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German Pages 138 [148] Year 1963
KLAUS
HARTMANN
GRUNDZÜGE DER ONTOLOGIE SARTRES IN IHREM VERHÄLTNIS ZU HEGELS LOGIK EINE UNTERSUCHUNG ZU „L'ÊTRE ET LE NÉANT"
W A L T E R
DE
G R U Y T E R
& CO.
/
B E R L I N
V O R M A L S G. J . G Ö S C H E N ' S C HE V E R L A G S H A N D L U N G • J . G U T T E N T A G , V E R L A G S B U C H H A N D L U N G • G E O R G R E I M E R • K A R L J . T R Ü B N E R • V E I T & COMP.
1963
Archiv.Nr. 36 23631
© 1963 by Waltet de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung - J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Berlin 30 Printed in Getmany O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck Paul Funk, Berlin 30
VORWORT Die vorliegende Studie versucht bei der Interpretation und Analyse von Sartres Hauptwerk, dieses so weit darzustellen, daß auch dem Leser ohne umfassendere Sartre-Kenntnis ein Verständnis möglich sein sollte. Eine nähere Vertrautheit mit Hegel, und in gewissem Maß auch mit Husserl und Heidegger, ist jedoch vorausgesetzt. Ein Wort zur Sekundärliteratur. Die mir bekanntgewordenen Arbeiten bieten keine eingehende Interpretation der Sartreschen Ontologie im Blick auf Hegel. W. Biemels Aufsatz über Hegels und Sartres Dialektik wäre zu nennen; der Autor beabsichtigt allerdings nicht eine Analyse der Ontologie Sartres, sondern hält sich an einen zugespitzten formelhaften Ausdruck der Dialektik, wie ihn Sartre in seinem Werk selbst verwendet. Auch / . Koppers Arbeiten wären anzumerken. Dem Autor geht es aber im wesentlichen um eine Interpretation Sartres von einem an Hegel orientierten GeistbegrifF her; der Hauptakzent liegt auf dem Thema der Gemeinschaft. Einige wichtigere Sekundärwerke seien genannt: G. Varet („L'ontologie de Sartre") und M. Natanson („A Critique of Jean-Paul Sartre's Ontology") sehen Sartre von der Husserlsdien Phänomenologie her und behandeln seine Philosophie in „L'etre et le néant" als neuartige oder abartige phänomenologische Methode. Natanson sieht eine Beziehung zu Hegel1, und zwar zur Hegeischen Phänomenologie. W. Desan („The Tragic Finale") betrachtet Sartre als eigenwilligen Denker in der existenzialistischen Tradition, hat aber kein Verständnis für Sartres Dialektik; er vermutet Bezüge zu Hegel2. J. Möller („Absurdes Sein?") ist sich der Nähe Sartres zu Hegel bewußt, die apologetische Polemik und die „Uberwindung Sartreschen Denkens durch Metaphysik" 4 stehen aber im Mittelpunkt des Interesses. Ein Großteil der Sekundärliteratur stammt von scholastischer oder vordergründig-existenzialistischer Seite und hat sich als wenig hilfreich erwiesen. Es ist daher von eigentlicher Sekundärliteratur, im Gegensatz zu Philosophen in eignem Recht, nur spärlicher Gebrauch gemacht. Ein Wort ferner zur Zitierung Sartres. Das Hauptwerk „L'etre et le néanit" ist mit „EN" abgekürzt. Wo es auf die Formulierung ankommt, stehen Zitate und Begriffe im französischen Original im Text oder in Fußnoten; sonst zitieren wir in eigner Übersetzung mit Angabe der Belegstelle. In darstellenden Teilen werden Sartres Ausführungen 1 3
a. a. O., 73 f. a. a. O., 105ff.,108.
2 4
a. a. O., 156, 159. a. a. O., 161.
oft in enger Anlehnung an den Text mit Angabe der Belegstelle (oft für einen ganzen Absatz gültig) paraphrasiert. Wo unsere Wendungen dann Sartres französischen wörtlich gleichkommen, sind sie, als übersetzte Zitate, in Anführung gesetzt. Der Text sollte nicht durch zu viele längere Einschübe im Original belastet oder jeweils an die Zitierung vollständig übersetzter Sätze oder Gruppen von Sätzen gebunden sein. (Für eine Reihe von Termini, wie en-soi, pour-soi usw., scheint es uns ohnehin legitim, zu den deutschen Ausdrücken Ansich, Fürsich usw. zurückzukehren, die die ursprünglichen sind). Schließlich möchte ich an dieser Stelle Herrn Prof. Johannes Thyssen meinen Dank aussprechen für ein wohlwollendes Gewährenlassen und so manchen gütlichen Disput über die Materie dieses Buches. Dank schulde ich auch Herrn Dr. Rudolf Hoffmann für seine Hilfe bei der Korrektur. Bonn, Januar 1963
Klaus
Hartmann
INHALTSVERZEICHNIS Seite
EINLEITUNG I. D I E
1
GEWINNUNG
DER
ONTOLOGISCHEN
EBENE
6
1. Die Ausgangsposition 2. Die Argumentation für eine ontologische Fundierung des Phänomens . . . .
6 11
3. Sein und Phänomen 4. Das Bewußtsein
16 21
5. Die Idee einer ontologisch fundierten Phänomenologie
30
II. DAS A N S I C H S E I N III. H I N F U H R U N G
33
ZUM FURSICHSEIN
42
1. Die regressive Analyse
43
2. D i e Negatitäten
45
3. Negative Bedingungen in der Immanenz 4. Die Unwahrhaftigkeit
46 49
IV. DAS
FÜRSICHSEIN
57
1. Die Binnenstruktur des Fürsichseins
58
2. Die unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins a) Das Sein des Fürsichseins
64 64
b) Das Fürsichsein als Mangel
66
c) Das Fürsichsein als Totalität
71
d) Das Fürsichsein als Komplement 3. Die Zeitlichkeit
73 78
a) Ontologische Vorbetrachtung
78
b) Das Fürsichsein als zeitliches c) Exkurs über Hegels Zeitauffassung
81 86
4. Das Fürsichsein als Transzendieren
90
a) Der Grundbezug zum Sein
90
b) Die Artikulation des Seins
93
V. D A S F Ü R - A N D E R E - S E I N
98
1. D i e Begegnung des Andern 2. Die Seinsbeziehung zum Andern VI. S A R T R E S O N T O L O G I E IM G A N Z E N U N D I H R
99 103 VERHÄLTNIS
ZU HEGEL 1. Die formale Auslegung des Seins bei Hegel 2. Sartres formale Auslegung des Seins 3. D i e existenziale Erkenntnistheorie
113 114 118 122
4. Exkurs über Sartres Verhältnis zur Phänomenologie 5. Ontologie und Metaphysik
124 126
RÜCKBLICK
128
ANHANG
132
Exkurs über Solger
LITERATURVERZEICHNIS
136
EINLEITUNG Die Entstehung von Sartres theoretischen Schriften liegt — mit Ausnahme des Buches über Genet und der neuerdings erschienenen „Critique de la raison dialectique" — weit zurüdt; die heftige Reaktion ist vorüber. Dabei war diese Reaktion nur zum kleinen Teil eine solche auf die theoretischen Werke. Das Hauptwerk „L'être et le néant" wie auch die Schriften über die Phantasie und die Gefühle traten vielmehr hinter dem Interesse für die Romane, Dramen und Essays zurück. Es erschienen bald nach dem Krieg eine Reihe meist französischer Studien, die aber vielfach unter dem Eindruck der von Sartre selbst hervorgerufenen weltanschaulichen Tagesströmung standen. Als Gegenstand der philosophischen Durchdringung scheint Sartre aber nicht annähernd ausgeschöpft; in mancher Hinsicht muß seine an Lösungsvorschlägen zu den großen Problemen der Philosophie so reiche Philosophie überhaupt erst einmal bekanntgemacht werden. Nachdem nun aber das neue umfangreiche Werk über die dialektische Vernunft (und zwar vorerst nur dessen erster Teil) vorliegt, zeigt sich, daß Sartres Interesse für eine theoretische Behandlung philosophischer Probleme anhält. Inwiefern ist es dann überhaupt legitim, das, was sich jetzt als bloßer Teil des philosophischen Werkes erweist, zu untersuchen? Ist nicht alles im Fluß, und müssen wir nicht abwarten, wie sich Sartres Denken weiterentwickelt? Hierzu wäre zu sagen, daß mit dem Erscheinen des neuen Buches über die Dialektik der Vernunft die Position der vorangegangenen Werke als abgeschlossen gelten kann. Sartre hat den dort vertretenen Standpunkt zwar nicht verlassen, so scheint es, erweitert ihn aber zu einer Philosophie der Gemeinschaft und ordnet diesen erweiterten Standpunkt einer marxistischen Orientierung unter. Sein „Existenzialismus" gilt ihm jetzt als eine Grundlage für den Marxismus, soll im Rahmen des Marxismus ein „wahrhaft umfassendes Wissen" vom Menschen aufbauen und sich dem Marxismus einordnen, wenn dieser einmal die „menschliche Dimension", den „existenziellen Entwurf" als Grundlage seines anthropologischen Wissens aufgenommen hat 1 . Die Phase des Sartreschen Denkens, mk der wir uns befassen wollen, erscheint jetzt als eine für sich genommen noch nicht der sozial-revolutionären „Praxis" dienstbare Philosophie, und gerade soweit sie das noch nicht ist, rückt sie näher an die Tradition heran. Sie kann als bisher letzte Metamorphose der Tradition verstanden werden. Es ist nicht alltäglich, wenn sich eine Philosophie ausbildet, die eine Art von „System" darstellt und eine umfassende, viele der traditionel1
Critique de la raison dialectique I, 111.
X
len philosophischen Fragen betreffende Theorie enthält. Allein schon als solches Werk ist E N bemerkenswert. Bemerkenswerter noch wird das Buch, wenn wir bedenken, daß es sich als Fazit aus Husserl, Heidegger und Hegel versteht. Es will, wie der Untertitel sagt, eine phänomenologische Ontologie sein. Darin liegt ein Programm, das als großangelegter Versuch ausgeführt worden ist. Ist E N nun ein Synkretismus aus Husserl, Heidegger und Hegel? Könnte man nicht vielmehr meinen, die in Sartres Philosophie anscheinend zusammengekommenen Elemente seien unvereinbar? Was hat Husserl mit Hegel zu tun? Und auch bei Heidegger ist die Beziehung zu Hegel nicht offenkundig. Wir sehen, das allgemeinere Thema, auf das wir unser Augenmerk richten müssen, wenn es auch unsere Aufgabe übersteigt, ist die „Ehe" 2 , die die Phänomenologie mit der Dialektik eingegangen ist. Hier ist zunächst einzuhalten und vor einer Aufklärung des systematischen Zusammenhangs ein Blick auf Sartres geistigen Werdegang zu werfen, der das Zusammentreten der genannten Philosopheme belegen und zu einem gewissen Grad plausibel machen kann. Wir haben uns den jungen Sartre vorzustellen als gesättigt mit dem Philosophiestoff des französischen Gymnasiums; er kennt die Stoa, die Klassiker Descartes, Leibniz, Spinoza, Kant, Bergson. In seinem Universitätsstudium beeinflussen ihn Philosophen und Professoren wie Alain, J . Wahl, Brunschwicg, R. Aron, Laporte. Sartre erlebt eine Reaktion gegen den Idealismus der Universitätsphilosophie11, er empfindet Hunger nach „Realität", sei sie nun sozial-politisch, menschlich-individuell oder sinnlich-konkret. J . Wahls Buch „Vers le concret" beeindruckt ihn, eine Figur wie St. Exupéry reizt ihn, soziales Elend erregt ihn. Er liest Marx, ohne Hegelkenntnis4. Die Suche nach „Realität" führt zu einer frühen literarischen Arbeit, die um die Kontingenz des Realen kreist5. Auch die Psychoanalyse interessiert ihn, und schon 1932 hat er eine Theorie bereit, die das Unbewußte in der Psychologie vermeiden soll6: auch hier das Thema der Kontingenz, und zwar im Sein des Menschen. Ein wichtiges geistiges Erlebnis wird die Begegnung mit der Husserlschen Phänomenologie. Sie beginnt schon 1932 mit der Lektüre des Husserl-Buches von Lévinas (auf Anregung von R. Aron) 7 ; 1934 verbringt 2
Der Ausdruck bei W . Biemel, Das Wesen der Dialektik bei Hegel und Sartre, Tijdsdirift voor Philosophie, Bd. 20 (1958), 300.
3
Critique de la raison dialectique 2 3 : „l'idéalisme officiel".
4
ebda. 22.
5
„Légende de la vérité", 1931. Vgl. S. de Beauvoir, „La force de l'âge" 50. Thema kehrt in dem Roman „La nausée" wieder.
Das
® S. de Beauvoir, a. a. O., 134. Es ist die Lehre von der „Unwahrhaftigkeit" (mauvaise foi). Siehe unten Kap. III, 4. 7
2
ebda. 141 f.
Sartre ein knappes Jahr in Berlin als Stipendiat des dortigen französischen Instituts 8 . Sartre verspricht sich von Husserl die „Überwindung des Gegensatzes von Idealismus und Realismus", die „Bejahung der Souveränität des Bewußtseins und der Präsenz der Welt, wie sie sich uns gibt" 9 . In Berlin entsteht der Aufsatz „La transcendance de Pégo" (veröffentlicht 1936), und in dieselbe Zeit haben wir auch die Lektüre Heideggers zu setzen. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich schreibt Sartre eine historische Studie über die französischen Theorien zum Problem der Phantasie („L'imagination", veröffentlicht 1936); das nachfolgende systematische Werk „L'imaginaire" (ab 1935 geschrieben, 1940 veröffentlicht) verrät deutlidi die phänomenologische Schulung. Die Richtung des Interesses wird verständlich, insofern die Phantasie für Sartres Auffassung von der Phänomenologie als Philosophie der Realität und Konkretion ein interessanter Prüfstein sein mußte. Hier wird das Negative, das von mir außer mir als nicht-seiend Gesetzte, von Santre entdeckt, und allgemein wird das Bewußtsein als Negatives und seine Beziehung zur Welt als Negation ausgesprochen. Das Weiterdenken der Phänomenologie führt selbst schon auf das spätere große Thema des Negativen. In dem zuletzt genannten Werk ist übrigens Sartres Kenntnis Heideggers zum erstenmal literarisch nachweisbar. Eine Studie über die Gefühle (Esquisse d'une théorie des émotions, 1939 veröffentlicht, Auszug eines schon länger in Arbeit befindlichen Werkes über die Psyche10, das unveröffentlicht geblieben ist) bildet den Abschluß der phänomenologischen Einzeluntersuchungen. Daß Hegel in Sartres Gesichtskreis tritt, bedarf einer Erklärung. Sartre steht von der Universität her durchaus nicht in einer französischen Hegeltradition. Er hat Hegel auf der Universität nicht gelesen". Wir könnten seine Hinwendung zu ihm motivieren aus einem noch nachwirkenden Interesse an Hegel in Frankreich (repräsentiert etwa durch Werke von Janet, Lévy-Bruhl, Brunschwicg) und aus einem sich wieder anbahnenden Interesse in den 30er Jahren. Wir denken etwa an das HegelSonderheft der Revue de la Métaphysique et Morale 1931, an J . Wahls Hegel-Buch 1929, an Aufsätze von J . Hyppolite und an die Hegel-Vorlesungen Kojèves in den Jahren 1933—39. Ferner ließe sich ein Interesse Sartres an Hegel aus dem schon vorangegangenen Marxstudium plausibel machen. Die eigentliche Hegellektüre dürfte nicht vor 1939 liegen12. Erscheint es nach den autobiographischen Bemerkungen Sartres in der „Critique de la raison dialectique" eher so, als ob Hegel als ein Denkinstrument zum Verständnis des Marxismus ins Blickfeld getreten ist13, 8 11 12 13
9 ebda. 141. 1 0 ebda. 326. ebda. 142, 162. Critique de la raison dialectique I 2 2 : „Hegel lui-même nous était inconnu." S. de Beauvoir liest Hegel erst 1940 („La force de l'âge" 470). Die Fruchtbarmachung Hegels für ein vertieftes Verständnis von M a r x wird erst in der „Critique" selbst (1960) sichtbar.
3
so müssen wir der Reihenfolge in der Thematik der Sartreschen Werke halber anerkennen, daß Hegel für Sartre zunächst denjenigen Philosophen repräsentiert, der eine Lehre von der Negation und vom Bewußtsein als Negativität bietet. Wir können sagen, daß Sartre Hegel auf dem Wege über die moderne Phänomenologie — und zwar eine schon von ihm weitergebildete „existenzielle" Phänomenologie mit ihrem Akzent auf Freiheit, Negation und Kontingenz — erschlossen hat. Einflüsse Hegels, die in E N aufgenommen worden sind, stellen also, wenn man will, eine — allerdings tiefgreifende — „Überformung" schon vorhandener Sartrescher Positionen dar. Sartres Kritik an Hegel urgiert den vorgefaßten Standpunkt: für Sartre hat Hegel die Kontingenz des Seins, der Realität und des Individuums in einer gedanklichen Totalität überspielt. Sartres Hegelverständnis ist gewissermaßen „ad hoc" gebildet, von seiner phänomenologischen Philosophie her, nicht ist es, wie schon gesagt, einer französischen Hegeltradition verpflichtet. Darüber, daß Hegel Sartre in E N gegenwärtig war, ist im übrigen gar kein Zweifel. Zeugnisse einer Hegelkenntnis finden sich in dem Werk häufig. Sartre zitiert die „Wissenschaft der Logik", die Logik der „Enzyklopädie", die Nürnberger Schriften und die „Phänomenologie des Geistes", und zwar nach französischen Ubersetzungen, und setzt sidh an zwei ausführlichen und vielen kleineren Stellen mit Hegel auseinander. Das Vorhandensein Hegelscher Gedanken in E N ist also keine theoretische Koinzidenz, ohne daß eine Rezeption vorgelegen hätte. Sartre will Phänomenologe sein, will vom Bewußtsein, vom cogito ausgehen. Aber er will nicht Erkenntnistheoretiker sein, wie Husserl es war, wenn auch unter Ausweitung auf die Idee einer Sinnkonstitution. Sartre glaubt, daß Subjektorientierung und Ontotogie vereinbar sind. Er steht damit dem Heidegger von „Sein und Zeit" nahe, von dem ihn aber der Ausgang vom cogito trennt. Indem nun Sartre eine ontologische Erfassung des Bewußtseins und seines Gegenstandes anstrebt, und eine Erfassung des Bewußtseins durch den Substanzbegriff — seit der Wiederentdeckung der Intentionalität durch Brentano und Husserl — nicht mehr überzeugend ist, gelangt Sartre zu Begriffen wie Ansich, Fürsich, Für-Andere, Ansich-Fürsich, Begriffe, die in der Hegeischen Logik ihre Stelle haben. Zunächst dient Hegel hier nur als Hinweis auf den klassischen Ort dieser Begriffe. Es ist erst noch auszumachen, inwieweit Sartres Philosophie der Hegeischen Logik tiefer verpflichtet ist. Halten wir die Absicht Sartres auf Ontologie und die Beibehaltung des cogito fest, so erscheint ein Zusammentreffen von Husserlscher Phänomenologie mit Hegeischen Begriffen, ganz äußerlich gesprochen, als interessanter Versuch einer Synthese und nicht als bloßer Synkretismus. In sie ordnet sich das enge Verhältnis Sartres zu Heidegger mit ein. Die vorliegende Studie ist in der Disposition ganz an Sartres Hauptwerk orientiert. Sie ist im Hauptteil eine kritische Analyse unter dem 4
methodologischen Gesichtspunkt der Hegeischen Dialektik und stellt abschließend einen systematischen Vergleich zwischen Sartre und Hegel an. Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß wir in dieser Studie nur die Ansätze und Grundgedanken Sartres behandeln und seine konkreteren Ausführungen zu so wichtigen Themen wie dem Leib, der Psychoanalyse, den konkreten Formen der Beziehungen zum Andern oder der Freiheit unberücksichtigt lassen. Wir sondern also einen engeren ontologischen Bereich von einer anthropologischen Ontologie. Es ergibt sich ferner aus dem Gesagten, daß die vorliegende Studie kein weiterer Beitrag zum Existenzialismus ist. Sie betrachtet Sartres Ontologie als solche und nicht als abstrakte Verschlüsselung einer existenzialistischen Weltanschauung. Entsprechend der genannten Aufgabenstellung ist zunächst zu untersuchen, welcher Art Sartres Ausgangsposition ist. Es ist uns hierbei nicht wichtig, daß eine bestimmte Form der Phänomenologie in Sartres geistigem Werdegang vorangeht; sie ist vielmehr systematischer Ausgangspunkt für den Weg zur Ontologie. Das Werk selbst und unsere Analyse enthalten diese Denkbewegung. Für die Untersuchung der eigentlichen Sartreschen Ontologie erscheint es — zumindest, solange nicht mit einer größeren Vertrautheit mit Sartres Philosophie geredinet werden kann — nicht sinnvoll, Sartres Systematik eine andere, etwa eine nach einem klassischen Ordnungsprinzip, entgegenzustellen. Wir gliedern daher die Untersuchung in Anlehnung an Sartres Disposition nach den Rubriken „Ansichsein", „Fürsichsein" und „Für-Andere-Sein". Das abschließende Kapitel wird dann versuchen, übergreifende systematische Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Darstellung, Interpretation und Systematisierung sind nicht streng getrennt. Die Interpretation bringt daher im Interesse der Darstellung mitunter erst einen vorläufigen Standpunkt, der im Laufe der Untersuchung vertieft wird.
5
I. D I E G E W I N N U N G D E R O N T O L O G I S C H E N E B E N E 1. D I E
AUSGANGSPOSITION
Sartre gehört in den Kreis der Husserl-Nachfolge; er hat in seinen frühen Schriften Beiträge zu einer wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Phänomenologie geliefert. Sartres Bejahung der Phänomenologie beruht, positiv, auf dem Bestreben, Realität dem Subjekt unmittelbar zugänglich zu machen, negativ, auf einer Skepsis gegenüber Auffassungen, die das Gegebene auf ungegebene Entitäten im Subjekt zurückführen wollen. Husserls Theorie der Intentionalität bot sich in ihrer radikalen Kühnheit als Alternative an. Welt ist dem Subjekt unmittelbar gegeben. Sartres Skepsis gegenüber ungegebenen Entitäten wird nun ihrerseits zum Gesichtspunkt einer Uberprüfung der Phänomenologie. Der Aufsatz von 1936 wendet sich kritisch gegen das Ich als Subjekt-Entität und macht es zum Konstitut des Bewußtseins, während Husserl in seiner Egologie das Ich zum Schwerpunkt gemacht hatte. Der Aufsatz zeigt deutlich ein weiteres Moment, das Sartre mit der Phänomenologie verbindet: die Husserlsche Theorie des Bewußtseinsstroms mit ihrer Annahme von Retentionen und Protentionen, die, ganz wie die Lehre von der Intentionalität, immanente Entitäten vermeidet 1 und eine Einheit des Bewußtseins als nicht-substanziellen Subjekts ermöglicht (eine Theorie, die auch bei Heideggers Konzeption der „ekstatischen" Zeitlichkeit Pate gestanden hat). Somit sind die beiden Bereiche der Phänomenologie, die Intentionalität mit ihrer Phänomenlehre und die Theorie des Bewußtseins, also Objekt- und Subjekttheorie, ins Blickfeld getreten und von Sartre selbständig pointiert. Audi am Anfang von E N stellt sich Sartre auf den Boden einer von ihm radikalisierten Phänomenologie. Er ist also durch eine im wesentlichen vorgegebene wissenschaftliche Ausgangsposition bestimmt. Die Aufgabe des Werkes ergibt sich aus einem Ungenügen an der Phänomenologie Husserls und auch Heideggers, die andrerseits in wesentlichen Positionen beibehalten wird. Das Ungenügen ist nun nicht mehr von einer Skepsis der geschilderten Art bestimmt: im Gegenteil, es betrifft die Frage, ob die zunächst so begrüßte Phänomenologie einen Zugang zur Realität überhaupt eröffnet. Das Ungenügen betrifft das Problem des Seins in der Phänomenologie. Die Einleitung zu E N nimmt den Leser auf bei einer eigenwilligen Darstellung der phänomenologischen Lehre vom Phänomen — die zum Verständnis übrigens schon vorausgesetzt ist —, um dann hinauszufüh1
6
Wo Husserl bei der Intentionalität immanente Entitäten annimmt — die Empfindungsdaten —, wendet sich Sartre gegen ihn.
ren zu einer ontologisch fundierten Phänomenologie und schließlich zu einer phänomenologischen Ontologie. Sartre beginnt mit einer Diskussion des Phänomenbegriffs und sagt8, es sei „ein großer Fortschritt des modernen Denkens, daß das Seiende auf die Reihe seiner Erscheinungen zurückgeführt worden sei", und zwar insofern, als auf diese Weise drei „Dualismen" wegfielen: der von „Innen und Außen" (oder von Ding an sich und Erscheinung), der von „Potenz und Akt" und schließlich der von „Erscheinung und Wesen". Das Phänomen ist das „Relativ-Absolute"; es muß jemandem erscheinen, ist aber in eignem Recht das, was es ist. Das Phänomen verweist nicht auf etwas hinter ihm, auf ein Absolutes, „es zeigt absolut nur sich selbst an" 3 . Das Schöpferische eines Menschen — etwa das Genie Prousts — ist das „Werk verstanden als Gesamtheit der Erscheinungen der Person" 4 . Ein phänomenales Seiendes, schließlich, ist die „wohlverbundene Reihe seiner Erscheinungen"5, die geeinigt sind durch das „Gesetz" oder den „Grund" der Reihe, das Wesen; „es ist selbst eine Erscheinung"". Es fallen zwei voneinander abweichende Fälle auf: Reihen von Erscheinungen, die eine Bindung miteinander haben (etwa ineinander übergehende perspektivische Ansichten eines Tisches) und Erscheinungen, die (wie die verschiedenen elektrischen Phänomene) nur zusammen „begriffen" werden. In einem Hinweis auf Poincares Nominalismus, demzufolge eine physische Realität nur eine „Summe seiner verschiedenen Erscheinungen" sei, lehnt Sartre eine so abgeschwächte Einheit der Erscheinungen ab7. Das Seiende, das Sartre meint, ist selbst nur Sinnending8. 2
E N 11.
3
E N 12.
4
ebda.
5
E N 13.
6
E N 12.
7
ebda.
8
Es sei darauf hingewiesen, daß Sartre „Erscheinung" (.apparition' und Manifestation') und „Abschattung" im Zusammenhang gleichsetzt ( E N 13). Wir notieren (wie auch in folgenden Anmerkungen) Husserls abweichende Auffassung. — Zwischen Phänomen und Abschattung besteht bei Husserl ein bedeutsamer Unterschied. Das Phänomen wird in Reduktion beschrieben als gegenständlicher noematischer Sinn, der um einen Gegenstandspol zentriert ist. Die Abschattungen sind Weisen, wie sich das Noematische darstellt. In ihnen liegt ein Mittel, verschiedene Standpunkte gegenüber einem identisch Vermeinten einzunehmen. Noema und Abschattungen verhalten sich wie Einheit und Mannigfaltigkeit (Ideen I, 203). Das Noema prätendiert gegenständliche Einheit. „Auffassungen" und Abschattungen können wechseln und mit ihnen audi noematisdie Momente. Das Noema ist also selbst strukturiert, variiert in Übergängen zu andern Stoffen, anderen Auffassungen; aber eine identisch vermeinte gegenständliche Einheit kann sidi durchhalten (ebda., § 131; auch S. 272). Für Husserl kann man also nicht sagen, daß jede Variation der Abschattungen oder Auffassungen ein neues Phänomen einer Reihe sei. — Sartre dagegen denkt sich die Abschattung zwar auch relativ auf eine Einheit, auf das Ding, aber sie ist „Profil", Ding in Perspektive, die nur in dem Sinne abstrakt ist, als sie aus einer Reihe isoliert ist, in der sie steht. Husserls biegsamere Auffassung (mit dem Noema zwischen Ding und Abschattung) macht bei Sartre
7
Es bleibt ein Unterschied zum intuitiven Wesen, das ja keine synthetische Einheit ist, sondern das Identische einer Vielheit. Sartres Radikalisierung des Phänomenbegriffs hat einen nominalistischen Zug, obwohl er sich dagegen verwahrt und das intuitive Wesen bejaht. Die ontologischen Konsequenzen einer Annahme von Wesen, und sei es als Gesetz einer offenen Reihe, werden hier unterdrückt, um die These herauszustellen, daß das Phänomen allein hinreichend sei für die Deskription. Aber offensichtlich hat das Gesetz einen andern Status als das Phänomen. Soll sich das Phänomen notwendig in eine Reihe einordnen, soll die Reihe nicht beliebig sein, so ist das Gesetz notwendig für es9. Sartre schildert in der Einleitung einen von ihm im folgenden überschrittenen Standpunkt — insofern ist die Phänomenologie nur Beispiel —, aber er bejaht doch im wesentlichen die skizzierte Phänomenlehre mit Ausnahme der phänomenologischen Auffassung vom Verhältnis von Objektivität und Sein. Für Sartre kommt es in dem vorliegenden Zusammenhang nur darauf an, daß das Phänomen als solches keines „dahinterstehenden" Seienden bedarf. Allgemeiner meint Sartre damit, daß auf der Seite des Objekts keine Seinsunterscheidung notwendig ist. Es scheint, daß ein Monismus des Phänomens an die Stelle der bisherigen Dualismen getreten ist. Es taucht allerdings eine neue Antithese auf, die von endlich und unendlich, da ja das Phänomen in einer Reihe von weiteren Phänomenen steht, die, zumindest im Falle der Wahrnehmung, nie abgeschlossen ist10. Sartre pointiert diese von der Phänomenologie grundsätzlich geteilte Auffassung, um zu zeigen, daß man bei ihr nicht stehen bleiben kann. In ihr liege nämlich, daß „die Realität des Dinges ersetzt" werde „durch die Objektivität des Phänomens", die auf einem „Rekurs auf das Unendliche" beruhe11.
9
10
11
8
einer vereinfachten und schematischen Lehre Platz. Das Phänomen ist „homogen". Dazu paßt, daß Sartre die Hyle, die Empfindungsdaten Husserls, ablehnt. Mag der Unterschied im einzelnen einer der Worte sein, so liegen in Sartres Zuspitzung doch zumindest Konsequenzen für das Problem der gegenständlichen Einheit. Es deutet sich eine Unterschätzung kategorialer Probleme an. Später, E N 243 f., findet sich die Behauptung einer vorgängigen Erschlossenheit des Wesens von der Zukunft her. Vgl. Ideen I, 80: „In dieser Weise in infinitum unvollkommen zu sein, gehört zum unaufhebbaren Wesen der Korrelation ,Ding' und Dingwahrnehmung." — Sartre exemplifiziert an den Phänomenen, die für uns eine gegenständliche Welt ausmachen, also Raumdingen mit affektivem und praktischem Sinn. Material für einen systematischen Überblick über die Klassen von intentionalen Gegenständen nach ihrer Gegebenheitsweise wäre aus „L'imaginaire" und „Theorie des ¿motions" zu gewinnen. So findet sich in „L'imaginaire" die Form der beschränkten Explikation — „quasi-observation" — bei Phantasiegegenständen. — Hier in E N wird der Akzent darauf gelegt, daß das Subjekt audi ein einzelnes Phänomen durch seine wechselnde Perspektive unendlich macht, ja eine einzelne Abschattung ( E N 13). Dies ist nicht einsichtig. Es müßten Abschattungen in Husserls Sinn wiedereingeführt werden. E N 13.
Sartre erwägt, ob die Möglichkeit, in der Reihe der Phänomene immer weiterzuschreiten, die „Transzendenz" der Phänomene begründen könne12. Transzendenz wäre nicht definiert durch eine eigene Realität in Raum und Zeit, sondern durch die unendliche Reihe der Erscheinungen. Ein einzelnes Phänomen, für sich genommen, könnte nicht transzendent sein, sondern bliebe subjektiv, eine Affektion des Subjekts. Erst indem ein Phänomen notwendig hinüberweist zu weiteren, gäbe es eine nicht mehr subjektive Reihe, gebunden durch einen Grund, der „nicht mehr von meinem Belieben abhängig ist"; die Phänomene wären nicht mehr Momente meiner selbst, sondern hätten „Objektivität" 13 . Sartre lehnt eine solche Transzendenz als bloße Objektivität ab14. Objektivität läge nur in der Reihe; da diese aber immer unabgeschlossen sei, so wäre Objektivität immer nur aufgegeben. Es ergäbe sich die paradoxe Situation, daß nicht die Anwesenheit der Glieder einer Reihe, sondern „die Abwesenheit ihnen objektives Sein gibt", ihr Sein also in einem Nichts gründet15. Das Dilemma — der Grund für Transzendenz darf 12
E N 13. — Alles hängt hier an der Bedeutung des Wortes. Wir kommen bei der ontologisdien Betrachtung des Phänomens auf den Begriff zurück. Versuchen wir hier, uns einer authentischen Bedeutung bei Husserl zu vergewissern. Transzendent bezeichnet bei ihm 1) den Gegensatz zum reellen Enthaltensein im Bewußtsein (Idee der Phänomenologie 35); ferner 2) eine Art Gegebenheit, eine nicht selbst schauende Erkenntnis, in der wir über das im wahren Sinne Gegebene hinausgehen (ebda.). Transzendent ist also, was inadäquat gegeben ist, was sich nur durch eine Mannigfaltigkeit darstellen kann (vgl. Ideen I, 287). So wäre z. B. das Allgemeine, da selbstgegeben, nicht transzendent. Transzendentes „erscheint" durch ein Mannigfaltiges in einer anderen, unmittelbaren Gegebenheitsart. So sind „Sehdinge" transzendent gegenüber den erlebten Abschattungen. Nadi beiden Bedeutungen ist das dinglich Reale der natürlichen Einstellung transzendent. Eine Anwendung des Begriffes findet sich audi in der Reduktion: „dieses wunderbare Bewußthaben eines so und so gegebenen Bestimmten oder Bestimmbaren... das dem Bewußtsein selbst ein Gegenüber, ein prinzipiell Anderes, Irreelles, Transzendentes ist" (Ideen I, 203). In diesem (3.) Sinne ist also auch das Noema transzendent, einmal als nicht reell im Bewußtsein Enthaltenes, und ferner als in einer Mannigfaltigkeit von Abschattungen Dargestelltes. Und noch anders hätte der reduzierte Gegenstand als Einheit einer noematischen Mannigfaltigkeit (vgl. Ideen I, 207) eine Transzendenz. - Objektivität läßt sich für Husserl aufbauen durch Variation, in der ein Identisches sich bewährt (etwa als das Identische verschiedener Arten intentionaler Erlebnisse, Ideen I § 91).
13
E N 13.
15
ebda. — Dies Argument beruht auf der Annahme, daß es für eine unabgeschlossene Reihe keine relative Objektivität gebe, die ihrerseits positiv begründet ist. Sartre verlangt die Totalität der schlechten Unendlichkeit, und da diese prinzipiell nicht zu haben ist, basiert Objektivität (als nur durch Totalität zu begründen) auf einem Negativen, dem im Hinblick auf Totalität noch Ausstehenden, einem Nichts. Husserl äußert sich zu dieser Frage (Ideen I 297 f.). Es gebe Gegenstände, die prinzipiell nur inadäquat erscheinen. Aber als Idee sei die vollkommene Gegebenheit vorgezeichnet, als System endloser Prozesse kontinuierlicher Erscheinung. Ist eine abgeschlossene Einheit in stetiger Durchlaufung nicht denkbar, so liegt doch die Idee der vollkommenen Gegebenheit einsichtig vor. Diese Idee ist
14
E N 28.
9
nicht negativ, aber auch nicht subjektiv sein — verlangt für Sartre die Annahme eines „Seins der Phänomene"16, damit Transzendenz verständlich gemacht werden kann. Der Vorteil einer Beschränkung auf Phänomene — die Beseitigung der genannten metaphysischen Dualismen — erweist sich nach Sartres Analyse als illusorisch. Der Gegensatz von endlich-unendlich bringt sie wieder hinein: es erscheint jeweils nur „ein Aspekt des Gegenstandes"; der Gegenstand „ist ganz in diesem Aspekt, aber auch ganz außerhalb". Er hat eine „Potenz" behalten: er kann immer noch weiter exponiert werden. Das Wesen, schließlich, bleibt „radikal getrennt von der Erscheinung", da es erst „in der unendlichen Reihe manifestiert" wäre17. Zwar gehören die dem einzelnen Phänomen gegenüberstehenden Gegensätze keiner anderen Dimension an, sondern werden verständlich durch den unendlichen Progreß innerhalb einer einzigen Dimension, der der Phänomene. Wir haben aber nur die Möglichkeit des Progresses zur Objektivität, fassen aber nicht Realität. Gerade der Gedanke einer unendlichen Reihe von Phänomenen läßt letztere ontologisch unbestimmt. Die von Sartre pointierte Konsequenz des phänomenologischen Standpunkts erweist sich ihm als unbefriedigende Position, die durch die Annahme eines Seins der Phänomene überwunden werden soll.18. Zur Ausgangsposition Sartres — dem für diesen Abschnitt leitenden Thema — gehört auch eine Auffassung vom Subjekt. Hier jedoch will Sartre die Phänomenologie nicht in der Seinsfrage ad absurdum führren, er bejaht vielmehr — vorbehaltlich einer späteren Fassung des Subjekts — einen zentralen Punkt in der phänomenologischen Subjektauffassung, das reelle Sein der Noesis. Wir verzichten daher auf eine Darstellung in diesem Abschnitt und bringen Sartres Position zur Frage des Subjekts im phänomenologischen Zusammenhang im Rahmen der folgenden Argumentation. nicht selbst eine Unendlichkeit. In der transzendierenden Anschauung gibt es keine adäquate Gegebenheit; geben kann es nur die Idee eines transzendenten Gegenständlichen und damit eine apriorische Regel für die Unendlichkeiten. — Damit ist eine positive Objektivität möglich. Husserl verlangt das apriorische Moment, das Sartre in seinem „Wesen" und „Gesetz" andeutet, aber in der Kritik der phänomenologischen Auffassung nicht ins Spiel bringt. 18
E N 1 5 : „l'être du phénomène" (oder: „des phénomènes").
18
Es ist klar, daß Sartre durch die Disjunktion „subjektiv oder unendlich" Husserls transzendentes Noema, das intentionales Sein hat und nicht reelles, zum Subjektiven rechnet. Handelte es sich nur um ,ein' Sein, so hätte er es bei Husserl finden können. Es macht sich also schon ein anders gedachter Seinsbegriff geltend. (Wir diskutieren das gemeinte Sein in den folgenden Abschnitten). Sicherlich ist für Husserl ein Übergang vom bloßen Vermeintsein zum Sein der natürlichen Einstellung nur durch Objektivität zu stützen. Für Sartre ergibt sich bei Annahme eines „Seins" des Phänomens, daß die Reihe für Transzendenz entbehrlich ist, denn auch das einzelne Phänomen ist „Fülle des Seins" ( E N 28). Transzendenz und Objektivität sind geschieden.
10
17
E N 13 f.
2. DIE ARGUMENTATION FÜR E I N E ONTOLOGISCHE F U N D I E R U N G DES PHÄNOMENS
Es stellt sich nun die Frage, um die die vorangegangenen Überlegungen kreisten: in welchem Sinn kann man und muß man vom „Sein" des Phänomens sprechen? Man könnte denken, hier liege eine Mystifikation vor; Sartre meine mit „Sein" des Phänomens nur das Wesen der Erscheinung, und dies sei eben, zu erscheinen. Sartre meint aber Sein. Einerseits wird darunter nichts anderes verstanden als das „ist", andrerseits wird an einem „Verhältnis" von Sein und Phänomen festgehalten19. Sartre tritt in eine Argumentation ein, in der sich durch ein Ausschließungsverfahren das eine Glied des Verhältnisses, das Sein des Phänomens, bestimmen soll. Vorschnelle Bestimmungen des Seins werden zurückgewiesen und eine idealistische Lösung durch eine reductio ad absurdum — aus dem Argument der Nichtursprünglichkeit eines passiven Seins — ausgeschaltet. Hierbei wird schon ein Blick auf das Subjekt geworfen. Das gesuchte Sein der Erscheinung ist nicht selbst Erscheinung. Wir sagen zwar, daß „das" Sein uns erscheine, und Sartre behauptet eine Enthüllung des Seins „in einem unmittelbaren Zugang, in Erlebnissen wie der Langeweile, dem Ekel usw.". Eine solche Erscheinung wäre ein „Seinsphänomen" (phénomène d'être)21; aber in einem solchen Seinsphänomen ist das Sein nicht selbst Erscheinung22. Das Sein im Unterschied zum Phänomen ist auch nicht in einem Übergang zum Wesen zu ergreifen (etwa in einer eidetischen Reduktion). Das Sein ist nicht „Qualität" oder „Sinn des Gegenstandes". Die Unterscheidung von Wesen oder Sinn und Phänomen ist einfach nicht identisch mit der von Sein und Phänomen. Der Gegenstand „verweist nicht auf das Sein als auf eine Bedeutung". Auch ist das Sein nicht „Anwesenheit". Denn, so meint Sartre, „Abwesenheit enthüllt auch Sein"; „Nichtdasein ist immer noch Sein"23. Das Sein ist nicht das, worauf das Phänomen zeigt, sondern ist „einfach Bedingung aller Enthüllung"24. Der Heidegger beigelegte Gedanke, das Dasein könne vermittels seines Seinsverständnisses vom Seienden zum Sein „übergehen", liegt für Sartre auf derselben Ebene wie Husserls Ubergang vom Phänomen zum Wesen: wenn ich den Tisch auf sein Sein (das Tisch-Sein) überschreite, so habe ich wieder nur das „PhänomenSein" (l'être-phénomène)25, das seinerseits ein gründendes Sein fordert, nicht das Sein selbst, das die Grundlage (fondement) für es ist. Er19
E N 15: „l'objet ne possède pas l ' ê t r e . . . il est". „ . . . le rapport exact qui unit le phénomène d'être à l'être doit être établi avant tout".
20
E N 14. Vgl. Heideggers Auffassung von der Langeweile in „Was ist Metaphysik?", 5. Aufl., 28.
21
22
2
ebda. — Der deutsche Terminus schon bei N. Hartmann, „Zur Grundlegung der Ontologie", 40. Vgl. E N 14.
23
E N 15.
24
ebda.
25
ebda. 11
reicht wird nur ein Sinn von Sein. Ein solcher Sinn ist ein Seinsphänomen26. Offensichtlich gilt vom Seinsverständnis, daß es den trennenden Bezug zu dem, wovon es Verständnis ist, nicht aufheben kann, nicht mit dem Sein zusammenfällt. Wird also die „Bedingung" oder „Grundlage" für Erscheinung gesucht, so steht für Sartre fest, daß sie nicht Wesen und nicht Sinn, d. h. selbst Erscheinung ist27. Sartre versucht einen apagogischen Gedankengang. Er stellt sich die Frage, ob die bisherige Annahme, daß das Sein Bedingung der Enthüllung von Seiendem sei, nicht einem „ontologischen Realismus" zugehöre, der sich „mit dem Phänomenbegriff nicht vereinbaren" lasse. Könnte nicht das Sein des Phänomens darin liegen, daß dieses einem Subjekt gegeben ist, also in seinem „percipi"28? Die Untersuchung soll zeigen, daß dies nicht möglich ist. Als Voraussetzung für eine solche Untersuchung wird eine Analyse des Subjekts gegeben, in der dieses sich als seinerseits auf ein nicht durch es Begründetes angewiesen herausstellt. Beide, Phänomen und Subjekt, so soll sich erweisen, fordern ein nicht im Subjekt liegendes Sein des Phänomens. Die Zurückführung des Seins der Phänomene auf das percipi ist eine idealistische These. Sartre findet nun, daß die idealistische Position, die Sein auf Erkenntnis reduzieren möchte, um eine Seinssetzung nicht herumkommt, nämlich die der Erkenntnis selbst. Die Durchbrechung des idealistischen Prinzips läßt dann auch eine nicht-idealistische Lösung in der Frage des Phänomens erhoffen. Soll die Erkenntnis selbst dem Prinzip „esse est percipi" — unterliegen, so fehlt eine Seinsgrundlage, und die nur in ihrem Gegebensein liegende Erkenntnis „fällt ins Nichts". Vom Erkennen oder Wissen kann nicht gelten, daß es auf ein percipi zurückführbar ist29. Mag nun auch das Sein des Phänomens in seinem percipi liegen — 26
Das Seinsphänomen ist also nicht eingeschränkt auf einen unmittelbaren Zugang zu „dem" Sein, vielmehr ist jedes Phänomen in gewisser Weise auch Seinsphänomen.
27
Vgl. N . Hartmanns Aporetik der Phänomentranszendenz (Zur Grundlegung der Ontologie 1 6 4 — 1 6 7 ) .
28
E N 16. — „Percipi" ist Husserls Ausdruck für den ontologisdien Status des Noemas, Ideen I 206. — Neuerdings hat O. Becker (in „Lebendiger Realismus", p. 4) die Frage einer ontologischen Deutung des Phänomens in der Phänomenologie und bei Husserl behandelt. E r gelangt zu einer Ablehnung jeder solchen ontologisdien Deutung und zu der Folgerung, „daß die ,Welt der reinen Phänomene' ontologisch nicht charakterisiert ist. Nach dem Sein eines reinen Phänomens zu fragen, ist sinnlos. Ein Phänomen hat sein Wesen im Erscheinen, nicht im Sein. Was die „reine" Phänomenologie erfassen wollte, war dieses Erscheinen, gewissermaßen das Erglänzen des Phänomens selbst". Von hier aus kann der ganze Weg Sartres zu einer Ontologie von der phänomenologischen Ausgangsposition negiert werden, zumindest als einer, der sich auf die Phänomenologie beruft. Allerdings zeigt sich (an der genannten Stelle Ideen I 206), daß Husserl ontologische Bestimmungen nicht ausschließt. (Siehe hierzu auch O. Becker, a. a. O., p. 5.).
29
E N 17. — Der Rückgriff auf die Bezeichnung „percipi" und die ausdrückliche Nennung Berkeleys verlangen eine Bemerkung. Berkeley hat die als unhaltbar
12
das wird später abgewiesen —, das Sein des Bewußtseins, das percipere, kann es nicht. Somit gibt es im Subjekt eine Seinsdimension, die Sartre „transphänomenal" nennt30. Die hier geltend gemachte Einsicht findet Sartre schon bei Husserl, für den das Noema zwar ein „irreelles Korrelat der Noesis", die Noesis jedoch reell sei. In ihrem reellen Status liege, daß sie nicht dem percipi unterworfen ist. Sie gibt sich als immer schon vorher da, bevor eine Reflexion sie trifft. In Übereinstimmung mit Husserl liegt für Sartre im Bewußtsein also eine Seinsdimension, die nicht auf ihrem Gegebensein für ein Subjekt gründet. Das Bewußtsein ist nicht nur ein Wissen, das auf sich selbst zurückgewendet ist, sondern „wissendes Sein" (être connaissant); es ist Bewußtsein, weil es Sein von der Art des Bewußtseins ist, nicht weil es gewußt wird31. An diese erste ontologische Kennzeichnung des Bewußtseins als Seinsdimension fügen sich Einsichten aus der Phänomenologie an. Das Bewußtsein ist Intentionalität: „alles Bewußtsein... ist Bewußtsein von etwas"; es ist „Setzung eines transzendenten Gegenstandes"32. Wir kennen schon Sartres Schilderung des Versuchs einer Begründung der Transzendenz des Gegenstandes aus der Unendlichkeit einer Reihe von Phänomenen. Hier nun wird die Transzendenz des Gegenstandes umgekehrt vom Subjekt her plausibel gemacht aus der Tatsache, daß ein Unendliches nicht „im" Bewußtsein angenommen werden kann. Sartre stützt sich hier auf eine bildliche Erklärung. Ein Gegenstand — gemeint ist ein Raumding — ist etwas Opakes, Trübes, nie zu Ende Durchschautes. Er wäre ein Unendliches, mit dessen Bestandsaufnahme das Bewußtsein nie fertig würde. Gäbe es einen solchen Gegenstand im Bewußtsein, so wäre es in ihm absorbiert und nicht bei sich. Das kann es nur nach dem komplementären Bild, wonach das Bewußtsein durchsichtig ist33. Der Gegenstand muß also aus dem Bewußtsein hinausverlegt werden. Dies geschilderte idealistische These bekanntlich nicht vertreten, sondern sagt ganz klar, daß es neben den Dingen, deren esse ihr percipi ist, die also Ideen sind, das percipere und Gott gibt (Prinzipien, §§ 2 ; 147). Audi für Berkeley stellt das Subjekt eine eigne Seinsdimension dar, die nicht der Bedingung des Gegebenseins f ü r . . . unterliegt. Die These, die Sartre hier angreift, ist ein reiner, systematischer Idealismus, der das Subjekt als Sich-Denken des Denkens irreal setzt. 30
E N 1 7 : „transphenomenal". Das W o r t bedeutet nicht, daß etwas „jenseits" des Phänomens liegt, wie es die Präposition nahelegt und wie es bei einem zu einfachen Verständnis des, wie noch darzulegen ist, ebenfalls transphänomenalen Seins des Phänomens scheinen könnte, sondern nur, daß etwas nicht durch die Bedingung der Gegebenheit allein ist. (Vgl. E N 29).
31
E N 17.
33
E N 2 6 : „translucidite". Vgl. auch z. B. E N 120. — Das Bild vom durchsichtigen Bewußtsein ist nicht neu. Schopenhauer wendet es auf das Ich an, bestreitet allerdings gerade, daß dieses sich „durch und durch intim, gleichsam durchleuchtet" sei; vielmehr sei es „opak" (!). Sämtliche Werke (Deussen) II, 220. — W . James spricht von „diaphaneity" (Journal of Philosophy, 1904, 477). Eine Diskussion hierzu bei Desan, „The Tragic Finale", 145.
2*
32
ebda.
13
gilt für alles wissende und erkennende Bewußtsein. Seine Gegenstände sind ihm transzendent34. Wir haben noch keine nähere Theorie des Bewußtseins als einer Seinsdimension vor uns; es ist aber klar geworden, daß das Bewußtsein ein „Sein" ist und seine Gegenstände ihm transzendent sind. Wir verfolgen jetzt Sartres Frage, ob mit dem Subjekt das „Sein" gefunden ist, das zur Begründung der Phänomene gefordert war35. Auch wenn das Sein des Dinges sich im peroipi erschöpfen sollte, hat das Ding ein anderes Sein als das der subjektiven Impressionen oder einer Synthese von Impressionen; sonst wäre es etwas Noetisches, eine synthetische Handlung. Der intentionale Gegenstand löst sich nicht in reelles Bewußtsein auf, er hat zumindest ein „Sein". Es könnte sich dabei, so scheint es, durchaus um ein intentionales Sein, ein percipi handeln, nur eben nach dem Gesagten nicht um das Sein des Subjekts selbst36. Dies vorläufig anerkannte Sein des percipi untersucht Sartre nun näher37. Von der sprachlichen Form des Wortes angeregt meint Sartre, wenn das Sein des Phänomens im percipi liege, sei es durch Passivität charakterisiert. Eine Entfaltung dieses Begriffes ergibt, daß schon etwas bestehen muß, damit ein solches passiv Seiendes von etwas bestimmt werden kann, wovon es seibat nicht der Ursprung ist. Fehlt eine solche Grundlage, so handelt es sich um eine Schöpfung des Bewußtseins. Das Geschaffene, Gesetzte aber, das von sich aus ein Nichts ist, wird nicht selbständig, sondern muß im Sein gehalten werden. Damit verbliebe es in der Subjektivität des Schöpfers, hier des Wahrnehmenden. Die Paradoxie der Schöpfung wird hier nur eingeflochten; ein Phänomen ohne selbständiges Sein unterläge aber für Sartre genau dieser Paradoxie. Ein weiteres Argument gegen ein passives Sein ergibt sich aus der Überlegung, daß Passivität wechselseitig sein müsse nach dem Prinzip von actio und reactio: wie eine Hand, die Druck ausübt, Gegendruck erleidet, so würde 34
Vgl. E N 17 f. — Audi mein affektives Bewußtsein transzendiert. Vgl. „Theorie des emotions" 29. So sdion Husserl, Ideen I, 2 4 4 : „ . . . auch die Gemüts- und Willensakte (sind) ursprünglich objektivierende . . — Die Trübung des Bewußtseins träte auch durch einen als nicht-unendlich angenommenen immanenten Gegenstand ein, etwa die Hyle. Das Unendlichkeitsargument für den Aufweis der Transzendenz des Gegenstandes wird so auch vom Subjekt her entbehrlich: jedes Nicht-Durchsichtige ist „draußen". Nicht nur Unendliches ist „undurchsichtig".
35
E N 24.
37
E N 2 5 - 2 7 . - Die folgende Argumentation gewinnt ihre Plausibilität daher, daß die Vorstellung eines dinglich-realen Gegenstandes mitschwingt, oder die einer Substanz, die als Substrat für Veränderungen der Qualitäten zugrunde liegen muß. Im Grunde ist die Argumentation aber rein formal, so daß das passive Sein, hier also das intentionale Sein, - da ja formal auch ein „Sein" - zur Begründung des Phänomens genügen müßte. So war ja audi dieses „Sein" oben vorläufig anerkannt. Das Ergebnis ist aber, daß das Sein des Phänomens nicht im passiven Sein liegen kann.
14
36
ebda.
das Bewußtsein im Wirken leidend sein, was nadi Sartres Bewußtseinsbegriff, den wir erst noch näher kennenlernen müssen, nicht sein darf 38 . Passivität und Relativität sind demnach nur „Seinsweisen"3®, können aber das „Sein" nicht tangieren. Es gibt also ein Sein außerhalb seines percipi. Das Bewußtsein, auf das das Phänomen relativ ist, kann das Sein des Phänomens nidit gründen oder selbst ausmachen. Wenn es so schien, als ob ein formales Sein, wie es in einem nur relativen Sein liegt, für das Phänomen genügt, so ist dies jetzt abgewiesen zugunsten eines eigenen, selbständigen, transphänomenalen Seins des Phänomens. Das Phänomen ist als Gegenstand anzusprechen. Das Bewußtsein transzendiert zu einem selbständig seienden Gegenstand hin. Die Grundeinsicht der Phänomenologie, daß das Bewußtsein Bewußtsein von etwas ist, war von Anfang an leitend, es ging nur um den „ontologischen Status" dieses intentionalen Gegenstandes. Die Intentionalität, das Transzendieren des Bewußtseins, würde verfehlt, wenn dieser Gegenstand nur in seinem percipi läge, denn damit wäre er subjektiv geblieben. Nun aber, so scheint es, kann Sartre sagen: „das Bewußtsein ist schon immer auf ein Sein gerichtet, das nicht es ist"40. Ein ontologischer Beweis hierfür ist geführt. Die Intentionalität des Bewußtseins, das selbst ein Sein ist, kann jetzt als ein Seinsverhältnis zum Gegenstand angesprochen werden. „Das Bewußtsein muß einen Inhalt haben, der ihm gegeben ist als Gegenstand einer enthüllenden Intention, die nicht auf Subjektives beschränkt bleibt, sonst wäre es nichts... Die Immanenz kann sich nur bestimmen im Zugriff auf ein Transzendentes" 41 . Es geht Sartre nicht darum, von einem subjektiven Phänomen auf die Existenz objektiver Gegenstände zu „schließen", also um die erkenntnistheoretische Frage, ob ich berechtigt sei, subjektive Phänomene als objektiv real zu setzen. Es handelt sich um ein Seinsverhältnis, ein Verhältnis zwischen dem Bewußtsein als transphänomenalem Sein und dem transphänomenalen Sein als Sein des Phänomens. Die Objektivität kann nicht von der Subjektivität her konstruiert werden. Dabei ist das Sein des Phänomens kein noumenales Sein hinter dem Phänomen: „es ist das Sein dieses Tisches, dieses Tabakpäckchens, der Lampe, und allgemeiner das Sein der Welt. . . . Das transphänomenale Sein dessen, was für das Bewußtsein ist, ist ,an sich'"42. 38
38 40 41
E N 25 f. - Dies letztere Beispiel ist wenig überzeugend. Als Beispiel aus dem Bereich der Mechanik hinkt es gerade im entscheidenden Punkt: eine actio erzeugt nicht; warum sollte sich also ein vom Bewußtsein erzeugtes Phänomen nach der mechanischen Analogie verhalten? Nach ihr bleibt es umgekehrt gerade unverständlich, wieso das Bewußtsein bei Annahme einer Seinsgrundlage im Gegenstand nicht leiden sollte. — Sartre diskutiert auch Husserls Hyle unter dem Gesichtspunkt der Passivität ( E N 26). Sie ist nicht eigentlich passiv, da nicht intendiert, sondern eine neutrale Gegebenheit. E N 27: „manières d'être". E N 28 : „ . . . la conscience naît portée sur un être qui n'est pas elle". 42 E N 29 . ebda.
15
Phänomen und Bewußtsein sind jetzt für Sartre in ihrem Sein begründet. Das Bewußtsein ist „enthüllte Enthüllung der Seienden, die auf der Grundlage ihres Seins vor dem Bewußtsein erscheinen"43. Das Sein enthüllt sich selbst nicht „in Person"44, sondern ist Grundlage. Es wird nur „in einer Seinsweise ergriffen, die es erscheinen läßt und gleichzeitig verhüllt"; gemeint ist die des Phänomens. „Das Bewußtsein kann das Seiende überschreiten, aber nicht zum Sein selbst hin, sondern nur zum Sinn dieses Seins"45. Der dem Bewußtsein enthüllte Sinn des Seins ist selbst Phänomen, Seinsphänomen. Das Seinsphänomen ist „Ruf nach Sein", es fordert Sein für das Phänomen. Das Seinsphänomen ist gleichsam ein Phänomen höherer Ordnung. Als unexpliziertes Vorverständnis ist es immer mitgegeben, aber es ist, für sich genommen, selbst Phänomen. Insofern gilt auch für es, daß es ein Sein hat. Sartre sieht, daß man hier fragen könnte, ob so nicht ein weiteres Sein eingeführt wird, nämlich das des Seinsphänomens, so daß die Erhellung des Seins des Phänomens durch das Seinsphänomen wieder fragwürdig wird, da wiederum ein Sein offen bleibt, das auf seinen Sinn befragt werden könnte. Sartre meint hierzu, dies sei kein neues Sein mit einem neuen Sinn, sondern der Sinn des Seins des Phänomens, der sich im Seinsphänomen ausspricht, gelte auch für das Sein dieses Sinnes, d. h. des Seinsphänomens46. Im Sein liegt demnach eine Allgemeinheit, so daß es sowohl Grundlage des Seienden als auch des Sinnes des Seins ist. Der ontologische Beweis ist nicht beschränkt; er soll von jedem Phänomen, einschließlich des Seinsphänomens, gelten. Die Basis für eine Ontologie ist nunmehr vorgezeichnet: es sind zwei „Typen des Seins"47 herausgestellt worden, das Sein des Phänomens und das Bewußtsein. Der bisherige Weg, der der Einleitung zu EN, hat uns aber kaum über das reine „Daß" eines Seins des Phänomens hinausgeführt. Die weitere Klärung dieses Seins und des Bewußtseins wie auch ihres Verhältnisses zueinander ist nun Sartres Aufgabe. Vorerst ist jedoch noch eine Vertiefung der Gedanken der Einleitung angezeigt. 3. SEIN U N D P H Ä N O M E N
Die Gewinnung der ontologischen Ebene von der Phänomenologie aus hängt an einer Argumentation, in der das Wort „Sein" eine entscheidende Rolle spielt. Versuchen wir uns über dies Sein Klarheit zu verschaffen, das für den ontologischen Beweis maßgebend ist, ohne welchen die ontologische Ebene nicht als „gewonnen", sondern nur als 43 47
16
44 45 46 EN 30. ebda. ebda. E N 30. „types d'êtres" (EN 34), besser: „types d'être" (z. B. E N 711; vgl. „manières d'être" E N 27). Das Schwanken zwischen beiden Ausdrücken und die Vermischung von „type" und „région" („régions d'être" E N 34) ist charakteristisch. Vgl. unten S. 40, 118, 120 f., 128.
vorausgesetzt angesehen werden kann! Für die spätere Ontologie ist dies nicht entscheidend. Die Erschließung des Seins von der Phänomenologie her führt aber zu einer Fassung des Seins, die für die spätere Form der Sartreschen Ontologie mitbestimmend ist. Es liegt in der Natur eines Werkes, das vom Standpunkt des Phänomens, also der Gegebenheit, ausgeht und nidit von vornherein Ontologie behandelt, vielmehr erst zu ihr gelangen will, daß es eine Vorstufe überwinden muß, nämlich das Phänomen in seinem ambivalenten Charakter zwischen Subjekt und Sein. Dies äußert sich in E N in der Form, daß Sartre apagogisch eine subjektivistische Auffassung vom Phänomen aufgreift und zeigt, daß sie nicht haltbar ist und man vielmehr zum Sein fortschreiten muß. Damit ist die Ausgangsposition des Arguments, das neutrale Phänomen, selbst aufgehoben. Das oben wiedergegebene Argument hat zwei Stufen: einmal wird behauptet, das Phänomen, selbst wenn es idealistisch interpretiert wird, hat ein Sein, sonst fiele es mit dem Subjekt zusammen; es hat zumindest ein percipi-Sein. Ferner wird behauptet, ein percipi-Sein sei widersinnig und verlange ein eignes, selbständiges Sein des Phänomens, so daß mit dem Phänomen schon das Sein der Welt erschlossen ist. Das percipi-Sein ist ein Daseinsmoment. Das Phänomen muß überhaupt dasein, damit es dem Subjekt gegeben, relativ auf es sein kann. Dies besagt das Argument aus der Passivität. Betrachten wir dies Argument noch einmal grundsätzlich. Der Nerv des Arguments liegt in dem Gedanken, daß die Beziehung des Phänomens zum Subjekt, das percipi, ein Leiden darstellt, Leiden aber schon ein Bestehendes voraussetzt. Damit wäre nadi der klassischen Auffassung gesagt, daß das Phänomen als „Konkretum", als Einheit von Essenz und Existenz, gedacht werden muß. Das Phänomen wäre ein subjektiver Gegenstand. Es ginge seinem Gegebensein vorher (was paradox wäre), oder das percipere setzte beides, Essenz und Existenz. Wir wären bei einer Bildertheorie, die als Alternative zum percipi ein Erzeugen des Phänomens im Subjekt annähme. (Hiergegen wird von Sartre eingewandt, daß das Geschaffene sich nicht vom Schöpfer lösen könne. Es ist aber die Frage, ob das Bewußtsein nicht dies Unikum ist, wo ein solches Erzeugen stattfindet, und das Erzeugte Gegenstand ist für das Bewußtsein, d. h. wo das Phänomen als Vorstellung Konkretum ist, das dem Bewußtsein opponiert sein kann). Sartre fordert als Grundlage für das percipi nicht ein Phänomen als Konkretum, sondern faßt das, was schon bestehen müsse, um leiden zu können, als ein „Sein". Ein „Sein" ist vonnöten, um das Phänomen zu „stützen". Damit ist die klassische Auffassung von einer Zusammengehörigkeit von Essenz und Existenz im Konkretum abgelehnt. Als „ontologisches" Argument ist es dann aber eine petitio zu sagen, beim Phänomen bestehe diese Zusammengehörigkeit nicht. Das Argument aus der Passivität enthält bereits die ontologische These, die es zu erweisen gilt, 17
nämlich daß die Existenz getrennt und unabhängig von der Essenz zu denken ist als Ansichsein. Man müßte umgekehrt sagen: um den Schwierigkeiten der Bildertheorie zu entgehen und der phänomenologischen Sachlage gerecht zu werden, muß für das Subjekt und das Phänomen eine neue Ontologie entworfen werden. Versuchen wir, die Sachlage mit Anselms ontologischem Argument zu parallelisieren; Sartres Argument enthält ja eine deutliche Anspielung auf Anselm. Anselm beginnt (im „Proslogion") mit einer Vorstellung von Gott im Bewußtsein. Der Mensch versteht die Vorstellung, das Wort, „Gott", hat sie im Bewußtsein, wenn er dadurch auch noch nicht einsieht, daß Gott ist48. Die These lautet nun, daß, was im Bewußtsein ist, die Gottesvorstellung, dem Inhalt nach es an sidi habe, größer zu sein, als alles, was sich denken läßt", d. h. außerhalb des Bewußtseins und in ihm zu sein, sonst wäre das Größte nicht das Größte50. Gott läßt sich also gar nicht anders denken denn als existierend51. Das Argument will sagen, daß zunächst etwas im Bewußtsein ist, von dem noch auszumachen ist, ob es nicht noch einen andern „Seinsstatus" hat als den, im Bewußtsein zu sein. Durch den Gedanken, daß es sich bei dem, was da im Bewußtsein ist, um einen Maximalbegriff handelt, wird die Brücke geschlagen zu etwas, das nicht mehr oder nicht nur im Bewußtsein ist, das den „Seinsstatus" des „eigentlichen Seins" hat. Es besteht aber kein Recht, das, was im Bewußtsein ist, und das, was eigentlich ist, als dasselbe auszugeben. Anselm unterscheidet beides zunächst auch, identifiziert es dann aber doch, da er das, was nur Bild von Gott zu sein brauchte, als Sein Gottes im Bewußtsein versteht, und dasselbe, was im Bewußsein ist, größer zu denken ist als nur im Bewußtsein. Dies wäre so, als ob Gott — und nicht die Gottesvorstellung — „zumindest" im Bewußtsein wäre, und dann festzustellen wäre, ob er nicht etwas anderes ist oder noch etwas anderes dazu. Gottesvorstellung und Gott sind ontologisch verschieden; nicht ist Gott „zumindest" Vorstellung, und dann auch, durch Argument erschlossen, transzendenter Gott 52 . Ähnlich verhält es sich bei Sartre. Sartre nimmt — der Argumentation halber — ein Phänomen „im" Bewußtsein an mit dem „Seinsstatus" 48
Proslogion, c. 2: „ . . . intelligit quod audit, et quod intelligit, in intellectu eius est, etiam si non intelligit illud esse. Aliud enim est rem esse in intellectu, aliud intelligere rem esse . . . " .
49
ebda.: „aliquid quo maius nihil cogitari p o t e s t . .
50
ebda.: „ . . . si ergo id quo maius cogitari non potest est solo in intellectu, id ipsum quo maius cogitari non potest est quo maius cogitari potest. Sed certe hoc esse non potest. Existit ergo procul dubio aliquid, quo maius cogitari non valet, et in intellectu et in re".
51
ebda. c. 3: „Sic ergo vere est aliquid quo maius cogitari non potest, ut nec cogitari possit non esse."
52
Die Interpretation lehnt sich an Geyer an (Oberweg II, Die patristisdie und scholastisdie Philosophie, 200).
18
des percipi (entsprechend dem esse in intellectu). Dann wird dessen Seinsstatus befragt. Das Ergebnis ist, daß dieser nicht percipi-Sein sein kann; das besagt das Argument aus der Passivität. Dies generelle Argument ersetzt die spezifische Rolle des Maximalbegriiis bei Anselm. Eine Besonderheit des Sartresdien Arguments ist somit, daß, im Gegensatz zu Anselm, das esse in intellectu überhaupt negiert wird; der Seinsstatus des Phänomens ist ein anderer, nicht „auch" ein anderer, wie bei Anselm, wo Gott in intellectu und in re ist. Sartres Argument hebt also seine Prämisse auf. Es gibt außerhalb der apagogischen Annahme bei Sartre kein esse in intellectu, kein percipi-Sein. In dem Argument liegt der Fehler, daß das Phänomen im Bewußtsein (bei Anselm zugestanden, bei Sartre nur apagogisch angenommen) als identisch gesetzt wird mit einem gleichnamigen Etwas, das einen andern Seinsstatus hat — Goitt ist zumindest in intellectu, das Phänomen ist zunächst percipi —, und doch auch wiederum verschieden gesetzt wird — Gott ist auch außerhalb des Bewußtseins, das Phänomen ist nur außerhalb des Bewußtseins. Etwas ist aber nicht unter Absehung von seinem „Seinsstatus" zu betrachten; es kann nicht mit etwas Gleichnamigem identisch sein, wenn dies einen andern Seinsstatus hat. Dies wäre eine Verletzung der klassischen Lehre von den Seinsprinzipien Essenz und Existenz. Die Vorstellung müßte vielmehr genauso als Konkretum gedacht werden wie die Sache, wovon die Vorstellung Vorstellung ist. Nicht gibt es für die klassische Auffassung eine Vorstellung, die ein anderes Existenzmoment bekommen kann und dasselbe bliebe5®. Von der Phänomenologie aus ist es naheliegend, an der Identität des Phänomens festzuhalten, und zwar von der Fragestellung aus, was gegeben ist. Das Gegebene ist der fraglose Ausgangspunkt; bestimmt werden muß nur sein Seinsstatus. Ein kritischer Realismus mit seiner Bildertheorie kann nicht in diese Versuchung kommen, hat dann aber mit dem Problem der ungegebenen immanenten Entität zu kämpfen. Sartre möchte mit seinem Argument eine reductio ad absurdum der Bildertheorie geben (also eine Bekräftigung des phänomenologischen Standpunkts) und glaubt damit einen Beweis zu haben für die transzendente Realität des Phänomens. Die Absurdität des „bloßen" Phänomens läßt sich so nicht dartun, und im übrigen erwiese die positive These des Arguments, wie auch bei Anselm, zu viel: nach Anselm könnte jeder Maximalbegriff real sein (etwa die vollkommene Insel)54, bei Sartre jedes Phänomen, auch die Täuschung. 53
In diese Richtung zielt auch Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweis. K a n t will sagen: der Begriff ist nur (vollbestimmte) Essenz. Die Existenzfrage ist offen; d. h. es ist offen, ob es ein entsprechendes transzendentes Konkretum oder nur das subjektive Konkretum (Vorstellung) gibt. Eine Essenz als Maximalbegriff fordert an ihr selbst nicht ein transzendentes Existenzmoment. (Vgl. K . d. r. V. B. 627 f.)
54
Es sei denn, wir verstünden den Maximalbegriff mit Hegel als Unendliches, als Begriff, der an und für sich das Sein ist, zu dem wir als subjektiver, endlicher Be-
19
Sartres Argument ist damit nicht einfach Irrtum, sondern petitio von der klassischen Ontologie her. Es behauptet, daß die Seinsprinzipien nicht in der klassischen Weise verbunden gedacht werden müssen. Das Argument als Argument leistet nicht, was es soll, es ist aber die Urgierung einer neuen Ontologie. Das Existenzmoment, für das in der geschilderten Weise argumentiert wird, hat eine Sonderstellung erhalten. Die Scheidung in zwei Seinsmomente, Existenz und Essenz, oder, vorsichtiger, in Dasein und Sosein55, stellt sich dar als Dasein einerseits und Gegebenheit für ein Subjekt andrerseits; in dieser Relativität verbirgt sich die Soseinsbestimmung. Das Sosein ist ein Abhängiges, das Daseinsmoment wird demgegenüber als Unabhängiges akzentuiert. Bedeutete es anfangs nur ein triviales Sein — um Phänomen zu sein, mußte ein Phänomen eben „sein" —, tritt es jetzt in eine Gegenstellung zum abhängigen oder relativen Soseinsmoment: es wird Ansichsein. Es besteht nicht für uns, ist es doch gefaßt als Gegenbegriff zu Erscheinung, Phänomen und Gegenstand. Oder besser: es ist nur „als" Phänomen für uns, es selbst ist transphänomenal, „Sein". Wir sehen, der Weg aus der seinsneutralen Phänomenologie, vom intentionalen Sein zum Sein, beruht auf einer vorgängigen Ontologie. Das von Sartre erreichte Ansichsein bringt mehrere Probleme mit sich, die aber in diesem Zusammenhang nur anzudeuten sind, schon weil die Ebene der Diskussion noch eine vorläufige ist. Sartres Ansichseinsbegriff bedeutet eine Festlegung auf eine „korrelativistische" Position. Das Ansich ist nicht „erkannt", ist nicht das Bestimmte, dem sich das Phänomen anmißt, sondern wird zur Gegebenheit. Wahrheit ist ein Enthüllen, denn, wie wir sehen werden, ist das Ansich auch nicht das Unbestimmte. Die Fassung des Ansichseins bedeutet eine eigenartige Lösung des RealismusProblems. Sie erfüllt ein Desiderat des Realismus, ist doch das Ansich nicht relativ auf das Phänomen, sondern nur dieses die Weise der Gegebenheit von jenem. Es gibt Ansichsein ohne die Bedingung, Phänomen zu werden58. Sartres Auffassung unterscheidet sich von einem Realismus jedoch, indem eine Repräsentation im Subjekt und die adaequatio abgelehnt werden. griff uns kraft der Dialektik erheben. Vgl. Philosophie der Religion II, Anhang, 480 f. 55
N . Hartmann unterscheidet die beiden Begriffspaare: die essentia bringt im allgemeinen schon eine Identifizierung mit idealem Sein und eine Abhebung gegen Akzidentelles mit sidi („Zur Grundlegung der Ontologie", 90 f.), das Paar DaseinSosein ist dagegen von diesen Implikationen unbelastet (ebda. 92).
58
Die Formulierung „es gibt" wird von Sartre allerdings für das Zum-PhänomenWerden des Ansich in Anspruch genommen: „ . . . la connaissance, finalement, et le connaissant lui-même ne sont rien sinon le fait „qu'il y a" de l'être, que l'être en-soi se donne . . . " E N 227.
20
Zum Problem der Erkenntnis wären viele Fragen zu stellen: ist mit dieser Theorie nicht zu viel dargetan, wenn jedes Phänomen sein Ansichsein hat? Gibt es keine Täuschung? Läßt sich die Täuschung transzendent interpretieren? Wie steht es mit der immanenten Dimension, der Vorstellungen und Gedanken, Urteile usw. zuzuordnen wären? Eine weitere hierher gehörige Frage betrifft den Sinn: die Identifizierung des Phänomens mit dem Gegenstand oder dem Seienden müßte auch zu einer Revision der diesbezüglichen phänomenologischen Theorie führen. Die Seinsunterscheidung von Seiendem und Sinn beruht ja auf der Ablösbarkeit des Sinnes in der Bedeutung. Nun berücksichtigt Sartre durchaus die Gegebenheit von Sinn, und zwar versteht er ihn wiederum als Phänomen mit einem Sein. Ist dann das Ansich nur ein einziger Seinsbereich, oder gibt es mehrere, einen idealen und einen realen? Diese Fragen lassen sich aus E N nur zum Teil beantworten, sie deuten Schwierigkeiten an, gehen aber in eine andere Richtung als das Werk. Wir finden bei Sartre eine mögliche Konsequenz aus der Phänomenologie, wie sie sich in andrer Form bei N . Hartmann und Scheler findet. Die geschilderte Theorie entspricht dem Hauptgedanken der Intentionalitätstheorie Husserls, daß das Bewußtsein ohne ungegebene Entitäten in der Immanenz „beim" Gegenstand ist. Die Entwicklung hatte die Phänomenologie in der Theorie der Reduktionen wieder zu einer solchen Entität geführt, dem Noema, von dem nun wieder ein „ intentionales Sein" behauptet werden konnte, womit die traditionelle Fassung des Gegebenheitsproblems wieder in die Nähe gerückt war. Sartre will diesen Schritt rückgängig machen. Im Problemkreis „Bewußtsein und Gegenstand" stellt Sartres bisher geschilderte Auffassung eine ontologische Position dar, die in mancher Hinsicht Husserls Position in den Logischen Untersuchungen entspricht. In der lapidaren Form, in der die Intentionalität in der Einleitung zu E N vorgeführt worden ist, kann sie allerdings kaum verbleiben. Wir haben denn auch nur auf der Grundlage dieser Einleitung eine phänomenologische Position, die im Zusammenhang mit dem „ontologischen Beweis" auftrat, isoliert. Die nähere Behandlung des Problemkreises im Werk selbst vollzieht sich in einem anderen Idiom, dem von Negation, Ansich und Fürsich, so daß eine Mischform entsteht, die nach ihrem eignen Charakter zu beurteilen ist. Wir können hier nur fragen, ob die Theorie trotz ihres „Geburtsfehlers" all den Problemen gerecht werden kann, für die die Phänomenologie ihre verfeinerten begrifflichen Werkzeuge geschaffen hat. 4. DAS BEWUSSTSEIN
Wir haben das Bewußtsein schon in einigen elementaren Zügen — als Intentionalität und als Seinsdimension — betrachtet, um den Gedankengang vom Phänomen zum Sein mitgehen zu können: nur für ein seiendes Bewußtsein von etwas (so selbstverständlich dies ist) konnte 21
erwogen werden, ob das Phänomen nicht vielleicht nur Moment des reellen Seins des Subjekts sei. Diese beiden Charakteristika des Bewußtseins sind jedoch noch keine hinreichende Darstellung. Schon das von Sartre verwendete Bild der Durchsichtigkeit deutet auf einen weiteren Punkt. Sartres Hauptthese zum Problem des Bewußtseins ist, daß das Bewußtsein seiner selbst bewußt sein müsse, sonst gäbe es „unbewußtes Bewußtsein, was absurd wäre" 57 . Das Gegebensein der Intention auf den durch diese gegebenen Gegenstand ist für Sartre eine notwendige Bedingung für ein Bewußthaben des Gegenstandes. Ist dies Bewußtsein vom transzendierenden Akt nun ein weiterer Akt auf diesen Akt? Dann wäre dies eine Reflexion, ein Akt mit dem Gegenstand „Bewußtsein" oder „Intention". Reflexion aber kann dies Bewußtsein der Primärintention nicht sein, denn sonst entstünde eine Spaltung des Bewußtseins in Subjekt und Objekt, und ein „letztes Glied" bliebe immer ungegeben; es käme zu einem Regreß. Das intentionale Bewußtsein muß also, nachdem es ontologisch als Seinsdimension in Anspruch genommen ist, auch erkenntnistheoretisch begründet werden; es ist anzugeben, wie Bewußtsein des Wissens, Erkennens usw. ohne Regreß möglich ist. Das Problem läßt sich für Sartre nur lösen, wenn man annimmt, daß das Bewußtsein nicht „paarig" 58 ist. Der Bezug des Bewußtseins zu sich selbst, der als solcher bejaht wird, darf nicht vergegenständlichend oder „setzend"59 sein, sondern muß als ein unmittelbarer „nicht-setzender" gedacht werden. Ein solches unmittelbares Bewußtsein ist nicht erkennend 60 ; es urteilt nicht, nimmt nicht Stellung wie die Reflexion; es ist vielmehr konstitutiv für das setzende Bewußtsein, also auch für die Reflexion. „Jedes setzende Bewußtsein vom Gegenstand ist gleichzeitig nicht-setzendes " E N 18.
58
E N 19.
59
E N 19: „eile [la conscience] ne la pose pas [ma perception]". — Für die Begriffe „setzend" (positionnel) und „nicht-setzend" (non-positionnel) ist eine Abhebung von Husserl erforderlich. Für Husserl bedeutet „Setzung" oder „Thesis" einen Charakter der Noesis, durch den einem Noema Wirklichkeit, Wahrscheinlichkeit oder ein sonstiger Seinsmodus zuerkannt wird. (Vgl. Ideen I §§ 90, 103, 114). Setzung bedeutet danach nicht, daß das Bewußtsein sich einen intentionalen Gegenstand opponiert, sich ihm meinend zuwendet, sondern einen schon opponierten Inhalt, den intentionalen Gegenstand, das intentum qua intentum, als real usw. nimmt, wobei dies Setzen nicht später ist. Für Sartre gilt eine grundsätzlichere Bedeutung des Begriffes. Danach liegt in ihm das Sich-einen-Gegenstand-Opponieren. Hierin kommt die Fichtesche Verwendung des Wortes zur Geltung, nur daß im Setzen keine Subjektivierung des Seinsstatus des Opponierten mitgedacht wird. In Husserls „Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins" findet sich allerdings auch ein Sartres Bedeutung verwandter Sinn vom „Setzen". Dort ist ein Erlebnis „immanent .wahrgenommen' (inneres Bewußtsein), wenn auch natürlich nicht gesetzt, gemeint" (481).
90
So kann das Kind, das zählt und dem die Reflexion fehlt, nicht „erklären", was es da tut. Das Addieren erscheint ihm nur als objektiver Sachverhalt an den gezahlten Gegenständen. E N 19.
22
Bewußtsein seiner selbst61." Dies unmittelbare nicht-setzende Bewußtsein von Bewußtsein nennt Sartre das präreflexive cogito (cogito prereflexif)62. Von diesem Begriff aus lassen sich zwei Gedankenrichtungen verfolgen: mit dem präreflexiven cogito ist, wie wir sahen, eine erkenntnistheoretische Erklärung gegeben, wie ein Bewußtsein von intentionalen Gegenständen möglich ist; und ferner ist mit ihm eine strukturelle Einheit behauptet, die zu einer ontologischen Deutung führt. Gehen wir entsprechend unsrer gegenwärtigen Betonung einer noch vorwiegend phänomenologischen Position Sartres zunächst dem ersteren Gedanken nach. Der Gedanke, daß das Bewußtsein sich gegeben sein müsse, da es sonst unbewußt sei, hat eine gewisse Überzeugungskraft. Einerseits glauben wir, unsrer selbst „innezusein", andrerseits wird damit das Bewußtsein zu einem zweiten Gegenstand neben dem unmittelbaren, auf den wir gerichtet sind, was unsere normale Erfahrung nicht bestätigt. Die Annahme einer Reflexion, um dies „funktionale" Selbstbewußtsein zu erklären, sdieint daher einerseits gefordert, andrerseits ausgeschlossen. Das Dilemma ist oft gesehen worden, aber erst Brentano ist zu einer problembewußten These als Antwort auf die Schwierigkeit gelangt68. 61
E N 19.
E N 20. — Sartre kennzeichnet es als „conscience ( d e ) . . . ( m i t „de" in Klammern im Gegensatz zum „de" ohne Klammer, das den transzendierenden Bezug zum intentionalen Gegenstand vertritt). Wir bilden Sartres Wendung durch „Bewußtsein (von)" nach. * 3 Dies klingt wie eine gröbliche Vereinfachung. Aristoteles trifft schon mit seiner aia{h). und später, in der Enzyklopädie, auf der Ebene des Geistes (als Begriff von einem Subjekt, das die Bestimmungen der „Äußerlichkeit" in sich aufgenommen hat). Der Anfang der Hegeischen Logik, wenn wir ihn zurecht als Paradigma für Sartre unterstellen, ist also im Sinne Hegels zu unbestimmt. Sartre reduziert das Verhältnis von Subjekt und Sein auf die Verflechtung der abstrakten Bestimmungen „Dasein" und „Fürsichsein". Wie bei Hegels Dasein findet sich in Sartres Fürsichsein ein Doppelsinn von Dasein bzw. Ansichsein: einerseits als „Seinsmoment" des Fürsich (entsprechend dem einen Sinn von „Ansichsein" bei Hegel; das Fürsich ist Positives, das auch nicht ist), andrerseits als Koinzidenz, Synthese, Totalität, „Sein" (entsprechend dem „Ansichsein" im andern Sinn; das Fürsich ist ein Negatives, das durch Hinausgehen über sich Positives wird). Das Fürsich Sartres unterliegt der Dialektik der Grenze. N u n ist das Sein des Fürsich als Totalität bei Sartre vorausgesetzt auf Grund der „Prävalenz des Positiven". Dem Fürsich ist zunächst nicht ein Negatives seiner selbst (entsprechend Hegels Dasein jenseits der Grenze) opponiert; es selbst ist Negatives, Mangel gegenüber seiner Totalität. Das „Sein" des Fürsich ist also nicht „entwickelt" aus einer Dialektik der doppelten Negation. Es ist der vorausgesetzte Orientierungspunkt, den das daseiende, endliche Fürsich erreichte, wenn es logisch, kategorial, fortschreiten könnte (was es nicht kann, da es als endliches definiert, eine ontische Größe, ist). Sartre wird auch den Weg der Vermittlung gehen, wenn er dem Fürsich ein „Komplement" zuordnet58, das erst die Koinzidenz des Fürsich mit sich ermöglichen soll. Dies Komplement wäre das ausstehende „Jenseits" des Fürsich. Damit wäre die Parallele zu Hegels Dialektik des Daseins und der Grenze hergestellt. 58
Siehe unten Abschnitt IV, 2 d).
69
Zunächst im Blick -steht bei Sartre jedoch, wie wir gesehen haben, eine dem Fürsich opponierte Totalität, die der des Hegeischen Unendlichen im Gegensatz zum Endlichen entspricht. Das Unendliche ist das Positive, das Ansichsein des Fürsich, dem gegenüber es sich als Mangel bestimmt. Wir sehen bei Sartre eine komplexe Dialektik, die wir in zwei Dialektiken bei Hegel auflösen, eine des Daseins und eine des Fürsichseins, oder eine logische Dialektik, die die Totalität denkt, und eine reale, die endliches Dasein denkt. Der logische Einschlag in Sartres Fürsichsein deutet sich an im bloßen „Vorschweben" der Totalität. Das Problem einer Parallelisierung Sartres mit Hegel liegt in unserm Zusammenhang, wie sich gezeigt hat, in der Verbindung von Fürsichsein und Dasein, oder in der Fassung des Fürsich als eines endlichen, faktischen. Das Fürsich Sartres ist daseiendes; sein Bezug zur eignen Unendlichkeit ist schlecht-unendlich, nicht Verwandlung in eine höhere Stufe der Bestimmung. Die Bestimmung des Daseins wird in eins gesetzt mit Hegels Äußerlichkeit5". Damit entspricht die geschilderte „existenziale" Dialektik der Dialektik der Zeit bei Hegel. Das Außersichsein ist die Art des Fürsich, endlich, daseiend zu sein; nicht hat es, wie das Etwas, ein Seiendes seinesgleichen sidi opponiert. Seine Dialektik ist „unipolar" 60 . Es ist eine Dialektik des endlichen Fürsich mit sich selbst. Zwar ist „ontologisch", nicht „logisch", ein doppelter Gegensatz vorhanden: der von Fürsich und Sein als Faktizität und Objekt, einerseits, und der von Fürsich und Fürsich als Koinzidenz in der Immanenz, andrerseits. Beide sind aber logisch nivelliert zu einem Gegensatz, entsprechend der Unbestimmtheit der Bestimmungen des qualitativen Seins, in denen Sartre das Subjekt darstellt. Hegel kann auf höherer Ebene, mit einer bestimmteren Dialektik, den mehrfachen Gegensätzen, die bei Sartre zusammenfallen, gerecht werden, wobei allerdings nur an eine kategoriale, nicht an eine zeitliche, Dialektik gedacht ist". Wie wir schon sahen, stellt Hegel das Verhältnis von Fürsichsein und Sein auf der Stufe des Begriffs und des Geistes dar. Es geht ihm um die Gewinnung einer Totalität, verstanden als Identität von Subjektivität und Objektivität. Das Ansichsein, das das Fürsich gewinnen soll, ist nicht ein subjektives, wie bei Sartre, sondern ein objektives. Mit dieser Opposition kann Hegel die Bewegung zur Gewinnung der Totalität des Subjekts dartun. Er entwickelt sie aus einem Konflikt mit dem Subjekt gegenüber „Anderen"; das Subjekt durchläuft verschiedene Stadien der Identifikation mit dem Ansichsein. Durch die Fassung des Subjekts als Begriff und als Geist — als schon entwickelte Form der Einigung von Subjekt und Objekt — kann Hegel das Uber-sich-Hinausgehen des Subjekts zu einem schon in ihm liegenden 59
Vgl. Hegel, Enzyklopädie § 247.
60
Ein Ausdruck von J . Cohn, „Theorie der Dialektik", 273.
61
Vgl. unten IV, 3 c).
70
(„seinem") Andern und damit zu sich selbst verstehen62. Als Grundgedanke erscheint uns, daß bei Hegel das Subjekt nur über die Vermittlung mit dem Gegenstand seine Totalität gewinnen kann, und, soweit es sie nicht gewinnt, sie im Hinausgehen zur Objektivität anstrebt. Sartre versucht, vom Subjekt in der Immanenz zu zeigen, wie es als Mangel über sidi hinausgeht zu sich als Totalität. In der abstrakten Dialektik Sartres ergibt sich das schon aus der Armut der Bestimmungen. Die Totalität ist eine „logische" Extrapolation des daseienden Fürsich, das sein „Sein" erreichen will. Man könnte einwenden, daß wir bei dieser Charakterisierung der Dialektik Sartres als einer immanenten übersähen, daß doch auch bei Sartre das Subjekt in einer Opposition zum Gegenstand stehe und sich über ihn mit sich vermittle. Wir behandeln diese Negation in einem späteren Abschnitt63, können aber vorgreifend sagen, daß dies Negieren des Seins nicht, wie bei Hegel, eine Identifikation mit dem Gegenstand zum Ziel hat, sondern diesen zum ausgeschlossenen macht. Sicherlich will Sartre dem „In-der-Welt-Sein" geredit werden; im Fürsichsein ist die unmittelbare Opposition zur Welt angelegt. Aber die „Konstruktion" des Ganzheitsbezuges des Fürsichseins zu sich und überhaupt seiner existenzialen Strukturen bleibt in der Subjektivität und ist dem Inhalt gegenüber formell. c) Das Fürsichsein als
Totalität
Nehmen wir das Transzendieren des Fürsich zu sich als Totalität als dargetan hin. Das Fürsich steht in Beziehung zu einem abwesenden Selbst als seiner Totalität, ist unterwegs zu ihm. Die Totalität ist aber, in Umkehrung der Hegeischen Auffassung, für es nicht erreichbar. Das Fürsichsein kann nicht Ansich-Fürsich werden. Dies wäre eine Koinzidenz mit sich, die kein Anderssein setzt, positiv, „identité à soi" ist64. Sartre macht hier dieselbe Unverträglichkeit von Ansich und Fürsich geltend, wie sie in dem Gegensatz der beiden Seinstypen liegt. Die Erlangung der Totalität, des Ansich-Fürsich, bedeutete die Zerstörung des Fürsich. Die Unerreichbarkeit der Totalität beruht auf einer ontisch-ontologischen Unmöglichkeit. Für den Menschen ist die Totalität ein Grenzbe62
Charakterisieren wir das Subjekt auf der Ebene des Begriffs, so können wir es als „subjektiven Zweck" auffassen: die Einzelheit bestimmt „die gegen die Objektivität vorausgesetzte Subjektivität des Begriffs in Vergleidiung mit der in sich zusammengeschlossenen Totalität als ein Mangelhaftes" und kehrt sich nach außen (Enzyklopädie § 207). Oder auf der Ebene des Geistes als „abstraktes Selbstbewußtsein": Dieses ist schon „behaftet mit einem äußerlichen Objekt, formell mit der Negation seiner". Es ist „als diese Gewißheit seiner selbst gegen das Objekt der Trieb das zu setzen, was es an sich ist, - d. i. dem abstrakten Wissen von sich Inhalt und Objektivität zu geben . . . " (ebda. § 425).
63
Siehe unten Abschnitt IV, 4.
64
E N 133.
71
griff oder „Ideal" 6 5 . Das Bewußtsein ist so „von Natur aus unglückliches Bewußtsein", ist aber, wie im Fall der kantischen Idee, in diesem Ideal „engagiert" 66 . Das Bewußtsein bezieht sich nicht auf diese Totalität im Sinne eines setzenden Bewußtseins, denn damit würde diese Objekt 87 . Die Totalität „schwebt dem nicht-setzenden Bewußtsein v o r . . . als sein Sinn". Ohne diese vorschwebende Totalität wäre das Bewußtsein nicht Bewußtsein, insofern das heißt: „Mangel sein." Beide Bewußtseinsbegriffe, der des Mangels und der der Totalität, „bilden ein Paar" 6 8 . Hier zeigt sich, daß, was in der Konstruktion der Strukturen nacheinander deduziert wird aus dem Sich-Gegenwärtigsein, als Ganzes gleichursprünglich ist. Das Fürsich ist eine strukturelle Einheit, die Sartre Selbstheit (ipséité) nennt69. Insofern handelt es sich bei der Entwicklung der unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins um eine transzendentale Theorie in synthetischer Darstellung, eine Theorie, die die Existenzialien „ableitet". Ihre Paradoxie liegt darin, daß ihr Ausgangspunkt selbst die konkrete Bewußtheit, das Sich-Gegenwärtigsein des Menschen ist. Nach seiner existenziellen Bedeutung verstanden ist die Totalität für Sartre Wert (valeur) 70 . Die von Sartre beigebrachten Bestimmungen des Selbst als Totalität entsprechen auch den beiden Charakteren, die gewöhnlich dem Wert beigelegt werden: „unbedingt zu sein und nicht zu sein", d. h. unbedingt zu gelten. Der Wert ist das „unbedingte Jenseits für jede Überschreitung" des Seins und damit ein „Jenseits desjenigen Seins, das überschreitet", des Fürsichseins. Er ist unerreichbar, vielmehr „setzt jedes Transzendieren ihn voraus". Der Wert ist die fehlende Totalität (totalité manqué), das Selbst als absolut-seiend, identisch, rein, dauernd, als Grund seines Seins. Er ist der „Sinn" des Uberschreitens, der der Freiheit vorschwebt. Er „übt nicht Anziehung auf das Fürsich aus", sondern ist das, was dieses „zu sein hat". „Das Selbst, das Fürsich und ihr Bezug halten sich in den Grenzen einer unbedingten Freiheit... aber gleichzeitig auch in den Grenzen der konkreten Faktizität, insofern das Fürsich... nicht Grund seines eignen Seins sein kann 71 ." In der Fassung der Totalität als Wert liegt die Schwierigkeit, daß Bewußtseinsbestimmungen, die wir als negativ bewerten, ebenfalls zum Wert, d. h. zur Totalität der betreffenden Bewußtseinsbestimmung, gesteigert werden. So schwebt dem Fürsich als Durst ein Selbst als Durst vor als Wert. Der Mangel will gestillt sein, aber als totales Selbst wird er andrerseits nicht beseitigt, sondern gesteigert. Der Durst soll „seinen Charakter als Mangel verlieren und Durst als Sein" werden72. 65
E N 140.
67
Alle Negationen in der Immanenz — außer der Reflexion — sind nicht-setzcnd. Dies ist ein Indiz für die Einheit der Strukturen in der Immanenz.
68
E N 134 .
72
66
69
E N 134.
E N 148.
70
E N 136.
71
E N 138 .
72
E N 146.
Oben handelte es sich um die Überwindung eines Mangels an „Sein"; das Fürsichsein entwirft sidi auf eine Koinzidenz mit sich, in der es Sein und Bewußtsein ist. Mag diese Formulierung als Ausdruck der strukturellen Paradoxie des Ansich-Fürsich gelten, so tritt jetzt für den Mangel jedes inhaltliche Bewußtsein ein. Und allgemein heißt es, der Mensch sudie gar nicht die Aufhebung der Begierde, sondern ihre Ewigkeit. Dies ist eine offensichtliche Verwechslung von Struktur und Inhalt. Nur die Tatsache, daß bestimmte Gefühle für einen Mangel stehen, führt dazu, sie mit dem Mangel zu identifizieren, der eine Struktur bezeichnet. Die Verwechslung von Struktur und Inhalt besagt, daß das Fürsich sich anscheinend auf der Grundlage seiner jeweiligen Bestimmtheit zum „Sein" steigern möchte. Das gewählte Beispiel von der Begierde (bzw. vom Durst) suggeriert, daß das Fürsich als so bestimmt unvollkommen sei und als so bestimmt vollkommen sein wolle. Andrerseits will das Fürsich Bestimmtheit überschreiten, negieren (also hier: nicht mehr Durst sein). Der Aussage, das Fürsich wolle Durst ganz sein, muß gegenüberstehen, daß das Fürsich diese seine Bestimmtheit negieren will. Die These Sartres vom „ewigen" Durst, den das Fürsich sein will, ist irreführend, insofern das Ideal als gleichnamig mit der beschränkenden Bestimmtheit gesetzt wird, die doch überschritten wird. Gerade dies, daß ich meine Bestimmtheit steigern will, ist doch inhaltlich-konkret offen. Die Bestimmtheit ist einerseits „Weise" oder „Sein" des Fürsich, andrerseits seine Beschränkung, sein Nicht-Fürsich-Moment, das überschritten wird. Nur strukturell läßt sich sagen, was das Fürsich will: mit sich koinzidieren. Ist Begierde nicht im schlichten Sinn als Bestimmtheit (etwa Durst), sondern als Struktur gemeint, so hätte der Mensch die Begierde, Begierde „ewig" zu sein. Das hieße dann, daß hier eine „potenzierte" Endlichkeit gefordert ist, die faktische Endlichkeit ist in die Reflexion, in den Entwurf des Menschen, eingegangen. Die Dialektik entspricht der der Äußerlichkeit oder Zeitlichkeit. Sartre kann sich für seine schillernde Auffassung von der Begierde, die auf der Interpretierbarkeit der Dialektik beruht, auf menschliche Urerfahrungen stützen, nach denen der Mensch Steigerung und Befreiung von Begierde sucht.
d) Das Fürsichsein als Komplement Das Fürsichsein steht in einer Zweckbeziehung zu sich als Totalität. Diese, sein Worumwillen, ist aber unerreichbar. Es bleibt Mangel an einer Koinzidenz mit sich selbst. Der Entwurf auf seine Totalität verweist es auf eine „Mitte", durch die es sich mit sich zusammenschließen kann. Dies Verhältnis ist bei Sartre in die Analogie des gegenständlichen Mangels gekleidet. Ganz wie im obigen Beispiel von Mondsichel und Mond denkt sich Sartre beim Fürsichsein drei Momente: das Sich-Gegenwärtigsein als das, was Mangel ist; die Totalität oder das Ansich-Fürsich; 73
und das „Komplement" als das, was dem Sich-Gegenwärtigsein mangelt, um Totalität zu sein7®. Was in der Zweckbeziehung als Mitte oder Mittel erscheint, ist hier Komplement des Fürsichseins. Nach der Deutung des Fürsich als Mangel ist dies Komplement zu bestimmen. Es muß selbst ein Fürsich sein, denn mit ihm zusammen soll das Fürsich mit sich koinzidieren. „Das Komplement ist ein mangelndes Fürsich, das ich bin." Andrerseits bin ich es nicht „im Modus der Identität", denn dann träte der Fall der unmöglichen Koinzidenz ein. Sartre bestimmt das Komplement von der Totalität her: „ich ,bin' das mangelnde Fürsich nur in der Weise, daß ich das Fürsich zu sein habe, das ich nidit b i n . . ." 7i . Ich beziehe mich im Rahmen eines vorschwebenden Ideals vom Ansich-Fürsich auf ein abwesendes Fürsich, das ich bin, das mir aber noch mangelt. Dies je eigne Komplement des Fürsich ist nach seiner existenzialen Bedeutung meine Möglichkeit"'. Das Fürsich, das jetzt als eine „Trinität" 76 erscheint, ist gleichursprünglich in seinen drei Entfaltungen als faktische Gegenwart, als Möglichkeit und als Worumwillen. Die Heideggerschen Existenzialien sind in ihm konstruierend nachgebildet. Im einzelnen zeigen sidi in Sartres Lehre Schwierigkeiten. Die gegenständliche Analogie ist fragwürdig. Nach dem Schema ist ein Ganzes ein Kompositum aus Vorhandem und Komplement. Im ganzheitlichen Verstehen des Menschen in der Welt ist ein Komplement allerdings nicht aufweisbar; wir müssen es uns erst vergegenwärtigen. Wenden wir das Schema auf das Fürsichsein an, so ergibt sich, daß das Fürsich, nachdem es sich auf seine Ganzheit entworfen hat, nur den „Summanden" finden muß, der es zur Ganzheit ergänzt. Fände es ihn, ¡so wäre es schon die Ganzheit. Erreicht es ihn nicht, wodurch unterscheidet sich der Fall von dem der bloß „vorschwebenden" Ganzheit? Kann die Analogie ausdrücken, daß die Möglichkeit von dem zu Ermöglichenden verschieden ist? Wir haben oben77 schon die Klärungen für das dialektische Verständnis des Komplements gegeben. Mit dieser Konzeption wird der Ubergang zur Totalität vom Sichgegenwärtigsein „entwickelt", der zunächst vorausgesetzt war. Das Komplement folgt der Dialektik des Daseins und der Grenze. Indem das Fürsich Dasein ist, ist sein „Sein" in der Vermittlung mit einem Negativen seiner selbst, dem Komplement des Fürsich, das es noch nicht ist, zu suchen. Dieser Gegensatz erscheint nach der gegenständlichen Analogie zwar als undialektisch — als zwei Positiva —, er ist aber dialektischer Gegensatz, der die Totalität logisch vermittelt durdi doppelte Negation. Das Fürsich geht über sich hinaus zu seinem Jenseits, um zu sein. 73
E N 145.
74
E N 140.
76
E N 131.
77
in Abschnitt IV, 2 b), S. 68 ff.
74
75
E N 145: „mon possible".
Dies wäre allerdings (nach der logischen Dialektik des Seins) zu „viel", weil die Totalität als höhere kategoriale Stufe erreicht wäre, was ja für ein endliches Fürsich nicht möglich ist. Die Möglichkeit wäre hier dasselbe wie das vorschwebende Ideal. Die Vermittlung des Fürsich mit seiner Möglichkeit muß also nach der oben geschilderten komplexen Dialektik gedacht werden. Das Fürsich als auf sich bezogen ist sich äußerlich. H a t es (in der Zeit) die Möglichkeit verwirklicht, so ist es sich noch immer äußerlich, hat neue Möglichkeiten. Für das endliche Fürsich bleibt die Totalität ein Ideal (einer anderen kategorialen Stufe angehörig), es hat nur Möglichkeit, von der es sich die Totalität verspricht. Wir werden wieder auf die Dialektik der Zeitlichkeit verwiesen, die auf dem Daseinscharakter des Fürsich im Sinne des Sich-Äußerlichseins beruht, in der auch jedes zeitlich Erreichte umschlägt in Negativität. Die existenziale Dialektik, die uns hier beschäftigt, und die Dialektik der Zeitlichkeit, stehen in gewissem Gegensatz und auch in gewisser Komplementarität zueinander. Die letztere, am negativ verstandenen Dasein des Fürsich (seiner Äußerlichkeit) festgemacht, zeigt die schlecht-unendliche Bewegung des Fürsich. Das Ideal, die Totalität, ist in ihr kein Element: es gehört einer höheren kategorialen Sphäre an. Die Unterscheidung von Komplement und Totalität für dasselbe Fürsich ist also selbst ein Konflikt zwischen endlicher (realer, faktischer, äußerlicher) und unendlicher (logischer) Dialektik. Beide fallen unvermittelt in eins78. In der Dialektik von Fürsichsein als Sich-Gegenwärtigsein, Komplement und Totalität bleibt die Schwierigkeit: ist Möglichkeit, wie sie hier verstanden wird, das, was das Fürsich als Mangelndes bestimmt und was immer ausbleibt, wenn auch ihr „Inhalt" Gegenwart werden kann, besteht bei einer solchen Nivellierung von Möglichkeit und Ideal nicht auch eine Nivellierung von Mittel und Zweck? Die Schwierigkeit läßt sich verstehen als Folge davon, daß wir es, wie wir sagten, mit einer „unipolaren" Dialektik zu tun haben. Sie hat nur ein Anderes für das Fürsich: es selbst. Sartres Dialektik ist eine Dialektik der Immanenz und drückt es an ihr selbst nicht aus, daß es noch eines andern als meiner selbst bedarf, um Möglichkeit zu begründen, so daß ich meiner Ganzheit, die ich als endliches Wesen nicht erreiche, zustreben kann. Sie ist eine Dialektik der Nichtigkeit des Fürsich, einer Nichtigkeit, die nicht auf einem seienden Andern beruht, obwohl die Armut der Bestimmungen Sartres auch dieses Verhältnis zu decken scheint. Das Ansichsein ist aber logisch nicht bestimmt genug, um Mittel sein können. Ist aber nicht das Objekt gerade das Mittel für meinen subjektiv-objektiven Zweck? Damit ist noch einmal der Einwand geltend gemacht, der oben schon angeklungen ist: er richtet sich gegen die Darstellung der Zweckbeziehung des Fürsich zu sich selbst in der Immanenz. Können die zusammengehörigen Momente von Sich-Gegenwärtigsein, Totalität und Mög78
6
Vgl. unten S. 85. 75
lichkeit als subjektive sinnvoll sein? Wie tritt die Beziehung des Fürsich zur Welt in diesen Zusammenhang ein? Das Fürsich ist, schon nach der Analyse der Faktizität als Sein bei der Welt nicht auf seine Subjektivität beschränkt, ist kein weltloses Subjekt. Andrerseits ist der Bezug des Fürsich zu sich ein Bezug in der Immanenz. Mögliches und Ideal wären so nur formal bestimmt. Sie müssen aber mit der Welt zu tun haben, sonst wären sie leer. Die Zweckbeziehung beinhaltet ein Ermöglichen, zu der ein Rekurs auf die Welt gehört, der Gebrauch eines Mittels, eines Zuhandenen. Wie muß aber dies Mögliche verstanden werden, wenn es einerseits Fürsich ist, andrerseits an ein innerweltliches Mittel gebunden ist? Nehmen wir noch einmal Sartres Beispiel vom Durst 7 ". Der Durst ist „nie Durst genug"; er will Durst als Sein sein. Dem Fürsich schwebt ein Selbst als Durst vor. Hierzu mangelt es ihm „an einem Fürsich, das den Durst zum gestillten macht, so daß dieser die Form des Ansich-Seins annimmt". Es bedarf eines vom Ziel auf das Fürsich reflektierenden Aktes des Trinkens. „Das Mögliche des Durstbewußtseins ist das Bewußtsein von Trinken", d. h. abstrakt: der Entwurf eines Fürsich jenseits des Fürsidi als Sich-Gegenwärtigsein. Als Fürsich hat sowohl das Sich-Gegenwärtigsein als auch das Fürsich als mögliches sein Korrelat in der Welt. Das Fürsich des Durstes, das gestillter Durst sein will, hat das Glas vor sich; das mögliche Fürsich bedeutet gegenständlich die Verweisung des vollen Glases auf das getrunkene. Die gegenständliche Seite ist Korrelat der subjektiven Strukturverhältnisse, steht ihrerseits in Verweisungszusammenhängen 80 . Mein Ziel ist das gegenständliche Korrelat meiner Möglichkeit81. Das mögliche Fürsich ist, so meint Sartre 82 , zwar nur durch ein „Nichts" vom Fürsich getrennt, andrerseits aber durch die ganze Welt, da ja das mögliche Fürsich ein Fürsich bei der Welt ist. Der Entwurf auf Koinzidenz mit sich durchquert die Welt. Der Mensch „muß sich jenseits der Welt mit seiner Möglichkeit vereinigen". Dieser Bezug ist der Zirkel der Selbstheit (circuit d'ipseite). Welt ist „die Gesamtheit des Seins", das von diesem Zirkel „durchquert" wird. Hiermit ist eine Beziehung zwischen Fürsich und Welt vorgezeichnet, die über das bloße Sein „bei" der Welt hinausgeht und zweckhaftes Handeln in der Welt ermöglichen soll. Sartre will also zwei Forderungen gerecht werden. Einmal bezieht sidi das Fürsich im zweckhaften Handeln auf die Welt, realisiert Ziele in der Welt um seiner selbst willen, gibt sich aus ihr zu verstehen, was es ist. Andrerseits muß die Ermöglichung meines Seins als Realisierung 76
E N 145.
81
Wir bemerken hier, d a ß das Mittel nicht in die Betrachtung einfließt außer als schon v o r g e f u n d e n e s . Mittel ist einfach Zuhandnes in der Welt, das v o n einer M ö g 82 E N lichkeit her verstanden u n d gebraucht wird. 148.
76
80
E N 149; 251.
eines Zwecks in der Welt Bewußtsein davon sein. Das Mögliche ist die Antizipation des Fürsich als Bewußtsein von Gegenständen der Welt83. Phänomenologisdi sind die beiden Bezüge unterschieden als setzendes und nicht-setzendes Bewußtsein. Ich beziehe mich auf mein mögliches Fürsich „präreflexiv", auf mein Ziel in der Welt beziehe ich mich durch ein cogito. Aber da dies das cogito des möglichen Bewußtseins ist, auch wieder durch mein präreflexives cogito von diesem cogito 84 . Im Gegensatz etwa zu Hegel erscheint Sartres Lösung für das Verhältnis von Fürsichsein und Welt als nur „formell". Nicht ist der transzendente Gegenpol, die Welt, Gegenstand einer dialektischen Auseinandersetzung. Das Verhältnis zur Welt läuft nur „parallel" mit den subjektiven Strukturmomenten. Diese sind, wie wir sahen, mit inhaltlichen Bestimmungen, wie das Fürsich sie in seiner Welt hat (etwa Durst) verknüpft; was ich auch immer als jeweilig bestimmter bin, nach der Deutung der Begierde entwerfe ich mich darauf, es ganz zu sein. Diesem Aspekt der subjektiven Ganzheit steht gegenüber der — ebenfalls in der Immanenz verbleibende — Aspekt, daß ich jeweils Negation meiner selbst bin, also immer abrücke von meinem jeweiligen Bestimmtsein. Hier wäre also zumindest Raum vorhanden und der Grund angelegt für ein, wenn auch nur negativ ausgedrücktes, Sich-Entwerfen auf „neue" Möglichkeiten und ein neues, nicht gleichnamiges Ideal, für eine „Wahl" meiner selbst, wobei die Welt wieder „parallel" zum Fürsichsein miteinbezogen ist. Beide Aspekte des Fürsich, das Sich-auf-Ganzheit-Entwerfen und das Sich-Negieren, sind ein dialektischer Konflikt in der äußersten Abstraktion: ich bin mein Ansich-Fürsich nicht, d. h. es schwebt mir nur vor; und: ich bin nicht, was ich bin — sonst wäre ich Ansich —, bin also immer über mich hinaus. Die dialektische Konstruktion, die als Äquivokation des Ansichbegriffs erscheint, wie wir schon sahen, bleibt in ihrem formalen Charakter unbefriedigend. Sie formuliert den Charakter der Möglichkeit des Fürsich einerseits als identisch, andrerseits nicht-identisch mit diesem. Um diesen subjektiven Formalismus zu überwinden — und um einen solchen handelt es sich, um eine unipolare Dialektik — müßte das Verhältnis zur Welt mehr als bloßes Korrelatverhältnis sein; die Welt müßte Möglichkeiten „vorgeben", müßte eine dialektische „Mitte" für mich sein. Ich muß mich in der Welt erkennen können als was ich sein will. (Wir kommen auf die Frage noch einmal zurück.) Das Sartresche Fürsichsein ist eigentlich erst in der Entfaltung der „unmittelbaren" Strukturen ein Fürsichsein, d. h. ein Selbst, das sich auf 83
E N 148 f.: „Le possible, en effet, qui est mon possible, est pour-soi possible et comme tel présence à l'en-soi comme conscience de l'en-soi."
84
Dem entspricht bei Husserl, daß ich in Protentionen midi antizipierend auf Gegenstände richten kann. Vgl. „Vorlesungen zum inneren Zeitbewußtsein", § 43. Sartre erweitert diesen Gedanken auf pragmatische Bezüge.
6*
77
sich selbst bezieht. Sich-Gegenwärtigsein, Faktizität, Ganzheit und Möglichkeit machen zusammen ein Strukturgewebe gleichursprünglidier Momente aus, in dem sich das Sidi-Gegenwärtigsein als aktuelles Bewußtsein Grund ist für die nicht-aktuellen, „negativen" Dimensionen. Als Negativität ist es Ausgangspunkt für die Konstruktion des Selbst. Was dieses inhaltlich darstellt, ist in Heideggers Existenzialien vorgebildet. Sartres eigner Beitrag ist die Konstruktion85. Ihre Problematik ist deutlich geworden, setzt sie doch die Negativität als Grundlage, eine Grundlage, die keine inhaltlich eindeutige Dialektik ermöglicht, sondern Bestimmtheit aus der Phänomenologie borgen oder Hegeische höhere Stufen der Dialektik miteinfließen lassen muß. Aber wir sind noch nicht am Ende unsrer Analyse. 3. D I E ZEITLICHKEIT
Bevor wir das Problem des Transzendierens zur Welt aufnehmen, haben wir eine weitere Struktur in der Immanenz, oder eine weitere Fassung der schon geschilderten Struktur zu betrachten, die der Zeitlichkeit (temporalité). Sie hat ihre Stelle nach der Analyse der unmittelbaren Strukturen des Fürsichseins, so daß beides zusammengenommen eine Darlegung des Fürsich in der Immanenz ausmacht. In gewissem Sinn ist die Analyse der Zeitlichkeit eine Wiederholung des vorhergehenden. In ihrem Verhältnis zu den unmittelbaren Strukturen spiegelt sich das Verhältnis von Sorgestruktur und Zeitlichkeit bei Heidegger. Entsprechend seiner konstruktiven Absicht muß Sartre die Zeitlichkeit als aus dem Begriff des ursprünglichen Fürsich hervorgehend dartun. Sartres Weg dahin ist, in einer phänomenologischen und in einer ontologischen Betrachtung zu zeigen, daß sich die Zeit nicht „verstehen" läßt, wenn sie nicht von einer Struktur her begriffen wird, die die Form des Fürsichseins hat. Dadurch wächst dem Fürsich, dessen Form schon in den Begriffen des Ansich und der Negativität geschildert ist, eine Auslegung als zeitliches zu. Wir beginnen mit der ontologischen Betrachtung. a) Ontologische
Vorbetrachtung
Sartre gibt eine systematisch-ontologische Analyse der Zeit mit Rückgriff auf historische Zeitauffassungen. Die irreversible Sukzession, das Vorher und Nachher der Zeit als allgemein zugestandenes Charakteristikum, ist nicht zu verstehen, wenn das Vorher und das Nachher getrennt gedacht werden, denn es käme zu einer Auflösung der Zeit in eine Unendlichkeit von getrennten augenblicklichen Inhalten 86 . 85
Insofern ist Sartres Theorie des Fürsichseins der Versuch, für Heidegger das zu leisten, was Fichte für Kant geleistet hat: die Kategorien (bzw. Existenzialien) abzuleiten aus einem Grund.
88
E N 176.
78
Die Assoziationstheorie setzt die Impressionen als nur „extern" miteinander verbunden, aber ohne eine vorgängige Einigung wird die Verbindung unverständlich. Es legt sich also der Gedanke nahe, daß ein „Zeuge" sukzessive Inhalte vereinigt87. Soll das Problem nicht für ihn neu entstehen, muß er in beiden Zeitpunkten sein, und das heißt, unzeitlich sein. Dies ist nach Sartre die Descartessche und die Kantsche Lösung. Die Einheit der Zeit stammt von einem unzeitlichen Wesen, Gott, und seiner creatio continua, oder vom „ich denke". (Bei Descartes wird die Zeit geeinigt durch den im Sein erhaltenen materiellen Inhalt; bei Kant ist die Ansdiauungsform der Zeit selbst von den Verstandesbegriffen bestimmt). Die zu einigenden Augenblicke sind ihrerseits unzeitlich; eine Rekonstruktion der Zeit gelingt somit nach Sartre nicht. Soll die Zeit reell sein, ist Gott doch von ihr tangiert — muß auf die Zukunft warten —; er hätte also eine Zeitlichkeit, die sich nur durch ein AußersichSein verstehen ließe. Oder die Zeit wird eine Illusion des endlichen Menschen. Wendet man ein, daß die Zeit bei Kant als Anschauungsform schon eine Einheit sei, so erwidert Sartre, das Entscheidende sei nicht eine totale (angeschaute) Einheit, sondern die innerzeitlichen Beziehungen des Vorher und Nachher. Die Idee einer Einigung von isolierten nicht-zeitlichen Ansichseienden ist für Sartre ganz generell unverständlich. Auch die Annahme einer virtuellen Zeitlichkeit ist sinnlos. Unzeitliches bleibt entweder untangiert von der Inbeziehungssetzung, oder es muß in einen neuen Einheitstyp eingehen, den der ekstatischen Einheit. Das Vor und Nach ist für Sartre nur denkbar durch eine Unvollständigkeit des Vor, die auf ein Nach verweist. Ein unzeitliches „ich denke" kann aber diese Seinsänderung nicht hervorbringen87". Es ist unverständlich, wie es Zeitloses in Sukzession verwandeln soll. Die Zeit läßt sich von einem Zeitlosen aus nicht entwerfen und auch einem Zeitlosen nicht aufdrücken. Wir bemerken folgende Schwierigkeit. Die Sukzession muß nicht allgemein zugestanden werden. Das reine unveränderte Dauern eines Dinges, ja auch des Seins insgesamt, ist nicht Zeitlosigkeit, jedenfalls nicht in dem Sinne des Augenblickes. Wir finden eine doppelte Verwendung des Begriffs „Ansich": einerseits ist es dasjenige, das keine Relation kennt, also auch keine Zeit, in der Relationen des Vorher und Nachher stattfinden; es wäre ein Kontinuum, ein Immer-Sein, oder ein immer87
E N 178 f. - Für die folgenden Überlegungen Sartres vgl. Bergson, „Evolution créatrice" (in Œuvres) 787, 795-801, 781. 87 * Sartre sieht die Rolle des Kantsdien „ich denke" als notwendige Bedingung, als nicht faktisch, in Gegensatz zum faktischen Bewußtsein (vgl. La transcendance de l'ego 85—87). So wird ihm das „ich denke" unzeitlich. — Vgl. dagegen Heidegger, der das „ich denke" von der reinen Selbstafiektion her interpretiert (Kant und das Problem der Metaphysik, § 34) und sagt: „Zeit und ,ich denke' sind dasselbe" (174). — Sartre hat die mögliche „existenziale" Kant-Interpretation nicht gesehen.
79
währendes Jetzt88. Andrerseits ist das Ansidi das Diskrete, Isolierte, ja auch der Augenblick, Entitäten also, die als in Sukzession stehend angesehen werden und von denen dann gerade nicht eingesehen werden kann, wieso dies möglich ist. Soll Zeit Sukzession sein, so fallen beide Ansichbegriffe — aus entgegengesetzten Gründen — aus. Sartre diskutiert auch die Kontinuumsauffassung der Zeit89. Er kritisiert an ihr, daß es kein Vorher und Nachher gebe, da keine Zäsuren vorhanden sind. Bei Leibniz werde aus der Zeitfolge eine logische Immanenz. Dagegen sei festzuhalten, daß die Zeit auch ein Trennendes ist. Bergsons Lösung, wonach die Vergangenheit die Gegenwart durchdringt, erscheint Sartre als rhetorisch. Wie kann eine inaktive Vergangenheit sich in der Gegenwart zur Geltung bringen90? Nach unserer obigen Überlegung heißt Sartres Einwand gegen die Kontinuumsauffassung der Zeit, daß sie nur möglich ist beim ersteren der beiden Ansichbegriffe, bei dem die Frage der Bestimmtheit offen gelassen werden muß. Ist nicht Sartres Sein gerade ein solches Ansich? Sartre muß jedoch zugeben, daß es im Sein selbst „Aufhören" und „Erscheinen" gibt. Solche Sukzessionen, meint Sartre, folgten aber weder den Strukturen des Fürsidi noch solchen des Ansich; sie gehören daher nicht in die Ontologie; sie sind ein Thema der Metaphysik 91 . Müßte nicht die Ontologie die Bedingung aller Sukzession im Sein aufdecken? Sartre wird hier zu einer solchen Unterscheidung von Ontologie und Metaphysik geführt, wobei die letztere Sukzessionen im Sein studiert, die nicht seiner (im folgenden zu schildernden) „ekstatischen" Zeittheorie gemäß sind. Folgen wir Sartres Intention, eine verstehbare Zeittheorie zu geben — um das handelt es sich im Grunde, wenn er eine metaphysische Seite der Zeit abtrennt —, so haben wir nicht von der Zeit zu reden, sondern von der Zeitlichkeit, die einem ekstatischen Sein zukommt. Die Zeitlichkeit ist eine Einheit, die sich vervielseitigt; sie muß als Seinsbezug innerhalb ein und desselben Seins verstanden werden98. „Die Zeitlichkeit muß die Struktur der Selbstheit haben93." Nur ein Wesen mit einer solchen Struktur kann zeitlich sein. Ein solches Wesen ist das Fürsichsein mit seiner ekstatischen Einheit, und, wenn wir für die Zeit die Diskretheit fordern, andrerseits dem Menschen nur das Ansichsein Sartres gegenüber88
Vgl. unten Abschnitt IV, 3 c) zu Hegel.
89
E N 179—181.
90
Vgl. Bergson, „Matière et mémoire", (Œuvres) 283, 290, 370.
91
E N 257. Vgl. unten Abschnitt VI, 5.
92
E N 181: „la temporalité est une force dissolvante mais au sein d'un acte unificateur, c'est moins une multiplicité réelle — qui ne saurait recevoir ensuite aucune unité et, par suite, qui n'existerait même pas comme multiplicité qu'une quasi-multiplicité, qu'une ébauche de dissociation au sein de l'unité".
93
E N 182.
80
setzen, nur das menschliche Dasein94. Die innerweltliche Zeit ist vom Fürsichsein abkünftig95. Sartre schließt sich hiermit an Heidegger an96. b) Das Fürsichsein als zeitliches Sartre zeigt parallel zur allgemeinen ontologischen Analyse der Zeit das Unbefriedigende einer Trennung der zeitlichen Dimensionen beim Subjekt. Das Subjekt muß als die Einheit der drei Dimensionen oder Ekstasen verstanden werden. Es ist mit Sartres Ausdruck „diasporique"97, „gestreut". Nach der populären Auffassung ist die Vergangenheit entweder „nicht mehr", oder hat irgendwie ein Schattendasein98. In beiden Fällen ist die Zeit vom Ansichsein her verstanden. Es läßt sich so nicht zeigen — was phänomenologisch evident ist —, daß die Vergangenheit mir angehört. Die Isolierung der Vergangenheit muß aufgegeben werden zugunsten eines Seinstyps, dem Vergangenheit als Ekstase zukommt. Das menschliche Dasein ist offenbar ein solches Sein, das Vergangenheit hat. Sartre analysiert dies „Haben" näher99. Es bedeutet keine Vergegenwärtigung des Vergangenen; vielmehr „bin" ich meine Vergangenheit und „bin" sie auch nicht, denn ich „war" sie. Ich habe meine Vergangenheit „zu sein". Das Fürsich ist Negation des Ansichseins, das es ist. Die Vergangenheit spielt jetzt die Rolle des Ansichseins100. Sie ist ein Beispielfall für die Beziehung des Fürsich zu seinem Sein. Damit hat die Vergangenheit auch die Charakteristik der Kontingenz. Sie ist meine Faktizität191, ist Substanz102, mein Wesen193. Sartre stellt sich die Frage, wie sich die Forderung nach einer Vergangenheit mit dem Faktum eines Anfangs des Menschen in der Geburt verträgt104. Die Geburt ist für Sartre das „absolute Ereignis" als „Negation des Ansichseins". Nicht hat ein Fürsich schon immer eine Vergangenheit in dem Sinn, daß ihm es selbst „als zum Ansichsein fixiertes Bewußtsein" vorhergeht; vielmehr verbirgt sich in der Vergangenheit als notwendiges Strukturmoment des Fürsich „ein ursprünglicher Bezug des Fürsich zum reinen Ansichsein" als solchen. Indem die Negation ge94
In Anbetracht seines Ansichseinsbegriffes erwägt Sartre nicht die Möglichkeit, den Fürsichseinsbegriff zum universellen Seinsbegriff zu erheben. Mit dieser Annahme brauchte die Zeit nicht auf den Menschen gegründet zu werden. Whitehead hat in seiner Kosmologie — vgl. „Process and Reality" — den Versuch gemacht, die Sukzession (process) allgemein im Universum einzuführen — also ohne Opposition von zeitlichem Subjekt und unzeitlichem Objekt — durch Verwendung des Begriffs der „actual entity", die Fürsidiseinsstruktur hat.
95
Siehe unten S. 82; 84, Anm. 119, und S. 96.
96
Vgl. „Sein und Zeit", § 80.
97
E N 182.
98
E N 152.
99
E N 156 ff.
100 Eisj 162: „Le passé c'est l'en-soi que je suis en tant que dépassé. 101
ebda.
192
E N 163.
193
E N 164.
104
EN
184—6.
81
schieht, ist das Ansich das „Vorher"; das Ansich ist „außer", „hinter*1 dem Fürsich105. Auf Grund der prinzipiellen Identität, die im Begriff „Ansich" zum Ausdruck kommt, kann Sartre das Ansich der Welt und das der eignen Vergangenheit gleichsetzen. Er sagt daher auch, die eigne Vergangenheit werde ein Seiendes in der Welt106. Die Gegenwart ist nicht nur Gegensatz zur Vergangenheit, die nicht mehr, und zur Zukunft, die noch nicht ist, als eine Grenze zwischen ihnen, also ein Nichts. Ihre erste Charakteristik ist das Gegenwärtigen, das Sein bei . . . (présence à .. .)107. „Das Fürsich macht sich zur Präsenz beim Sein, indem es sich zum Fürsich macht108." Das Sein bleibt hiervon unbetroffen. Und doch handelt es sich nicht um eine bloße Koexistenz zweier Seiender, die nur für einen Dritten, einen Zeugen, in Koexistenz stehen, also nur in „externer" Relation verbunden wären. „Das Fürsich ist ursprünglich Präsenz beim Sein, indem es sein eigner Zeuge für Koexistenz ist109." Für die Zukunft gilt das für die Vergangenheit Gesagte entsprechend. Wieder muß eine Seinsbeziehung angenommen werden und kein Repräsentationsbezug. „Die Zukunft ist, was ich zu sein habe, sofern ich es auch nicht sein kann110." Ist das Fürsidi Negation seiner Vergangenheit und des Seins, das es gegenwärtigt — Sartre nennt sie eine „Flucht" —, so ist die Zukunft das Ziel dieser Flucht. Die Zukunft fällt also mit dem Möglichen und dem Ideal des Fürsidi zusammen. Sie ist ein dem Fürsich notwendig zugehöriges Moment; es wäre audi nicht Sein bei der Welt, wenn es nicht zukünftig wäre. Das Fürsich ist über das Sein in doppeltem Sinne hinaus: es flieht das Sein, bei dem es ist, und seine Vergangenheit. Sein Ziel ist wiederum doppelt: es flieht hin zu sich als Möglichem und zum Korrelat dieses möglichen Fürsich (être cofutur). Die Zukunft impliziert also ein Ansich in der Zukunft. Dies versteht Sartre als „Sinn" des Ansich in der Gegenwart; die Welt bekommt eine Zukunftsdimension111. So wenig wie Ideal und Möglichkeit in der Deutung des Fürsich als Mangel kann das Fürsidi als zeitliches seine Zukunft in die Gegenwart überführen. Die Zukunft steht für die Synthese zum Selbst, wird aber 105 E N 184. loa E N 193; «Autrement dit, le Pour-soi tombant au Passé comme ex-présence à l'être devenue en-soi, devient un être , et le monde est retenu dans la dimension passée comme ce au milieu de quoi le Pour-soi passé est en soi ». 107
E N 165. Vgl. Heidegger, „Sein und Zeit" 338.
108
E N 165.
111
E N 171 f. Vgl. dieselbe Verweisung in der Welt im Rahmen der Mangelstruktur, oben S. 76. — Der Unterschied zur Phantasie wird so bestimmt, daß ich zwar auch in ihr ein Fürsidi zu sein habe, aber eines, das nicht auf dem Grund der Welt, wie sie ist, sondern auf dem Grund einer Niditung der Welt, gleichsam neben der Welt, entsteht ( E N 172).
§2
109
E N 166.
110
E N 170.
nicht erreicht. Erreicht wird nur ein vom Zukunftsentwurf „designiertes" Fürsich. Die Zukunft als solche „gleitet in die Vergangenheit..."; „das Fürsich als Gegenwart... ist wiederum Mangel an einer neuen Zukunft 112 ." Die Zukunft ist von der Vergangenheit verschieden, indem diese die Vergangenheit, das Sein ist, das ich bin ohne die Möglichkeit, es nicht zu sein. Die Zukunft dagegen ist ein Sein, das ich nur sein „kann", d. h. sie ist offen, „zeichnet nur den Rahmen vor" für bestimmte Möglichkeiten. Es gibt eine „hierarchische" Ordnung meiner Möglichkeiten; sie entspricht aber nicht der homogenen Abfolge der Zeit als Folge von Augenblicken118. Sartre stellt sich die Frage nach der ontologischen Bedingung für die Dynamik der Zeit114. Ist die Zeitlichkeit bisher nicht nur statisch behandelt, als „Struktur" des Fürsich? Inwiefern hat die Zeitlichkeit reale Bedeutung, wieso dauert ein Fürsich und ist immer neu Gegenwart? Sartre lehnt die Auffassung ab115, wonach Wechsel oder Veränderung ein Bleibendes zur Voraussetzung habe. Hier bestünde ein unüberwindliches Problem der Einheit von Bleibendem und Wechselndem. Die Lösung Sartres ist, daß der Wechsel „absolut" ist, daß das „Wechselnde seinen früheren Zustand im Modus der Vergangenheit" ist. Damit das Fürsich ein solcher absoluter Wechsel ist, braucht sich in der Welt nichts zu verändern. „Das Fürsich hat ohne Veränderung das, was es ist, in der Form des Gewesenseins zu sein." Die Gegenwart muß vergehen, ein Vorher werden, und eine neue Gegenwart muß auftauchen, die sich als Nachher bestimmt. Beides, Vergehen und Auftauchen, sind interdependent. Das eine zieht das andere nach sich. Die Gegenwart verwandelt die alte Gegenwart in Vergangenheit, aber modifiziert dabei das Ganze; Vergangenheit wird Vorvergangenheit, d. h. die Beziehung von Gegenwart und Vergangenheit wird eine Beziehung im Modus des Ansich. Die Zukunft wird durch diese Modifikation nicht verwirklicht; sie wird ideales Ansich, frühere Zukunft einer Vergangenheit. Die fernere Zukunft verliert u. U. den Charakter, meine Möglichkeit zu sein; sie wird frühere Möglichkeit einer Vergangenheit116. Dies Geschehen ließe sich auch verstehen als ein „Ergriffenwerden des Fürsich vom Sein", indem sein Nichts nicht mehr vom Fürsich „unterhalten" werden kann und das Fürsich dem Sein als Qualität anheimfällt. Vergangenheit des Fürsich und Sein der Welt fließen zusammen. Aber dies Zusammenfallen fordert das Auftauchen eines neuen Fürsich. Geschieht dies nicht, so ist es der „Tod", der „Sieg des Ansichseins über das Fürsich"117. 112 116
117
1 1 3 E N 174. 114 E N 188—196. 1 1 5 E N 189. E N 173. Wir sehen, Sartre reproduziert die Husserlsdien Unterscheidungen in den »Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins", z. B. die Protentionen in der Wiedererinnerung. E N 193.
83
Aber haben wir damit die Dynamik in den Griff bekommen? Sind das nicht alles Formulierungen für „statische" Strukturen? Die Frage nach der jeweils neuen Gegenwart ist irreführend, wenn hierbei diese isoliert als Ansich verstanden wird. Wir müssen vom Fürsich ausgehen. Die Erneuerung des Fürsich läßt sich als Spontaneität118 fassen, aber auch dieser Begriff ist verfänglich, wenn die Spontaneität nicht etwas ist, das sich immer wieder aufhebt; sie würde ein Sein. „Ein Fürsich, das sich nicht zeitlich erstreckte, wäre zwar Negation des transzendenten Seins und Nichtung seines eignen Seins... Aber diese Nichtung würde ein Gegebenes, d. h. sie nähme die Kontingenz des Ansich a n ; . . . das Fürsich wäre nicht mehr Grund seines Nichts;" es „wäre". In seiner Flucht ist das Fürsich „Verneinung der Kontingenz, gerade indem es sich als Grund seines Nichts konstituiert". Dabei wird es kontingent als zurückgebliebenes, vergangenes. So ist die Ganzheit nie erreicht, das Fürsich „ist" nie. Das Argument für eine Dynamik der Zeit, für ein Geschehen, ist, daß die Zeitlichkeit eine weitere Dimension darstellt, in der ein „Sein" des Fürsich aufgehoben werden muß. Das Fürsich „flieht" auch vor sich als gegenwärtigem. Die Gegenwart ist immer schon Ubergang zu einer neuen Gegenwart, ist also immer schon genichtete, überschrittene119. Die Dynamik als Setzen einer immer neuen Gegenwart liegt in ihrer Selbstdiremtion. Die Gegenwart ist Negativität, und, um das zu bleiben — sie ist ein „existierendes Prinzip" —, darf sie nicht bleiben, muß sie sich dirimieren. Sartre drückt dies so aus: das Fürsich muß sich negieren, sonst würde es ein Ansich. Das Fürsichsein „flieht" seine Vollständigkeit, verhält sich negativ zu sich als Positivem. Es dirimiert sich als Gegenwärtiges, stößt sich von sich ab, macht das Zurückgelassene zum Ansich, das es nicht istt. Das Ansich ist in beiden Fällen, dem Bezug zur Zukunft und dem zur Vergangenheit, Seinsweise des Fürsich, die negiert ist: im Fall der Zukunft eine Koinzidenz mit sich, die frei, Grund ihrer selbst sein soll; im Fall der Vergangenheit eine Koinzidenz, die pure Kontingenz ist120. Als solche fällt die Vergangenheit logisch mit dem transzendenten Ansich zusammen, das „Umgebung" für das Fürsich ist. Insofern kann Sartre auch, wie wir schon beim Problem des Anfangs sahen, das Ansich als Ansich der Welt und als vergangenes Fürsich identifizieren. Das Ansich der Welt ist immer schon überschrittenes Ansich; insofern koinzidieren vergangenes Fürsich und immer schon zur vergangenen gewordene Welt. Dennoch muß Präsenz beim Ansich vom Bezug zum Vergangenen unter118
E N 194.
119
Entsprechendes gilt für die Präsenz bei der Welt. Insofern ein Ansichsein „Korrelat" der Gegenwart ist und Gegenwart immer schon überschritten wird, Übergang zu neuer Gegenwart ist, ist auch das Präsentierte überschritten. Das Fürsich ist immer über das „Da" hinaus, das „Da" ist Perspektive für die neue Präsenz. 1 2 0 Vgl. E N 164. Vgl. E N 166.
84
sdiieden werden. Dies findet seinen phänomenologischen Ausdruck im „nicht-setzenden" Charakter der Beziehung des Fürsich auf sich im Gegensatz zum „setzenden" Charakter der Präsenz beim Ansich121. (Im Beispiel vom ersten Anfang des Fürsichseins wird dieser Unterschied spekulativ ineinsgesetzt.) Für ein Verständnis der Analyse der Zeitlichkeit in ihrem Verhältnis zur Analyse der „unmittelbaren Strukturen" des Fürsichseins können wir an das bereits oben122 Gesagte anknüpfen, wo wir durch Interpretation von Hegel her den Unterschied andeuteten. Unser Gedanke war dieser: in der Analyse der Zeitlichkeit versteht Sartre die Negativität des Fürsich als Äußerlichkeit. Wird an dieser Bestimmung des Fürsich festgehalten und nicht auch „logisch" zur Synthese (Totalität, Ideal) als einem Dritten fortgeschritten, so ist die Negativität als zeitliche verstanden. Das Fürsich ist immer sich selbst voraus und sich als gewesenem Ansidi gegenüber. Das Ansich ist Vergangenheit, das Fürsich als von der Gegenwart genichtetes, in eines mit seiner vergangenen Welt. (Die Vergangenheit präsentiert hier „logisch" dieselbe Sachlage wie früher das Ganz-Sein des Fürsich bei den unmittelbaren Strukturen 123 .) Das Fürsich nimmt in der Gegenwart sich selbst gegenüber eine Stellung ein; es selbst als „für es" ist Ansichsein, ein Kontingentes in dem Sinn, daß es nicht Grund dafür ist. Die Analyse der Zeitlichkeit liefert die Vervollständigung der Selbstdiremtion des Fürsich, indem nun zu beiden „Seiten" der Gegenwart bzw. des Sich-Gegenwärtigseins eine Fürsichseinstotalität steht. Diese Anpassung an die faktische Zeitlidikeitsstruktur des Subjekts hatte die Analyse des Fürsich als Dasein nicht zeigen können. Wir haben nunmehr eine „fungierende" Zeitlichkeit kennengelernt, eine Struktur des Fürsichseins. Es wären nun auch explizite Phänomene wie Erinnerung, Erwartung und allgemein die Zeit als immanent angeschaute aufzubauen 124 . Diese Gegebenheiten sind für Sartre Leistungen der objektivierenden — ihre Gegenstände zum Ansich machenden — Reflexion. In ihr erscheint eine psychische Zeit und ein psychisches, seiendes Ego125. Im einzelnen unterscheidet Sartre zwei Arten von Reflexion, eine „reflexion pure" und eine „reflexion complice". Letztere stellt die eigentliche Objektivierung der zeitlidien Vorgänge als psychi121 Vgl. oben die Parallele für Möglichkeit und Ziel in der Welt. — Ein in „setzender" Negation objektiviertes Fürsich ist der Andere. Siehe Kapitel V. 122
S. 70 und 75.
123
Zur Unterscheidung des Ansich-Fürsich als Vergangenheit und des Ansich-Fürsich als Ideal sind inhaltliche, existenziale Bestimmungen erforderlich (Möglichkeit, Faktizität). Audi bei Hegel hätte die abstrakte Zeit eine Dimension, aber keine bestimmte Richtung.
124
Für die Zeit als „innerweltliche" siehe unten S. 96.
125
E N 209 f. Vgl. „La transcendance de l'égo" 91 ff. 85
scher dar" 6 ; die erstere ist aus dieser durch eine „Katharsis" zu gewinnen und ist Bewußtsein der drei zeitlichen Ekstasen als nicht-substanzieller Zeitlichkeit127. Sartres Theorie der Reflexion kann hier unberücksichtigt bleiben, denn sie ist im wesentlichen eine Anpassung an die phänomenologische Auffassung von der Reflexion, mit der genannten Besonderheit eines zweiten Reflexionsbegriffs. Ihr dialektisches Problem liegt darin, zu zeigen, wie eine Diremtion des Fürsich möglich ist, die so weit geht, daß innerhalb der Einheit des Bewußtseins eine Oppositon von Subjekt und Objekt stattfinden kann. Diese Opposition ist gegenüber der Negation des Fürsich als Negation seiner selbst ein gleichsam „gedehnterer", „weiterer", Bezug zu sidi selbst; die äußerste Ausweitung des Bezuges zu sich selbst wird die Beziehung zum Andern darstellen. Die ontologische Darlegung der Möglichkeit des Bezuges zu sich in der Reflexion erscheint allerdings eher als eine ontologische „Formulierung" denn als neue Einsicht in seine Möglichkeit. Sie bildet das phänomenologisch Bekannte nach. c) Exkurs über Hegels
Zeitauffassung
Sartres Zeitauffassung hat eine doppelte Grundlage: die phänomenologischen Analysen Husserls und Heideggers einerseits und Hegels Dialektik des Fürsichseins andrerseits. Wir haben oben in unserer Betrachtung des Husserlschen Bewußtseinsbegriffs auch Sartres Stellung hierzu angedeutet. Sartre macht mit Heidegger den Schritt, das Bewußtsein als Seinsbegriff zu fassen, als ein „Dasein", das nicht „intentional" mit seiner Vergangenheit und Zukunft geeinigt ist, sondern diese ekstatisch selbst „ist". Die Ekstasen sind bei Heidegger hermeneutisch aus einem Daseinsverständnis gewonnen; sie sind als Existenzialien inhaltlich gefaßt und nicht formal reduziert. In dieser Frage eines formalen Fundaments knüpft Sartre an Hegel an. Hegel ist nun mit seiner Zeitauffassung nicht unmittelbar Vorbild für Sartre. Zwar ist seine Definition der Zeit: „sie ist das Sein, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist"12* ähnlich der Sartres für das Dasein oder Bewußtsein: „es ist nicht, was es ist, und ist, was es nicht ist"129. Aber dies ist eine zu oberflächliche Parallele. Hegel ist der Philosoph der Bewegung des Begriffs. Aber diese Bewegung ist nichtzeitliche Bewegung. Sie ist kategoriale Bewegung. Hegel zeigt, wie das Sein unter den übergreifenden Gesichtspunkten des gleichgültigen Bestimmtwerdens (qualitatives Sein), der Einheit in der Reflexion (Wesen) und des Sich-Begreifens (Begriff) alle kategorialen Bestimmungen an sich hervorgehen läßt. Wir können bei Hegel etwa die kategorialen Verhältnisse von Zufälligkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit behandelt finden als Bestimmungen der Wirklichkeit. So sieht Hegel, 128
86
EN 206 ff.
127
EN 204 ff.
128
Hegel, Enzyklopädie § 25 8.
128
E N 103, 116.
daß ein Seiendes (auf der Stufe, auf der diese Bestimmungen vorkommen, der der Wirklichkeit) über seine Zufälligkeit hinausgeht, aber an sie gebunden bleibt. Wir finden das Verhältnis von Faktizität und Koinzidenz mit sich (Notwendigkeit) als kategoriales, das sich weiterbewegt zu einer höheren Bestimmung, der der Substanz. Ein Endliches bewegt sich im Rahmen dieser kategorialen Bestimmungen, aber diese zeitliche Bewegung, ein Umschlagen und Sich-Herumtreiben, ist nicht ontologisch eingesehen. Sie verläuft gleichsam „quer" zur dialektischen Fortbestimmung. Verschiedentlich weist Hegel selbst auf sich wiederholende Prozesse hin, die nicht in einer neuen kategorialen Stufe mit sich zusammengehen: so etwa bei der Begierde oder beim äußerlichen Zweck. Die Zeit ist sozusagen der Spielraum für solche Wiederholungen, für ein Herumtreiben zwischen entgegengesetzten Bestimmungen, die im Gang der Dialektik einer neuen kategorialen Synthese Platz machen. Damit ein Wirkliches sich auf seiner Ebene bewegt, muß es, als Reelles, der Sphäre der Äußerlichkeit angehören, in der es dem zeitlichen Außereinander unterliegt. Es ist sich selbst äußerlich, da es nicht mit sich zusammengehen kann in eine höhere Bestimmung. Diese allgemeine Bestimmung der Äußerlichkeit steht gleichgültig den kategorialen Bestimmungen des Wirklichen gegenüber. Äußerlichkeit und Wirklichkeit werden nur „äußerlich" zusammengebracht. Thematisch hat die Zeit ihre Stelle bei Hegel in der Naturphilosophie130. Sie ist die „Negativität, die sich als Punkt auf den Raum bezieht". Als solche ist sie „für sich", setzt aber ihre Bestimmung zugleich in der „Sphäre des Außersichseins"131. Sie „eröffnet eine andere Mannigfaltigkeit des Außersichseins"132. „Sie ist das Sein, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist; das angeschaute Werden133." Hierin liegt, daß sie als Anschauungsform Einheit des Außersichseins ist. Sie ist aber nicht nur für ein Subjekt; „der Unterschied der Objektivität und eines gegen sie subjektiven Bewußtseins (geht sie) nichts an"134. Als Negativität, die für sich ist, ist sie „sich auf sich beziehende Negativität" — ein Nicht-Punkt-Bleiben, Selbstdiremtion —, aber als solche „kontinuierlich", da in dieser Abstraktion noch kein Unterschied ist. Das Reelle entsteht und vergeht nicht „in" der Zeit, „sondern die Zeit ist selbst dies Werden, Entstehen und Vergehen, das seiende Abstrahieren ... Das Reelle ist wohl von der Zeit verschieden, aber ebenso wesentlidi identisch mit ihr. Es ist beschränkt, und das Andere zu dieser Negation ist außer ihm; die Bestimmtheit ist also an ihm sich äußerlich, und daher der Widerspruch seines Seins; die Abstraktion dieser Äußerlichkeit ihres Widerspruchs und der Unruhe desselben ist die Zeit selbst. Darum ist das Endliche vergänglich und zeitlich, weil es nicht, wie der Begriff an ihm selbst die totale Negativität ist, sondern diese als sein allgemeines Wesen, zwar in sich hat, aber ihm nicht gemäß, einseitig ist, daher sich zu derselben als zu seiner Macht verhält" 135 . 130 132 134
131 Hegel, Enzyklopädie §§ 257—259. ebda. § 257. 133 N. Hartmann, „Hegel" 289. Hegel, Enzyklopädie § 258. 135 ebda. ebda.
87
Die Zeit ist die „Abstraktion... der Unruhe (des Reellen)" 136 . Was in der abstrakten Fassung der Zeit Negation des Raumes als sich imPunkt dirimierendes Fürsich ist, ist hier beim Reellen das Beschränkte als solches. Das Andere — hier formal „das Andere zu dieser Negation" (der Beschränkung) — ist „außer ihm"; die Bestimmtheit „also an ihm sich äußerlich .. ." 13T . Das Dauern und Werden als konkrete Zeit wäre also die Bezogenheit des Reellen auf sein Anderes, ohne daß es eine Koinzidenz mit ihm und damit eine höhere Bestimmung erreicht. Das Andere ist das Reelle selbst als sich äußerlich. Ein Reelles ist also mit dem modernen Ausdruck „ekstatisch", es selbst als ihm Äußerliches gehört ihm an138. „In der Natur", so sagt Hegel, ist die Zeit „Jetzt". „Die Vergangenheit aber und Zukunft der Zeit als in der Natur seiend, ist der Raum . . . 139 ". Einerseits geht „die Zeit der Unterschied der Objektivität und eines gegen dieselbe subjektiven Bewußtseins nichts an", andrerseits, „wenn diese Bestimmungen auf Raum und Zeit angewendet werden, so wäre der Raum die abstrakte Objektivität, diese (die Zeit) aber die abstrakte Subjektivität" 140 . Nur im Subjekt „besteht" der Unterschied der zeitlichen Dimensionen Gegenwart, Zukunft, Vergangenheit; „sie sind notwendig nur in der subjektiven Vorstellung, in der Erinnerung und in der Furcht oder Hoffnung""1. „Die Zeit ist dasselbe Prinzip als das Ich = Ich des reinen Selbstbewußtseins, aber dasselbe oder der einfache Begriff noch in seiner gänzlichen Äußerlichkeit und Abstraktion1«."
Die Zeit wird also unterschieden in eine dimensionierte Zeit des Subjekts und in ein nunc stans der Natur. Das Subjekt ist in einem eminenten Sinn zeitlich. In ihm erscheint die Zeit. Hegel faßt die Dimensionen der Zeit als „das Werden der Äußerlichkeit als solches und dessen Auflösung in die Unterschiede des Seins als des Übergehens in nichts und des Nichts als des Übergehens in Sein" 148 . „Das unmittelbare Verschwinden dieser Unterschiede in die Einzelheit ist die Gegenwart als Jetzt, welches als die Einzelheit ausschließend und zugleich schlechthin kontinuierlich in die anderen Momente (übergehend), selbst nur dies Verschwinden seines Seins in nichts und des Nichts in sein Sein ist 144 ." „Die endliche Gegenwart ist das Jetzt als seiend f i x i e r t . . . als die konkrete Einheit.. . 1 4 V »*• ebda.
187
ebda.
138
Das Reelle kann definiert werden als sich „äußerlich", da es im System in die N a tur (als das Anderssein der Idee) fällt. Dadurch ist auch das finale Moment des Mit-Sich-Zusammenfallen-Sollens (im Geist) angelegt. Die Diremtion des Reellen läßt sich aus dem System nidit lösen.
139
ebda. § 259. — Dies entspricht der Zeitlosigkeit des Ansidi bei Sartre.
140 Hegel, Enzyklopädie § 258. 141
ebda. § 259.
142
ebda. § 258.
144
ebda.
145
ebda.
88
143
Hegel, Enzyklopädie § 259.
Hegel hat den Gedanken, daß die Zeit die Zeitlichkeit des Reellen ist. Der Akzent liegt auf einem Werden und Vergehen — das Endliche ist der Negativität wie einer Macht unterworfen; aber darin liegt das strukturelle Moment, daß das Endliche im Werden immer mit dem ihm Äußerlichen als seinem Sein zusammengehen will. Dies Werden ist für Hegel allgemein Charakteristikum der Endlichkeit und nicht Charakteristikum eines gewissen Endlichen mit einer ekstatischen Einheit, des menschlichen Daseins, wenn dies auch in der Affinität der Zeit zur Subjektivität und zum Begriff von Hegel gesehen ist. Die Zeit ist „der Begriff selbst, der da ist"1**, und der Geist „erscheint so lange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfaßt, d. h. nicht die Zeit tilgt"147. Hegels Auffassung von der Zeit knüpft also an das Grundschema der Dialektik des Geistes an, sie ist der unvollkommene Begriff. Aber damit ist sie unspezifisch, nicht Zeitlichkeit des Menschen, denn das Grundschema der Dialektik ist ein universelles. So kommt Heidegger zu seiner Kritik an Hegel: „Hegel zeigt die Möglichkeit der geschichtlichen Verwirklichung des Geistes ,in der Zeit' im Rüdegang auf die Selbigkeit der formalen Struktur von Geist und Zeit als Negation der Negation. Die leerste, formal-ontologische und formal-apophantische Abstraktion, in die Geist und Zeit entäußert werden, ermöglicht die Herstellung einer Verwandtschaft beider. Weil aber doch zugleich die Zeit im Sinne der schlechthin nivellierten Weltzeit begriffen wird, und so ihre Herkunft vollends verdeckt bleibt, steht sie dem Geist als ein Vorhandenes einfach gegenüber. Deswegen muß der Geist allererst ,in die Zeit' fallen1**."
Ist die Verwandtschaft von Geist und Zeit auf Grund einer formalen Selbigkeit für Heidegger ein Punkt der Kritik, so scheint Sartre gerade hierin eine Anregung empfangen zu haben. Das menschliche Dasein ist zeitlich, weil es Negativität ist. Sartre versucht, Heideggers inhaltlich verstandene Zeitlichkeit mit dieser abstrakten Zeitlichkeit zusammenzudenken. Möglichkeit und Faktizität, Zukunft und Vergangenheit sind Selbstdiremtionen des Fürsichseins, die Selbstdiremtion ist der Grund für die Existenzialzeit. Hierin ist aufgenommen Hegels Gedanke, daß die Zeit die defiziente Form der Unendlichkeit, des sich erfassenden Begriffs ist. Dem Fürsich schwebt seine Koinzidenz mit sich ständig vor. Bei Hegel wie bei Sartre ist das Endliche vom Unendlichen her zu sehen. Nur kennt Sartre keine kategoriale Dialektik des Geistes, in der dieser sich letztlich „erfassen" kann. Es ist klar, daß Sartre die Mängel der Hegeischen Zeitauffassung teilt, ja sie noch verschärft. Wir sagten, bei Hegel verlaufe die Zeit gleichsam „quer" zur dialektischen Fortbestimmung. Sie ist ihrerseits, wie diese, durch das logische Mittel der Negation dargestellt, und so legt sich diese schlecht-unendliche Progression unvermittelt „über" den jeweiligen Begriff des Reellen, der in der kategorialen Progression seine Stelle hat. 146
Hegel, Phänomenologie des Geistes 558.
147
ebda.
148
Heidegger, „Sein und Zeit" 435.
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Bei Sartre gibt es nun keine solche inhaltliche Progression, sondern nur existenziale Horizonte und die zeitliche Progression. Aber auch ihm gelingt es offensichtlich nicht, mit dem logischen Mittel der Negation die Zeit abzuheben von andern negativ verstandenen Bezügen, oder die Negation als zureichende Bedingung der Zeitlichkeit aufzuzeigen. Das Unspezifische der Theorie tritt klar zutage. Hegel kann die Zeit noch in eine kategoriale Progression einordnen: sie folgt auf den Raum. Sie ist durch ihre Stelle im System gehalten. Bei Sartre sind die Negationsbezüge nur verschieden „interpretabel". In der Abstraktion der Darstellung ist schließlich auch die Zeitlichkeit als Struktur nicht von der geschehenden Zeit zu trennen. In der Dialektik von Ansich und Fürsich ist das Faktische, Reale nicht anders faßbar. 4. DAS FÜRSICHSEIN ALS T R A N S Z E N D I E R E N
Wir sagten oben149, Sartre gehe zwei Wege, den einer Entfaltung des Fürsichseins in einer „subjektiven Logik", und den einer Entfaltung der Opposition des Fürsichseins als eines transzendierenden Bewußtseins. In dieser Zweiheit, in diesem Nacheinander der Untersuchungen, entsteht der Eindruck einer Nachordnung der Intentionalität gegenüber dem Fürsichsein. Dies ist von Sartre nicht beabsichtigt150. Die Konstruktion der Intentionalität weist aber dennoch in diese Richtung. Wir haben schon innerhalb der unmittelbaren Strukturen den Bezug des Fürsichseins zur Welt kennengelernt. Sein „Sein bei der Welt" (présence au monde) lag schon in der Faktizität; es wurde präzisiert als Ekstase der Gegenwart in der Analyse der Zeitlichkeit. Das Transzendieren zur Welt ist also schon in der Instantaneität zu betrachten. Sie ist auch hier wiederum der Ausgangspunkt, der sich dann im folgenden konkretisiert zum vollen Selbst. a) Der Grundbezug zum Sein Nadi der spekulativen Darstellung war das Fürsich das Auftaudien eines Nichts im Sein. Das Ansich wurde so Fürsichsein. Das Nichts ist aber noch kein angemessener Subjektsbegriff. Das zeigte sich schon an der Zweideutigkeit, die in diesem lapidaren Modell lag: das Subjekt ist ein Nichts gegenüber dem Sein, aber es ist auch selbst Sein, denn das Nichts ist als solches nicht, so daß es Negation des Seins, Beziehung zum Sein sein könnte. Das Subjekt ergab sich daher als ein Nichts, das vom Sein unterhalten ist; das Subjekt hat sein eignes Sein, ist ein eigner Seinstyp, ein Sein mit einem Nichts, Sich-Gegenwärtigsein. Gestützt auf den phäS. 63 f. 150 Vgi E N 165 f.: „ . . . on ne saurait concevoir un type d'existant qui serait Pour-soi pour ¿tre en suite présent à l'être".
149
90
d'abord.
nomenologischen Begriff des Bewußtseins konnte Sartre sagen, daß jedes Bewußtsein Bewußtsein von etwas sei, ein Sich-Gegenwärtigsein also immer Sich-Gegenwärtigsein eines Bezuges zum Sein sei. Ontologiscli war der Bezug als Negation verstanden. Wie läßt sich dieser Bezug nun vom Sich-Gegenwärtigsein aus dartun? Nun nicht mehr als lapidare These, daß das Bewußtsein Negativität sei, sondern als Klärung eines Bezuges von einem seienden Bewußtsein zum Sein? Sartres Ziel muß sein zu zeigen, daß das Fürsich, weil es Negation seiner selbst ist, auch Bewußtsein von etwas ist151. Sartre geht folgenden Gedankengang. Das Sich-Gegenwärtigsein ist eine „phantomhafte Zweiheit" von Schein und Widerschein. Es ist die ideelle Sphäre des Fürsich. Wäre nun jedes der beiden Momente nur „um des andern willen", so fielen sie ins Nichts. Andrerseits, wenn der Schein „etwas" wäre, gäbe es in dieser Sphäre des reinen Sich-Erscheinens ein „Ansich", und das Fürsich wäre zerstört. Soll der Schein Schein von etwas sein152, aber nicht Ansich sein, so muß er sich durch ein „ihm gegenüber Anderes" bestimmen. Der Schein „reflektiert sich" als Beziehung zu einem Draußen, das er nicht ist. Darin liegt, daß Wahrgenommenes, aber auch Erlebtes (z. B. eine Freude) „draußen" an den Dingen erlebt wird158. Die ideelle Sphäre ist leer undenkbar, der Schein muß Schein von etwas sein. Aber ist er nicht nur Schein von psychischem Sein? Zwar hatte Sartre die Idee eines Bewußtseins allein in der Immanenz durch Hinweis auf die phänomenologische Sachlage und durch ontologische Deutung abgewiesen; soll Bewußtsein konstruiert werden, so muß es über sich hinausgelangen. Aber wir bemerken doch eine Schwierigkeit, die gerade den wichtigen Punkt des Verhältnisses von Immanenz und Transzendenz berührt, denn das Subjekt ist beides, genichtetes psychisches Sein und Sein bei der Welt. Sartre will dem Problem entgehen, daß das Subjekt eine Repräsentation des Gegenstandes in sich enthält. Daher faßt er das Sich-Gegenwärtigsein als reine Negativität oder als Phantom. Andrerseits ist das Fürsich ein „Sein" eignen Typs, genichtetes psychisches Sein. Die Lösung soll darin liegen, daß der Schein Negation des Seins ist, von dem er Schein ist, und durch das bestimmt wird, was er nicht ist154. Das Sein umgibt midi, und ich bin nur durch die Negation, mit der mein Sich-Gegenwär151
EN 269: „ . . . tout se passe en effet comme si le Pour-soi, par sa néantisation même, se constituait en ,conscience d e . . L e Pour-soi par sa négation de soi devient affirmation de l'En-soi".
152
EN 221: „quelque chose à refléter".
153
Vgl. E N 222.
154
EN 223: » . . . le pour-soi ne peut être que sur le mode d'un reflet se faisant refléter comme n'étant pas un certain être".
7
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tigsein alles Sein von sich ausschließt, von ihm getrennt und damit mit ihm verbunden155. Welcher Art ist diese Negation? Sie hat eine doppelte Aufgabe. Sie macht, daß Sein für das Fürsich „da" ist; das Fürsich ist ekstatisch in es versenkt156. Das, was in dieser Relation steht, das Subjekt als anschauendes, erkennendes, ist Negation des Seins. Das Subjekt ist damit zunächst allgemein bestimmt. Aber das Fürsich ist auch jeweils die Negation des bestimmten Seins: ist das Sein als „ausgedehntes" enthüllt, so ist das Fürsich sich als „unausgedehnt" gegeben157. Die Enthüllung einer Bestimmtheit des Seins ist begründet in eben derselben Negation, die das Fürsich ist158. Indem durch die Negation des Fürsich ein Ding „da" ist, ist es bestimmtes, oder richtiger, indem „Sein" für das Fürsich „da" ist, ist es bestimmtes Ding. Beides, das Sich-Absetzen des Fürsich und das ZugangHaben zum Sein liegen in der Negation. So ist der Negationsbezug zum Sein einerseits positiver Bezug, Haben von Sein, „Affirmation" 159 , andrerseits ist er negativer Bezug, indem das Fürsich das Andere nicht ist. Die Negation ist nicht synthetische, bestimmte Negation wie in Hegels kategorialer Dialektik, sondern formelle Negation. Das Fürsich ist transzendierendes Bewußtsein, indem es seine Gegenstände von sich ausschließt. Insofern kommt dem Bewußtsein nur die formelle Identität und abstrakte Allgemeinheit zu. Und doch ist diese Negation für das Bewußtsein konstitutiv; sie ist „interne" Negation180. Und zwar auf dieser vorläufigen Ebene der Analyse zunächst abstrakte Beziehung zum Sein; konkret ist erst der Bezug des vollen Selbst, mit Einschluß seiner existenzialen Strukturen, zum Sein. Ist nicht aber der Schein (reflet) doch inhaltlich bestimmt, und also „etwas" für das Bewußtsein? Das Bewußtsein negiert seinen Schein, aber ist damit das Transzendieren vom Subjekt aus dargetan? Ist der immanente Schein nicht als das unmittelbar Gegebene denkbar? Etwa wie in Hegels Darstellung der Immanenz als fühlender Seele161? Würde so nicht das ekstatische Transzendieren zunichte? Man könnte sagen, der Schein stelle eine Vermittlung dar. Einerseits ist er inhaltlich bestimmtes Moment der Immanenz, des Sich-Gegenwärtigseins, andrerseits ist er „reflektiert" auf das Sein „draußen", das das 155
Y G I E J S J 269 : « Mais cet être qui