Grundzüge der Sprachtheorie: Eine linguistische Einführung [Reprint 2016 ed.] 9783110935899, 9783484220324


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German Pages 212 Year 1983

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Erstes Kapitel. Sprachwissenschaft und Sprachtheorie
1. Sprachwissenschaftliche Ausgangspunkte
2. Der Begriff >Sprachtheorie< in der neueren Sprachwissenschaft
3. Sprachtheorie und Grammatiktheorie
4. Sprachtheorie und Sprachveränderungstheorie
5. Sprachtheorie und Sprachklassifikation
Zweites Kapitel. Zur Theorie der Sprachsysteme
1. Sprachtheoretische Ausgangspunkte
2. Phonologie
3. Morphologie
4. Lexikologie
5. Syntax
Drittes Kapitel. Aspekte der Sprachveränderungstheorie
1. Vorbetrachtung
2. Phonologische Veränderung
3. Morphologische Veränderung
4. Lexikalische Veränderung
5. Syntaktische Veränderung
Schlußbemerkungen
Literaturverzeichnis
Namenregister
Sachregister
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Grundzüge der Sprachtheorie: Eine linguistische Einführung [Reprint 2016 ed.]
 9783110935899, 9783484220324

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Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Klaus Baumgärtner

Renate Bartsch Theo Vennemann

Grundzüge der Sprachtheorie Eine linguistische Einführung

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1983

Unveränderte Studienausgabe der Auflage 1982

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bartsch, Renate: Grundzüge der Sprachtheorie : e. linguist. Einf. / Renate Bartsch ; Theo Vennemann. Unveränd. Studienausg. d. Aufl. 1982. - Tübingen : Niemeyer, 1983. (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 32) N E : Vennemann, Theo:; G T I S B N 3-484-22032-j

I S S N 0344-6735

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1983 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag G m b H , Kempten.

Inhalt

VORWORT

:

VII

ERSTES K A P I T E L

Sprachwissenschaft

und Sprachtheorie

i

1

Sprachwissenschaftliche Ausgangspunkte

2

2

D e r Begriff >Sprachtheorie< in der neueren Sprachwissenschaft

5

3

Sprachtheorie und Grammatiktheorie

7

4

Sprachtheorie und Sprachveränderungstheorie

15

5

Sprachtheorie und Sprachklassifikation

20

ZWEITES K A P I T E L

Zur Theorie der Sprachsysteme

37

1

Sprachtheoretische Ausgangspunkte

38

2

Phonologie 2.1 Theorie der Lautstruktur 2.2 Skizze einer wortphonologischen Theorie

46 46 66

3

Morphologie

86

4

Lexikologie 4.1 Probleme der Lexikologie 4.2 Wortbedeutungslehre 4.3 Wortbedeutungen in der Lexikographie

94 94 99 113

5

Syntax 5.1 Die Kategorialgrammatik in der heutigen Linguistik 5.2 Grundsätzliches zur kategorialen Syntax 5.3 Kategoriale Syntax und Semantik 5.4 Kategoriale Syntax und Oberflächenstruktur 5.5 Syntax, Semantik und Pragmatik

118 119 122 124 134 139

DRITTES KAPITEL

Aspekte der Sprachveränderungstheorie

145

1

Vorbetrachtung

146

2

Phonologische Veränderung

149

3

Morphologische Veränderung

154

4

Lexikalische Veränderung 4.1 Voraussetzungen der lexikalischen Veränderung 4.2 Gewinnung neuer Wörter 4.3 Wortbedeutungsveränderung

162 162 I6J 169

5

Syntaktische Veränderung

177

SCHLUSSBEMERKUNGEN

181

Literaturverzeichnis

183

Namenregister

197

Sachregister

200

VI

Vorwort

Die menschliche Sprache ist Untersuchungsgegenstand mehrerer Disziplinen. In dem von uns herausgegebenen Band Linguistik und Nachbarwissenschaften, Kronberg/Ts., 1973 kommen Vertreter von siebzehn Disziplinen zu Wort. (In der englischen Ausgabe Linguistics and Neighhoring Disciplines, Amsterdam, 1975 kommt eine achtzehnte hinzu.) Eine Einführung in die Sprachtheorie, die den Ansprüchen aller an der Sprache interessierten Disziplinen genügt, kann es wegen des großen Umfangs des Gebiets und der sehr unterschiedlichen Erkenntnisinteressen nicht geben: Grundzüge der Sprachtheorie stellen notwendigerweise ganz verschiedene, wenn auch einander überschneidende Ausschnitte des Gebiets dar, je nach der Disziplin, deren Interessen mit Vorzug berücksichtigt werden sollen. Daß darüber hinaus auch verschiedene Vertreter ein und derselben Disziplin die Grenzen verschieden ziehen werden, bedarf kaum der Erwähnung. Dies ist eine linguistische Einführung in die Sprachtheorie und nicht - um nur vier Alternativen zu nennen - eine kommunikationstheoretische, philosophische, psychologische oder soziologische. Die behandelten Ausschnitte der Sprachtheorie sind an den spezifischen Interessen der Linguistik orientiert und nicht an denen der Kommunikationstheorie, der Philosophie, der Psychologie bzw. der Soziologie. Eine kommunikationstheoretische Einführung in die Sprachtheorie würde sich z.B. auf Zusammenhänge zwischen Strategien der Interaktion, wie sie in einer allgemeinen Interaktionstheorie bestimmt werden, und der Verwendung bestimmter sprachlicher Formen und Strukturen konzentrieren, etwa bestimmter Lexeme (Partikeln), syntaktischer Konstruktionstypen und Intonationsmuster. Eine philosophische Einführung in die Sprachtheorie würde u. a. die folgenden Themen in den Mittelpunkt stellen: die Bedeutung natürlich-sprachlicher Ausdrücke im Rahmen einer allgemeinen Bedeutungstheorie; die Erklärung des kognitiven Bedeutungsbegriffs auf der Basis des Wahrheitsbegriffs; die Unterscheidung mehrerer Korrektheitsbegriffe mit dem Ziel der Erstellung einer Typologie kommunikativer Normen; die Interpretation von Äußerungen in theoretischen und praktischen Zusammenhängen; die Ableitung spezieller Sprechaktbedingungen aus Prinzipien der Zielgerichtetheit und Zieladäquatheit kommunikativer Handlungen, letztlich aus dem allgemeinen Rationalitätsprinzip, mit dem Kooperationsprinzip als ableitbarem Sonderfall; Spekulationen über den Ursprung der Sprache und über den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken. Eine psychologische Einführung in die Sprachtheorie würde z.B. Zusammenhängen zwischen sprachlichen Strukturen und Lexemen einerseits und dem DenVII

ken und der Perzeption von Situationen andererseits besonderes Augenmerk schenken, sowie ferner der sprachlichen Vermittlung von Information, der Rolle des Gedächtnisses bei der Textverarbeitung und -reproduktion und insbesondere auch dem Spracherwerb und den Sprachstörungen. Eine soziologische Einführung in die Sprachtheorie würde sich vor allem erstens f ü r die Rolle der Sprache im Rahmen einer empirischen Interaktionstheorie interessieren, nämlich den Gebrauch der Sprache bei der Interaktion in A b hängigkeit von sozialen Strukturen von Kleingruppen und größeren sozialen Einheiten (Mikrosoziologie), und zweitens für quantitative, statistisch zu erfassende Zusammenhänge zwischen Sprach- und Kommunikationsformen einerseits und sozialen Parametern wie Schichtzugehörigkeit, Alter und G e schlecht andererseits (Makrosoziologie); unter sozialpsychologischem Gesichtspunkt würde sie sich vor allem mit der Beeinflußbarkeit von Menschen durch den Sprachgebrauch befassen (Manipulation durch Sprache, Sprache in der Werbung, Sprache in der Politik, Sprache in den Massenmedien). Bis zu einem gewissen Grad sind alle diese Gesichtspunkte auch f ü r die Linguistik relevant, und einige kommen durchaus in diesem Buch zur Sprache. Darüber hinaus aber hat die Linguistik ihre eigenen Erkenntnisziele, deren Verfolgung ihr von keiner anderen Disziplin abgenommen wird und durch die sie sich überhaupt als eine eigene Wissenschaft konstituiert - im Gegensatz zu einem interdisziplinären Unternehmen mehrerer anderer Wissenschaften. Dies sind E r kenntnisziele, die w i r in Linguistik und Nachbarwissenschaften unter der Frage »Was ist Linguistik?« (S. i6ff.) charakterisiert haben. Sie betreffen sämtlich in erster Linie den Systemcharakter von Form und Verwendung sprachlicher A u s drücke und in zweiter Linie die Veränderlichkeit sprachlicher Zusammenhänge in der Zeit. Für die Linguistik ist Kerngebiet und Ausgangspunkt der Sprachtheorie die Theorie der Sprachsysteme, also gerade derjenige Ausschnitt der Sprachtheorie, der f ü r die anderen Disziplinen nicht zentral ist, den sie vielmehr - bei genauer Betrachtung - immer schon voraussetzen. Ahnliches gilt f ü r die Theorie der Sprachveränderung, sofern sich nämlich die anderen Disziplinen überhaupt für sie interessieren. Für uns als Linguisten ist die zentrale Rolle der Sprachsystemtheorie und der Sprachveränderungstheorie innerhalb der Sprachtheorie maßgeblich; sie bestimmt A u f b a u und Inhalt unseres Buches. Einige Partien des Buches sind - teils in kürzerer Form - in der i . Auflage des Lexikons der germanistischen Linguistik, hrsg. von H . P. Althaus, H . Henne und H . E . Wiegand, Tübingen, 1980 erschienen. Wir danken den Herausgebern sowie dem Verleger, Herrn R. Harsch-Niemeyer, für die freundliche Genehmigung des Wiederabdrucks. Das Manuskript wurde im Juli 1980 abgeschlossen. Die bibliographischen Angaben wurden bei der Korrektur ergänzt. R. B „ T . V .

VIII

Erstes Kapitel

Sprachwissenschaft und Sprachtheorie

i

Sprachwissenschaftliche Ausgangspunkte

Wie jede empirische Wissenschaft beschäftigt sich die Sprachwissenschaft mit einem Bereich von Phänomenen in der wirklichen Welt mit dem Ziel der Erkennung und Formulierung von Gesetzmäßigkeiten. Der Phänomenbereich der Sprachwissenschaft ist die menschliche Sprache in allen ihren Bezügen. Aspekte, unter denen Sprache im Rahmen der Sprachwissenschaft studiert wird, sind: physisch-psychische Grundlagen der Sprachproduktion und -perzeption, strukturelle Eigenschaften, kommunikative Funktion der Sprache, soziale Bedingungen und Konsequenzen der Sprachverwendung, geographische Verteilung und politische Bedingtheit von einzelsprachlichen Sprachbesonderheiten sowie von verschiedenen Sprachen, Sprachveränderung u. a. m. Unter diesen Aspekten unterteilt sich die Sprachwissenschaft in Teildisziplinen: Phonetik, Phonologie, Syntax, Semantik, Pragmatik, Psycholinguistik, Soziolinguistik, Dialektologie, historische Sprachwissenschaft, vergleichende Sprachwissenschaft u. a. m. Die Daten (das Beobachtungsmaterial) der Sprachwissenschaft sind konkrete Sprachverwendungsereignisse. Aus diesen werden durch Vergleichung unter den verschiedensten Aspekten Klassen oder Typen von Sprachverwendungsereignissen festgestellt, z.B. die Typen der Versprechen, der Fragen, der Befehle unter dem Aspekt der sozialen Bedingungen und Konsequenzen. Durch diesen Prozeß der Abstraktion werden sprachwissenschaftliche Objekte gewonnen, die nicht mehr wie die Daten konkret, sondern »typisch« (Idealisierungen) sind. Sprachwissenschaftliche Aussagen sind Aussagen über diese sprachwissenschaftlichen Objekte, z.B. über (den Typ der) Fragen. Aus sprachwissenschaftlichen Aussagen können Aussagen über konkrete Sprachverwendungsereignisse deduktiv abgeleitet werden. Z.B. wäre eine sprachwissenschaftliche Aussage, daß zu den Verwendungsbedingungen für Fragen (wobei wir Scheinfragen, z.B. Prüfungsfragen, ausschließen wollen) gehört, daß der Fragende das Erfragte nicht bereits weiß. Hieraus folgt für das einzelne Sprachverwendungsereignis, das darin bestehe, daß einst ein gewisser Peter einen gewissen Paul fragte, ob Paul bereits gefrühstückt habe, daß Peter nicht wußte, ob Paul bereits gefrühstückt hatte - allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die angedeuteten Normalbedingungen für das Stellen von Fragen erfüllt sind. Das Ziel der Sprachwissenschaft ist es, wahre sprachwissenschaftliche Aussagen zu formulieren. Nach der bisherigen Bestimmung des Ziels der Sprachwissenschaft gehören Aussagen über einzelne sprachwissenschaftliche Objekte, wie z.B. eine Strukturbeschreibungsaussage über den Satz Die Dame schläft, zur Sprachwissen2

Schaft. Jedoch werden an eine Wissenschaft andere Aufgaben gestellt als die, einen Katalog solcher Einzelaussagen zu erstellen. Solche Einzelaussagen müssen vielmehr ihrerseits aus einer bestimmten begrenzten Menge von Einzelaussagen als Anfangsaussagen deduktiv (logisch) mit Hilfe einer bestimmten begrenzten Menge von Allgemeinaussagen ableitbar sein. So ist z.B. die sprachwissenschaftliche Einzelaussage »Die Dame schläft ist ein Satz« aus der folgenden Menge von Einzelaussagen und Allgemeinaussagen deduktiv ableitbar. (Vgl. hierzu Wang 1968, 1972). A. Anfangsaussagen. (a) Die ist ein Artikel. (b) Dame ist ein Nomen. (c) schläft ist ein Verb. B. Allgemeinaussagen. (d) Wenn x ein Artikel und y ein Nomen ist, dann ist xy ein Nominalausdruck. (e) Wenn x ein Nominalausdruck und y ein Verb ist, dann ist xy ein Satz. Hiermit läßt sich die Einzelaussage »Die Dame schläft ist ein Satz« wie folgt ableiten. Diese Ableitung kann zugleich als ein Konstruktionsprozeß für den Satz Die Dame schläft betrachtet werden, dessen schriftliche Darstellung eine Strukturbeschreibung des Satzes ist. (1) (2) (3) (4) (5)

Die ist ein Artikel Dame ist ein Nomen Die Dame ist ein Nominalausdruck schläft ist ein Verb Die Dame schläft ist ein Satz

nach nach nach nach nach

(a) (b) (i,2,d) (c) (3,4,e)

Diese Strukturbeschreibung läßt sich in eine graphische Darstellung, einen sogenannten Strukturbaum, überführen, aus dem sich die Strukturbeschreibung ihrerseits zurückgewinnen läßt: Satz

Artikel

Nomen

Die

Dame

I

I

Verb

I

schläft

Es ist einerseits offensichtlich, daß die obigen Allgemeinaussagen (B) Vereinfachungen darstellen, da z.B. von Kasus, Numerus und Subjekt-Verb-Kongruenz abgesehen ist. Andererseits verdeutlicht das Beispiel bei aller Kürze doch die Möglichkeit der Ableitung von sprachwissenschaftlichen Aussagen, denn die Allgemeinaussagen (d) und (e) erlauben es, den Satzcharakter einer sehr großen Zahl von Wortfolgen nachzuweisen, so von Die Katze frißt, Der Herr lächelt, indem entsprechende Anfangsaussagen zu (A) hinzugefügt werden. Die Ableitungsbeziehung zwischen wissenschaftlichen Aussagen ist das Merkmal einer Theorie im Unterschied zu einem bloßen Katalog von Aussagen. 3

Aus einem Katalog ist eine Aussage nicht ableitbar, sondern nur mittels einer Durchsicht des Katalogs als durch den Katalog erfaßt nachweisbar. Das Katalogverfahren wäre für die Sprachwissenschaft schon deswegen ganz besonders unangemessen, weil bereits die Aussagen des Typs »So-und-so ist ein Satz (der deutschen Sprache)« nicht vollständig katalogisiert werden könnten, da ein Katalog endlich ist (abbrechen muß), die Menge der Sätze einer Sprache aber unbegrenzt ist. Es ist ja gerade charakteristisch für die Sprachbenutzung, daß neue, nie zuvor gehörte oder geäußerte Sätze - etwa solche, mit denen man ganz neuartige Sachverhalte, sowohl wirklich bestehende als auch ausgedachte, darstellt - geäußert und verstanden werden (Chomsky passim, z.B. 1957, 18; 1966, 10). Das Ziel der Sprachwissenschaft muß es also sein, eine Theorie zu erstellen, die es erlaubt, aus einer endlichen Menge von Anfangsaussagen und Allgemeinaussagen alle übrigen Aussagen über die menschliche Sprache deduktiv abzuleiten. Da die Erstellung einer derart umfassenden Theorie der Sprache - die man eine vollständige Sprachtheorie nennen könnte - beim derzeitigen Stand der sprachwissenschaftlichen Erkenntnis nicht möglich ist, begnügen sich Sprachwissenschaftler damit, einerseits mehr oder minder vollständige Teiltheorien, andererseits mehr oder minder vollständige spezialisierte Theorien aufzustellen. So wäre z.B. eine phonologische Theorie, d.h. eine Theorie der lautlichen Eigenschaften aller Sprachen, eine Teiltheorie einer Sprachtheorie. Hingegen wäre eine Grammatik einer Einzelsprache, z.B. des Deutschen, eine Spezialisierung einer Sprachtheorie (oder eines Teils einer Sprachtheorie), im Rahmen derer sie als formuliert zu denken wäre, auch wenn diese selbst noch nicht explizit formuliert ist. Wir erwähnen, daß es nicht nur eine vollständige Sprachtheorie, sondern auch vollständige Teiltheorien (z.B. eine vollständige phonologische Theorie) und vollständige Grammatiken (z.B. eine vollständige Grammatik des Deutschen) - oder auch nur eine vollständige auf eine Einzelsprache spezialisierte Teiltheorie einer Sprachtheorie (z.B. eine phonologische Theorie des Deutschen) - noch nicht gibt. Die Frage, wie die Anfangsaussagen und die Allgemeinaussagen der Sprachtheorie - oder irgendeiner Teiltheorie - gewonnen werden, gehört zur Methodologie der Sprachwissenschaft. Hierzu gehört die Erstellung eines empirisch begründeten (d. h. durch Beobachtung abgestützten) Begriffsapparates (vgl. hierzu Carnap 1956b), der in den Anfangsaussagen und Allgemeinaussagen verwendet wird. Z.B. gehen in die obige Anfangsaussage (A.a), »Die ist ein Artikel«, der >Beobachtungsbegriff< »die« und der theoretische Begriff< »Artikel« ein. Sowohl die Begriffsbildungen als auch Aussagen, insbesondere Allgemeinaussagen, haben in einer empirischen Theorie wie der Sprachtheorie hypothetischen Charakter, d.h. sie sind bei fortschreitender Erkenntnis revidierbar und evtl. gänzlich ersetzbar. (Vgl. Popper 1935 zur Hypothesenbildung und Kuhn 1970 zum Phänomen der Theorierevision und -ersetzung.) So wird vielfach die Einführung der Transformationsgrammatik durch N . Chomsky (1957) als einer Teiltheorie der Sprachtheorie als Ablösung entsprechender strukturalistisch-deskriptivistischer Teiltheorien aufgefaßt, obgleich wesentliche Hypothesen der vorausgehenden Teiltheorien in die neue Teiltheorie übernommen wurden. Ganz entsprechend wurden in jüngerer Zeit Teiltheorien entwickelt, die als Revisionen (z.B. Generative Semantik, seit Lakoff 1965) bzw. Alternativen (z.B. an der Logik orien4

tierte Grammatiken wie die Montague-Grammatik, vgl. Thomason 1974b, und verwandte Grammatiktypen, z.B. Lewis 1970, Cresswell 1973) der Chomskyschen Transformationsgrammatik betrachtet werden können. Außerdem wurde diese intern selbst stark revidiert (Chomsky 1975, 1977).

2

D e r Begriff >Sprachtheorie< in der neueren Sprachwissenschaft

Die Sprachtheorie ist nach Lieb (1970) ein Teil der Semiotik, der Zeichentheorie. Sie ist der allgemein-theoretische Teil der Sprachwissenschaft und damit eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft. Ihr Gegenstand ist die Klasse aller Sprachen. Die Sprachtheorie umfaßt als Teil der Semiotik deren drei Teildisziplinen, soweit sie die Lehre vom sprachlichen Zeichen betreffen: allgemeine Pragmatik, allgemeine Semantik und allgemeine Syntaktik. Sie ist soweit wie möglich kommunikationstheoretisch aufzubauen, da dann allgemeine kommunikationstheoretische Aussagen automatisch auch Aussagen der Sprachtheorie sind. Die Disziplin Sprachtheorie als Teil der Sprachwissenschaft ist nach Lieb unterschieden von den Disziplinen der Theorie der Sprachwissenschaft. Disziplinen der Theorie der Spachwissenschaft sind die Theorie der Spracherforschung (Methodologie) und die Theorie der Sprachbeschreibung, die zum größten Teil Grammatiktheorie ist. Die Vermischung von Sprachtheorie und Theorie der Sprachwissenschaft wird in Lieb (1970, 14) kritisiert: »In der Sprachwissenschaft hat man bis vor kurzem die Sprachtheorie mit der Methodologie vermischt (amerikanische deskriptive Linguistik), neuerdings vermischt man sie mit der Theorie der Sprachbeschreibung (transformationeile Grammatik).« Nach Lieb sind Sprachtheorien ohne Grammatiktheorien möglich. (Wir brauchen nur an de Saussures Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft oder Martinets Grundzüge der allgemeinen Sprachwissenschaft oder Bühlers Sprachtheorie zu denken.) Umgekehrt aber ist - nach Lieb - eine Theorie der Beschreibungen von Sprachen, insbesondere eine Grammatiktheorie, nicht möglich, ohne auf eine Sprachtheorie zurückzugreifen: »Any theory of grammars is explicitly or implicitly based on a theory of language« (Lieb 1977a, $). Denn um festzustellen, ob bestimmte Sprachbeschreibungsverfahren und Arten von Regelsystemen zur Beschreibung natürlicher Sprachen adäquat sind, muß man Kenntnisse über diese haben. Diese Kenntnisse sind in Sprachtheorien formuliert. D.h., um eine adäquate Grammatiktheorie zu formulieren, muß man etwas über den Charakter natürlicher Sprachen wissen, d.h. eine Sprachtheorie haben. Andererseits sind für eine Sprachtheorie als Wissensgrundlage auch Beschreibungen von Einzelsprachen von zentraler Bedeutung (Lieb 1970, 17, Anm. 32). Im folgenden wollen wir die Beziehung zwischen Sprachtheorie und Grammatiktheorie als Teilbereich der Theorie der Sprachbeschreibung erörtern. Eine Grammatik einer Einzelsprache ist eine Beschreibung einer Einzelsprache und somit Teil einer Theorie dieser Einzelsprache. Aussagen einzelsprachlicher Grammatiken braucht man zur Aufstellung einer adäquaten Grammatiktheorie. Um nun einzelsprachliche Grammatiken gemäß den Erkenntnissen der Grammatiktheorie zu erstellen und eine adäquate Grammatiktheorie gemäß den Erkenntnissen einzelsprachlicher Grammatiken zu erstellen, ist ein dauernder 5

Austauschprozeß zwischen Theorien über Einzelsprachen, insbesondere Grammatiken, und Grammatiktheorie notwendig. Die Sprachtheorie hat dabei folgende Funktion: Sie kann von den Theorien der Einzelsprachen Faktoren abstrahieren, die allen Sprachen gemeinsam sind, sowie solche Faktoren, die einer mehr oder minder großen Anzahl von Sprachen gemeinsam sind. Sie kann auf diesem Wege induktiv mehr oder minder generelle Eigenschaften von Sprachen feststellen. Sie kann umgekehrt, indem sie von einer allgemeinen Kommunikationstheorie ausgeht, deduktiv gewisse Universalien für Sprachen ableiten. Universale und generelle Eigenschaften von Sprachen, die in einer Spachtheorie ausgesagt werden, sind die Grundlage dafür, daß eine Grammatiktheorie formuliert werden kann, die diesen universalen und generellen Eigenschaften Rechnung trägt und insofern adäquat ist. Wenn auch eine Grammatiktheorie universale Eigenschaften einzelsprachlicher Grammatiken berücksichtigen soll, wie es etwa in Chomsky (1969, 46) vertreten wird, so ist es doch nicht möglich, daß diese Grammatiktheorie einen Teil enthält, der als »universale Grammatik« bezeichnet werden kann, oder gar mit ihm identisch ist. Solche universalen Eigenschaften, aus denen grammatische Eigenschaften von Einzelsprachen ableitbar sind, so daß diese nicht eigens in einzelsprachlichen Grammatiken aufgeführt zu werden brauchen, sind vielmehr in einer Sprachtheorie zu konstatieren. Denn solche Aussagen wären keine Aussagen darüber, wie Grammatiken beschaffen sind (z.B. welche Arten von Regeln oder Gesetzen darin vorzukommen haben), sondern sie sind selbst grammatische Aussagen, die sich von einzelsprachlichen Aussagen lediglich durch eine Allquantifizierung über die Menge aller Sprachen unterscheiden, z . B . : »Für die Sprache L , gilt: Wenn a ein Adjektiv der Subkategorie A\ in L, und b ein Nomen der Subkategorie N j in L , ist, dann ist ab ein Nomen der Subkategorie N j in L,.« Das entsprechende universale Gesetz würde lauten: »Für alle Sprachen L gilt: Wenn a ein Adjektiv der Subkategorie A; in L und b ein Nomen der Subkatgorie N j in L ist, dann ist ab ein Nomen der Subkategorie N j in L.« Die erste Aussage ist eine Aussage einer Theorie der Einzelsprache L „ und zwar insbesondere eine Aussage einer Grammatik für L,. Die zweite Aussage ist eine Aussage einer Theorie der Sprachen überhaupt, d.h. einer Sprachtheorie. (Mit ihr ist übrigens nicht behauptet, daß alle Sprachen Adjektive der Subkategorie A; und Nomina der Subkategorie N j haben, da die Aussage auch wahr ist, wenn das Antezedens des Konditionalsatzes nicht zutrifft.) Im Unterschied zu dieser Aussage einer Sprachtheorie ist z. B. die Aussage »In allen Grammatiken gibt es Kategorien und Gesetze für die Bestimmung der Kategorie der Verbindung von Elementen aus diesen Kategorien« eine Aussage einer Grammatiktheorie, aber nicht einer Sprachtheorie. Eine Grammatiktheorie im Sinne Liebs ist eine Metatheorie, d. h. eine Theorie über Grammatiken, d. h. über Theorien von Einzelsprachen, und über eine Sprachtheorie selbst. Damit enthält eine Grammatiktheorie auch Aussagen über die Formulierung universaler grammatischer Gesetze, die einen Teil der Sprachtheorie ausmachen, nämlich den Teil, den man Theorie der grammatischen Universalien nennen könnte. Die Verwendung des englischen Terminus »theory of grammar« in Chomsky [1965] (1969) und anderen Stellen sowie bei Lakoff [1965] (1970) schwankt zwischen »Theorie der (grammatischen) Beschreibung von Sprachen« und »gram6

matischjer Beschreibung« oder »Grammatik«. Die letzte Verwendung kommt offenbar dadurch zustande, daß Grammatik mit sprachlicher Kompetenz des idealen Sprecher-Hörers gleichgesetzt wird und dann eine Theorie dieser Kompetenz eine Theorie der Grammatik genannt wird. Eine allgemeine Grammatiktheorie (»general theory of grammar«) enthält sowohl grammatische Aussagen, die auf alle Einzelsprachen zutreffen (»universal grammar«), als auch die Prinzipien, nach denen Grammatiken konstruiert werden, und Definitionen theoretischer Begriffe, die in allen Grammatiken vorkommen. Lakoff [1965] (1970) setzt »theory of grammar«, »theory of language« und »linguistic theory« gleich: »To ask what are the principles by which we have constructed the grammars of the natural languages we know seems to be equivalent to asking what a natural language is, or what characterizes the grammars of all possible natural languages ... We will call such an automaton [that constructs all and only all possible grammars of possible natural languages] a >theory of grammars a >theory of languages and a linguistic theoryZusammenfügung< (aus ¡am- >zusammen< plus -dhi-, Nominalstamm zur Wurzel dhä >setzen, stellenlobend< -stup >Fuß< pät >Herrscher< samrät >Stimme< väk

I f )

in pausa und vor stimmlosen Lauten, z.B. vor tatra >dort
ist
Gestalt< >immer< >(er) brüllt« >elend
snakesaltmoneysplitwantsell S / (f) S S/

# (S) #

Die lateinische Akzentregel erfordert zusätzlich eine Bezugnahme auf die segmentale Struktur von Silben, die in die Definition der leichten Silbe eingeht: Eine

58

leichte Silbe ist eine Silbe mit leerer Koda und kurzem einfachem Nukleus. Mit S als einer Variablen für leichte Silben erhält man: (g) S — S /

((S)S) #

(Aus Vennemann 1972b, 10.) Manche Tonsprachen mit den beiden Tönen Hoch (H) und Tief (L) erlauben eine im allgemeinen freie Verteilung der Töne im Wort, vgl. die folgenden vier Wörter des Igbo mit der segmentalen Struktur [akwa] und der angegebenen tonalen Struktur: H-H H-L L-H L-L

>crying< >cloth< >egg< >bed
treewomansnakeis peeling< >is sour< >is wanting
h

i e

u o a

r Durch die Klassifikation der Segmente in Phonen wird den Grundwortgestalten zugleich eine endliche P h o n f o l g e zugeordnet. Jeder Wortgestalt wird ferner eine S i l b e n s t r u k t u r zugewiesen. Im einfachsten Fall zerteilt die Silbenstruktur die Phonfolge in Phonfolgenstücke, z.B. bei loben: Phonfolge [lo:ban], Silbenstruktur [lo:] und [ban]. Bei manchen Sprachen ist dies stets so, z.B. beim Italienischen und Japanischen. Im Deutschen und Englischen kommt es aber häufig vor, daß ein und dasselbe Phon zwei verschiedenen Silben angehört, z. B. in Kappe: Phonfolge [kapa], Silbenstruktur [kap] und [pa]. Solche Phone sind stets Konsonanten. Wir nennen sie G e l e n k k o n s o n a n t e n . Gelenkkonsonanten sind nie zugleich Elemente des Nukleus einer Silbe. Eine Folge von Gelenkkonsonanten nennen wir ein G e l e n k , engl, i n t e r l u d e , vgl. Hockett 1955, S. 52: »An interlude is coda-like and onset-like [»onset« ist dasselbe wie bei uns »Kopf«] at the same time, and structurally it belongs both to the syllable which contains the preceding peak and to that which contains the following peak. When two successive syllables in a language like English are linked by an interlude, there is no >point of syllable division< between them.«

Hocketts berühmtes Beispiel ist das Tripel night rate, nitrate und dye trade (S. $2, 64). In der Grundwortgestalt ist das erste [t] bei night rate Kodakonsonant der ersten Silbe, bei dye trade Kopfkonsonant der zweiten Silbe, und bei nitrate Gelenkkonsonant. - Das Beispiel dye trade hat Hockett später (1958,54) durch das Fantasiebeispiel Nye trait ersetzt, um mit einem Minimaltripel argumentieren zu können. Diese Beispiele zeigen zugleich, daß auch die Silbenstruktur einer Wortgestalt separat anzugeben ist, da sie sich nicht automatisch aus der Phonfolge ergibt. Denn die drei Beispiele haben in der Umgebung des fraglichen [t] identische Phonfolgen; dennoch haben sie verschiedene Silbenstrukturen. Im Engli64

sehen ist also die Phonfolge [naitreit] prinzipiell auf drei verschiedene Weisen in Silbenstrukturen aufzuteilen: ([nait], [reit]) ([nait], [treit]) night rate< >nitrate< >Nye trait
(du) machstniemand(ich) nehme(er) nahmdownstepupstep Matrizen und »p'« sei ein Name f ü r die Folge (M,),< ; , w o ( M , ) l £ ; = ( m , o, t, o ) , so d a ß ; = 4. S e i s ' = (o,),Vorbildnormeccentric< on one point or another, the result may not always be that he conveys no idea at all, or that he is misunderstood, but often merely that he is understood with some little difficulty, or that his hearers have a momentary feeling of something odd in his choice of words, or expressions or pronunciation.«

Im Wesen sind Normen k o n s e r v a t i v : Sie geben Orientierungs- und Handlungsschemata, wodurch bestimmte wiederkehrende Interaktionsprobleme gelöst werden (vgl. Ullmann-Margalit 1977). Das Entscheidende dabei ist, daß man sich darauf verlassen können muß, daß auch der Interaktionspartner gemäß den geltenden Normen handelt: Besonders deutlich ist das bei Kommunikationsnormen, bei denen das Problem der Koordination des Gebrauchs sprachlicher Mittel optimal für alle dadurch gelöst wird, daß man selbst die Norm erfüllt und erwarten kann, daß der andere sie auch erfüllt, und dieser wiederum damit rechnen kann, daß man selbst die N o r m erfüllt und auch erwarten 'kann, daß man erwartet, daß er die Norm erfüllt. Diese » E r w a r t u n g s e r w a r t u n g « wird von allen Autoren, die über Normen schreiben, als zentral herausgestellt (z.B. Luhmann 1972). U m diese Erwartungserwartung zu erfüllen, müssen bei der Verständigung mittels einer Sprache die Sprachmittel sowohl in ihrer Gestalt als auch in ihrem Gebrauch festliegen, und die Kommunikationspartner müssen, falls sie sich nicht schon im eigenen Interesse darauf richten, dazu angehalten werden, sich an diese Festlegungen zu halten. Sprachnormen sichern gerade die Sicherheit im Produzieren und Erkennen der gebrauchten Mittel (Gestalt) sowie auch die Sicherheit in ihrem Gebrauch (Ausdrucksmöglichkeit und Interpretation). S t a b i l i t ä t v o n G e s t a l t und B e d e u t u n g ist wesentlich für das Funktionieren der Sprache als Kommunikationsmittel. Diese Stabilität wird durch Normen gesichert: Die Sprachteilhaber wachen über das Einhalten der Maßstäbe, indem sie Abweichungen korrigieren. Daß Sprachnormen konservativ sind und gerade dadurch die Garantie für möglichst problemloses Funktionieren der Kommunikation bieten, ist aber nur eine Seite der dialektischen Beziehung. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, daß für das Funktionieren von Kommunikationsnormen gar nicht so sehr Stabilität der Lösung des Koordinationsproblems nötig ist, sondern lediglich, daß die Lösung eine gemeinsame ist, so daß zumindest jeder von dem anderen weiß, welche Lösung er zu erwarten hat und daß der andere diese Erwartung kennt. Wir können also in einer Sprachgemeinschaft auch die Sprachmittel und ihren Gebrauch v e r ä n d e r n , wenn wir es nur in einer Weise tun, daß diese Veränderung von der Sprachgemeinschaft mitvollzogen wird. Dasselbe gilt für A b w e i c h u n g e n : Wir müssen damit rechnen können, daß der andere die Ausdrücke so versteht wie wir selbst. Das wird am ehesten der Fall sein, wenn die Abweichung oder Veränderung dem Kommunikationsbedarf der Gesellschaft und auch den individuellen Kommunikationsbedürfnissen dient (zu diesen beiden Begriffen vgl. Kanngießer 1976). Ist die Veränderung nicht f u n k t i o n e l l , dann wird sie sich höchstens kurzfristig und kleinräumig durchsetzen oder überhaupt nicht akzeptiert werden, es sei denn sie ist mit besonderem gesellschaftlichem oder gruppenbezogenem P r e s t i g e verknüpft (vgl. Labov 1963, 1965, 1966, 1970, 1974

101

Ein Beispiel ist der Gebrauch von Wörtern als Verben, die bisher nur als Nomen fungierten. Clark und Clark (1979) stellten fest, daß ein Nomen als Verb verwendet nur dann akzeptabel ist, wenn nicht schon ein Verb mit der auszudrückenden Bedeutung in der Sprache vorhanden ist (vgl. das oben in Abschnitt 4.1 über die blockierende Wirkung idiomatischer Ausdrücke bei der Bildung komplexer Ausdrücke Gesagte): So hat man milk und to milk the cow, bottle und to bottle the milk, carpet und to carpet the house, jet und to jet to New York (für die spezifische Bedeutung »perJet fliegen«); nicht akzeptabel ist jedoch zu dem Nomen hospital das Verb to hospital, weil für seine Bedeutung schon die Bezeichnung to hospitalize besteht. To hospital wäre eine nicht-funktionelle Innovation, die sich nur unter besonderen sozialpsychischen Bedingungen durchsetzen könnte, etwa als Modewort in einer Zeit, in der es als schick gilt, um jeden Preis sprachliche Innovationen hervorzubringen. Allgemein läßt sich aus dem P r i n z i p der F u n k t i o n a l i t ä t ableiten, daß Wörter nicht Bedeutungen annehmen, für die schon ein Wort besteht, es sei denn, das neue Wort oder das alte Wort mit abweichender oder neuer Bedeutung erhält ein gruppenspezifisches Prestige oder das bereits bestehende Wort mit seiner Bedeutung wird stigmatisiert. Abgesehen von Sprachveränderung »durch Erlaß« in Sprachplanungssituationen geschieht Sprachveränderung auch im Bereich der Bedeutungsveränderung nur schrittweise, ausgehend von o k k a s i o n e l l e r V e r w e n d u n g eines Wortes in bestimmten Situationen durch bestimmte Sprachteilhaber hin zu zunehmend u s u e l l e r V e r w e n d u n g (vgl. Paul [1880] 1970, 75). Erst eine usuelle Verwendung ist ein Teil der Umgangssprache; sie wird zum Teil der Standardsprache, wenn sie von der die Standardsprache gebrauchenden kulturell maßgebenden Elite übernommen wird. Sie findet dann auch Eingang in die Normkodifizierung der Lexika, die als Maßstäbe semantischer Korrektheit gemeint sind und in vielen Situationen auch so wirken. Nur in Lexika für Fachsprachen ist die Normierung streng und eindeutig. Für den gewöhnlichen Sprachgebrauch ist eine strikte Normierung nicht möglich und auch gar nicht wünschenswert. Die Lexika können nicht mehr sein als Richtlinien für den Gebrauch von Wörtern. Sie sind lediglich da bestimmter, wo sie Wortbedeutungen mit den Bedeutungen von Wörtern eines Wortfeldes kontrastieren oder die Bedeutung eines Wortes innerhalb eines Begriffsnetzes durch Hyponomie- und Antinomiebeziehungen umreißen. Im übrigen sind die gegebenen Beispiele des Gebrauchs eines Wortes in verschiedenen Kontexten und die eventuell daraus abstrahierten kontextabhängigen semantischen Merkmale eher Vorbildnormen als Kodifizierungen. Diese Unbestimmtheit der Bedeutungen von Ausdrücken ist ein Zeichen dafür, daß die semantischen Norminhalte zwar schon selbst jeweils aus einem als Vorbild oder Maßstab wirkenden Kern bestehen, der es verhindert, daß ein Wort willkürlich gebraucht wird und damit unbrauchbar wird, daß aber zugleich die semantische Norm selbst eine gewisse Freiheit der Fortsetzung und Übertragung der Vorbilder und der erweiterten Verwendung des Maßstabs zuläßt. Die Möglichkeit der Veränderung liegt schon im Wesen der semantischen Norm selbst begründet, nämlich in der Vagheit der Anwendung ihres Norminhalts und der Kontextabhängigkeit des in ihrem Norminhalt gegebenen Maßstabs. Die semantische Norm ist notwendigerweise mit einem Umkreis von Toleranz in ihrer Anwendung verbunden. Dies soll jetzt begründet werden. 102

(j) Die höchste Kommunikationsnorm Sprachlicher Konservatismus, also das Bestehen auf der Stabilität sprachlicher Zeichen in Gestalt und Bedeutung, einerseits und sprachliche Veränderung über das Zulassen von Abweichungen andererseits haben denselben Grund (vgl. auch Hertzler 1965 in dem Abschnitt über Konservatismus und Veränderung, 1 5 1 - 1 5 9 und 168 ff.). Dies soll jetzt näher erläutert werden. Sprachnormen sind gerechtfertigt als wesentliche Bedingung und als Mittel für die Möglichkeit der Kommunikation. Sie machen Äußerungen v e r s t e h b a r , d. i. wahrnehmbar als sprachliche Ausdrücke und interpretierbar, und zwar auf solche Weise, daß ein Sprecher damit rechnen kann und darauf pochen kann, daß seine Worte auf bestimmte Weise, nämlich den sprachlichen Konventionen gemäß, verstanden werden, und daß ein Hörer damit rechnen und darauf pochen kann, daß seine Interpretation gültig ist als das, worauf der Sprecher sich mit seiner Äußerung festgelegt hat. Alle spezifischen Sprachnormen sind in ihrem Bestehen gerechtfertigt relativ zu der höchsten Kommunikationsnorm, kurz: der »Supernorm«: Drücke dich so aus, daß das, was du sagst, für deine Kommunikationspartner verstehbar (erkennbar und interpretierbar) ist, in weitestmöglicher Ubereinstimmung mit dem, was du intendierst (meinst, ausdrücken willst).

Entsprechend lautet die Supernorm für den Hörer: Interpretiere so, daß die Interpretation in weitestmöglicher Übereinstimmung ist mit dem, was der Sprecher intendiert.

Da der Hörer natürlich nicht von vornherein weiß, was der Sprecher mit seiner Äußerung intendiert, ist diese N o r m für ihn am besten zu befolgen, wenn er darauf achtet, daß er die Äußerung des Sprechers so identifiziert und interpretiert, daß er von denselben Gestaltmustern und Bedeutungszuweisungen Gebrauch macht, die der Sprecher in der Äußerung verwendet. Im allgemeinen sind das die Gestalt- und Bedeutungsmaßstäbe, die in den einzelnen Sprachnormen festgelegt sind. Diese einzelnen Sprachnormen sind nicht absolut gerechtfertigt, sondern nur relativ über die Geltung der Supernorm. Die allgemeine Methode, die Supernorm in ihren beiden Aspekten zu befolgen, besteht darin, daß Kommunikationspartner die Kommunikationsmittel in Ubereinstimmung gebrauchen. Es gibt nun Situationen, in denen gerade eine rigide Anwendung einer speziellen N o r m N , die Erfüllung der Supernorm verhindern kann oder jedenfalls schwierig macht. In so einem Fall muß die Korrektheit bezüglich N , der Korrektheit bezüglich der Supernorm nachgeordnet werden. D.h., N o r m N , muß (oder darf) nicht befolgt werden, wenn dadurch die Befolgung der Supernorm in Schwierigkeiten kommt. Es würde nämlich rigide Korrektheit bezüglich N , Inkorrektheit bezüglich der Supernorm zur Folge haben und damit sogar ein Scheitern der Kommunikation verursachen. Akzeptabilität von Ausdrucksformen und Ausdrucksverwendung ist darum nicht einfach identisch mit Korrektheit bezüglich der einzelnen Sprachnormen N „ ..., N m , sondern mit Korrektheit bezüglich der Supernorm. Korrektheit in einer Kommunikationssituation ist bezüglich der Nonnen N „ ..., N m nur nötig, 103

soweit sie der Supernorm dient, d.h. soweit sie Korrektheit bezüglich der Supernorm zur Folge hat. Was bezüglich der Supernorm korrekt ist, hängt von den besonderen Erfordernissen der jeweiligen Kommunikationssituation ab. In Standardfällen wird Korrektheit bezüglich der Supernorm durch Korrektheit bezüglich einzelner Sprachnormen erreicht. Fälle, in denen das nicht so ist, rechtfertigen ein Abweichen von einzelnen Sprachnormen und führen zur Veränderung der Sprachnormen, falls diese Sorten von Kommunikationssituationen wichtig werden und regelmäßig auftreten. Fälle, in denen die Befolgung einzelner Normen vor der Supernorm zurücktritt und damit Abweichungen von einzelnen Normen berechtigt sind, sind die folgenden: 1. Situationen der kognitiven Erfassung der Umwelt und Vermittlung der kognitiven Orientierung an Kommunikationspartner, in denen die gemeinsamen sprachlichen Mittel nicht das ausdrücken, was man ausdrücken will. Es fehlen passende Wörter für neu entdeckte Phänomene oder für relevante Merkmale dieser Phänomene. 2. Situationen, in denen der Sprecher eine besondere Einstellung oder Haltung zum Gesprächsobjekt ausdrücken will, für die kein einfacher Ausdruck besteht. 3. Situationen, in denen der Sprecher besondere Effekte beim Hörer erreichen will, die dessen Haltungen, Werte, Phantasie und überhaupt dessen Befindlichkeit in der Umwelt beeinflussen sollen. Der erste Fall tritt besonders in neuen wissenschaftlichen und technischen Zusammenhängen auf. Alle drei Fälle treten in der Alltagskommunikation, aber in besonderem Maße auch in der Dichtkunst auf, was mit deren innovativem und kreativem Charakter zusammenhängt. Die Kommunikationsziele versucht man dann durch Abweichung von den semantischen Korrektheitsbedingungen für den Gebrauch bestimmter Wörter zu erreichen. D.h., man weicht von den Normen ab, um das Kommunikationsziel zu erreichen. In der Dichtkunst kann es um bestimmter Kommunikationseffekte willen sogar zur Abweichung von syntaktischen Normen kommen. Auch in der gesprochenen Sprache sind Abweichungen von syntaktischen Normen in manchen Zusammenhängen zu rechtfertigen. Die Situation, einschließlich des Kontexts, muß erkennbar machen, worin die spezifische Abweichung besteht. Andernfalls ist die Gefahr des Mißverstehens besonders groß und so der Supernorm nicht gedient. Die Abweichungen müssen also motiviert und verstehbar sein. Dies ist besonders dann gewährleistet, wenn ein Assoziationszusammenhang zwischen usueller und okkasioneller Bedeutung besteht. Beim Spracherlernen, aber auch generell in der Existenzweise von Wortbedeutungen spielen bestimmte Typen von assoziativen Zusammenhängen eine Rolle. Diese sind dann die Wege, die für die Abweichung eine besonders große Chance der Verstehbarkeit bieten und entlang denen auch die Sprachveränderung als Übergang von okkasioneller Abweichung zur neuen usuellen Verwendung stattfindet. Zusammenfassend können wir sagen: Das Befolgen der Supernorm verlangt sowohl das Befolgen der untergeordneten Normen wie auch Toleranz und Kreativität beim Nicht-Befolgen dieser Normen. Die Supernorm ist kategorisch für 104

alle Kommunikationssituationen. Die untergeordneten Normen sind hypothetisch, da sie nur für die Fälle gelten, in denen die Supernorm durch Befolgen der untergeordneten Normen erfüllt wird. Beim Interpretieren abweichender Äußerungen geht der Hörer, wenn nichts sehr dagegen spricht, davon aus, daß der Sprecher sich an die Supernorm hält und daß darum die Abweichung funktionell ist. Darum versucht der Hörer den Sinn der abweichenden Äußerung zu erkennen. Hierbei folgt er bestimmten Strategien, die bei der kontextabhängigen Interpretation von Ausdrücken generell und beim Zustandekommen von Sprachveränderungen im besonderen eine Rolle spielen. (4) Vagheit und kontextabhängige

Bedeutung

Wir unterscheiden Vagheit als Unsicherheit in der genauen Abgrenzung des Denotationsbereichs bei in ihren Merkmalen konstanten Bedeutungen von Kontextabhängigkeit der Bedeutung sowie von sozio-kultureller Abhängigkeit des Begriffsinhalts. Kontextabhängigkeit und sozio-kulturelle Abhängigkeit der Bedeutung hängen eng zusammen und führen zu einer Vagheit des Begriffsinhalts selbst (in der Allgemeinsprache sowohl in ihren umgangsprachlichen als auch in standardsprachlichen Ausprägungen). (4.1) Vagheit des Denotationsbereichs bei der Anwendung eines Wortes mit konstantem, aber graduierendem Begriffsinhalt Dies ist die Vagheit, über die Schaff 1967 handelt. So ist z.B. die Anwendung der Wörter Fluß oder Bach vage. Im Anwendungsbereich besteht eine »Grauzone« von Fällen, in denen wir in bezug auf Wasserläufe nicht sagen können, ob wir diese nun Fluß oder doch eher Bach nennen sollen. Durch den Begriff >A< sind die Dinge nicht einfach einzuteilen in solche, die A sind, und solche, die nicht-A sind; vielmehr haben wir dazwischen einen Bereich von Dingen, von denen wir nicht mit Bestimmtheit sagen können, ob sie nun A oder nicht-A sind.

105

Aber auch diese Skizze stellt die Situation bei vagen Prädikaten vereinfacht dar, denn tatsächlich sind gewöhnlich auch die Übergänge vom A-Bereich und vom Nicht-A-Bereich zur »Grauzone« fließend, so daß eine genauere Skizze einen allmählichen Ubergang von Schwarz über zunehmend hellere Grautöne bis Weiß zeigen müßte. (Vgl. die Diskussion in Blau 1977, 21-30, wo aber die in der obigen Skizze ausgedrückte Idealisierung vorgenommen wird.) Das Problem stellt sich insbesondere für die Abgrenzung zwischen Farben: Ist dies noch gelb oder schon ocker? Ist dies noch blau oder schon lila? (Vgl. auch Wittgenstein i960, §§ 68-77.) Hier liegt, wie Schaff richtig bemerkt, der Ubergang zwischen A und nicht-A in der Natur selbst: Die Natur hat auf vielen Gebieten unscharfe Grenzen, oder richtiger: gar keine Grenzen; wir aber ziehen Grenzen, wenn wir Phänomene klassifizieren, um uns zu orientieren und uns über die Natur verständigen zu können. Allgemein handelt es sich hier darum, daß kontinuierliche Graduierung und Klassifizierung innerhalb ihres Bereichs miteinander unverträgliche Gesichtspunkte sind, unter denen wir die Umwelt erkennen. Bei jeder Verfeinerung der Klassifizierung behalten wir doch eine Zone der Vagheit, innerhalb derer die Klassifizierung problematisch bleibt. (Einen Uberblick über wichtige Lösungsversuche zum Problem der Vagheit wie auch zu dem der Kontextabhängigkeit mit interessanten eigenen Vorschlägen enthält Eikmeyer und Rieser 1978; Fries 1980 führt in die sehr verzweigte Forschungslage ein.) (4.2) Relativität durch Kontextabhängigkeit der Bestimmung eines Begriffs im Anwendungsfall Groß, klein, dick, gut sind Beispiele für relative Adjektive. Ihre Bedeutungen enthalten eine Leerstelle, die die Beziehung zu einer Norm oder einem Maßstab herstellt: »groß als Mann«, »groß als Frau«, »groß als Fliege«, »gut als Mensch«, »gut als Koch«, »gut als Messer« usw. (vgl. Bartsch und Vennemann 1972, 63, 84, 88, Ehrich 1975). Dies ist keine Vagheit der Anwendung, sondern eine Relativität zu einer Norm oder einem Maßstab, worüber der Kontext Aufschluß gibt, wenn die Bekanntheit des Bezugsmaßstabs nicht vorausgesetzt werden kann. Wird auch durch den Kontext der Bezugsmaßstab nicht deutlich, so kann eine Unsicherheit bestehen, die den Begriff selbst vage macht. Ali ist der Größte ist in diesem Sinne gemeint: Groß inwiefern, doch nicht nur als Boxer? Neben der besonderen Art der Kontextabhängigkeit sind die relativen Begriffe auch noch vage in dem unter (4.1) behandelten Sinne; sie tragen so zur Anwendungsvagheit anderer Begriffe bei. In der Definition für Fluß als >großer Wasserlauf< ist der relative Begriff >groß< hinsichtlich seines Bezugsmaßstabs bestimmt, aber was die Graduierung betrifft, liegt die »Grauzone« vor: »Ist dieser oder jener Wasserlauf eigentlich schon groß zu nennen?« Bei den obigen Beispielen für relative Adjektive treffen zwei verschiedene Gesichtspunkte zusammen, Graduierung und Relativität, die auch voneinander unabhängig vorkommen. Auf jeden Fall sind sie zu unterscheiden. Erstens kann der Maßstab kontextabhängig sein, und zweitens kann dann noch seine Anwendung vage sein. Die Vagheit in der Anwendung, die in der Natur der Dinge liegt, ist etwas 106

anderes als die Abhängigkeit der Bestimmung der relativen Begriffe vom Kontext; und diese ist wieder etwas anderes als die Kontextabhängigkeit des Begriffsinhalts selbst. Durch die kontextabhängige Bestimmung bekommt groß nun nicht, je nach Kontext, eine andere Bedeutung. Diese bleibt >groß< in allen Kontexten. Die relativen Begriffe haben die Form »A rel X«, wobei für X eine Bestimmung eingesetzt wird. Dabei verändert sich nicht die Bedeutung »A rel X«; es wird lediglich eine Spezifizierung hinzugefügt, so daß der komplexere Begriff »A rel X & X = N« entsteht. Diese Bestimmung ist notwendiger Bestandteil der Information, die durch den Gebrauch eines relativen Ausdrucks übermittelt wird. Ohne sie weiß man nicht, was gemeint ist, und kann darum der Äußerung keine Wahrheitsbedingungen zuschreiben. Es handelt sich also um eine notwendige Spezifizierung. (4.3) Situations- und Kontextabhängigkeit der Bedeutung Ein berühmt gewordenes Beispiel dieser Art von Kontextabhängigkeit ist Wittgensteins >Spielocker< und >blau< behandelt, obgleich es doch von ganz anderer Art ist (vgl. Wittgenstein i960, 66-77, insbesondere 66, 67, 75). Was ein Spiel ist, und damit die Bedeutung des Wortes Spiel, ist nicht definierbar durch eine Menge von Merkmalen, die allen Gebrauchsfällen von Spiel gemeinsam sind. Allerdings weisen verschiedene Spiele untereinander eine »Familienähnlichkeit« auf. D.h., ein Spiel H ähnelt einem anderen Spiel K aufgrund von Gemeinsamkeit a, aber es ähnelt einem anderen Spiel L aufgrund von Gemeinsamkeit b; und es kann sein, daß K und L sich gar nicht ähneln. Die Ähnlichkeitsbeziehung ist nicht transitiv (d.h., aus »A ähnelt B« und »B ähnelt C« folgt nicht »A ähnelt C«). Wäre sie transitiv, dann wäre eine Menge von gemeinsamen Merkmalen vorhanden. Es seien A, B, C , D, E Mengen von Merkmalen, die feststellbar sind beim Gebrauch des Wortes Spiel in verschiedenen Typen von Situationen. Es sind dann die folgenden Fälle denkbar:

1. A, B, C, D, E enthalten gemeinsame Merkmale, etwa: a, b.

107

Dann wären a, b gemeinsame Merkmale aller Spiele. In einer solchen Situation könnten wir nur dann davon sprechen, daß der Begriff >Spiel< durch {a, b} definiert sei, wenn diese Merkmale ausreichen würden, um Spiele von allen anderen Aktivitäten zu unterscheiden. Z.B. würde a = >menschlich< und b = >Aktivität< nicht ausreichen. 2. Man könnte sagen, ein Begriff >Spiel< zum Wort Spiel ist ein vager Begriff im folgenden Sinne: Er besteht nicht aus dem Durchschnitt (d.h. dem Gemeinsamen) der Merkmalsmengen A, B, C , D, E, sondern aus der Vereinigung dieser Merkmalsmengen. Dies ließe zu, daß man noch neue Spiele erfindet mit einer Merkmalsmenge F, die aus einer Auswahl miteinander verträglicher Merkmale aus einigen der Mengen A , B, C, D, E besteht. Allerdings würde diese Auffassung nicht ausschließen, daß man eine Teilmenge von Merkmalen in einer Aktivität realisiert, die doch nicht als Spiel gelten würde. Manche Teilmengen von Merkmalen sind auch gar nicht in einer Aktivität realisierbar. 3. Statt die Vereinigung aller Merkmale als alternative Charakteristik aller Spiele zu bestimmen, sollte man darum besser von einer Alternative von ganzen Merkmalskomplexen sprechen. Man hat dann einen K o m p l e x b e g r i f f >Spielsich schnell mit den Beinen gerichtet fortbewegen«. Dabei ist die Beziehung zur Linie schon recht indirekt über den Weg, der beim Laufen zurückgelegt wird und den man dann auch mit den Augen verfolgen kann. Die Übertragung ist metonymisch vom Laufen zum (gelaufenen) Weg (»der Weg läuft von A nach B«) und dann metaphorisch übertragen auf den Zaun und die Linie. Die Kernbedeutung ist nicht vollständig in allen Bedeutungen von laufen enthalten. In dem besonderen Fall, in dem eine in allen Bedeutungen enthaltene Kernbedeutung vorliegt, handelt es sich nicht um eine Bestimmung der Bedeutung durch den Kontext, sondern lediglich um Spezifizierungen e i n e r Bedeutung in besonderen Kontexten. Hier haben wir es mit einem klar umrissenen Begriff zu tun, wenn die gemeinsame Kern-Merkmalsmenge nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend ist als Kriterium der Anwendung des entsprechenden Wortes. Ist die Kernbedeutung unzureichend, dann haben wir keinen durch eine einzige Merkmalsmenge definierten Begriff, sondern einen Komplexbegriff, wie in dem Beispiel Spiel. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Bedeutungen ist in dem Falle enger - es gibt einen gemeinsamen Oberbegriff, der u. a. alle Spiele umfaßt, nämlich menschliche Aktivität - als bei dem Komplex zu laufen, für den ein Oberbegriff nicht existiert. Hier spricht man dann schon besser nicht mehr von einem Komplexbegriff, sondern von einem Begriffskomplex oder von >Polysemiesich mit einem Fahrzeug fortbewegen< haben, nämlich die Spezifizierung des Fahrzeugs im Kontext in den Fällen, in denen das eine nötige Information ist. - Im Niederländischen dagegen ist in der Bedeutung von varen schon die Spezifizierung des Fahrzeugs enthalten: >sich mit einem Boot fortbewegen^ - Wir müssen Spezifizierung unterscheiden von kontextueller Desambiguierung oder Auswahl aus dem Komplex, da Spezifizierung einen gemeinsamen Begriff voraussetzt, der nur angefüllt wird, wenn das nötig ist. Bei Desambiguierung oder Auswahl aus dem Komplex liegt überhaupt keine Bedeutung vor, wenn der Kontext nicht hinzutritt; d.h., die Äußerung ist nur bei Bezug auf den Kontext informativ. Die Interpretation läßt sich unter Berücksichtigung von Komplexbegriffen so darstellen: A sei eine Wortform; F sei die Interpretationsfunktion, die A in einer Sprache die Komplexbedeutung zuordnet; c, w, t seien Indices für Kontexte, Welten und Zeitpunkte. F(A) = KA (Komplexbedeutung A; diese ist eine Funktion von Kontexten nach Intensionen) KA(cJ = a; (Bedeutung, Intension, d.h. eine Funktion von Indices (w, t ) nach den dortigen Extensionen) Int/4 c ' = K A ( c j ) ; Ext/1 c " w ' , t k = K A ( c j ) « W j , t k » in

Bei bloßer Spezifizierung ist KA(c) konstant für alle Kontexte c. Das Verständnis von polysemen Wörtern ist also essentiell kontextabhängig. Der Kontext ist mehr als eine nur ergänzende Information. Eine Information kommt überhaupt erst durch Berücksichtigung des Kontexts zustande. Ein vergleichsweise unspezifischer Ausdruck dagegen gibt auch ohne kontextuelle Ergänzung eine - wenn auch wenig spezifische - Information. Oft ist in der Kommunikation gerade die Vermittlung der unspezifischen Information nötig. Weitere Spezifizierung wäre in so einem Fall irrelevant. (4.4) Heterogenität der Bedeutung von Wörtern in der Sprachgemeinschaft Semantische Heterogenität ist bedingt durch soziale und kulturelle Faktoren. Je nach den in einer sozialen Gruppe herrschenden Zielen und Werten sowie dem Wissensstand sind bestimmte Gebrauchsweisen eines Wortes wichtig und andere marginal. Aus den wichtigen Gebrauchsfällen, die dann in der Gruppe auch hauptsächlich vorkommen, werden die semantischen Merkmale abstrahiert, die das Kriterium für den weiteren Wortgebrauch bilden. D.h., die Verallgemeinerung von den einzelnen Gebrauchsfällen zum Begriff läuft, abhängig von den sozialspezifischen Faktoren Kenntnis, Werte, Ziele, über verschiedene Merkmalsmengen. Dadurch kann für eine soziale Gruppe die Kernbedeutung eines Wortes eine andere sein als für eine andere soziale Gruppe; insbesondere kann eine für eine Gruppe nur marginale Bedeutung für eine andere Gruppe Kernbedeutung sein oder es durch bestimmte Umstände werden. Diese Möglichkeit der sozial bedingten Vagheit einer Wortbedeutung in einer Sprachgemeinschaft beruht auf der im vorigen Abschnitt behandelten Situationsund Kontextabhängigkeit der Wortbedeutungen: Für besondere Gruppen sind besondere Typen von Situationen und Kontexten relevant, in denen die Kernbedeutung für diese Gruppen aufgebaut wird. Diese Heterogenität gilt auch regional, in Verbindung mit kulturell-ökonomischen Unterschieden zwischen Regionen. So ist es kein Zufall, daß im Niederländischen das Wort varen, das in seiner Proto-Bedeutung Fortbewegung jeder Art< (Kluge 1975, s.v. fahren) bezeichnet, die Spezifikation >mit einem Wasserfahrzeug< umfaßt. Das Wasser war das wichtigste Fortbewegungsmedium für alle weiten Reisen und den Transport. Mit dem Fahrrad oder Auto kann man im Niederländischen nicht »varen«, sondern nur »rijden« (entspricht deutsch reiten; vgl. auch englisch ride). Im Deutschen dagegen ist reiten in seinem Gebrauch spezifiziert auf >sich auf dem Rücken eines Tieres (Pferdes) fortbewegen^ während es im Niederländischen und Englischen in dieser Hinsicht nicht spezifiziert ist. (4.5) Heterogenität der Wortbedeutung durch unterschiedliche Kenntnis der Dinge Da in allen entwickelten Gesellschaften Arbeitsteilung stattfindet, haben die Mitglieder auch unterschiedliche Arten von Kenntnissen über die Wirklichkeit, vor allem auch unterschiedlich viele Kenntnisse in bezug auf verschiedene Gebie112

te. Insofern verbinden nicht nur verschiedene soziale Gruppen und Berufsgruppen, sondern auch verschiedene Individuen - gemäß ihrem Ausbildungsstand, der durch Alter, Intelligenz und Milieu unterschiedlich ist - mit einem Wort verschiedene Kernbedeutungen. Dadurch entsteht eine Art von Vagheit im Wortgebrauch, die mit wachsender Kenntnis verringert wird. Die Mitglieder der Sprachgemeinschaft sind sich nicht immer bewußt, daß sie oft auch noch Besonderheiten in »ihre« Kernbedeutung eines Wortes einschließen, die für andere als situationsspezifische Konnotation erscheint oder auch überhaupt nicht. Diese individuelle Variation der Wortbedeutungen beruht auf indiviuellen Erfahrungen beim Erlernen der Sprache und wird zu einer sozialen Variation, wenn es sich um soziale Erfahrungen handelt, die für ganze soziale Gruppen oder Milieus gelten. Soweit sich Sprachteilnehmer bewußt sind, daß sie verschiedene Wörter nicht mit Sicherheit korrekt gebrauchen können, können sie zumindest durch Einschränkung des Gebrauchs dieser Wörter Fehlkommunikation ausschließen. Wenn man z.B. den Unterschied zwischen Ulmen und Buchen nicht kennt (Putnam 1975 a), so wird man diese Wörter nicht anwenden, um einen Baum zu identifizieren. Man verfügt dann nur über einen Teil der Bedeutung der Wörter Ulme und Buche, etwa >Laubbaummännlichmenschlichbelebt[± männlich]< usw.) aufgefaßt (vgl. Wiegand und Wolski 1980). Auf die Probleme dieser Auffassung ist verschiedentlich hingewiesen worden (z.B. ibid., § 6; Lyons 1977, Bd. 1, § 9.9). So weist Lyons (1977, Bd. 1, 3 2 1 ) in Anlehnung an Weinreich (1966) darauf hin, daß Wortbedeutungen nicht einfach Kollektionen von semantischen Merkmalen sind, sondern eine interne Struktur haben, die die syntaktische Struktur von Sätzen und anderen komplexen Ausdrücken spiegelt. Man beschreibt darum diese Strukturen auch am besten in Sätzen oder Phrasen, deren syntaktische Konstruktion diese Struktur verdeutlicht. Statt also z . B . die Bedeutung von rennen als {>sich fortbewegen^ >auf eigenen Beinenschnellsich schnell auf eigenen Beinen fortbewegen< formulieren, oder man sagt »x rennt ist gleichbedeutend mit x bewegt sich schnell auf eigenen Beinen fort«. Worauf es ankommt, ist, daß zum Ausdruck kommen muß, wie die Qualifikationen >schnell< und >auf eigenen Beinen< auf >sich fortbewegen< zu beziehen sind, nämlich als adverbiale Spezifikatoren. Es kann also x rennt n i c h t als >x bewegt sich fort & x ist schnell & x ist auf eigenen Beinen< analysiert werden, also nicht als das logische Produkt von semantischen Merkmalen. In diesem Beispiel braucht man für die Repräsentation der Bedeutung eines Wortes eine bestimmte syntaktische Repräsentation, nämlich eine Adverbialkonstruktion bzw. eine einer solchen äquivalente Rekonstruktion in einer formalen Sprache (vgl. Bartsch 1971). N u r in bestimmten Fällen genügt die Darstellung als logisches Produkt von Merkmalen, nämlich gerade dann, wenn eine adäquate syntaktische Repräsentation aus einem Konjunkt einfacher Sätze besteht, wie z.B. in der Darstellung von x ist Junggeselle als >x ist ein Mann Sc x hat nie geheiratete Es ist also festzuhalten, daß die einzige angemessene Weise, Wortbedeutungen darzustellen, eine D e k o m p o s i t i o n in s y n t a k t i s c h e r F o r m ist. Was für eine Syntax man dazu verwendet, ob die einer natürlichen Sprache oder die einer formalen Sprache, hängt von den Zwecken ab, die man mit der lexikographischen Darstellung verfolgt. Will man die lexikographischen Darstellungen als Grundlage einer Darstellung von Schlußprozeduren verwenden, so empfiehlt sich die Verwendung einer logischen Sprache; und zwar sollte die lexikalische Dekomposition - bzw., falls diese nicht zu erreichen ist, die Angabe der Bedeutungspostulate (vgl. Carnap 1956a) - in derselben logischen Sprache erfolgen, in der auch die Bedeutung der syntaktischen Konstruktionen der untersuchten natürlichen Sprache dargestellt ist (vgl. Vennemann 1973a, 9 - 1 2 für eine Illustrierung dieses Falles). Soll hingegen die lexikographische Darstellung im Alltag beim Gebrauch oder beim Erlernen von Wörtern Anleitungen geben, so empfiehlt sich die Verwendung einer Umgangssprache, deren die Zielgruppe mächtig ist. Das Entsprechende gilt für ganze W ö r t e r b ü c h e r als Darstellungen des zu einem Sprachsystem gehörenden Wortschatzes unter dem semantischen Gesichtspunkt. (Sowohl für den Wortschatz - ggf. auch für den gesamten Lexembestand - eines Sprachsystems, d.h. den Untersuchungsgegenstand der einzelsprachlichen Lexikologie, als auch für ein Wörterbuch, das Resultat lexikologischer Untersuchung in der Form lexikographischer Darstellung, verwendet man 114

den Ausdruck Lexikon; darum verwenden wir ihn an dieser Stelle, wo es auf die Unterscheidung ankommt, nicht.) Es gibt also nach dem Obigen nicht das Wörterbuch einer Sprache, sondern nur bestimmten Zwecken dienende Wörterbücher. Hiermit ist natürlich nicht gesagt, daß es nicht semantische Relationen von allgemeinem lexikographischem Interesse gebe, die bei der Explikation semantischer Zusammenhänge zwischen Wörtern für alle Zwecke eine gewisse Rolle spielen. Einige dieser Relationen führen wir auf; bei der Feststellung des Vorliegens einer dieser Relationen ist im Einzelfall oft zunächst eine De^ambiguierung bzw. sonstige begriffliche Fixierung oder Stabilisierung vorzunehmen. (1) ... ist dasselbe wie ... ( S y n o n y m i e ) Beispiele: >ein Computer ist dasselbe wie ein Elektronenrechnen, »die Protasis ist dasselbe wie der Vordersatz (eines konditionalen Satzgefüges)Eine Rose ist eine BlumeRose< ist H y p o n y m zu >BlumeRose< und >Tulpe< inkompatible Hyponyme zu >Blumebelebt< und >unbelebt< sind komplementär über dem Bereich der physischen Objekte. (5) A n t o n y m i e , d.i. Inkompatibilität, Inexhaustivität und Polarität auf einem graduierenden Parameter Beispiele: >glücklich< und >unglücklich< (es gibt Individuen, die weder glücklich noch unglücklich sind), >heiß< und >kalt< (dazwischen >warm< und >lauklug< und >dummein Bein ist ein Teil eines Körpersein Bein ist ein Körperteils womit nun allerdings auch schon mehr ausgedrückt ist als im Beispiel selbst, nämlich daß es sich nicht um einen beliebigen Aus- oder Abschnitt eines Körpers handelt, sondern um einen Teil mit einer bestimmten Funktion; dies ist noch klarer, wenn man sagt: >ein Bein ist ein Organ< oder spezifischer >ein Bein ist ein Fortbewegungsorgan ,u, d.i. e D t i U D « . u , d.i. e {o, i } u und allgemein für Konstantenausdrücke a; vom Typ ( a , b ) : F(cO e D b ,u D *-U Es gilt allgemein: Die Interpretation eines komplexen Ausdrucks ergibt sich aus der Interpretation seiner Teilausdrücke nach dem Fregeschen Prinzip, vgl. S. 126: F(a(ß)) = F(a)(F(ß)) Wahrheit im Modell 91 ist dann für unser Fragment wie folgt definiert: Für alle cp vom Typ t ist qpa = o oder Lexikalisierung Mana-j Eine Kasus-Distributionsregel Dis, verteilt die Kasusmarkierung des Terms auf den Determinator und das Nomen: (Dis,) (a D (ß N )T[kj)

(aD[k;](ßN[kj)T[k,]) i35

Eine Genus-Kongruenz-Regel (G) kopiert die Genusmarkierung [g] vom N o men auf den Determinator und damit auf den ganzen Term: (G) (a D (ß N[g ]) T ) - » (aD[g](ßN[g])T[g]) Die morphologischen Regeln für die Kasus k : und k 2 sind für den Singular die folgenden: (MR,) a N [ k i M - > a:;" (MR 2 ) aN[n][k2][sg] —* a * Dies ist zu lesen als: Suche im Paradigma von a ein Wort, das der im Antezedens angegebenen kategorialen und subkategorialen Markierung genügt. Im Beispiel ist er" = a. Bei anderen Flexionsklassen braucht dies aber nicht so zu sein. Beim vorliegenden Beispiel ist es im Plural anders: ( M R , ) (-.-a T [ k i ] [ j ] ...(...ßy^j)...v.[j])s) Eine morphologische Regel leitet singt ab: ( M R

4

)

OV»[ind][präs][3][sg]

O - t y

Für die Tempusmarkierung [prät] wäre eine morphophonemische Regel nötig gewesen, die den Ablaut von sing- zu sang- ableitet: (MP,) i —* d/im Verbstamm der Ablautklasse 3 im Präteritum. Außerdem muß f ü r die Personalendungen im Präteritum zwischen starken und schwachen Verben unterschieden werden. Anders ausgedrückt: a * erscheint für schwache Verben mit Suffix und f ü r starke Verben im Ablaut und mit Personalsuffix. Die morphophonemische Regel stellt nach unserer Auffassung eine Generalisierung über Paradigmen dar, indem sie einen Zusammenhang zwischen Formen und Formengruppen (Subparadigmen) bestimmter Paradigmen beschreibt. In der T G wäre M P , eine Umschreibregel (rewrite rule). Mit Hilfe der bisherigen Regeln erhalten wir (3): (3)

(Maruir(dasD(LiedN)T)(singtw,)v.)s)

Für den deutschen Hauptsatz gilt die Grundserialisierung Subjekt - finites Verb - Objekt. Im eingeleiteten Nebensatz stünde das finite Verb am Ende. Die Serialisierung für die Verbindung von Determinator und Nomen ist von links nach rechts: (SR) (a D (ß N ) T )

aß.

Danach erhalten w i r als Resultat: 136

(4) Maria singt das Lied Hiermit ist die syntaktische Ableitung der Oberflächenstruktur aus der kategorialsyntaktischen und der Markierungsstruktur beendet. Anzuwenden sind noch die phonologischen Regeln, denen zufolge z.B. das /d/ von Lied stimmlos, [t], wird, sowie die realisationsphonologischen Regeln unter Einschluß realisationsphonologischer Sandhi-Regeln, denen zufolge z.B. das /d/ von das stimmlos werden kann (vgl. Abschnitt 2.1). Bemerkungen zur Einführung des Satzakzents finden sich in den Abschnitten 2.1 und 5.5. Im folgenden wollen wir auf das Problem der Wortstellung noch etwas genauer eingehen. Dabei soll das hier vorgestellte Syntaxmodell unter diesem Gesichtspunkt mit der TG-Standardtheorie verglichen werden. Wir folgen wieder Bartsch, Lenerz und Ullmer-Ehrich 1977. Ein und derselbe Sachverhalt kann durch verschiedene Sätze ausgedrückt werden, die sich nicht in ihrem lexikalischen Material unterscheiden, sondern nur in der Wortstellung. In der T G nimmt man in solchen Fällen für alle diese Sätze eine Tiefenstruktur an, die in einem der Sätze ziemlich direkt, aber in den anderen Sätzen nicht so direkt realisiert wird, sondern erst noch zusätzliche Umstellungstransformationen durchläuft. Die Tiefenstruktur von Satz (1) liegt hiernach auch den anderen Sätzen (2) - (4) zugrunde: (1) (2) (3) (4)

Der Junge gibt dem Vater den Wecker Den Wecker gibt der Junge dem Vater Dem Vater gibt der Junge den Wecker Der Junge gibt den Wecker dem Vater

In der hier vorgestellten kategorialen Syntax haben diese Sätze verschiedene kategorialsyntaktische Strukturen. Sie sind zwar alle gemäß der Regel S3 aufgebaut, aber in verschiedener Weise: (1) Der Junge gibt dem Vater den Wecker ist eine Serialisierung derselben kategorialen Struktur, die der Nebensatzform (1') (daß) der Junge dem Vater den Wecker gibt zugrunde liegt. Die Nebensatzserialisierung ist eine »natürliche« (unidirektionale) Serialisierung, und zwar die von rechts nach links. Diese kommt besonders häufig vor in Sprachen mit Verbendstellung, wie z. B. im Türkischen und Japanischen. Eine andere »natürliche« Serialisierung ist die von links nach rechts, die wir besonders häufig in Sprachen finden, in denen das Verb auf das Subjekt des Satzes folgt, wie z.B. im Englischen, oder ganz am Satzanfang steht, wie z.B. im Arabischen und in den meisten polynesischen Sprachen. Bei einer »natürlichen« Serialisierung wird eine kategorialsyntaktische Hierarchie aus Operatoren und Operanden entweder von rechts nach links oder von links nach rechts auf eine lineare Folge projiziert: von rechts nach links: Operator(Operand) —> Operator Operand von links nach rechts: Operator(Operand) —> Operand Operator Eine Serialisierung ist nicht-»natürlich«, wenn sie nicht gemäß diesen Serialisierungen stattfindet, wie z.B. die Hauptsatzserialisierung im Deutschen, wo der

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finite Verbteil (das innerste Operandum) nicht in der linearen Reflektion der Hierarchie, in der es steht, auf die lineare Folge projiziert wird, sondern, wie immer der Satz im übrigen aussieht, an die zweite Stelle des Satzes gestellt wird. Beispiele: (weil) Hans wegen des Regens schnell lief Hans lief wegen des Regens schnell John ran fast because of the rain Die kategoriale Hierarchie der Verbphrase ist (wegen des Regens'(schnell'(laufen'))) Die beiden »natürlichen« Serialisierungen sind wegen des Regens schnell laufen und laufen schnell wegen des Regens, wobei wir die erste im deutschen Nebensatz finden und die zweite im Englischen. Die Serialisierung der Terme in bezug auf das Verb ist im Englischen und Deutschen dieselbe für diejenigen kategorialen Strukturen, die in beiden Sprachen konstruiert werden. In unseren Beispielen sind das Satz (i) und (4), The boy gives Father the alarm clock und The boy gives the alarm clock to Father. Daß die anderen Formen im Englischen nicht möglich sind, liegt daran, daß die Kasus im Englischen kaum noch morphologisch markiert sind und daher durch die Stellung der Terme im Satz ausgedrückt werden müssen. Die kategoriale Struktur von Satz (1) und (1') ist, abgesehen von der internen Analyse der Terme, (1")

(d-Junge'x(i/-Vater'-^^(d-Wecker\^){gebV>)v>)v")s)

Im groben können wir diese Hierarchie durch folgenden Strukturbaum repräsentieren, bei dem hinter jedem Ausdruck die Regel steht, nach der er erzeugt ist, sowie die betroffene Termstelle: der Junge der Junge

dem Vater den Wecker gibt, S3, 1 dem Vater den Wecker gibt, S3, 3

der Vater

den Wecker eibt, S3, 2

Die kategorialen Strukturen, die (2), (3) und (4) zugrunde liegen, sind dieselben, die bei natürlicher Serialisierung die Nebensatzformen (2'), (3') und (4') ergeben: der dem Wecker (2') (weil) den Wecker der Junge Vatergibt gibt (3') (weil) dem Vater der Junge den Wecker gibt (4') (weil) der Junge den Wecker dem Vater gibt Die entsprechenden kategorialen Formen sind (2"), (3") und (4"). (2") (d- Wecker'r(l)(d- Junge'T(,)(d(3") (d- Vater'TM(dJunge\(l)(d(4") (d- Junge\(,)(dWecker'1{i){d138

Vater'T(})(geb'y,)w,)v,)s) Wecker\{l.)(geb\,)v.)v.)s) Vater'r^igeb'w^vh)

Bei der Realisierung dieser kategorialen Formen ist neben der Serialisierung diejenige morphologische Regel von großer Bedeutung, die angibt, in welchen Kasus die Termstellen von geben realisiert werden, nämlich: geben, V 3 , (i, Nominativ), (2, Akkusativ), (3, Dativ) Bei der Interpretation dieser kategorialen Formen ergibt sich für alle vier Sätze dasselbe: Diese Formen werden in zueinander äquivalente logische Ausdrücke übersetzt, d.h. in Ausdrücke, deren Interpretationen zusammenfallen. Nehmen wir an, daß unsere Sätze in einem Zusammenhang stehen, in dem für den Jungen die Konstante a, für den Vater die Konstante b und für den Wecker die Konstante c eingeführt worden ist, so ergibt sich als Ubersetzung in die Logiksprache ( ! " ' ) - (4'"). (1'") (2" ) (3'") (4"')

Junge"(a) & Vater"(b) & Wecker"(c) Wecker' (c) & Junge' (a) & Vater"(b) Vater"(b) & Junge"(a) & Wecker"(c) Junge"(a) & Wecker"(c) Sc Vater"(b)

&c 8c & &

geb"(a,c,b) geb"(a,c,b) geb"(a,c,b) geb"(a,c,b)

D.h., der kategorialsyntaktische Unterschied zwischen unseren Sätzen (1) - (4) ist semantisch nicht relevant. Er ist lediglich in text-pragmatischer Hinsicht relevant: Bei Standardbetonung, d.h. Satzbetonung auf dem Nomen des letzten Terms des Satzes, haben sie eine verschiedene Topik-Fokus-Struktur, der eine Unterscheidung zwischen alter und neuer Information, die der Satz im Verhältnis zu schon vorausgesetzter Information liefert, entspricht. Diese text-pragmatischen Verhältnisse, die sich bei verschiedener Wortstellung in Standardintonation und bei gleicher Wortstellung in verschiedenen Intonationsmustern ausdrücken, werden besonders deutlich im Kontext von Negationspartikeln und Satzadverbien. Die Rolle der kategorialen Syntax in diesem Zusammenhang wird in Bartsch 1975a und 1976a behandelt. 5.5

Syntax, Semantik und Pragmatik

Die Grenzen zwischen Semantik und Pragmatik verlaufen verschieden, je nachdem welchen Begriff von »Pragmatik« man gebraucht. Eine Zeitlang herrschte die Morrissche und Carnapsche Abgrenzung vor, nach der alles bei der Interpretation einer Äußerung, was auf die Sprechsituation (einschließlich Sprecher, Hörer, Dritte, Ort und Zeit) oder auf den Kontext der Äußerung (worunter man sowohl die Sprechsituation wie auch den sprachlichen Kontext, als Teil dieser, verstand) Bezug nimmt, als »pragmatisch« bezeichnet wurde. So nannte noch Montague (1968) seinen Aufsatz über deiktische Ausdrücke und Modalität »Pragmatics«. Inzwischen wird dieser Bereich als indexikalische Semantik der Semantik zugeordnet. Das geschieht, weil die deiktischen Ausdrücke durch ihren Bezug auf Situation und Kontext zu den Wahrheitsbedingungen des Gesagten beitragen. Uns scheint es am konsequentesten, alles, was zu den Wahrheitsbedingungen einer Äußerung beiträgt, zur Semantik zu rechnen, ob es nun explizit in der Äußerung ausgedrückt ist oder durch einen in der Äußerung selbst angegebenen Bezug zur Äußerungssituation zu konstruieren ist (vgl. Groenendijk und Stokhof 1978, Bartsch i978d). Eine solche Er-

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Weiterung der Semantik, die inzwischen bei den Logikern, zumindest denen der modelltheoretischen Richtungen, schon eingebürgert ist und woran weiter gearbeitet wird, kann dann »kontextuelle Semantik« heißen; dies ist eine Erweiterung der indexikalischen Semantik. Wir wollen nun einige Beispiele geben, die in diesen Bereich fallen. Wir diskutieren zuerst den Gebrauch des attributiven Genitivs. In traditionellen Grammatiken findet man zwei Funktionsweisen des attributiven Genitivs beschrieben, den »Genitivus subjectivus« und den »Genitivus objektivus«. Z . B . kann der Ausdruck (das) Kochen der Missionare einen Vorgang bedeuten, in den die Missionare als Handelnde (subjectivus) oder als Leidende (objectivus) verwickelt sind. Parallel dazu kann Peters Bild bedeuten >das Bild, das Peter gemalt hat< (subjectivus) oder >das Bild, auf dem Peter gemalt ist< (objectivus). Diese Darstellung läßt außer acht, daß der Ausdruck, je nach Gebrauchskontext, nicht nur diese beiden Dinge bedeuten kann, sondern auch noch etwa >das Bild, auf das sich Peter gesetzt hat< (etwa bei einem Spiel, bei dem sich jeder auf ein Bild setzt und dann geraten werden muß, wer auf welchem sitzt); oder >das Bild, das Peter gehörtdas Bild, das Peter (wie auch immer) zugeordnet ist(das) Kochen, das den Missionaren (wie auch immer) zugeordnet istDas Bild, das Peter gemalt hat, ist schön« und ein andermal die Proposition >Das Bild, auf dem Peter sitzt, ist schön< etc. ausdrückt. Gemäß dieser Auffassung ist die Proposition die kontext-unabhängige Aussage, die man erhält, indem man einen wörtlichen Satzinhalt als Funktion auf den Kontext anwendet (so bei Stalnaker 1972). Wir können festhalten, daß Peters Bild allein eine (wörtliche) Bedeutung hat, die recht unspezifisch ist und die durch situative und kontextuelle Faktoren spezifiziert wird. Das Entsprechende gilt für den Ausdruck (das) Kochen der Missionare, z . B . in dem Satz Das Kochen der Missionare nahm mehrere Stunden in Anspruch. Solche Spezifizierungen findet man auch im Bereich der Wortbedeutungen, so bzgl. des Wortes offen. Der Satz Die Tür ist offen wird verschieden bewertet, je nachdem, ob er geäußert wird, wenn jemand ein großes Möbelstück durch die Tür tragen will, oder ob es darum geht, daß man außerhalb des Zimmers ein 140

Gespräch nicht durch die Tür hören soll. Was im letzten Fall als »offen« gilt, vielleicht schon ein kleiner Spalt, gilt im ersten Fall noch als »zu«; denn der Möbelträger wird rufen: »Mach doch die Tür endlich auf!«, und man kann darauf nicht ernsthaft antworten: »Sie ist doch offen«. Weiterhin ist gesagt worden, daß der Unterschied zwischen spezifischer und nicht-spezifischer Lesart des indefiniten Artikels nicht semantischer, sondern pragmatischer Natur sei, so Groenendijk und Stokhof (1978), die dafür eine pragmatische Behandlung in ihrer »epistemischen Pragmatik« geben. Der Satz Ein Bild fehlt in der Galerie bedeutet auf jeden Fall, daß es ein Bild in der Galerie gegeben hat, das fehlt, egal ob der Sprecher nun weiß, welches fehlt oder nicht. Dies letzte, das Wissen des Sprechers, spielt keine Rolle bei der intersubjektiven Interpretation des Satzes und damit bei der Zuweisung des Wahrheitswertes. Was für die Auffassung dieser Unterscheidung als pragmatische akzeptabel ist, ist weniger akzeptabel für die Auffassung von Kempson (1975), daß der Unterschied zwischen bestimmtem und unbestimmtem Artikel nicht semantischer, sondern pragmatischer Natur sei. Allerdings schränkt sie dies ein auf Vorkommen des unbestimmten Artikels in Termen in nicht-prädikativer Position und bei spezifischer Lesart; aber dies hat zur Folge, daß sie für den unbestimmten Artikel verschiedene semantische Analysen ansetzen müßte, abhängig von seiner Stellung im Satz und davon, ob der Sprecher den Artikel nun spezifisch oder nicht spezifisch verwendet, ein Unterschied, der nun gerade nicht semantischer, sondern pragmatischer Natur ist, wenn wir Groenendijk und Stokhof folgen. Kempsons Argument dafür ist, daß z.B. das Buch und ein Buch gebraucht werden können, um auf ein und dasselbe Buch zu verweisen. Beide Ausdrücke können also denselben Referenten haben. Dies ist aber keine hinreichende Bedingung und auch keine notwendige. So kann man z. B. sagen Das Buch Uber Goethe findest du in der Bibliothek und damit ein bestimmtes Buch meinen; und man kann sagen Ein Buch über Goethe findest du in der Bibliothek, was bedeutet, mindestens eins, vielleicht auch mehrere. Ob der Sprecher eventuell ein bestimmtes Buch »in seinem Kopf hat«, ist völlig irrelevant für die Interpretation durch den Hörer, da ihm durch den Satz diese Information nicht mitgeteilt ist, und es gehört nicht zur Interpretation, »in den Kopf des Sprechers zu sehen«, um zu wissen, was er meint; solange man nicht über zusätzliche Informationen verfügt, muß man davon ausgehen, daß er das meint, was er gesagt hat, d.h. was durch den gebrauchten Ausdruck und evidente situative Information erkennbar ist. Die Wahrheitsbedingungen der beiden obigen Sätze sind sehr verschieden, was an dem Unterschied zwischen bestimmtem und unbestimmtem Artikel liegt. Auch ist es so, daß, wenn zwei Ausdrücke denselben Referenten haben, sie damit noch keineswegs semantisch gleichwertig zu sein brauchen. Natürlich ist es vom Kontext abhängig, ob man auf einen bestimmten Referenten mittels einer definiten oder indefiniten Beschreibung referiert. Aber damit ist der Unterschied immer noch ein semantischer, denn in ein und demselben Kontext gibt der Gebrauch des bestimmten Artikels dem Hörer andere Interpretationsanweisungen als der Gebrauch des unbestimmten Artikels, und damit kommt der Hörer auch zu verschiedenen Interpretationen und damit zu verschiedenen Beurteilungen der Wahrheit oder Falschheit einer Aussage. Man vergleiche die beiden folgenden Texte: 141

(a) Ein Mann und eine Frau saßen im Café. Plötzlich ging der Mann zur Tür und schoß. (b) Ein Mann und eine Frau saßen im Café. Plötzlich ging ein Mann zur Tür und schoß. Solche Texte verlangen eine kontextuell-semantische Interpretation: Im ersten Fall wird der Referent aus dem Kontext aufgefunden; daß dies zu geschehen hat, wird gerade durch den Gebrauch des bestimmten Artikels angezeigt. Im zweiten Fall wird durch den unbestimmten Artikel angezeigt, daß man einen neuen Referenten zu nehmen hat und gerade nicht den im vorhergehenden Satz eingeführten Mann. (Zur Referenteneinführung durch unbestimmte Artikel und zu Interpretationsstrategien für bestimmte Artikel siehe Bartsch 1976a und b und 1978b sowie Ballmer 1975.) - Andere Sprachen sehen für diese Unterschiede andere Mittel vor. So muß im Lateinischen im Beispiel (b) ein Ausdruck mit der Bedeutung »ein anderer« hinzugefügt werden, wenn der Rückbezug auf den vorher eingeführten Mann verhindert werden soll. Der Fall (a) ist also der unmarkierte. Im Finnischen wird z.B. in Objektposition der Unterschied zwischen indefinit und definit durch den Gebrauch des Partitivs im Gegensatz zum Akkusativ angezeigt, womit auch noch aspektuelle Unterschiede verbunden sind. Es gibt andere kontextabhängige Phänomene, die mit Sicherheit nicht semantischer Natur sind. Diese sind z.B. die Zuweisung von Topik-Fokus-Struktur an Sätze. Dies drückt sich aus durch ein Zusammenspiel von Stellung im Satz und Position des Satzakzents (vgl. Bartsch 1975a, 1976a). Wir werden hier kurz ein Beispiel behandeln. Eine Feststellung wie »Maria singt das Lied« kann in ganz verschiedenen Kontexten vorkommen. Bei konstantem Satzakzent, etwa am Satzende, variiert dann die Wortfolge, wodurch unterschiedliche Satzkonstituenten unter den Akzent fallen; und bei konstanter Wortstellung variiert der Satzakzent. Z.B. könnte die Feststellung mit der Akzentuierung Maria SINGT das LIED eine Antwort auf die Frage sein: »Ich höre ein Lied singen, eine Konzertmelodie pfeifen und eine Arie singen; was davon tut Maria?« Auf die Frage »Wer singt das Lied?« würde die Antwort lauten MARIA singt das Lied. Solche Kontext- und Verwendungsfaktoren, die zur Semantik im engeren Sinne hinzutreten, nennt man p r a g m a t i s c h . Wir skizzieren hier ganz kurz und exemplarisch die Topikalisierung mit den Begleitphänomenen des Satzakzents und der Pronominalisierung anhand der folgenden Sätze. Wir geben jeweils eine Frage als Kontext an. (a) Was singt Maria? Maria singt das LIED. (b) Was tut Maria mit dem Lied? Maria S I N G T das Lied. (c) Wer singt das Lied? M A R I A singt das Lied. (d) Was singt Maria? Sie singt das LIED. (e) Was tut Maria mit dem Lied? Sie S I N G T es. 142

(f) Wer singt das Lied? M A R I A tut es. Zunächst bemerken wir, daß in jedem dieser kleinen Diskursstücke bereits einiges vorausgesetzt, p r ä s u p p o n i e r t ist. Wer z.B. wie in (a) Maria sagt, präsupponiert, daß es für den Diskurs ein Individuum gibt, das Maria heißt, und daß nicht mehr als ein solches Individuum in Frage kommt; anderenfalls müßte er nämlich eine gewisse Maria oder dergleichen sagen. Insbesondere gilt also für (a) die Voraussetzung: Es gibt genau eine Maria in dieser Kommunikationssituation. Entsprechend gilt für den Gebrauch des bestimmten Artikels, daß die Existenz genau eines Individuums der genannten Art für den Diskurs präsupponiert ist; also mit Bezug auf (a): Es gibt genau ein Lied in dieser Kommunikationssituation. Dies sind kontextuell-semantische Präsuppositionen, die erfüllt sein müssen, damit Frage und Antwort auf einen Diskursbereich bezogen interpretiert werden können. In all den Fällen (a) - (f) ist Maria das T o p i k , auf das die P r ä d i k a t i o n der Sätze bezogen ist. Das T h e m a , d.h. das, was thematisch ist, ist unterschiedlich. In (a) ist es, daß Maria singt; in (b), daß Maria etwas mit dem Lied tut; in (c), daß jemand etwas singt; in (d) wie (a); in (e) wie (b); und in (f) wie (c). Das, was hier thematisch ist, ist jeweils kontextuell für die Antwort auf die entsprechende Frage, und für die Frage selbst, präsupponiert. Diese präsupponierte Information, soweit sie in den Antworten wieder erwähnt wird, bekommt keinen Satzakzent (vgl. auch Abschnitt i und 2.1). Dieser fällt auf die Ausdrücke, die die nicht präsupponierte Information tragen, insbesondere auf die Information, die in den durch die Frage gesetzten F o k u s r a h m e n fällt, die Fokus-Information. Der semantische Inhalt der Antworten (a), (b), (c) ist jeweils derselbe, in jedem Fall der des Satzes Maria singt das Lied. Dieser Inhalt wird aus der syntaktisch-morphologisch-lexikalischen Struktur abgeleitet. Zusammen mit der präsupponierten Information ergibt sich, was die jeweilige Fokus-Information ist, also das, was in den Antworten eigentlich als die die Frage beantwortende neue Information assertiert ist. Wenn jemand jetzt die Antworten negiert oder in Frage stellt, dann negiert er den ganzen Satz Maria singt das Lied, wobei er die jeweilige thematische Information weiterhin präsupponiert. Damit ist dann deutlich, daß er gerade der nicht präsupponierten Information des Satzes nicht zustimmt. Obgleich der ganze Satz negiert wird (schwache Negation oder SatzNegation), läßt sich so erschließen, welche Teilinformation innerhalb des Satzes durch die Negation betroffen ist. Dies ist der unmarkierte Fall. Will aber jemand präsupponierte Information negieren, dann muß er das eigens anzeigen und die ganze Topik-Thema-Fokus-Struktur, die der Sprecher mit seiner Frage vorgegeben hat, verwerfen und umstrukturieren, Solange er das nicht tut, wird die einfache Negation durch Nein, das stimmt nicht oder die Infragestellung durch Wirklich?, obgleich sie semantisch gesehen den ganzen Satz betrifft, aufgrund der kontextuellen Präsuppositionen auf die Fokus-Information bezogen: Dies ist das Ergebnis, wenn man die Negation des ganzen Satzes in Konjunktion setzt mit seinen Präsuppositionen. In (d) - (f) kommen Pronomina vor, die auf jeden Fall erst durch die kontextuell-semantische Interpretation einen spezifischen Informationswert bekom-

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men, so daß erst dann der Wahrheitswert des Satzes beurteilbar wird, d. h. erst dadurch der Satz Wahrheitsbedingungen erhält. Diese Antworten haben für sich selbst betrachtet nicht denselben Informationswert, und auch nicht denselben wie die Antworten (a) - (c); erst durch den kontextuellen Bezug haben sie untereinander und mit (a) - (c) einen gemeinsamen Informationswert. Es ist die Frage, ob wir Phänomene der Top'ik-Thema-Fokus-Unterscheidung zur Pragmatik rechnen sollen oder noch zur Kontextsemantik. Das letzte ist ohne weiteres klar für die Interpretation der Pronomina: diese gehört zur Semantik; denn die Pronomina tragen zu den Wahrheitsbedingungen und damit zur Möglichkeit der Wahrheitsbewertung von Aussagesätzen bei. Aber die Unterscheidung zwischen Präsupponieren, Assertieren, zum Fokus machen, zum Topik machen, zum Thema machen u. ä. sind pragmatisch, da sie im Sprechhandeln gebrauchte Strategien sind (aber vgl. die Ausführungen zum Kontrastakzent in Abschnitt 2.1). O b sie selbst Sprechhandlungen zu nennen sind, in derselben Weise wie Behauptung, Frage, Aufforderung und eventuell andere, ist fraglich. Sie sind eher strategische Mittel, die innerhalb von Sprechhandlungen und in der Textkonstitution gebraucht werden. Unter anderem wird durch sie die Interpretation geregelt und werden die Weisen der sprachlichen Interaktion reguliert. Sie fallen damit in den Bereich der Theorie des sprachlichen Handelns und insbesondere der sprachlichen Interaktion. Abschließend wollen wir die für die Grammatiktheorie kennzeichnenden Korrektheitsbegriffe einander gegenüberstellen, die in einer allgemeinen Sprachtheorie auszuarbeiten (vgl. Bartsch 1978c!) und auf der Basis einer in ihr gegebenen Definition in der Theorie einer speziellen Sprache L anzuwenden sind: Die S y n t a x einer Sprache L ist die Explikation des Begriffs »syntaktisch korrekter Ausdruck von L« auf der Basis der Explikation des Begriffs »syntaktisch korrekter Satz von L«. Die S e m a n t i k einer Sprache L ist die Explikation des Begriffs »semantisch korrekter Ausdruck von L« auf der Basis der Explikation des Begriffs »wahrer Satz von L in bezug auf bestimmte situative und kontextuelle Faktoren«. Die P r a g m a t i k einer Sprache L ist die Explikation des Begriffs »pragmatisch korrekter Ausdruck von L« auf der Basis der Explikation des Begriffs »passender Ausdruck von L in bezug auf bestimmte kontextuelle und situative Faktoren und Ziele«.

144

Drittes Kapitel

Aspekte der Sprachveränderungstheorie

i

Vorbetrachtung

Wir hatten im ersten Kapitel, im Abschnitt 4 »Sprachtheorie und Sprachveränderungstheorie«, bereits dargestellt, daß gerade die Inhomogenität innerhalb einer Sprache der Motor der Sprachveränderung ist. Die Veränderung eines Sprachsystems ist eine Folge der Einflüsse von Sprachvarianten aufeinander, oder genauer: der Einflüsse von Sprachausprägungen aufeinander und der Einflüsse von Normen aufeinander, insbesondere von Umorientierungen der Sprecher in bezug auf Sprachnormen (Normumorientierung). Da verschiedene Sprachausprägungen mit ihren Strukturen in der Sprachbeherrschung eines Sprechers systematisiert werden, verändern sich diese Strukturen unter dem Einfluß dieser Systematisierung (vgl. Schnelle 1976). Da ein System einer Sprachausprägung oder einer funktionalen oder dialektalen Variante durch einen Systematisierungsprozeß zustande kommt, von dem wir annehmen, daß er nach bestimmten Prinzipien verläuft (z.B. Ökonomie unter verschiedenen Gesichtspunkten), kann die Systematisierung selbst Sprachveränderungen einleiten: Bestimmte Zusammenhänge verändern sich so, daß das System unter einem gewissen Aspekt einfacher wird. Sprachnormen können sich unter dem Gesichtspunkt pragmatischer Funktionabilität verändern (Schnelle 1976), es kann aber auch das Sprachsystem durch eine Vereinfachungstendenz zur Veränderung von Sprachnormen führen. Die Verbreitung neuer Sprachformen und neuer Weisen des Sprachgebrauchs kann durch Erlangung sozialer, funktionaler oder systematischer Relevanz befördert werden und so zu einer Veränderung des Sprachsystems führen. Dies ist dann - in der Sprechweise von Paul [1880] (1970) - ein Ubergang von okkasionellem zu usuellem Sprachgebrauch und insofern eine Sprachsystemveränderung. Die Rolle sozialer Faktoren beim Lautwandel hat insbesondere Labov (1963 und die späteren Arbeiten) betont. Die sprachlichen Formen einer Gruppe mit großem Prestige setzen sich bei Sprachbenutzern durch, die sich besonders stark an dieser Gruppe und ihren Normen orientieren. Die Rolle der Sprachübertragung von einer Generation auf die nächste für das Zustandekommen von Sprachveränderung ist schon von Paul [1880] (1970) hervorgehoben worden. Das Sprachsystem wird nicht direkt von den Eltern auf die Kinder übertragen. Der Zusammenhang zwischen Elternsprache und Kindersprache besteht nur über die Sprachprodukte, d. h. die Resultate der individuellen Sprechtätigkeit, wobei das Kind seine Sprachprodukte weitgehend, aber nicht vollständig an die der Eltern anpassen muß. Nicht selten abstrahieren Kinder aus den Sprachprodukten der Eltern (der Alteren) Regularitäten, nach 146

denen diese Produkte tatsächlich gar nicht organisiert waren ( I n d u k t i o n » f a l s c h e r « R e g u l a r i t ä t e n ) ; daß dies der Fall war, wird dann evident, wenn die Kinder (die Jüngeren) aus den induzierten Regularitäten Sprachformen ableiten, die außerhalb der Normzulässigkeit der Eltern liegen ( D e d u k t i o n » f a l s c h e r « F o r m e n ) . Oder Kinder verstehen eine Form (oder eine Klasse von Formen) in den Sprachprodukten ihrer Eltern als Fall einer bestimmten Regularität, während dies für das Sprachsystem der Eltern nicht zutraf ( A b d u k t i o n e i n e s » f a l s c h e n « F a l l e s ) ; wie die Induktion einer »falschen« Regularität wird auch die Abduktion eines »falschen« Falles erst evident, wenn aufgrund ihrer deduktiv »falsche«, d.h. vom Sprachsystem der Eltern abweichende Formen gebildet werden. (Vgl. hierzu ausführlich Andersen 1973.) Paul [1880] (1970, 49ff.) hat am Beginn seines Kapitels über Lautwandel die beim Prozeß der Sprachübertragung relevanten Faktoren gemäß der damaligen Psychologie dargestellt: Das Kind hält allmählich ein Erinnerungsbild eines bestimmten Bewegungsgefühls der Sprechorgane fest, das eine Tonempfindung (von der es auch ein Erinnerungsbild festhält) hervorruft, die von den Eltern akzeptiert wird. Sie wird von den Eltern akzeptiert, wenn sie innerhalb ihres Toleranzbereichs einer Ton-Norm liegt. Dieser Toleranzbereich kann größer sein als ihre Diskriminationsfähigkeit für einen Laut. Paul schreibt: »Die Möglichkeit der Kontrolle reicht soweit wie das Unterscheidungsvermögen« (53). Das stimmt, aber es darf nicht so verstanden werden, als ob die Toleranz nur für den Bereich gölte, in welchem man vorkommende Abweichungen von einer N o r m (subjektiv: einem »Erinnerungsbild« in normierender Funktion) noch nicht erkennen kann. Dies wäre nur eine unfreiwillige Toleranz. Die Toleranzgrenzen können weiter gehen. Was phonologische Normen betrifft, so können wir die Grundwortgestalt (vgl. zweites Kapitel, Abschnitt 2.1) als Norm für die phonetische Qualität eines Wortes auffassen. Dies ist eine technische N o r m , die die Gestalt (Substanz und Form) der Sprachprodukte unter diesem Gesichtspunkt bestimmt. Die Grundwortform mit ihren Varianten gibt den Toleranzbereich der Norm an. Entsprechend den stilistischen Normen z.B. im Bereich der Lexik oder der Syntax gelten entweder die Grundwortgestalt oder bestimmte Varianten von ihr in verschiedenen Sprachgebrauchssituationen in Abhängigkeit von bestimmten stilistischen Parametern als adäquat. Ein Toleranzbereich läßt sich realisationsphonologisch allgemein beschreiben, obwohl im einzelnen hier noch sehr viel zu leisten ist. Auch für das Lautbild einzelner Phone besteht eine Norm mit einem Toleranzbereich. Je nach sprachlicher Umgebung hat ein Phon bei der Realisierung verschiedene Qualitäten. Diese Kontextabhängigkeit der Realisierung trägt ebenfalls zum Aufbau eines Toleranzbereichs eines Phons bei, der selbst wiederum kontextabhängig sein kann, so daß das Phon mehrere kontextabhängige Toleranzbereiche hat (z.B. unter dem Gesichtspunkt der Assimilation). Diese »natürlichen« Toleranzbereiche erklären die Möglichkeit der phonologischen Sprachveränderung. Eine kleine Zeichnung soll dies illustrieren:

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• Veränderungsrichtung (z.B. aufgrund lautphysiologischer »Natürlichkeit«) Skala der Entwicklung eines Lautes (in typischen Kontexten)

Norm der Großeltern

Norm der Eltern

Norm der Kinder

Die Klammern geben den jeweiligen Toleranzbereich der ersten Generation, der »Großeltern« ( ) , der zweiten Generation, der »Eltern« [ ], und der dritten Generation, der »Kinder« { }, an. Wir sehen hier eine Situation, in der die Aussprache der Großeltern und Kinder nicht mehr in den gegenseitigen Toleranzbereichen liegt. Die Großeltern werden dann kritische Bemerkungen über die nach ihrer Auffassung »schluderige« Sprache ihrer Enkel machen, und die Enkel werden sich über die »altmodische« Aussprache der Großeltern mokieren. Allerdings führt eine solche Situation nur dann zu einer Sprachveränderung, wenn sie sich parallel bei vielen Sprechern einstellt bzw. von ihnen übernommen wird. - Analog sind Fälle von Sprachveränderung in den nichtphonologischen Bereichen, z . B . in Syntax- oder Wortbedeutungsveränderung, als Normänderungen zu rekonstruieren. Eine umfassende allgemeine Sprachtheorie enthält eine allgemeine Theorie der Sprachveränderung in der Zeit als Teiltheorie (vgl. Lieb 1977a, 12). Eine allgemeine Sprachveränderungstheorie enthält eine allgemeine Theorie der Veränderung der Sprachsysteme in der Zeit als Teiltheorie, und diese wiederum enthält Teiltheorien für die Veränderung phonologischer, morphologischer, syntaktischer und lexikalischer Systeme von Sprachen in der Zeit. Eine allgemeine Theorie der Veränderung von Sprachsystemen in der Zeit ist eine Theorie darüber, wie Sprachsysteme sich in der Zeit verändern können, während andere Teiltheorien der allgemeinen Theorie der Sprachveränderung Aussagen darüber machen, unter welchen Bedingungen und wie diese Möglichkeiten der Sprachsystemveränderung realisiert werden. Seien z.B. L und L ' zwei Sprachsysteme, sei in einem in der Theorie zu spezifizierenden Sinne L ' ein unmittelbares Nachfolgersystem zu L in der Zeit, und unterscheide sich L ' von L dadurch, daß L ' die Eigenschaft E habe, L aber nicht. Dann ist der Erwerb der Eigenschaft E ein Beispiel einer Sprachsystemveränderung. Der Erwerb der Eigenschaft E kann in Gewinn oder Verlust eines Wortes, der Bedeutungsveränderung eines Wortes, der semantischen Uminterpretierung einer syntaktischen Struktur, dem Zusammenfall zweier Sprachlaute usw. bestehen. Eine allgemeine Sprachsystemveränderungstheorie ist eine Theorie über die Gesamtheit solcher möglicher Eigenschaftserwerbungen, während andere Teiltheorien der allgemeinen Sprachveränderungstheorie Aussagen darüber machen, unter welchen Bedingungen und wie Sprachsysteme den jeweiligen Eigenschaftserwerbungen un148

terworfen werden. (»Sprachsystemveränderung« ist nur ein handlicher Terminus. Ein System kann sich natürlich eigentlich nicht verändern. Gemeint ist offensichtlich »Veränderung einer Sprache A durch Entwicklung eines unmittelbaren Nachfolgesystems L ' zu einem Sprachsystem L von A«. Man wird uns die terminologische Verkürzung sicherlich nachsehen.) Eine umfassende allgemeine Sprachsystemveränderungstheorie gibt es noch nicht, noch weniger eine allgemeine Sprachveränderungstheorie. Es gibt aber ein umfangreiches Wissen sowohl über einzelne stattgehabte Sprachsystemveränderungen als auch über allgemeine Möglichkeiten der Sprachsystemveränderung, ferner auch einiges Wissen über das »Aktuierungsproblem«, d.h. die Frage, unter welchen Bedingungen bestimmte Eigenschaftserwerbungen tatsächlich stattfinden. Wir können hier weder eine allgemeine Sprach- oder auch nur Sprachsystem-Veränderungstheorie entwickeln noch über das in diesem Bereich bereits Erreichte umfassend referieren. Wir verweisen hierfür auf die äußerst umfangreiche Literatur, die sich über die folgenden Werke jüngeren Datums wenigstens zum Teil erschließt: Anttila 1972, Arlotto 1972, Lehmann 1973a, Bynon 1977, Jeffers und Lehiste 1979; Hagege und Haudricourt 1978; Keiler 1972, Dinser 1974, Baldi und Werth 1978; Anderson und Jones 1974, Li 1975, Fisiak 1978, i.E. Im übrigen können wir nur einige ausgewählte typische Aspekte der Sprachsystemveränderung illustrieren.

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Phonologische Veränderung

Das phonologische System einer Sprache (genauer: das wortphonologische System, vgl. zweites Kapitel, Abschnitt 2.1) ist mehreren z.T. widersprüchlichen Veränderungstendenzen unterworfen. Die einzige phonetisch motivierte Tendenz ist die zur p h o n e t i s c h e n V e r e i n f a c h u n g , die sich teils aus der Realisationsphonologie, teils aus dem Spracherwerbsprozeß beim Kind herleitet, in jedem Fall aber über den Spracherwerb Eingang in das wortphonologische System findet. Phonetische Vereinfachung läßt sich interpretieren als ein Nachgeben gegenüber einer der universellen Neutralisationstendenzen oder, alternativ gesprochen, als das Aufgeben einer Kontrastregel (oder »Antiregel«), in der Realisationsphonologie unter bestimmten pragmatischen Bedingungen, beim Spracherwerb des Kindes generell für das wortphonologische System. Nach Stampe (1969) besteht jedes wortphonologische System nur aus dem Spielraum, der durch die teilweise oder totale Unterdrückung einiger der universalen Neutralisationsregeln besteht. Das Kind ist am Anfang des Spracherwerbsprozesses allen Neutralisationsregeln ausgeliefert; es ist überhaupt nicht in der Lage, sprachlich relevante Kontraste zu bilden. Die Erwerbung der Phonologie einer Sprache durch das Kind besteht in der Unterdrückung der in der Sprache nicht zugelassenen Neutralisationsregeln. Indem Regeln unvollständig oder gar nicht unterdrückt werden, ändert sich im Generationswechsel die Phonologie der Sprache. Wenn irgendeine endliche Lautfolge einer Sprache, gleich welcher Komplexität, gegeben ist und alle Neutralisationsregeln anwendbar sind, so verändern die Regeln die Lautfolge in eine einzelne minimale Silbe: ['a]. Assimilationen und 149

Silbenkodaschwächungen führen zur Reduktion und endlich zum gänzlichen Verlust von Segmenten. Die Folge wird kürzer. Durch den Verlust prallen neue Segmente aufeinander; es folgen Verschmelzungen, Assimilationen, Schwächungen, neue Reduktionen und wieder Verlust. Gelegentliche Exkreszenzen von Konsonanten (Epenthese), wie im Deutschen der Einschub von [t] zwischen [n] und [1] (öffentlich, eigentlich, namentlich usw.) durch assimilatorische Denasalierung des [n] durch das [1] und Auslautverhärtung des resultierenden [d] zu [t], oder Exkreszenzen von Vokalen (Anaptyxis, Svarabhakti, Sproßvokalbildung) wie der Einschub eines [s] zwischen [ 0 ] und [1] in Formen des Englischen (athlete, [asöaliit] statt [asOliit]) fallen gegenüber der allgemeinen Tendenz kaum ins Gewicht. Die Tendenz zur einzigen universal vorkommenden Silbenstruktur, zugleich der einzigen Silbenstruktur, die in vielen Sprachen die einzige ist, führt zur Durchsetzung der Struktur CVCVCV (C: Konsonant, V: Vokal); Synkope oder Apokope führt mit nachfolgenden Vereinfachungen zu CVCV; dasselbe, wiederholt, zu CV. Segmentinterne Vereinfachungen führen noch in dieser Silbe zum minimalen C und V. Neutralisation auch der suprasegmentalen Eigenschaften führt zu einer einzigen und undifferenzierten Minimalsilbe. Typische Ketten von Veränderungen, die die Wirkungsweise phonetischer Vereinfachung zeigen, sind: CVNVCV CVNCV CVNCV CVNcCV

(N ein Nasal) Synkope Assimilatorische Vokalnasalierung Nasalassimilation (Nc: der Nasal mit dem Artikulationsort des folgenden C) Nasalverlust nach Nasalvokal Denasalierung

CVCV CVCV Ca $ i J Cay J Cey Ce Ce d.i. CV $ci$y$

»CaV J Caw $ Cow Cö Co d.i. CV

d.i. l CV $ V $ Syllabitätsverlust Assimilation Verschmelzung (Monophthongierung) Längenneutralisation

$

$

$

d.i. J CV $ V J Syllabitätsverlust Palatalisierung bzw. Labialisierung mit nunmehr komplexeren Konsonanten

$ $

$

CyV CyV d.i. CV

Cu $ V CwV s cwv d.i. CV

(d) Beispiel der innersegmentalen Vereinfachung eines komplexen Konsonanten: palatalisiertes k, [k y ].

z.B. Lat. centum [kentum], Franz. cent [sä], mit k —» k y —> c —» t s —* s; Lat. cantare [k-], Franz. chanter [säte], mit k —» k y —» c —» s. 150

O b w o h l eine Sprache gelegentlich nahe an das phonetische Ziel C V herankommt, z . B . das Chinesische, kann das Ziel doch nie verwirklicht werden, weil dabei die kommunikative Funktionabilität der Sprache verloren ginge. Tendenzen, die der phonetischen Vereinfachung zuwiderlaufen, sind: stärkere Differenzierung wichtiger Kontraste, z . B . Spanisch /s s s/ > / © s x / ; analogische Wiedereinführung von Segmenten in Stellungen, wo sie zuvor im Zuge phonetischer Vereinfachung eliminiert worden waren, z.B.italienische Singular-Plural-Paare auf -k: -ko versus -ki kyi —> ci, heute z. T . wieder -ko versus -ki; sprachinterne Komposition, wobei aus Vollwörtern durch semantische (und phonologische) Reduktion Affixe werden oder auch zwei Wurzeln in eine verschmelzen können; Entlehnung, wobei neue Laute und Lautfolgen in eine Sprache eingeführt werden können, d. h. Neutralisationsregeln unterdrückt werden können. Alle diese zuwiderlaufenden Tendenzen können doch nicht verhindern, daß jedes gegebene einzelne lexikalische Element, ob Wurzel oder Affix, im Laufe langer Zeiträume durch phonetische Vereinfachung verschleißt, zum Schluß unbrauchbar wird und ganz aufgegeben wird. Wir bemerken noch in Hinsicht auf die Synchronie-Diachronie-Diskussion, daß die Phonologieveränderungsforschung die Begriffe des phonologischen Merkmals und damit der natürlichen Klasse empirisch abstützt: Phonologischer Wandel betrifft nicht Einzelsegmente, sondern natürliche Klassen durch Veränderung bestimmter Merkmale (Einzelsegmente nur, insofern sie die einzigen Elemente ihrer Klasse sind); z . B . nicht kh > x, sondernp h thkhkwh>f&xxw als Teil der germanischen Konsonantenverschiebung, also die ganze natürliche Klasse der aspirierten Verschlußlaute ist in die entsprechende Klasse der Spiranten verschoben worden; und nicht u oder ö, sondern die ganze natürliche Klasse hinterer Vokale und Diphthonge ist im Voralthochdeutschen vor jedem Element der natürlichen Klasse der hohen vorderen Vokale und Halbvokale, [i I i], assimilatorisch nach vorn verschoben worden (Umlaut):

[ + Vokalisch]

[ - Hinten] / .

+ Vokalisch X + Hoch - Hinten

Bedingung: keine Wortgrenze in X . Das Entstehen dieser Regularität zeigt aufs deutlichste den Zusammenhang zwischen natürlichen Klassen und Neutralisation. Das Fortbestehen dieser Regularität als morphophonemische Alternation, nun also nicht mehr als rein phonologisch bedingte Neutralisation, sondern als morpho-syntaktisch kontrollierter symbolischer Prozeß, z . B . bei den Pluralen auf -er, deutet ferner darauf hin, daß der Begriff der natürlichen Klasse auch in der Morphophonemik und Morphologie eine Rolle spielt. In Abschnitt i haben wir angedeutet, daß trotz des i n d i v i d u e l l e n Charakters jeder sprachlichen I n n o v a t i o n sowie des Erfordernisses der k o l l e k t i v e n V e r a l l g e m e i n e r u n g der Sprachwandel in den seltensten Fällen oszilliert, sondern in einer Richtung voranschreitet. Dies läßt sich damit begründen, daß schon die individuellen Innovationen in den seltensten Fällen idiosynkratisch, I

5I

vielmehr fast immer generell motiviert sind, so daß sie im allgemeinen massiert auftreten. Die kollektive Akzeptierung ist also ihrerseits bereits motiviert, nämlich eben durch das m a s s i e r t e A u f t r e t e n gleichförmiger individueller Innovationen. Das Entsprechende gilt übrigens auch für die Ablehnung einer Veränderung aufgrund von S t i g m a t i s i e r u n g , wenn nämlich individuelle Innovationen massiert in einer Bevölkerungsgruppe auftreten, mit der andere Gruppen der Sprachgemeinschaft sich nicht identifizieren mögen. Die Möglichkeit des systematischen Sprachwandels beruht also letztlich auf der G l e i c h f ö r m i g k e i t d e r individuellen Innovationen. Die Gleichförmigkeit der individuellen Innovationen läßt sich im phonologischen Bereich besonders plausibel begründen, indem die Zahl der motivierenden Faktoren gering ist. Dieser Umstand ermöglicht eine T y p o l o g i e der Lautveränderungen n a c h i h r e n M o t i v a t i o n e n (Vennemann, i.E.). In dieser Theorie werden zunächst i n t e r n e und e x t e r n e Motivation unterschieden. D i e e x t e r n e Motivation besteht in dem Bedürfnis der Nachahmung eines prestigiösen V o r bilds. Hierher gehören E n t l e h n u n g e n aller A r t nebst ihren induktiven Verallgemeinerungen, die sich dann in deduktiven Fehlleistungen niederschlagen ( H y p e r k o r r e k t u r , z . B . die Aussprache [fif] statt [ f i j ] für Fisch bei Sprechern, in deren Dialekt generell [9] mit [J] in [J] (!) zusammengefallen ist). N e b e n der externen Motivation gibt es nach der Theorie drei i n t e r n e Motivationen: (I) die Motivation aus der psycho-physischen Konstitution des die Sprache lernenden b z w . benutzenden pronunzierenden und perzipierenden Sprachteilhabers, kurz p h o n e t i s c h e Motivation genannt; (II) die Motivation, bestimmte Kontraste des Sprachsystems zu erhalten bzw. sogar pronuntiatorisch zu unterstreichen, k u r z p h o n o l o g i s c h e Motivation genannt; (III) die Motivation, bestimmte rein phonologische oder auch phonologisch-konzeptuelle, d.h. morphologische Regularisierungen vorzunehmen, kurz a n a l o g i s c h e Motivation genannt. Dies ist in der folgenden Ubersicht zusammengefaßt. A.

B.

Interne Motivationen I. phonetische Motivation II. phonologische Motivation III. analogische M o t i v a t i o n Externe Motivation

Bei Zugrundelegung dieser Motivationen erhält man eine Klassifizierung aller bekannten Lautveränderungstypen, unter die sich wiederum alle beobachteten Lautveränderungen subsumieren lassen. Die Ubersicht (nach Vennemann, i.E.) klassifiziert die wichtigsten bekannten Lautveränderungstypen in der angegebenen Weise. Eine Definition der verwendeten Termini verbietet sich hier aus Platzgründen; wir verweisen auf die am Ende von Abschnitt 1 genannten Einführungen sowie auf die ausführliche Diskussion und Exemplifikation in Vennemann (i.E.).

152

TYPOLOGIE DER LAUTVERÄNDERUNGEN (A) Intern motivierte Lautveränderungen (I) Phonetisch motivierte Lautveränderungen (1) Artikulatorische Vereinfachungen (a) Segmentale Vereinfachungen (a) Merkmalverlust (ß) Bisegmentalisierung (b) Sequentielle Vereinfachungen (a) Ähnlichkeitsanpassungen (a.i) Assimilation (a.2.1) Syntagmatische Dissimilation (a.2.2) Haplologie (ß) Silbenstrukturvereinfachungen (ß.i) Bei komplexem konsonantischem Silbenanlaut: Deletion Anaptyxis Vokalprothesis Koartikulation (ß.2) Bei vokalischem Silbenanlaut: Konsonantenprothesis Koaleszenz Elision (ß.3) Bei komplexem Silbennukleus: Monophthongierung (ß.4) An der Silbenkoda: Deletion in komplexer Koda Schwächung Verlust (ß.5) Bei »starker« Koda und »schwachem« konsonantischem Silbenanlaut: Epenthese Metathese (y) Reduktionen (y. 1) Schwächungen ( y . i . i ) Konsonantenschwächung (y.i.2) Vokalschwächung (7.2) Kürzung (Verlust von Silbenkernen) ( y . i . i ) Apokope (y.2.2) Synkope ( Y . 2 . 3 ) Prokope (Aphärese) (2) Auditiv bedingte Substitutionen (a) Vereinfachende Substitutionen (b) Verwechslungen (II) Phonologisch motivierte Lautveränderungen (1) Schiebeketten (2) Diphthongierung (3) Paradigmatische Dissimilation (III) Analogisch motivierte Lautveränderungen (1) durch phonologische Analogie motivierte Lautveränderungen (2) durch konzeptuelle Analogie motivierte Lautveränderungen (B) Extern motivierte Lautveränderungen

153

Eines der Ziele der Theorie der Sprachveränderung ist es, einen solchen Katalog der Lautveränderungstypen bis in die feinsten Verästelungen und Bedingungen auszuarbeiten, damit schließlich die These aufgestellt und begründet werden kann, daß alle überhaupt möglichen Lautveränderungen einen und nur einen der klassifizierten Typen instantiieren. Damit ist dann zwar keine E r k l ä r u n g der phonologischen Veränderung in dem Sinne geleistet, daß die einzelne Veränderung (als individuelle Innovation oder auch als kollektive Verallgemeinerung) vorhersagbar würde. O b es eine p r ä d i k t i v e T h e o r i e der Sprachveränderung in diesem Sinne überhaupt geben kann, ist ohnehin fraglich und wird, nach unserer Auffassung zu Recht, bestritten (vgl. z . B . Anttila 1972, i79ff. sowie sehr ausführlich Lass 1980). Immerhin aber s o r t i e r t und i n t e r p r e t i e r t die Theorie alle beschriebenen Vorkommnisse von Lautveränderung, erlaubt sie eine Anschlußtheorie über die r e l a t i v e W a h r s c h e i n l i c h k e i t des Eintretens von Lautveränderungen der verschiedenen Typen bzgl. typischer Situationen und sagt sie darüber hinaus durch ihre Schließungsklausel, welche d e n k b a r e n Lautveränderungen n i c h t vorkommen. Dies ist nach der zitierten Auffassung das äußerste, was eine linguistische Theorie in diesem Bereich, wo es nicht um die Feststellung innersystematischer Zusammenhänge, sondern um die Auswirkung individuellen und sozialen sprachlichen Verhaltens in Sprachgemeinschaften auf Sprachsysteme geht, zu leisten vermag.

3

Morphologische Veränderung

Eine ausführliche Beantwortung der Frage nach der morphologischen Veränderung würde Bände füllen. Wir können hier nur in aller Kürze der prinzipiellen Frage nachgehen, wie morphologische Regularitäten überhaupt entstehen, wie sie sich ändern und wie sie wieder verlorengehen. Eine Typologie der morphologischen Veränderungen versuchen wir nicht. (Ein solcher Versuch wird angestrengt in H. Andersen 1980.) Zahlreiche Beispiele findet man in den am Ende von Abschnitt 1 genannten Einführungen; eine ausführliche Darstellung findet sich ferner in Vennemann (i. E.). Der Ursprung einer morphologischen Regularität ist fast immer eine syntaktische oder eine phonologische Regularität; gelegentlich liegt er in der falschen morphologischen Analyse einer Wortstruktur. A m transparentesten ist die Entstehung einer morphologischen Regularität aus einer syntaktischen Regularität im Falle der Entstehung von Komposition sowie von Präfigierung und Suffigierung durch U n i v e r b i e r u n g , d.h. Verschmelzung der Konstituenten eines syntaktischen Konstruktionstyps in ein Wort. Mehrere deutsche Kompositionstypen lassen ihren Ursprung in einer genitivischen Attribution bis heute erkennen: Mittelhochdeutsch

Neuhochdeutsch

daz tages liecbt daz sunnen liecht

das tag-es-licht das sonne-n-licht

Im Mittelhochdeutschen waren tages und sunnen Genitive zu tac bzw. sunne, und -es bzw. -n waren Genitivsuffixe. Im heutigen Deutsch sind sie dies in den M4

Verbindungen Tageslicht bzw. Sonnenlicht n i c h t . Dem -es- in Tageslicht sieht man dies zwar nicht unmittelbar an, wohl aber dem -n- in Sonnenlicht; denn der Genitiv zu Sonne ist nicht *Sonnen, sondern Sonne. Indes kann man auch für den nichtgenitivischen Charakter des Fugenelements -(e)s- im heutigen Deutsch leicht den Nachweis führen: Es erscheint auch und gerade bei solchen Stämmen, deren Genitiv n i c h t auf -(e)s ausgeht und nie auf -fejs ausging, z.B. obligatorisch bei Feminina auf -ung und -heit, z.B. Versicherungsagent, Gelegenheitskauf. Die Univerbierung zeigt sich übrigens darin, daß die Komposita nur einen Primärakzent tragen können, während die genitivische Konstruktion zwei Akzente tragen konnte und kann. - Gelegentlich können wir übrigens die Entstehung eines Kompositums aus einer attributiven Konstruktion in statu nascendi beobachten. Z. B. gibt es im heutigen Deutsch die folgenden Paradigmen nebeneinander: die lang-e weile der läng-en weile vor läng-er weile

die läng-e-weile der lang-en-weile vor läng-er-weile

Im Kompositum Langeweile ist allerdings eine Tendenz zur Vereinheitlichung des Fugenelements (als -e-) spürbar, so daß man auch vor Langeweile hören kann. Wir merken noch an, daß aus Kompositionsregularitäten durch sog. Reihenbildung auch Derivationsregularitäten entstehen können. Historische Beispiele aus der deutschen Sprachgeschichte sind die Derivation mit -heit (aus Komposition mit einem freien Nominalstamm heit, vgl. gotisch haidus >GestaltKörper, Gestalt, Wesen< [vgl. noch neuhochdeutsch Leiche] und Ubergang in die Kategorie der Adjektivstämme durch possessivische Reinterpretation ifriuntlich >Freundeswesen< —> >Freundeswesen habend< —» >freundlichich werde es lesen< ni- Subjektanzeiger der i. Person 155

Singular (alternierend mit « - >2. Sing.3. Sing.1. Pl.< usw.), taFuturanzeiger (alternierend mit na- für Präsens, Ii- f ü r Präteritum usw.), kiObjektanzeiger, und zwar ein Nominalklassenpräfix f ü r die Klasse, zu der z . B . der Stamm -tabu >Buch< gehört (der Plural wäre vi-), und schließlich -soma der Verbalstamm. N u n ist bekannt, daß Tempusaffixe fast immer aus Auxiliarverben entstehen (Givon 1 9 7 1 ) , also aus syntaktischen Konstruktionen; am bekanntesten ist die Entstehung der futurischen Konjugation in den romanischen Sprachen aus dem Infinitiv und der finiten Form des Auxiliars habere >haben finirö > finirai

>ich werde beenden< >du wirst beenden«

+ habui > finirei >ich würde beenden« + habuisti > finiresti >du würdest beenden« Damit rekonstriert sich f ü r das Suaheli eine Vorstufe mit Pronomina und A u x i liaren nach dem Muster des heutigen Deutsch:

(Vor-)Suaheli Deutsch

Subjekt

Auxiliar

ni ich

ta werde

Objekt Modusstamm bzw. infinites Verb ki es

soma lesen

Ganz nebenbei erkennt man, daß die Präfixreihenfolge im Suaheli aus einer Epoche stammt, als das Vorsuaheli wie das heutige Deutsch eine Satzklammer hatte, wie dies allerdings für Sprachen im Ubergang vom präspezifizierenden zum postspezifizierenden Typus charakteristisch ist (vgl. erstes Kapitel, A b schnitt 5, und unten Abschnitt 5). Infigierungsregularitäten entstehen nicht direkt aus der Syntax, sondern aus Prä- oder Suffigierung, und zwar entweder (a) durch Metathese oder (b) durch Reinterpretation eines übernächsten Affixes als Teil des Stammes: (a) z . B . in spanischen Dialekten +VEN+r+o > VE+r+N+o, vernö >ich werde kommen«; (b) z . B . Sanskrit +CHI+nä+d+mi > CHI+nä+D+ mi, chinddmi >ich schneide ab«, mit Reinterpretation eines nicht mehr verstandenen Suffixes -d als Teil des Stammes, da es in allen Formen außer im Präsens unmittelbar auf die Wurzel + chi- [vgl. diese Wurzel ohne d in chi-td- >zerschnitten«, chy+a-mi >ich zerschneide«] folgt, z . B . ci+CHI+d+e >ich habe zerschnitten«, a+CHI+d+an >sie zerschnitten«, CHI+d+yä+te >er wird zerschnitten«; von solchen Fällen aus hat sich die wa-Infigierung auch auf Verbwurzeln ausgebreitet, die den Schlußkonsonanten nicht erst auf diese Weise erworben haben - so zumindest nach e i n e r Interpretation dieser Entwicklung. Mutierungen entstehen gewöhnlich aus phonologischen Regularitäten durch Assoziation einer lautlichen Alternanz mit einer Konversion, d.h. einem Kategorienwechsel. Die bekanntesten Beispiele sind ( 1 ) die Entwicklung des Umlauts im Deutschen von einer Assimilationsregularität im Frühalthochdeutschen zu einer morphophonemischen Regularität im Spätalthochdeutschen, die seither als 156

solche z.B. bei der Pluralbildung ihren Anwendungsbereich ständig erweitert hat, (2) die Entwicklung der nach Verners Gesetz im Vorgermanischen entstandenen phonologischen Regularität zum »grammatischen Wechsel« im Germanischen und (3) die Entstehung der italienischen und spanischen Akzentwechsel aus der frühlateinischen rein phonologischen Regularität durch Aufgabe des Längenkontrasts, Apokope usw. im Spätlateinischen und später. - Gelegentlich entstehen Mutierungen mittels phonologischer Regularitäten aus der Syntax, so die Fortisierung anlautender Lenes bei femininen und pluralischen Nomina zur Angabe der Definitheit im Zürichdeutschen (Moulton 1971) aus der Absorption der Artikelform di mittels Apokope (eigentlich Synkope): +di gass > +dgass > kass >die Gasse +döre > töre >die Ohren«. Subtraktionsregularitäten entstehen gewöhnlich durch Teleskopierung von phonologischen Regularitäten, wobei die ursprünglich kürzere Grundform von diesen Regularitäten ausgenommen war, z.B. im Luxemburgischen (vgl. erstes Kapitel, Abschnitt 5): Singular + front -

Plural + frondo + frann3 + frono fron

front

fron

(Assimilation) (Degemination) (Apokope)

Das amerikanische Englisch hat eine Derivationsregularität entwickelt, die mittels eines Suffixes (oder »Suffixoids«) -burger Bezeichnungen für die Unterklassen einer bestimmten Klasse einfacher Gerichte zu erzeugen gestattet: cheeseburger, chili-burger, fish-burger, tuna-burger usw. Der Ursprung dieser Regularität liegt in einer morphologischen Fehlanalyse des singulären Nomens hamburger - kurz für Hamburg steak, also hamburg+er - als ham-burger, offenbar aufgrund semantischer Assoziation mit bam >Schinken< (da nämlich im Idealfall im Hamburger immerhin Fleisch vorkommt, wenn auch kein Schinken) und vielleicht aufgrund gleichzeitiger phonologischer Assoziation mit burgher >Stadtbürger< - also jedenfalls ein typischer Fall von »Volksetymologie«. Inzwischen hat sich der Bestandteil burger verselbständigt (vgl. auch neuartige Verbindungen wie double-burger) und fungiert als Bezeichnung für die ganze Klasse, so daß man nun bei cheese-burger, ham-burger usw. von Komposita sprechen muß. Das Altenglische hatte mehrere Pluralisierungsregularitäten, ganz ähnlich wie das heutige Deutsch. Unter diesen war diejenige mit -as (später ~(e)s) auf maskuline Nomina beschränkt, und dort auf eine Unterklasse (die der a-Stämme). Beide Beschränkungen sind im Lauf der englischen Sprachgeschichte aufgegeben worden: Die Regularität der Pluralisierung mit ~(e)s ist extendiert worden, bis es zu ihr nur noch einzelne lexikalische Ausnahmen gab. — Auch im heutigen Deutsch ist Pluralisierung mittels -s das dominante Verfahren, was sich z.B. darin zeigt, daß es immer dann angewandt wird, wenn ein neues Wort ohne erkennbare interne Struktur in die Sprache kommt: Bits, Quarks, Hippies, Hochs, Tiefs usw. Wir möchten, wenn man Sprachveränderungen schon nicht p r ä d i z i e r e n kann (vgl. Ende des Abschnitts 2), immerhin - mit einem Aus-

157

druck von Sapir (1921, 156) - p r o p h e z e i e n , daß die Pluralisierung mittels -s im Deutschen im Lauf der Zeit alle übrigen Pluralisierungsverfahren verdrängen wird. Im Mittelhochdeutschen war die Bildung des Genitivs beim Nomen mittels -(e)s auf bestimmte Unterklassen der Maskulina und Neutra beschränkt. Bei der Unterklasse der Appellativa ist dies bis heute so geblieben, aber bei der Unterklasse der artikellosen Eigennamen sind alle Beschränkungen durch Unterklassenzugehörigkeit sowie Genus aufgegeben worden: Alle artikellosen Eigennamen unterliegen ausnahmslos der Regularität, daß ihr Genitiv auf -s (genauer: [s]) ausgeht: Siegfrieds, Lukas', Kriemhilds, Marias, Hans' (oder Hansens), Fritz' (oder Fritzens), Mutters (!), Englands, Indiens, Perus. Eine morphologische Regularität kann auch ihren Charakter im Lauf der Sprachgeschichte völlig ändern. Das Proto-Indogermanische besaß ein Verfahren zur Bildung neutraler Nomina aus Verbalwurzeln mittels eines ablautenden Suffixes +-es/-os. Die Formen, die uns hier interessieren, werden wie folgt rekonstruiert. Latein (genus) und Sanskrit (jdnas) werden zur Illustrierung herangezogen; beide Stämme bedeuten >Art, Geschlechts zur Wurzel +gen- >erzeugen, gebärenDunkelheitKalbKind< war das normale im Althochdeutschen, zugleich sehr häufig. Das Paradigma von kalb wich von diesem ab, indem es eine Erweiterung -ir- zwischen den scheinbaren Singularstamm kalb und die Deklinationssuffixe -e und -es zu schieben schien; und dies war zugleich sehr selten. Insofern waren die Singularformen kalb-ir-e, kalb-ir-es Ausnahmen zu der allgemeinen Regularität, daß die Kasusendungen im Singular direkt an den Singularstamm träten. Zugleich ließ der Kontrast im Nominativ und Akkusativ, kalb vs. kalb-ir (später durch Umlaut kelb-ir), das Suffix -ir als Pluralmarkierung erscheinen; auch dadurch erschien das -ir im Singular als außergewöhnlich. Unter diesem Eindruck wurden die Ausnahmen aufgegeben. Auf diese Weise ist eine ehemalige Nominalstammbildungsregularität in eine Pluralisierungsregularität umgedeutet worden. Gibt es hierfür noch weitere Anhaltspunkte? Vom Proto-Indogermanischen zum Althochdeutschen hin hatte die Sprache fast alle Nomina des beschriebenen Bildungstyps verloren. Nur weniger als ein Dutzend waren geblieben, die zufällig sämtlich Aspekte der Landwirtschaft, zumeist Haustiere, bezeichneten (weswegen man diese althochdeutsche Deklination auch als die >Hühnerhofdeklination< bezeichnet): kalb-, lamb-, rind-, eiiund vielleicht huon-, färb- >FerkelSchlupfwinkelReis, Zweig< und blat-. Aber im Lauf der althochdeutschen Zeit kehrt sich dieser Schwundprozeß um: Die folgenden Nomina werden außer im barn-Paradigma allmählich auch im (späteren) ^/¿-Paradigma gebraucht: hol >HöhleLochgrammatischer Wechsel im Deutschen und Englischen]; b. ohne lexikalisiertes Residuum [z.B. >grammatischer WechseU im Gotischen]. Abschließend stellen wir eine Beziehung zwischen den obigen Begriffen und einigen traditionellen Begriffen der A n a l o g i e l e h r e her (vgl. Paul [1880] 1970, 5. Kap.; Anttila 1977, 3. und 4. Kap.), nämlich Polarisierung, paradigmatischem Ausgleich und Regelumkehrung (nach Vennemann 1974c; vgl. auch Kiparsky 1968, wo aber das Bild durch die Annahme des Mechanismus der Regelumordnung verdunkelt wird, der extrinsisch geordnete Regeln voraussetzt, eine methodologische Annahme, die wir nicht teilen): 1. P o l a r i s i e r u n g (englisch polarization) ist die Expansion der Domäne einer morphologischen Regularität, im Grenzfall die Extension einer morphologischen Regularität. 2. Paradigmatischer A u s g l e i c h (englisch leveling) ist die K o n t r a k t i o n der Domäne einer morphologischen Regularität, im Grenzfall die R e s t r i k t i o n einer morphologischen Regularität, oder der Verlust einer morphologischen Regularität. 3. R e g e l u m k e h r u n g (englisch rule Inversion) ist die A b s t r a k t i o n einer morphologischen Regularität aus einem Formenbestand, der zuvor durch eine gegenläufige (phonologische oder morphologische) Regularität geordnet war. Bei der Abstraktion von morphologischen Regularitäten generell und von Umkehrregularitäten im besonderen kommt das Prinzip zur Anwendung, daß im »natürlichen« Fall die konzeptuell komplexere Kategorie formal komplexer kodiert ist (Vennemann 1972a, 24of., Mayerthaler 1980, 1981).

161

4

Lexikalische Veränderung

Lexikalische Veränderung wird sowohl durch Veränderung der Kommunikationsbedürfnisse (vgl. Kanngießer 1976) wie auch durch Zustände im lexikalischen System einer Sprache hervorgerufen. Auch morphologische und syntaktische Veränderungen können lexikalische Veränderungen zur Folge haben. O f t wirken die beiden erstgenannten Faktoren zugleich. Eine Hinzufügung eines neuen Wortes, um z . B . einen neu erfundenen Gegenstand zu bezeichnen, ist natürlich eine Veränderung des Systems: Es verändert Wortfelder und Kontrastbeziehungen. Dadurch können weitere Veränderungen im System hervorgerufen werden. Ahnliches findet statt bei Verlust eines Wortes, etwa indem es nicht mehr benötigt wird, weil z. B. der durch es benannte Gegenstand aus dem Verkehr gezogen ist oder nicht mehr besteht, oder dadurch, daß ein neues Wort die Rolle des alten Wortes übernommen oder ein anderes altes sie mit übernommen hat. Details über lexikalische Veränderung und ihre Gesetzmäßigkeiten finden sich u.a. bei Ulimann 1962, Schippan 1975 und in älteren Werken, z . B . Paul [1880] 1970, Meillet [ 1 9 2 1 ] 1974 und Stern [ 1 9 3 1 ] 1974. Wichtig ist auch hier Heterogenität in der Sprachgemeinschaft als Anlaß f ü r viele lexikalische Veränderungen. (Zur semantischen Heterogenität vgl. zweites Kapitel, A b schnitt 4.2.) 4.1

Voraussetzungen der lexikalischen Veränderung

Veränderung des Lexikons einer Sprache ist in viel stärkerem Maße von kulturellen, technischen und sozialen Bedingungen abhängig als syntaktische, morphologische oder phonologische Veränderung. Dies ist besonders deutlich bei der E n t l e h n u n g von Wörtern (genauer: Wortstämmen) aus anderen Sprachen. So finden Wörter aus einer Sprache A Eingang in eine andere Sprache B vor allem in Zeiten einer militärischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Dominanz von Sprechern von A über Sprecher von B . Typische, wenn auch jeweils verschieden gelagerte Fälle sind der Einfluß des Französischen auf das Englische, Niederländische und Deutsche sowie des Deutschen auf das Dänische und Schwedische (vgl. hierzu Meillet [ 1 9 2 1 ] 1974). Die Faktoren der militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dominanz brauchen nicht Hand in Hand zu gehen. Z . B . gehörten die griechischen Sklaven im antiken R o m keineswegs zur Führungsschicht; gleichwohl haben sie aufgrund ihrer kulturellen Überlegenheit die lateinische Sprache mit zahlreichen griechischen Lehnwörtern bereichert, vor allem im technischen und wissenschaftlichen Bereich. Die Übernahme fremder Wörter erfolgt hauptsächlich über die wirtschaftlich-kulturelle Elite innerhalb eines Sprachgebiets. Diese Elite hat die Bildungsinstitutionen und die Kommunikationsmedien in Händen und bestimmt so weitgehend, welche sprachlichen Mittel die Sprachnorm einer Sprachgemeinschaft ausmachen. Dieser Richtung der Sprachveränderung, die der sozialen Schichtung von oben nach unten folgt, steht eine andere gegenüber, die Übernahme von A u s drücken aus Sondersprachen von bestimmten Gruppen, z . B . von Berufsgruppen und sozialen Randgruppen (hierzu außer der genannten Literatur vor allem 162

Möhn 1980 und die dort angegebene Spezialliteratur, ferner zu Fachsprachen Hahn 1980). Uber den Zusammenhang sozialkultureller Faktoren und lexikalischer Sprachveränderung hat Meillet seinen richtungweisenden Aufsatz »Comment les mots changent de sens« [1921] (1974) geschrieben. Hier beruhen alle Überlegungen auf der Voraussetzung, daß Sprache ein soziales Faktum ist, nämlich: (1) Die Übertragung der Sprache im Lernprozeß erfolgt diskontinuierlich: »Das Kind, das sprechen lernt, empfängt nicht die fertige Sprache: Es muß sie für seinen Gebrauch ganz neu schaffen nach dem, was es um sich herum hört« (1974, 24) - eine Grundursache der Sprachveränderung, auf die schon Paul (1970, 34) mit Nachdruck hinwies: »Es liegt auf der Hand, dass d i e V o r g ä n g e bei d e r S p r a c h e r l e r n u n g v o n d e r a l l e r h ö c h s t e n W i c h t i g k e i t f ü r die E r k l ä r u n g der V e r ä n d e r u n g des S p r a c h u s u s s i n d , dass sie die wichtigste Ursache für diese Veränderungen abgeben. Wenn wir, zwei durch einen längeren Zwischenraum voneinander getrennte Epochen vergleichend, sagen, die Sprache habe sich in den [und den] Punkten verändert, so geben wir ja damit nicht den wirklichen Tatbestand an, sondern es verhält sich vielmehr so: die Sprache hat sich ganz neu erzeugt und diese Neuschöpfung ist nicht völlig übereinstimmend mit dem Früheren, jetzt Untergegangenen ausgefallen.«

(2) Die Sprache ist in einer Sprachgemeinschaft heterogen verteilt, d.h. die verschiedenen Gruppen haben unterschiedlich Anteil an der Sprachnorm der Sprachgemeinschaft und pflegen zudem einen spezifischen Sprachgebrauch in den Gruppen. (3) Der Sprachgebrauch bestimmt die Bedeutung der sprachlichen Mittel, insbesondere die der Wörter. (4) Innerhalb der Sprachgemeinschaft finden Entlehnungen aus Dialekten und Soziolekten sowie aus Sprachausprägungen der technischen, wissenschaftlichen und kulturellen Sondergruppen statt. Weiterhin weist Meillet darauf hin, daß es sich aus der Funktion der Sprache als eines Mittels der Kommunikation über die Umwelt und der Orientierung in der Umwelt ergibt, daß mit der Veränderung der Dinge in der Umwelt sich auch die Sprache verändert. Das Vokabular muß den gesellschaftlichen Kommunikationsbedürfnissen angepaßt werden. Für neue Dinge und Zusammenhänge werden neue Ausdrücke gebildet oder alte in veränderter Bedeutung gebraucht; einige Dinge verschwinden, und einige Zusammenhänge werden unwichtig. Damit können auch Wörter und ganze Teile eines Vokabulars verschwinden. Man denke z. B. an Wörter für alte Küchengeräte oder Geräte ausgestorbener Handwerkszweige. Die Kommunikationsbedürfnisse einer Gesellschaft ändern sich ja natürlich nicht in beliebiger Weise, vielmehr hängen sie von den K o o r d i n a t i o n s p r o b l e m e n ab, die die Gesellschaft zu bewältigen hat (Lewis 1969, Kanngießer 1972, 1976). Eine ausführliche und facettenreiche Behandlung der Sprache als sozialer Institution und der sich daraus begründenden Veränderung der Sprache findet man in Hertzler 1965. Im Zusammenhang der lexikalischen Sprachveränderung haben neben Meillet auch andere historische Sprachwissenschaftler schon seit langem, allerding nur sporadisch, den Einfluß sozialer Faktoren in ihre Darstellung einbezogen, z.B. Paul [1880] (1970), Jespersen 1922, Bloomfield 1933 sowie 163

Sprachforscher, die mit der Geschichte von Einzelsprachen befaßt waren, z . B . Behaghel [1886] 1923, Bach [1938] (196$), Eggers 1963-1969, Schmidt et al. 1969, Frings 1957, Schwarz 1967. Der Nachdruck liegt bei diesen Autoren stärker auf völkergeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Bedingungen als auf sozialgeschichtlichen. Neben dem Einfluß politischer, sozialer und kultureller Bedingungen sind durch das Sprachsystem selbst und durch die Funktionen der Sprache als eines normierten Mittels der Kommunikation Bedingungen für die lexikalische Sprachveränderung gegeben. In den wissenschaftlichen Darstellungen des Lexikons werden die Wörter einer Sprache festgehalten mit Angabe der syntaktischen Kategorien, in denen sie gebraucht werden können, mit Flexionsklassenzugehörigkeit, mit ihren morphophonemischen Sonderformen und schließlich mit Angaben über ihre Bedeutungen (vgl. zweites Kapitel, Abschnitt 4). Eine lexikalische Veränderung wäre demnach eine Veränderung unter irgendeinem dieser Gesichtspunkte. Wir wollen uns hier auf die Veränderung des Vokabulars beschränken, d.h. des Bestandes an Wortstämmen (bzw. Zitierformen von Paradigmen, z.B. Infinitiven als Vertretern von Verbparadigmen), ohne Berücksichtigung von Flexionseigentümlichkeiten oder dergleichen; von Fall zu Fall berücksichtigen wir allerdings auch feste Wendungen. Wir sagen im folgenden kurz »Wort«, wo wir »Wortstamm« (oder »Zitierform eines Paradigmas«) sagen müßten. Fassen wir ein Wort als Verbindung einer Wortgestalt mit einer Bedeutung auf (de Saussures >signifiant< und >signifiewert sein< aus altfranzösisch co(u)ster [aus lateinisch cönstäre >zu stehen kommen*], das neben bestehendes kosten >prüfen< tritt). Wenn die Wortgestalt, von phonologischer und morphologischer Veränderung abgesehen, erhalten geblieben ist, aber die Bedeutung eine andere geworden ist, sprechen wir von einer W o r t b e d e u t u n g s V e r ä n d e r u n g ; vgl. dazu unten Abschnitt 4.3. V e r l u s t v o n W ö r t e r n ist eine weitere Art lexikalischer Veränderung. Hierbei geht auch die Wortgestalt verloren - es sei denn, sie besteht zufälligerweise als Wortgestalt eines ganz anderen Wortes weiter, s.o., z.B. Span >StreitAbortSchwiegertochterMauleselExilKühnheit< und, zumindest für zahlreiche Sprecher, Kotze >wollener Uberwurf< - wobei in manchen Fällen gerade die Homonymie zum Verlust beigetragen haben wird (vgl. Beispiele in Osman 1971). 164

4.2

Gewinnung neuer Wörter

Wir wollen hier in aller Kürze die wichtigsten Verfahren der Gewinnung neuer Wörter darstellen und illustrieren, wobei wir uns an Vennemann (i.E.) orientieren. Sehr selten ist die W o r t s c h ö p f u n g ex nihilo. Das bekannteste Beispiel ist das von George Eastman für Handelszwecke erfundene kodak (1888 eingetragen). Aber schon das ebenfalls oft genannte Wort Gas des niederländischen Chemikers J . B . van Helmont (1577-1644) geht auf den Gebrauch des griechischen Wortes chdos im Sinne von >Luft< durch Paracelsus (1493-1541) zurück. Etwas häufiger ist o n o m a t o p o e t i s c h e W o r t s c h ö p f u n g , für die muhen (englisch moo, lateinisch mügire, griechisch mükäomai) und Kuckuck (englisch cuckoo, französisch coucou, lateinisch cuculus oder cucülus, griechisch kokküx) Beispiele sind. Ein protogermanisches +gaukaz, dessen onomatopoetischer Ursprung noch durchsichtig ist, erscheint in älterem Deutsch als Gauch, im Englischen als geac, später yeke (bis 1387), was heute [ii:k] gesprochen werden müßte; beide Entwicklungen sind abgebrochen, die Wörter durch onomatopoetische Neuschöpfungen ersetzt worden. Die normalen Verfahren der Wortgewinnung sind interne F o r m a t i o n und L e h n f o r m a t i o n (lexikalische Entlehnung). Bei der internen Formation gehören alle Formationselemente bereits zur Sprache, und die Formation folgt auch nicht einem nicht zur Sprache gehörenden Muster. Bei der Lehnformation ist mindestens eine dieser beiden Bedingungen nicht erfüllt. Bei der internen F o r m a t i o n können drei Fälle unterschieden werden: Amalgamierung, konstruktive Formation und reduktive Formation. A m a l g a m i e r u n g ( Z u s a m m e n r ü c k u n g ) ist die Gewinnung eines Wortes aus einem syntaktischen Verband bei gleichzeitiger kategorialer Reorganisation des Verbandes. So ist im Ubergang eine Hand voll Salz eine Handvoll Salz, wo anfangs voll Salz Spezifikator zu Hand war, später Salz Spezifikator zu Handvoll, wobei ein neues Maßnomen Handvoll gewonnen wurde. Aus dem Satz Vergiß mein nicht! ist durch eine Ad-hoc-Nominalisierung mittels bloßer Konversion das Nomen Vergißmeinnicht gewonnen worden. Handvoll und Vergißmeinnicht sind A m a l g a m a t e ; aus Sätzen durch bloße Konversion gewonnene Amalgamate heißen auch S a t z w ö r t e r . K o n s t r u k t i v e F o r m a t i o n ist die Gewinnung neuer Wörter mit den produktiven morphologischen Regularitäten (im weiteren Sinne des Begriffs >Lexikon< auch: den syntaktischen Regularitäten) der Sprache bei gleichzeitiger definitorischer oder gebrauchsweiser Festlegung einer Bedeutung, die sich nicht aus den Bedeutungen der Teile und dem Beitrag der Regularität zur Bedeutung des Konstrukts (d.h.: nicht nach dem Fregeschen Prinzip) ergibt. Dies ist als K o m p o s i t i o n und D e r i v a t i o n das weitaus gebräuchlichste Verfahren der Wortgewinnung im Deutschen und bedarf keiner Exemplifizierung (vgl. Fleischer 1975 und oben im zweiten Kapitel die Abschnitte 3 und 4.1). Versteht man >Lexikon< in dem weiteren Sinne, daß auch idiomatisierte syntaktische Konstrukte als lexikalisch gelten, so ist hier auch die Gewinnung syntaktischer Idiome zu berücksichtigen. Bei der Idiomatisierung von Konstrukten spielen - wie auch beim Wortbedeutungswandel - die sog. R e d e f i g u r e n mit ihren verschiedenen Para165

metern eine große Rolle. Darauf können wir hier nicht eingehen; wir verweisen auf Geil (1978) und Vennemann (i.E.) sowie die Darstellungen zum Bedeutungswandel (s.u.), z . B . Paul [1880] (1970, 4. Kap.). R e d u k t i v e F o r m a t i o n ist die Bildung neuer Wörter (wie immer in diesem Abschnitt im Sinne von Wortstämmen) durch Elimination von Teilen eines anderen Wortes oder mehrerer anderer Wörter, im weiteren Sinne auch durch Elimination von Wörtern aus komplexen Ausdrücken, und zwar unter Beibehaltung der Kategorie und der Bedeutung des Ursprungsausdrucks. Im Gegensatz zur konstruktiven Formation ist reduktive Formation also n i c h t s y n t h e t i s c h (im Sinne des ersten Kapitels, Abschnitt 5) und n i c h t k o n v e r s i v (im Sinne der Gewinnung von Stämmen einer bestimmten Kategorie aus Stämmen einer anderen Kategorie durch bloße Konversion, wie lauf—> Lauf-, englisch man [Nomen] —» man [Verbum]), sondern e l i m i n a t i v (oder eben r e d u k t i v ) . Es lassen sich drei solche eliminativen Verfahren unterscheiden: Fabrikation, Clipping und Rückbildung. Im weiteren Sinne kommt als viertes die Ellipsis hinzu. F a b r i k a t i o n ist die Bildung von Wörtern aus F r a g m e n t e n , w o ein Fragment ein Stück eines Wortes ist, ohne selbst ein Wort (genauer: ein Stamm) zu sein. Es gibt zwei Arten von Fabrikation: Blending und alphabetische Formation. B i e n d i n g ist die Kombination von Fragmenten miteinander oder mit Stämmen. Es kann a d d i t i v sein, wie in br/eakfast + l\uncb—> brunch, oder f u s i o n a l , wie in mOT/or + h\OTel —> motel. Es kann l i n e a r sein, wie in den gegebenen Beispielen, oder k l a m m e r n d , wie in sLI/m\y + Llth(e) —* slithy. Blending ist übrigens nicht immer intentional oder auch nur bewußt, und insofern fabrikativ, sondern kann sich auch unbewußt vollziehen, in welchem Fall es k o n t a m i n a t i v heißt. So entstand wohl fLI/ck\ER + g\LImmER —» flimmer kontaminativ durch Assoziation einerseits mit ß/ame,fl/are und ß/ash, andererseits mit sh\immer. - Fabrikative Blends nennt man auch P o r t m a n t e a u Wörter, Humpty Dumpty folgend, der sie Alice wie folgt erklärt: »Well, >slithy< means >lithe and slimyLithe< is the same as >activeLehnformation< bezeichnen. Wir meinen damit, daß es eine »bloße« Übernahme nicht gibt, daß auch der einfachste Lehnprozeß ein formativer Prozeß ist, indem jedes neue Element dem empfangenden Sprachsystem eingepaßt werden muß. Die Adaptationsarbeit ist natürlich um so größer, je verschiedener die beiden Sprachsysteme sind. Schon bei so verhältnismäßig ähnlichen Sprachsystemen wie denen der deutschen, englischen und französischen Sprache gibt es Probleme, z.B. beim Genus der Nomina. Ist die typologische Distanz größer, vergrößern sich die Probleme. Wir verdeutlichen dies mit einem phonologischen Beispiel. In Abschnitt 2.1 des zweiten Kapitels haben wir das vergleichsweise sehr eingeschränkte Phoninventar des Tahitischen tabellarisch vorgeführt. Die phonologische Struktur des Tahitischen ist weiter eingeschränkt durch die Regularität, daß alle Silben die Gestalt (C)V haben. Man mag an den folgenden tahitischen Lehnwörtern aus dem Englischen ermessen, wieviel Adaptationsarbeit auch die schlichteste Wortübernahme erfordern kann: Tenuare Fepuare Mäti

Eperera Me Tiunu

Tiurai Atete Tetepa

Atopa Novema Titema

Auch semantisch und pragmatisch muß ein Lehnwort in den lexikalischen Bestand eingepaßt werden, was man z.B. erkennt, wenn man weithin entlehnte Wörter in verschiedenen Sprachen vergleicht, etwa die Entsprechungen zu General, Major, Leutnant, Premier, Minister, Kanzler, Präsident, Professor, Assistent, Student. Kurz, alle Lehnübernahme ist mit phonologischer, morpho-syntaktischer und pragmato-semantischer Adaption verbunden und insofern ein formativer Prozeß. Die deutsche Terminologie der L e h n p r ä g u n g ist weitgehend von Betz (1936, 1949) geschaffen worden (vgl. auch die Übersicht in Gneuss 1955, 2f.). Hierzu gehören L e h n s y n t a x (die nicht in den lexikalischen Bereich gehört), L e h n w e n d u n g , die Nachbildung idiomatischer Wendungen (z.B. deutsch den Hof machen nach französisch faire la court), L e h n b e d e u t u n g , die Versehung einer Wortgestalt mit einer neuen Bedeutung nach dem Vorbild eines fremden Ausdrucks, die sich aber an einer vorhandenen Bedeutung zu dieser Wortgestalt orientiert (so daß dieses Phänomen in den Bereich der Bedeutungsveränderung gehört), und schließlich L e h n b i l d u n g mit den Abteilungen 1. Lehnübersetzung, 2. Lehnübertragung und 3. Lehnschöpfung. 168

1. L e h n ü b e r s e t z u n g ist die konstituentengetreue Nachbildung eines komplexen fremden Ausdrucks mit eigenen lexikalischen und grammatikalischen Mitteln, z.B. Zufall für lateinisch accidens, englisch marriage of convenience ( 1 7 1 1 ) für französisch mariage de convenance, wobei freilich marriage (1297) und convenience (1413) ihrerseits bereits Lehnwörter aus dem Französischen waren. Die englische Lehnterminologie in älteren Werken und in Vennemann (i.E.) ist durch Lehnübersetzung aus dem Deutschen gewonnen: loanword (1874), loan translation (1933), loan coinage, loan paraphrase, loan creation. 2. L e h n ü b e r t r a g u n g ( o d e r L e h n p a r a p h r a s e ) ist eine nur partiell konstituentengetreue Nachbildung eines komplexen fremden Ausdrucks mit eigenen lexikalischen und grammatikalischen Mitteln, z.B. Vaterland und Halbinsel für lateinisch patria bzw. paeninsula und Gesichtspunkt (im Gegensatz zur englischen Lehnübersetzung point of view) zu französisch point de vue. 3. L e h n s c h ö p f u n g ist die formal unabhängige Neubildung eines Ausdrucks mit eigenen lexikalischen und grammatikalischen Mitteln zur Wiedergabe der Bedeutung eines fremden Ausdrucks, z.B. Weinbrand und Umwelt für französisch cognac bzw. milieu. (Zahlreiche weitere Beispiele findet man auch in den Einführungen in die historische Sprachwissenschaft, z.B. Bynon 1977, 2 3 2 f f . [1981, 222ff.].)

4.3.

Wortbedeutungsveränderung

Wir wollen diesen Abschnitt über Bedeutungswandel in enger Anlehnung an den Abschnitt 4.2 des zweiten Kapitels entwickeln; dabei folgen wir wieder Bartsch (1980). Die notwendige T o l e r a n z in der Anwendung semantischer Normen, die in Abschnitt 4.2 des zweiten Kapitels verdeutlicht wurde, ist das Vehikel der Bedeutungsveränderung. Semantische Normen tragen die Möglichkeit zu ihrer Veränderung schon in sich. Dadurch können wir unsere Sprache an neue Gegebenheiten und Veränderungen unserer Umwelt, einschließlich der Gesellschaft, in der wir leben, anpassen. Wenn in unseren Wortbedeutungen Vagheit und kontextabhängige Bedeutung nicht schon eingebaut wären, könnten wir nur mit großer Mühe durch Gebrauch umständlicher Umschreibungen Gegebenheiten beschreiben, die nicht in die bekannten Klassifikationsschemata fallen. Schaff (1967a) hebt in seinem Artikel »Unscharfe Ausdrücke und die Grenzen ihrer Präzisierung« hervor, daß ein rigides Begriffssystem, d.h. ein System von Wörtern mit streng fixierter Bedeutung, unser Ausdrucksvermögen sehr beschränken würde. Wir müßten für alles, was nicht direkt in das Schema fällt, neue Wörter einführen und darüber Ubereinstimmung erreichen. Dies wäre ein langwieriger Prozeß, der in all seiner Umständlichkeit bei jedem neuen Phänomen oder jeder neuen Betrachtungsweise stattfinden müßte. Die Alternative zu einer schnell wachsenden, nicht mehr beherrschbaren Wortmasse wären umständliche Umschreibungen. Schaff weist darauf hin, daß die Unscharfe der Bedeutungen unserer Ausdrücke uns diese ineffektive und unhantierbare Situation erspart und den Gebrauch von exakten Umschreibungen, die Präzisierung von Ausdrucksbedeutungen und die Einführung neuer Termini in großem Aus169

maß auf wissenschaftliche und technische Bereiche (sowie die Administration) beschränkt. Stern (1931, 1974) führt aus, daß Anpassung an das Sprachsystem (Normativität, Stabilität) und Abweichung (Toleranz, Veränderung) aus demselben Grund stattfinden: Die Sprecher versuchen auf die bestmögliche Weise mit ihren sprachlichen Mitteln die Funktionen zu erfüllen, denen die Sprache dient. Die kommunikativen Funktionen sind in erster Linie: s y m b o l i s i e r e n d e F u n k t i o n (die Funktion der Repräsentation von Sachverhalten) und die Mitteilung dieser Sachverhalte (Informationsrepräsentation und -Vermittlung im engeren Sinne), die Funktion, mit den Mitmenschen Kontakt herzustellen, zu erhalten oder sonstwie zu bestimmen, die sozialen Beziehungen anzuzeigen ( s o z i a l e F u n k t i o n , Kontaktfunktion) sowie Gefühle, Stimmungen, Einstellungen auszudrücken ( e x p r e s s i v e F u n k t i o n ) , und die p e r s u a s i v e F u n k t i o n , nämlich andere zu bestimmten Haltungen, Einstellungen und Handlungen zu bewegen (vgl. Bühler [1934] 1965, Jakobson i960, Halliday 1978). Vielleicht ein Spezialfall der persuasiven Funktion (Uberreden durch Uberzeugen), sonst eine weitere Funktion der Sprache ist die a r g u m e n t a t i v e F u n k t i o n , die Popper, ein Schüler Bühlers, neben der deskriptiven (symbolischen), der signalisierenden (sozialen) und der expressiven Funktion als höchste annimmt (Popper und Eccles 1977, 57-59). Daß diese Funktionen erfüllt werden können, gehört zu den Kommunikationsbedürfnissen einer Gesellschaft im allgemeinen; den Veränderungen der gesellschaftlichen Inhalte dieser Funktionen wird die Sprache durch Veränderung angepaßt. Außerdem paßt der einzelne Sprecher den Gebrauch von Ausdrücken individuellen Kommunikationsbedürfnissen und situationellen Bedingungen an. Die Grenzen der Möglichkeit zur Abweichung von der Norm liegen bei nur okkasioneller Abweichung in der Verstehbarkeit für den Kommunikationspartner, wobei die durch die Situation gegebene Information und sein weiteres Wissen eine Rolle spielen (vgl. auch Clark und Clark 1979). Soll eine okkasionell abweichende Verwendung zur usuellen Verwendung werden, so muß die Verstehbarkeit aufgrund allgemeinen Wissens über bestimmte Arten von Situationen möglich sein. Sprachveränderung hat b e g r e n z e n d e B e d i n g u n g e n in der V e r s t e h b a r k e i t d e r A b w e i c h u n g , die der erste Schritt der Veränderung ist. Stern hebt darum hervor, daß »neue Veränderungen nach alten Mustern« geformt sein müssen und daß dadurch eine beschränkte Anzahl von Typen der Veränderung unterschieden werden können (Stern 1974, 85). Es ist bekannt, daß die T r o p e n der Rhetorik nicht nur Abweichungen des dichterischen Sprachgebrauchs von den Normen der Umgangssprache oder der Standardsprache beschreiben, sondern auch Abweichungen, die Bedeutungsveränderungen in der Umgangssprache und in der Standardsprache einleiten. Tropen (Redefiguren, Stilfiguren) sind ganz gewöhnliche Mittel, mit denen Sprecher alltägliche Kommunikationsbedürfnisse erfüllen. Paul [1880] (1970) hat in seinem Kapitel über Bedeutungswandel Typen der Veränderung gemäß den Tropen unterschieden, die das Verhältnis von alter zu neuer Bedeutung als eine einem Muster folgende Abweichung und schließliche Veränderung beschreiben. Die wichtigsten Redefiguren im Zusammenhang der lexikalischen Veränderung sind 170

die Metapher und die Metonymie in ihren verschiedenen Ausprägungen. Zum Beispiel ist die Veränderung der kategorialen Verwendungsweisen von Wörtern, wie etwa die von Clark und Clark (i 979) untersuchte der Verwendung von nominalen Wörtern als Verben, eine der vielen Möglichkeiten metonymischer Veränderung, nämlich die Übertragung von Wörtern aufgrund des tatsächlichen Zusammenhangs der Denotate der Ausgangs verwendung und der neuen Verwendung. Neben den auf »tropischem« Gebrauch beruhenden Veränderungen gibt es auch noch andere: A u s w e i t u n g oder V e r e n g u n g des D e n o t a t i o n s b e reichs (also der Extension) durch Hinzukommen oder Wegfallen von Referenten ohne Veränderung des Begriffsinhaltes selbst, V e r ä n d e r u n g der K o n n o tation oder des mit dem Begriff verbundenen s t e r e o t y p e n Wissens (von kognitiver und evaluativer Art), Veränderung des Begriffsinhaltes selbst durch B e g r i f f s e r w e i t e r u n g und B e g r i f f s v e r e n g u n g . Dieselben Beziehungen finden sich innerhalb der Struktur, die die verschiedenen kontextabhängigen Bedeutungen eines Wortes miteinander bilden. Es geht hier um dasselbe Phänomen; Sprachveränderung geht lediglich einen Schritt weiter als kontextabhängiger Wortgebrauch. Die Bedeutungsveränderung findet dadurch statt, daß bestimmte Kontexte, und damit bestimmte Bedeutungen eines Wortes, ausgezeichnet werden, die vorher keine zentrale Rolle spielten. Wir geben nun einige Beispiele zur Wortbedeutungsveränderung. Das protogermanische Wort +deuz- bedeutete >auf dem Lande lebendes wildes Tier< im Gegensatz einerseits zu Fischen und Vögeln, andererseits zu Vieh (vgl. gotisch dius >wildes Tier(Stück) Rotwild< zeigt B e g r i f f s v e r e n g u n g , das deutsche Wort Tier zeigt B e g r i f f s e r w e i t e r u n g , indem die Begriffskomponenten >auf dem Lande lebend< und >wild< aufgegeben worden sind. Ein weiteres Beispiel für Begriffserweiterung ist die Entwicklung des mittelenglischen dogge (eine bestimmte Hunderasse) zu neuenglisch dog. Zuvor war das altenglische hund in seiner Bedeutung auf eine Jagdhundrasse verengt worden (hound), vgl. Bloomfield (1933, 426). Ahnlich war es mit dem schon erwähnten niederländischen varen, das zu >mit dem Boot oder Schiff fahren< verengt wurde, und mit dem niederländischen rijden, das zu Fortbewegung mit Landfahrzeugen< erweitert wurde. (Weitere Beispiele in Bloomfield 1933, 426, und Ullmann 1962, 228.) Neben der Begriffsverengung und Begriffserweiterung beschreiben Ullmann, Bloomfield, Paul, Jespersen, Stern und Schippan die semantische Veränderung über tropischen Gebrauch. Besonders ausführlich ist die Behandlung der tropischen Veränderung bei Paul und Schippan; dort werden insbesondere verschiedene Arten metaphorischer und metonymischer Übertragungen unterschieden. Wir wollen uns hier darum kurz fassen, zumal es hier nur um die Prinzipien der Bedeutungsveränderung gehen kann und nicht um empirische Detailstudien (vgl. Ullmann 1959, Abschnitt IV). Die wichtigste Redefigur ist die M e t a p h e r , die neben der Metonymie die meisten semantischen Veränderungen ausmacht. Durch metaphorische Übertragung sind zum Beispiel entstanden: Bart (eines Schlüssels), Fuß (eines Berges oder Möbelstücks), Rücken (eines Berges). Die Grundlage der Metapher ist eine I71

Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem primär Bezeichneten und dem anderssortigen sekundär Bezeichneten. Eine besonders wichtige Art metaphorischer Übertragung ist die S y n ä s t h e s i e , bei der Wörter von einem Wahrnehmungsbereich (z.B. Hören) auf einen anderen Wahrnehmungsbereich übertragen werden (z.B. Sehen): knallrot, schreiend grün, oder von Tastwahrnehmungen auf Gesichtswahrnehmungen, wie in warme Farbe, oder von Gemütszuständen auf Gesichtswahrnehmungen, wie in fröhliche Farben (ausführlich bei Schippan 1975, i8of.). Das letzte Beispiel kann auch metonymisch verstanden werden, d.h. als eine Übertragung aufgrund sachlichen Zusammenhangs: >Farben, die uns fröhlich machenZunge< zu >SpracheOfenglatte Steinplatte an Kachelöfen, Wänden und Fußbödentüchtig, geschickt, klug, gut aussehend< knapp >kaum zureichend, eng
eng anschließend, passendgut gekleidet< zu sein. In diesem Gebrauch kam knapp im Deutschen noch bis in die Goethezeit vor, allerdings eher marginal. Die Hauptbedeutung war im Deutschen negativ: >zu eng, zu kurz, keine Bewegungsfreiheit lassende Im Niederländischen wird knap weiterhin in bezug auf G e s p r ä c h s b e i t r ä g e gebraucht. Ein »knapper« Beitrag ist nicht ein kaum zureichender oder besonders kurzer Beitrag, sondern ein besonders gut passender, intelligenter Beitrag. Weiterhin wird knap gebraucht zur Charakterisierung geistiger F ä h i g k e i t , nämlich im Sinne von >klugintelligentkluggut aussehende >flott< oder auch alles zusammen, wenn der Kontext nicht weiter spezifiziert ist. Die Bedeutung >hübschflottsportlich< finden wir auch im deutschen Sprachgebiet, in Ostfriesland. Möglicherweise ist knap mit knijpen >kneifen< zu verbinden so wie glat >glatt< mit glijden >gleiteneng< und allgemein als >scharf an der Grenze, ohne Spielraumsehr scharf am Wind segelnbetrunken< satt >durch Nahrungsaufnahme gesättigt< Das niederländische zat stimmte früher mit dem Deutschen satt in seiner Bedeutung überein. Es wurde dann als Euphemismus für >volltrunken< verwendet. Die semantische Beziehung ist die der Bedeutungsverengung: >gesättigt (voll) nicht durch Nahrungsaufnahme im allgemeinen, sondern durch Alkoholaufnahmevoll

173

Niederländisch: metonymisch Kontext »Kleidung g u t passend,

Kontext »Person«: in jeder Hinsicht

Kontext »Kleidung«: ( z u ) e n g , (zu)knapp, z u k u r z , kein Bewegungsspielraum

I

Kontext »ökonomische S i t u a t i o n « : kein finanzieller Spielraum, k a u m g e n u g , arm

oder: metaphorisch

ärmlich

durch Nahrungsmittel« zu >voll durch Alkohol< sprechen; wie man dies beurteilt, hängt davon ab, ob man zwischen Nahrungsmitteln und Alkohol einen Sortenunterschied sieht oder nicht, d.h., ob man Alkohol zu den Nahrungsmitteln rechnet oder nicht.

174

3. B e i s p i e l : flink >stark, kräftig, umfangreich« flink >schnell, beweglich, auf leichte, unproblematische Weise« Hier haben wir ein Beispiel, bei dem die Kernbedeutungen in den beiden Sprachen gar nicht mehr mit der Protobedeutung übereinstimmen, also der usprünglichen Kernbedeutung. Die historische Protobedeutung besteht nicht mehr. Der Unterschied zwischen den beiden Sprachen gibt viel Anlaß zu Mißverständnissen: So versteht ein Deutscher im holländischen Wetterbericht flinke zonnige Perioden als »kurze, schnell vorübergehende Sonnenperioden< (»Typisch holländisches Wechselwetter«, denkt man), während es das Gegenteil bedeutet, nämlich »anhaltender, beständiger Sonnenschein«. - Einige der für dieses Beispiel wichtigen Beziehungen sind auf Seite 176 graphisch dargestellt. In der Zeichnung sind die Beziehungen I . - J . von metaphorischer Art: »glänzend«, >blinkend< enthält die Komponente »sich auszeichnen« (was glänzt oder blinkt, hebt sich dadurch von anderem ab). Etwas kann sich nun in verschiedenen situativen Kontexten unter verschiedenen Aspekten auszeichnen. Unter einem bestimmten Aspekt glänzend, herausragend, hervorblinkend zu sein, hieß für Niederländer in typischen Situationen »unter diesem Gesichtspunkt stark, kräftig oder beständig« zu sein. Die Stärke in einer Hinsicht X verursacht, daß das, was diese Stärke zeigt, dadurch sich auszeichnet, hervortritt, glänzt. Die Ursache-Wirkung-Beziehung ist der metonymische Aspekt der Übertragung. Der metaphorische Aspekt ist die Übertragung von »glänzend«, »aufblinkend« aus dem Zusammenhang blinkender Gegenstände auf anderes Aufblinkendes und schließlich sich sonstwie Auszeichnendes; vgl. eine glänzende Leistung mit derselben metaphorischen Übertragung. Im Niederländischen sagt man noch heute, daß jemand durch seine Leistung uitblinkt. Andererseits läuft die Entwicklung des Deutschen über den flinken Pfeil, der in seiner schnellen Bewegung vor dem Auge eben aufblinkt und vielleicht auch bei seinem Flug als glänzend erfahren wurde, in metonymischer Übertragung von dem Blinken des Pfeils auf seine Bewegungsgeschwindigkeit. Schon im Mittelhochdeutschen ist vlinken als »sich schnell bewegen« belegt. Die Übertragung vom flinken Pfeil zum flinken Läufer ist als metaphorische denkbar. Aber ebensogut kann man auch von einer Begriffserweiterung sprechen: von der schnellen Pfeilbewegung zu jeder schnellen Bewegung. Die Übertragung auf die Person (ein flinkes Mädchen) ist dann wieder metonymischer Art: nämlich von schnellen, leichten Bewegungen bei Tätigkeiten, die die Person typischerweise ausübt, auf die Person selbst. Ein Problem bei der Rekonstruktion der Bedeutungsveränderung ist, daß ein und dasselbe Phänomen in manchen Fällen auf verschiedene Weise erklärt werden kann: z.B. in einem metaphorischen Schritt oder auf einem anderen Wege über metonymische Beziehungen, Begriffserweiterung oder -Verengung oder in Kombination mit einer anderen metaphorischen Beziehung. In den vorigen Skizzen führen denn auch an einigen Punkten mehrere mögliche Wege zum selben Resultat. Diese Unsicherheiten sind aber nicht von großem Gewicht. Es interessierte uns in diesem Zusammenhang auch weniger, wie tatsächlich jeder einzelne Schritt stattgefunden hat; das kann sogar für verschiedene Sprecher verschieden

175

Niederländisch:

Deutsch:

GEISTIGE FÄHIGKEIT: schnell von Begriff (flinke Auffassungsgabe)

Die Paraphrasen bei jeweils einem Kontext betreffen Perspektiven der Beurteilung; z.B. bei C H A R A K T E R : flink i. in Gefahrensituationen —» mutig 2. gegen (kurzfristigen) Widerstand (Durchsetzungsvermögen) —» durchsetzend 3. gegen langfristigen Widerstand (Durchhaltevermögen) —* standfest 176

verlaufen sein. Vielmehr ging es uns hier nur darum, die Prinzipien der semantischen Veränderung an einigen weniger trivialen Beispielen zu verdeutlichen. Die Prinzipien der Bedeutungsveränderung spielen eine wichtige Rolle in der E t y m o l o g i e . Darauf können wir hier nicht näher eingehen; wir verweisen auf Schmitt 1977, Seebold 1981.

5

Syntaktische Veränderung

Für die syntaktische Veränderung gilt im wesentlichen das in diesem Kapitel an verschiedenen Stellen Gesagte, z. B. was die Heterogenität, die Rolle der Normen, die Abstraktion und Abwandlung von Regularitäten oder den Einfluß des Sprachkontakts betrifft. Im einzelnen sind natürlich die Probleme wegen der viel größeren möglichen Unterschiede der Sprachen in diesem Bereich viel größer und nicht in einem kurzen Abschnitt auch nur annähernd zu charakterisieren und zu diskutieren. Gerade in den letzten Jahren ist die diachrone Syntax zu einem Hauptinteressengebiet geworden, wohl in den folgenden vier Schritten: E r s t e n s stieg das Interesse an der synchronen Syntax stark an (ab Chomsky 1957); z w e i t e n s erhielt die syntaktische Typologie einen wesentlichen Impuls (durch Greenberg [1963] 1966, vgl. oben erstes Kapitel, Abschnitt 5); d r i t t e n s entdeckte die historische Linguistik, die eine Zeitlang im Interesse hinter der synchronen Linguistik weit zurückgefallen war, die Transformationsgrammatik für sich (oder umgekehrt) und wurde wieder Bestandteil aller linguistischen Curricula, was eine Zeitlang überhaupt nicht selbstverständlich war (sehr einflußreich hier Kiparsky 1968). Der dritte Schritt bestand lediglich in der Einbeziehung des transformationalistischen Apparates in die Beschreibung der Entwicklung einzelner Sprachen (z.B. Traugott 1965, 1972). Der entscheidende Schritt war v i e r t e n s die Einbeziehung der Greenbergschen Universalien [1963] (1966) - unter Beibehaltung des durch die Transformationsgrammatik entwickelten Denkens in Regeln - in die Sprachrekonstruktion (Lehmann 1971, 1972, 1974) sowie in die Formulierung von Prinzipien des syntaktischen Wandels (Lehmann 1973b, Vennemann 1973a, 1974a, 1975a). Von diesem enorm gewachsenen Interesse zeugen eigene Kapitel neuerer Einführungen in die historische Sprachwissenschaft (z.B. Lehmann 1973a, Kap. 1 1 , so noch nicht in der 1. Auflage; Jeffers und Lehiste 1979, Kap. 7; ein eigener Teil in Vennemann, i.E.), Konferenzen (vgl. Steever et al. 1976) und Monographien (Ebert 1978 zum Deutschen, Lightfoot 1979 vorwiegend zum Englischen). Wir können hier kaum mehr tun, als auf diese Werke zu verweisen, insbesondere auch auf die allgemeinen Teile in Ebert (1978, Kap. 2), Lightfoot (1979, Kap. 3), beide mit zahlreichen Literaturangaben; vgl. auch Ineichen (1979, Kap. 10.3). Besondere Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren die Wortstellungssyntax unter dem diachronen Gesichtspunkt erhalten, während sich z . B . in der Intonatorik die Unsicherheit der Forschungslage in der Synchron'ie und Typologie in die Diachronie fortpflanzt (aber vgl. Geisler 1980 und die dort angegebene Literatur). Wenig ist auch über den in der Vergangenheit immer, z . B . bei der Betrachtung der Entwicklung des Englischen, vermuteten Zusammenhang zwischen Wortstellungsveränderung und morphologischer Veränderung bekannt.

177

Im folgenden referieren wir über eine spekulative Skizze (Bartsch und Vennemann 1972, Kap. 6.2, Vennemann 1974a, 1975a), die einen Zusammenhang herzustellen versucht und immer noch als Anregung gelten kann (vgl. verschiedene kritische Stellungnahmen in Li 1975, Steever et al. 1976, Sasse 1977, Hawkins 1979, aber auch plausible Anwendungen, z . B . in M. Harris 1978). Bei voll funktionaler morphologischer Subjekt-Objekt-Markierung ist die natürlichste Grundwortstellung die, in der ein topikalischer Term, gewöhnlich das Satzsubjekt, am Anfang steht und das finite Verb am Ende. Denn am Verb werden gewöhnlich pragmatische Faktoren wie Assertion (Indikativ vs. Konjunktiv) und Satzoperatoren wie Modalität, Tempus und Aspekt ausgedrückt, und wenn das Hauptverb am Ende steht, so daß nur Auxiliare und aus Auxiliaren phonologisch entwickelte Suffixe ihm noch folgen können, ist der Satzverband konstant und unabhängig von den genannten, über die Darstellung des bloßen Sachverhalts hinausgehenden Faktoren. Derselbe Effekt träte zwar auch ein, wenn das Hauptverb am Anfang stände und die Auxiliare vor ihm, aber dann wäre die Tendenz beeinträchtigt, den Satz mit einem topikalischen Term zu beginnen. N u r wenn S (Subjekt) und O (Objekt) morphologisch markiert sind, führt bei S O V (V: Verb) als Grundstellung topikalisierende Vorausstellung von O nicht zur Ambiguität durch Verwechselbarkeit von S und O. Wenn nun aber die S-O-Morphologie durch phonologischen Wandel geschwächt wird - und irgendwann tritt dieser Prozeß nach Abschnitt 2 in jedem Falle in Erscheinung - , vollzieht sich die folgende Entwicklung: Zunächst wird die Grundwortstellung dahingehend geändert, daß das finite Verb an die zweite Stelle, unmittelbar nach dem Topik, tritt; es entsteht eine TVX-Sprache ( T o p i k - finites Verb - Rest) wie das Altenglische und das Neuhochdeutsche. Dann wird der typische TopikTerm, das Subjekt, der einzige Topik-Term, der vor dem finiten Verb stehen kann; es entsteht eine SVX-Sprache, gewöhnlich SVO-Sprache genannt; diese Entwicklung ist im Neuenglischen abgeschlossen, im Deutschen steht sie noch bevor. - Während die Einzelheiten weitgehend unklar und auch die Gründe nicht für jeden Schritt völlig klar sind, ist doch deutlich, daß es sich bei der Entwicklung SOV —» T V X S V O um die Lösung eines Topikalisierungsambiguitätsproblems handelt; darauf weist noch einmal der Umstand hin, daß die Verbverschiebung im Hauptsatz, wo Topikalisierung wichtig ist, früher erfolgt als im Nebensatz, w o sie keine große Rolle spielt. Im Nebensatz kann, wie im Deutschen, die Verbendstellung vorübergehend geradezu ein strukturelles Merkmal werden. Schließlich allerdings wandelt sich der Bauplan des Nebensatzes nach Analogie des Hauptsatzes. (Ein etwas anderes Szenario für diese noch kaum verstandenen Vorgänge wird in Vennemann 1981 entworfen.) Ist das finite Verb in der Stellung nach dem Subjekt fest, dann entsteht eine merkwürdige Situation. Die Reihenfolge der Ergänzungen zum finiten Verb ist noch ganz die, die als »natürliche« Stellung zur Verbendstellung paßt: Der Operator auf dem finiten Verb steht in (b) unmittelbar vor der Stelle, w o das finite Verb zu stehen pflegte (vgl. den Nebensatz (a), w o die alte Stellung beibehalten ist), und alle weiteren Operatoren stehen jeweils wiederum links, ganz im Einklang mit der Anwendung des Prinzips der natürlichen Serialisierung auf eine Konstruktion mit Endstellung des finiten Verbs. Jedoch das finite Verb selbst, 178

der Grundpfeiler dieses Aufbaus, nach dem wie (a) auch (b) aufgebaut ist, steht in (b) nicht mehr am Ende, sondern in Zweitstellung. Dies ist die sog. Satzklammer der deutschen Syntax, die ein typisches Merkmal des Ubergangs von XV zu V X ist (vgl. zahlreiche weitere solche Merkmale in Vennemann, i.E.). Sie widerspricht dem Prinzip der natürlichen Serialisierung. (a) (weil) Maria gestern auf dem Balkon ihrem neuen Freund das Buch gegeben 7

6

;

4

3

haben muß 2 1 (b) Maria muß gestern auf dem Balkon ihrem neuen Freund das Buch gegeben 6 ' 7 > 4 3 haben.

Mit anderen Worten, die Ergänzung des finiten Verbs steht insgesamt rechts vom finiten Verb, aber innerhalb der Verbergänzung ist immer noch von rechts nach links serialisiert. Die Stellung des finiten Verbs, insbesondere in Beziehung zum Objekt (d. i. VO), ist nun aber grundlegend. Nach dieser Operand-Operator-Serialisierung wird sodann der ganze Verbkomplex analogisch umgestaltet, bis er einheitlich von links nach rechts serialisiert ist. Das Vehikel dieses Prozesses ist die sog. Ausklammerung. Der Prozeß ist im Englischen abgeschlossen:

(because) Mary must have given the book to her new friend on the balcony 1 2 3 4 ; 6 yesterday. 7

Der Prozeß kann sich auch auf die interne Struktur von Tennen ausdehnen. So können im Englischen nur noch einfache und durch gewisse Adverbien erweiterte Adjektive vor dem Nomen stehen; alle übrigen Adjektivale - sonstig erweiterte Adjektive, attributive Adverbiale, Partizipien mit Objektergänzungen, Relativsätze - können nur nachstehen: [Operand Operator], wie beim Verb. Die Theorie der Verwirklichung einer einheitlichen Operator-Operand-Serialisierung mit dem finiten Verb als Grundpfeiler ist, wenn nicht »prädiktiv« (vgl. Abschnitt 2), so immerhin im Sinne von Sapir (vgl. oben Abschnitt 3) »prophetisch«: Sie sagt z.B. für das Deutsche allein aufgrund seiner jetzigen Struktur Entwicklungen der Wortstellung voraus, wie sie im Englischen z.T. bereits vollzogen sind. Sie sagt ferner voraus, daß sich das Deutsche, nach Verwirklichung des VO-Typs und der damit einhergehenden allgemeinen Verfestigung der Wortstellung, durch phonologisch-reduktiven Aufbau einer neuen Kasusmorphologie aus Relationswörtern zum OV-Typ zurückentwickeln wird. Die Zyklizität der Entwicklung von Sprachen im Wandel vom OV- zum VOTyp und zurück zum OV-Typ kann zusammen mit dem Wandel von Analytizität zu Synthetizität und umgekehrt aus der motivierenden Beziehung zwischen phonologischem und syntaktischem Wandel von Sprachen erklärt werden.

179

Die empirischen Ergebnisse der historischen und vergleichenden Wortstellungsforschung stützen dadurch, daß sie durch die Annahme von OperatorOperand-Relationen in der Kategorialsyntax und das Prinzip der Natürlichen Serialisierung einheitlich interpretiert werden, den Aufbau der synchronischen Syntaxtheorie auf kategorialer Basis ein weiteres Mal ab.

180

Schlußbemerkungen

Im Vorwort haben wir den Gegenstand unseres Buches auf die linguistischen Fragestellungen der Sprachtheorie eingeschränkt. Unsere Behandlung dieser Fragestellungen zeigt vielleicht deutlicher als die verbalen Hinweise am Anfang, wie wir diesen Gegenstand verstehen; sie zeigt zugleich, daß trotz der Beschränkung auf Fragen der systematischen Aspekte der Sprachstruktur und des Sprachgebrauchs viel zu tun war. Tatsächlich ist auch das eingeschränkte Gebiet so immens, daß die ausgelassenen Probleme mit Notwendigkeit zahlreicher ausfallen mußten als die behandelten. Dies bedauern wir selbst mindestens so sehr wie unsere Leser, die hier vergeblich Antworten auf bestimmte Fragen gesucht haben oder die ein Thema, das sie für besonders wichtig halten, zu kurz oder gar nicht abgehandelt fanden, während sie auf manche weite Ausführung gern verzichtet hätten. Wir haben uns überall von traditionellen und neuen Problemen und Lösungen leiten lassen; die Auswahl und Weise der Behandlung müssen gleichwohl subjektiv ausfallen. Wir beruhigen uns mit dem Gedanken, daß denen, die bereits einen gewissen Überblick über das Gebiet besitzen, die Auswahl selbst ebenso interessant sein kann wie das Ausgewählte. Uber eine Reihe von Problemen haben wir nichts oder nichts Genaues sagen können, weil ihre Bearbeitung noch in den Anfängen steckt. Diese Probleme sind teils globaler, teils lokaler Art. Z u den ersteren gehört die Frage der Einbettung einer linguistischen Sprachtheorie in eine allgemeine Kommunikationstheorie. Programmatische Artikel hierzu findet man in Schlieben-Lange (1975), und eine Theorie der Integration von Theorien ist in H . - H . Liebs Schriften entworfen und an Beispielen vorgeführt. Aber hier ist zweifellos noch sehr viel Arbeit zu leisten, ehe ein klares Bild entsteht. Ein eher lokales Problem in diesem Gebiet ist dasjenige des Zusammenhangs der Intonation mit bestimmten Aspekten der Kommunikation, nämlich dasjenige der interaktions- und interpretationssteuernden Funktion der Intonation (vgl. die entsprechenden Untersuchungen zu den Partikeln im Hinblick auf eine Konversationstheorie in Franck 1979). Das in den letzten Jahren zu beobachtende Interesse an der Intonation, die jahrzehntelang hinter anderen Erscheinungen der Sprachstruktur und des Sprachgebrauchs zurückstehen mußte, ist gewiß auf das wachsende Interesse an dem genannten globalen Problem zurückzuführen, das seinerseits sprachphilosophische und sprachsoziologische Wurzeln hat. Ein weiteres offenes Problem von globalem Charakter ist das Verhältnis von Sprachnormen zu Sprachsystemen sowie das entsprechende methodologische Problem der Beziehung von Normformulierungen auf Grammatiken. 181

A b e r auch auf dem Gebiet der Sprachsystemtheorie, der ältesten und besterforschten Domäne der Sprachtheorie, besteht noch kein umfassendes und klares Bild: V o n einer präzisen Charakterisierung des zentralen Begriffs einer Sprachsystemtheorie, >mögliches Sprachsystem 33-48. Bartsch, R., Adverbialsemantik: Die Konstitution logisch-semantischer Repräsentationen von Adverbialkonstruktionen. Frankfurt am Main 1972. Rev. engl. Fassung 1976c. Bartsch, R., (1975a), Topik-Fokus-Struktur und kategoriale Syntax. In: Ehrich und Finke 1975, 85-100.

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2

75-301-

Namenregister

Admoni n , 119 Akhmanova 93 Allen 50 Altmann 25-26, 30 Andersen 147, 154 Anderson, J. 10 Anderson, J . M . 149 Anderson, S. 57, 89 Anttila 21, 148, 154, 161 Arlotto 149 Aronoff 89 Bach, A. 164 Bailey 56 Baldi 149 Ballmer 95, 142 Bartsch 9-12, 14, 34, 39-40, 43, 48, 88, 98-100, 106, 109, 113-114, r i 6 , 119, 121, 134, 137-141, 144, 169, 178 Baum 11 Behaghel 164 Bense 10 Betz 168 Bierwisch 12 Blau 106 Bloch 87 Bloomfield 9, 11, 34, 42, 87, 163, 171 Boas 87 Bolinger 32, 48 Bower 10 Breide 96-97, 99 Bresnan 98 Brinkmann 118 Bühler 5, 38, 170 Bynon 149, 169 Carnap 4, 114, 121, 139 Chafe 121 Chomsky 4-9, 11, 16-17, *3> J6-57» 7 8 . 88-89, 95, 98, 177 Clark, E. 102, 170-172 Clark, H . 102, 170-172

Cohen 21 Cresswell 5 Davidson 14 Dell 66 Derwing 10 Dik 11 Dinser 149 Dressler 56, 93 Eastman 165 Ebert 177 Eccles 170 Eggers 164 Ehrich 106 Eikmeyer 106 Eisenberg 14 Erben 11, 118, 120 Eroms 96 Fant 63, 81 Fillmore 120 Finck 28-30 Fischer-J0rgensen 66 Fisiak 149 Fleischer 28, 96, 165, 167 Földes-Papp 46 Franck 43, 181 Frege 40-41, 119 Fries 106 Frings 164 Fromkin 12, 66, 72 Geil 166 Geisler 177 Gelb 46 Gipper 13 Givon IJ6 Glinz 118 Gloy 18 Gneuss 168 Gray 21 197

Greenberg 28, 33-34, 40, 177, 182 Greimas 99 Groenendijk 139, 141 Grossmann 1 1 Haarmann 22 Hagege 149 von Hahn 94, 163 Halle 23, 56-57, 63, 78, 81, 88-90 Halliday 170 Harlow 12, 23, 34-35, 40 Harman 10, 13 Harris, M. 178 Harris, Z. 9, 10, 87, 122 Hartmann 43 Haudricourt 149 Hausser 42 Hawkins 178 Hays 120 Heidolph 95 Helbig 134 Heller 97 von Helmont 165 Heringer 1 1 , 120 Hertzler 103, 163 Herzog 18 Hetzron 182 Hirst 48 Hirt 160 Hockett 1 1 , 30, 64-65, 71, 87, 89 Hooper 12, 31, 56-58, 90-91 Hudson 91 von Humboldt 26-27, 119 Humpty Dumpty 166 Hyman 56, 59, 66, 72 Immler 88 Ineichen 22, 31, 33, 177 Jackendoff 23 Jacobs, J . 49 Jakobson 30, 63, 81, 170, 172 Jeffers 149, 177 Jespersen 10, 1 1 , 100, 120, 163, 171 Jones 149 Joos 8 Juilland 94 Kahn 57 Kanngießer 16-18, 1 0 1 , 162-163 Kastovsky 97 Katz 99 198

Kaznelson 13 Keiler 149 Kempson 141 Kilbury 93 King 16, 160 Kiparsky 16, 58, 161, 177 Klausenburger 52 Kluge i i 2 Kohler 56, 61 Kram sky 94 Kruszewski 16 Kucera 30 Kürschner 95 Kuhn 4 Labov 18, 56, 101, 146 Ladefoged 48, 61, 63, 81 Lakoff 4, 6-7, 88 Lass 154 Leech 99 Lees 88, 95 Lehfeldt 25-26, 30 Lehiste 149, 177 Lehmann 12, 21, 33-34, 40, 148, 177 Lenerz 119, 134, 137 Léon 66 Levelt 10 Lewis 5, 100, 119, 163 Li 1 1 , 32, 149, 178 Lieb 5-8, 15-17, 45, 48, 84, 148, 181 Lightfoot 177 Lindner 61 Link 14 Lipka 90 Luhmann 101 Lyons 99, 114 Macaulay 15 Makkai 66 Mansell 61, 74 Maroldt 56 Marr 24-25 Martinet 5, 31 Matthews 91, 93 Mayerthaler 12, 56, 66, 161, 182 McCawley 57, 88 Meillet 21, 162-163 Milewski 30, 94 Möhn 163 Moessner 93 Monroe 30 Montague 1 1 , 14, 42, 98, 119, 139

Shuy 56 Skalicka 25 Sloat 66 Sommerstein 56, 66 Stalin 24-25 Stampe 149, 182 Steever 1 7 7 - 1 7 8 Stern 162, 1 7 0 - 1 7 1 Stockwell 15 Stokhof 139, 141

Moody 89 Morris 139 Mötsch 95-96 Moulton 157 Napoli 50 Nespor 50 Oesterreicher 7 Osman 164 Panini 50, 91 Palmer 99 Panagl 97 Paracelsus 165 Partee 98 Paul 102, 1 4 6 - 1 4 7 , 1 6 1 - 1 6 3 , Ji>6> Pheby 48 Popper 4, 85, 170 Presch 18 Putnam 10, 1 1 3 , 1 1 6 Quasthoff 1 7 - 1 8 Quine 13 Reichmann 94 Rieser 106 Roceric 94 Rohrer 95 Rosenbaum 97-98 Rosetti 57 Rüdes 57 Sapir 1 3 , 28, 87, 158, 179 Sasse 178 de Saussure 5, 15, 16, 164 Schaff 1 3 , 169 Schane 52, 56-58, 66 Schenkel 134 Schippan 99, 162, 1 7 1 - 1 7 2 Schlegel 26-27 Schlieben-Lange 181 Pater Schmidt, W. 2 1 , 32 Schmidt, L. 94 Schmidt, W. 10, 27, 1 1 9 , 164 Schmitt 177 Schnelle 19, 146 Schubiger 61 Schwarz 164 Seebold 177

I

7°~17z

Tesnière 1 1 , 23, 120 Thiel 95 Thomason 5, 14, 98 Thompson 32 Tillmann 61, 74, 81 Traugott 177 Trier 94 Trubetzkoy 22, 30, 81, 84-85 Ulimann 16, 99, 162, 1 7 1 Ullmann-Margalit 101 Ullmer-Ehrich 1 1 9 , 134, 137 Vanderslice 48 Vennemann 1 1 - 1 2 , 14, 16, 23, 27, 3 1 , 3 4 - 3 5 , 40, 48, 52, 56-59, 66, 72, 88-91, 106, 1 1 4 , 1 2 1 , 152, 154, 1 6 1 , 166, 169, 177-179

Voegelin 20 Wandruszka 96 Wang 3 Wells 9, 16 Weimers 57 Werner 90 Werth 149 Whitacker 12 Whorf 1 3 Wiegand 94, 1 1 4 Wilks 10 Wittgenstein 106-107 Wolski 94, 1 1 4 Wotjak 99 Wunderli 47 Wunderlich 8 Wygotski 108-109, " 7 Zaefferer 42 Z w i c k y 56

199

Sachregister

Kursive Seitenzahlen verweisen auf Begriffsbestimmungen oder sonstige nähere Erläuterungen.

Abduktion 147, 167 Abstraktion einer morphologischen Regularität 159, 161 Adnominal 39, 1 2 2 - 1 2 4 , 1 2 7 - 1 2 8 , 130 Adsentential 123 Adverbial 120, 122, 123, 1 2 8 - 1 3 0 Affigierung 155-156 Agglutination 2 6 - 2 7 , i°> 3 1 > 45 A k r o n y m 99, 1 6 6 - 1 6 7 Akzent 60, 65, 77, 84 Kontrast- 48-49 Satz- 47-49, i 4 2 - I 4 3 Akzentuierung 65, 72 Amalgamierung 165 amerikanischer Strukturalismus 9, 87, 118 Analogie 87, 152, 161 analytische Sprache 26-28, 44, 95, 179 A n t o n y m i e 115 Arabisch 28-29, 137 Artikel 1 3 4 - 1 3 6 , s. auch definiter Artikel Assimilation 53, 54, 1 4 9 - 1 5 0 Attribution j4, 44 attributiver Genitiv 140 Ausklammerung s. Satzklammer Auslautverhärtung (im Deutschen) f8, 6 5, 7 I - 7 2 > 91 Balkansprachbund 22 Bedeutungspostulate 114, 121-122, 133 Begriff 1 0 8 - 1 1 0 Komplex- 1 0 8 - m , 113, 1 1 7 Erweiterung/Verengung des Begriffsinhalts 171 Begriffskomplex s. Polysemie Blending 166 Chinesisch 28, 1 5 1 Clipping 1 6 6 - 1 6 7 200

Deduktion 147 definiter Artikel 40, 141-142 Deixis 41, s. auch indexikalische Semantik Dependenzgrammatik 11, 23, 1 1 8 , 120 Derivation 86, 155, 157, 165 Derivationalclipping 167 Determinator s. Artikel Diachronie i f - i 6 , 1 5 1 , 177, s. auch Sprachveränderung Ellipsis lexikalische 168 syntaktische 41-42, 48 Englisch 14, 28, 30, 32, 60, 64, 78, 85, 89, 90, 95, 1 3 7 - 1 3 8 , 157, 160, 166-169, 177-179 Entlehnung 152, 162, s. auch Lehnformation von Wörtern Etymologie 177 Ewe 57 Extension einer morphologischen Regularität 157, 161 Fabrikation 166 Fehlerlinguistik 12 Finnisch 58, 142 Flexion 26-27, 28-29, 86-90, 95 Fokus s. Topik-Fokus-Struktur Folgerung 1 2 - 1 4 , 121, i j j Frage-Antwort-Sequenz 42 Fragesätze 49-50 Französisch 30, 52-53, 55, 95, 150, 168-169 Fregesches Prinzip 40, 44, 96, 100, 126, 132, 165 Fundierung einer Theorie 84 Funktion 124-125, 132 charakteristische 1 2 5 - 1 2 8

funktionale G r a m m a t i k io-ii, Fusion 28

118-119

Gelenk 64—65, 70—72, 84 Generative Semantik 4 , 88, 9 5 - 9 6 , 114, 121 generative Transformationsgrammatik s. Transformationsgrammatik Genitiv (subjectivus vs. objectivus) 140 Genus s. Markierungsstruktur Georgisch 29 Germanisch 31, 1 5 7 - 1 6 0 germanische Konsonantenverschiebung '5' Gotisch 70, 158, 1 6 0 - 1 6 1 G r a m m a t i k 4-11, 15, 17, 43, 144 einzelsprachliche 4 - 8 inhärente vs. Grammatikbeschreibung 7-8 psychische Realität 1 1 - 1 3 , 15 universale 6 - 8 Griechisch (klassisches) 31 Griechisch ( N e u - ) 65 Grönländisch 30 gruppenflektierende Sprachen 29 Hawaiisch 45 Heterogenität (in der Sprachgemeinschaft) 17-19,

146,

163

der Wortbedeutungen 112-113, Homophonie 79-80 H y p o n y m i e 115

163

idealer Sprecher-Hörer s. Kompetenz Idealtypologie 26, 35 Idiolekt 17 Idiomatisierung 9 6 - 9 7 , 165 I g b o 59 Indefinitheit s. definiter Artikel Individuenbezeichnungen 125-127 indexikalische Semantik 1 3 9 - 1 4 0 Induktion 147 Infigierung 156 Inkompatibilität (von H y p o n y m e n ) 115 Inkorporation 2 6 - 2 7 , 29~S° Innovation (sprachliche) 102, 151-152 intensionale L o g i k 14, 122, 1 2 8 - 1 2 9 , ' 3 3 interlude s. Gelenk Interpretation 4 2 - 4 3 , 125-134, 140-144 von Adnominalen 127-128 von Adverbialen 1 2 8 - 1 2 9 von Namen und Verbalausdrücken 125-127

Interpretationsfunktion 111, 126, 132 Interpretationsregeln 11, 40, 119, 132-134 Interpretationstheorie 13-15, s. auch modelltheoretische Semantik Intonation s. Satzintonation Intonationsregeln 121 Intonationstypologie 32 Intonatorik 46-50, 177, 181 Isolation 2 6 - 2 7 , 2 ® Italienisch 64, 151, 156, 157 Japanisch 31, 32, 35, 64, 137 Juxtaposition 28 Kasusgrammatik 120 Kasus s. Markierung, morpholog., s. auch Valenz Kategorie 44 syntaktische 1 2 3 - 1 2 4 , 1 2 7 - 1 2 9 Kategorie-Typ-Zuordnung 127, 129, 131 Kategorialgrammatik 11, 23, 4 3 - 4 4 , 95, 119-139 Kernbedeutung

110-113,

116-117,

173-175 klassifikatorische Typologie 26 kognitive Strukturen s. Grammatik, psychische Realität Kollokation 28 Kombinationsmorphologie 56, 87-90 kommunikative Funktionen (der Sprache) 38, 1 0 1 - 1 0 5 , 170 K o m p e t e n z 7, 10, 17-19 Komplementarität (von H y p o n y m e n ) 115 Komplementation 34, 44 Komposita 9 5 - 9 7 Kompositalclipping 167 Komposition 86, 155, 165 Kompositionalclipping 167 Kongruenz 45, 135, 136 konsistent prä-/postspezifizierende Sprachen 33-35, 40 Konstituenz 124, s. auch syntaktische Konstituente konstruktive (Wort-)Formation 165 Kontext 1 3 9 - 1 4 4 Restriktion des Verwendungskontexts 48 Kontextabhängigkeit der Interpretation 13, 3 8 , 41-42,

97

Kontextabhängigkeit 99,

105-107,

der

110-112,

Wortbedeutung 116-117,

I

171. 173

201

4°>

Kontrast, phonologischer 84-85 Kontrollproblem (in der Syntax) 97-98 Koordination(snorm) 100-101, 163 Künstliche Intelligenz 10, 12, 15 Lautwandel 149-154 Lateinisch 30, 32, 58-59, 142, 150, 157, 158 Lehnformation von Wörtern 168-169 Lexem 99 Lexikalisierungsregeln 121, 130, 135-136 lexikalische Dekomposition 88, 114 Lexikographie 1 1 3 - 1 1 7 Lexikon 90-91, 93, 95-98, 134, 164-165 Luxemburgisch 157 Mandesprachen 59 Markierung morphologische 44-45, 120, 122-124, Subjekt-Objekt 178-179 Markierungsstruktur 45, 135-137 Maori 35 Metapher 109, 171-173 Metonymie 109, 171-173 Modell (semantisches) 132-133 122 modelltheoretische Semantik 12-14, Monosemasie/Polysemasie 29 Montague-Grammatik 5, 1 1 , 42, 118 Morphem 23-24, 87, 90-91, 94 Morphologie 45, 57, 86-94, morphologische Typologie 23-24, 26-30 morphologische Regeln 87, 90, 92-93, 96, 121, 130 Entstehung 154 Veränderung 158-161 Natürliche Generative Grammatik 14, 91, 121 Natürliche Generative Phonologie 56-58 Negation 49, 143 Neutralisationsregeln 85, 149-151 Niederländisch 112, 172-176 Nomen 39, 120, 123-124 Normen (Sprach-) 18-19, 100-105, 181, s. auch semantische Normen Veränderung 102, 146-148 Numerus s. Markierungsstruktur (s. auch Plural) Nupe 59 Oberflächenstruktur 9, 12-13, 1 3 0 - 1 3 1 , 134-137 202

120-124,

onomatopoetische Wortschöpfung 165 Operator-Operand-Beziehung 1 1 , 39-40, 43, 120, 124-125 Serialisierung 137-138, 178-180 Opposition s. Kontrast, phonologischer Paradigma 87, 92-95, 136 paradigmatischer Ausgleich 161 Paradigmenmorphologie 57, 59, 87, 89-90 Partikel 43-44 Phon 63-64 Phonetik 61, 74, 81 phonetische Vereinfachung 149-151 phonetische Repräsentation 56, 88 phonetisches (Standard-)Ereignis 74-77, 80 Phonfolge 64-65, 73 phonologische Merkmale 63, 66-67, 81-83, 151 phonologische Regularitäten 83-85, 88-89, 91 phonologische Repräsentationen, Abstraktheitskontroverse 56-57 phonologische Typologie 30-31 phonologische Wortform 73-74, 77, 81-82 Pluralisierungsverfahren (im Deutschen) 23-24 Veränderung 157-160 Polarisierung 161 Polnisch 58 polynesische Sprachen 44, 45, 137 Polysemie 109-112, 116 Polysynthese 29-30 Portmanteauwörter s. Blending Prädikatausdrücke 125-127 Prädikatenlogik 12-14, 38, 125-127, 132 Präfigierung s. Affigierung Präsupposition 143-144 Prager Schule 16, 25, 30, 85 Pragmatik 42-43, 139—142, 144 Produktivität morphologischer Regeln 87, 90-91, 94 Pronomen 40, 143-144 Protobedeutung 1 1 0 - 1 1 1 , 173-175 Prozeßmorphologie 87-90 readjustment rules 88-89 Realisationsphonologie 46, 53-56 Realisierungsregeln 121, 130-131 Redefiguren 165, 170-171, s. auch Metapher, Metonymie reduktive (Wort-)Formation 166 Regelanordnung 56, 91

Regelumkehrung 52, 161 Regularitäten (und Zeichen) 92 Rekursivität 38-39, 119 relative Adjektive 106-107 Relativsatzkonstruktionen 39-40 Rückbildung 167 Russisch 89 Sandhi 40, 46, 50-53, 55, 137 Sanskrit 30, 31, 50-52, 53, 63, 156, 158 Sapir-Whorf-Hypothese 13 Satzakzent s. Akzent Satzintonation 42, 49-50, 139 Satzklammer 156, 179 Schrift 46 Segment 63 Segmentierung 76-77 Semantik 132-133, 139-144, s. auch modelltheoretische Semantik semantische Information (vs. pragmatische Information) 42-43 semantische Normen 100, 102 Veränderung 169, 170, 172-177 semantische Merkmale 107-110, 114, 117 Serialisierung 40, 137-139 Typologie 32-36 Veränderung 177-180 Serialisierungsregeln 121, 130 Silbe 23, 57-59, 68-72, 77 freie 65, 71-72 leichte 58-59 offene 72 Silbenkopf, -koda 58, 65, 71, 72 Silbennukleus 65, 68-70 Silbenstruktur 64-65 Veränderung 150-151 Spanisch 31, 62, 65, 151, 156, 157 Spezifikation 34 Sprachbund 22 Spracherwerb (und Sprachveränderung) 109, 146-149, 163 Sprachfamilie 20 Sprachklassifikation 20-26, 36 areale 21-22 genealogische 20-21 typologische s. Typologie Sprachsystem 15-19, 148-149 Sprachveränderung 15-20, 21, 101-102, 104, 146-180 Sprechakte 43, 50, 144 Spurentheorie 9 Stammbildung 2 8, 95

Standardsprache 18, 100, 102 Strukturalismus 9, 87, 120, 122 Strukturbeschreibung (Strukturbaum) 3, I2 3 Suaheli 30, 155-156 Subjekt 32-33 Subjekt-Objekt-Morphologie 178-179 Subtraktion 157 Suffigierung s. Affigierung Supernorm 103-105 Suppletion 90 Syllabifizierung s. Silbe Synästhesie 172 Synchronie 15-16, 151, s. auch Sprachsystem Synonymie 115 syntaktische Konstituente 45, 122-124 syntaktische Regeln 38-40, 42, 87, 1 1 8 - 1 1 9 , 126, 130, 134 syntaktische Struktur einer Äußerung 42-44 syntaktische Typologie 31-32 Syntax 118-144 und Lexikologie 95, 97, 114 und Morphologie 45, 88, 94 und Phonologie 53, 55, 94 und Semantik 1 1 8 - 1 2 1 synthetische Sprache 26-28, 44, 95, 179

Tahitisch 64, 168 Thema 143-144 Theorie 3-5, 26 Tiefenstruktur, syntaktische 9-10, 120-122, 137 Tonstruktur 59, 65, 72-73, 84 Topik 32, 178 Topik-Fokus-Struktur 139, 142-143 trace theory s. Spurentheorie Transformationen 9, 12, 87-88, 121-122 Transformationsgrammatik 4-5, 9-12, 23 Morphologie 87-90, 95, 136 Phonologie 52, 56-58, 66, 85 Sprachveränderung 177 Syntax 10, 118, 120-122, 137 Tropen der Rhetorik s. Redefiguren Türkisch 30, 45, 58, 137 Typenlogik 126-129, 131-134 Typologie 22-36 der Lautveränderungen 152—154 Typologisierung, kategorisch vs. graduierend 27 203

Umlaut 151, 156 unikale Morpheme (bzw. Wörter) 99 Univerbierung 154-155, 161 Universalien 182 grammatische 6-8 phonologische 83-85 der Sprachveränderung 16 syntaktische 33, 177 Universalität semantischer Repräsentationen 13 Vagheit, semantische 99, 105-106, 113 Valenz 40, 119-120, 134 variable rules 18 Verb 120, 123, 130, 134, 178-179 Verners Gesetz 31, 157, 160-161 VO- und OV-Sprachen 33, 35, 40, 179, s. auch konsistent prä-/postspezifizierende Sprachen

Wahrheitsbedingungen von Sätzen 48-49, 139-141 Wort 23, 90-95 Gewinnung neuer Wörter 164-169 phonologisch mögliches 78-79 Verlust von Wörtern 162-164 Wortbedeutung s. Kernbedeutung, s. Protobedeutung Wortfeld 94, 116, 162 Wortformation 165-166 Wortgestalten (Grund-) 54, 59-63, 65 Wortphonologie 56-59, 66-86 Fundamentalhypothese 62-63, 81-83 Wortschöpfung 165 Wortsemantik 99-113 Wortstammbildung 86-91 Wortstellung s. Serialisierung Wörterbuch s. Lexikographie Wurzelseparierung 28

Wahrheit 13-14, 132

Zusammenrückung s. Amalgamierung

204