Kenntnis‹ von sich als ›dieses Bewusstsein seiend‹ erhielte. Letztgenanntes kann das Reflexionsmodell von Bewusstsein jedoch gerade nicht 3 Jean-Paul Sartre: La Transcendance de L’Êgo, zitiert nach: Ausgabe Vrin, Paris 1981. [TE]. 4 Jean-Paul Sartre: L’Imaginaire, Psychologie ph¦nom¦nologique de l’imagination, zitiert nach: Ausgabe Gallimard, Paris 1967. [Iaire]. 5 Der Terminus ›Zugang eröffnen‹ ist meines Erachtens von Klaus Hartmann in die deutschsprachige Sartreliteratur eingeführt worden. Da er sich hinsichtlich des sartreschen Gesamtunternehmens in L’§tre et le N¦ant als ausgesprochen treffend erweist, begründet dies seine Verwendung an dieser und späteren Stellen dieser Arbeit. Vgl. Klaus Hartmann: Grundzüge der Ontologie Sartres in ihrem Verhältnis zu Hegels Logik, Berlin 1963, 6. [Hartmann 1963]. 6 EN, 19.

Einleitung

11

leisten. Denn, da im Falle des ›Selbstbewusstseins‹ Subjekt und Objekt dieser ›paarigen‹ Relation identisch sind, müsste das Bewusstsein in der ›Kenntnisnahme von sich‹ sich selbst zugleich auch als dieses ›Kenntnis von sich nehmende‹ vergegenwärtigen. ›Selbstbewusstsein‹ als ›Bewusstsein des Vorliegens von Bewusstsein von sich‹ ließe sich folglich lediglich zirkulär bestimmen. ›Selbstbewusstsein‹ als ›Bewusstsein von sich als dieses Bewusstsein von sich‹ vermag das Reflexionsmodell nicht zu erklären, es sei denn, es supponierte ein weiteres Bewusstsein, das das Bewusstsein von sich als dieses Kenntnis von sich nehmende Bewusstsein vergegenwärtigte. Es ist offensichtlich, dass dieser Ansatz keine adäquate Beschreibung des Sachverhaltes ›Selbstbewusstsein‹ bieten kann. Ein solches Verfahren mündete in einen infiniten Regress. Sartres These von der notwendigen Annahme eines ›präreflexiven Cogito‹ zur Explikation des Sachverhaltes ›Selbstbewusstsein‹, d.i. einer ursprünglichen Vertrautheit des Bewusstseins mit sich vor und als Bedingung jeglicher Reflexion, sucht dem geschilderten Unvermögen zu begegnen. Sie wird zu der zentralen These in L’§tre et le N¦ant. Die zweite These, d.i. die der Notwendigkeit der Einbettung des ›Nichts‹ in die Binnenstruktur des Bewusstseins, ergibt sich für Sartre zunächst aus der Analyse des imaginierenden Bewusstseins in dem Aufsatz L’Imaginaire. Sie zeigt, dass ein solches Bewusstsein von Gegebenem abstrahieren und Bewusstsein von etwas sein können muss, das nicht, noch nicht oder nicht mehr existiert. Das ›Nichts‹ wird hier als Gegenpol des ›Seins als faktisch Gegebenes‹ verstanden. In diesem Zusammenhang findet sich bereits ein Verweis auf die Freiheit des Bewusstseins, sich als Imaginierendes auf etwas jenseits des Gegebenen entwerfen zu können. Diese These der notwendigen Einbettung des ›Nichts‹ in die Binnenstruktur des Bewusstseins findet sich in L’§tre et le N¦ant auf das Engste mit der Annahme eines präreflexiven Cogito verbunden. Diese These gewinnt insbesondere dort an Bedeutsamkeit, wo die Exposition des präreflexiven Cogito die unmittelbare Vertrautheit mit sich vor jeglicher Reflexion und als Bedingung jeglicher Reflexion auf sich behauptet: In der unmittelbaren Vertrautheit mit sich auf der Ebene des präreflexiven Cogito trennt das Bewusstsein ›nichts‹ von sich. Es ist unmittelbar bei sich anwesend. Der Abstand, den der Ausdruck der ›Anwesenheit bei‹ impliziert, ist Ausdruck dieses ›nichtenden Nichts‹, das das Bewusstsein in seiner präreflexiven Spielart von sich trennt. Es dient in der Folge als theoretische Basis dafür, dass das Sein des Bewusstseins als ›Für-sich-Sein‹ im Unterschied zu dem ›An-sich-Sein‹ innerweltlicher Gegenstände, die in Koinzidenz mit sich existieren, vorgestellt werden kann. Das Bewusstsein wird als Einheit von Cogito und präreflexivem Cogito vorgestellt. Die Fähigkeit des Bewusstseins, zu negieren und zu imaginieren, wird aus der Einbeziehung des ›Nichts‹ in die Struktur des präreflexiven Cogito abgeleitet.

12

Einleitung

Der Argumentationsgang dieser Arbeit und die Herausarbeitung der zentralen Thesen zur Kohärenz und Adäquatheit der sartreschen Bewusstseinskonzeption beginnt mit dieser Exposition der Struktur des präreflexiven Cogito als ›unmittelbare Vertrautheit mit sich‹, d.i. als ›Anwesenheit bei sich‹ [pr¦sence — soi7], die eine notwendige Distanz von sich zu sich impliziere. In seinem Verlauf werden, über die innere Kohärenz und Adäquatheit dieser Konzeption hinaus, sowohl die Frage nach ihrer tatsächlichen Vermeidung von Zirkel- und Regressproblematiken als auch die nach der Möglichkeit und Sinnfälligkeit von ›Erkenntnis‹, die sich als ›Beziehungstypus‹ zwischen bewusstem Subjekt, dem Fürsichsein, und innerweltlichen Gegenständen, dem Ansichsein, erweisen soll, sowie die Konzeption der Intersubjektivität, des FürAndere-Seins, unter eingehender Untersuchung von Formalismus- und Solipsismusvorwürfen diskutiert. Der Betrachtung der Konzeption der Intersubjektivität kommt dabei sowohl ontologische als auch systematische Bedeutung innerhalb Sartres Versuch einer phänomenologischen Ontologie zu. Denn, wenn der Versuch unternommen wird, die konkreten Bezüge zwischen Subjekt und Welt zu erfassen und zu begründen, muss dies konsequenterweise neben einer Explikation der »Leiblichkeit« als Beziehung des Fürsichseins zu seinem Körper auch die der Intersubjektivität einschließen, um sich in diesem Versuch nicht auf die ›gegenständliche Welt‹ zu beschränken und eine in diesem Sinne unvollständige und leicht anzugreifende Theorie vorzulegen. Die von Sartre explizierte vollständige Disjunktion der Entitäten in Fürsichsein einerseits und Ansichsein andererseits führt dazu, dass sich die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Subjekt und Subjekt oder zwischen Fürsichsein und Fürsichsein systemimmanent problematisch gestalten muss. Inwiefern dies Auswirkungen auf die Möglichkeit von Intersubjektivität unter den sartreschen Prämissen hat, ist hier herauszuarbeiten. Dabei wird sich zum einen zeigen, dass es der sartreschen Bewusstseinskonzeption nicht gelingt, die erwähnten Zirkel- und Regressproblematiken begründet abzuwehren. Die Konzeption des ›präreflexiven Cogito‹ als ›Anwesenheit bei sich‹ lässt dieses ›präreflexive Cogito‹ seiner internen Struktur nach, die die ›Anwesenheit bei sich‹ als ›paarige‹ Relation vorstellt, vielmehr wiederum als Cogito erscheinen. Diese Tatsache legitimiert jedoch die Wahl der Begrifflichkeit des ›präreflexiven Cogito‹. Zum anderen wird sich erweisen, dass weder die sartresche Konzeption der Erkenntnis noch die der Intersubjektivität, die ihre theoretische Basis jeweils in dem unmittelbaren Selbstbewusstsein des ›präreflexiven Cogito‹ finden, den

7 EN, 113.

Einleitung

13

Vorwürfen, einen subjekt- respektive bewusstseinstheoretischen Formalismus und Solipsismus zu begründen, theoretisch fundiert begegnen können. So ist die von Sartre exponierte Konzeption des Bewusstseins als Fürsichsein schließlich dennoch anhand ihrer Explikation des Sachverhaltes ›Selbstbewusstsein‹ und der Möglichkeit menschlicher Erkenntnis seiner selbst und der Welt sowie der Exposition der Möglichkeit von Intersubjektivität an Sartres eigenem Anspruch zu messen. Abschließend wird daher zu beurteilen sein, inwiefern das sartresche Denken auf der Stufe seines Hauptwerkes L’§tre et le N¦ant aus dem Jahr 1943 zur Diskussion subjekttheoretischer Positionen der philosophischen Gegenwart beiträgt. Da sich Sartres Theorie des Bewusstseins in L’§tre et le N¦ant als überaus voraussetzungsreich erweist, sei ihrer Darstellung und Erörterung in dieser Arbeit ein – allerdings sehr kursorischer – Blick auf die philosophiehistorische Entwicklung subjekttheoretischer Positionen sowie ein Kapitel zur Entwicklung des sartreschen Denkens vorangestellt. Letzteres beginnt mit der Aufnahme der Phänomenologie und beleuchtet die für die Thematik dieser Arbeit wesentlichen Aspekte der sartreschen Husserl-, Heidegger- und Hegelrezeption.

1.

Zur Rolle des Subjekts in der Philosophie: Descartes, Kant, Fichte, Hegel, Brentano und ihre Relevanz für das sartresche Denken

Subjekttheoretische Positionen blicken auf eine philosophische Vorgeschichte zurück, die von der Antike bis in die Neuzeit reicht. Aristoteles bestimmt das Subjekt zunächst durch sein »Sein« bei den Dingen außerhalb seiner8. So wird es als Subjekt primär von der Welt bestimmt und erst sekundär durch sich als etwas, das die Welt auf eine bestimmte Weise erfasst und Kenntnisse von der Welt haben kann. Es hat Teil an der Welt, indem es innerweltliche Gegenstände schaut, subjekttheoretisch gefasst: indem es Bewusstsein von innerweltlichen Gegenständen hat9. Auf die geistesgeschichtliche Entwicklung, die sich über das mittelalterliche Denken und den Nominalismus bis in die frühe Neuzeit vollzieht und u. a. mit dem Denken Thomas von Aquins und Wilhelm von Ockhams verbunden wird und an deren Ende Ren¦ Descartes zugleich als Begründer subjekttheoretischer Positionen steht, soll an dieser Stelle lediglich hingewiesen werden. Für das Verständnis der sartreschen Konzeption des Bewusstseins ist es bedeutsamer, einen Überblick über die subjekttheoretischen Positionen zu geben, die Sartre durch sein Philosophiestudium bekannt sind und die sein Denken entschieden beeinflussen. Da in diesem Zusammenhang in erster Linie die Positionen Martin 8 Vgl. hier und in der folgenden Anmerkung: Aristoteles: Metaphysik, I 2, 982 b 7ff., Frankfurt 1960 [Metaphysik] und Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode, Frankfurt/M. 1965, 118 [Gadamer 1965], sowie Manfredo Araffljo de Oliveira: Subjektivität und Vermittlung. Studien zur Entwicklung des transzendentalen Denkens bei I. Kant, E. Husserl und H. Wagner, München 1973, 13ff. [Oliveira 1973]. 9 Nach Aristoteles handelt es sich bei dieser Schau um die »epist¦me theoretik¦« als Wissen von den Dingen, das sich auf ihre Gründe und Ursachen bezieht und über das beschränkte Wissen über Einzeldinge oder Teilbereiche von Dingen der »t¦chne« hinausgeht (vgl. Metaphysik, ebd.). Das Subjekt befindet sich in dem weltlichen Gesamtzusammenhang, über den es sich ›schauend‹ und ›denkend‹ erhebt im Unterschied zu subjekttheoretischen Positionen, in denen das bewusste Subjekt der Welt ›gegenübersteht‹, indem es Bewusstsein von der Welt außerhalb seiner hat. Der aristotelische Ansatz expliziert dennoch, dass die Welt auf das Subjekt bezogen wird und dieses Kenntnisse über sie erlangen kann, welches dem Vermögen der Vernunft zugeschrieben wird. Insofern blendet dieser Ansatz eine Untersuchung des menschlichen Bewusstseins keinesfalls aus.

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Zur Rolle des Subjekts in der Philosophie

Heideggers und Edmund Husserls, welcher seinerseits unter dem Einfluss seines Lehrers Franz Brentano steht, zu nennen sind, wird ein solcher Überblick die Rolle des Subjektes in der Philosophie unter Berücksichtigung der Autoren Descartes, Kant, Fichte, Hegel und Brentano umfassen. Vor diesem Hintergrund ist sowohl Sartres Husserl- und Heideggerrezeption als auch die Explikation seiner Theorie des Bewusstseins zu verstehen. Ren¦ Descartes rückt das Subjekt in den Mittelpunkt seines Denkens, verbunden mit der Frage, ob es dem Subjekt möglich ist, wahre und gewisse Erkenntnisse über die Dinge außerhalb seiner zu erlangen. Im Rahmen seines methodischen Zweifels findet er durch die Selbstgewissheit des Subjekts, dem »Ich«, letztendlich den Grund für die Evidenz aller möglichen Erkenntnisse10. Durch diese Exposition wird über das Bewusstsein der Dinge außerhalb des Subjekts das Bewusstsein seiner selbst als Subjekt, das Bewusstsein innerweltlicher Dinge außerhalb seiner hat, thematisiert. Im Selbstbewusstsein des Subjekts als Selbstgewissheit des Ich, das sich seiner selbst bewusst ist, liegt die erste Evidenz, die dem Zweifel Einhalt gebietet. Begriff und Struktur des Selbstbewusstseins werden über die Funktion des Selbstbewusstseins hinaus nicht eigens exponiert, so dass Descartes sich auch noch nicht mit Problemen, die die von ihm unterstellte Struktur des Selbstbewusstseins bei näherer Untersuchung aufweist, konfrontiert sieht. Immanuel Kant hat die von Descartes unterstellte und von Leibniz und Locke ebenfalls aufgegriffene Funktion des Selbstbewusstseins als Begründung der Möglichkeit von Erkenntnis u. a. durch die These: »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können«11 formuliert. Im ›Ich‹ als Akt des Selbstbewusstseins verstanden wendet sich das Subjekt in der Weise auf sich 10 Vgl. Ren¦ Descartes: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, zitiert nach: Ausgabe Meiner, Hamburg 1994, dort den Gedankengang der Zweiten und Vierten Meditation. [Descartes, Meditationen]. 11 Vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131ff., Stuttgart, 1993, [KdrV]. Hier ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass Kant in seinen Ausführungen zu dem Sachverhalt des Selbstbewusstseins in oben genannter Textstelle die Möglichkeit der Existenz von Vorstellungen im Subjekt, die nicht von dem »Ich denke« begleitet werden, nicht explizit ausschließt. Sie wären jedoch »unbewusste Vorstellungen« und in dem Sinne »für mich nichts«, d.i. für das Subjekt nichts, da sie ihm nicht durch Bewusstsein zugänglich wären. Eine wie auch immer im Übrigen bestimmte Entität, die jedoch lediglich »unbewusste Vorstellungen« »besäße«, die eben nicht von einem »Ich denke« begleitet würden, wäre laut Kant jedoch kein Ich, da es sich nicht nur keiner Vorstellung, sondern sich auch nicht als Träger von Vorstellungen bewusst wäre. Denn einer solchen Entität ist laut Kant kein Bewusstsein des eigenen Subjektseins und mithin kein Selbstbewusstsein zuzuschreiben. Vgl. dazu auch: Konrad Cramer: Über Kants Satz: Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können, in: Theorie der Subjektivität, Dieter Henrich zum 60. Geburtstag, Hrsg.: K. Cramer, H.-F. Fulda, R.-P. Horstmann, U. Potthast, 1. Aufl., Frankfurt/M. 1987, 167–202, 195ff. [Cramer, Über Kants Satz].

Zur Rolle des Subjekts in der Philosophie

17

selbst zurück, dass es »eine stetige Einheit mit sich gewahrt«12, die auch besteht, wenn sich das Subjekt innerweltlichen Gegenständen zuwendet und Bewusstsein von ihnen hat. Das heißt, das Bewusstsein ist sich seiner selbst bewusst, dass es Bewusstsein von innerweltlichen Gegenständen hat, die es als von sich unterschieden denkt13. Um aber etwas von sich als etwas von sich Unterschiedenes erfassen zu können, muss das Subjekt sich seiner selbst bereits gewiss sein. Diese Auffassung von Selbstbewusstsein, das sich seiner selbst gewiss wird, indem es sich auf sich selbst zurückwendet, so dass es von den innerweltlichen Gegenständen absieht und sich selbst als seinen Gegenstand setzt, impliziert, dass sich das Selbstbewusstsein seiner selbst bereits als Rückwendung auf sich selbst bewusst sein muss. Selbstbewusstsein kann folglich nicht erst durch diese Rückwendung auf sich zustande kommen. Dieser Zirkel, der sich in den von Descartes bis Kant unterstellten Strukturen des Selbstbewusstseins verbirgt, entsteht aus der Interpretation des Phänomens ›Selbstbewusstsein‹ als Reflexion. Reflexion definiert sich als wissende Beziehung zweier Relata, die im Falle des Selbstbewusstseins miteinander identisch sind. Das Selbstbewusstsein, das seinen Ausdruck in dem Begriff ›Ich‹ findet und diese Reflexion vollziehen soll, kann sich seiner selbst jedoch nicht erst durch diesen Vollzug gewiss werden. Denn das ›Ich‹, das bereits Ausdruck von Selbstbewusstsein ist, löst diese Reflexion erst aus. Wäre dasjenige, das sich reflexiv auf sich bezieht, noch kein ›Ich‹, könnte es auch durch diesen Akt nicht zu einem solchen werden, da es durch eine bloße Rückwendung auf sich sich selbst nichts hinzufügt, was es nicht bereits vor dem Vollzug der Reflexion auszeichnet. Kant erkennt diese Tatsache und bezieht sie im Rahmen seiner Kritik an Descartes zunächst auf Aussagen über die Bestimmung des Subjekts als Objekt der Erkenntnis14. Er stellt folgerichtig heraus, dass das Subjekt, das er als Subjekt der Kategorien exponiert, nicht dadurch einen Begriff von sich als Objekt der Kategorien bekommen kann, dass es diese denkt. Dieses setze vielmehr bereits ein Selbstbewusstsein voraus, das durch das »Sich-als-Objekt-denken« nicht erklärt werden kann15. So gelingt es Kant zwar, den Zirkel der Reflexionstheorie 12 Dieter Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht, in: Subjektivität und Metaphysik, Festschrift für Wolfgang Cramer, Hrsg.: Dieter Henrich und Hans Wagner, Frankfurt/M. 1966, 188–232, 192. [Henrich, Fichtes Einsicht]. 13 KdrV, B409–410. 14 »Also ist durch die Analysis des Bewußtseins meiner selbst im Denken überhaupt in Ansehung der Erkenntnis meiner selbst als Objekts nicht das mindeste gewonnen.« KdrV, B409. 15 »Das Subjekt der Kategorien kann also dadurch, daß es diese denkt, nicht von sich selbst als einem Objekt der Kategorien einen Begriff bekommen; denn, um diese zu denken, muß es sein reines Selbstbewußtsein, welches doch hat erklärt werden sollen, zum Grunde legen.« KdrV, B422. Vgl. dazu auch: Konrad Cramer : Erlebnis, in: Stuttgarter Hegeltage, Hegelstudien Beiheft XI, Hrsg.: Hans-Georg Gadamer, Stuttgart 1970; 537–603, 567f. [Cramer, Erlebnis].

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Zur Rolle des Subjekts in der Philosophie

des Selbstbewusstseins aufzudecken, er sieht sich jedoch explizit außerstande, ihn theoretisch zu unterlaufen16. Mit der Theorie des Selbstbewusstseins als Reflexion ist noch eine weitere Problematik verbunden, die in dem oben Erläuterten bereits angedeutet wird: Das Subjekt, das sich reflexiv auf sich zurückwendet, muss sich bereits seiner selbst gewiss sein, um wissen zu können, dass es sich auf sich selbst zurückwendet und sich nicht einem anderen zuwendet. Hätte es diese Gewissheit nicht, müsste auf eine dritte Instanz zurückgegriffen werden, die ihm diese Gewissheit vermittelte, da sie eben nicht durch den bloßen Vollzug der Reflexion zu gewinnen ist. Diese notwendige Forderung einer weiteren Instanz, die dem Selbstbewusstsein als Reflexion die Identität mit sich vermittelte, müsste sich dieser Identität wiederum bewusst sein. So ist die Frage zu stellen, wie diese dritte Instanz ihrerseits zu denken sei und ob ihr nicht wiederum eine vierte vorausgehen müsse. Diese Problematik wird als ›regressus ad infinitum‹ der Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins bezeichnet. Johann Gottlieb Fichte hat die angesprochene Problematik einer Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins nicht zuletzt durch seine Kantrezeption erkannt und in seiner Wissenschaftslehre von 1794 und 1801 als Kritik an Kants Überzeugung von der Unvermeidbarkeit eines Zirkels bei der Erklärung des Sachverhaltes Selbstbewusstsein zu umgehen versucht, indem er das »Ich als das sich selbst Setzende«17 versteht, wodurch eine Unmittelbarkeit ausgedrückt werden soll, da das Subjekt, das setzt, mit dem Objekt, das gesetzt wird, identisch ist. Der Zirkel der Reflexionstheorie soll damit unterlaufen werden, dass das »Ich« mit dem Setzen entsteht18. Die Frage nach demjenigen, das dieses Setzen initiiert, veranlasst Fichte in seiner Wissenschaftslehre von 1801 Selbstbewusstsein als »Tätigkeit« zu beschreiben, »der ein Auge eingesetzt ist«19. Das Zustandspassiv soll die Unmittelbarkeit dieser Selbstgewissheit der Tat verdeutlichen. Ob und inwiefern es Fichte mit dieser hier nur angedeuteten Konzeption gelingt, Zirkel und Regress in der Erklärung des Sachverhaltes »Selbstbewusstsein« tatsächlich zu vermeiden, kann nicht Thema dieses kursorischen Überblicks sein. Festzuhalten ist jedoch Fichtes Einsicht in die Mängel der Reflexionstheorie, angewandt auf die Struktur des Selbstbewusstseins, so dass er mit dieser Er16 Vgl. KdrV B422. 17 Johann Gottlieb Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, in: Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, Hrsg.: Manfred Frank, Frankfurt/M. 1991, 14–25, 16. [Fichte, VDW]. 18 Vgl. dazu auch: Henrich, Fichtes Einsicht, 199ff. 19 Zitiert nach: Henrich, Fichtes Einsicht, 206. Siehe dazu auch insbesondere §§9, 18, 33 in: Johann Gottlieb Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801, in: Sämtliche Werke 2. Band, Berlin 1971.

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kenntnis und dem Anliegen, die Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins zu umgehen, am Beginn einer weiteren Epoche in der Entwicklung subjekttheoretischer Positionen steht. Sie machen das Selbstbewusstsein zu ihrem ausgezeichneten Thema. Ihre Zielsetzung ist zunächst nicht, aus ihm weiteres Wissen zu begründen, sondern seine Struktur und damit die Bedeutung und Tragweite des auch intersubjektiv selbstverständlich anmutenden Ausdruckes »Ich« im Sinne des Subjektverständnisses als Bedingung für das Verständnis seines Verhältnisses zur Welt zu erhellen. Gottfried Wilhelm Friedrich Hegel hat seinerseits in der Phänomenologie des Geistes als Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins von 1807 zum einen Bezug auf die Konzeption Fichtes genommen, zum anderen jedoch einen eigenen Einwand gegen die Reflexionstheorie des Bewusstseins und damit auch des Selbstbewusstseins aufgestellt. Dieser Einwand geht von folgendem Satz Hegels aus: »Dieses [das Bewusstsein] unterscheidet etwas von sich, auf das es sich zugleich bezieht.«20 Das Charakteristische des Bewusstseins ist demnach, sich als Bewusstsein von etwas auf dieses etwas als etwas von ihm Unterschiedenes zu beziehen. Wird das Selbstbewusstsein gemäß dem Subjekt-Objekt-Schema der Reflexionstheorie vorgestellt, liegt Bewusstsein von sich als Bewusstsein vor, d. h. von einem ›Gegenstand‹, den das Bewusstsein nicht von sich unterscheiden kann und der laut Hegel u. a. deshalb gar keinen Gegenstand im ausgewiesenen Sinne darstellt21. Die Reflexionstheorie vom Selbstbewusstsein kann die Struktur des Selbstbewusstseins als Bewusstsein daher nicht aufrechterhalten, so dass sie diese zu einer bloßen Beziehung auf die Beziehung zu einem Gegenstand »verkommen läßt«22. Hegels oben zitierter ›Satz des Bewusstseins‹23 verweist zudem durch die Leistung zur Unterscheidung des Bewusstseins darauf, dass das Bewusstsein, als Gerichtetheit auf einen Gegenstand, diesen als unabhängig von ihm und seiner Beziehung auf ihn als Ansichsein, d. h. als »seiend auch außer dieser Beziehung«

20 G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, zitiert nach: Ausgabe Suhrkamp, Werke 3, Frankfurt/M. 1986, 76, [PhG]. 21 Vgl. dazu Hegels Definition von Selbstbewusstsein in der Berliner Fassung der Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften §424, hier zitiert aus: Konrad Cramer : Bewußtsein und Selbstbewußtsein, in: Hegels philosophische Psychologie, Hegel-Studien/Beiheft 19, Hrsg.: Dieter Henrich, 215–225, 215, sowie die Exposition der Kritik Hegels an der Reflexionstheorie des Bewusstseins in ders. [Cramer, Bewußtsein und Selbstbewußtsein]. 22 Vgl. ebd. 222. 23 Der hegelsche Satz: »Das Bewußtsein unterscheidet etwas von sich, auf das es sich zugleich bezieht« wird von Konrad Cramer als Hegels »Satz des Bewußtseins« bezeichnet. In: U. Guzzoni, B. Rang, L. Siep (Hrsg.): Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für W. Marx, Hamburg 1976, 75–100, 80.

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»setzt«24. Dies sagt jedoch zunächst einmal nichts über den ontologischen Status des jeweiligen Gegenstandes, der Gegenstand für ein Bewusstsein ist, aus. Jean-Paul Sartre kennt zum einen die Kritik Hegels an der Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins, zum anderen übernimmt er Hegels Begrifflichkeit des Ansich- und Fürsichsein, die er jedoch, u. a. in der Absicht, ihnen jeweils einen ontologischen Status zuzusprechen, semantisch neu füllt25. Einen weiteren Bezugspunkt für das sartresche Denken und für seine Konzeption des Bewusstseins in seinem Hauptwerk L’§tre et le N¦ant stellt die Lehre Franz Brentanos in ihren Ausführungen in der Psychologie vom empirischen Standpunkt von 1874 (I. Band) und 1911 (II. Band) dar26. Brentano geht es in dem oben genannten Werk zunächst um die Exposition einer »deskriptiven« Psychologie zur Beschreibung psychischer Phänomene. Dies bezeichnet Brentano mit dem Begriff »Phänomenologie«27. Sartre begegnet den Ausführungen Brentanos durch sein Husserlstudium und rezipiert dessen Exposition der Theorie der »Intentionalität des Bewusstseins«, nach der alles Bewusstsein, wie bereits in Hegels Ansatz, stets Bewusstsein von etwas ist. Dieses »etwas« bezeichnet bei Brentano innerhalb dieser als »intentional« zu nennenden Beziehung den vom Bewusstsein »intendierten« Gegenstand, von dem es Bewusstsein ist, unabhängig davon, ob dieses »Intentum« auf ein außerhalb des Bewusstseins Liegendes verweist. Um dem Sachverhalt »Selbstbewusstsein« innerhalb seiner These von der Intentionalität des Bewusstseins erklärend Rechnung zu tragen und die bekannten Schwierigkeiten von Zirkel und Regress zu vermeiden, exponiert Brentano, gemäß seiner Unterscheidung zwischen »primärem Bewusstsein« als Bewusstsein von etwas und »sekundärem Bewusstsein« als Bewusstsein von diesem »primären Bewusstsein«, das »Selbstbewusstsein« als »innere Wahrnehmung«. In ihr soll das Bewusstsein der psychischen Phänomene, d. h. das Bewusstsein der dem Bewusstsein eigenen psychischen Akte, durch ein »Zusammenfallen« von sekundärem Bewusstsein mit seinem Gegenstand in einem psychischen Akt

24 Vgl. PhG, Einleitung, 76. 25 EN, 47f. Die gedanklichen und begrifflichen Anleihen an Hegel erschöpfen sich jedoch nicht in der Aufnahme der Begriffe Ansichsein und Fürsichsein, sondern in besonderem Maße auch auf Hegels Exposition der »Negation« als bestimmendes Element einer als möglich explizierten Selbstbeziehung. Vgl. PhG 103ff. Siehe auch Kapitel 2.2. 26 Vgl. Franz Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. I, Leipzig 1924, Buch 1, Kapitel II, §2, [Brentano, Psychologie]. Brentano folgt hier der zum Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten Annahme, dass die Psychologie die Grundlage der Logik und Mathematik bilde, da die Frage nach Ursprung und Resultat des Denkens das Denken selbst und die ihm entsprechenden Bewusstseinsvorgänge in den Blick nehmen müsse. 27 Vgl. Brentano, Psychologie, Einleitung von Oskar Kraus, XXII.

Zur Rolle des Subjekts in der Philosophie

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geleistet werden28. Ob diese Konzeption ihrem Anspruch gerecht wird, kann hier nicht diskutiert werden. Im Zusammenhang mit Sartres Studium der Phänomenologie ist vielmehr im Anschluss an die Brentanorezeption das Denken Edmund Husserls, insbesondere in seinen Logischen Untersuchungen29 von 1901 und den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie von 1913, von Bedeutung, welches sowohl die Entwicklung des sartreschen Denkens als auch die Aufnahme der Phänomenologie in Frankreich allgemein bestimmt hat.

28 Brentano versucht dies an dem bekannten Beispiel des Bewusstseins von einem Ton und dem Bewusstsein von dem Hören des Tones deutlich zu machen. Vgl. Brentano, Psychologie, Buch 2, Kapitel II, §§8 und 9 und Kapitel III, §2 und: Cramer, Erlebnis, 579f. 29 Vgl. Edmund Husserl: Logische Untersuchungen [LU] und insbesondere: V. Logische Untersuchung [V. LU], §11, hier nach Meiner, Hamburg 1988.

2.

Die Entwicklung des sartreschen Denkens

2.1

Die Aufnahme der Phänomenologie

Die Ausgangsposition des sartreschen Denkens, die in die Zeit seines Philosophiestudiums an der Pariser Sorbonne in der zweiten Hälfte der 20er Jahre zu datieren ist, kann in gewisser Weise als »vorphänomenologisch« bezeichnet werden. Mit diesem Terminus soll nicht nur der gegenüber dem Erscheinungsjahr der Logischen Untersuchungen zeitlich verzögerten Aufnahme der Phänomenologie in Frankreich30 Rechnung getragen, sondern auch Sartres philosophische Intention charakterisiert werden, die aus dem empfundenen »Unvermögen« der von idealistischen Tendenzen geprägten Pariser Universitätsphilosophie erwächst31 und der Aufnahme der Phänomenologie in das sartresche Denken erst den Boden bereitet. In seinen Tagebüchern spricht Sartre rückblickend von einem »vieillissement de la philosophie franÅaise«32 bis 1930, das es zu überwinden und die Philosophie somit zu »verjüngen«33 galt, eine Forderung, die sich offenkundig auch auf die Rezeption geistesgeschichtlich »jüngerer« Autoren bezieht. Denn unter dem Begriff »vieillissement« will Sartre auch die Lehre eines L¦on Brunschvicg (1869–1944) verstanden wissen, die von Kant bzw. dem französischen Neukantianismus und Descartes gleichermaßen beeinflusst, einen eigenen kritischen Idealismus entwirft und die Aufgabe der Philosophie in der kritischen

30 Vgl. zur Rezeption der Phänomenologie in Frankreich: Bernhard Waldenfels: Phänomenologie in Frankreich, Frankfurt/M. 1983, hier im Besonderen 33, [Waldenfels]. Sartre selbst bemerkt zu dieser Tatsache, dass das Interesse an der Phänomenologie einer gewissen vorbereitenden Neugier bedurfte: »Et c’est le d¦faut de cette curiosit¦ qui fit qu’on attendit douze ou quinze ans en France.« In: Jean-Paul Sartre: Carnets de la drúle de guerre, 1er f¦vrier 1940, zitiert nach: Ausgabe Gallimard, Paris 1983, 228. [Carnets]. 31 Vgl. hier auch: Raffll Fornet y Betancourt: Philosophische Untersuchungen zur Ontologie Sartres, Aachen 1977, 1 [Betancourt 1977] und Hartmann 1963, 2. 32 Carnets, 228. 33 Ebd.: »rajeunir«.

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Die Entwicklung des sartreschen Denkens

Überprüfung der Methode der Einzelwissenschaften sieht34. Laut Brunschvicg wandelten sich die Systeme der Metaphysik mit dem jeweiligen Stand der Wissenschaften. Sartre seinerseits strebt, sicherlich begünstigt durch seine Pariser Studienerfahrungen, danach, den Realismus in gewisser Weise zu rehabilitieren, indem ein »neuer« Realismus35 begründet werden soll, der der konkreten Erfahrungswirklichkeit gerecht wird, ohne idealistische Prämissen gänzlich aufzugeben36. Durch diese Forderung grenzt sich Sartre insbesondere von einem »naiven Realismus« amerikanischer Spielart ab37. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erwähnen, dass sich auch unter Brunschvicg bereits eine gewisse Öffnung in der Pariser Universitätsphilosophie vollzieht. Bernhard Waldenfels erwähnt in seinem bereits zitierten Werk, dass Brunschvicg die Veröffentlichung der Vorlesungen eines Georges Gurvitch, die dieser von 1928 bis 1930 an der Sorbonne über »Les tendances actuelles de la philosophie allemande« hält und in denen insbesondere das Denken Husserls und Heideggers thematisiert werden, ausdrücklich befürwortet38. Darüber hinaus nimmt Brunschvicg zusammen mit Emmanuel Levinas 1929 an den Davoser Hochschulwochen teil und trägt dazu bei, dass Husserl 1932 als erster Deutscher nach dem Ersten Weltkrieg zum korrespondierenden Mitglied der

34 Colette Audry spricht in ihrem Band: Sartre et la R¦alit¦ humaine von einem »rationalisme id¦aliste«, der bis 1930 an der Pariser Sorbonne gelehrt wird. Colette Audry : Sartre et la R¦alit¦ humaine, Paris 1966, 7. [Audry]. Vgl. zu dieser Interpretation auch: Waldenfels: 19. 35 Vgl. den Ausdruck »n¦o-r¦alisme« in Carnets, 637f. und Simone de Beauvoir : Lettres au Castor, Bd. II, 1940–1963, Paris 1983, 56. [LC] 36 Vgl. dazu: »Nous refus–mes l’id¦alisme traditionnel au nom du ›tragique de la vie‹.« JeanPaul Sartre: Questions de m¦thode I, [QdM I], in: Critique de la raison dialectique, Paris 1960, [CRD], 23. Und Sartre in: Simone de Beauvoir: La C¦r¦monie des Adieux, Entretiens avec Jean-Paul Sartre 1974, Paris 1981, 205, [CA]: »C’¦tait mon id¦e essentielle, j’optais pour le r¦alisme depuis mon ann¦e de philosophie. […], je n’avais qu’une id¦e, c’est que toute th¦orie qui ne disait pas que la conscience voit les objets comme ils sont ¦tait vou¦e — l’¦chec; […].« Vor diesem Hintergrund wird Sartres Kritik an der Pariser Universitätsphilosophie in den 20er Jahren und die Motivation für eine philosophische Erneuerung, die zu der Exposition eines eigenen philosophischen Ansatzes führen wird, deutlich. Vgl. auch: Simone de Beauvoir: La Force de l’–ge, Paris 1960, [FA], 35: »L’originalit¦ de Sartre, c’est que, prÞtant — la conscience une glorieuse ind¦pendance, il accordait tout son poids — la r¦alit¦; elle se donnait — la connaissance dans une parfaite translucidit¦ mais aussi dans l’irr¦ductible ¦paisseur de son Þtre; il n’admettait pas de distance entre la vision et la chose vue, […].« Inwiefern dieser Ansatz Sartres Ansprüchen Genüge tun kann, wird in den folgenden Kapiteln darzulegen sein. 37 Diese Ablehnung Sartres ist auf Autoren wie Perry, Montague, Holt und Whitehead bezogen. Siehe Jean-Marc Mouillie: Sartre et Husserl: une alternative ph¦nom¦nologique, [Mouillie, Sartre et Husserl], in: Jean Marc Mouillie: Sartre et la ph¦nom¦nologie, Paris 2001, 77–132, 83, [Mouillie, Ph¦nom¦nologie]. 38 Waldenfels, 52, Anmerkung 2.

Die Aufnahme der Phänomenologie

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»Acad¦mie des sciences morales et politiques« des »Institut de France« ernannt wird39. Inwiefern das in Hinblick auf diese »vorphänomenologische« Situation in Frankreich häufig angeführte40 Denken Henri Bergsons und darin insbesondere die scharfe Trennung von »Verstand« und »Intuition« in L’Êvolution cr¦atrice (1907) die Aufnahme der Phänomenologie in Frankreich begünstigt hat, kann an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden. In der Literatur finden sich jedoch Hinweise, die einen Einfluss Bergsons zumindest dahingehend geltend machen, dass sich die Anhänger der Phänomenologie der folgenden Jahre, wie etwa auch Maurice Merleau-Ponty, entschieden von Bergson distanziert haben und die »Fusion« von ›Intuition‹ und ihrem ›Gegenstand‹ aufgrund ihrer Unübertragbarkeit auf die menschliche Erfahrungswirklichkeit und ihre Indifferenz bezüglich konkreter Bewusstseinszustände des Subjekts kritisieren41. Ein weiterer entscheidender Einfluss auf die Aufnahme der Phänomenologie in Frankreich war die angeregte Hegelrezeption durch die Vorlesungen des Alexandre KojÀve von 1933 bis 1939, in denen die Phänomenologie des Geistes, insbesondere der Abschnitt über Herrschaft und Knechtschaft, im Vordergrund steht42 und sein Buch Introduction — la lecture de Hegel, das jedoch erst 1947 in Paris erscheint. Sartre hört diese Vorlesungen im Gegensatz zu seinem Freund Raymond Aron nicht und verweist in Questions de m¦thode 1960 darauf, dass er Hegels Schriften erst nach seinem Studium gelesen habe43. L’§tre et le N¦ant weist jedoch bereits explizite Hegelkenntnisse auf44, die Sartre über die Texte seiner Studienausgaben hinaus und neben den regelmäßigen »philosophischen

39 Vgl. Karl Schuhmann: Husserl-Chronik, Den Haag, 1977, 413 und: Waldenfels, 20 u. 52, Anmerkung 2. 40 Vgl. Francis Kaplan: Un philosophe dans le siÀcle, in: Ingrid Galster (Hrsg.): La Naissance du »Ph¦nomÀne Sartre«, Raisons d’un succÀs 1938–1945, Paris 2001, 142–158, 149, [Kaplan]; und Waldenfels, 20. 41 Vgl. Henri Bergson: Denken und schöpferisches Werden, Aufsätze und Vorträge, Meisenheim 1948, 143f. sowie: Waldenfels, 22 und Kaplan, 149. 42 Vgl. Waldenfels, 28f. 43 QdM I, 22: »[…] Hegel lui-mÞme nous ¦tait inconnu.« Klaus Hartmann ordnet Sartres Hegellektüre erst ab 1939 ein. Siehe Hartmann 1963, 3. 44 Im ersten Teil von L’§tre et le N¦ant zitiert Sartre sowohl aus der Encyclopädie I, der Logik I und der Phänomenologie des Geistes. Vgl. dazu: EN, 46ff. Hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Sartre die betreffenden Textstellen zu großen Teilen aus den Studienausgaben von Henri Lefebvre: Morceaux choissis de Hegel, Paris 1938 [Lefebvre] und Ren¦ Le Senne: Introduction — la philosophie, Paris 1925 [Le Senne] zitiert. Walter Biemel sieht in seiner Abhandlung: Die Phänomenologie des Geistes und die Hegel-Renaissance in Frankreich, in: Stuttgarter Hegeltage 1970, Hrsg. Hans-Georg Gadamer, Bonn 1974, 643–655, [Biemel] 648f. die von KojÀve in seinen Vorlesungen vorgestellte Hegelinterpretation als prägend für das sartresche Denken in L’§tre et le N¦ant an, indem er die Aufnahme einzelner dialektischer Formulierungen durch Sartre aufzeigt. Siehe dazu auch die Erläuterungen unten, Kapitel 2.2.

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Die Entwicklung des sartreschen Denkens

Diskussionen« mit Raymond Aron45 auch aus der Abhandlung Jean Wahls Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, die 1929 erschienen ist, schöpfen mag46. Das Vorwort zu Wahls Aufsatz Vers le concret, der erste Beitrag der von Wahl selbst inaugurierten und von 1931 bis 1939 erscheinenden Zeitschrift Recherches philosophiques, beginnt ebenfalls mit einem Rückgriff auf Hegel47. Bezüglich des Einflusses dieses Aufsatzes auf ihn und seine Mitstreiter bekennt Sartre in der der Critique de la raison dialectique vorangestellten Questions de m¦thode, dass sie seinem Titel ihre ›Direktive‹48 entnommen haben. 1936 veröffentlicht Sartre seine Abhandlung: La Transcendance de l’Êgo in den Recherches philosophiques. Diese Zeitschrift liefert zudem durch die Veröffentlichung programmatischer Aufsätze einen maßgeblichen Beitrag dazu, dass im Paris der 30er Jahre erneut eine Kierkegaardrezeption stattfindet49, die ihrerseits Einfluss auf die Ansätze Sartres, Merleau-Pontys, Arons und Gabriel 45 Vgl. Waldenfels, 54, Anmerkung 20. 46 Denn: »Le cours de KojÀve — L’Ecole des Hautes Etudes ¦tait peut-Þtre le seul endroit dans ce pays o¾ on parlait de Hegel avant-guerre et peu nombreux ¦taient ceux qui avaient lu Sein und Zeit de Heidegger.« Kaplan, 151. Vgl. dazu auch: FA 53: »[…] Le Malheur de la conscience de Jean Wahl qui nous donna quelques aperÅus d’Hegel.« Siehe dazu: Jean Wahl: Le Malheur de la conscience dans la Philosophie de Hegel, Paris 1929, [Wahl, Malheur], insbesondere die Kapitel: Sur les d¦marches de la pens¦e de Hegel, 13ff. und Sur la formation de la th¦orie h¦gelienne de la notion, 194ff. Im Appendix findet sich eine Übersetzung einiger Passagen aus dem Selbstbewusstseinskapitel Freiheit des Selbstbewusstseins; Stoizismus, Skeptizismus und das unglückliche Bewusstsein der Phänomenologie des Geistes. Die Übersetzung stammt von Jean Wahl und Maurice Boucher. Es handelt sich um die Passagen PhG, 163–170. 47 Vgl. Jean Wahl: Vers le concret, Ausgabe Vrin, Paris 1932, [Wahl, Concret], 23: »Ce n’est que dans l’absence de pens¦e que le concret peut se r¦v¦ler — nous. C’est ce dont le jeune Hegel a eu le sentiment, […]. Il y a une dialectique n¦cessaire, pr¦cis¦ment parce qu’il y a un r¦alisme. Le r¦el est la limite de la dialectique; il est son origine; il est sa fin, son explication […].« Inwiefern sich diese Hegelinterpretation stützen lässt, soll hier nicht diskutiert werden. Lediglich hingewiesen werden soll hier auf die Hegelrezeption, die Sartre zu Beginn der 30er Jahre in Paris zur Verfügung steht. Vgl. dazu auch: Waldenfels, 28. 48 QdM I, 23f.: »Un livre eut beaucoup de succÀs parmi nous, — cette ¦poque: Vers le concret de Jean Wahl. Encore ¦tions-nous d¦Åus par ce »vers«: c’est du concret total que nous voulions partir, c’est au concret absolu que nous voulions arriver. Mais l’ouvrage nous plaisait parce qu’il embarrassait l’id¦alisme en d¦couvrant des paradoxes, des conflits non r¦solus dans l’univers.« Vgl. dazu auch: Carnets, 228. Daniel Lindenberg bemerkt in seinem Artikel: Sartre et le nouveau »Mal du siÀcle« [Lindenberg], in: Ingrid Galster (Hrsg.): op.cit., 101–107, 105, dazu: »[…] Jean Wahl, un homme cl¦ dont l’influence sur Sartre ne peut pas Þtre surestim¦e.« Die Schilderungen Simone de Beauvoirs bestätigen dies. Vgl. FA, 371f. Vgl. dazu auch die von Sartre im Folgenden aufgenommene Direktive Husserls »Zu den Sachen selbst!« und die Ausführungen unten, Kapitel 2.2. 49 Hier ist wiederum ein Aufsatz von Jean Wahl zu nennen: Heidegger et Kierkegaard, der in der 2. Auflage 1933 erscheint. [Wahl, Heidegger et Kierkegaard]: »[…] le retour — Kierkegaard y est ouvertement prún¦, […].« Lindenberg, 105. Kierkegaards Schriften selbst wurden in den Jahren 1933 und 1935 bei Alcan in französischer Übersetzung verlegt. Siehe auch: GeneviÀve Idt: L’Êmergence du »Ph¦nomÀne Sartre«, in: Ingrid Galster (Hrsg.): op.cit., 47–85, 82, [Idt].

Die Aufnahme der Phänomenologie

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Marcels nimmt und die zunächst unter dem Terminus »Existenzphilosophie«50 steht. Gabriel Marcel übt in den 30er Jahren ebenfalls Einfluss auf Sartre aus. Marcel hält damals allwöchentlich einen »salon philosophique« ab, »que Sartre ne peut pas manquer.«51. 1935 veröffentlicht Marcel seine Abhandlung §tre et avoir, in der Begriffe wie »Existence«52, »Conscience de soi comme existant«, »Conscience de soi comme li¦ — un corps«, »engagement«53, »acte«54, »n¦gation«55 und »pr¦sence«56 sowie die Beziehung zum Anderen57 thematisiert werden. Sartre kennt das Werk, distanziert sich jedoch in der Folge von Marcel58, der die Möglichkeiten, die der Rückgang auf das cartesianische Cogito eröffne, nicht erkenne und dem ein Es denkt in mir59 entgegensetzt sowie den Menschen als Geschöpf zu erfassen sucht, das im Glauben den Grund seines Seins erfährt60. Das Werk Marcels macht auf beispielhafte Weise deutlich, dass die zunächst als »vorphänomenologisch« zu charakterisierende geistige Situation in Frankreich um 1930 in den folgenden Jahren durch eine willkommene und intensive Aufnahme der Phänomenologie Husserls und Heideggers geprägt ist, die jedoch 50 Lindenberg, 104f.: Alexandre KojÀve, Emmanuel Levinas, Georges Gurvitch »[…] sont parmi les premiers — populariser le terme nouveau de ›philosophie existentielle‹.« Sartre selbst wird sein Denken als »philosophie de l’existence« bezeichnen. In: Simone de Beauvoir: La Force des choses, Paris 1963, [FC], 50. Dem Term »Existentialismus«, der 1943 von Gabriel Marcel geprägt wird, siehe dazu auch: FA, 562, steht Sartre zunächst indifferent »L’existentialisme, je ne sais pas ce que c’est.« (FC, 50) und später ablehnend gegenüber, da das Suffix -ismus ein geschlossenes System oder eine Doktrin suggeriere und kein originelles und freies Denken. Vgl. dazu auch: Marc Froment-Meurice: Sartre et l’existentialisme, Nathan, Paris 1984, 9, [Froment-Meurice]. In L’existentialisme est un humanisme, Paris 1946 [EH] mag Sartre den Ausdruck positiv verstanden und in sein Denken integriert haben. 51 Lindenberg, 105. Vgl. dazu auch: Waldenfels, 54, Anmerkung 17a. 52 Hier und im Folgenden: Gabriel Marcel: §tre et avoir, Paris 1935, 9, [Marcel, EA]. 53 Marcel, EA, 56 und 63. 54 Marcel, EA, 156. 55 Marcel, EA, 42. 56 Marcel, EA, 105. 57 Marcel, EA, 151. 58 Zu der Auseinandersetzung zwischen Sartre und Marcel, insbesondere in Hinblick auf die Beziehung zum Anderen, siehe auch: Gabriel Marcel: L’existence et la libert¦ humaine chez Jean-Paul Sartre, Paris 1981, 69f., [Marcel, EL]. Jedoch ist der Einfluss von §tre et avoir, insbesondere hinsichtlich der Ausführungen über die Leiblichkeit und das Verhältnis des Subjekts zu seinem Körper, auf das sartresche Denken nicht zu unterschätzen. 59 Marcel, EA: »A cet ¦gard, un certain cart¦sianisme, et surtout un certain ficht¦isme, m’apparaissent comme les plus graves erreurs dont aucune m¦taphysique se soit rendue coupable. On ne dira jamais assez combien la formule es denkt in mir est pr¦f¦rable au cogito qui nous expose au pur subjectivisme. Le ›je pense‹ n’est pas une source, c’est un obturateur.« Auf dieses Zitat wird im Folgenden nochmals zurückzukommen sein. 60 »C’est la d¦ficience ontologique qui est propre — la cr¦ature, tout au moins — la cr¦ature d¦chue. […] les activit¦s centrales par lesquelles l’homme se remet lui-mÞme en pr¦sence du mystÀre qui le fonde et hors duquel il n’est que n¦ant: la religion, l’art, la m¦taphysique.« Insofern rechtfertigt sich auch der Untertitel zu §tre et avoir, der Journal m¦taphysique lautet.

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Die Entwicklung des sartreschen Denkens

einhergeht mit einer Vielzahl aktiver Um- und Neuinterpretationen der rezipierten Ansätze. Dies gilt auch für das Denken Jean-Paul Sartres.

2.2

Zu Sartres Husserl-, Heidegger- und Hegelrezeption61

Jean-Paul Sartre zählt nicht zu den Hörern der »Pariser Vorträge« Edmund Husserls, die dieser 1929 in deutscher Sprache an der Sorbonne hält und die 1930 in einer überarbeiteten Fassung als M¦ditations Cart¦siennes in Paris erscheinen62. Daher wird Sartre auf Husserl und dessen phänomenologischen Ansatz erst durch die Lektüre der Abhandlungen Emmanuel Levinas, wie der Rezension zu den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie von 192963 und der Dissertation über die Th¦orie de l’intuition dans la ph¦nom¦nologie de Husserl von 193064, sowie durch die Diskussion mit seinem Studienkollegen Raymond Aron65 zu Beginn der 30er Jahre aufmerksam. Das Studium der Schriften Husserls im Original, insbesondere das der Logischen Untersuchungen, fällt in das Wintersemester 1933/34, das Sartre als Stipendiat des Institut de France in Berlin verbringt66. 61 Die Reihenfolge der in diesem Überblick zu behandelnden Autoren ergibt sich in erster Linie aus der hier beabsichtigten Darstellung ihrer systematischen Bedeutung für das sartresche Denken. 62 Sie werden in großen Teilen von Emmanuel Levinas übersetzt. Siehe dazu: Avertissement zu: Edmund Husserl: M¦ditations Cart¦siennes, Paris 1930 [MC]: »L’ouvrage que nous publions aujourd’hui sous le titre M¦ditations Cart¦siennes est le fruit de ces conf¦rences. L’auteur les a d¦velopp¦es et profondement remani¦es; […]. Le texte a ¦t¦ traduit de l’allemand par Melle Pfeiffer et par M. E. Levinas, docteur de l’universit¦ de Strasbourg.« Der Text wird im Folgenden zitiert nach: Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen, Hamburg 1995, [CM]. Siehe dazu auch: Mouillie, Ph¦nom¦nologie, Einleitung, 9 und: Waldenfels, 35. 63 Der Originaltitel dieser Rezension lautet: Sur les »Ideen« de M. E. Husserl, in: Revue philosophique de la France et de l’Etranger CVII (1929) N83–4, S. 230–265. 64 Publiziert bei Vrin, Paris 1930. 65 Vgl. FA, 141f.: »[…] Sartre fut vivement all¦ch¦ par ce qu’il entendit dire de la ph¦nom¦nologie allemande. Raymond Aron passait l’ann¦e — l’Institut franÅais de Berlin et […] il ¦tudiait Husserl. […] Aron le convainquit que la ph¦nom¦nologie r¦pondait exactement — ses pr¦occupations: d¦passer l’opposition de l’id¦alisme et du r¦alisme, affirmer — la fois la souverainet¦ de la conscience et la pr¦sence du monde, tel qu’il se donne — nous. Il [Sartre] acheta, boulevard Saint Michel, l’ouvrage de Levinas sur Husserl, et il ¦tait si press¦ de se renseigner que, tout en marchant, il feuilletait le livre dont il n’avait mÞme pas coup¦ les pages.« [Anmerkung der Verfasserin]. 66 »[…] j’ai lu pour la premiÀre fois Husserl, Scheler, Heidegger et Jaspers en 1933 pendant un s¦jour d’un an — la Maison franÅaise — Berlin et c’est — ce moment […] que j’ai subi leur influence.« QdM II, 34. Hervorhebung im Text. Interessanterweise bemerkt Hans-Georg Gadamer zu dem Studienaufenthalt Sartres in Deutschland: »Er ist damals nicht in Freiburg gewesen, wo man das [d.i. die Philosophie Husserls und Heideggers] wirklich lernen konnte, sondern nur in Berlin, wo man es nicht lernen konnte.« Hans-Georg Gadamer: Das Sein und

Zu Sartres Husserl-, Heidegger- und Hegelrezeption

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Insbesondere die Rezeption der Logischen Untersuchungen führt nach dem Studienaufenthalt in Berlin dazu, dass Husserl zum geistigen Vorreiter Sartres wird67. In einem zweiten Zugriff wendet sich Sartre ausführlich Husserls Ausführungen in den Ideen I von 1913 zu. Diese sind nach Sartres eigenen Angaben für eine beginnende Husserlkritik und die Exposition seiner eigenen Theorie des Bewusstseins maßgeblich bestimmend68. Beides wird durch die Rezeption der Cartesianischen Meditationen von 1931 bestärkt. Husserl selbst übernimmt den Terminus »Phänomenologie« zunächst im Sinne Brentanos zur Bezeichnung der »deskriptiven Psychologie«, die Vorstellungs-, Urteils- und Erkenntniserlebnisse beschreibt und analysiert69. Aus einer Kritik am Psychologismus heraus, der die Grundlage der Logik und aller modernen Wissenschaften in der Psychologie sieht, exponiert Husserl bereits im Vorwort zum Ersten Teil der Logischen Untersuchungen das folgende Anliegen: »Da […] meine ganze, von den Überzeugungen der herrschenden Logik getragene Methode – gegebene Wissenschaft durch psychologische Analysen logisch aufzuklären – ins Schwanken geriet, sah ich mich in immer steigendem Maße zu allgemeinen, kritischen Reflexionen über das Wesen der Logik und über das Verhältnis zwischen der Subjektivität des Erkennens und der Objektivität des Erkenntnisinhaltes gedrängt.«70

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das Nichts, in: Traugott König (Hrsg.): Sartre – Ein Kongreß, Reinbek 1988, 37–52, 39, [Gadamer, Sein und Nichts]. [Anmerkung] der Verfasserin. »Husserl m’avait pris, je voyais tout — travers les perspectives de sa philosophie […]. J’¦tais ›husserlien‹ et je devais le rester longtemps.« Carnets, 225. Vgl. A. Astruc/M. Contat: Sartre, Un film, Paris 1977, [Astruc/Contat]. Auch Thomas Damast sieht in seiner Untersuchung: Jean-Paul Sartre und das Problem des Idealismus; Eine Untersuchung zur Einleitung, in: L’Þtre et le n¦ant, Bonn 1993, [Damast 1993] in den Ideen I das für die sartresche Rezeption der transzendentalen Phänomenologie maßgebliche Werk und wendet sich gegen die Auffassung, »Sartre habe die transzendentale Phänomenologie ausschließlich durch« die Cartesianischen Meditationen kennen gelernt. Damast, 12. Diese These Damasts wird meines Erachtens auch dadurch gestützt, dass Sartre in seinen Aufsätzen von 1936: La Transcendance de l’Êgo und Imagination Husserls Ideen I ausführlich zitiert. Siehe dazu die Ausführungen unten, Kapitel 2.3. Hier ist ergänzend anzumerken, dass der Terminus »Phänomenologie« insbesondere zur Abgrenzung der »deskriptiven Psychologie« und ihrer Methoden gegenüber der »empirischen Psychologie« gewählt wird: »Da es erkenntnistheoretisch von ganz einzigartiger Bedeutung ist, die rein deskriptive Erforschung der Erkenntniserlebnisse […] von der eigentlichen psychologischen, auf empirische Erklärung und Genesis abzielende Forschung zu sondern, thun wir gut daran, anstatt von deskriptiver Psychologie vielmehr von Phänomenologie zu sprechen.« Edmund Husserl: Logische Untersuchungen, Zweiter Theil, Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, Einleitung, §6, 3. Zusatz, 18, zitiert nach der Ausgabe Niemeyer, Halle 1901, im Folgenden zitiert durch LU II. Edmund Husserl: Logische Untersuchungen, I. Teil, Prolegomena zur reinen Logik, Vorwort, zitiert nach Husserliana Bd. XVIII, Den Haag 1975, 6f., A VII. Vgl. dazu auch: §2 der Einleitung zu LU II, insbesondere 8f. Trotz seiner Kritik am Psychologismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die ihn in gewisser Weise von Brentano distanziert, hält Husserl die Erforschung der »konkreten psychischen Phänomene« im Rahmen einer »philosophischen Logik« zur erkenntnistheoretischen Erhellung der Logik für unabdingbar. Vgl. dazu auch:

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Mit diesem Ansatz rückt die Untersuchung erkenntnistheoretischer Probleme in den Mittelpunkt der husserlschen Untersuchungen, indem im Sinne der Erhellung des Denkens das Denken selbst bzw. die ihm entsprechenden Bewusstseinsvorgänge in den Blick genommen werden71. Dieses Vorgehen, namentlich der Ausgang von der Evidenz des cartesianischen Cogito, das Husserl um die Evidenz des Cogitatum, d.i. des intentionalen Gehalts der Cogitatio, der über das cartesianische me cogitare hinausgehend auf ein Gegenstandsbewusstsein abzielen soll, ergänzt72, macht Husserls Position zunächst für Sartre interessant73. Die Theorie der Intentionalität des Bewusstseins, die besagt, dass Bewusstseinsleben stets einen Inhalt hat, d. h. stets etwas intendiert, von dem es Bewusstsein ist und das etwas anderes als dieses Bewusstsein selbst ist, übernimmt Husserl von Brentano74 und bezeichnet diese »Gegenstände des Bewusstseins« als »Phänomene«, die dem Bewusstsein, d.i. der Cogitatio, unmittelbar »erscheinen«75. Die brentanosche Theorie der Intentionalität bedarf jedoch für Husserl bezüglich der Explikation des »Bewusstseinsinhaltes« einer Präzision. Husserl sucht die »Einheit des Bewusstseins« als »reale Erlebniskomplexion« zu

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Elisabeth Ströker in der Einleitung zu: Edmund Husserl: V. Logische Untersuchung, zitiert nach der Ausgabe Meiner, Hamburg 1988, XVII, [Ströker, Einleitung zur V. LU]. Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen distanziert sich Husserl jedoch im Folgenden von dem Verständnis der Phänomenologie als »deskriptiver Psychologie«, welches sich bereits in der in Fußnote 69 zitierten Passage der Einleitung zu LU II andeutet. Denn die husserlsche Phänomenologie hält zwar an einem deskriptiven Verfahren fest, es geht ihr jedoch um die Deskription des Bewusstseinslebens. Die Frage nach der Wahrheit von Erkenntnisansprüchen wird für Husserl zu der Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis bzw. nach dem möglichen Zugang zu dieser Erkenntnis. Daher beschäftigt sich die Phänomenologie husserlscher Prägung tatsächlich, im Unterschied zur Psychologie, primär mit einer erkenntnistheoretischen Problematik. Vgl. V. LU: §2ff. und: Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch (EA 1913) Husserliana, Bd. III, Den Haag 1950, [Ideen I]: insbesondere die §§34–36, sowie CM: §14ff. Die Ergebnisse seiner Husserlstudien selbst und die anfänglich aus ihnen resultierende Begeisterung hinsichtlich des phänomenologischen Ansatzes hält Sartre neben seiner bereits kritischen Aufarbeitung in den Aufsätzen aus der zweiten Hälfte der 30er Jahre auch in seinem 1939 in La nouvelle Revue franÅaise erschienenen Aufsatz: Une id¦e fondamentale de Husserl: L’intentionnalit¦ fest, indem er schreibt: »Vous aurez saisi le sens profond de la d¦couverte que Husserl exprime dans cette fameuse phrase: »Toute conscience et conscience de quelque chose.« Und: »Cette n¦cessit¦ pour la conscience d’exister comme conscience d’autre chose que soi, Husserl la nomme ›intentionnalit¦‹«, zitiert nach der Veröffentlichung in Situations I, Paris 1947, 33; [If]. Vgl. die einleitenden Ausführungen zu diesem Kapitel. Vgl. V. LU, §2ff. Vgl. dazu auch: Fabien Cayla: Routes et d¦routes de l’intentionnalit¦, Minnesota UP 1958 und Combas 1991, 41: »C’est Husserl, non Brentano, qui a vu dans l’intentionnalit¦ du mental un moyen de comprendre comment l’esprit et le monde sont reli¦s et comment il se fait que dans les actes de conscience nous en arrivons — Þtre dirig¦s vers un objet.« [Cayla].

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exponieren76. Sie soll den deskriptiven Bestand des »phänomenologischen Ich« vollständig angeben und nicht auf ein Bewusstsein verweisen, das sie erst als »bewusst« qualifiziert77. Mit dieser Konzeption stellt Husserl eine Theorie des Bewusstseins auf, die dieses nicht als Beziehung zweier Relata expliziert. Das Bewusstsein ist vielmehr in seiner Struktur selbst intentional verfasst, so dass die Rede von einer Subjekt-Objekt-Spaltung in diesem Ansatz überwunden bzw. unterlaufen zu werden scheint78. Laut Husserls Ausführungen im Ersten Band der Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie lassen sich lediglich sogenannte »Bewusstseinsakte« aufweisen, in denen Gegenstände »konstituiert« werden. Isolierbare, gleichsam »gegenstandslose« Bewusstseinsakte, die Noesen, einerseits und eigenständige gegenständliche Strukturen, die Noemata, andererseits, ließen sich dagegen nicht aufweisen79. Aus dieser Konsequenz der husserlschen Überlegungen heraus wird ihre Attraktivität für Sartres Anliegen nochmals deutlich: Sartre glaubt auf dieser Stufe seiner Rezeption der husserlschen Phänomenologie ein Mittel an die Hand zu bekommen, das eine Überwindung von Idealismus auf der einen Seite und Realismus auf der anderen Seite zu ermöglichen scheint und somit gleichsam einen dritten Weg im Sinne des in den Tagebüchern erwähnten »neuen Realismus« eröffnet, der Bewusstseinsakten und ihren Inhalten Realität zuschreibt80. Diese Überzeugung Sartres wird zunächst durch die husserlsche Absichtserklärung »Zu den Sachen selbst«81 bestärkt, die eine adäquate Beschreibung der »Sachen« als »Inhalte« des Bewusstseins meint. Gemäß der erwähnten Kritik Husserls an der Abbildtheorie der Gegenstandswahrnehmung82 handelt es sich demnach nicht um »bildliche Erscheinungen der Dinge« in unserem Bewusst-

76 Vgl. V. LU. Die Kritik Husserls an der Abbildtheorie der gegenständlichen Wahrnehmung, ist inhaltlich mit dieser Exposition verbunden, denn unter dem Begriff »Phänomen« sei nicht ein Bild des äußeren Gegenstandes zu verstehen, sondern vielmehr sei der äußere Gegenstand als solcher präsent. Er wird mit dem Begriff »Phänomen« bezeichnet. (Vgl. dazu auch: II. LU, §22, 160 und: Ideen I: §89, 184) Sartre stimmt diesen Ausführungen Husserls zu. Vgl. das Husserlkapitel aus Sartres Aufsatz Imagination von 1936 und If, 32. Sartre bemerkt hier (If) jedoch bereits, dass Husserl ob dieser Ausführungen dennoch nicht als Realist zu bezeichnen sei: »Mais Husserl n’est point r¦aliste: […]. La conscience et le monde sont donn¦s d’un mÞme coup: ext¦rieur par essence — la conscience, le monde est par essence relatif — elle.« 77 Vgl. V. LU, Erstes Kapitel und: Cramer, Erlebnis, 540ff. 78 Vgl. Ideen I, §48, 90f. und §49. 79 Vgl. insbesondere: Ideen I: §128, 265ff. und §135, 278ff. Dies wird in den Cartesianischen Meditationen aufgegriffen und präzisiert. Vgl. CM §17, insbesondere 47. 80 Vgl. Carnets, 637. 81 LU II, Einleitung, §2, 7: »Wir wollen auf die ›Sachen selbst‹ zurückgehen.« Hervorhebung im Text. 82 Vgl. Fußnote 71.

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sein, sondern um die Dinge selbst in ihrem Intendiertsein durch das Bewusstsein83. Zu einer Husserlkritik führt Sartre in der Folge jedoch zum einen die husserlsche Einführung der ]pow^, der »Einklammerung« des Weltglaubens, d.i. die Enthaltung des Urteils über den Seinsgehalt der Dinge in der Welt, die er in den Ideen I der sogenannten »Generalthesis« der »natürlichen Einstellung«84 gegenüberstellt, und die ermöglichen soll, »das Wahrgenommene als solches«85, unabhängig davon, ob es real existiert, zu erfassen und zu untersuchen. Dies sei uneingeschränkt möglich, da durch die Ausschaltung der natürlichen Einstellung dennoch stets das »Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Wahrgenommenem« ›übrigbleibe‹86. Zum anderen wendet sich Sartre gegen Husserls Exposition eines Transzendentalen Ego87, die mit Husserls Einführung der oben beschriebenen ]pow^ als Methode der phänomenologischen Reduktion in engem Zusammenhang steht. Sie erwächst im Wesentlichen aus Husserls eigenen Prämissen, denn es bleibt nach der Darstellung der phänomenologischen Reduktion als der ausgezeichneten Methode der Phänomenologie zu fragen, wer oder was die »Thesis der natürlichen Einstellung ›ausschaltet‹«88 und damit die phänomenologische ]pow^ vollzieht. In letzter Konsequenz kann dies bei Husserl kein mundanes Ich leisten, da es ebenfalls der »Dingwelt« angehört und ihm daher selbst lediglich »präsumptive Wirklichkeit«89 zuzuschreiben ist. Nur eine gleichfalls »phänomenologisch reduzierte« Subjektivität, ein »reines Ich«, das Husserl im Anschluss an Kant »transzendentales Ich«90 nennt, schaut nach Vollzug der phänomenologischen Reduktion die Erlebnisse in ihrer jeweiligen »reinen Selbstgegebenheit«. Diesen Ausführungen Husserls kann Sartre auf dem Hintergrund seines eigenen Vorhabens nicht folgen. Mit Sartre lässt sich an dieser Stelle zudem nach 83 84 85 86

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Vgl. LU II, Einleitung, §2, 7. Ideen I, ab §27, 48ff. und insbesondere die §§30 und 31 sowie CM §8ff. Ideen I, §91, 188. Ideen I, §88, 183 und vgl. §90, 187f.: »Die ›Einklammerung‹, die die Wahrnehmung erfahren hat, verhindert jedes Urteil über die wahrgenommene Wirklichkeit […]. Sie verhindert aber kein Urteil darüber, daß die Wahrnehmung Bewußtsein v o n einer Wirklichkeit ist […]; und sie hindert keine Beschreibung dieser wahrnehmungsmäßig erscheinenden ›Wirklichkeit als solcher‹[…].« Vgl. insbesondere die Ausführungen des §46, 86 und ab §50, 94ff. der Ideen I und die Ausführungen der IV. Cartesianischen Meditation. Ideen I, Überschrift des Zweiten Abschnittes, 48 und CM, IV. Meditation, §41. Ideen I, §46, 86. Siehe hier insbesondere: Ideen I, §55, 108 und §57, 109. In den Cartesianischen Meditationen wird sowohl die Exposition als auch die Problematik des transzendentalen Ego gegenüber den Ausführungen der Ideen I vertiefend behandelt und weiterentwickelt. Die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung deutet Husserl in einer Fußnote zum §57 der Ideen I an. Vgl. Ideen I, 110.

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der Notwendigkeit der Exposition eines »transzendentalen Ich« gegenüber den Ausführungen der Logischen Untersuchungen fragen91, nach denen das »phänomenologische Ich«, wie erwähnt, als »Einheit des Bewusstseins« als »reale Erlebniskomplexion« aufgewiesen wurde. Diese Ausführungen zeichneten sich gerade dadurch aus, dass die Erlebnisse nicht auf ein Ich als »Eigentümer« dieser Erlebnisse zu beziehen sind.92 Ist somit die Rede von einem transzendentalen Ich lediglich als eine Präzisierung des Aufweises des »reinen Bewusstseins als Residuum« nach Vollzug der phänomenologischen Reduktion zu sehen? Husserl selbst weist jedoch in der Fußnote zu dem §57 der Ideen I auf eine notwendige Neuorientierung und einen gegenüber der Position in den Logischen Untersuchungen veränderten Standpunkt »in der Frage des reinen Ich« hin93. Diese Neuorientierung scheint sich im Wesentlichen aus der Frage nach der Identität des Bewusstseins als Erlebnisstrom zu ergeben94, so dass diese Ausführungen implizit auf eine zu leistende klärende Behandlung des Sachverhaltes »Selbstbewusstsein« hinweisen. Husserl spricht im §57 bereits davon, »daß wir […] in dem Flusse mannigfacher Erlebnisse, der als transzendentales Residuum übrig bleibt, nirgends auf das reine Ich stoßen werden, als ein Erlebnis unter anderen Erlebnissen«. Und »als ein bei allem wirklichen und möglichen Wechsel der Erlebnisse absolut Identisches« könne es auch nicht »a l s r e e l l e s S t ü c k o d e r M o m e n t der Erlebnisse selbst gelten«95. Vielmehr müsse bezüglich des »reinen Ich« der kantische Satz des »Ich denke, [das] alle Vorstellungen begleiten können« muss, gelten. Hier zeigt sich, insbesondere mit Blick auf Sartres Husserlrezeption, dass Husserl mit dieser Konzeption dem Unvermögen der Reflexionstheorie zur Erklärung des Sachverhaltes und der Struktur des Selbstbewusstseins ebenfalls

91 Vgl. TE, 20: »Cette conception ¦tait-elle n¦cessaire?«. 92 Sartre merkt u. a. zu diesen Ausführungen Husserls an, dass dieser durch das Konzept der phänomenologischen Reduktion und deren Konsequenzen seiner eigenen Entdeckung der Logischen Untersuchungen untreu werde. Vgl. dazu abermals TE, 20: »[…] AprÀs avoir consid¦r¦ que le Moi ¦tait une production synth¦tique et transcendante de la conscience (dans les L.U.), il est revenu, dans les Ideen, — la thÀse classique d’un Je transcendantal qui serait comme en arriÀre de chaque conscience, qui serait une structure n¦cessaire de ces consciences, dont les rayons (Ichstrahl) tomberaient sur chaque ph¦nomÀne qui se pr¦senterait dans le champ de l’attention.« Hervorhebungen im Text. Und: 26: »Tous les r¦sultats de la ph¦nom¦nologie menacent ruine si le Je n’est pas au mÞme titre que le monde un existant relatif, c’est-—-dire un objet pour la conscience.« 93 »In den ›Log. Unters.‹ vertrat ich in der Frage des reinen Ich eine Skepsis, die ich im Fortschritte meiner Studien nicht festhalten konnte.« Ideen I, 110. 94 »Demgegenüber scheint aber das reine Ich ein prinzipiell N o t w e n d i g e s zu sein, und als ein bei allem wirklichen und möglichem Wechsel der Erlebnisse absolut Identisches, […]« Ideen I, §57, 109. 95 Ebd.

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anheimzufallen drohte96, wenn er über die ›deskriptive Erforschung der Erkenntniserlebnisse‹ hinaus eine befriedigende Theorie der Sachverhalte ›Bewusstsein‹ und ›Selbstbewusstsein‹ hätte konzipieren wollen97. Die Konzeption einer solchen Theorie wird zu Sartres erklärtem Anliegen, so dass seine Husserlkritik in weiten Teilen durch die theoretischen Erfordernisse des eigenen Unternehmens motiviert ist98. In dieser kritischen Haltung gegenüber der husserlschen Position sieht sich Sartre zudem durch die Ausführungen in den Cartesianischen Meditationen, insbesondere in der IV. Cartesianischen Meditation, bestärkt. Die dortige, vor dem Hintergrund der Theorie der phänomenologischen Reduktion konsequente Auslegung des »ego cogito« als »transzendentaler Idealismus«99, denn »Alles, was für mich ist, ist es dank meinem erkennenden Bewusstsein, es ist […] Gedachtes meines Denkens, Theoretisiertes meines Theoretisierens«100, und die in der V. Cartesianischen Meditation folgenden Exposition einer Theorie der Fremderfahrung, um dem Solipsismus zu entgehen, muss Sartre vor dem Hin96 Dies deutet sich meines Erachtens bereits durch den zweiten Bewusstseinsbegriff im ersten Kapitel der V. Logischen Untersuchung an, den Husserl im Anschluss an Brentano als »innere Wahrnehmung« d.i. als »Gewahrwerden von eigenen psychischen Erlebnissen«, expliziert. V. LU, §1, 4. 97 Dass ebendies jedoch nicht als Husserls erklärtes Ziel angesehen werden kann, bestätigt Konrad Cramer in seinem 2009 anlässlich des Husserl-Symposiums in Göttingen gehaltenen Vortrag Ich und Ichbewusstsein. Überlegungen zu Edmund Husserls Theorie der Subjektivität in der ersten Auflage seiner Logischen Untersuchungen von 1900/01, erschienen in: Konrad Cramer und Christian Beyer (Hrsg.): Edmund Husserl 1859–2009, Beiträge aus Anlass der 150. Wiederkehr des Geburtstages des Philosophen, in: Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge, Bd. 14, Berlin, Göttingen 2011, 3–25, 20f. [Cramer 2009]. 98 Sartre präzisiert seine Kritik an Husserls Exposition des »reinen Ich« in L’§tre et le N¦ant in der Tat in einem Atemzug mit der Explikation des Selbstbewusstseins als nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich. Vgl: EN, 28f.: »Dire que la conscience est conscience de quelque chose cela signifie qu’il n’y a pas d’Þtre pour la conscience en dehors de cette obligation pr¦cise d’Þtre intuition r¦v¦lante de quelque chose, c’est — dire d’un Þtre transcendant. Non seulement la subjectivit¦ pure ¦choue — se transcender pour poser l’objectif, si elle est donn¦ d’abord, mais encore une subjectivit¦ ›pure‹ s’evanouirait. Ce qu’on peut nommer proprement subjectivit¦, c’est la conscience (de) conscience.« Zur ausführlichen sartreschen Explikation seines Ansatzes siehe Kapitel 3 dieser Arbeit. Bei der Behandlung der sartreschen Konzeption des Bewusstseins und Selbstbewusstseins wird sich jedoch auch zeigen, dass Sartre auf den auch von Husserl in dem hier und auch von Sartre häufig zitierten §57 der Ideen I exponierten Gedanken der von dem »reinen Ich«, wenn es denn als »Sicherung« der Identität des Bewusstseins als Erlebnisstrom fungieren soll, zu fordernden Leistung einer »Transzendenz in der Immanenz« zurückkommt und ihn in seine eigene Theorie integrierend übernimmt. 99 CM, IV. Meditation, §41, 85ff. Sartre bemerkt in seinen Tagebüchern rückblickend dazu: »[…] les difficult¦s s’accumulaient, un foss¦ de plus en plus profond me s¦parait de Husserl: sa philosophie ¦voluait au fond vers l’id¦alisme, […].« Carnets, Carnet XI, 226. 100 Ebd.: §40, 84.

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tergrund seiner eigenen Intention als inkonsequent gegenüber der Explikation des Bewusstseins und seiner Inhalte in den Logischen Untersuchungen erscheinen101. Die Husserlkritik Sartres beruht jedoch zudem auf einem Missverständnis des husserlschen Ansatzes unter der erwähnten Direktive »Zu den Sachen selbst!«, das hier nicht unerwähnt bleiben soll. Bereits in den Logischen Untersuchungen weist Husserl darauf hin, dass jedwede »erkenntnistheoretische Untersuchung, die ernstlichen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt« und somit jedwede Wissenschaft in weitem Sinne, die einzig und allein auf das innerweltliche Objekt ausgerichtet ist, durch die Untersuchung der zugehörigen Erkenntniserlebnisse zu ergänzen sei102. Hier wird nochmals deutlich, dass die husserlsche Phänomenologie Erlebnisse und somit Bewusstseinsakte zu ihrem Inhalt macht und lediglich in diesem Sinne auf die »Sachen selbst« zurückgeht. Die so verstandenen »Sachen«, auf die die Phänomenologie zurückgeht, sind somit weder konkrete innerweltliche Gegenstände noch die Inhalte der gegenständlichen Wahrnehmung, sondern die gegenständliche Wahrnehmung als Bewusstseinsakt selbst103. Aus Sartres Äußerungen in den Schriften der 30er Jahre sowie in dem für seinen eigenen Ansatz zunächst programmatischen Artikel Une id¦e fondamentale de Husserl lässt sich jedoch schließen, dass Sartre das husserlsche »Zu den Sachen selbst!« lediglich in dem Sinne verstanden hat, in dem der gegenständlichen Wahrnehmung zugestanden wird, sich tatsächlich auf die konkreten Dinge in der Welt zu beziehen104. Dass Sartre die eigentliche phänomenologische 101 In TE, 20ff. exponiert Sartre, dass Husserls ›Rückkehr‹ [revenir] zur »thÀse classique d’un Je transcendantal« (vgl. das ausführliche Zitat in Fußnote 92) sich nicht mit der Definition von Bewusstsein vereinbaren lasse, da dieses sich bereits durch die Intentionalität definiere. Sartre schreibt zu der husserlschen Konzeption des transzendentalen Ich zur Sicherung der Einheit des Bewusstseins wörtlich: »Husserl n’en a pas besoin. L’objet est transcendant aux consciences qui le saisissent et c’est en lui que se trouve leur unit¦.« Siehe hier auch EN, 28. Zu Husserls Theorie der Fremderfahrung zur Vermeidung des Solipsismus bemerkt Sartre in TE, 85: »Tant que le Je demeure une structure de la conscience, il restera toujours possible d’opposer la conscience avec son Je — tous les autres existants.« Daher : »La r¦futation que Husserl pr¦sente dans Formale und Transzendentale Logik et dans les M¦ditations cart¦siennes ne nous para„t pas pouvoir atteindre un solipsiste d¦termin¦ et intelligent.« Hervorhebungen im Text. Die hier lediglich angedeutete Husserlkritik Sartres wird auf der Grundlage Sartres eigener Theorie des Bewusstseins, die im Hauptteil dieser Arbeit dargelegt wird, verständlicher. Daher erfolgt hier ein Verweis auf die folgenden Kapitel dieser Arbeit. 102 LU II, Einleitung, §7, 19. 103 Vgl. hier vor allem Husserls Ausführungen in den Ideen I, §19, 35: »Aber S a c h e n sind n i c h t ohne weiteres N a t u r s a c h e n, Wirklichkeit im gewöhnlichen Sinne ist nicht ohne weiteres Wirklichkeit überhaupt, […].« 104 Es scheint, dass Sartre dieses Verständnis wesentlich auf Husserls Kritik an der Abbildtheorie der äußeren Wahrnehmung stützt, die er teilt. Siehe dazu Fußnote 76 und: Mouillie,

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Methode, die Husserl im Folgenden in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie exponiert, wie erwähnt als einen Rückschritt105 bezeichnet, wird auf diesem Hintergrund verständlich. Abschließend lässt sich daher zusammenfassen, dass Sartres Interesse an der husserlschen Philosophie im Wesentlichen durch die Präzisierung und theoretische Ergänzung des cartesianischen cogito begründet ist106. Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass die prinzipiell aus seinem eigenen Anliegen erwachsende Husserlkritik Sartre zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Denken Martin Heideggers führt107. Aufschluss über Sartres Heideggerrezeption geben, neben den Aufsätzen aus den 30er Jahren, insbesondere seine Tagebücher und Briefe von 1939 bis 1940. Dort verweist Sartre ausdrücklich auf seine Rezeption der Corbinschen Übersetzung der Vorlesung Was ist Metaphysik?, die Heidegger 1929 in Freiburg hält und die 1930 veröffentlicht wird108. Diese Rezeption ist vor der von Sein und Zeit anzusetzen109. Sartre schreibt Heidegger das Verdienst zu, eine philosophische Theorie des Menschen zu entwickeln, die den Weltbezug des Menschen als »Dasein« mit seinen sogenannten Existenzialien der »Geworfenheit«, des »In-seins«, der »Sorge« und des »Mitseins« thematisiert und insbesondere in seinem Hauptwerk Sein und Zeit herausgearbeitet zu haben110, das darüber hinaus eine de-

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Sartre et Husserl, 78: »Alors le retour aux choses mÞmes va se voir chez Sartre infl¦chi vers une critique de l’essentialisme husserlien au profit d’une saisie de la donn¦e concrÀte de notre exp¦rience.« In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass Sartres Rezeption philosophischer Theorien stets mit einer Umformung derselben in Hinblick auf eigene Recherchen einhergeht. Vgl. Carnets, Carnet XI, 226: »[…] pour moi, ¦puiser un philosophe c’est r¦fl¦chir dans ses perspectives, me faire des id¦es personnelles — ses d¦pens jusqu’— ce que je tombe dans un cul-de-sac« und FA, 38: »Sartre s’int¦ressait […] — ses propres id¦es« und 47f. sowie Waldenfels, 33. Vgl. Fußnote 92 und Sartres Äußerungen in EN: »Husserl d¦finit pr¦cis¦ment la conscience comme une transcendance. […] c’est sa d¦couverte essentielle. Mais dÀs le moment qu’il fait du noÀme un irr¦el, corr¦latif — la noÀse, et dont l’esse est un percipi, il est totalement infidÀle — son principe«. Diese Einschätzung teilt Raffll Fornet y Betancourt. Vgl. Betancourt 1977, 3. Auf eine offenkundige Anlehnung an Husserl, die sich in Sartres Werk aufweisen lässt, und die über die in diesem Kapitel im Überblick beschriebene Husserlrezeption hinausgeht, wird bei der Untersuchung der jeweiligen sartreschen Argumentation in den folgenden Kapitel hingewiesen. Vgl. dazu: Carnets, Carnet XI, 227: »Certainement c’est pour m’¦vader de cette impasse husserlienne que je me tournais vers Heidegger.« Martin Heidegger: Was ist Metaphysik? (1929), im Folgenden zitiert nach der siebten unveränderten Auflage, Frankfurt/M. 1955, [WM]. Die Übersetzung von Henry Corbin erscheint 1930 unter dem Titel: Qu’est-ce que la m¦taphysique? [QM] in der Zeitschrift Bifur, bevor sie 1931 erstmals bei Gallimard veröffentlicht wird. Vgl. dazu auch: EN, 52f. Carnets, Carnet XI, 225 und 227. Vgl. dazu: TE, 58.

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taillierte Analyse der Zeitlichkeit des »Daseins« liefert. Die Vorlesung Was ist Metaphysik? stellt zudem, ausführlicher als Sein und Zeit, Heideggers Theorie des Nichts, die er aus der Grundstimmung der Angst des »Daseins« entwickelt, vor. Diese von Sartre aus seiner eigenen Intention heraus zunächst gelobte Konzeption Heideggers entspringt ihrerseits aus einer Kritik Heideggers an seinem Lehrer Husserl, dem er bereits in der Vorlesung Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem 1919 den Vorwurf macht, in seinen Ausführungen zu den Gegebenheitsweisen der Phänomene lediglich ein laut Heidegger »theoretisierendes« Bewusstsein betrachtet zu haben, das »meint«, »erinnert«, »vorstellt« etc. Heidegger bezeichnet diese Bewusstseinseinstellungen als »sekundär«. Auf ihrer Grundlage sei allererst eine Aufspaltung des Erlebens in Subjekt und Objekt möglich, die die Phänomenologie in der Folge zu vermeiden suche111. Unser primäres Umwelterleben sei laut Heidegger vielmehr nichttheoretisierender Art, ein »Sein in Situation«112, in dem kein Bewusstsein einem »Etwas« gegenübergestellt wird, keine Situation dem Bewusstsein »gegeben« ist, da die Wendung »gegeben« ihrerseits bereits auf eine »theoretisierende Einstellung« verweise. Diesem primären »Umwelt-erleben« stellt Heidegger auch begrifflich ein theoretisierendes »Ent-leben« der Umwelt gegenüber, in dem sich die Einheit der Situation auflöst und sich das Subjekt als Subjekt, einem Objekt gegenüber, erfasst. Mit diesen Ausführungen wird die »existenziale Analyse« der Subjektivität als »Dasein«, als »In-Situation-sein« und »In-der-Welt-sein« in Sein und Zeit vorbereitet. Diese Analyse soll laut Heideggers Intention in Sein und Zeit dazu dienen, die Frage nach dem Sinn von Sein in angemessener Weise vorzubereiten. ›Angemessen‹ bedeutet für Heidegger, dass in der Vorbereitung dieser Frage auf dasjenige Seiende zu rekurrieren ist, das überhaupt ein ›Seinsverständnis‹ hat, da es ihm in seinem Sein um eben dieses Sein geht. In dieser Darlegung seiner Intention wird bereits deutlich, dass Heidegger begrifflich streng zwischen

111 Hier und im Folgenden: Martin Heidegger: Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem, in: Martin Heidegger Gesamtausgabe, II. Abteilung Vorlesungen, Bd. 56/57, II. Theil, S. 63–116. Insbesondere die §§16–20. Vgl. dazu auch: Martin Heidegger : Sein und Zeit (EA 1927), 17. unveränderte Auflage, Niemeyer, Tübingen 1993, [SZ], §7C, S. 37ff. Die Frage nach der sachlichen Angemessenheit der heideggerschen Kritik an Husserl kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht behandelt werden. Darüber hinaus kritisiert Heidegger in SZ, §43, 208, interessanterweise wie Sartre die husserlsche Konzeption einer transzendental-phänomenologischen Subjektivität, die gleichsam »in ihrem Sein unbestimmt« bleibt. 112 Vgl. hier und im Folgenden auch Heideggers Vorlesung Unterwegs zur Sprache, 1950–56, erschienen im Klett Cotta Verlag, in 14. Auflage 2007. Und: Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland, Heidegger und seine Zeit, München 1994, [Safranski], 126.

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»Sein« und »Seiendem« unterscheidet113. Unter den Begriff »Seiendes« fallen konkrete Gegenstände und Sachverhalte, d. h. Dinge, die durch Relation zueinander bestimmbar sind. »Sein« wird von Heidegger dagegen intentional aufgefasst. »Sein« ist stets »Sein von etwas«, d.i. »Sein von Seiendem«. Aus Heideggers Ausführungen, u. a. in den genannten Vorlesungen, wird deutlich, dass die Wissenschaft als »theoretisierendes Ent-leben« des »Umwelt-erlebens« diese Frage nicht zu stellen und daher auch nicht zu beantworten vermag, da sie lediglich das Sein von Seiendem erörtert und in ihrer Begründungsfunktion stets von Seiendem zu Seiendem fortschreitet. Daher ist das primäre »Umwelt-erleben«, das »Sein in Situation« zu analysieren. Es handelt sich um das menschliche Sein, das als »Dasein« aufgewiesen wird. Seine wesentliche und es als »Dasein« gegenüber anderem »Seienden« auszeichnende Eigenschaft ist das »In-derWelt-sein«. Hier werden, laut Sartres Lesart, zum einen zwei Seinstypen exponiert und zum anderen werde die Intentionalität des »Daseins« als »In-der-Weltsein« herausgestellt. Das »Dasein« befinde sich stets in einem »besorgenden Umgang« mit innerweltlichem Seienden, dem »Zeug«. Darüber hinaus geht es ihm »in seinem Sein um sein Sein selbst«114. Diese Wendung ist, nachdem der Begriff des Handelns durch die Sorgestruktur als Wesensmerkmal des »Daseins« in den Blick gerückt ist, im Zusammenhang mit der Exposition der Zeitlichkeit des »Daseins« zu verstehen. Laut Heidegger bezieht sich das Dasein wesentlich auf seine Zukunft, es ist wesentlich »zu-sein«. Sein »In-der-Welt-sein« eröffnet dem »Dasein« somit Möglichkeiten, zu handeln. Die Ergreifung seiner Möglichkeiten ist der Ausdruck dafür, dass es dem Dasein in seinem Sein um dieses Sein selbst geht. Es entwirft sich auf seine Zukunft hin115. In diesem Zusammenhang prägt Heidegger den Begriff »Existenz« als die spezifische Seinsweise des »Daseins« als eines »für es selbst zugänglichen« Seins116. 113 Heidegger wird Sartre vorwerfen, diese Unterscheidung vernachlässigt zu haben. In: Martin Heidegger: Brief über den Humanismus, in: ders.: Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den Humanismus, Bern 1947, 79f. Anzumerken ist hier jedoch, dass sich Heidegger an dieser Stelle des Briefes über den Humanismus lediglich implizit auf L’§tre et le N¦ant bezieht. Ein expliziter Bezug findet sich auf L’existentialisme est un humanisme. Vor diesem Hintergrund ist auch die Analyse Froment-Meurices in ders. 24 zu lesen. 114 SZ: §4, 12. Sartre bezieht sich in L’§tre et le N¦ant bei der Exposition des Bewusstseins als »Fürsichsein« explizit auf diese Wendung Heideggers. Siehe EN, 30 und Jean Paul Sartre: Conscience de soi et connaissance de soi (EA 1948 in: Bulletin de la soci¦t¦ franÅaise de philosophie, tome 42, 1948, 49–91) [CC] hier und im Folgenden zitiert nach der Publikation in: Manfred Frank (Hrsg.): Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, Frankfurt/M. 1991, 367–411, 385. 115 SZ, §43, 200ff. 116 SZ, 12 und: Martin Heidegger : Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften. Bd. 6, Göttingen 1989, 245.

Zu Sartres Husserl-, Heidegger- und Hegelrezeption

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Diese Explikation Heideggers stützt fraglos die sartresche Lesart einer Exposition zweier ›Seinstypen‹, da die skizzierte Seinsweise des »Daseins« sich wesentlich von der Seinsweise des »Vorhandenen«, »Fertigen«, das ohne Möglichkeit zu handeln ist, unterscheidet. Zudem findet sich in der erwähnten, von Sartre zunächst rezipierten Übersetzung von Corbin für das heideggersche »Dasein« der Begriff »r¦alit¦ humaine«117. Dieser Begriff droht den wesensmäßigen, unmittelbaren intentionalen Weltbezug als das Spezifische der Seinsweise des »Daseins« und damit den Kern der heideggerschen Intention, die Vermeidung des Begriffes »Subjekt« oder »Person«, zu verschleiern. Vor diesem Hintergrund drängen sich zwei Überlegungen auf: Zum einen ist zu fragen, inwiefern die Konzeption des »Daseins« eine Subjekt-Objekt-Spaltung unterläuft. Und zum anderen ist die Frage zu stellen, ob Sartres Exposition zweier Seinstypen, die er mit Hilfe eines offenkundigen Rückgriffs auf die hegelschen Termini Ansichsein und Fürsichsein expliziert118, nicht riskiert, eine Subjekt-Objekt-Spaltung zu etablieren und auf diese Weise hinter der heideggerschen Position zurückzubleiben. In Hinblick auf die geschilderte Heideggerrezeption Sartres scheint es jedoch zunächst, als suche Sartre diese hegelschen Termini inhaltlich mit der heideggerschen Unterscheidung »Vorhandenes« versus »Dasein« zu füllen und lediglich einen begrifflichen Rückgriff auf Hegel zu vollziehen. So ließe sich im Anschluss an die Heideggerrezeption argumentieren, dass mit der Exposition zweier Seinstypen zwar eine ontologische Grunddichotomie zugegeben wird, die Seinsweise des Subjekts jedoch notwendig so konzipiert ist, dass sie den unmittelbaren Weltbezug als wesentliche Eigenschaft enthält. Er liegt bei Heidegger in dem »besorgenden Umgang mit dem Zeug«, jedoch nicht, unabhängig von diesem besorgenden Umgang, in dem Bezug zu bloß Vorhandenem, wie Sartre die intentionale Beziehung auf das Ansichsein zu verstehen scheint. Trotz dieses Unterschiedes hinsichtlich der Fassung des Weltbezuges als ›besorgender Umgang mit dem Zeug‹ oder als ›intentionaler Bezug auf das Sein an sich‹ kann gesagt werden, dass Sartre im Anschluss an Heidegger die Subjekt-ObjektSpaltung im konkreten Weltbezug eben dadurch zu vermeiden sucht, dass die Seinsweise des Subjektes sich wesentlich als konkreter Weltbezug definiert. Inwiefern Sartres Konzeption, die ihren Ausgang, im Unterschied zu Heidegger119, 117 Vgl. QM sowie dazu auch: Froment-Meurice, 21, Juliette Simont: Le n¦ant et l’Þtre. Sartre/ Heidegger : deux strat¦gies, in: Ingrid Galster (Hrsg.): op.cit., 159–184, 161 und Waldenfels, 37. 118 Siehe unten, Kapitel 3 vorliegender Arbeit. 119 In L’§tre et le N¦ant begründet Sartre den Ausgang vom Cogito ausdrücklich gegen Heidegger, dem er vorwirft, in seiner Konzeption des »Daseins« das Bewusstsein hinsichtlich des Selbstverständnisses des Daseins als Entwurf auf seine Möglichkeiten als Bewusstsein (von) diesem Selbstverständnis zu vernachlässigen. Der Ausgang vom Cogito, das jedoch

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Die Entwicklung des sartreschen Denkens

vom Cogito nimmt und damit einen für sein Anliegen möglicherweise weniger erfolgversprechenden Ansatz wählt120, die Vermeidung der Subjekt-ObjektSpaltung tatsächlich gelingt und ob sie sachlich nicht hinter Heidegger zurückbleibt, ließe sich nach der Behandlung der Kapitel vier und fünf dieser Arbeit beantworten. Sartres Hegelrezeption ist im obigen Zusammenhang bereits angedeutet worden. Ihr kommt in seinem Projekt in zweierlei Hinsicht Bedeutung zu. Bezüglich der Exposition der sartreschen Seinstypen lässt sich zum einen festhalten, dass die Begriffe Ansichsein und Fürsichsein bei Hegel, so wie sie in der Wissenschaft der Logik hergeleitet werden, eine formale Unterscheidung innerhalb der Logik als ›Lehre von den reinen Denkbestimmungen‹ bezeichnen und nicht ontologisch im Sinne der sartreschen ›Seinstypen‹ zu verstehen sind. Das Ansichsein als ›Denkbestimmung‹ bezeichnet ein sich durch Gleichheit mit sich Auszeichnendes, das hinsichtlich dieser Gleichheit mit sich als ein Bestimmtes aufgefasst wird, das von sich aus jedoch keinerlei Beziehung zu anderem unterhält und sich auch nicht gegen anderes bestimmt, um überhaupt bestimmt werden zu können121. Ein Fürsichsein hingegen bezeichnet ein sich durch Reflexivität und mithin dadurch Auszeichnendes, ein Selbstverhältnis zu haben122. In der Phänomenologie des Geistes werden diese Begriffe allerdings subjektivitätstheoretisch gefasst und auf das Bewusstsein bezogen erläutert. Sartres Hegelrezeption bezieht sich nachweislich primär auf die Phänomenologie des Geistes. In L’§tre et le N¦ant finden sich jedoch ebenfalls Verweise auf die Wissenschaft der Logik und die Encyclopädie123, so dass eine genauere Untersuchung der Hegelrezeption des sartreschen Denkens auf der Stufe von L’§tre et le N¦ant aufzuweisen hätte, inwiefern Sartre die formale Bedeutung der he-

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über sich hinaus in die Welt gelangt und Bewusstsein von dieser Transzendenz hat, welches jedem Selbstverständnis zugrunde liegt, scheint Sartre somit zwingend. Vgl. EN 115f., 109f. Die Notwendigkeit der Entwicklung einer Theorie des Selbstbewusstseins ist damit ebenfalls offensichtlich. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Sartre zwar einen für sein Unternehmen möglicherweise problembehafteteren Ausgang wählt, indem er das cartesianische Cogito bemüht. Bei Heidegger findet sich jedoch keine Erklärung der strukturellen Verfasstheit des Selbst. Er scheint vielmehr als evident zu setzen, dass das Selbst in seinem Weltbezug unmittelbar mit sich vertraut ist. Vgl. dazu auch Hegels Explikation des Daseins als gegen Anderes Bestimmtes. In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik I (EA 1812–1813), zitiert nach: Gesammelte Werke, Bd. 11, Hamburg 2000 [WdL I], zitiert nach der Originalpaginierung, insbesondere 28–30. Vgl. WdL I, 21–22, 51–53 und 91–92 und: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (EA 1817), zitiert nach: Gesammelte Werke, Bd. 13, Hamburg 2000, [Encyclopädie] §63ff. EN, 46f. Hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Sartre den Wortlaut z. T. wiederum zitiert nach der bereits erwähnten Studienausgabe von Henri Lefebvre: Morceaux choissis de Hegel.

Zu Sartres Husserl-, Heidegger- und Hegelrezeption

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gelschen Begriffe erkennt oder ob er sie letztlich lediglich, im Anschluss an Hegel in der Phänomenologie des Geistes, subjektivitätstheoretisch versteht124. Zudem kommt einer Hegelrezeption Sartres Bedeutung in Hinblick auf die Konzeption des Negativen und des Nichts in der in L’§tre et le N¦ant exponierten Theorie des Bewusstseins zu. Die in der Sartreliteratur verbreitete Auffassung, Sartre konzipiere seine Theorie des Nichts primär in Anlehnung an Hegel125, scheint jedoch bei einem Blick auf das erwähnte Heideggerstudium präzisierungsbedürftig. Heidegger präsentiert, wie bereits erwähnt, sowohl in Sein und Zeit als auch in Was ist Metaphysik? eine Theorie des Nichts, die sich u. a. dadurch auszeichnet, dass Negatives in der Welt phänomenologisch, im Sinne der Beschreibung von Erfahrungstatsachen, aufgewiesen werden kann. So wird bei Heidegger die Verneinung »Zeuge für die zum Dasein wesenhaft gehörige Offenbarkeit des Nichts«126. Das Nichts offenbart sich in der dem Dasein wesentlich angehörenden Grundstimmung der Angst. Somit wird das Dasein als »Platzhalter des Nichts« angesprochen. Sartre wird in einer ganz ähnlichen Weise verfahren127. Ferner wird bei Heidegger durch diese Konzeption die Transzendenz des Daseins zu innerweltlich Seiendem erst ermöglicht, da »das Sein selbst im Wesen endlich ist und sich nur in der Transzendenz des in das Nichts hinausgehaltenen Daseins offenbart«128. Mit der Integration des Nichts als elementares Moment in die Grundstruktur des Bewusstseins, durch die es allererst als Bewusstsein von etwas und damit als Transzendenz zu innerweltlich Seiendem existieren kann, verfährt Sartre jedoch nicht analog, sondern kritisiert Heideggers Exposition des Nichts als »extra-mondain«129. Heideggers Transzendenz ziele nicht primär auf die Welt, sondern stelle die Bedingung jedes Weltbezuges dar. Als Strukturmoment des Bewusstseins konzipiert Sartre das Nichts hingegen nicht nur als

124 In Hinblick auf Thema und Umfang dieser Arbeit wird hier auf eine solch ausführliche Untersuchung der sartreschen Hegelrezeption verzichtet. Es sei an dieser Stelle auf die Untersuchungen von Gerhard Seel: Sartres Dialektik, Bonn 1971, [Seel], und von Klaus Hartmann: Hartmann 1963 verwiesen, die dieser Frage eigens nachgehen. 125 Siehe hier vor allem die Untersuchungen von Hartmann, 4f., Seel, 27, Froment-Meurice, 23. Sartre diskutiert im ersten Kapitel von L’§tre et le N¦ant sowohl die Position Heideggers als auch die Hegels explizit. Dass dabei in der Tat zunächst der Auseinandersetzung mit der hegelschen Konzeption des Nichts Vorrang eingeräumt wird, gründet in Sartres Absicht, den Vorzug der heideggerschen Konzeption für sein Unternehmen der Klärung des Verhältnisses des sich ›au milieu du monde‹ befindlichen, bewussten Subjekts zu der es ›umgebenden‹ Welt gegenüber der hegelschen herauszustellen und durch eine Kritik an beiden Positionen seine eigene Auffassung bereits in Grundzügen zu umreißen. 126 Hier und im Folgenden: WM, 37. 127 Siehe unten, Kapitel 3.5 vorliegender Arbeit. 128 WM, 39. Vgl. auch: WM, 34/35. 129 EN, 55. Vgl. zu Sartres Konzeption des Bewusstseins unten, Kapitel 3.

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»intramundanes«, als das die »transcendance vers le monde« ermöglichende Element, sondern dabei wesentlich als »intra-conscientiel«130. Diese Konzeption verweist wiederum auf Sartres Hegelrezeption. Gegen Hegels Auffassung der dialektischen Einheit von ›Sein‹ und ›Nichts‹ in der Wissenschaft der Logik und der Encyclopädie wendet Sartre ein, dass das ›Sein‹ als ›Grundlage‹, auf der sich die Merkmale des Phänomens zeigen131, angenommen werden müsse. Sartre betont den ›logischen Vorrang‹132 des ›Seins‹ gegenüber dem ›Nichts‹ folglich aus seinem ontologischen Verständnis heraus133, da es sich als Nicht-Sein um ein zunächst gesetztes und dann negiertes Sein handele. Mit dieser Darstellung wendet sich Sartre gegen eine Konzeption, die eine ›logische Gleichzeitigkeit‹ [contemporan¦it¦ logique] von ›Sein‹ und ›Nichts‹ supponiert und ›Nicht-Sein‹ und ›Sein‹ als ›Gegensätze‹ fasst, ohne ihrer ontologischen Widersprüchlichkeit Rechnung zu tragen und Ausdruck zu verleihen134. 130 Diese treffende Wendung findet sich bei Simont, 169. 131 EN, 48: »L’Þtre […] est le fondement sur lequel se manifesteront les caractÀres du ph¦nomÀne.« Vgl. die deutsche Übersetzung von Traugott König: Das Sein und das Nichts, Versuch einer phänomenologischen Ontologie, Reinbek, 1995, [SN], 48. Die Seitenzahlen folgen der Originalpaginierung. 132 EN, 50: »une post¦riorit¦ logique«. Und, EN 52: »[…] l’Þtre a sur le n¦ant une pr¦s¦ance logique […].« Die oben genannte deutsche Übersetzung findet sich bei Traugott König et al.: SN, 52 und ist meines Erachtens der von der Seite 50: »ein logisches Später« vorzuziehen. 133 EN, 51: »[…], ce qu’il faut rappeler ici contre Hegel, c’est que l’Þtre est et que le n¦ant n’est pas.« Hervorhebungen im Text. Sartre verweist in diesem Zusammenhang bereits auf ein »jeu de mots« (EN 51) hinsichtlich der Begrifflichkeit des ontologisch verstandenen »Nichts« und der »Negation«. In der Wissenschaft der Logik trennt Hegel begrifflich zwischen dem »Nichts« und dem »Negativen«, indem er unter dem »Nichts« das »Reine«, »Unbestimmte« versteht, das sich durch diese Unbestimmtheit auch nicht vom reinen Sein unterscheidet. Das »Negative« hingegen bezeichnet laut Hegel das dem Positiven Entgegengesetzte, d.i. das »Nicht-Seiende« (WdL I, 45–46). Sartre sieht an dieser Stelle den Kern dieser hegelschen Unterscheidung nicht. Sein Hinweis auf ein »jeu de mots« droht ihn vielmehr zusätzlich zu verschleiern. 134 Diese Argumentation weist jedoch zum einen in sich unklare begriffliche Übergänge auf, zum anderen wirkt sie als Hegelkritik stark bemüht. Zu Ersterem ist festzuhalten, dass Sartre in der Rede vom ›Nichts‹ [le n¦ant] – vom ›reinen Nichts‹ mit Hegel gesprochen – begrifflich übergeht zum ›Nicht-Seienden‹ [le non-Þtre], um die Widersprüchlichkeit zum ›Sein‹ [Þtre], verstanden als ›Seiendes‹, auszudrücken: EN, 50: »[…] Opposer l’Þtre au n¦ant comme la thÀse et l’antithÀse, — la faÅon de l’entendement h¦g¦lien, c’est supposer entre eux une contemporan¦it¦ logique. Ainsi deux contraires surgissent en mÞme temps comme les deux termes-limites d’une s¦rie logique. … Mais le non-Þtre n’est pas le contraire de l’Þtre, il est son contradictoire.« Dieser begriffliche Übergang macht deutlich, dass Sartres Kritik an der hegelschen Konzeption hier kaum greifen kann. Denn in der Wissenschaft der Logik I , 23–25 schreibt Hegel bzgl. der Einheit von ›Sein‹ und ›Nichts‹: »N i c h t s pflegt dem E t w a s entgegengesetzt zu werden; Etwas aber ist ein bestimmtes Seyendes, das sich von anderem Etwas unterscheidet; so ist also auch das dem Etwas entgegengesetzte Nichts das Nichts von irgend Etwas, ein bestimmtes Nichts. Hier aber ist das Nichts in seiner unbestimmten

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Dennoch gesteht Sartre in seiner eigenen Konzeption durch die Exposition des Nichts als »intra-conscientiel« eine Einheit von Sein und Nichts zu, die er in das Bewusstsein als seine wesentliche Struktur legt. Dieses Verfahren soll einen unmittelbaren, da in der wesentlichen Struktur des Bewusstseins selbst liegenden, Zugang zur Welt135 erlauben, der zudem den unterschiedlichen Seinstypen des Bewusstseins einerseits und der innerweltlichen Gegenstände andererseits Rechnung trägt. Dies wird in den folgenden Kapiteln erörtert136. Sartres Aufsätze aus den 30er Jahren, insbesondere die Abhandlungen La Transcendance de L’Êgo (1936) und L’Imaginaire (1940) bereiten seinen Ansatz vor, indem sie die L’§tre et le N¦ant zugrunde liegende Theorie des Bewusstseins in ihren Grundzügen entwickeln137.

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Die Aufsätze aus den dreißiger Jahren: La Transcendance de l’Égo und L’Imaginaire

Die Aufsätze La Transcendance de l’Êgo und L’Imaginaire werden hier stellvertretend für die Entwicklung des sartreschen Denkens in den 30er Jahren betrachtet, da sie wesentliche Thesen vortragen, die in L’§tre et le N¦ant ihre Einfachheit zu nehmen; […] – Das N i c h t s e y n, enthält die Beziehung auf das S e y n; es ist also nicht das reine Nichts, […].« Hervorhebungen im Text. Hier zeigt sich nochmals, dass Sartre in seiner Kritik von vornherein von einem ontologischen Verständnis von ›Sein‹ und ›Nichts‹ aus argumentiert. 135 Der Bezug Sartres auf Hegels von Konrad Cramer so genannten »Satz des Bewusstseins« aus der Phänomenologie des Geistes: »Das Bewusstsein unterscheidet etwas von sich, auf das es sich zugleich bezieht« (PhG, 76), mit dem die Beziehung auf Anderes als konstitutives Element der Selbstbeziehung ausgedrückt werden soll, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Interessanterweise geschieht dies wiederum vor dem Hintergrund der Rezeption der heideggerschen Daseinsanalytik: »la conscience est un Þtre pour lequel il est dans son Þtre question de son Þtre en tant que son Þtre implique un Þtre autre que lui.« EN, 29. Die entsprechende Übersetzung in SN lautet: »das Bewußtsein ist ein Sein, dem es in seinem Sein um sein Sein geht, insofern dieses Sein ein Anderessein als es selbst impliziert.« SN, 29. Vgl. dazu auch: CC, 236. Angemerkt sei hier, dass Hegel mit seiner Konzeption versucht, eine interpretatorische Antwort, wenn auch keine Lösung, in Hinblick auf das Problem des Zirkels in der Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins zu geben. Siehe dazu: Cramer, Erlebnis, 597f. 136 Hierzu sei anzumerken, dass es in dieser Abhandlung nicht darum gehen soll, Sartres Theorie des Bewusstseins in ihrem Verhältnis zu den Theorien Husserls, Heideggers und Hegels zu betrachten. Sehr wohl soll jedoch auch über dieses Kapitel hinaus auf die sartresche Rezeption der genannten Autoren hingewiesen werden, da sie, wie deutlich geworden ist, den Boden bereitet, auf dem Sartres Theorie des Bewusstseins zu verstehen ist. Daher werden in den folgenden Kapiteln zu ausgewählten Thesen der sartreschen Philosophie abermals Hinweise zu den Theorien Husserls, Heideggers und Hegels erfolgen. 137 Vgl. TE, 26ff. Und Sartre rückblickend in QdM II, 34: »Mon livre L’§tre et le N¦ant […] ¦tait le r¦sultat de recherches entreprises depuis 1930.«

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theoretische Fundierung erhalten, und, damit verbunden, bereits zwei Hauptmomente der sartreschen Theorie des Bewusstseins, die Notwendigkeit der Annahme eines ›präreflexiven Cogito‹ einerseits und die Konzeption des ›Nichts‹ andererseits, vorstellen. Der Aufsatz La Transcendance de l’Êgo von 1936 entsteht im Wesentlichen aus der Kritik Sartres an Husserls Exposition eines transzendentalen Ich. Sartre zeigt, dass gemäß der husserlschen Definition von Bewusstsein als ›Bewusstsein von etwas‹ keine Notwendigkeit dafür besteht, ein Ego formal oder substantiell138 im Bewusstsein zu supponieren und somit in die Bewusstseinsstruktur aufzunehmen. Diese Kritik führt Sartre auf direktem Wege zu der Exposition seiner eigenen These: Zwar falle, Husserl folgend, das Ego als Subjekt in der Welt in der Tat konsequenterweise unter die phänomenologische Reduktion139, so dass sich das »transzendentale Feld« gleichsam als »präpersonell«140 erweise. Durch die Definition des Bewusstseins als wesentlich intentionales, d. h. als ständiges Sich-selbst-Transzendierendes, als »Bewegung nach […]«, folge aber, dass es gänzlich inhaltsleer und sich selbst völlig transparent sei. Dieses so definierte Bewusstsein »vereinige sich, indem es sich selbst entgehe«141 und mache somit die Annahme eines ›einheitsstiftenden‹ ›transzendentalen Ich‹ überflüssig. Diese These Sartres ist erläuterungsbedürftig142 : Bewusstsein wird als ›Bewegung auf ein Objekt zu‹, definiert. Es transzendiert sich auf ein Objekt hin, das ihm aufgrund der intentionalen Struktur des Bewusstseins transzendent ist. Das sich ständig transzendierende Bewusstsein soll 138 Vgl. TE, 13. 139 TE, 18. 140 TE, 19: »le champs transcendantal devient impersonnel, ou, si l’on pr¦fÀre ›pr¦personnel‹ […].« 141 TE, 21: »[…] elle s’unifie en s’¦chappant.« 142 An dieser Stelle sei Folgendes angemerkt: Die Motivation für diese These ist in der bereits erwähnten sogenannten ›vortheoretischen Grundüberzeugung‹ Sartres zu suchen, die phänomenologische Methode erlaube es, die traditionelle Subjekt-Objekt-Dualität in Hinblick auf die Konzeption des Bewusstseins aufzulösen. Denn: Wird das Bewusstsein tatsächlich als ›präpersonell‹ und damit das ›Ich‹ nicht als Moment seiner inneren Struktur, sondern vielmehr in der Welt, auf der Seite der Objekte aufgewiesen, erweise sich das Bewusstsein nicht mehr als Subjekt im traditionellen Sinne. Gegen idealistische Positionen ließe sich dann einwenden, dass es in diesem Fall kein ›Ich‹ gebe, das ›sich‹ eine, wie auch immer geartete ›Welt‹ ›schafft‹. Dennoch bleiben in dieser Konzeption Sartres, wenn sie sich denn als schlüssig erweist, ›Ich‹ und ›Welt‹, der Intentionalitätsthese gemäß, intentionale Objekte für das ›präpersonelle Bewusstsein‹, durch das sie, wie Sartre in den Schlussfolgerungen zu La Transcendance de l’Êgo schreibt, »sich verbunden finden« (in: Jean-Paul Sartre: Die Transzendenz des Ego, dt. von Traugott König, Reinbek 1997, [TrE] 92) [se trouvent reli¦s] (TE, 87). Die nötige Überzeugungskraft dieser These mit all ihren Implikationen hat Sartre jedoch erst, auch über den hier zu erläuternden Aufsatz von 1936 hinaus, zu entwickeln. Die folgenden Kapitel dieser Arbeit werden diese Problematik erneut aufnehmen.

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nun seine Einheit durch seinen Bezug auf das Objekt als ein ihm Transzendentes finden143. Seine Einheit konstituiert sich folglich in wortwörtlichem Sinne, »indem es sich selbst entgeht«144, so dass sich seine Einheit in dem Vollzug seiner es als Bewusstsein auszeichnenden Struktur offenbart. Somit müsse eine Phänomenologie, die Bewusstsein radikal als »reine Intentionalität« definiert, als bar jedes substantiellen Inhalts und völliger Transparenz und Transluzidität, keinesfalls auf ein transzendentales Ich als Vereinigungsprinzip rekurrieren. Dass Sartre dem so verstandenen transzendentalen Ich jede Existenzberechtigung abspricht und es als »Tod des Bewusstseins«145 bezeichnet, wird vor diesem Hintergrund verständlich. Im Bewusstsein als »reiner Transzendenz« ist im wahrsten Sinne des Wortes »kein Platz«146 für ein Ich, verstanden als substantielles Element, das die ›Transparenz‹ des Bewusstseins zerstören würde. Hier handelt es sich in der Tat zunächst um eine husserlimmanente Kritik147. Ausgehend von dieser Kritik modifiziert Sartre seinen Bewusstseinsbegriff jedoch bereits. Dies erlaubt ihm schon an dieser Stelle sowohl eine dialektische Auffassung der Struktur des Bewusstseins als auch auf ontologischer Ebene die Exposition zweier Seinstypen, des Seins des Bewusstseins und des Seins des ihm transzendenten Objekts, vorzuzeichnen. So führt Sartre hier den Terminus »type d’existence de la conscience«148 ein, der dadurch charakterisiert ist, Bewusstsein seiner selbst zu sein [d’Þtre conscience de soi], insofern [en tant que] es, als reine Transzendenz, Bewusstsein von einem ihm transzendenten Objekt ist. Verbunden mit dieser Exposition hat Sartre im Folgenden zweierlei zu klären: 143 TE, 22: »L’objet est transcendant aux consciences qui le saisissent et c’est en lui que se trouve leur unit¦.« 144 Ebd. 145 TE, 23: »Le Je transcendantal n’a donc pas de raison d’Þtre. […] Le Je transcendantal, c’est la mort de la conscience.« 146 TE, 24. 147 Vgl. hier auch Betancourt 1977, 6, der diese Interpretation stützt. Sartre verweist seinerseits explizit auf Husserls Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins (Edmund Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, Husserliana, Bd. X, Den Haag 1966 [PhZ]), um seine These zu stützen. Er zeigt, dass Husserl in seiner Untersuchung eines möglichen Vereinigungsprinzips von Bewusstseinsakten in der Dauer ebenfalls keineswegs auf ein transzendentales Ich verweist, sondern dies mittels der Auffassung von der ›Doppelten Intentionalität des Bewusstseinsstromes‹ zu erklären sucht. TE, 22: »[…] Husserl, qui a ¦tudie dans La Conscience interne du temps cette unification subjective des consciences, n’ait jamais eu recours — un pouvoir synth¦tique du Je. C’est la conscience qui s’unifie elle-mÞme et concrÀtement par un jeu d’intentionnalit¦s ›transversales‹ qui sont des r¦tentions concrÀtes et r¦elles des consciences pass¦es. Ainsi la conscience renvoie perp¦tuellement — elle-mÞme, qui dit ,une conscience‹ dit toute la conscience et cette propri¦t¦ singuliÀre appartient — la conscience elle-mÞme, quels que soient par ailleurs ses rapports avec le Je.« Zu Husserls Darlegungen, auf die sich Sartre hier bezieht, siehe insbesondere PhZ, §39 und Beilage VIII. 148 TE, 23.

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Zum einen muss er erläutern, wie das von ihm geschilderte Selbstbewusstsein, das den Existenz- oder Seinstyp des Bewusstseins auszeichnet, zustande kommt, da es mehr behauptet als lediglich die Einheit des Bewusstseins, und wie es strukturell zu verstehen ist. Zum anderen wird Sartre zu erläutern haben, wie ein Bewusstsein respektive Selbstbewusstsein ohne Ich konsequent vorzustellen ist. Sartre versucht in La Transcendance de l’Êgo beiden Punkten, die in seiner Theorie eng zusammenhängen, ansatzweise Rechnung zu tragen. Seine Erläuterungen zu einer Theorie des Bewusstseins und Selbstbewusstseins bleiben in diesem Aufsatz jedoch rein vorbereitender Natur. Hier soll zunächst der zuletzt aufgeführte Punkt betrachtet werden: Ist laut Sartre ein Bewusstsein ohne Ich denkbar bzw. notwendigerweise ohne Ich zu denken? Interessanterweise verweist Sartre eingangs auf den bereits erwähnten kantischen Satz aus der Kritik der reinen Vernunft: »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können.«149 Die Wendung begleiten können fasst Sartre jedoch vor dem Hintergrund des kantischen Projekts in der Kritik der reinen Vernunft lediglich als optional, d. h. als Beschreibung einer Möglichkeitsbedingung, auf, die jedoch nicht darlege, wie sich das empirische Bewusstsein faktisch konstituiere. Auf diese Interpretation stützt Sartre seine eigentliche Pointe, indem er ausführt, dass er mit Kant in dieser Geltungsfrage übereinstimme. Sie drücke das Bestehen der prinzipiellen Möglichkeit aus, dass das ›Ich denke‹ alle meine Vorstellungen ›muß begleiten können‹. Die Tatsachenfrage sieht er jedoch keinesfalls entschieden. Die zu beantwortende Frage müsse sich durch diese sartresche Wendung des Blickwinkels vielmehr folgendermaßen stellen: »Wird das Ich, dem wir in unserem Bewusstsein begegnen, durch die synthetische Einheit unserer Vorstellungen ermöglicht, oder ist es selbst eher das, was die Vorstellungen untereinander faktisch vereinigt?«150 Sartre muss hier konsequenterweise eine Kantinterpretation vertreten, die Kant die Annahme der Möglichkeit der Einheit eines Bewusstseins ohne Ich zuspricht151. Kants Satz drängt in der Tat die Frage auf, ob es denn Vorstellungen gebe oder geben könne, die nicht von »Ich denke« begleitet werden152. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Kant die Existenz solcher Vorstellungen zwar nicht explizit ausschließt, diese jedoch als »nicht bewusste« im Sinne von »nichtmeinige« qualifizieren würde. Und gerade weil sie »für mich nichts« wären, wäre der »Träger« dieser Vorstellungen nach kantischem Verständnis kein Ich. In149 KdrV B 131f. und: TE, 13ff. und 26f. 150 Zitiert nach der Übersetzung von Traugott König in TrE, 41f. Sartre schreibt: »[…] le Je que nous rencontrons dans notre conscience est-il rendu possible par l’unit¦ synth¦tique de nos repr¦sentations, ou bien est-ce lui qui unifie en fait les repr¦sentations entre elles?«, TE, 16. 151 TE, 14: »Il semble au contraire qu’il [Kant] ait parfaitement vu qu’il y avait des moments de conscience sans ›Je‹ puisqu’il dit: ›doit pouvoir accompagner.‹« [Zusatz] der Verfasserin. 152 Vgl. die kursorische Darstellung oben, Kapitel 1.

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sofern kommt dieser Frage aus der kantischen Perspektive letztlich weniger Bedeutung zu als dem sartreschen Unternehmen, zumal Sartre die Klärung des Sachverhaltes »Selbstbewusstsein« wesentlich mit seiner eingangs aufgestellten These verknüpft, dass ein Ich »weder formal noch material«153 im Bewusstsein, sondern als »substantielles Moment« vielmehr auf der Seite des Objektes anzunehmen sei. Demnach supponiert Sartre hier, zusammen mit dem oben Gesagten, explizit die Möglichkeit und Notwendigkeit der Annahme eines »reinen Bewusstseins« ohne Ich, das jenes lediglich verdunkeln würde, und optiert daher für die erste Alternative der von ihm genannten Fragestellung: Das Ich wird durch die synthetische Einheit unserer Vorstellungen erst ermöglicht154. Die strukturelle Entfaltung dieses Bewusstseins ohne Ich, das sich »vereinigt, indem es sich selbst entgeht«, hat Sartre zusammen mit den unter dem ersten Punkt genannten Fragestellungen zu behandeln. Strukturell unterscheidet Sartre dabei an dieser Stelle bereits zwischen einem Bewusstsein ersten und zweiten Grades, einem nicht-reflexiven und reflexiven, einem nicht-positionalen und positionalen Bewusstsein. Dieser Unterschied wird jedoch erst in L’§tre et le N¦ant theoretisch fundiert werden. Sartre schließt die Exposition dieses Unterschiedes direkt an die explizite Übernahme der Auffassung des Cogito als Reflexion an. Sie wird lediglich durch die These des möglichen Aufweises eines nicht-reflexiven Bewusstseins, d.i. eines Bewusstseins ersten Grades ergänzt, das sich selbst nicht als Objekt setzt155. Diesen Aufweis, der aus der konsequenten Ausformulierung des »traditionellen« Cogito156 und dessen Zirkelproblematik 153 TE, 13. 154 Vgl. TE, 19: »[…] le Je pense peut accompagner nos repr¦sentations parce qu’il para„t sur un fond d’unit¦ qu’il n’a pas contribu¦ — cr¦er et que c’est cette unit¦ pr¦alable qui le rend possible au contraire; […].« 155 TE, 28 u. 29: »Simplement elle ne se pose pas — elle-mÞme comme son objet.« Dieser im Folgenden zu entwickelnde Ansatz gewinnt seine Attraktivität zunächst daraus, dass Sartre zu Recht feststellt, dass alle Autoren, die in ihrer Konzeption des Bewusstseins einen Ausgang vom Cogito gewählt haben, dieses als »reflexive Operation« verstanden haben, welche keine der aufgeworfenen Fragestellungen, einschließlich die der Vermeidung des Regresses, angemessen löst. Die von ihm im Folgenden dargestellte Forderung und beginnende Ausarbeitung eines »nicht-reflexiven Cogito«, das, insbesondere in L’§tre et le N¦ant, als »vor- oder präreflexives Cogito« bezeichnet wird, ist in der Tat nicht neu. Auch Brentanos Konzeption des ›inneren Bewusstseins‹ mittels der Unterscheidung zwischen ›primärem‹ und ›sekundärem Objekt‹ des Bewusstseinsaktes lässt sich als Einsicht in die Notwendigkeit eines solchen Ansatzes zuordnen, da Brentano mit dieser Konzeption zum einen den Rückfall in einen infiniten Regress und zum anderen die Annahme unbewusster Vorstellungen vermeiden will. Eine Analyse seiner Ausführungen zeigt, dass ihm lediglich Letzteres gelingt. Vgl. dazu: Brentano: Psychologie, Buch 2, Kapitel II, insbesondere §9 und: Erlebnis, 579ff. Die Originalität Sartres jedoch liegt in der methodischen Ausarbeitung dieses Ansatzes selbst. Ihr wird in den folgenden Kapiteln ausführlich Beachtung geschenkt. 156 Vgl. ebd.: »Ce Cogito est op¦r¦ par une conscience dirig¦e sur la conscience, qui prend la conscience comme objet.«

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des Sachverhaltes »Selbstbewusstsein« folgen soll, versucht Sartre in La Transcendance de L’Êgo in erster Linie phänomenologisch-deskriptiv zu leisten. Hierbei befassen sich Sartres Ausführungen im Wesentlichen mit dem Beispiel des Aktes der Lektüre157. In dieser Darstellung scheint Sartre zunächst drei »Bewusstseinsgrade« oder »-stufen« [degr¦s] voneinander zu unterscheiden158. Die genauere Betrachtung dieser Ausführungen relativiert diese Deutung jedoch insofern, als durch sie lediglich der in der Bewusstseinsstruktur begründete Unterschied zwischen dem nicht-thetischen, d. h. nicht-positionalen und damit nicht-reflexiven Bewusstsein von sich und dem thetischen, d. h. positionalen und damit reflexiven Bewusstsein von einem Objekt für das Bewusstsein herausgestellt wird. Dieser Aufweis wird um den Hinweis ergänzt, dass dennoch die Möglichkeit eines positionalen Bewusstseins von sich bestehe, das Sartre in seinen späteren Arbeiten als »connaissance de soi« im Unterschied zur nichtthetischen »conscience de soi« bezeichnet. Aufgrund dieser inhaltlichen Entsprechung scheint letztere Interpretation in Hinblick auf die sartreschen Ausführungen in L’§tre et le N¦ant wahrscheinlicher und sinnfälliger zu sein. Dennoch lässt sich Sartres Rede von »degr¦s de la conscience« und der hier zu Interpretationsschwierigkeiten führenden Wendung »troisiÀme degr¦«159 im Sinne von unterschiedlichen »niveaux« und in ihrem Zusammenspiel zumindest als unterschiedliche »moments« innerhalb der Struktur des Bewusstseins verstehen. Diese Konzeption macht offenkundig, dass Sartre hier einen theoretischen Aufweis der Bewusstseinsstruktur bereits vor Augen hat, deren Grundlage die Analyse des Cogito bildet. Auf der hier betrachteten Stufe von La Transcendance de l’Êgo drückt Sartre sich jedoch in der phänomenologisch-deskriptiven Analyse der Implikationen des Cogito terminologisch noch unklar aus, wenn etwa anhand des erwähnten Lektürebeispiels das »Bewusstsein ersten Grades« durch eine »nicht-thetische Erinnerung«160 aufgewiesen werden soll, »Erinnerung« jedoch »Reflexion« impliziere und damit einen Präzedenzfall für »Bewusstsein zweiten Grades«, d. h. thetisches Bewusstsein darstelle161. Diese Textstelle wird jedoch durch einen erneuten Verweis auf Sartres Hus157 Vgl. TE, 30ff. und dazu das Beispiel des »Bewusstseins der verpassten Straßenbahn« (TrE, 32). Hier verweist Sartre auch auf Husserls Unterscheidung zwischen reflektiertem und unreflektiertem, d.i. spontanem Denken im §78 der Ideen I. Vgl. TE, 29. 158 Diese Auffassung vertreten etwa die Sartrekommentatorin Sylvie Le Bon in ihren Anmerkungen in der Ausgabe von La Transcendance de l’Êgo der philosophischen Bibliothek Vrin von 1981, 29, und Jean-Marc Mouillie in: Sartre; Conscience, ego et psychÀ, Paris 2000, [Mouillie, Conscience], 44f. 159 TE, 29: »[…] il faut un acte nouveau et du troisiÀme degr¦ pour la [la conscience] poser.« [Zusatz] der Verfasserin. 160 TE, 30: »souvenir non-th¦tique«. 161 TE, 28f.

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serlrezeption in ihrer Begriffswahl verständlicher. Sartre liefert den Verweis auf Husserl in La Transcendance de l’Êgo, ohne einen expliziten Textbezug anzugeben162. Traugott König führt in seiner deutschen Übersetzung daher zu Recht an, dass Sartre hier implizit auf die husserlschen Ausführungen der Ideen I und insbesondere auf §78 »Das phänomenologische Studium der Erlebnisreflexionen« verweist. Dort unternimmt Husserl eine Analyse der ›Reflexion‹ als »Bewußtseinsmethode für die Erkenntnis von Bewußtsein überhaupt« und weist sie in diesem Zusammenhang als ›Bewußtseinsmodifikation‹ auf, die »prinzipiell j e d e s B e w u ß t – s e i n erfahren kann«, da »jede Reflexion wesensmäßig aus Einstellungsänderungen hervorgeht, wodurch ein vorgegebenes Erlebnis, bzw. Erlebnisdatum (das unreflektierte) eine gewisse Umwandlung erfährt, eben in den Modus des reflektierten Bewußtseins (bzw. Bewußten).«163. Diese Textstelle ist für die sartresche Rezeption in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen stellt sie die prinzipielle Möglichkeit für ›jedes Bewußtsein‹ vor, aus dem Zustand des Unreflektierten durch den Vollzug des Aktes der Reflexion in den Zustand des Reflektierten überzugehen. Zum anderen lässt sich im Anschluss an sie folgende Frage stellen: Wird das zunächst noch unreflektierte Erlebnisdatum164 erst durch den Akt der Reflexion bewusst? Die zitierte Textstelle scheint diesen Schluss zuzulassen und verweist insofern auf die bereits erwähnte husserlsche Theorie der ›inneren Wahrnehmung‹ aus der V. Logischen Untersuchung. Die folgenden Ausführungen des §78 geben jedoch insofern Anlass zur Korrektur, als dort zu dem Terminus ›Erinnerung‹ in Zusammenhang mit dem der ›Reflexion‹ Folgendes ausgeführt wird: »[…] jede Erinnerung [läßt] nicht nur eine reflektive Blickwendung auf sich selbst zu, sondern auch die eigentümliche Reflexion ›in‹ der Erinnerung. Zuerst ist in der Erinnerung etwa der Ablauf eines Musikstückes unreflektiert im Modus des ›vergangen‹ bewußt. Aber zum W e s e n eines so Bewußten gehört die Möglichkeit, auf das Wahrgenommen-gewesen-sein desselben zu reflektieren.«165

Ein bestimmtes Erlebnisdatum ist demnach zunächst, d.i. vor jeglichem Akt der Reflexion, auf ›unreflektierte Weise‹ bewusst, und im Falle der ›Erinnerung‹ auf unreflektierte Weise als ›vergangen‹ bewusst. Zum ›Wesen‹ des ›so Bewußten‹, d.i. eines auf unreflektierte Weise als vergangen Bewussten, gehört die Möglichkeit der Reflexion auf es. Im Falle eines in der Erinnerung auf unreflektierte Weise Bewussten heißt das, dass es, bevor der Akt der Reflexion auf es statthat,

162 Vgl. TE, 29. 163 Ideen I, HUA III, 148. Hervorhebung im Text. 164 Husserl unterscheidet hier offenkundig semantisch nicht zwischen ›Erlebnis‹ und ›Erlebnisdatum‹. 165 Ideen I, HUA III, 148. [Zusatz] der Verfasserin, weitere Hervorhebungen im Text.

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bereits auf eine ›präreflexive Weise‹ bewusst zu sein scheint. Dieses ›unreflektiert bewußt‹ wird von Husserl in §78 nicht näher erläutert. Klärende Textstellen dazu finden sich in Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, auf die Sartre in seinem Aufsatz Conscience de soi et Connaissance de soi von 1948 verweist166. 166 Vgl. CC, 381: »[…] le philosophe qui le premier eut recours — cette conscience non-th¦tique de soi, Husserl, et qui l’a nomm¦ment d¦sign¦e dans la conscience interne du temps.« In diesem Zusammenhang ist als Exkurs auch auf die These Dan Zahavis zu verweisen, die er in seinem Buch Self-awareness and alterity (Northwestern University Press; Evanston, Illinois 1999, [Zahavi 1999]) ausführt und die im Kern darauf zielt, dass Sartre den Gedanken eines nicht-thetischen, präreflexiven Bewusstseins bereits bei Husserl vorfindet und in seiner eigenen Konzeption weiterentwickelt (vgl. insbesondere 53f.). Die oben vorgetragene Lesart des §78 der Ideen I könnte diese These wenigstens zum Teil unterstützen. In seinem Aufsatz The Three Concepts of Consciousness in »Logische Untersuchungen« (in: Husserl Studies 18: 51–64, 2002, [Zahavi 2002]) sucht Zahavi seine These darüber hinaus durch die husserlsche Darlegung insbesondere der V. Logischen Untersuchung zu stützen (57ff.), in denen meines Erachtens jedoch ein expliziter Hinweis auf ein ›präreflexives Bewusstsein‹ der Erlebnisse als solcher fehlt. Ausgehend von Husserls Ausführungen bezüglich sogenannter ›nicht-intentionaler‹ Erlebnisse wie ›Empfindungen‹, die ›erlebt‹, aber nicht als ›Objekt gesetzt‹ sind, muss nicht zwingend auf ein Selbstbewusstsein der Empfindung als solcher geschlossen werden, das ›nicht-setzend‹ und ›vorreflexiv‹ angenommen werden muss: »Zwischen dem erlebten oder bewußten Inhalt und dem Erlebnis selbst ist kein Unterschied. Das Empfundene z. B. ist nichts anderes als die Empfindung. »Bezieht sich« aber ein Erlebnis auf einen von ihm selbst zu unterscheidenden Gegenstand, wie z. B. die äußere Wahrnehmung auf den wahrgenommenen, die nominale Vorstellung auf den genannten Gegenstand u. dgl., so ist dieser Gegenstand in dem hier festzulegenden Sinne nicht erlebt oder bewußt, sondern eben wahrgenommen, genannt usf.« (V. LU, §3, HUA 19/362, Abkürzungen und Hervorhebung im Text). Zahavi begründet diese Annahme mit einer »inherent quality of mineness« (hier und im Folgenden: 64) von Empfindungen als solchen, und damit, dass es sich daher bei Empfindungen um »a (primitive) form of selfawareness« handele. (Hervorhebung im Text). Zahavi zeigt sich hier meines Erachtens beeinflusst von der Ersten-Person-Perspektive der analytischen Philosophie, da es sich bei der »inherent quality of mineness« um etwas anderes zu handeln scheint als »der phänomenologisch eigentümliche Befund« der Erlebnisse, Teile eines Ganzen zu sein. Vgl. V. LU, §4 und Cramer 2009, 8f. Beide Thesen erfordern eine Diskussion, die über den Umfang dieses Exkurses hinausgehen würde. Angemerkt sei an dieser Stelle lediglich, dass Zahavi oben genannte These explizit als eigene kenntlich macht: »I consequently take it to be legitimate to speak of self-awareness the moment I am no longer simply conscious of a foreign object, but of my experience of the object as well, for in this case my subjectivity reveals itself to me.« Darüber hinaus lässt sich fragen, inwiefern Husserl in den Logischen Untersuchungen und in der expliziten Kritik an Brentanos Konzeption des ›inneren Bewußtseins‹ insbesondere im §11 der V. LU nicht nur darauf zielt, dass sich das ›innere Bewusstsein‹ als ›innere Wahrnehmung‹ keinesfalls stets reflektierend auf die Erlebnisse richtet, sondern darüber hinaus, laut Zahavi, zum Ausdruck bringt, dass diejenigen Erlebnisse, auf die sich das ›innere Bewußtsein‹ nicht richtet, dennoch bewusst und zwar auf präreflexive Weise bewusst sind (59), so dass Husserls Logische Untersuchungen in diesem Punkt durchaus auf seine späteren Schriften wie Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins verweisen und nicht in Diskrepanz zu späteren Ausführungen stehen. Siehe dazu auch: Zahavi 1999, 54. In diesem Zusammenhang ist auch auf Jürgen Stolzenbergs Aufsatz

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Aufschluss geben hier insbesondere die husserlschen Ausführungen zu dem Begriff der ›Retention‹ in den Paragraphen 11 und 12 der Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. Dort wird ›Retention‹ gleichgesetzt mit sogenannter ›primärer‹, d.i. (noch) nicht reflektierter ›Erinnerung‹167. Im Folgenden wird diese Gleichsetzung präzisiert und von der ›Reflexion‹ als sogenannte ›Wiedererinnerung‹ unterschieden. Diesen Unterschied fasst Husserl in der Beilage IX168 genauer : Die ›Retention‹ wird als ›Intentionalität eigener Art‹ vorgestellt, die ein Bewusstseinsdatum ›retiniert‹, sobald ein neues auftaucht. Die Wendung ›Intentionalität eigener Art‹ verweist dabei auf folgende Pointe: Die Retention bezieht sich nicht meinend oder ›setzend‹ auf das Retinierte, macht es nicht zu ihrem Objekt. Vielmehr ermögliche die Retention allererst eine reflexive Rückwendung, d.i. eine Wiedererinnerung bzw. Reproduktion eines vergangenen Bewusstseinsdatums als Vergangenes. Erst die Reflexion bezieht sich ›meinend‹ auf das Retinierte und setzt es als ihr Objekt, d. h. als vergangenes Bewusstseinsdatum. Demnach unterscheidet Husserl hier explizit drei Momente: zum einen das sogenannte ›Urbewußtsein‹, d.i. ein jegliches Bewusstseinsdatum, das an sich bereits bewusst, nämlich ›urbewusst‹ sei und daher, um zu Bewusstsein zu gelangen, keines über es hinausgehendes und damit zusätzliches Bewusstseins bedürfe, so dass jegliche Regressproblematik unterlaufen werde, denn: »Es ist eben ein Unding, von einem ›unbewußten‹ Inhalt zu sprechen, der erst nachträglich bewußt würde. Bewußtsein ist notwendig B e w u ß t s e i n in jeder seiner Phasen. Wie die retentionale Phase die voranliegende bewußt hat, ohne sie zum Gegenstand zu machen, so ist auch schon das Urdatum bewußt – und zwar in der eigentümlichen Form des ›jetzt‹ – ohne gegenständlich zu sein.«

Und: »Ist aber jeder ›Inhalt‹ in sich selbst und notwendig ›urbewußt‹, so wird die Frage nach einem weiteren gebenden Bewußtsein sinnlos.«169. Zeit und Selbst – zum Problem der Zeiterfahrung bei Aristoteles, Augustinus, Husserl und Heidegger, in: K. Crone, R. Schnepf, J. Stolzenberg (Hrg.): Über die Seele, Berlin 2010, S. 275–301, zu verweisen. Dort bezieht sich Jürgen Stolzenberg explizit auch auf Husserls spätere Arbeiten, wie Die Bernauer Manuskripte über das Zeitbewusstsein (1917/18) und Späte Texte über Zeitkonstitution (1929–1934), in denen Husserl Selbstbewusstsein als »Grundmodell von Zeitbewusstsein« zu begreifen sucht. [Stolzenberg 2010] 295. Sartre hingegen bezieht sich in seiner hier in klärender Absicht zu erwähnenden Rezeption der husserlschen Wendungen »unreflektiert bewusst« und »nicht-thetische Erinnerung«, wie dargestellt, explizit und, wie zu sehen ist, in begründeter Weise neben den Ideen I auf Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. 167 Vgl. PhZ, HUA X, 391ff. 168 PhZ, HUA X, 472ff. 169 PhZ, HUA X 473. Hervorhebung im Text.

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Dieses so eingeführte ›Urbewußtsein‹ stellt hier demnach bereits eine ihm als solchem inhärente Selbstbezüglichkeit vor, die vor jeglicher Reflexion statthat und als ihre Bedingung fungiert und in diesem Sinne als »präreflexiv« bezeichnet werden kann. In Hinblick auf die sartresche Husserlrezeption ist diese Konzeption Husserls daher in der Tat von Bedeutung170. Über den offenkundigen Versuch hinaus, die Regressproblematik abzuwenden, leistet die Exposition des ›Urbewußtsein‹ jedoch zudem zweierlei: Zum einen richtet sie sich erneut gegen die Annahme unbewusster Vorstellungen und damit gegen die Annahme einer unbewussten Vorstellung als sogenanntes ›letztes Glied‹ der Bewusstseinskette zur Abwendung der Regressproblematik. Damit verbunden führt sie gleichwohl zu der stärkeren These, die besagt, dass die ›Retention‹ eines unbewussten Inhaltes »unmöglich«171 ist. So beruht die Konzeption der ›Retention‹ auf der Tatsache, dass ein jegliches Datum im Bewusstsein stets ›urbewußt‹ im Sinne von als ›jetzt gegeben‹ bewusst ist. Da ›Retention‹ als zweites Moment in dieser Konzeption ihrerseits als Bedingung der Möglichkeit von Reflexion aufgefasst wird – denn ein ›nicht-retiniertes Urbewußtes‹ wäre immer schon ›verschwunden‹, ehe es mittels Reflexion zum Gegenstand gemacht werden könnte – erweist sich das von Husserl vorgestellte ›Urbewusstsein‹ konsequent gelesen als Grundlage für das dritte Moment, d. h. für jegliche Reproduktion und somit für die Möglichkeit inneren Zeitbewusstseins und für Reflexion. Husserls Ausführungen gehen jedoch noch darüber hinaus, so dass deutlich wird, an welchem Punkt die sartresche Rezeption einsetzt: Aus dem oben Dargestellten lässt sich sowohl die Vorzeichnung eines wie auch immer näher zu bestimmenden präreflexiven Bewusstseins als auch eine Erklärung des Terminus ›nicht-thetische Erinnerung‹ lesen. Die Beilage XII Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins liefert dazu folgende wesentliche Anhaltspunkte: Zum einen unterscheidet Husserl nunmehr explizit zwischen »immanenter«, d.i. ›nicht-setzender‹ ›innerer Wahrnehmung‹ und der in der V. Logischen Untersuchung vorgestellten ›inneren Wahrnehmung‹ als ›innere Reflexion‹, d.i. als ›meinende innere Wahrnehmung‹172 : Im ersteren Sinne ist nun »[j]edes Erlebnis […] ›empfunden‹, […] immanent ›wahrgenommen‹ (inneres Bewußtsein), wenn auch natürlich nicht gesetzt, gemeint (wahrnehmen heißt hier nicht meinend-zugewendet-sein und 170 Hier ergeht ein Verweis auf die ausführliche Darlegung der sartreschen Konzeption eines ›präreflexiven Bewußtseins‹ in den folgenden Kapiteln vorliegender Arbeit. Angemerkt sei hier jedoch unter Rückgriff auf den oben ausgeführten Exkurs zu der These Dan Zahavis, jedes Erlebnis sei sich qua Erlebnis präreflexiv seiner selbst bewusst, dass die dargestellten husserlschen Ausführungen der genannten Beilage IX Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins diese Lesart und somit die These Zahavis bestätigen. 171 PhZ, HUA X 473. 172 PhZ, HUA X 481 und 484.

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erfassen).«173 Die Exposition der ›inneren Wahrnehmung‹ der V. Logischen Untersuchung wird durch diese Unterscheidung demnach ergänzt und präzisiert174. Diese Präzisierung der Konzeption des ›inneren Bewußtseins‹ scheint zum einen erforderlich, um eine mögliche Selbstbezüglichkeit des Bewusstseins, d. h. den Sachverhalt ›Selbstbewusstsein‹, in die Konzeption des ›inneren Bewußtseins‹ einzubinden und aus ihr heraus verständlich zu machen. Zum anderen scheint sie erforderlich, um die Möglichkeit des Bewusstseins von Inhalten einer gewissen zeitlichen Dauer sowie deren Reproduktion zu erklären. Beides soll durch die Exposition des ›inneren Zeitbewußtseins‹ geleistet werden können. Aus der oben dargestellten Unterscheidung zwischen ›nicht-setzender‹ und ›setzender‹ innerer Wahrnehmung eines Erlebnisses folgert Husserl eine weitere Unterscheidung, die zwischen dem »präphänomenalen Sein« der Erlebnisse, d.i. »ihr Sein vor der reflektiven Zuwendung auf sie, und ihr[em] Sein als Phänomen.«175 Diese Unterscheidung rekurriert, wie Husserl folgerichtig anmerkt, zum einen auf den Unterschied zwischen dem »Gegenstand der Zuwendung«, d. h. dem Erlebnis, und »der Zuwendung selbst«, z. B. seiner Reproduktion. Die nicht zuletzt auch für das sartresche Unternehmen bedeutendere Folgerung liegt jedoch darin, dass einem jeden Erlebnis ein wie auch immer näher zu bestimmendes ›Sein‹ vor und unabhängig von einer möglichen reflektiven Zuwendung auf es zugesprochen wird176. Sartre bezieht sich in Conscience de soi et Connaissance de soi explizit auf diese husserlsche Exposition177. 173 PhZ, HUA X 481, Hervorhebungen im Text. 174 Vgl. dazu: »Die ganze Phänomenologie, die ich in den Logischen Untersuchungen im Auge hatte, war Phänomenologie der Erlebnisse im Sinn der Gegebenheiten des inneren Bewusstseins, […].« PhZ, HUA X 482. 175 Hier und im Folgenden: PhZ, HUA X 484. [Zusatz der Verfasserin]. 176 »[…] daß A schon vor der Zuwendung ›da war‹.« Auch unter Berücksichtung der oben dargestellten Ausführungen Husserls bleibt jedoch die Frage bestehen, ob es sich bei dem sogenannten ›präphänomenalen Sein‹ der Erlebnisse tatsächlich notwendigerweise um eine ›präreflexive‹ Selbstbezüglichkeit im Sinne des vorgestellten ›Urbewußtseins‹ handeln muss oder diese husserlsche Folgerung des ›präphänomenalen Seins‹ der Erlebnisse lediglich die Notwendigkeit einer ›Präsenz‹ der Erlebnisse vor und als Bedingung jeglicher reflektiven Rückwendung auf sie ausdrückt. Diese Frage lässt sich zunächst auch auf die sartresche Rezeption dieser Passage (s. u.: CC, 381f.) übertragen. Interessant ist hier zudem die Kritik Manfred Franks an dieser husserlschen Exposition, die in Zusammenhang mit der Konzeption des ›Urbewußtseins‹ steht. Vgl. dazu: Manfred Frank: Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, Frankfurt/M. 1993, [Frank 1993] 539ff. und 544ff. Frank weist dort zu Recht auf die zentrale Schwierigkeit der husserlschen Darlegungen hin, die in der ›Zweipoligkeit‹ der Bewusstseinsstruktur liegt, die auch die Konzeption des ›inneren Zeitbewusstseins‹ nicht zu überwinden vermag. Denn: »Wenn Husserl sagt, daß das der Reflexion Gegebene sich darbiete als ›schon da‹ gewesen seiend (130), so behauptet das Präreflexive der Reflexion gegenüber eine Art Vorzeitigkeit, die in setzendes Bewußtsein nicht eingeholt werden kann. Andererseits ist das Reflexionsbewußtsein selbst ›wiederum

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Sie liegt jedoch sowohl den Überlegungen in La Transcendance de l’Êgo als auch den Ausführungen von L’§tre et le N¦ant zugrunde, wie im Folgenden herauszustellen sein wird. Nach diesem präzisierenden Exkurs über die sartresche Husserlrezeption ist zu konstatieren, dass der Terminus »souvenir non-th¦tique«, wie er in La Transcendance de l’Êgo entwickelt wird, zunächst keinesfalls aufgrund der Ermangelung eines treffenderen Ausdruckes dazu dient, aufzuzeigen, dass ein ›Ich‹ aus der »conscience non-th¦tique de soi« ausgeschlossen werden können soll. Im erwähnten unmittelbaren »Akt« der Lektüre sei das Bewusstsein vielmehr gänzlich Bewusstsein von der Lektüre, von der Romanhandlung, von dem Romanhelden etc.. Insofern handele es sich sehr wohl um eine »conscience r¦fl¦chissante«, das Prinzip »Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas« wird also gewahrt, nur kommt »Ich« in diesem Bewusstsein gerade nicht vor, da dieses Bewusstsein eine »conscience irr¦fl¦chie de soi«, gleichbedeutend mit »conein innerlich Bewußtes‹ (127), also instantan zu dem präreflexiven Bewußtsein, worauf es in der Reflexion ausdrücklich sich richtet. Dieser Zeit-Abstand läßt sich sehr schwer begreifen, wenn man zugleich auf der Einheit der Seinsweisen von Bewußtsein besteht: das, was in der Reflexion Bewußtsein stiftet, kann kein anderes Bewußtsein sein, als es das ist, von dem die Reflexion Bewußtsein hat.« (Hervorhebungen im Text). Zudem könne es ›Zeitbewußtsein‹ gemäß der husserlschen Darlegung stets lediglich als »Bewußtsein der unmittelbaren Vergangenheit« geben, was sich phänomenologisch so nicht aufweisen lasse bzw. der konkreten Lebenserfahrung widerspreche: »[…] wir haben im Gegenteil Bewußtsein auch von unserer Gegenwart und müssen – per absurdum zu sprechen – nicht erst warten, bis das »Urbewußtsein« zur Retention geworden ist. Wäre das nämlich der Fall, so würden wir von der Retention gar nicht beurteilen können, daß sie jüngstvergangen ist, denn dazu bedürften wir des Oppositionsbegriffes der Gegenwart.« (Hervorhebungen im Text). Dieser ›Zeit-Abstand‹ in der husserlschen Konzeption des Bewusstseins, den Frank hervorhebt und im Folgenden auch als »Keim einer Differenz« bezeichnet, aus dem folge, dass »Bewußtsein nicht instantan, sondern eben zeitlich gegliedert ist«, erinnert, Franks Hinweis folgend, in der Tat an die sartresche Konzeption der notwendigen Zeitlichkeit des Bewusstseins und deren Einbindung in seine Binnenstruktur, so dass die Bedeutung, die die Husserlrezeption Sartres an den die innere Struktur des Bewusstseins betreffenden Punkten gewinnt, deutlich wird. Siehe unten, Kapitel 3.2 und 4. 177 »Husserl, […], a souvent montr¦ que la caract¦ristique d’une erlebnis, c’est-—-dire en somme d’une conscience v¦cue et r¦fl¦chie, c’est de se donner comme ayant d¦j— exist¦, comme ¦tant d¦j— l—. Je suis en train de lire. Je vous r¦ponds: je lis, quand vous me demandez ce que je fais. Je prends conscience de ma lecture, mais non pas instan¦ment. Je prends conscience de quelque chose dont j’avais conscience depuis longtemps, c’est-—-dire que je passe sur le plan de la th¦matisation de la position r¦fl¦xive et de la connaissance pour une chose qui existait d¦j— avant, comme dit Husserl«, CC, 381f. Diese Bezugnahme Sartres auf Husserl findet sich hier nach der in La Transcendance de l’Êgo begonnenen und der in L’§tre et le N¦ant erfolgten Ausarbeitung von Sartres eigener Konzeption des Bewusstseins und Selbstbewusstseins und dient in diesem Vortrag von 1948 ihrer (verkürzten) Erläuterung. Diesem Zitat ist jedoch zu entnehmen, dass Sartres eigene Konzeption insbesondere zu klären hat, wie die Wendung »Je prends conscience de quelque chose dont j’avais conscience depuis longtemps« und ihre Erläuterung »[…] c’est-—-dire […] une chose qui existait d¦j— avant« (Hervorhebung der Verfasserin) zu verstehen sind.

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science non-th¦tique de soi«, ist. Empirisch lasse sich dieses Ergebnis nun lediglich mittels des »souvenir non-th¦tique de la lecture« aufweisen, durch welches die Beziehung der im Akt der Lektüre perzipierten Objekte auf das »nichtthetische Bewusstsein von sich« deutlich werde.178 Hier findet sich die eingangs erwähnte Gleichzeitigkeit der beiden Bewusstseinsmomente, des Bewusstseins ersten Grades und des Bewusstseins zweiten Grades, – eine der Hauptthesen der Theorie des Bewusstseins in L’§tre et le N¦ant – nochmals aufgeführt. Zugleich bereitet Sartres Konzeption der »conscience irr¦fl¦chie«, die die strukturelle Grundlage für die Klärung des Sachverhaltes »Selbstbewusstsein« bieten soll, einen weiteren wichtigen Punkt vor, dessen Ausarbeitung für das Gelingen der sartreschen Konzeption des Bewusstseins in L’§tre et le N¦ant von entscheidender Bedeutung sein wird. Es handelt sich um den Aufweis und die Einbindung des Negativen in die Struktur des Bewusstseins. Dabei wird der von Sartre durch die Bewusstseinsstruktur herzustellende Zusammenhang zu der eingangs gestellten Frage nach der Einheit des Bewusstseins, ohne einen vereinheitlichenden Ich-Pol zu supponieren, deutlich: Die Einheit des Bewusstseins offenbart sich durch seine als ›Bewusstsein von etwas‹ bereits strukturbedingte Transzendenz auf die Welt der Objekte. Aus dieser Konzeption folgt, wie oben ausgeführt, dass ein Ich sich weder als materialer ›Bewohner‹ noch als formales Prinzip innerhalb der Struktur des Bewusstseins aufweisen lasse. Diese Feststellung lässt Sartre in La Transcendance de l’Êgo darauf schließen, dass das Ich aus dieser Bewusstseinsstruktur ›verschwunden‹, im Sinne von ›ausgeschlossen‹, ›vernichtet‹179, ist. Dass Sartre hier bereits davon spricht, dass das Ich sich selbst ›vernichtet‹ habe, kann an dieser Stelle der Argumentation jedoch nicht verstanden werden. Sartres erneuter Hinweis, dass eben dies aus der Struktur des Bewusstseins selbst folge, ist aus den bisherigen Darlegungen nicht zu ersehen. Denn: wie sollte das Ich sich selbst aus der Struktur des Bewusstseins ausschließen, in der es, durch eben diese Struktur bedingt, gar nicht erst vorhanden ist? Des Weiteren wirft diese Folgerung Sartres eine Frage nach der Fähigkeit eines solchen Ich auf, das in der Lage sein soll, sich selbst zu (ver-)nichten bzw. sich negieren zu können180. 178 Vgl. TE, 30f. Vgl. auch: CC, 381 und an dieser Stelle die inhaltliche Nähe zu Husserls Ausführungen in den Logischen Untersuchungen, insbesondere in der V. LU, §4ff. 179 TE, 32: »[…] je suis alors plong¦ dans le monde des objets, ce sont eux qui constituent l’unit¦ de mes consciences, […], mais moi, j’ai disparu, je me suis an¦anti. Il n’y a pas de place pour moi — ce niveau, et ceci ne provient pas d’un hasard, d’un d¦faut momentan¦ d’attention, mais de la structure mÞme de la conscience.« Die Übersetzung ›vernichtet‹ für das französische ›an¦anti‹ findet sich bei Traugott König, TrE, 51. 180 Den systematischen und nicht nur den begrifflichen Zusammenhang zwischen ›vernichten‹, ›nichten‹ und ›negieren‹ hat Sartre in L’§tre et le N¦ant zu erläutern. Dort erhalten die Begriffe ihre theoretische Basis. Sie hat Sartre hier offensichtlich bereits ansatzweise kon-

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Fraglich ist jedoch, inwiefern einem Ich, wie Sartre es in diesem Aufsatz konzipiert181, eine solche Fähigkeit überhaupt zukommen kann. Dies wird in der Tat erst durch die Konsequenzen, die sich aus einer genaueren Analyse der Bewusstseinsstruktur ergeben, deutlich. Daher begegnet diese Frage sowohl in L’Imaginaire als auch in L’§tre et le N¦ant erneut. Folgerichtig weist Sartre in La Transcendance de l’Êgo darauf hin, dass eine weitergehende Beschreibung bzw. Analyse des Cogito als theoretische Grundlage der Konzeption einer Bewusstseinstheorie mit all ihren Implikationen notwendig sei182. So finden sich in Sartres weiteren Ausführungen in La Transcendance de l’Êgo erneut auf die Thematik des Hauptwerkes verweisende Zusammenhänge: Im Anschluss an die Unterscheidung von nicht-reflexivem und reflexivem Bewusstsein findet sich bereits die These von der Autonomie der ›conscience irr¦fl¦chie‹183, wobei wiederum letztlich erst die Ausführungen in L’§tre et le N¦ant eine Antwort auf die Frage zulassen, ob und inwiefern Sartre auf die Autonomie des nicht-reflexiven bzw. des in späteren Ausführungen als ›präreflexiv‹ bezeichneten Bewusstseins schließen kann184. Zu dieser in La Transcendance de l’Êgo aufgestellten Autonomiethese sei hier lediglich Folgendes angemerkt: Sartre führt diese These als Ergebnis des Räsonnements an, dass alles Reflektierte niemals primär ursprünglich sei und als Reflektiertes seinen Ursprung auch keinesfalls im Unbewussten haben könne. Das Reflektierte defi-

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zipiert, scheint jedoch in diesem Aufsatz von 1936 (noch) nicht in der Lage zu sein, sie ausführlich darzulegen. Dies gelingt auch der in diesem Punkt ausführlicheren Darstellung von L’Imaginaire noch nicht. Erst die Darlegung in l’§tre et le N¦ant zeigt ihre Komplexität, die zudem den von Sartre selbst skizzierten Rahmen dieses Aufsatzes übersteigt. Ohne auf die sartresche Unterscheidung zwischen Je und Moi, die »zwei Seiten« [faces] des Ego ausmachen (TE, 43f.), näher einzugehen, sei hier lediglich referierend auf die bereits angedeutete sartresche Konzeption des Ich verwiesen, das durch [— travers] (TE, 35) das reflexive Bewusstsein, gleichsam als »noematisches Korrelat« der »reflexiven Intention« (TrE, 43) erscheine und somit keinesfalls mit dem reflexiven Bewusstsein gleichzusetzen sei. In diesem Sinne ›weltseitig‹, d.i. auf der Seite des Objekts situiert, zeichne sich das Ich jedoch im Unterschied zum Objekt durch eine besondere »Intimität« zum Bewusstsein aus (TrE, 68). Sie mache es unmöglich, einen dem Ich äußeren Standpunkt einzunehmen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass Sartre mit diesem hier nur skizzierten Ansatz, das Ich erscheine mit und durch das reflexive Bewusstsein, seiner eingangs aufgestellten These, das Ich werde durch die Einheit unserer Vorstellungen erst ermöglicht, auf den ersten Blick gerecht zu werden scheint. TE, 32: »C’est ce qu’une description du cogito nous rendra plus sensible encore.« Vgl. hier und zu der folgenden sartreschen Argumentation: TE, 41. Hier können sich inhaltliche Verständnisschwierigkeiten insbesondere dadurch ergeben, dass der Terminus »irr¦fl¦chi« sowohl ›unreflektiert‹ als auch ›nicht-reflexiv‹ meint, so dass Sartres These, die er ausgehend von dem Beispiel des Mitleids einführt, sich ganz offensichtlich zunächst auf das Mitleid als ›unreflektierten Bewusstseinszustand‹ bezieht. Da jedoch nicht zuletzt das Bewusstsein diese Fähigkeit besitzen muss, »unreflektiertes Bewusstsein von Mitleid« zu sein: TE, 40: »[…] la conscience irr¦fl¦chie de piti¦«, liegt in der Tat der Verdacht nahe, dass Sartre diese Fähigkeit dem ›nicht-reflexiven Bewusstsein‹ zuspricht. Dies hätte jedoch wiederum eine Analyse der Bewusstseinsstruktur zu erweisen.

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niere sich vielmehr dadurch, dass es von einem Bewusstsein »gesetzt« [pos¦] werde. Reflexion könne nur von einem Bewusstsein zweiten Grades geleistet werden. Daher habe das Unreflektierte per se »ontologische Priorität« vor dem Reflektierten, denn das Unreflektierte müsse als solches nicht reflektiert werden, um zu existieren. Angewandt auf die Begrifflichkeiten des Bewusstseins sei folglich das ›unreflektierte Bewusstsein‹ als autonom zu betrachten185. Diese Autonomie des ›unreflektierten Bewusstseins‹ kann Sartre hier freilich lediglich in dem Sinne behaupten, als sich das ›unreflektierte Bewusstsein‹ ontologisch als von dem ›reflektierten‹ unabhängig erweist. Indem er dies aber behauptet, bezieht er sich explizit auch auf den Unterschied zwischen Bewusstsein ersten und zweiten Grades186, so dass er hier die ontologische Priorität des nicht-reflexiven Bewusstseins vor dem reflexiven Bewusstsein folgert und sich jenes zudem als die Bedingung von diesem erweisen soll. An dieser Stelle sei auf die Ausführungen in L’§tre et le N¦ant verwiesen. Folgt man diesem sartreschen Räsonnement in La Transcendance de l’Êgo jedoch bis zu dem genannten Punkt, ist die Konsequenz, die Sartre darüber hinaus aus der Autonomiethese zieht, d.i. es handele sich bei der ›conscience irr¦fl¦chie‹ um eine Totalität, die als solche vollständig bestimmt sei, ebenfalls zunächst mit einem Fragezeichen zu versehen. Diese Passage legt in der Tat nahe, die ›conscience irr¦fl¦chie‹ als ›nicht-reflexives Bewusstsein‹ zu lesen, welches einen weiteren Hinweis dafür darstellt, dass diese Lesart auch für die erwähnte Autonomiethese anzunehmen ist. Daher stellt sich die Frage, inwiefern die von Sartre in dieser Weise bestimmte ›conscience irr¦fl¦chie‹ als ›Bewusstsein‹ im Sinne der eingangs aufgeführten Definition und phänomenologischen Grundprämisse, d. h. als ›Bewusstsein von etwas‹, bezeichnet werden kann. Die Ausführungen in La Transcendance de l’Êgo bieten folgende Antwortmöglichkeit: Die ›conscience irr¦fl¦chie‹ ist gemäß der Definition ›Bewusstsein von etwas‹, indem sie ›Bewusstsein von sich‹ eben in nicht-reflexiver Weise ist, d. h. sich nicht als Objekt setzt. Hier wird deutlich, dass die Rede von der ›conscience irr¦fl¦chie‹ als Totalität wiederum auf die innere Struktur des Bewusstseins verweist. Diese innere Struktur des Bewusstseins hat dann sowohl die Korrektheit dieser Beschreibung darzulegen als auch herauszustellen, in welcher Weise dem Bewusstsein als ›conscience irr¦fl¦chie‹ die Fähigkeit zukommen kann, überhaupt Bewusstsein von sich in nicht-positionaler Weise zu sein187. Die Schlussfolgerungen zu La Transcendance de l’Êgo nehmen die hier dargestellten, für die Thematik in L’§tre et le N¦ant relevanten Thesen zum einen 185 TE, 41: »[…] la conscience irr¦fl¦chie doit Þtre consid¦r¦e comme autonome.« 186 Vgl: dazu die oben erwähnte Feststellung, Reflexion könne nur von einem Bewusstsein zweiten Grades geleistet werden. TE, 41. 187 Daher muss hier ein erneuter, für die Thematik vorliegender Untersuchung sinnfälliger Verweis auf L’§tre et le N¦ant bzw. auf unten, Kapitel 3 erfolgen.

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zusammenfassend auf, umreißen ihrerseits jedoch darüber hinaus die die Konzeption des Bewusstseins sowohl im engeren als auch im weiteren Sinn betreffenden Themenfelder. Hier sei vor allem die Explikation des Bewusstseins als ein ›Nichts‹ [rien] genannt. Sie soll aus dem Aufweis des »vom Ich gereinigten transzendentalen Feldes«188, das seine ›Klarheit‹ und ›Durchsichtigkeit‹ »wiedergewonnen« hat, folgen. Denn bis auf seine unmittelbare innere Struktur befindet sich alles außerhalb von ihm189. Die Explikation dieser inneren Struktur des Bewusstseins ist die zentrale Aufgabe von L’§tre et le N¦ant. Weitere in den Schlussfolgerungen zu La Transcendance de l’Êgo angedeutete Aspekte der ausführlichen Darlegung der Struktur des Bewusstseins seien hier zusammenfassend genannt: Zum einen verweist Sartre interessanterweise zur Vorbereitung der Solipsismusdiskussion und der Kritik an Husserls Überzeugung zur Überwindung des Solipsismus190 bereits auf die Problematik der Intersubjektivität191. Mit der Konzeption des Ich als eines dem Bewusstsein Transzendenten ist es in der Konsequenz sowohl für mein Bewusstsein als auch für das Bewusstsein Anderer ein Objekt. Laut Sartre sei es mit dieser Konzeption des Ich möglich, den Solipsismus zu vermeiden. Diese Überzeugung, die sich hier zum Ende von La Transcendance de l’Êgo findet, wird jedoch in L’§tre et le N¦ant revidiert werden192. Zum anderen erlaubt die Konzeption des »vom Ich gereinigten«, transzendentalen Bewusstsein Sartre eine weitere Schlussfolgerung seiner Darlegungen in La Transcendance de l’Êgo: Das seinem Wesen nach durch Intentionalität gekennzeichnete Bewusstsein wird phänomenologisch als spontan aufgewiesen193. Da es sich jedoch bei diesem transzendentalen Bewusstsein, gemäß der dargestellten Konzeption, um ein unpersönliches handelt, lasse es sich als »unpersönliche Spontaneität« [spon-

188 TE, 74: »Le Champ transcendantal purifi¦ de toute structure ¦gologique, […]«. 189 TE, 74: »[…] c’est un rien puisque tous les objets physiques, psycho-physiques et physiques, toutes les v¦rit¦s, toutes les valeurs sont hors de lui, puisque mon Moi a cess¦, luimÞme, d’en faire partie.« Den Term ›n¦ant‹ führt Sartre hier noch nicht ein, so dass insbesondere die ›Schlussfolgerungen‹ zu La Transcendance de l’Êgo in der Tat den Charakter eines Überblicks über die in späteren Schriften auszuformulierenden Gedanken erhalten. 190 Sartre bezieht sich hier explizit auf die ›Theorie der Fremderfahrung‹, die Husserl in den Cartesianischen Meditationen darlegt. Vgl. TE, 84f. 191 TE, 77: »Je ne puis concevoir la conscience de Pierre sans en faire un objet […]. Je ne puis la concevoir parce qu’il faudrait la penser comme int¦riorit¦ pure et transcendance — la fois, ce qui est impossible.« Vgl. im Folgenden ebd. und 78. Hervorhebungen im Text. 192 Daher bleibt sie an dieser Stelle unkommentiert stehen und es erfolgt ein Verweis auf unten, Kapitel 5. 193 Vgl. TE, 78f.

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tan¦it¦ impersonnelle194] charakterisieren. Mit einem lediglich impliziten Verweis auf die dargelegte Autonomiethese folgert Sartre, dass sich das transzendentale Bewusstsein »jeden Augenblick zur Existenz« bestimmt, »ohne daß man sich etwas vor ihm« [avant elle] »denken könnte«195. Sartre bezieht diese Feststellung hier in erster Linie auf seine Widerlegung von Positionen, die den Ursprung des Bewusstseins im Ich oder im Unbewussten sehen. Die Spontaneität des ›unpersönlichen Bewusstseins‹ meint ausformuliert hier zunächst nichts anderes als das stetige sich Übersteigen des intentional strukturierten Bewusstseins auf die Welt der Objekte196. Die als Spontaneität bezeichnete Charakteristik des Bewusstseins leistet in La Transcendance de l’Êgo jedoch noch mehr. Das Bewusstsein wird aufgrund seiner intentionalen Struktur notwendigerweise als spontan aufgewiesen. Um dies zu verdeutlichen, verwendet Sartre den Begriff der ›fatalit¦‹197, der ihm letztlich erlaubt die Termini ›angoisse‹ und ›peur‹198 einzuführen. Denn: laut Sartre ›apperzipiert‹199 das reine transzendentale Bewusstsein die ›Fatalität seiner Spontaneität‹, welches in der Tat zunächst lediglich die strukturelle Not194 TE, 79: »Nous pouvons donc formuler notre thÀse: la conscience transcendantale est une spontan¦it¦ impersonnelle.« 195 TE, 79. Die zitierte Übersetzung findet sich bei Traugott König, TrE, 86. Vgl. dazu auch Sartres ausführliche Darlegung in L’§tre et le N¦ant, 21f. sowie unten, Kapitel 3.4.3. 196 In gewisser Weise, wenn auch nicht explizit, bereitet Sartre mit diesem Argumentationsschritt die Konzeption des ›Entwurfes‹ vor, die aus der Struktur des Bewusstseins folgt. Vgl. dazu unten das Kapitel 4.2. 197 TE, 82. 198 TE, 83. Inhaltlich unterscheidet Sartre nicht zwischen diesen Begriffen: »[…] c’est cette angoisse absolue et sans remÀdes, cette peur de soi, […].« Traugott König übersetzt: »[…] diese absolute und unheilbare Angst ist es, diese Furcht vor sich, […].« TrE, 89. Hier ist zunächst festzustellen, dass Sartre zumindest in La Transcendance de l’Êgo inhaltlich nicht zwischen ›angoisse‹ und ›peur‹, die König mit ›Angst‹ und ›Furcht‹ übersetzt, unterscheidet. Dem geschulten Leser, insbesondere der deutschen Übersetzung, mag die heideggersche Unterscheidung in Sein und Zeit zwischen der ›Furcht vor etwas Bestimmtem‹ und der ›das ›Nichts‹‹ enthüllenden ›Angst‹ vor ›Unbestimmtem‹ vor Augen stehen. Diese inhaltliche Unterscheidung ist jedoch nicht auf Sartre und vor allem nicht auf den Sartre der Transcendance de l’Êgo zu übertragen, obgleich der heideggersche Einfluss bzgl. der thematischen Einführung des Begriffes der ›Angst‹ und ihrer Deutung in Hinblick auf die ursprüngliche Verfasstheit des Subjekts, hier schon offensichtlich ist und in L’§tre et le N¦ant bestätigt werden wird. 199 TE, 82: »[…] la conscience, s’apercevant de ce qu’on pourrait appeler la fatalit¦ de sa spontan¦it¦ […].« Die Wahl und Verwendung des Verbes ›s’apercevoir‹ wird hier von Sartre nicht erklärt. Dies erforderte in der Tat die Erläuterung der Struktur des Bewusstseins, die ›Selbstbewusstsein‹ als konstitutives Moment und, so möchte man vermuten, die Möglichkeit einer ›Selbsterkenntnis‹ integriert. So verweist die hier zitierte Textstelle zweifellos auf ein solches Unternehmen. Die Ausführungen, die dem Leser in La Transcendance de l’Êgo an die Hand gegeben werden, können hier ein angemessenes Verständnis jedoch nicht leisten. Die Übersetzung ›apperzipiert‹ bzw. ›Apperzeption‹ findet sich bei Traugott König, TrE, 89.

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wendigkeit des Bewusstseins, ›spontan‹ zu sein, betont. Diese in seiner Struktur als Bewusstsein begründete Notwendigkeit, die das Bewusstsein als solches für es unabänderbar ›vorfindet‹, »ängstigt« das Bewusstsein200. So gehöre die Angst, laut Sartre, ebenso zum reinen transzendentalen Bewusstsein, da sie sich unweigerlich als Konsequenz aus seiner Struktur ergebe. Dieser Aufweis der Angst als konstitutiv für das Bewusstsein scheint an dieser Stelle jedoch zunächst wiederum dazu zu dienen, ein weiteres Indiz dafür zu liefern, dass das ›Ich‹ des ›Ich denke‹, dessen Analyse der eigentliche und zunächst offenkundige Anlass für die Ausführungen des hier dargestellten Aufsatzes von 1936 ist, keinesfalls die »erste Struktur« [la structure premiÀre201] des Bewusstseins sein kann, da sie diese Angst, die phänomenologisch aufgewiesen wird, unmöglich mache202. Inwiefern wäre jedoch die Angst unmöglich, wenn ›Ich‹ die ›erste Struktur‹ des Bewusstseins wäre? ›Angst‹ wird von Sartre hier als ›Angst‹ vor der das Bewusstsein als Bewusstsein auszeichnenden Spontaneität bestimmt. Das sartresche Argument für diese These scheint, wenn man diese Bestimmung von ›Angst‹ berücksichtigt, Folgendes zu sein: Die Spontaneität des Bewusstseins besagt, dass das Bewusstsein sich jeden Augenblick zur ›Existenz‹ bestimmt. So ›offenbare‹ sich laut Sartre jeder Augenblick unserer »vie consciente« als eine »cr¦ation ex nihilo«203, welches im engeren Sinne die ›Angst‹ auslöse. ›Ich‹ als ›erste Struktur‹ des Bewusstseins steht nun zum einen einer wie auch immer näher zu charakterisierenden ›cr¦ation ex nihilo‹ entgegen, da es als solche den Ursprung des Bewusstseins in sich birgt. Zum anderen impliziert ›Ich‹ als ›erste Struktur‹ des Bewusstseins eine Identität mit sich, die der von Sartre aufge200 TE, 82: »[…] la conscience, […], s’angoisse.« Vor dem Hintergrund dieser ›Angst vor seiner eigenen Spontaneität‹ ist auch folgende Stelle in La Transcendance de l’Êgo zu lesen: »La conscience s’effraie de sa propre spontan¦it¦ parce qu’elle la sent au-del— de la libert¦.« (TE, 80). Interessant ist hier, dass Sartre den Begriff der ›Freiheit‹ bereits im Zusammenhang mit der Spontaneität des Bewusstseins als Bewusstsein einführt. Dennoch erscheint in der zitierten Passage diese Spontaneität im Unterschied zu der sartreschen Konzeption in L’§tre et le N¦ant noch nicht als ›Freiheit‹ gefasst, sondern vielmehr ›jenseits‹ der Freiheit liegend. So wird der Begriff der ›Fatalität‹ hier auch in diesem Zusammenhang zu lesen sein. Zu Sartres Ausführungen in L’§tre et le N¦ant markiert diese Passage daher eine konzeptionelle Diskrepanz. Vgl. dazu auch die Feststellungen Sylvie le Bons in Fußnote 73, TE, 80. 201 TE, 83. 202 TE, 83: »Si le Je du Je pense est la structure premiÀre de la conscience, cette angoisse est impossible.« 203 TE, 79. Die Verwendung dieses Begriffes ist hier jedoch missverständlich, da er letztlich eine Konzeption des Bewusstseins suggeriert, die Sartre weder in La Transcendance de l’Êgo noch in L’§tre et le N¦ant einlöst, und dies unabhängig von der Frage, ob eine solche Konzeption überhaupt eingelöst werden kann. Vielmehr finden sich in Transcendance de l’Êgo Indizien, wie etwa die erwähnten Ausführungen zur Einheit des Bewusstseins, die bereits eine Konzeption vor Augen führen, die in L’§tre et le N¦ant unter der Wendung: ›Das Bewusstsein existiert durch sich‹ entwickelt wird. Vgl. dazu auch das gleichnamige Kapitel dieser Arbeit.

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wiesenen Spontaneität entgegenstünde und daher konsequenterweise auch die Konzeption des Entwurfs überginge, so dass die von Sartre definierte Angst vor der Schöpfung einer ›neuen Existenz‹ in jedem Augenblick des ›bewussten Lebens‹ in der Tat unmöglich wäre, wenn das ›Ich‹ als ›erste Struktur‹ des Bewusstseins aufgewiesen werden könnte. Abschließend bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die Schlussfolgerungen zu La Transcendance de l’Êgo einen in weiten Teilen sehr konkreten ›Arbeitsplan‹ für Sartres erstes philosophisches Hauptwerk L’§tre et le N¦ant liefern, dessen Basis vor allem darin besteht, diese ›erste Struktur‹ des Bewusstseins, die hier und in den späteren Schriften in erster Linie durch den Terminus ›nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich‹ vorgestellt wird, mit allen Implikationen vollständig zu entwickeln. Der Aufsatz L’Imaginaire, Psychologie ph¦nom¦nologique de l’imagination erscheint 1940204, nachdem der erste Teil Le Certain bereits 1938 unter dem Titel Structure intentionnelle de l’image in der Revue de m¦taphysique et de morale205 veröffentlicht wurde. Le Certain ist für die Ausarbeitung der für die Thematik in L’§tre et le N¦ant bedeutungsvollen Thesen insbesondere zu berücksichtigen206. Ähnlich dem Vorgehen in La Transcendance de l’Êgo exponiert Sartre im Anschluss an die Kritik einer klar umrissenen Position, hier an der Abbildtheorie der äußeren Wahrnehmung207, seinen eigenen Ansatz: Das Objekt der Wahrnehmung allgemein, die äußere Wahrnehmung eingeschlossen, ist nicht ›als Bild‹ [en image] im Bewusstsein präsent, sondern ›das Bild‹ [l’image] stelle 204 Anzumerken ist hier, dass dieser Aufsatz den zweiten Teil von Sartres Diplomaufsatz von 1929, der den Titel L’Image trägt, aufnimmt. Den ersten Teil des Diplomaufsatzes hat Sartre 1936 fast zeitgleich mit La Transcendance de l’Êgo unter dem Titel L’Imagination veröffentlicht. Vgl. dazu: Entretiens avec Jean-Paul Sartre, in: CA, 204. 205 Revue de m¦taphysique et de morale, 45e ann¦e, No 4, Paris, 1938. Vgl. dazu auch: Michel Contat/Michel Rybalka: Les ¦crits de Sartre, Paris 1970, [Contat/Rybalka]. 206 Die Behandlung dieses Teiles von L’Imaginaire, insbesondere anstelle des Aufsatzes L’Imagination, ergibt sich aus dem inhaltlichen Konzept beider Aufsätze. Sartres Ausführungen in L’Imagination sind von der Frage nach dem Unterschied zwischen ›Wahrnehmung‹ und ›mentalem Bild‹ geleitet. Als Ergebnis wird festgehalten, dass das ›mentale Bild‹ keineswegs als ›Ding‹ unter Dingen, sondern vielmehr als ›Synthese‹ und aufgrund seiner intentionalen Struktur als ›Bewusstseinsakt‹ aufzufassen sei. In L’Imaginaire knüpft Sartre an dieses Ergebnis an, präzisiert es und fragt, welche Fähigkeit ein Bewusstsein haben muss, um ›imaginieren‹, d. h. ein ›mentales Bild haben‹ zu können. Ausgehend von der Frage, wodurch sich ein ›mentales Bild‹ gegenüber der Wahrnehmung auszeichnet, geht Sartre demnach über zu der Frage nach der Struktur des Bewusstseins, wenn es denn ›mentale Bilder‹ hervorbringen können soll. Da L’Imaginaire diese Fragestellung entwickelt und verbunden mit ihr die Funktion des ›Nichts‹ [n¦ant] wesentlich präziser darlegt als dies in L’Imagination geschieht, rechtfertigt sich die Konzentration hinsichtlich dieser Thematik auf die Ausführungen in diesem zeitlich späteren und inhaltlich fortgeschritteneren Aufsatz Sartres. 207 Siehe dazu und im Folgenden: Iaire, 16ff.

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vielmehr einen charakteristischen ›Bezug‹ [rapport] des Bewusstseins zu seinem Objekt dar. Sartre pointiert diese Feststellung folgendermaßen: Das Bild selbst sei eine bestimmte ›Bewusstseinsweise‹208, sich auf ein Objekt zu beziehen, und zwar die des ›imaginierenden Bewusstseins‹ [conscience imageante]. Diese Exposition erlaubt Sartre, drei Schlüsse zu ziehen: Zum einen kann Sartre durch die Konzeption des Bildes als ›Bezug‹ in der Tat die Abbildtheorie der äußeren Wahrnehmung widerlegen, da die ›conscience imageante‹ eines Objektes eben nicht als die ›conscience imageante‹ des Bildes eines Objektes aufgewiesen wird. Zum Zweiten bestätigt und erweitert diese Konzeption das Ergebnis der Abhandlung L’Imagination, das Bild als solches, d.i. als Bild von etwas, weise eine intentionale Struktur auf. Die Erweiterung nun besteht darin, dass das Bild als eine distinkte und im Folgenden hinsichtlich ihrer Spezifiziertheit erläuterte ›Bewusstseinsweise‹ aufgewiesen wird, welches bereits implizit durch die Auffassung des ›Bildes‹ als ›Akt‹209 und damit durch seine intentionale Verfasstheit vorgezeichnet worden ist. Und schließlich ermöglicht diese Konzeption, in der Folge zwischen ›imaginierendem‹ und ›perzipierendem‹ Bewusstsein zu trennen, und erlaubt so, den Unterschied zwischen ›image‹ und ›perception‹ theoretisch zu begründen. Während das perzipierende Bewusstsein laut Sartre ein konkretes Objekt beobachtet, dessen Qualitäten sich im Laufe dieser Beobachtung [observation210] erst enthüllen, erfasst das imaginierende Bewusstsein sein Objekt unmittelbar als Ganzes [en bloc], d. h. mit all seinen Qualitäten, denen nichts hinzuzufügen ist. So könne sich das perzipierende Bewusstsein hinsichtlich der Qualitäten eines Objektes täuschen, während das imaginierende Bewusstsein eine solche Täuschung unmöglich mache. Um diesen Unterschied zum perzipierenden Bewusstsein auch begrifflich herauszustellen, bezeichnet Sartre diese Weise, in der das imaginierende Bewusstsein sich auf ein Objekt bezieht, im Folgenden als »quasi-observation«. Sie stellt ein entscheidendes Charakteristikum des imaginierenden Bewusstseins dar. In Hinblick auf die die Ausführungen in L’§tre et le N¦ant vorbereitenden Thesen kommt dem IV. Abschnitt von Le Certain, der betitelt ist mit »La conscience imageante pose son objet comme un n¦ant«, besondere Aufmerksamkeit zu. Er schließt an die ›quasi-observation‹ als Weise des imaginierenden Bewusstseins, sich auf ein Objekt zu beziehen, insofern an, als er im Folgenden die

208 Sartre drückt dies mit den folgenden Wendungen aus: »un certain type de conscience dont l’essence intime est pr¦cis¦ment de se rapporter de telle et telle maniÀre — la chaise existante«, »une certaine faÅon qu’a la conscience de se donner un objet«, Iaire, 17. 209 Vgl. Jean-Paul Sartre: L’Imagination, Paris 1989, [Ition], 162. 210 Siehe hier und im Folgenden: Iaire, 21.

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dem imaginierenden Bewusstsein eigene Weise, ein Objekt zu setzen, in den Mittelpunkt rückt. Diese Behandlung gliedert sich in zwei Hauptaspekte: Zum einen handelt es sich im Anschluss an La Transcendance de l’Êgo um die These, dass ein Bewusstsein von etwas, das aufgrund seiner intentionalen Struktur ganz bei dem Gegenstand ist, von dem es Bewusstsein ist, und deshalb noch als ›unreflektiert‹ zu bezeichnen ist, ein nicht-thetisches Bewusstsein seiner selbst einschließen [enfermer211] muss. Andernfalls wäre ein noch ›unreflektiertes‹ Bewusstsein eines Gegenstandes seiner selbst als ein solches Bewusstsein nicht bewusst, so dass in der Folge ›unreflektiertes Bewusstsein‹ von einem Gegenstand als ›unbewusstes Bewusstsein‹ zu beschreiben sei, welches einen Widerspruch darstelle212. Daher sei eine Untersuchung anzuschließen, die thematisiere, wie ein positionales Bewusstsein sich selbst im nicht-positionalen Bewusstsein ›erscheine‹ [s’appara„t — elle-mÞme213]. Dies zielt auf eine Untersuchung der Struktur des Bewusstseins, die Sartre in diesem Aufsatz nicht erschöpfend liefert, jedoch entscheidende Thesen vorstellt, die notwendigerweise in einer solchen Untersuchung zu berücksichtigen sind. Hierzu führt Sartre die Explikation des positionalen Bewusstseins fort, da diese, wie gesehen, bereits in den Aufweis der Notwendigkeit der Annahme eines nicht-positionalen Bewusstseins mündet. Dieses Vorgehen erklärt die systematische Bedeutung des zweiten Aspektes des genannten Abschnittes, der der Frage nachgeht, wie ein ›noch unreflektiertes‹ positionales Bewusstsein sein Objekt setzt. Dass Sartre seine Ausführungen hier auf das imaginierende Bewusstsein fokussiert, erklärt sich zunächst aus der dem Aufsatz zugrunde liegenden Fragestellung, ob die Fähigkeit, zu imaginieren, lediglich eine dem Bewusstsein als solchem kontingenterweise zukommende Qualität sei oder aber ob sie eine konstitutive Struktur für jegli-

211 Hier und im Folgenden: Iaire, 23. Sartre bezieht sich hier bereits explizit auf das imaginierende Bewusstsein. Dennoch zielt seine These auf positionales Bewusstsein allgemein. 212 Zu Beginn seiner Ausführungen in L’§tre et le N¦ant wird Sartre auf diese Argumentation zurückkommen. Obwohl Sartre hier noch nicht die Frage aufwirft, inwiefern das ›nichtthetische Bewusstsein seiner selbst‹ nicht nur Voraussetzung dafür ist, dass positionales Bewusstsein stattfinden kann, sondern auch Voraussetzung für Reflexion überhaupt ist, liegt diese Verknüpfung jedoch quasi auf der Hand. Dennoch bleibt der Leser auf L’§tre et le N¦ant verwiesen. 213 Iaire, 23. In dieser Textstelle sowie auch durch die folgenden Ausführungen wird ersichtlich, dass Sartre dieses ›nicht-thetische Bewusstsein‹ seiner selbst, dessen Notwendigkeit er herausstellt, theoretisch noch nicht in der für eine Theorie des Bewusstseins gebotenen Klarheit erfassen kann. Folgende Textstelle über die ›conscience non-th¦tique d’elle mÞme‹ bestätigt dies: »Elle ne pose rien, ne renseigne sur rien, n’est pas une connaissance: c’est une lumiÀre diffuse que la conscience d¦gage pour elle-mÞme, c’est une qualit¦ ind¦finissable qui s’attache — chaque conscience«, Iaire, 26.

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ches Bewusstsein darstelle und als solche aus seiner Struktur heraus deutlich gemacht werden können müsse214. Die nähere Untersuchung der Weise, wie das imaginierende Bewusstsein sein Objekt setzt, bringt Sartre zunächst zu folgendem Ergebnis: Im Unterschied zu der dem perzipierenden Bewusstsein eigenen Weise, sein Objekt ›als existierend‹ [comme existant215] zu setzen, kann das imaginierende Bewusstsein sein Objekt auf vier verschiedene Weisen [et quatres seulement] setzen: Es kann sein Objekt als Nicht-Existierendes, als Abwesendes, als anderswo Existierendes setzen und sich viertens einem Urteil über die Existenz des gesetzten Objektes, das dennoch ein von dem imaginierenden Bewusstsein gesetztes Objekt bleibt, enthalten. Als Gemeinsamkeit dieser vier Weisen des imaginierenden Bewusstseins, ein Objekt zu setzen, kann Sartre daraufhin aus den zentralen Begriffen der Abwesenheit und der Nicht-Existenz folgern, dass das imaginierende Bewusstsein, das die Fähigkeit hat, sein Objekt als Abwesendes oder Nicht-Existierendes zu setzen, die Fähigkeit, zu ›negieren‹, besitzen muss. Das heißt zunächst, dass es die Fähigkeit besitzen muss, vom innerweltlich Gegebenen, auch wenn dies hier zunächst einmal auf die Objekte beschränkt ist, die das perzipierende Bewusstsein setzt, zu abstrahieren, d. h. sich zu distanzieren. In diesem Sinne schließe das ›mentale Bild‹, d.i. das imaginierende Bewusstsein, ein gewisses ›Nichts‹ [n¦ant216] ein. Was unter dieser Wendung zu verstehen sei, erläutert Sartre ausführlicher in der Schlussfolgerung zu Le Certain. Zunächst verweist er jedoch interessanterweise, verbunden mit obiger These, auf die aus den Ausführungen in La Transcendance de l’Êgo bekannte Charakteristik der Spontaneität des Bewusstseins. Sie wird hier jedoch dahingehend gewendet, dass sich das imaginierende Bewusstsein als ›spontan‹ erweist, weil es sich ein Objekt ›aus dem Nichts‹ setzen kann. Es handelt sich daher im besonderen Maße um eine ›conscience cr¦atrice‹217. Dagegen erscheine das perzipierende Bewusstsein als »passivit¦«, welches die Auffassung nahe legt, das Bewusstsein rezipiere lediglich die innerweltlichen Objekte218. Da Sartre im Folgenden jedoch die Fähigkeit, 214 Explizit drückt Sartre dies in der Schlussfolgerung zu L’Imaginaire folgendermaßen aus: »Ce qui nous occupera c’est ceci: la fonction d’imaginer, est-elle une sp¦cification contingente et m¦taphysique de l’essence ›conscience‹ ou bien au contraire doit-elle Þtre d¦crite comme une structure constitutive de cette essence?«, Iaire, 228. L’Imaginaire soll erweisen, dass Letzteres der Fall ist. Die Tatsache, dass Sartre sich hier gemäß der Intention seines Aufsatzes auf das imaginierende Bewusstsein als positionales Bewusstsein konzentriert, erlaubt ihm letztlich erst, die Fähigkeit zur ›Negation‹ als notwendiges Strukturelement des Bewusstseins aufzuweisen. 215 Vgl. hier und im Folgenden: Iaire, 24. 216 Iaire, 26. 217 Hier und im Folgenden: Iaire, 26. 218 Vgl. dazu: Iaire, 27: »Dans la perception, l’¦l¦ment proprement r¦pr¦sentatif correspond — une passivit¦ de la conscience.«

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zu imaginieren, als konstitutives Moment jeglichen Bewusstseins aufzuweisen sucht, erscheint die Spontaneität, den Ausführungen in La Transcendance de L’Êgo entsprechend, gleichermaßen als für jegliches Bewusstsein konstitutiv. Als Konsequenz dieser Darlegung lässt sich demnach festhalten, dass jegliches Bewusstsein sowohl die Fähigkeit, zu ›perzipieren‹, als auch die Fähigkeit, zu ›imaginieren‹, besitzt. Diesen beiden Fähigkeiten entsprechen spezifische Weisen, ein Objekt zu setzen, die sich jedoch aufgrund ihrer Spezifizität insofern gegenseitig ausschließen, als ein Bewusstsein niemals zugleich perzipieren und imaginieren kann. Denn: Im ersten Fall setzt es sein Objekt als real existierend, im zweiten Fall jedoch als abwesend, inexistent oder macht keine Aussage über den Seinsgehalt des Objektes. Mit diesem Aufweis meint Sartre den Unterschied zwischen ›Perzeption‹ und ›Imagination‹ theoretisch begründen zu können. Die erwähnte Schlussfolgerung zu Le Certain nimmt die dargestellten Ausführungen auf und fokussiert sie durch folgende These auf die Fähigkeit des Bewusstseins, zu negieren: »Nous saisissons — pr¦sent la condition essentielle pour qu’une conscience puisse imaginer : il faut qu’elle ait la possibilit¦ de poser une thÀse d’irr¦alit¦. […] Ainsi l’acte n¦gatif est constitutif de l’image.«219

Aus dieser These, die sich an die dargelegten Ausführungen aus Le Certain anschließt, folgert Sartre unmittelbar, dass die Fähigkeit zur Negation die »structure la plus intime« des imaginierenden Bewusstseins ausmachen müsse, da ein Bewusstsein, das über diese Fähigkeit nicht verfüge, in keiner Weise als ein imaginierendes Bewusstsein aufgewiesen werden könne. Die systematische Bedeutung dieses Argumentationsganges für die Explikation einer Struktur des Bewusstseins schlechthin, die demzufolge ihrerseits diese Fähigkeit zur ›Negation‹ einschließen muss, wird hier bereits in besonderem Maße deutlich. Zunächst ist jedoch zu präzisieren, welches die Implikationen der ›Fähigkeit zur Negation‹, d.i. im sartreschen Sprachgebrauch, zu ›negieren‹ [nier220], sind. Es zeigt sich, dass Sartres Darlegungen in Hinblick auf diese Fragestellung die Ausführungen der Transcendance de l’Êgo ergänzen und die von L’§tre et le N¦ant im Kern vorwegnehmen, indem sie bereits folgende Zusammenhänge herstellen: Eine wesentliche Implikation der das imaginierende Bewusstsein als imaginierendes Bewusstsein auszeichnenden Fähigkeit zur ›Negation‹ ist zunächst die Tatsache, dass ein Bewusstsein, das imaginieren können soll, nicht als in irgendeiner Weise innerweltlich determiniert aufzufassen ist, da ihm als ein sol219 Iaire, 232. Hervorhebung im Text. Vgl. zu den folgenden Ausführungen, wenn nicht anders angegeben, ebenfalls 232. 220 Iaire, 233.

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ches lediglich die Fähigkeit zukommen könnte, innerweltliche und darüber hinaus im sartreschen Sinn »reale«, d.i. »real anwesende« Objekte vorzustellen, d. h. gemäß der eingeführten Unterscheidung lediglich »perzipierte«221. Vielmehr müsse das imaginierende Bewusstsein durch seine Fähigkeit zur Distanznahme, zur Negation des Gegebenen, als »frei« aufgefasst werden222. Zwei weitere Implikationen der ›Fähigkeit zur Negation‹ des imaginierenden Bewusstseins sind in dieser Argumentation zum Aufweis der Freiheit des Bewusstseins bereits explizit enthalten: Es handelt sich zum einen um den begrifflichen Zusammenhang zwischen den Termini ›n¦gation‹, ›n¦antisation‹ und ›n¦ant‹ und zum anderen, damit verbunden, um die Explikation der Wendung ›n¦antisation du monde‹. Beide Aspekte sind im Folgenden in ihrer Verbundenheit darzulegen. Der Zusammenhang zwischen den Begriffen ›n¦gation‹ und ›n¦antisation‹ erscheint erstmals im sartreschen Aufweis der Freiheit des imaginierenden Bewusstseins. Dabei erscheint die Fähigkeit zur Negation als notwendige Bedingung, um eine ›thÀse d’irr¦alit¦‹ bezüglich einer bestimmten innerweltlichen Verfasstheit zu formulieren. Etwas auf die eine oder andere Weise näher Bestimmtes wird als Abwesendes, Nicht-Existentes etc. begriffen. Dagegen bezieht Sartre den Begriff ›n¦antisation‹ [Nichtung] auf eine Einstellung des imaginierenden Bewusstseins gegenüber der Welt als Ganzes, d.i. nach Sartre der Welt als Totalität223. Die so vorgestellte Fähigkeit zur ›n¦antisation‹ erscheint hier daher als eine allgemeinere und umfassendere Einstellung gegenüber der Welt als die 221 Die erwähnte sartresche Argumentation der »passivit¦« ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. 222 »Pour qu’une conscience puisse imaginer il faut qu’elle ¦chappe au monde par sa nature mÞme, il faut qu’elle puisse tirer d’elle-mÞme une position de recul par rapport au monde. En un mot il faut qu’elle soit libre«, Iaire, 234. Diese zu der notwendigen Annahme der Freiheit des Bewusstseins führende Schlussfolgerung zeigt die die frühen Schriften, einschließlich L’§tre et le N¦ant, auszeichnende Eigentümlichkeit einer als ihrem Vorgehen nach induktiv zu bezeichnenden Argumentationsstruktur Sartres, die darin besteht, aus einem im Wesentlichen phänomenologisch deskriptiven Aufweis wie der Fähigkeit, eine ›thÀse d’irr¦alit¦‹ zu formulieren, die Frage nach der dieser Fähigkeit zugrunde liegenden systematischen Bedingung zu entwickeln. Angewandt auf die Analyse des Sachverhaltes ›Bewusstsein‹ ist dies folgerichtig in Hinblick auf seine strukturelle Verfasstheit zu untersuchen. Wie dargestellt, erweist sich die Fähigkeit zur Negation als Bedingung für das Vermögen, eine ›thÀse d’irr¦alit¦‹ zu formulieren. Diese Fähigkeit zur Negation verweist ihrerseits auf die Möglichkeit der Distanznahme gegenüber der ›Welt als Ganzes‹, d.i. die ›Fähigkeit zur Weltnichtung‹ [n¦antisation du monde comme totalit¦], welche wiederum nur unter Bedingung der Freiheit des imaginierenden Bewusstseins möglich ist. Vgl. dazu ebd: »Ainsi la thÀse d’irr¦alit¦ nous a livr¦ la possibilit¦ de n¦gation comme sa condition, or, celle-ci n’est possible que par la ›n¦antisation‹ du monde comme totalit¦ et cette n¦antisation s’est r¦v¦l¦e — nous comme ¦tant l’envers de la libert¦ mÞme de la conscience.« Hervorhebung im Text. 223 Hier und im Folgenden: Iaire, 234.

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der ›n¦gation‹. Letztere, so legt Sartres Darlegung nahe, ist als konkrete Spielart der Fähigkeit zur ›n¦antisation‹ zu verstehen. Diese Interpretation wird zudem durch die bereits erläuterte Tatsache gestützt, dass Sartre die Fähigkeit zur ›n¦antisation‹ als Bedingung für die Fähigkeit zur ›n¦gation‹ herausstellt224. Der Zusammenhang beider Begriffe mit dem des Nichts [n¦ant] verlangt jedoch noch eine weiterführende Erläuterung: Die ›Fähigkeit zur Negation‹ als ›konkrete Spielart‹ der Fähigkeit zur ›n¦antisation‹ bestimmt Sartre durch die Überlegung näher, dass das ›Setzen der Welt als eine synthetische Totalität‹225, d.i. aus einem bestimmten Standpunkt heraus, und die Distanznahme gegenüber der Welt ein und denselben Akt darstellen, da die Möglichkeit, einen synthetischen Weltzusammenhang zu konstituieren, stets mit einer bestimmten, wie auch immer inhaltlich qualifizierten Art der Distanznahme gegenüber einem anders bestimmten Weltzusammenhang einhergeht. Schärfer formuliert heißt das, dass das Setzen der Welt aus einem bestimmten Standpunkt die Distanznahme gegenüber anderen möglichen Standpunkten impliziert226. Ein bestimmter Weltzusammenhang, zu dem das imaginierende Bewusstsein Distanz einnimmt, und somit sein Objekt gegenüber diesem Weltzusammenhang als ›Irreales‹ vorstellt, dient als ›Hintergrund‹ [fond]227, vor dem das Irreale als Irreales, d.i. vor dem bestimmten Weltzusammenhang als ›Negation‹ dieses Weltzusammenhanges im Sinne von ›in ihm ›Abwesendes‹, ›Nicht-Existentes‹ etc.‹, vorgestellt wird und lediglich auf diese Weise vorgestellt werden kann228. Sartres nähere Bestimmung dieses in Bezug auf einen bestimmten Weltzusammenhang ›Irrealen‹ macht die begriffliche Beziehung zwischen ›n¦antisation‹ bzw. ›n¦gation‹ und ›n¦ant‹ deutlich: Das Irreale, d.i. das Objekt des ima224 Ebd. 225 »totalit¦ synth¦tique«, Iaire, 234. 226 »[…] l’acte de poser le monde comme totalit¦ synth¦tique et l’acte de ›prendre du recul‹ par rapport au monde ne sont qu’un seul et mÞme acte.« Iaire, 234, Hervorhebung im Text. Zur Erläuterung dieser These fügt Sartre an: »Pour que le centaure surgisse comme irr¦el il faut pr¦cis¦ment que le monde soit saisi comme monde-o¾-le–centaure-n’est-pas, et ceci ne peut se produire que si diff¦rentes motivations ont amen¦ la conscience — saisir le monde comme ¦tant pr¦cis¦ment tel que le centaure n’y ait point de place.« An dieser Stelle verweist Sartre explizit auf die Rezeption Heideggers Was ist Metaphysik?, indem er die Wendung: »d¦passer le r¦el en le constituant comme monde« einführt: »Pour pouvoir imaginer, il suffit que la conscience puisse d¦passer le r¦el en le constituant comme monde, puisque le n¦antisation du r¦el est toujours impliqu¦e par sa constitution en monde.« Und: »En ce sens Heidegger peut dire que le n¦ant est structure constitutive de l’existant.« 227 Iaire, 235. 228 Vgl. ebd: »[…] une image, ¦tant n¦gation du monde d’un point de vue particulier, ne peut jamais appara„tre que sur un fond du monde et en liaison avec le fond.« Hervorhebung im Text. Im oben genannten Sinne kann Sartre hier von ›image‹ als ›n¦gation du monde‹ sprechen.

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Die Entwicklung des sartreschen Denkens

ginierenden Bewusstseins, wird von Sartre im Folgenden in zweifacher Hinsicht als ›Nichts‹ vorgestellt. Zum einen ist es im Anschluss an obige Argumentation: »La conscience imageante pose son objet comme un n¦ant.« hinsichtlich seiner ontologischen Bestimmtheit innerhalb eines Weltzusammenhanges als ›Nichts‹ zu bezeichnen. Zum anderen spricht Sartre in Bezug auf das ›Irreale‹ von einem »double n¦ant«229, in dem er die Bestimmung des Irrealen als ›ontologisches Nichts‹ aufnimmt, denn es ist in diesem Sinne ›nichts‹ in Bezug auf den Weltzusammenhang und dieser Weltzusammenhang ist in Bezug auf das Irreale insofern ein ›Nichts‹, als er in seiner jeweiligen Bestimmtheit seitens des imaginierenden Bewusstseins ›negiert‹ wird, damit das Irreale als Irreales erscheint, d.i. vom imaginierenden Bewusstsein als sein Objekt gesetzt werden kann. Inwiefern das so verstandene Irreale zu Recht als ›double n¦ant‹ bezeichnet werden kann oder ob sein Auftreten als ontologisches ›Nicht-Sein‹ vielmehr durch die Möglichkeit einer Nichtung der Welt oder Negation eines bestimmten Weltzusammenhanges bedingt ist, soll hier nicht entschieden werden. Die Ausführung der sartreschen Argumentation dient hier lediglich dem begrifflichen Zusammenhang der oben genannten Termini im sartreschen Denken auf der Stufe von L’Imaginaire. In Hinblick auf die Bedeutung dieses Aufsatzes über die Exposition der Fähigkeit zur Negation als konstitutives Element des Bewusstseins hinaus soll im Anschluss folgender Punkt Erwähnung finden: Interessanterweise bezeichnet Sartre die verschiedenen Standpunkte, aus denen heraus ein Weltzusammenhang konstituiert werden kann, in der bereits erwähnten Schlussfolgerung zu Le Certain als ›situations‹230 und folgert daher für die nähere Bestimmung des imaginierenden Bewusstseins, dass einem solchen Bewusstsein die wesentliche Bestimmung zukommen muss, ›in-Situationzu-sein‹. ›In-Situation-sein‹ heißt, die Welt von einem bestimmten Standpunkt aus zu betrachten. Folglich muss ein imaginierendes Bewusstsein, um ›in-Situation-sein‹ zu können, ›in der Welt sein‹. Die Einbettung dieser heideggerschen Begrifflichkeiten in die Untersuchung der Möglichkeit und Struktur eines Bewusstseins, das imaginieren können soll, erlaubt Sartre, seine bereits ausgeführte Grundannahme der Möglichkeit der Erfassung des konkreten Subjekts in der Welt und in seinem Verhältnis zu dieser Welt, durch eine Theorie des Bewusstseins zu fundieren, indem er hier das notwendige ›In-der-Welt-sein‹ des imaginierenden Bewusstseins als Ausdruck des Bewusstseins als ›r¦alit¦ concrÀte et individuelle‹231 interpretiert. 229 Iaire, 236. 230 Iaire, 235. 231 »C’est la-situation-dans-le–monde, saisie comme r¦alit¦ concrÀte et individuelle de la conscience, […]«, Iaire, 235. Diese Interpretation führt Sartre im Folgenden im strengen Sinne fort, indem er vom »homme empirique au milieu du monde« spricht. Vgl. Iaire, 237.

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Diesem Aufweis des ›In-Situation-Seins‹ des Bewusstseins kommt nun in der sartreschen Argumentation eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es zu erweisen gilt, dass die Fähigkeit zu imaginieren für jegliches Bewusstsein konstitutiv ist und ihm nicht lediglich kontingenterweise zukommt. Denn, wenn ›InSituation-Sein‹ hier heißt, stets eine bestimmte Perspektive gegenüber der Welt einzunehmen und damit zugleich andere Perspektiven zu negieren, schließt ein Bewusstsein als ›r¦alit¦ concrÀte et individuelle‹ notwendigerweise die Fähigkeit ein, sich von einem bestimmten Weltzusammenhang zu distanzieren und damit eine ›thÀse d’irr¦alit¦‹ zu formulieren, d. h. zu imaginieren. Die These vom Bewusstsein als ›In-Situation-Seiendes‹ ist daher wesentlich mit der der Freiheit des Bewusstseins verbunden. Die Tatsache, dass Sartre beides, sowohl die Freiheit als auch das ›In-Situation-Sein‹ eines jeglichen Bewusstseins, hier ausgehend von der Analyse des imaginierenden Bewusstseins bzw. der Art und Weise, wie das imaginierende Bewusstsein sein Objekt setzt, entwickelt und aus ihnen wiederum folgert, dass die Fähigkeit, zu imaginieren, jeglichem Bewusstsein konstitutiv zukommt, lässt die in L’Imaginaire gelieferte Argumentation nur begrenzt befriedigen. Denn Sartres Ausführungen folgend erweist sich als Voraussetzung für die Fähigkeit eines Bewusstseins, zu imaginieren, in der Tat die Fähigkeit zur Negation, die ihrerseits lediglich von einem Bewusstsein ausgeführt werden kann, das als ›frei‹ hinsichtlich seiner Wahl seines Standpunktes innerhalb der Welt gegenüber der Welt, d.i. ›In-Situation-Sein‹, angenommen werden muss. Inwiefern lässt sich jedoch aus dieser Analyse der Bedingungen für die Fähigkeit eines Bewusstseins, zu imaginieren, die Sartre phänomenologisch deskriptiv aufweist, tatsächlich schließen, dass die Fähigkeit zu imaginieren einem Bewusstsein als Bewusstsein konstitutiv zukommt? Sartres Analyse leistet hier zunächst lediglich Folgendes: Ein Bewusstsein, das imaginieren können soll, muss eine innere Struktur aufweisen, die die Fähigkeit zur Negation als konstitutives Element integriert und aus der, damit verbunden, die Freiheit des Bewusstseins und sein ›In-Situation-Sein‹ erklärt werden kann. Die Darlegung einer solchen ›inneren Struktur‹ des Bewusstseins, die daher im Anschluss an L’Imaginaire zu fordern ist, ist unter Aufnahme der hier explizierten Thesen die zentrale Aufgabe von L’§tre et le N¦ant.

3.

Die Konzeption des Bewusstseins in L’Être et le Néant

3.1

Zur Notwendigkeit einer Konzeption des Bewusstseins

Die Notwendigkeit der Ausarbeitung einer Konzeption des Bewusstseins in L’§tre et le N¦ant ergibt sich wie dargestellt im Wesentlichen aus den in den 30er Jahren entwickelten Thesen und Problemzusammenhängen. Jedoch ergibt sie sich auch aus der Frage, ob die Phänomenologie als Methode, nach einer Kritik der Positionen Husserls und Heideggers, einen Zugang zur Realität dahingehend zu eröffnen vermag232, dass sowohl das Sein des Phänomens als auch das Sein des Bewusstseins in der Folge ontologisch begründet werden können. Ein phänomenologischer Ansatz hätte dies zu leisten, um Sartres Anspruch an eine Theorie des Subjekts und seinem Verhältnis zur Welt gerecht zu werden. Die Beantwortung dieser Frage bestimmt Sartres Vorgehen in L’§tre et le N¦ant. In der Tat widmet sich Sartre bereits in der Einleitung zu diesem Werk dem Unternehmen, zu einer, wie Klaus Hartmann treffend bemerkt, »ontologisch fundierten Phänomenologie« hinzuführen und schließlich, gemäß des Untertitels des Werkes, dem »Versuch einer phänomenologischen Ontologie«233. Sartres Eingangsthese in L’§tre et le N¦ant zielt bereits auf eine ontologische Fundierung von Subjekt und Phänomen: Wenn das Sein der Phänomene nicht gleich der idealistischen These Berkeleys esse est percipi in ihrem percipi, d. h. nicht in ihrem »Erkanntwerden« liegen sollte, müsse in diesem Falle zunächst das Sein der Erkenntnis gesichert werden234. Sei dies nicht gewährleistet, löse sich die Totalität »perception-perÅu«235, oder genauer »Erkennen-Erkanntes«, im ›Nichts‹ auf, da sie nicht »von einem soliden Sein getragen werde« [soutenue par un Þtre solide]. Denn das ›Sein‹ der Erkenntnis könne nicht durch den Akt des Erkennens gesichert werden. Hier drohe ein erneuter Regress, da stets auf 232 Vgl. hier nochmals Hartmann 1963, 6. 233 Hartmann 1963, 7. 234 EN, 17: »Cela signifie, […], qu’un id¦alisme soucieux de r¦duire l’Þtre — la connaissance qu’on en prend, devrait auparavant assurer de quelque maniÀre l’Þtre de la connaissance.« 235 Hier und im Folgenden: EN, 17.

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einen weiteren Akt des Erkennens rekurriert werden müsse, um das ›Sein‹ der jeweiligen Erkenntnis des ›Seins‹ der Erkenntnis zu sichern. Das ›Sein‹ der Erkenntnis ist daher außerhalb des Aktes des Erkennens zu begründen: Erkenntnis verweise, u. a. durch den Akt des Erkennens (percipere), auf ein percipiens, d. h. auf das Subjekt, das erkennt, auf das erkennende Sein »en tant qu’il est, non en tant qu’il est connu«236. Das ›Sein‹ des percipiens sei es aber, »bewusst-zu-sein« [d’Þtre-conscient]237 und nicht, »gewusst«, d.i. »erkannt zu werden«. Das Bewusstsein bildet somit eine Grundlage der Erkenntnis. Dies sei möglich, da das Bewusstsein in sich selbst etwas anderes sei »als eine zu sich selbst zurückgewandte Erkenntnis« [qu’une connaissance retourn¦e sur soi]238. Das heißt, das Bewusstsein als ›Sein des percipiens‹ ist ›wissendes, d.i. erkennendes Sein‹. Es ›ist‹ jedoch, weil es Bewusstsein ist und nicht weil es seinerseits gewusst wird239. Dieses ›Sein des Bewusstseins‹, das, wie hier bereits angedeutet, ein ihm eigentümliches Sein ist, ist in der Folge darzulegen240. An diese These, dass das Sein des Bewusstseins eine Grundlage für das Sein der Erkenntnis bildet, schließt Sartre die von Husserl übernommene phänomenologische Grundeinsicht der Intentionalität des Bewusstseins an: »Toute

236 Vgl. ebd. 237 EN, 17: »Car la loi d’Þtre du sujet connaissant, c’est d’Þtre-conscient.« Hervorhebung im Text. Diese Argumentation Sartres ist hier unter Vorgriff auf die unmittelbare Struktur des Bewusstseins zu lesen, mit Hilfe deren Exposition Sartre seine hier einleitend dargestellten Folgerungen begründet. Die Darstellung dieser Begründung erfolgt unten in Kapitel 4. Es erscheint jedoch sinnvoll, bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Sartre in der Darlegung seiner Konzeption des Bewusstseins die Begriffe Bewusstsein und bewusstes Subjekt weitgehend synonym verwendet. Hazel E. Barnes u. a. merken dazu zu Recht an, dass es sich dabei stets um Aufweise handelt, für deren Verständnis es unerheblich ist, zwischen beiden Begriffen zu trennen. Vgl. dazu: Hazel E. Barnes: Sartres ontology : The revealing and making of being, in: The Cambridge Companion to Sartre, Hrsg.: Christina Howells, Cambridge 1992, S. 13–38, [Barnes] 16. 238 EN, 17. 239 Ebd.: »Nous disions que la conscience est l’Þtre connaissant en tant qu’il est et non en tant qu’il est connu«. Hervorhebung im Text. 240 In dieser Argumentation verweist Sartre explizit auf die auch schon in La Transcendance de l’Êgo zugrunde liegenden und in dieser Arbeit bereits in dem Zusammenhang thematisierten Ausführungen Husserls zum ›inneren Zeitbewusstsein‹: »C’est ce qui a compris Husserl: car si le noÀme est pour lui un corr¦latif irr¦el de la noÀse, dont la loi ontologique est le percipi, la noÀse, au contraire, lui appara„t comme la r¦alit¦, dont la caract¦ristique principale est de se donner — la r¦flexion qui la conna„t, comme ›ayant d¦j— ¦t¦ avant‹.« Hervorhebungen im Text. In diesem Zitat liegt die Betonung in der Tat auf dem hervorgehobenen »ayant d¦j— ¦t¦ avant« desjenigen, das mittels Reflexion erkannt wird, so dass hier bereits ein Verweis auf die strukturelle Besonderheit des dem Bewusstsein als Bewusstsein eigentümlichen ›Sein‹ vorliegt. Es handelt sich um die Präreflexivität des Bewusstseins, die Sartre im Folgenden als »cogito ›pr¦r¦flexif‹« bezeichnet.

Die Exposition von zwei Seinstypen

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conscience, Husserl l’a montr¦, est conscience de quelque chose.«241 Jedes Bewusstsein ist stets »setzendes Bewusstsein von der Welt«242. Es ist setzendes Bewusstsein, da es sich auf ein innerweltliches Seiendes überschreitet, das es als sein Objekt, d. h. als seinen intentionalen Gegenstand, setzt. Setzendes Bewusstsein ist Bewusstsein von einem wie auch immer näher bestimmten Gegenstand. Ein Phänomen ist dementsprechend immer relativ zum Bewusstsein. Sartre stellt so das Sein des Bewusstseins als dasjenige Sein vor, dem alle Erscheinungen erscheinen. Als notwendige Grundlage des Seins der Erkenntnis könne das Sein des Bewusstseins folglich ontologisch fundiert werden. Im Anschluss an diese Ausführungen stellt sich die Frage, ob nun das Sein des Phänomens, da es relativ zu einem setzenden Bewusstsein sein soll, die Grundlage seines Seins ebenfalls im Sein des Bewusstseins habe. Sartre verneint dies. Er sieht in diesem Punkt die Problematik der husserlschen Konzeption, die sich letztendlich dem ontologischen Urteil »Der Gegenstand ist« enthält243. Sartres Ausführungen bestehen im Folgenden in dem Versuch, diese Problematik zu überwinden und gemäß seiner Intention mit Hilfe einer Konzeption der grundlegenden Struktur des Bewusstseins zu zeigen, dass das Sein des Phänomens unabhängig von dem Sein des Bewusstseins angenommen werden muss und wie es seinerseits ontologisch begründet werden kann.

3.2

Die Exposition von zwei Seinstypen

Ausgehend von der These, sowohl die intentionale Struktur des Bewusstseins als auch das Verständnis des Phänomens als solches fordere ein selbständiges und von dem Sein des Bewusstseins unabhängiges Sein des Phänomens, stellt Sartre das Sein des Bewusstseins und das Sein des Phänomens im Folgenden als zwei

241 EN, 17 und vgl. Fußnote 72 und 73. 242 Vgl. 18: »conscience positionnelle du monde.« Hervorhebung im Text. Der fortlaufende Text macht deutlich, dass dieser Ausdruck hier verallgemeinernd fungiert und ›Bewusstsein von einem innerweltlichen Gegenstand‹ meint. Vgl. ebd.: »Toute conscience est positionnelle en ce qu’elle se transcende pour atteindre un objet, […].« 243 EN, 16: »ce que fera un Husserl, lorsque, aprÀs avoir effectu¦ la r¦duction ph¦nom¦nologique, il traitera le noÀme d’irr¦el et d¦clarera que son ›esse‹ est un ›percipi‹.« Hervorhebungen im Text. Sartre bezieht sich hier auf Husserls Methode der »Phänomenologischen Reduktion«, die er in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie entwickelt, und auf die ]pow^, d.i. die Einklammerung des Seinsglaubens, als ihr zentrales Moment. Sartre sieht und bezeichnet hier das idealistische Element, das in der Phänomenologie Husserls bestehen bleibt.

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Die Konzeption des Bewusstseins in L’Être et le Néant

»Typen des Seins«244 heraus, die aufgrund der intentionalen Struktur des Bewusstseins in einem Seinsverhältnis zueinander stehen sollen. Zu Beginn der Argumentation, die oben genannte These insofern stützen soll, als sie die genannte Exposition von zwei Seinstypen zum Ziel hat, rekurriert Sartre auf sein Verständnis des Phänomens: Das Phänomen sei das »RelativAbsolute«245. Relativ sei es, weil es, wie erläutert, ein percipiens voraussetzt, dem es erscheint. Absolut sei es, weil es in seinem Erscheinen nicht auf ein ›noumenales Sein‹ im kantischen Sinne verweise, dessen Erscheinen es sei, sondern es zeige »nur sich selbst an«246. Das reale Sein des Phänomens liege jedoch nicht in seinem Wesen, zu erscheinen247. Das »Phänomen-Sein«, d. h. die Tatsache, einem percipiens zu erscheinen, fordere vielmehr ein Sein als Fundament, das seine Enthüllung für ein Bewusstsein möglich mache, aber nicht selbst wieder Erscheinung ist, sondern Voraussetzung für diese sein müsse248. Dieses vom Phänomen geforderte Sein, das sein Erscheinen begründen soll, indem es sich nicht auf es reduzieren lässt, soll transphänomenal in dem Sinne sein, dass es der Phänomenalität insofern entgeht, als es nicht nur existiert, indem es sich offenbart. Dass dieses transphänomenale Sein, das das Phänomen fordert, nicht das transphänomenale Sein des Bewusstseins sein kann, soll in der intentionalen Struktur des Bewusstseins selbst begründet liegen. Im Zusammenhang mit dieser Struktur steht Sartres Hauptargument, um diesen Beweis zu erbringen. Es handelt sich um das Argument der Passivität, welches im Wesentlichen auf der Überlegung beruht, dass der Seinsmodus des percipi das Passiv sei und das Sein des Phänomens, sollte es im transphänomenalen Sein des Bewusstseins liegen, wiederum in seinem percipi läge249 und somit durch Passivität charakterisiert wäre250. Relativität und Passivität wären die charakteristischen Strukturen des 244 EN, 34: »deux types d’Þtre«. 245 EN, 12: »le relatif-absolu«. 246 EN, 14: »la premiÀre cons¦quence de la ›th¦orie du ph¦nomÀne‹ c’est que l’apparition ne renvoie pas — l’Þtre comme le ph¦nomÀne kantien au noumÀne. Puisqu’il n’y a rien derriÀre elle et qu’elle n’indique qu’elle-mÞme (et la s¦rie totale de ses apparitions), […].« 247 Vgl. ebd.: »Si l’essence de l’apparition est un ›para„tre‹ qui ne s’oppose — aucun Þtre, il y a un problÀme l¦gitime de l’Þtre de ce para„tre.« Vgl. dort auch Sartres Ausführungen zum Seinsphänomen [le ph¦nomÀne d’Þtre], welches eine Erscheinung darstelle, in der das Sein erscheine oder durch die Tatsache, dass dem Bewusstsein etwas erscheine, ein Sein darstelle, das selbst Erscheinung ist. So fordert es ebenfalls ein Sein als Grundlage, das seinerseits nicht darauf beruht, jemandem zu erscheinen: »[…] il exige, en tant que ph¦nomÀne, un fondement qui soit transph¦nom¦nal«, EN, 16. 248 EN, 15: »L’Þtre est simplement la condition de tout d¦voilement: il est Þtre-pour-d¦voiler et non Þtre d¦voil¦.« 249 Hier rekurriert Sartre wiederum auf die intentionale Struktur des Bewusstseins als Bewusstsein von etwas. 250 EN, 25.

Die Exposition von zwei Seinstypen

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Seins des Phänomens, wenn es sich auf sein percipi reduzieren ließe. Um als ein Passives existieren zu können, muss ein solches Sein bereits bestehen, denn dieses passive Sein würde andernfalls durch eine Seinsweise bestimmt sein, deren Grund und Ursprung nicht in ihm als passives Sein liegen kann251. Die Existenz eines Seins, das den Seinsmodus des Passivs übernehme, könne auf Grund des Gesagten nicht selbst in der Passivität liegen. Mit dieser Argumentation ist die Verbindung zu der Struktur des Bewusstseins, die ihrerseits ein von dem transphänomenalen Sein des Bewusstseins unabhängig existierendes Sein des Phänomens fordert, offensichtlich. Denn ein durch Passivität charakterisiertes Sein, das nur in seinem Erscheinen für ein Bewusstsein liegt, kann seine Selbstständigkeit nicht übernehmen. Es kann kein von dem Sein des Bewusstseins unabhängiges Sein begründen, sondern verfügt lediglich über ein von dem Bewusstsein ›entliehenes‹ Sein, das in dem Bewusstsein selbst gründet252. Die Relativität auf ein Bewusstsein kann das Sein eines jeweiligen Phänomens ontologisch nicht begründen. Diese Argumentation lässt einen weiteren Schluss zu: Die gemäß der intentionalen Struktur des Bewusstseins geforderte Transzendenz des Bewusstseins auf ein Objekt in der Welt kann nicht vollzogen werden, wenn das Sein des Phänomens im Sein des Bewusstseins und damit in der Subjektivität verbliebe. Diese Transzendenz ginge in der Immanenz auf, obwohl sie für die Struktur des Bewusstseins konstitutiv sein soll. Folglich existiert das Bewusstsein als ›Gerichtetsein‹ auf ein Sein, das nicht es selbst ist, oder es existiert nicht. So fordert die grundlegende Struktur des Bewusstseins, die im Folgenden präziser herauszuarbeiten ist, ein von dem Sein des Bewusstseins unabhängiges Sein des Phänomens, damit die genannte Transzendenz vollzogen werden kann253. Nur so sei Bewusstsein und damit Subjektivität überhaupt möglich. Sartre bezeichnet diesen Argumentationsgang als »ontologischen Beweis«254 251 Ebd.: »Je suis passif, lorsque je reÅois une modification dont je ne suis pas l’origine – c’est-—dire ni le fondement, ni le cr¦ateur. Ainsi mon Þtre supporte-t-il une maniÀre d’Þtre dont il n’est pas la source. Seulement, pour supporter, encore faut-il que j’existe et, de ce fait, mon existence se situe au-del— de la passivit¦.« Siehe hier auch die Analyse von Klaus Hartmann, Hartmann 1963, 14f. 252 EN, 25: »S’il n’est en lui-mÞme que du n¦ant, alors la cr¦ature ne se distingue aucunement de son cr¦ateur, elle se r¦sorbe en lui; […].« 253 Vgl. EN, 25f.: »[…] nous avions affaire — une fausse transcendance […]«. »L’esse du ph¦nomÀne ne saurait Þtre son percipi. L’Þtre transph¦nom¦nal de la conscience ne saurait fonder l’Þtre transph¦nom¦nal du ph¦nomÀne […] cette transph¦nom¦nalit¦ mÞme exige celle de l’Þtre du ph¦nomÀne.« 254 EN, 28. Sartre sieht hier den möglichen Einwand, dass dieser Anspruch des Bewusstseins die Notwendigkeit seiner Befriedigung nicht beweise. Doch er versucht dem durch die oben genannte konsequente Folgerung aus der intentionalen Struktur des Bewusstseins zu begegnen, die besagt, dass jegliches Bewusstsein ohne die Transzendenz auf einen Gegenstand, der außerhalb seiner liegt, nicht möglich sei. Das heißt für Sartre, dass die Phäno-

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für das von dem Sein des Bewusstseins unabhängige Sein des Phänomens, das nicht in seinem percipi begründet sein kann. Dieses »transphänomenale Sein«255 des Phänomens, das selbst nicht auf Erscheinung für ein percipiens beruht, meint, wie Rüdiger Bubner es treffend ausdrückt, das »Sein der Phänomene selber«256. Das Phänomen soll so als innerweltlicher Gegenstand angesprochen werden können. Und die Intentionalität des Bewusstseins mag insofern die Möglichkeit eines Seinsverhältnisses andeuten, das zwischen dem Sein des Bewusstseins und dem Sein des Phänomens bestehen soll. Dies hat Sartre im Folgenden zu entwickeln. Aus der Struktur des Bewusstseins exponiert Sartre durch die obige Argumentation die Notwendigkeit der Annahme von zwei Seinstypen, dem Sein des Bewusstseins und dem Sein des Phänomens, die er im Folgenden als »Þtre-poursoi«, Fürsichsein, und »Þtre-en-soi«, Ansichsein bezeichnet257. Mit dieser Exposition pointiert Sartre im Anschluss an die Rezeption der husserlschen Phänomenologie seinen eigenen Ansatz der Konzeption einer »phänomenologischen Ontologie«. Beide Seinstypen bedürfen einer ausführlichen Charakterisierung ihrer Strukturen. Ihre Differenz bildet die theoretische Grundlage der sartreschen Ontologie258. Dies soll im Folgenden herausgestellt werden.

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menologie für das Subjekt einen Zugang zur Realität nur dann eröffnet, wenn diesem Anspruch an ein von dem Sein des Bewusstseins unabhängiges Sein des Phänomens, der aus der intentionalen Struktur des Bewusstseins folgt, entsprochen werden kann. Eine solche Phänomenologie distanzierte sich in Intention und methodischer Konzeption von derjenigen Husserls, deren Grundannahme der Intentionalität des Bewusstseins jedoch als Basis für die Entwicklung dieser sartreschen Wendung der Phänomenologie anzusehen ist. Siehe dazu auch oben Kapitel 2. Festzuhalten ist hier darüber hinaus, dass Sartre diese oben genannte ›Unmöglichkeit‹ des Sachverhaltes ›Bewusstsein‹ ohne die Transzendenz auf ein Objekt außerhalb seiner hier nicht unabhängig von der Forderung eines von dem Sein des Bewusstseins unabhängigen Sein des Phänomens eigens begründet. Eine Begründung für dieses Verständnis von Intentionalität erfolgt auch in den späteren Kapiteln von L’§tre et le N¦ant nicht. Wenn Sartre jedoch im Zusammenhang mit dem Verhältnis zum Anderen beispielsweise das Bewusstsein der eigenen Scham darlegt und in dem Aufsatz Conscience de soi et connaissance de soi von einer conscience th¦tique de soi (Vgl. CC, 381) spricht, scheint sich oben Gesagtes hinsichtlich der Notwendigkeit eines Bezuges auf ein Objekt ›außerhalb seiner‹ zum Teil zu relativieren. Entscheidend für das sartresche Verständnis von der Intentionalität des Bewusstseins ist jedoch der in den folgenden Kapiteln entwickelte Unterschied zwischen thetischem und nicht-thetischem Bewusstsein. Die Wendung ›außerhalb seiner‹ kann dort auch ›außerhalb der Binnenstruktur des Bewusstseins‹ bedeuten. Hier ergeht ein Verweis auf unten, Kapitel 3.4. Hartmann 1963, 15. Rüdiger Bubner : Phänomenologie, Reflexion und Cartesianische Existenz, Zu Jean-Paul Sartres Begriff des Bewußtseins, Heidelberg 1964, [Bubner 1964] 36. Vgl. EN, 31ff. Vgl. hier auch Betancourt 1977, 51 und 57.

Die Struktur des Ansichseins

3.3

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Die Struktur des Ansichseins

Das Sein des Phänomens als das dem Bewusstsein transzendente Sein, d.i. das Sein der innerweltlichen Gegenstände, nennt Sartre Ansichsein [l’Þtre-en-soi]259. Es soll denjenigen Seinstypus vorstellen, der unabhängig von jeglicher Beziehung auf ein Subjekt besteht. Es ist demnach weder als Produkt einer schöpferischen Subjektivität noch als Kreation eines göttlichen Schöpfers aufzufassen, denn in beiden Fällen würde sein Sein gemäß des bereits Sartres ›ontologischen Beweis‹ leitenden Argumentes der Passivität in der Subjektivität des jeweiligen Schöpfers verbleiben260. Das Ansichsein kann jedoch auch nicht als Produkt einer etwaigen SelbstSchöpfung begriffen werden, da es in diesem Fall seinem Sein in irgendeiner Weise vorausgehen können müsste. Es ist weder aktiv noch passiv, denn um diese Seinsweisen zeigen zu können, müsste es bereits sein. Die Frage ist, wie das Ansichsein nach Sartre positiv zu bestimmen ist. »L’Þtre est soi.«261 Es ist sich. Es soll als in sich selbst bestehend begriffen werden, und als solches stehe es nicht nur jenseits von Aktivität und Passivität, sondern auch jenseits von Negation und Affirmation sowie jenseits von allem, welches eine Distanz oder einen notwendigen Bezug zu sich voraussetzen würde. Es soll gänzlich undifferenziert an sich262 bestehen. Die begriffliche Wendung l’Þtre est soi oder l’Þtre est en soi scheint auf der Grundlage der von Sartre gegebenen Beschreibung dieses Seinstyps nicht ohne Weiteres gerechtfertigt. Sie bedarf einer Erklärung der Verwendungsweise des Terminus soi [sich]. Er darf hier, wie Sartre selbst deutlich macht, nicht im Sinne der Reflexivität als Rückbezug und damit notwendig als Abstand zu sich verstanden werden263. Denn in diesem Fall würde das Ansichsein auf sich verweisen und somit gerade die Struktur eines auf sich Bezug nehmenden Seinstyps suggerieren. Sartre verweist diesbezüglich auf die Unzulänglichkeit und bestimmte Erfordernisse der Sprache, die mit der Formel l’Þtre est en soi das Gemeinte nur 259 EN, 30ff. Vgl. hier nochmals die bereits erwähnten begrifflichen Anleihen bei Hegel. Da Sartre sie aber in seiner Konzeption inhaltlich in ganz eigener Weise fasst, wird hier in der Folge auf einen expliziten Rückbezug auf Hegel sowie auf einen konkreten Vergleich beider Auffassungen zugunsten der Analyse der sartreschen Position verzichtet. 260 Vgl. EN, 32. Vgl. hier auch den Aufweis von Betancourt: Betancourt 1977, 59ff. 261 EN, 32. 262 EN, 33: »[…] l’Þtre est en soi. […] Il est une immanence qui ne peut pas se r¦aliser, une affirmation qui ne peut pas s’affirmer, une activit¦ qui ne peut pas agir, parce qu’il s’est emp–t¦ de soi-mÞme.« 263 Dieses Verständnis des Terminus ›sich‹ markiert hier bereits offenkundig den Unterschied zu dem Verständnis dieser Terminologie, wie sie zu der Beschreibung der internen Strukturen des Bewusstseins als ›Bewusstsein von sich‹ verwendet wird. Vgl. unten, Kap. 3.4 und auch: Gadamer, Sein und Nichts: insbesondere 45.

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›approximativ‹264 vorstellen könnten. Im Grunde liege das durch sie bezeichnete Sein jenseits des soi. Es sei sich selbst opak, gerade weil es vollständig mit »sich selbst ausgefüllt«265 sei. Dadurch, dass es sich selbst undurchsichtig sei, könne es auch in keinem Bezug zu sich stehen. Diese These wird zunächst folgendermaßen erläutert: Die Bedeutung des soi sei in dem Fall des l’Þtre-en-soi die Identität, denn es habe sich in der Identität mit sich selbst ›aufgelöst‹266. Diese Charakteristik des als Ansichsein bezeichneten Seinstyps drückt Sartre durch die zweite Formel zur Beschreibung des Ansichseins aus: l’Þtre est ce qu’il est267, d.i. »das Sein ist, was es ist«. Es fällt mit sich selbst zusammen und kann deshalb in ›keinem Bezug zu etwas stehen, das es nicht ist‹268. Darunter sei auch zu verstehen, dass das Ansichsein nicht als Zeitliches aufgefasst werden könne. Denn aufgrund jeglicher Beziehungslosigkeit kann es keinen Bezug zu sich als etwas haben, das es einmal ›war‹ oder erst ›sein wird‹. Dies widerspräche Sartres Auffassung von ›Identität‹, in der sich das Ansichsein mit sich auflöst und die nicht als Ergebnis eines Prozesses aufzufassen ist, durch den das Ansichsein erst mit sich selbst identisch wird. Das Ansichsein ist Identität und »erschöpft sich darin, zu sein«269. Ein weiteres Argument gegen die Zeitlichkeit des Ansichseins sieht Sartre darin, dass diese eine Negation in dem Sinne ›es ist nicht mehr‹ oder ›es ist noch 264 Vgl. EN, 33. Der Begriff »approximativ« findet sich bei Hartmann 1963, 34. 265 EN, 33: »[…] il est rempli de lui-mÞme.« 266 Ebd.: »[…] ce soi, il l’est. Il l’est au point que la r¦flexion perp¦tuelle qui constitue le soi se fond en une identit¦.« 267 Ebd. 268 Ebd.: »[…] il n’entretient aucun rapport avec ce qui n’est pas lui.« Diese Aussage Sartres erscheint in Hinblick auf die erwähnte Absicht, durch die Intentionalität des Bewusstseins das Seinsverhältnis zwischen Ansichsein und Fürsichsein aufzuzeigen, widersprüchlich zu sein. Das Ansichsein würde in diesem Fall in einer Beziehung zum Bewusstsein, das im Folgenden dem Seinstyp des Fürsichseins entsprechen soll, stehen und damit in Beziehung zu etwas, das es nicht ist. Dieses eigentümliche Verhältnis, das zwischen Ansichsein und Fürsichsein bestehen soll, hat Sartre an dieser Stelle trotz seiner Bemühungen, die Struktur des Ansichseins auf dem Hintergrund seiner Konzeption des Bewusstseins zu explizieren, hier jedoch (noch) nicht im Blick. Es geht ihm zunächst darum, den Seinstyp des Ansichseins isoliert zu betrachten und die Charakteristika seiner Struktur herauszustellen, da dieser, wie Sartre durch den ›ontologischen Beweis‹ gezeigt hat, als unabhängig von dem Sein des Bewusstseins existierend angenommen werden muss. Der ›ontologische Beweis‹ seinerseits beruht allerdings, wie dargelegt, auch auf Erfordernissen der Struktur des Bewusstseins, die auf Grund der Intentionalität des Bewusstseins ein transphänomenales Sein des Phänomens fordert. Im Übrigen wird der oben genannte Einwand der Widersprüchlichkeit dahingehend entkräftet, dass nach Sartre das Bewusstsein durch seine grundlegende Struktur der Intentionalität notwendig in Bezug auf anderes, das es nicht ist, existiert. Das Ansichsein existiert unabhängig vom Fürsichsein, welches seinerseits jedoch eine ›Beziehung‹ zum Ansichsein aufbaut, ohne die es nicht existieren könnte. 269 EN, 34: »il s’¦puise — l’Þtre.«

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nicht‹ implizierte. Dasjenige, was war oder noch sein wird, ist ein anderes. Das Ansichsein als Identisches soll jedoch keinen Bezug zu etwas haben, das es nicht ist. Es enthält keinerlei Negation und ist reine Positivität270. Wenn es zerstört werde, könne man nicht sagen, ›es sei nicht mehr‹271. ›Es war, und jetzt existiert anderes‹272. Die Formel »l’Þtre est ce qu’il est« besagt demnach zusammenfassend, dass die Struktur dieses Seinstyps jegliche Veränderung und damit auch jegliches Werden prinzipiell ausschließt. Das Einzige, was sich somit von dem Sein dieses Seinstyps aussagen lässt, ist, dass es existiert. Diese Charakteristik drückt Sartre in einer dritten Formel zur Beschreibung des Ansichseins aus: »L’Þtre est«273, d.i. das Sein ist. Diese Formel soll darüber hinaus die Kontingenz des Ansichseins ausdrücken. So fasst sie die genannten Punkte zusammen: Die Kontingenz besagt, dass das Ansichsein, indem es kein Anderssein beinhaltet, in seinem Sein weder von einem anderen Existierenden noch von einem bloß Möglichen abgeleitet werden kann. Noch kann es auf ein Notwendiges zurückgeführt werden. Es ist kein Produkt einer Schöpfung. Es ist. Es ist an sich. Es ist das, was es ist274. Es ist Fülle, Identität und reine Positivität. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass das Ansichsein als ›Grundloses‹275 anzunehmen ist, da es durch seine Undifferenziertheit und Beziehungslosigkeit auch nicht Grund seiner selbst sein kann. Dies wird durch die Exposition der Struktur des Bewusstseins als Fürsichsein sowie durch den Aufweis der Relation, die zwischen Fürsichsein und Ansichsein bestehen soll, verständlich. 270 EN, 33f.: »[…] il est pleine positivit¦. Il ne conna„t donc pas l’alt¦rit¦: il ne se pose jamais comme autre qu’un Þtre; il ne peut soutenir aucun rapport avec l’autre.« Hervorhebungen im Text. 271 Diese Feststellung würde ein Bewusstsein ›als Zeugen‹ voraussetzen, welches Sartre noch zu erläutern haben wird. Er erwähnt jedoch an dieser Stelle das Bewusstsein als zeitliches und deutet insofern bereits einen grundlegenden Unterschied der beiden Seinstypen an. Vgl. dazu auch: Hartmann 1963, 34. 272 EN, 34: »Il ¦tait et — pr¦sent d’autres Þtres sont: voil— tout.« 273 Ebd.: Diese Formel ist an der betreffenden Stelle folgendermaßen zu verstehen: »L’Þtre en soi est«, d.i. »Das Ansichsein ist.« Es ist dieses Sein, das Sartre hier betrachtet. 274 Vgl. ebd.: »L’Þtre est. L’Þtre est en soi. L’Þtre est ce qu’il est.« 275 Siehe dazu auch die zusammenfassende Analyse von Klaus Hartmann, die diese Lesart stützt, in: Hartmann 1963, 35. Ein weiteres Argument Sartres besteht darin, dass das Ansichsein, würde es mit einem Grund gleichgesetzt, als Absolutes vorgestellt werden müsste, welches, wie noch gezeigt werden wird, dem Fürsichsein vorbehalten bleiben soll. Sartres Charakterisierung des Ansichseins ist, wie angedeutet, bereits von seiner Konzeption des Bewusstseins und, wie der »ontologische Beweis« gezeigt hat, von dessen ontologischer Bestimmung her motiviert. Obwohl die eigentliche Darlegung dessen in L’Þtre et le n¦ant erst an späterer Stelle folgt, ist Sartre bemüht, die Struktur des Ansichseins unter Vorgriff auf diejenige des Bewusstseins, d.i. des Fürsichseins, im Unterschied zu dieser herauszustellen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Gerhard Seel in: Seel, 85 und 87.

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3.4

Die Konzeption des Bewusstseins in L’Être et le Néant

Die Binnenstruktur des Bewusstseins als Fürsichsein

Die Exposition der Struktur des Ansichseins wird bereits unter Verweis auf die des Bewusstseins deutlich gemacht. Das Ansichsein wird als Seinsfülle, Identität und reine Positivität vorgestellt. Da es aufgrund dieser Struktur von sich aus keine Beziehung zu einem anderen Sein aufnehmen kann, muss diese Funktion dem Sein des Bewusstseins zukommen. Nur auf diese Weise können Subjekt und Welt in einem Verhältnis stehen, das im Rahmen des Projektes einer ›phänomenologischen Ontologie‹ als Seinsverhältnis expliziert werden können soll. Der Ausgang von der intentionalen Struktur des Bewusstseins wird in dem ›ontologischen Beweis‹ als erster Hinweis für diese Funktion gegeben. Um jedoch plausibel zu machen, dass und wie das Bewusstsein dies leisten kann und einen eigenen Seinstyp vorstellt, der als einzige und damit unmittelbare Opposition zum Ansichsein besteht, ist die Entwicklung der Binnenstruktur des Bewusstseins notwendig. Sie rückt im Folgenden in den Mittelpunkt der Argumentation.

3.4.1 Das präreflexive Cogito: nicht-thetisches versus thetisches Bewusstsein In seiner Konzeption des Bewusstseins geht Sartre, wie beschrieben, von der Intentionalität als sein wesentliches Strukturelement aus. Bewusstsein ist stets intentional verfasst und somit immer ›Bewusstsein von etwas‹. Bewusstsein von etwas ist setzendes Bewusstsein von einem Gegenstand als sein Objekt276. Sartre spricht von thetischem Bewusstsein als Bewusstsein von einem Gegenstand. Die entscheidende These im Anschluss an die Feststellung, dass jegliches Bewusstsein thetisches Bewusstsein ist, lässt sich folgendermaßen formulieren: Das thetische Bewusstsein muss sich seiner selbst als thetisches, d. h. als erkennendes Bewusstsein bewusst sein277. Daher könne es Bewusstsein nicht nur in Bezug auf ein außerhalb seiner liegendes Objekt geben, sondern eben dieses müsse sich in seinem erkennenden Bezug seiner selbst als dieser erkennende Bezug bewusst sein. Diese hier von Sartre aufgenommene These entspricht nicht nur der, die u. a. zu Fichtes ›ursprünglicher Einsicht‹278 führt, sondern birgt die zentrale Problemstellung der anfangs zusammenfassend dargestellten nach276 EN, 18: »[…] conscience positionnelle du monde.« Dass diese Wendung in Hinblick auf den Sachverhalt ›Bewusstsein von einem innerweltlichen Gegenstand‹ als ›verallgemeinernd gesprochen‹ verstanden werden muss, ist oben in Kap. 2.3 bereits dargelegt worden. 277 Ebd.: »[…] la condition n¦cessaire et suffisante pour qu’une conscience connaissante soit connaissance de son objet, c’est qu’elle soit conscience d’elle-mÞme comme ¦tant cette connaissance.« 278 Vgl. oben Kapitel 1 und den gleichnamigen Aufsatz von Dieter Henrich, der in Fußnote 283 ausführlich zitiert wird.

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kantischen Philosophie der Subjektivität in sich. So herrscht bezüglich ihres Inhaltes Einigkeit sowie darin, dass eine adäquate Struktur des Bewusstseins dem Rechnung tragen müsse. Sartres Lesart dieser These pointiert die Aufgabe seiner zu entwickelnden Struktur des Bewusstseins wie folgt: Würde thetisches Bewusstsein nicht von einem Bewusstsein seiner selbst begleitet, handele es sich um einen Fall von ›unbewusstem Bewusstsein‹, was »absurd«279 sei. Erkenntnis wäre ohne das »Sich-seiner-selbst-bewusst-Sein« des erkennenden Bewusstseins nicht möglich. Sie würde ›ins Unbewusste fallen‹280. Ein weiteres, nicht eigens sartresches Argument für diese These, das hier nicht explizit erwähnt wird, jedoch aus der intentionalen Verfasstheit des Bewusstseins folgt, ist die Tatsache, dass jedes Bewusstsein Bewusstsein von etwas ist, das nicht es selbst ist, d. h. von etwas, das von ihm, dem Bewusstsein selbst, in irgendeiner Weise unterschieden ist. Um nun Bewusstsein von einem Gegenstand zu haben und diesen im Sinne der intentionalen Struktur des Bewusstseins als von ihm selbst unterschieden erfassen zu können, muss das Bewusstsein sich notwendig seiner selbst bewusst sein, um den Erfordernissen dieser Struktur gerecht zu werden281. Erfassendes bzw. erkennendes Bewusstsein ist jedoch, wie auch Sartre hier herausstellt, ohne ein Bewusstsein seiner selbst als erkennendes Bewusstsein gar nicht erst möglich. In diesem Punkt hängen beide Argumente zusammen. Eine Wiederaufnahme dieses Gedankens erfolgt bei der Diskussion des Verhältnisses zwischen Fürsichsein und Ansichsein. Wie integriert Sartre nun das ›Bewusstsein von sich‹ als notwendiges Element in die Struktur des Bewusstseins? Zunächst erfolgt ein erneuter Verweis auf die erwähnten Schwierigkeiten 279 Ebd.: »[…], une conscience qui s’ignorerait soi-mÞme, une conscience inconsciente – ce qui est absurde.« Sartre versteht in diesem Argument das Adjektiv »unbewusst« [inconscient] als gleichbedeutend mit »nicht-bewusst« [pas conscient]. Darauf sei hier lediglich hingewiesen. Dieses Verständnis verweist hier jedoch bereits auf Sartres Position bzgl. des ›Unbewussten‹ im Allgemeinen. Sie bzw. ihr Begründungszusammenhang leitet sich aus der strukturellen Verfasstheit des Bewusstseins ab. 280 Vgl. dazu: »Et si cette connaissance est elle-mÞme inconsciente, il est ¦vident que l’ensemble tombe dans l’inconscient.« CC, 379f. 281 Das heißt, jeder, der von einer wesentlich durch Intentionalität charakterisierten Struktur des Bewusstseins ausgeht, muss genannten Sachverhalt zugeben, wenn der Gegenstand als ein von ihm differenter bewusst ist. Vgl. hier wiederum den Bezug zu Hegels von Konrad Cramer ›Satz des Bewusstseins‹ genannte Wendung in der Phänomenologie des Geistes: »Das Bewusstsein unterscheidet etwas von sich, auf das es sich zugleich bezieht« (PhdG, 76), den Sartre selbst jedoch nicht explizit erwähnt. Und dazu: Konrad Cramer: Bemerkungen zu Hegels Begriff vom Bewußtsein in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes, in: Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt/M. 1978, 360–393, [Cramer, Bemerkungen], 376f.: »Ist nämlich ›Unterscheiden von sich‹ deskriptives Bestandstück jedes Falles von Bewußtsein, so ist Bewußtsein nicht nur als ›Bewußtsein von etwas‹ gekennzeichnet, sondern gerade als eine Struktur, die, indem sie Bewußtsein von etwas ist, auch Bewußtsein davon ist, daß sie Bewußtsein von etwas ist.« Hervorhebung im Text.

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derjenigen Selbstbewusstseinstheorien282, die, ausgehend von der intentionalen Struktur von Bewusstsein, diese Struktur ebenfalls auf das ›Bewusstsein von sich‹, d. h. auf den Sachverhalt ›Selbstbewusstsein‹ übertragen. Diese, mit dem Begriff des ›Reflexionsmodells des Selbstbewusstseins‹ bezeichneten Theorien entwickeln eine Konzeption des Selbstbewusstseins, die so vorgestellt wird, dass das Bewusstsein im Falle des Bewusstseins von sich in seiner Struktur die Stelle des Objektes einnimmt. Bewusstsein von sich wird somit als ›erkennendes Bewusstsein seiner selbst‹ gedacht, das sich selbst als den zu erkennenden ›Gegenstand‹ an Objektstellung setzt. Ein Bewusstsein von sich, das diesen Akt der Erkenntnis bewusst machen könnte, wäre in diesem Fall abermals erforderlich. Eine solche Konzeption des Selbstbewusstseins fiele notwendig einem infiniten Regress anheim283. An seine Ausführungen in La Transcendance de l’Êgo anschließend, stellt Sartre folgerichtig heraus, dass das ›Bewusstsein von sich‹, welches das erkennende Bewusstsein eines Objekts notwendig begleitet, etwas anderes sein muss als eine »auf sich selbst zurückgewandte Erkenntnis«284. Das Bewusstsein von sich kann folglich in Sartres Konzeption nicht »paarig«285 sein, d. h., es darf in seiner Struktur keine Subjekt-Objekt-Spaltung aufstellen, wie sie der Struktur der Erkenntnis eigen ist. Das ›Bewusstsein von sich‹, das ›thetisches Bewusstsein von einem Gegenstand‹ notwendig begleitet, kann demnach nicht wiederum ›thetisches Bewusstsein seiner selbst‹ sein. Das heißt, Sartre versucht, den infiniten Regress zu unterlaufen, indem er das ›Bewusstsein von sich‹ als »unmittelbaren, nicht kognitiven Bezug von sich zu sich«286 entwickelt. Begrifflich bestimmt er dies folgendermaßen: Das ›Bewusstsein von sich‹ wird als ›nichtsetzendes‹ oder ›nicht-thetisches Bewusstsein‹ bezeichnet und, um den Unterschied zur Reflexion herauszustellen, als »präreflexives Cogito«, als konstitutives Element des cartesianischen Cogito, das Sartres Verständnis von thetischem

282 Sartre lassen sich auf der Stufe von L’Þtre et le n¦ant, wie einleitend erwähnt, vor allem Kenntnisse der Theorien Kants, Fichtes, Hegels, Brentanos, Husserls und Heideggers nachweisen, deren Problematiken er mit seiner Konzeption des Bewusstseins zu entgehen versucht. Vgl. dazu auch: Hartmann 1963, 22ff. und Ulrich Pothast: Über einige Fragen der Selbstbeziehung, Philosophische Abhandlungen, Frankfurt/M. 1971, [Pothast 1971], 16ff. 283 Vgl. dazu: Henrich, Fichtes Einsicht, 194f.: »Ich soll der sein, der sich reflektierend auf sich besinnt. Also muß der, welcher die Reflexion in Gang bringt, selbst schon beides sein, Wissendes und Gewußtes. Das Subjekt der Reflexion erfüllt somit die ganze Gleichung Ich=Ich. Doch durch Reflexion sollte sie erst zustandekommen.« 284 EN, 17: »Mais elle [la conscience] est […] autre chose qu’une connaissance retourn¦e sur soi.« [Zusatz] der Verfasserin. 285 EN, 19: »[…] n’est pas couple.« Der Ausdruck ›paarig‹ findet sich in der Übersetzung von Traugott König, SN, 19. 286 Ebd.: »Il faut, si nous voulons ¦viter la r¦gression — l’infini, qu’elle soit rapport imm¦diat et non-cognitif de soi — soi.«

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Bewusstsein entspricht287. Das heißt: Bewusstsein als Bewusstsein von etwas, das von Sartre als thetisches Bewusstsein bestimmt und in Rekurs auf das cartesianische Cogito begriffen wird, ist der aufgezeigten Argumentation zufolge ohne die Annahme eines »präreflexiven Cogito«, das dieses Cogito immer schon begleitet, nicht möglich. Demnach gilt es, eine Struktur des Bewusstseins aufzustellen, die das »präreflexive Cogito« als notwendiges Element integriert.

3.4.2 Das Bewusstsein als Einheit von Zweien Das ›präreflexive Cogito‹ als ›nicht-thetisches Bewusstsein von sich‹ ist gemäß der bisherigen Darstellung, die bis zu diesem Punkt die sartreschen Darlegungen der Aufsätze aus den 30er Jahren, namentlich La Transcendance de l’Êgo, lediglich präzisierend herausstellt, als Bedingung für jedes thetische, d. h. erkennende und reflektierende Bewusstsein vorgestellt. Um auch im Schriftbild, in Anlehnung an die Erfordernisse der Sprache, zu verdeutlichen, dass das ›nichtthetische Bewusstsein von sich‹ ›sich‹ nicht als Objekt setzt, da es gerade ›nichtsetzendes Bewusstsein‹, d. h. keine Erkenntnis oder Reflexion eines Gegenstandes sein soll, setzt Sartre in dem französischen Ausdruck conscience de soi »de« in Klammern. Die deutsche Übersetzung von Traugott König verfährt dementsprechend und schreibt »Bewusstsein (von) sich«288. Wenn nun ›nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich‹289 Voraussetzung für thetisches Bewusstsein von einem Gegenstand sein soll, stellt sich die Frage, ob es sich in der sartreschen Konzeption nicht um zwei Arten des Bewusstseins handele, von denen die eine konstitutiv für die andere sei. Sartre begegnet dieser Schwierigkeit damit, dass er versucht, die Einheit des Bewusstseins herauszustellen und sie folgendermaßen zu begründen: Wenn Bewusstsein immer ›Bewusstsein von etwas‹ ist, ist ›nicht-setzendes Bewusstsein (von) sich‹ ebenfalls nicht unabhängig von ›setzendem Bewusstsein von einem Gegenstand‹ möglich. Beide Bewusstseinsmomente treten immer in einer Einheit auf:

287 EN, 20.: »[…] il y a un cogito pr¦r¦flexif qui est la condition du cogito cart¦sien.« Hervorhebung im Text. 288 SN, 20. 289 Der Ausdruck nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich wird hier zur Verdeutlichung des von Sartre Gemeinten und in Hinblick darauf gewählt, dass in späteren Überlegungen Sartres auch ›thetisches Bewusstsein von sich‹ im Sinne von Selbsterkenntnis möglich sein soll. Das von ist dann folgerichtig nicht einzuklammern. Vgl. dazu auch: CC, 381; Sartre wählt diesen Ausdruck im Folgenden ebenfalls: »[…] la conscience non-th¦tique (de) soi […]«. EN, 31ff.

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»D’un seul coup elle [la conscience] se d¦termine comme conscience de perception et comme perception.«290

Ein und dasselbe Bewusstsein verfüge so als Einheit stets über beide Bewusstseinsmomente, die demzufolge als »gleichursprünglich« [d’un seul coup291] anzusehen seien. Das ›Bewusstsein (von) sich‹ ist deshalb laut Sartre nicht als ein ›neues Bewusstsein‹ zu betrachten, das zu dem ›thetischen Bewusstsein als Bewusstsein von etwas hinzutritt, sondern es stelle »den einzig möglichen Existenzmodus für ein Bewusstsein von etwas«292 und somit für Bewusstsein überhaupt dar. Bewusstsein existiert demnach nur in der so beschriebenen Weise. Indem das ›nicht-thetische Bewusstsein (von) sich‹ als Existenzweise des ›thetischen Bewusstseins von etwas‹ vorgestellt wird, liegt die Einheit und »Gleichursprünglichkeit« seiner beiden Momente im Bewusstsein selbst. Diese Einheit des Bewusstseins stelle so ein »unteilbares« und »unauflösliches« [indivisible, indissoluble]293 Sein dar. Es existiere als ein Sich-Gegebensein im Sinne einer ursprünglichen Vertrautheit mit sich und konstituiere so einen eigenen Seinstypus, den Sartre im Folgenden im Unterschied zu dem Seinstypus des Ansichseins expliziert.

3.4.3 Das Bewusstsein existiert ›durch sich‹ An die Konzeption der Struktur des Bewusstseins als spezifische Einheit von ›thetischem‹ und ›nicht-thetischem‹ Bewusstsein, oder ›Cogito‹ und ›präreflexivem Cogito‹, schließt Sartre die Überlegung an, dass das Bewusstsein durch diese »Gleichursprünglichkeit« seiner beiden Momente »durch und durch Existenz« [existence de part en part]294 sei. Dies ist so zu verstehen, dass die Existenz des Bewusstseins als Bedingung für seine Möglichkeit fungiert. Insofern es Bewusstsein gibt, existiert es als Einheit von ›Cogito‹ und ›präreflexivem Cogito‹. Seine Existenz impliziert in dieser Weise sein Wesen295. Das ›prärefle-

290 EN, 20. [Hervorhebung] der Verfasserin. Zu dieser Formulierung ist anzumerken, dass Sartre den Terminus »perception» hier nicht auf sinnliche Wahrnehmung beschränkt. 291 Vgl. zu dem hier treffenden Ausdruck ›gleichursprünglich‹ bzw. ›Gleichursprünglichkeit‹ auch Hartmann 1963, 28f. 292 EN, 20: »Cette conscience (de) soi, nous ne devons pas la consid¦rer comme une nouvelle conscience, mais comme le seul mode d’existence qui soit possible pour une conscience de quelque chose.« Hervorhebung im Text. 293 EN, 21. 294 EN, 21. 295 Ebd.: »[…]: comme la conscience n’est pas possible avant d’Þtre, mais que son Þtre est la source et la condition de toute possibilit¦, c’est son existence qui implique son essence.«

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xive Cogito‹ ist den vorangehenden Erläuterungen zur Einheit des Bewusstseins gemäß als »einzig möglicher Existenzmodus« des ›Cogito‹ herausgestellt worden. Dem schließt Sartre folgende Überlegung an: Das Bewusstsein könne nicht durch etwas Äußerliches im Sinne von »außerhalb seiner« bestimmt werden296, da ein äußeres Ereignis nicht in der Lage sei, Bewusstsein hervorzubringen. Etwas außerhalb des Bewusstseins Liegendes könnte allenfalls ›Bewusstsein von etwas‹, d. h. in diesem Fall: Bewusstsein von diesem Äußerlichen, ›auslösen‹ und in diesem Sinne ›hervorbringen‹ oder ›bestimmen‹. Ohne ›nicht-thetisches Bewusstsein (von) diesem Bewusstsein‹, würde es jedoch, wie bereits erwähnt, ins Unbewusste fallen und damit in die Absurdität. Dieses widerspräche dem von Sartre aufgestellten Konzept des Bewusstseins als Einheit, die gerade auf der »Gleichursprünglichkeit« seiner beiden Momente beruhen soll, grundlegend. Aufgrund seiner Struktur kann Bewusstsein demnach nicht ›Wirkung‹ einer ihm äußeren ›Ursache‹ sein. Deshalb kann es auch nicht von etwas Äußerem, sondern nur durch sich selbst bestimmt oder begrenzt werden. Das heißt, das Bewusstsein bestimmt sich »durch sich«, welches Sartre zu der gleichwohl stärkeren These führt, dass das Bewusstsein »durch sich« existiert297. Dies ist vor dem Hintergrund der hier erläuterten Argumentation so zu verstehen, dass keine »Ursache« des Bewusstseins außerhalb seiner angenommen werden kann und dass das Bewusstsein aufgrund seiner notwendigen Struktur »Ursache seiner eigenen Seinsweise ist«298. Diese ›Ursache seiner eigenen Seinsweise‹ ist nicht als kausale Ursache zu verstehen. Das Bewusstsein erschaffe sich nicht selbst quasi aus dem ›Nichts‹, da es in diesem Fall sich selbst in irgendeiner Weise vorausgehen müsste, um Wirkung von sich als seiner Ursache zu sein. Aus diesem Grund sei diese Bestimmung des Bewusstseins »durch sich« auch nicht als ein ›Werden‹ im Sinne einer Genese aufzufassen299. Denn auch in diesem Fall müsste das Bewusstsein seiner eigenen Existenz vorausgehen können. Die ›Ursache seiner eigenen Seinsweise‹ ist vielmehr so zu verstehen, dass sich das Bewusstsein durch die Verknüpfung seiner beiden Momente selbst in seiner Struktur als ›Bewusstsein‹ bestimmt, d. h. als Einheit von ›Cogito‹ und ›präreflexivem Cogito‹. An diese Feststellung schließt sich ein weiteres Argument an, auf dessen Grundlage sich eine Selbstschöpfung des Bewusstseins im Sinne eines

296 297 298 299

Hier bezieht sich Sartre explizit auch auf die heideggersche Analyse des Daseins in Sein und Zeit. Vgl. SZ, §4, insbesondere 13. Vgl. dazu ergänzend auch: Ulrich Pothast: Die Unzulänglichkeit der Freiheitsbeweise, Frankfurt/M. 1980, 90 [Pothast, Freiheitsbeweise]. EN, 22: »[…] la conscience existe par soi.« Ebd.: »[…] qu’elle est cause de sa propre maniÀre d’Þtre.« EN, 22f.

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Schöpfungsaktes ausschließen soll. Dieses Argument beruht seinerseits jedoch allein auf Sartres Verständnis von Schöpfung und ›Geschöpflichkeit‹300. Seine Hauptthese ist, dass eine Existenz, die bestehe und »fortbestehe, ohne dass sie die Kraft habe, sich selbst hervorzubringen oder zu erhalten«301, eine passive Existenz darstelle, die, indem sie von ihrer kausalen Ursache, d. h. als Geschöpf von ihrem Schöpfer, abhinge, im sartreschen Sinne gar keine Existenz sei, da diese Abhängigkeit ein selbständiges Sein des Geschöpfes ausschließe. Das Geschöpf unterscheide sich in keiner Weise von seinem Schöpfer, wenn es keine Unabhängigkeit erlange, d. h., wenn es nur in Rekurs auf diesen Schöpfungsakt begriffen werden könne. Reiße sich das Geschöpf aber von seinem Schöpfer los, um selbständiges Sein zu übernehmen, hebe sich der Schöpfungsakt selbst auf302. Es bestehe dann keine Beziehung mehr zwischen einer autarken Existenz und einem Schöpfer im Sinne einer kausalen Ursache derselben. Sartres Absicht ist es, mit diesem Argument nochmals herauszustellen, dass das Bewusstsein aufgrund seiner Struktur als Unabhängiges existieren muss und deshalb weder als ein durch sich noch als ein durch etwas anderes Geschaffenes begriffen werden kann. Das Bewusstsein bestimmt sich in seiner Seinsweise durch sich selbst, indem es als Einheit immer schon die Verknüpfung beider strukturellen Elemente impliziert. Zu diesem Abschnitt der sartreschen Argumentation gilt es festzuhalten, dass sich diese wiederholt betonte »Selbstbestimmung des Bewusstseins«, wie auch aus dem bisher Erläuterten hervorgeht, lediglich auf die »Seinsweise des Bewusstseins«303 bezieht und sich gemäß Sartres Konzeption der unmittelbaren Struktur des Bewusstseins auch nur auf diese beziehen kann. Damit ist zum einen herausgestellt, dass eine Rede von ›Bewusstsein‹ überhaupt nur dann sinnvoll ist, wenn seine Struktur als Einheit der beiden notwendigen Bedingungen für seine Möglichkeit expliziert wird. Zum anderen ist zu folgern, dass es, insofern es existiert, sich durch diese Struktur in der Art und Weise, wie es existiert, bestimmt. Diese exponierte Selbstbestimmung und Unabhängigkeit des Bewusstseins kann sich nun lediglich auf die Seinsweise des Bewusstseins beziehen. Denn: ›Thetisches Bewusstsein‹ setzt als ein notwendiges Element der Struktur des Bewusstseins, um ›thetisches Bewusstsein‹ sein zu können, notwendig ein anderes, d. h. einen Gegenstand außerhalb seiner voraus, von dem es Bewusstsein ist. ›Thetisches Bewusstsein‹ wäre ohne diesen Bezug zu einem Gegenstand nicht möglich. Dies gilt dementsprechend für ›Bewusstsein‹ über300 Vgl. hier auch das oben in Kapitel 3.3 erwähnte sartresche Argument der Passivität. 301 EN, 22: »[…] une existence qui se perp¦tue sans avoir la force ni de se produire ni de se conserver.« 302 EN, 25: »[…], — la condition que l’Þtre cr¦¦ se reprenne, s’arrache au cr¦ateur pour se refermer sur soi aussitút et assumer son Þtre […].« 303 Vgl. EN, 22: »[…] sa propre maniÀre d’Þtre.« Hervorhebung der Verfasserin.

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haupt. Auf der konkreten inhaltlichen Ebene ist das Bewusstsein aufgrund seiner zunächst formalen Struktur demnach von der Präsenz eines Gegenstandes, d.i. eines Ansichseins, abhängig, welcher seinerseits unabhängig von ihm existiert und der das Bewusstsein in dem Sinne in Bezug auf seine Möglichkeit zu existieren bestimmt304. Diese Überlegung schließt inhaltlich an die im Kapitel über das Ansichsein bereits angesprochene Frage nach einem möglichen Verhältnis zwischen Ansichsein und Fürsichsein an. Sie wird in Kapitel 4 dieser Arbeit wieder aufgenommen. Auf der Grundlage dieser Struktur des Bewusstseins fügt Sartre folgende weitere definitorische Bestimmungen des Bewusstseins an: Das Bewusstsein ist durch seine Struktur als unteilbare Einheit seiner beiden Momente bestimmt. Insofern es existiert, existiert es als diese Einheit. Das Bewusstsein sei jedoch nichts Substantielles, da es sich durch die Notwendigkeit seiner nicht-thetischen Spielart als ein ›Sich-Gegebensein‹, d. h. als ein ›SichErscheinen‹, manifestiere und in diesem Sinne nur insofern existiere, als es sich ›erscheine‹305. In diesem Sinne ist es ›reine Erscheinung‹, da die Gegenstände, auf die es sich in seiner thetischen Spielart bezieht, nicht in ihm, und zwar auch nicht als ›Image‹306, sondern gemäß des ›ontologischen Beweises‹ außerhalb seiner angenommen werden müssen. Sartre stellt das Bewusstsein hier somit ganz im Anschluss an La Transcendance de l’Êgo als ›reine Erscheinung‹ und ›völlige Leere‹307 vor. Mit dieser Bestimmung ist ein wesentlicher Unterschied zum Seinstypus des 304 Gerhard Seel spricht in diesem Zusammenhang von der Fremdbestimmtheit des Bewusstseins durch diese Abhängigkeit von einem Sein an sich. Vgl. Seel, 104. 305 EN, 23: »La conscience n’a rien de substantiel, c’est une pure ›apparence‹, en ce sens qu’elle n’existe que dans la mesure o¾ elle s’appara„t.« Als Begründung für die Nicht-Substantialität des Bewusstseins soll hier zudem das Beispiel der Lust dienen: Sie könne nicht »vor« dem Bewusstsein von Lust oder unabhängig von ihm existieren. Das Bewusstsein (von) Lust ist für die Lust als der Modus ihrer Existenz konstitutiv. Lust sei keine Vorstellung, sondern »un ¦v¦nement concret, plein et absolu«, EN, 21. »Le plaisir ne peut pas se distinguer – mÞme logiquement – de la conscience de plaisir. La conscience (de) plaisir est constitutive du plaisir, comme le mode mÞme de son existence, comme la matiÀre dont il est fait et non comme une forme qui s’imposerait aprÀs coup — une matiÀre h¦doniste. Le plaisir ne peut exister ›avant‹ la conscience de plaisir […].« EN, 21. Hervorhebungen im Text. Und weiter heißt es über das Beispiel der Lust [le plaisir]: »Il n’est pas plus une qualit¦ de la conscience (de) soi que la conscience (de) soi n’est une qualit¦ du plaisir. Il n’y a pas plus d’abord une conscience qui recevrait ensuite l’affection ›plaisir‹, comme une eau qu’on colore, qu’il n’y a d’abord un plaisir (inconscient ou psychologique) qui recevrait ensuite la qualit¦ de conscient, […]«, EN, 21. Hervorhebungen im Text. 306 Vgl. dazu auch Sartres Darlegungen in L’Imaginaire bzw. oben Kapitel 2.3. Auf diesen Aufsatz bezieht sich Sartre hier implizit, welches den Abrisscharakter der Einleitung zu L’§tre et le N¦ant, in der die Ergebnisse seiner frühen Untersuchungen zu großen Teilen zusammenfassend präsentiert werden, nochmals verdeutlicht. 307 Ebd.: »[…] elle [la conscience] est un vide total (puisque le monde entier est en dehors d’elle), […].« [Hervorhebung] der Verfasserin.

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Ansichseins angesprochen, den es jedoch im Folgenden noch zu präzisieren gilt. An dieser Stelle der sartreschen Argumentation ist es zunächst wichtig, auch in Hinblick auf die Exposition des Fürsichseins als Opposition des Ansichseins festzuhalten, dass das Bewusstsein, das nun durch seine Struktur zum einen ›reine Erscheinung‹ und zum anderen ›durch und durch Existenz‹308 sein soll, als ›das Absolute‹309 bezeichnet werden können soll. Es handele sich um ›ein Absolutes an Existenz‹. In seiner Seinsweise gibt es keinen Unterschied zwischen ›Erscheinen‹ und ›Existieren‹. Als bewusste und unmittelbar bei sich gegenwärtige Existenz ist das Bewusstsein laut Sartre die absolute Erscheinung, da sie die notwendige Bedingung dafür darstellt, dass dem Bewusstsein etwas erscheinen kann. Das Bewusstsein ist demnach insofern als Absolutes zu bezeichnen, als sich Seiendes durch es und vor ihm ›enthüllt‹310. So enthüllt das Bewusstsein, indem es sein eigenes Sein enthüllt, ein Ansichsein, zu dem es in seinem Sein transzendiert. Aufgrund seiner Struktur ist das Bewusstsein somit als Grundlage für jegliche Erkenntnis anzusehen. Es wird als Bewusstsein, als das ›Sein des Erkennenden‹311 vorgestellt, welches dadurch bestimmt sei, ›bewusst zu sein‹312. Mit dieser Konzeption der Struktur der Unmittelbarkeit des Bewusstseins, durch die das Bewusstsein als Grundlage und Bedingung von Erkenntnis vorgestellt wird, glaubt Sartre die idealistische Position, die er in der Phänomenologie Husserls aufzeigt, durch die Aufgabe des Primats der Erkenntnis zunächst überwinden zu können.

3.4.4 Die ›Anwesenheit bei sich‹ des Bewusstseins Die unmittelbare Struktur des Bewusstseins soll der erläuterten Argumentation gemäß die Grundlage für jegliche Erkenntnis bilden. Da ›thetisches Bewusstsein‹ seiner Bestimmung nach erkennendes Bewusstsein ist, das jedoch nicht ohne ›nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich‹ möglich sein soll, muss letzteres Element der Struktur des Bewusstseins demnach die eigentliche Grundlage für 308 EN, 21: »existence de part en part«. 309 Ebd.: »[…], c’est — cause de cette identit¦ en elle de l’apparence et de l’existence qu’elle peut Þtre consid¦r¦e comme l’absolu.« 310 EN, 28: »la conscience est […] intuition r¦v¦lante […] d’un Þtre transcendant.« Um das Bewusstsein als dasjenige Sein zu definieren, das die Beziehung zu einem Ansichsein notwendig in sein Sein einbezieht, nimmt Sartre Heideggers Definition des Daseins auf, die er vor dem Hintergrund der von ihm vorgestellten Struktur des Bewusstseins wie folgt erweitert: »La conscience est un Þtre pour lequel il est dans son Þtre question de son Þtre en tant que cet Þtre implique un Þtre autre que lui«, EN, 29. Hervorhebung im Text. 311 EN, 22: »[…] l’Þtre du connaissant […].« Hervorhebung im Text. 312 Vgl. die unter Kapitel 3.1 erläuterte Ausgangsposition, die Sartre zu begründen hatte.

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jegliche Art von Erkenntnis bilden. Insofern liegt die »erste Bedingung«313 jeder Reflexivität, d.i. die notwendige Rückbeziehung des Bewusstseins auf sich als aufgewiesene Bedingung für jegliches Bewusstsein von etwas, im ›präreflexiven Cogito‹, das als nicht kognitiver Bezug zu sich angenommen wird. Diese Feststellung folgt direkt aus der vorangegangenen Argumentation Sartres, welche ihrerseits allerdings noch nicht über die Exposition der Notwendigkeit eines ›präreflexiven Cogito‹ als ein Element in der Konzeption des Bewusstseins hinausgeht. Es stellt sich nun die Frage nach der Struktur des ›präreflexiven Cogito‹, die so vorgestellt werden muss, dass die oben genannte Zuschreibung, Grundlage für jegliche Erkenntnis zu bilden, aus ihr heraus plausibel gemacht werden kann. Sartre expliziert das ›präreflexive Cogito‹ zunächst als ein ›Sich-Gegebensein des Bewusstseins vor jeder Reflexion‹ und sucht, dies mit dem Bild eines sich selbst reflektierenden Reflexes314 zu verdeutlichen. Diese Struktur sei im Fall des ›präreflexiven Cogito‹ jedoch so bestimmt, dass die beiden Relata des Verhältnisses ›reflet-refl¦tant‹ wechselseitig ineinander übergingen und dennoch voneinander unterschieden sein müssten315, da ein Zusammenfallen beider Glieder gleich einer Identität die eigentümliche Selbstbeziehung des ›präreflexiven Cogito‹, die gerade als Beziehung bestehen soll, aufheben würde316. Sartre sieht hier die Schwierigkeit, die das zur Verdeutlichung der Struktur des ›präreflexiven Cogito‹ gebrauchte Bild des Reflexes, der sich selbst reflektiert, aufzuwerfen droht. Beziehendes und Bezogenes sollen dasselbe sein, dürfen jedoch in der Struktur des ›präreflexiven Cogito‹ nicht zusammenfallen. Die notwendige Distanz, die in dem Sich-Gegebensein als Struktur des ›präreflexiven Cogito‹ bestehen soll, ist zum einen durch das oben genannte Bild nicht ohne Weiteres deutlich zu machen, und zum anderen legt die durch das ›Sich-Gegebensein‹ geforderte Distanz von sich zu sich, die das Zusammenfallen beider Glieder der ›Selbstbeziehung‹ verhindern soll, den Verweis auf eine Struktur nahe, die abermals droht, in den infiniten Regress zu verfallen, den Sartre jedoch gerade durch die Exposition des ›präreflexiven Cogito‹ bemüht ist, zu vermeiden. Denn das ›präreflexive Cogito‹ bleibt in Sartres Konzeption zwar innerhalb des Bewusstseins und setzt kein Objekt, doch muss es dem ›reflexiven Cogito‹ insofern homolog strukturiert sein, als es die Eigenschaft zu enthalten hat, ›für einen

313 Vgl. EN, 116: »[…] la condition premiÀre de toute r¦flexivit¦ est un cogito pr¦r¦flexif.« Hervorhebung im Text. 314 EN, 118: »reflet-refl¦tant«. 315 EN, 117: »Chacun des termes renvoie — l’autre et passe dans l’autre, et pourtant, chaque terme est diff¦rent de l’autre.« 316 Vgl. dazu auch die Analyse Gerhard Seels in: Seel, 95.

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Zeugen‹317 zu existieren, damit es nicht ›ins Unbewusste falle‹. Dieser ›Zeuge‹ ist im Falle des ›präreflexiven Cogito‹ jedoch ›es selbst‹. Wie ist das vorzustellen? Das ›präreflexive Cogito‹ ist dasjenige Element in der Struktur des Bewusstseins als Einheit von Zweien, das das für die Möglichkeit von Bewusstsein notwendige Moment des ›Sich-Gegebenseins‹ beisteuert. Insofern muss die Struktur des ›Sich-Gegebenseins‹ aus ihm selbst heraus deutlich gemacht werden können. Die Annahme eines ›prä-präreflexiven Cogito‹, die sich andernfalls aufdrängen würde, ließe Sartres Konzeption tatsächlich dem infiniten Regress anheimfallen. Die Schwierigkeit der Explikation der ›Beziehung von sich zu sich‹, die das ›präreflexive Cogito‹ als ›nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich‹ vorstellen soll, hängt demnach ähnlich der Explikation der Struktur des Ansichseins, auf die Sartre auch in diesem Zusammenhang verweist318, an dem Verständnis des Terminus ›sich‹ [soi]. Im Rückgriff auf das Ansichsein, das als Fülle und Identität vorgestellt worden war, wiederholt Sartre sein Argument, dass der Terminus ›sich‹ im Begriff des ›An-sich‹ ungeeignet sei, um das dem Bewusstsein transzendente Sein zu bezeichnen, da es im Falle des ›An-sich‹ in der Koinzidenz mit sich, d.i. in einem identischen Sein ohne möglichen Verweis von ›sich‹ zu ›sich‹ verschwände, obwohl es »von Natur aus«319, d. h. für Sartre aufgrund seines grammatikalischen Gebrauches, als Reflexives320 zu begreifen sei. Der Ausdruck ›sich‹ [soi] verweise auf das Subjekt und zeige in dieser Weise einen Bezug des Subjektes zu sich selbst an. Die in diesem Bezug auftretende eigentümliche Dualität sei nun mit derjenigen des ›nicht-thetischen Bewusstseins (von) sich‹ vergleichbar. Das reflexive »Sich« stelle durch den Rückbezug zum Subjekt eine Distanz des Subjektes zu sich in der Immanenz auf, die als »ideale Distanz«321 bezeichnet wird. Sie entgehe der Identität in der Weise, als sie das Subjekt durch den Rückbezug daran hindere, seine eigene Koinzidenz zu sein. 317 EN, 117: »[…] d’exister pour un t¦moin, […].« 318 EN, 118f. und vgl. oben Kapitel 3.1. 319 Ebd. Um dieses Argument zu stützen, verweist Sartre auf die lateinische Syntax und den grammatikalischen Unterschied zwischen sui und eius. 320 Die deutsche Übersetzung von Traugott König schreibt an dieser Stelle: »Es ist von Natur aus ein Reflektiertes, wie die Syntax zur Genüge zeigt […].« SN, 118. Diese Übersetzung ist jedoch als ungenau zu bezeichnen, denn der von Sartre an dieser Stelle gewählte französische Ausdruck »r¦fl¦chi« (EN, 118, Hervorhebung im Text) bezieht sich hier nicht auf Reflexion im Sinne von Erkenntnis, sondern bezeichnet grammatikalische Reflexivität. Eine stimmige Lesart ergibt sich jedoch vor dem Hintergrund des von Sartre erwähnten Bildes des ›sich selbst reflektierenden Reflexes‹ zur Verdeutlichung des ›nicht-thetischen Bewusstseins (von) sich‹. 321 EN, 119 und vgl. dazu auch: »[…] la quasi-r¦flexivit¦ inh¦rente au cogito dit pr¦-r¦flexif«, Hervorhebung im Text, in: FranÅois Rouger: Le Monde et le Moi, Ontologie et systÀme chez le premier Sartre, Paris 1986, [Rouger] 122.

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Diese »ideale Distanz« von sich zu sich, die das ›nicht-thetische Bewusstsein (von) sich‹ in seinem ›Sich-Gegebensein‹ auszeichnen soll, wird im Folgenden unter dem Begriff der »Anwesenheit bei sich«322 des Bewusstseins gefasst. Das Bewusstsein stellt so durch seine Struktur in plausibler Weise einen eigenen, von dem des Ansichseins unterschiedenen Seinstyp vor. Er muss das ›präreflexive Cogito‹ als sein notwendiges Element integrieren, das seinerseits die eigentliche Grundlage für erkennendes Bewusstsein und somit für jegliche Erkenntnis bildet. Aufgrund der Binnenstruktur des ›präreflexiven Cogito‹ als ›Sich-Gegebensein‹ im Sinne des bisher erläuterten Verständnisses von »Anwesenheit bei sich« wird dieser Seinstyp des Bewusstseins als Fürsichsein bezeichnet. Das Seinsgesetz des Fürsichseins ist laut Sartre im Anschluss an die aufgezeigte Argumentation, »es selbst zu sein unter der Form von Anwesenheit bei sich«323. Es stellt sich bei dieser Exposition der ›Anwesenheit‹ des Bewusstseins ›bei sich‹ jedoch unverzüglich die Frage, ob Sartre durch den Aufweis dieser »idealen Distanz« des Bewusstseins ›von sich zu sich‹, die durch das der Struktur des Bewusstseins als solcher notwendig inhärente Element des ›präreflexiven Cogito‹ ausgedrückt wird, einen infiniten Regress wirklich vermeiden kann. Auch in der »idealen Distanz«, in der die »Anwesenheit bei sich« besteht und durch die sie als ›Anwesenheit bei‹ auch nur bestehen kann, ist folglich ein notwendiger ›Abstand von sich zu sich‹ vorhanden324. Er muss bestehen bleiben, um die Koinzidenz des Bewusstseins mit sich zu verhindern325 und um somit folgerichtig die Möglichkeit des ›nicht-thetischen Bewusstseins (von) sich‹ als notwendiges Element der sartreschen Konzeption des Bewusstseins aufrechterhalten zu können. Dennoch bleibt nach der Darlegung dieser ›innertheoretischen‹ Folgerungen des sartreschen Theorems des ›präreflexiven Cogito‹ als notwendige Grundlage jeglichen Bewusstseins von etwas die oben genannte zentrale Frage bestehen, ob sich dieser ›notwendige Abstand‹ überhaupt adäquat erklären lässt, ohne in den beschriebenen Regress zu verfallen326. Eine solche adäquate Erklärung müsste demnach leisten, dass der explizierte 322 EN, 119: »C’est ce que nous appellerons la pr¦sence — soi.« Hervorhebung im Text. 323 Ebd.: »La loi d’Þtre du pour-soi , […], c’est d’Þtre lui-mÞme sous la forme de pr¦sence — soi.« 324 Ebd.: »En effet, toute ›pr¦sence —‹ implique dualit¦, donc s¦paration au moins virtuelle. La pr¦sence de l’Þtre — soi implique un d¦collement de l’Þtre par rapport — soi.« Hervorhebung im Text. Vgl. dazu auch: CC, 386: »Il y a n¦cessairement dans la conscience un d¦calage.« 325 Vgl. EN, 120: »La pr¦sence est une d¦gradation imm¦diate de la concidence, car elle suppose la s¦paration.« 326 Dieser ›notwendige Abstand‹ wird auch durch die Wendung der ›zumindest virtuellen Trennung‹ des Bewusstseins von sich (EN 119) beschrieben, jedoch nicht erklärt. Zudem bezeichnet Sartre diese ›Trennung‹ [s¦paration] auch als »nicht spürbaren Riss« [fissure impalpable], der in das Sein des Bewusstseins gekommen ist [fissure intraconscientielle], eine Wendung, die in der Folge zu erklären versucht wird. Vgl. dazu: EN, 120 und das folgende Kapitel dieser Arbeit.

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Die Konzeption des Bewusstseins in L’Être et le Néant

›Abstand des Bewusstseins von sich zu sich‹, durch den die ›Anwesenheit des Bewusstseins bei sich‹ auf ›nicht-thetische Weise‹ möglich sein soll, ›nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich‹ nicht abermals als ›thetisches Bewusstsein‹ erscheinen ließe. Dieses müsste seinerseits wiederum ein nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich verlangen, um sich seiner selbst bewusst zu sein, welches unter den beschriebenen Voraussetzungen ebenfalls nicht plausibel hergeleitet werden könnte. Daher ist hier festzuhalten, dass es Sartre bis zu dieser Stelle seines Argumentationsganges nicht überzeugend gelingt, den genannten Einwand gegen seine Konzeption des Bewusstseins abzuwenden und damit seiner Intention gemäß die Regressproblematik einer Reflexionstheorie des Bewusstseins respektive Selbstbewusstseins zu unterlaufen327, da sich seine Konzeption unter den ausgeführten Prämissen lediglich als Variante einer solchen Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins zu zeigen droht. Die folgende sartresche Ausführung der Fragestellung, was das sich durch ›Anwesenheit bei sich‹ auszeichnende ›nicht-thetische Bewusstsein (von) sich‹ nun von sich selbst trenne bzw. worin die ›ideale Distanz von sich zu sich‹, die die ›Anwesenheit bei sich‹ ausdrückt, besteht, gewinnt unter dieser Perspektive entscheidende Bedeutung.

3.5

Die Rolle des ›Nichts‹ in Sartres Konzeption des Bewusstseins

Die »Anwesenheit bei sich« des Bewusstseins, die von Sartre als die grundlegende Struktur des präreflexiven Cogito herausgestellt wird, setzt durch den notwendigen Abstand, der in der »Anwesenheit bei sich« von sich zu sich bestehen muss, einen »Riss« in der Struktur des Bewusstseins voraus. Er muss bestehen bleiben, um eine Koinzidenz des Bewusstseins mit sich zu verhindern. Eine solche ›Koinzidenz mit sich‹ würde zum einen der explizierten Struktur des ›präreflexiven Cogito‹ als ›Anwesenheit bei sich‹ widersprechen und zum an327 Vgl. zu diesem Sachverhalt auch: Cramer, Erlebnis, 566: »Eine Theorie des Bewusstseins, deren eigene Konsequenz es ist, Selbstbewusstsein als einen eigentümlichen Sachverhalt […] nur zirkulär bestimmen zu können, ist nicht nur kein geeigneter Kandidat für eine Theorie des Selbstbewußtseins, sondern auch keiner für eine ernstzunehmende Theorie des Bewußtseins.« Dieter Henrich spricht in seinem Aufsatz: Selbstbewußtsein, kritische Einleitung in eine Theorie in Bezug auf dieses Grundproblem namhafter Selbstbewusstseinstheorien davon, dass im Grunde »das Subjekt-Objekt-Modell vom Subjekt des Bewußtseins in jede einzelne Bewußtseinsgegebenheit […] importiert« werde; in: Hermeneutik und Dialektik, Hrsg.: R. Bubner u. a., Tübingen 1970, Bd. I, S. 257–284 [Henrich, Selbstbewußtsein], 261.

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deren würde die sartresche Disjunktion zweier in ihrer Seinsweise voneinander unterschiedener Seinstypen verloren gehen. Denn dieser Disjunktion gemäß ist die Seinsweise der innerweltlichen Objekte, d.i. das Ansichsein, durch eben dieses ›In-Koinzidenz-mit-sich-Existieren‹ charakterisiert. Ebendieses wird der Seinsweise des Bewusstseins hier vor dem Hintergrund der strukturellen Erfordernisse des ›präreflexiven Cogito‹ als notwendiges, weil jegliches Bewusstsein von etwas bedingendes Element der Bewusstseinsstruktur abgesprochen. Dieser »Riss«, der die notwendige Trennung des Bewusstseins von sich im ›präreflexiven Cogito‹ nun näher explizieren soll, wird zunächst als »nicht spürbar« vorgestellt. Er sei nicht greifbar und entschwinde auf die Frage hin, wie er zu charakterisieren sei. Er dürfe keine dem Bewusstsein fremde Realität darstellen, die diese Trennung expliziere, da diese Trennung eine ›Individualität zweier »Mitanwesender«‹328 implizierte und so ein Element in die Struktur des ›präreflexiven Cogito‹ einführte, von dem es nicht Bewusstsein wäre und das an sich selbst nicht als Bewusstsein existierte329. Die Struktur des ›präreflexiven Cogito‹, die durch die ›Anwesenheit bei sich‹ als ›ideale Distanz‹ des Bewusstseins von sich zu sich bestehen soll, würde durch eine solche Annahme zweier Anwesender zerstört. Zu diesem ›nicht spürbaren Riss‹, durch den Sartre die ›ideale Distanz‹, die in der Struktur des ›präreflexiven Cogito‹ bestehe, zu verdeutlichen sucht, ist Folgendes anzumerken: Dieser ›Riss‹ als solcher sei nicht zu erfassen und deshalb als ›nicht spürbar‹ vorzustellen, da auf die Frage, was das Bewusstsein durch die Struktur des präreflexiven Cogito von sich trenne, sich lediglich die Antwort geben lasse, dass dies nichts [rien]330 sei. Nichts trenne das Bewusstsein in seiner nicht-thetischen Spielart von sich selbst; andernfalls würde die von Sartre exponierte Einheit des Bewusstseins verloren gehen. Diese Einheit soll sich, im Gegensatz zum Ansichsein, selbst »durchsichtig«331 sein. Der erwähnte ›Riss‹ jedoch, der diese ›ideale Distanz‹ des Bewusstseins von sich zu sich bewirken soll, muss ebenfalls als Moment in diese Struktur aufgenommen werden. Sartre

328 EN, 120: »[…] l’individualit¦ de deux copr¦sents […]«. 329 Ebd.: »[…] il y aurait alors dans la conscience quelque chose dont elle ne serait pas conscience, et qui n’existerait pas en soi-mÞme comme conscience.« 330 Ebd. 331 EN, 120: »[…] translucidit¦ […]«. Sartre verweist hier auf seine These der ›Transluzidität‹ des Bewusstseins, die er bereits in La Transcendance de l’Êgo entwickelt hat. Sie fand sich durch das sartresche Verständnis der Intentionalität des Bewusstseins insofern begründet, als es darlegt, dass ein wesentlich durch Intentionalität charakterisiertes Bewusstsein so vorgestellt werden muss, dass es sich als ›Bewusstsein von etwas‹ stets auf sein Objekt hin transzendiert und in diesem Sinne ›ganz bei ihm ist‹. Diese Argumentation Sartres gründet, wie oben schon näher entwickelt, auf dem Versuch einer Widerlegung der Abbildtheorie der äußeren Wahrnehmung. Vgl. dazu oben, Kapitel 2.3.

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Die Konzeption des Bewusstseins in L’Être et le Néant

stellt ihn als ›das reine Negative’332 vor, das eine Distanz schaffende Funktion innehat, welche ihrerseits die Fähigkeit zur Negation impliziert, d.i. als das Nichts [n¦ant]. Dieses Nichts ›ist‹ in dem Sinne nicht, als es über kein eigenständiges ›Sein‹ verfügt. Es erhält sein Sein durch dasjenige, das es negiert. Unabhängig von jenem ist es nichts [rien]333. Aus diesem Grund verschwindet der Riss, sobald man ihn zu erfassen sucht. Er besteht in dem Akt des Negierens selbst, so dass er, erst wenn das Bewusstsein als Bewusstsein und damit auch als eigener, von dem Ansichsein strukturell unterschiedener Seinstyp erfasst werden soll, deutlich zutage tritt334. Die Bedeutung dieses Aufweises des Nichts innerhalb des Bewusstseins und die Rolle, die ihm in Sartres Konzeption seiner Struktur notwendig zukommt, ist nur vor dem Hintergrund der Konzeption des Negativen in der sartreschen Ontologie zu verstehen, welche ihrerseits von dem Bestreben geprägt ist, das Subjekt in seiner Beziehung zur Welt zu erfassen. Phänomenologische Grundannahmen wie die Intentionalität des Bewusstseins und der Versuch einer konkreten Umsetzung des husserlschen Programmes »zu den Sachen selbst« waren für Sartre dabei von Beginn an leitend. Auf sie greift er auch zurück, um den Ursprung des Negativen zu erläutern, was notwendigerweise zu der Annahme führen soll, dass das Bewusstsein in seiner Struktur als ›Einheit von Sein und Nichts‹ aufgefasst werden müsse. Dieser insofern auf seiner phänomenologischen Ausgangsposition beruhende Argumentationsgang Sartres soll zunächst in den für die Thematik dieser Arbeit wesentlichen Grundzügen dargestellt werden, da er in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Konzeption des Bewusstseins steht.

3.5.1 Der Ausgang von der Phänomenologie: Regressive Analyse und Negatitäten Die Grundannahme, die Sartre durch den Ausgang von der Phänomenologie zu rechtfertigen sucht, ist, dass das Negative dem bewussten Subjekt in seiner Beziehung zur Welt ›begegnet‹. Diese Vorgehensweise soll hier in Hinblick auf 332 Ebd.: »Cette fissure est donc le n¦gatif pur.« 333 Ebd. Das Französische verfügt, wie hier ersichtlich ist, über zwei Begriffe, die den semantischen Unterschied zwischen »nichts« [rien] und »dem nichtenden Nichts« [n¦ant] deutlich machen. Wie Hans-Georg Gadamer in seinem bereits zitierten Aufsatz erwähnt, »evoziert« Letzteres »im Vergleich zu rien das n¦antisant«, d.i. das Nichten. Gadamer, Sein und Nichts, 47. Vgl. dazu auch Betancourt 1977, 104. 334 EN, 120f.: Sartre sucht dies an dem Beispiel von Glauben und Bewusstsein (von) Glauben deutlich zu machen.

Die Rolle des ›Nichts‹ in Sartres Konzeption des Bewusstseins

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den von Sartre im Folgenden gewählten Ausdruck als »regressive Analyse«335 bezeichnet werden, um den von dem Aufweis des Negativen in der konkreten Beziehung des bewussten Subjektes zur Welt zu der Notwendigkeit der Erläuterung seines Ursprunges gleichsam ›zurückschreitenden‹ Argumentationsgang zu verdeutlichen. Das Bewusstsein war von Sartre in seinen bisherigen Erläuterungen aufgrund seiner intentionalen Struktur zum einen als ›ein inhaltlich Leeres’336 vorgestellt worden, da sich alle Gegenstände, von denen es Bewusstsein ist, außerhalb seiner, d. h. in der Welt, befinden. Zum anderen soll das Bewusstsein durch diese Struktur denjenigen Seinstyp vorstellen, der, im Unterschied zu dem Seinstyp des Ansichseins, d.i. das Sein der Gegenstände in der Welt, eine Beziehung zu diesen an sich seienden Gegenständen ›außerhalb seiner‹ aufbaut. Diese Beziehung soll als Seinsverhältnis expliziert werden. Die Analyse dieses Verhältnisses glaubt Sartre durch seine Konzeption des Bewusstseins leisten zu können, gerade weil das Bewusstsein durch seine intentionale Struktur die Verbindung beider Seinstypen, d. h. von Fürsichsein und Ansichsein, herstelle337. Die Untersuchung geht dieser Intention gemäß folgerichtig von konkreten, phänomenologisch beschreibbaren Verhaltensweisen des bewussten Subjektes gegenüber der Welt aus, in denen das genannte Verhältnis bereits Ausdruck findet. Diese Analyse soll erlauben, eine Antwort auf die Frage zu geben, welche Strukturen Bewusstsein und Welt aufweisen müssen, damit dieses Verhältnis zwischen ihnen möglich ist338. Sartre bezieht sich in dieser Vorgehensweise explizit auf die heideggersche Analyse des »In-der-Welt-Seins«339 als Grundverfassung des Menschen. Der Ausgang vom Konkreten bedeutet für Sartre hier demnach zunächst, den in der Welt seienden Menschen zu befragen, um dann aufweisen zu können, von welcher Art das Verhältnis des Bewusstseins zu seinen innerweltlichen Objekten ist und wie es formal gefasst werden kann. Dieses Ergebnis muss dann folgerichtig auf eine bestimmte formale Struktur des Bewusstseins verweisen, wenn die Möglichkeit eines Verhältnisses beider Seinstypen sich in der Struktur des Bewusstseins gründen soll. 335 Dieser Ausdruck findet sich in der Übersetzung von Traugott König. Da Sartre in EN, 83: »la r¦gression analytique« schreibt, erscheint im Deutschen dementsprechend der Terminus ›analytische Regression‹ oder ›analytischer Rückgang‹ (Hartmann 1963, 42) zur Bezeichnung des von Sartre Gemeinten angemessen. In Hinblick auf die durchgängige Verwendung der königschen Übersetzung in der deutschen Literatur wird oben im Text genannter Terminus jedoch auch im Folgenden mit diesem Hinweis versehen beibehalten. 336 Diese These der ›inhaltlichen Leere‹ des Bewusstseins hängt argumentativ mit der der Transluzidität des Bewusstseins zusammen. 337 Zu Sartres Darlegung dieser ›Verbindung beider Seinstypen‹ vgl. unten Kapitel 4. 338 EN, 38: »Que doivent Þtre l’homme et le monde pour que le rapport soit possible entre eux?« 339 Ebd.: »Le concret, c’est l’homme dans le monde avec cette union sp¦cifique de l’homme au monde que Heidegger, par exemple, nomme ›Þtre-dans le monde‹.«

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Die Konzeption des Bewusstseins in L’Être et le Néant

Die fragende Haltung des Subjektes gegenüber der Welt bildet den Ausgangspunkt für diese Analyse. In ihr sieht Sartre ein Verhalten des bewussten Subjekts zur Welt, das ein ›ursprüngliches Verhältnis‹340 zwischen Subjekt und Welt bereits voraussetzt, da der Fragende sich stets einem Sein gegenübersieht, das er als ein von seinem Sein unterschiedenes Sein ›befragt‹341. Demnach ist eine jede Frage »Enthüllung«342 der konkreten Beziehung zwischen beiden Seinstypen343, die schon jeweils besteht. Sie ist die Bedingung dafür, dass das Subjekt eine fragende Haltung gegenüber der Welt einnehmen kann344. Aus dieser fragenden Haltung folgert Sartre zum einen das Bestehen einer Beziehung zwischen bewusstem Subjekt und Welt, d.i. zwischen Fürsichsein und Ansichsein, und zwar zunächst als Beziehung zwischen dem ›Fragenden‹ und dem ›Befragten‹. Das Subjekt befindet sich in einer erwartenden Haltung. Es erwartet eine Antwort über das Befragte bezüglich »seiner Seinsweisen oder seines Seins«345. Die Antwort kann »Ja« oder »Nein« lauten und somit affirmativ oder negativ ausfallen. Hier ist anzumerken, dass Sartre ausdrücklich darauf hinweist, dass es durchaus Fragen gebe, die weder mit »Ja« noch mit »Nein« zu beantworten seien und dass aus diesem Grunde Fragen gestellt werden könnten, die einer negativen Antwort entgingen. Als Beispiel führt Sartre die von ihm zu Beginn seiner Untersuchung gestellte Frage an, die die fragende Haltung des bewussten Subjektes offenbare. Sartre versucht hier den von ihm eigens zur Bestätigung seiner These angebrachten Einwand, dass es Fragen gebe, die einer rein affirmativen bzw. rein negativen Antwort entgingen, zu entkräften und zu zeigen, dass es stets möglich sei, auf Fragen dieser Art mit »nichts«, »niemand« oder »niemals«346 zu antworten. Dies gelte entsprechend für affirmative Termini. 340 EN, 39: »rapport primitif«. 341 Ebd. und 39. Siehe hier und im Folgenden auch die prägnante Analyse Betancourts zu diesem Zusammenhang, Betancourt 1977, 72ff. 342 EN, 39: »d¦voilement«. 343 Betancourt schreibt: »[…] Enthüllung der konkreten Begegnung zwischen diesen beiden Seinstypen, […]«, Betancourt 1977, 72. 344 Auch hier ist der Bezug zu Heideggers Daseinsanalytik in Sein und Zeit deutlich: »Als Suchen bedarf das Fragen einer vorgängigen Leitung vom Gesuchten her.« SZ 5. Damit das Subjekt eine fragende Haltung gegenüber einem Seienden einnehmen kann, muss es laut Sartre ebenfalls mit ihm bereits vertraut sein: »C’est-—-dire que sur le fond d’une familiarit¦ pr¦interrogative avec l’Þtre, j’attends de cet Þtre un d¦voilement de son Þtre ou de sa maniÀre d’Þtre.« EN, 39, Hervorhebung der Verfasserin. Die Bedeutung dieses Bezuges auf Heidegger pointiert Hartmann in seiner Analyse des sartreschen Fürsichseins. Siehe Hartmann 1963, 43. 345 »[…] j’interroge l’Þtre sur ses maniÀres d’Þtre ou sur son Þtre.« EN, 39. 346 EN, 39: ›Rien‹ ou ›Personne‹ ou ›Jamais‹«. Hervorhebungen im Text. Hier ist jedoch anzumerken, dass Sartre mit diesem Räsonnement keinesfalls jeden Typ von Frage erfasst, wie etwa Fragen, die nur unter Verwendung von indexikalischen Ausdrücken adäquat beantwortet werden können. Insofern bleibt der oben genannte Einwand bestehen. Für die folgende sartresche Argumentation zum Aufweis ›des Negativen‹, welches dem bewussten

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In diesem Gedankengang Sartres liegt ein entscheidendes Argument für den Aufweis der Negativität. Die fragende Haltung des bewussten Subjektes zu der Welt diente als Leitfaden für diesen Aufweis der »prinzipiellen«347 Möglichkeit einer negativen Antwort, die das Subjekt durch seine fragende Haltung gegenüber der Welt erhält. Dieser Aufweis ist jedoch mit dieser Feststellung noch nicht abgeschlossen. Aus ihr folgt zunächst, dass das Subjekt aufgrund seiner bewussten Struktur grundsätzlich fähig sein muss, mit dem »transzendenten Faktum der NichtExistenz«348 eines bestimmten ›Sich-Verhaltens’349, auf das hin es das dem Subjekt transzendente Sein befragt, konfrontiert zu werden. Das befragte Sein ist folglich dasjenige, das dem Subjekt in irgendeiner Weise Antwort auf seine Frage gibt, so dass das, wonach es das ihm transzendente Sein befragt, ihm von diesem entweder bestätigt oder aber negiert wird. So ist es dieses dem bewussten Subjekt transzendente Sein, das dem Subjekt gleichsam die Negation »enthüllt«350. Insofern existiert für den Fragenden eine permanente objektive Möglichkeit einer negativen Antwort, die er von dem befragten Sein351 erhält. In Bezug auf diese Möglichkeit einer negativen Antwort setzt sich der Fragende dadurch, dass er das ihm transzendente Sein befragt, in einen Zustand der »Nicht-Bestimmtheit« in dem Sinne, dass er nicht weiß, ob die zu erhaltende Antwort affirmativ oder negativ ausfallen wird. Das fragende Subjekt ist demnach dadurch, dass es fragt, von drei möglichen Negationen umgeben: erstens handele es sich um die Einnahme des erwähnten Zustandes der Unbestimmtheit oder ›Nicht-Bestimmtheit‹ des Subjektes im Sinne seines Nichtwissens, in dem sich eine Negation ausdrückt, zweitens handele es sich um die Möglichkeit einer ›negativen Antwort‹ seitens des transzendenten Seins und drittens weise jede ›affirmative Antwort‹ in sich eine Negation in dem Sinne auf, dass sie dem Fragenden angibt, dass das befragte Sein dieses und nicht anderes sei und dass es

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Subjekt in seinem Verhältnis zur Welt, das hier zunächst auf die fragende Haltung des bewussten Subjekts gegenüber der Welt reduziert wird, begegnet, hat der oben genannte Einwand jedoch keine grundlegende Bedeutung. Hinreichende Bedingung ist hier lediglich die Möglichkeit einer ›negativen Antwort‹, die das bewusste Subjekt auf eine konkrete Frage bekommen kann. Ebd.: »par principe«. Hervorhebung im Text. Ebd.: »du fait transcendant de la non-existence«. Der Terminus ›Sich-Verhalten‹ ist hier in dem Sinne zu lesen, dass sich etwas ›so und so verhält‹. Dies legt die französische Wendung: »Non, une telle conduite n’existe pas.« EN, 39 nahe. Ebd.: »Cette r¦ponse, en effet, c’est l’Þtre mÞme qui me la donne, c’est donc lui qui me d¦voile la n¦gation.« Wie dies möglich sein soll, wird Sartre noch zu erläutern haben. In Hinblick auf den folgenden Argumentationsgang scheint es hier sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass Sartre zwischen »Sein« [Þtre] und »Seiendem« [Þtre] begrifflich nicht unterscheidet. In dieser Arbeit wird in Hinblick auf den aufzuzeigenden Argumentationsgang unter Verwendung der sartreschen Termini entsprechend verfahren.

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sich mit seiner Seinsweise »so« verhalte »und nicht anders«352. Sartre bezeichnet diese dritte Art der Negation in Hinblick auf ihre Funktion als »das begrenzende Nicht-Sein«353. Dieses dreifache Nicht-Sein bedinge nach dieser Darstellung jede Art von Frage, so dass die das ihm transzendente Sein befragende Haltung des bewussten Subjektes die Existenz des Nicht-Seins als deren Bedingung aufweist. Ziel dieser Überlegung ist, eine Notwendigkeit herauszuarbeiten, das Nicht-Sein als Bestandteil der Struktur des Realen anzusehen. In dem Bestreben, das konkrete Subjekt in seiner konkreten Wirklichkeit zu erfassen, wäre dann die Relation des Subjekts zu diesem ›realen Nicht-Sein‹ als solchem aufzuklären. Sartre sieht hier den Einwand, der aus seiner Exposition des Ansichseins als Seinstyp des dem Bewusstsein transzendenten Seins folgt: Gemäß der Darstellung des Seinstypus des Ansichseins liegt dieses aufgrund seiner in sich geschlossenen Struktur jenseits von Negation und Affirmation. Wie soll es Antworten und als »reine Positivität« zudem ›negative‹ Antworten liefern können?354 Sartres Konzeption des Ansichseins scheint also, diesem Einwand folgend, der Möglichkeit einer ›Realität‹ des Negativen entgegenzustehen. Daher ›verweise‹ die Struktur des Ansichseins aufgrund der von Sartre explizierten vollständigen Disjunktion aller Entitäten in zwei Seinstypen vielmehr auf den Ursprung des Nicht-Seins innerhalb der Struktur des Seinstypus des Fürsichseins und damit auf eine Konzeption des bewussten Subjekts respektive des Bewusstseins, die diesem Verweis begegnen und ihm gerecht werden kann. Eine ›Objektivität des Negativen‹ wäre damit jedoch nicht gegeben, zumal Sartre durch das Beispiel des Fragenden zeigt, dass der gesamte Aufweis des Negativen in der Beziehung des bewussten Subjekts zur Welt von der These ausgeht, dass »das Nicht-Sein immer in den Grenzen einer menschlichen Erwartung«355, d.i. in der Erwartung des bewussten Subjektes, erscheint. Aus dieser Feststellung resultiert die Frage, ob die eigentliche Negation nur 352 Vgl. EN, 40: »C’est ainsi et non autrement.« Marcos Lutz-Müller bemerkt in seiner Abhandlung über die sartresche Theorie der Negation zu der von Sartre exponierten dreifachen Negation, die die Frage als Verhaltensweise des bewussten Subjekts ausdrückt, zu Recht, dass es Sartre hier keineswegs um eine »präzise Analyse der Möglichkeitsbedingungen der Frage« gehe, sondern vielmehr um »die Aufweisung des überall auftauchenden Nichtseins«. Dies zeige »der ziemlich lasche Gebrauch der Ausdrücke ›Nichts‹ und ›Nichtsein‹ für die Charakterisierung sowohl der Unbestimmtheit des Wissens, bzw. Nichtwissens, als auch für die ausgrenzende Bestimmung der Antwort und sowohl für das Wissen als Leistung bzw. Disposition des Bewußtseins als auch für den negativen Sachverhalt selbst.« Marcos Lutz-Müller: Sartres Theorie der Negation, Europäische Hochschulschriften, Peter Lang, Frankfurt/M., 1976, [Lutz-Müller 1976] 85. Hervorhebungen im Text. 353 Ebd.: »le non-Þtre de limitation«. 354 Vgl. dazu: EN, 40 und oben Kapitel 3.3. 355 EN, 41: »Il est ¦vident que le non-Þtre appara„t toujours dans les limites d’une attente humaine.«

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auf der Ebene eines Urteilsaktes des Subjekts statthat, durch den das erwartete mit dem erhaltenen Ergebnis verglichen wird356. In diesem Falle wäre, wie Betancourt zutreffend ausführt, die Negation in der Tat lediglich als »Qualität« des subjektiven Urteils anzusehen und »das Nichts hätte« seinen »Ursprung« im ›negativen Urteil‹ des Subjekts357. Sartre begegnet dem folgendermaßen: Das ›negative Urteil‹ des Subjekts sei in seiner Eigenschaft als Urteil psychische Positivität. Als ›Urteil‹ verweise es seinerseits auf ein Sein, indem es eine ein bestimmtes Sein betreffende und in diesem Sinne eine ›transzendente‹ Negation ausdrücke, die auf ein ›Sein‹ zielt, das es zu negieren gilt. Die Negation würde so als »Ergebnis konkreter psychischer Operationen«358 vorgestellt und müsste durch diese in ihrer Existenz gehalten werden, da sie als Negation unfähig sei, aus sich selbst heraus zu existieren359. Insofern die Möglichkeit ihrer Existenz nun in derjenigen »konkreter psychischer Operationen« des bewussten Subjekts liege, bestehe »ihr esse« lediglich »in ihrem percipi«360. Sartres Konzeption einer vollständigen Dichotomie der beiden Seinstypen Ansichsein und Fürsichsein legt mit dem Hinweis auf die explizierte Verfasstheit des Ansichseins in der Tat nahe, den Ursprung der Negation und dann aus ihr abgeleitet das Negative und das Nicht-Sein im Fürsichsein und damit subjektimmanent anzunehmen361. Dem muss Sartre entschieden begegnen können, um eine idealistische Position hinsichtlich des Ursprungs beschreibbarer ›negativer Phänomene‹, wie das erwähnte ›Nichtwissen‹ des Subjekts oder seine Fähigkeit zum Umgang mit einer ›negativen Antwort‹ hinsichtlich des von ihm befragten Seins, auszuschließen. Er intendiert einen Aufweis der erwähnten ›Objektivität des Negativen‹, d. h. das Negative soll als ›reales Phänomen‹ im Sinne einer bestimmten strukturellen Verfasstheit der Welt expliziert werden können362. 356 357 358 359

Vgl. EN, 40. Betancourt 1977, 74. EN, 41: »[…] r¦sultat d’op¦rations psychiques concrÀtes, […]«. ›Negation‹ kann nicht ohne ›Negiertes‹ gedacht werden. ›Negation‹ ist für Sartre immer ›Negation eines Seins‹ oder ›einer Seinsweise‹ (›Nicht-Sein‹). Es könne ›das Nichts‹ daher, wie Sartre im Folgenden herauszuarbeiten sucht, nur auf der Grundlage von Sein geben. Diese These liegt der gesamten sartreschen Argumentation bezüglich der Rede vom ›Nichts‹ und dem Zusammenhang von ›Sein‹ und ›Nichts‹ zugrunde. Sie soll durch die Argumentation bestätigt werden, damit in einem zweiten Schritt expliziert werden kann, dass das ›Nichts‹ seinen Ursprung und seine Grundlage in dem ›Sein‹ des Bewusstseins hat. Darauf werden die folgenden Kapitel genauer eingehen. Vgl. dazu jedoch bereits: EN, 42 und in diesem Zusammenhang auch: Arthur C. Danto: Jean-Paul Sartre, 2. Aufl., Göttingen 1987, [Danto 1987] 70. 360 EN, 41, vgl. dazu auch Sartres Argumentationsgang zum Aufweis des Seins des Phänomens. 361 Vgl. dazu auch die dies pointierenden Folgerungen Lutz-Müllers in: ders., 1976, 85f. 362 Dass Sartre das Negative hier und im Folgenden im oben genannten Sinne als ›reales Phänomen‹ aufweisen will, das seinen Ursprung nicht in einem subjektiven Urteil hat, ist unbestritten. Inwiefern ihm dieser Versuch jedoch gelingt bzw. ob dieser Aufweis in Hinblick auf das angestrebte Ergebnis der sartreschen Überlegungen, dass das Negative seinen

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In Hinblick auf diesen Aufweis wird die Analyse der Frage als Verhalten des bewussten Subjektes zur Welt präzisiert. Jede Frage werde in Form eines fragenden Urteils formuliert, sei selbst jedoch nicht mit einem Urteil gleichzusetzen. Die Frage sei vielmehr eine »präjudikative Verhaltensweise«363 gegenüber dem Sein, durch das das Subjekt seiner Erwartung einer »Seinsenthüllung« Ausdruck verleihe. Diese Erwartung beinhalte jedoch zum einen die Eventualität der Enthüllung eines Nicht-Seins und zum anderen ein Verständnis des fragenden Subjektes, dieses mögliche Nicht-Sein betreffend. Dieser Aufweis erfolgt analog zu der Untersuchung des Fragens als Verhaltensweise des bewussten Subjekts zur Welt, deren Möglichkeit eine ›Negation‹ in dreifacher Hinsicht einschließt. Die Frage als Verhaltensweise des bewussten Subjektes zur Welt schließt so ein dem eigentlichen Urteilsakt, den das Subjekt im Anschluss an seine Frage vollzieht364, vorangehendes Verständnis von ›Nicht-Sein‹ ein, das auch die ›fragende Haltung‹ des Subjekts allererst ermöglicht. Dies ist aus der Exposition der drei Arten von Negationen, die durch die fragende Haltung des Subjekts zum Ausdruck kommen und ohne die eine fragende Haltung einzunehmen unmöglich wäre, da sie als solche sowohl ein ›Nicht-Wissen‹ des Subjekts als auch seine ›Erwartung‹ einer möglicherweise ›negativen‹ Antwort impliziert, unmittelbar zu folgern. Das ›begrenzende Nicht-Sein‹ lässt sich hier unter die ›Erwartung einer möglicherweise negativen Antwort‹ subsumieren. Aus dieser der Frage zugrunde liegenden Erwartung schließt Sartre auf das Vorliegen eines sogenannten ›präjudikativen Verständnisses‹ von ›Nicht-Sein‹ seitens des bewussten Subjektes365. Aus dem jeder Frage vorangehenden sogenannten ›präjudikativen‹ Verständnis von Nicht-Sein folge, dass die fragende Haltung des Subjektes eine Verhaltensweise gegenüber dem Sein ist, die aus einer ›Erfahrung‹ des ›Nicht-Seins‹ vor dem Hintergrund des Seins resultiere. Jede Frage, die als solche stets ein ›präjudikatives Verständnis‹ des Nicht-Seins in Ursprung im ›nichtenden Nichts‹ habe, welches seinerseits in dem ›Sein‹ des Bewusstseins gründet, tatsächlich notwendig ist, bleibt hier zunächst als Frage zu formulieren. Sie erlangt erneut Bedeutung in der Diskussion um den Vorwurf des Formalismus und Rückfall in den Idealismus der sartreschen Position.Vgl. dazu oben Kapitel 4.5. Hervorzuheben ist hier jedoch die durch diesen Aufweis des ›Negativen als reales Phänomen‹ offensichtliche Intention Sartres, eine ontologische Kategorie neben und im Gegensatz zu der des Seins zu eröffnen, welche ihm erlauben soll, den Seinstyp des Fürsichseins mit all seinen Implikationen, wie dem ›Entwurf‹, der ›Freiheit‹ und dem Verhältnis zum ›Anderen‹, ontologisch zu begründen und damit wiederum als fundamental unterschieden zu dem des Ansichseins herauszustellen. 363 EN, 42: »[…] la question se formule par un jugement interrogatif mais elle n’est pas jugement: c’est une conduite pr¦judicative;«. 364 Sartre spricht hier von einem »jugement interrogatif«, stellt aber explizit heraus: »la question se formule par un jugement interrogatif mais elle n’est pas jugement: c’est une conduite pr¦judicative; […]«. 365 »Ainsi ma question enveloppe par nature une certaine compr¦hension pr¦judicative du non-Þtre; […]«. EN, 42.

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sich schließt, sei »une relation d’Þtre avec le non-Þtre, sur le fond de la transcendance originelle, c’est-—-dire d’une relation d’Þtre avec l’Þtre.«366 Das heißt zum einen, dass jede Frage nur möglich ist auf der Grundlage der Beziehung des bewussten Subjektes zur Welt, die schon bestehen muss, und zum anderen, dass diese ›Beziehung des bewussten Subjekts zur Welt‹ in dem Sinne als ›Seinsbeziehung‹ verstanden werden können soll, dass sie als Beziehung zwischen den beiden Seinstypen Ansichsein und Fürsichsein besteht und als solche expliziert werden kann. Der Ausdruck »Le fond de la transcendance originelle« muss sich hierbei auf die den Seinstyp des Fürsichseins charakterisierende ›Transzendenz auf die Welt‹ beziehen, so dass hier zweierlei vorgezeichnet wird: zum einen, dass Ursprung und Möglichkeit einer ›Seinsbeziehung‹ zwischen Fürsichsein und Ansichsein aufgrund der dem Fürsichsein eigenen Struktur in eben dem Seinstyp des Fürsichseins angelegt sind, und zum anderen, dass die ›ursprüngliche Transzendenz‹, die das Fürsichsein auszeichnet, ihrerseits ›Grundlage‹ dafür ist, dass ein ›präjudikatives Verständnis‹ von ›Nicht-Sein‹ seitens des bewussten Subjekts vorliegen kann. Denn nur auf der Grundlage dieser Beziehung zur Welt, vor dem Hintergrund des Seins [sur le fond d’Þtre] kann das ›Nicht-Sein‹ innerhalb des Erwartungshorizontes des Subjektes ›erscheinen’367. Ist mit dieser Argumentation jedoch die Frage nach dem Grund im Sinne von ›Ursprung‹ des ›präjudikativen Verständnisses‹ von Nicht-Sein hinreichend beantwortet? Dass das Nicht-Sein seinen ›Ursprung‹ nicht im negativen Urteil haben kann und das ›präjudikative Verständnis‹ von Nicht-Sein hier vielmehr als Bedingung für die Möglichkeit eines ›negativen Urteils‹ vorgestellt wird368, ist hinsichtlich der oben erwähnten ›Beziehung des bewussten Subjekts zur Welt’369 in diesem Zusammenhang zunächst folgendermaßen zu präzisieren: Die Möglichkeit des bewussten Subjektes, etwas zu negieren, d.i. ein ›negatives Urteil‹ zu fällen, hängt von dem ›präjudikativen Verständnis‹ des Nicht-Seins und einem dementsprechenden Verständnis von Negation als dessen Bedingung ab. Seine Explikation als ›Seinsbeziehung zum Nicht-Sein aufgrund der ursprünglichen Transzendenz‹ lässt sich, wie oben angedeutet, in der Tat nur vor dem Hintergrund der sartreschen Konzeption des Bewusstseins verstehen. Sie, obgleich hinsichtlich 366 EN, 42. 367 EN, 43: »[…] il faut un t¦moin qui puisse retenir le pass¦ en quelque maniÀre et le comparer au pr¦sent sous la forme du ›ne-plus‹.« Hervorhebungen im Text. 368 EN, 46: »[…] le non-Þtre ne vient pas aux choses par le jugement de n¦gation: c’est le jugement de n¦gation au contraire qui est conditionn¦ et soutenu par le non-Þtre.« 369 Die sartreschen Erläuterungen, die das Seinsverhältnis, das zwischen Bewusstsein (Fürsichsein) und Welt (Ansichsein) bestehen soll, betreffen, wird unten das Kapitel 4 aufnehmen. Dieses Verhältnis fungiert hier, wie eingangs erwähnt, bereits als Grundlage, da sein Bestehen Bedingung für die Möglichkeit der fragenden Haltung des bewussten Subjektes ist.

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ihrer Struktur noch nicht hinreichend bestimmt, liegt der Argumentation zum Aufweis der notwendigen Annahme eines ›präjudikativen Verständnisses‹ von ›Nicht-Sein‹ als Bedingung der Einnahme einer fragenden Haltung zugrunde. Insofern von ›Bewusstsein‹ gesprochen werden kann, handelt es sich zunächst370 um ›thetisches Bewusstsein von einem Gegenstand‹, d. h. um Bewusstsein von einem Ansichsein. Das Bewusstsein stellt aufgrund seiner intentionalen Struktur denjenigen Seinstyp dar, der die Beziehung zu dem Ansichsein aufnimmt und ohne diesen Bezug als solcher nicht existieren könnte. Das Ansichsein als »reine Positivität« kann dem bewussten Subjekt die Möglichkeit, ein negatives Urteil zu fällen und somit etwas zu negieren, nicht eröffnen. Das bewusste Subjekt hätte durch seine Beziehung zu einem Ansichsein demnach allenfalls die Möglichkeit, affirmative Urteile zu fällen371. Wird die These des ›präjudikativen Verständnisses‹ als Bedingung der Möglichkeit von Negation zugegeben, kann die Negation ihren Ursprung nicht ausschließlich in der Subjektivität haben und muss, obgleich das Negative stets innerhalb einer subjektiven Erwartung als Negatives ›erscheint‹, aufgrund der vorgestellten Struktur des Bewusstseins als intentionales in der Tat auf der Grundlage der Beziehung des bewussten Subjektes zur Welt zur Gegebenheit kommen. ›Nicht-Seiendes‹ ist als solches nur auf der Grundlage von ›Sein‹ denkbar und ohne diese Grundlage gänzlich unverständlich, und ›Negation‹ ist als ›Negation von etwas‹ ihrerseits nur mit Rekurs auf das ›Negierte‹, d.i. ein ›Sein‹, das durch den ›Akt‹ der Negation ›negiert‹ wird, zu begreifen. Ohne ein zu negierendes ›Sein‹, auf das sie sich richtet, könnte sie als ›Negation‹ nicht existieren und wäre in diesem Sinne ›unmöglich‹. Insofern komme das Negative nicht nur auf der Grundlage von ›Sein‹, sondern auch als ein in diesem Sinne dem ›Sein‹ ›Inhärentes‹ zur Realität. Nur in diesem Sinne kann dem ›Negativen‹, d. h. dem ›Nicht-Sein‹, hier überhaupt ›Realität‹ zugesprochen werden. Die Frage nach dem Ursprung des ›präjudikativen Verständnisses von NichtSein‹ stellt sich hier jedoch nach wie vor; ebenso wie die nach einer Präzisierung der Wendung ›das Nicht-Sein komme als ein dem Sein Inhärentes‹ zur Realität. Ein ›präjudikatives Verständnis‹ von Nicht-Sein kann es, wie Sartre mit dem oben genannten Hinweis auf die das Fürsichsein auszeichnende ›ursprüngliche 370 Dass es sich bei ›thetischem Bewusstsein‹ zunächst um ›Bewusstsein von einem Gegenstand‹ handelt, bezieht sich hier auf die bis zu diesem Argumentationsgang dargestellte Struktur des Bewusstseins. Hinsichtlich ihrer Präzisierung hat Sartre im Folgenden ausgehend von dieser Struktur zu explizieren, wie ›thetisches Bewusstsein‹ auch von ›in der Welt begegnenden‹ bewussten Subjekten vorgestellt werden kann. Siehe dazu unten Kapitel 5. 371 Sartre formuliert diese Einsicht folgendermaßen: »Comment pourrions-nous mÞme concevoir la forme n¦gative du jugement si tout est pl¦nitude d’Þtre et positivit¦?«, EN, p.46. Vgl. dazu auch die Folgerungen Betancourts, in: Betancourt 1977, 74f.

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Transzendenz‹ als ›Grundlage‹ für ein solches Verständnis zu verdeutlichen sucht, nur durch den Weltbezug des bewussten Subjektes geben. Sein Ursprung wäre demnach in einer wie auch immer gearteten ›Erfahrung‹ von ›negativen Phänomenen‹, d. h. von phänomenalem Nicht-Sein, zu suchen, die ihren Grund in einem ›realen‹ Nicht-Sein haben sollen. Insofern schließt diese Argumentation direkt an die des ›ontologischen Beweises‹ zum Aufweis des Seins des Phänomens an. Sie zielt auf die erwähnte Intention, ›Nicht-Sein‹ dem ›Sein‹ als eine ontologische Kategorie gegenüberzustellen, die ihren Grund nicht im Sein des bewussten Subjektes hat. Das Kernstück dieser Argumentation ist der Versuch eines Aufweises sogenannter ›negativer Realitäten‹ oder ›Negatitäten‹ [n¦gatit¦s]372, die von dem bewussten Subjekt in seinem Weltbezug erfahren werden und als solche ein ›Nicht-Sein‹ in sich schließen. Solche ›Realitäten‹ seien etwa die vom Subjekt erfahrene ›Distanz‹ [la distance]373 ›Zerstörung‹ [la destruction], ›Abwesenheit‹ [l’absence], ›Veränderung‹ [l’alt¦ration], ›Anderssein‹ [l’alt¦rit¦]374, ›Abweisung‹ [la r¦pulsion], ›Bedauern‹ [le regret], ›Zerstreuung‹ [la distraction] von Sein. Allen genannten Realitäten sei gemein, dass sie dem bewussten Subjekt auf dem Hintergrund des Seins, d. h. dem Ansichsein als Seinsfülle, begegnen und die Negation in ihrer internen Struktur »beherbergen«375, ohne die sie nicht existieren könnten und dementsprechend von dem bewussten Subjekt nicht in dieser Weise erfahrbar wären. Anhand der Analyse des von dem bewussten Subjekt erfahrbaren Phänomen der ›Abwesenheit‹ von Sein, die von Sartre exemplarisch vorgeführt wird, lässt sich zu dem Aufweis der ›Negatitäten‹ Folgendes herausstellen: Das ›Phänomen‹ der ›Abwesenheit von Sein‹ artikuliert sich auf dem Hintergrund einer Seinsfülle dergestalt, dass sich dem bewussten Subjekt die Abwesenheit einer bestimmten Person, im sartreschen Beispiel der Abwesenheit Pierres, etwa auf dem Hintergrund der ›Seinsfülle‹ eines Caf¦s, offenbart. Wie aber sind dieses ›Offenbaren von Abwesenheit‹ vor dem Hintergrund einer ›Seinsfülle‹ und seine Möglichkeit zu verstehen? Zunächst liegt dieser Möglichkeit evidentermaßen die Ausgangsthese von der ursprünglichen Transzendenz des Bewusstseins zur Welt zugrunde. Das bewusste Subjekt begegnet der Welt, d.i. dem Caf¦ in dem hier zu diskutierenden sartreschen Beispiel, stets mit einer bestimmten Erwartungsintention376, die als

372 EN, 57. 373 Hier und im Folgenden: ebd. 374 Vgl. hier den Bezug zu dem durch die Verhaltensweise des Fragens aufgewiesenen »begrenzenden Nicht-Sein«. 375 EN, 57: (Des r¦alit¦s) »qui sont habit¦es par la n¦gation dans leur intrastructure comme par une condition n¦cessaire de leur existence.« (Zusatz) der Verfasserin. 376 Das Vorliegen ›bestimmter Erwartungsintentionen‹ resultiert aus dem ›Sein in Situation‹

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solche, d. h. sowohl aufgrund ihres Vorliegens als auch ihres Inhaltes nach, zunächst als ›positiv‹ zu charakterisieren ist. Erwartet wird die Anwesenheit Pierres im Caf¦. Das Caf¦ als ›Seinsfülle‹ wird seitens des bewussten Subjekts auf die Anwesenheit Pierres hin untersucht. Dieses ›Untersuchen‹ beinhaltet als solches jedoch seinerseits, vergleichbar mit der analysierten Verhaltensweise des Fragens, sowohl die Möglichkeit eines ›negativen‹ Ergebnisses als auch die Fähigkeit des Subjekts, aktiv zu negieren, d.i. eine ›Negation von Sein‹ zu vollziehen. An dieser Stelle wird die in L’Imaginaire377 geleistete thematische Vorarbeit zu der Rolle des Negativen in der sartreschen Bewusstseinskonzeption deutlich: Es handelt sich um die erwähnte Fähigkeit des bewussten Subjekts zur ›Distanznahme‹ gegenüber einem bestimmten Weltzusammenhang, welcher dann als Hintergrund [fond] für dasjenige fungiert, das durch die Distanznahme als in diesem Weltzusammenhang zu Untersuchendes bzw. zu Befragendes herausgelöst wird und, bezogen auf Pierre im Caf¦, letztlich als ›Abwesendes‹ vorgestellt werden kann. Sartre verweist hier nicht explizit auf seine Darstellungen in L’Imaginaire, setzt sie jedoch im Folgenden deutlich für die angedeutete These vom Wahrnehmungshorizont des bewussten Subjektes voraus. Sie beinhaltet – abermals auf der Grundlage des ursprünglichen Weltbezuges des Bewusstseins – sowohl die Möglichkeit einer bestimmten Erwartungsintention seitens des bewussten Subjekts als auch, mit dieser verbunden, die Möglichkeit zur Distanznahme gegenüber Weltzusammenhängen. Wiederum ist es also die Fähigkeit des bewussten Subjekts zur Negation, die die These vom Wahrnehmungshorizont des Subjektes bedingt. Jegliche Art der Distanznahme gegenüber Weltzusammenhängen, die auch für die Einnahme einer bestimmten Erwartungsintention gegenüber anderen möglichen Erwartungsintentionen notwendig ist, liegt in ihr begründet. Wenn man aber diese These vom Wahrnehmungshorizont des bewussten Subjekts und ihre Bedingungen zugibt, dann hat das präjudikative Verständnis von Nicht-Sein, das in den vom Subjekt erfahrbaren ›Negatitäten‹ Ausdruck findet, seinen Grund nicht etwa in diesen ›Negatitäten‹, da diese als solche eben nicht unabhängig von einem Bewusstsein existieren können. Vielmehr hat das präjudikative Verständnis von Nicht-Sein seinen Grund in der Fähigkeit des bewussten Subjekts zur Negation. Das gilt auch für das phänomenale Nicht-Sein der Negatitäten, denn lediglich für die Erwartungshaltung des bewussten Subjekts ist die Abwesenheit Pierres vor dem Hintergrund des Caf¦s als ›phänoals einer das Fürsichsein wesentlich bestimmenden Qualität. Hier erfolgt ein Verweis auf das Kapitel 4 dieser Arbeit. 377 Vgl. hier und im Folgenden Iaire, insbesondere 235f. und oben den zweiten Teil des Kapitels 2.3.

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menale Realität’378 gegeben. Nur dieser Aufweis gelingt Sartre durch die Analyse der ›Negatitäten‹ an dem Beispiel der Abwesenheit Pierres vor dem Hintergrund des Caf¦s. In Übereinstimmung mit dieser Feststellung kann Sartre jedoch erhärten, dass das Nicht-Sein und das präjudikative Verständnis von Nicht-Sein ihren Ursprung keinesfalls im negativen Urteilssatz haben können: Der negative Urteilssatz benötigt in der Tat ein vorausgehendes phänomenal-erfahrbares Nicht-Sein, d.i. das der ›Negatitäten‹, welches jedoch, wie gezeigt, seinerseits ein präjudikatives Verständnis von Nicht-Sein voraussetzt. An dieser Stelle wird nochmals deutlich, dass in dem Aufweis dieser von dem bewussten Subjekt in seiner Beziehung zur Welt und damit auf dem Hintergrund seiner Beziehung zum Sein erfahrenen ›Negatitäten‹ oder ›negativen Realitäten‹ der eigentliche Ausgang von der Phänomenologie liegt. Jedoch ist offensichtlich, dass es Sartre hier (noch) nicht gelingt, das Nicht-Sein gegenüber dem Sein als eine zweite ontologisch fundierte Kategorie aufzustellen. Denn durch die obige Argumentation wird nur Folgendes klar : Das Nicht-Sein ist lediglich ›auf der Grundlage von Sein‹ erfahrbar. Und: Die Frage nach dem Ursprung des NichtSeins verweist auf das Sein des bewussten Subjekts als einzige Option und somit auf die im Detail zu erläuternde Struktur des Bewusstseins379. 378 Sartre spricht hier von einer »forme d¦termin¦e« (EN, 45) und weiter : »[…] cette forme qui se glisse constamment entre mon regard et les objets solides et r¦els du caf¦, c’est pr¦cis¦ment un ¦vanouissement perp¦tuel, c’est Pierre s’enlevant comme n¦ant sur le fond de n¦antisation du caf¦. […] Ce qui sert de fondement au jugement: ›Pierre n’est pas l—.‹« Und: EN, 45: »[…] je m’attendais — voir Pierre et mon attente a fait arriver l’absence de Pierre comme un ¦v¦nement r¦el concernant ce caf¦, c’est un fait objectif, — pr¦sent, que cette absence, je l’ai d¦couverte […].« Hervorhebungen im Text. 379 Sartres Analyse des Phänomens der Zerstörung [la destruction] (hier und im Folgenden: EN, 43f.), das seinerseits als Negatität aufgefasst werden kann, verweist ebenfalls auf die näher zu untersuchende Seinsweise des bewussten Subjekts bzw. auf die Struktur des Bewusstseins selbst, das ›anderes‹, d. h. ›von ihm Verschiedenes‹, als solches nicht nur wahrnehmen, sondern auch begreifen können muss: »Il n’y a pas moins aprÀs l’orage qu’avant. Il y a autre chose. Et mÞme cette expression est impropre car, pour poser l’alt¦rit¦, il faut un t¦moin qui puisse retenir le pass¦ en quelque maniÀre et le comparer au pr¦sent sous la forme du ›ne-plus‹. En absence de ce t¦moin, il y a de l’Þtre, avant comme aprÀs l’orage: c’est tout.« Hervorhebungen im Text. Dieses Zitat verweist zudem darauf, dass das Phänomen der Zerstörung ungleich deutlicher als die oben erwähnten Negatitäten zeigt, dass es, um als Zerstörung wahrgenommen werden zu können, einen Zeugen benötigt, der in der Lage ist, mittels seiner wie auch immer näher zu qualifizierenden Wahrnehmung zu beurteilen, dass nach vollzogener ›Zerstörung‹ etwas nicht mehr bzw. anders existiert als vor Vollzug des Phänomens. Inwiefern im Anschluss an das obige Zitat das ›Sein des Bewusstseins‹ aufgrund seiner Struktur ein ontologisches Fundament für das ›Nichtsein‹ bieten und Sartre damit ein ›ontologischer Beweis‹ des ›Nichtseins‹ parallel zu dem ontologischen Beweis der positiven Phänomene gelingen kann, wird in diesem Zusammenhang zu untersuchen sein. Die bereits erwähnte ›Warnung‹ vor dem Rückfall in eine idealistische Position ist an dieser Stelle sicherlich zu erneuern und im Blick zu behalten. Dazu näher unten in Kapitel 4.5.

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3.5.2 Das Bewusstsein als ›Einheit von Sein und Nichts‹ Aus den vorangegangenen Erläuterungen geht hervor, dass sich das Nicht-Sein nicht unabhängig und auch nicht außerhalb eines Seins erfassen lässt. Es muss vielmehr innerhalb eines Seins gegeben sein, damit sich die von Sartre als Negatitäten bezeichneten Realitäten besonderen Typs begreifen und erklären lassen380. Sartres folgende Untersuchung ist dementsprechend von der Frage geleitet, wie dieses Sein beschaffen sein muss, um das Nichts als Moment seiner Struktur enthalten zu können und ihm so »innerweltliche«381 Realität verleihen zu können. Der Argumentationsgang, der, gemäß Sartres Intention, den Ursprung des Nichts im Sein des Bewusstseins aufzeigen soll, welches in seiner Struktur als Einheit von Sein und Nichts zu explizieren sein wird, erfolgt in folgenden Schritten382 : Die regressive Analyse endet mit dem Aufweis, dass das Nichts in der Beziehung des bewussten Subjektes zur Welt »begegnet«, dass es jedoch nicht von dem Ansichsein hervorgebracht bzw. im Sein gehalten werden kann, da dieses als »reine Positivität« vorgestellt worden ist und dementsprechend das Nichts nicht als Moment seiner Struktur aufweisen kann. Das Ansichsein ist ohne jegliche Beziehung zum Nichts. Da das Nichts jedoch aus sich selbst heraus nichts ist, kann es nicht einmal den Grund der Nichtung vorstellen, die durch es ausgedrückt werden soll. Um die Eigenschaft, etwas zu nichten, aufweisen zu können, müsste es bereits sein. Aus dieser begrifflichen Folgerung Sartres wird noch einmal deutlich, dass er zum einen den Ursprung der Negation in einem Nichts sieht, und zum anderen, dass dieses Nichts, wie erläutert, eines Seins bedarf, um dieser Funktion gerecht werden zu können. Sartre drückt dies dadurch aus, dass das Nichts »geseint werden«383 müsse 380 Vgl. EN, 57f. 381 EN, 58. 382 Vgl. im Folgenden: EN, 58f. und zu der Analyse des Aufbaus des sartreschen Argumentationsganges: Hartmann 1963, 47. 383 EN, 58: »[…], le n¦ant ›est ¦t¦‹;«. Die hier ausgedrückte Passivform des Verbes ›sein‹ [Þtre] kann im Deutschen nur annäherungsweise wiedergegeben werden. Die im obigen Text gewählte Übersetzung schließt sich derjenigen Traugott Königs (SN, 58) an und ist gegenüber der von Rüdiger Bubner in seiner in dieser Arbeit bereits zitierten Dissertation verwendeten Übersetzung: »Das Nichts wird gewesen« (vgl. Bubner 1964, 57) vorzuziehen, da Letztere durch die Aufnahme des Partizips Perfekt eine Vergangenheitsform suggeriert, die der sartreschen Pointe an dieser Stelle nicht gerecht würde. Dies gilt in schärferem Maße für die Übersetzung: »das Nichts […] ist gewesen«, die sich bei Joseph Möller findet. Die so zum Ausdruck gebrachte und von Sartre in keinem Fall gemeinte Vergangenheitsform des Verbes »sein« [Þtre] würde im Französischen jedoch »il a ¦t¦« lauten. Insofern ist Möllers Übersetzung bzw. deren Lesart zu verwerfen. In: Joseph Möller : Absurdes Sein? Eine

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und das Nichts sich insofern nicht als Negation setzt, sondern »genichtet werden«384 müsse. Es bleibt also zu fragen, welches Sein aufgrund seiner Struktur fähig ist, das Nichts in dieselbe einzuschließen, damit ihm so ein ›entliehenes‹ Sein zufallen könne, das den ontologischen Grund der phänomenologisch aufgewiesenen Negatitäten erklärte. Die Struktur dieses gesuchten Seins, die das Nichts in sich schließt und damit »im Sein hält«385 müsse nun derartig beschaffen sein, dass das Sein aufgrund seiner Struktur in der Weise in Beziehung zum Nichts steht, dass es als Einheit von Sein und Nichts vorgestellt werden könne. Diese Forderung begründet Sartre durch folgende Argumentation: Zum einen dürfe das Sein, durch das das Nichts zur Welt kommen soll, in Beziehung auf dieses Nichts nicht ›passiv‹ sein, denn wenn es als solches vorgestellt würde, müsste es das Nichts, das aus sich selbst heraus nichts ist, somit von einem anderen Sein »empfangen« [recevoir]386. Diese Konzeption führe, wie Sartre folgerichtig anmerkt, in einen infiniten Regress, da stets wiederum ein dem Akt des Empfangens ›drittes‹ Sein vorausgesetzt werden müsse, das dieses Empfangen dadurch garantierte, dass es dem Sein das Nichts quasi ›übergäbe‹. Dieses ›dritte Sein‹ müsste, wenn es nicht bereits das von Sartre gesuchte Sein sein soll, welches in diesem Argument ausgeschlossen wird, seinerseits als dem Nichts gegenüber ›passiv‹ gedacht werden und müsste es also abermals von einem Sein erhalten haben. Somit würde das Problem des Nichts, das in der Beziehung des bewussten Subjektes zur Welt ›begegnet‹, auf das Problem verschoben, wie das Nichts zu dem Sein kommen könne, durch das es allererst in die Welt kommen soll. Zum anderen dürfe dieses Sein das Nichts nicht hervorbringen und sich zugleich indifferent zu diesem Akt verhalten, d. h. die Struktur dieses gesuchten Seins müsste ihm erlauben, »sich auf das Nicht-Sein hin zu überschreiten«387, das Nichts dürfe in dieser Struktur jedoch nicht als ein dem Sein Transzendentes aufgestellt werden, da es so ohne Beziehung zu der Struktur des Seins stünde, durch die es hervorgebracht würde388. Das gesuchte Sein müsse das Nichts

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Auseinandersetzung mit der Ontologie J.P. Sartres, Stuttgart 1959, [Möller 1959] 45. Eine Anmahnung dieser Übersetzung von Joseph Möller findet sich auch bei Klaus Hartmann (Hartmann, 1963, 59). Marcos Lutz-Müller übersetzt: »das Nichts ist geseint«, Lutz-Müller 1976, 101, womit er das passive Verständnis des Verbes ›sein‹ jedoch nur annäherungsweise wiedergibt. EN, 58: »[…], le n¦ant ›est n¦antis¦‹.« Hervorhebung im Text. Ebd.: »le supporter de son Þtre, de l’¦tayer perp¦tuellement de son existence mÞme«. Vgl. hier und im Folgenden: EN, 59: »[…] l’Þtre envisag¦ ne peut Þtre passif par rapport au n¦ant: il ne peut le recevoir ; le n¦ant ne pourrait venir — cet Þtre sinon par un autre Þtre – ce qui nous renverrait — l’infini.« Hervorhebung im Text. Ebd.: »se d¦passer vers le non-Þtre«. Ebd. Vgl. dazu auch: Betancourt 1977, 80.

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vielmehr so innerhalb seiner Struktur aufweisen, dass es aufgrund dieser Struktur als sein eigenes Nichts aufgefasst werden könne. Es müsse diesem Sein aufgrund seiner Struktur »um das Nichts seines Seins« gehen, d. h. durch seine Struktur soll es als »sein eigenes Nichts« vorgestellt werden können389. Darunter sei kein ›nichtender Akt‹ zu verstehen, der seinerseits abermals ein Sein als Grundlage erfordere und daher wieder auf die Regressproblematik verwiese. Das gesuchte Sein müsse sich vielmehr in seiner Struktur selbst als negatives Sein bestimmen lassen und in seiner Struktur als Einheit von Sein und Nichts390 aufgefasst werden können. Sartres Intention, das Sein des Bewusstseins als diese Einheit von Sein und Nichts zu explizieren, und somit als das Sein vorzustellen, das das Nichts in seinem Sein ›stützt‹, wird durch folgende Argumentation deutlich, die sich auf die bereits erläuterte fragende Haltung, die das bewusste Subjekt gegenüber der Welt einnehmen kann, gründet: Durch diese fragende Haltung stellt das Bewusstsein eine Beziehung zur Welt her. Diese Beziehung ist insofern als einseitig zu charakterisieren, als die Welt, d.i. für Sartre die Gesamtheit der innerweltlichen Gegenstände, dem Seinstyp des Ansichseins entsprechend von sich aus keine Beziehung zu einem anderen Sein aufnehmen kann. Aus der Analyse der fragenden Haltung391 des bewussten Subjektes gegenüber der Welt ergibt sich, dass diese Haltung eine ›nichtende‹ Beziehung zwischen Fragendem und Befragtem offenbart. Sartre knüpft hier an die bereits aufgewiesenen, jede Frage begleitenden drei Arten von Negation an: Jede Frage impliziert die Möglichkeit 389 EN, 59: »L’Þtre par qui le n¦ant arrive dans le monde est un Þtre en qui, dans son Þtre, il est question du n¦ant de son Þtre: l’Þtre par qui le n¦ant vient au monde doit Þtre son propre n¦ant.« Hervorhebung im Text. 390 Der hier zusammenfassend dargestellte Argumentationsgang Sartres wird, wie aus dem Erläuterten deutlich wird, nur durch einen sehr weit gefassten Begriff von Negativität möglich. Denn unter diesem Begriff versteht Sartre sowohl das durch die Negatitäten erscheinende gleichsam phänomenologisch Negative, als auch das ontologisch Negative, wie im Folgenden noch genauer ersichtlich sein wird. Zu dieser Feststellung siehe auch: Rouger, 202, Lutz-Müller, 85ff. und: Hartmann 1963, 48. Laut Hartmann fußt Sartres Argumentationsgang auf einer Äquivokation von phänomenologisch und ontologisch Negativem. Dieser zweifelsohne interessante Aufweis kann hier jedoch nicht eigens auf seine Plausibilität hin diskutiert werden. Daher sei er an dieser Stelle lediglich erwähnt. 391 Vgl. EN, 60: »[…] avec la question, une certaine dose de n¦gatit¦ est introduite dans le monde […]. L’homme se pr¦sente donc, au moins dans ce cas, comme un Þtre qui fait ¦clore le n¦ant dans le monde, […].« Die Wendung »au moins dans ce cas« ist hier in ihrer einschränkenden Lesart zu vernachlässigen. Sie bezieht sich auf die Tatsache, dass zur Verdeutlichung lediglich die fragende Haltung des bewussten Subjektes zur Welt betrachtet wird. An der Feststellung, dass das Nichts durch das Sein des bewussten Subjektes in die Welt kommt, besteht jedoch kein Zweifel. Dies wird die folgende Darstellung zeigen, zumal es in der sartreschen Konzeption, die auf der vollständigen Disjunktion zweier Seinstypen beruht, für diesen Aufweis des nichtenden Seins keine andere Alternative als den Seinstyp des Fürsichseins gibt. Vgl. zu dieser Interpretation auch: Betancourt 1977, 82.

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einer negativen Antwort. Doch das befragte Ansichsein kann sie aufgrund seiner positiven Struktur nicht geben. Diese Fähigkeit kann nur dem bewussten Subjekt als ›nichtendem‹ Sein zukommen. Das fragende Subjekt »enthülle« [d¦voile]392 durch seine fragende Haltung das Nichts und damit die Möglichkeit einer negativen Antwort, da es das Ansichsein jeweils bezüglich seines Seins oder seiner Seinsweise befrage, die »verhüllt« [voil¦]393 sei. Durch die Tatsache, dass mit der fragenden Haltung des Subjekts stets die Erwartung, dass sich das Befragte möglicherweise als ›nichts‹ [rien] enthüllt, verbunden ist, setze jede Frage ein »nichtendes Abrücken«394 des Fragenden vom Befragten voraus. Dieses »nichtende Abrücken« impliziere ein Losreißen von dem befragten Sein, das dadurch bewirkt werde, dass das fragende Subjekt das Befragte sich selbst gegenüber ›nichte‹, indem dieses gleichsam in einen ›neutralen Zustand‹ zwischen Sein und Nicht-Sein gesetzt werde, in dem keine Aussage über seine Existenz und seine Seinsweise überhaupt getroffen werden könne. Das fragende Subjekt muss sich, um eine Frage zu stellen und damit die Möglichkeit des Nicht-Seins zu eröffnen, von den innerweltlichen Kausalreihen [s¦ries causales]395, die völlig determiniert sind und lediglich Ansichsein begründen können, losreißen können396. Zudem muss es sich selbst gegenüber dem Befragten nichten, indem es sich von seinem eigenen Sein losreißt, um die Möglichkeit eines Nicht-Seins erst aus sich hervorgehen zu lassen. Gemeint ist, dass das fragende Subjekt das innerweltliche Sein nur dann sinnvoll befragen kann, wenn es fähig ist, das Befragte aus den innerweltlichen Kausalreihen herauszulösen und es dadurch insofern zu nichten, als es für das fragende Subjekt so hinsichtlich seines Seins oder seiner Seinsweise zum »neutralen« Gegenstand wird, der sich nur auf diese Weise bezüglich seines Seins befragen lässt. Der Kern der sartreschen Argumentation besteht hier folgerichtig darin, dass das Subjekt sein eigenes Sein ebenfalls aus dem Geflecht der innerweltlichen Kausalreihen herauslösen können muss, um eine fragende Haltung gegenüber der Welt einnehmen zu können. Das »nichtende Abrücken« muss sich demnach ebenfalls auf das Sein des fragenden Subjektes beziehen, und die Struktur des Bewusstseins muss die Möglichkeit zu dieser Fähigkeit eröffnen können397. 392 EN, 59. Die Möglichkeit einer negativen Antwort war von Sartre noch nicht hinreichend erklärt worden, da sie offenkundig nicht, wie von ihm zunächst dargestellt, von dem befragten Seienden ausgehen kann. Vgl. oben Kapitel 3.5.1. 393 EN, 59. 394 Ebd.: »recul n¦antisant«. 395 Ebd. 396 Vgl. hier, oben und im Folgenden die offensichtliche inhaltliche Nähe zu Heideggers Begriff des ›Nichts‹ in Was ist Metaphysik? und Kapitel 2.2 dieser Arbeit. 397 EN, 59f. Diese Argumentation Sartres ist nur im Vorgriff auf die vollständige Struktur des

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Die Möglichkeit, eine nichtende Haltung gegenüber jeglichem Sein einnehmen zu können, ist demnach gleichbedeutend mit der Möglichkeit, etwas zu negieren. Diese ist jedoch nicht so zu verstehen, dass das bewusste Subjekt ein gegebenes Ansichsein durch seine mögliche nichtende Haltung ihm gegenüber ›vernichten‹ im Sinne von ›zerstören‹ könnte. Das bewusste Subjekt modifiziere durch seine nichtende Haltung, die durch das erwähnte ›nichtende Abrücken‹ gegenüber einem Ansichsein entsteht, vielmehr seine Beziehung zu diesem, indem er dieses bzw. dessen Seinsweise, zu der es in seiner Beziehung Stellung nimmt, in ein mögliches Nicht-Sein hinaushalte398. Dieses ›nichtende Abrücken‹ vom Sein ist von Sartre durch die dargestellte Argumentation als Bedingung für die Einnahme einer fragenden Haltung gegenüber der Welt vorgestellt worden, zu der allein das bewusste Subjekt durch die Struktur seines Seins, das dadurch bestimmt ist, bewusst zu sein, fähig ist399. Um von dieser Feststellung zur Struktur des Bewusstseins überzugehen, betrachtet Sartre eine Verhaltensweise des bewussten Subjektes zu sich selbst, in der das nichtende Moment innerhalb der Struktur des Bewusstseins aufgewiesen werden soll. Es handelt sich um die Verhaltensweise der »Unaufrichtigkeit« [la mauvaise foi]400. Ihre Darstellung soll hier nur in Grundzügen und in Hinblick auf die von Sartre abschließend zu entwickelnde Konzeption des Bewusstseins erfolgen. Die Grundthese, die durch die Analyse der »Unaufrichtigkeit« begründet werden soll, ist die, dass das bewusste Subjekt in der Lage ist, ›sich selbst die Wahrheit zu verbergen‹401. Diese Fähigkeit, die es zunächst aufzuweisen gilt, kann ihren Grund wiederum nur in der Struktur des Bewusstseins haben. Sartre unterscheidet die Verhaltensweise der ›Unaufrichtigkeit‹ von der ›Lüge‹, da der

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Fürsichseins verständlich und wird durch sie an späterer Stelle erklärt. Daher erfolgt hier ein Verweis auf das Kapitel 4 vorliegender Arbeit. Vgl. dazu EN, 61: »Toutefois il n’est pas donn¦ — la r¦alit¦-humaine d’an¦antir, mÞme provisoirement, la masse d’Þtre qui est pos¦e en face d’elle. Ce qu’elle peut modifier, c’est son rapport avec cet Þtre.« Hier erwähnt Sartre in direktem Anschluss erstmals den Begriff »Freiheit« für diese Möglichkeit des Subjektes, etwas zu nichten und sich somit von diesem zu isolieren. Da diese Möglichkeit im Folgenden mit dem Sein des bewussten Subjektes gleichgesetzt wird, dessen Struktur sie begründet, setzt Sartre das Sein des bewussten Subjektes aufgrund dieser Struktur als ›Freiheit‹. So wird zum Ende dieses Aufweises nochmals deutlich, dass die Analyse der Frage als Verhaltensweise des bewussten Subjektes, die die Beziehung Subjekt-Welt immer schon voraussetzt, ihrer Eigentümlichkeit jedoch durch den Aufweis des Negativen in ihr und dessen Ursprung im bewussten Subjekt besonderen Ausdruck verleiht, von Sartre in Hinblick auf das gewünschte Ergebnis vorgestellt wurde. Es bleibt zu fragen, inwieweit ihre Analyse als Exempel für jegliche Verhaltensweise des bewussten Subjektes zur Welt, die die Beziehung zwischen beiden beinhaltet, dienen kann. Hier erfolgt ein expliziter Verweis auf das Kapitel 4 dieser Arbeit. EN, 84f. EN, 87: »[…], c’est que dans la mauvaise foi, c’est — moi-mÞme que je masque la v¦rit¦.«

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Lügner zum einen weiß, was er verbergen will und sich zum anderen dessen bewusst ist, dass er jemanden täuschen will. Er täuscht durch diese Verhaltensweise also nicht sich selbst402. Das Bewusstsein ist in dem Fall der Lüge Bewusstsein von Negation. Im Fall der ›Unaufrichtigkeit‹ jedoch täusche sich das bewusste Subjekt selbst403. Die Negation, die diese Verhaltensweise impliziere, beziehe sich nicht auf ihm Transzendentes, sondern auf seine eigene Seinsweise. Das bewusste Subjekt täusche sich in Bezug auf seine Seinsweise, indem es sich die Wahrheit bezüglich seiner Seinsweise zu verschleiern sucht. Sartre sucht, dies am Beispiel der Angst [l’angoisse]404 zu verdeutlichen. Ein Subjekt ist sich seiner Angst bewusst und lässt sie nicht zu. Es flieht sie, um »nicht das zu sein, was es ist«405, und muss dementsprechend fähig sein, zu dem, was es ist, d. h. zu einem Subjekt, das Angst hat, in seinem Bewusstsein Abstand nehmen zu können. Dasjenige Subjekt, das täuscht und dasjenige, das getäuscht wird, sind ein und dasselbe, d. h. beide Vorgänge müssen folglich in ein und demselben Bewusstsein stattfinden können. Der Aufweis dieser Notwendigkeit ist insofern nicht unproblematisch, als er aussagt, dass das Bewusstsein ›die Wahrheit‹ über seine Seinsweise kennen muss, die es sich verheimlichen will, denn nur dann handelt es sich laut der sartreschen Unterscheidung zwischen ›Lüge‹ und ›Unaufrichtigkeit‹ um ›unaufrichtiges Bewusstsein‹. Ein ›unaufrichtiges Bewusstsein‹ ist jedoch zugleich Bewusstsein (von) sich als ›unaufrichtigem Bewusstsein‹. Steht diese Bewusstseinsstruktur der Verhaltensweise der Unaufrichtigkeit nicht entgegen?406 Die Lösung für dieses Problem soll dennoch in der Struktur des Bewusstseins selbst liegen, denn wenn das bewusste Subjekt in seinem Sein stets dasjenige wäre, was es ist, schlösse es nicht nur die Verhaltensweise der ›Unaufrichtigkeit‹ von sich aus, sondern unterschiede sich in seinem Sein nicht von dem Seinstyp des Ansichseins und dessen Identitätsprinzip407. Das Bewusstsein soll jedoch durch seine Struktur einen gegenüber dem Ansichsein eigenen Seinstyp begründen. Es muss, wie Sartre aus der Analyse der fragenden Haltung, die das bewusste Subjekt in seiner Beziehung zur Welt einnehmen kann, gefolgert hat, als Einheit von Sein und Nichts vorgestellt werden. Die Analyse der ›Unauf402 Vgl. ebd.: »Le mensonge est une conduite de transcendance.« 403 Ebd.: »[…], la dualit¦ du trompeur et du tromp¦ n’existe pas ici.« Vgl. hier zu der Unterscheidung zwischen »Unaufrichtigkeit« und »Lüge« auch die Darstellung Betancourts in: Betancourt 1977, 90. 404 Vgl. hier insbesondere EN, 81ff. 405 Vgl. EN 106: »n’Þtre pas ce qu’on est«. 406 Betancourt sieht hier eine »ernste Schwierigkeit. In der Tat, denn wenn das Bewußtsein, Bewußtsein (von) sich als Bewußtsein, das sich als unaufrichtig entwirft, ist, wie ist es dann möglich, dass es unaufrichtig sei?« Betancourt 1977, 91. 407 Vgl. EN 98.

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richtigkeit‹ führt auf eben diese Einheit in der Struktur des Bewusstseins, in der der Ursprung der Negation liegt. Das bewusste Subjekt ist in seiner fragenden Haltung zur Welt aufgrund dieser Struktur in der Lage, ein ihm gegebenes Ansichsein zu negieren, indem es ›nichtend‹ von diesem ›abrückt‹. Das setzt seinerseits voraus, dass es sich von seinem eigenen Sein losreißen kann, um die Möglichkeit des Nicht-Seins zu eröffnen. Die Verhaltensweise der ›Unaufrichtigkeit‹ impliziert ihrerseits ein ›nichtendes Abrücken‹ von dem eigenen Sein bzw. einer bestimmten Seinsweise des bewussten Subjekts, in der Intention, diesem Sein bzw. dieser Seinsweise zu entgehen. Das Bewusstsein muss also, wie Sartre durch die Analyse der Bedingung der Frage sowie der der ›Unaufrichtigkeit‹ gezeigt hat, einen eigenen von dem Seinstyp des Ansichseins unterschiedenen Seinstyp vorstellen, der dieser eigentümlichen Struktur, einerseits zu sein, was es ist und andererseits nicht zu sein, was es ist, gerecht werden soll. Die Begründung liegt im nicht-thetischen Moment seiner Struktur, d. h. im Bewusstsein (von) sich: Das präreflexive Cogito wird damit als eigentliche Grundlage des Bewusstseins herausgestellt. In seiner Struktur muss somit der Kern der Bedingung für die Möglichkeit jeglicher Beziehung des bewussten Subjektes zur Welt liegen. Diese Struktur des präreflexiven Cogito soll, wie oben erläutert, als ein ›Sich-Gegebensein‹ in Form von ›Anwesenheit bei sich‹ vorgestellt werden können. Diese ›Anwesenheit bei sich‹ als Ausdruck dieser Struktur drücke notwendigerweise einen Abstand des Bewusstseins zu sich selbst aus, der bestehen müsse, um die Koinzidenz des Bewusstseins mit sich zu vermeiden. Dieser notwendige Abstand ›zu sich‹ verweist freilich wiederum, wie oben entwickelt, auf eine Beziehung des nichtthetischen Bewusstseins ›auf sich‹, so dass Sartre mit dieser Explikation gegenüber den Unzulänglichkeiten des Reflexionsmodells von Bewusstsein, d.i. der Paarigkeit des Bewusstseins als Selbstbewusstsein nichts gewonnen zu haben scheint. Dies wird im Folgenden zu präzisieren sein, wenn Sartre den genannten Abstand des nicht-thetischen Bewusstseins ›zu sich‹ als ›das reine Nichts‹ [n¦ant] expliziert, welches das Bewusstsein von sich selbst trenne408. Dadurch, dass sich die hier beschriebene Struktur des präreflexiven Cogito als Grundlage des Bewusstseins als Einheit von Sein und Nichts bestimmen lässt, offenbart sie sich Sartres Intention gemäß ebenfalls als Struktur desjenigen Seins, das ›das Nichts‹ in seinem Sein einschließen kann, gerade weil es als ein notwendiges Moment innerhalb seiner Struktur zu begreifen ist. Dies versucht Sartre folgendermaßen aufzuweisen: Zunächst erfolgt eine Anknüpfung an die oben in Kapitel 3.4 dargestellte 408 Vgl. zu dieser hier notwendigen, jedoch gerafften Wiedergabe der Folgerungen, die sich aus dem sartreschen Argumentationsgang ergeben, oben Kapitel 3.4 mit seinen Unterkapiteln.

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Feststellung, dass dem ›Nichts‹ [n¦ant], das das Bewusstsein in der Struktur des präreflexiven Cogito von sich selbst trenne, zum einen eine ›nichtende Funktion‹ zukommen müsse, da es als Negation den geforderten Abstand des Bewusstseins zu sich innerhalb dieser Struktur aufbaue, und dass es zum anderen außerhalb dessen, was es negiert, nichts [rien], d.i. ein ›Nichts an Sein’409, sei. Das ›Nichts‹, das durch die ›Anwesenheit bei sich‹ in der Struktur des Bewusstseins ›auftaucht’410, wird durch seine Funktion innerhalb dieser Struktur geseint [est ¦t¦]411. Es wird von dem Sein, in dessen Struktur es auftritt, ›beherbergt‹. Wie lässt sich dies jedoch formal erfassen? Dasjenige, was durch ›das Nichts‹, d.i. in seiner ›nichtenden Funktion‹, negiert wird, um den notwendigen Abstand innerhalb der Struktur des präreflexiven Cogito zu schaffen, ist »das Identische«412, d.i. die Identität des Bewusstseins mit sich selbst. Dem sartreschen Verständnis gemäß handelt es sich um die Seinsweise, als ein mit sich selbst Identisches zu existieren, die ›genichtet‹ werden muss, denn sie darf dem Bewusstsein, wenn es als solches existieren soll, nicht zukommen. Denn sie schließt die Möglichkeit eines Selbstbezuges, wie er dem Bewusstsein in seiner nicht-thetischen Spielart zukommt, prinzipiell von sich aus. Die Seinsweise, als ein mit sich selbst Identisches zu existieren, ist vielmehr diejenige Seinsweise, die dem Seinstyp des Ansichseins zukommt. Durch die Negation der Identität, als deren Ergebnis ein Abstand von sich zu sich entsteht, begründet sich folglich erst das präreflexive Cogito und damit das Bewusstsein als Seinstyp des Fürsichseins. Die Seinsweise des Ansichseins ist in dieser formalen Konzeption das Negierte der Negation, welche ihrerseits das reflexive ›sich‹ auf der einen und die ›Anwesenheit bei sich‹ als Grundstruktur des präreflexiven Cogito und somit des Bewusstseins auf der anderen Seite entstehen lässt413. Hier macht Sartre nochmals deutlich, dass das Fürsichsein durch den Abstand, den es durch die Negation erfährt, nicht in die Dualität zweier Ansich414 »zerfallen« kann [s’ef409 EN, 120: »n¦ant d’Þtre«. 410 Ebd.: »[…] le n¦ant qui surgit au cœur de la conscience […].« Hervorhebung der Verfasserin. 411 Ebd. Hervorhebung im Text. 412 Ebd.: »n¦antisation de l’identique«. 413 Vgl. EN, 121: »[…] cette chute de l’en-soi vers le soi par quoi se constitue le pour-soi.« Jürgen Stolzenberg sieht hier die Nähe zu Hegels Begriff der ›absoluten, selbstbezüglichen Negativität‹ und meint, dass die Negation sich bei Sartre sowohl auf ein unmittelbares Ansichsein, d.i. das Sein an sich des Fürsichseins, also auch zur Einheit eines in sich reflektierten Selbstverhältnisses führen muss. Genau dies sei die Funktion von Hegels ›absoluter Negativität‹. 414 Vgl. EN, 121: »l’en-soi«. Im Folgenden wird der Begriff Ansich in dieser Arbeit im Anschluss an Sartres eigene Verwendungsweise und an die Übersetzung von Traugott König synonym zu dem Begriff Ansichsein gebraucht. Vgl. dazu auch: SN, 121. Ebenso verhält es sich mit den Begriffen Fürsich und Fürsichsein. Vgl. ebd.

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fondrer]415, da die Negation dem Fürsichsein in diesem Fall ›von außen‹ zustoßen müsste. Dies kann jedoch durch die von Sartre bereits dargelegte Unmöglichkeit des ›Nichts‹, aus sich selbst heraus zu existieren, welche die Notwendigkeit eines weiteren Seins implizierte, in dessen Struktur es ›beherbergt‹ werden könne, abgewiesen werden. Das Fürsich muss ›das Nichts‹ vielmehr notwendigerweise in seine Struktur einbinden, da es durch den ›nichtenden Akt‹, der den Selbstbezug entstehen lässt, erst zum Fürsich wird, und ›das Nichts‹, das dadurch als Bedingung seiner Möglichkeit herausgestellt wird, aus sich selbst heraus nicht existieren kann. Gemäß dieser Feststellung kann es seine ›nichtende Funktion‹ nur ausüben, wenn es ›geseint wird‹, d. h. seine »geliehene Existenz«416 muss korrelativ zu einem ›nichtenden Akt‹ des Seins sein. Es handele sich hier um das Sein des Fürsich selbst417. Es stellt sich jedoch die Frage, wie das Fürsich als ein Sein, das der Negation als distanzschaffendes Element innerhalb seiner Struktur bedarf, um überhaupt als Fürsich existieren zu können, dasjenige Sein darstellen kann, das sein eigenes ›Nichts‹ nichtet, damit es sich als Fürsich konstituieren kann. Laut Sartre ist ›das Nichts‹ »die Infragestellung des Seins durch das Sein«418. Demnach stellt sich das Fürsichsein stets selbst in Frage, indem es, um als Bewusstsein existieren zu können, die Seinsweise des Ansichseins stetig von sich negiert, da es sich nur durch diesen ›nichtenden Akt‹, den Sartre als »ontologischen Akt«419 bezeichnet, offenbart. Insofern kann gesagt werden, dass es dem Fürsichsein in seinem Sein um sein eigenes ›Nichts‹ geht. Als Sein des Bewusstseins ist es dasjenige Sein, das als Einheit von Sein und Nichts vorgestellt werden muss. Diese Struktur deutet jedoch bereits darauf hin, dass das Fürsichsein sich in Beziehung zum Ansichsein konstituiert. Denn ›das Nichts‹, das innerhalb der Struktur des Fürsichseins aufgewiesen worden ist, fungiert durch die Nichtung der Seinsweise des Ansichseins als Moment der Selbstbestimmung des Fürsichseins. Durch diese Nichtung der Seinsweise des Ansichseins, um sich in seiner eigenen Seinsweise zu begründen, befindet sich das Fürsichsein jedoch in Abhängigkeit vom Ansichsein, wie im Folgenden zu präzisieren sein wird420. Indem das Fürsichsein sich gemäß der hier vorgestellten Konzeption allein im ›nichtenden Akt‹ offenbart und somit als Einheit von Sein und Nichts anzusehen 415 Vgl. EN, 120. 416 EN, 121: »son existence d’emprunt«. 417 Vgl. ebd.: »Le n¦ant est la mise en question de l’Þtre par l’Þtre, c’est-—-dire justement la conscience ou pour-soi.« 418 Ebd. 419 Ebd.: »Cet acte perp¦tuel par quoi l’en-soi se d¦grade en pr¦sence — soi, nous l’appellerons acte ontologique.« 420 Durch die aufgewiesene Möglichkeit, die Seinsweise des Ansichseins, d.i. der Identität, zu negieren, ist das Fürsichsein, wie oben in Kapitel 3.4.3 bereits angedeutet, ebenfalls nur in der Lage, sich in Bezug auf seine Seinsweise der Nicht-Identität selbst zu bestimmen.

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ist, wird deutlich, dass es aufgrund dieser Struktur als Sein, das das ist, was es nicht ist und nicht das ist, was es ist421, vorgestellt werden kann und so vordergründig der durch den Aufweis der Negatitäten sowie der Möglichkeit der ›Unaufrichtigkeit‹ geforderten Grundlage zu entsprechen scheint. Dennoch ist in Sartres Darlegung nicht zu sehen, wie sich die oben gestellte Frage nach der Explikation der Möglichkeit des Fürsichseins, als Sein zu fungieren, das den ›nichtenden Akt‹, der konstitutiv für seine Struktur ist, selbst vollzieht, beantworten lässt. Sartre unterscheidet so zwar zwischen dem ›Nichts‹ als distanzschaffendem Moment innerhalb der Struktur des Fürsichseins und dem ›nichtenden Akt‹ eines Seins, der zu jenem korrelativ sein muss422, doch seine Konzeption des Fürsichseins gründet in der nicht weiter erläuterten These, dass das Fürsichsein als Grund der Möglichkeit des ›Nichts‹ und das ›Nichts‹ als konstitutives Element der Struktur des Fürsichseins vorgestellt werden müsse423. Dieses Paradoxon bleibt auch in den folgenden Ausführungen in L’§tre et le n¦ant bestehen, wenn Sartre das Verhältnis von Fürsichsein zu Ansichsein erörtert und die Fähigkeit des Fürsichseins, den ursprünglichen ›nichtenden Akt‹ zu vollziehen, mit der Freiheit des Subjekts gleichsetzt424. Im Folgenden ist die innere Struktur des Fürsichseins, die von Sartre als diejenige des präreflexiven Cogito aufgewiesen worden ist, in Hinblick auf die Möglichkeit der intentionalen Struktur des Bewusstseins als Fürsichsein herauszustellen. Erstere stellt die Bedingung für Letztere dar. Dementsprechend soll sich zeigen, dass das ursprüngliche Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein bereits in ihr angelegt ist. Der hier dargestellte Aufweis des Negativen als konstitutives Moment der inneren Struktur des Fürsichseins sowie die Analyse seiner Funktion sind daher für die Explikation dieses ›ursprünglichen Verhältnisses‹ grundlegend.

421 Diese Forderung Sartres lautet wörtlich: »La condition de la possibilit¦ de la mauvaise foi, c’est que la r¦alit¦-humaine, dans son Þtre le plus imm¦diat, dans l’intrastructure du cogito pr¦r¦flexif, soit ce qu’elle n’est pas et ne soit pas ce qu’elle est.« EN, 108. Hervorhebung im Text. 422 Vgl. dazu die entsprechende Feststellung Gerhard Seels: »Das ›Nichts‹ tritt also in der Struktur zweimal auf: einmal als unterschiedenes Moment (n¦ant n¦antis¦) und einmal als unterscheidendes Prinzip (pouvoir n¦antisant).« Seel, 96. Hervorhebung im Text. 423 Zu diesem Problem findet sich bei Betancourt folgende treffende Bemerkung: »So stehen wir vor der merkwürdigen Situation, dass das Fürsich als das durch das Nichts (n¦ant) Hervorgerufene und das Nichts (n¦ant) seinerseits als das durch das Fürsich Bewirkte erscheint.« Betancourt 1977, 106. 424 Dieser ›ursprüngliche nichtende Akt‹ soll, dem Aufweis der Bedingungen der ›Negatitäten‹ und der ›Unaufrichtigkeit‹ gemäß, jegliche Negation begründen. Er eröffnet die Möglichkeit zur Distanznahme gegenüber einem bestimmten Weltzusammenhang. Diese Möglichkeit zur Distanznahme bezeichnet Sartre als ›Freiheit des Subjekts‹. Vgl. dazu: EN, 61 u. 65 sowie: [Pothast, Freiheitsbeweise] 93f.

4.

Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Der dargelegten Argumentation gemäß stellt das Fürsichsein durch seine innere Struktur einen von dem des Ansichseins unterschiedenen Seinstyp vor. Es negiert die dem Ansichsein eigene Seinsweise, in vollständiger Koinzidenz mit sich zu existieren, und konstituiert auf diese Weise die für die Möglichkeit des Selbstbezuges notwendige ›Anwesenheit bei sich‹ des Bewusstseins. Diese Konzeption des Bewusstseins gilt es in Hinblick auf die Möglichkeit der Transzendenz als Beziehung zwischen dem bewussten Subjekt und der Welt, die das Verhältnis der beiden Seinstypen Fürsichsein und Ansichsein in ausgezeichneter Weise ausdrückt, zu präzisieren.

4.1

Das Fürsichsein als Mangel an Ansich

Sartre knüpft an die oben resümierte Argumentation an, indem er aufzuzeigen versucht, dass das Fürsich sich durch die Nichtung des Ansich, d. h. der Seinsweise des Ansichseins425, selbst als Mangel an Sein [d¦faut d’Þtre]426 bestimmt. Dies soll einerseits das Ergebnis der genannten Argumentation verdeutlichen, dass das Fürsich sich stets selbst dazu bestimmt, das Ansich nicht zu sein, und andererseits aufzeigen, dass das Fürsich sich nur »vom An-sich her und gegen das An-sich begründen kann«427. So stelle der »nichtende Akt« des Fürsich eine »Seinsnichtung« [n¦antisation d’Þtre] dar, welche somit als ursprüngliche Verbindung zwischen dem Sein des Fürsich und dem Sein des Ansich anzusehen sei. Wie ist diese »Seinsnichtung« zu verstehen? Zunächst ist es für ein angemessenes Verständnis der sartreschen Konzeption 425 Gemeint ist, dass das Bewusstsein, um als Bewusstsein existieren zu können, gemäß der vorangegangenen Argumentation die Beschreibbarkeit durch den Seinstypus des Ansichseins von sich ausschließen muss, indem es die Seinsweise des durch diesen Seinstyp beschriebenen Seins negiert. 426 EN, 128. 427 SN, 128 bzw. EN, 128. Dies gilt auch für nachfolgendes Zitat.

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des Bewusstseins wesentlich, darauf hinzuweisen, dass das Sein des Bewusstseins im Sinne von Existenz und folglich auch das Sein des Fürsichseins hier von Sartre keineswegs in Frage gestellt wird. In dem »La facticit¦ du pour-soi«428 überschriebenen Kapitel stellt er vielmehr die für seine Konzeption des Bewusstseins entscheidende Grundannahme, die dieser logisch vorhergeht, heraus, dass das Fürsich »ist«, insofern es »Anwesenheit bei der Welt« [pr¦sence au monde] ist, d. h. in einer Situation gegenüber der Welt steht, der es ausgeliefert ist [d¦laiss¦ dans une »situation«]429. Wenn also vor dem Hintergrund dieser Grundannahme von Bewusstsein gesprochen werden kann, erfasse sich das Bewusstsein durch diese Struktur immer schon als existierendes im Sinne von ›bei der Welt anwesendes‹ Sein. Dies hat Sartre bereits durch die Exposition des Bewusstseins als Einheit seiner beiden Strukturmomente herausgestellt. Letztere sollen hier eine formale Charakterisierung erfahren, um dieser Konzeption Kohärenz zu verleihen430. Wie gesehen bestimmt sich das Bewusstsein ferner durch seine Struktur in seiner Seinsweise, indem es die Seinsweise des Ansichseins, in Koinzidenz mit sich zu existieren, von sich negiert. Um diesen ›nichtenden Akt‹, durch dessen ständigen Vollzug es sich offenbart, zu vollziehen, muss es jedoch bereits existieren. Negation kann Sartres Argumentationsgang gemäß nur durch ein Sein vollzogen werden, da sie aus sich selbst heraus nichts [rien]431 sei. Das Bewusstsein bestimmt sich somit in seiner Seinsweise, als Fürsichsein zu existieren ›durch sich‹. Das Fundament seines Seins, d. h. die Ursache seiner ›Anwesenheit bei der Welt‹ kann es jedoch aus sich selbst heraus nicht begründen. Um dies leisten zu können, müsste es bereits in Distanz zu sich existieren. Dies verwiese wiederum auf einen ›nichtenden Akt‹, der jedoch, wie erläutert, nur von einem Sein vollzogen werden kann432. Dementsprechend muss das Bewusstsein seine ›Anwesenheit bei der Welt‹ als ein »nicht zu rechtfertigendes Faktum« [un fait injustifiable]433 begreifen, da es sein Sein auch nicht von einem anderen Sein empfangen kann434. Denn dieses andere Sein müsste folgerichtig als dem Seinstypus des Ansichseins zugehörig vorgestellt werden und könnte demnach durch seine Struktur weder sich selbst noch etwas anderes in 428 EN, 121ff. Dies gilt auch für nachfolgendes Zitat. 429 EN, 122; Hervorhebung im Text. Mit dem Ausdruck, »einer Situation ausgeliefert zu sein« bezieht sich Sartre bereits auf die im Folgenden aufzuweisende Kontingenz des Seins des Fürsichseins, das sich bzgl. der Faktizität seiner Existenz nicht selbst bestimmen kann, ihr jedoch durch die Selbstbestimmung seiner Seinsweise verantwortlich einen Sinn geben können soll (EN, 127). Letztere Argumentation führt auf das bereits angedeutete Thema der Freiheit in der sartreschen Philosophie der Subjektivität. 430 Vgl. oben, Kapitel 3.4.2 dieser Arbeit. 431 Vgl. dazu nochmals: EN, 121. 432 Vgl. EN, 123. 433 EN, 122 und vgl. dazu auch: Betancourt 1977, 107. 434 EN, 123; und vgl. dazu auch oben, Kapitel 3.4.3.

Das Fürsichsein als Mangel an Ansich

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seinem Sein begründen. Dennoch muss dem Fürsichsein dieses Sein, das durch die ›Anwesenheit bei der Welt‹ oder durch das ›Stehen in Situation‹ ausgedrückt wird, durch das oben genannte Argument zukommen, um als Fürsichsein existieren zu können. Das Fürsichsein stellt somit in seinem Sein lediglich eine »faktische Notwendigkeit«435 dar, die sich, im Gegensatz zu einer »absoluten Notwendigkeit«, zwar in ihrer Seinsweise, ›bewusst zu sein‹ aus sich selbst heraus begründet, ihr Sein, d.i. ihre ›Anwesenheit bei der Welt‹, jedoch nicht begründen kann. Dieses ›Faktum‹ als notwendiges Moment des Fürsich, das sich jedoch nicht durch seine Struktur begründen lässt, bezeichnet Sartre wiederum als eine Seinsweise des Ansich. Sie kommt dem Fürsichsein insofern zu, als sie sein »Dasein«436 ausdrückt, welches gleich dem Sein der innerweltlichen Gegenstände »vollständig kontingent«437 ist. Das Sein des Fürsichseins ist demnach durch Kontingenz charakterisiert, welche eine Seinsweise des Ansich darstellt. Sie begründet die Faktizität des Fürsichseins, welches insofern in seinem Sein durch die Seinsweise eines von ihm verschiedenen Seins bestimmt wird. Sartre folgert daraus, dass das Fürsichsein in seiner Faktizität stets an das Ansich gebunden bleibt, da es sich von der Seinsweise der Kontingenz, die diesen Seinstyp auszeichnet, nicht lossagen kann438. Hier liegt folgende Interpretationsschwierigkeit: Um sich in seiner Seinsweise durch sich selbst zu begründen und somit den von dem des Ansichseins unterschiedenen Seinstypus des Fürsichseins vorzustellen, muss das Bewusstsein die Seinsweise des Ansichseins negieren und so 435 EN, 127: »[…] le pour-soi n’a qu’une n¦cessit¦ de fait, c’est-—-dire qu’il est le fondement de son Þtre-conscience ou existence, mais qu’il ne peut en aucun cas fonder sa pr¦sence.« Hervorhebung im Text. Der Begriff existence bezieht sich hier auf die Seinsweise als Bewusstsein zu existieren und, wie das Zitat selbst deutlich macht, keinesfalls auf seine Existenz im Sinne der ›Anwesenheit bei der Welt‹. 436 Sartre verwendet diesen heideggerschen Terminus zur Bezeichnung des menschlichen ›Inder-Welt-Seins‹ an dieser Stelle nicht. Er bezieht sich jedoch explizit auf die heideggersche Daseinsanalytik (vgl. EN, 122). Zu diesem Bezug sei hier der Hinweis gegeben, Übereinstimmungen und Unterschiede der beiden Autoren sollen im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht herausgestellt werden. Vgl. zu der sartreschen Wahl dieses Begriffes auch: Hartmann 1963, 65 sowie die Auffassung Betancourts, »daß die unmittelbaren Strukturen des sartreschen Fürsich eine fast vollständige Entsprechung mit den ›Existentialien‹ der Daseinsanalytik Heideggers aufweisen.« Betancourt 1977, 107. Dieser Hinweis wird von Betancourt jedoch nicht eigens ausgeführt. 437 Vgl. EN, 124 und 22f., im Besonderen die Fußnote Sartres, in der er zu Beginn seiner Ausführungen bereits andeutet, dass das Bewusstsein die Ursache seiner Seinsweise sei, sein Sein jedoch nicht begründen könne: »Cela ne signifie nullement que la conscience est le fondement de son Þtre. Mais au contraire, comme nous le verrons plus loin, il y a une contingence pl¦niÀre de l’Þtre de la conscience.« 438 EN, 125: »Cette contingence […] de l’en-soi qui hante le pour-soi et le rattache — l’Þtre-ensoi, […] c’est que nous nommerons la facticit¦ du pour-soi.« Hervorhebung im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

von sich ausschließen. Diese Negation kann sich jedoch nicht auf die ›Anwesenheit bei der Welt‹ des Fürsichseins beziehen, ohne die es nicht existieren könnte. Eine ›ursprüngliche Kontingenz‹ bleibt daher innerhalb des Fürsichseins stets bestehen. Es kann diese Seinsweise des Ansich folglich nicht vollständig von sich ausschließen und soll doch einen eigenen Seinstyp vorstellen, der sich durch ›Seinsnichtung‹ als ›Mangel an Sein‹ auszeichnen soll. Es bleibt folglich zu explizieren, worin dieser ›Mangel an Sein‹ besteht. Da die Kontingenz als Seinsweise des Ansich in der Faktizität des Fürsich bestehen bleiben muss, lässt sich der ›Mangel an Sein‹ nicht mit einem ›Mangel an Existenz‹ gleichsetzen, sondern ist vielmehr als ›Mangel an einer bestimmten Existenz- oder Seinsweise‹ zu verstehen. Es ist der Mangel an der Seinsweise des Ansich, in Koinzidenz mit sich zu existieren, d.i. ein Mangel an Identität mit sich. Insofern bezieht sich der ›Mangel an Sein‹ auf die von Sartre bereits in der Struktur der ›Anwesenheit bei sich‹ aufgewiesene ›Seinsnichtung‹ des Ansich, durch die das Fürsichsein sich als Fürsichsein bestimmt. Sartre spricht im Folgenden von einem ›Mangel an Ansich‹, der das Fürsichsein auszeichne und an den es sich in seiner Struktur selbst setze, indem es sich fortwährend dazu bestimme, nicht Ansich zu sein.439 Insofern begründet sich das Fürsich folgerichtig stets gegen das Ansich, so dass die in diesem aufgewiesenen Zusammenhang zu verstehende ›Seinsnichtung‹ als ursprüngliche Verbindung zwischen Fürsichsein und Ansichsein angesehen werden kann. Sie offenbart sich in der ›Anwesenheit bei sich‹ und kann somit in der Struktur des präreflexiven Cogito aufgewiesen werden. Dieser Aufweis soll es im Folgenden ermöglichen, aus der Mangelstruktur des Fürsich den Ursprung seiner Transzendenz und damit seine intentionale Struktur, die Sartre bisher als eine von der husserlschen Phänomenologie übernommene Grundannahme in seiner Konzeption des Bewusstseins vorgestellt hat, formal zu begründen440. Diese Argumentation beruht auf der Definition des Mangelbegriffs, die Sartre im Folgenden auf der Basis der Unterscheidung zwischen »äußerer« und »innerer Negation«441 vorstellt: Im Unterschied zu einer »äußeren Negation«, die die Ausschlussbeziehung der Form: A ist nicht B zweier voneinander unabhängiger Relata darstelle, die lediglich durch einen Zeugen hergestellt werden könne, da beide Relata in ihrer Struktur weder von dieser Beziehung abhängig sind noch durch sie modifiziert werden, stehe eine »innere Negation«, die eine Beziehung zweier Relata ausdrücke, in der sich ein Relat durch diese negative Beziehung zu dem anderen Relat in seinem Sein 439 Vgl. EN, 128: »[…] le pour-soi […] se d¦termine perp¦tuellement lui-mÞme — n’Þtre pas l’en-soi.« Hervorhebung im Text. Und vgl. dazu auch: EN, 132: »Il ne faudrait pas confondre, toutefois, cet en-soi manqu¦ avec celui de la facticit¦.« 440 Vgl. EN, 128. 441 Ebd.: »n¦gation externe […] n¦gation interne«. Vgl. auch: EN, 223.

Das Fürsichsein als Mangel an Ansich

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qualifiziere und diese Beziehung notwendig in ihre Struktur einbeziehen müsse. Dem Relat A dieser Beziehung komme es demnach wesensmäßig zu, nicht B zu sein. A könne sich nur über den Ausschluss von B als A definieren. Nur im Falle der hier vorgestellten »inneren Negation« lasse sich die durch sie aufgestellte Beziehung der beiden Relata als Ausdruck einer Mangelstruktur beschreiben, da A durch die Abwesenheit von B qualifiziert werde442. Als Mangel definiert Sartre im Folgenden eine Relation, die auf der Basis der »inneren Negation« beruht und drei Momente umfasst: Es handelt sich zum einen um das Mangelnde [manquant]443, zweitens um das Existierende [existant], dem etwas mangelt, und drittens um das Verfehlte [manqu¦], d.i. die Totalität, die durch den Mangel »aufgelöst« wurde [qui a ¦t¦ d¦sagr¦g¦e par le manque] und durch die ›Synthese‹444 von Existierendem und Mangelndem wiedererlangt würde. Es ist offensichtlich, dass Sartre die ›Seinsnichtung‹, d.i. die Nichtung des Ansich, durch die sich das Fürsich als Fürsich bestimmt, durch die Erläuterung des Unterschiedes zwischen »äußerer« und »innerer Negation« zu verdeutlichen sucht. Durch ihre aufgewiesene Struktur wird sie dem Typus der »inneren Negation« zugeordnet und die Mangelstruktur des Fürsich durch sie expliziert. Wie lassen sich die drei Momente, die eine solche Struktur gemäß der von Sartre aufgestellten Definition des Mangelbegriffs beinhalten muss, in der Struktur des Fürsichseins aufweisen? Das Fürsichsein in seiner Faktizität, d.i. in seiner ›Anwesenheit bei der Welt‹ stellt das Existierende dar. Um als Fürsichsein existieren zu können, muss es, nach den vorangegangenen Erläuterungen, die Koinzidenz als Seinsweise des Ansich von sich negieren. Es mangelt ihm folglich an Koinzidenz mit sich. Das Verfehlte ist demnach eben diese Koinzidenz, als Totalität verstanden, die durch den Mangel, d.i. die genannte ›Seinsnichtung‹, aufgelöst wird. Das Fürsichsein verfehlt in seiner Struktur, durch die es sich als Fürsichsein begründet, sich selbst als Identität mit sich. Hier wird nochmals deutlich, dass das Fürsichsein, indem es sich als Fürsichsein begründet, kein beliebiges Ansich von sich negiert, sondern sein eigenes Sein an sich, das dadurch bestimmt wäre, als Identität mit sich zu existieren. Dasjenige, was das Fürsichsein folglich in seiner Struktur verfehlt, ist sein »Sich – oder Sich-selbst als An-sich«445. 442 EN, 129: »De toutes les n¦gations internes, […] celle qui constitue dans son Þtre l’Þtre dont elle nie avec l’Þtre qu’elle nie, c’est le manque.« Hervorhebungen im Text. 443 Ebd. Diese Angabe gilt auch für die folgenden in dieser Definition zitierten Begriffe. 444 Ebd. Betancourt übersetzt und schreibt an entsprechender Stelle: »[…] das Ermangelte (manqu¦), das die Totalität repräsentiert, die durch den Mangel zerstört worden ist und die durch die Synthese von Mangelndem und Bestehendem wiederhergestellt werden sollte«, Betancourt 1977, 111. Hervorhebung im Text. 445 Vgl. EN, 132: »Ce que le pour-soi manque, c’est le soi – ou soi-mÞme comme en-soi.« Es handelt sich folglich nicht um ein Ansich, das gemäß der bisherigen Exposition dieses Seinstyps eine gegenüber dem Fürsich autonome Entität darstellte. Es handelt sich hier

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Das Verfehlte stellt demnach dasjenige Moment innerhalb der Mangelstruktur dar, das als Totalität den Hintergrund bildet, auf dem der Mangel erscheint. Das Existierende, das die ›Seinsnichtung‹ selbst vollzieht, um sich als Fürsichsein zu konstituieren, überschreitet sich [se d¦passe]446 auf diese Totalität hin und erfasst sich dadurch selbst als Mangel. Zugleich offenbart sich dasjenige, das ihm mangelt, um als Totalität, d. h. als ›Sich‹ im Sinne von Ansich existieren zu können. Daher kann gesagt werden, dass sich das Fürsichsein durch diese Struktur als sein eigener Mangel [son propre manque]447erfasst. Hier wird nochmals deutlich, dass das Fürsichsein als »Mangel an Ansich« in unmittelbarer synthetischer Verbundenheit mit demjenigen existiert, das es verfehlt und sich deshalb in seiner Seinsweise stets als unvollständiges Sein erfasst448. Die so innerhalb der Mangelstruktur des Fürsich aufgewiesene Überschreitung des Fürsich auf Koinzidenz mit sich ist demnach folgendermaßen zu verstehen: Die Koinzidenz mit sich kann durch diese Überschreitung des Fürsich keinesfalls realisiert werden. Das Fürsich würde sich andernfalls als Fürsich, d.i. als »Mangel an Ansich«, verlieren449. Die Mangelstruktur erweist sich jedoch als konstitutiv für die Möglichkeit des Fürsichseins. Insofern stellt die Überschreitung des Fürsich auf die dieser Mangelstruktur zugrunde liegende Totalität hin lediglich die Basis dar, auf der sich das Fürsichsein als sein eigener Mangel erfasst. Dies geschieht auch dadurch, dass sich in dieser Überschreitung zugleich dasjenige offenbart, das ihm mangelt. Aufgrund der Unrealisierbarkeit dieser Totalität wird zudem deutlich, dass Letztere ein für das Fürsichsein unerreichbares Ideal darstellt, das Sartre als ›Wert‹ [la valeur]450 bezeichnet. Dieser ist in der Struktur des Fürsichseins insofern anwesend, als er dem Fürsichsein stets als dasjenige vorschwebt, auf das hin es sich zu überschreiten hat, um als Fürsichsein zu existieren. Der Wert stellt somit das ›Für‹451 im Sinne von ›Woraufhin‹452 dieser Überschreitung dar, durch deren Vollzug sich das Für-sichsein als Für-sich-Sein bestimmt. Durch die Präzisierung dieser Struktur wird die von Sartre gewählte und bis zu diesem Punkt seiner Darlegung kaum erläuterte Bezeichnung für diesen dem Bewusstsein eigenen Seinstyp verständlich453. Sein

446 447 448 449 450 451 452 453

vielmehr um das Sein des Fürsich, insofern es nicht für sich, sondern an sich, d. h. in Koinzidenz mit sich existieren würde. Vgl. zu diesem Aufweis auch: Betancourt 1977, 112. EN, 132. Ebd. Vgl. ebd.: »[…] elle [la r¦alit¦ humaine] existe […] comme manque et en liaison synth¦tique imm¦diate avec ce qu’elle manque.« [Hervorhebung der Verfasserin] Vgl. EN, 133. EN, 136. EN, 137: »[…] la valeur […] est l’au-del— et le pour de la transcendance.« Hervorhebung im Text. Diese treffende Deutung findet sich bei Betancourt 1977, 117. Vgl. auch die von Sartre im Rahmen dieser Erläuterung gebrauchte Wendung: »l’Þtre-pourla–valeur«. (EN, 138) Hervorhebung im Text. Die Wahl des Wertbegriffs als Bezeichnung

Das Fürsichsein als Mangel an Ansich

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Sein an sich ist innerhalb des Fürsichseins stets gegenwärtig als Sein, das das Fürsichsein von sich negiert und sich durch diese Negation als Fürsichsein konstituiert. Es beansprucht sein Sein an sich, um als Fürsichsein zu existieren. In dieser Struktur bilden Fürsichsein und sein Sein an sich ein Paar454. Mit dem Aufweis dieser dem Bewusstsein als Fürsichsein eigentümlichen Struktur des Mangels ist abermals herausgestellt, dass es sich als Fürsichsein stets von einem Ansich her und gegen ein Ansich begründet, das als sein eigenes Sein an sich präzisiert werden kann. Diese Präzisierung ist als Ergänzung zu dem Aufweis der ›Seinsnichtung‹ zu verstehen, durch die sich die ›Anwesenheit bei sich‹ als Grundstruktur des präreflexiven Cogito konstituiert. In ihr liegt die ursprüngliche Beziehung zwischen Fürsichsein und Ansichsein, die eine negative Beziehung des Typs der ›inneren Negation‹ darstellt. Sie offenbart sich jedoch zugleich als ursprüngliche Transzendenz zu einem Sein an sich, auf deren Grundlage sich das Fürsichsein als Fürsichsein erfasst. Folglich stellt das Fürsichsein durch seine Struktur der ›Anwesenheit bei sich‹, in der Sartre darüber hinaus den Ursprung von Negation und Transzendenz aufweisen konnte, die synthetische Verbindung zwischen beiden Seinstypen dar. Im Folgenden sucht Sartre zu zeigen, dass in dieser aufgewiesenen Transzendenz in der Immanenz des Fürsichseins als ursprünglicher Beziehung zwischen Fürsichsein und Ansichsein, die sich als ›negativ‹ zu bezeichnende Beziehung offenbart hat, bereits ein Verweis auf die Beziehung des Fürsichseins zur Welt und somit zu einem ihm fremden Ansichsein zu konstatieren ist455. So erscheint die genannte Transzendenz innerhalb der Struktur des präreflexiven Cogito, die die Grundlage für die Möglichkeit des Fürsichseins bildet, zudem als Grundlage für die intentionale Struktur des Bewusstseins als Fürsichsein.

für die der aufgewiesenen Mangelstruktur zugrunde liegenden Totalität soll im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden. Es ist jedoch wichtig, festzuhalten, dass Sartre durch diese Struktur die Fähigkeit zum Selbstentwurf, den das bewusste Subjekt der an späterer Stelle folgenden Argumentation gemäß stets vollzieht, bereits formal in die unmittelbare Struktur des Fürsichseins einbindet. 454 EN, 134: »[…] ils font couple.« Hervorhebung im Text. 455 Vgl. dazu die für diese Untersuchung wesentliche Vorausdeutung Sartres: EN, 128: »Mais pr¦cis¦ment c’est la n¦antisation qui est l’origine de la transcendance conÅue comme lien originel du pour-soi avec l’en-soi. Ainsi entrevoyons-nous un moyen de sortir du cogito. Et nous verrons plus loin, en effet, que le sens profond du cogito c’est de rejeter par essence hors de soi.« Hervorhebungen im Text. Vgl. dazu auch folgende Feststellung Betancourts: »So werden wir erkennen, daß der Ursprung der Transzendenz des Fürsich eigentlich in seiner eigenen Immanenz liegt, d. h. in der Anwesenheit des ›soi comme Þtre-en-soi manqu¦‹.« Betancourt 1977, 113. Hervorhebung im Text.

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4.2

Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Das ›Mögliche‹ des Fürsichseins und der ›Entwurf‹

In der von Sartre durch den Aufweis der Mangelstruktur des Fürsichseins herausgestellten Transzendenz des Fürsichseins zu seinem Sein an sich, die sich innerhalb des präreflexiven Cogito und somit innerhalb der Immanenz der unmittelbaren Struktur des Fürsichseins vollzieht, offenbart sich durch eben diesen Vollzug zweierlei: Zum einen offenbart sich die Totalität, die der Mangelstruktur des Fürsichseins zugrunde liegt und in Bezug auf die sich das Fürsichsein in seinem Sein als Mangel bestimmt. Zum anderen offenbart sich in dieser Transzendenz dasjenige, das dem Fürsichsein in Hinblick auf diese Totalität mangelt. Sartre hat dieses Mangelnde als Komplement des Fürsichseins aufgewiesen, das ihm fehlt, um in Koinzidenz mit sich zu existieren. Dieses Komplement des Fürsichseins sucht Sartre im Folgenden in seiner Seinsweise zu begreifen, um mit Hilfe ihrer Bestimmung die Struktur des Fürsichseins in Hinblick auf seine Beziehung zur Welt zu verdeutlichen. Dasjenige, das dem Fürsichsein fehlt, um in Identität mit sich zu existieren, muss in seiner Seinsweise ebenfalls dem Seinstyp des Fürsichseins entsprechen, da sich das Fürsich auf dem Hintergrund dieser ihm in seiner Struktur als Fürsichsein vorschwebenden Identität als sein »eigener Mangel«456 erfassen muss. Sein Mangelndes kann somit keinem anderen Seinstyp als dem des Fürsichseins selbst angehören. Aus dieser Folgerung ist weiterhin ersichtlich, dass das Mangelnde des Fürsichseins kein diesem Fürsich fremdes Fürsichsein sein kann, das es nicht ist457. Dies wäre in Hinblick auf die Identitätsbeziehung, die der Mangelstruktur des Fürsichseins zugrunde liegt und auf die hin sich das Fürsichsein überschreitet, unverständlich. Das Fürsich muss das ihm mangelnde Fürsich folglich in irgendeiner Weise sein können. Dies soll in dem bereits angesprochenen Sinne verstanden werden, dass das Fürsich in seiner Mangelstruktur sein ihm mangelndes individuelles Fürsich erfasst und dieses Fürsich in seiner Struktur in der Weise zu sein hat, dass es es nicht ist458. Nur so ist die das Fürsich in seiner Mangelstruktur bestimmende Transzendenz auf die gleich einem Ideal präsente Identität formal möglich. Insofern ist durch diese von Sartre dargestellte Lösung, um das Mangelnde des Fürsich in seiner Seinsweise zu erfassen, abermals zum Ausdruck gebracht, dass das Fürsich in seiner Struktur in besonderer Weise dasjenige sein muss, das es nicht ist, um sich als Fürsichsein bestimmen zu lassen. Sartre bezeichnet dieses dem Fürsich mangelnde Fürsich als das »Mögliche« 456 Vgl. EN, 140: »Ce qui manque donc au pour-soi pour s’int¦grer au soi, c’est du pour-soi.« 457 Ebd.: »[…] le pour-soi manquant est un pour-soi que je suis.« Hervorhebung im Text. 458 Ebd.: »Je suis le pour-soi manquant sur le mode d’avoir — Þtre le pour-soi que je ne suis pas, pour m’identifier — lui dans l’unit¦ du soi.«

Das ›Mögliche‹ des Fürsichseins und der ›Entwurf‹

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des Fürsich [le possible du pour-soi]459. Es erscheint oben genannter Erläuterung gemäß auf der Grundlage der ›Seinsnichtung‹, die das Fürsichsein in seiner Mangelstruktur konstituiert. Das bedeutet, dass es nicht erst durch das Fürsichsein zur Erlangung der Identität mit sich gesetzt wird, nachdem es sich in seiner Struktur als Mangel erfasst hat. Die ursprüngliche Transzendenz des Fürsich auf die ihm in seiner Mangelstruktur vorschwebende Totalität soll vielmehr einen »Identifizierungsentwurf« [projet d’identification]460 des Fürsich mit seinem Möglichen ausdrücken. Dieses Mögliche wird abermals als Komplement des Fürsich in Hinblick auf die Totalität aufgewiesen. In diesem Identifizierungsentwurf erscheint das dem Fürsich mangelnde Komplement als dasjenige, das das Fürsich auf der Grundlage der Totalität noch nicht ist und durch den genannten Entwurf erst werden soll461. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass das »Mögliche« des Fürsich aufgrund dieses Entwurfes als »Mögliches« des Fürsich erscheint. Es darf nicht mit der diesem Entwurf zugrunde liegenden Totalität, die ein für das Fürsich als Für-sich-Sein unerreichbares Ideal vorstellt, gleichgesetzt werden. Durch die Verwirklichung des »Möglichen« wird die Totalität deshalb nicht erreicht, weil sich das Fürsichsein durch den ständigen Vollzug der ›Seinsnichtung‹, um sich als Fürsichsein zu erhalten, stets einen neuen »Horizont« eröffnet, auf dem wiederum ihm »Mögliches« erscheint462. Aus dieser Bestimmung des aus der Mangelstruktur des Fürsichseins abgeleiteten Komplements als das ›Mögliche‹ des Fürsichseins glaubt Sartre zeigen zu können, dass das Fürsichsein dieses ihm ›Mögliche‹ nur im Rekurs auf die Welt als ›Mögliches‹ erfassen kann463. Die Beziehung des Fürsichseins zur Welt lasse sich somit in der durch seine Struktur geforderten Bestimmung des ›Möglichen‹ als sein ›Mögliches‹, das es in der Weise ist, es (noch) nicht zu sein, aufweisen. Dieser Aufweis ist jedoch nicht unproblematisch. Ihm liegt das sartresche 459 EN, 140f. 460 EN, 140. 461 Hier findet sich bereits der Bezug zur Zeitlichkeit, die, wie Sartre an späterer Stelle aufzuweisen versucht, ebenfalls in die Struktur des Fürsichseins eingebunden werden muss. Diese Argumentation wird im folgenden Teilkapitel zusammenfassend dargestellt. 462 EN, 146: »On sait de reste que la concidence du soi est impossible car le pour-soi atteint par la r¦alisation du possible se fera Þtre comme pour-soi, c’est-—-dire avec un autre horizon de possibles.« In diesem Zusammenhang lässt sich zum einen in Hinblick auf die von Sartre vorgestellte pluralische Verwendung des Begriffs»possible« und zum anderen in Hinblick auf die Tatsache, dass Sartre in seinen folgenden Ausführungen nicht immer begrifflich klar zwischen »le possible« und »la possibilit¦« unterscheidet, erwägen, diesen Begriff unter Berücksichtigung des von Sartre Gemeinten mit dem Begriff der Möglichkeit als »die Möglichkeiten« des Fürsich zu übersetzen, wobei deutlich zu machen ist, dass es sich hier nicht um die Möglichkeit der Existenz des Fürsichseins handelt. Traugott König verfährt in seiner Übersetzung in dieser Weise. Vgl. dazu: SN, 146ff. 463 Vgl. EN, 142: »[…] le possible ne saurait se r¦duire — une r¦alit¦ subjective.«

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Verständnis von dem Begriff des ›Möglichen‹ zugrunde, welches folgender Erklärung bedarf: Zunächst hat das ›Mögliche‹ seinen Ursprung gemäß der aufgewiesenen Struktur des Fürsichseins in der Subjektivität. Da sich die Transzendenz des Fürsich zu der ihm vorschwebenden Totalität des ›Sich‹ jedoch in der Immanenz vollzieht, taucht das ›Mögliche‹ als Komplement des Fürsich innerhalb dieser formalen Struktur ebenfalls als bloß formal Bestimmtes auf. Dieses in dieser Weise formal bestimmte ›Mögliche‹ des Fürsichseins, das als Mittel zur Erlangung der Identität mit sich vorgestellt wird, bliebe somit jedoch inhaltlich unbestimmt. In dieser Unbestimmtheit lässt es sich laut Sartre jedoch nicht als ›Mögliches‹ erfassen464. Dies gelinge nur, indem sich das Fürsichsein auf die Welt hin überschreite465. Diese Argumentation, die suggeriert, dass das Fürsich als ›Mögliches‹ ein notwendiges Korrelat in der Welt aufweisen müsse, ohne das es nicht als ›Mögliches‹ zu erfassen sei, ist nur in Hinblick auf die von Sartre als ›Faktizität des Fürsich‹ beschriebene ›Anwesenheit bei der Welt‹ zu verstehen, durch die bereits das ›Situiert-Sein‹ des Fürsich in der Welt herausgestellt wurde. Sie fungiert in Sartres Konzeption zwar letztlich als Grundannahme für die Darlegung der Beziehung zwischen bewusstem Subjekt und Welt, ist jedoch von Sartre auch durch die Struktur des Fürsichseins selbst als notwendiges Moment derselben aufgewiesen worden466. Hier greift Sartre implizit auf diese ›Anwesenheit bei der Welt‹ zurück, um die Überschreitung des Fürsich auf die Welt, durch die es sein ›Mögliches‹ inhaltlich füllt und somit als ihm ›Mögliches‹ begreift, plausibel zu machen. Da das Fürsichsein durch seine Faktizität stets als ›InSituation-Sein‹ begriffen wird, ist Sartres Argumentation, dass das ›Mögliche‹ des Fürsichseins sein Korrelat in der Welt als seine inhaltliche Bestimmung aufweisen muss, damit es sich als ›Mögliches‹ erfassen lässt, nur vor diesem Hintergrund verständlich. Denn das ›Mögliche‹ des Fürsich muss, der oben dargelegten Bestimmung seiner Seinsweise folgend, ebenfalls ein Fürsich sein, das in der Welt situiert ist. Es erscheint daher dem Fürsich stets in Bezug zu einer innerweltlichen Situation als sein jeweils ›Mögliches‹. In diesem Bezug zu einer jeweils bestimmten innerweltlichen Situation erfährt das ›Mögliche‹ seine inhaltliche Bestimmung. Dies ist der Zusammenhang, in den die sartresche Argumentation hier einzuordnen ist. Sie gibt an dieser Stelle zudem bereits den Ausblick auf den in L’§tre et le N¦ant an späterer Stelle erfolgenden Aufweis, dass die durch das ›Mögliche‹ des Fürsichseins aufgezeigte Beziehung zwischen Fürsichsein und Welt über die reine ›Anwesenheit bei der Welt‹ hinausgeht und 464 Vgl. EN, 143: »Mais pr¦cis¦ment la possibilit¦ ne peut, par essence, concider avec la pure pens¦e des possibilit¦s. […] la pens¦e, de quelque faÅon qu’on l’envisage, ne saurait enfermer en elle le possible comme son contenu de pens¦e.« Hervorhebung im Text. 465 Vgl. ebd.: »[…] la saisie du possible comme tel suppose un d¦passement originel.« 466 Vgl. dazu oben, Kapitel 3.4.

Das ›Mögliche‹ des Fürsichseins und der ›Entwurf‹

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auf ihrer Grundlage zielgerichtete Handlungen des bewussten Subjektes in der Welt möglich sein sollen467. Hier gilt es jedoch zunächst festzuhalten, dass die Welt in dem dargestellten Sinn in den Identifizierungsentwurf des Fürsichseins, den es als Für-sich-Sein stetig vollzieht, einzubeziehen ist. In dem »Le moi et le circuit de l’ips¦it¦«468 überschriebenen Kapitel präzisiert Sartre diese Folgerungen: Dadurch, dass das Fürsichsein in seinem ›Identifizierungsentwurf‹ die Welt auf sein ›Sich‹ überschreitet, zeigt die Erfassung seines ›Möglichen‹ als solches somit auch einen Bezug des Fürsichseins zur Welt als Bewusstsein von der Welt auf. Denn die Beziehung des Fürsichseins auf sein ›Mögliches‹ stelle in diesem Überschreiten der Welt eine reflexive Beziehung des Fürsichseins auf sein ›mögliches‹ Fürsichsein dar, die die als ursprüngliche reflexive Beziehung herausgestellte ›Anwesenheit bei sich’ notwendigerweise nach sich ziehe. Diese zweite reflexive Beziehung bezeichnet Sartre als »Selbstheit« [ips¦it¦]469. Sie soll diejenige Beziehung des Fürsichseins auf ›Sich‹ ausdrücken, in der, im Unterschied zu der ›Anwesenheit bei sich‹, durch das Überschreiten der Welt das Fürsichsein als Bewusstsein von der Welt auftreten muss. Dies sucht Sartre zu verdeutlichen, indem er schreibt, dass die ›Selbstheit‹ einen »fortgeschritteneren Nichtungsgrad« darstelle als die »reine Anwesenheit bei sich« des präreflexiven Cogito. Das ›Mögliche‹ des Fürsichseins sei auf das Fürsichsein vielmehr in der Weise bezogen, dass es durch den aufgezeigten Weltbezug eine sogenannte »abwesende-Anwesenheit« [pr¦sence absente]470 vorstelle. Dennoch beziehe sich das Fürsichsein auf sein ›Mögliches‹ präreflexiv, da es unmittelbar aus der als ›Mangel an Ansich‹ präzisierten Struktur des präreflexiven Cogito hergeleitet werden kann und nicht vom Fürsichsein gesetzt wird471. Da das ›Mögliche‹ jedoch einer inhaltlichen Fassung bedarf, die nur in Rekurs auf die Welt zu leisten ist, muss die Beziehung des Fürsichseins auf sein ›Mögliches‹ eine Überschreitung der Welt seitens des Fürsichseins einschließen.

467 Vgl. dazu vor allem das Kapitel »Sein und Handeln: Die Freiheit« [§tre et faire: la libert¦], EN, 508ff. und abschließend das Kapitel »Moralische Perspektiven« [Perspectives morales], EN, 720ff. Klaus Hartmann stützt diese Interpretation ebenfalls. Siehe Hartmann 1963, 76. 468 EN, 147ff. Dt.: »Das Ich und der Zirkel der Selbstheit«, SN, 147ff. 469 EN, 148. 470 EN, 148: »L’ips¦it¦ repr¦sente un d¦gr¦ de n¦antisation plus pouss¦ que la pure pr¦sence — soi du cogito pr¦r¦flexif, en ce sens que le possible que je suis n’est pas une pr¦sence au pour-soi comme le reflet au refl¦tant, mais qu’il est pr¦sence-absente.« Hervorhebungen im Text. 471 EN, 149: »Mais ce possible qui est pr¦sent-absent non-th¦tiquement — la conscience pr¦sente n’est pas pr¦sent — titre d’objet d’une conscience positionnelle, sinon il serait r¦fl¦chi.« Hervorhebung im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Diese Überschreitung impliziert das Fürsichsein als Bewusstsein von der Welt, von dem es als Fürsichsein wiederum nicht-thetisches Bewusstsein besitzt472. In dieser durch den Aufweis des ›Möglichen‹ des Fürsichseins als sein notwendiges Komplement, das jedoch nur in Bezug auf die Welt realisierbar ist, präzisierten Struktur des Fürsichseins kann Sartre zweierlei aufzeigen: Zum einen wird durch diesen Aufweis die Einheit von thetischem und nichtthetischem Bewusstsein im Bewusstsein als Fürsichsein nochmals herausgestellt. Und zum anderen wird der Intention Sartres folgend gezeigt, dass beide Momente in der Struktur des nicht-thetischen Bewusstseins, d. h. im präreflexiven Cogito, angelegt sind. Das präreflexive Cogito kann somit in dieser Konzeption als Grund der intentionalen Struktur des Bewusstseins und somit als Bedingung jeglicher Erkenntnis angesehen werden. Die ›Anwesenheit bei sich‹ als Grundstruktur des präreflexiven Cogito bildet damit auch die Grundstruktur des Bewusstseins überhaupt. Ihr kommt eine entscheidende Bedeutung zu, da sie das Bewusstsein als Fürsichsein bestimmt und sich seine unmittelbaren Strukturen, d. h. Faktizität, Mangel an Ansich, Totalität und Komplement aus ihr herleiten. Doch stellt sich hier folgendes Problem473 : Der Aufweis des Verhältnisses zwischen Fürsichsein und Ansichsein erfolgt rein formal. Er lässt die Welt stets ›parallel‹ zum Bewusstsein erscheinen, indem das Fürsichsein sein Korrelat in der Welt haben soll, um sein ›Mögliches‹ zu realisieren. Erlaubt eine solche Konzeption jedoch, das konkrete Subjekt in seinem Verhältnis zur konkreten Welt zu erfassen? Das Sein der Welt wird in dieser Konzeption als konstitutiv für die Möglichkeit von Bewusstsein herausgestellt. Doch das innerweltliche Sein kann, aufgrund seiner Struktur als Ansichsein, dem bewussten Subjekt keine Möglichkeiten in Hinblick auf den Selbstentwurf des Subjektes eröffnen. Da Sartre das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein aus der Struktur des präreflexiven Cogito entwickelt, droht seine Konzeption in einem ›bewusstseinstheoretischen Formalismus‹474 zu bestehen. Dieser Gedanke wird nochmals aufgenommen.

472 EN, 148f.: »Le possible, en effet, qui est mon possible, est pour-soi possible et comme tel pr¦sence — l’en-soi comme conscience de l’en-soi.« Hervorhebungen im Text. 473 Klaus Hartmann präzisiert dieses Problem und benutzt in diesem Zusammenhang auch den Begriff der ›Parallelität‹: »[…] erscheint Sartres Lösung für das Verhältnis von Fürsichsein und Welt als nur ›formell‹. Nicht ist der transzendente Gegenpol, die Welt, Gegenstand einer dialektischen Auseinandersetzung. Das Verhältnis zur Welt läuft nur ›parallel‹ mit den subjektiven Strukturmomenten.« Hartmann 1963, 77. 474 Hartmann spricht in diesem Zusammenhang von einem ›subjektiven Formalismus‹. Vgl. ebd.

Das Fürsichsein als Zeitliches

4.3

129

Das Fürsichsein als Zeitliches

In der hier dargestellten Argumentation der Entwicklung der unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins wird insbesondere durch den Aufweis des ›Möglichen‹ eine zeitliche Struktur suggeriert. Denn das Fürsichsein ist sein ›Mögliches‹ in der Weise, es noch nicht zu sein und es erst in der Überschreitung der Welt auf ›sich‹ zu realisieren. Der Aufweis der Zeitlichkeit als Seinsweise des Fürsichseins, den Sartre dem der unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins anschließt, soll die Beziehung des Fürsichseins auf sein ›Mögliches‹ insofern ergänzen, dass er über diese Beziehung hinaus letztlich verständlich macht, warum das Fürsichsein in seiner Struktur widerspruchsfrei als dasjenige Sein vorgestellt werden kann, das ist, was es nicht ist, und nicht ist, was es ist. Die Exposition des Fürsichseins als Zeitliches soll hier zusammenfassend und die dargestellten Erläuterungen ergänzend herausgestellt werden. Sartre legt seiner Argumentation das Verständnis der Zeitlichkeit als synthetischer Ganzheit ihrer Dimensionen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft zugrunde475. Diese drei Dimensionen lassen sich nur vor dem Hintergrund der Zeitlichkeit als Totalität erfassen. Das Fürsichsein soll als Zeitliches aufgewiesen werden können. Folglich muss es in seiner Struktur eine Beziehung zu diesen drei Dimensionen aufweisen, d. h. es muss zu seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und seiner Zukunft als Momente seiner Struktur in Beziehung stehen. Die Beziehung des Fürsichseins zu der Vergangenheit als seiner Vergangenheit expliziert Sartre folgendermaßen: Das Fürsichsein als Zeitliches muss seine Vergangenheit in irgendeiner Weise sein476. Es ist sie in der Weise, sie nicht (mehr) zu sein. Insofern bezieht sich das Fürsichsein auf sie in anderer Weise als auf sein ›Mögliches‹. Die Vergangenheit des Fürsichseins lässt sich als vollzogene Realisierung seines ›Möglichen‹ in der Welt begreifen, bei der es als Für-sich-Sein nicht stehen bleiben kann, sondern sich, wie erläutert, durch den Akt der ›Seinsnichtung‹ stets dazu bestimmt, nicht in Identität mit sich zu existieren, und sich wiederum auf sein durch diese ›Seinsnichtung‹ neu offenbartes ›Mögliches‹ entwirft. Dennoch merkt Sartre folgerichtig an, dass das Fürsich in seiner Vergangenheit mit seinem ›Möglichen‹ in der Weise zusammengefallen ist, dass es ausgeschlossen ist, sein bereits in der Welt realisierter Entwurf nicht 475 Vgl. EN, 150: »La temporalit¦ est ¦videmment une structure organis¦e et ces trois pr¦tendus ›¦l¦ments‹ du temps: pass¦, pr¦sent, avenir, ne doivent pas Þtre envisag¦s comme une collection de ›data‹ dont il faut faire la somme […] mais comme des moments structur¦s d’une synth¦se originelle.« Hervorhebung im Text. 476 EN, 153: »[…] ›mon‹ pass¦ est d’abord le mien, c’est-—-dire qu’il existe en fonction d’un certain Þtre que je suis.« Hervorhebungen im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

zu sein. Insofern existiert das Fürsich in seiner Vergangenheit als ein Ansich. Dieses Ansich wird zwar durch die ›Seinsnichtung‹ überschritten und somit abermals als dasjenige Moment in der Struktur des Fürsichseins aufgewiesen, das dem Fürsichsein ermöglicht, Distanz zu sich einzunehmen. Die folgende Darlegung der beiden anderen Dimensionen der Zeitlichkeit wird aber unterstreichen, dass es eben dieses Moment ist, das das Fürsichsein als Zeitliches begründet. Der Inhalt des seitens des Fürsich in der Welt Realisierten bleibt von dieser ›Seinsnichtung‹ jedoch unberührt. Das überschrittene Ansich der Vergangenheit bleibt in diesem Sinne bestehen und lässt sich als »Faktizität« des Fürsich477 beschreiben, durch die es gleich einer »faktischen Notwendigkeit« an seinen in der Welt realisierten Entwurf gebunden bleibt. In dieser Hinsicht erscheint die Vergangenheit des Fürsich als eine Synthese von Fürsich und Ansich, die dem ›Wert‹ als dem Fürsich vorschwebenden Ideal der Koinzidenz mit sich ähnelt478. Sartre spricht von einem »sich verflüchtigenden Wert der Vergangenheit« [une valeur ¦vanescente du pass¦]479, da das Fürsichsein sich in seiner Vergangenheit durch den aufgezeigten Bezug zum Ansich zwar durch den Akt der ›Seinsnichtung‹ in seiner Seinsweise als Für-sich-Sein begründet, sich zugleich jedoch als Faktizität und Kontingenz begreift. Der eigentliche ›Wert‹ hingegen bezeichnet das Ideal der Koinzidenz mit sich. In ihr würde das Fürsich sein Sein aus sich selbst heraus begründen können, so dass jeder Selbstentwurf und damit die Beziehung zu seinem ›Möglichen‹ sowie jeder Akt der ›Seinsnichtung‹ hinfällig würde. Denn das Fürsich könnte sich so als dasjenige begründen, das es ist, und erfasste sich somit als Notwendiges und nicht als Kontingentes480. Hier wird nochmals deutlich, dass das Fürsich sich als Für-sich verlöre, wenn es das Ideal des Wertes erreichte und ›Sich‹ würde. Bewusstsein kann es durch die notwendige ›Anwesenheit bei sich‹ des nicht-thetischen Bewusstseins (von) sich, das als konstitutives Element des Bewusstseins vorgestellt wurde, jedoch nur als Seinstyp des Für-sich-Seins geben. Hier sei auf die erwähnte Schlüsselrolle der ›Anwesenheit bei sich‹ verwiesen, die dadurch, dass sie die Distanz des 477 Vgl. EN, 162: »L’en-soi d¦pass¦ demeure et […] hante [le pour-soi] comme sa contingence originelle.« [Ergänzung der Verfasserin] und ebd.: »Le Pass¦, en effet, comme la Facticit¦, c’est la contingence invuln¦rable de l’en-soi que j’ai — Þtre sans aucune possibilit¦ de ne l’Þtre pas. C’est l’in¦vitable de la n¦cessit¦ de fait, non — titre de n¦cessit¦ mais — titre de fait.« Vgl. dazu auch die vorangegangenen Erläuterungen zur Faktizität des Fürsich als seine ›Anwesenheit bei der Welt‹. 478 EN, 163: »[…] le pass¦ qui est — la fois pour-soi et en-soi ressemble — la valeur ou soi.« Hervorhebung im Text. 479 Ebd., vgl. zur Übersetzung: SN, 163. 480 Vgl. EN, 164: »[…] le pass¦ qui ressemble — la valeur n’est pas la valeur. Dans la valeur le pour-soi devient soi […] en fondant son Þtre, il y a reprise de l’en-soi par le soi; de ce fait la contingence de l’Þtre cÀde la place — la n¦cessit¦.« Hervorhebung im Text.

Das Fürsichsein als Zeitliches

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Bewusstseins zu sich fordert, die ›Seinsnichtung‹ nach sich zieht, welche ihrerseits den Seinstyp des Fürsichseins im Unterschied zu dem des Ansichseins begründet und dessen hier an der Vergangenheit explizierte zeitliche Struktur ermöglicht. In Bezug auf seine Vergangenheit ist das Fürsichsein folglich abermals als Sein aufgewiesen worden, das aufgrund seiner Struktur fähig ist, dasjenige zu sein, das es nicht ist, welches sich in seiner Beziehung zur Gegenwart und zur Zukunft bestätigen soll. Beide Dimensionen sind in der Darlegung der unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins angedeutet worden. Das Sein der Gegenwart des Fürsichseins unterscheidet sich sowohl von dem Sein der Vergangenheit, die das Fürsich nicht mehr ist, als auch von dem der Zukunft, die es noch nicht ist. In dieser Hinsicht stellt sie die Grenze zwischen diesen beiden zeitlichen Dimensionen dar, dessen Sein sich als trennendes Nichts [n¦ant]481 offenbart. Diese Feststellung ist vor dem Hintergrund der bereits ausgeführten, dem Seinstyp des Fürsichseins eigenen Dialektik von Sein und Nichts zu verstehen482. Sie wird hier folgendermaßen dargestellt: Aus dem Begriff der Gegenwart [le pr¦sent] wird zunächst deren erste Charakteristik, die sich als »Gegenwärtigsein« [Þtre pr¦sent] ausdrücken lässt, gefolgert. Sie verweist auf die aus der Struktur des Fürsichseins bereits bekannte ›Anwesenheit bei …‹ [pr¦sence — …]483. Insofern Fürsichsein »ist«, ist es, seiner aufgewiesenen Faktizität gemäß, durch ›Anwesenheit bei der Welt‹, d. h. durch ›Anwesenheit bei einem Ansichsein‹ charakterisiert. Von ›Anwesenheit bei …‹ kann jedoch nur sinnvoll gesprochen werden, wenn es sich um ›Anwesenheit bei einem Sein‹ handelt, das, gemäß der aufgewiesenen Distanz, die der Begriff der ›Anwesenheit bei‹ voraussetzt, von demjenigen, der bei ihm anwesend ist, unterschieden ist. Andernfalls handele es sich um die Identifikation eines Seins mit sich, von dem lediglich auszusagen sei, dass es sich um ein Sein ohne jeglichen Bezug zu seinem ›Gegenwärtigsein‹ und damit auch zu seiner Gegenwart handele484. ›Gegenwärtigsein‹ drückt in dieser Hinsicht eine interne, durch ›Seinsnichtung‹ bestimmte und daher ontologisch negative Relation zwischen Seienden485 aus, die darüber hinaus einen Zeugen erfordert, der sie konstatiert. Wenn das Fürsichsein folglich dasjenige Sein vorstellen soll, das durch die Fähigkeit der ›Seinsnichtung‹ in Beziehung zu seiner Gegenwart als ›Anwesenheit bei der Welt‹ 481 EN, 165. 482 Siehe hier auch Betancourt 1977, 127. 483 Vgl. die Parallelen dieser Argumentation zu dem Aufweis der Grundstruktur des präreflexiven Cogito. 484 Vgl. EN, 165: »L’Þtre qui est pr¦sent — […] ne peut donc Þtre en repos ›en-soi‹, l’en-soi ne peut Þtre pr¦sent, pas plus qu’il ne peut Þtre pass¦: il est tout simplement.« Hervorhebung im Text. 485 Vgl. ebd.: »Je ne puis Þtre pr¦sent — cette chaise que si je suis uni — elle dans un rapport ontologique de synthÀse, que je suis l—-bas dans l’Þtre de cette chaise comme n’¦tant pas cette chaise.« Hervorhebung im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

steht, muss es sein eigener Zeuge für seine ›Anwesenheit bei einem Sein‹ sein können, das es nicht ist, und sich dadurch zugleich als von diesem Sein unterschiedenes Sein begreifen können. Diese Fähigkeit des Fürsichseins liegt zum einen in der bereits aufgewiesenen Struktur des Fürsichseins, in Distanz zu sich zu existieren, begründet, durch die das Fürsichsein gleichsam als Zeuge seiner selbst fungiert486. Zum anderen findet sie ihren Grund in der intentionalen Struktur des Fürsichseins, die durch die ›Anwesenheit bei der Welt‹ ausgedrückt wird487. In seiner Gegenwart ist das Fürsichsein bei der Welt anwesend, wenn es intentional auf dieses Sein außerhalb seiner gerichtet ist488. Die intentionale Struktur des Fürsichseins drückt somit die interne Relation des Fürsichseins zur Welt aus. Sie ist als ›Anwesenheit bei der Welt‹ in dem Sinne negativ, als das Fürsichsein sich durch seine intentionale Struktur, die eben diese ›Anwesenheit bei‹ ausdrückt, in seinem Sein von der Welt unterscheiden489 und sich als sein eigener Zeuge auch als von dem innerweltlichen Sein unterschiedenes Sein begreifen muss. Aufgrund seiner intentionalen Struktur ist es Bewusstsein von innerweltlichem Sein als innere Negation dieses Seins. Durch diese Negation des Seins konstituiert sich das Fürsichsein als ›Anwesenheit bei‹ diesem Sein in Form einer ständigen ›Flucht‹ [fuite] dieses Seins490. Die Gegenwart des Fürsichseins »ist« nicht, sondern weist als Flucht des Seins, bei dem sie anwesend ist, stets über sich hinaus. Dies ist jedoch nur dadurch zu verstehen, dass die Gegenwart als ›Anwesenheit bei‹ einem Sein, das sie nicht ist, bzgl. ihres Seins selbst die Struktur des Fürsichseins hat491. Sie »gegenwärtigt« sich [se pr¦sentifie]492 in der Weise einer ständigen Flucht. 486 Vgl. EN, 166: »On sait que le pour-soi est l’Þtre qui existe sous forme de t¦moin de son Þtre.« 487 Vgl. hier abermals den bereits erwähnten Bezug zu Hegels ›Satz des Bewusstseins‹. Siehe dazu auch: Cramer, Bewußtsein und Selbstbewußtsein, 217: »In solcher setzenden Funktion ist das Bewußtsein in der Tat ein Unterscheiden zwischen sich, als dieser setzenden Funktion, und dem, was es in dieser setzenden Funktion als von ihm unabhängig setzt.« Auch die Ausführungen Betancourts schließen sich dem an. Vgl. Betancourt 1977, 128. 488 Vgl. EN, 166: »[…] le pour-soi est pr¦sent — l’Þtre s’il est intentionnellement dirig¦ hors de soi sur cet Þtre.« 489 Diesen Nachweis hatte Sartre noch zu erbringen, da er die Intentionalität des Bewusstseins als Grundannahme von Husserl zunächst nur übernommen hat. Hazel E. Barnes merkt in ihrem hier bereits zitierten Aufsatz dazu ergänzend an, dass das Bewusstsein durch seine intentionale Struktur in Hinblick auf Sartres Intention, die Erkenntnis in seinen folgenden Darlegungen in L’§tre et le N¦ant als Beziehungstypus zwischen Fürsichsein und Ansichsein zu explizieren, ebenfalls fähig sein müsse, einen innerweltlichen Gegenstand von einem anderen zu unterscheiden, welches ebenfalls die Fähigkeit der Negation impliziere. Siehe Barnes, 24. 490 Vgl. EN, 168: »Le pour-soi est pr¦sent — l’Þtre sous forme de fuite; le pr¦sent est une fuite perp¦tuelle en face de l’Þtre. Ainsi avons-nous pr¦cis¦ le sens premier du pr¦sent: le pr¦sent n’est pas; […].« Hervorhebung im Text. 491 Vgl. EN, 164: »[…] le pr¦sent est pour-soi«. 492 EN, 168.

Das Fürsichsein als Zeitliches

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Insofern offenbart sich das Fürsichsein als Gegenwart als dasjenige Sein, das nicht ist, was es ist (d.i. seine Vergangenheit) und dadurch, dass es in seiner Struktur als Für-sich-Sein, in der es durch seine ›Anwesenheit bei der Welt‹ seine Gegenwart ist, stets über sich hinausweist, als dasjenige Sein, das ist, was es nicht ist (d.i. seine Zukunft). Die Beziehung des Fürsichseins auf die Zukunft als seine Zukunft ist bereits aus der Beziehung des Fürsichseins auf sein ›Mögliches‹, welche ihrerseits aus der Mangelstruktur des Fürsichseins resultiert, angedeutet worden. In dieser Hinsicht ›enthüllt sich‹ [se revÀle]493 die Zukunft in eben dieser Seinsbeziehung, in der sich das Fürsichsein als Sein begreift, dem etwas mangelt und sich auf Koinzidenz mit sich hin entwirft. Insofern gehört die Beziehung des Fürsichseins auf die Zukunft als seiner Zukunft zu der unmittelbaren Struktur des Fürsichseins, durch die sich das Fürsichsein wesensmäßig als Für-sich-Sein bestimmt. Zudem bestimmt sie das Fürsichsein in seiner Beziehung zu seiner Gegenwart, indem es wesensmäßig stets über sich hinaus bei demjenigen Sein ist, das es erst zu sein hat494. Hier wird die bereits durch den Aufweis der Beziehung des Fürsichseins zu seiner Vergangenheit angedeutete strukturelle Ähnlichkeit zwischen Zukunft und Vergangenheit des Fürsichseins deutlich, insofern beide Dimensionen dasjenige Sein vorstellen, das das Fürsichsein zu sein hat495. Dies geschieht jedoch in einer gänzlich voneinander zu unterscheidenden Weise. Die Vergangenheit des Fürsichseins weist dasjenige Sein auf, das das Fürsichsein durch seinen bereits in der Welt realisierten Entwurf zu sein hat, ohne Möglichkeit, es nicht zu sein. In seiner Vergangenheit kann das Fürsichsein keine Distanz zu dieser einnehmen. Die Zukunft des Fürsichseins hingegen drückt die Beziehung des Fürsichseins auf dasjenige Sein aus, das es in dem Sinne zu sein hat, als es es dadurch, dass es in seiner Struktur stets über sich hinaus und damit auf die Realisierung seines ›Möglichen‹ in der Welt hinweist, sein können muss496. In diesem Sinne ist die Zukunft des Fürsichseins inhaltlich nicht determiniert497. 493 EN, 171. 494 Vgl. ebd.: »Le futur s’est r¦v¦l¦ au pour-soi comme ce que le pour-soi n’est pas encore, en tant que le pour-soi se constitue non-th¦tiquement pour soi comme un pas-encore dans la perspective de cette r¦v¦lation et en tant qu’il se fait Þtre comme un projet de lui-mÞme hors du pr¦sent vers ce qu’il n’est pas encore. Et certes le pour-soi ne peut Þtre sans cette r¦v¦lation.« 495 Betancourt schreibt: »Genauso wie die Vergangenheit ist die Zukunft dasjenige, was ich zu sein habe«, Betancourt 1977, 129. 496 Vgl. dazu: EN, 173. 497 Vgl. ebd. Gemeint ist, dass sich die Zukunft des Fürsichseins in der Beziehung des Fürsichseins auf sein ›Mögliches‹ offenbart und demzufolge weder an sich noch für sich existiert, sondern in dem dargestellten Zusammenhang insofern existiert, als sie sich »vermöglicht« [se possibilise] (EN, 174, Hervorhebung im Text). Als ständige »Vermöglichung«

134

Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

In diesem Aufweis wird mehrfach deutlich, dass das Fürsichsein in Bezug auf seine Zukunft dasjenige ist, das noch nicht ist. Es ist von seiner Zukunft durch ein Nichts [n¦ant]498 getrennt. Dieses Nichts expliziert Sartre als die Freiheit des Fürsichseins. Das Fürsichsein ist frei in Bezug auf die inhaltliche Realisierung seines ›Möglichen‹, doch, da es sich als Für-sich-Sein seiner Struktur gemäß stets auf Identität mit sich entwerfen und somit sein ›Mögliches‹ stets in irgendeiner Weise realisieren muss, wird die die sartresche Philosophie auszeichnende Formel, der Mensch sei zur Freiheit verurteilt499, verständlich. Sie findet ihre argumentative Basis in der zeitlichen Struktur des Fürsichseins. Abschließend sei hier nochmals auf den nichtenden Bezug des Fürsichseins zu sich selbst als zentrales Element der zeitlichen Struktur des Fürsichseins hingewiesen: Um als Fürsichsein zu existieren, muss es stets seine eigene Nichtung sein, und gerade weil es diese Nichtungsstruktur aufweist, die es als Fürsichsein bestimmt, ist es zeitlich500. Insofern wird die Zeitlichkeit aus dieser inneren Struktur heraus als die ihm eigene Seinsweise des Fürsichseins aufgewiesen501. Mit dem Aufweis der Zeitlichkeit des Fürsichseins ist die sartresche Darlegung der unmittelbaren Strukturen des Bewusstseins als Für-sich-Sein zunächst abgeschlossen.

4.4

Erkenntnis als Beziehungstypus zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Die in den vorangegangenen Kapiteln explizierten unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins haben sich sowohl durch die Darlegung der ›Anwesenheit bei sich‹ als auch durch die ›Mangelstruktur‹ und das ›Mögliche‹ des Fürsichseins bereits als notwendig und ursprünglich auf ein ›Ansich‹ bzw. die Seinsweise des ›Ansich‹ Bezug nehmend erwiesen. Sartres Konzeption der Erkenntnis, die nun als ›Beziehungstypus’502 zwischen Fürsichsein und Ansichsein fungieren soll, schließt inhaltlich lückenlos an diese Darlegungen an. Sie beginnt mit der These, Erkenntnis sei vom Seinstyp der ›Anwesenheit bei …‹, d.i. Anwesenheit bei der Sache, bei dem Objekt der Erkenntnis, d. h. u. a. bei Seiendem vom Seinstyp des ›Ansich‹. Erkenntnis wird

498 499 500 501 502

des ›Möglichen‹ des Fürsichseins erscheint sie somit als Sinn des »gegenwärtigen« Fürsichseins. (Vgl. ebd.). EN, 174. Vgl. ebd.: »Etre libre c’est Þtre condamn¦ — Þtre libre.« EN, 188: »[…] le pour-soi, du seul fait qu’il se n¦antise, est temporel.« Ebd.: »Ainsi la temporalit¦ […] est l’intrastructure de l’Þtre qui est sa propre n¦antisation, c’est-—-dire le mode d’Þtre propre — l’Þtre pour-soi.« Hervorhebung im Text. EN, 221: »type de relation«.

Erkenntnis als Beziehungstypus

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hier, so scheint es, mit Bewusstsein in seiner thetischen Spielart gleichgesetzt. Dieses geschieht selbstredend wiederum mit dem Verweis auf die sartresche Gesamtkonzeption, einen ursprünglichen Bezug des sich und der Welt bewussten Subjekts und eben dieser Welt aufweisen zu können. Die Notwendigkeit einer wie auch immer zu denkenden äußeren Relation zwischen bewusstem Subjekt und Welt, die beide als voneinander isolierte Entitäten miteinander zu verbinden hätte, soll auf diese Weise unterlaufen werden können503. Die Verlagerung dieser ursprünglichen Relation in das Bewusstsein als ein es als Bewusstsein auszeichnendes Element soll diese Konzeption stützen. Dazu lässt sich zunächst Folgendes herausstellen: Durch die Gleichursprünglichkeit von thetischem und nicht-thetischem Bewusstsein und durch die stetige Nichtung des Seinstypus des ›Ansich‹ ist das Bewusstsein in der Lage, sich stets von diesem jeweiligen ›Ansich‹ zu unterscheiden. ›Erkenntnis‹ von etwas ist demnach Ausdruck der Anwesenheit des Fürsich bei einem Sein an sich. Die Implikationen des Terminus ›Anwesenheit bei …‹ sind im Zusammenhang mit der Darlegung der Struktur des präreflexiven Cogito, d.i. des nicht-thetischen Bewusstseins (von) sich, erläutert worden. Als Wesensstruktur der ›Anwesenheit bei …‹ erwies sich dabei die Negation und das Nicht-Sein von demjenigen, bei dem das Bewusstsein anwesend ist504, und das sowohl in seiner nicht-thetischen als auch in seiner thetischen Spielart, die hier expliziert werden soll. Das Objekt ist das, was das Bewusstsein nicht ist. Dieser implizite Verweis auf Fichtes ›Nicht-Ich‹ dient zur Pointierung der These, dass der ursprüngliche Anwesenheitsbezug des Bewusstseins bei der Welt, der die Basis der Erkenntnis bildet, als negativ angenommen werden muss505. Dabei konstituiert sich das Fürsich stets als der Gegenstand bzw. die Sache ›nicht seiend‹. Erkenntnis als Negation ist demnach nicht als ein nachträglich hergestellter Bezug zwischen 503 Vgl. EN, 219: »[…] nous avons compris que le rapport originel — l’Þtre ne pouvait Þtre la relation externe qui unirait deux substances primitivement isol¦es. ›La relation des r¦gions d’Þtre est un jaillissement primitif, […], et qui fait partie de la structure mÞme de ces Þtres.‹« Hervorhebungen im Text. In dieser Textstelle verweist Sartre auch selbst implizit auf das unter dem Kapitel L’origine du n¦ant erörterte Verhältnis zwischen bewusstem Subjekt und der ihm bewussten Welt, die sich u. a. in der ›fragenden Haltung‹ des Subjektes gegenüber der Welt offenbart. Vgl. dazu oben Kapitel 3.5. Dieser Verweis bezieht sich auch auf die folgende Darlegung der Erkenntnis als ›Anwesenheit bei‹ und damit als Negation, die den ›Grund der Möglichkeit der Negation‹ wiederum im Fürsichsein supponiert. 504 Vgl. EN, 222: »[…] le n’Þtre pas est structure essentielle de la pr¦sence. La pr¦sence enveloppe une n¦gation radicale comme pr¦sence — ce qu’on n’est pas.« Hervorhebungen im Text. 505 EN, 222: »Il est impossible de construire la notion d’objet si nous n’avons pas originellement un rapport n¦gatif d¦signant l’objet comme ce qui n’est pas la conscience. C’est ce que rendait assez bien l’expression de ›non-moi‹ qui fut de mode un temps, […].« Hervorhebungen im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Bewusstsein und Welt zu verstehen, sondern vielmehr als Seinsweise des Bewusstseins als ›Anwesenheit bei‹506, welche das Bewusstsein als wesenhaft intentionales stets auszeichnet. Bewusstsein als Fürsichsein ist demnach zum einen als ›Anwesenheit bei sich‹ und zum anderen als ›Anwesenheit bei der Welt‹ aufgewiesen worden. So stellt sich auch bei diesem letzteren Aufweis die Frage, inwieweit ein Bewusstsein nicht bereits Kenntnis von einer innerweltlichen Sache haben muss, um sie als Erkenntnis von ihr, d.i. als ›Anwesenheit bei ihr‹ von sich negieren, d. h. von sich unterscheiden und damit als die Sache setzen zu können. So sucht Sartre dieser Frage hier folglich auch in ähnlicher Weise zu begegnen: Die Erkenntnis als Seinsweise des Fürsich ist nicht als ein Urteilen über ein von dem Fürsich unterschiedenen Sein aufzufassen, denn es lässt sich nicht über Verschiedenheiten von einem Sein urteilen, von dem man nicht in irgendeiner Weise Kenntnis hat, oder gleichbedeutend: von dem man kein Bewusstsein hat. Sartres Argument ist hier wiederum das der Ursprünglichkeit, d.i. der Ursprünglichkeit der Verbindung zwischen Bewusstsein und Objekt, zwischen Bewusstsein und Welt: Es gehe nicht darum, sich gegen ein Objekt zu bestimmen, d. h. sich dazu zu bestimmen, ein bestimmtes Objekt nicht zu sein, das ›ursprünglich von jeder Verbindung mit mir abgeschnitten ist.‹507 Sich gegen ein solches Objekt als dieses nicht seiend zu bestimmen, setze in der Tat Kenntnis von diesem Objekt voraus, um diese Negation vollziehen zu können. In diesem Fall handele es sich um den Vollzug einer ›externen Negation‹ [n¦gation externe508], die zudem, da keinerlei Verbindung zwischen dem bewussten Subjekt und dem Objekt besteht, von einem Dritten zu vollziehen sein müsste. In dem Fall des sich der Welt bzw. des innerweltlichen Objekts bewussten Bewusstseins als Fürsichsein handele es sich jedoch vielmehr um eine ursprüngliche, d. h. das Bewusstsein als Fürsichsein wesenhaft bestimmende ›Seinsverbindung‹ zwischen ihm und dem Objekt, die sich durch das Fürsichsein als Fürsichsein im Gegensatz zum Ansichsein qualifizierende ›interne Negation‹ [n¦gation interne] ausdrückt. Das, was es nicht ist [d.i. das Objekt], ist konstitutiver Faktor des Fürsichseins. Bewusstsein heißt nicht Objekt sein. Diesen Aufweis leistet Sartre bereits bei der Darlegung der unmittelbaren 506 Vgl. ebd.: »[…] c’est le pour-soi qui se constitue comme n’¦tant pas la chose. […] La connaissance appara„t donc comme un mode d’Þtre. Le conna„tre n’est ni un rapport ¦tabli aprÀs coup entre deux Þtres, ni une activit¦ de l’un de ces deux Þtres, ni une qualit¦ ou propri¦t¦ ou vertu. C’est l’Þtre mÞme du pour-soi en tant qu’il est pr¦sence — […]«. Hervorhebung im Text. 507 EN, 224: »[…] c’est que je ne puis me d¦terminer — n’Þtre pas un objet qui est originellement coup¦ de tout lien avec moi.« Die im Text zitierte Übersetzung findet sich an der entsprechenden Stelle bei Traugott König, SN, 224. 508 Hier und im Folgenden: EN, 223.

Erkenntnis als Beziehungstypus

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inneren Struktur des Fürsichseins, in der Bestimmung des Fürsichseins als Mangel an Ansich509. Er bezieht sich dort in erster Linie auf die das Fürsichsein in seiner Seinsweise qualifizierende ›Nichtung‹ der Seinsweise des Ansich. Fürsichsein kann so zum einen als ›Mangel an Ansich‹ herausgestellt werden. Zum anderen und als Konsequenz aus Ersterem erscheint das Fürsichsein als ›Abwesenheit‹ von ›sich‹ in dem Sinne, dass das ›Ermangelte‹ eben auf Grund dieser dem Fürsich eigenen Struktur nie erreicht werden kann. Jedoch bestimmt es das Fürsich in seiner Seinsweise als Nichtung und stetigen Entwurf auf seine Möglichkeiten hin grundlegend. In explizitem Bezug510 auf diesen Aufweis des Fürsichseins als ›Mangel‹ und ›Abwesenheit‹ wird hier ›Erkenntnis‹ als ›Anwesenheit bei der Welt‹ als ontologische, da durch ›interne Negation‹ bestimmte Verbindung zwischen Fürsichsein und Ansichsein präzisiert. Aus dieser Bestimmung der ›Erkenntnis‹ als ›interner Negation‹ folgt jedoch noch Weiteres: Das Verständnis des Fürsichseins als ›Mangel‹ und ›Abwesenheit‹ suggeriert die Bestimmung des Fürsichseins als Fürsichsein durch ein ›Sein‹, das das Fürsich nicht ist, das nicht ist oder nicht da ist511. Im Falle der ›Erkenntnis‹ als ›Seinsmodus‹ des Fürsichseins hingegen wird das Fürsichsein von einem Sein bestimmt, das zwar ebenfalls das Fürsich nicht ist, das jedoch ›da‹ ist, d.i. ein Ansich, eine Sache, bei der das Fürsich anwesend ist. Die Bestimmung dieser Anwesenheit als interne Negation hat zur Folge, dass das einzige Sein, das im Akt der Erkenntnis stetig ›da‹ im Sinne von ›fassbar‹ ist, das Sein des ›Erkannten‹, d. h. ein Ansichsein ist512. ›Fassbar zu sein‹ ist jedoch keine Eigenschaft, die diesem Erkannten in irgendeiner Weise von sich aus zukäme oder zukommen könnte. Von sich aus ›ist‹ es lediglich und dies gänzlich unabhängig von seinem ›Erkanntwerden‹. Es ist vielmehr der Akt der ›internen Negation‹, der zum einen das erkennende Fürsich zu einem solchen macht und zum anderen auch das Erkannte allererst zu einem solchen macht. Sartre pointiert diesen Zusammenhang folgendermaßen: Das Erkennende macht, dass es ein Da-sein des Erkannten – zu ergänzen wäre ›als eines solchen‹ – gibt. Und da dies durch den Vollzug interner Negation geschieht, wahrt Sartre hier die These von der Ursprünglichkeit des Bezuges des bewussten Subjektes auf die Welt. Er wird gestützt durch die Unmittelbarkeit des Bezuges ›Erkennendes509 Vgl. hier und im Folgenden die Ausführungen in dem gleichnamigen Kapitel dieser Arbeit. 510 Vgl. EN, 224f. 511 EN, 225: »[…] ce lien n’est ni un manque, ni une absence. Dans le cas de l’absence, en effet, je me fais d¦terminer par un Þtre que je ne suis pas et qui n’est pas, ou n’est pas l—: […].« 512 Vgl. ebd.: »En un mot, le terme d’origine de la n¦gation interne, c’est l’ensoi, la chose qui est l—; et en dehors d’elle il n’y a rien, sinon un vide, un n¦ant qui ne se distingue de la chose que par une pure n¦gation dont cette chose fournit le contenu mÞme.« Und: »Ce qui signifie que dans ce type d’Þtre qu’on appelle le conna„tre, le seul Þtre qu’on puisse rencontrer et qui est perp¦tuellement l—, c’est le connu. Le connaissant n’est pas, il n’est pas saisissable.« Hervorhebungen im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Erkanntes‹. Diese Unmittelbarkeit liefert die interne Negation, die ein drittes, das Vorliegen von Erkenntnis vermittelndes Moment zwischen Erkennendem und Erkanntem ausschließt513. Wird Erkenntnis als Seinsmodus des Fürsichseins durch unmittelbare Anwesenheit des Erkennenden beim Erkannten definiert, bleibt nun wiederum zu fragen, was denn in dieser Konzeption das Erkennende vom Erkannten, bei dem es anwesend ist, trennt. Sartres Explikation entspricht in diesem Punkt der der ursprünglichen Anwesenheit bei sich des Bewusstseins in seiner nicht-thetischen Spielart und lässt sich auch hier nicht hinlänglich beantworten. Sartre schreibt, dass es ›gar keine Verschiedenheit, kein Unterscheidungsprinzip‹ gebe, »das das Erkennende vom Erkannten an-sich trennt«, sondern dass es »in der totalen Ununterschiedenheit des Seins nichts als eine Negation« gebe, »die nicht einmal ist, die zu sein hat, die sich nicht einmal als Negation setzt, so dass die Erkenntnis und das Erkennende selbst schließlich nichts weiter sind als das Faktum, dass es Sein »›gibt‹«514. Diese Erklärung macht jedoch in keiner Weise deutlich, wie diese ›totale Ununterschiedenheit des Seins‹ im Akt des Erkennens und die ›Negation, die zu sein hat‹ zu denken sind und inwiefern eine solche Konzeption von Erkenntnis dem Bewusstsein einen Zugang zur Welt eröffnen kann. Hierzu lassen sich folgende Aussagen festhalten: Erkenntnis als Ausdruck von thetischem Bewusstsein wird als Seinsmodus des Fürsichseins aufgewiesen. Die ›interne Negation‹ als ihr bestimmendes Prinzip fungieren zu lassen, vermeidet die Notwendigkeit, auf ein vermittelndes Element rekurrieren zu müssen, und stützt das Vorhaben, das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein als fundamental-ontologische Beziehung zu fassen. Erkenntnis als interne Negation ist der Ausdruck der Anwesenheit des Fürsich beim Ansich und das Fürsich ist durch die Nichtung des Ansich das ›nichts‹ (rien), das diese Anwesenheit ›realisiert’515. Sartre spricht daher auch von Erkenntnis als einer 513 Vgl. dazu EN, 226: »L’imm¦diatet¦ est l’absence de tout m¦diateur ; et cela va de soi, sinon le m¦diateur serait connu et non le m¦diatis¦.« Ein solcher Vermittler müsste zudem ›Erkennendes‹ und ›Erkanntes‹ in sich in irgendeiner Weise vereinigen, um es dann jeweils vermitteln zu können. 514 Zitiert nach der Übersetzung von Traugott König et al. SN, 227f. Hervorhebungen im Text. Vgl. dazu auch: EN, 227f.: »Mais dans le cas du rapport ›connaissant-connu‹, il n’y a rien du cút¦ du connaissant qui puisse faire le support de la n¦gation: ›il n’y a‹ aucune diff¦rence, aucun principe de distinction pour s¦parer en-soi le connaissant du connu. Mais dans l’indistinction totale de l’Þtre, il n’y a rien qu’une n¦gation qui n’est mÞme pas, qui a — Þtre, qui ne se pose mÞme pas comme n¦gation. En sorte que la connaissance, finalement, et le connaissant lui-mÞme ne sont rien sinon le fait ›qu’il y a‹ de l’Þtre, […].« Hervorhebungen im Text. 515 Vgl. EN, 228: »Conna„tre, c’est r¦aliser aux deux sens du terme. C’est faire qu’il y ait de l’Þtre en ayant — Þtre la n¦gation refl¦t¦e de cet Þtre: le r¦el est r¦alisation.« Hervorhebungen im Text.

Erkenntnis als Beziehungstypus

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»n¦gation interne et r¦alisante«516, die das Fürsich in seinem Sein als Fürsich bestimmt und zugleich das Ansich als solches ›enthüllt‹ [d¦voile]. In der Erkenntnis – als diese interne realisierende Negation aufgefasst – sieht Sartre das ursprüngliche und grundlegende Prinzip der ›Transzendenz‹ des Fürsichseins auf die Welt. Durch diese Transzendenz als Seinsmodus des Fürsich ›existiert‹ das Ansichsein für das Fürsichsein. Aus diesen Ausführungen folgt: Erkenntnis als Seinsmodus des Fürsich ist Ausdruck der Transzendenz des Fürsich auf die Welt. Das bedeutet, dass das Fürsich weder lediglich ausgestattet mit der Eigenschaft zu erkennen existiert noch nur dann existiert, insofern es erkennt, sondern dass das erste ›absolute Auftauchen‹ [le surgissement absolu517] des Fürsich als interne Negation des Seins und Nichtung von sich als Erkenntnis angesehen werden muss. Erkenntnis ist identisch mit dem ek-statischen Sein des Fürsich. Durch die Exposition dieser Identität scheint ein erkenntnistheoretischer Idealismus verworfen, da das Fürsich zwar als Erkennen des Seins an sich aufgefasst wird, jedoch sowohl diesem Sein an sich als auch dem Sein der Erkenntnis als Sein des Fürsich ein Sein zugestanden wird. Zwar lässt sich hier einwenden, dass die Existenz des Ansich, als ›Affirmation‹ dieses Seins verstanden, stets seitens des Fürsich geschieht, gerade weil Erkenntnis als Affirmation und Realisation des Ansich das Fürsich in seinem ek-statischen Sein vorstellt und ›mit ihm verschwindet‹ [dispara„t avec lui518]. Jedoch vollzieht sich Erkenntnis als dieses ek-statische Sein eben nicht innerhalb des Fürsich. Als Erkennendes ist es stets anwesend bei einem Sein außerhalb von ihm, gegen das es sich durch interne Negation bestimmt519. Auf die Frage, ob die sartresche Konzeption nun andererseits als ein erkenntnistheoretischer Realismus bezeichnet werden kann, lässt sich sagen, dass das Fürsich in seinem ek-statischen Sein bei einem Sein an sich anwesend ist, dem es durch diese Anwesenheit nichts außer eben der Enthüllung oder ›Affirmation‹ dieses Seins hinzufügt. Determination, Räumlichkeit, Quantität, Qualität, Potentialität, Utensilität und Zeitlichkeit kommen durch das Fürsich

516 Hier und im Folgenden: ebd. 517 Hier und im Folgenden: EN, 268: »Le pour-soi n’est pas pour conna„tre ensuite et l’on ne peut pas dire non plus qu’il n’est qu’en tant qu’il conna„t ou qu’il est connu, ce qui ferait ¦vanouir l’Þtre en une infinit¦ r¦gl¦e de connaissances particuliÀres. Mais c’est le surgissement absolu du pour-soi au milieu de l’Þtre et par del— l’Þtre, — partir de l’Þtre qu’il n’est pas et comme n¦gation de cet Þtre et n¦antisation de soi, c’est cet ¦v¦nement absolu et premier qui est connaissance.« 518 Hier und im Folgenden: EN, 269. 519 Wird das Fürsich als solches gemäß dieser Exposition konsequent als Nichtung des Seins an sich und in diesem Sinne als Nichts [n¦ant] verstanden, gibt es in der Tat nur Sein und ein erkenntnistheoretischer Idealismus erscheint sich daher als unhaltbar zu erweisen.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

zum Sein und sollen als ›bewegliche Bezüge zwischen Wesen [Þtres520]‹ fungieren, die ihrerseits ›gar keinen Bezug haben‹. Das Fürsich ›ist‹ diese Bezüge nicht. Durch sein ek-statisches Sein, d.i. durch interne Negation, enthüllt sich die Welt in diesen ›Bezügen‹. Sie gehören jedoch auch nicht dem Ansich an, das sich erst in diesen Bezügen als ein ohne jeglichen Bezug Existierendes enthüllt. Die Bezüge fungieren so quasi als Bedingungen der Enthüllung des Ansich als ›Es gibt‹521. Wo aber ist der Ursprung dieser Bezüge anzunehmen und warum enthüllt sich das Ansich dem Fürsich gerade in diesen Bezügen und nicht etwa in gänzlich anderen? Diesen Ursprung sieht Sartre in der Binnenstruktur des Fürsichseins und erläutert ihn am Beispiel der Determination. Das Ergebnis dieses Aufweises wird sinngemäß auf den Ursprung der übrigen Bezüge übertragen, denn: »die Anwesenheit des Fürsich bei der Welt kann sich nur durch seine Anwesenheit bei einem oder mehreren einzelnen Dingen realisieren, und umgekehrt kann sich seine Anwesenheit bei einem besonderen Ding nur auf dem Hintergrund einer Anwesenheit bei der Welt realisieren.«522

Das Fürsichsein erfasst sich aufgrund seiner bereits erläuterten Binnenstruktur als ›unvollendete Totalität‹ [totalit¦ inachev¦e] oder ›detotalisierte Totalität [totalit¦ d¦totalis¦e523]. Die Welt erscheint dabei als Totalität, als Sein an sich, durch das sich das Fürsich als diese detotalisierte Totalität, als dasjenige, das das zu sein hat, was es nicht ist, erfasst. Auf diesem Hintergrund war das Fürsich als wesentlich durch den Entwurf auf seine Möglichkeiten charakterisiertes Sein vorgestellt worden. In Hinblick auf das Fürsich als wesentlich erkennendes Sein soll mit dem Verweis auf diese intrastrukturelle Verfasstheit des Fürsich nochmals deutlich werden, dass das Fürsich ›par son surgissement mÞme‹ stets Enthüllung des Seins an sich als Totalität ist. Als Entwurf auf seine Möglichkeiten und als erkennendes Sein findet das Fürsich dasjenige, das es in seinem Sein bestimmt, stets außerhalb von sich. Daher kann Sartre schreiben: »Somit ist der Sinn des Für-sich draußen im Sein, aber nur durch das Für-sich entsteht der Sinn des Seins«524, welches die Enthüllung des Seins an sich durch und für das Fürsich

520 Hier und im Folgenden EN, 233. Bezüglich des Raumes schreibt Sartre: »L’espace en effet ne saurait Þtre un Þtre. Il est un rapport mouvant entre des Þtres qui n’ont aucun rapport.« Hervorhebung im Text. 521 Vgl.: EN, 270: »[…] elles ne font que r¦aliser le il y a.« Hervorhebung im Text. 522 SN, 229. Hervorhebung im Text. Vgl. EN, ebd.: »En d’autres termes, la pr¦sence au monde du pour-soi ne peut se r¦aliser que par sa pr¦sence — une ou plusieurs choses particuliÀres et, r¦ciproquement, sa pr¦sence — une chose particuliÀre ne se peut r¦aliser que sur le fond d’une pr¦sence au monde.« Hervorhebung im Text. 523 Hier und im Folgenden: EN, 230. 524 SN, 230.

Erkenntnis als Beziehungstypus

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meint, gegen das es sich zugleich stets durch interne Negation als Fürsich bestimmt. Die Determination, die ein Dieses als Dieses vor dem Hintergrund der Welt als Totalität erfasst, ist ebenfalls stets Ausdruck von Negation525. Für sie und die übrigen ›Bezüge‹, in denen sich innerweltliches Sein durch und für das Fürsich enthüllt, bedeutet dies, dass diese sich alle aus der inneren Struktur des Fürsich als interne Negation, als Mangel, als Entwurf und als Zeitliches herleiten lassen526. So kommen diese Bezüge in der Tat durch das Fürsich und genauer durch das ek-statische Sein des Fürsich als erkennendes Sein, als thetisches Bewusstsein von der Welt, zum Sein. Sie sind jedoch das Fürsich nicht, sondern lediglich die Weisen [maniÀres], »dont l’Þtre se d¦voile comme n’¦tant pas le pour-soi, la maniÀre dont il y a de l’Þtre; elle para„t hors du pour-soi, ¦chappant — toute atteinte, comme ce qui d¦termine le pour-soi dans son Þtre.«527 Mit dieser Exposition sucht Sartre offenkundig zu vermeiden, dass das Sein an sich als das erkannte Sein lediglich als relativ zum Bewusstsein als Fürsichsein erscheint und keineswegs ›so erkannt wird, wie es ist‹. Mit der Exposition des Fürsichseins als Zeitliches und der genannten beweglichen Bezüge zwischen Seienden, die und in denen sich das Sein an sich dem erkennenden Fürsich enthüllt, meint Sartre, sich in dem Bemühen um einen erkentnistheoretischen Realismus auch gegen Kants Lehre der reinen Verstandesbegriffe positioniert zu haben. Denn er fasst die Bezüge, in denen sich das Erkannte dem Fürsich of525 Die Abgrenzung eines Dieses von einem anderen Diesen oder auch vor dem Hintergrund der Welt als Totalität ist freilich eine Leistung der externen Negation, welche ihrerseits jedoch, wie ausgeführt, nur von einem Sein vollzogen werden kann, das seinerseits in seiner Struktur wesentlich durch Negation, d.i. interner, da das Sein als solches bestimmender Negation, gekennzeichnet ist. Vgl. dazu EN, 231: »L’apparition du ceci sur le tout est corr¦lative d’une certaine faÅon qu’a le pour-soi d’Þtre n¦gation de lui-mÞme. Il y a un ceci parce que je ne suis pas encore mes n¦gations futures et que je ne suis plus mes n¦gations pass¦es. Le d¦voilement du ceci suppose que »l’accent soit mis« sur une certaine n¦gation avec recul des autres dans l’¦vanouissement syncr¦tique du fond, c’est-—-dire que le poursoi ne puisse exister que comme une n¦gation qui se constitue sur le recul en totalit¦ de la n¦gativit¦ radicale.« Hervorhebungen im Text. 526 Die Räumlichkeit betreffend meint dies, dass diese durch das ek-statische Sein des Fürsich in der Welt erscheint, indem das Fürsich zugleich bei dem Diesen und dem Ganzen, d.i. der Welt als Totalität, anwesend ist. Dieses oder jenes Dieses kann dabei vor dem Hintergrund des Ganzen hervortreten, ein Zugleich, eine Abfolge oder Dauer, die nur durch die Zeitlichkeit erfasst werden kann. Die Räumlichkeit fungiert so als ›rapport d’ext¦riorit¦‹ des Dieses zum Hintergrund, ohne Diesem jedoch etwas hinzuzufügen, wie etwa der Eigenschaft, räumlich oder aber ein ›Ding in Zeit und Raum‹ zu sein. Vgl. dazu: EN, 233. Dem an dieser Stelle naheliegenden Bezug auf die Auffassung Immanuel Kants von Zeit und Raum begegnet Sartre im Folgenden. 527 EN, 230 und EN, 232: »Le pour-soi n’est pas le monde, la spatialit¦, la permanence, la matiÀre, bref, l’en-soi en g¦n¦ral, mais sa maniÀre de ne-les-Þtre-pas c’est d’avoir — ne pas Þtre cette table, ce verre, cette chambre sur le fond total de n¦gativit¦.« Hervorhebung im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

fenbart, eben nicht als apriorische Kategorien des Erkenntnisapparates des sich der Welt bewussten Subjekts, sondern legt ihr Auftreten in die Fähigkeit des Fürsich zu interner Negation und in deren stetigen Vollzug als thetisches Bewusstsein528. Andererseits wird in dieser Konzeption deutlich, dass es eine Enthüllung des Ansich stets lediglich für ein Fürsich geben kann, da das Fürsich in seinem ekstatischen Sein das Ansich enthüllt und macht, dass das Ansich für es ›da‹, im Sinne von ›es gibt‹, ist. Bewusstsein als wesentlich intentionales ist stets thetisches Bewusstsein. Dennoch muss die sartresche Konzeption ihrer Theorie nach zulassen, dass das Sein an sich, d.i. die Welt bzw. innerweltliche Gegenstände, nur so lange und in dem Maße als existent angenommen werden können, als ein erkennendes Bewusstsein von ihnen vorliegt. Diesem Punkt steht auch der ontologische Beweis des transphänomenalen Seins des Phänomens nicht entgegen, da dieser lediglich aussagt, dass jedem Phänomen ein transphänomenales Sein zugestanden werden muss – ein Aufweis, den Sartres Konzeption der Erkenntnis stützt. Insofern also erkennendes Bewusstsein von der Welt vorliegt, kann Sartre in der Tat zusammenfassend schreiben: »[…] tout est pr¦sent — moi sans distance et dans son entiÀre r¦alit¦; rien de ce que je vois ne vient de moi, il n’y a rien en dehors de ce que je vois ou de ce que je pourrais voir.«529. Das Sein an sich wird in diesem Sinne so erkannt, wie es ist, d.i. ohne dass ihm seitens des Fürsich durch den Akt der Erkenntnis etwas hinzugefügt würde. Die Bezüge, in denen sich das Ansich dem Fürsich enthüllt, gehören dem Ansich nicht an und verändern es nicht. Und eingedenk des oben genannten Hinweises finden sich folgende Schlussfolgerungen: »[…] il n’y a d’Þtre que pour un pour-soi« und »Le monde est humain.«530 Sie verweisen auf eine weitere Konsequenz der sartreschen Konzeption der Erkenntnis: Es handelt sich um die Frage nach dem Wahrheitsanspruch und der Verlässlichkeit menschlicher Erkenntnis angesichts einer Konzeption, die zugeben 528 Vgl. zu den Bezügen der Bestimmung und des Raumes EN, 233: »La caract¦ristique spatiale du ceci ne s’ajoute pas synth¦tiquement au ceci, mais elle est seulement sa ›place‹, c’est-—dire son rapport d’ext¦riorit¦ au fond en tant que ce rapport peut s’effondrer en multiplicit¦ de rapports externes avec d’autres ceci quand le fond lui-mÞme se d¦sagrÀge en multiplicit¦ de formes. En ce sens il serait vain de concevoir l’espace comme une forme impos¦e par la structure a priori de notre sensibilit¦ aux ph¦nomÀnes: l’espace ne saurait Þtre une forme car il n’est rien; il est, au contraire, la marque que rien, sinon la n¦gation – et encore comme type de rapport externe qui laisse intact ce qu’il unit – ne peut venir — l’en-soi par le poursoi.« Hervorhebungen im Text. Und: EN, 270: »Ce n’est pas dans sa qualit¦ propre que l’Þtre est relatif au pour-soi, ni dans son Þtre, et par l— nous ¦chappons au relativisme kantien; mais c’est dans son ›il y a‹, puisque dans sa n¦gation interne le pour-soi affirme ce qui ne saurait appartenir — l’Þtre.« Eine Diskussion dieses Punktes erfolgt unten, Kapitel 4.5. 529 EN, 269. Hervorhebung im Text. 530 Hier und im Folgenden: EN, 270. Hervorhebung im Text.

Die intentionale Struktur als Bindeglied

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muss, dass auch die ›Wahrheit‹, die die Erkenntnis liefert, »demeure strictement humaine«. Sartre sieht sich in diesem erneut mit dem Vorwurf konfrontiert, er vertrete letztlich doch eine relativistische oder gar skeptizistische Position, welchen er hier in der Tat nicht ganz ausräumen kann, auch wenn er einwendet, dass das Fürsich das zu erkennende Sein selbst sein müsste, um es erkennen zu können ›tel qu’il est‹ – gemeint ist hier sicherlich: um es vollständig erkennen zu können. Der Ausdruck ›tel qu’il est‹ sei jedoch nur zu verwenden, da das Fürsich mit dem zu erkennenden Sein gerade nicht identisch ist. Wäre dies der Fall, verlöre dieser Ausdruck seinen Sinn. Gesagt werden kann Folgendes: Das erkennende Fürsich als thetisches Bewusstsein findet innerweltliches Sein an sich in seiner Komplexität und Absolutheit vor und enthüllt es in Bezügen, die sich aus der Tatsache ergeben, dass das Fürsich nie mit dem zu erkennenden Ansich identisch ist, sondern sich stets durch interne Negation gegen es als Fürsich bestimmt. Vor dem Hintergrund des sartreschen Gesamtunternehmens zeigt diese Konzeption der Erkenntnis als interne Negation, dass eben Letztere die Grundlage für jegliche Beziehung zwischen dem bewussten Subjekt und der Welt, zwischen dem Fürsichsein und dem Ansichsein ist.

4.5

Die intentionale Struktur als Bindeglied zwischen bewusstem Subjekt und Welt; zum Vorwurf des Formalismus

Dass Sartre seine Konzeption des Bewusstseins gegenüber dem Vorwurf, einen bewusstseins- und erkenntnistheoretischen Formalismus zu vertreten, zu verteidigen hat, haben die vorangehenden Kapitel über die intrastrukturelle Verfasstheit des Bewusstseins sowie über die Erkenntnis als Ausdruck der intentionalen Struktur des Bewusstseins und damit als ein Bindeglied zwischen bewusstem Subjekt und Welt bereits aufgeworfen. Dieser Vorwurf nährt sich bisher aufgrund folgender Feststellungen: Die intentionale Struktur des Bewusstseins wird in der sartreschen Konzeption aus der Strukur des Selbstbewusstseins abgeleitet531. Dabei handelt es sich um die Exposition einer Theorie des Selbstbewusstseins, die sich jenseits jeglichen Aktes der Erkenntnis begründen und dadurch dem infiniten Regress einer Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins entgehen soll. Darüber hinaus 531 Diese resümierende Feststellung bezieht sich hier nicht lediglich auf die u. a. auch sartresche Überzeugung, jegliches Bewusstsein von etwas müsse sich seiner selbst bereits als solches bewusst sein, damit dieser Bewusstseinsakt seinerseits nicht gänzlich unbewusst bliebe (vgl. EN, 18), sondern ausdrücklich auf die Ergebnisse der bisherigen Diskussion der sartreschen Bewusstseinskonzeption im Rahmen dieser Arbeit. Dies wird im Folgenden deutlich werden.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

soll diese Konzeption die strukturelle Abhängigkeit des Bewusstseins als Fürsichsein von dem Ansichsein der Welt zeigen, dessen Existenz als unabhängig von der des Bewusstseins anzunehmen und deren Verhältnis in der Konzeption des Bewusstseins als Selbstbewusstsein angelegt ist. Bereits der Aufweis der unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins als Mangel und als notwendig Zeitliches zeigt, dass der Ursprung der Beziehung des Bewusstseins zur Welt im präreflexiven Cogito liegt. Die Exposition der Erkenntnis als ›Anwesenheit bei der Welt‹ und als solche durch ›interne Negation‹ und als ›reine Negativität‹ bestimmt, verweist nun ihrerseits aufgrund eben dieser Struktur nochmals auf das präreflexive Cogito als konzeptionellen Ausgangspunkt und Ursprung jeglicher Erkenntnis und jeglichen thetischen Bewusstseins. Erkenntnis als ›reine Negativität‹ bedeutet zudem die unmittelbare Anwesenheit des Erkennenden beim Erkannten. Die Ununterschiedenheit des Seins im Akt der Erkenntnis kann über die Affirmation, dass es Sein gibt, hinaus keine weiteren ›Erkenntnisse‹ liefern. Diese Fassung der Erkenntnis scheint daher thetisches Bewusstsein, deren Ausdruck sie sein soll, in den Grenzen von nicht-thetischem Bewusstsein erscheinen zu lassen. Das meint, dass das thetische Bewusstsein eben nicht nur seine Grundlage im nicht-thetischen Bewusstsein hat, sondern darüber hinaus auch eine entsprechende Binnenstruktur aufzuweisen scheint, die einen ›realen‹ Zugang des ›konkreten Subjektes zur konkreten Welt‹532 dann nicht in dem erstrebten Sinn zu eröffnen vermag. Muss diesem Einwand stattgegeben werden und erweist sich zudem die Konzeption des präreflexiven Cogito als keinesfalls dem infiniten Regress entgehend, ist der Vorwurf, Sartre vertrete einen bewusstseins- und erkenntnistheoretischen Formalismus, als gerechtfertigt anzusehen. Bezüglich der Konzeption des präreflexiven Cogito ist aus dem bisher Diskutierten deutlich geworden, dass es Sartre nicht überzeugend gelingt, den infiniten Regress der Reflexionstheorie zu vermeiden – und zwar aus folgendem Grund: Das präreflexive Cogito soll sich in seiner internen Struktur als ›Anwesenheit bei sich‹ offenbaren, welche eine notwendige ›Distanz von sich zu sich‹ impliziere. Diese ›Distanz von sich zu sich‹, die durch die Wendung ›nichtthetisches Bewusstsein (von) sich‹ ausgedrückt werden soll, lässt dieses ›nichtthetische Bewusstsein (von) sich‹ jedoch gerade wieder als thetisches Bewusstsein erscheinen, da es nicht gelingt, die ›unmittelbare Vertrautheit‹ des Bewusstseins mit sich auf anderem Weg zu explizieren. Durch die Explikation der ›Distanz von sich zu sich‹ als das ›reine Nichts‹, das das Bewusstsein im 532 Vgl. hier Sartres vortheoretische Grundüberzeugungen und freilich die theoretischen Anforderungen an jedwede Konzeption des Bewusstseins, die das Verhältnis des bewussten Subjekts zu den Dingen, die ihm bewusst sind, schlüssig zu erklären hat.

Die intentionale Struktur als Bindeglied

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präreflexiven Cogito von sich trennen soll, kann der genannte Regress ebenso wenig vermieden werden. Dies zeigt die Tatsache, dass sich das Bewusstsein durch die Distanz zu sich, um die ›Anwesenheit bei sich‹ als innere Struktur des präreflexiven Cogito zu wahren, die Identität mit sich negieren muss. Nur so kann es sich als Fürsichsein begründen. Um jedoch etwas von sich negieren zu können, muss sich das präreflexive Cogito bereits dessen bewusst sein, was es von sich zu negieren hat. Durch die Exposition der Mangelstruktur des Fürsichseins wird deutlich, dass dasjenige, das es als Fürsichsein zu nichten hat, um nicht in Identität mit sich zu existieren, es selbst ist. Folglich muss sich das Bewusstsein als Fürsichsein, um den erwähnten ›Nichtungsakt‹ vollziehen und somit als Fürsichsein existieren zu können, sich seiner selbst bereits bewusst sein. Diese Überlegung suggerierte jedoch abermals ein dann prä-präreflexiv zu nennendes Cogito, so dass diese sartresche Explikation des präreflexiven Cogito, wenn sie nicht zirkulär verlaufen soll, eben doch dem infiniten Regress anheimfällt. Mit dieser Feststellung geht eine weitere bereits andiskutierte einher. Sie betrifft die dem Fürsichsein zugesprochene Fähigkeit, sich in seiner Seinsweise, d.i. als Fürsichsein, selbst zu begründen: Wie kann das Fürsichsein, das, um als solches existieren zu können, des ›Nichts‹ und damit der Fähigkeit zu Nichtung und Negation als distanzschaffendes Moment innerhalb seiner Struktur bedarf, dasjenige Sein vorstellen, das die Nichtung der Identität mit sich vollzieht, durch die es sich allererst als Fürsichsein konstituieren und somit in seiner Seinsweise begründen soll? Der ›nichtende Akt‹ soll die notwendige Distanz von sich zu sich des Fürsichseins schaffen. Er kann jedoch nur von einem Sein vollzogen werden, das das ›Nichts‹ bereits in seine Struktur integriert hat. Diese Problematik knüpft an die des infiniten Regresses an. Folglich bleibt weiterhin zu fragen, woher die ursprüngliche Fähigkeit zu nichten und damit zur Selbstbestimmung der Seinsweise des Fürsichseins stammen kann. Muss es nicht bereits als Fürsichsein existieren. um seine eigene Seinsweise begründen zu können? Die sartresche These, im Falle des Fürsichseins gehe die Existenz der Essenz voraus, vermag diese Frage ebenso wenig zu beantworten. Denn diese These besagt lediglich, dass ein Fürsichsein, insofern es existiert533, immer in der es als Fürsichsein auszeichnenden Seinsweise als Einheit seiner beiden Momente thetisch und nicht-thetisch und nicht in Identität mit sich existiert. In seiner Seinsweise bestimmt es sich stets gegen das Sein an sich, indem es es negiert. So wird nochmals die strukturelle Abhängigkeit des Fürsichseins vom Ansichsein verdeutlicht: Das Fürsichsein ist in seiner Seinsweise ›Mangel an Ansich‹, wel533 EN, 21f.: »[…] comme la conscience n’est pas possible avant d’Þtre, mais que son Þtre est la source et la condition de toute possibilit¦, c’est son existence qui implique son essence.« Hervorhebung im Text.

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

ches den Mangel an seinem eigenen Sein an sich meint. Durch den Bezug zu seinem ›Möglichen‹, das es aufgrund der der Mangelstruktur zugrunde liegenden Totalität als sein notwendiges Komplement begreift, ist die Beziehung zwischen Fürsichsein und einem ihm fremden Ansichsein skizziert. Hier zeigt sich nochmals, dass der Ursprung dieser Beziehung des Fürsichseins zur Welt und folglich auch die intentionale Struktur des Bewusstseins, die diese Beziehung ausdrückt, in der Struktur des präreflexiven Cogito angelegt ist. Die Negation ist ihr bestimmendes Prinzip. In Hinblick auf den genannten Formalismusvorwurf machen diese Ausführungen deutlich, dass die Konzeption des Verhältnisses zwischen bewusstem Subjekt und Welt hier einzig aus der Konzeption des Bewusstseins als Fürsichsein abgeleitet wird. In diesem Sinne erscheint die Welt, wie der Aufweis des ›Möglichen‹ des Fürsichseins, das es in der Welt zu realisieren hat, zeigt, in der Tat ›parallel‹534 zum Bewusstsein. Die intentionale Struktur als Bindeglied zwischen beiden weist ihr Verhältnis als ›innere Relation‹, die negativ bestimmt ist, auf. Durch diese Relation werden beide als voneinander Unterschiedene bestimmt. Die Beziehung des Fürsichseins auf sein ›Mögliches‹ soll jedoch eine inhaltliche Erfassung desselben erlauben. Daher mündet die sartresche Konzeption auch in diesem Argumentationszusammenhang in eine weitere Frage: Inwieweit kann eine aus der formalen Struktur der Subjektivität abgeleitete Konzeption des Verhältnisses zwischen Subjekt und Welt, die insofern ebenfalls formal bleiben muss, diese inhaltliche Erfassung leisten? Dass sich eine solche inhaltliche Erfassung des ›Möglichen‹ des Fürsichseins und von innerweltlichen Gegenständen allgemein auf der Grundlage der sartreschen Ausführungen zur intentionalen Struktur des Bewusstseins, die ihre Grundlage einerseits im präreflexiven Cogito hat und andererseits als Bindeglied zwischen Bewusstsein und Welt fungieren soll, problematisch gestalten muss, bestätigen die bereits formulierten Ergebnisse des Erkenntniskapitels. In der Tat erscheint diese Problematik nicht erst in dem oben dargestellten Argumentationszusammenhang der intentionalen Struktur als Bindeglied zwischen bewusstem Subjekt und Welt, sondern bereits zu Beginn der Untersuchung der unmittelbaren Strukturen des Bewusstseins: Der Sachverhalt ›Bewusstsein‹ soll zum einen ohne Rückgriff auf die Strukturen der Erkenntnis formuliert werden können, um Zirkularität und Regressproblematik der Explikation von ›Selbstbewusstsein‹ zu vermeiden, und zum anderen soll Bewusstsein als erkennendes Sein ontologisch jenseits der Erkenntnis, d.i. unabhängig von seinem ›Erkanntwerden‹, begründet werden können, um das Sein der Erkenntnis als im Bewusstsein begründet zu sichern: 534 Vgl. hier abermals den von Klaus Hartmann eingeführten Begriff der Parallelität von Bewusstsein und Welt, Hartmann 1963, 77 und oben, Kapitel 4.2 dieser Arbeit.

Die intentionale Struktur als Bindeglied

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»Nous disions que la conscience est l’Þtre connaissant en tant qu’il est et non en tant qu’il est connu. Cela signifie qu’il convient d’abandonner le primat de la connaissance, si nous voulons fonder cette connaissance mÞme. Et, sans doute, la conscience peut conna„tre et se conna„tre. Mais elle est, en elle-mÞme, autre chose qu’une connaissance retourn¦e sur soi.«535

Das Bewusstsein begründet sich in seiner Seinsweise selbst. Insofern es existiert, existiert es als Einheit von präreflexivem Cogito und Cogito. Die ontologische Begründung seines Seins im Sinne seines Vorliegens soll das präreflexive Cogito leisten: Bewusstsein liegt dann vor, wenn es Bewusstsein von seinem Vorliegen hat536. Was lässt sich aber darüber und über die reine ›Affirmation‹ des Seins an sich hinaus an ›verlässlicher‹ Erkenntnis gewinnen? Sartre widmet sich dieser Thematik im Zusammenhang der Zeitlichkeit des Fürsichseins. Denn innerhalb der sartreschen Konzeption von Bewusstsein und Erkenntnis kann zu Recht gefragt werden, wie und inwiefern Erkenntnis – allgemein gefasst unter dem Begriff Reflexion – und Selbsterkenntnis für ein Sein möglich sein kann, dessen Sein (an sich) nur in der Vergangenheit liegt und dessen Gegenwart im ›Entwurf‹ stetig auf ein zukünftiges Sein, das als ›an sich‹ wiederum erst in der Vergangenheit fassbar wird, verweist537. Dieser Frage nach der Möglichkeit und Geltung der Reflexion sucht Sartre mittels der Unterscheidung zwischen reiner und unreiner Reflexion [r¦flexion pure/impure] zu begegnen. Sie rankt sich um das Begriffspaar ›reflexiv‹ und ›reflektiert‹ [r¦fl¦xif et r¦fl¦chi], welches zugleich die Struktur einer möglichen 535 EN, p.17. Hervorhebung im Text. David Guy Joannis stellt in seiner Untersuchung Sartre et le problÀme de la connaissance scharfsinnig die Frage: »Comment peut-on fonder une conscience qui affirme sa primaut¦ sur tout savoir?«, welche den unmittelbaren Zusammenhang der beiden Konzeptionen, der des Bewusstseins einschließlich des Selbstbewusstseins und der der Möglichkeit von Erkenntnis durch dieses Bewusstsein pointiert und zugleich auf die Problematik des Zuganges des Bewusstseins zu verlässlicher Erkenntnis verweist. David Guy Joannis: Sartre et le problÀme de la connaissance, Sainte-Foy, 1997, [Joannis 1997] 70f. 536 EN, 18: »Pourtant la condition n¦cessaire et suffisante pour qu’une conscience connaissante soit connaissance de son objet, c’est qu’elle soit conscience d’elle-mÞme comme ¦tant cette connaissance. C’est une condition n¦cessaire: si ma conscience n’¦tait pas conscience d’Þtre conscience de table, elle serait donc conscience de cette table sans avoir conscience de l’Þtre ou, si l’on veut, une conscience qui s’ignorerait soi-mÞme, une conscience inconsciente – ce qui est absurde. C’est une condition suffisante: il suffit que j’aie conscience d’avoir conscience de cette table pour que j’en aie en effet conscience. Cela ne suffit certes pas pour me permettre d’affirmer que cette table existe en soi – mais bien qu’elle existe pour moi.« Hervorhebungen im Text. In dieser Textstelle wird zudem deutlich, dass diese sartresche Konzeption von Bewusstsein und Erkenntnis keine Aussagen über die objektive Gültigkeit von Erkenntnissen formulieren kann, außer derjenigen, dass der Sachverhalt Bewusstsein vorliegt, wenn ihre Grundlage im präreflexiven Cogito liegen soll. 537 Vgl. EN, 197: »[…]: comment la r¦flexion est-elle possible pour un Þtre qui ne peut Þtre qu’au pass¦?«.

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Selbsterkenntnis impliziert und thematisiert. Wie im Falle der Objekterkenntnis soll das reflexive, auf sich zurückgewendete Bewusstsein, das das reflektierte Bewusstsein als seinen Gegenstand hat, kein ›neues‹ Bewusstsein vorstellen, sondern in einer ›unauflöslichen Einheit‹538 mit dem reflektierten Bewusstsein vorliegen, ohne eine Identität zu postulieren. Für das reflexive Bewusstsein und das reflektierte Bewusstsein bedeutet das Folgendes: Das reflektierte Bewusstsein ist seinerseits stets Bewusstsein (von) sich und, als reflektiertes Bewusstsein, auch Erscheinung [apparence539] für das reflexive Bewusstsein. Für das reflexive Bewusstsein gilt, dass es sowohl Bewusstsein von dem reflektierten Bewusstsein ist als auch wiederum Bewusstsein (von) sich als reflexives Bewusstsein, wenn es denn als solches vorliegt. Aber als dieses reflexive Bewusstsein ist es dennoch zugleich das reflektierte Bewusstsein, das sich als reflexives Bewusstsein selbst zum Gegenstand macht540. Auch auf der Ebene des reflexiven Bewusstseins findet sich demnach die durch diese notwendige Distanz zu sich ausgedrückte ontologische Struktur des Bewusstseins als Fürsichsein. Das Reflexive ist ›Anwesenheit bei‹ dem Reflektierten und von ihm durch ein ›Nichts‹ im Sinne ›interner Negation‹ getrennt. Das Fürsichsein als reflexives Bewusstsein hat diese Nichtung zu sein. Sie kommt ihm nicht durch ein Äußeres zu, sondern soll als eine ›modification intrastructurale‹ vorliegen, die das Fürsichsein, kraft seiner Fähigkeit zu nichten, realisieren kann und sich daher selbst dazu bestimmt als Reflexiv-Reflektiertes zu existieren. So erscheint Selbsterkenntnis als weiterer Seinsmodus des Fürsichseins541, dem eine Nichtung des Fürsichseins zugrunde liegt. Sartre selbst stellt zu Recht die Frage, inwieweit und wodurch diese Nichtung, die er, vom Blickpunkt der internen Struktur des Fürsichseins aus betrachtet, als ›weitergehend‹ [cette n¦antisation plus pouss¦e]542 bezeichnet, motiviert ist. Als ›weitergehend‹ lässt sie sich insofern bezeichnen, als sie über die interne Struktur des Fürsichseins hinausgeht und es als Fürsichsein, das bereits als solches konstituiert zu denken ist, nichtet. Die Motivation für diese der Selbsterkenntnis zugrunde liegende Nichtung liegt in der inneren Struktur des Fürsichseins selbst begründet. Das Fürsichsein als Zeitliches und als stetiger Entwurf auf seine Möglichkeiten hin ist lediglich in der Vergangenheit das, was es ist, und ist als Gegenwärtiges und Zukünftiges stets außerhalb seiner selbst. Es ist ›für sich jedoch nie das, was es ist. Als Fürsich 538 Ebd.: »unit¦ indissoluble«. 539 EN, 198. 540 EN, 199: »[…] c’est-—-dire qu’il se fait lui-mÞme objet pour … en sorte que son sens de r¦fl¦chi est ins¦parable du r¦flexif, existe l—-bas, — distance de lui dans la conscience qui le r¦fl¦chit.« 541 Vgl. EN: 199: »ce nouveau mode d’Þtre«. 542 EN, 199. Traugott König übersetzt: »diese weitergetriebene Nichtung«, SN, 199.

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hat es kein Sein an sich. Die Reflexion des Fürsichseins auf sich stelle den Versuch dar, sein eigenes Sein greifbar zu machen, indem es in dieser ›weitergehenden Nichtung‹ als ›Ganzes‹ genichtet wird, um bei sich ›als Ganzem‹, als ›das, was es ist‹, anwesend zu sein543. Dieser Versuch muss jedoch scheitern, da das Fürsichsein als stetiger Entwurf auf seine Möglichkeiten hin, als stetige Flucht seines Seins an sich, um für sich und bei sich anwesend sein zu können, eben nicht als ›Ganzes‹ genichtet werden kann. Die Reflexion als Selbsterkenntnis mag diesen Versuch des Fürsich ausdrücken, es kann jedoch nie bei sich als ›das, was es ist‹ anwesend sein, sondern lediglich bei dem, was es zu sein hat, nämlich genichtetes Ansich, Entwurf, Zeitliches etc. Sartre bezeichnet daher dieses Scheitern [¦chec] selbst als die Reflexion544. Wie ist nun diese interne Struktur dieser Reflexion vorzustellen, die einerseits das oben Dargestellte leisten und andererseits als ein ›Scheitern‹ bezeichnet werden können soll und muss? Zu diesem Aufweis bedient sich Sartre der erwähnten Unterscheidung zwischen der ›r¦flexion pure‹ und der ›r¦flexion impure‹545. Dabei meint die ›r¦flexion pure‹ die ›simple pr¦sence du pour-soi r¦flexif au pour-soi r¦fl¦chi‹. Dies bedeutet hinsichtlich einer möglichen Evidenz von Reflexion, dass das Reflexive das Reflektierte ist, jedoch nicht im Sinne eines Ansichseins. Wie aus der bisherigen Darstellung deutlich geworden ist, kann das Reflexive das Reflektierte nicht in dem Sinne sein, dass es in ›Identität‹ mit ihm existierte. Das Reflexive ist das Reflektierte ›en toute immanence‹, welches jenseits der Annahme einer Identität besagt, dass das Reflektierte nicht als Objekt für das Reflexive im Sinne von ›außerhalb seiner‹ fungieren kann. Den Aussagen des Erkenntniskapitels gemäß müsste es zu einem Objekt außerhalb seiner einen Standpunkt einnehmen und die jeweilige Distanz vergrößern oder verkleinern können. Das Reflektierte kann sich dem Reflexiven hier jedoch lediglich als quasi-objet und als ein quasi-dehors darbieten546. 543 Vgl. EN, 200: »Par la r¦flexion, le pour-soi qui se perd hors de lui tente de s’int¦rioriser dans son Þtre, c’est un deuxiÀme effort pour se fonder ; il s’agit, pour lui, d’Þtre pour soi-mÞme ce qu’il est.« Und: »Il s’agit, en somme, de surmonter l’Þtre qui se fuit en ¦tant ce qu’il est sur le mode de n’Þtre pas et qui s’¦coule en ¦tant son propre ¦coulement, qui fuit entre ses propres doigts, et d’en faire un donn¦, un donn¦ qui, enfin, est ce qu’il est; […].« Hervorhebungen im Text. 544 Ebd.: »[…] et c’est pr¦cis¦ment cet ¦chec qui est la r¦flexion.« 545 Vgl. hier und im Folgenden: EN, 201ff. 546 Dieses gilt für die ›r¦flexion pure‹ im engeren und, wie gezeigt werden wird, für die ›r¦flexion impure‹ im weiteren Sinne. Sartre merkt jedoch als Vorausweisung an, dass diese Spaltung [scissiparit¦] des Bewusstseins in das Reflexive und das Reflektierte in der Seinsweise des Bewusstseins ›für andere‹ sehr wohl im Sinne eines objet und dehors realisiert werden kann, welches die Bedeutung und die Tragweite dieser Spaltung verstärkt. In diesem Zusammenhang verweist Sartre auf die dem Bewusstsein eigene ›Entzweiung des Sichselbstgleichen‹ der hegelschen Bewusstseinskonzeption in der Phänomenologie des

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Dennoch ist die ›r¦flexion pure‹ eine Erkenntnis und impliziert damit einen Setzungs- und Affirmationscharakter, der durch Negation gekennzeichnet ist. Im Falle der ›r¦flexion pure‹ wird diese der Affirmation zugrunde liegende Negation jedoch nicht vollständig realisiert [sa n¦gation ne se r¦alise pas entiÀrement], gerade weil sie das Reflektierte lediglich als ihr ›quasi-objet‹ zu setzen vermag. Denn das Reflektierte kann sich eben nicht zu etwas völlig Anderem als dem Reflektierten machen [ne peut se faire tout — fait autre que le r¦fl¦chi]. Was folgt aus diesem Aufweis zum einen für den Wert der ›r¦flexion pure‹ als Erkenntnis und zum anderen in Bezug auf deren Evidenz? Wenn Erkenntnis Setzung und Affirmation und damit Enthüllung eines Seins ist, sucht die ›r¦flexion pure‹ ein Sein zu enthüllen, das als solches bereits Enthüllung ist und sich durch sie lediglich als ›schon enthüllt‹ [d¦j— d¦voil¦] präsentiert. Sie setzt das enthüllte Sein, ohne dass sie es zu enthüllen vermag. Sie kann dieses Sein nicht affirmieren im Sinne der Erklärung, dass es sich durch diese Erkenntnis als etwas so und so Gegebenes und Beschaffenes offenbarte. In der ›r¦flexion pure‹ setzt das Fürsich sich in einer Art ›blitzartiger Intuition‹ [intuition fulgurante] als das Sein, das es zu sein hat – jedoch in aller Unbestimmtheit und ohne einen Standpunkt ihm, d i. sich, gegenüber einnehmen zu können. Das Fürsich ist sich in der ›r¦flexion pure‹ in einer absoluten Nähe gegeben [proximit¦ absolue], die als ›präreflexives Verständnis‹ [compr¦hension pr¦-r¦flexive] von sich bestimmt wird. In dieser Hinsicht handelt es sich bei der ›r¦flexion pure‹ in der Tat eher um eine ›Wiedererkenntnis‹ als um eine ›Erkenntnis‹547 von sich. Sie setzt sich in diesem Sinne als ›Sein, das sie zu sein hat‹. Denn, wenn das Reflexive das Reflektierte im Sinne eines präreflexiven Verständnisses desselben ist, ist in dem Sinne auch das Reflexive seine Vergangenheit und seine Zukunft, d.i. zunächst die des Reflektierten. Denn, wie Sartre hier mit Bezug auf Descartes548 ausführt, ist das ›Cogito‹ stets als ein Akt Geistes (PhG, 132ff.). Diese, von Sartre ebenso zugegeben, führt jedoch nicht wie bei Hegel zu einem ›Sich-Aufheben‹ und zu einer ›höheren Integration‹, sondern vertieft diese ›Entzweiung‹ bis zu dem angesprochenen ›Sein für Andere‹: »Pour que la conscience r¦fl¦chie soit ›vue du dehors‹, et pour que la r¦flexion puisse s’orienter par rapport — elle, il faudrait que le r¦flexif ne f˜t pas le r¦fl¦chi, sur le mode de n’Þtre pas ce qu’il n’est pas: cette scissiparit¦ ne sera r¦alis¦e que dans l’existence pour autrui.« EN, 202, Hervorhebungen im Text. »Das Bewusstsein«, so schreibt Sartre, verstehe sich in der Reflexion durchaus als »hegelianisch«, dies sei jedoch »sa plus grande illusion.« (Ebd.). Die Entzweiung von sich, selbst in dem Sinne eines quasi-objet, sei nicht aufhebbar und eben auch für das Bewusstsein eine Illusion, »dass dies Unterschiedene nicht unterschieden ist.« (PhG, 135 Hervorhebung im Text). Anzumerken ist hier, dass diese sartresche Argumentation ihren Ursprung in der Unterscheidung von Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis hat, die sich bei Hegel, auch in Hinblick auf die Beschreibung des Bewusstseins in der hegelschen Gesamtkonzeption, in dieser Form nicht findet. 547 »La r¦flexion est reconnaissance plutút que connaissance«, EN, 202. Hervorhebung im Text. 548 »Ainsi, la conquÞte r¦flexive de Descartes, le cogito, ne doit pas Þtre limit¦e — l’instant

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zu denken, der sich einerseits explizit auf die Vergangenheit zu beziehen vermag sowie sich andererseits in und durch die Zukunft vorskizzieren lässt549. Darüber hinaus folgt bereits aus der aufgewiesenen Tatsache, dass das Fürsich ein Zeitliches ist und sich verzeitlicht, dass die Reflexion, als thetisches Bewusstsein und damit als Seinsmodus des Fürsichseins verstanden, ebenfalls zeitlich und Verzeitlichung sein muss. Ihr Geltungsbereich und ihre Gewissheit umfassen dadurch sowohl die Möglichkeiten, auf die hin sich das Fürsich als Zeitliches entwirft, als auch die Vergangenheit, die das Fürsich ist. Dennoch zeigt gerade die Zeitlichkeit des Fürsichseins, dass sich in der Reflexion das Reflexive und das Reflektierte in der Einheit ihres Seins tatsächlich hinsichtlich der Vergangenheit und der Zukunft des Reflektierten unterscheiden: Zwar geht die Vergangenheit des Reflexiven letztlich in der Vergangenheit des Reflektierten, d.i. des Fürsichseins als Ganzem, auf, jedoch schließt die reflexive Vergangenheit als solche erst einmal nicht per se die Vergangenheit des Reflektierten ein, da das Reflexive sich zunächst auf anderes als die Vergangenheit des Reflektierten beziehen kann. Für die Zukunft des Reflexiven gilt das entsprechend, da die Zukunft des Reflexiven die Möglichkeiten ausmacht, die das reflexive Bewusstsein zunächst als reflexives und nicht als reflektiertes hat. ›Reine Reflexion‹ und Reflexion überhaupt schließt so ein Bewusstsein von den drei zeitlichen Dimensionen des Fürsichseins ein und macht dem Fürsich dieses Bewusstsein bewusst. Insofern enthüllt die reine Reflexion dem Fürsich seine eigene Zeitlichkeit als ›conscience non-th¦tique (d’)¦coulement et conscience th¦tique de dur¦e‹550. Als thetisches Bewusstsein enthüllt sie dem Fürsich seine Möglichkeiten als Möglichkeiten, d.i. sein ›Sein um zu‹ [son Þtre-pour551], sein Sein als stetiger Entwurf, um sich als Sein an sich wiederzugewinnen. Dies kann jedoch lediglich in der Vergangenheit des Fürsich in dem Sinne realisiert werden, als die Vergangenheit des Fürsich diesem durch die ›reine Reflexion‹ aus der Perspektive der Gegenwart als Sein an sich erscheint. Das gegenwärtige Fürsichsein existiert in Einheit mit seiner Vergangenheit, ohne jedoch mit ihr identisch sein zu können. Denn es ist stetiger Entwuf auf seine Möglichkeiten und damit auf seine Zukunft hin. Indem die ›reine Reflexion‹ dem Fürsich diese infinit¦simal. C’est ce qu’on pouvait conclure, d’ailleurs, du fait que la pens¦e est un acte qui engage le pass¦ et se fait pr¦esquisser par l’avenir. Je doute donc je suis, dit Descartes. Mais que resterait-il du doute m¦thodique, si on pouvait le limiter — l’instant? Une suspension de jugement, peut-Þtre. Mais une suspension de jugement n’est pas un doute, elle n’est qu’une structure n¦cessaire. Pour qu’il y ait doute, il faut que cette suspension soit motiv¦e par l’insuffisance des raisons d’affirmer ou de nier – ce qui renvoie au pass¦ – et qu’elle soit maintenue d¦lib¦r¦ment jusqu’— l’intervention d’¦l¦ments nouveaux, ce qui est d¦j— projet de l’avenir«, EN, 202f. Hervorhebungen im Text. 549 Vgl. EN, 203 und im Folgenden 203f. 550 EN, 204. 551 EN, 207.

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Tatsache enthüllt, enthüllt das Fürsich sich selbst zugleich als detotalisierte Totalität. Als ›Enthüllung‹, verstanden als ›Anwesenheit bei sich‹, kann die ›r¦flexion pure‹ aufgrund der sartreschen Prämissen tatsächlich als Erkenntnis angesehen werden, allerdings als eine solche, die ein präreflexives Verständnis dessen, was sie enthüllt, impliziert und auch implizieren muss, um als ›Anwesenheit bei sich‹ verständlich gemacht werden zu können. Das Reflexive hat ein präreflexives Verständnis des Reflektierten. Insofern ist der sartreschen Konstatierung, es handele sich hier eher um eine ›Wiedererkenntnis‹ als um eine Erkenntnis, zuzustimmen. Die Frage hinsichtlich der Gültigkeit einer solchen Erkenntnis und ihres Anspruches auf Evidenz ist folgendermaßen zu formulieren: Wie kann es sein, dass eine ›r¦flexion pure‹, deren Geltungsbereich sich über die drei zeitlichen Dimensionen des Fürsichseins erstreckt, sich hinsichtlich bestimmter Behauptungen, die Vergangenheit dieses Fürsichseins betreffend, irrt bzw. ein Irrtum ihrerseits möglich ist? Sartre stellt diese Frage selbst552, um anhand ihrer herauszustellen, dass die ›reine Reflexion‹ in dem Sinne als apodiktisch zu bezeichnen ist, als sie die Vergangenheit des Fürsichseins genauso erfasst, wie sie für das reflektierte Bewusstsein vom Standpunkt der Gegenwart aus betrachtet ist, als das, was es zu sein hat. So könne die ›reine Reflexion‹ hinsichtlich solcher Behauptungen wie: ›Ich lese‹, ›Ich zweifele‹ oder ›Ich hoffe‹, die von der Gegenwart auf die unmittelbare Vergangenheit des Fürsichseins verweisen, nicht irren. Irrtümer hingegen basierten auf einer ungenauen Erinnerung an Momente aus der Vergangenheit des Fürsichseins, die aus dem Grund zustande kommen könne, dass die Erinnerung im Unterschied zur ›reinen Reflexion‹ die Vergangenheit des Fürsichseins thematisiere. Die Erinnerung ist die Vergangenheit des Fürsich nicht553. Sartre fasst die Erinnerung hier offenkundig nicht als einen reflexiven Akt auf. Hinsichtlich der Exposition der ›r¦flexion pure‹ als ›bloße Anwesenheit des reflexiven Fürsichsein beim reflektierten Fürsichsein ist diese Unterscheidung verständlich. Ebenso ließe sich mit dieser Fassung der ›r¦flexion pure‹ die Beschränkung ihrer Geltung auf die unmittelbare Vergangenheit des Fürsichseins vereinbaren. Zu fragen bleibt jedoch, ob die Erinnerung des Fürsichseins an 552 »Reste — expliquer, dira-t-on, pourquoi cette r¦flexion, pr¦tendue apodicte, peut commettre tant d’erreurs touchant pr¦cis¦ment ce pass¦ que vous lui donnez le droit de conna„tre«, EN, 204. 553 Vgl. ebd.: »L’apodicticit¦ de la r¦flexion ne fait pas de doute, dans la mesure o¾ elle saisit le pass¦ tout juste comme il est pour la conscience r¦fl¦chie qui a — l’Þtre. Si, d’autre part, je puis commettre mainte erreur en me rappelant, sur le mode r¦flexif, mes sentiments ou mes id¦es pass¦s, c’est que je suis sur le plan de la m¦moire: — ce moment-l—, je ne suis plus mon pass¦, mais je le th¦matise. Nous n’avons plus affaire alors — l’acte r¦flexif.« Hervorhebung im Text.

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seine Vergangenheit keinesfalls als ein reflexiver Akt bezeichnet werden können soll. Aufschluss könnte hier die sartresche Exposition der ›r¦flexion impure‹ geben. Der grundlegende Unterschied zwischen der ›r¦flexion pure‹ und der ›r¦flexion impure‹ ist, dass Letztere die setzende Negation des Reflektierten im Gegensatz zur Ersteren vollständig realisiert554. Das Reflektierte wird von der ›r¦flexion impure‹ als Gegenstand gesetzt. Diese Setzung impliziert, dass das Reflektierte als das Reflexive nicht seiend gesetzt wird und das Reflexive dem Reflektierten gegenüber somit einen Standpunkt einnimmt, welches bedeutet, dass das Reflektierte dem Reflexiven als ein Ansich gegenüber steht. In der ›r¦flexion impure‹ wird das Reflektierte als das gesetzt, was es ist. Diese im Unterschied zu der ›r¦flexion pure‹ fortgeführte und vertiefte ›reflexive Aufspaltung‹ [d¦doublement r¦flexif]555 seitens des Reflexiven ist durch den Versuch motiviert, das Reflektierte als Ansich zu sein, d. h. in dieser ›r¦flexion impure‹ sucht das Fürsich sich als ein Ansich, d.i. als das, was es ist, zu erfassen. Dieser Aufweis mag in seinen Aussagen paradox anmuten, zielt jedoch darauf, zu zeigen, dass das reflektierende Fürsich, sobald es bei sich nicht nur als ›intuition fulgurante‹ anwesend ist, sondern sich gegenüber einen Standpunkt einzunehmen, zu sich Stellung zu beziehen sucht, die Distanz zu sich vergrößert, indem das Reflektierte als Objekt des Reflexiven gesetzt wird. Dieses ›Objekt des Reflexiven‹ ist nicht das Reflexive, sondern erscheint als ein Ansich, d.i. als ein ›Schatten‹, als ›transzendente Objektivierung‹556 des Reflektierten. Dieses Reflektierte als ›transzendente Objektivierung‹ hat das Reflexive jedoch dennoch zu sein, insofern es tatsächlich Stellung zu sich nehmen soll und nicht einem Dritten gegenüber. Eine solche Reflexion bezeichnet Sartre, inhaltlich im Anschluss an seine Ausführungen zur ›mauvaise foi‹557, als ›unaufrichtig‹ [de mauvaise foi558]: Durch die Setzung des Reflektierten als ihr ›Objekt‹ behauptet die ›r¦flexion impure‹ eine Differenz zwischen dem Reflexiven und dem Reflektierten und postuliert zugleich ihre Identität, indem sie Stellung zu einem Ansich, das sie ist, zu nehmen meint. Mit der ›r¦flexion impure‹ versucht das Fürsich das Objekt, 554 Vgl. hier und im Folgenden: EN, 207ff. 555 »L’acte objectivant, […], est dans le strict prolongement du d¦doublement r¦flexif, puisque ce d¦doublement se fait par approfondissement du n¦ant qui s¦pare le reflet du refl¦tant.« EN, 208. 556 Vgl.: »Cet en-soi transcendant ou ombre port¦e du r¦fl¦chi dans l’Þtre, il est ce que le r¦flexif a — Þtre en tant qu’il est ce que le r¦fl¦chi est«, EN, 207, und: »[…] c’est la d¦cision mÞme par laquelle la r¦flexion se d¦termine — consid¦rer le r¦fl¦chi comme objet qui fait appara„tre l’en-soi comme objectivation transcendante du r¦fl¦chi«, EN, 208, Hervorhebungen im Text. 557 Vgl. oben, Kapitel 4.2. 558 EN, 208.

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das es sich ist, zu enthüllen oder aber es handelt sich um den ›misslungenen Versuch‹ [effort avort¦] ›anderes‹ zu sein und zugleich es selbst zu bleiben. Dieses ›Andere‹, d.i. das verobjektivierte Reflektierte, ist das notwendige Korrelat der ›r¦flexion impure‹, das Sartre als psychisches Faktum [fait psychique] bezeichnet. Das psychische Faktum ist der ›Schatten‹ des Reflektierten, das, was das Reflexive nicht ist. So ist das, was die ›r¦flexion impure‹ enthüllt, das psychische Leben oder die Psyche des Fürsich, die so als transzendentes, aber virtuelles Ansich erscheint. Unter ›Psyche‹ soll hier das Ego sowie seine Zustände, Qualitäten und Akte verstanden werden559, so dass mit dieser Exposition postuliert wird, dass es von der ›Psyche‹ des Fürsich reflexive, wenn auch unreine reflexive Erkenntnis geben kann, während es sich bei ›reiner Reflexion‹ stets nur um ein ›Wiedererkennen‹ von präreflexiv Vertrautem und daher lediglich um eine quasi-connaissance handeln kann. So enthüllt die ›reine Reflexion‹ das Fürsich als seine Möglichkeiten präreflexiv seiend. Diese Möglichkeiten sind ›mögliche Anwesenheiten bei‹ der Welt ungeachet deren objektiver Verfasstheit. Dennoch sind sie mit der objektiven Verfasstheit der Welt insofern ›synthetisch‹560 verbunden, als sich die dem Fürsich ›möglichen‹ hinsichtlich des objektiven Zustandes der Welt vornehmbaren Modifikationen dieses Zustandes als ›objektive Potentialitäten‹ [potentialit¦s objectives], die das Fürsich in und durch seine Handlungsakte zu realisieren hat, darstellen. Die ›unreine Reflexion‹ setzt diese synthetische Beziehung des Fürsich zu seinen Möglichkeiten sowie seine Handlungsakte als seine virtuellen Gegenstände, um das Fürsich als das zu erfassen, was es ist, und als dieses Sein zu bestimmen. Diese virtuellen Gegenstände enthüllt die unreine Reflexion, um die es sich stets handelt, wenn das Fürsich über sich selbst, als das Sein, was es ist, zu reflektieren sucht. Wenn aber das auf diese Weise als Erkenntnis und Reflexion explizierte thetische Bewusstsein als Seinsweise des Fürsichseins zum einen als ›r¦flexion pure‹ lediglich als eine ›quasi-connaissance‹ bezeichnet werden kann und zum anderen als ›r¦flexion impure‹ lediglich ein ›en-soi virtuel‹ zu enthüllen vermag, dann kann diese Konzeption keine überzeugenden Antworten auf die aufgezeigten Problemstellungen der sartreschen Theorie des Bewusstseins geben. Die Reflexion als thetisches Bewusstsein im Sinne von Selbsterkenntnis bleibt durch den letztlich unmöglichen Versuch der vollständigen Realisierung der 559 Vgl. hier und im Folgenden: EN, 209ff. 560 Unter ›synthetisch‹ [synth¦tique] oder auch ›transzendente psychische Synthese‹ [synthÀse psychique transcendante] ist in diesem Zusammenhang jeder Akt oder jede Handlung des Fürsich zu verstehen, die die Disposition von bestimmten Mitteln einerseits und deren Auswahl hinsichtlich der Realisierung bestimmter Zwecke, die das Fürsich in seinem Sein insofern wesentlich bestimmen, als sie die Realisierung seiner Möglichkeiten betreffen, andererseits einschließt. Als Beispiele für solche Akte werden hier etwa das Forschen eines Wissenschaftlers oder der Wahlkampf eines Politikers genannt. Vgl. dazu: EN, 210.

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dem thetischen Bewusstsein zugrunde liegenden internen Negation evidentermaßen im Fürsichsein als sein ›Sein um zu‹ verhaftet. Sie scheitert gemäß dieser Konzeption in der Tat aufgrund dieses strukturbedingten Unvermögens, da sie diese vollständige Realisierung der internen Negation nur virtuell und nicht reell leisten kann. Die ›r¦flexion impure‹ ist ihrer inneren Struktur nach gewiss von dem Versuch geprägt, die interne Negation vollständig zu vollziehen. Ihr kann jedoch durch das Postulat der ›Unterschiedenheit des Identischen‹ nicht gelingen, das Fürsich als Ganzes, als das, was es ist oder gar als ›vollendete Totalität‹ zu erfassen. Sie kann dem Fürsich lediglich das eigene Psychische als virtuellen Gegenstand enthüllen. Zu ihrer Evidenz lässt sich daher Folgendes sagen: Die ›virtuellen Objekte‹ oder ›psychischen Gegenstände‹, die die ›r¦flexion impure‹ enthüllt, sind in dem Moment der Enthüllung evidentermaßen enthüllt und für das Fürsich vorhanden561. Jedoch folgt aus diesem evidenten Vorhandensein für das Fürsich keine apodiktische Evidenz hinsichtlich der objektiven Gültigkeit des dargebotenen Inhaltes und seiner Qualitäten. Der als An sich enthüllte psychische Gegenstand ist opak. Daher sind seine enthüllten Qualitäten lediglich als ›wahrscheinliche‹ [probable562] zu bezeichnen. Zudem ist dieser enthüllte psychische Gegenstand als ›Schatten‹ des zeitlichen Fürsich aufgrund einer Synthese der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft dieses Fürsich konstituiert vorzustellen. Die Zukunft dieses opaken psychischen Gegenstandes muss jedoch von gänzlich anderer Natur sein als die des Fürsich selbst, da Letztere wesentlich durch die Freiheit des Fürsich charakterisiert ist. Diese kann einem Sein an sich, obgleich als ›Schatten‹ des Fürsich, nicht zugestanden werden. Der durch die ›r¦flexion impure‹ enthüllte ›virtuelle‹ psychische Gegenstand ist strukturell nicht als eigenständiges Sein, sondern stets als abhängig von demjenigen Fürsich, dessen ›r¦flexion impure‹ ihn als ›Schatten‹ darbietet, aufzufassen. Daher ist auch die ›Zukunft‹ des enthüllten psychischen Gegenstandes, wie etwa die Liebe zu jemandem, für das jeweilige Fürsich nicht als auf die eine oder die andere Art verfasst oder ›gesichert‹, sondern immer nur als ›wahrscheinlich‹ erfassbar. Für das oben beschriebene Beispiel einer ungenauen Erinnerung des Fürsich an Momente der eigenen Vergangenheit, die nicht als reflexiver Akt zu verstehen sein soll, zeigt die auf diese Weise exponierte ›r¦flexion impure‹, dass sie als Enthüllung eines ›wahrscheinlichen, virtuellen Ansich‹ strukturell durchaus den 561 Vgl. EN, 211. Hier findet das Beispiel der dem Fürsich durch die ›r¦flexion impure‹ enthüllte Liebe zu jemandem Erwähnung: »Quand je d¦couvre brusquement, quand je vois mon amour, je saisis du mÞme coup qu’il est devant la conscience. Je puis prendre des points de vue sur lui, le juger, je ne suis pas engag¦ en lui comme le r¦flexif dans le r¦fl¦chi. De ce fait mÞme, je l’appr¦hende comme n’¦tant pas du pour-soi. Il est infiniment plus lourd, plus opaque, plus consistant que cette transparence absolue.« 562 Hier und im Folgenden: EN, 212.

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Fall einer solch ungenauen Erinnerung an etwas einschließen würde. Denn es ist aus dem Explizierten nicht zu ersehen, inwiefern ›zu sich Stellung nehmen‹ inhaltlich anders aufzufassen sein soll als ›sich thematisieren‹. Diese ›Erinnerung‹ ›thematisierte‹ dann zwar lediglich das ›Psychische‹ des Fürsich. Da darunter jedoch das Ego sowie seine Zustände, Eigenschaften und Handlungen fallen, die die ›r¦flexion impure‹ als ›wahrscheinliche‹ enthüllen und sich dabei auch auf die Vergangenheit des Fürsich beziehen können muss, und Sartre den Unterschied, den er zwischen ›Reflexion‹ und ›Erinnerung‹ aufzustellen sucht, in keiner weiteren Textstelle erläutert, bleibt dieser in der Tat unverständlich. Als Fazit zu den Problemstellungen der sartreschen Konzeption des thetischen Bewusstseins als ›Erkenntnis‹ und ›Reflexion‹ kann demnach abschließend Folgendes gesagt werden: Die Frage, ob der Vorwurf, Jean-Paul Sartre vertrete mit seiner Konzeption des Bewusstseins einen bewusstseins- und erkenntnistheoretischen Formalismus, gerechtfertigt ist, konkretisiert sich aufgrund des hier Diskutierten in der Frage, ob und inwieweit es diese Konzeption erlaubt, die Immanenz des Fürsichseins zu durchbrechen, um dem bewussten Subjekt einen sinnvollen Zugang zu der es umgebenden Welt, von der Bewusstsein vorliegen soll, zu eröffnen. ›Sinnvoll‹ meint hier zweierlei: Zum einen muss sich dieser Zugang des bewussten Subjektes zur Welt theorieimmanent als kohärent erweisen, so dass die strukturellen Erfordernisse, die das bewusste Subjekt als Fürsichsein bestimmen und auszeichnen sollen, in der Konzeption des Verhältnisses des Fürsichseins zur Welt oder zu innerweltlichen Gegenständen als Ansichsein konsequent gewahrt bleiben. Zum anderen muss dieser Zugang zur Welt seitens des bewussten Subjekts ›sinnvoll‹ in dem Sinne sein, dass er, obwohl möglicherweise theorieimmanent richtig, nicht rein formal bleibt, sondern sich, auch den aufgezeigten theoretischen Grundüberzeugungen Sartres gemäß, ›konkret‹ und nachvollziehbar eröffnet. Thetisches Bewusstsein sollte sich in dieser Konzeption intentionsgemäß als Bindeglied zwischen bewusstem Subjekt und Welt erweisen. Sowohl die Binnenstruktur des Bewusstseins als auch die Diskussion des Erkenntniskapitels563 haben gezeigt, dass der Ursprung dieser Beziehung zwischen Fürsichsein und Ansichsein im nicht-thetischen Bewusstsein, d.i. im präreflexiven Cogito als Ort der ›internen Negation‹, liegt, die das Fürsichsein in seiner Seinsweise als Fürsichsein bestimmt, indem sie die Seinsweise des Ansichseins negiert. Damit und konkretisiert durch die Folgeaufweise des Fürsichseins als ›Mangel‹ und steter ›Entwurf‹ auf sein ›Mögliches‹, ist die strukturelle Abhängigkeit des Fürsichseins vom Ansichsein erwiesen. Das sich im ›Entwurf‹ auf sein ›Mögliches‹ ausdrückende Verhalten des bewussten Subjekts zu der es umgebenden Welt zeigt, dass dieses einzig aus der Binnenstruktur des Bewusstseins als Fürsichsein ab563 Siehe oben, Kapitel 4.4.

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geleitet wird. Eine inhaltliche Erfassung dieses Möglichen kann das präreflexive Cogito als nicht-thetisches Bewusstsein jedoch nicht leisten. Der ›Erkenntnis‹ als Ausdruck thetischen Bewusstseins müsste diese Aufgabe im Sinne der Konzeption eines ›sinnvollen‹ Zuganges des Subjekts zur Welt zukommen. Das Erkenntniskapitel, dessen Fazit lautet, dass die Anwesenheit des Bewusstseins bei einem Sein außerhalb von ihm zu einer Affirmation dieses Seins an sich führt, hat gezeigt, dass eben diese Affirmation lediglich im Sinne eines ›Es gibt‹ aufzufassen und somit von dem inhaltlichen Erfassen eines Sein ansich zu unterscheiden ist. Darüber hinaus vermag dieses thetische Bewusstsein keine verlässliche Erkenntnis zu liefern. Dies zeigt, dass das auf diese Weise als Erkenntnis explizierte thetische Bewusstsein letztgenannte Aufgabe nicht leisten kann. Das gilt, wie aus dem oben Diskutierten deutlich wird, auch und in stärkerem Maße für den Aufweis des thetischen Bewusstseins als ›Reflexion‹, die in ihrer ›reinen‹ und ›unreinen‹ Spielart als ›Selbsterkenntnis‹ des Fürsichseins in dessen Immanenz verhaftet bleibt. Denn sie ist einerseits lediglich ein ›Wiedererkennen‹ des präreflexiv Vertrauten und vermag andererseits nur ein das Fürsich in seinem psychischen Sein betreffendes ›virtuelles‹ Ansich zu offenbaren. Der konkrete Zugang zur Welt wird von der sartreschen Konzeption des Bewusstseins als Fürsichsein, das sich stets auf sein Mögliches entwirft und damit als handelndes Subjekt in der Welt aufgefasst wird, folglich gefordert. Er ist in der hier diskutierten Konzeption jedoch nicht einlösbar, so dass dem bewussten Subjekt ein ›sinnvoller‹ Zugang zu der es umgebenden Welt im Sinne des oben genannten Verständnisses verwehrt bleibt. Dies gilt für beide genannten Lesarten: Zum einen können theorieimmanente Forderungen, wie die inhaltliche Erfassung des Möglichen des Fürsichseins, die für seine Realisierung und den erneuten Entwurf auf wiederum Mögliches des Fürsichseins unabdingbar ist, auch durch die sartresche Konzeption der Erkenntnis als thetisches Bewusstsein nicht geleistet werden. Zum anderen ergeben sich in dieser Konzeption Schwierigkeiten innerhalb ihrer Explikation selbst, wie etwa hinsichtlich des Verständnisses der ›totalen Ununterschiedenheit des Seins‹ im Erkenntnisakt, das zur Affirmation des Seins an sich führen soll, so dass ein ›konkreter‹ Zugang des bewussten Subjekts zur Welt der vortheoretischen, realistischen Grundüberzeugung Sartres gemäß nicht gegeben und nicht verständlich gemacht werden kann. Gewiss ist zu unterscheiden zwischen einem möglichen Zugang des Bewusstseins zur Welt, den das thetische Bewusstsein als Erkenntnis eröffnet, und der Evidenz hinsichtlich der Verlässlichkeit oder objektiver Gültigkeit dieser Erkenntnis. Deutlich geworden ist dabei, dass thetisches Bewusstsein als ›Anwesenheit bei‹ durch die Affirmation innerweltlichen Seins einen Zugang zur Welt und damit eine Transzendenz aus der Immanenz des Bewusstseins sehr wohl eröffnet und dass diese Affirmation evidentermaßen stets vorliegt, insofern es Bewusstsein gibt. Doch als ›sinnvoll‹ und kohärent in

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Das Verhältnis zwischen Fürsichsein und Ansichsein

Hinblick auf die weiteren genannten theoretischen Erfordernisse einer Konzeption des Bewusstseins kann dieser Zugang zur Welt seitens des thetischen Bewusstseins, wie ausgeführt, eben nicht bezeichnet werden564. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass Sartre mit seiner Bewusstseinskonzeption, die sich durch die Verlagerung der ursprünglichen Relation zwischen Bewusstsein und Welt in die Binnenstruktur des Bewusstseins auszeichnet, in Hinblick auf die Vermeidung von Zirkel- und Regressproblematiken zwar einen scharfsinnigen Ansatz bietet, jedoch tatsächlich in einem Formalismus verbleibt. Dies liegt offenkundig darin begründet, dass Ursprung und Basis dieser Relation im präreflexiven Cogito angesiedelt werden. Das präreflexive Cogito wird exponiert als Ursprung von Negation und Nichtung der Seinsweise des Ansich, welches bereits ein ebenfalls präreflexives Verständnis565 dieser Seinsweise voraussetzen muss, das seinerseits die Motivation für die Nichtung seiner selbst, um in Abgrenzung zum Ansich als Fürsich zu existieren, verständlich machen könnte566. Damit ist es auch Ursprung der Seinsweise der ›Anwesenheit bei‹ sowie der Mangelstruktur des Fürsich und des Entwurfes sowie der aufgewiesenen Bezüge, in denen thetisches Bewusstsein innerweltliches Sein enthüllt. Zu fragen wäre hier zum einen, ob es als Ursprung dieser Strukturen in dieser Konzeption nicht mehr zu leisten hat, als es als präreflexives Cogito zu leisten im Stande ist. Zum anderen und gewichtiger ist jedoch die konzeptionelle Konsequenz dieser strukturellen ›Überfrachtung‹ des präreflexiven Cogito: Auch das thetische Bewusstsein von der Welt, expliziert als Erkenntnis und Reflexion, bleibt als ausführendes Moment dieser präreflexiv begründeten Strukturen in der Immanenz des Bewusstseins gefangen. Es kann lediglich durch die Transzendenz auf innerweltliches Sein als sein Objekt über das präreflexive Cogito hinausgehen, indem es die Aussage der Existenz oder Nicht-Existenz eines oder mehrerer innerweltlichen Seienden für ein, d.i. das jeweilige Bewusstsein, dessen Moment

564 Der Fall, ob und inwiefern zwei oder mehr Bewusstseine oder bewusste Subjekte sich über innerweltliche Gegenstände und deren Verfasstheit sowie über andere bewusste Subjekte austauschen können, findet sich hier noch nicht berücksichtigt. Gewiss muss die Intersubjektivität in der sartreschen Konzeption Erwähnung finden. Sie wird unten im Kapitel 5 in Bezug auf oben genannte These erläutert. 565 Die These von der Möglichkeit eines ›präreflexiven Verständnisses‹ von etwas liefert Sartre in der Diskusssion der ›r¦flexion pure‹, der als ›reconnaissance‹ eine ›compr¦hension pr¦r¦flexive‹ des Reflektierten zugeschrieben wird. Vgl. EN, 202. 566 Dass Sartre die Anwort auf die Frage nach dem Urheber des Vollzuges der ursprünglichen Nichtung, um tatsächlich in der Seinsweise des Fürsich und gegen die Seinsweise des Ansich existieren zu können, schuldig bleibt, sei in diesem Zusammenhang nochmals erwähnt.

Die intentionale Struktur als Bindeglied

159

es ist, trifft. Dies meinen die zitierten Sätze: »Le monde est humain« und »[…] cette v¦rit¦ demeure strictement humaine«567. Somit erschöpft sich thetisches Bewusstsein in der Enthüllung des Seins an sich ›tel qu’il est‹. Eine solche Konzeption lässt folglich in ihrer Konsequenz wiederum die Nähe zu verworfenen erkenntnistheoretischen Positionen wie der der Relativität innerweltlichen Seins zum Bewusstsein erscheinen568. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass die inhaltliche oder qualitative Verfasstheit innerweltlichen Seins in dieser Konzeption offenkundig ›parallel‹569 zu dem Bewusstsein erscheint, das eben nichts Derartiges über die Bezüge hinaus, in denen es innerweltliches Sein enthüllt, über dieses Sein zu erfassen und auszusagen vermag. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen zu Sartres Bewusstseinskonzeption ist auch die Frage nach der Möglichkeit und den Grenzen der Intersubjektivität zu stellen, die das folgende Kapitel erörtert.

567 EN, 270. 568 Vgl. hier nochmals den bereits zitierten Vorwurf Sartres an Husserl in Une id¦e fondamentale de Husserl: L’intentionnalit¦, 32: »Mais Husserl n’est point r¦aliste: […]. La conscience et le monde sont donn¦s d’un mÞme coup: ext¦rieur par essence — la conscience, le monde est, par essence, relatif — elle.« 569 Vgl. Fußnote 534.

5.

Fürsichsein und Füranderesein: Zur Möglichkeit und Problematik der Intersubjektivität

Die in dem vorangegangenen Kapitel erörterte Problematik eines erkenntnistheoretischen Formalismus in Hinblick auf die sartresche Konzeption des Verhältnisses zwischen Subjekt und Welt betrifft insbesondere auch die Frage nach einem möglichen Verhältnis zwischen bewussten Subjekten und der Bestimmung dieses Verhältnisses. Gelingt es einer sartreschen Theorie der Intersubjektivität, die zweifelsohne auf der hier erörterten Konzeption des Bewusstseins als Für-sich-Sein aufbauen muss, diesen Formalismus zu durchbrechen und Sartres eigenem Anspruch gemäß einen Solipsismus abzuweisen570 ? Inwiefern kann von einem Verhältnis zum Anderen oder gar Erkenntnis des Anderen innerhalb dieser Konzeption gesprochen werden? Und schließlich: Wie und inwiefern können sich zwei oder mehrere bewusste Subjekte über die Verfasstheit innerweltlichen Seins austauschen?

5.1

Das Sein-für-Andere

Sartres Ausgangspunkt für seine Theorie der Intersubjektivität ist das ›Sein für Andere‹ als Strukturmoment des Fürsichseins. Zu dieser Konzeption sieht er sich nach einer erneuten Kritik an den Positionen Husserls, Hegels, Heideggers und auch Kants veranlasst, die jedoch wesentlich durch seinen eigenen bewusst570 Die von Sartre hier angesprochene Solipsismusproblematik steht insofern inhaltlich mit dem erörterten Formalismusvorwurf in Zusammenhang, als das sartresche Fürsichsein selbst als ek-statischer Entwurf und auch als thetisches Bewusstsein in der Subjektivität verbleibt und alle Aussagen über innerweltliche Dinge immer nur wahrscheinlich bleiben. Dass Sartre sich hier explizit auf die Solipsismusproblematik bezieht, könnte als Hinweis darauf gesehen werden, dass Sartre sich dieses Formalismus ebenfalls bewusst ist. Vgl. EN, 301: »[…] si le solipsisme doit pouvoir Þtre r¦fut¦.« Und die Textstelle EN, 290f., in der Sartre seine in La Transcendance de l’Êgo vertretene These, der Solipsismus ließe sich durch das Verwerfen eines ›transzendentalen Ego‹ im Sinne Husserls unterlaufen, zurückweist: »J’avais cru, autrefois, pouvoir ¦chapper au solipsisme en refusant — Husserl l’existence de son ›Ego‹ transcendantal. […]«. Vgl. dazu auch oben, Kapitel 2.3.

162

Fürsichsein und Füranderesein

seinstheoretischen Ansatz geprägt ist. Daher sind als Ergebnis keinesfalls ihre sachliche Angemessenheit571 als vielmehr folgende Punkte festzuhalten, die sich überwiegend aus der Argumentation des Erkenntniskapitels ergeben: Das ›Sein für Andere‹ als Strukturmoment des Fürsichseins soll erlauben, die Beziehung zum Anderen als Seinsbeziehung und keinesfalls als eine durch Erkenntnis vermittelte zu erfassen. D.h. es soll sich nicht um eine Beziehung zwischen zwei erkennenden Subjekten handeln, die diese Beziehung durch ihr erkennendes Vermögen konstituieren. Denn im letzteren Fall bliebe der Andere, wie das Erkenntniskapitel gezeigt hat, ›bloß wahrscheinlich‹. Gelingt daher der Aufweis einer Seinsbeziehung zum Anderen im oben beschriebenen Sinne, sei auch die Solipsismusproblematik unterlaufen, da ein so verstandenes Fürsichsein in seinem Sein wesentlich nicht nur ›Anwesenheit bei‹ der Welt, sondern zudem ›Sein für‹ Andere, d. h. andere Seiende vom Seinstyp des Fürsichseins, ist572. Dieses ›Sein für Andere‹ wird im Folgenden von Sartre interessanterweise zunächst analog zu der Struktur der ›Anwesenheit bei‹ wesentlich durch die ›interne Negation‹ [n¦gation interne573] als Grundlage charakterisiert, so dass sich das Fürsichsein in seinem Strukturmoment des ›Sein für Andere‹ wesentlich dazu bestimmt, der ›Andere nicht zu sein‹. Ein signifikanter Unterschied zur Konzeption der ›Anwesenheit bei der Welt‹ liegt jedoch darin, dass das Fürsichsein qua Fürsichsein sich hier nicht gegen ein Sein eines anderen Seinstyps als Fürsichsein, sondern als Fürsichsein gegen ein anderes Fürsichsein bestimmt. Der Unterschied zu der Konzeption der ›Anwesenheit bei sich‹ des Fürsichseins ist, dass es sich gegen ein fremdes Fürsichsein bestimmen muss. Es handelt sich nicht um ein ›Losreißen von sich‹, sondern um ein ›Losreißen vom Anderen‹. Diese Unterschiede müssen der ›internen Negation‹ des ›Sein für‹ einen grundlegend anderen Charakter als der der ›Anwesenheit bei‹ verleihen. Sartre trägt dieser Überlegung Rechnung, indem er ausführt, dass zwar die Gegenständlichkeit [l’objectit¦574] eine der Spielarten [une des modalit¦s] des ›Sein für Andere‹ ist, welche durch den phänomenologischen Aufweis der konkreten

571 Vgl. EN, 288ff. Auf die Erörterung der Frage nach der sachlichen Angemessenheit dieser Kritik an Husserl, Hegel, Heidegger und Kant wird daher im Zusammenhang mit der hier wesentlichen Thematik des sartreschen Ansatzes verzichtet. 572 Vgl. dazu EN, 300 und 307: »En un mot l’existence d’autrui ne doit pas Þtre une probabilit¦. La probabilit¦ en effet ne peut concerner que les objets qui apparaissent dans notre exp¦rience ou dont des effets nouveaux peuvent para„tre dans notre exp¦rience.« Und 309: »Si autrui est objet pour moi il me renvoie — la probabilit¦.« 573 EN, 309: »[…] elle sera n¦gation interne, ce qui signifie liaison synth¦tique et active des deux termes dont chacun se constitue en se niant de l’autre.« Und vgl. den analogen Aufweis im Erkenntniskapitel. 574 Hier und im Folgenden: EN, 310 und vgl. auch 313: »Mais autrui est encore objet pour moi«.

Das Sein-für-Andere

163

Begegnung des Anderen im Blick575 belegt werden soll, die in Frage stehende ›interne Negation‹ jedoch neben ihrer Leistung, den ›Anderen‹ als solchen zu erkennen und anzuerkennen als eine per se mögliche, wechselseitige Relation von zweifacher Interiorität576 angenommen werden muss. Denn der Andere soll sich in seinem Fürsichsein als solches ebenfalls gegen ›Andere‹ bestimmen können. Diese strukturelle Besonderheit der ›internen Negation‹ des ›Seins für Andere‹ ist im Folgenden einerseits in Hinblick auf ihre Schlüssigkeit und andererseits in Hinblick auf das sartresche Gesamtunternehmen kritisch zu beleuchten. Bereits der hier schon andeutungsweise erwähnte methodische Zugriff auf die Struktur des Für-Andere-Seins zeigt zweierlei: Die Wahl einer ›phänomenologischen Analyse‹577 der konkreten Begegnung des Anderen ist zum einen wiederum von dem erwähnten Bemühen getragen, sowohl den Solipsismus als auch den Idealismus zu umgehen. Die Grundthese dieser Analyse lautet: »On rencontre autrui, on ne le constitue pas.«578 Sie soll als Basis für den Aufweis der Struktur des Für-Andere-Seins dienen. Die zu analysierende Begegnung mit dem Anderen geschieht durch dessen ›Blick‹ [Le regard]579 auf das in Frage stehende Fürsichsein, das sich in seiner Seinsweise wesentlich durch sein Sein für Andere auszeichnen soll. Diese Anderen – hier bewusst in der Mehrzahl genannt – sind als Totalität und genauer, da es sich um Seiende vom Seinstyp des Für-sich-Seins handelt, analog zu diesem als ›detotalisierte Totalität‹ [totalit¦ d¦totalis¦e580] und als eine noch pränumerische, noch undifferenzierte Realität [r¦alit¦ pr¦num¦rique581] zu begreifen. Damit soll zum einen deutlich gemacht werden, dass der Blick des oder der Anderen ein jegliches Fürsichsein jederzeit erfassen kann und zum anderen, dass sich ein Fürsichsein in der sein Füranderesein konstituierenden internen Negation stets gegen diese detotalisierte Totalität der Anderen bestimmt. Zum anderen zeigt dieser phänomenologische Zugriff der Analyse des ›Blickes‹, dass das ›Erblicktwerden‹ von Anderen dem jeweiligen Fürsichsein sein Für-Andere-Sein enthüllt, so dass der Blick des Anderen stets als primäres Phänomen dieser Begegnung mit dem Anderen anzusehen ist. Diese Tatsache 575 Dies wird im Folgenden ausführlich dargestellt werden. 576 Vgl. EN, 309. 577 Die Wahl dieses Begriffes erfolgt hier analog zu den sartreschen Aufweisen der vorangehenden Kapitel. Vgl. zu diesem Begriff auch: Raffll Fornet y Betancourt: Philosophie der Befreiung. Die phänomenologische Ontologie bei Jean-Paul Sartre, Frankfurt/M. 1983, [Betancourt 1983] 181. 578 EN, 307, Hervorhebung im Text. Übersetzt: »Man begegnet dem Anderen, man konstituiert ihn nicht«, SN, 307. 579 EN, 210ff. 580 EN, 310. 581 Ebd.

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Fürsichsein und Füranderesein

hat sowohl Konsequenzen für die Struktur der ›wechselseitigen internen Negation in ihrer zweifachen Interiorität‹ als auch, mit Ersterem verbunden, für die möglichen Verhaltensweisen eines Fürsichseins zum Anderen. Die Struktur dieser dem Sein für Andere zugrunde liegenden ›internen Negation‹ gilt es, im Folgenden in den Mittelpunkt der Untersuchungen zu stellen. Wichtig ist zunächst festzuhalten, dass sich diese ›interne Negation‹ sowie das ihr vorangehende Auftauchen des Anderen – Sartre verwendet hier abermals die Wendung ›ursprünglich‹, d. h. ›ursprüngliches Auftauchen‹ des Anderen – auf der präreflexiven Ebene des Cogito ereignen582. Wie ist dies zu verstehen? Über die Bedeutung des präreflexiven Cogito als Grund für die erörterte Möglichkeit von Erkenntnis hinaus soll ihm im Aufweis des Für-Andere-Seins, d.i. im ›Auftauchen des Anderen‹ im ›Blick‹, die Leistung zuzusprechen sein, sowohl den Anderen als Anderen, d.i. als anderes Fürsichsein zu enthüllen, als auch die Basis für den ›Einbruch des Ich‹ [irruption du moi583] zu bilden, des Ich, das als dem jeweiligen Fürsichsein zugehörig und zugleich als Objekt für den oder die Anderen erfasst werden können soll. Phänomenologisch konkret sucht Sartre diesen Zusammenhang unter Rückgriff auf die in La Transcendance de l’Êgo entwickelte egolose Struktur des präreflexiven Cogito am Beispiel der ›Scham‹ [la honte]584 aufzuweisen: Auf präreflexiver Ebene befindet sich daher ein Für-sich-Sein, das, durch Eifersucht, Neugier o. Ä. angetrieben, durch ein Schlüsselloch späht585. Dieses Für-sich-Sein ist präreflexiv ganz in Situation, d. h. ohne dieses ›In-SituationSein‹ zu reflektieren und daher ohne sich seiner Situation thetisch bewusst zu sein. Es ist seine Eifersucht, seine Neugier aber erkennt sie auf dieser präreflexiven Ebene nicht586. Der ›Einbruch des Ich‹ geschieht nun in dem Moment, in dem das Fürsichsein realisiert, dass es von einem anderen Fürsichsein angeblickt wird. Das ›Ich‹ – und das ist das strukturell Neue im Falle des sich hier durch diesen ›Einbruch des Ich‹ zeigenden Füranderesein – bricht in diese unreflektierte, präreflexive Ebene herein, so dass dieses noch unreflektierte Bewusstsein in dem Sinne Bewusstsein von der Welt ist, als es sich durch den vorgängigen Blick des Anderen nun als Späher sieht und somit sein ›Ich‹ auf dieser noch präreflexiven Ebene vergegenwärtigen soll. So komme dem präreflexiven Cogito im Falle des Fürandereseins die Rolle zu, die sonst dem Cogito zukommt. 582 583 584 585 586

EN, 317: »Je suis seul et sur le plan de la conscience non-th¦tique de moi.« EN, 318. EN, 319. Vgl. hier und im Folgenden EN, 317ff. Ebd.: »[…] cette jalousie, je la suis, je ne la connais pas.« Hervorhebung im Text. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Sartres Aufweis des ›In-Situation-Seins‹ am Beispiel des Zählens, oben, Kapitel 3 oder auch das Bewusstsein von der Lektüre aus TE, 30ff.

Das Sein-für-Andere

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Dies gilt es genauer zu präzisieren: Denn, wird Sartre dieser Schritt zunächst einmal zugestanden, vergegenwärtigt das vom Anderen erblickte Fürsichsein präreflexiv sein ›Ich‹ als Späher, dies jedoch nicht als sein Objekt, sondern als Objekt für den Anderen587. Das bedeutet, dass das Fürsichsein auf dieser präreflexiven Ebene durch den Blick des Anderen weder sein ›Ich‹ noch den Anderen als Objekt vergegenwärtigt. Dazu ist es auf seiner präreflexiven Ebene zum einen gar nicht in der Lage, zum anderen ist der Andere in dieser beschriebenen Relation nicht Objekt. Er ist Subjekt des Blickes: Er blickt das Fürsichsein an. Wäre er Objekt des Cogito eines Fürsichseins, hörte das ›Ich als Späher‹ dieses Fürsichseins mit einem Schlage auf zu existieren, da es ein Objekt nur für ein Subjekt geben kann588. So befindet sich das Fürsichsein in seinem präreflexiven Cogito durch den ›Einbruch des Ich‹ in dessen Struktur in einem Dilemma: Weder der das Fürsichsein erblickende Andere ist als Objekt greifbar, noch kann das eigene Ego, das Ego des Ego cogito von dem präreflexiven Cogito als präreflexivem als sein Objekt begriffen werden. Das eigene Ego offenbart sich ihm als ›Objekt-Ich-alsSpäher‹ für den Anderen. Das Fürsichsein erfasst sich in seinem Erblicktwerden als von seinem ›Ich‹ als Objekt für den Anderen durch ein ›Nichts‹ getrennt. Dieses ›Nichts‹ ist analog zu dem durch die ›interne Negation‹ erfassten der ›Anwesenheit bei‹ zu verstehen, denn das präreflexive Cogito vermag dieses eigene ›Ich als Objekt‹ lediglich als ›nicht für es seiend‹ [en tant qu’il n’est pas pour moi]589 begreifen. So verbindet dieses ›Ich als Objekt‹ oder ›Objekt-Ich‹ das Fürsichsein einerseits mit dem Anderen, andererseits erfährt es durch sein ›Objekt-Ich‹ seine unaufhebbare Geschiedenheit vom Anderen. Im Blick des Anderen ist das Fürsichsein sein ›Ich als Späher‹, ohne es als sein Objekt erkennen zu können. Es begreift sich lediglich als von der Freiheit und den Möglichkeiten des Anderen her, in dessen Horizont es Objekt ist, als ›Ich in einer entfremdeten Welt‹590. Das Phänomen der Scham soll dieses Dilemma deutlich machen: Die Scham wird von dem Fürsichsein auf seiner präreflexiven Ebene ›erlebt‹ [vivre (v¦cue)] als ›Scham über sich‹ [honte de soi]. Sie ist ›Scham über sich‹, weil das ›Ich als Späher‹ von dem Fürsichsein präreflexiv als seines anerkannt wird. Es ist dieses ›Ich‹, das durch das Schlüsselloch ›späht‹ und das der Andere durch seinen Blick 587 EN, 318: »[…] en tant qu’elle est objet pour autrui.« Hervorhebung im Text. 588 EN, 319: »[…]; autrui n’est pas objet ici et ne saurait Þtre objet, […], sans que du mÞme coup, le moi cesse d’Þtre objet-pour-autrui et s’¦vanouisse.« 589 Hier und im Folgenden ebd. 590 Vgl. ebd. »Et ce moi que je suis, je le suis dans un monde que l’autrui m’a ali¦n¦, car le regard d’autrui embrasse mon Þtre et corr¦lativement les murs, la porte, la serrure; toutes ces choses-ustensiles, au milieu desquelles je suis, tournent vers l’autre une face qui m’¦chappe par principe.«

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Fürsichsein und Füranderesein

zu seinem Objekt macht und als ›Späher‹ beurteilt. Das präreflexive Erleben der ›Scham über sich‹ enthüllt dem präreflexiven Cogito den Anderen durch dessen Blick, denn in der ›Scham über sich‹ wird das Angeblicktwerden durch den Anderen erlebt. Dies ist die ursprüngliche Relation, in der der Andere, und damit verbunden auch das Füranderesein des Fürsichseins, in dessen innerer Struktur gegenwärtig ist. So haben Aufweis und Analyse des Phänomens der Scham – unter der Prämisse, dass der ›Einbruch des Ich‹ unter dem Blick des Anderen und die Anerkennung des ›Objekt-Ich‹ durch das Fürsichsein als Seines präreflexiv erfolgt – gezeigt, dass die Relation zwischen dem Fürsichsein und dem Anderen ursprünglich als Seinsbeziehung und nicht als durch Erkenntnis vermittelt beschrieben werden kann. Insofern ist die Bedeutung der ›internen Negation‹ für die Möglichkeit des Fürsichseins, sein Füranderesein zu begreifen, anhand des Beispiels der Scham ebenfalls implizit deutlich geworden. Sie zeigt sich zunächst an dem beschriebenen Dilemma des Fürsichseins, den ›ursprünglich auftauchenden Anderen‹, wie ihn das Phänomen der ›Scham über sich‹ anzeigt, in dem Moment seines Auftauchens gar nicht verneinen zu können, da das Fürsichsein in diesem Moment auf seine Rolle als ›Objekt für den Anderen‹ fixiert bleibt. Dieses Dilemma gründet in folgenden theorieimmanenten Annahmen: Die ›wechselseitige interne Negation mit doppelter Interiorität‹ soll, wie erwähnt, die Möglichkeit beschreiben, dass zwei Bewusstseine einander als jeweils andere Bewusstseine ohne den Umweg über ein drittes Bewusstsein, das als Zeuge fungierte, bewusst sein können. Das bedeutet, dass die Möglichkeit eines ›Seins für Andere‹ tatsächlich als Strukturmoment des Fürsichseins aufgewiesen werden können soll. Die Struktur der ›internen Negation‹ als solcher ist durch die Seinsweise der ›Anwesenheit bei‹ bekannt. Dass die ›interne Negation‹ im Falle des ›Seins für Andere‹ per se wechselseitig möglich sein muss, ist eine plausible Forderung. Die Wendung der ›doppelten‹ oder ›zweifachen Interiorität‹ dieser ›internen Negation‹ verlangt jedoch eine Erläuterung. Die ›zweifache Interiorität‹ der ›internen Negation‹ soll der Tatsache Ausdruck verleihen, dass die Begegnung des Anderen immer und nur über dessen Gegenständlichkeit respektive seine Vergegenständlichung durch dasjenige Fürsichsein, das ihm begegnet, möglich ist. Die Untersuchung des Phänomens des Blickes hat gezeigt, dass ein Fürsichsein die Begegnung des Anderen nur durch seine Vergegenständlichung seitens dieses Anderen erfahren und erfassen kann. Diese Vergegenständlichung erfolgt durch ›interne Negation‹ im Sinne der ›Anwesenheit bei‹. Letztere zielt jedoch nicht auf das in Frage stehende Fürsichsein als Subjekt, sondern auf dieses Fürsichsein als Objekt, zu dem es in der Struktur der ›Anwesenheit bei‹ schon allein dadurch wird, dass es vom Anderen

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als ›nicht-Ich seiend‹ beurteilt wird591. Dieses vom Anderen erblickte und beurteilte ›Objekt-Ich‹ des in Frage stehenden Fürsichseins wird – das hat die Analyse der Scham gezeigt – von diesem Fürsichsein als seines anerkannt592, da es dieses in seinem Sein unmittelbar betrifft. Dennoch wird dieses ›Objekt-Ich‹ in einem zweiten Schritt von dem in Frage stehenden Fürsichsein verneint, denn es ist Ausdruck der Erkenntnis und der Freiheit des Anderen, eben dieses ›Objekt-Ich‹ in seinem Welt- und Entwurfzusammenhang zu beurteilen593. Diese Beurteilung durch den Anderen, die mit der Vergegenständlichung des in Frage stehenden Fürsichseins einhergeht, enthüllt diesem Fürsichsein folglich ein Sein, das es ist, ohne Möglichkeit, es nicht zu sein. Dieses Sein erscheint weder innerhalb des Möglichen des Fürsichseins noch gehört es seiner Vergangenheit an. Es ist durch ›Nichts‹ von ihm getrennt und ist dennoch nicht ursächlich durch es begründet. Das Sein des vom Anderen beurteilten Objektes ist ein Sein an sich594, das dem Fürsichsein als sein ›Außen‹ [dehors]595, d.i. seine Außenseite, die von dem Blick des Anderen enthüllt wird, zugehört. Von diesem, seinem durch den Anderen enthüllten Sein an sich sucht das Fürsichsein sich – ebenfalls durch ›interne Negation‹, da es sich ja um ein Sein handelt, das ihm wesensmäßig zugehörig ist – loszureißen. Das Fürsichsein verneint also primär das ihm vom Anderen durch dessen Blick auferlegte Objektsein, indem es sich dazu bestimmt, dieses ›Objekt-Ich‹ nicht zu sein, sondern – und damit zielt das Fürsichsein erst sekundär auf den Anderen als solchen – sich als ›Subjekt-Ich‹ gegen den Anderen zu bestimmen. Dieses ›sich als ›Subjekt-Ich‹ gegen den Anderen zu bestimmen‹ ist zum einen motiviert durch die Verteidigung des eigenen Seins596 als Fürsichsein, das das Fürsichsein übernimmt. Zum anderen bestimmt sich das Fürsichsein als ›Subjekt-Ich‹ durch die Vergegenständlichung des Anderen dazu, der Andere nicht zu sein. Konkret zielt diese ›interne Negation‹ auf den ›ObjektAnderen‹, den der Blick des Fürsichseins auf den Anderen enthüllt597, bei591 Inwiefern die sartresche Theorie des Für-Andere-Seins erlaubt, dass der Subjekt-Andere, der als dem Phänomen des Blickes vorausgehend angenommen werden muss, strukturell zu unterscheiden vermag, ob er sich auf einen Gegenstand in der Welt vom Seinstyp des Ansichseins oder auf ein Fürsichsein richtet, wird sich in der folgenden Erörterung auch unter Verweis auf die Rolle des ›Leibes‹ zu zeigen haben. 592 Ob mit diesem Anerkennen des Objekt-Ich als seines ein ›Umschalten‹ von der präreflexiven auf die reflexive Ebene vorliegt, wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels erörtert werden. Jedoch ist festzuhalten, dass Sartre in der Analyse des Blickes die ›Scham über sich‹ mit diesem Anerkennen gleichsetzt. Vgl. dazu: EN, 319. 593 Vgl. EN, 320. 594 Ebd.: »Mais cet Þtre, la honte me r¦vÀle que je le suis. Non pas sur le mode de l’¦tais ou du ›avoir — Þtre‹, mais en-soi.« Hervorhebungen im Text. Und vgl. EN, 324. 595 EN, 321. 596 Vgl. dazu: EN, 327: »L’objectivation d’autrui, […], est une d¦fense de mon Þtre qui me libÀre pr¦cis¦ment de mon Þtre pour autrui en conf¦rant — autrui un Þtre pour moi.« 597 In diesem Zusammenhang wird die Diskussion dieser Konzeption der ›internen Negation

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Fürsichsein und Füranderesein

spielsweise auf den ›Anderen als Späher‹. Diesen komplexen Zusammenhang sucht die Wendung der ›wechselseitigen internen Negation mit zweifacher Interiorität‹ zu beschreiben. Sie ist ›wechselseitig‹, da sie sowohl ausgehend von dem Anderen als auch von dem jeweils in Frage stehenden Fürsichsein angenommen werden muss. Die ›zweifache Interiorität‹ muss diese ›wechselseitige interne Negation‹ auszeichnen, da sowohl der Zugang vom Anderen zum Fürsichsein durch den Blick des Anderen als auch der Zugang des Fürsichseins zum Anderen durch den Blick des Fürsichseins über die Negation der Gegenständlichkeit des Fürsichseins bzw. des Anderen erfolgt. Dabei hat die ›interne Negation‹ des Anderen im Blick, die das in Frage stehende Fürsichsein vergegenständlicht und damit zum Objekt des Anderen macht, ontologische Priorität. Erst durch sie kann das Fürsichsein seinem ›Ich als Späher‹ gewahr und veranlasst werden, dieses, sein durch den Anderen entfremdetes ›Objekt-Ich‹ ›intern‹ zu negieren und in einem zweiten Schritt, mit dem Ziel, sein Mögliches, das unter dem Blick des Anderen erstarrt und zu bloß Wahrscheinlichem wird, zurückzugewinnen, seinerseits den Anderen durch ›interne Negation‹ zu vergegenständlichen. In Zusammenhang mit dem oben beschriebenen Dilemma der auf diese Weise explizierten ›internen Negation‹, das darin besteht, dass das Fürsichsein in seinem ›Sein für Andere‹ sein ›Ich als Objekt‹ zwar anerkennen muss, aber nicht als ›sein Objekt‹ erfassen kann, ist hier ein weiteres Dilemma deutlich geworden: Das Fürsichsein kann, wie beschrieben, mit seiner ›internen Negation‹ niemals unmittelbar ›auf den Anderen zielen‹ [viser autrui]598. Es negiert zunächst sein ›Objekt-Ich‹, indem es dies als ›entfremdetes Ich‹ setzt und als Objekt der Freiheit eines Anderen überlässt. In einem zweiten Schritt negiert das Fürsichsein den Subjekt-Anderen, was zu dessen Vergegenständlichung als ›ObjektAnderer‹ führt. Jedoch ist hier zu fragen, ob der Andere für dasjenige Fürsichsein, das ihn negiert und als Objekt setzt, nicht gerade dadurch aufhört, als Subjekt, d.i. als Subjekt-Anderer599, und innerhalb dieser Theorie nicht auch uneinholbar aufhören muss, als solcher zu existieren und zwar in dem Moment, in dem das Fürsichsein sich durch ›interne Negation‹ von ihm losreißt. Um diese Frage in beiden Teilen beantworten zu können, muss das Verhältnis zwischen ›Subjekt-Anderem‹ und ›Objekt-Anderem‹, insofern die sartresche Theorie ein solches Verhältnis zulässt, näher beleuchtet werden. in Hinblick‹ auf den Anderen zeigen müssen, ob der durch das Fürsichsein enthüllte ›Objekt-Andere‹ sich in seinen Qualitäten als identisch mit dem ›Objekt-Ich‹ erweisen kann, das in das präreflexive Cogito des Anderen ›hereinbricht‹. Die Fassung des ›Objekt-Ich‹ und ›Objekt-Anderer‹ als ›Sein an sich‹ scheint dies vordergründig zuzulassen. 598 EN, 319. 599 Diese Fragestellung findet sich auch bei Betancourt 1983, 206f. Dort wird sie jedoch nicht ausführlich diskutiert.

Das Sein-für-Andere

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Aus der bisherigen Analyse der Struktur des Für-Andere-Seins ist festzuhalten, dass der Subjekt-Andere und der Objekt-Andere folgende Gemeinsamkeiten aufweisen: Zum einen stellen sowohl der Subjekt-Andere als auch der Objekt-Andere Formen der Anwesenheit des Anderen bei dem in Frage stehenden Fürsichsein dar. Beide Formen enthüllen den Anderen für das Fürsichsein. Erstere ›erblickt‹ und verobjektiviert das Fürsichsein und ist so bei dem Fürsichsein als seinem Objekt, Letztere ist bei dem Fürsichsein als dessen Objekt anwesend. Zum anderen basieren sowohl der Subjekt-Andere als auch der Objekt-Andere als Formen der Anwesenheit auf einer ›internen Negation‹. Jedoch zeigt die Tatsache, dass diese ›interne Negation‹, auf der beide Formen der Anwesenheit bei dem Fürsichsein basieren, als wechselseitig in dem Sinne anzunehmen ist, dass sie einmal den Anderen als Subjekt, d. h. als Vollzieher dieser ›internen Negation‹, und im zweiten Fall den Anderen als ihr Objekt offenbart. Denn in diesem zweiten Fall vollzieht das Fürsichsein die ›interne Negation‹. Eine Synthese von Subjekt-Anderem und Objekt-Anderem ist ausgeschlossen. Die vordergründige Gemeinsamkeit der Basis der ›internen Negation‹ stellt sich durch ihre Wechselseitigkeit als strikte Trennung zwischen Subjekt-Anderem und Objekt-Anderem heraus. ›Wechselseitig‹ [r¦ciproque] ist hier im Sinne von ›alternativ‹ zu lesen600. Beide ›internen Negationen‹ schließen sich in ihrem Vollzug sowohl hinsichtlich ihres Ausgangspunktes als auch hinsichtlich ihres Objektes stets gegenseitig aus. In Bezug auf oben formulierte Frage lassen sich aufgrund der Struktur dieser ›alternativen internen Negation‹ folgende Antworten festhalten: In der Tat ›verschwindet‹ der Subjekt-Andere für ein Fürsichsein in dem Moment, in dem dieses Fürsichsein sich durch ›interne Negation‹ von ihm losreißt und um seines Seins als Fürsichsein, um seiner Freiheit und Möglichkeiten willen, den Anderen vergegenständlicht. Er wird für es zum Objekt-Anderen. Für ein Fürsichsein können beide Anwesenheitsformen des Anderen nicht simultan im Sinne von gleichzeitig auftreten. Die Anwesenheit des Subjekt-Anderen geht dem Fürsichsein jedoch nicht unwiderruflich verloren, da die ›Wechselseitigkeit‹ der ›internen Negation‹ erlaubt, dass der Andere diese Relation wieder umkehrt und seinerseits als Fürsichsein das in Frage stehende Fürsichsein erneut zu vergegenständlichen sucht. Folglich ist die die Grundstruktur des ›Seins-für-Andere‹ bildende ›interne Negation‹ als ›wechselseitig alternativ‹ zu beschreiben, so dass der ›Konflikt‹ als Grundlage der konkreten

600 Vgl. hier abermals EN, 309: »[…] n¦gation interne, ce qui signifie liaison synth¦tique et active des deux termes dont chacun se constitue en se niant de l’autre.« Auch Betancourt sieht den Hinweis auf diese Lesart. Vgl. Betancourt 1983, 212.

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Beziehungen des Fürsichseins zum Anderen durch diese Struktur nicht nur vorgezeichnet, sondern in ihr begründet ist601. Bevor jedoch diese konkreten ›konflikthaften‹ Beziehungen des Fürsichseins zum Anderen, so wie Sartre sie vorstellt, hier in Hinblick auf die Theorie des FürAndere-Seins betrachtet werden können, muss die bereits erwähnte ›Außenseite‹ des Fürsichseins, die durch den Blick des Anderen enthüllt wird, eingehender beleuchtet werden. Mit dieser ›Außenseite‹, die etwa das Fürsichsein als Späher anzeigt und damit das Objekt-Ich des Fürsichseins für den Anderen darstellt, ist 601 Augenscheinlich wendet sich diese Konzeption des ›Sein für Andere‹ mit der ›internen Negation‹ als ihrer inneren Struktur gegen die Positionen Hegels und Heideggers, da zum einen sowohl die Synthese von Subjekt-Anderem und Objekt-Anderem als auch diejenige von Fürsichsein und Anderem ausgeschlossen ist, und zum anderen der Andere nach sartreschem Verständnis dem Fürsichsein stets als direkter Konkurrent erscheint und nicht als ›Mit-Daseiender‹, der das ›Sein in Gemeinschaft‹ möglich macht. An dieser Stelle sei in Bezug auf Sartres Heideggerinterpretation nochmals erwähnt, dass Sartre das heideggersche Mitsein nicht als Existential des In-der-Welt-Seins versteht. Seine Kritik läuft daher ins Leere, da er Heidegger unterstellt, sein ›Mitsein‹ konnotiere Begriffe wie den der ›Solidarität‹ und der ›Mannschaft‹. Vgl. dazu EN, 302. Vgl. zu dieser Feststellung auch Betancourt 1983, 174, der seinerseits auf Walter Biemel: Le concept de monde chez Heidegger, Paris 1950, 90ff. verweist. Zu Sartres Verweis auf die Unmöglichkeit einer Synthese von SubjektAnderem und Objekt-Anderem in Abgrenzung zu Hegel ist auf das sartresche Verständnis der Begriffe ›Herrschaft‹ und ›Knechtschaft‹ im Zusammenhang mit dem ›Sein für Andere‹ hinzuweisen. In L’§tre et le N¦ant schreibt er auf der Seite 326: »[…] Þtre vu me constitue comme un Þtre sans d¦fense pour une libert¦ qui n’est pas ma libert¦. C’est en ce sens que nous pouvons nous consid¦rer comme des ›esclaves‹, en tant que nous apparaissons — autrui. Mais, cet esclavage n’est pas le r¦sultat – historique et susceptible d’Þtre surmont¦ – d’une vie — la forme abstraite de la conscience. Je suis esclave dans la mesure o¾ je suis d¦pendant dans mon Þtre au sein d’une libert¦ qui n’est pas la mienne et qui est la condition mÞme de mon Þtre. En tant que je suis objet de valeurs qui viennent me qualifier sans que je puisse agir sur cette qualification, ni mÞme la conna„tre, je suis en esclavage. Du mÞme coup, en tant que je suis l’instrument de possibilit¦s qui ne sont pas mes possibilit¦s, dont je ne fais qu’entrevoir la pure pr¦sence par del— de mon Þtre, et qui nient ma transcendance pour me constituer en moyen vers des fins que j’ignore, je suis en danger. Et ce danger n’est pas un accident, mais la structure permanente de mon Þtre-pour-autrui.« Hervorhebungen im Text. In Knechtschaft [esclavage] befindet sich ein Fürsichsein folglich dann, wenn es durch den Einbruch des Ich realisiert, dass es in seinem Sein als Objekt-Ich abhängig von der Freiheit und den Möglichkeiten des Anderen ist. Die Anerkennung dieser Knechtschaft geht mit der Realisierung dieses ›entfremdeten Ich‹ mit seinen ›entfremdeten Möglichkeiten‹ einher. Dieses ist die unaufhebbare Struktur des Für-Andere-Seins. Das Fürsichsein kann sie lediglich dadurch aufheben, dass es sich kraft seiner Freiheit des Subjektstatus bemächtigt und den Anderen verobjektiviert. Da dadurch, wie oben aufgewiesen, jedoch diesem Fürsichsein der Subjekt-Andere entgeht, muss Sartre eine hegelsche Synthese von Herrschaft und Knechtschaft innerhalb seiner eigenen Konzeption abweisen. Die Aufnahme der hegelschen Begrifflichkeit an dieser Stelle von L’§tre et le N¦ant in der Zusammenfassung der Grundstruktur des Für-Andere-Seins und das Abweisen einer ›abstrakten Form des Bewusstseins‹ [la forme abstraite de la conscience] verweist nochmals auf den Hauptbezugspunkt von Sartres Hegelrezeption, der in den ersten Kapiteln der Phänomenologie des Geistes liegt.

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untrennbar die Frage nach dem ›Körper‹ [corps602] und seiner Bedeutung in und für die Struktur des Für-Andere-Seins, aber auch für die des Fürsichseins selbst verbunden.

5.2

Der Körper

Sartre beginnt seine Erörterung der Rolle des Körpers innerhalb seiner Bewusstseinskonzeption und insbesondere für die Seinsweise des Für-AndereSeins interessanterweise mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Körper und Bewusstsein. Interessant ist diese Frage zum einen deshalb, weil Sartre mit der Exposition von zwei Seinstypen, dem Ansichsein und dem Fürsichsein, in die sich innerweltliches Sein vollständig gliedern lasse, in der Tat einen Ansatz gewählt hat, der seine Konzeption angreifbar zu machen droht für traditionelle Geist-Körper-Problematiken im Anschluss an Ren¦ Descartes. Zum anderen ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Körper und Bewusstsein hinsichtlich der Struktur des Für-Andere-Seins interessant, da hier sowohl der Körper des in Frage stehenden Fürsichseins für den ihn erblickenden Anderen als auch der Körper des Anderen für ihn und für das den Anderen erblickende Fürsichsein plausibel gemacht werden muss. Zu ersterer Problematik ist zu sagen, dass Sartres Exposition von zwei Seinstypen keinesfalls einen Substanzendualismus supponiert603. In La Transcendance de l’Êgo ist die egolose Struktur des Bewusstseins als Fürsichsein aufgewiesen worden, welche in L’§tre et le N¦ant beibehalten wird. Das Bewusstsein als solches ist nicht substantiell. Das ›Ich‹ ›bewohnt‹ das Bewusstsein nicht, sondern ist als substantielles Element ›Objekt in der Welt‹604. Dennoch: Wenn Fürsichsein und Ansichsein als Seinstypen Verfasstheiten von innerweltlichem Sein vorstellen und nicht als zwei einander gegenübergestellte Substanzen zu fassen sind – obgleich die Seinsweise des Ansichseins innerweltlichen 602 EN, 365. 603 Vgl. EN, 368: »[…] nos remarques pr¦c¦dentes vont — l’oppos¦ des donn¦es du cogito cart¦sien.« Hervorhebung im Text. In welcher Weise sich das sartresche Cogito von dem cartesischen über die präreflexive Ebene und die explizit formulierte Intentionalität hinaus unterscheidet, muss das Kapitel über den Körper zeigen. Siehe dazu auch EN, 368, wo Sartres Marschrichtung hinsichtlich der Geist-Körper-Problematik bereits anklingt: »[…] il n’y a point d’une part, un pour-soi et, d’autre part, un monde, comme deux touts ferm¦s dont il faudrait ensuite chercher comment ils communiquent. Mais le pour-soi est par luimÞme rapport au monde.« Vgl. dazu auch: Svaneke Schüler : Jean-Paul Sartre – Ein Vertreter des Substanzendualismus? In: Gutschmidt, Holger et al. (Hrsg.): Substantia – Sic et Non. Eine Geschichte des Substanzbegriffs von der Antike bis zur Gegenwart in Einzelbeiträgen, Frankfurt/M. 2008, 461–472. 604 Hier erfolgt ein Rückverweis auf oben, Kapitel 2.3.

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Gegenständen zukommt, die in einigen klassischen Positionen als Substanzen im Sinne von Einzeldingen, denen bestimmte Qualitäten zukommen, bezeichnet werden – muss im Anschluss an die egolose, nicht substantielle Struktur des Bewusstseins als Fürsichsein gefragt werden, ob ein epistemisches Subjekt, das als sich der Welt und seiner selbst bewusstes und als der Seinsweise des Fürsichseins zugehöriges vorgestellt werden muss, nicht mehr ist als egoloses Bewusstsein und auf der anderen Seite aber mehr sein muss als egoloses Bewusstsein und sein ›Ich‹ auf der Seite der innerweltlichen Objekte. Oder ist dieses ›Ich‹ als mit dem ›Körper‹ des Fürsichseins identisch aufzufassen? Und welche Seinsweise kommt ihnen zu? L’§tre et le N¦ant gibt dazu folgende Antworten: Die erste Frage ist zu verneinen. Das ›Ich‹ erscheint auf der Ebene des reflexiven, d.i. thetischen Bewusstseins605 und ist Ausdruck des wissenden Selbstbezuges des Fürsichseins, jedoch nicht dieser wissende Selbstbezug selbst. Diese Rolle kommt dem thetischen Bewusstsein von sich zu. In dem Sinne also, in dem das thetische Bewusstsein das ›Ich‹ des Fürsichseins enthüllt, ist Letzteres auf der Seite der innerweltlichen Objekte anzusiedeln. Sartres Rede vom ›Ich‹ als ›substantiellem‹ oder ›materiellem Element‹, die sich bereits in La Transcendance de l’Êgo findet606, ist daher irreführend. Sie suggeriert in der Tat einen Verweis auf den ›Körper‹ oder gar auf eine Einheit von Bewusstsein und Körper, die als ›Ich‹ zu bezeichnen sei. Dieses Verständnis ist in Hinblick auf die Exposition des bewussten Subjektes als ›Person‹ auch nicht abzuweisen. Es zeigt vielmehr, dass das sartresche Verständnis von ›substantiellem Element‹ oder ›Substanz‹ sich nicht in der Bedeutung des ›materiellen Einzeldinges‹ erschöpft, sondern zudem auch die semantische Definition des Begriffes ›Substanz‹ als desjenigen, dem Qualitäten zukommen, das aber seinerseits nicht selbst Qualität eines anderen sein kann, einbezieht. Daher kann und muss dem Hinweis aus dem vorangegangenen Abschnitt des ›Sein für Andere‹ stattgegeben werden, dass das ›Ich‹ eines jeweiligen Bewusstseins, das durch den ›Blick‹ des Anderen in die präreflexive Struktur dieses Bewusstseins ›hereinbricht‹, nicht als identisch mit dem ›Körper‹ dieses Bewusstseins als epistemisches Subjekt gedacht werden kann. Denn hier rekurriert Sartre klar auf die genannte semantische Definition von Substanz hinsichtlich des ›Ich‹ des Fürsichseins, das, gemäß der zentralen Aussagen in La Transcendance de l’Êgo, die die ersten Kapitel von L’§tre et le N¦ant aufnehmen und deren Geltung demnach weiterhin zu supponieren ist, als ›substantielles Element‹ aufgefasst werden muss. Das in das präreflexive Cogito hereinbrechende ›Ich‹ 605 Der oben erwähnte ›Einbruch des Ich‹ durch den Blick des Anderen sei hier ausgeklammert, da seine Plausibilität in Frage steht. 606 Vgl. TE, 13 und oben das Kapitel 2.3 dieser Arbeit.

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meint hier das durch thetisches Bewusstsein, das als synthetische Einheit der Vorstellungen fungieren soll, ermöglichte Ich als Ausdruck des wissenden Selbstbezuges. Die Bedeutung des ›Körpers‹ in der sartreschen Konzeption des bewussten Subjektes als Fürsichsein und Füranderesein ist nicht von der Frage nach dem Seinstyp des ›Ich‹ und des ›Körpers‹ zu trennen. Im Mittelpunkt dieser Darlegung stehen die Begriffe Kontingenz und Faktizität bzw. Situation des Fürsichseins607. Einerseits ist das Sein des Fürsichseins notwendigerweise kontingent, da es nicht als Grund seines Seins fungieren kann608. Andererseits ist auch der Standpunkt, den das Fürsichsein gegenüber der Welt einnimmt, als notwendigerweise kontingent zu bezeichnen, da die Perspektive des Fürsichseins auf die Welt, wie das Erkenntniskapitel gezeigt hat, in dem Sinne zufällig ist, als sie stets unter Ausschluss einer anderen Perspektive erfolgt. Folglich wird dasjenige Sein, das durch die Erkenntnis als Beziehung zwischen Fürsichsein und Welt enthüllt wird, stets abhängig von dem jeweiligen Standpunkt des Fürsichseins in der Welt enthüllt. Das bedeutet zum einen, dass die Tatsache, dass gerade dieses und nicht ein anderes enthüllt wird, kontingent ist. Zum anderen verweist die Rede von dieser ›doppelten Kontingenz‹ des Fürsichseins hinsichtlich seines Grundes, d. h. des Grundes für sein Auftauchen in der Welt, und hinsichtlich seines Standpunktes in der Welt nochmals auf die Funktion der Erkenntnis: Sie enthüllt innerweltliches Sein nicht relativ auf sich als Erkenntnis, sondern relativ auf den Standpunkt des erkennenden Fürsichseins in der Welt. Aus der Darlegung der Binnenstruktur des Fürsichseins folgt, dass dieser Standpunkt in der Welt keinesfalls ›fix‹ ist, sondern ›engagiert‹, d. h. von Beginn an als stetiger Entwurf auf seine Möglichkeiten hin zu verstehen ist609. So ist die Ordnung, die die Welt für ein jeweiliges Fürsichsein hat, in der Tat als kontingent zu bezeichnen, so dass die Frage nach der Möglichkeit zweier oder mehrerer bewusster Subjekte, sich über innerweltliche Dinge oder die Verfasstheit der Welt im Allgemeinen sinnvoll auszutauschen, an geeigneter Stelle erneut zu stellen ist. Wichtig für die Bedeutung und die Einordnung des ›Körpers‹ in die Struktur des Fürsichseins ist, dass diese in der erwähnten Rede von dem Standpunkt des Fürsichseins in der Welt zum Tragen kommen: Der ›Körper‹ ist das in der Welt auftauchende, in ihr einen Standpunkt einnehmende Fürsichsein. Als solcher ist er Ausdruck dieser doppelten Kontingenz und damit verbunden auch der ›Si-

607 EN, 371f. 608 Hier und im Folgenden erfolgt ein ausdrücklicher Verweis auf das obige Kapitel 3. 609 Vgl. EN, 370: »Ainsi sont-elles relatives non — la connaissance que nous en prenons, mais — notre engagement premier au sein du monde.« Und: »L’homme et le monde sont des Þtres relatifs et le principe de leur Þtre est la relation.« Hervorhebungen im Text.

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tuation‹ des Fürsichseins610, denn sofern das Fürsichsein existiert, existiert es, ohne selbst Grund seiner Existenz zu sein, und stets in Bezug zur Welt, ausgedrückt durch die Bestimmung als Fürsich gegen das Sein an sich, durch die Intentionalität des Bewusstseins und durch die Situation des Fürsich als Einnahme eines Standpunktes in der Welt. Nur insofern die Welt als ›totale Situation‹ des Fürsich, d.i. Bezug nehmend auf all seine Möglichkeiten und Entwürfe, begriffen wird, lassen sich ›Körper‹ und ›Welt‹ als identisch auffassen611. Hier wird deutlich, dass der ›Körper‹ des Fürsich in Hinblick auf die von Sartre explizierte Grundstruktur des Fürsichseins keinesfalls als ein Sein an sich begriffen werden könne, das dem Fürsich innewohnte, so dass das Fürsich letztlich doch beide Seinstypen in sich vereinigte. Der ›Körper‹ als ein solches Sein ließe das Fürsichsein unter den sartreschen Prämissen in der Tat ›erstarren‹ [figer612]. Der Aufweis erfolgt hier analog zu dem der Transzendenz des Ich. Das Fürsichsein ist vielmehr in seinem Sein, d. h. insofern es existiert, als notwendig Körperliches vorzustellen. Dadurch, dass sich das Fürsich seines ›Körpers‹ bewusst wird, wird es sich seiner ›Situation‹, d.i. seines ›In-Situation-Seins‹, bewusst. So gewendet ist die Beziehung zum eigenen Körper des jeweiligen Fürsichseins eine existentielle und keine gegenständliche. Das bedeutet, dass das Fürsichsein seinen ›Körper‹ nicht als Gegenstand erfassen, sich dieser nie als Gegenstand für das Fürsichsein enthüllen kann. Das Ineinssetzen des Bewusstseins vom eigenen ›Körper‹ und des eigenen ›In-Situation-Seins‹ offenbart den ›Körper‹ vielmehr als stets vom nichtenden Fürsichsein auf dessen Möglichkeiten hin Überschrittenen [d¦pass¦613]. So ist der ›Körper‹ Standpunkt [point de vue] und Ausgangspunkt [point de d¦part] des Entwurfes in einem. Als auf neue Möglichkeiten überschrittener Standpunkt stellt der ›Körper‹ einerseits das ›Vergangene‹ [le pass¦] des Fürsichseins dar, andererseits erscheint er erneut als jedem Entwurf vorausgehender Stand- und Ausgangspunkt, dem das Fürsichsein wiederum nichtend entgeht. Sartre sieht in dieser Konzeption des ›Körpers‹ ›das kontinuierliche Wiedererfassen des Für-sich durch das Ansich‹614, dem das Für-sich seinerseits durch die Fähigkeit zur Nichtung stets wieder entgeht, ohne den ›Körper‹ als seinen Stand- und Ausgangspunkt zum Objekt zu machen615. Sartre schreibt: 610 EN, 372: »En tant que tel, le corps ne se distingue pas de la situation du pour-soi, puisque, pour le pour-soi, exister ou se situer ne font qu’un; […].« 611 Ebd.: »[…] et il [le corps] s’identifie d’autre part au monde tout entier, en tant que le monde est la situation totale du pour-soi et la mesure de son existence.« Zusatz der Verfasserin. 612 EN, 371. 613 EN, 372 und hier und im Folgenden 390f. 614 Vgl. SN, 391, Hervorhebungen der Verfasserin. Im Original: EN, 391: »[…] il est le resaisissement continuel de pour-soi par l’en-soi […].« 615 Vgl. EN, 391: »Mais je n’en fais pas pour cela un objet: car c’est perp¦tuellement — ce que je suis que j’¦chappe.« Hervorhebung im Text.

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»Das nicht setzende Bewußtsein ist Bewußtsein (von dem) Körper als von dem, was es übersteigt und nichtet, indem es sich zu Bewußtsein macht, das heißt als von etwas, das es ist, ohne es zu sein zu haben, und worüber es hinausgeht, um das zu sein, was es zu sein hat.«616

Der ›Körper‹ des Für-sich gehört folglich für das Für-sich zu den Strukturen des präreflexiven Cogito, da es den ›Körper‹ gerade nicht als Objekt setzt. Dass ein Fürsichsein seines Körpers, d.i. seiner Situation, in der Begegnung mit dem Anderen jedoch auch thetisch, d. h. sowohl thetisch als auch nicht-thetisch bewusst sein können soll, hat die Analyse des Phänomens des Blickes gezeigt617. In Hinblick auf eben dieses Phänomen ist aus dem Gesagten in Bezug auf die Bedeutung des ›Körpers‹ für das ›Sein für Andere‹ des Fürsichseins Folgendes festzuhalten: Der ›Körper‹ des Anderen ist nicht dasjenige, das dem Fürsichsein die Existenz des Anderen enthüllt. Ein solches Verständnis setzte abermals die Erkenntnis als maßgeblichen ›Vermittler‹ des Anderen und das Fürsichsein mit ihr der dargelegten Solipsismusproblematik aus. Zudem legt ein solches Verständnis den Ausgang vom Körper als erkennbares Sein an sich, gleich der innerweltlichen Dinge nahe, das hinsichtlich seines Verhältnisses zum bewussten Subjekt zu untersuchen sei. Ob der einer solchen Konzeption impliziten strukturellen Schwierigkeiten wie dem beschriebenen abzuwendenden Solipsismus sowie einem Substanzendualismus stellt Sartre den ›Körper des Anderen‹ als sekundäres Phänomen vor. Der ›Blick‹ des Anderen, der dem jeweiligen Fürsichsein die Existenz des Anderen enthüllt – und das über die Enthüllung des eigenen Ich – bleibt das Primäre, das dem Fürsichsein über die Existenz des Anderen hinaus sein Füranderesein als existentielle Beziehung enthüllt. Diese Intention liegt dem Ausgang vom präreflexiven Cogito zugrunde. Dennoch bleibt hier zu fragen, ob der ›Körper‹ des Fürsichseins nicht für den Anderen, d.i. das andere Fürsichsein, im Blick das Primäre darstellt. Diese Frage gilt selbstredend auch für das in Frage stehende Fürsichsein, das seinerseits den Anderen erblickt618. Obgleich Sartre in der folgenden Betrachtung des ›Körpers-

616 SN, 395, Hervorhebungen im Text. Im Original: »La conscience non-positionnelle est conscience (du) corps comme de ce qu’elle surmonte et n¦antit en se faisant conscience, c’est-—-dire comme de quelque chose qu’elle est sans avoir — l’Þtre et par-dessus quoi elle passe pour Þtre ce qu’elle a — Þtre.« Hervorhebungen im Text. 617 Hier ergeht ein Verweis auf den Beginn dieses Kapitels. 618 In der folgenden Diskussion soll der Fokus jedoch zunächst auf dem das Fürsichsein erblickenden Anderen liegen. Darauf, dass diese Ausführungen auch für ein den Anderen erblickendes Fürsichsein gelten müssen, sei hier nochmals hingewiesen. An geeigneter Stelle der Diskussion wird diese Forderung problematisiert. Vgl. dazu zunächst die sartresche Gleichsetzung der oben genannten Strukturen in EN, 405: »Il revient au mÞme

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für-Andere‹ nicht explizit von primärer und sekundärer Erscheinung des Fürsichseins im Blick des Anderen spricht, scheint er dennoch diesem Gedanken Rechnung zu tragen, da der Andere als derjenige vorgestellt wird, der mit seinem Auftauchen dem von ihm erblickten ›Körper‹ des Fürsichseins eine andere Erscheinungsweise, d.i. die eines Objektes, eines innerweltlichen Gegenstandes, eines An-sichs, verleiht. Die Beziehung des Anderen zum ›Körper‹ des erblickten Fürsichseins ist folglich eine gegenständliche und keine existentielle619. Wenn der Andere den ›Körper‹ dieses Fürsichseins als ›An-sich-Seiendes‹ unter anderen ›an-sich-seienden‹ Gegenständen erfasst, muss erklärt werden können, ob und wie der Andere diesen ›an-sich-seienden Körper‹ von ›an-sich seienden‹ Gegenständen dahingehend unterscheiden kann, als der ›Körper‹ des Fürsichseins über sein An-sich-Sein hinaus einen Standpunkt, d.i. ein Bezugszentrum innerweltlicher Gegenstände, anzeigt und im Blick über das An-sich-sein des Körpers hinaus ein Fürsichsein-in-Situation, d.i. heideggersch gesprochen ein ›In-der-Welt-Seiendes‹ Fürsichsein, enthüllt, das sich durch sein ›In-SituationSein‹ von anderen, wenn auch nicht von allen innerweltlichen ›an sich Seienden‹ unterscheidet, insofern sich diese ›an sich Seienden‹ als innerweltliche Gegenstände enthüllen. In ›L’§tre et le N¦ant‹ finden sich über die Konklusion hinaus, dass ein Fürsichsein-in-Situation die Relation ›Erblickendes-Erblicktes‹ jederzeit umkehren kann, zwei die Struktur des Fürsichseins betreffende Erklärungsansätze: Zum einen soll ein Fürsichsein von einem anderen Fürsichsein im Blick bereits als In-Situation-Seiendes erfasst werden können, da der ›Körper‹ eines Fürsichseins im Unterschied zu innerweltlichen Gegenständen nie ohne seine Beziehungen zu Letzteren erscheine und auch nicht ohne sie wahrnehmbar sei. Sartre bezeichnet dieses stete ›Erscheinen-in-Beziehungen‹ des ›Körpers‹ eines Fürsichseins als Erscheinen einer ›synthetischen Totalität‹ [totalit¦ synth¦tique620]. Dieser Terminus soll das ›Erscheinen-in-Beziehungen‹ des ›Körpers‹ des Fürsichseins aus dem Blickwinkel des diesen ›Körper‹ erblickenden anderen Fürsichseins fassen als ein stetes Wahrnehmen und Begreifen dieses ›Körpers‹ in einer ›totalen Situation, die ihn anzeigt‹ [situation totale qui l’indique621]. Die ›totale Situation‹ fungiert als Hintergrund, auf dem der ›Körper‹ eines Fürsichseins erscheint. Auf ihm erscheint jedoch nicht nur der ›Körper‹, sondern auch ein Bewegen desselben innerhalb zeitlicher und räumlicher Grenzen, die

d’¦tudier la faÅon dont mon corps appara„t — autrui ou celle dont le corps d’autrui m’appara„t.« 619 Vgl. hier und im Folgenden: EN, 409ff. 620 EN, 412. 621 Ebd.

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die Bedeutungen dieser Bewegungen anzeigen: »Räumlich ist das in Entfernung von Pierre stehende Glas die Bedeutung seiner gegenwärtigen Bewegung.«622. Zum anderen sei nicht ein Teil oder ein einzelnes Organ des ›Körpers‹ eines Fürsichseins isoliert wahrnehmbar, sondern stets nur vor der Totalität des ›Körpers‹, der seinerseits vor der ›totalen Situation‹ angezeigt erscheint: »Ich nehme nie einen Arm wahr, der sich an einem unbeweglichen Körper entlang erhebt: ich nehme Pierre, der die Hand hebt, wahr.«623 Die Bewegung der Hand oder des Armes sei lediglich als eine raumzeitliche Struktur des ganzen Körpers erfassbar. Diese These wird in Sartres folgender Ausführung modifiziert, wenn er von einem ›abweichenden Erscheinungstypus des Körpers‹ [un type aberrant d’apparition] als ›Kuriosität unserer Konstitution‹ [»curiosit¦« de notre constitution624] spricht. Ausgegangen wird hier von dem ›Körper‹ des Fürsichseins, von dem bestimmte Körperteile, wie etwa die Hand, diesem Fürsichsein selbst als Objekt unter innerweltlichen Objekten erscheint. Gemeint soll sein, dass die Hand als Körperteil sich dennoch mit der innerweltlichen Umgebung in der Weise organisieren kann, dass sie, dem ›Körper‹ des Fürsichseins zugehörig, diesen als Standpunkt, d.i. als Bezugszentrum in der Welt, anzeigt und nicht mehr ihrerseits von der Umgebung als dem ›Körper‹ zugehörig und damit, gleichsam mit diesem zusammen, als Bezugszentrum in der Welt angezeigt wird. In diesem Verständnis der ›eigenen Hand‹ des Fürsichseins erscheint sie diesem Fürsichsein nicht nur gleich anderer innerweltlicher Objekte als ›Instrument‹, als ›Ustensil‹, sondern dieser ›abweichende Erscheinungstypus des Körpers‹ ermöglicht es dem jeweiligen Fürsichsein zudem, seinem eigenen ›Körper‹ gegenüber den Gesichtspunkt des Anderen, d. h. einen verobjektivierenden Gesichtspunkt, einzunehmen. Für die Wahrnehmung der eigenen Hand des Fürsichseins bedeutet dies, dass diese Hand nicht als Agierende – das wäre der Blickwinkel des Fürsichseins – sondern als agiert Werdende wahrgenommen wird, welches auf den ›Körper‹ des Fürsichseins als Bezugszentrum in der Welt verweist. Aus diesen beiden Erklärungsansätzen, die modifizierte zweite These eingeschlossen, schließt Sartre wiederum zweierlei: Einerseits sollen sie die Auffassung von den beiden ontologischen Modalitäten des ›Körper-Seins‹ und des ›Objekt-für-Andere-Seins‹ als äquivalente 622 SN, 412, Hervorhebung im Text; im Original: »Spatialement, c’est le verre plac¦ — distance de Pierre qui est la signification de son geste actuel. » Hervorhebung im Text. 623 Ebd. Im Original: »Je ne perÅois jamais un bras qui se lÀve le long d’un corps immobile: je perÅois Pierre-qui-lÀve-la–main. […] je ne puis saisir le mouvement de la main ou du bras que comme une structure temporelle du corps entier.« 624 Hier und im Folgenden: EN, 425 und 425ff. Hervorhebungen im Text. Vgl. zur Übersetzung SN, 425.

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Ausdrücke für das Für-Andere-Sein des Fürsichseins erlauben, da sich in beiden Erklärungsansätzen gezeigt habe, dass der Körper eines anderen Fürsichseins, hier etwa der Körper von Pierre, sich in keiner Weise von dem ›Anderen-fürmich‹, d.i. Pierre-für-mich, unterscheidet. Für ein Fürsichsein existiert ein anderes Fürsichsein als ›anderer Körper‹625. Andererseits zeigen die beiden erwähnten Erklärungsansätze, dass die Wahrnehmung des ›Körpers eines anderen Fürsichseins‹ oder, gemäß der modifizierten These auch die Hand als Teil des eigenen ›Körpers‹, sich strukturell von der Wahrnehmung innerweltlicher Gegenstände, d.i. unbelebter Objekte, unterscheidet. Die Erfassung des ›Körpers des Anderen‹ im Blick offenbart sich als ›transzendierte Transzendenz‹ [transcendance-transcend¦e626]. Dies meint, dass der ›Körper des Anderen‹ im Blick stets als ein auf ein Ziel hin Überschrittenes erscheint. Das Beispiel des Gehenden, der stets und von Anfang an vor dem Hintergrund einer raumzeitlichen Totalität erscheint, von der aus auch der ›künftige-Sinn des Gehens‹ [le sens-—-venir de la marche627], wie etwa das Überqueren einer Straße, erfasst wird, macht dies deutlich. Insofern wird ›der Körper des Anderen‹ im Blick unmittelbar als das erfasst, was der Andere ist, als Transzendenz im Sinne von steter Überschreitung hin auf ein Ziel, die ihrerseits durch den Blick des den ›Körper des Anderen‹ erblickenden Fürsichseins transzendiert, d.i. nicht nur auf die Möglichkeiten des Anderen wie das Überqueren einer Straße, sondern darüber hinaus auch auf die Möglichkeiten des den ›Körper des Anderen‹ erblickenden Fürsichseins selbst überschritten wird. Letzteres lässt sich an dieser Stelle sagen, da ein Fürsichsein den ›Körper des Anderen‹, von dem es laut obiger Gleichsetzung auf den Anderen als anderes Fürsichsein schließen darf, das es im Blick als stets auf ein Ziel hin Überschrittenes erfasst, ebenfalls stets in seinen eigenen Weltzusammenhang, sein eigenes ›In-Situation-Sein‹ einordnet, welches sich seinerseits durch das ständige Überschreiten auf die eigenen Möglichkeiten auszeichnet. Im Zusammenhang mit letzterer Schlussfolgerung des Gesagten findet sich 625 Diese Schlussfolgerung ist freilich nur aufgrund zweier expliziter Gleichsetzungen möglich, die Sartre an anderer Stelle macht und deren Plausibilität im Folgenden noch zu diskutieren ist. Hier sei lediglich die erste Gleichsetzung genannt, die besagt, dass davon auszugehen sei, dass einem Fürsichsein der Körper eines anderen Fürsichseins jeweils auf die gleiche Art und Weise erscheint, d. h. auf die gleiche Art und Weise, wie mein Körper dem Anderen erscheint, erscheint mir der Körper des Anderen. Vgl. dazu EN, 405: »Il revient au mÞme d’¦tudier la faÅon dont mon corps appara„t — autrui ou celle dont le corps d’autrui m’appara„t.« Aufgrund dieser Annahme kann Sartre im wahrsten Sinne des Wortes den ›Blickwinkel wechseln‹ und anmerken, dass die Erfassung des Körpers-von-Pierre durch meinen Blick sich in keiner Weise von der von Pierre-für-mich unterscheidet und diese Feststellung auf die Erfassung meines Körpers durch den Blick eines anderen Fürsichseins übertragen. 626 EN, 414. 627 Ebd.

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der Verweis auf die Freiheit des Anderen628. Im Blick erfasst ein Fürsichsein ein anderes Fürsichsein notwendig als frei, sein jeweiliges ›In-Situation-Sein‹ zu modifizieren. Diese Fähigkeit muss dem anderen Fürsichsein aufgrund seiner internen, es als Fürsichsein auszeichnenden Struktur, sich auf seine Möglichkeiten hin zu überschreiten, auch zuzugestehen sein. Wird diese ›Freiheit des Anderen‹ aber von dem Fürsichsein erfasst, wandelt sich diese Freiheit des Anderen zu ›Freiheit als Objekt‹ oder ›objektiver Freiheit‹. Diese ›objektive Freiheit‹ ist jedoch wiederum als transzendierte Transzendenz aufzufassen, da sie nur als ›objektiv‹, d.i. ›als Objekt‹, bezeichnet werden kann, insofern sie von dem den Anderen in seiner Freiheit erblickenden Fürsichsein durch dieses Erblicken zum Objekt gemacht wurde. Als Beispiel dient die Wut des Anderen, die dem den Anderen erblickenden Fürsichsein stets als ›freie Wut‹ erscheint, jedoch seitens dieses Fürsichseins sei es erlebt, geschürt oder gedämpft werden kann. Sie ist für es nur erfassbar, indem sie bereits auf die Möglichkeiten des den Anderen erblickenden Fürsichseins hin transzendiert wird. Der Aufweis des Anderen, ausgehend vom ›Körper‹ des Anderen, als transzendierte Transzendenz, insofern der Andere vom ›Blick‹ eines Fürsichseins erfasst wird, beruht auf zwei Gleichsetzungen, von denen eine bereits in obiger Darstellung Erwähnung gefunden hat. Es handelt sich um die Annahme, dass mein Körper dem Anderen auf die gleiche Art und Weise erscheint, wie der Körper des Anderen mir erscheint629. Die zweite Gleichsetzung lautet, dass wir dem ›Körper-für-den-Anderen‹ ebensoviel Realität zuschreiben, wie dem ›Körper-für-uns‹. Mehr noch: Der ›Körper für den Anderen‹ ist der ›Körper-füruns‹, jedoch als unfassbarer und entfremdeter. Es kommt uns also so vor, als ob der Andere für uns eine Funktion erfüllt, zu der wir unfähig sind, und die uns doch obliegt: uns sehen, wie wir sind.630. Alle weiteren Äquivalenzen, die sich in der Darlegung der Körperlichkeit des Fürsichseins finden, lassen sich auf diese beiden genannten Gleichsetzungen zurückführen. Die Diskussion ihrer Plausibilität und Tragfähigkeit soll mit der Letzteren beginnen. Angemerkt sei hier zunächst, dass der Zusatz der zweiten Gleichsetzung deutlich macht, dass in ihr von ein und demselben ›Körper‹ die Rede ist. Es handelt sich, an Sartres Rede angelehnt und hier im Folgenden übernommen, um ›unseren Körper‹ und nicht um die ›Körper des Anderen‹. Gibt man beiden Gleichsetzungen statt und überträgt die Aussage der zweiten auf die Aussage der ersten, stellt sich folgendes Problem: Die Aussagen aus beiden Gleichsetzungen erlauben, dass von der Verfasstheit des Objekt-Anderen für uns auf die Verfasstheit des Subjekt-Anderen ge628 Vgl. EN, 417f. 629 Vgl. hier nochmals EN, 405. 630 EN, 421. Vgl. zur Übersetzung SN, 421.

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schlossen wird. Dies folgt unmittelbar aus der Aussage, dass der Körper-für-denAnderen unser Körper-für-uns ist, wenn auch als für uns unfassbarer und entfremdeter, da durch die Transzendenz des Anderen transzendierter. Gemäß der ersten Gleichsetzung gilt dies im Umkehrschluss auch für den ›Körper-desAnderen-für-uns‹, d.i. der Objekt-Andere, der von uns so gesehen werden können soll, wie er als Subjekt-Anderer ist, auch wenn diese Zuschreibung für den Anderen unfassbar und entfremdet bleibt631. Um diese Gleichsetzungen aus der Sicht des Fürsichseins jedoch vollziehen zu können, muss es dem Anderen sowohl in seiner verobjektivierenden Subjektivität als auch als Objekt bereits ›begegnet‹ [rencontr¦632] sein. Das bedeutet: Um eine Analogie zwischen der Beschaffenheit seines Körpers für es, d.i. seines ihm entfremdeten Körpers und des Körpers des Anderen, aufstellen zu können, muss sein Körper für es ihm seine ›dimension-objet‹ bereits eröffnet haben. Das geschieht zum einen über den dargelegten ›Blick‹ des Anderen und über die an diesem Punkt der Argumentation erstmals erwähnte Reflexion des Fürsichseins auf seinen Körper, die ihn jedoch, der strukturellen Darlegung der Reflexion gemäß, lediglich als ›Quasi-Objekt‹ enthüllen kann. Ein Grund für die Erwähnung der auf den eigenen Körper gerichteten Reflexion in diesem Zusammenhang ist in der genannten Möglichkeit der Analogiebildung zu sehen, die ihrerseits erst durch das Vermögen der Sprache explizierbar und kommunizierbar wird. Die Sprache des Anderen ›enthüllt‹ [r¦vÀle633] uns ›die Hauptstrukturen unseres Körpers-für-Andere‹ [les principales structures de notre corps-pour-autrui]. Die Verwendung des Verbes ›enthüllen‹ verweist hier darauf, dass der Andere unseren Körper in unserem Für-Andere-Sein ›erkennt‹ [conna„t634]. Das Für-Andere-Sein sage daher konkret aus: »Ich existiere für mich als durch den Anderen als Körper erkannt.« [J’existe pour moi comme connu par autrui — titre de corps635]. Auf diesem Hintergrund wird die Einbindung der auf den eigenen Körper gerichteten Reflexion des Fürsichseins nochmals verständlich. Ihr Auftauchen zeigt darüber hinaus den Übergang von der präreflexiven zur reflexiven Ebene an, der im Folgenden noch eingehend zu erläutern sein wird. 631 Peter Kampits diskutiert diese Verweisungsproblematik vom Objekt-Anderen und SubjektAnderen ebenfalls. Er sieht Sartres Bemühen um eine Vermeidung des Leib-Seele-Dualismus, jedoch um den Preis eines »Dualismus im Problem der Verweisung vom ObjektAnderen auf den Subjekt-Anderen«. In: Peter Kampits: Sartre und die Frage nach dem Anderen. Eine sozialontologische Untersuchung, München 1975, [Kampits 1975] 169. 632 Hier und im Folgenden: EN, 422. 633 Hier und im Folgenden: EN, 421. 634 Vgl. hier und im Folgenden: EN, 419. Zudem ergeht an dieser Stelle erneut ein Verweis auf oben, Kapitel 4.4. 635 Ebd. Und: »J’existe donc pour moi comme connu par autrui – en particulier dans ma facticit¦ mÞme.«

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Ein Fürsichsein lässt sich also seinen eigenen Körper in dessen Verfasstheit seitens des Anderen benennen, obgleich diese Begrifflichkeiten seinen Körper als ihm entfremdeten beschreiben. Mehr noch, ein Fürsichsein verwendet dann seinerseits diese Bezeichnungen, um seinen Körper-für-es, sei es als entfremdeter oder auf der Ebene der Reflexion, zu benennen und zu beschreiben. Das heißt, dass das Vermögen der Sprache als Grundlage für die Analogiebildung fungiert, die ihrerseits die Basis für den Vollzug der oben genannten Gleichsetzungen zwischen der Verfasstheit des eigenen Körpers und der des Körpers des Anderen bildet. Den Vollzug der Analogiebildung sucht Sartre an dem Beispiel des Schmerzes zu explizieren636 : Physischer Schmerz wird zunächst präreflexiv erlebt und dann durch ›die Reflexion als Leiden konstituiert‹. Es ist auf dieser präreflexiven Ebene jedoch ohne die Begrifflichkeiten der Sprache, die dem Fürsichsein nur durch die Begegnung des Anderen bekannt sind, nicht möglich, dieses Leiden näher zu beschreiben. In und durch die Seinsweise des Für-Andere-Seins vermag das Fürsichsein dieses physische Leid jedoch in seinem ›An-sich‹ anzuvisieren, d.i. in einer Seinsdimension, die ihm in seiner Binnenstruktur als Fürsichsein zwar entgeht, jedoch als seine Außenseite mittels der Begrifflichkeiten und Erkenntnisse, die aus der Begegnung mit dem Anderen stammen, bezeichnet werden kann. Dass ein Fürsichsein sein erlittenes Leid erkennt, ist ebenfalls durch das Vermögen der Reflexion möglich. Sie ist durch die Seinsweise des FürAndere-Seins in der Lage, gegenüber dem Körper des Fürsichseins den Gesichtspunkt des Anderen einzunehmen und das erlittene Leid auf diese Weise begrifflich als ›Magenschmerzen‹, ›Geschwür‹ oder allgemein als ›Krankheit‹ zu bezeichnen. Phänomenologisch im sartreschen Sinn untermauert werden soll diese Struktur der Reflexion im Für-Andere-Sein dadurch, dass das Fürsichsein auf dieser Ebene von seinem physischen Schmerz und/oder von seinem Körper in der gleichen Weise wie von einem beliebigen innerweltlichen Objekt, d. h. wie von einem Sein an-sich spricht, auf das es sich thetisch bezieht und seine Verfasstheit erkennend mittels der durch die Begegnung mit Anderen erworbenen sprachlichen Begrifflichkeiten beschreibt.

5.3

Die konkreten Beziehungen zum Anderen

Die konkreten Beziehungen des Fürsichseins zum Anderen setzen zum einen die Existenz des Anderen, die durch das Erscheinen des Subjekt-Anderen im Blick gesichert wird, und zum anderen sowohl die Faktizität des Fürsichseins als auch die des Anderen voraus. Die Faktizität des Fürsichseins soll durch den Aufweis 636 Vgl. EN, 422ff.

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seines Körpers als In-Situation-Sein und durch die Möglichkeit des Fürsichseins, die Subjekt-Objekt-Relation umzukehren und seinerseits den Objekt-Anderen in seinem In-Situation-Sein zu erblicken, gesichert werden. Die im obigen Kapitel genannten Gleichsetzungen den Körper des Fürsichseins und den Körper des Anderen betreffend, fußen auf dieser Möglichkeit ebenso, wie der Konflikt als Grundschema der konkreten Beziehungen zum Anderen. Das konflikthafte Gegenüberstehen von Fürsichsein und anderem Fürsichsein hat seine Ursache in eben der dargelegten Tatsache, dass der Subjekt-Andere im Blick das erblickte Fürsichsein in seinem Entwurf auf seine Möglichkeiten hin erstarren lässt, da es diese dem Fürsichsein eigene Transzendenz notwendig transzendiert, um es als Objekt, d.i. als Bezugszentrum verstandenes In-Situation-Sein, begreifen zu können. Das auf diese Weise erblickte Fürsichsein handelt in der Welt und wird auch im Umgang mit innerweltlichen Objekten erblickt, doch sein Entwurf auf seine Möglichkeiten hin wird seitens des Anderen insofern transzendiert, als er dieses Handeln und Umgehen mit innerweltlichen Objekten seiner eigenen Freiheit unterwirft, d. h. es in Hinblick auf seine eigenen Möglichkeiten hin entwirft und beurteilt. Genau dies erfährt das in Frage stehende Fürsichsein als Entfremdung, die es seinerseits weder erkennen noch transzendieren kann, da die Freiheit des Anderen Grund dieses entfremdeten Seins an sich dieses Fürsichseins ist637. Dennoch, und das begründet die konkreten Beziehungen zum Anderen, muss das in Frage stehende Fürsichsein sich zu seiner Verobjektivierung seitens des Anderen, zu diesem so verstandenen An-sich, zu dem der Andere es macht, verhalten [prendre des attitudes638]. Daher liegt die Basis für die hier zu betrachtenden konkreten Beziehungen eines Fürsichseins zum Anderen in diesen attitudes, nicht nur gegenüber der Verobjektivierung durch den Anderen, sondern auch gegenüber diesem Objekt, diesem ›An-sich‹, zu dem der Andere es im Blick macht. Diese ›attitudes‹, übersetzbar als ›Haltungen‹, des Fürsichseins gegenüber seines entfremdeten Seins an sich subsumiert Sartre im Folgenden unter zwei fundamentalen Arten, die er als ›ursprüngliche Haltungen‹ [attitudes primitives639] bezeichnet. Die erste ursprüngliche Haltung beschreibt den Versuch, die Transzendenz des Anderen zu transzendieren, d. h. ihn seinerseits zu verobjektivieren, damit das dem Fürsichsein entfremdete Objekt-Sein für den Anderen zerstört wird und dieser nun als der Freiheit des Fürsichseins untergeordnetes Sein an sich erblickt wird. 637 Vgl. hier und im Folgenden: EN, 429ff. 638 EN, 430. Hervorhebung im Text. 639 Ebd.

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Die zweite ursprüngliche Haltung stellt den Versuch dar, die Transzendenz des Anderen zu assimilieren, ohne ihr ihre Freiheit und ihren Transzendenzcharakter zu nehmen. Gelänge diese Assimilierung des Grundes des Seins an sich des Fürsichseins, würde das Fürsichsein selbst zu dem Grund seines Seins an sich. Beide Haltungen schließen einander jedoch wechselseitig aus. Das Scheitern der einen motiviert die Einnahme der anderen Haltung. Keine der beiden ist widerspruchslos durchzuführen, so dass die eine Haltung stets implizit in der anderen, jedoch erstere lediglich als Möglichkeit des Scheiterns der Letzteren, enthalten ist. Insofern wehrt Sartre ein dialektisches Verständnis dieser ursprünglichen Haltungen gegenüber dem Anderen ab und sucht in ihnen einen unauflösbaren Zirkel zu sehen, in dem die Einnahme jeder der beiden Haltungen stets durch das Scheitern der anderen ›bereichert‹640 wird. Unter die erste ursprüngliche Haltung fasst Sartre plakativ Verhaltensweisen der Liebe, der Sprache und des Masochismus und unter die zweite ursprüngliche Haltung Verhaltensweisen der Gleichgültigkeit, der Begierde, des Hasses und des Sadismus. Der Blick des Anderen wird in beiden Haltungen auf ein und dieselbe Weise erlebt und lediglich in Teilen unterschiedlich gedeutet. In beiden Haltungen des Fürsichseins gegenüber dem Anderen wird der Blick des Letzteren als Ausdruck des Besitzes und das eigene Für-Andere-Sein folglich als vom Anderen besessen [sous la forme d’une possession641] erfahren. Daher besteht die erste Haltung in dem Entwurf des Fürsichseins zur Wiedergewinnung seines Seins642, das unter dem Blick des Anderen von diesem aus dessen Freiheit heraus entworfen und in diesem Sinne ›besessen‹ wird. Dieser Entwurf zur Wiedergewinnung des eigenen Seins kann in dieser ersten Haltung als Transzendenz der Transzendenz des Anderen nur einen Entwurf der Resorption des Anderen darstellen, der den Anderen jedoch weiterhin als Anderen affirmieren muss, d. h. im Falle des Fürsichseins negieren muss, der Andere zu sein. Würde der Entwurf zur Resorption des Anderen bedeuten, den Anderen als solchen in sich aufzulösen, löste sich der Grund des Sein-für-Andere des Fürsichseins ebenso auf, so dass das Für-Andere-Sein des Fürsichseins ebenfalls verschwände. Die Transzendenz des Anderen zu transzendieren bedeutet hier zunächst vielmehr, in der konkreten Situation den Gesichtspunkt des Anderen auf sich einzunehmen und 640 Die Lektüre der entsprechenden Textstelle im Original erleichtert das Verständnis dieses Zirkels, in dem sich die eine Haltung durch das Scheitern der anderen bereichert, so dass die im obigen Text zitierte Übersetzung von Traugott König sinngemäß als Ausdruck des Vorgangs- und nicht des Zustandspassiv zu lesen ist. Vgl. dazu: EN, 430: »[…] chaque tentative s’enrichisse de l’¦chec de l’autre«. Betancourt wählt für seine Übersetzung den Begriff des Kreislaufs anstelle des Zirkels [cercle], um das hier gemeinte gegenseitige Zerstören und Erzeugen der beiden Haltungen zu verdeutlichen. Siehe auch Betancourt 1983, 214f. 641 EN, 431. Hervorhebung im Text. 642 Ebd.: »[…] je suis projet de r¦cup¦ration de mon Þtre.«

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sich als Objekt für den Anderen zu erfahren. Ein Entwurf, der jedoch darauf abzielt, das eigene Sein wiederzugewinnen, d. h. Grund des eigenen Seins zu werden, muss darüber hinaus gehen und die Freiheit des Anderen der eigenen Freiheit unterwerfen, d.i. auf sie einwirken, so dass die eigene Freiheit als Grund für das Objekt-Sein des Fürsichseins für den Anderen angenommen werden können soll. Die Notwendigkeit des Scheiterns dieser Haltung ist offensichtlich und wird am sartreschen Beispiel des Liebenden, das hier stellvertretend für die beiden anderen Beispiele dargestellt werden soll, deutlich: »Er will von einer Freiheit geliebt werden und verlangt, daß diese Freiheit als Freiheit nicht mehr frei sei. Er will sowohl, daß die Freiheit des andern sich selbst dazu bestimmt, Liebe zu werden – und das keineswegs nur zu Beginn des Abenteuers, sondern jeden Augenblick –, als auch, daß diese Freiheit durch sich selbst gefangengenommen wird, daß sie sich, wie im Wahn, wie im Traum, auf sich selbst zurückwendet und ihre eigene Gefangenschaft will.«643

Der Liebende trachtet gerade nicht danach, der Grund im Sinne einer Ursache für sein Geliebtwerden zu sein, sondern der Grund im Sinne des Anlasses. Der Geliebte soll ihn aus seiner eigenen Freiheit heraus lieben und sich dieser Liebe aus eigener Freiheit heraus verpflichtet fühlen und nicht lediglich als Werkzeug, auch nicht aus freier Einwilligung heraus, des Liebenden fungieren. Der Liebende kann versuchen auf die Freiheit des Geliebten derart einzuwirken, dass er seine Möglichkeiten dazu nutzt, den Anderen zu verführen, sich für den Anderen interessant zu machen. Die Analyse des Blickes hat jedoch gezeigt, dass es sich bei diesen Möglichkeiten des Fürsichseins im Blick des Anderen um entfremdete, erstarrte und tote Möglichkeiten handelt. Das Fürsichsein ›ist alle toten Möglichkeiten der Welt‹ [je suis toutes les mortes-possibilit¦s du monde644], die dennoch die Grundlage dafür bilden können sollen, dass das Fürsichsein seitens des Anderen als Objekt-Totalität aufgefasst werden und so als Hintergrund für die Handlungen des Anderen fungieren kann. Einen ›faktischen Wert‹ [valeur de fait645] können diese toten Möglichkeiten des Fürsichseins im Blick jedoch nur durch die Zustimmung der Freiheit des Anderen erlangen. In dem inhaltlichen Zusammenhang stellt Sartre selbst die Frage: »Wann wird also der Geliebte seinerseits Liebender?« Die einzig mögliche Antwort unter den ausgeführten sartreschen Prämissen lautet folgerichtig: »[…] wenn er sich 643 SN, 434f. Hervorhebungen im Text. Im Original: EN, 434f.: »Il veut Þtre aim¦ par une libert¦ et r¦clame que cette libert¦ comme libert¦ ne soit plus libre. Il veut — la fois que la libert¦ de l’autre se d¦termine elle-mÞme — devenir amour – et cela, non point seulement au commencement de l’aventure mais — chaque instant – et — la fois, que cette libert¦ soit captiv¦e par elle-mÞme, qu’elle se retourne sur elle-mÞme, comme dans la folie, comme dans le rÞve, pour vouloir sa captivit¦.« Hervorhebungen im Text. 644 EN, 437. 645 EN, 440.

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daraufhin entwirft, geliebt zu werden.«646 Ein Fürsichsein-Objekt für den Anderen vermag nicht, die Liebe des Anderen zu erzeugen. Daraus folgt, dass die Liebe innerhalb der sartreschen Konzeption des Fürsichseins und Fürandereseins nur als Begegnung zwischen zwei Subjekten gedacht werden kann647. Diese Begegnung bleibt jedoch ein Ideal, solange die Basis für die Begegnung mit dem Anderen allgemein in den Blick gelegt wird, so dass sie immer über das ObjektIch des Fürsichseins und dann über den Blick des Fürsichseins über den ObjektAnderen läuft. Die Interpretation des Blickes als ›Verobjektivierung‹ und in dem Zusammenhang auch als ›Aneignung‹ und ›Besitz‹ sowie die Annahme des Grundes des Fürandereseins des Fürsichseins im Auftauchen des Anderen muss die intersubjektiven Beziehungen stets im Konflikt erscheinen lassen. Daher ist diese Konzeption ebenfalls der Grund für den Zirkel des Scheiterns beider ursprünglicher Haltungen des Fürsichseins gegenüber dem Anderen. Die Darlegung der zweiten ursprünglichen Haltung gegenüber dem Anderen macht dies noch einmal deutlich648 : In der Verhaltensweise der Gleichgültigkeit entwirft sich das Fürsichsein darauf, den Blick des Anderen zu ignorieren und auf diese Weise dem ›Besessenwerden‹ durch den Anderen zu entgehen. Dieser Versuch scheitere jedoch daran, dass das Fürsichsein in seinem Entwurf zur Gleichgültigkeit stets von dem Bewusstsein der Möglichkeit des ›umherschweifenden Blicks‹ [regard errant649] seitens des Anderen begleitet werde, der seinerseits stets die Gefahr in sich berge, das gleichgültige Fürsichsein ohne sein Wissen zu entfremden. Zudem ist hier zu fragen, ob, um etwas ignorieren zu können, das Fürsichsein sich nicht dessen bewusst sein und es auch anerkannt haben muss. Diese berechtigte Frage wird von Sartre in diesem Zusammenhang weder explizit gestellt noch implizit beantwortet. 646 SN, 442, Im Original: EN, 442: »Quand donc l’aim¦ deviendra-t-il aimant — son tour?« »[…] lorsqu’il projettera d’Þtre aim¦.« 647 Die sartresche Darlegung der Verhaltensweise des ›Masochismus‹ stützt diese Aussage. Vgl: EN, 445f. Sie zielt, im Unterschied zu der Verhaltensweise der Liebe, jedoch darauf ab, sich ›in seiner Subjektivität zu verlieren‹ [de me perdre en sa subjectivit¦] und sich vom Anderen ›absorbieren zu lassen‹ [de me faire absorber par l’autre], so dass das Sein des Fürsichseins sich in der Verhaltensweise des Masochismus zu einem durch die Freiheit des Anderen begründeten Ansichsein wandelt. Ein Fürsichsein, das diese Verhaltensweise wählt, negiert folglich seine Subjektivität und, mit ihr verbunden, seine Freiheit und seine Transzendenz. Insofern, und dies deutet auf das Scheitern eben dieser Verhaltensweise, ist das Fürsichsein in ihr wieder Grund seines Seins bzw. seiner Seinsweise, als Objekt für den Anderen zu existieren, und kann diese Gründungsfunktion eben nicht auf den Anderen übertragen. Ein zweiter Grund für das Scheitern des Masochismus als Verhaltensweise gegenüber dem Anderen ist die von Sartre selbst erwähnte Unmöglichkeit des Fürsichseins, sein Objekt-Ich auf die Art und Weise zu realisieren, wie es für den Anderen ist, so dass der Entwurf eines Fürsichseins, den Anderen durch sein ›Objekt-Ich‹ zu faszinieren, ins Leere laufen muss. (Vgl. EN, 447). 648 EN, 448ff. 649 EN, 450.

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Die Verhaltensweise der Begierde stellt den Entwurf des Fürsichseins dar, sich die Freiheit des Anderen durch den Besitz dessen Körpers anzueignen. Sie scheitert zum einen wiederum daran, dass sie den Anderen als Objekt und nicht als Subjekt zu besitzen sucht und zum anderen daran, dass der Körper als das stets Überschrittene des anderen Fürsichseins verstanden das begehrende Fürsichsein lediglich auf das Vergangene des Anderen verweisen kann. Das Scheitern der hier abschließend zu erwähnenden Verhaltensweise des Hasses gegenüber dem Anderen speist sich aus ähnlichen Gründen wie das der oben genannten. Sie stellt den Entwurf der Vernichtung des Anderen seitens des hassenden Fürsichseins dar, da das hassende Fürsichsein in seinem Verhalten darauf abzielt, niemals Objekt für den Anderen zu sein. Insofern steht die erklärte Vernichtung des Anderen stellvertretend für die Vernichtung der Anderen allgemein. Wird dieses Ziel beispielsweise durch den Tod des oder der Anderen erreicht, stellt dies zum einen den absoluten Triumph des Hasses dar, kündigt jedoch zugleich sein Scheitern an, indem dieser Triumph die Anerkennung der Existenz des oder der Anderen impliziert, auch wenn es sich hier um dessen oder deren vergangene Existenz handelt. Das hassende Fürsichsein kann sich nicht von dieser Anerkennung der vergangenen Existenz des Anderen befreien, da auch seine Vergangenheit von der Existenz des Anderen bestimmt worden ist: Durch Haltungen des Anderen ist es zum hassenden Fürsichsein geworden, das die Existenz des Anderen anerkennt und sich trotz der Vernichtung des Anderen nicht von ihr befreien kann, da seine Vergangenheit als solche unabänderlich ist. Das Fürsichsein kann sie nicht als vom Anderen gereinigte zurückgewinnen. Sein Für-Andere-Sein bleibt auch nach dem Tod des Anderen ein Faktum. Die Möglichkeit der Erfahrung eines einträchtigen gemeinschaftlichen Miteinanders wird, wie auch die Darlegung der konkreten Beziehungen zum Anderen zeigt, durch die Konzeption des Für-Andere-Seins als auf ›interner Negation‹ beruhende Seinsweise des Fürsichseins entschieden abgewiesen. Der Andere ist nicht im Sinne des heideggerschen ›Mitseins‹ derjenige, der sich mit dem Dasein respektive Fürsichsein in einer Welt befindet und gemeinsam mit ihm an dieser einen Welt Teil hat, sondern stets der Konkurrent des Fürsichseins. Sartre widmet dem ›Mitsein‹ und dem ›Wir‹ zwar ein eigenes Unterkapitel650, sieht im ›Wir‹ jedoch lediglich eine ›Modifikation der Erfahrungen des Anderen‹651 im Für-Andere-Sein. Als Ausgang dient das Subjektpronomen ›Wir‹ als sich auf eine ›Pluralität von Subjekten‹ [une pluralit¦ des sujets652] beziehend. Sie müssen sich gleichzeitig und gegenseitig als Subjekte erfassen und anerkennen – und zwar als ›trans650 L’»§tre-avec« (Mitsein) et le »Nous«. EN, 484ff. 651 Diese treffende Wendung findet sich bei Betancourt 1983, 219. 652 EN, 488.

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zendierende Transzendenzen‹ und nicht als ›transzendierte Transzendenzen‹653. Im Subjekt-Wir ist kein an diesem ›Wir‹ teilhabendes Fürsichsein Objekt für dieses ›Wir‹, was einer Forderung Ausdruck verleiht, die sowohl mit der Grundstruktur des Fürandereseins als auch mit den dargelegten ursprünglichen Haltungen des Fürsichseins zum Anderen in Widerspruch zu stehen scheint. Sartre sieht die Tatsache, dass ›Wir-Erfahrungen‹ offensichtlich möglich, d. h. etwa durch Ausdrücke und Äußerungen, die ein gemeinsames Handeln explizit machen, wie »›Wir‹ leisten Widerstand« [»Nous« r¦sistons], ›phänomenologisch aufweisbar‹ sind. Diesen Widerspruch sucht Sartre durch folgenden Aufweis aufzulösen: Das ›Wir‹ oder das Faktum, in einem ›Wir engagiert zu sein‹, soll präreflexiv von einem oder jedem einzelnen Bewusstsein analog zu dem nicht-thetischen Bewusstsein (von) sich erfahren werden können. Diese These wird aufgestellt und nicht eigens begründet. Sie erfährt eine Untermauerung lediglich durch Beispiele, wie das des Theaterzuschauers, der thetisches Bewusstsein von dem jeweiligen Schauspiel, verbunden mit nicht-thetischem Bewusstsein (von) seinem ›Mit-Zuschauer-Sein‹ [conscience (d’) Þtre co-spectateur654] habe oder das des Gastes in einem gutbesuchten Caf¦, der mit den anderen Gästen gemeinsam Zeuge eines Unfalls auf der vorbeiführenden Straße wird. Die Äußerung eines Subjekts: ›Wir erblicken dieses Ereignis‹ ist Ausdruck dieses ›Engagiert-Seins‹ im ›Wir‹, ist jedoch als Äußerung per se thetisches Bewusstsein von der Situation, d.i. der Tatsache, dass das in Frage stehende Fürsichsein mit Anderen gemeinsam Zeuge des Ereignisses ist. Sartres Verlegung des Bewusstseins vom ›Engagiert-Sein im Wir‹ in das präreflexive Cogito erweist sich hier, unabhängig von ihrer Plausibilität betrachtet, in zweifacher Hinsicht von Vorteil: Zum einen ermöglicht sie ein Erfassen der Mitanwesenheit außerhalb jeglichen Blickes auf Andere, der den oder die Anderen bereits verobjektivierte, und zum anderen ermöglicht sie ein Erfassen des ›Wir‹ lediglich von einem Subjekt, d.i. von einem Fürsichsein aus, so dass es, um ein ›Wir‹ zu erfassen, gerade nicht zwei oder mehr Subjekte braucht, die sich gleichzeitig gegenseitig erfassen und als Subjekte anerkennen655. Dennoch setzten sowohl nicht-thetisches Bewusstseins (von) ›Wir‹ als auch thetisches Bewusstsein davon, sich in einem ›Wir‹ zu engagieren 653 Hier und im Folgenden: Ebd.: im Original: »[…] comme transcendances-transcendantes et non comme transcendances-transcend¦es.« 654 EN, 485. Hervorhebung im Text. 655 Vgl. dazu EN, 485f.: »[…] le nous n’est pas une conscience intersubjective, ni un Þtre neuf qui d¦passe et englobe ses parties comme un tout synth¦tique, […]. Le nous est ¦prouv¦ par une conscience particuliÀre; il n’est pas n¦cessaire que tous les consommateurs de la terrasse soient conscients d’Þtre nous pour que je m’¦prouve comme ¦tant engag¦ dans un nous avec eux. On conna„t ce schÀme banal de dialogue: ›Nous sommes trÀs m¦contents.‹ ›Mais non, mon cher, parlez pour vous.‹« Hervorhebungen im Text.

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oder bereits engagiert zu sein, in der Tat voraus, dass der Andere im Horizont des Fürsichseins bereits aufgetaucht ist, sei es als transzendierende oder als transzendierte Transzendenz. Dem Falle jeglichen Bewusstseins von ›Wir‹ geht daher notwendig das Für-Andere-Sein des Fürsichseins voraus und bildet die Basis für dessen Möglichkeit. Sartre weist mit Recht darauf hin, dass jedes Bewusstsein von ›Wir‹ dieses ›Wir‹ auf zwei unterschiedliche Weisen vergegenwärtigen kann: Einmal als ›aktives‹, d.i. ›Subjekt-Wir‹ und zum anderen als ›passives‹, d.i. ›Objekt-Wir‹. Im ersteren Fall liegt nicht-thetisches Bewusstsein (von) oder thetisches Bewusstsein von einem gemeinsamen ›Subjekt-Sein‹ und im letzteren von einem gemeinsamen ›Objekt-Sein‹ vor. Äußerungen wie »Wir erblicken sie« [»Nous les regardons«656] und »Wir werden von ihnen erblickt« [»ils nous regardent«] verdeutlichen das Gemeinte. Deutlich wird hier, dass sich sowohl das thetische Bewusstsein beider Erfassungen von ›Wir‹ als auch ihre entsprechenden Äußerungen inhaltlich, unter Streichung des Adverbes ›gemeinsam‹, nicht von den Erfassungen eines Fürsichseins in seinem Füranderesein unterscheiden. Insofern stellt die Erfahrung des ›Wir‹ lediglich eine Modifikation der ursprünglichen Erfahrung des Anderen seitens des Fürsichseins dar, so dass sich ein Subjekt- sowie ein Objekt-Wir, sobald nur ein thetisches Bewusstseins von ihnen vorliegt, sich hinsichtlich des Verhältnisses dieser Subjekte bzw. Objekte untereinander auf Grund der gegenseitigen Verobjektivierung im Blick problematisch gestalten muss657. Dennoch wird mit dem Aufweis des ›Wir‹ als Modifikation des Fürandereseins hier sowohl die These des ›Wir‹ als eigener ontologischer Struktur des Fürsichseins658 als auch die Supposition der Existenz eines ›intersubjektiven Bewusstseins‹659 theorieimmanent abgewiesen. Abschließend ist zu der sartreschen Konzeption des Für-Andere-Seins zusammenfassend auf folgende ungelöste Problematiken zu verweisen: Der Ausgang von der ›internen Negation‹ zur strukturellen Darlegung des Für-Andere-Seins als Seinsweise des Fürsichseins führt unter Umgehung der Erkenntnis als Vermittlung des Anderen zu dem ersten Erfassen der Existenz des Anderen durch dessen auf ein Fürsichsein gerichteten Blick. Durch diesen Ausgang muss die Frage nach Möglichkeit einer Erkenntnis des Anderen ver656 Hier und im Folgenden: EN, 488. 657 Hier sei der Hinweis angefügt, dass Sartre in La Critique de la raison dialectique die Möglichkeit eines Subjekt-Wir im Sinne eines gemeinschaftlichen Miteinanders anvisiert. Seine Entstehung wird jedoch von der dort diskutierten Möglichkeit der Bildung einer Gruppe abhängig gemacht. Innerhalb einer Gruppe soll die Erfahrung des Objekt-Seins sowie die mit ihr einhergehende Erfahrung der Entfremdung aufgehoben sein.Vgl. CRD, 193ff. Ein solcher Verweis findet sich ebenfalls bei Betancourt 1983, 222f. 658 Vgl. hier nochmals die obige Anmerkung zu Sartres Rezeption des heideggerschen ›Mitsein‹ in Kapitel 5.1. und Betancourt 1983, 219. 659 Dieser Begriff findet sich bei Betancourt 1983, 219.

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neint werden. Verbunden mit dem Ergebnis des Erkenntniskapitels, dass die Erkenntnis eines Fürsichseins immer bloß Wahrscheinliches enthüllt, und u. a. um dessen Willen die ›interne Negation‹ als Basis gewählt wird, zeigt die Konzeption des Für-Andere-Seins, dass der Andere zwar als Objekt-Anderer im Blick erfasst wird, Aussagen über seine Verfasstheit jedoch gleich denen über ein erkanntes Objekt lediglich wahrscheinlich bleiben660. Auch aus den erwähnten Gleichsetzungen des ›Körpers für mich‹ und des ›Körpers für Andere‹ abgeleitete Aussagen vermögen nicht, den Anderen in Hinblick und mit dem Anspruch auf seine objektive, d.i. reale Verfasstheit hin zu beschreiben. Sprachliche Begrifflichkeiten sollen zwar aus der konkreten Begegnung mit Anderen resultieren und mögen der intersubjektiven Verständigung dienen, ein Anspruch auf einen bestimmten Wahrheitsgehalt sprachlicher Äußerungen kann aus diesem vorhandenen sprachlichen Vermögen jedoch nicht abgeleitet werden. Der Ausgang von der ›internen Negation‹ als strukturelle Grundlage des FürAndere-Seins soll folglich die Möglichkeit eines Zuganges zum Anderen jenseits der Strukturen der Erkenntnis leisten und das Für-Andere-Sein somit als Seinsweise des Fürsichseins und nicht als eine Qualität, die ihm u. a. zukommen kann, vorstellen. Durch die Verlagerung des Ursprungs des Verhältnisses zum Anderen auf die präreflexive Ebene ist jedoch lediglich das Auftauchen des das Fürsichsein erblickenden Subjekt-Anderen evident gegeben. Dieses ›Auftauchen des Subjekt-Anderen‹ muss jedoch, streng genommen, als bloße ›Möglichkeit des Auftauchens des Subjekt-Anderen‹ gefasst werden, da Sartre zum einen unter dem ›Subjekt-Anderen‹, wie zu Beginn dieses Kapitels dargelegt, eine detotalisierte Totalität im Sinne einer pränumerischen Realität versteht und zum anderen nicht klar wird, wie die Faktizität und nicht lediglich die Möglichkeit des Blickes des Anderen fundiert werden kann. Dass aus dieser Tatsache, wie etwa Betancourt schließt, die Relation zum Anderen als eine »Beziehung a priori« folgt und dem Fürsichsein der Zugang zum Anderen »versperrt«661 bleibt, kann hier nicht abgewiesen werden. Denn die Frage, die dieser Folgerung zugrunde liegt, lautet in der Tat: Gelingt es Sartre mit seiner Konzeption des Fürandereseins als im präreflexiven Cogito angelegter Seinsweise des Fürsichseins, der eigenen Zielsetzung gemäß, den Solipsismus zu unterlaufen und einen Zugang zum konkreten Anderen zu eröffnen? Oder kann beides lediglich postuliert werden? 660 Vgl. hier auch die Analyse von Peter Kampits, die diese Folgerungen, die bereits aus der sartreschen Konzeption der Erkenntnis zu ziehen sind, bestätigt. Siehe Kampits 1975, 91, 94 und 133f. sowie oben die Kapitel 4.4 und 4.5 dieser Arbeit. Auch bei Betancourt findet sich diese Schlussfolgerung. Betancourt 1983, 224. 661 Betancourt 1983, 224: »Letztlich bleibt doch das Fürsichsein in seiner eigenen Subjektivität eingeschlossen und man sieht nicht, wie seine Dimension des Fürandereseins es wirklich außerhalb seines ursprünglichen Entwurfes, sich selbst zu sein, führen kann.«

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Fürsichsein und Füranderesein

Die Antwort liegt in dem Ausgang von der präreflexiven Ebene des Bewusstseins. Auch die dargelegte ursprünglich präreflexive Erfassung des ›Engagiert-Seins im Wir‹, dem die Seinsweise des Fürandereseins in dem Sinne zugrunde liegen soll, dass der Andere dem Fürsichsein bereits ›begegnet‹ sein muss, kann durch die bloße Postulierung der Möglichkeit des Auftauchens des Subjekt-Anderen nicht begründet werden. Diese Bedenken betreffen die Grundbedingungen der Möglichkeit des Zuganges zum Anderen. Gibt man dieser Möglichkeit jedoch ohne Rücksicht auf oben genannte Einwände statt, stellt sich, wiederum auf der präreflexiven Ebene des Bewusstseins, folgende Problematik im Zusammenhang mit dem dargelegten ›Einbruch des Ich‹ ein: Der Subjekt-Andere wird durch seinen Blick auf ein Fürsichsein von diesem präreflexiv erfasst. Der ›Einbruch des Ich‹ geht mit dieser Erfassung einher, so dass sich das Fürsichsein präreflexiv als Späher, jedoch als Späher, d.i. als Objekt, für den Anderen begreifen soll. Hier markiert dieser ›Einbruch des Ich‹, wie oben beschrieben, keineswegs den Übergang von der präreflexiven zur reflexiven Ebene des Bewusstseins, sondern ist der Grund dafür, dass die ›Scham über sich als Späher‹, d.i. die ›Scham über sein Objekt-Ich für den Anderen‹, von dem es durch interne Negation getrennt ist, präreflexiv erlebt werden können soll. Nur dann kann nämlich von einem Aufweis des Anderen ohne Rekurs auf Erkenntnis und Reflexion gesprochen werden. Da das ›Objekt-Ich‹ für den Anderen nicht nur präreflexiv erfasst, sondern darüber hinaus präreflexiv als ein Sein bzw. sein Sein an sich für den Anderen begriffen werden soll, ist in der Tat nicht klar, wie es sich ob dieser Leistung hier noch um die präreflexive Ebene des Bewusstseins handeln kann662. Die strukturelle Überfrachtung des präreflexiven Cogito wird bereits im Schlusswort des Erkenntniskapitels konstatiert. Hier ist sie ungleich schärfer anzumahnen, da nicht zu sehen ist, wie das präreflexive Cogito als Binnenstruktur des Bewusstseins einen Zugang zum Subjekt-Anderen zu eröffnen vermag. Dies gilt zum einen für den konkreten Subjekt-Anderen unabhängig von der Frage, ob die sartresche Konzeption erlaubt, dass sich zwei Subjekte als solche gleichberechtigt gegenüberstehen können. Zum Anderen gilt das Gesagte ebenfalls für den Subjekt-Anderen als ›pränumerische Realität‹, da nicht deut662 In der neueren Sartreliteratur ist in Zusammenhang mit dieser Problematik inbesondere die Darlegung Wolfgang Brauners zu erwähnen, die diese Tatsache ebenfalls kritisch anmerkt, in: Das präreflexive Cogito. Sartres Theorie des unmittelbaren Selbstbewusstseins im Vergleich mit Fichtes Selbstbewusstseinstheorie in den Jenaer Wissenschaftslehren, München 2004, [Brauner] 117f. und 226ff., sowie insbesondere die beiden Aufsätze von Dorit Simon: Das Selbstbewusstsein und der Andere. Auf der Suche nach der Möglichkeit des Anderen überhaupt und: Das Präreflexive als Bedingung von Selbstbewusstsein in Hinblick auf die Möglichkeit des Anderen, beide in: Christoph Asmuth (Hrsg.): Transzendentalphilosophie und Person. Leiblichkeit Interpersonalität, Anerkennung, Bielefeld 2007, 199–210 und 225–236.

Die konkreten Beziehungen zum Anderen

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lich wird, inwiefern ein präreflexives Bewusstsein generell seitens eines ›Anderen‹ affiziert werden kann. Die sartresche Argumentation scheint hier von dem erklärten Ziel, das Für-Andere-Sein als Seinsweise des Fürsichseins aufzuweisen, ihren Ausgang zu nehmen. Von diesem Ziel ausgehend muss der Aufweis des Für-Andere-Seins die interne Negation als Basis annehmen, welche ihrerseits theorieimmanent notwendigerweise auf die präreflexive Ebene des Bewusstseins verweist. Das präreflexive Cogito als Binnenstruktur und absolute Interiorität des Bewusstseins kann als solches jedoch nur als in ihr und damit in der Immanenz des Bewusstseins verhaftet angenommen werden, unabhängig davon, ob der Blick als Ausdruck der Transzendenz eines Anderen auf dieses Bewusstsein trifft. Wie sollte er seine präreflexive Ebene erreichen können663 ? Und, anknüpfend an oben dargelegten Gedanken, wie kann das präreflexive Cogito als egolose Struktur sein ›Ich‹ als Reaktion auf die erfahrene Transzendenz des Anderen erfassen? Beide Fragen können anhand der sartreschen Darlegungen nicht beantwortet werden664. 663 Eine ausführliche Diskussion dieser Problematik findet sich bei Brauner, 227ff. 664 In der Tat eröffnet die gesamte Darlegung in L’§tre et le Neant lediglich Spuren, die auf den ersten Blick auf die Aufgabe der These des präreflexiven Cogito als Ausdruck der Immanenz des Bewusstseins hinweisen könnten. Sie betreffen die Rede von dem ›Einbruch des Ich‹ als Modifikation des präreflexiven Cogito, verbunden mit der Explikation des präreflexiven Cogito als dem reflexiven Cogito insofern homolog, als es ebenso ›für einen Zeugen‹ existiert, der im Falle des präreflexiven Cogito ›es selbst‹ ist, d.i. die oben erläuterte Tatsache, auf Grund derer das präreflexive Cogito nicht vermag, der Zirkelproblematik zu entgehen. Erstere Textstelle lautet: »C’est que je suis soudain atteint dans mon Þtre et que des modifications essentielles apparaissent dans mes structures – modifications que je puis saisir et fixer conceptuellement par le cogito r¦flexif. D’abord, voici que j’existe en tant que moi pour ma conscience irr¦fl¦chie. C’est mÞme cette irruption du moi qu’on a le plus souvent d¦crite: […] tant que nous avons consid¦r¦ le pour-soi dans sa solitude, nous avons pu soutenir que la conscience irr¦fl¦chie ne pouvait Þtre habit¦e par un moi: le moi ne se donnait, — titre d’objet, que pour la conscience r¦flexive. Mais voici que le moi vient hanter la conscience irr¦fl¦chie. Or, la conscience irr¦fl¦chie est conscience du monde. Le moi existe donc pour elle sur le plan des objets du monde; ce rúle qui n’incombait qu’— la conscience r¦flexive: la pr¦sentification du moi appartient — pr¦sent — la conscience irr¦fl¦chie«, EN, 318. Hervorhebungen im Text. Letztere Textstelle lautet: »Mais nous croyons avoir montr¦ que la condition premiÀre de toute r¦flexivit¦ est un cogito pr¦r¦flexif. Ce cogito, certes, ne pose pas d’objet, il reste intraconscientiel. Mais il n’est pas moins homologue au cogito r¦flexif en ce qu’il appara„t comme la n¦cessit¦ premiÀre, pour la conscience irr¦fl¦chie, d’Þtre vue par elle-mÞme; il comporte donc originellement ce caractÀre dirimant d’exister pour un t¦moin, bien que ce t¦moin pour qui la conscience existe soit elle-mÞme.« EN, 116f. Hervorhebungen im Text. Diese im letzten Zitat beschriebene Homologie von präreflexivem und reflexivem Cogito stellt im Lichte der in dieser Arbeit erfolgten Untersuchung der Bewusstseinskonzeption Jean-Paul Sartres einen in mehrerer Hinsicht aufschlussreichen Aspekt vor. Zum einen wird nochmals verständlich, weshalb Sartre für das un- bzw. vorreflexive Bewusstsein den Terminus ›cogito‹, d.i. ›präreflexives cogito‹ wählt. Gleich dem cartesianischen, dem husserlschen und auch dem sartreschen

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Fürsichsein und Füranderesein

Daher ist an dieser Stelle der Schluss zu ziehen, dass es Sartre in L’§tre et le N¦ant aufgrund theorieimmanenter Unzulänglichkeiten nicht gelingt, dem bewussten Subjekt einen Zugang zum Anderen zu eröffnen. Wenn dieser nur postuliert werden kann und sich das Für-Andere-Sein folglich lediglich aufgrund dieser Postulierung als Seinsweise des Für-sich-Seins auffassen lässt, erscheinen Fragen nach einer möglichen Erkenntnis des Anderen, nach der Möglichkeit und Plausibilität intersubjektiver Beziehungen sowie einer gemeinsamen Verständigung über die Welt zweitrangig. Bedeutend ist jedoch, dass durch diesen unter den sartreschen Prämissen misslingenden Zugang zum Anderen im präreflexiven Cogito ebenfalls nicht gelingt, die Problematiken des Solipsismus und des subjekttheoretischen Formalismus in Bezug auf die Möglichkeit von Intersubjektivität begründet abzuweisen.

Cogito weist es in sich eine Subjekt-Objekt-Spaltung auf. Sie ist in der Exposition der Struktur der ›Anwesenheit bei‹ als ›unmittelbarer Vertrautheit mit sich‹ und der bildhaften Beschreibung des ›Risses‹ innerhalb der Struktur des präreflexiven Cogito hier bereits mehrfach deutlich und kritisch beleuchtet worden. Zum anderen erlaubt die Textstelle der Seiten 116f. in Verbindung mit der erstgenannten die Frage nach der theorieimmanenten Zulässigkeit der Modifikation, die das präreflexive Cogito seitens der Transzendenz des Anderen erfahren soll, folgende Feststellung: Da oben genannte Modifikation des präreflexiven Cogito einschließen soll, dass das präreflexive Cogito im ›Einbruch des Ich‹ sein Ich nicht als sein Objekt, sondern als Objekt für den Anderen erfasst, und letztere Textstelle trotz des Hinweises auf die Subjekt-Objekt-Spaltung innerhalb des präreflexiven Cogito im selben Atemzug betont, dass es, obgleich in diesem Punkt homolog zum reflexiven Cogito, innerhalb des Bewusstseins verhaftet bleibt: »il reste intraconscientiel«, lässt sich in der Tat lediglich von Spuren innerhalb der sartreschen Darlegung sprechen, die die Möglichkeit der Affizierung des präreflexiven Cogito durch die Transzendenz des Anderen gewährleisten könnten. Dies gilt gleichermaßen für die exponierte präreflexive ›Anwesenheit bei‹ der Welt des präreflexiven Cogito, welche sowohl hinsichtlich der Möglichkeit des ›Spähens durch das Schlüsselloch‹, d. h. der präreflexiven Anwesenheit bei dem Geschehen hinter der verschlossenen Tür, als auch hinsichtlich der angeführten Annahme eines präreflexiven Zählens von Zigaretten in der Schachtel (vgl. oben, Kapitel 3.) vorgestellt wird. Zudem bestätigen die sartreschen Ausführungen über die ursprünglichen Haltungen zum Anderen das Unvermögen, mittels der eigenen Transzendenz das Bewusstsein eines Anderen zu erreichen. Vgl. dazu die obigen Ausführungen bezüglich der Verhaltensweise der Liebe und insbesondere EN, 442ff.

6.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die hier dargelegte Untersuchung der Konzeption des Bewusstseins in Jean-Paul Sartres L’§tre et le N¦ant rechtfertigt folgendes Schlusswort: Sartres Versuch einer Bewusstseinskonzeption, die auf das Engste mit der erklärten Intention der Fundierung einer phänomenologischen Ontologie zusammenhängt, leistet zunächst zweierlei: Sie erlaubt zum einen, das Sein des bewussten Subjekts als einen vom Seinstyp des innerweltlichen, gegenständlichen Seins unterschiedenen Seinstyp aufzufassen. Dies verspricht hinsichtlich der eingangs aufgestellten Motivation, dem Sein des Subjekts und dem Sein der innerweltlichen Gegenstände zugleich Gewicht zu verleihen und damit einen Weg jenseits von Realismus und Idealismus zu eröffnen, zunächst einen interessanten Ansatz. Dies gilt in Teilen auch für die Auffassung der Intentionalität als Grundstruktur des Bewusstseins, die dem bewussten Subjekt den Zugang zu innerweltlichem Sein ermöglichen und dabei als ›Brücke‹ zwischen Subjekt und Welt fungieren soll. Zum anderen leistet die Konzeption des Für-Andere-Seins, dass das ›ObjektIch‹ eines jeweiligen bewussten Subjekts keineswegs der Einbildungskraft eines anderen bewussten Subjekts entspringt, sondern auf ein ›reales Sein‹665 verweist. Dass dieses Sein als Objekt für den Anderen interpretiert wird, schmälert diese Leistung nicht. Durch den Ausgang von dem wenn auch modifizierten cartesianischen Cogito als Struktur des Bewusstseins und Sitz seiner Intentionalität wird diese Leistung jedoch, wie vorliegende Untersuchung gezeigt hat, erheblich eingeschränkt. Denn weder lässt sich, wie die Analyse der Struktur des präreflexiven Cogito und deren Implikationen gezeigt haben, ein Selbstbewusstsein strukturell plausibel und widerspruchslos in dieses Cogito einbetten, noch gelingt unter diesen Prämissen der Aufweis eines möglichen Zuganges zu anderen bewussten Subjekten in der Welt. 665 Betancourt zieht ebendiese Folgerung. Siehe Betancourt 1983, 208.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

Insofern erweist sich in der Tat das Festhalten an einer am Cogito orientierten Bewusstseinskonzeption als wesentlicher Grund ihres Scheiterns. Die Auffassung eines intentionalen Bewusstseins mag diesen Ansatz nahelegen. Das Unvermögen, in diesen Ansatz beim Cogito eine präreflexive Ebene, die auch über ihre unmittelbaren Strukturen hinaus präreflexiv bleiben kann, einzubeziehen, lässt ihn jedoch misslingen. Zudem ist in der Analyse dieser unmittelbaren Strukturen des Bewusstseins, die in seinem Herzstück, dem präreflexiven Cogito, liegen sollen, deutlich geworden, dass dieses präreflexive Cogito als Cogito konzipiert bleibt und die ›unmittelbare Anwesenheit bei sich‹ auch unter Einbeziehung des Negativen, d.i. die Fähigkeit zur Nichtung seitens des Bewusstseins als Fürsichsein und der damit verbundenen Explizierung des Bewusstseins als Einheit von Sein und Nichts, weder Zirkel- und Regressproblematiken entgeht noch einen subjekttheoretischen Formalismus sowie einen Solipsismus abweisen kann. Diese drei letztgenannten Punkte zeigen nochmals, dass die sartresche Bewusstseinskonzeption, ob des selbstgewählten Ausganges vom Cogito, stets danach trachtet und trachten muss, die unmittelbaren Strukturen des Bewusstseins sowie die Seinsweisen des bewussten Subjektes als Fürsichsein jenseits, d.i. ohne Rückgriff auf Strukturen der Erkenntnis und Reflexion, zu suchen und zu exponieren. Insofern krankt diese Konzeption bereits in ihrem Ansatz. Diese Feststellung lässt sich im weiten Sinn auch auf den im Untertitel zu L’§tre et le N¦ant angekündigten Versuch einer phänomenologischen Ontologie übertragen. Die Aufweise sowohl der unmittelbaren Strukturen des Bewusstseins als auch der Erfahrung des Anderen haben gezeigt, dass Sartre auch Phänomenologe in dem Sinne ist, dass er der Erfahrung primär einen höheren Stellenwert einzuräumen sucht als der Erkenntnis, so dass seine Aufweise ihren Anfang, mit Ausnahme der Annahme des präreflexiven Cogito selbst, im konkreten Erfahrungsbereich des Individuums nehmen. Dies gilt sowohl für den Aufweis der Negatitäten als auch für den der Beziehung des bewussten Subjekts zu seinem Körper und zum Anderen. Ontologisch fundieren lassen sich, wie dargestellt, jedoch wesentliche Strukturen des Bewusstseins und seiner Beziehung zur Welt nicht. Daher gelingt es Sartre in seinem ersten Hauptwerk keinesfalls, wie angestrebt, mittels einer phänomenologisch fundierten Ontologie einen ›dritten Weg‹ jenseits von Realismus und Idealismus aufzuzeigen. Die sartresche Bewusstseinskonzeption in ihrer Gesamtheit scheint nach vorliegender Analyse einem Idealismus näher zu stehen als einem Realismus, da wesentliche Bezüge des bewussten Subjekts zur Welt lediglich gesetzt und nicht begründet werden können. Dies gilt trotz der genannten sartreschen Äußerung in La C¦r¦monie des Adieux:

Schlussfolgerungen und Ausblick

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»[…] j’optais pour le r¦alisme depuis mon ann¦e de philosophie. […], je n’avais qu’une id¦e, c’est que toute th¦orie qui ne disait pas que la conscience voit les objets comme ils sont ¦tait vou¦e — l’¦chec.«666

Sie mag den Ausgang von der Phänomenologie und den Versuch einer phänomenologischen Ontologie rechtfertigen, das oben Gesagte wird jedoch durch die Kapitel über die unmittelbaren Strukturen des Bewusstseins, die Erkenntnis und die Grenzen der Intersubjektivität in seinem Ausmaß verdeutlicht. Die konkreten Erfahrungen eines bewussten Subjekts lassen sich nicht in eine Theorie des Bewusstseins, die ihren Ausgang von einem präreflexiven Cogito nimmt, integrieren. Sie können durch eine derartige Bewusstseinskonzeption nicht begründet werden. So bleibt festzuhalten, dass Jean-Paul Sartre mit seiner Bewusstseinskonzeption aus einem präreflexiven Cogito heraus, die sich in erster Linie in Auseinandersetzung mit den Theorien Husserls, Heideggers und Hegels entwickelt, sehr wohl einen diskussionswürdigen Ansatz liefert, insofern er eben diese Annahme einer präreflexiven Spielart des Bewusstseins betrifft. Diese Konstatierung muss inhaltlich jedoch auf Grund des Gesagten zwiegespalten bleiben. Denn einerseits wirft die Analyse der sartreschen Bewusstseinskonzeption als auf dem präreflexiven Cogito basierend zu Recht die Frage auf, ob dieser Ansatz, gemessen an der Intention in L’§tre et le N¦ant, in der Tat über die Theorie Husserls hinaus eine Möglichkeit der Erfassung des konkreten Subjekts in seinem Verhältnis zur konkreten Welt bietet. Denn, unabhängig von der Tatsache, dass Husserls Intention eine andere ist, bleibt das bewusste Subjekt bei Sartre, als Fürsichsein, dessen wesentliche Strukturen aus dem präreflexiven Cogito entwickelt werden, in seinem Verhältnis zur Welt in Wahrheit in der Subjektivität verhaftet. Unverzüglich scheint dieses Ergebnis den Leser auf die eingangs667 zitierte Passage aus Marcels §tre et avoir zu verweisen: »On ne dira jamais assez combien la formule es denkt in mir est pr¦f¦rable au cogito qui nous expose au pur subjectivisme. Le ›je pense‹ n’est pas une source, c’est un obturateur.«668

Freilich hätte Marcel diese Formel des es denkt in mir in ihrer Struktur ausführlich darzulegen, was in §tre et avoir nicht geschieht. Die Wendung in die neutrale dritte Person Singular, die diese Formel ausdrückt und für die er möglicherweise deshalb auf die deutsche Sprache zurückgreift, mag, wenn es darum geht, eine Struktur des Selbstbewusstseins zu begründen, zu neuen Problematiken führen. 666 CA, 205. 667 Vgl. oben, Kapitel 2.1. 668 Marcel, EA, 35.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

Interessant ist aber, dass Marcel diese Formel auch gegen die Theorie vom unmittelbaren Selbstbewusstsein Fichtes zu richten sucht, wie der Zusammenhang der zitierten Passage verdeutlicht669. Die Angemessenheit dieser Kritik an Fichte kann nicht Thema dieses Schlusswortes sein. Erwähnenswert ist diese Passage in Hinblick auf das sartresche Unternehmen einer Bewusstseinskonzeption jedoch, da Marcel hier zu sehen scheint, dass eine unmittelbare Vertrautheit des Bewusstseins mit sich, sobald sie strukturell durch ein wie auch immer näher zu qualifizierendes Cogito beschrieben werden soll, in der Immanenz der Subjektivität zu verbleiben droht. In diesem Fall fungiert das Cogito hinsichtlich der eines möglichen Weltbezuges des Subjekts eben nicht als ›Quelle‹, sondern als ›Verschluss‹, welches die sartresche Konzeption bestätigt. Vor diesem Hintergrund ist der ebenfalls eingangs erwähnten Vermutung stattzugeben, dass Sartre mit der Wahl des Ausganges vom Cogito hinsichtlich des Weltbezuges in der Tat hinter Heideggers Exposition des ›Daseins‹ als ›Inder-Welt-Sein‹ und ›Mitsein‹ zurückfällt670. Einzig die explizite strukturelle Exposition eines Selbstbewusstseins des ›Daseins‹, eines Bewusstseins seines Selbstverständnisses als ›Dasein‹ bliebe Sartres Intention gemäß671 gegenüber Heidegger anzumahnen. Andererseits finden sich in der Nachfolge Sartres weitere Ansätze, die durch die Annahme einer ›unmittelbaren Vertrautheit des Bewusstseins mit sich‹ Zirkel- und Regressproblematiken des Reflexionsmodells von Bewusstsein zu entgehen suchen. Ein solcher Ansatz findet sich bei Dieter Henrich. Einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dieser Konzeption sei an dieser Stelle vorausgeschickt, dass Henrich die ›unmittelbare Vertrautheit des Bewusstseins mit sich‹ interessanterweise nicht als Selbstbewusstsein, sondern als Bedingung jeglicher Intentionalität oder »zielgerichteten Leistungen«672, die auch das Selbstbewusstsein charakterisieren, versteht. Ob eine solche Konzeption eines »selbstlosen Bewusstseins vom Selbst«673 die Problematiken der sartreschen Konzeption zu vermeiden hilft oder gar neue entstehen lässt, ließe sich im Rahmen einer weiterführenden Untersuchung fruchtbar machen674. Dies gilt gleichermaßen für gegenwärtige Positionen, die den Sachverhalt

669 Ebd.: »A cet ¦gard, un certain cart¦sianisme, et surtout un certain ficht¦isme, m’apparaissent comme les plus graves erreurs dont aucune m¦taphysique se soit rendue coupable.« 670 Vgl. hier die Argumentation, die zu diesem oben in Kapitel 2.2 bereits angesprochenen ›Verdacht‹ führt. 671 Es ist ja gerade dieses Desiderat, das den sartreschen Rückgriff auf das husserlsche Cogito motiviert. Vgl. oben, Kapitel 2.2. 672 Henrich, Selbstbewußtsein, 275. 673 Ebd. 280. 674 Verwiesen sei an dieser Stelle auf den erwähnten Aufsatz von Dorit Simon: Das Präreflexive als Bedingung von Selbstbewusstsein in Hinblick auf die Möglichkeit des Anderen, op.cit.

Schlussfolgerungen und Ausblick

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›Selbstbewusstsein‹ ohne den Rückgriff auf eine intentionale Struktur des Bewusstseins zu explizieren suchen675. Die sartresche Konzeption des Bewusstseins in L’§tre et le N¦ant abschließend, soll hier jedoch nicht etwa ein Vorschlag eines alternativen Ausganges stehen, sondern vielmehr innerhalb der sartreschen Philosophie der Verweis und Ausblick auf sein zweites Hauptwerk La Critique de la Raison dialectique und die seit 1939 konzipierten, jedoch unvollendet gebliebenen und posthum erschienenen Cahiers pour une morale. In ihnen wird unter Aufnahme zentraler Thesen aus L’§tre et le N¦ant, wie die der ursprünglichen Haltungen zum Anderen, der Versuch unternommen, zumindest die konkreten Erfahrungen des bewussten Subjektes zum Anderen, wie etwa die eines einträchtigen ›Wir‹, hinsichtlich der Frage nach der Möglichkeit von Intersubjektivität in erweiterte theoretische Zusammenhänge einzubinden.

675 Dies gilt inbesondere für den semantischen Ansatz der analytischen Position Robert Nozicks, die Selbstbewusstsein als ›performativen Akt‹ beschreibt und sich damit dennoch interessanterweise in der Tradition Johann Gottlieb Fichtes befindet. Auch Nozick muss jedoch ein ›vorsemantisches‹ Verständnis des Terminus ›Ich‹ supponieren, dessen theoretische Tragweite für einen alternativen Ansatz zur Erklärung des Sachverhaltes ›Selbstbewusstsein‹ zu untersuchen wäre. Vgl. Robert Nozick: Philosophical Explanations, Massachusetts 1982. Vgl. in diesem thematischen Zusammenhang insbesondere die Dissertation von Stefan Lang: Spontaneität des Selbst, Göttingen 2010.

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