Grenze und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im historischen Kontext: Eine explorative politikwissenschaftliche Studie am Fallbeispiel des Pyrenäenraums [1 ed.] 9783428530854, 9783428130856

Die Politikwissenschaft, aber auch andere Disziplinen einschließlich der Geschichtswissenschaft, haben die historische D

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German Pages 289 Year 2010

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Grenze und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im historischen Kontext: Eine explorative politikwissenschaftliche Studie am Fallbeispiel des Pyrenäenraums [1 ed.]
 9783428530854, 9783428130856

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 201

Grenze und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im historischen Kontext Eine explorative politikwissenschaftliche Studie am Fallbeispiel des Pyrenäenraums

Von

Benedikt Speer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

BENEDIKT SPEER

Grenze und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im historischen Kontext

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 201

Grenze und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im historischen Kontext Eine explorative politikwissenschaftliche Studie am Fallbeispiel des Pyrenäenraums

Von

Benedikt Speer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-13085-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Enno und Jesko und für Britta

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand im Wesentlichen in den Jahren 2005 bis 2008 neben meiner Tätigkeit am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer (FÖV); einige Vorarbeiten, insbesondere ein Teil der aufwändigen Materialsammlung und -auswertung, konnten bereits während der vorhergehenden Assistentenzeit am Lehrstuhl für Vergleichende Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (DHV) begonnen werden. Die Einreichung als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Staats- und Wirtschaftswissenschaften (Dr. rer. pol.) an der DHV erfolgte im Oktober 2008, die Disputation fand im Dezember 2008 statt. Für die schnelle Durchführung des Verfahres schulde ich dem Erstgutachter, Herrn Univ.-Prof. Dr. Carl Böhret, und dem Zweitgutachter, Herrn Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Siedentopf, besonderen Dank; beiden fühle ich mich auf ganz unterschiedliche Weise eng verbunden. Ebenfalls gedankt sei an dieser Stelle Herrn Univ.-Prof. Dr. Stefan Fisch, der als Historiker neben dem Politikwissenschaftler Böhret und dem verwaltungswissenschaftlich ausgerichteten Juristen Siedentopf die interdisziplinäre Prüfungskommission für die Disputation vervollständigt hat. Ein weiterer Dank gilt dem Senat und dem Rektor der DHV, Herrn Univ.-Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann, welche die Aufnahme der Arbeit in die „Schriftenreihe der Hochschule Speyer“ bei Duncker & Humblot befürwortet haben. Der Erfolg eines Vorhabens, das nicht nur vordergründig als explorativ ausgewiesen ist, hängt natürlich von vielen Faktoren ab. Ich hatte das Glück, in meinem Vater, Dr. Heino Speer, einen fachlich kompetenten, vielseitig gebildeten und nicht zuletzt äußerst geduldigen Diskussionspartner in meiner Nähe zu haben. Ihm und der restlichen Familie danke ich für die Langmut und die Unterstützung, welche sie mir immer wieder erwiesen haben. Darin eingeschlossen sind auch meine Kollegen an der DHV und am FÖV, die mir zugehört und mir über schwierige Passagen hinweggeholfen haben (Ihr wisst schon, wer hier besonders gemeint ist!). Nicht zuletzt möchte ich mich bei Frau Beate Bukowski, Frau Marliese Puhr, Frau Wera Veith-Joncic und bei Frau Uschi Ohliger bedanken, die mich auf unterschiedlichste Weise in der täglichen Forschungsarbeit unterstützt haben. Gewidmet ist die Arbeit den drei Personen, die neben mir am meisten von ihr betroffen waren: Enno, Jesko und Britta, für die ich gerne mehr Zeit gehabt hätte. Speyer, im Herbst 2009 Benedikt Speer

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1 Untersuchungsgegenstand, zentrale Begrifflichkeiten und Erkenntnisinteresse A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand: Tendenzen und Lücken in der Forschung . . . . . . . . . . . . I. Die „geographische Konzentrierung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die „Regionenzentriertheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Regionenzentrierte“ Akteursverständnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründe für die „Regionenzentriertheit“ in der deutschsprachigen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gründe für die „Regionenzentriertheit“ in der europäischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkungen der „Regionenzentriertheit“ auf die Forschung. . . . . . . a) Die sachgegenständliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die akteursbezogene Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die zeitlich-historische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die „Annahmegestütztheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis zu Teil 1, A.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Grenze, Grenzraum und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im wissenschaftlichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die völkerrechtliche Grenze als Bezugspunkt grenzüberschreitender Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzsaum oder Grenzlinie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von der lehnsrechtlichen Herrschaftsverschränkung zum Ideal der natürlichen Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die völkerrechtliche Lineargrenze zwischen nationalstaatlichem Denken und europäischer Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die räumlichen Wirkungen von Grenzen und der Grenz- oder Grenzkooperationsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typologische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Räumliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Politisch-administrative Ansätze und ihre räumlich-funktionale Ergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis III. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als besondere Form internationaler Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Akteursbezogene Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Staat als Akteur der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit b) Die Abgrenzung zum Akteursverständnis des Transnationalismus und des „Transnationalen Regionalismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Raumbezogene Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der unterschiedliche Raumbezug der grenzüberschreitenden und der interregionalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Abgrenzung der grenzüberschreitenden von der grenznachbarschaftlichen Zusammenarbeit im Sinne des Artikels 24 Absatz 1 a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handlungsbezogene Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Handlungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Motivationsbezogene Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strukturell-funktionale Akteursmotivationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Politisch-individuelle Akteursmotivationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Merkmale grenzüberschreitender Zusammenarbeit: Versuch einer Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis zu Teil 1, B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen der Untersuchung I. Erkenntnisinteresse und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodik und Quellenproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fallbeispiel und Erkenntniserwartungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Fallbeispiel: Grenze und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erkenntniserwartungen und Erkenntnishoffnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis zu Teil 1, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 2 Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen dem Mittelalter und dem Ende des 19. Jahrhunderts A. Der Pyrenäenraum: Eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Pyrenäen als Barriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Massiv als geophysische Barriere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Barrierewirkungen des Massivs am Beispiel der gegenwärtigen Siedlungs- und Verkehrsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Massiv als politisch-administrative Barriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Pyrenäen als grenzübergreifender Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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1. Die relative Einheitlichkeit gegenwärtiger Lebensverhältnisse in den Pyrenäen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Die Pyrenäen als historisch nach innen integrierter Raum . . . . . . . . . . 101 III. Zwischenergebnis zu Teil 2, A.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 B. Die Herausbildung von Grenze(n) und von grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen dem Mittelalter und dem Pyrenäenfrieden (1659) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tal und Talschaft als historische Träger der lokalen politisch-ökonomischen Grundordnung im Pyrenäenraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die innere Ordnung: casa- oder (h)ostal-System, Talversammlung und Gemeinbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die äußere Ordnung: Foralregime und Ermächtigung zum Abschluss tälerübergreifender Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Herausbildung vor-völkerrechtlicher Gebiets- und Herrschaftsgrenzen im Pyrenäenraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frühe lokale Gebietsgrenzen in den Pyrenäen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor-völkerrechtliche Herrschaftsgrenzen in den Pyrenäen. . . . . . . . . . . a) Die Herausbildung der mittelalterlichen Pyrenäengrenze(n) . . . . . . b) Der Vertrag von Corbeil (1258) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Frühe Ansätze einer expansionistischen Grenzideologie in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grenzveränderungen im Pyrenäenraum zwischen dem Vertrag von Corbeil (1258) und dem Pyrenäenfrieden (1659) . . . . . . . . . . . aa) Das Valle de Arán . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Teilung Navarras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Roussillon und die Cerdagne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Formen vor-völkerrechtlicher grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Pyrenäenraum (vom 12. Jahrhundert bis 1659). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die mittelalterlichen lies und passeries als Prototyp grenzüberschreitender Abkommen in den Pyrenäen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Notwendigkeit der lies und passeries in einem konfliktiven Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Vertragsgegenstände der lies und passeries. . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die institutionelle Absicherung der lies und passeries. . . . . . . . . . . d) Die lies und passeries zwischen lokalem und zwischenstaatlichem grenzüberschreitenden Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Limitationen der lies und passeries: Vollständiges Fehlen, umstrittener Untergang und fortgesetztes Scheitern grenzüberschreitender Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das vollständige Fehlen grenzüberschreitender Abkommen. . . . . . b) Der umstrittene Untergang grenzüberschreitender Abkommen . . . c) Fortgesetztes Scheitern grenzüberschreitender Abkommen: Das Beispiel der navarresischen Aldudes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 3. Die Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung grenzüberschreitender Abkommen in den Pyrenäen im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . a) Die Erweiterung der lies und passeries zu frühneuzeitlichen Allianz- und Friedensverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „föderativen“ Verträge von 1513 und 1514 . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Acte du Plan d’Arrem von 1513 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der aragonesisch-béarnesische Accord de lies et passeries von 1514. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Traités de bonne correspondance an der Atlantikgrenze . . . . . aa) Die Traités de bonne correspondance des 16. Jahrhunderts . . bb) Die Traités de bonne correspondance des 17. Jahrhunderts . . IV. Zwischenergebnis zu Teil 2, B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen dem Pyrenäenvertrag (1659) und dem Vertrag von Elizondo (1785/1789). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Pyrenäengrenze zwischen partieller völkerrechtlicher Determinierung und gescheiterter Präzisierung (1659–1789) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die unvollkommene Determinierung einer frühen völkerrechtlichen Staatsgrenze durch den Pyrenäenvertrag und seine Zusatzabkommen (1659/1660) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Artikel 42 Pyrenäenvertrag und die französisch-spanische Landgrenze (November 1659) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Zusatzerklärung zu Artikel 42 Pyrenäenvertrag (Mai 1660) . . c) Das Durchführungsabkommen von Llívia (November 1660) . . . . . d) Der Pyrenäenvertrag und der Grenzverlauf im Zentral- und Atlantiksektor der Pyrenäen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Pyrenäengrenze im Wechsel von Konflikt und Kooperation (1660–1789) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Pyrenäengrenze zwischen internationalen Konflikten und lokaler Kooperation (1667–1720) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die bourbonische „Friedensgrenze“ zwischen internationaler Kooperation und lokaler Konfliktivität (1721–1789) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Vertrag von Elizondo von 1785 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgeschichte des Vertragsschlusses: Aldudes-Konflikt und frühere Grenzkommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Einsetzung der Caro-d’Ornano-Kommission (1784) . . . . . . . . . c) Der Vertrag von Elizondo und seine Inhalte (1785) . . . . . . . . . . . . . d) Der Vertrag von Elizondo nach 1786: Widerstände und faktische Nichtanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen 1659 und 1789: Staatliche Einflüsse, ihre Determinanten und Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die begrenzten Auswirkungen des Pyrenäenvertrags: Die Kommission von Figueres (1665–1668) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum während der Krisenzeiten von 1667 bis 1720 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die unterschiedlichen Standpunkte militärischer und ziviler Behörden zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen 1667 und 1720 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Fortführung der bisherigen Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit zwischen 1667 und 1720: Kontinuität und Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum während der bourbonischen Friedensallianz von 1721 bis 1789 . . . . . . . . . a) Die Beschränkung der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf Handel, Versorgung und Flächennutzung im unmittelbaren Grenzraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bekämpfung des Grenzschmuggels als Schwerpunkt einer genuin zwischenstaatlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die französisch-spanische Geheim-Convention vom 2. Januar 1768 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die französisch-spanische Convention vom 27. Dezember 1774 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die französisch-spanische Convention vom 24. Dezember 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis zu Teil 2, C.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Der lange Weg zur völkerrechtlichen Zusammenführung von Grenze und grenzüberschreitender Zusammenarbeit: Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die französisch-spanischen Beziehungen in einer Epoche militärischer, politischer und sozio-ökonomischer Krisen: 1793–1851 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Revolutionskrieg von 1793 und der Friedensvertrag von Basel 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die napoleonische Besetzung Spaniens 1808–1814 und die Pariser Friedensverträge von 1814/1815 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vom Zweiten Pariser Frieden 1815 bis zur Einsetzung der Grenzkommission von 1851. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Grenzverträge von Bayonne als völkerrechtliche Grundlage der Pyrenäengrenze und als Kodex grenzüberschreitender Rechte im Pyrenäenraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grenzkommission von 1851–1853 und die Commission mixte de délimitation des Pyrénées von 1853–1868 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grenzkommission von 1851–1853 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Commission mixte de délimitation des Pyrénées von 1853–1868. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die drei Grenzverträge von Bayonne, ihre Zusatzabkommen und die Allgemeine Zusatzakte (1856–1868) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Der erste Grenzvertrag von Bayonne vom 2. Dezember 1856 und das Zusatzabkommen vom 28. Dezember 1858 . . . . . . . . . . . . . b) Der zweite Grenzvertrag von Bayonne vom 14. April 1862 und das Zusatzabkommen vom 27. Februar 1863 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der dritte Grenzvertrag von Bayonne vom 26. Mai 1866 und das Zusatzabkommen vom 11. Juli 1868 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Allgemeine Zusatzakte vom 26. Mai 1866 . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Entstehung der Commission Internationale des Pyrénées 1875/1887 1. Die Internationale Grenzkommission für den Bidassoa von 1875 als Vorläuferorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Weiterentwicklung zur Commission Internationale des Pyrénées von 1887 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Die Commission Internationale des Pyrénées und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Spanien nach 1887 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Commission Internationale des Pyrénées zwischen 1887 und 1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Commission Internationale des Pyrénées von der Zwischenkriegszeit bis in die Gegenwart. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis zu Teil 2, D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216 221 224 227 228 229 232

234 235 236 240

Teil 3 Leitsätze für die politikwissenschaftliche Diskussion zu den Topoi „Grenze“ und „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Abkürzungsverzeichnis Abs. akt./aktual. Allg. a. M. Anm. Anm. d. Verf. Art. Aufl. Ausg. Bd. bearb. bzw. d. DATAR DDR ders. d. h. dies. dt. durchges. ebd. ebd. ehem. erw. etc. EU f. ff. Fn. FS GG ggf. Hrsg. hrsg. hrsg. v. HWWA

Absatz aktualisiert(e) Allgemein(e) am Main Anmerkung Anmerkung des Verfassers Artikel Auflage Ausgabe Band/Bände bearbeitet(e) beziehungsweise der/des Délégation à l’aménagement du territoire et à l’action régionale Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt dieselbe(n) deutsch(e)(n) durchgesehene ebendiese(r) ebendort ehemals erweitert(e) et cetera Europäische Union folgende fortfolgende Fußnote Festschrift Grundgesetz gegebenenfalls Herausgeber herausgegeben herausgegeben von Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut

16 i. d. R. insbes. i. S. d. Jh. korr. lat. lit. MOPU m. w. N. neubearb. Nr. NUTS OECD o. J. o. O. Rn. S. s. s. o. sog. Sp. s. u. u. u. a. u. a. überarb. Übers. übers. v. unveränd. USA usw. v. veränd. verb. vgl. Vol. vollst. VVDStRL z. B. z. d. zit. z. T.

Abkürzungsverzeichnis in der Regel insbesondere im Sinne des/der Jahrhundert korrigiert(e) lateinisch litera Ministerio de Obras Pfflblicas y Urbanismo mit weiteren Nachweisen neubearbeitet(e) Nummer Nomenclature des unités territoriales statistiques Organisation for Economic Cooperation and Development ohne Jahr ohne Ort Randnummer Seite(n) siècle siehe oben sogenannt(e)(r)(n) Spalte(n) siehe unten und und andere (Personen) unter anderem/und andere (Orte) überarbeitet(e) Übersetzung übersetzt von unverändert(e) United States of America und so weiter vom/von verändert(e) verbesserte vergleiche Volume vollständig(e) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zum Beispiel zu den zitiert zum Teil

Einleitung Die vorliegende Untersuchung zur Grenze und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im historischen Kontext befasst sich mit einem Thema, das nicht nur in der einschlägigen politikwissenschaftlichen Forschung, sondern auch in anderen Disziplinen bislang kaum systematisch erschlossen worden ist. Dabei kann der Blick in die Vergangenheit in diesem Fall einen wesentlichen Beitrag zur Überprüfung und gegebenenfalls zur Korrektur von letztlich nur hilfsweise herangezogenen Vorannahmen leisten, auf die zwischenzeitlich nichtsdestoweniger ganze Theoriegebäude über Hintergründe, Genese, Nutzen und Akteurszuordnungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gestützt worden sind. Insofern wird den Ursachen für die weitgehende Ausblendung der historischen Dimensionen grenzüberschreitender Zusammenarbeit durch die deutschsprachige Forschung und weit darüber hinaus ebenso nachzugehen sein wie den daraus resultierenden Defiziten und ihren möglichen Folgen. Dies ist das Anliegen des ersten Untersuchungsteils, der zunächst einen Überblick über aktuelle Schwerpunktsetzungen in einer insgesamt noch verhältnismäßig jungen und disparaten Forschungslandschaft geben will, bevor er sich näher mit deren zentralen Begrifflichkeiten – der Grenze, dem Grenzraum und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – auseinandersetzt. Im Vorfeld muss hier einstweilen der Befund genügen, dass paradigmatische Fokussierungen sowie ein mangelnder inter- und selbst intradisziplinärer Austausch bisher den Blick auf angeblich nicht zu beantwortende und/oder vermeintlich irrelevante Aspekte verstellt haben, ohne dass entsprechende Forschungslücken hinreichend diskutiert oder wenigstens kenntlich gemacht worden wären. Angesichts der Ubiquität insbesondere regionenzentrierter Fragestellungen, die gegenwärtig das Forschungsfeld dominieren, hat sich das eigene Vorhaben, im Unterschied dazu mit einer politikwissenschaftlichen Studie zur historischen Entwicklung von Grenze und grenzüberschreitender Zusammenarbeit einen Diskussionsbeitrag zu leisten, nur allmählich konkretisiert. Der endgültige Entschluss, dafür eine zunächst geplante und zumindest für den deutschsprachigen Raum ebenfalls noch ausstehende Untersuchung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen spanischen Comunidades Autónomas und französischen Régions aufzugeben, ergab sich letzten Endes erst aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem ursprüng-

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Einleitung

lich anvisierten Analysegegenstand. Dieser Prozess war, insoweit ganz im Sinne Gadamers, die hermeneutische Voraussetzung, um die „Idee“ beziehungsweise die konkrete Konzeption der vorliegenden Arbeit und ihrer Fragestellungen entwickeln zu können: „Aber wir wissen zugleich, daß Einfälle doch nicht ganz unvorbereitet kommen. Sie setzen bereits eine Richtung auf einen Bereich des Offenen voraus, aus dem der Einfall kommen kann, d. h. aber, sie setzen Fragen voraus. Das eigentliche Wesen des Einfalls ist vielleicht weniger, daß einem wie auf ein Rätsel die Lösung einfällt, sondern daß einem die Frage einfällt, die ins Offene vorstößt und dadurch Antwort möglich macht.“1

Ex post betrachtet resultierte die entscheidende Weichenstellung für einen „offeneren“ Blick, wenn auch zunächst unbewusst, vor allem aus den Einblicken eines mehrmonatigen Verwaltungspraktikums im Generalsekretariat der Präsidentschaft einer spanischen Comunidad Autónoma, also einer funktionell deutschen Staatskanzleien vergleichbaren Institution. Aufgrund glücklicher Umstände war es hier möglich, auch in die hidden agenda der politischen und finanziellen Mechanismen regionaler grenzüberschreitender Zusammenarbeit und ihrer subnationalen, nationalen und supranationalen Zusammenhänge einzudringen, wobei die diesbezüglichen Erkenntnisse durch spätere Forschungsaufenthalte weiter vertieft und verfestigt werden konnten.2 Daraus folgte einerseits ein gewisses Unbehagen gegenüber der oft allzu optimistischen Beurteilung regionaler grenzüberschreitender Aktivitäten und Institutionen sowie gegenüber der Aussagekraft von deren Evaluierungen in einem überwiegend selbstreferenziellen Kontext. Andererseits fanden sich in der Literatur zur aktuellen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen französischen und spanischen subnationalen Gebietskörperschaften ganz vereinzelt Hinweise auf die noch immer gültigen völkerrechtlichen Grenzverträge von Bayonne aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, welche durch die Übernahme hergebrachter Rechte eine jahrhundertealte Tradition grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Pyrenäenraum fortführten. Erst im Konnex einer kritischen Herangehensweise an die wissenschaftliche Literatur zur regionalen grenzüberschreitenden Zu1 Gadamer, Hans-Georg, Gesammelte Werke, Bd. 1: Hermeneutik I: Wahrheit und Methode, 5., durchges. u. erw. Aufl., Tübingen 1986, S. 372. 2 Während mein Dank insoweit zahlreichen Gesprächspartnern im In- und Ausland gilt, werden José María Rodríguez Jordá, ehem. Secretario General de la Presidencia del Gobierno de Aragón, sowie Ma Cruz Obis Longaron und Eduardo del Pueyo Pérez, ehem. Servicio de Acción Exterior del Gobierno de Aragón, hier immer einen besonderen Platz einnehmen. Indem sie zuerst mein Interesse für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit geweckt und mir entsprechende Kontakte vermittelt haben, entstand die Basis für die weitergehenden Fragestellungen dieser Arbeit.

Einleitung

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sammenarbeit der Gegenwart und einem zunächst noch sehr fragmentarischen Wissen von der Existenz einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Vergangenheit entstand ein Erkenntnisvermögen für mögliche Fehldeutungen und Forschungslücken sowie ein Interesse an daraus ableitbaren Forschungsoptionen. Diese haben sich im zweiten Teil der vorliegenden Studie, in dem die historische Dimension von Grenze und grenzüberschreitender Zusammenarbeit am Fallbeispiel des Pyrenäenraums seit dem Mittelalter untersucht wird, niedergeschlagen. Der potentiell über den explorativ untersuchten Einzelfall hinausgehende Beitrag für die politikwissenschaftliche Forschung, der sich aus der fortlaufenden Kontrastierung der Ergebnisse des ersten und des zweiten Arbeitsteils ergibt, wird dann im dritten Teil abschließend leitsatzartig formuliert.

Teil 1

Untersuchungsgegenstand, zentrale Begrifflichkeiten und Erkenntnisinteresse A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand: Tendenzen und Lücken in der Forschung Angesichts der gesteigerten Aufmerksamkeit, welche Politik und Wissenschaft dem Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den letzten Jahren entgegenbringen, sieht sich eine Arbeit zu diesem Thema heute kaum noch mit kritischen Fragen nach ihrer Relevanz konfrontiert, sondern vielmehr mit einer kaum zu überblickenden Fülle von Daten und Praxisbeispielen sowie mit der daraus resultierenden „Schwierigkeit einer sachgerechten Auswahl und Darstellung“ des eigenen Untersuchungsgegenstandes.1 Diese Entwicklung ist insofern bemerkenswert, als sich das Interesse an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zunächst fast ausschließlich auf den Kreis unmittelbar beteiligter Praktiker beschränkte, deren Arbeit nur gelegentlich wissenschaftlich aufbereitet und vorgestellt wurde.2 Der Aufschwung des Politikfeldes3 zu einem Gegenstand breiterer Forschungsbemühungen setzte demgegenüber erst in den 1990er Jahren ein, als vor allem in Folge der Intensivierung des europäischen Integrationsprozesses zunehmend die Frage nach dem „Regieren in entgrenzten Räumen“4 und, spezifischer, 1

So Niedobitek, Matthias, Das Recht der grenzüberschreitenden Verträge, Tübingen 2001, S. 65. 2 Für eine frühe Bestandsaufnahme grenzüberschreitender Zusammenarbeit in Europa anhand ausgewählter Fallbeispiele vgl. Malchus, Viktor von, Partnerschaft an europäischen Grenzen: Integration durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Bonn 1975; für einen ebenfalls relativ frühen Vergleich zwischen den Kooperationen an der (U.S.-)amerikanisch-mexikanischen und an westeuropäischen Grenzen vgl. Hansen, Niles, International Cooperation in Border Regions: An Overview and Research Agenda, in: International Regional Science Review 3/1983, S. 255 ff. 3 Zu den verschiedenen Dimensionen dieses Begriffs vgl. z. B. Schneider, Volker/ Janning, Frank, Politikfeldanalyse: Akteure, Diskurse und Netzwerke in der öffentlichen Politik, Wiesbaden 2006, S. 64 ff.

A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Untersuchungsgegenstand

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auch nach dem möglichen Beitrag der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für die „Entgrenzung der Staatenwelt“5 gestellt wurde. Trotz des beachtlichen Umfangs der zwischenzeitlich vorgelegten Literatur kann von einem gesicherten Wissenskanon allerdings nicht die Rede sein. Zum einen ist schon früh darauf hingewiesen worden, dass es angesichts der großen Zahl von Akteuren und der Vielfalt bestehender Kooperationsformen schwer fallen werde, die empirische Realität grenzüberschreitender Zusammenarbeit selbst für ein vergleichsweise begrenztes Gebiet wie (West-)Europa aufzuarbeiten.6 Zum anderen stehen die unterschiedlichen Herangehensweisen der einzelnen Disziplinen, die sich wie die Politik-, die Rechts-, die Wirtschafts- oder die Verwaltungswissenschaft des Themas angenommen haben, einem wechselseitig befruchtenden Wissensaustausch entgegen. Aus der Anwendung ihrer jeweils eigenen Methoden und Erkenntnisinteressen hat sich jedenfalls bisher kein disziplinenübergreifender Dialog entwickelt. Dafür symptomatisch ist etwa die aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive getroffene Aussage, dass die Rechtswissenschaft zwar „wertvolle Beiträge zur Charakterisierung der [grenzüberschreitenden] Zusammenarbeitsformen“ leisten könne, für deren Interpretation jedoch von „relativ wenig Relevanz“ sei.7 Von einem rechtswissenschaftlichen Standpunkt aus wurde demgegenüber postuliert, dass man die in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit faktisch bedeutsamen – und von der Politikwissenschaft durchaus untersuchten – „schlichten Kooperationen“8 als „nicht-vertragliche Instrumente“ lediglich benennen könne. Ansonsten müssten sie aus einer juristischen Betrachtung als mit der eigenen Methodik nicht erfassbare Phänomene ausgeschlossen bleiben.9 4 So Kohler-Koch, Beate (Hrsg.), Regieren in entgrenzten Räumen, Opladen u. Wiesbaden 1998. Mit ähnlichen Fragestellungen vgl. auch Landfried, Christine (Hrsg.), Politik in einer entgrenzten Welt, Köln 2001. 5 So Blatter, Joachim, Entgrenzung der Staatenwelt? Politische Institutionenbildung in grenzüberschreitenden Regionen in Europa und Nordamerika, Baden-Baden 2000. Im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurde allerdings auch schon früher von der „Entgrenzung der Grenze“ gesprochen; vgl. Malchus, S. 77. 6 Vgl. Malchus, S. 87, S. 134. 7 So Blatter (2000), S. 27 f. 8 Zur Bedeutung rechtsunverbindlicher Kooperationen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vgl. z. B. Duchacek, Ivo D., Perforated Sovereignties: Towards a Typology of New Actors in International Relations, in: Michelmann, Hans J./Soldatos, Panayotis (Hrsg.), Federalism and International Relations: The Role of Subnational Units, Oxford 1990, S. 1 ff. (S. 18). 9 Vgl. Beyerlin, Ulrich, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, Berlin u. a. 1988, S. 6 f., S. 38 f.; Niedobitek, S. 114 ff.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

Da nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der einzelnen Disziplinen vielfach divergierende Forschungsansätze und Begriffsdefinitionen anzutreffen sind, kann es also nicht verwundern, wenn die meisten Arbeiten weitgehend unverbunden nebeneinander stehen und eine inter- oder selbst nur eine intradisziplinäre Diskussion über Grundlagen, Inhalte, Terminologien und Erklärungsversuche grenzüberschreitender Zusammenarbeit erst in Ansätzen zustande gekommen ist.10 Hinzu kommt der fast durchgängig erhobene Vorwurf, dass das Forschungsfeld trotz der früheren Zuversicht, die diesbezüglichen „shortcomings of the state of the art“ absehbar überwinden zu können,11 immer noch an einem gravierenden Theoriedefizit leidet.12 Während eine genuine Theorie grenzüberschreitender Zusammenarbeit weithin nicht erkennbar ist, wurden bisherige Versuche, theoretische Erklärungsansätze aus anderen Wissenschaftskontexten auf den eigenen Untersuchungsgegenstand zu übertragen, als erratisch und insgesamt wenig ergiebig zurückgewiesen: „There is also a tendency in this literature to search around for relevant theory – decentralisation theory, functionalism, local government theory, uneven development, network analysis, rational choice theory – without finding a wholly satisfactory framework which seems to offer plausible explanations for such developments which have taken place.“13

Mit dem Verweis auf die globale Verbreitung und die Heterogenität grenzüberschreitender Kooperationen wird daher inzwischen sogar grundsätzlich bezweifelt, dass ein über konkrete und räumlich beschränkte Einzelfälle hinausreichender, theoretisch fundierter Analyserahmen überhaupt sinnvoll konstruiert werden kann.14 10 Dies zeigt z. B. schon ein Vergleich der unterschiedlichen Beiträge in den Tagungsbänden von Anderson, Malcolm (Hrsg.), Frontier Regions in Western Europe, Special Issue, West European Politics 4/1982; Brunn, Gerhard/Schmitt-Egner, Peter (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa: Theorie – Empirie – Praxis, Baden-Baden 1998; Ganster, Paul (Hrsg.), Cooperation, Environment, and Sustainability in Border Regions, San Diego 2001. 11 So Hansen, S. 266. 12 Vgl. z. B. Brunn, Gerhard/Schmitt-Egner, Peter, Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Regionen in Europa als Feld der Integrationspolitik und Gegenstand der Forschung, in: dies. (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa: Theorie – Empirie – Praxis, Baden-Baden 1998, S. 7 ff. (S. 7); Clement, Norris, International Transboundary Collaboration: A Policy-Oriented Conceptual Framework, in: Ganster, Paul (Hrsg.), Cooperation, Environment, and Sustainability in Border Regions, San Diego 2001, S. 17 ff. (S. 18); Keating, Michael, Paradiplomatie und regionale Netzwerke, in: Jahrbuch des Föderalismus 2002, hrsg. v. Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen, Baden-Baden 2002, S. 43 ff. (S. 43). 13 Anderson, Malcolm, Transfrontier Co-operation – History and Theory, in: Brunn, Gerhard/Schmitt-Egner, Peter (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa: Theorie – Empirie – Praxis, Baden-Baden 1998, S. 78 ff. (S. 79 f.).

A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Untersuchungsgegenstand

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Angesichts solcher Disparitäten, die für eine verhältnismäßig junge Forschungsrichtung aber nicht untypisch sein mögen, soll im Folgenden zunächst versucht werden, zumindest einige Akzentsetzungen in der aktuellen Forschung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu identifizieren, um davon ausgehend eigene Arbeitsfragen zu formulieren. Dass es angesichts der geschilderten Hintergründe die Forschung im Sinne eines inter- oder wenigstens transdisziplinär aufeinander bezogenen Ganzen nicht gibt,15 sollte dabei ebenso in Erinnerung bleiben wie der Hinweis, dass sich mit einem solchen Aufriss kein Anspruch auf Vollständigkeit oder absolute Gültigkeit verbinden kann. Dennoch lassen sich in dem Konvolut von Fallstudien, empiriebasierten Zusammenführungen und theorieorientierten Abhandlungen bestimmte Grundströmungen entdecken, die unter den Begriffen der „geographischen Konzentrierung“, der „Regionenzentriertheit“ und der „Annahmegestütztheit“ näher betrachtet werden sollen.

I. Die „geographische Konzentrierung“ Schon ein oberflächlicher Vergleich von Arbeiten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wird bald zu der Einsicht gelangen, dass sich ihr Großteil auf eine beschränkte Anzahl von Grenzen und Kooperationsräumen konzentriert. In einer globalen Perspektive gilt dies für den Umstand, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit in unterschiedlichen Ausprägungen zwar weltweit über Staats- und Systemgrenzen hinweg stattfindet, jedoch – von Ausnahmen abgesehen16 – ganz überwiegend nur Nordamerika und mehr noch Europa im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Bemühungen stehen. 14 Vgl. Schmitt-Egner, Peter, „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ in Europa als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und Strategie transnationaler Praxis: Anmerkungen zur Theorie, Empirie und Praxis des Transnationalen Regionalismus, in: Brunn, Gerhard/Schmitt-Egner, Peter (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa: Theorie – Empirie – Praxis, Baden-Baden 1998, S. 27 ff. (S. 36). 15 Zu grundlegenden wissenschaftstheoretischen Problemen, die einem solchen „idealen“ Anspruch entgegenstehen, vgl. z. B. Bourdieu, Pierre, Science of Science and Reflexivity, 2., unveränd. Aufl., Cambridge/Malden 2006, insbes. S. 4 ff. 16 Zu Praxisbeispielen aus Asien und Afrika vgl. in: Perkmann, Markus/Sum, Ngai-Ling (Hrsg.), Globalization, Regionalization and Cross-Border Regions, Chippenham/Eastbourne 2002, insbes. die Beiträge von Sum, Ngai-Ling, Rearticulation of Spatial Scales and Temporal Horizons of a Cross-Border Mode of Growth: the (Re-)Making of „Greater China“, ebd., S. 151 ff.; Lundin, Iraê Baptista/Söderbaum, Fredrik, The Construction of Cross-Border Regions in Southern Africa: the case of the Maputo Corridor, ebd., S. 241 ff. Vgl. auch Wu, Chung-Tong, Developing Transborder Regions: Planned or Spontaneous? Cases from Asia, in: Ganster, Paul (Hrsg.), Cooperation, Environment, and Sustainability in Border Regions, San Diego 2001, S. 389 ff.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

Neben der Dominanz amerikanischer und europäischer Forscher in der internationalen scientific community lässt sich diese geographische Konzentrierung gerade im Fall Europas mit der Vielzahl der dortigen Grenzen, mit ihrem Funktionswandel im Zuge der europäischen Integration sowie mit der hohen Dichte grenzüberschreitender Kooperationen einigermaßen rechtfertigen.17 Allerdings sind auch innerhalb des kleineren europäischen Bezugsrahmens starke Ungleichgewichte zu beobachten, wobei eine geographisch annähernd ausgewogene Erfassung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit noch nicht einmal für die Europäische Union und ihre vergleichsweise gut erforschten 15 „alten“ Mitgliedstaaten vorliegt. Selbst in diesem engeren Kreis, zu dem hinsichtlich der grenzüberschreitenden Beziehungen cum grano salis noch die Schweiz gehört,18 hat sich das wissenschaftliche Interesse bisher jedenfalls in auffallender Weise auf die entsprechenden Kooperationen zwischen holländischen, belgischen, französischen, deutschen, österreichischen und schweizerischen Grenzräumen gerichtet.19 Soweit dafür überhaupt eine Begründung gegeben wird, lautet sie regelmäßig, dass in den betreffenden Gebieten endogene Faktoren wie das Fehlen schwer überwindbarer natürlicher Barrieren und eine lange gemeinsame Geschichte auf begünstigende exogene Rahmenbedingungen wie die Aussöhnungsbemühungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die europäische Integrationspolitik getroffen seien. Dadurch habe sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Benelux-Ländern, Frankreich, Deutschland, Österreich und der Schweiz in einer Weise entwickeln können, die im restlichen Europa keine Entsprechung finde und innerhalb der Europäischen Union gleichsam als modellhaft angesehen werde.20 17 Für einen kartographischen Überblick grenzüberschreitender Kooperationen in Europa vgl. Association of European Border Regions/European Commission, Practical Guide to Cross-border Cooperation, 2. Aufl., Gronau 1997, A 4: EU Level Initiatives and Programmes, S. 12. 18 So sollen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit keine nennenswerten negativen Auswirkungen der Nicht-Mitgliedschaft der Schweiz in der EU feststellbar sein; vgl. Zoller Schepers, Regula, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein: Analyse der politischen Strukturen, Prozesse und Leistungen in grenzüberschreitenden Kooperationsorganen, Bamberg 1998, S. 201 ff. 19 Aus der Fülle an Literatur sei nur verwiesen auf die überblicksartigen Kurzportraits von Kooperationen an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland in Groß, Bernd/Schmitt-Egner, Peter, Europas kooperierende Regionen: Rahmenbedingungen und Praxis transnationaler Zusammenarbeit deutscher Grenzregionen in Europa, Baden-Baden 1994, S. 41 ff. 20 Vgl. O’Dowd, Liam, The Changing Significance of European Borders, in: Anderson, James/O’Dowd, Liam/Wilson, Thomas M. (Hrsg.), New Borders for a Changing Europe: Cross-border Cooperation and Governance, Chippenham 2003, S. 13 ff. (S. 18 f.).

A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Untersuchungsgegenstand

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Eine solche Argumentation impliziert jedoch, dass die geographischen Konzentrierungen im wissenschaftlichen Schrifttum letztlich als Indikator für unterschiedliche Entwicklungs- und Erfolgsgrade europäischer grenzüberschreitender Kooperationssysteme zu verstehen wären, die nicht zuletzt antizipierende wissenschaftliche Ertragserwartungen und daran ausgerichtete Selektionsentscheidungen reflektieren. Andere Erklärungsmöglichkeiten wie etwa die individuellen Sprachkenntnisse von Wissenschaftlern, national unterschiedliche Forschungsinteressen oder die Zugänglichkeit von Datenmaterial und Fördermitteln als Auswahlkriterien für Studienobjekte werden hingegen gänzlich außer Acht gelassen. Überdies fehlen bislang systematische Vergleichsstudien, ohne die zuverlässige Aussagen über unterschiedliche Typen europäischer grenzüberschreitender Zusammenarbeit und ihre jeweiligen Qualitäten beziehungsweise Defizite nicht möglich sind.21 Alle diesbezüglichen Deutungsversuche müssen daher derzeit ebenso spekulativ bleiben wie mögliche Schlussfolgerungen aus der Beobachtung, dass an den wissenschaftlich besonders intensiv untersuchten Kooperationen fast schon regelhaft Grenzräume aus wenigstens einem und oft aus mehreren föderalen Staaten beteiligt sind. Sie verstärkt allenfalls den sich bei der Literaturrecherche aufdrängenden Eindruck, dass im Gegenzug die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Grenzräumen nicht-föderaler Staaten im Binnenbereich der Europäischen Union eine deutlich geringere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Hier drückt sich die geographische Konzentrierung tatsächlich negativ in der relativ knappen Anzahl von Analysen etwa zu den französisch-spanischen,22 den spanisch-portugiesischen, den französisch-britischen oder den britisch-irischen Grenzen aus,23 die 21 Das Fehlen komparativer Untersuchungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beklagt auch Blatter (2000), S. 22. 22 Trotz einer ebenso intensiven wie kontroversen Debatte zur Kategorisierung des spanischen Staatssystems kann wegen der nur schwach ausgeprägten vertikalen und horizontalen Verflechtungen zwischen Zentralstaat und Comunidades Autónomas bislang lediglich von einem stark dezentralisierten beziehungsweise regionalisierten, nicht aber von einem föderalen Staat gesprochen werden; vgl. dazu nur Martino, Antonio, Spanien zwischen Regionalismus und Föderalismus: Entstehung und Entwicklung des Staates der Autonomien (Estado de las Autonomías) als historischer Prozess, Frankfurt a. M. u. a. 2004, insbes. S. 252 ff., m. w. N.; Nagel, Klaus-Jürgen, Auf dem Weg zu einer föderalen Ordnung? Der Fall Spanien, in: Vogel, Bernhard/Hrbek, Rudolf/Fischer, Thomas (Hrsg.), Halbzeitbilanz: Die Arbeitsergebnisse der deutschen Bundesstaatskommission im europäischen Vergleich, Baden-Baden 2006, S. 183 ff., m. w. N. 23 Zu den genannten Fällen vgl. z. B. Luchaire, Yves, Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Spanien, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, hrsg. v. Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen, BadenBaden 2003, S. 369 ff.; Carrera Hernández, F. Jesffls (Hrsg.), Cooperación transfronteriza: Castilla y León y Portugal, Madrid 2000; Church, Andrew/Reid, Peter,

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

dem Anschein nach außerhalb ihres nationalen oder bi-nationalen Kontexts auch nur sporadisch rezipiert werden. Alleine daraus aber schon auf die praktische oder wissenschaftliche Unergiebigkeit dieser Fälle im Vergleich zu manchen ausführlichst dokumentierten Kooperationen etwa an den deutschen Westgrenzen schließen zu wollen,24 wäre angesichts der erst in Gang kommenden Debatte über die europäische grenzüberschreitende Zusammenarbeit jedoch mit Sicherheit voreilig. Als vorläufiges Fazit bleibt daher nur die Feststellung, dass eine geographische Konzentrierung einschlägiger Untersuchungen sowohl im globalen als auch im europäischen Rahmen offensichtlich existiert, ohne in der Forschung problematisiert oder tragfähig erklärt worden zu sein. Eine Fokussierung auf bestimmte Fallbeispiele ist aber stets bedenklich, da sie dazu verleiten kann, ohne genügende Rücksicht auf die eigentlich fragmentarische Wissensbasis zu einseitigen beziehungsweise zu überdehnten Schlussfolgerungen und Generalisierungen zu gelangen. Dem lässt sich kurzfristig nur durch eine wiederholte kritische Reflexion der bereits vorliegenden Untersuchungsergebnisse sowie längerfristig durch eine gezielte Ausdehnung von Forschungsbemühungen und -perspektiven entgegenwirken.25

II. Die „Regionenzentriertheit“ Neben der geographischen Konzentrierung – und diese vielleicht zum Teil erklärend – ist die Forschung zur europäischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch nachhaltige thematische und akteursbezogene PräCross-border Co-operation, Institutionalization and Political Space Across the English Channel, in: Regional Studies 7/1999, S. 643 ff.; Greer, Jonathan, Local Authority Cross-Border Networks: Lessons in Partnership and North-South Co-operation in Ireland, in: Administration 1/2000, S. 52 ff. 24 Hier liegt alleine zum sog. Saar-Lor-Lux-Raum inzwischen so viel Literatur vor, dass nur beispielhaft verwiesen sei auf Bolle, Lars, Das interregionale Netzwerk Saar-Lor-Lux: Modellfall für Europa, in: Nitschke, Peter (Hrsg.), Die Europäische Union der Regionen: Subpolity und Politiken der dritten Ebene, Opladen 1999, S. 93 ff.; Schmitt-Egner, Peter, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit (GZA) in Saar-Lor-Lux: Labor einer europäischen Integration „von unten“? Zum Verhältnis von interregionaler Kooperation und transnationaler Integration, in: Jahrbuch des Föderalismus 2002, hrsg. v. Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen, Baden-Baden 2002, S. 471 ff.; Sinewe, Werner, Von der internationalen zur transnationalen Politik: Dargestellt am Beispiel der europäischen (Kern-)Region Saar-Lor-Lux-Trier/Westpfalz, Frankfurt a. M. u. a. 1999. Eher kritisch Pöhle, Klaus, Luxemburgs expansive Aufgabe in Saar-Lor-Lux-Wallonien, in: Jahrbuch des Föderalismus 2002, hrsg. v. Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen, Baden-Baden 2002, S. 453 ff. 25 Vgl. auch Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 94, der eine europaweite Erfassung des Phänomens grenzüberschreitender Zusammenarbeit fordert.

A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Untersuchungsgegenstand

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gungen gekennzeichnet, die hier zusammenfassend als „Regionenzentriertheit“ bezeichnet werden sollen. Der Begriff stellt den in der Literatur vorherrschenden regionalen bias26 heraus, also die „Geneigtheit“, vor allem solche Aspekte grenzüberschreitender Zusammenarbeit zu untersuchen, die sich noch im weitesten Sinne als regional beschreiben lassen.27 Diese Regionenzentriertheit ist in der deutschsprachigen Forschung, wo sie durch eine besondere Föderalismuspräferenz ergänzt wird, aus naheliegenden Gründen stark vertreten. Sie hat sich inzwischen jedoch auch zu einer gesamteuropäischen Forschungsströmung entwickelt, wobei es in der Natur solch paradigmatischer Leitbilder liegt, dass sie für einige Zeit andere, vermeintlich überholte Fragestellungen überlagern, bevor es zu einer Saturierung und zu einer erneuten Diversifizierung des Erkenntnisinteresses kommen kann. 1. „Regionenzentrierte“ Akteursverständnisse Wesensbestimmend für regionenzentrierte Ansätze ist die Fixierung auf die „Region“28 als dem vermuteten oder vorausgesetzten (Haupt-)Akteur der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Davon abgesehen scheint eine allgemein geteilte Übereinstimmung allerdings nur dahingehend zu bestehen, dass alle an einer Staatsgrenze gelegenen Gebietskörperschaften oder gebietskörperschaftlichen Zusammenschlüsse, die zwischen der zentralstaatlichen und der lokalen Ebene angesiedelt sind, jedenfalls als Grenzregion gelten sollen.29 Schon diese Minimaldefinition lässt es zu, strukturell so unterschiedliche Gebietskörperschaften wie die mit einer gegenständlich beschränkten Staatlichkeit ausgestatteten deutschen Länder,30 die franzö26 Zu diesem ursprünglich aus der Wahlforschung stammenden Begriff vgl. Nohlen, Dieter, Bias, in: ders. (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7: Politische Begriffe, München 1998, S. 76. 27 Vgl. in diesem Sinne auch Blatter, Joachim, Grenzüberschreitende Regionenbildung und europäische Integration: Erkenntnisse aus einem transatlantischen Vergleich, in: Conzelmann, Thomas/Knodt, Michèle (Hrsg.), Regionales Europa – Europäisierte Regionen, Frankfurt a. M./New York 2002, S. 257 ff. (S. 261). 28 Zur Vielschichtigkeit des Regionenbegriffs vgl. nur Sänger, Ralf, Regionen und Regionalisierungsprozesse in der Europäischen Union, in: Klotz, Johannes/Zielinski, Heinz (Hrsg.), Europa 2000: Lokale Demokratie im Europa der Regionen, Heilbronn 1999, S. 9 ff. (S. 11 f., m. w. N.). 29 Vgl. z. B. Krämer, Raimund, Regionen als internationale Akteure – Eine Vorverständigung, in: ders. (Hrsg.), Regionen in der Europäischen Union: Beiträge zur Debatte, Berlin 1998, S. 11 ff. (S. 21 f.); Lautner, Gerd, Die Region als Rechtsbegriff und Betrachtungsgegenstand der Verwaltungswissenschaft, in: Verwaltungsrundschau 12/1999, S. 409 ff. (S. 409); Niedobitek, S. 32 f.; Sänger (1999), S. 13. 30 Zur Staatlichkeit der Länder vgl. Sachs, Michael, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl., München 2003, Art. 20, Rn. 65 ff., S. 826. Der Staats-

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

sischen Départements und Régions oder die niederländischen Provincies gleichermaßen als Träger einer „regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“31 aufzufassen. Als solche werden neben den bloß beispielhaft angeführten politisch und/oder administrativ dezentralisierten „intermediären“32 Gebietskörperschaften jedoch üblicherweise auch noch die Euregios oder Euroregionen verstanden. Obgleich sie sich überwiegend aus Repräsentanten der eigentlich definitionsgemäß aus dem Regionenbegriff ausgeschlossenen kommunalen Ebene zusammensetzen, sollen sie zumindest als Akteurskollektiv gleichfalls der regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unterfallen.33 Zum Teil werden subnationale Differenzierungen aber auch für völlig entbehrlich gehalten, weil grundsätzlich alle regionalen, kommunal-lokalen und privatrechtlichen Akteure im Grenzgebiet als potentielle Handlungssubjekte einer – von staatlichen Initiativen unterschiedenen – regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Frage kämen.34 Damit erfährt wiederum der Begriff der Grenzregion eine Erweiterung, indem er nun „sowohl einzelne Gebietskörperschaften als auch privatrechtliche Zusammenschlüsse einschließen“ und auf alle „subnationalen Handlungseinheiten“ anwendbar charakter wurde allerdings „bereits in der Weimarer Staatsrechtslehre in die Nähe mehr politisch-symbolischer Funktionen gerückt“; so Bauer, Hartmut, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Tübingen 1998, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 23, S. 120. 31 Dieser Begriff findet sich schon bei Malchus, S. 90, S. 123; vgl. ausführlicher zum Inhalt Blatter (2000), S. 29 ff. 32 Für einen detaillierten Überblick über die intermediären Gebietskörperschaften in der EU der 15 vgl. Larsson, Torbjörn/Nomden, Koen/Petiteville, Franck (Hrsg.), Le niveau intermédiaire d’administration dans les pays européens: La démocratie au défi de la complexité?, Maastricht 1999. 33 Zu der ausdrücklich als regional bezeichneten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit kommunaler Gebietskörperschaften bzw. ihrer Zusammenschlüsse vgl. für die Euregio Gronau z. B. Grom, Ingrid, Regional grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Beitrag zur Förderung der europäischen Integration: Die Einheit Europas setzt das Überwinden der Grenzen voraus, Berlin 1995, S. 241 ff.; für die Ems Dollart Region z. B. Student, Thomas, Regionale Kooperation zwischen Integration und Konkurrenz: Zusammenarbeit an der deutsch-niederländischen Grenze im Rahmen der Ems Dollart Region und der Neuen Hanse Interregio, Baden-Baden 2000, S. 119 ff. Demgegenüber bezieht z. B. die Euroregion Tirol keine lokalen Gebietskörperschaften ein; vgl. Perkmann, Markus, Building Governance Institutions Across European Borders, in: Regional Studies 7/1999, S. 657 ff. (S. 665, insbes. Fn. 2). 34 Vgl. Schmitt-Egner (1998), S. 37. Bezogen auf subnationale Gebietskörperschaften vgl. auch Halmes, Gregor, Zusammenarbeit im Europa der Regionen: Die Entstehung des rechtlichen Rahmens, in: Gu, Xuewu (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Regionen in Europa, Baden-Baden 2002, S. 15 ff. (S. 17 f.).

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sein soll, die sich durch ihre grenzbedingt „spezifische Problematik und Problemlösungsstrategien“ vom sonstigen staatlichen Binnenraum abheben.35 Derart weit definierte Grenzregionen sollen dann zwar die primären, nicht aber die einzigen Akteure einer regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sein. Auch Institutionen wie die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen oder die Europäische Kommission, welche der Assoziierung von Grenzregionen dienen beziehungsweise eine sie betreffende Regionalpolitik betreiben, müssen ihnen nach diesem Verständnis funktional noch zugerechnet werden.36 Ausgeschlossen aus einer regionenzentrierten Betrachtung bleibt insofern regelmäßig nur die staatliche Ebene, die allenfalls randständig mitbehandelt wird, zumeist aber als das eigentliche Kontrarium der wie auch immer gefassten „Region“ gilt.37 2. Gründe für die „Regionenzentriertheit“ in der deutschsprachigen Forschung In den auch zahlenmäßig stark im Schrifttum vertretenen deutschsprachigen Untersuchungen sind unterschiedliche Spielarten regionenzentrierter Akteursverständnisse, an denen sich das Forschungsfeld weithin paradigmatisch orientiert, wohl vor allem dadurch bedingt, dass die schwerpunktmäßig behandelten föderalen Systeme Deutschlands, Österreichs und der Schweiz traditionell eine Ausfächerung der auswärtigen Beziehungen gefördert haben. Gerade im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den Grenzgebieten der Nachbarstaaten konnten die deutschen Länder, die österreichischen Bundesländer und die schweizerischen Kantone teils eigenständig, teils in Kooperation mit den jeweiligen Bundesregierungen tätig werden, ohne dass eine der beiden Seiten den grundsätzlichen Primat der bundesstaatlichen Ebene in der Außenpolitik in Frage gestellt sah. Bezeichnenderweise wurde dabei nur selten auf die zwar begrenzten, aber verfassungsmäßig abgesicherten Kompetenzen der Gliedstaaten in auswärtigen Angelegenheiten rekurriert, die es ihnen unter gewissen Voraussetzungen erlauben, aus eigenem Recht völkerrechtliche Verträge mit souveränen Staaten abzuschließen.38 35

So Groß/Schmitt-Egner, S. 41. Vgl. dazu Schmitt-Egner, Peter, Handbuch der Europäischen Regionalorganisationen: Akteure und Netzwerke des Transnationalen Regionalismus von A bis Z, Baden-Baden 2000, S. 29 ff. 37 Hierzu s. auch u., dieser Teil, A. II. 4. b). 38 Für eine rechtsvergleichende Betrachtung von Art. 32 Abs. 3 GG und dem erst 1992 eingefügten Art. 24 Abs. 1a GG sowie von Art. 16 Abs. 1 der österreichischen Verfassung bzw. Art. 9 und 10 der schweizerischen Verfassung vgl. Pernice, Ingolf, 36

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In der Praxis bedeutsamer scheinen vielmehr die für föderale Systeme typischen Verflechtungen, wechselseitigen Abhängigkeiten und Kooperationskulturen gewesen zu sein, die auf der Basis eines innerstaatlichen Konsenses den notwendigen Handlungsspielraum für die Entfaltung einer im weiteren Sinne regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eröffnet haben.39 So ist beispielsweise für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt worden, dass die Bundesregierung regelmäßig Ländervertreter in zwischenstaatliche Grenzkommissionen integriert hat und ansonsten die Wahrnehmung der operationalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den (zunächst west-)europäischen Nachbarstaaten beziehungsweise mit deren subnationalen Gebietskörperschaften größtenteils den Ländern überlassen blieb.40 Die „Gewinnung demokratisch legitimierter dezentraler Aufgabenträger für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ wurde in dem Zusammenhang wegen deren größerer Orts- und Sachnähe als „Entlastung der Regierungszentralen, deren Domäne die große Außenpolitik“ sein sollte, verstanden.41 Eingeschlossen in diese positive Grundhaltung war auch die kommunale Ebene, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eine Vorreiterrolle in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit übernahm, indem sie Anfang der 1950er Jahre etwa an der deutsch-niederländischen Grenze die Initiativen anregte, aus denen die ersten Euregios hervorgingen.42 Deren ursprünglich zumeist rechtsunverbindlicher oder rein privatrechtlicher Charakter beeinträchtigte die faktische Wirksamkeit solcher Kooperationen nicht zuletzt deswegen kaum,43 weil eine breit angelegte grenzüberschreitende Zusammenarbeit kommunaler und regionaler Aufgabenträger als Beitrag zur Völin: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Tübingen 1998, Art. 32 (Auswärtige Beziehungen), Rn. 15 f., S. 641 f. 39 Dazu vgl. in: Michelmann, Hans J./Soldatos, Panayotis (Hrsg.), Federalism and International Relations: The Role of Subnational Units, Oxford 1990, die Beiträge von Pelinka, Anton, Austria, ebd., S. 124 ff.; Michelmann, Hans J., The Federal Republic of Germany, ebd., S. 211 ff.; Wildhaber, Luzius, Switzerland, ebd., S. 245 ff. 40 Vgl. Michelmann, S. 236. 41 So Beyerlin, Ulrich, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit benachbarter Gemeinden und auswärtige Gewalt, in: Dittmann, Armin/Kilian, Michael (Hrsg.), Kompetenzprobleme der Auswärtigen Gewalt, Tübingen 1982, S. 109 ff. (S. 109). 42 Zu Organisation und Aufgaben von Euregios bzw. Euroregionen vgl. z. B. Gabbe, Jens, Regionen und Regionalisierung in Europa – Die Rolle der Grenzregionen und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, in: Gu, Xuewu (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Regionen in Europa, Baden-Baden 2002, S. 201 ff. (S. 205 ff.). 43 Vgl. Beyerlin (1982), S. 118 ff. Zur aktuellen rechtlichen Situation vgl. z. B. Lüke, Monika/Kaplonek, Benno, Zur Zulässigkeit die Bundesgrenze überschreitender kommunaler Projekte, in: Sächsische Verwaltungsblätter 7/2000, S. 149 ff., m. w. N.

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kerverständigung und zur Westintegration der Bundesrepublik Deutschland politisch allgemein begrüßt wurde.44 Wissenschaftliche Arbeiten, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Deutschland, Österreich oder der Schweiz her zu erschließen suchen, werden insofern fast zwangsläufig einen regionalen bias aufweisen müssen.45 Dieser äußert sich hier zudem nicht selten in einer spezifischen Form als weitergehende „Föderalismuspräferenz“, welche – über die bevorzugte Untersuchung grenzüberschreitender Kooperationen regionaler Akteure des jeweils eigenen Systems hinaus – auch in den wenigen deutschsprachigen Fallstudien zu Tage tritt, die komparativ breiter angelegt sind. Sie setzen entweder mehrere Kooperationen von unterschiedlichen Sektoren der deutschen Grenze in Bezug zueinander;46 oder es wird ein interkontinentaler Vergleich konstruiert, der Fallbeispiele von den Grenzen der ebenfalls föderalen nordamerikanischen Nachbarstaaten USA und Kanada einbezieht.47 Demgegenüber liegt bislang, soweit ersichtlich, jedoch noch keine deutschsprachige Arbeit vor, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen nicht-föderalen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union als entsprechenden Vergleichsmaßstab heranziehen würde, obwohl aufgrund der einheitlichen Rahmenbedingungen des europäischen Integrationsprozesses hier viele Kontextvariablen besser kontrollierbar sein dürften, als dies bei einem interkontinentalen Ansatz der Fall sein kann.48

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Vgl. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 82; O’Dowd, S. 18 f. Für eine kartographische Übersicht über die vielfältigen grenzüberschreitenden Kooperationen deutscher, österreichischer und schweizerischer subnationaler Gebietskörperschaften vgl. Association of European Border Regions/European Commission, A 4: EU Level Initiatives and Programmes, S. 10. Zu ausgewählten Kooperationen deutscher subnationaler Gebietskörperschaften, Partner-„Regionen“ und konkreten Inhalten vgl. auch Groß/Schmitt-Egner, S. 44 f. 46 Für einen Vergleich der sog. ARGE ALP, der Regio Basilensis und der deutsch-niederländischen Euregio vgl. Grom, S. 130 ff.; für den südlichen Oberrhein und die EUREGIO Gronau vgl. Pfeiffer, Thomas, Erfolgsbedingungen grenzüberschreitender regionaler Zusammenarbeit: Eine ökonomische Analyse am Beispiel des südlichen Oberrheins und der EUREGIO Gronau, Frankfurt a. M. u. a. 2000, S. 40 ff.; für die sog. Ems Dollart Region und die Neue Hanse Interregio vgl. Student, S. 119 ff.; für die verschiedenen grenzüberschreitenden Kooperationen des Landes Schleswig-Holstein vgl. eher kursorisch Conrad, Christine Marie, Rechtliche Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von europäischen Regionen im Zeitalter der Globalisierung: Ausdruck von Denationalisierung und Neuorganisation, Frankfurt a. M. u. a. 2003, S. 115 ff. 47 Für die beiden bislang vorliegenden europäisch-nordamerikanischen Vergleichsstudien, die beide die Oberrheinregion einbeziehen, vgl. Blatter (2000), ebd.; Rausch, Ulrike, Grenzüberschreitende Kooperationen: Der kanadisch-US-amerikanische Nordosten und die Oberrheinregion im Vergleich, Opladen 2000. 45

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

3. Gründe für die „Regionenzentriertheit“ in der europäischen Forschung Die Vernachlässigung des nicht-föderalen europäischen Umfelds für die Konzipierung einschlägiger Vergleichsstudien ist umso erstaunlicher, als die Regionenzentriertheit inzwischen generell die Forschung zur europäischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu bestimmen scheint. Im Gegensatz zu den 1970er Jahren, in denen sich die regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit noch überwiegend an den Grenzen des deutschsprachigen Raumes konzentrierte,49 wird darin der tiefgreifende Wandel sichtbar, den viele unitarisch-zentralistische Staaten in den letzten Jahrzehnten durch Dezentralisierungsprozesse und durch die Aufwertung der regionalen Ebene im Zuge europäischer Initiativen erfahren haben.50 Angefangen mit den ersten staatlichen Regionalprogrammen der späten 1950er Jahre haben Regionalaspekte dabei europaweit erheblich an Bedeutung gewonnen,51 obgleich es weder zu einer flächendeckenden noch zu einer in ihren Ergebnissen einheitlichen Regionalisierung gekommen ist.52 Für die grenznahen subnationalen Gebietskörperschaften, die eine besondere finanzielle Förderung erhielten und/oder zunehmend eigene Kompetenzen übertragen bekamen, eröffneten dabei selbst Regionalpolitiken und Dezentralisierungsmaßnahmen neue grenzüberschreitende Aktionspotentiale, die ursprünglich als rein innerstaatliche Modernisierungsvorhaben konzipiert worden waren. Dass solche Folgen von Reformbemühungen nicht selten unbeabsichtigt beziehungsweise heftig umstritten waren, zeigt das Beispiel Frankreichs, wo noch kurz vor der ersten substantiellen Aufwertung der Régions im Jahr 1972 damals maßgebliche Politiker wie Michel Débré und Olivier Guichard die Vorstellung von gemeinschaftlich geförderten und nach außen kooperierenden Grenzregionen als eine Verletzung des Prinzips der nationalen Souveränität kategorisch ablehnten.53 Für die neuen 48 Zur Kontrolle von Kontextvariablen vgl. Nohlen, Dieter, Vergleichende Methode, in: ders. (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 2: Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994, S. 507 ff. (insbes. S. 510 f., S. 513, m. w. N.). 49 Für eine graphische Übersicht vgl. Malchus, S. 88. 50 Zur Komplexität der Regionalisierung in Europa vgl. z. B. Keating, Michael, Is there a regional level of government in Europe?, in: Le Galès, Patrick/Lequesne, Christian (Hrsg.), Regions in Europe, London/New York 1998, S. 11 ff. 51 Zu dieser Entwicklung vgl. für Westeuropa z. B. ders., The New Regionalism in Western Europe, Cheltenham/Northampton 1998, insbes. S. 47 ff. 52 Zu den heterogenen Dezentralisierungsprozessen in der EU der 15, ihren Inhalten und Ergebnissen vgl. die Länderberichte in Larsson/Nomden/Petiteville, ebd. 53 Zur damaligen französischen Debatte über die régions frontalières vgl. Mény, Yves, Centralisation et décentralisation dans le débat politique français (1945– 1969), Paris 1974, S. 419 ff., m. w. N.

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regionalen Politikereliten bot die grenzüberschreitende Interaktion mit korrespondierenden Partnern in den Nachbarstaaten hingegen eine willkommene Gelegenheit, sich durch eine zusätzliche „außenpolitische“ Rolle gegenüber ihrer regionalen Wählerklientel und der eigenen Zentralregierung zu profilieren.54 Fast zeitgleich mit den staatlichen Dezentralisierungsprozessen setzte auch das Engagement europäischer Institutionen für die regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit ein, deren Entwicklung sie seit den späten 1970er Jahren unterstützt und vorangetrieben haben. Insbesondere der Europarat, der sich um die Einführung eines einheitlichen Rechtsrahmens bemühte, und die Europäische Kommission, die nach Wegen zur Überwindung der sogenannten Eurosklerose suchte, sahen in der Förderung regionaler Politiken und in der Intensivierung grenzüberschreitender regionaler Kooperationen eine Möglichkeit, die europäische Integration – und ihren eigenen Einfluss auf der subnationalen Ebene – zu vertiefen.55 Ein im Rückblick entscheidender Schritt hierzu war die von der Europäischen Kommission initiierte Strukturfondsreform von 1988, mit der nicht nur die gemeinschaftliche Strukturpolitik regionalisiert wurde, sondern erstmals auch eine gezielte Finanzierung gemeinsamer Projekte von Grenzregionen über das INTERREGProgramm erfolgte.56 Damit erhielt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit neben ihrer politischen Dimension eine beachtliche wirtschaftliche Komponente, die, auch wenn die nachhaltige Wirkung der finanziellen Förderung inzwischen hinterfragt wird, maßgeblich zur Begründung zahlreicher neuer und zur Intensivierung bestehender Kooperationen beigetragen hat.57 Zusammen mit den seit Ende der 1980er Jahren erfolgten Grenzöffnungen in Mittel- und Osteuropa stellten die auf subnationaler, nationaler und supranationaler Ebene zu beobachtenden Veränderungen sowie der damit einhergehende Aufschwung des gesamten Politikfeldes der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit fraglos eine bedeutsame Zäsur dar. Zu diskutieren bleibt allerdings, ob und inwieweit damit die Ende der 1990er Jahre formulierte These gerechtfertigt werden kann, dass künftig kein „Ansatz von Theorie, Empirie oder Praxis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, der den Umbruch der letzten Dekade nicht einbezieht und mit Konzepten aus den siebziger und achtziger Jahren operiert“, noch dazu im Stande sein 54 Vgl. Baud, Michiel/Schendel, Willem van, Towards a Comparative History of Borderlands, in: Journal of World History 2/1997, S. 211 ff. (S. 226); Keating (1998), New Regionalism, S. 181 f. 55 Vgl. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 83; Perkmann, S. 658. 56 Zur Strukturfondsreform vgl. z. B. Eckstein, Gerd, Regionale Strukturpolitik als europäischer Kooperations- und Entscheidungsprozeß, Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 146 ff. 57 Vgl. O’Dowd, S. 22, m. w. N.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

solle, tragfähige Ergebnisse in diesem Bereich zu generieren.58 Der ausgeprägte regionale bias einschlägiger wissenschaftlicher Arbeiten würde sich aus einer solchen Perspektive lediglich als eine mehr oder weniger zwangsläufige Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen europäischer grenzüberschreitender Zusammenarbeit darstellen, die eine Einordnung in den größeren Rahmen der Regionen- und der Europäisierungsforschung erfordert.59 Trotz mancher Überzeichnungen, die etwa die Ablösung der europäischen Nationalstaaten durch ein „Europa der Regionen“60 prognostiziert haben, ist tatsächlich kaum zu bestreiten, dass regionale Belange in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ebenso wie in vielen anderen Politikbereichen erheblich an Gewicht gewonnen haben. Die diesbezüglich übrigens nicht nur in Europa, sondern beispielsweise auch in Nordamerika gewachsene Bedeutung regionaler Akteure und horizontaler Verflechtungen soll daher keinesfalls in Frage gestellt werden.61 Realistischerweise wird sich aber jede mit Fokussierungen arbeitende Forschung prüfen (lassen) müssen, ob sie nicht eventuell anderen relevanten Faktoren zu wenig Aufmerksamkeit widmet beziehungsweise inwieweit sie entsprechende Auslassungen jedenfalls bedacht oder zumindest kenntlich gemacht hat. 4. Auswirkungen der „Regionenzentriertheit“ auf die Forschung Solange ein wissenschaftliches Paradigma seine Wirkkraft entfaltet, ist es naturgemäß schwierig, auf mögliche Defizite hinweisen zu wollen, ohne sich dem Vorwurf der „Besserwisserei“ auszusetzen. Dessen ungeachtet lau58

So Brunn/Schmitt-Egner, S. 11. Vgl. dazu Keating (1998), New Regionalism, S. 177 ff. Einen Überblick über die europabezogene Regionenforschung bietet Conzelmann, Thomas, Europäisierung der Regionenpolitik – Bilanz und Forschungsperspektiven, in: ders./Knodt, Michèle (Hrsg.), Regionales Europa – Europäisierte Regionen, Frankfurt a. M./New York 2002, S. 299 ff. Zur Verknüpfung von grenzüberschreitender Zusammenarbeit und regionaler Europaforschung vgl. auch Knodt, Michèle, Vom Europa der Regionen zum Europa mit den Regionen. Eine Reise durch die regionale Europaforschung, in: Chardon, Matthias u. a. (Hrsg.), Regieren unter neuen Herausforderungen: Deutschland und Europa im 21. Jahrhundert, FS für Rudolf Hrbek zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 2003, S. 161 ff. (insbes. S. 169 ff.). 60 Für eine inzwischen differenziertere Betrachtung des mit diesem Schlagwort verbundenen Konzepts, die auch auf die regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit abstellt, vgl. Hrbek, Rudolf/Weyand, Sabine, Betrifft: Das Europa der Regionen – Fakten, Probleme, Perspektiven, München 1994, insbes. S. 43 ff. 61 Vgl. dazu für den europäischen sowie für den nordamerikanischen Raum Blatter, Joachim, Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit: Erkenntnisse aus einer theoriegeleiteten und interkontinental sowie intertemporal vergleichenden Studie, in: Jahrbuch des Föderalismus 2002, hrsg. v. Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen, Baden-Baden 2002, S. 82 ff. (S. 83 f.). 59

A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Untersuchungsgegenstand

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tet die im Folgenden weiter auszuführende These, dass regionenzentrierte Ansätze häufig mit einer selektiven Wahrnehmung der sachgegenständlichen, der akteursbezogenen sowie der zeitlich-historischen Dimensionen grenzüberschreitender Zusammenarbeit einhergehen, ohne dass sich diese Forschungsrichtung bisher hinreichend mit den daraus abzuleitenden Problemen auseinandergesetzt hätte. a) Die sachgegenständliche Dimension Regionenzentrierte Ansätze müssen zunächst ganz allgemein von der expliziten oder impliziten Annahme ausgehen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten regionaler grenzüberschreitender Zusammenarbeit entscheidend von dem Vorhandensein eines nicht näher definierten Maßes an Eigenkompetenzen regionaler Akteure abhängen.62 Auch wenn Kompetenzunterschiede bis zu einem gewissen Grad noch durch den politischen Willen der Beteiligten kompensierbar sein sollen,63 liegt es demnach nahe, bei der Auswahl eines Fallbeispiels darauf zu achten, dass das Zuständigkeitsniveau zumindest einzelner Beteiligter möglichst hoch ist, um im Sinne einer regionenzentrierten Fragestellung überhaupt zu aussagekräftigen Ergebnissen über begünstigende und hemmende Effekte solcher Kooperationen gelangen zu können. Gleichzeitig wird der Erfolg regionaler grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf ein „besonderes Zusammentreffen positiver ökonomischer, institutioneller und politischer Bedingungen“ zurückgeführt.64 Auch insoweit besteht also ein Anreiz, als Untersuchungsgegenstand vorzugsweise Regionalkooperationen zu wählen, die als gut funktionierend und damit als für regionenzentrierte Forschungsansätze ergiebig gelten können. Unter diesem Blickwinkel dürfte die bereits angesprochene geographische Konzentrierung in der Literatur zumindest teilweise durch entsprechende sachgegenständliche Selektionsentscheidungen eines regionenzentrierten Forschungsverständnisses beeinflusst sein.65 Dadurch wird jedoch nicht nur der Aussagewert einzelner Fallbeispiele tendenziell überhöht, sondern es entsteht ein insgesamt zu einseitiges und komplexitätsreduzierendes Bild der europäischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. 62 Vgl. Keating (2002), S. 49; Schmitt-Egner, Peter, Die „Europäische Kompetenz“ von Regionen – ein Paradigma für den Transnationalen Regionalismus?, in: Interregiones 5/1996, S. 7 ff. (S. 29). 63 Vgl. Cappellin, R., Interregional Cooperation in Europe: An Introduction, in: ders./Batey, P. W. J. (Hrsg.), Regional networks, Border Regions and European Integration, London 1993, S. 1 ff. (S. 14). 64 So Keating (2002), S. 47. 65 Hierzu s. auch o., dieser Teil, A. I.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

b) Die akteursbezogene Dimension Verständlicherweise müssen regionenzentrierte Ansätze auch die akteursbezogene Dimension grenzüberschreitender Zusammenarbeit aus ihrem spezifischen Erkenntnisinteresse heraus interpretieren. Ohne jede Wertung lässt sich zunächst festhalten, dass es sich bei den dabei untersuchten regionalen Akteuren größtenteils um grenznahe Gebietskörperschaften oder deren Zusammenschlüsse handelt. Für sie soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine besondere Notwendigkeit darstellen, da sie von den räumlichen Auswirkungen der Staatsgrenze weitaus stärker betroffen sind als Körperschaften mit rein funktionalen Kompetenzen wie beispielsweise Universitäten,66 für die der territoriale Bezug nicht gleichermaßen konstituierend wirkt.67 Indirekt wird diese Annahme durch die Beobachtung gestützt, dass sich die Einbindung wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Akteure, die nicht nur eine kurzfristige finanzielle Fördermöglichkeit anstreben, als ein zentrales Problem vieler grenzüberschreitender Projekte herausgestellt hat.68 In diesem Sinn wird selbst für die langjährige und intensive Kooperation im Bodensee- und im Oberrheingebiet hervorgehoben, dass sie sich „vorwiegend auf territoriale Repräsentanten aus der Region stützt“.69 Während es insofern prinzipiell gerechtfertigt erscheint, das wissenschaftliche Interesse schwerpunktmäßig auf Gebietskörperschaften als die faktisch wichtigsten Träger der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu richten,70 ist damit jedoch noch nichts über die Geeignetheit regionenzentrierter Ansätze ausgesagt, eine unvoreingenommene Betrachtung aller tatsächlich vorkommenden gebietskörperschaftlichen Akteurskonstellationen zu gewährleisten. Der inklusive Regionenbegriff, der die Subsumierung unterschiedlichster intermediärer und lokaler Gebietskörperschaften zulässt,71 muss nämlich zum einen dem Umstand Rechnung tragen, dass zwischen subnationalen Akteuren, auch wenn sie räumlich eng verbunden sind, keine Interessenkon66 Zu Chancen und Problemen grenzüberschreitender Kooperationen von Universitäten als funktionalen Aufgabenträgern vgl. z. B. die Beiträge in: Schmeling, Manfred/Veith, Michael (Hrsg.), Universitäten in europäischen Grenzräumen/Universités et frontières en Europe, Bielefeld 2005. 67 Vgl. Niedobitek, S. 52. 68 Vgl. Cappellin, S. 15; Perkmann, S. 661; kritisch auch Scott, James Wesley, European and North American Contexts for Cross-border Regionalism, in: Regional Studies 7/1999, S. 605 ff. (S. 610). 69 So Blatter (2000), S. 250. 70 So z. B. für Deutschland ausdrücklich Niedobitek, S. 50, der den Bund und die Länder als Staatsgebietskörperschaften und Kreise und Gemeinden als innerstaatliche Gebietskörperschaften berücksichtigt wissen will. 71 Hierzu s. o., dieser Teil, A. II. 1.

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vergenz vorauszusetzen ist. So konnte beispielsweise für die spanische Comunidad Autónoma Katalonien nachgewiesen werden, dass die katalanische Regionalregierung und die Stadtregierung von Barcelona sowohl in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als auch in erweiterten interregionalen Kooperationen jeweils eigene, politisch miteinander konkurrierende Ziele verfolgten.72 Solche Kollisionen zwischen subnationalen Akteuren sprengen allerdings noch nicht den Rahmen regionenzentrierter Ansätze, sondern fordern lediglich zu einer sorgfältigen Binnendifferenzierung im Einzelfall auf. Zum anderen wird der regionenzentrierten Forschung jedoch entgegengehalten, dass sie gerade wegen ihres spezifischen Erkenntnisinteresses dazu tendiert, die Entwicklung grenzübergreifender Regionalsysteme und horizontaler Verflechtungen zu hoch zu gewichten, während sie im Gegenzug die Rolle des Staates und die Bedeutung vertikaler Strukturen negiert oder zumindest minimiert.73 In der Tat weisen auch diesbezüglich elaboriertere Konzepte erkennbar die Neigung auf, die politische Haltung nationaler Regierungen nur als eine, immerhin nicht ganz unwichtige Rahmenbedingung einer ansonsten regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auszuweisen.74 Zum Teil soll die staatliche Ebene aber auch grundsätzlich ausgeklammert bleiben, da sie regelmäßig „bei diesen Interaktionen keine dominierende, sondern lediglich eine unterstützende Rolle“ spiele.75 Insoweit muss jede grenzüberschreitende Kooperation, „die nicht von den Teileinheiten, sondern z. B. vom Gesamtstaat initiiert, organisiert und gesteuert wird, aus dem taxonomischen Kanon regionaler Kompetenz heraus[fallen]“,76 womit sie aus einer regionenzentrierten Sichtweise getrost vernachlässigt werden kann. Die Abkehr vom Staat als politischem Akteur ist allerdings weder auf die genannten Ansätze noch auf das Feld der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beschränkt, sondern stellt ein verbreitetes politkwissenschaftliches Phänomen dar: „Post-modern political analyses often fail to query the degree to which the state sustains its historically dominant role as an arbiter of control, violence, order and organisation for those whose identities are transformed by world forces.“77 72 Vgl. Morata, Francesc, Barcelone et la Catalogne dans l’arène européenne, in: Balme, Richard (Hrsg.), Les politiques du néo-régionalisme, Paris 1996, S. 107 ff. (S. 114 ff., S. 124); vgl. auch Perkmann, S. 664. 73 Vgl. Perkmann, S. 660. 74 Vgl. Keating (2002), S. 50. 75 So Schmitt-Egner (1996), S. 16. 76 Ebd., S. 29. 77 Wilson, Thomas M./Donnan, Hastings, Nation, state and identity at international borders, in: dies. (Hrsg.), Border identities: Nation and state at international frontiers, Cambridge 1998, S. 1 ff. (S. 2).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

Eine gängige Praxis bedeutet aber noch keine wissenschaftliche Rechtfertigung, so dass die den regionenzentrierten Ansätzen immanente „Staatsferne“ zu einer Diskussion über die Angemessenheit dieses Akteursverständnisses für den Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auffordert.78 c) Die zeitlich-historische Dimension Der dritte – und im Hinblick auf die Einordnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in einen größeren Kontext vielleicht gravierendste – Schwachpunkt der regionenzentrierten Forschung ist die fast vollständige Negation der zeitlich-historischen Dimension. Durch die Konzentration auf regionale Gebietskörperschaften oder sonstige regionale Akteure, die erst in jüngerer Zeit aus dem Schatten der Nationalstaaten getreten sind, wird ein Untersuchungszeitraum von nicht viel mehr als fünfzig bis sechzig Jahren definiert. Symptomatisch für den daraus resultierenden Tunnelblick ist die in jeder Hinsicht irrige Annahme, dass der Beginn der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa zeitlich mit dem Anfang der 1950er Jahre und räumlich mit dem deutsch-niederländischen und mit dem deutsch-französisch-schweizerischen Grenzgebiet zusammenfalle.79 Die damit einhergehende Vorstellung, dass Demokratisierung, Regionalisierung und Europäisierung für den Erfolg solcher Kooperationen entscheidend seien, verleitete selbst europäische Institutionen zu der falschen Behauptung, dass ein Land wie Spanien, welches sich erst nach 1975 in diese Entwicklungen einfügte, bis dahin schlichtweg keine grenzüberschreitende Zusammenarbeit betrieben habe.80 Dass an den spanischen Grenzen schon in den 1950er und 1960er Jahren eine ausgedehnte zwischenstaatliche Kooperation bestand81 und die Tradition der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Pyrenäenraum bis in das Mittelalter zurückverfolgt werden kann,82 blieb einer auf regionale Fragestellungen fokussierenden Forschung verborgen. Auch in den seltenen regionenzentrierten Untersuchungen, die historische Aspekte wenigstens am Rande mitbehandeln, wird die Entstehungs78

Hierzu s. u., dieser Teil, B. III. 1. Vgl. z. B. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 82; Brunn/SchmittEgner, S. 8; Perkmann, S. 658. 80 Vgl. Association of European Border Regions/European Commission, A 1: Motives for Cross-Border Cooperation, S. 2. 81 Zu der Vielzahl grenzüberschreitender staatlicher Abkommen zwischen Spanien und Frankreich respektive Portugal vor 1975 vgl. Ministerio de Hacienda, Acuerdos fronterizos con Francia y Portugal, Madrid 1969. 82 Hierzu s. u., Teil 2, insbes. B. III. 79

A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Untersuchungsgegenstand

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geschichte von Grenzen und von Grenzregionen vor allem zur Erklärung heutiger regionaler Defizite und Handlungsbedürfnisse herangezogen, wohingegen eventuelle Vorläufer der gegenwärtigen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit regelmäßig keine Erwähnung finden.83 Es handelt sich folglich um einen Ausnahmefall, wenn deutlich darauf hingewiesen wird, dass grenzüberschreitende Kooperationen sowohl in Europa als auch in Nordamerika bereits „zu Zeiten der klaren Dominanz nationalstaatlichen Denkens“ existiert haben.84 Diese waren jedoch – der Epoche gemäß – zwischenstaatlich organisiert, so dass sich eine an regionenzentrierten Fragestellungen interessierte Forschung auf die formale Position zurückziehen kann, eine Behandlung würde den selbstgesetzten Analyserahmen sprengen. Während ihr dies prinzipiell unbenommen bleibt, müsste sie dann allerdings den Anspruch aufgeben, zu einer umfassenden Erklärung des Gesamtbildes grenzüberschreitender Zusammenarbeit in der Lage zu sein. Angesichts der Feststellung, dass „gemessen an den Investitionen und sozio-ökonomischen Wirkungen die politische Zusammenarbeit damals intensiver“85 gewesen sei, würde sie zudem auf einen historischen Prüfmaßstab für die eigenen Annahmen verzichten. Insofern ist der Appell, dass erst die „Kontrastierung mit den Handlungsund Interaktionsformen zur Zeit des Höhepunktes der Nationalstaaten“ eine ausgewogene Bewertung der gegenwärtigen regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und ihrer Bilanz zuließe,86 als richtungsweisend anzusehen. Er ist allerdings insoweit selbst wieder ergänzungsbedürftig, als auch ein solcher Vergleich letztlich exklusiv angelegt wäre, da sich – je nach Definition – Formen und Vorformen grenzüberschreitender Zusammenarbeit spätestens seit der Entstehung des frühen Völkerrechts nach 1648 beziehungsweise bis ins Mittelalter hinein nachweisen lassen.87 Weit davon entfernt, daraus einen Forschungsauftrag abzuleiten oder wenigstens explizit eine Forschungslücke auszuweisen, begnügt sich die regionenzentrierte Forschung bislang jedoch mit der lapidaren Aussage, die Ursprünge grenzüberschreitender Zusammenarbeit seien umstritten oder unge83

Vgl. z. B. Tägil, Sven, The Question of Border Regions in Western Europe: An Historical Background, in: West European Politics 4/1982, S. 18 ff. 84 So Blatter (2002), Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit, S. 82. 85 Ebd., S. 82 f. 86 So Blatter (2000), S. 31, wobei die historischen Bezüge in seiner Untersuchung ebenfalls nur einen begrenzten Raum einnehmen; vgl. zur Oberrheinregion ebd., S. 96 f.; zur Bodenseeregion ebd., S. 139–141; zur Region San Diego-Tijuna ebd., S. 177 f.; zur Region „Cascadia“ ebd., S. 214 f. 87 Vgl. z. B. Duchacek, Ivo D., The Territorial Dimension of Politics: Within, Among and Across Nations, Boulder/London 1986, S. 233 f. Hierzu s. auch u., dieser Teil, C. II.; sowie Teil 2, B. III.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

klärt.88 Dadurch sieht sie sich offenbar aller Anstrengungen enthoben, eingeführte Annahmen des Forschungsfeldes zu hinterfragen, die – auch in Ermangelung entsprechender geschichtswissenschaftlicher Beiträge89 – hilfsweise herangezogen werden, um tiefere Ursachen und Notwendigkeiten grenzüberschreitender Kooperationen zu erklären.

III. Die „Annahmegestütztheit“ Neben den geographischen Konzentrierungen und der Dominanz regionenzentrierter Ansätze ist besonders bei Fallstudien zur europäischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit häufig zu bemerken, dass primäre Begrifflichkeiten entweder undefiniert bleiben oder unkritisch übernommen beziehungsweise auf – zumeist implizite – Vorannahmen gestützt werden. Zentrale Termini wie „Grenze“, „Grenzraum“ oder „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ sind aber nur auf den ersten Blick einigermaßen eindeutig konnotiert. Im wissenschaftlichen Diskurs verbinden sich mit ihnen voraussetzungsvolle und oft widerstreitende Konzepte, wobei sich scheinbare Gewissheiten, die von einzelnen Disziplinen in Definitionen gefasst werden, sowohl im Vergleich mit den teilweise divergierenden Erkenntnissen anderer Wissenschaftszweige als auch im Realitätstest behaupten müssen. Dass dies bislang nicht hinreichend wahrgenommen wird, ist zunächst und vor allem ein Beleg für die Beharrungskräfte disziplinärer Selbstgenügsamkeit. Bezogen auf viele Arbeiten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit könnte der häufig anzutreffende Verzicht auf Begriffsdefinitionen und auf ihre kritische Überprüfung allerdings auch mit einer spezifischen Haltung gegenüber dem eigenen Untersuchungsgegenstand zusammenhängen. Da hier im wesentlichen gegenwärtige grenzüberschreitende Kooperationen zwischen regionalen Akteuren innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens behandelt werden, mag es verlockend erscheinen, Kontextvariablen höchstens ableitend zu beschreiben, als stabil anzunehmen oder als bekannt vorauszusetzen. 88

Vgl. z. B. Schmitt-Egner (1998), S. 28, m. w. N. In jüngerer Zeit ist allerdings ein intensiveres Interesse der Geschichtswissenschaft an der Untersuchung von Grenzen und Grenzregionen in einer grenzübergreifenden Perspektive zu beobachten; vgl. z. B. die Beiträge in: François, Etienne/Seifarth, Jörg/Struck, Bernhard (Hrsg.), Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion: Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 2007; Duhamelle, Christophe/Kossert, Andreas/Struck, Bernhard (Hrsg.), Grenzregionen: Ein europäischer Vergleich vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 2007. Auch diese Untersuchungen weisen jedoch thematische, zeitliche und geographische Schwerpunktsetzungen auf, wobei vor allem die Untersuchung von Grenzziehungen, -wirkungen und -wahrnehmungen im Vordergrund steht, nicht aber die grenzüberschreitende Zusammenarbeit selbst. 89

A. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit als Untersuchungsgegenstand

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Besonders augenfällig ist dies beim zentralen Element der Staatsgrenze, die zwar als konstitutiv für jede Art von grenzüberschreitender Zusammenarbeit gilt,90 aber nichtsdestoweniger zumeist kaum näher thematisiert wird.91 Die weitgehende Außerachtlassung der Staatsgrenze sowohl in ihren abstrakt-theoretischen Funktionszuweisungen als auch in ihrer jeweils realkonkreten Ausgestaltung lässt sich allenfalls notdürftig mit einem dominierenden Erkenntnisinteresse entschuldigen, das die über die Grenze hinweg stattfindende Zusammenarbeit in den Vordergrund stellt, nicht aber die Institution der zu überwindenden Grenze selbst.92 Eine entsprechende Einstellung gegenüber der Grenze wird vor allem bei solchen Arbeiten erkennbar, die mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit einen europäisch-integrativen Anspruch verbinden.93 Ihnen liegt letztlich ein normatives Vorverständnis von Grenze und damit auch von grenzüberschreitender Zusammenarbeit zugrunde, das in der Literatur schon früh seinen Ausdruck gefunden hat: „Die Probleme an den nationalstaatlichen Grenzen sind vielfältig; ein Problem haben sie jedoch alle gemeinsam – die Grenze.“94

Gespiegelt wird dieses apodiktische Urteil in der geläufigen Vorstellung, dass sich Grenzregionen quasi zwangsläufig in einer peripheren und nachteiligen Situation befinden müssten, weil sie mit den „drei (politisch, ökonomisch, kulturell) klassischen Defiziten“ der Grenzlage konfrontiert seien.95 Demgegenüber erfährt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit selbst eine kaum je in Frage gestellte positive Zuweisung, nach der sie als 90

Hierzu s. u., dieser Teil, B. I. So werden zumeist nur allgemeine Aspekte von Grenzen in einem idealtypischen Sinn kurz skizziert, dann aber nicht an den tatsächlich untersuchten Grenzen überprüft; vgl. z. B. Grom, S. 33 ff. Abhandlungen über konkret vorhandene Grenzen beschränken sich hingegen i. d. R. auf knappe Ausführungen; vgl. Blatter (2000), S. 96 f.; Rausch (2000), S. 30–33. Andere Fallstudien verzichten sogar gänzlich auf eine gesonderte Betrachtung; vgl. z. B. Zoller Schepers, ebd. 92 Zu dieser Sichtweise vgl. z. B. Niedobitek, S. 10. 93 Zu entsprechenden Netzwerk- und Integrationsansätze, bei denen die konkret vorhandenen Grenzen keine oder kaum eine Erwähnung finden, vgl. z. B. Beck, Joachim, Netzwerke in der transnationalen Regionalpolitik: Rahmenbedingungen, Funktionsweisen, Folgen, Baden-Baden 1997; Raich, Silvia, Grenzüberschreitende und interregionale Zusammenarbeit in einem „Europa der Regionen“: Dargestellt anhand der Fallbeispiele Großregion Saar-Lor-Lux, EUREGIO und „Vier Motoren für Europa“ – Ein Beitrag zum Europäischen Integrationsprozess, Baden-Baden 1995; Sinewe, ebd.; Student, ebd. 94 Malchus, S. 13. 95 So Brunn/Schmitt-Egner, S. 16 [Anführungszeichen im Original; Anm. d. Verf.]. In anderen Fällen werden sogar vier Defizite – kulturell, wirtschaftlich, politisch und geographisch – unterschieden; vgl. Knippenberg, Hans/Markusse, Jan, 19th and 20th Century Borders and Border Regions in Europe: Some Reflections, 91

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

funktionale Antwort auf grenzbedingte Problemstellungen gilt, die prinzipiell geeignet sein soll, grenzbedingte Konfliktlagen zu entschärfen und im europäischen Kontext den Integrationsprozess zu befördern. Ein Beweis für die Richtigkeit dieser eher unterschwelligen Prämissen ist jedoch bislang nicht erbracht und wohl auch nicht angestrebt worden.96 Nun mag man solche Überlegungen ihrerseits für überspitzt – und ebenfalls für unbewiesen – halten, aber sie sollten doch zumindest die Notwendigkeit demonstrieren, sich eingehender mit den grundlegenden Begrifflichkeiten des Forschungsfeldes, also der „Grenze“, dem „Grenzraum“ und der „grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“, zu befassen, um dem Vorwurf eines Rekurses auf bloße Annahmen zu begegnen.97

IV. Zwischenergebnis zu Teil 1, A. Der multidisziplinären Forschung zur europäischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist es bislang nicht gelungen, deren empirische Realität angemessen zu erfassen und in einen theoretischen Bezugsrahmen einzuordnen. Das ist nicht nur auf die Komplexität und Heterogenität des Politikfeldes zurückzuführen, sondern auch auf Grenzen der inter- und intradisziplinären Verständigung sowie auf das Übergewicht bestimmter forschungsleitender Fragestellungen. Diese werden in den geographischen Konzentrierungen und in der mehrheitlichen Regionenzentriertheit des Schrifttums sichtbar. Während es für die Untersuchung regionaler Aspekte gute Gründe gibt, haben die negativen Folgen einer solchen Ausrichtung, wenn sie sich ins Paradigmatische wendet, kaum Beachtung gefunden. Sie lassen sich aufgrund der bisherigen Ausführungen aber sowohl in der Missachtung des Staates als Akteur der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als auch in der Ausblendung zeitlich-historischer Dimensionen erkennen. In Verbindung mit dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von etwa fünfzig bis sechzig Jahren, den die Forschung gegenwärtig überblickt, werden beziehungsreiche Begrifflichkeiten wie „Grenze“, „Grenzraum“ und „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, wenn überhaupt, meist nur aus dem konkret untersuchten Fall heraus definiert. Eine Verständigung über Forschungsgrundlagen und -notwendigkeiten setzt jedoch eine vertiefte Auseinandersetzung mit der verwendeten Terminologie und den ihr unterlegten Bedeutungsinhalten voraus, ohne die weder der erreichte Forschungsstand skizziert noch etwaige Forschungslücken identifiziert werden können. in: dies. (Hrsg.), Nationalising and Denationalising European Border Regions, 1800–2000, Dordrecht u. a. 1999, S. 1 ff. (S. 12, m. w. N.). 96 So Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 78. 97 Hierzu s. u., dieser Teil, B.

B. Grenze im wissenschaftlichen Diskurs

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B. Grenze, Grenzraum und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im wissenschaftlichen Diskurs Nach der politikwissenschaftlichen Definition, dass „alle grenzüberschreitenden Aktionen und Interaktionen, die zwischen unterschiedlichen internationalen Akteuren, seien es nun internationale Organisationen, Staaten, gesellschaftliche Gruppierungen, Individuen oder juristische Personen, stattfinden“, den internationalen Beziehungen unterfallen,98 lässt sich auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit prinzipiell in diesen weiten Bereich einordnen. Wie noch näher auszuführen sein wird,99 ist sie im Gegensatz zu anderen internationalen Handlungsformen, die sich generell grenzübergreifend auswirken, jedoch in einem besonderen Maß unmittelbar räumlich auf die Grenze sowie auf die beidseitig an sie anschließenden Grenzgebiete bezogen. Hinter die gleichsam konstitutive Grenz- und Grenzraumorientierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit treten insofern sonstige Unterscheidungsmerkmale wie die im Einzelfall beteiligten Akteure oder bestimmte Interaktionsmuster und Rechtsgrundlagen zurück. Sie stellen jedenfalls kein Spezifikum dar und können, jeweils für sich genommen, auch in anderen internationalen Kontexten nachgewiesen werden.100 Zu Recht ist daher die Grenze, üblicherweise verstanden als die völkerrechtliche Grenze zwischen Staaten, als der zentrale Bezugspunkt des Forschungsfeldes und als conditio sine qua non für die Existenz grenzüberschreitender Zusammenarbeit bezeichnet worden.101 Die logische Schlussfolgerung, dass die Grenze im abstrakten und im konkreten Sinn als integraler Bestandteil aller einschlägigen Untersuchungen anzusehen ist, sollte daher eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein,102 die in der Forschungspraxis aber keineswegs immer Beachtung findet.103 Dabei bilden die komplizierten Wechselwirkungen zwischen dem Staatswesen und seiner Staatsgrenze auch 98 Meyers, Reinhard, Internationale Beziehungen/Internationale Politik, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 6: Internationale Beziehungen, München 1994, S. 225 ff. (S. 228). Ähnlich z. B. auch Spindler, Manuela/Schieder, Siegfried, Theorie(n) in der Lehre von den internationalen Beziehungen, in: dies. (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen, Opladen 2003, S. 7 ff. (S. 15 f.). 99 Hierzu s. u., dieser Teil, B. III. 2. 100 Vgl. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 83. 101 Vgl. Niedobitek, S. 8; vgl. auch Kotzur, Markus, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa: Der Beitrag von Art. 24 Abs. 1a GG zu einer Lehre vom kooperativen Verfassungs- und Verwaltungsstaat, Berlin 2004, S. 44. 102 Zu unterschiedlichen Aspekten, unter denen völkerrechtliche Grenzen in diesem Zusammenhang untersucht werden können, vgl. z. B. Schmitt-Egner (1998), S. 40 ff. 103 Hierzu s. o., dieser Teil, A. III., insbes. Fn. 91 ff.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hinaus einen Forschungsgegenstand, der noch immer als „one of the most important and least understood in the general scholarship of nations and states“ gelten kann.104

I. Die völkerrechtliche Grenze als Bezugspunkt grenzüberschreitender Zusammenarbeit Jeder Versuch einer Annäherung an die völkerrechtliche Grenze und ihre Funktionen sieht sich mit einem „categorical morass“105 konfrontiert, der bereits zur Vorsicht gegenüber einfachen Schlüssen mahnt. Terminologische und inhaltliche Divergenzen deuten vielmehr darauf hin, dass sich die uneinheitlich verlaufene Durchsetzung fester Territorialgrenzen und die damit einhergehende Ausdifferenzierung des modernen europäischen Staatensystems letztlich eingängigen Erklärungsversuchen entziehen. Selbst in einer idealtypischen Betrachtungsweise ist die Ziehung einer Grenze ein mehrstufiger Vorgang, der mindestens drei unterschiedliche Vorgänge umfasst. Auf die politische Determinierung eines ungefähren Grenzverlaufs zur groben Trennung von Territorien soll die genaue Delimitierung einer Grenzlinie folgen, die sich regelmäßig rechtlich in einem Grenzvertrag niederschlägt. Den Abschluss der Grenzziehung bildet die Demarkation der Grenze durch Grenzsteine etc., die aber nur noch als rein technischer Akt verstanden wird.106 Die daran anschließende Phase, die als Administrierung der Grenze bezeichnet werden kann und der im weiteren Sinn auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zugehört, wird hingegen meist als ein gesonderter Untersuchungsgegenstand aufgefasst,107 obgleich diese Trennung bei näherer Betrachtung von Grenzverträgen, die sowohl Regelungen zur Grenze als auch zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit enthalten,108 nicht wirklich überzeugt. Abgesehen von der Komplexität von Grenzzie104

So Wilson/Donnan, S. 3. Cohen, Anthony P., Boundaries and Boundary-consciousness: Politicizing Cultural Identity, in: Anderson, Malcolm/Bort, Eberhard (Hrsg.), The Frontiers of Europe, London/Washington 1998, S. 22 ff. (S. 25). 106 Zu dieser Unterteilung vgl. Blumann, Claude, Frontières et limites, in: Société Française pour le Droit International (Hrsg.), La frontière, Paris 1980, S. 3 ff. (S. 10 f.). Ähnlich auch Jones, Stephen B., Boundary-Making: A Handbook for Statesmen, Treaty Editors and Boundary Commissioners, Washington 1945, S. 57 ff., S. 165 ff., der diesbezüglich zwischen „general allocation of territory“, „delimitation“ und „demarcation“ unterscheidet. 107 Vgl. Anderson, Malcolm, European Frontiers at the End of the Twentieth Century: An Introduction, in: ders./Bort, Eberhard (Hrsg.), The Frontiers of Europe, London/Washington 1998, S. 1 ff. (S. 6). 108 Zum Vertrag von Elizondo s. u., Teil 2, C. I. 3. c); zu den Grenzverträgen von Bayonne s. u., Teil 2, D. II. 2. 105

B. Grenze im wissenschaftlichen Diskurs

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hungen und der Heterogenität historischer Prozesse führen aber auch der prinzipiell duale Charakter von Grenzen und die Ambivalenz ihrer Eigenschaften zu Interpretationsproblemen. So lassen sich Grenzen nicht auf ihre offenkundige und gewöhnlich im Vordergrund der Wahrnehmung stehende Trennfunktion reduzieren, die es erst ermöglicht, einzelne Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme voneinander zu (unter-)scheiden. Denn gleichzeitig markieren sie immer die Linie und/oder die Zonen, an denen die durch sie getrennten Systeme aneinander stoßen und in Kontakt treten, wodurch gegenseitige Einflüsse, in welcher Form auch immer, unvermeidlich sind.109 Insofern ist sowohl die Trenn- als auch die Kontaktfunktion dem Wesen der Grenze inhärent. Die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Funktionen zueinander muss jedoch im Einzelfall und in Abhängigkeit von zahlreichen Variablen beantwortet werden, zu denen unter anderem die Beschaffenheit eines Staatensystems und das vorherrschende Staatsverständnis zählen.110 Dass dabei trotz der ihnen gewohnheitsmäßig zugeschriebenen Stabilität weder Grenzen noch bestimmte Ausprägungen territorialer Herrschaft als statische Analyseeinheiten oder als gegebene Größen zu behandeln sind,111 soll ein kurzer Blick auf die kontroverse Diskussion über die Entstehung und Entwicklung von Staatsgrenzen illustrieren. 1. Grenzsaum oder Grenzlinie? Bestehende Unsicherheiten zeigen sich schon im Hinblick auf die Ursprünge moderner Grenzen, über die nur wenige zuverlässige Erkenntnisse vorliegen.112 In der Vergangenheit wurde für Europa wohl überwiegend die These vertreten, dass hier zunächst ausgedehntere Grenzzonen mit diffusen Machtverhältnissen bestanden hätten. Erst im Verlauf des Mittelalters seien sie durch die allmähliche Festigung territorialer Herrschaftsgewalten zu ge109 Vgl. z. B. Anderson, James/O’Dowd, Liam, Borders, Border Regions and Territoriality: Contradictory Meanings, Changing Significance, in: Regional Studies 7/1999, S. 593 ff. (S. 594); Cohen, S. 27; Ratti, R., How can Existing Barriers and Border Effects be Overcome? A Theoretical Approach, in: Cappellin, R./Batey, P. W. J. (Hrsg.), Regional networks, Border Regions and European Integration, London 1993, S. 60 ff. (S. 61). 110 Vgl. Nohlen, Dieter, Grenze, in: ders. (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7: Politische Begriffe, München 1998, S. 237 (ebd.). 111 Vgl. auch Biersteker, Thomas J., State, Sovereignty and Territory, in: Carlsnaes, Walter/Risse, Thomas/Simmons, Beth A. (Hrsg.), Handbook of International Relations, London, Thousand Oaks/New Delhi 2002, S. 157 ff. (insbes. S. 164). 112 Vgl. Gautier Dalché, Patrick, Limite, frontière et organisation de l’espace dans la géographie et la cartographie de la fin du Moyen Age, in: Marchal, Guy P. (Hrsg.), Grenzen und Raumvorstellungen (11.–20. Jh.)/Frontières et conceptions de l’espace (11e–20e siècles), Zürich 1996, S. 93 ff. (S. 96).

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

nauer bestimmten Herrschaftsgrenzen zurückgebildet worden.113 Diese Forschungsmeinung kann sich neben antiken Quellen114 auch auf etymologische Erkenntnisse stützen, wie zum Beispiel auf die vermutete Ableitung des französischen frontière und des spanischen frontera aus einem spätlateinischen *frontaria (Grenzgebiet).115 Ähnlich verhält es sich mit dem Vorläuferwort von Grenze im germanischen Sprachraum, dem althochdeutschen marka in der Bedeutung eines „mehr oder weniger breiten Saum[es] unbebauten Landes“.116 Im Englischen meinen auch heute noch frontier und, obgleich seltener und in geringerem Maß, border sowohl die Grenze als auch den Grenzraum, während nur boundary ausschließlich die Grenzlinie selbst bezeichnet.117 Einige dieser Wortinterpretationen sind allerdings umstritten,118 während andere Untersuchungen die Grenzsaum-These offen ablehnen, indem sie etwa darauf verweisen, dass bereits im römischen Imperium eindeutige, unter anderem durch Steinsetzungen gekennzeichnete Grenzlinien existierten.119 Auch detaillierte Gebietsstudien zum Frühmittelalter kamen zu dem Ergebnis, dass „im 8. Jh. stets, selbst in unwegsamen Gebieten, von ziemlich genau bestimmbaren Grenzlinien auszugehen [sei], kaum von breiten Grenzsäumen unbebauten Landes.“120 Lineargrenzen, die zu113 Vgl. z. B. Fiedler, Wilfried, Die Grenze als Rechtsproblem, in: Haubrichs, Wolfgang/Schneider, Reinhard (Hrsg.), Grenzen und Grenzregionen/Frontières et régions frontalières/Borders and Border Regions, Saarbrücken 1993/1994, S. 23 ff. (S. 26 f.). 114 Zu den beispielsweise von Cäsar geschilderten Grenzsäumen zwischen den Gebieten gallischer Städte und Stämme vgl. Febvre, Lucien, Das Gewissen des Historikers, hrsg. u. aus dem Französischen übers. v. Ulrich Raulff, Berlin 1988, S. 30. 115 Vgl. Pfister, Max, Grenzbezeichnungen im Italoromanischen und Galloromanischen, in: Haubrichs, Wolfgang/Schneider, Reinhard (Hrsg.), Grenzen und Grenzregionen/Frontières et régions frontalières/Borders and Border Regions, Saarbrücken 1993/1994, S. 37 ff. (S. 44). 116 So Hoke, R., Grenze, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. I: Aachen–Haussuchung, Berlin 1971, Sp. 1802 f. (Sp. 1802). 117 Vgl. Anderson, Malcolm, Frontiers: Territory and State Formation in the Modern World, Cambridge/Malden 1997, S. 9. Zum Unterschied zwischen frontier und border vgl. auch Wilson/Donnan, S. 9, m. w. N. 118 Das gilt z. B. für das nun als mittellateinisch bezeichnete Wort frontiera, das nach anderen Belegen bereits im 11. und 12. Jahrhundert in den romanischen Sprachen sowohl Militär- als auch Grundstücksgrenze bedeuten konnte; vgl. Sieber-Lehmann, Claudius, „Regna colore rubeo circumscripta“ – Überlegungen zur Geschichte weltlicher Herrschaftsgrenzen im Mittelalter, in: Marchal, Guy P. (Hrsg.), Grenzen und Raumvorstellungen (11.–20. Jh.)/Frontières et conceptions de l’espace (11e–20e siècles), Zürich 1996, S. 79 ff. (S. 80, m. w. N.). 119 Vgl. Anderson (1997), S. 13 f. 120 So Bauer, Reinhard, Die ältesten Grenzbeschreibungen in Bayern und ihre Aussagen für Namenkunde und Geschichte, München 1988, S. 245, m. w. N.

B. Grenze im wissenschaftlichen Diskurs

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meist späteren Epochen zugeschrieben werden, existierten dabei jedenfalls im Hochmittelalter nicht nur als in Dokumenten niedergelegte Wunschvorstellungen,121 sondern wurden auch gesichert in die Realität umgesetzt, wie im Fall der zwischen 1195 und 1200 teilweise mit Grenzsteinen demarkierten französisch-normannischen Grenze.122 Am wahrscheinlichsten dürfte daher die Annahme sein, dass europäische Länder wie Frankreich noch im 12. Jahrhundert und später gleichzeitig unterschiedliche Grenztypen aufweisen konnten, die von präzisen Lineargrenzen über bekannte, aber umstrittene Grenzverläufe bis hin zu unbestimmten Grenzzonen reichten.123 2. Von der lehnsrechtlichen Herrschaftsverschränkung zum Ideal der natürlichen Grenze Demgegenüber besteht kein ernsthafter Zweifel daran, dass die Verfestigung von Herrschaftsgrenzen und die Entwicklung des neuzeitlichen europäischen Staatensystems nicht denkbar gewesen wären ohne die Auflösung der lehnrechtlichen Beziehungsgeflechte, auf denen die mittelalterlichen Personalverbandsstaaten beruhten. Die gegen Ende des 12. Jahrhunderts einsetzende Verdrängung des Doppelvasallenstatus, der Rechte und Pflichten eines Einzelnen gegenüber mehreren Lehnherren oder Souveränen gleichzeitig begründete und dadurch in der Praxis zu territorialen Verschränkungen unterschiedlicher Herrschaftsansprüche führte, war eine wesentliche Voraussetzung für die sukzessive Etablierung einheitlicher, räumlich ausschließlicher Herrschaftsgewalten.124 Allerdings dauerte es selbst in Frankreich, das diesbezüglich eine Vorreiterrolle einnahm, drei bis fünf Jahrhunderte, bevor der territoriale Alleinvertretungsanspruch im Inneren verwirklicht und durch die Abgrenzung nach außen wirksam konsolidiert werden konnte.125 In diesem langwierigen Prozess trat die Grenze als abstraktes Konstrukt verhältnismäßig spät und dann zunächst in der Idealvorstellung der natürlichen Grenze in Erscheinung. In einer Zeit, in der 121

Vgl. Sieber-Lehmann, S. 80. Vgl. Eickels, Klaus van, Um 1101: Wo man im Mittelalter zwei Herren dienen konnte – und welche Folgen dies hatte, in: Jussen, Bernhard (Hrsg.), Die Macht des Königs: Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, S. 165 ff. (S. 175). 123 Vgl. Guenée, Bernard, Des limites féodales aux frontières politiques, in: Nora, Pierre (Hrsg.), Les lieux de mémoire, Bd. 1: La nation, Paris 1997, S. 1103 ff. (S. 1104). 124 Vgl. Mitteis, Heinrich, Lehnrecht und Staatsgewalt, Darmstadt 1958, S. 550 f.; vgl. auch Albert, Mathias/Brock, Lothar, Debordering the World of States: New Spaces in International Relations, in: New Political Science, 1996, S. 69 ff. (S. 72). 125 Vgl. dazu Anderson (1997), S. 21 ff. 122

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

kartographische und vermessungstechnische Fähigkeiten wenig entwickelt waren, verband sich damit die Idee einer von der Natur durch geographische Merkmale wie Bergketten oder Flüsse erkennbar vorgegebenen Begrenzung eines Territoriums. Ein Staat war demzufolge gehalten, sein Gebiet notfalls militärisch zu arrondieren, um seine „naturgewollte“ Ausdehnung zu erreichen.126 Äußerst umstritten ist jedoch, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang diese ursprünglich aus Frankreich stammende Konzeption substantielle Wirkungen entfaltet hat.127 In der politischen Wirklichkeit stellten sich natürliche Grenzen, die deswegen schon in der zeitgenössischen Kritik standen,128 zudem meist als bloß zeitbedingte „Zuschreibungen und das Ergebnis politischer und sozialer Interaktionen“ heraus, die dem historischen Wandel unterlagen und nur selten von dauerhaftem Bestand waren.129 Darüber hinaus wiesen sie den grundlegenden Mangel auf, dass sie zwar einen ungefähren Grenzverlauf anzuzeigen vermochten, der aber wie bei Bergketten auf eine größere Fläche bezogen war oder wie bei mäandernden Flüssen veränderlich sein konnte. Die Gefahr von Grenzdisputen und Gebietsstreitigkeiten wurde somit durch natürliche Grenzen nur in ihrer räumlichen Reichweite eingeschränkt, nicht aber verlässlich ausgeschlossen. Insofern ist es verständlich, dass zunehmend der Wunsch nach eindeutigen Lineargrenzen aufkam,130 in deren klarer Trennfunktion das Ausschließlichkeitsprinzip territorialer Herrschaft seine Verkörperung finden sollte.131

126 Vgl. z. B. Grewe, Wilhelm G., Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl., Baden-Baden 1988, S. 374 f., S. 387. 127 Für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts plädiert z. B. Anderson (1997), S. 21 f. Trotz einer längeren Vorgeschichte habe der Begriff sich aber erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem „politisch-juristischen Postulat“ entwickelt; so Grewe, S. 376. Auch diese Zuweisung wird jedoch für irrtümlich gehalten, da die natürliche Grenze tatsächlich „une création du XVIIIe siècle“ sei; so Guichonnet, Paul/Raffestin, Claude, Géographie des frontières, Paris 1974, S. 19, S. 95 f., m. w. N. 128 Vgl. dazu z. B. Schultz, Hans-Dietrich, Deutschlands „natürliche“ Grenzen, in: Demandt, Alexander (Hrsg.), Deutschlands Grenzen in der Geschichte, München 1990, S. 33 ff. (S. 33 f., m. w. N.). 129 So Schmitt-Egner (1998), S. 39. 130 Zu der im Französischen als frontière-ligne und im Spanischen als frontera lineal bezeichneten Lineargrenze und den damit verbundenen Konzeptionen vgl. z. B. Blumann, S. 5, S. 8 ff.; Remacha Tejada, José Ramón, La frontera pirenaica, in: Anuario de Derecho Internacional, Bd. II, 1975, S. 251 ff. (S. 252 f.). 131 Die Trennfunktion der Lineargrenze wird durch den spanischen Begriff der frontera-separación besonders hervorgehoben; vgl. z. B. Blanc Altemir, Antonio, La cooperación transfronteriza en Europa: especial referencia al marco pirenaico, in: Afers Internacionals 17/1989, S. 37 ff. (S. 37, m. w. N.).

B. Grenze im wissenschaftlichen Diskurs

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3. Die völkerrechtliche Lineargrenze zwischen nationalstaatlichem Denken und europäischer Integration Das technische Können erreichte allerdings erst im fortschreitenden 18. Jahrhundert das erforderliche Niveau, um Grenzlinien unzweifelhaft zu bestimmen und dadurch „jene territoriale Geschlossenheit [zu schaffen], die im klassischen Völkerrecht des 19. Jahrhunderts als eines der wichtigsten Merkmale der Souveränität empfunden wurde.“132 Insbesondere für die rechtswissenschaftliche Interpretation der Staatsgrenze folgt daraus, dass die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte und bis heute gängige juristische Grenzdefinition auch in Europa erst spät eine annähernde Bestätigung in der Wirklichkeit gefunden haben kann. Nach dieser Definition soll die Grenze als eine gedachte Linie auf der Erdoberfläche verstanden werden, die sich bis zum Erdmittelpunkt und in die Atmosphäre fortsetzt, so dass sie eine imaginäre vertikale Fläche bildet. Die selbst keinen Raum beanspruchende Lineargrenze trennt nach außen unterschiedliche staatliche Herrschaftsgebiete voneinander und wird in sichtbarer Form zum Beispiel durch Grenzanlagen oder -pfosten markiert. Nach innen kommen ihr gleichfalls wichtige Ordnungs- und Integrationsfunktionen zu, indem sie den räumlichen Geltungsbereich eines Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystems für alle Betroffenen erkennbar festlegt.133 Im Prinzip soll die Lineargrenze für fremde Rechtsordnungen und Hoheitsrechte undurchlässig sein, da nur so „der klassische souveräne Staat eine nach außen abgeschlossene, nach innen ausschließliche, undurchdringliche territoriale Einheit“ bilden kann.134 Für die Rechtswissenschaft erweist sich die Staatsgrenze damit als eine Konstituente ihrer Drei-Elemente-Lehre der Staatlichkeit.135 Obwohl sie dort neben dem Staatsgebiet, dem Staatsvolk und der Staatsgewalt nicht ausdrücklich genannt ist, legt sie sowohl die territoriale Ausdehnung des Staatsgebietes als auch den räumlichen Wir132

Grewe, S. 381; vgl. auch ebd., S. 378 f. Vgl. z. B. Fiedler, S. 23; Hailbronner, Kay, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Vitzthum, Wolfgang Graf (Hrsg.), Völkerrecht, 2., neubearb. u. erw. Aufl., Berlin/New York 2001, S. 161 ff. (S. 191 f., S. 210); Kimminich, Otto/Hobe, Stephan, Einführung in das Völkerrecht, 7., völlig überarb. u. erw. Aufl., Tübingen/Basel 2000, S. 82; Niedobitek, S. 9; Vitzthum, Wolfgang Graf, Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2., neubearb. u. erw. Aufl., Berlin/New York 2001, S. 379 ff. (S. 389, S. 393 f.). 134 Steiger, Heinhard, Geht das Zeitalter des souveränen Staates zu Ende?, in: Der Staat 3/2002, S. 331 ff. (S. 334). 135 Vgl. Jellinek, Georg, Das Recht des modernen Staates, Bd. 1: Allgemeine Staatslehre, Berlin 1900, S. 355 ff., S. 366 ff., S. 386 ff. 133

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kungsbereich der Staatsgewalt fest.136 Gleichzeitig wurde und wird der Verlauf von Staatsgrenzen immer wieder mit nationalen beziehungsweise nationalistischen Argumenten begründet, so dass ihnen häufig auch bezüglich des dritten Elements, des Staatsvolkes, identitätsstiftende Einflüsse zugesprochen werden.137 Die europäische Vorstellung des souveränen, mit undurchlässigen Lineargrenzen ausgestatteten Staates hat in der Folgezeit weltweit Verbreitung gefunden und das Staats- und Völkerrecht maßgeblich geprägt.138 Einer empirischen Überprüfung hält sie jedoch nur bedingt stand. Zum einen eröffnet sich dem Betrachter auch im Europa des 19. und des 20. Jahrhunderts ein breites Typenspektrum linearer Staatsgrenzen. Dieses reicht von der faktisch unkontrollierbaren über die physisch kaum wahrnehmbare oder in unterschiedlichen Abstufungen durchlässige bis hin zur hermetisch abgeriegelten Grenze.139 Zum anderen darf die Trennfunktion von Lineargrenzen selbst für die Hochphase des europäischen Nationalstaates nicht überschätzt oder gar als absolut angenommen werden.140 Abgesehen von grenzverletzenden Aktivitäten wie dem Schmuggel oder völkerrechtswidrigen Grenzübergriffen anderer Mächte haben zu allen Zeiten politische und wirtschaftliche Verflechtungen grenzüberschreitende Abhängigkeiten geschaffen, die ihre Wirkungen regelmäßig auch innerhalb der Staatsgrenzen entfalteten.141 Das Völkerrecht hat darauf zum Beispiel mit zahlreichen Staats- oder Grenzservituten reagiert, „die einem Staat das Recht geben, hoheitliche Handlungen auf dem Gebiet eines anderen Staates vorzunehmen oder die Unterlassung von hoheitlichem Handeln des Gebietsstaates zu verlangen.“142 Ebenfalls zu nennen wäre hier die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, deren jahrhundertealte Tradition auch im 19. Jahrhundert nicht abbrach,143 so dass die da136

Vgl. Müller-Graff, Peter-Christian, Whose Responsibilities are Frontiers?, in: Anderson, Malcolm/Bort, Eberhard (Hrsg.), The Frontiers of Europe, London/ Washington 1998, S. 11 ff. (S. 13). 137 Vgl. z. B. für Frankreich sowie für den Einfluss des Leitbilds von der Identitätsstiftung durch Grenzen auf das Denken anderer europäischer Staaten Anderson (1997), S. 23 ff. Vgl. auch Foucher, Michel, The Geopolitics of European Frontiers, in: Anderson, Malcolm/Bort, Eberhard (Hrsg.), The Frontiers of Europe, London/ Washington 1998, S. 235 ff. (S. 249); Guichonnet/Raffestin, S. 19 ff. 138 Vgl. z. B. Baud/Schendel, S. 215. 139 Vgl. auch Müller-Graff (1998), S. 11 f. 140 In dem Zusammenhang wies bereits Jean Bodin darauf hin, dass die staatliche Souveränität nach innen und nach außen nie als völlig schrankenlos aufgefasst werden könne, sondern unter anderem durch Verträge gebunden sei; vgl. dazu z. B. Steiger, S. 335, m. w. N. 141 Vgl. z. B. Keohane, Robert O., Ironies of Sovereignty: The European Union and the United States, in: Journal of Common Market Studies 4/2002, S. 743 ff. (S. 747 f.). 142 So Kimminich/Hobe, S. 98; vgl. auch ebd., S. 99 ff.

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maligen Staatsgrenzen bezüglich der grundsätzlichen Dualität von Trennund Verbindungsfunktionen keine Ausnahme bildeten. Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses hat sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwar der völkerrechtliche Charakter der mitgliedstaatlichen Grenzen in der Europäischen Union nicht verändert, aber es entstand faktisch eine neue Kategorie linearer (Binnen-)Grenzen, die von den hergebrachten Definitionen nicht mehr angemessen erfasst werden. Ihre Trennfunktion ist insbesondere durch das „binnengrenzüberschreitende Sachverhaltelement“144 des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, die fortgeführte Rechtsangleichung im Gemeinsamen Markt145 sowie den Wegfall von Personenkontrollen zwischen den Schengen-Signatarstaaten146 stark abgeschwächt worden.147 Gleichzeitig erfuhr ihre Kontaktfunktion durch die bewusste Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eine zusätzliche Aufwertung.148 Die dadurch gewandelte Qualität der EU-Binnengrenzen fand in der englischen Fassung des Unions- und Gemeinschaftsvertrags sogar einen sprachlichen Niederschlag, indem sie hier als „internal frontiers“ bezeichnet und von den zunehmend schärfer kontrollierten „external borders“ unterschieden werden.149 Über den bisherigen Erfolg des europäischen Integrationsprozesses und seiner räumlichen Ausdehnung in den verschiedenen Erweiterungsrunden sollte allerdings nicht in Vergessenheit geraten, dass das Zurückdrängen der Trennfunktion völkerrechtlicher Lineargrenzen im EU-Binnenbereich auf der Basis eines spezifischen Souveränitätsverständnisses erfolgt ist. Nur so war es möglich, die „primäre Staatlichkeit“ der Mitgliedstaaten durch die 143

Hierzu s. o., dieser Teil, A. II. 4. c), insbes. zu Fn. 84 f. Müller-Graff, Peter-Christian, Die Verdichtung des Binnenmarktrechts zwischen Handlungsfreiheiten und Sozialgestaltung, in: Hatje, Armin (Hrsg.), Das Binnenmarktrecht als Daueraufgabe, Europarecht, Beiheft 1/2002, S. 7 ff. (S. 36) [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. 145 Vgl. z. B. Seidel, Martin, Nach Nizza und Stockholm: Stand des Binnenmarktes und Prioritäten für die Zukunft, in: Caesar, Rolf/Scharrer, Hans-Eckart (Hrsg.), Der unvollendete Binnenmarkt, Baden-Baden 2003, S. 29 ff. (insbes. S. 32 ff.). 146 Vgl. z. B. Eisel, Horst, Die Führung der Präsidentschaft Schengens und der EU – Prioritäten und Ziele, in: Boer, Monica den (Hrsg.), Schengen Still Going Strong, Maastricht 2000, S. 1 ff. (insbes. S. 3 ff.). 147 So übereinstimmend z. B. Fiedler, S. 33 f.; Foucher, S. 236 f.; Steiger, S. 340 f. 148 Hierzu s. o., dieser Teil, A. II. 3., insbes. zu Fn. 55, Fn. 57. 149 Vgl. z. B. aktuell Consolidated Version of the Treaty on European Union, Official Journal C 325/5 of 24 December 2002, Art. 2 (1), second, fourth indent; Consolidated Version of the Treaty Establishing the European Community, Official Journal C 325/33 of 24 December 2002, Art. 61 lit. a, Art. 154 (1); vgl. auch den entsprechenden Hinweis bei Müller-Graff (1998), S. 15. 144

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„komplementäre Überstaatlichkeit“ der supranationalen europäischen Ebene zu ergänzen.150 Dies setzte eine Abkehr vom traditionellen Nationalstaatsdenken voraus, über deren Ausmaß und Zielrichtung aber mittlerweile nicht nur zwischen den mittel- und osteuropäischen Neumitgliedern Unklarheit herrscht.151 Auch wenn eine derartige „pooled sovereignty“ als Modell für eine zunehmend interdependente Welt interpretiert worden ist, stehen andere westliche Staaten wie etwa die USA dem kritisch gegenüber und vertreten weiterhin einen klassischen Souveränitätsanspruch.152 Das Beispiel der USA verweist zudem auf das Nicht-Selbstverständliche des europäischen Integrationsprozesses und belegt, dass die Abnahme der Trennfunktion von Grenzen auch in Zeiten globalisierter Waren- und Personenverkehrsströme keinem Automatismus folgt. Krisenereignisse wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 können vielmehr unvorhergesehen und relativ abrupt zu einer tiefgreifenden Verschärfung von Grenzmaßnahmen führen.153 Tritt ein solcher Fall ein, werden trennende oder abweisende Eigenschaften von Staatsgrenzen aufgrund der Möglichkeiten moderner Informationstechnologien bereits weitab vom eigenen Staats- und Grenzbereich wirksam.154 Die Variabilität von Grenzen und ihrer Funktionen in Vergangenheit und Gegenwart fordert insofern dazu auf, sie als menschliche Konstrukte zu verstehen und als zeitlich und räumlich bedingte Phänomene zu untersuchen,155 während sich speziell für die Erforschung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit daraus die Warnung ableiten lässt, die Grenze in ihren jeweiligen individuellen Ausprägungen nicht zu vernachlässigen: „This suggests that a priori assumptions about the nature of ‚the border‘ are likely to founder when confronted with empirical data; far from being a self-evi150

So Steiger, S. 350 ff. Vgl. z. B. Langewiesche, Dieter, Zentralstaat – Föderativstaat: Nationalstaatsmodelle in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 2/2004, S. 173 ff. (S. 188 ff.). 152 Vgl. Keohane, S. 746 ff., S. 754 ff. 153 Für einen Überblick über die erhebliche Verschärfung der Grenz- und Visapolitik in den USA und in Europa im Zuge des sog. Krieges gegen den Terrorismus vgl. z. B. Hermann, Mathias/Keicher, Martin, „Migration And Terrorism: US and European Perspectives“ – Konferenz-Bericht, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 5–6/2004, S. 191 ff., m. w. N. 154 Zu Stand und Problematik der Passagier-Profilbildung, die ein Einreiseverbot für die USA noch vor Reiseantritt oder Grenzberührung zur Folge haben kann, vgl. z. B. Schröder, Christian, Der Zugriff der USA auf Daten europäischer Flugpassagiere – Neue Gefahren durch Passagier-Profilbildung? (CAPPS II), in: Recht der Datenverarbeitung 6/2003, S. 285 ff. 155 Vgl. Anderson (1998), European Frontiers, S. 5; Foucher, S. 249; Ratti (1993), Existing Barriers, S. 62; Schmitt-Egner (1996), S. 21. 151

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dent, analytical given which can be applied regardless of context, the ‚border‘ must be interrogated for its subtle and sometimes not so subtle shifts in meaning and form according to setting.“156

II. Die räumlichen Wirkungen von Grenzen und der Grenz- oder Grenzkooperationsraum Nach der Grenze ist der Grenzraum als zweiter und ähnlich vielschichtiger Hauptbegriff des Forschungsfeldes der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu nennen. Er steht in einem allgemein vorausgesetzten, im einzelnen jedoch nicht leicht fassbaren Abhängigkeitsverhältnis zur Grenze und bildet das eigentliche geographische Handlungsfeld grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Eine diesbezügliche Kooperationsbedürftigkeit wird aus dem Umstand abgeleitet, dass der Grenzraum aufgrund seiner Nähe zur Grenze und damit zu einer benachbarten, aber fremden Staats-, Rechts- und Wirtschaftsordnung in einem ungleich höheren Grad außerstaatlichen Einflüssen ausgesetzt ist als der sonstige staatliche Binnenraum. Diese externen Faktoren behindern jeden Versuch, grenzbedingte oder grenzüberschreitende Problemlagen mit rein innerstaatlichen Strategien zu bewältigen und setzen eine Verständigung zwischen Akteuren auf beiden Seiten der Grenze zwingend voraus, wenn nicht nur einseitige Symptomkorrekturen erzielt werden sollen.157 1. Typologische Ansätze Während die aus der Besonderheit der Grenzsituation herrührende Begründung grenzüberschreitender Zusammenarbeit unmittelbar verständlich wird, scheint es ein weitgehend aussichtsloses Unterfangen zu sein, ihren räumlichen Bezugspunkt, den Grenzraum, abstrakt erfassen und beschreiben zu wollen. Die Vielzahl bestehender Grenzen und die strukturelle Heterogenität der ihnen anliegenden Grenzgebiete setzen Klassifizierungsversuche unweigerlich einem kaum auflösbaren Spannungsverhältnis zwischen grober Vereinfachung und analog sinkendem Erklärungswert für die Einzelfallbetrachtung aus. Dieses Dilemma typologisch-generalisierender Ansätze lässt sich exemplarisch an dem Grenzraum-Modell von Oscar Martínez veranschaulichen, das im Schrifttum häufig als Bezugspunkt dient.158 156

Wilson/Donnan, S. 12 [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. Vgl. z. B. auch Baud/Schendel, S. 231. 158 Zum Folgenden vgl. Martínez, Oscar J., The Dynamics of Border Interaction: New approaches to border analysis, in: Schofield, Clive H. (Hrsg.), Global Boundaries, Bd. 1: World Boundaries, London/New York 1994, S. 1 ff. (insbes. S. 1–5). Das Modell wurde u. a. rezipiert von Anderson (1997), S. 6; Drewello, Hansjörg, 157

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Das Modell unterscheidet zwischen vier, beziehungsweise, wenn man auf deren tatsächliche Existenz abstellt, sogar nur zwischen drei Kategorien von Grenzräumen, erhebt aber dennoch den Anspruch, alle Formen von Grenzund Grenzrauminteraktionen typologisch einordnen zu können. Dabei wird die unterste Stufe von sogenannten alienated borderlands gebildet, in denen zwischenstaatliche Auseinandersetzungen vorherrschen und grenzüberschreitende Austauschbeziehungen praktisch nicht stattfinden. Infolge anhaltender Konflikte sind die Grenzgebiete durch eine Grenze mit ausgeprägtem Abwehr- und Schutzcharakter voneinander geschieden, nur dünn besiedelt und wirtschaftlich unterentwickelt. Im Gegensatz dazu ist in co-existent borderlands bereits eine gewisse Entspannung eingetreten, die grenzüberschreitende Kontakte zumindest in einem engen, von den jeweiligen Regierungen streng überwachten Rahmen zulässt. Der Zustand der Koexistenz ist zwar instabil, soll im Fall eines längeren friedlichen Zusammenlebens aber in gewachsenem Vertrauen und einer weiteren Grenzöffnung resultieren können. Bei interdependent borderlands handelt es sich schließlich um symbiotisch aufeinander bezogene oder auch angewiesene Grenzräume. In ihnen sollen insbesondere wirtschaftliche Komplementaritäten und die beiderseitige Bereitschaft zu grenzüberschreitenden Kooperationen so ausgeprägt sein, dass sie die Grundlage für eine eventuelle „significant transculturation“ der Grenzbevölkerungen bereiten. Ausgewogene Interdependenzmuster letzterer Art erkennt Oscar Martínez bislang vor allem in Westeuropa, wo er im Zuge des europäischen Integrationsprozesses auch am ehesten die Voraussetzungen für die Entstehung zukünftiger integrated borderlands für gegeben hält. Die Grenze soll dann als Barriere kaum mehr wahrnehmbar sein und die wirtschaftliche Integration ein Ausmaß erreicht haben, das es der Grenzbevölkerung ermöglicht, eine „internationalist ideology“ auszubilden und ein eigenständiges Zusammengehörigkeitsgefühl jenseits nationalstaatlicher Traditionen zu entwickeln. Damit wird insgesamt ein idealtypisch gestuftes Grenzraum-Kontinuum konstruiert,159 das jedoch auf stark vereinfachten Annahmen bezüglich der Wirkungen zwischen Grenzen und Grenzräumen beruht. So vernachlässigt das Modell beispielsweise die Bedeutung anderer Variablen wie der geographischen Gegebenheiten oder fortdauernder wirtschaftlicher Konkurrenzen und hält keine Interpretationen für mögliche Entwicklungsbrüche oder -abweichungen bereit. Für die hier besonders interessierende Frage der Definition von Grenzräumen kann es zudem keinerlei Erklärungswert beanspruchen, weil das Modell die territoriale Dimension der borderlands auffallenEvaluationsmethodik der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: Das Beispiel Oberrhein, Bern u. a. 2002, S. 15 ff.; Schmitt-Egner (1998), S. 34 f. 159 Vgl. Anderson (1997), S. 6.

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derweise ausblendet, so dass der Grenzraum selber bei Oscar Martínez eine unbestimmte Größe bleibt. 2. Räumliche Ansätze Im Gegensatz zur typologisch-generalisierenden Herangehensweise stellen eher räumlich-individuell orientierte Ansätze in erster Linie auf eine vorhandene Grenze und ihre in der Fläche konkret nachweisbaren Wirkungen ab. Ihr Ziel ist es, anhand dieses als objektiv gedachten Diagnoseinstruments Grenzräume jeweils im Einzelfall exakt zu verorten. So schlägt beispielsweise Remigio Ratti vor, den Grenzraum als denjenigen Teil eines Staatsgebietes zu definieren, in dem aufgrund der Grenznähe sozio-ökonomische Phänomene auftreten, die sich von den sonstigen Umfeldbedingungen im staatlichen Binnenraum signifikant unterscheiden.160 Eine solche Annäherung an den Untersuchungsgegenstand, auch wenn sie vor der Gefahr überdehnter Generalisierungen schützt, ist aber gleichfalls nicht unproblematisch, weil das bloße Postulat sozio-ökonomischer Andersartigkeit inhaltlich gefüllt werden muss. Angesichts der Vielgestaltigkeit von Grenzen in Raum und Zeit161 ist dabei von vorneherein ein korrespondierendes Spektrum unterschiedlichster Arten und Reichweiten von Grenzwirkungen und – folgt man Remigio Ratti – von dementsprechend territorial variablen Grenzräumen zu erwarten. Davon abgesehen muss eine ausschließlich von der Grenze her argumentierende und auf deren Wirkungen in nur einem Staatsgebiet abzielende Grenzraum-Definition notwendigerweise einseitig bleiben, weil sie zum einen nicht berücksichtigt, dass Grenzen von den Verhältnissen im Grenzraum selbst nicht unberührt bleiben. In extremer Form wird dies deutlich, wenn etwa eine wirtschaftliche Krise oder das Erstarken separatistischer Tendenzen in einem Grenzgebiet eine Regierung veranlassen, zum Schutz nationaler Interessen die Trennfunktion einer Grenze zu verschärfen, woraus sich wiederum veränderte Bedingungen für den Grenzraum ergeben.162 Zum anderen muss die Besonderheit der Grenzlage eine stärkere Beachtung finden. Zwar werden die Gebiete auf beiden Seiten einer Grenze unstreitig von dieser beeinflusst, aber sie sind dabei keineswegs nur passiv äußeren Grenz- und fremden Systemwirkungen ausgesetzt, son160

Vgl. Ratti, R., Spatial and Economic Effects of Frontiers, in: ders./Reichmann, Shalom (Hrsg.), Theory and Practice of Transborder Cooperation, Basel/ Frankfurt a. M. 1993, S. 23 ff. (S. 25, m. w. N.). 161 Hierzu s. o., dieser Teil, B. I. 162 Vgl. Martínez, S. 4. Zu möglichen Krisenszenarien in Grenzräumen vgl. auch Anderson, Malcolm, Scenarios for Conflict in Frontier Regions, in: Strassoldo, Raimondo/Delli Zotti, Giovanni (Hrsg.), Cooperation and Conflict in Border Areas, Mailand 1982, S. 145 ff. (insbes. S. 151 ff.).

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dern sie senden ihrerseits grenzübergreifende Effekte aus und interagieren über die Grenze hinweg.163 Um solchen Konnexitäten in einem räumlichen Modell Rechnung tragen zu können, ist beispielsweise von Michiel Baud und Willem van Schendel empfohlen worden, den Grenzraum eher aus einer grenzübergreifenden Perspektive zu definieren und als eine geographische Einheit aus eng miteinander verbundenen Gebieten auf beiden Seiten einer Grenze zu verstehen.164 Nach der entfernungsmäßig nachlassenden Intensität von Grenzwirkungen soll er sich in drei grenzübergreifende Zonen unterteilen, wobei dominante sozio-ökonomische Grenzeffekte, die innerstaatliche Anpassungsleistungen erfordern, nur im eigentlichen border heartland vermutet werden. An diese Kernzone schließt sich das intermediate borderland an, in dem die Grenze noch spürbar, aber jedenfalls nicht mehr vorherrschender Bezugspunkt sein soll. Im outer borderland ist der Grenzeinfluss schließlich so schwach, dass er nur in Ausnahmefällen wahrgenommen werden kann oder Reaktionen hervorruft. Auch dieses Modell geht folglich von der Prämisse aus, dass Grenzen die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Realität in ihrem räumlichen Umfeld merklich (mit-)prägen. Im Unterschied zu Remigio Ratti sollen hier neben der Grenze aber zusätzliche grenzübergreifende Einflüsse und systemabhängige Faktoren Berücksichtigung finden, denen eine Variationsbreite zugeschrieben wird, die simplizistische Erklärungsversuche per se ausschließt.165 Damit unvereinbar ist die sowohl in der frühen Literatur zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als auch gegenwärtig noch verbreitete Ansicht, von Grenzen gingen überwiegend und unvermeidlich schädigende Flächenwirkungen aus. Häufig wird schon alleine die Nähe zur Grenze als ausreichende Begründung für strukturelle Defizite angesehen, durch die Grenzräume innerstaatlich sowie im europäischen Vergleich benachteiligt sein sollen.166 In einer historischen Herleitung wird diese These auf die Vorstellung gestützt, dass die europäischen Grenzen in der Vergangenheit machtpolitisch konkurrierende Staaten getrennt hätten, die ihre Konflikte insbesondere in den Grenzgebieten austrugen. Dort sei die wirtschaftliche Entwicklung, bereits behindert durch eine im nationalen Kontext meist periphere Lage, regelmäßig den militärstrategischen Prioritäten der Grenzverteidigung nachgeordnet gewesen. Zudem habe eine restriktive Grenz- und Zollpolitik vormals bestehende grenzüberschreitende Wirtschaftskontakte 163

Vgl. z. B. Wilson/Donnan, S. 28. Zum Folgenden vgl. Baud/Schendel, S. 222 ff. 165 Vgl. ebd., S. 225 ff. 166 Zu dieser Sichtweise vgl. z. B. Malchus, S. 14; Niedobitek, S. 10; ähnlich auch Hansen, S. 256. 164

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unterdrückt. In Verbindung mit aggressiven, national vereinheitlichenden Sprach- und Bildungsoffensiven167 seien die traditionellen sozio-ökonomischen und -kulturellen Verbindungen zwischen den Grenzbevölkerungen bewusst zerstört worden, womit sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Trennfunktion staatlicher Lineargrenzen erst endgültig habe durchsetzen können.168 Unter den negativen Auswirkungen ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zurücksetzung sollen die Grenzräume demzufolge bis heute leiden, weswegen sie auch in besonderer Weise auf die (erneute) Anknüpfung grenzüberschreitender Kontakte angewiesen seien, um ihre nachteilige Situation zu verbessern.169 Diese nur in sich schlüssige Argumentationskette wird allerdings durch gegenläufige empirische Befunde gerade im Hinblick auf die besonders intensiv erforschten wirtschaftlichen Flächenwirkungen von Grenzen relativiert. Trotz zahlreicher ungeklärter Aspekte reichen die vorliegenden Erkenntnisse aus, um die Grundannahme zu widerlegen, Grenzräume seien aufgrund geschichtlicher Vorbelastungen, der räumlichen Distanz zu nationalen Macht- und Wirtschaftszentren sowie der anhaltenden Problematik der Grenzlage zwangsläufig unterentwickelt.170 Sowohl in Europa als auch weltweit kann auf eine ganze Reihe von Grenzgebieten verwiesen werden, die vielmehr überdurchschnittliche Wachstums- und Wohlstandsindikatoren aufweisen.171 Selbst wenn dies nicht für eine Mehrzahl von Grenzräumen – aber auch nicht von Binnenräumen – zutreffen mag, so ist dennoch die automatische Gleichsetzung der Grenzsituation mit schlechter Erreichbarkeit und grenzbedingt fehlendem Marktpotential nicht aufrechtzuerhalten.172 Gleichzeitig wird oft übersehen, dass auch Grenzen mit einer ausgeprägten Trenn- oder Kontrollfunktion, die den grenzüberschreitenden Personen- und Warenaustausch unzweifelhaft hemmen, nicht in jedem Fall wirtschaftliche Einbußen bewirken. Grenzgebiete erhalten nämlich oft Kompensationsleis167 Zur Bedeutung, welche der sprachlich-kulturellen Dominanz einer Zentralmacht für die Nationenbildung zugemessen wurde, vgl. am Beispiel Frankreichs Langewiesche, S. 179, m. w. N. 168 Zur Fragwürdigkeit dieser Annahme, die zumindest nicht uneingeschränkt zutrifft, s. auch o., dieser Teil, B. I. 3., insbes. zu Fn. 139 ff. 169 Vgl. dazu insgesamt Brunn/Schmitt-Egner, S. 16; ähnlich schon Malchus, S. 14 f. 170 Vgl. Ratti (1993), Spatial and Economic Effects, S. 36. 171 So z. B. für das deutsch-französisch-schweizerische sowie für das US-amerikanisch-mexikanische Grenzgebiet schon Hansen, S. 256, S. 258 ff.; ebenso Blatter (2000), S. 93, S. 138, S. 167 f. Im asiatischen Kontext vgl. für das Grenzgebiet von Malaysia und Singapore z. B. Baud/Schendel, S. 222. 172 Vgl. Niebuhr, Annekatrin/Stiller, Silvia, Integration Effects in Border Regions – A Survey of Economic Theory and Empirical Studies, HWWA Discussion Paper 179, Hamburg 2002, S. 16, m. w. N.

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tungen durch den Bau grenzbezogener Infrastrukturen, die Ansiedelung von Grenz- und Zollverwaltungen oder eine subventionierte „Zonenrandförderung“173, von denen strukturschwache Gebiete im staatlichen Binnenraum nicht profitieren.174 In einem solchen Fall muss eine weitgehende Grenzund Marktöffnung, so wie sie sich im EU-Binnenbereich vollzieht, auch nicht unbedingt von Vorteil sein, sondern kann sogar zu schmerzhaften wirtschaftlichen Einbußen führen.175 Im Gegensatz zu diesen gesicherten Erkenntnissen lässt sich der meist schlicht vorausgesetzte Zusammenhang zwischen einer zunehmenden Durchlässigkeit von Grenzen und positiven wirtschaftlichen Veränderungen in Grenzgebieten bisher weder theoretisch noch empirisch eindeutig belegen.176 Eine Auswertung neuerer wirtschaftswissenschaftlicher Arbeiten zu dieser Thematik kommt zumindest für den europäischen Integrationsprozess zu dem Ergebnis, dass der Warenaustausch zwischen den Gebieten an den EU-Binnengrenzen im Vergleich mit den innerstaatlichen Austauschbeziehungen weiterhin ersichtlich abfällt. Anstelle der funktionell gewandelten Grenzen, die an Bedeutung und damit an Erklärungskraft verloren haben, werden dafür inzwischen jedoch bislang unberücksichtigte Faktoren verantwortlich gemacht. Die nunmehr herausgestellten Unterschiede im Konsumverhalten oder die Präferenzen für lokale Angebotsstrukturen können, wenn überhaupt, nur noch sehr indirekt auf die Existenz staatlicher Grenzen zurückgeführt werden.177 Erweist sich demzufolge bereits die mit quantifizierbaren ökonomischen Daten operierende Einschätzung räumlich-wirtschaftlicher Wirkungen von Grenzen als äußerst kompliziert und widersprüchlich, so gilt dies in noch weit höherem Maß für die Schwierigkeit, sogenannte „weiche“ Grenzfak173 Zu den – allerdings umstrittenen – Wirkungen etwa der verkehrs- und wirtschaftspolitischen Sonderförderung an der Grenze der Bundesrepublik Deutschland zur DDR vgl. Kopper, Christopher, Zonenrandförderung und Verkehrspolitik im bundesdeutschen Grenzgebiet: Das Beispiel Niedersachsen, in: Weisbrod, Bernd (Hrsg.), Grenzland: Beiträge zur Geschichte der deutsch-deutschen Grenze, Hannover 1993, S. 95 ff. (insbes. S. 101 ff.). 174 Vgl. Cappellin, S. 12. 175 Vgl. Albert/Brock, S. 85; Rietveld, P., Transport and Communication Barriers in Europe, in: Cappellin, R./Batey, P. W. J. (Hrsg.), Regional networks, Border Regions and European Integration, London 1993, S. 47 ff. (S. 47). 176 Vgl. dazu z. B. in: Thormählen, Ludwig (Hrsg.), Entwicklung europäischer Grenzräume bei abnehmender Bedeutung nationaler Grenzen: Deutsch-dänische und deutsch-niederländische Grenzräume im europäischen Integrationsprozess, Hannover 2004, die Beiträge von Stiller, Silvia, Integrationseffekte in Regionen an EU-Binnengrenzen – Implikationen der Standort- und Handelstheorie, ebd., S. 9 ff. (insbes. S. 18 f.); u. Lammers, Konrad, Die Entwicklung der deutsch-dänischen und deutschniederländischen Grenzregionen vor dem Hintergrund ökonomischer Theorien, ebd., S. 116 ff. 177 Vgl. Niebuhr/Stiller, S. 13 ff.

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toren und ihre flächenmäßige Reichweite zu identifizieren. Damit sind unter anderem räumliche Einflüsse von unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungsordnungen oder von sprachlich-kulturellen Barrieren gemeint, welche die Entwicklungsmöglichkeiten von Grenzräumen auch dann noch einschränken sollen, wenn die Grenze selbst kein wirkliches Hindernis mehr bildet.178 Im Raum ähnlich schwer nachweisbar sind subjektive Grenzeffekte, wie „das Bewusstsein [. . .] in der Nähe der Grenze ansässig zu sein oder einem grenzüberschreitenden Raum anzugehören.“179 Untersuchungen an der deutsch-französischen Grenze konnten zwar belegen, dass die Einstellung der dortigen Grenzbevölkerungen sowohl zueinander als auch zum grenzabschwächenden europäischen Integrationsprozess teilweise deutlich positiver als das jeweilige nationale Gesamtbild ausfällt. Die Persistenz gesamtnationaler Wertemuster und fehlende Anhaltspunkte für die Existenz oder das Entstehen einer grenzübergreifenden Identität legen allerdings den Schluss nahe, dass die Grenzlage hier nur ein Einflussfaktor unter vielen ist, der in seiner Bedeutung weder isoliert betrachtet noch in seinen räumlichen Bezügen verlässlich eingegrenzt werden kann.180 Der Versuch, Grenzräume anhand der Flächenwirkungen von Grenzen oder räumlich erkennbarer Besonderheiten der Grenzlage zu definieren, muss sich aber nicht nur mit wenig schlüssigen Ergebnissen und einem insgesamt unzureichenden Wissensstand auseinandersetzen. Er sieht sich darüber hinaus mit dem Umstand konfrontiert, dass der eigentliche Grenzraum, unabhängig von seiner genauen Ausdehnung, zumindest in Flächenstaaten regelmäßig nur einen Teilbereich des Territoriums größerer Gebietskörperschaften ausmacht, wobei die Entscheidungszentren dieser Gebietskörperschaften physisch und sozial oft keinen Grenzzusammenhang aufweisen.181 Vor diesem Hintergrund müssen selbst erweiterte räumliche Konzepte unter handlungstheoretischen Gesichtspunkten ergänzt werden. Anderenfalls blieben grenz- und grenzraumrelevante Einflusspotentiale subnationaler, nationaler und zunehmend auch supranationaler Akteure unberücksichtigt, für die eine direkte räumliche Nähebeziehung zur Grenze mit Sicherheit nicht mehr behauptet werden kann.182 178

Vgl. Groß/Schmitt-Egner, S. 31; Schmitt-Egner (1998), S. 46 f. Niedobitek, S. 28. 180 Vgl. Schmidberger, Martin, EU-Akzeptanz und europäische Identität im deutsch-französischen Grenzgebiet, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 25–26/1998, S. 18 ff. (insbes. S. 25). Eine positive Einstellung der Grenzbevölkerung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein erkennt auch Blatter (2000), S. 128. 181 Vgl. Anderson/O’Dowd, S. 595. 182 Zur Bedeutung akteurszentrierter (neo-)realistischer Handlungsansätze auch für den Bereich der internationalen Beziehungen vgl. z. B. Braun, Dietmar, Hand179

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

Als einstweiliges Fazit bleibt daher nur die Feststellung, dass Grenzen und Grenzgebiete zwar in vielfältiger Weise aufeinander bezogen sind, wobei sich räumliche Grenzwirkungen aber allenfalls in der Synopse ihrer jeweils spezifischen Formen, der Gegebenheiten im Grenzraum sowie der sonstigen Umfeldbedingungen genauer bestimmen lassen. Daneben müssen handlungstheoretische und akteursspezifische Aspekte grenzüberschreitender Zusammenarbeit sowie deren Niederschlag im Grenzraum eine Berücksichtigung finden. Diese anspruchsvollen Voraussetzungen stehen bislang in einem Kontrast zu dem Mangel an verlässlichen Kriterien für ihre Operationalisierung, der die Erklärungskraft räumlicher Ansätze erheblich beeinträchtigt.

3. Politisch-administrative Ansätze und ihre räumlich-funktionale Ergänzung In den Schwächen typologisch-generalisierender und räumlich-individueller Ansätze findet bis auf Weiteres vor allem das in Praxis und Wissenschaft vorherrschende Verfahren eine Rechtfertigung, Grenzräume in erster Linie aufgrund politisch-administrativer Zuschreibungen zu definieren. Hierbei kann zunächst zwischen einer zonal-beschränkten und einer gebietskörperschaftlich-umfassenden Variante unterschieden werden. So hat etwa Frankreich die zonale und von gebietskörperschaftlichen Einteilungen losgelöste Festlegung eines zwanzig Kilometer breiten Grenzraumstreifens an seinen Landgrenzen verfügt, in dem die Grenzpolizei verdachtsunabhängige Personenüberprüfungen vornimmt, um die Einführung des prinzipiell grenzkontrollfreien Personenreiseverkehrs durch das Schengen-Abkommen zu kompensieren.183 Andere europäische Grenzraumzonen weisen einen Radius zwischen zehn und fünfzig Kilometern auf,184 wobei auch im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine zonal-beschränkte Orientierung nicht prinzipiell ausgeschlossen ist, da der Großteil grenzübergreifender Probleme und Kontakte angeblich in höchstens zwanzig bis dreißig Kilometern Entfernung von der Grenze auftritt und fast nie eine 100-Kilometer-Zone überschritten wird.185 lungstheorien, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 1: Politische Theorien, München 1995, S. 168 ff. (insbes. S. 171 f., m. w. N.). 183 Vgl. Foucher, S. 239. 184 Zu unterschiedlichen europäischen und national-bilateralen Grenzzonenregelungen vgl. Council of Europe, Handbook on transfrontier co-operation for local and regional authorities in Europe, Straßburg 1995, S. 11 f. 185 Vgl. Kiss, Alexandre-Charles, La frontière-coopération, in: Société Française pour le Droit International (Hrsg.), La frontière, Paris 1980, S. 183 ff. (S. 187).

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Üblicher ist jedoch eine Betrachtungsweise, die von einem „more political and administrative approach [. . .] based on the aggregate territory of the local entities which have a frontier as their common boundary“ ausgeht.186 Das trifft etwa für Maßnahmen der strukturpolitischen Grenzraumförderung zu, die sich überzonal auf die gesamte Fläche von Grenzgebietskörperschaften erstrecken. So basieren die INTERREG-Programme der EU zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf der allgemeinen NUTS-Einteilung der europäischen Regional- und Strukturpolitik, wodurch sowohl die deutschen Landkreise als auch die französischen Départements oder die spanischen Provincias, die an einer Grenze liegen, aus EU-Sicht als Grenzräume definiert sind.187 Die heterogene Kompilation von „different ‚types‘ of border regions“ in anderen EU-Dokumenten lässt allerdings darauf schließen, dass diese Aufzählung nicht als abschließend zu verstehen ist.188 Vielmehr scheint sich inzwischen auch hier die Auffassung des Europarats durchgesetzt zu haben, nach der grundsätzlich jede „public territorial entity situated immediately below state level and having a common land frontier with one or several entities of the same type situated in a neighbouring state“ als Grenzregion beziehungsweise als Grenzraum bezeichnet wird.189 Darunter fallen ausdrücklich auch die betreffenden deutschen Länder, französischen Régions und spanischen Comunidades Autónomas.190 Die darin zum Ausdruck kommende Abkehr von einem engeren grenzräumlichen Verständnis setzt sich fort, wenn neben den politisch-administrativen Zuweisungen gebietskörperschaftlicher Art auch funktionale Aufgabenträger wie grenzübergreifend kooperierende Universitäten oder Handelskammern unter den Grenzraumbegriff subsumiert werden sollen. Indem das funktionale „Aufgabenprofil“ grenzüberschreitender Zusammenarbeit gegenüber dem territorialen Kriterium in den Vordergrund tritt,191 werden die räumlichen Bezüge zwar nicht völlig aufgegeben. Der Grenzraum wandelt sich aber von einem mehr oder weniger breiten Gebiet an der Grenze zu einem weiter gefassten Grenzkooperationsraum, der auch grenzfernere Akteure, die gebietskörperschaftlich oder funktional organisiert sein können, in sich vereint. Als einzig anerkanntes geographisches Bestimmungsmerk186

So Council of Europe (1995), S. 12. Zur NUTS-Einteilung, ihren Hintergründen und praktischen Problemen vgl. z. B. Casellas, Antònia/Galley, Catherine C., Regional Definitions in the European Union: A Question of Disparities?, in: Regional Studies 6/1999, S. 551 ff. (insbes. S. 552 f., m. w. N.); vgl. auch Perkmann, S. 659. 188 Vgl. z. B. Association of European Border Regions/European Commission, A 2: The Experience to Date, S. 4 ff. 189 So Council of Europe (1995), S. 14. 190 Vgl. ebd. 191 Vgl. Kotzur, S. 47 f., S. 248. 187

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

mal für solche Grenzkooperationsräume verbleibt dann jedoch nur das zwingend erforderliche Vorhandensein einer Staatsgrenze, das weder von den Befürwortern räumlicher noch von den Vertretern eher funktionaler Ansätze in Zweifel gezogen wird.192 Schon über den Grad der Grenznähe, der jeweils vorausgesetzt werden soll, besteht indes keine Übereinstimmung mehr.193 Für eine einheitliche Definition des Grenzraums, sei es nun anhand typologischer, räumlicher oder politisch-administrativer Kriterien, fehlt es somit schon an den Grundvoraussetzungen. Daran dürfte sich auch wegen der stark „divergierenden räumlichen Bezugseinheiten der verschiedenen grenzüberschreitenden Institutionen“194 zukünftig kaum etwas ändern, so dass letzten Endes jede Untersuchung diesbezüglich ihr eigenes Verständnis festund offenlegen muss.

III. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als besondere Form internationaler Beziehungen Auf die Wissens- und Theoriedefizite des Forschungsfeldes sowie auf die inhaltliche Perspektivenverengung durch ein größtenteils an regionalen Fragestellungen interessiertes Schrifttum ist bereits hingewiesen worden.195 Mit ihnen verbindet sich jeweils die Tendenz, den Terminus der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aus seinen in Folge der Komplexität des Gegenstandes notwendigerweise weiten Zuschreibungen zu lösen. Schon die unvoreingenommene Betrachtung der einzelnen Begriffselemente zeigt jedoch, dass sie im Grundsachverhalt der Grenzüberschreitung und der Zusammenarbeit lediglich eine allgemeine Zugehörigkeit zum großräumigen Feld der institutionalisierten196, hier an friedlich-kooperativen Regeln ausgerichteten internationalen Beziehungen signalisieren.197 Für die begriffliche Einordnung und Deutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit 192 Zu diesen unterschiedlichen Sichtweisen vgl. einerseits Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 83; Baud/Schendel, S. 222; u. andererseits Kotzur, S. 47 f., S. 248; Schwarze, Jürgen, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen i. S. d. Art. 24 I a GG, in: Klein, Eckart (Hrsg.), Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, FS für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1995, S. 311 ff. (S. 328 f.). 193 Hierzu s. u., dieser Teil, B. III. 2. 194 Blatter (2000), S. 77; vgl. auch ebd., S. 201. 195 Hierzu s. o., dieser Teil, A. II. 4. 196 Zum dem sowohl auf formelle als auch auf informelle Regeln sowie auf Organisationen bezogenen Institutionenbegriff in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen vgl. z. B. Jansen, Dorothea, Der neue Institutionalismus, Speyerer Vorträge, Heft 57, Speyer 2000, S. 5 ff. (insbes. S. 15 ff.). 197 Hierzu s. auch o., dieser Teil, B., insbes. zu Fn. 98.

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sind daher weitere Konkretisierungen erforderlich, die anhand ihrer besonderen akteurs-, raum-, handlungs- und motivationsbezogenen Implikationen näher ausgeführt werden sollen. 1. Akteursbezogene Aspekte a) Der Staat als Akteur der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Eine Zuordnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu den internationalen Beziehungen wird trotz aller Begriffsweiterungen zunächst zu dem Schluss führen müssen, dass der Staat hier jedenfalls nicht von vorneherein als Akteur ausgeschlossen sein kann, sondern in seinen diesbezüglichen inner-, zwischen- und überstaatlichen Funktionen als Analysegegenstand wahrgenommen werden muss.198 Dabei geht es vordringlich um eine modifizierte Sichtweise, nicht aber um ein grundsätzliches Infragestellen der in den letzten Jahrzehnten in der Politikwissenschaft geführten „Entgrenzungsdebatte“, deren bleibender Wert gerade in der Erkenntnis des Akteurspluralismus in diesem Bereich liegt.199 Einen ähnlichen Wandel hat übrigens auch die Rechtswissenschaft vollzogen,200 wenn für das Völkerrecht inzwischen gesehen wird, dass es „in diesem engen Wortsinne [. . .] nicht mehr ‚inter-national‘ [ist], denn es bildet die normative Grundlage für ein staatenübergreifendes System, das sich nicht allein auf die rechtlichen Beziehungen zwischen souveränen Staaten beschränkt, sondern internationale Organisationen, zwischenstaatliche Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und sogar die Individuen mit einbezieht.“201 198 Zur Rolle des Staates in der europäischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vgl. schon Malchus, S. 90 ff.; vgl. auch Council of Europe (1995), S. 20, m. w. N. Dass der Staat hier auch in föderalen Systemen in der Zwischenzeit keineswegs obsolet geworden ist, zeigt nicht zuletzt das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland; vgl. Niedobitek, S. 95 f. 199 Vgl. dazu z. B. Nölke, Andreas, Intra- und interdisziplinäre Vernetzung: Die Überwindung der Regierungszentrik?, in: Hellmann, Gunther/Wolf, Klaus Dieter/ Zürn, Michael (Hrsg.), Die neuen Internationalen Beziehungen: Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland, Baden-Baden 2003, S. 519 ff. Für eine tabellarische Akteursübersicht vgl. auch Meyers, Reinhard, Internationale Beziehungen/Internationale Politik, in: Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft: Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 1: A–M, 2., akt. u. erw. Aufl., München 2004, S. 382 ff. (S. 384 ff.); ders. (1994), S. 228 f.; Spindler/ Schieder, S. 15 f. 200 Vgl. z. B. Vitzthum, Wolfgang Graf, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 3., neu bearb. Aufl., Berlin 2004, S. 1 ff. (Rn. 5, S. 6). 201 So Kotzur, S. 26, m. w. N. [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.].

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Angesichts von teilweise überdehnten Akzentverschiebungen, die dem regionenzentrierten Forschungsparadigma geschuldet sind, muss nun jedoch die „Wiederentdeckung“ des Staates in den internationalen Beziehungen im Allgemeinen und in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Besonderen beziehungsweise eine differenziertere Auseinandersetzung mit ihm angemahnt werden. Diese Forderung kann sich für die Praxis auf die Empfehlung europäischer Institutionen berufen, grenzüberschreitende Zusammenarbeit „sollte auf allen Ebenen durchgeführt werden, d. h. national, regional und lokal.“202 Für die Wissenschaft steht sie im Einklang mit Rückbesinnungstendenzen in der politikwissenschaftlichen Diskussion zu den internationalen Beziehungen, welche die Folgen der momentan vorherrschenden „Abkehr vom Staat bzw. einer Staatszentriertheit als wesentlichem Merkmal der Entgrenzung von Gegenstand und Fach“ einer Neubewertung unterziehen wollen.203 In dem Zusammenhang könnte die Themenstellung einer wissenschaftlichen Tagung, die sich im Jahr 2006 ausschließlich mit der Rolle des Staates in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit befasst hat, als Anregung für eine inhaltlich und räumlich erweiterte Debatte dienen, die aber künftig über den ursprünglichen und – vielleicht nicht überraschend – fast ausschließlich französisch-spanischen Teilnehmerkreis hinausreichen sollte.204 Die Tagung knüpfte an eine Forschungstradition an, die der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ganz selbstverständlich ein ebenenübergreifendes, staatliche und subnationale Akteure gleichermaßen integrierendes Verständnis unterlegte, das heute lediglich um die supranationale Ebene ergänzt werden muss: „Les partenaires qui y participent peuvent se situer à différents niveaux: à côté de situations où les gouvernements ou leurs organes déconcentrés règlent les problèmes transfrontaliers entre eux, les cas sont de plus en plus nombreux où les partenaires à une activité transfrontalière donnée sont des collectivités régionales ou locales, [. . .], étant entendu que des formules mixtes sont également possibles.“205 202 Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen/Europäische Kommission, Praktisches Handbuch zur Grenzübergreifenden Zusammenarbeit, 3. Aufl., Gronau 2000, A 2: Bisherige Erfahrungen, S. 12; zugänglich über: http://www.aebr.net/pu blikationen/pdfs/lace_guide.de.pdf; zuletzt abgerufen: August 2008. 203 So Albert, Mathias, Entgrenzung und internationale Beziehungen: Der doppelte Strukturwandel eines Gegenstandes und seines Fachs, in: Hellmann, Gunther/ Wolf, Klaus Dieter/Zürn, Michael (Hrsg.), Die neuen Internationalen Beziehungen: Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland, Baden-Baden 2003, S. 555 ff. (S. 565, m. w. N.). 204 Vgl. dazu die Beiträge in: Fernández de Casadevante Romani, Carlos (Hrsg.), L’État et la coopération transfrontalière: Actes de la journée d’étude du 13 septembre 2006, Brüssel 2007. 205 Kiss, S. 205; vgl. auch Pérez González, Manuel, Algunas observaciones sobre el empleo de la técnica convencional en la cooperación transfronteriza entre colecti-

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Dem stehen begriffliche Akteursspezifizierungen im Einzelfall nicht entgegen, wie beispielsweise in der Ausweisung einer „grenzüberschreitenden regionalen und kommunalen Zusammenarbeit“206. Im Gegenzug muss jedoch auch eine Apostrophierung als „staatliche“ oder „zwischenstaatliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ zulässig sein, die sich im regionenzentrierten Schrifttum bislang überwiegend hinter Formeln wie „intergovernmental commissions“, „inter-state agreements“ oder „zwischenstaatliche Vereinbarungen“ verbirgt.207 Als Grundvoraussetzung sollte jedenfalls allgemein anerkannt werden, dass entsprechende Bezeichnungen jeweils alle Akteure einer konkreten grenzüberschreitenden Kooperation korrekt anzeigen müssen und nicht den Eindruck erwecken dürfen, über den eigenen Untersuchungsgegenstand hinaus andere Akteure bereits semantisch aus dem Forschungsfeld ausschließen zu können. b) Die Abgrenzung zum Akteursverständnis des Transnationalismus und des „Transnationalen Regionalismus“ Dass diese letztlich einfachen Prämissen aus einer regionenzentrierten Perspektive nicht immer berücksichtigt werden, zeigt indes exemplarisch ein EU-Glossar zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die hier als „nachbarschaftliche Zusammenarbeit in allen Lebensbereichen zwischen aneinanderliegenden Grenzregionen, regionalen und/oder kommunalen Gebietskörperschaften oder sonstigen Körperschaften solcher Grenzgebiete“208 definiert ist. Die tieferen geistigen Wurzeln, welche insbesondere die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema nachhaltig geprägt haben, treten in der englischen und französischen Übersetzung noch deutlicher hervor, in der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit präzisierend als „transnational cooperation“ beziehungsweise als „coopération transnationale“209 bezeichnet wird. vidades territoriales, in: ders. (Hrsg.), Hacia un nuevo orden internacional y europeo, Madrid 1993, S. 545 ff. (z. B. S. 545, S. 546 f.). 206 Schwarze, S. 312 f. 207 Zu diesen Begrifflichkeiten vgl. Aykaç, Aygen, Transborder Regionalisation: An Analysis of Transborder Cooperation Structures in Western Europe within the Context of European Integration and Decentralisation towards Regional and Local Governments, Libertas Paper 13, Sindelfingen 1994, S. 10 f.; Council of Europe (1995), S. 20; Malchus, S. 90 ff. 208 Association of European Border Regions/European Commission, Annex D 1: Glossary of Terms, S. 2; vgl. auch Gabbe, Jens, „Europäische Modelle interregionaler und grenzüberschreitender Kooperationen“, in: Interregiones 6/1997, S. 7 ff. (S. 7). 209 Association of European Border Regions/European Commission, Annex D 1: Glossary of Terms, S. 2.

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Damit ist sie nicht den internationalen Beziehungen im eigentlichen Sinn zugewiesen, sondern dem in bewusster terminologischer Distanzierung begründeten Transnationalismus. Während sich der Terminus des „transnational law“ im Völkerrecht nicht breiter durchgesetzt hat,210 benennt der Transnationalismus in der Politikwissenschaft seit den späten 1960er Jahren die Existenz und die grenzübergreifenden Aktivitäten nicht-staatlicher Akteure in der internationalen Politik. In Abgrenzung zu dem damals noch ausschließlich auf die zwischenstaatliche Ebene abstellenden Begriff der internationalen Beziehungen sollten darunter aber strenggenommen nur grenzübergreifend auftretende wirtschaftliche und gesellschaftliche Gruppierungen, ihre Interaktionen sowie allenfalls noch ihre Kontakte mit nationalen Regierungen verstanden werden.211 Der Transnationalismus blendete somit nicht nur die zwischenstaatlichen Beziehungen aus, sondern konsequenterweise auch die in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bedeutsamen und von der regionenzentrierten Forschung hervorgehobenen auswärtigen Aktivitäten subnationaler Gebietskörperschaften und ihrer Exekutiven.212 Ex post wurde darin zwar teilweise ein „grundlegender Mangel des Theorems“213 gesehen, ohne dass aber eine allgemeine Abkehr von dem ursprünglichen Konzept stattgefunden hätte.214 Es blieb insofern einem späten Ableger des Transnationalismus, dem sogenannten „Transnationalen Regionalismus“215, vorbehalten, den Versuch eines expliziten Konnexes zwischen transnationalem Gedankengut und der grenzüberschreitenden Zusammen210

Zu Urheberschaft, Inhalt und Verbreitung des Begriffs im Völkerrecht vgl. Kotzur, S. 26, m. w. N. Im internationalen Wirtschafts- und Handelsrecht scheint die Verwendung hingegen üblicher zu sein; vgl. z. B. die Beiträge in: Berger, Klaus Peter (Hrsg.), The Practice of Transnational Law, The Hague u. a., 2001. 211 Zur frühen Transnationalismus-Debatte und zu unterschiedlichen Einschätzungen des Kontrollverlustes nationaler Regierungen in einem transnationalen Umfeld vgl. Kaiser, Karl, Transnationale Politik: Zu einer Theorie der multinationalen Politik, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 1/1969, S. 80 ff. (insbes. S. 94 ff.); Nye, Joseph S./Keohane, Robert O., Transnational Relations and World Politics: An Introduction, in: dies. (Hrsg.), Transnational Relations and World Politics, 2. Aufl., Cambridge 1973, S. ix ff. (insbes. S. xi f.). 212 Hierzu s. o., dieser Teil, A. II. 2., insbes. zu Fn. 45; dieser Teil, A. II. 3, insbes. zu Fn. 61. 213 So Rausch, Ulrike, Transnationale Politik, in: Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft: Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 2: N–Z, 2., akt. u. erw. Aufl., München 2004, S. 1002 f. (S. 1002). 214 Vgl. z. B. Risse, Thomas, Transnational Actors and World Politics, in: Carlsnaes, Walter/Risse, Thomas/Simmons, Beth A. (Hrsg.), Handbook of International Relations, London, Thousands Oaks u. New Delhi 2002, S. 255 ff. 215 Zum „Transnationalen Regionalismus“ vgl. Schmitt-Egner (2000), S. 507 ff., m. w. N. Zur Entwicklung und zur Abgrenzung des Konzepts von anderen Formen der Regionalismusforschung vgl. auch ders., Handbuch zur Europäischen Regionalismusforschung: Theoretisch-methodische Grundlagen, empirische Erscheinungsfor-

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arbeit zu unternehmen, indem letztere als „transnationale Kooperation von Regionen, Kommunen sowie privatrechtlichen Zusammenschlüssen innerhalb eines gemeinsamen, von Staatsgrenzen getrennten Lebensraums“ gedeutet werden soll.216 Auch wenn die Berufung auf den Transnationalismus in anderen wissenschaftlichen Texten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ebenfalls zu beobachten ist,217 kann den entsprechenden Begriffsverwendungen grundsätzlich nur eine akzessorische Qualität zugesprochen werden.218 So ist eine Kooperation im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit lediglich dann zusätzlich als transnational zu bezeichnen, wenn der Umstand besonders hervorgehoben werden soll, dass sie ausschließlich zwischen privaten Akteuren beziehungsweise äußerstenfalls noch unter Beteiligung subnationaler öffentlicher Akteure stattfindet. Eine Ersetzung oder selbst eine akteursbezogene Zuspitzung des umfassenderen Begriffs der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit lässt sich damit hingegen nicht rechtfertigen, schon weil diese empirisch gesehen „kein Phänomen des transnationalen Regionalismus“ ist, sondern bereits in der Blütezeit des europäischen Nationalstaates existierte, als ein „transnationaler Regionalismus keine Chance hatte“.219 Die Zusammenführung regierungszentrischer und transnationaler Ansätze, die für das Feld der internationalen Beziehungen insgesamt noch zu leisten bleibt,220 sollte daher auch für den Teilbereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit weniger durch terminologische Ausgrenzungsversuche als vielmehr durch eine bewusste Auseinandersetzung mit der Akteurs- und Formenvielfalt des Untersuchungsgegenstandes erfolgen.

men und strategische Optionen des Transnationalen Regionalismus im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2005, insbes. S. 121 ff. 216 So Schmitt-Egner (1998), S. 37; vgl. auch Groß/Schmitt-Egner, S. 30. 217 Zu einer Definition grenzüberschreitender Zusammenarbeit als (transnationale) „regionale oder lokale Zusammenarbeit von politischen und administrativen Einheiten unterhalb der Nationalstaaten“ vgl. Siedentopf, Heinrich, Die Internationalität der öffentlichen Verwaltung, in: König, Klaus/Siedentopf, Heinrich (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in Deutschland, Baden-Baden 1996/1997, S. 711 ff. (S. 715). Aufgrund der Begriffsgeschichte und -bedeutung zu undifferenziert ist die Ansicht, mit transnational könne umstandslos auch die grenzübergreifende „Kooperation zwischen Staaten (ggf. unter Beteiligung der Regionen) zu einem Fachthema (z. B. Raumordnung) bezogen auf große zusammenhängende Räume“ bezeichnet werden; so aber Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen/Europäische Kommission, A 2: Bisherige Erfahrungen, S. 14. 218 Vgl. Niedobitek, S. 40, m. w. N. Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. III. 1. a). 219 So Blatter (2002), Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit, S. 82. 220 Vgl. Nölke, S. 535.

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2. Raumbezogene Aspekte In dem Zusammenhang kann es allerdings nicht genügen, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nur einerseits positiv das Prinzip des Akteurspluralismus zu unterlegen und sie damit andererseits negativ vom Transnationalismus oder vom „Transnationalen Regionalismus“ abzuheben. Ihre Verankerung als eigenständige Unterform der internationalen Beziehungen lässt sich darüber hinaus auch auf andere Faktoren stützen, die jeweils für sich genommen vielleicht keine eindeutige Unterscheidung zulassen, aber in der Gesamtschau doch eine tragfähige Zuschreibung ermöglichen. Am greifbarsten ist in dieser Hinsicht der bereits erwähnte besondere Nähebezug der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zur Grenze und zum Grenzoder Grenzkooperationsraum.221 Die direkte Grenznachbarschaft als Identifizierungsmerkmal hebt übrigens auch das EU-Glossar zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hervor, indem sie dort nicht nur als „transnational“ bezeichnet wird, sondern auch als „nachbarschaftliche Zusammenarbeit“, „vicinity cooperation“ und „coopération de voisinage“.222 Der Verweis auf den Aspekt der Grenznachbarschaft ist jedoch ambivalent, weil er zwar eine weitere inhaltliche Distinktionsmöglichkeit eröffnet, aber nicht unbedingt international anschlussfähig ist und – zumindest in Deutschland – zudem die Gefahr einer missverständlichen Gleichsetzung mit der Terminologie von Artikel 24 Absatz 1 a GG besteht. Auch hier gilt folglich, dass erst eine nähere Betrachtung Aufschluss über die diesbezügliche Aussagekraft des Kriteriums von Raumbezug und Grenznachbarschaft geben kann. a) Der unterschiedliche Raumbezug der grenzüberschreitenden und der interregionalen Zusammenarbeit Unterschiedliche Raumbezüge ermöglichen zunächst vor allem die für regionenzentrierte Ansätze wichtige Differenzierung zwischen (regionaler) grenzüberschreitender Zusammenarbeit und grenzübergreifenden interregionalen Partnerschaften, wobei der Begriff „interregional“ das Fehlen einer direkten geographischen Verbindung sowie oft beträchtliche Entfernungen zwischen den Kooperationspartnern impliziert.223 Interregionale Partner221

Hierzu s. o., dieser Teil, B. I. u. B. II. 2. So Association of European Border Regions/European Commission, Annex D 1: Glossary of Terms, S. 2; ebenso European Parliament: Directorate General for Research (Hrsg.), Cross-border and Inter-regional Cooperation in the European Union, Regional Policy Series, Working Paper W-19 (External Study), Luxemburg 1996, S. 13. 223 Vgl. z. B. Association of European Border Regions/European Commission, Annex D 1: Glossary of Terms, S. 4; Keating (2002), S. 46; Niedobitek, S. 33 f.; 222

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schaften wie diejenige zwischen Hessen, der Emilia-Romagna und der Aquitaine224 oder zwischen den sogenannten „Vier Motoren für Europa“225 – also Baden-Württemberg, Katalonien, Lombardei und Rhône-Alpes – weisen als Reaktion auf die Entfernung zwischen den Beteiligten jeweils eigene Inhalte und Mechanismen auf. So sind sie in besonderer Weise auf den Informationsaustausch und auf die Vertretung aggregierter Positionen gegenüber den europäischen Institutionen ausgerichtet, beispielsweise um eine Sonderförderung für miteinander kooperierende Wissenschafts-, Industrie-, Fischerei- oder Bergbauregionen zu erhalten. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen benachbarten Grenzgebieten kann diese Elemente zwar ebenfalls enthalten, aber sie bezieht sich dabei vordringlich auf den grenznahen Infrastruktur-, Wirtschafts- und Umweltbereich etc., so dass sie in der Regel einen deutlich ausgeprägteren fachlich-konkreten und maßnahmenorientierten Charakter als interregionale Kooperationen annimmt.226 b) Die Abgrenzung der grenzüberschreitenden von der grenznachbarschaftlichen Zusammenarbeit im Sinne des Artikels 24 Absatz 1 a GG Aufgrund des großen Gewichts, das dem Kriterium der Grenznachbarschaft für die Einordnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als Unterfeld der internationalen Beziehungen in Teilen des Schrifttums beigemessen wird, kann es nicht erstaunen, wenn sie dort oft umstandslos auch als „grenznachbarschaftlich“ bezeichnet wird. Bei näherem Hinsehen Sänger, Ralf, Interregionale Zusammenarbeit in der Europäischen Union – Aussagen und Stellungnahmen der bedeutendsten Europäischen Institutionen und Organe, in: Interregiones 6/1997, S. 32 ff. (insbes. S. 34). Für einen empirischen Vergleich von Beispielen grenzüberschreitender und interregionaler Zusammenarbeit unter Beteiligung deutscher Gebietskörperschaften vgl. Raich, S. 101 ff. 224 Vgl. Eißel, Dieter/Grasse, Alexander/Paeschke, Björn/Sänger, Ralf, Interregionale Zusammenarbeit in der EU: Analysen zur Partnerschaft zwischen Hessen, der Emilia-Romagna und der Aquitaine, Opladen 1999, insbes. S. 24. 225 Vgl. nur Borrás, Susana, The „Four Motors for Europe“ and its Promotion of R&D Linkages: Beyond Geographical Contiguity in Interregional Agreements, in: Regional Politics & Policy 3/1993, S. 163 ff.; Clostermeyer, Claus-Peter, Die Europapolitik Baden-Württembergs, in: Fischer, Thomas/Frech, Siegfried (Hrsg.), BadenWürttemberg und seine Partnerregionen, Stuttgart 2001, S. 35 ff. (S. 40 f.); Kukawka, Pierre, Le Quadrige européen (Bade-Wurtemberg, Catalogne, Lombardie, Rhône-Alpes) ou l’Europe par les régions, in: Balme, Richard (Hrsg.), Les politiques du néo-régionalisme: Action collective régionale et globalisation, Paris 1996, S. 92 ff. 226 Vgl. dazu auch European Parliament: Directorate General for Research, S. 15 ff.; S. 38 ff.; Hrbek/Weyand, S. 43 ff.

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erweist sich dieser zweite Terminus jedoch als „zwar rein sprachlich weniger ‚farblos‘, aber auch [als] weniger offen und neutral“.227 Zum einen bestehen Zweifel an der internationalen Anschlussfähigkeit des Begriffs, der sich sprachlich nicht hinreichend von den „relations internationales de voisinage“228 der französischen Völkerrechtsdoktrin beziehungsweise von den allgemein dem Feld der internationalen Beziehungen zugewiesenen „relaciones de vecindad“229 in der spanischen Literatur unterscheiden lässt. In beiden Fällen sind jedoch ausschließlich grenzüberschreitende Beziehungen zwischen Staaten gemeint, die „tous les rapports entre deux Etats qui ont leur source directe dans le fait que les territoires de ces Etats sont contigus“ umfassen.230 Zum anderen ist „grenznachbarschaftlich“ mit der Einfügung des Artikels 24 Absatz 1 a GG in Deutschland zu einem Rechtsbegriff mit einem speziellen Bedeutungsgehalt avanciert. In Ergänzung zu Artikel 24 Absatz 1 GG, der sich auf zwischenstaatliche Einrichtungen bezieht,231 sind damit wiederum nur grenzübergreifende regionale und – vermittelt über die deutschen Länder – kommunale Kooperationen gemeint. Im Sinne des Artikels 24 Absatz 1 a GG setzt eine grenznachbarschaftliche Kooperation zudem alleine die Existenz einer Grenze zwischen den Partnern voraus, nicht aber deren räumliche Berührung noch anderweitig fassbare Nähekriterien.232 227

So Niedobitek, S. 31, m. w. N. Vgl. dazu grundlegend Andrassy, Juraj, Les relations internationales de voisinage, in: Académie de Droit International (Hrsg.), Recueil des Cours, Bd. 79, II, Paris 1951, S. 77 ff. 229 Vgl. dazu z. B. Castaño García, Isabel/González, Paloma/Sotillo, José Angel, Las relaciones de vecindad y su incidencia en la política exterior hispano-francesa, in: Arenal, Celestino del (Hrsg.), Las relaciones de vecindad, IX Jornadas, Asociación Española de Profesores de Derecho Internacional y Relaciones Internacionales, Bilbao 1987, S. 103 ff. (S. 104). 230 Andrassy, S. 78; ebenso Fernández de Casadevante Romani, Carlos, Las comisiones fronterizas en las relaciones de vecindad hispano-francesas, in: Arenal, Celestino del (Hrsg.), Las relaciones de vecindad, IX Jornadas, Asociación Española de Profesores de Derecho Internacional y Relaciones Internacionales, Bilbao 1987, S. 177 ff. (S. 179 f., m. w. N.); Remacha Tejada, S. 253 f., m. w. N. 231 Zu den unterschiedlichen Regelungsbereichen von Art. 24 Abs. 1 und Abs. 1a GG vgl. Pernice, Ingolf, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, Tübingen 1998, Artikel 24 (Übertragung und Einschränkung von Hoheitsrechten), Rn. 16 ff., S. 408 ff.; Streinz, Rudolf, in: Sachs, Michael (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, 3. Aufl., München 2003, Art. 24 (Zwischenstaatliche Einrichtungen; kollektives Sicherheitssystem), Rn. 12 ff., S. 976 ff. 232 Vgl. Kotzur, S. 247 f.; Pernice (1998), Art. 24, Rn. 46, S. 420 f.; Schwarze, S. 327 ff.; wohingegen Streinz, Rn. 43, S. 984 f., insofern nicht ganz eindeutig, „die Vertragspartner geographisch auf grenznahe (zumindest in der Regel gemeinsame Staatsgrenze) einschränkt.“ [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. 228

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Der Begriff der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist demgegenüber, wie gesehen, einerseits akteursoffener, indem er auch die zwischenstaatliche und die supranationale Ebene einschließt. Auf der anderen Seite ist er enger auf den Sachverhalt des unmittelbar Benachbartseins von Grenz- oder Grenzkooperationsräumen gerichtet, auf die der Kooperationswille der beteiligten Akteure abstellt und in denen sich die Kooperationsergebnisse räumlich manifestieren. Zu weitgehend wäre allerdings auch hier die Vorstellung, dass innerhalb dieser größeren Räume jeder kleinere gebietskörperschaftliche oder funktionale Aufgabenträger mit dem jeweiligen Partner auf der anderen Seite der Grenze in einer direkten Nachbarschaftsbeziehung stehen müsste. Eine derartig restriktive Interpretation wäre kaum sinnvoll, da ihr nur sehr wenige Anwendungsbeispiele unterfallen würden. Für die Definition grenzüberschreitender Zusammenarbeit muss es insofern ausreichen, wenn eine allgemeine Zugehörigkeit der Beteiligten zu benachbarten Grenz- oder Grenzkooperationsräumen beziehungsweise zu einem größeren, territorial zusammenhängenden Kooperationsverbund233 solcher Raumeinheiten an einer gemeinsamen Staatsgrenze gegeben ist.234 Insgesamt gesehen ist das Nähe- oder Nachbarschaftsattribut daher zwar kein absolutes, jedoch ein zumeist hinlänglich genaues Unterscheidungsmerkmal. In Verbindung mit den jeweils eigenen Raum- und Grenzbezügen anderer grenzübergreifender Aktionsmuster wird es jedenfalls im Regelfall kaum Anlass für inhaltliche Divergenzen bieten. 3. Handlungsbezogene Aspekte Zur genaueren Einordnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit kann neben den räumlichen Kriterien auch die Betrachtung ihrer typischen Handlungsfelder und -formen einen eigenen Beitrag leisten. a) Handlungsfelder Zumindest dem Anspruch nach soll sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit grundsätzlich auf „alle Aspekte des täglichen Lebens in den Grenzregionen“235 erstrecken können, obgleich bislang „theoretisch fun233 Mit diesem Begriff soll insbesondere die multilaterale grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften an einer Staatsgrenze erfasst werden, bei der manche Kooperationspartner nur über die territoriale Vermittlung anderer miteinander in räumlichem Kontakt stehen; vgl. dazu auch Schmitt-Egner (2000), S. 29 f. 234 Ähnlich auch Niedobitek, S. 23 f., m. w. N. 235 Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen/Europäische Kommission, A 2: Bisherige Erfahrungen, S. 12.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

dierte Kategorisierungen von Kooperationsthemen“ noch ausstehen.236 Dennoch lassen sich im Querschnitt verschiedener Zusammenstellungen relativ präzise Schwerpunktsetzungen erkennen, die zuvorderst auf die technischfunktionale Dimension internationaler Beziehungen hindeuten, also auf ihre früher auch als „low politics“ bezeichneten Aspekte.237 Als besondere Aufgabenbereiche der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit werden dabei etwa die Erleichterung des grenzüberschreitenden Verkehrs, die Verbrechensbekämpfung in den Grenzgebieten, die Bewirtschaftung grenzüberschreitender Gewässer, die Abstimmung in der Raumplanung, die Förderung des Umweltschutzes und der wirtschaftlichen Entwicklung sowie Kooperationen in den Sektoren Bildung, Wissenschaft und Daseinsvorsorge genannt.238 Angeführte Praxisbeispiele veranschaulichen regelmäßig den räumlich und inhaltlich beschränkten Anspruch vieler Kooperationen, die sich beispielsweise mit der Planung und dem Betrieb gemeinsamer Kläranlagen und grenzüberschreitender Busverbindungen oder mit der Organisation von Handwerkermessen und Kulturtagen befassen. Dass damit sowohl die alltäglichen Problemlagen als auch die pragmatischkonkreten Strategien grenzüberschreitender Zusammenarbeit offenbar im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben sind, bestätigt eine Erhebung aus dem Jahr 2000, die einen damit übereinstimmenden Situations- und Bedürfnishorizont der Grenzgebiete ausweist.239 Neben diese – in der Praxis vorherrschenden – Aufgaben treten die grenzüberschreitende Zusammenarbeit allgemeiner Art, die nicht von vorneherein themenspezifisch angelegt ist, sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur „Schaffung geeigneter rechtlicher Instrumente“, durch die insbesondere der subnationalen Ebene das Eingehen entsprechender Kooperationen erleichtert werden soll.240 Eine klare Unterscheidung zwischen diesen drei Typen ist allerdings nicht immer möglich, da auch in den letzten beiden Fällen jeweils grenzlagenbedingte Problemkonstellationen, daraus abgeleitete Kooperationserfordernisse und die rechtliche Absicherung der Kooperationsmaßnahmen entsprechende Handlungsnotwendigkeiten begründen, 236

So Blatter (2000), S. 26. Vgl. dazu z. B. Duchacek (1986), S. 219 f., S. 241. 238 So Niedobitek, S. 66 ff., m. w. N.; ähnlich auch schon Kiss, S. 190; Malchus, S. 231 ff. Vergleichbare Aufgabenbeschreibungen finden sich mit unbedeutenden Abweichungen etwa in Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen/Europäische Kommission, Teil C: Beispiele guter Praxis, S. 1 ff.; Council of Europe (1995), S. 24 ff. 239 Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen, Alltägliche Grenzprobleme, o. O., v. 29.05.2000; zugänglich unter: http://www.aebr.net/publikationen/pdfs/allt_ probleme_de.pdf; zuletzt abgerufen: August 2008. 240 Vgl. Niedobitek, S. 95 ff., S. 103 ff. 237

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so dass mittelbar wiederum der technisch-funktionale Aspekt grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Vordergrund steht. Das erklärt auch den großen Stellenwert, der normalerweise administrativen Eliten und Expertennetzwerken in diesem Bereich zukommt, weil nur sie die erforderlichen Fachkenntnisse und technischen Fähigkeiten in sich vereinen und gleichzeitig über privilegierte Zugänge zu politischen Entscheidungsträgern sowie zu finanziellen Ressourcen staatlicher und europäischer Grenzgebietsförderungen verfügen.241 Zugleich ist das Gewicht technisch-funktionaler Komponenten in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein Indiz dafür, dass sie für sich genommen kein geeignetes Instrument ist, um politische Probleme von größerer Tragweite zu lösen. Zur Behebung zwischenstaatlicher Grenzkonflikte, ethno-nationalistischer Spannungen oder gravierender wirtschaftlicher Ungleichgewichte und Konkurrenzen in Grenzgebieten kann sie daher allenfalls einen unterstützenden Beitrag leisten.242 b) Handlungsformen Eine ebenso nüchterne Bestandsaufnahme wie bei den Handlungsfeldern scheint bezüglich der Handlungsformen angebracht zu sein, die in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vorkommen. Zumindest aus rechtswissenschaftlicher Sicht soll dabei das grundlegende Bestimmungsmerkmal, die Zusammenarbeit, weder als Begriff noch als Attribut problematisch sein. Ihm sei nämlich lediglich die Notwendigkeit einer Willenseinigung zwischen mindestens zwei Partnern über die gemeinsame Erledigung einer Aufgabe zu entnehmen, welche über die Staatsgrenze hinausreicht und deren Trennfunktion überwinden will.243 Unter (ver-)handlungstheoretischen Gesichtspunkten ist allerdings schon das Zustandekommen einer solchen Willenseinigung von zahlreichen Voraussetzungen abhängig.244 Das gilt umso mehr, als in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – wie auch sonst ganz überwiegend in den internationalen Beziehungen245 – konsen241

Vgl. z. B. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 78; Groß/SchmittEgner, S. 79. Zur Bedeutung solcher „policy networks“ im Rahmen der INTERREG-Programme vgl. auch Perkmann, S. 661. 242 Vgl. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 93. 243 Ausführlich Niedobitek, S. 11 ff., m. w. N. Vgl. auch Kotzur, S. 38 ff., m. w. N. 244 Vgl. z. B. Scharpf, Fritz W., Interaktionsformen: Akteurzentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Opladen 2000, Kapitel 6: Verhandlungen, S. 197 ff. 245 Unabhängig von freiwilligen völkerrechtlichen Bindungen sind äußere Souveränitätsbeschränkungen vor allem für den Bereich der Menschenrechte und ihrer Durchsetzung anerkannt; vgl. z. B. Schermers, Henry, Different Aspects of Sovereignty, in: Kreijen, Gerard (Hrsg.), State, Sovereignty, and International Governance, Oxford 2002, S. 185 ff.

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suale Entscheidungsmodi zwischen nicht in hierarchischen Abhängigkeiten zueinander stehenden Akteuren dominieren.246 Infolgedessen ist davon auszugehen, dass alle Partner einer geplanten Kooperation für sich einen konkreten Vorteil oder zumindest spätere Kompensationswirkungen vermuten können müssen,247 während wirtschaftliche Konkurrenzsituationen oder befürchtete finanzielle Umleitungseffekte ein Verweigern der Zustimmung bereits im Vorfeld wahrscheinlich machen.248 Auch beim Zustandekommen einer Willenseinigung sind zudem die zu ihrer Umsetzung verfügbaren Handlungsformen zu berücksichtigen, wobei in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit prinzipiell alle in den internationalen Beziehungen üblichen Varianzen zu beobachten sind. Diese reichen „von der gelegentlichen, rein informellen Interaktion über formalisierte Konzertierungsverfahren (z. B. Konsultation und Koordination) bis hin zur unmittelbar rechtsverbindlichen Regelung von Sachfragen in vertraglicher Form“249. Sie sind allerdings nicht allen Akteuren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im gleichen Maß zugänglich, da nur Staaten als Völkerrechtssubjekte uneingeschränkt auf jede dieser Handlungsoptionen zurückgreifen können. Die subnationale Ebene sieht sich hingegen trotz der europaweiten Anstrengungen zur Bereitstellung passender Rechtsrahmen „immer noch durch eine Reihe von Hindernissen und Einschränkungen rechtlicher Natur behindert.“250 Leider fehlen bislang verlässliche Erkenntnisse darüber, welchen Einfluss unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Handlungsformen auf das Zustandekommen, die Inhalte und die Ergebnisse grenzüberschreitender Kooperationen haben. In der Praxis scheinen subnationale Akteure ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit jedoch auch auf komplizierten, bekanntermaßen fragwürdigen oder schlichtweg ungeeigneten Rechtsgrundlagen durchzuführen, wenn sie dies für erforderlich halten.251 Ob das alleine schon die Behauptung rechtfertigt, grenzüberschreitende Zusammenarbeit werde ungeachtet bestehender – also auch rechtlicher Hindernisse – 246

Vgl. Duchacek (1990), S. 25. Vgl. Keating (1998), New Regionalism, S. 181. 248 Vgl. dazu ders. (2002), S. 48; Perkmann, S. 664. 249 So Beyerlin (1988), S. 6; ebenso Blumenwitz, Dieter, Der grenzüberschreitende Regionalismus als mögliches Instrument der Konfliktentschärfung, in: Wissenschaftsrecht, Beiheft 13, 1999, S. 1 ff. (S. 2); Niedobitek, S. 16. 250 So Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen/Europäische Kommission, Teil A 3: Rechtliche Instrumente zur Erleichterung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit, S. 31; vgl. auch ebd., S. 32 ff. 251 Vgl. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 91. Zu den als erstaunlich gering bewerteten Auswirkungen rechtlicher Hindernisse vgl. auch Groß/ Schmitt-Egner, S. 102 f. 247

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generell nicht zu verhindern sein, wenn die Beteiligten einen übergeordneten Nutzen für sich erkennen können,252 ist allerdings zweifelhaft. Sie dürfte auch kaum belegbar sein, da im Umkehrschluss Daten über die Anzahl nicht zustande gekommener Kooperationen und die jeweiligen Hinderungsgründe vorhanden sein müssten, die sich von der Sache her nicht oder nur schwer erheben lassen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass ein Vergleich der verfügbaren mit den tatsächlich verwendeten Handlungsformen im Einzelfall Hinweise auf den Verbindlichkeitsgrad einer grenzüberschreitenden Kooperation und selbst auf die entsprechenden Motivlagen der beteiligten Kooperationspartner ermöglichen kann.253 4. Motivationsbezogene Aspekte Das Entscheidungsverhalten von Akteuren und die Faktoren, die es implizit oder explizit beeinflussen, hängen regelmäßig von einer Vielzahl unterschiedlicher Variablen ab.254 Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit werden sie jedoch ganz überwiegend zwei Motivkomplexen zugeordnet. Die strukturell-funktionalen Akteursmotive sind dabei in der Vermutung von Kooperationsgewinnen oder -vorteilen als einer Voraussetzung von Willenseinigungen bereits angeklungen.255 Schwieriger einzuschätzen ist hingegen die Relevanz politisch-individueller Akteursmotive, die zwar kaum bestritten wird, sich aber oft kaum exakt belegen lässt. a) Strukturell-funktionale Akteursmotivationen In der Literatur zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wird häufig angenommen, dass Kooperationen durch ein Zusammenwirken von „structural factors which may be a combination of technological, economic, cultural and political [as] the driving forces behind these arrangements“ und von funktionalen Akteursmotiven zu Stande kommen.256 Die Bereitschaft zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit wäre demnach vorrangig durch eine Einsicht in strukturell-funktionale Notwendigkeiten zur Errei252

Vgl. Hansen, S. 267. Vgl. z. B. am Beispiel der aktuellen deutschen Staatspraxis Niedobitek, S. 225 ff. 254 Zur Einführung in die Entscheidungstheorie vgl. z. B. Schick, Frederic, Making Choices: A Recasting of Decision Theory, Cambridge 1997, insbes. S. 82 ff., wo es um Entscheidungen in multiakteuriellen Kontexten geht. 255 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 3. b), insbes. zu Fn. 247 f. 256 Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 79; ähnlich auch Duchacek (1990), S. 25; Baud/Schendel, S. 231; Keating (2002), S. 47. 253

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chung gemeinsamer Ziele oder zur Abwehr gemeinsamer Risiken motiviert, wobei diese allerdings durch das Moment der Grenzüberschreitung unweigerlich eine politisch-internationale Dimension gewinnen. Das wird besonders deutlich in den Fällen, in denen eher technische Kooperationsprojekte subnationaler Akteure nicht das politische Einverständnis der jeweiligen staatlichen Regierungen finden und infolgedessen scheitern beziehungsweise bestenfalls konfliktbehaftete und suboptimale Ergebnisse erzielen.257 Der Erfolg grenzüberschreitender Zusammenarbeit beruht also nicht nur auf strukturell-funktionalen Logiken, sondern auch auf den politischen Rahmenbedingungen und den politisch-individuellen Motivlagen der direkt oder indirekt beteiligten Akteure.258 b) Politisch-individuelle Akteursmotivationen Für das Zustandekommen einer grenzüberschreitenden Kooperation wird der Initiative und dem kontinuierlichen Engagement einzelner institutioneller Akteure oder individueller Führungspersönlichkeiten generell eine herausragende Bedeutung beigemessen.259 Dabei sind jedoch insbesondere die tieferliegenden Akteursmotive, die „als Beweggründe des Verhaltens, die im Menschen liegen, angesehen werden können“,260 meist nur schwer zu eruieren. Gerade für den subnationalen Bereich wird aber ein verbreitetes „desire of regional politicians to project themselves on a wider stage, or to escape the restrictions of national politics“ zumindest vermutet.261 Völlig ungesichert ist indes, inwieweit daneben auch regional-integrative Beweggründe eine Rolle spielen, die – wie etwa vom „Transnationalen Regionalismus“ zum Teil vorausgesetzt262 – auf die Wiederherstellung eines ursprünglich ungeteilten grenzübergreifenden Raumes abzielen.263 Derartige Ungewissheiten sollten aber jedenfalls nicht dazu verleiten, die Relevanz personeller Komponenten und politisch-individueller Akteursmoti257

Vgl. Anderson (1998), Transfrontier Co-operation, S. 92; Keating (2002),

S. 50. 258

Vgl. Keating (1998), New Regionalism, S. 181. Vgl. z. B. Albert/Brock, S. 91; Cappellin, S. 14; Duchacek (1990), S. 20. 260 So Rosenstiel, Lutz von/Regnet, Erika/Domsch, Michael (Hrsg.), Führung von Mitarbeitern: Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement, 5., überarb. Aufl., Stuttgart 2003, S. 197. 261 Keating (1998), New Regionalism, S. 182. Hierzu s. auch o., dieser Teil, A. II. 3., insbes. zu Fn. 54. 262 Vgl. Schmitt-Egner (1996), S. 17; modifizierend ders. (2000), S. 524 f. 263 Zur Zurückhaltung mahnt hier die Einschätzung, dass in der (regionalen) grenzüberschreitenden Zusammenarbeit allenfalls „some integrating elements [. . .] but in rather weak doses“ zu erkennen seien; so Duchacek (1990), S. 25. 259

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vationen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gering zu achten. Ihr Einfluss wird zum einen in der Instabilität vieler Kooperationen sichtbar, bei denen das Ausscheiden oder plötzliche Desinteresse von Schlüsselpersonen zu einer Stagnation und selbst zu einem Abbruch führen kann.264 An Erklärungskraft gewinnen sie zum anderen durch den häufig netzwerkartigen Charakter grenzüberschreitender Zusammenarbeit, der Akteurskonstellationen und -antrieben potentiell ein größeres Gewicht als in organisatorisch-institutionell gefestigteren Kontexten verleiht.265 Gerade die „zusammengesetzten“ Ergebnisse solcher Netzwerk-Kooperationen machen es allerdings oft besonders schwer, über die übliche Herleitung aus dem beobachtbaren Verhalten zu konkreten Rückschlüssen auf einzelne Akteursmotive zu gelangen:266 „Taking together the loosely coupled interaction patterns, the considerable number of participating actors and the broadly defined policy objectives, the outcome of CBC [Cross-border co-operation] governance has to be seen as a compounded effect rather than as the realization of deliberative strategies.“267

5. Merkmale grenzüberschreitender Zusammenarbeit: Versuch einer Konklusion Da es letztlich fast ebenso viele Definitionsbemühungen wie Arbeiten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gibt, die angesichts der Vielfalt des Gegenstandes auch jeweils zutreffen mögen, soll hier stattdessen eine nur tentative Konklusion versucht werden. Demnach erweist sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Diversität ihrer akteurs-, raum-, handlungs- und motivationsbezogenen Merkmale als eine eigenständige Unterform der internationalen Beziehungen. In ihrem Akteurspluralismus widersetzt sie sich grundsätzlich allen diesbezüglichen Differenzierungsversuchen, soweit diese einen Generalisierungs- beziehungsweise Ausschließlichkeitsanspruch erheben. Innerhalb der internationalen Beziehungen ist sie gegenüber anderen grenzübergreifenden Aktionsmustern vor allem durch einen besonderen Nähebezug zur Staatsgrenze und zum Grenz- oder Grenzkooperationsraum gekennzeichnet, wobei sie aus Gründen der internationalen Anschlussfähigkeit und des spezifischen Bedeutungsgehalts von Arti264

Vgl. Keating (2002), S. 50. Für theoretische Überlegungen zum Netzwerkcharakter (regionaler) grenzüberschreitender Zusammenarbeit vgl. z. B. Beck, Netzwerke, S. 38 ff., insbes. S. 49 ff. In der Überprüfung am Beispiel des PAMINA-Raums kommt er allerdings zu kritischen Ergebnissen bezüglich der abnehmenden Steuerungs- und Koordinationsfunktion zumindest dieses Netzwerks; vgl. ebd., S. 279 ff. 266 Dazu vgl. z. B. Rosenstiel/Regnet/Domsch, S. 196. 267 Perkmann, S. 665. 265

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

kel 24 Absatz 1 a GG aber nicht als „grenznachbarschaftlich“ bezeichnet werden sollte. Ihre schwerpunktmäßigen Handlungsfelder sind, soweit sich das erkennen lässt, bislang überwiegend technisch-funktionaler Natur, entwickeln aufgrund der Grenzüberschreitung jedoch notwendigerweise immer auch eine politisch-internationale Dimension. Daraus ergeben sich zahlreiche Unwägbarkeiten für die praktische Durchführung ebenso wie für die wissenschaftliche Untersuchung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, wobei weder die bestehenden Umfeldbedingungen noch die verfügbaren Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen oder die Handlungsmotivationen, -präferenzen und -restriktionen beteiligter Akteure vernachlässigt werden dürfen. Zu beachten ist ferner, dass der Großteil aller bisherigen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen auf einer zeitlich sehr limitierten Basis beruht und daher keine gesicherten Aussagen zu historischen Grundlagen, Entwicklungslinien und Veränderungen grenzüberschreitender Zusammenarbeit zulassen. Damit fehlt es an einem zentralen Kriterium, ohne das die Einordnung grenzüberschreitender Zusammenarbeit in größere Zusammenhänge und letztlich auch fundierte Theoriebeiträge nicht möglich sind.

IV. Zwischenergebnis zu Teil 1, B. Die bisherigen Ausführungen zur Begriffstrias der Grenze, des Grenzoder Grenzkooperationsraums und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sollten in erster Linie deutlich gemacht haben, dass jedes dieser Elemente voraussetzungsvoll, kontextabhängig und daher monokausal nicht erklärbar ist. Dadurch mag ein Eindruck der Unübersichtlichkeit und vielleicht sogar der Unschlüssigkeit gegenüber dem eigenen Untersuchungsgegenstand entstanden sein. Für ein weltumspannendes, aber selbst im europäischen Kontext nur sehr unvollständig aufgearbeitetes, multidisziplinäres und insgesamt noch junges Forschungsfeld wäre ein anderslautender Befund jedoch letztlich viel erstaunlicher und ließe schwer zu rechtfertigende (Selbst-)Gewissheiten vermuten. Insofern verbindet sich mit dieser Diagnose auch keinesfalls Resignation, sondern die Forderung nach weiteren Forschungsbemühungen, um hergebrachte disziplinäre Vorannahmen zu hinterfragen und auf ihre spezifische Verwendbarkeit für eine umfassendere Untersuchung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu überprüfen. Wie am Beispiel der Grenze und der ihr abstrakt zugeschriebenen Funktionen gezeigt wurde, dürfen dabei selbst scheinbar gefestigte Wissensbestände nicht ausgespart bleiben. Eine kritische Herangehensweise ist hier auch deswegen vonnöten, weil das jeweilige Vorverständnis, das der Grenze als zentralem Bezugspunkt des Forschungsfeldes unterlegt wird, seinerseits die Sicht auf den Grenzraum sowie auf Sinn und Nutzen grenzüberschreitender Zusammenarbeit determiniert.

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen

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Mit der tieferliegenden Problematik von Übertragungen aus anderen Wissenschafts- und Theoriekontexten, die damit angesprochen ist, muss sich zweifellos nicht alleine die Forschung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auseinandersetzen. Sie sieht sich dazu jedoch in besonderer Weise aufgefordert, weil ihre Wissensbasis in der räumlichen, der inhaltlichen und der zeitlichen Dimension noch so begrenzt ist, dass sie kaum über die Schutzmechanismen etablierter Forschungszweige gegenüber möglicherweise gegenstandsverzerrenden Interpretationen verfügt. Das daraus resultierende Gebot, vermehrt Fragen zu stellen, muss im Verständnis von deren „hermeneutischem Vorrang“268 aber keinesfalls als Nachteil gelten, sondern kann idealerweise neue Facetten zu so vieldiskutierten Konzepten wie dem Staat, seinen Grenzen und dem Umgang mit ihnen beitragen: „Gegen die Festigkeit der Meinungen bringt das Fragen die Sache mit ihren Möglichkeiten in die Schwebe. Wer die ‚Kunst‘ des Fragens besitzt, ist einer, der sich gegen das Niedergehaltenwerden des Fragens durch die herrschende Meinung zu wehren weiß.“269

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen der Untersuchung Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung leitet sich unmittelbar aus Lücken und Unsicherheiten ab, die in der bisherigen Darstellung aktueller Forschungstendenzen und zentraler Begrifflichkeiten für das Politikfeld der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sichtbar geworden sind. Sie legen bestimmte Forschungsfragen nahe, auf die wiederum ein geeignetes Methodendesign abgestimmt werden muss. An diesen Bezugsgrößen kann sich die Auswahl eines Untersuchungsgegenstands im engeren Sinn orientieren, an dem die aufgeworfenen Fragestellungen empirisch, also durch Beobachtung an der Wirklichkeit, und, soweit dies überhaupt möglich ist, ohne normative Vorprägung analysiert werden sollen.270 Dabei ergeben sich aus der Verbindung von Erkenntnisinteresse, Forschungsfragen, Methodik und konkretem Studienobjekt bereits im Vorfeld gewisse Erkenntniserwartungen beziehungsweise -hoffnungen, die sich in erster Linie auf die heuristische, aber auch auf die potentiell hypothesengenerierende Aussagekraft der Untersuchung beziehen.

268

Vgl. die entsprechende Kapitelüberschrift bei Gadamer, S. 368. Ebd., S. 373. 270 Zu diesem Verständnis des Empiriebegriffs vgl. Nohlen, Dieter, Empirisch, in: ders./Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft: Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 1: A–M, 2., akt. u. erw. Aufl., München 2004, S. 175 (ebd.). 269

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

I. Erkenntnisinteresse und Methodik 1. Erkenntnisinteresse Arbeiten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sind schon von ihrer Thematik her prinzipiell vergleichend angelegt, indem mindestens zwei, durch eine Staatsgrenze getrennte Systeme mit Blick auf eine zu erklärende Variable, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen ihnen, in Beziehung gesetzt werden. Während die Komparatistik sowohl den synchronen (horizontalen, zeitgleichen) als auch den diachronen (longitudinalen, zeitverschiedenen) Vergleich kennt,271 fällt auf, dass in der Forschung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bislang nur die erste dieser beiden Varianten vertreten ist. Durch die Fokussierung auf regionale Akteure und, im europäischen Fall, auf die Wirkungen der dortigen Integrationsprozesse ist damit lediglich ein die letzten fünfzig bis sechzig Jahre umfassender Zeitraum näher bearbeitet worden.272 Ein systematischer diachroner Vergleich beziehungsweise eine Längsschnittstudie zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit fehlt hingegen selbst für ansonsten intensiv erforschte Kooperationsgebiete.273 Soweit historische Aspekte überhaupt Erwähnung finden, greifen sie für die Politikwissenschaft nicht weiter als in das 19. Jahrhundert zurück274 oder beschränken sich für die Rechtswissenschaft auf eine „allgemeine Skizze historischer ‚Vorbilder‘.“275 Die jahrhundertealte Existenz grenzüberschreitender Zusammenarbeit ist in diesen Disziplinen somit zwar in Ansätzen bekannt, wird als Faktum in der gegenwartskonzentrierten Diskussion aber vernachlässigt. Allerdings standen sie damit bis in die allerjüngste Zeit nicht alleine, weil selbst die Geschichtswissenschaft die historische Komplexität der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und ihren weit über Einzelfälle hinausreichenden Verbreitungsgrad lange nicht wahrgenommen hat: „Der staatslastigen Geschichte der Internationalen Beziehungen galten sie [. . .] bisher bestenfalls als Episoden, und von Regionalhistorikern wurden sie mangels 271 Zur vergleichenden Methode vgl. grundlegend Nohlen (1994), Vergleichende Methode, S. 507 ff., m. w. N. 272 Hierzu s. o., dieser Teil, A. II. 4. c), insbes. zu Fn. 79. 273 Vgl. Blatter, Joachim, Netzwerkstruktur, Handlungslogik und politische Räume: Institutionenwandel in europäischen und nordamerikanischen Grenzregionen, in: Politische Vierteljahresschrift 2/2001, S. 193 ff. (S. 197). 274 Hierzu s. auch o., dieser Teil, A. II. 4. c), insbes. zu Fn. 86. 275 So die entsprechende Kapitelüberschrift bei Kotzur, S. 110; zu Recht, aber ansonsten kaum vertiefend, geht er davon aus, dass „[e]inzelne Regelungen staatenübergreifender Zusammenarbeit, sei es mit oder ohne konkretem Grenzbezug, in Europa bis ins Mittelalter zurück[reichen]“; ebd., S. 111. Hierzu s. auch u., Teil 2, insbes. B. III.

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen

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vergleichender Perspektive als Besonderheiten der ihnen vertrauten Gegend abgehandelt.“276

Während sich hier immerhin ein langsamer Wandel abzuzeichnen beginnt,277 haben die Politik- und die Rechtswissenschaft diese Entwicklung bisher weder registriert noch für sich als eigene Notwendigkeit nachvollzogen, so dass sie sich weiterhin der Gefahr aussetzen, im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit oft unhinterfragten und eventuell nur zeitbedingten Annahmen zu arbeiten beziehungsweise zu ahistorischen Einschätzungen zu gelangen. Gerade die Politikwissenschaft, die sich nie „den gleichen Grad der Enthistorisierung leisten [konnte] wie die Nachbardisziplinen“278, ist jedoch zur Vorklärung ihrer eigenen Fragestellungen sowie zur Fundierung ihrer Aussagen auf entsprechendes Hintergrundwissen angewiesen.279 Das gilt insbesondere dann, wenn sie den Fehler vermeiden will, aufgrund enger zeitlicher Sequenzierungen unhaltbare Hypothesen über mögliche Kausalitäten von Prozessen aufzustellen, welche sich tatsächlich über einen viel längeren Zeitraum entwickelt haben.280 Damit ist die Aufgabenstellung der vorliegenden Untersuchung in ihrem Kerngehalt bereits formuliert: Gefordert ist eine Längsschnittstudie, die aus einer politikwissenschaftlichen Position heraus Aussagen über die historische Dimension grenzüberschreitender Zusammenarbeit anstrebt.281 Angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes muss dabei notwendigerweise der heuristische Erkenntnisgewinn im Mittelpunkt stehen. In diesem allgemeinen Rahmen soll jedoch als Reaktion auf die bisherige politikwissenschaftliche Diskussion insbesondere auch die Frage nach der diesbezüglichen Rolle des Staates gestellt werden, dessen Handeln eine regionenzentrierte Forschung nicht nur für die Gegenwart vernachlässigt, sondern für die Vergangenheit mehr oder weniger pauschal in die Kritik gestellt hat.282 276

Windler, Christian, Außenbeziehungen vor Ort: Zwischen „großer Strategie“ und Privileg, in: Historische Zeitschrift 3/2005, S. 593 ff (S. 600). 277 Hierzu s. auch o., dieser Teil, A. II. 4. c), insbes. zu Fn. 89. 278 Beyme, Klaus von, Die antagonistische Partnerschaft: Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft, in: Osterhammel, Jürgen/Langewiesche, Dieter/Nolte, Paul (Hrsg.), Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2006, S. 33 ff. (S. 37). 279 Vgl. ebd., S. 41. Zu den zahlreichen Verbindungspunkten politik- und geschichtswissenschaftlicher Forschung vgl. aus der Perspektive letzterer auch schon Bergmann, Jürgen/Megerle, Klaus/Steinbach, Peter, Einleitung: Aspekte politologisch orientierter Geschichtswissenschaft, in: dies. (Hrsg.), Geschichte als politische Wissenschaft: Sozialökonomische Ansätze, Analyse politikhistorischer Phänomene, politologische Fragestellungen in der Geschichte, Stuttgart 1979, S. 11 ff. 280 Vgl. ausführlich Pierson, Paul, Politics in Time, Princeton/Oxford 2004, z. B. S. 14 ff., S. 101 ff. 281 Hierzu s. auch o., dieser Teil, A. II. 4. c). 282 Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. II. 2., insbes. zu Fn. 166.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

Das Hauptaugenmerk der Analyse richtet sich demzufolge auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und – als deren unabdingbare Voraussetzung283 – auf die Grenze, die in der historischen Entwicklung und unter spezieller Berücksichtigung staatlicher Einflüsse mit dem Ziel untersucht werden sollen, die politikwissenschaftliche Debatte um diese bislang noch kaum beachteten Aspekte zu ergänzen. 2. Methodik und Quellenproblematik Ein solches Unterfangen kann wegen seines weitgehenden Pioniercharakters nicht auf aggregierte Datenmengen zurückgreifen, wie sie etwa für eine quantitativ-statistische Studie erforderlich wären. Es ist insoweit von vorneherein als qualitative Untersuchung angelegt,284 die in Form einer das Thema zunächst explorierenden Fallstudie durchgeführt werden soll. Indem sie in die Tiefe statt in die Breite geht, ist eine solche Fallstudie besonders geeignet, eine diachrone Analyse vorzunehmen (sogenannte „longitudinal rationale“) und/oder einen Beitrag zur Aufbereitung noch unzureichend erforschter Wissensgebiete zu leisten (sogenannte „revelatory rationale“).285 Sie ist darüber hinaus nicht notwendigerweise auf eine rein explorative Funktion beschränkt, sondern kann auch als „instrumental case study“286 konzipiert sein. Die am Einzelfall gewonnenen Erkenntnisse werden dann als instrumentelle Voraussetzung für die Ausbildung explikativer Funktionen verstanden, die idealerweise von dem bloßen Einzelphänomen hinweg führen, etwa indem sie durch Hypothesenbildung die wissenschaftliche Debatte befördern.287 Dem Typus der hypothesengenerierenden Fallstudie, der anhand von empirisch-deduktiv gewonnenen Erkenntnissen Generalisierungen hervorbringen will, die von anderen herangezogen und getestet werden 283

Hierzu s. auch o., dieser Teil, B., insbes. zu Fn. 100 ff. Zur Berechtigung qualitativer Forschungsansätze vgl. nur Denzin, Norman K./ Lincoln, Yvonna S., Introduction: Entering the Field of Qualitative Research, in: dies. (Hrsg.), Handbook of Qualitative Research, Thousand Oaks u. a. 1994, S. 1 ff. (insbes. S. 4 ff.). 285 Vgl. Yin, Robert K., Case Study Research, 3. Aufl., Thousand Oaks u. a. 2003, S. 42. 286 Dazu vgl. Stake, Robert E., Case Studies, in: Denzin, Norman K./Lincoln, Yvonna S. (Hrsg.), Handbook of Qualitative Research, Thousand Oaks u. a. 1994, S. 236 ff. (S. 237). 287 Zur Verbindung explorativer und explikativer beziehungsweise intrinsischer und instrumenteller Funktionen von Fallstudien vgl. Gabrielian, Vatche, Qualitative Research Methods: An Overview, in: Miller, Gerald J./Whicker, Marcia L. (Hrsg.), Handbook of Research Methods in Public Administration, New York u. a. 1999, S. 167 ff. (S. 183); Stake, S. 237. 284

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen

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können, wird dabei in der vergleichenden Forschung ein hoher Wert attestiert.288 Lediglich in einer Hinsicht kann die Verbindung von explorativer und explikativer Funktion problematisch sein: Aufgrund mangelnder Vergleichswerte ist aus der explorativen Fallstudie heraus nicht zu klären, ob es sich bei dem konkret ausgewählten Analysefall möglicherweise um einen „deviant case“ handelt, der von der sonst vielleicht vorherrschenden Norm abweicht.289 Die Frage, ob und inwieweit die an einem Einzelfall erarbeitete historische Dimension von Grenze und grenzüberschreitender Zusammenarbeit weiterreichende Entsprechungen findet und einen substantiellen Theoriebeitrag leisten kann, müssen daher nachfolgende Untersuchungen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung jeweils für sich beantworten. Auch einem „deviant case“ wäre allerdings aus Sicht der Komparatistik eine wichtige Aussage- und Ertragskraft zuzubilligen, weil er zusätzliche Variablen einführt und zur Überprüfung bestehender Definitionsversuche auffordert.290 Im Ergebnis entspricht eine explorative Fallstudie daher sowohl dem gegenwärtig unbefriedigenden Forschungsstand als auch dem Erkenntnisinteresse und dem wissenschaftlichen Anliegen der vorliegenden Untersuchung, wobei die Entscheidung für ein Studienobjekt noch nicht notwendig eine bestimmte Analysemethode vorschreibt.291 Eine Längsschnittstudie, mit der die Entwicklung von Grenze und grenzüberschreitender Zusammenarbeit möglichst weit zurückverfolgt werden soll, kann aber naturgemäß nicht streng empirisch im Sinne einer Aggregatdaten-, Umfragedaten- oder (primärerhebenden) Inhaltsanalyse sein.292 Ebenfalls ausgeschlossen ist eine Expertenbefragung, wie sie für eine kontemporäre Netzwerkanalyse geeignet wäre.293 288 Vgl. Lijphart, Arend, Comparative Politics and the Comparative Method, in: American Political Science Review 1971, S. 682 ff. (S. 692). 289 Zu „deviant cases“ vgl. Nohlen, Dieter, Fallstudie, in: ders. (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 2: Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994, S. 128 f. 290 Vgl. Lijphart, S. 692. 291 Zur Unterscheidung von „Studienobjekt“ und „Analysemethode“ bei Fallstudien vgl. Stake, S. 236. Zum Teil wird die Fallstudie aber auch als eigenständige „research method“ oder „research strategy“ aufgefasst, vgl. z. B. Yin, S. 1, S. 2 ff. 292 Vgl. Alemann, Ulrich von/Tönnesmann, Wolfgang, Grundriss: Methoden in der Politikwissenschaft, in: Alemann, Ulrich von (Hrsg.), Politikwissenschaftliche Methoden: Grundriss für Studium und Forschung, Opladen 1995, S. 17 ff. (insbes. S. 25 ff., S. 28 ff.). 293 Zu Einsatzmöglichkeiten und Grenzen von Experteninterviews vgl. z. B. Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang, Das theoriegenerierende Experteninterview, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hrsg.), Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung, 2. Aufl., Wiesbaden 2005, S. 33 ff.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

Von der Sache her bleibt der angestrebte diachrone Vergleich daher auf die Auswertung von Primär- und Sekundärtexten angewiesen, womit er als „empiriebasiert“ charakterisiert ist.294 Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive kann dabei sicherlich weder eine abschließende Quellensammlung noch eine erschöpfende Quellenexegese in der Tradition der älteren geschichtswissenschaftlichen Methode beabsichtigt sein.295 Anstelle einer möglichst ausführlichen Detailanalyse muss vielmehr die Identifizierung der maßgeblichen politischen, sozio-ökonomischen und rechtlichen Einflüsse, Akteurskonstellationen und sonstiger relevanter Variablen im Vordergrund stehen, um in der zeitlichen Dimension – der von der Politikwissenschaft oft zu wenig beachteten politemps296 – Aussagen über Ursachen, Kontinuitäten und Diskontinuitäten politischen Handelns oder über die Angemessenheit institutioneller Arrangements mit Blick auf die Grenze und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit treffen zu können. In dieser als qualitativhistorisch zu bezeichnenden Ausrichtung ist die vorliegende Arbeit ebenso wie in ihrer Fallbezogenheit und ihrem inhärent komparativen Ansatz somit in erster Linie der historisch-empirischen Methode der Politikwissenschaft verhaftet.297 Der „vortheoretische“, den Weg für Generalisierungen erst bereitende Anspruch dieser Methode stimmt mit der begrenzten Verallgemeinerungskraft empiriebasierter Fallstudien überein298 und weist zudem die von der Komparatisitik angemahnte Verbindung von Fallstudie und – hier diachronem – Vergleich auf.299 Die vorliegende Untersuchung geht somit von einer insgesamt abgestimmten Methodik aus, die mit der Auswahl eines konkreten Fallbeispiels zur Anwendung gebracht werden kann.

294

Vgl. Alemann/Tönnesmann, S. 25 f., S. 27. Zur Quellenarbeit in der Geschichtswissenschaft vgl. z. B. Howell, Martha/ Prevenier, Walter, Werkstatt des Historikers, Köln u. a. 2004, S. 24 ff. Zur „historischen Methode“ in der Geschichts- und in der Politikwissenschaft vgl. auch Alemann/Tönnesmann, S. 35. 296 Zu diesem Begriff, welcher der formalen („polity“), der inhaltlichen („policy“) und der prozessualen („politics“) Dimension von Politik den zeitlichen Aspekt hinzufügt, vgl. Böhret, Carl, Politikfunktionen während der transindustriellen (R)evolution, Speyerer Vorträge, Heft 63, Speyer 2001, S. 13. 297 Dazu vgl. Nohlen, Dieter, Historisch-empirisch, in: ders./Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft: Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 1: A–M, 2.; akt. u. erw. Aufl., München 2004, S. 328 f. (ebd.). 298 Vgl. Alemann/Tönnesmann, S. 27. In dem Zusammenhang sei auch Carl Böhret für konkretisierende Hinweise gedankt [Anm. d. Verf.]. 299 Vgl. Lijphart, S. 691. 295

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen

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II. Fallbeispiel und Erkenntniserwartungen 1. Das Fallbeispiel: Grenze und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum Eine Längsschnittstudie zur Grenze und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit muss auf Datenmaterial aufbauen können, das die einigermaßen durchgängige Rekonstruktion eines Zeitablaufs von einer möglichst weit zurückliegenden Vergangenheit bis zu einem Zeitpunkt mit Gegenwartsbezug zulässt. Dabei kann zunächst grob vorausgesetzt werden, dass häufige oder besonders radikale Grenzänderungen, die in der Regel schwere politische und/oder militärische Auseinandersetzungen anzeigen, negative Auswirkungen auf bestehende grenzübergreifende Kontakte haben müssen und sich wahrscheinlich in Dokumentationsbrüchen niederschlagen werden. Im Gegensatz dazu steht zu vermuten, dass die Aussicht auf eine Kooperations- und damit auch auf eine Überlieferungskontinuität mit dem Alter und vor allem mit der langfristigen Stabilität einer Grenze ansteigen dürfte. Beim Versuch, diese Annahmen im europäischen Kontext zu überprüfen, stößt man jedoch allenfalls auf die strukturell schwer vergleichbaren, weil territoriumsübergreifenden Städte- und Handelsbündnisse des Mittelalters, die lange untergegangen sind. Oder es wird auf die in Folge der Wiener Schlussakte von 1815 entstandenen internationalen Flusskommissionen verwiesen, die wie die Rheinkommission für den deutsch-französisch-schweizerischen Grenzfluss zwar noch existieren, aber zum einen sehr spezifische Aufgaben wahrnehmen und zum anderen keine Erkenntnisse für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert vermitteln können.300 Dieses magere Ergebnis wird kaum überzeugen können, wenn die angesichts der dualen Natur von Grenzen durchaus plausible Feststellung zutreffen soll, dass es grenzüberschreitende Beziehungen zwischen benachbarten Gebieten notwendigerweise seit den vielzitierten „temps immémoriaux“ gegeben haben muss.301 Tatsächlich dürfte es eher einer (noch?) unzureichenden Quellenaufarbeitung oder mangelnder wissenschaftlicher Beachtung geschuldet sein, denn die prinzipielle Richtigkeit der oben angestellten Überlegungen lässt sich zumindest für eine europäische Grenze eindrucksvoll bestätigen. Dabei handelt es sich um die französisch-spanische Pyrenäengrenze, die als eine der ältesten und gleichzeitig als eine der beständigsten Staatsgrenzen überhaupt gilt.302 Makro- beziehungsweise mesoperspekti300 Vgl. z. B. Kotzur, S. 111 f., m. w. N. Hierzu s. auch o., dieser Teil, A. II. 4. c), insbes. zu Fn. 83 ff. 301 So Andrassy, S. 77. Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. I.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

visch hat sich ihr Verlauf seit dem früh-völkerrechtlichen Pyrenäenvertrag von 1659 weder durch staatlich noch durch regional bedeutsame Gebietsabtretungen wesentlich verändert. Gleichzeitig lassen sich hier vor-völkerrechtliche Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit – die nach 1659 eine Verlängerung bis in die Gegenwart gefunden haben – seit dem 12. Jahrhundert nachweisen.303 Im Vergleich mit den grenzübergreifenden mittelalterlichen Bündnissen oder mit den spezialisierten Flusskommissionen des 19. Jahrhunderts ist damit eine ungleich größere zeitliche Kontinuität gegeben, die im Sinn des Forschungsanliegens der vorliegenden Untersuchung ein besonderes Lernpotential verheißt. Dieses sollte bei der Auswahl eines konkreten Fallbeispiels übrigens grundsätzlich von größerer Bedeutung sein als die beim derzeitigen Kenntnisstand sowieso nicht zuverlässig zu beantwortende Frage von dessen möglicher Repräsentativität.304 Dass sowohl ihr Alter als auch die vorhandenen Textquellen die Pyrenäengrenze als Studienobjekt für die Entwicklung von Grenzen und grenzüberschreitender Zusammenarbeit prädestinieren könnten, ist schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts erkannt worden.305 Anstelle des ansonsten häufig zu beobachtenden Problems der „Selektivität der Quellenüberlieferung“306, das in diesem Fall einigermaßen kontrollierbar erscheint, sieht sich eine politikwissenschaftliche Untersuchung des geplanten Zuschnitts insoweit eher mit der erschwerten Zugänglichkeit historischer Primärquellen sowie mit der Disparität der fast auschließlich aus anderen Fachkontexten stammenden Sekundärquellen konfrontiert. Denn die überwiegend französische und spanische, manchmal auch englisch- und nur seltenst deutschsprachige Literatur zum Pyrenäenraum konzentriert sich in Abhängigkeit von der disziplinären Ausrichtung und dem konkreten Forschungsinteresse regelmäßig auf ausgewählte rechtliche, ökonomische, 302

Vgl. Gómez-Ibáñez, Daniel Alexander, The Western Pyrenees: Differential Evolution of the Frensh and Spanish Borderland, Oxford 1975, S. 43; Sahlins, Peter, Boundaries: The Making of France and Spain in the Pyrenees, Berkeley u. a. 1989, S. 1, S. 29. 303 Vgl. z. B. Lafourcade, Maïté, La frontière franco-espagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, in: dies. (Hrsg.), La frontière franco-espagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, Actes de la journée d’étude du 16 novembre 1996, Bordeaux 1998, S. 1 ff. (S. 11, m. w. N.). Hierzu s. auch u., Teil 2, B. III. 1. 304 Dazu vgl. Stake, S. 243. Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 2., insbes. zu Fn. 289 f. 305 Vgl. Descheemaeker, Jacques, Une frontière inconnue: Les Pyrénées de l’océan à l’Aragon, in: Revue Générale de Droit International Public, Bd. 49, Vol. II, 1941–1945, S. 239 ff. (S. 239). 306 Herbst, Ludolf, Komplexität und Chaos: Grundzüge einer Theorie der Geschichte, München 2004, S. 37. Auch Selektionsentscheidungen durch den Forscher selbst müssen beachtet werden; vgl. ebd., S. 39 ff.

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen

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soziale, kulturelle, geographische oder lokalgeschichtliche Phänomene, die überdies aus inhaltlich, räumlich und zeitlich divergierenden Perspektiven betrachtet werden. Aus diesem Detailreichtum ergibt sich jedoch noch kein stimmiges Gesamttableau, so dass zunächst die sorgfältige Kompilierung und vor allem Abwägung einer Vielzahl von nicht selten widersprüchlichen Einzelinformationen erforderlich ist, bevor eine am eigenen Erkenntnisinteresse ausgerichtete Neukontextualisierung und Interpretation erfolgen kann. Insofern ist im weiteren Verlauf der Arbeit stets zu beachten, dass sich der Fußnotenapparat in vielen Textpassagen nicht auf die dort entwickelten Gedankengänge bezieht, sondern oft nur als Beleg für die im einzelnen zugrunde gelegten Fakten, auf deren Basis sie entwickelt worden sind, zu verstehen ist. 2. Erkenntniserwartungen und Erkenntnishoffnungen Da die aktuelle Gegenwartsfixierung der größtenteils politik- und rechtswissenschaftlich dominierten Forschung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit deren historischen Dimensionen bislang keine gesteigerte Aufmerksamkeit gewidmet hat, ist hier logischerweise das diesbezügliche Erkenntnispotential des Pyrenäenraums ebenfalls fast unbeachtet geblieben.307 Das gilt im Übrigen auch für einschlägige französische und spanische Untersuchungen aus diesen beiden Disziplinen, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Pyrenäen überwiegend unter regionalen Gesichtspunkten behandeln und daher kaum vor dem Beginn der innerstaatlichen Dezentralisierungsmaßnahmen in den 1970er und 1980er Jahren ansetzen.308 Indem die vorliegende Arbeit den Pyrenäenraum als Studienobjekt für eine explorative politikwissenschaftliche Fallstudie zur Entwicklung von Grenzen und grenzüberschreitender Zusammenarbeit auswählt, kann demzufolge mit einiger Berechtigung von einer doppelten heuristischen Erkenntniserwartung ausgegangen werden. Diese bezieht sich zunächst auf die geplante Längsschnittuntersuchung selbst, die für das Politikfeld der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit insgesamt noch aussteht und deren Notwendigkeit bereits begründet worden ist.309 Zugleich wird damit ein nicht 307 Für einen knappen Hinweis vgl. Bothe, Michael, Rechtsprobleme grenzüberschreitender Planung, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 1977, S. 68 ff. (S. 69, Fn. 1); auf diesen verweist auch Kotzur, S. 111, Fn. 16. 308 Durchaus repräsentativ hierfür z. B. Gómez-Matarán, Neus, Cross-border Cooperation in Southern Europe: The Catalunya/Languedoc Roussillon/Midi Pyrenees Euroregion, in: Brunn, Gerhard/Schmitt-Egner, Peter (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa: Theorie – Empirie – Praxis, Baden-Baden 1998, S. 162 ff., m. w. N.; Luchaire, S. 369 ff., m. w. N. 309 Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, I. 1.

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Teil 1: Untersuchungsgegenstand

nur in der deutschsprachigen Forschung weithin unbekannter Kooperationsraum näher untersucht, der zudem durch die frühe Staatenbildung in Frankreich und Spanien im Sinne der aufgeworfenen Fragestellungen besondere Einsichten verheißt.310 Hingegen wäre es wenig zweckdienlich, schon zu Beginn einer explorativen Fallstudie eine Prognose oder einen Erwartungshorizont für die mit ihrer Hilfe angestrebte Generierung von Hypothesen zu formulieren. Das Risiko, den Gang der Analyse durch mehr oder weniger bewusste Vorannahmen zu beeinflussen, kann damit zwar nicht völlig eliminiert, wenigstens aber verkleinert werden. Dennoch sind gewisse Erkenntnishoffnungen wohl unvermeidlich, wenn nicht eine unrealistische Unvertrautheit mit dem gewählten Untersuchungsgegenstand behauptet werden soll. Im konkreten Fall beruhen sie auf der Tatsache, dass im Pyrenäenraum nicht nur die Entstehung einer modernen Grenze und die Entwicklung der über sie hinweg stattfindenden grenzüberschreitenden Zusammenarbeit über Jahrhunderte hinweg beobachtet werden können. Vielmehr stoßen in diesem langen Zeitraum an der Pyrenäengrenze immer wieder konkurrierende Herrschaftssysteme beziehungsweise zum Teil sogar unterschiedliche Herrschaftstypen aufeinander. Wenn die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als zu erklärende Variable trotz solcher Divergenzen und heterogener Umfeldkonstellationen fortgeführt wird, so könnte dies möglicherweise auf die Existenz kontextunabhängiger erklärender Variablen hindeuten.311 Sollte sich am Beispiel des Pyrenäenraums die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als eine Notwendigkeit selbst für einander stark unähnliche oder feindselige Systeme herausstellen, wäre das hypothesengenerierende Potential der Fallstudie jedenfalls weitaus größer, als wenn sich einfache Kausalitäten zwischen der zu erklärenden Variable und dem Vorliegen spezifischer Kontextbedingungen an der französisch-spanischen Grenze nachweisen ließen.

III. Zwischenergebnis zu Teil 1, C. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung ist auf die Durchführung einer Längsschnittstudie gerichtet, die in Form eines diachronen Vergleichs anhand eines konkreten Fallbeispiels das Verhältnis von Grenze, Grenzräumen 310

Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 1. Die „Differenz als wesentliche Erkenntnisressource“ des Vergleichs betont Nohlen (1994), Vergleichende Methode, S. 514; für eine teilweise überarbeitete Version vgl. auch Nohlen, Dieter, Vergleichende Methode, in: ders./Schultze, RainerOlaf (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft: Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 2: N–Z, 2., akt. u. erw. Aufl., München 2004, S. 1042 ff. (insbes. S. 1048 ff., m. w. N.). 311

C. Erkenntnisinteresse, Methodik und Erkenntniserwartungen

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und grenzüberschreitender Zusammenarbeit in der zeitlichen Entwicklung verfolgen soll. Um die dem bisher unzureichenden Wissensstand geschuldete explorative Ausrichtung der Studie mit einem weiterführenden explikativen Anspruch zu verbinden, empfiehlt sich eine der historisch-empirischen Methode verpflichtete „instrumental case study“ als geeignetes Mittel. Als Studienobjekt werden die französisch-spanische Pyrenäengrenze und der Pyrenäenraum gewählt, da für sie die im Hinblick auf eine derartige Analyse unumgängliche Überlieferungskontinuität grenzüberschreitender Zusammenarbeit gewährleistet ist. Auf diesen Umstand gründet sich eine zweifache heuristische Erkenntniserwartung. Sie bezieht sich einerseits auf die insofern prinzipiell gesicherte Realisierbarkeit des angestrebten diachronen Vergleichs und andererseits auf die damit einhergehende Erschließung eines nicht nur in der deutschsprachigen Forschung bislang verhältnismäßig unbeachteten europäischen Kooperationsraums. Im Vorfeld eher unbestimmte Erkenntnishoffnungen stützen sich hingegen auf die Vermutung, dass die trotz teilweise erheblicher Systemunterschiede und -kollisionen wohl nie abgerissene grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum Rückschlüsse auf möglicherweise kontextunabhängige erklärende Variablen zulassen könnte. Hier bleiben jedoch die Ergebnisse der Fallstudie abzuwarten, welche die Grundlage für eine dann empiriebasierte Einschätzung sowie für die intendierte Generierung von Hypothesen bilden sollen.

Teil 2

Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen dem Mittelalter und dem Ende des 19. Jahrhunderts Eine explorative Fallstudie, die sich das Ziel gesetzt hat, die Entwicklung einer Grenze und der an ihr stattfindenden grenzüberschreitenden Zusammenarbeit diachron zu untersuchen, muss zunächst einige strukturierende Vorentscheidungen treffen, wenn sie sich inhaltlich nicht verlieren will. Dazu gehört vor allem die Verständigung über den zeitlichen Rahmen, der im Hinblick auf den als Studienobjekt ausgewählten Untersuchungsraum abgedeckt werden kann beziehungsweise abgedeckt werden soll. Für die Pyrenäen lässt sich dabei zumindest der terminus a quo relativ einfach bestimmen, da die erhaltenen Quellen kaum über das 11./12. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurückreichen. Demgegenüber steht die Festlegung eines terminus ad quem letztlich im Ermessen des Bearbeiters, das aber durch die eigenen Forschungsfragen angeleitet ist.1 Im vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass die Untersuchung einen Zeitpunkt erreichen muss, ab dem sich die rechtliche und institutionelle Kontinuität eines zwischenstaatlichen Grenz- und Kooperationsregimes bis in die Gegenwart nachweisen lässt, auch wenn dieses nachträglich durch Elemente einer regionalisierten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ergänzt worden sein kann. Für den Pyrenäenraum ist ein solcher Zustand mit der Unterzeichnung der bis heute gültigen Grenzverträge von Bayonne (1856–1868) sowie mit der Einrichtung der zwischenstaatlichen Commission Internationale des Pyrénées (1875 ff.), der wohl ältesten noch funktionierenden Grenzkommission ihrer Art, erreicht. Zwischen dem von der Quellenlage vorgegebenen terminus a quo bis zu dem durch das Forschungsanliegen bestimmten terminus ad quem erstreckt sich somit ein Analysezeitraum von mehr als 800 Jahren, der aufgrund seiner Ausdehnung eine strikte inhaltliche Beschränkung auf solche Faktoren notwendig macht, die für die Bearbeitung des Analysegegenstandes im engeren Sinn unerlässlich sind. Für eine historische Gesamtbetrachtung, die über den spezifischen Fokus der Untersuchung hinausgeht, sei insofern 1

Hierzu s. o., Teil 1, C. I. 1.

Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

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schon an dieser Stelle auf die großen Werkreihen zur französischen und zur spanischen Geschichte verwiesen.2 Auch eine explorative Längsschnittstudie, die den von ihr behandelten Forschungsfall in erster Linie wegen der Vermutung eines allgemein weiterführenden Aussagepotentials gewählt hat, sieht sich allerdings gehalten, mit einer Einführung in die Spezifika des Untersuchungsraums zu beginnen. Dies gilt umso mehr, als im Hinblick auf die Pyrenäen ein entsprechendes Hintergrundwissen über das geographische Milieu und seine sozio-ökonomischen Wirkungen nicht einfach vorausgesetzt werden kann (Teil 2, A.). Im Anschluss daran soll sich die Gliederung der Arbeit an der Grundannahme des Forschungsfeldes ausrichten, dass die Grenze der zentrale Bezugspunkt für jegliche Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist.3 In Bezug auf die zwei zu untersuchenden Variablen, die Grenze und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, werden damit nicht einzelne Jahrhunderte chronologisch-linear abgehandelt, sondern die unterschiedlichen Phasen der Grenzbildung in den Pyrenäen zusammengefasst und als Referenzrahmen herangezogen. Innerhalb der dadurch gebildeten Zeitabschnitte soll jeweils zuerst die Entwicklung der Grenze behandelt werden, bevor die zeitgenössischen Akteurskonstellationen, Handlungsformen und Motivlagen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hinzutreten. Eine Ausnahme hiervon ist lediglich zu Beginn erforderlich, da zunächst die Täler und die Talschaften als die wichtigsten Träger der lokalen politisch-ökonomischen Grundordung in den Pyrenäen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit eingeführt werden müssen (Teil 2, B. I.). Die erste Phase einer überlokal-staatlichen Grenzbildung in den Pyrenäen setzt mit der Ausdifferenzierung und Stabilisierung größerer Herrschaftsgebilde in diesem Raum zwischen dem 10. und dem 12. Jahrhundert ein. Zwischen dem ersten überlieferten (Teil-)Grenzvertrag von Corbeil aus dem Jahr 1258 bis zum Pyrenäenfrieden von 1659 kommt es hier lediglich im Gebiet von Navarra zu größeren Grenzverschiebungen (Teil 2, B. II.). Die zweite und deutlich kürzere Phase reicht dann von der Unterzeichnung des Pyrenäenvertrags von 1659, der mit seinen Zusatzabkommen von 1660 als frühester völkerrechtlicher Grenzvertrag der Neuzeit gilt, bis zum zwar noch ratifizierten, aber wegen des Ausbruchs der Französischen Revolution kaum mehr in Kraft getretenen (Teil-)Grenzvertrag von Elizondo von 1785. 2 Zu Frankreich vgl. z. B. Favier, Jean (Hrsg.), Histoire de France, 6 Bd., Paris 1984–1992; für eine deutsche Übersetzung vgl. Favier, Jean (Hrsg.), Geschichte Frankreichs, Beratung d. dt. Ausg. Karl Ferdinand Werner, 6 Bd., Stuttgart 1989– 1995. Zu Spanien vgl. z. B. Jover Zamora, José María (Hrsg.), Historia de España Menéndez Pidal, 65 Bd., z. T. neu bearb. u. fortgesetzt, Madrid 1935 ff.; Lynch, John (Hrsg.), Historia de España, 20 Bd., Madrid 2005 ff. 3 Hierzu s. o., Teil 1, insbes. B. I.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Wegen seiner im Vergleich mit dem Pyrenäenvertrag neuartigen Grenzkonzeption und seiner zeitlichen Parallelität zu anderen europäischen Grenzregelungen verdient er dennoch gesonderte Beachtung, da sowohl die Gründe für sein Zustandekommen als auch für sein Scheitern im Sinne der Untersuchungsfragen von Interesse sind (Teil 2, C. I.). Während das Ende des 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in dieser Hinsicht vor allem von Krisen geprägt waren (Teil 2, D. I.), wurde die endgültige Delimitierung und Demarkation einer Lineargrenze im modernen Sinn zwischen Frankreich und Spanien erst am Ende der damit umrissenen dritten Phase durch die Grenzverträge von Bayonne zwischen 1856 und 1868 erreicht, die seither lediglich marginal ergänzt worden sind (Teil 2, D. II.). Parallel zur überlokal-staatlichen Grenzbildung lassen sich über die Jahrhunderte hinweg vielfältige Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit beobachten, die aber zunächst phasenübergreifend scheinbar eigenen Gesetzmäßigkeiten folgten und ein gesondertes Grenzkooperationsrecht auf zumeist lokaler Basis etablierten (Teil 2, B. III.). Dies geschah allerdings auf der Grundlage verliehenen Privilegienrechts mit dem Einverständnis der jeweiligen Herrschaftsträger, die nach einigen örtlich beschränkten Ansätzen im Pyrenäenvertrag von 1659/1660 überhaupt erstmals in den 1780er Jahren den Versuch einer allgemein reglementierenden Inkorporierung in das zwischenstaatliche Grenzvertragsrecht unternahmen (Teil 2, C. II.). Nach dem Scheitern des Vertrags von Elizondo dauerte es noch bis zu den Grenzverträgen von Bayonne, bevor Regelungen zur Grenze und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein gemeinsames völkerrechtliches Fundament fanden (Teil 2, D. II.). Angesichts notwendiger Ergänzungen und des Fehlens einer geeigneten zwischenstaatlichen Einrichtung schufen beide Länder wenige Jahre später darüber hinaus die sogenannte Commission Internationale des Pyrénées, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Spanien bis mindestens Mitte der 1990er Jahre dominieren sollte (Teil 2, D. III.). Da das Verhältnis zwischen der Grenze und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit historisch äußerst vielschichtig ist, werden die einzelnen Zeitabschnitte des zweiten Untersuchungsteils zur besseren Verständlichkeit der jeweiligen Entwicklungen und Veränderungen jeweils mit einem eigenen Zwischenfazit abgeschlossen (Teil 2, A. III., B. IV., C. III., D. IV.). Die zentralen Befunde, die sich daraus ableiten lassen, sowie die mögliche Generierung von Hypothesen bleiben hingegen dem leitsatzartig formulierten dritten Teil der Arbeit vorbehalten.

A. Der Pyrenäenraum: Eine Einführung

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A. Der Pyrenäenraum: Eine Einführung Weder Grenzen noch grenzüberschreitende Zusammenarbeit stehen in einem abstrakt-ungegenständlichen Rahmen, sondern müssen in ihren jeweiligen situativen Kontexten verortet werden, wenn empirische Aussagen angestrebt sind. Bezogen auf die Grenzbildung im Pyrenäenraum wird dabei im Kern immer danach zu fragen sein, ob die Pyrenäen als Gebirgsmassiv eher als eine geophysische Barriere mit vorwiegend separierenden Eigenschaften oder aber eher als ein gemeinsamer „Lebensraum“4 aufzufassen sind, der grenzüberschreitende Kontakte begünstigt. Die Antwort darauf wird allerdings je nach dem ausgewählten Zeitabschnitt, dem verwendeten Datenmaterial und nicht zuletzt nach dem Standpunkt des Betrachters unterschiedlich ausfallen. So galten die Pyrenäen in der Außensicht noch bis vor wenigen Jahren als ein im binnenstaatlichen und binnenregionalen Kontext marginalisiertes Grenzterritorium,5 das sich in jeder Hinsicht in einer peripheren Position befand.6 Eine Veränderung erfuhr diese Einschätzung erst durch die Zusammenführung nationaler Statistiken in grenzüberschreitenden Kooperationen, aufgrund derer die Pyrenäen nunmehr seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt als eine Raumeinheit wahrgenommen werden.7 Der Paradigmenwechsel von der segregierenden Außen- zur integrierenden Innenbetrachtung ist zweifellos ein wichtiger Fortschritt, wobei der Gegenwartsbezug der verwendeten statistischen Daten aber wiederum lediglich die Beleuchtung eines verhältnismäßig kurzen, nur einige Jahrzehnte umfassenden Zeitausschnitts zulässt. Dank einer langen Überlieferungsgeschichte liegen jedoch auch für weiter zurückliegende Epochen zumindest qualitativ hinreichende Erkenntnisse vor, um die Verhältnisse in den Pyrenäen seit dem Mittelalter einigermaßen verlässlich rekonstruieren zu können. Dadurch bestehen hier gute Voraussetzungen, um empirischhistorische Aussagen über die zeitlich differenzierenden Barriere- und Ver4 Dieser aus Goethes „Wahlverwandtschaften“ stammende Begriff wird hier in seinem ursprünglich unpolitischen Wortsinn als „Raum zum [gemeinsamen] Leben“ verwendet; zur Herkunft des Terminus und zu seiner Bedeutungspervertierung im nationalsozialistischen Sprachgebrauch vgl. Dreier, Horst, Wirtschaftsraum – Großraum – Lebensraum. Facetten eines belasteten Begriffs, in: ders./Forkel, Hans/Laubenthal, Klaus (Hrsg.), Raum und Recht, Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, Berlin 2002, S. 47 ff. (S. 73 f., m. w. N.). 5 Vgl. Gorría Ipas, Antonio Jesffls, El Pirineo como espacio frontera, Zaragoza 1995, S. 21. 6 Vgl. Viers, Georges, Les Pyrénées, 2., überarb. u. korr. Aufl., Paris 1966, S. 125. 7 Vgl. DATAR/MOPU, Les Pyrénées: Présentation d’une montagne frontalière/El Pirineo: Presentación de una montaña fronteriza, Madrid 1989; DATAR u. a. (Hrsg.), Atlas statistique des Pyrénées, viersprachige Ausg., Graulhet 2002.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

bindungswirkungen des Massivs zu treffen und diese in einen Zusammenhang mit der Entwicklung von Grenzen und grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zu stellen.

I. Die Pyrenäen als Barriere 1. Das Massiv als geophysische Barriere Der Pyrenäenraum, so wie er heute definiert ist,8 weist mit mehr als 49.850 Quadratkilometern eine beachtliche Ausdehnung auf.9 Dominiert wird er durch das Gebirgsmassiv der Pyrenäen, deren natürliche Beschaffenheit es nahe legt, sie als eine geophysische Barriere zu beschreiben, die sich als kaum durchlässiger Gebirgsriegel zwischen der Iberischen Halbinsel und Frankreich sowie dem restlichen Europa erhebt. Tatsächlich füllen die Pyrenäen mit einer Länge von ungefähr 420 Kilometern fast die gesamte Landenge zwischen dem Mittelmeer im Osten und dem Atlantik im Westen aus. Die übliche Unterteilung in einen Ost-, einen Zentral- und einen Westsektor ist allerdings insofern irreführend, als die Zentralpyrenäen mit einer Länge von mehr als 280 Kilometern für sich genommen ungefähr zwei Drittel des Massivs ausmachen. Hier wird mit bis zu 150 Kilometern auch die größte Breite in nord-südlicher Richtung erreicht, die sich zum Mittelmeer bis auf 10 Kilometer und zum Atlantik bis auf 35 Kilometer verringert. In ihrem Inneren sind die Pyrenäen nur wenig untergliedert und somit deutlich unzugänglicher als zum Beispiel die oft als Referenz herangezogenen Alpen.10 Nahe der Mittelmeerküste werden bereits Gipfelhöhen über 1.000 Meter erreicht, die im Zentralsektor schnell bis auf 3.400 Meter ansteigen und sich erst zur Atlantikküste hin auf unter 800 Meter absenken. Während die Täler auf der französischen Nordseite des Massivs vergleichsweise abrupt und steil vom Hauptkamm zu den Ebenen der Aquitaine und des Languedoc abfallen, werden auf der flächenmäßig fast doppelt so großen spanischen Südseite die Verbindungen der Gebirgstäler zum entfernteren Ebro-Becken sowie zur sogenannten basko-kantabrischen Vertiefung 8

Zu früheren Pyrenäendefinitionen vgl. Viers, S. 5 f. Zum Folgenden vgl. insbes. DATAR/MOPU, S. 27 ff.; DATAR u. a., S. 6 ff. Für eine ausführliche Darstellung der geographischen Verhältnisse vgl. auch Gorría Ipas (1995), S. 21 ff. 10 Vgl. Robert, Jacques, El Arco Alpino, in: LACE Magazine 3/1999, S. 3 ff. (S. 4); Viers, S. 14 ff. Zu den entsprechenden Verhältnissen in den Alpen vgl. z. B. detailliert Bätzing, Werner, Die Alpen: Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft, 3. Aufl., München 2005, S. 25 ff. 9

A. Der Pyrenäenraum: Eine Einführung

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durch eine Reihe querliegender Vorgebirge erschwert. Zudem lassen die einander auf beiden Seiten des axialen Hauptkammes gegenüberliegenden Pyrenäentäler einen Nord-Süd-Übergang außer unmittelbar am Mittelmeer und am Atlantik fast nur in den schneefallgefährdeten Hochgebirgszonen über 2.000 Metern zu. Durchaus zu Recht ist das Gebirgsmassiv daher als „une barrière compacte dont les vallées ne sont que d’étroites coupures dans une ligne continue de forte altitude“11 bezeichnet worden. 2. Barrierewirkungen des Massivs am Beispiel der gegenwärtigen Siedlungs- und Verkehrsstrukturen Die topographisch bedingten Barriereeigenschaften der Pyrenäen werden in der spezifischen Siedlungsstruktur und in der Führung moderner Verkehrsachsen sichtbar. Abgesehen von Pamplona, das mit seinen ca. 200.000 Einwohnern bereits am Übergang zum Ebro-Becken liegt, ist für die Pyrenäen das Fehlen größerer Städte oder Ansiedlungen typisch. Darin unterscheidet sich das Massiv von seinem regionalen Umfeld, wo mit Barcelona, Zaragoza, Bilbao und Toulouse mehrere Metropolräume sowie weitere Ober- und Mittelzentren existieren. Innerhalb des Gebirges weisen demgegenüber nur fünfzehn Ortschaften mehr als 10.000 Einwohner auf, von denen selbst die größte (Olot) die 30.000-Einwohner-Schwelle nicht überschreitet. Die kleinen und mittleren Pyrenäenorte sind dabei vor allem am französischen Nordrand, am Fuß der Gebirgstäler, sowie, auf spanischer Seite, am östlichen und westlichen Ende des Massivs konzentriert, während sich große Teile der Zentralpyrenäen in Folge von Abwanderungsprozessen inzwischen als siedlungsarm präsentieren.12 Die Kleinteiligkeit und Verstreutheit der Siedlungsstruktur folgt erkennbar der als „hermétique“13 bezeichneten Gebirgstopographie, die auch die Entstehung grenzüberschreitender Agglomerationen verhindert hat. Eine namhafte Ausnahme bildet diesbezüglich einzig die Conurbation BayonneSan Sebastián, die sich unmittelbar an der Atlantikküste und damit lediglich am äußersten Rand der Pyrenäen entlangzieht.14 Im Inneren des Massivs 11 DATAR/MOPU, S. 28; vgl. auch ebd., S. 32; Gorría Ipas (1995), S. 15 f., S. 33 f. Ähnlich schon Council of Europe, The Pyrenees: Their Role in European Integration and their Requirements of Transfrontier Co-operation, European Regional Planning Study Series Nr. 31, Straßburg 1980, S. 4 f. 12 Vgl. DATAR u. a., S. 16 f. 13 Mission Opérationnelle Transfrontalière, Coopération transfrontalière francoespagnole: état des lieux, in: Espaces transfrontalières, Nr. 19, 2005, S. 2 f. (S. 2). 14 Zur Siedlungsstruktur in und um die Pyrenäen sowie den daraus resultierenden Problemen vgl. auch INTERREG III, Volet A, France-Espagne 2000–2006, o. O.,

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sind hingegen nur noch das spanische Puigcerdà (8.000 Einwohner) und das französische Bourg-Madame (1.500 Einwohner) in der Cerdagne, einer Hochebene am Übergang zwischen dem Mittelmeer- und dem Zentralsektor, räumlich eng miteinander verbunden.15 Die Barrierewirkungen der Pyrenäen werden aber nicht nur in der fast vollständigen Abwesenheit größerer und/oder grenzüberschreitender Ansiedlungen sichtbar, sondern lassen sich gleichfalls an den modernen Verkehrssystemen ablesen. Zum einen fehlen im Gebirge die Zentralorte, welche den Bau von Flughäfen mit wenigstens regionaler Bedeutung rechtfertigen könnten, so dass diese Funktionen den Metropolen Barcelona und Toulouse zufallen. Zum anderen führen bislang alle national und international bedeutenden Straßen- und Eisenbahntrassen um die Pyrenäen herum, weswegen der ständig anwachsende landgestützte Personen- und Warenverkehr zwischen der Iberischen Halbinsel und dem restlichen Europa fast ausschließlich über die Küstenstrecken direkt am Mittelmeer respektive am Atlantik abgewickelt werden muss.16 Geplante Entlastungseffekte durch den aufwändigen Bau einer zentralpyrenäischen Autobahntrasse (Tunnel von Somport) konnten bislang nicht spürbar realisiert werden.17 Aufgrund der geographischen Ungunst, der damit einhergehenden hohen Kosten und der unvermeidlich massiven Umwelteingriffe, die den Widerstand unterschiedlichster Gruppierungen provozieren, gilt es zudem als äußerst unwahrscheinlich, dass sich ähnliche Transpyrenäenprojekte zukünftig noch werden verwirklichen lassen.18 Infolgedessen wird das Massiv bis auf weiteres eine nach außen unzureichend angebundene, schwer zu durchquerende und im Inneren mit erheblichen infrastrukturellen Mängeln behaftete „Schattenzone“ der Mobilität bleiben,19 wodurch sich der Eindruck einer „montagne barrière“20 verfestigt.

o. J., S. 17 f.; zugänglich unter: http://www.espaces-transfrontaliers.org/docdivers/ zonage/po_espa.pdf; zuletzt abgerufen: August 2008. 15 Vgl. Mission Opérationnelle Transfrontalière (2005), S. 2. 16 Vgl. Direction régionale de l’Equipement de Midi-Pyrénées/Institut d’Estudis Territorials (Hrsg.), Atlas transpyrénéen des transports, viersprachige Ausg., Toulouse 2002, S. 32 ff., S. 44 f. 17 Vgl. Communauté de Travail des Pyrénées, Commission I: Infrastructures et Communications, Infrastructures et transport, un défi pour les Pyrénées, viersprachige Ausg., Barcelona 2001, S. 8, S. 12. 18 Vgl. INTERREG III, S. 18 f. 19 Vgl. Direction Régionale de l’Equipement de Midi-Pyrénées/Institut d’Estudis Territorials, S. 33. 20 DATAR/MOPU, S. 48.

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3. Das Massiv als politisch-administrative Barriere Angesichts der geophysischen Barriereeigenschaften der Pyrenäen und ihrer sichtbaren strukturellen Auswirkungen erscheint es zunächst nicht abwegig, daraus auch die Vorstellung einer „natürlichen“ Gebirgsgrenze abzuleiten, an der sich die politisch-rechtliche Grenzziehung zwischen Frankreich und Spanien nachgerade nur habe ausrichten müssen.21 Dass letztere keinen Automatismen folgte und weite Teile des Grenzverlaufs von den natürlichen Orientierungen am Hauptgebirgskamm oder an der Wasserscheide abweichen,22 bleibt dabei zumeist unberücksichtigt.23 Im Vordergrund der Wahrnehmung stehen vielmehr regelmäßig die Stabilität der seit 1659 faktisch kaum mehr veränderten französisch-spanischen Landgrenze, die staatliche Dreiteilung der Pyrenäen durch den internationalen (Sonder-)Status Andorras sowie die sich auf subnationaler Ebene fortsetzende „Zersplitterung“ des Pyrenäenraums. So bildet das Gebirge – bis auf das nur 468 Quadratkilometer umfassende Andorra, das sich in Gemeinden untergliedert – heute einen Gebietsbestandteil von drei französischen und von vier spanischen regionalen Gebietskörperschaften. Obwohl sie mit 212.000 Quadratkilometern und 17,8 Millionen Einwohnern weit über das Massiv hinausreichen,24 sind diese Régions und Comunidades Autónomas als die politisch-administrative „zone englobante“25 der Pyrenäen und der erweiterte Grenzraum für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Spanien definiert.26 Hinzu kommen in der Form von Départements und Provincias nochmals je fünf direkt an die Grenze anstoßende subregionale Gebietskörperschaften, die nach den engeren strukturpolitischen Kategorien der INTERREG-Programme den unmittelbaren Grenzraum bilden.27 Gegenwärtig treffen in den Pyrenäen somit die Gren21

Vgl. Fiedler, S. 29; Gorría Ipas (1995), S. 68; Grewe, S. 379. Vgl. z. B. Becat, Joan, Limites et conflits territoriaux, aménagement et gestion traditionnelle et actuelle du territoire: originalité et banalité de l’Andorre, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 208 ff. (S. 226). 23 Hierzu s. u., dieser Teil, B. I. 24 Vgl. DATAR u. a., S. 8, 12 f.; Direction régionale de l’Equipement de MidiPyrénées/Institut d’Estudis Territorials, S. 8. 25 So DATAR u. a., S. 9. Dabei handelt es sich um die französischen Régions Aquitaine, Midi-Pyrénées und Languedoc-Roussillon sowie um die spanischen Comunidades Autónomas País Vasco/Euskadi, Navarra, Aragón und Cataluña/Catalunya. 26 Vgl. Mission Opérationnelle Transfrontalière, Coopération transfrontalière à la frontière franco-espagnole, MOT/SCET Mars 2002, S. 2. 27 Vgl. INTERREG III, S. 4 f. Dabei handelt es sich um die französischen Départements Pyrénées-Atlantiques, Hautes-Pyrénées, Haute-Garonne, Ariège und Pyré22

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zen von drei Staaten, sieben regionalen und zehn subregionalen Gebietskörperschaften aufeinander, wobei sich eine Vielfalt politischer und administrativer Unterteilungen auch für die Vergangenheit beobachten lässt.28 Dessen ungeachtet dürfte es kaum möglich sein, die Existenz heutiger oder vergangener Grenzen aus den natürlichen Verhältnissen im Pyrenäenraum heraus überzeugend erklären zu wollen. Dem steht schon die transpyrenäische Existenz älterer Sprach- und Kulturgrenzen entgegen, wie sich insbesondere an der grenzüberschreitenden Verbreitung des Baskischen und des Katalanischen bis heute erkennen lässt.29 Darüber hinaus bildete das Gebirgsmassiv trotz der kaum veränderlichen geophysischen und der vielfach gewandelten politisch-administrativen Barrieren in der Vergangenheit eine Zone intensiver intramontaner Beziehungen und grenzüberschreitender Interaktionen, die sich bis in das 19. Jahrhundert überwiegend nach innen integrierte.30 Davon zeugen nicht zuletzt die immer noch verhältnismäßig homogenen Lebensbedingungen auf beiden Seiten der Grenze, die ein eigenes, vom jeweiligen regionalen Umfeld unterscheidbares Pyrenäenmilieu begründen.

II. Die Pyrenäen als grenzübergreifender Raum 1. Die relative Einheitlichkeit gegenwärtiger Lebensverhältnisse in den Pyrenäen Geophysische Barriereeigenschaften, Staatsgrenzen und gebietskörperschaftliche Segmentierungen lassen leicht in Vergessenheit geraten, dass es sich bei den Pyrenäen um eine geomorphologische Raumeinheit mit ausgeprägten Grundgemeinsamkeiten handelt. Innerhalb dieses Rahmens, der durch die spezifischen Lebensbedingungen des Gebirges bestimmt ist, sind allerdings schon aufgrund der flächenmäßigen Ausdehnung des Massivs nées-Orientales sowie um die spanischen Provincias Guipfflzcoa, Navarra, das als sogenannte Comunidad Autónoma uniprovincial die Funktionen von Regional- und Provinzialverwaltung in sich vereint, sowie um Huesca, Lleida und Girona. 28 Hierzu s. u., dieser Teil, insbes. B. II. 1. 29 Von den vier Sprachen Baskisch, Katalanisch, Okzitanisch und Aragonesisch, die ursprünglich in den Pyrenäen beheimatet waren, überschreitet nur letztere die französisch-spanische Staatsgrenze nicht; vgl. Sistac, Ramon, Substitutions linguistiques dans les Pyrénées contemporaines, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 345 ff. (S. 346). Zu den sprachlich-soziokulturellen Unterteilungen in den Pyrenäen vgl. auch DATAR/MOPU, S. 36 ff.; Gorría Ipas (1995), S. 22 ff. 30 Vgl. z. B. Gorría Ipas (1995), S. 33; Robert, Jacques, Los Pirineos y sus regiones, in: LACE Magazine 12/1997, S. 17 ff. (S. 17).

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vielfältige Differenzierungen zwischen geographischen, klimatischen und sozio-ökonomischen Untereinheiten feststellbar.31 Deren Relevanz wird jedoch tendenziell überhöht, wenn, wie in den neueren französisch-spanischen Pyrenäenatlanten üblich, die besonders kleinräumige Bezugsgröße der Gemeinde als Maßstab verwendet wird, der oftmals nur lokal bedeutsame Unterschiede aufzeigt.32 Aufschlussreich ist in dieser Beziehung etwa der bewusste Ausschluss der Großstadt Pamplona und ihres Einzugsgebiets sowie einiger westlicher Grenzdistrikte und -orte an der Atlantikküste (Canton d’Hendaye, Irffln, Fuenterrabía/Hondarribía) aus den statistischen Erhebungsrastern. Als Begründung wird explizit darauf verwiesen, dass eine Berücksichtigung solcher urbanen und wirtschaftsstarken „Sonderzonen“ ansonsten zu signifikanten Verzerrungseffekten im Gesamtbild der Pyrenäen führen müsste.33 Erst im Umkehrschluss ergibt sich aus diesem Eingeständnis die implizite Erkenntnis, dass es sich bei dem Großteil des Massivs folglich um einen überwiegend nicht-urbanen und strukturschwachen Raum mit eher einheitlichen Lebensverhältnissen handelt.34 Das hier zum Ausdruck kommende Phänomen herausgestellter kleinräumiger Divergenz bei tatsächlicher großräumiger Konvergenz kann exemplarisch anhand von Daten zur Bevölkerungs- und zur Wirtschaftsstruktur in den statistischen Pyrenäenatlanten ausgeführt werden. So stehen im Hinblick auf die Bevölkerung zumeist deren uneinheitliche Verteilung und die Konzentration in bestimmten Siedlungszonen im Vordergrund.35 Verlässt man jedoch die Gemeindeebene als bevorzugte Analyseeinheit, wird schnell deutlich, dass die Pyrenäen mit 1.101.000 Menschen insgesamt äußerst dünn besiedelt sind.36 Mit durchschnittlich 22 Einwohnern pro Quadratkilometer unterscheiden sie sich dabei weniger nach innen als gegenüber ihrem regionalen Umfeld, wo dieses Verhältnis 83 Einwohner pro Quadratkilometer beträgt.37 Ähnlich sieht es hinsichtlich der Wirtschaftstätigkeit im Pyrenäenraum aus, deren lokale Gegensätze vor allem aus der Massierung von (teilweise 31

Vgl. dazu schon Viers, S. 8 ff., S. 44 ff. Zu diesem selbstkritischen Hinweis vgl. DATAR/MOPU, S. 110. 33 Dazu und zu den leicht voneinander abweichenden Berechnungsgrundlagen der statistischen Pyrenäenatlanten vgl. DATAR/MOPU, S. 20 f.; DATAR u. a., S. 4, S. 6. 34 So z. B. auch Dalla-Rosa, Gilbert, Las relaciones socioeconómicas transpirenaicas (II.), in: Bielza de Ory, Vicente/Dalla-Rosa, Gilbert (Hrsg.), Las relaciones socioeconómicas transpirenaicas, Colleción „Cosas Nuestras“, Nr. 6, Huesca 1989, S. 27 ff. (S. 28, S. 33). 35 Hierzu s. o., dieser Teil, A. I., insbes. zu Fn. 12. 36 Von den Einwohnern der Pyrenäen leben rund 480.000 in Frankreich, 550.000 in Spanien und 66.000 in Andorra; vgl. DATAR u. a., S. 12. 37 Vgl. ebd. S. 14. 32

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alt-)industriellen Schwerpunkten in den östlichen und westlichen Gebirgsausläufern auf der spanischen Seite sowie entlang des französischen Nordrands im weiteren Einzugsbereich des Großraums Toulouse resultieren. Im Inneren des Gebirges behauptet hingegen die durch Viehhaltung dominierte Landwirtschaft weiterhin eine wichtige Stellung; zunehmend ergänzt durch den Tourismus und seine saisonalen Beschäftigungsmöglichkeiten.38 Solche Differenzen relativieren sich allerdings, wenn stattdessen das fast vollständige Fehlen größerer privatwirtschaftlicher Unternehmen oder öffentlicher Arbeitgeber sowie eine wenig dynamische Beschäftigungsstruktur als gesamtpyrenäische Merkmale in den Blick genommen werden. Der kleinteiligen Unternehmenslandschaft mit ihren begrenzten finanziellen und personellen Spielräumen entspricht dabei eine weitgehend statische Verteilung der Beschäftigten, die sich je zur Hälfte auf den Dienstleistungs- und Tourismussektor (205.000) sowie auf den industriellen und agroindustriellen Sektor (108.000), die Landwirtschaft (45.000) und den Bausektor (40.000) konzentrieren.39 Mit diesen Beispielen soll die relative Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, wie sie sich einerseits in der innerpyrenäischen Gesamtbetrachtung und andererseits in der Kontrastierung mit dem außerpyrenäischen Umfeld darstellt, nur angedeutet werden. Andere Indikatoren wie die auch im Regionalvergleich ungünstigere Altersstruktur, das geringere Bevölkerungswachstum oder der deutlich höhere Anteil von nur zeitweise genutzten Zweit- und Ferienwohnsitzen weisen aber in die selbe Richtung.40 Damit bestätigen sich Tendenzen, die bereits in Untersuchungen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts festgestellt wurden, in denen vor allem die innere Homogenität als Kennzeichen der Pyrenäen hervortrat.41 Trotz großer lokaler Diversitäten sollte das Gebirgsmassiv daher auch heute noch als eigenständig erkennbares und durch grundlegende Gemeinsamkeiten verbundenes Raumganzes betrachtet werden. Eine Bestätigung findet die These von der Existenz eines sich über politisch-administrative Grenzen hinweg erstreckenden innerpyrenäischen Lebensraums zudem, wenn zusätzlich die historische Dimension einbezogen wird.

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Vgl. ebd., S. 50 f., S. 52 f., S. 66 f.; INTERREG III, S. 9 f., S. 19. Vgl. DATAR u. a., S. 38 ff. 40 Vgl. ebd., S. 18 f., S. 22 f., S. 28 f., S. 32 ff. 41 Vgl. dazu detailliert Viers, S. 77 ff., der innerpyrenäische Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bereich der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht hat. 39

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2. Die Pyrenäen als historisch nach innen integrierter Raum Angesichts von verschiedenen Sprach- und Kulturgrenzen sowie von früh etablierten Gebiets- und Herrschaftsgrenzen, die sich in den Pyrenäen nachweisen lassen,42 kann es zunächst keine Selbstverständlichkeit sein, wenn bestimmte sozio-kulturelle und sozio-ökonomische Elemente in der Vergangenheit pyrenäenweit verbreitet waren, mindestens bis in das 19. Jahrhundert hinein bewahrt wurden und, jedenfalls im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, bis heute eine Fortführung in veränderter Gestalt finden. Zu diesen milieubestimmenden Merkmalen gehörten unter anderem die sogenannte casa- oder hostal-Ordnung als Nukleus des traditionellen Gesellschaftssystems, die Konzentration lokaler Herrschaft in Talgemeinschaften, das Primat der Viehwirtschaft mit den auch in anderen europäischen Gebirgsregionen üblichen Saisonwanderungen von Hirten und Herden (Transhumanz)43 und die nicht zuletzt deswegen schon früh erforderliche Regelung von täler- und später von (staats-)grenzenüberschreitenden Beziehungen.44 Dabei mag es überraschen, dass sich diese intramontanen Beziehungsgeflechte häufig nicht trotz, sondern anscheinend gerade wegen der geophysischen Barriereeigenschaften des Massivs entwickelt haben. Die Entfernung von und der beschwerliche Zugang zu den umliegenden Ebenen zwangen nämlich die untereinander über direkte Passverbindungen zumeist besser zugänglichen Nachbartäler oft in Notgemeinschaften, die bei Naturoder sonstigen Katastrophen wirksame Hilfe nur voneinander erwarten konnten.45 Gefördert wurden die innerpyrenäischen Verbindungen aber auch durch den Umstand, dass das Gebirge aufgrund seiner Höhe seit jeher eine 42

Hierzu s. u., dieser Teil, B. I. u. II. Dieser Begriff bezeichnet allgemein Wanderungsbewegungen von Viehherden zwischen Sommer- und Winterweiden. Sie waren eigenen rechtlichen Regeln unterworfen und von erheblicher ökonomischer Bedeutung, da einzelne Herden bis zu 15.000 Tiere (meist Schafe) sowie eine entsprechende Anzahl von Hirten umfassen konnten. Größere Wanderungen dieser Art existieren heute noch u. a. im südlichen Frankreich und im nördlichen Spanien, aber auch im französisch-italienischen Grenzgebiet; vgl. Encyclopaedia Universalis, Bd. RZ: Récollets-Zyriane, Paris 1990, Transhumance, S. 3504. 44 Vgl. Gorría Ipas, Antonio Jesffls, Algunos aspectos sobre los Tratados de Facerías entre los valles de Ansó y Aspe, in: Archives Départementales des Hautes-Pyrénées u. a. (Hrsg.), Lies et Passeries dans les Pyrénées, Tarbes 1986, S. 139 ff. (S. 140 f.). 45 So stellten Wetterumschwünge, Hagel oder auch Lawinen, von denen z. B. im Jahr 1601 in den Pyrenäen zwei Dörfer mit 700 Einwohnern verschüttet wurden, unmittelbare Bedrohungen für das Überleben der Gebirgsbevölkerungen dar; vgl. Soulet, Jean-François, La vie quotidienne dans les Pyrénées sous l’Ancien Régime du XVIe au XVIIIe siècle, Paris 1988, S. 35. 43

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Klima- und Wetterscheide bildet, an der die Niederschläge regelmäßig im Norden höher als im Süden und im Westen höher als im Osten ausfallen. Dadurch konnten landwirtschaftliche Subsysteme entstehen, die sich zwar immer stark auf die Viehhaltung stützten, aber in Abhängigkeit von den Klima- und Höhenlagen andere Zusammensetzungen des Viehbestands sowie Spezialisierungen beim Anbau von Mais, Getreide, Wein und Obst aufwiesen.46 Innerhalb der Pyrenäen gab es somit unterschiedliche agrarische Produktpaletten, zu denen weitere endogene Ressourcen wie beispielsweise Metalle und Holz hinzukamen, die wechselseitig verhandelbar waren.47 Bis zum Aufkommen von Eisenbahnen und motorisiertem Güterverkehr konnten die entsprechenden Austauschprozesse, die im Gebirge mit Hilfe von Lasttieren erfolgten, über eine Vielzahl von Pass- und Saumtierwegen abgewickelt werden, die heute oft in Vergessenheit geraten sind. Anstelle von gegenwärtig neun Straßenverbindungen, die nur noch von marginaler Bedeutung sind,48 standen dafür alleine in den Zentralpyrenäen mindestens 21 auch für den überregionalen Waren- und Personenverkehr genutzte Gebirgsübergänge zwischen Frankreich und Spanien zur Verfügung.49 Für Kontakte von kurzer bis mittlerer Reichweite haben die Pyrenäen insofern bis in die jüngere Vergangenheit und insbesondere für die Gebirgsbewohner selbst nie wie eine echte Barriere gewirkt.50 Ihre Wirkungskraft verloren die innerpyrenäischen Interdependenzen erst mit dem allmählichen Niedergang der „alten“ Gebirgsökonomie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.51 In einem ihrer auffallendsten Merkmale, der jahrhundertealten Kontinuität grenzüberschreitender Zusammenarbeit, sind sie jedoch bis heute erhalten geblieben, indem der seit dem Mittelalter überlieferte Regelungsbestand immer wieder modifiziert und an zeitgenössische Erfordernisse angepasst worden ist.52

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Von Westen nach Osten kann diesbezüglich zwischen einem „type basco-béarnais“, einem „type des Pyrénées centrales“, einem „type aragonais“ und einem „type mediterranéen“ differenziert werden, die jeweils über eine spezifische landwirtschaftliche Produktpalette verfügen; vgl. Viers, S. 90 ff. Zu klimatologischen Unterschieden in den Pyrenäen und ihren Folgen vgl. auch DATAR/MOPU, S. 34 f. 47 Vgl. z. B. Gorría Ipas, Antonio Jesffls, El Pirineo aragonés: Una frontera que no lo fue, in: Trébede, Nr. 25, 1999, S. 7 ff. (S. 7). 48 Hierzu s. o., dieser Teil, A. I. 1., insbes. zu Fn. 16. 49 Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 74. 50 Vgl. Bielza de Ory, Vicente, Las relaciones socioeconómicas transpirenaicas (I.), in: ders./Dalla-Rosa, Gilbert (Hrsg.), Las relaciones socioeconómicas transpirenaicas, Colleción „Cosas Nuestras“, Nr. 6, Huesca 1989, S. 7 ff. (S. 11). 51 Vgl. DATAR/MOPU, S. 109, 52 Hierzu s. u., dieser Teil, insbes. B. I., B. II., C. II., D. II.

B. Die Herausbildung von Grenze(n)

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III. Zwischenergebnis zu Teil 2, A. Bei den Pyrenäen handelt es sich zweifellos um eine markante geophysische Barriere, die sich in vielfältiger Weise auf die Lebensbedingungen innerhalb des Massivs sowie auf dessen Beziehungen zu seinem erweiterten regionalen Umfeld auswirkt. Dabei wird der Eindruck einer „natürlichen“ Grenze durch die politisch-administrative Segmentierung des Gebirges verstärkt, die insbesondere im Fall der französisch-spanischen Landgrenze seit 1659 durch eine große Stabilität geprägt war. Tatsächlich haben jedoch weder die geophysische noch die politisch-administrativen Barrieren durchgängig die selbe Intensität aufgewiesen oder die selben Wirkungen gezeitigt. Vielmehr bildeten die Pyrenäen nicht nur trotz, sondern teilweise gerade wegen ihrer natürlichen Gegebenheiten eine zunächst täler- und später grenzübergreifende Kontaktzone, die in den bis heute vergleichsweise homogenen Lebensverhältnissen auf beiden Seiten der Grenze ihren Widerhall als eigenständiges Raumganzes findet. Historisch gesehen waren die Gebirgsbevölkerungen hier bei allen sprachlichen, kulturellen, ökonomischen und politischen Unterschieden bis weit in das 19. und zum Teil bis in das 20. Jahrhundert hinein durch wechselseitige Abhängigkeiten und daraus erwachsende intramontane Beziehungsgeflechte verbunden. Diese Beobachtung und ihre Hintergründe sollen im Folgenden durch die Untersuchung zur Entstehung und Entwicklung von Grenze(n) und grenzüberschreitender Zusammenarbeit für den Pyrenäenraum weiter vertieft werden.

B. Die Herausbildung von Grenze(n) und von grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen dem Mittelalter und dem Pyrenäenfrieden (1659) Wie im ersten Teil der Untersuchung zum Forschungsstand herausgearbeitet worden ist, besteht hinsichtlich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Schrifttum eine interdisziplinäre Einigkeit lediglich dahingehend, dass ihr wesentlicher Bezugs- und Identifikationspunkt ein besonderes Näheverhältnis zur völkerrechtlichen Staatsgrenze sein soll.53 In einer rechtsdogmatischen Perspektive, die den Westfälischen Frieden und das „Zwischenstaatenrecht der französischen Epoche (1648–1815)“54 als Ausgangspunkt des Völkerrechts ansieht, kann in den Pyrenäen von einer solchen Grenze jedoch frühestens seit der Unterzeichnung des französisch-spa53 54

Hierzu s. o., Teil 1, insbes. B. III. 2. Vitzthum (2004), S. 8.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

nischen Pyrenäenvertrags von 1659 gesprochen werden. In einer strengen Auslegung dürfte es dort vor diesem Zeitpunkt folglich keine Kooperationsformen gegeben haben, die einem entsprechend definierten Verständnis von grenzüberschreitender Zusammenarbeit unterfallen können. Die Realitäten im Pyrenäenraum vor 1659 lassen derartige zeitliche Eingrenzungsversuche allerdings eher als gängige und zugegebenermaßen bequeme Konventionen denn als sachlich gerechtfertigte Ausschlussgründe erscheinen. So wiesen auch mittelalterliche oder frühneuzeitliche Gebietsund Herrschaftsgrenzen Eigenschaften auf, die sie zumindest partiell den späteren völkerrechtlichen Grenzen vergleichbar machen. Dazu gehörte die Notwendigkeit, verbindliche Normen für die Aufrechterhaltung des Grenzfriedens und für das Zusammenleben in den Grenzgebieten zu finden, die sich in vielfältigen gewohnheitsrechtlichen und vertraglichen Bindungen niederschlugen. In ihnen waren bereits wesentliche Elemente und Techniken einer geregelten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit angelegt, die über die völkerrechtlichen Grenzverträge des 17., des 18. und selbst noch des 19. Jahrhunderts hinaus Bestand hatten. Es käme daher einer Selbstbeschneidung von Erkenntnispotentialen gleich, wenn das Forschungsfeld unter Berufung auf bloß formal-zeitliche Argumente auf eine Untersuchung von vor-völkerrechtlichen Grenzen und von den mit ihnen verbundenen Frühformen grenzüberschreitender Zusammenarbeit verzichten wollte. Bezogen auf die Pyrenäen lassen sich beide Phänomene für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit allerdings kaum verstehen, ohne zuvor den Blick auf die traditionelle Organisation lokaler Herrschaft in den Talschaften des Massivs, auf deren Beziehungen untereinander sowie auf ihre Einbindung in übergeordnete Herrschaftsstrukturen gerichtet zu haben.

I. Tal und Talschaft als historische Träger der lokalen politisch-ökonomischen Grundordnung im Pyrenäenraum 1. Die innere Ordnung: casa- oder (h)ostal-System, Talversammlung und Gemeinbesitz In den Pyrenäen waren die natürlichen Ressourcen, von denen das Überleben „vormoderner“55 agrarischer Gesellschaften abhing, stets begrenzt und 55

Die Verwendung zeitabhängiger Termini wie „Vormoderne“ oder „Moderne“, die sich nur ungefähr an den beschleunigten strukturellen Umbrüchen seit 1850 ausrichten können, dient lediglich der besseren Verständlichkeit des Texts. Zur Problematik solcher Begrifflichkeiten vgl. z. B. Gumbrecht, Hans Ulrich, Modern – Modernität, Moderne, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.),

B. Die Herausbildung von Grenze(n)

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mussten demzufolge, wie auch in anderen europäischen Gebirgsregionen, sorgfältig bewirtschaftet werden. Dieser Notwendigkeit entsprach das bis ins 19. Jahrhundert pyrenäenweit verbreitete casa- oder (h)ostal-System, das die sozio-ökonomische Basis aller dortigen traditionellen Gesellschaften bildete.56 Begrifflich war damit sowohl das Gebäude, in dem eine Familie lebte, als auch der in ihm verkörperte Familienverband gemeint, dessen Fortbestand und Ehrenkodex absoluten Vorrang vor den Individualinteressen seiner einzelnen Angehörigen genoss. An der Spitze dieser Verbände stand jeweils ein Alleinerbe, der oft unter seiner okzitanischen Bezeichnung bekannte cap d’ostal, dem die Bewahrung des unteilbaren privaten Grundbesitzes seines „Hauses“ oblag. Alle anderen Familienmitglieder dienten ihm entweder als untergeordnete Arbeitskräfte oder aber mussten sich auswärts verdingen, in einen anderen Familienverband einheiraten beziehungsweise das angestammte Tal verlassen.57 Da es in den Pyrenäen in der Regel keine ausgeprägte Besitzkonzentration in den Händen weniger Familien gab, machten die Haushaltsvorstände allerdings einen nicht unbedeutenden Anteil der Gesamtbevölkerung aus, wodurch das System innere Stabilität erlangte.58 Die casa- oder (h)ostal-Ordnung diente dabei vor allem zwei übergeordneten gesellschaftlichen Zielen: Sie sollte einerseits die Gründung neuer „Häuser“ mit eigenen Ansprüchen an die Ressourcen des Tales verhindern, um das stets prekäre Gleichgewicht zwischen der verfügbaren Nutzfläche und der daraus zu ernährenden Bevölkerung zu erhalten.59 Andererseits hatte sie eine bestandssichernde Funktion für die extensive Vieh- und Weidewirtschaft als dem weitaus wichtigsten Eckpfeiler der vormodernen Gebirgsökonomie. Aus den besitzlosen nachgeborenen Söhnen rekrutierten sich nämlich nicht nur die Knechte und einfachen Arbeiter in den Tälern, sondern auch die vielen Hirten und Senner, die zur Betreuung der Herden auf ihren saisonalen Wanderungen sowie auf den Gebirgsweiden erforderlich waren.60 Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4: Mi–Pre, Stuttgart 1973, S. 93 ff. (insbes. S. 114 ff.). 56 Vgl. Lafourcade, S. 11. Zur Verbreitung und wirtschaftlichen Bedeutung dieses „alteuropäischen“ Phänomens vgl. auch Brunner, Otto, Das „Ganze Haus“ und die alteuropäische „Ökonomik“, in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2., vermehrte Aufl., Göttingen 1968, S. 103 ff. 57 Vgl. Bielza de Ory, S. 10; vgl. auch Allinne, Jean-Pierre, Frontière négociée. Frontière disputée: Une représentation coutumière des conflits frontaliers dans les Pyrénées sous l’Ancien Régime, in: Lafourcade, Maïté (Hrsg.), La frontière francoespagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, Actes de la journée d’étude du 16 novembre 1996, Bordeaux 1998, S. 33 ff. (S. 37). 58 Vgl. Soulet (1988), S. 49 f. 59 Vgl. Desplat, Christian, La guerre oubliée: Guerres paysannes dans les Pyrénées (XIIe–XIXe siècles), Biarritz 1993, S. 33 ff. 60 Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 67.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Dass die casa- oder (h)ostal-Ordnung bereits im Mittelalter fest in den Pyrenäen verankert war, ist durch zeitgenössische Quellen dokumentiert. Einen für damalige Verhältnisse ungewöhnlich detaillierten Einblick bieten etwa die Akten des Inquisitionsgerichts von Pamier, auf deren Auswertung die bekannte soziologische Studie von Emmanuel Le Roy Ladurie über das Pyrenäendorf Montaillou in den Jahren von 1294 bis 1324 beruht.61 Damit konnte nicht nur die frühe Gleichsetzung von (h)ostal und Familie sowie die identitätsstiftende Verbindung zwischen dem Familienverband und dem von ihm bewohnten Haus nachgewiesen werden. Vielmehr wurden hier auch die ansonsten kaum mehr zu erfassenden Wanderungsbewegungen einer in Teilen sehr mobilen Viehzüchter- und Hirtengesellschaft sichtbar. Deren transpyrenäische Beziehungsgeflechte ermöglichten in Krisenzeiten selbst die Flucht und Wiederansiedlung von ansonsten sesshaften (h)ostalGesamtverbänden über Gebiets- und Herrschaftsgrenzen hinweg, ohne dass anscheinend nennenswerte Akkulturationsprobleme in der neuen Umgebung aufgetreten wären.62 Ein für den Großteil der Pyrenäen typisches Merkmal lokaler Herrschaft ließ sich allerdings im mittelalterlichen Montaillou nicht beobachten, vielleicht weil der Ort in den am stärksten feudalisierten nord-östlichen Gebieten des Massivs gelegen war, wo es bis zur Französischen Revolution mächtige adlige Grundherren gab.63 Dabei handelte es sich um die abgestufte Selbstverwaltungsorganisation der Gebirgstäler und ihrer Talschaften, deren unterste Ebene das aus mehreren (h)ostal-Einheiten bestehende Dorf mit seiner im Okzitanischen als vesiau bezeichneten Gemeindeversammlung bildete. In ihr kamen alle besitzenden Haushaltsvorstände zusammen, die ihre jeweils auf Zeit gewählten Vertreter sowohl in die Gremien größerer Gemeindeverbände oder -bezirke als auch in die Talversammlung als der höchsten lokalen Autorität entsandten.64 Trotz unterschiedlicher Benennungen65 funktionier61

Vgl. Le Roy Ladurie, Emmanuel, Montaillou, village occitan de 1294 à 1324, édition revue et corrigée, Paris 1982. 62 Vgl. ebd., S. 51 ff., S. 108 ff., S. 150 ff. 63 Zu dieser Besonderheit der nord-östlichen Pyrenäengebiete vgl. Douglass, William A., A western perspective on an eastern interpretation of where north meets south: Pyrenean borderland cultures, in: Wilson, Thomas M./Donnan, Hastings (Hrsg.), Border identities, Cambridge 1998, S. 62 ff. (S. 69); Soulet (1988), S. 39 f. 64 Zur internen Organisation eines Pyrenäentals am Beispiel des Valle de Arán vgl. Roigé, Xavier/Beltran, Oriol/Estrada, Ferran, „Une petite république entre deux royaumes“. Organisation politique et adaptation au milieu dans le Val d’Aran (XVIIIe–XXe siècles), in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 2, Toulouse 1995, S. 189 ff. (S. 197 ff.). 65 Verbreitet waren Bezeichnungen wie Conselh (Generau) im okzitanischen, Consell (General) im katalanischen, Jurade im béarnesisch-gascognischen und

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ten die Talversammlungen in den Pyrenäen überall nach ähnlichen Grundprinzipien und repräsentierten lange Zeit das in politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht maßgebliche Instrument lokaler Herrschaft.66 Im Innenverhältnis beruhte ihre Macht auf der Verfügungsgewalt über die ausgedehnten, in Gemeinbesitz befindlichen Weideflächen und Bergwälder des Tales sowie über andere Gemeinschaftsunternehmungen.67 So kam insbesondere dem kollektiv betriebenen Bergbau und der Metallverarbeitung in manchen Pyrenäentälern schon seit der Antike eine große wirtschaftliche Bedeutung zu.68 Privatbesitz, der individuelle Reichtumsdifferenzen zwischen den einzelnen (h)ostals begründete, blieb auf die für den Ackerbau und für das Einbringen von Winterheu besonders produktive Talsohle beschränkt. Dem standen jedoch selten weniger als 80 Prozent und oft sogar mehr als 90 Prozent der Gesamtfläche eines Tales gegenüber, die als Gemeinbesitz auch das Überleben der weniger vermögenden Talbewohner sicherten.69 Mit dieser speziellen Besitz- und Wirtschaftsordnung waren die Pyrenäen im europäischen Kontext übrigens keineswegs isoliert, da vergleichbare Organisationsformen beispielsweise in den Bergregionen Skandinaviens und der Karpaten, vor allem aber auch in den dörflich geschlossenen romanischen Siedlungsgebieten der Alpen existierten. Gleiches galt für viele „Volkschaften“ der deutschsprachigen Schweiz, wo das Prinzip der sogenannten Talmarkgemeinschaft im Kanton Uri bis heute überdauert hat.70 Biltzar im baskischen Sprachgebiet; vgl. Harguindéguy, Jean-Baptiste, La coopération transfrontalière franco-espagnole face à ses contradictions, in: Revue Études internationales 2/2004, S. 307 ff. (S. 311); Roigé/Beltran/Estrada, S. 198. 66 Zur überragenden Bedeutung der Täler in den Pyrenäen vgl. nur Bielza de Ory, S. 10 f.; Cavaillès, H., Une fédération pyrénéenne sous l’Ancien Régime: Les Traités de lies et de passeries (I), in: Revue Historique, Vol. 150, Nr. I, 1910, S. 1 ff. (S. 7 f.); Gorría Ipas (1995), S. 67. 67 Vgl. Descheemaeker, S. 257; Lafourcade, S. 11; Soulet (1988), S. 42. 68 Zur langen Geschichte der Metallausbeutung und -verarbeitung insbesondere in den östlichen Pyrenäen vgl. z. B. Izard, Véronique, Le fer et la fôret dans un „pays frontière“. Enjeux économiques et sociaux et crises séculaires de la métallurgie au bois dans la „Province du Roussillon“ (XVIIe–XIXe siècles), in: Brunet, Michel/ Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 105 ff. (S. 106 f.). 69 Vgl. Roigé/Beltran/Estrada, S. 194 f.; Soulet (1988), S. 42, S. 44 f. 70 Vgl. Bätzing, S. 56 ff.; Carlen, L., Alpkorporationen in der Schweiz, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. I: Aachen–Haussuchung, Berlin 1971, Sp. 130 ff. (Sp. 130 f.); Grass, N., Almrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. I: Aachen–Haussuchung, Berlin 1971, Sp. 123 ff. (Sp. 125 f.); Niederer, Arnold, Economie et forme de vie traditionnelles dans les Alpes, in: Guichonnet, Paul (Hrsg.), Histoire et civilisations des Alpes, Bd. II: Destin humain, Toulouse/Lausanne 1980, S. 5 ff. (S. 20 ff., S. 71).

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Angesichts der Dominanz des Gemeinbesitzes, der vermeintlich egalitären Lebensverhältnisse, des prinzipiell gleichen Wahlrechts für alle Haushaltsvorstände und der darauf beruhenden lokalen Selbstverwaltung wurde in der Außensicht auf die Pyrenäen schon früh angenommen, dass die Gebirgstäler fast wie quasi-autonome Republiken funktioniert hätten.71 Der im 17. Jahrhundert aufgekommene und seit dem 19. Jahrhundert wiederholt aufgegriffene Mythos von den „pétites « républiques » montagnardes fondées sur l’égalité des voisins et la sagesse des modes de vie“ zeugte jedoch eher von den romantischen Idealen seiner zivilisationskritischen Vertreter als von der rigiden und nicht selten gewalttätigen Lebenswirklichkeit der Pyrenäen.72 Zwar unterschieden sich die politisch-sozio-ökonomischen Strukturen des Massivs tatsächlich von den in seinem Umfeld dominierenden mittelalterlichen Adelsherrschaften, wie schon die mit Ausnahme der bereits erwähnten nord-östlichen Pyrenäengebiete durchweg äußerst geringe Präsenz von Adligen innerhalb des Gebirges erkennen ließ.73 Dennoch waren die Pyrenäentäler zum einen nie im rechtlichen Sinne nach außen hin souverän;74 zum anderen traten hier, ebenso wie in manchen Alpentälern,75 die einflussreichsten cap d’(h)ostaux an die Stelle der adligen Grundherren, um ihrerseits die innere Machtverteilung zu monopolisieren. Die Ergebnisse von Wahlen oder Abstimmungen innerhalb des Tales waren daher in der Praxis häufig durch klientilistische Kooptierungen im Rahmen einer verfestigten Notablenordnung präjudiziert. Mit einer Entsendung in die Gremien der Talschaft, in der sie über die lebenswichtige Nutzung des Gemeinlandes und -besitzes des Tals entschieden, sicherten sich die in den einzelnen Gemeinden tonangebenden caps die Möglichkeit, bestehende Abhängigkeiten weiter auszubauen und ihre Machtstellung zu perpetuieren. Ein wichtiges Element des Machterhalts war in dem Zusammenhang auch das Recht der Talvertretung, die Mitglieder der Eigengerichtsbarkeit des Tales aus den eigenen Reihen zu ernennen.76 71 Vgl. z. B. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 7; Gómez Ibáñez, S. 24, m. w. N. 72 So Allinne, S. 35, m. w. N. 73 Vgl. ebd., S. 36. Die Abwesenheit adliger Grundherren etwa im Valle de Arán bestätigt auch Poujade, Patrice, Pouvoir local et central dans le Val d’Aran au XVIIe siècle (vers 1610 – vers 1720), in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 479 ff. (S. 479). Die nord-östlichen Pyrenäengebiete stellten insoweit folglich eine Ausnahme dar; hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, insbes. zu Fn. 63. 74 Hierzu s. u., dieser Teil, B. I. 2. 75 Für südfranzösische Alpentäler, wie etwa das Vallée d’Arvieux, vgl. z. B. Niederer, S. 71 f. 76 Zur Machtstellung der syndics und der anscheinend nicht selten personellen Identität zwischen Richtern und obersten Vertretern (consuls) der Talschaften vgl. z. B. Soulet (1988), S. 47 f.

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Die in Literatur und Folklore oft überbetonte „demokratische“ Legitimation und richterliche Unabhängigkeit der sogenannten juges-syndics, die als Richter-Ratsmänner selbst Teil der lokalen Eliten waren, muss insoweit sicherlich relativiert werden, wenngleich ihre zentrale Bedeutung für die Konfliktregulierung in den Pyrenäen unbestritten bleibt. Als Richter urteilten sie nämlich nicht nur über innere Verstöße gegen die institutionell-rechtliche Ordnung des Tales, sondern sie verteidigten diese auch nach außen gegenüber den jeweiligen Souveränen sowie in der tälerübergreifenden Streitbeilegung.77 2. Die äußere Ordnung: Foralregime und Ermächtigung zum Abschluss tälerübergreifender Abkommen Das Verhältnis der meisten Pyrenäentäler zur Außenwelt bestimmte sich vom Mittelalter bis weit in das 18. Jahrhundert hinein über eine Vielzahl lokaler Sonderrechte oder Privilegien, die im Süden als fueros und im Norden als fors bekannt waren.78 Keineswegs nur auf die Pyrenäen beschränkt, umfassten sie die Gesamtheit des ursprünglich von einem Herrscher verliehenen oder bestätigten Partikularrechts eines bestimmten Ortes oder Gebietes, das Vorrang vor dem reichs- oder territoriumsweit gültigen ius commune genoss und bei einem Herrschaftswechsel feierlich beschworen beziehungsweise erneuert wurde.79 Eine völlige Selbständigkeit der Täler ging damit nicht einher, aber die sich erst ausbildende und räumlich entfernte staatliche Macht, die der König oder sonstige Territorialherren verkörperten, „ne représentaient en effet que le niveau ultime de la structure par emboîtement qui caractérisait l’organisation de ces sociétés montagnardes.“80 Dass es sich dabei um eine im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gängige Rechtskonstruktion zur gestuften Ausübung von Herrschaft handelte, wird durch die Verbreitung vergleichbarer Privilegienordnungen in ganz Europa bestätigt.81 In seinem regionalen Kontext wies das sogenannte Foral77

Vgl. dazu Allinne, S. 37 ff., m. w. N. Zu diesem Begriff und seinem weit über die Pyrenäen hinausreichenden Bedeutungsgehalt vgl. auch Gibert, R., Fueros, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. I: Aachen– Haussuchung, Berlin 1971, Sp. 1319 ff. 79 Vgl. Douglass, S. 63 ff. 80 So Brunet, Serge, Les mutations des lies et passeries des Pyrénées du XIVe au XVIIIe siècle, in: Annales du Midi, Nr. 114, 2002, S. 431 ff. (S. 436). 81 Vgl. z. B. Lexikon des Mittelalters, Bd. VII: Planudes bis Stadt (Rus’), München 2002, „Privileg(ien)“, Sp. 224 ff.; Krause, H., Privileg, mittelalterlich, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. III: List–Protonotar, Berlin 1984, Sp. 1999 ff.; Mohnhaupt, H., Privileg, neuzeitlich, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. 78

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regime der Pyrenäen allenfalls die Besonderheit auf, dass es der Gebirgsbevölkerung im Gegensatz zu den umliegenden Ebenen fast einschränkungslos gelungen war, ihren vor-feudalistischen Freienstatus gegenüber äußeren Eingriffsversuchen zu bewahren. Das Gebirgsmilieu stand dabei der Durchsetzung einer effektiven Herrschaftskontrolle ebenso entgegen wie die ausgeprägte Wehrbereitschaft und Bewaffnung der Talschaften, deren Einbindung und Loyalität in Ermangelung anderer Mittel nur über die Verleihung großzügiger, den status quo ante wahrender Privilegien abgesichert werden konnte.82 So blieben die Gebirgsbewohner zumeist wie Adlige von allen Feudalabgaben und -diensten befreit und auch die Heerfolge, die sie wie andere freie Bauernschaften Europas als einzige substantielle Standespflicht zu leisten hatten,83 war durch zahlreiche Garantien abgesichert. Entsprechende Kriegsdienste unterlagen häufig engen zeitlichen und räumlichen Beschränkungen oder mussten vom Herrscher vorab als unabdingbare Notwendigkeit vor der Talversammlung gerechtfertigt werden. Faktisch fühlten sich die bewaffneten Talschaften jedoch meist nur zur Gewährleistung des eigenen Schutzes sowie zur militärischen Sicherung der lokalen Gebirgsgrenzen gegenüber feindlichen Einfällen verpflichtet.84 Bei Verstößen gegen Heerfolgeoder sonstige Treuepflichten mussten sich die Gebirgsbewohner zudem regelmäßig nur vor ihrer Eigengerichtsbarkeit verantworten, wobei sie sich gegenüber externen Verfolgungen zusätzlich auf besondere Schutz- und Asylrechte berufen konnten, die viele Täler innehatten.85 Die freiwillig oder notgedrungen gewährten Privilegien führten zu einer wachsenden Verrechtlichung der Beziehungen zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen, so dass es vermutlich kein Zufall ist, wenn sich ab dem 11./12. Jahrhundert fast zeitgleich mit der Etablierung des Foralregimes in den Pyrenäen auch die ersten Hinweise auf förmliche, Gebiets- und Herrschaftsgrenzen überschreitende Abkommen zwischen den Pyrenäentälern finden.86 Entsprechende landesherrliche Ermächtigungen, die den Talschafv. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. III: List–Protonotar, Berlin 1984, Sp. 2005 ff. 82 Vgl. z. B. Allinne, S. 39. 83 Zum „Freienrecht“ in der Heer- und Landfolge sowie zu den Milizen der zeitgenössischen Bauerngesellschaften in den Alpen oder an der Nordsee vgl. Möller, H.-M., Landfolge, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. II: Haustür–Lippe, Berlin 1978, Sp. 1448 ff., m. w. N. 84 Vgl. Brunet, Serge, Les lies et passeries des Pyrénées sous Louis XIV, ou l’art d’éviter les malheurs de la guerre?, in: Corvisier, André/Jacquart, Jean (Hrsg.), Les malheurs de la guerre, Bd. 1: De la guerre à l’ancienne à la guerre réglée, Paris 1996, S. 271 ff. (S. 279). 85 Vgl. dazu Gorría Ipas (1995), S. 76. 86 Vgl. Desplat (1993), S. 60.

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ten ausdrücklich das Recht zum eigenständigen Abschluss lokaler Grenz-, Friedens- und Kooperationsverträge einräumten, liegen spätestens seit dem 13. Jahrhundert gesichert vor.87 Bemerkenswerterweise traf dies selbst für die am stärksten feudalisierten Gebiete der nord-östlichen Pyrenäen zu, wo es den Gebirgsbewohnern ausweislich einer Generalklausel von 1293 gestattet war, „de conclure avec leurs frontaliers, en toute liberté et de leur seule autorité, un accord de paix et tous autres engagements jurés.“88 Vergleichbare Vorrechte existierten überall in den Pyrenäen und ermöglichten – wie etwa die bekannte Privilegiensammlung der sogenannten Querimònia von 1313/1316 für das zur Krone von Aragón und später zu Spanien gehörende Valle de Arán89 – selbst in Kriegszeiten einen unbeschränkten, nur durch geringe staatliche Zölle belasteten grenzüberschreitenden Handel, der zwischen den einzelnen Talschaften durch jährlich zu erneuernde lokale Abkommen geregelt war.90 Dermaßen weitreichende Ermächtigungen, denen offenkundig andersartige Auffassungen von Grenze, von lokaler Handlungsmacht in grenzüberschreitenden Fragen sowie letztlich von Herrschaftsausübung ganz allgemein zugrunde lagen, mögen aus heutiger Sicht nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar sein. Dass hier jedenfalls eigene Logiken und Mechanismen bestanden, wird aber insbesondere im Hinblick auf die Interpretation vor-völkerrechtlicher Grenzbildungen im Pyrenäenraum berücksichtigt werden müssen.

II. Die Herausbildung vor-völkerrechtlicher Gebietsund Herrschaftsgrenzen im Pyrenäenraum Eine Untersuchung vor-völkerrechtlicher Grenzen in den Pyrenäen muss angesichts der herausgehobenen Bedeutung der Talschaften im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zunächst zwischen den kleinräumig-lokalen Gebietsgrenzen der Täler sowie, in einem zweiten Schritt, zwischen den groß87 Vgl. Brunet (2002), Les mutations, S. 432; Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 8. 88 Zitiert nach Baby, François, Les passeries entre l’Andorre et le Haut-Sabarthès dans le système pastoral ariègeois, in: Archives Départementales des Hautes-Pyrénées u. a. (Hrsg.), Lies et Passeries dans les Pyrénées, Tarbes 1986, S. 181 ff. (S. 183). 89 Zur Querimònia und ihren Inhalten vgl. Poujade, Patrice, Une vallée frontière dans le Grand Siècle: Le Val d’Aran entre deux monarchies, Aspet 1998, S. 52. Im Folgenden wird zur besseren Kennzeichnung von Tälern im spanischen Herrschaftsbereich regelmäßig der Terminus „Valle“ benutzt, auch wenn die jeweilige Eigenbezeichnung anders lauten kann. Analog dazu wird für Täler im französischen Herrschaftsbereich der Terminus „Vallée“ verwendet [Anm. d. Verf.]. 90 Vgl. Brunet (2002), Les mutations, S. 434.

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räumigeren Herrschaftsgrenzen der den Tälern übergeordneten Territorialmächte differenzieren. Waren erstere schon aufgrund der geographischen Gegebenheiten im Gebirge relativ stabil, wenn auch nicht konfliktfrei, so unterlagen letztere wenigstens bis 1659 noch größeren Verschiebungen. Die für eine Analyse notwendige Trennung zwischen diesen beiden Grenztypen ist allerdings nur bedingt tragfähig, da die Außengrenzen größerer Herrschaftsgebilde in der Praxis aus einer Aneinanderreihung von nur lokal festgelegten Gebietsgrenzen bestanden. Ihr Verschmelzungsprozess war äußerst langwierig, wobei die Staatsaußengrenzen erst spät „aus der Vielfalt frühneuzeitlicher Grenzlinien heraus als die Grenzen par excellence [entstanden] – als Orte einer beständigen und massiven staatlichen Gewaltpräsenz, welche die nichtstaatlichen lokalen Akteure zu entwaffnen beanspruchte.“91 1. Frühe lokale Gebietsgrenzen in den Pyrenäen Die schriftliche Belegbarkeit von rechtlich sorgfältig geregelten lokalen Gebietsgrenzen setzt in den Pyrenäen zwischen dem 12. und dem 13. Jahrhundert ein.92 Nach außen trennten diese Grenzen die Gebiete der einzelnen Pyrenäentäler voneinander ab, deren jeweilige Besitz- und Nutzungsrechte in tälerübergreifenden Grenzverträgen aufgelistet und durch Grenzzeichen in der Fläche markiert wurden.93 Unbeanspruchte Territorien oder breitere Grenzsäume, welche die Forschung über die Entstehung von Grenzen teilweise vorausgesetzt hat,94 sind somit in den Pyrenäen für keinen in den vorliegenden Quellen noch erschließbaren Zeitraum anzunehmen.95 Die Grenzverläufe zwischen den Tälern waren vielmehr seit dem Mittelalter so genau und durchgängig dokumentiert, dass sie im Zuge der endgültigen Delimitierung der französisch-spanischen Landgrenze in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Referenz dienen und zumeist unverändert übernommen werden konnten.96 Lokale Gebietsgrenzen existierten jedoch nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Pyrenäentäler, wo sie die jeweiligen Territorien der Dörfer, Gemeindeverbände und -bezirke einer Talschaft kennzeichneten,97 die durch präzise Toponymbezeichnun91 So Windler, Christian, Grenzen vor Ort, in: Rechtsgeschichte 1/2002, S. 122 ff. (S. 124) [Hervorhebungen im Original; Anm. d. Verf.]. 92 Vgl. Lafourcade, S. 11, m. w. N.; vgl. auch Gorría Ipas (1986), S. 143, S. 147. 93 Hierzu s. u., dieser Teil, B. III. 1. 94 Hierzu s. o., Teil 1, B. I. 1. 95 Vgl. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 11. f. 96 Vgl. Descheemaeker, S. 243, S. 259; Gómez-Ibáñez, S. 25. 97 Zur internen politisch-räumlichen Gliederung eines Pyrenäentals am Beispiel des besonders intensiv untersuchten Valle de Arán vgl. Poujade (1998), S. 24 ff.; Roigé/Beltran/Estrada, S. 197 ff.

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gen und durch das Setzen von Grenzsteinen gleichfalls sorgfältig ausgewiesen waren.98 Die frühe Existenz entsprechender Grenzregime in den Pyrenäen ist allerdings keineswegs als ein Zeichen von Konfliktfreiheit oder beständiger Rechtssicherheit zu werten. Die Notwendigkeit vertraglicher Einigungen deutete ganz im Gegenteil regelmäßig auf vorhergehende Streitigkeiten zwischen lokalen Akteuren hin, die sowohl innerhalb eines Tales als auch tälerübergreifend oft extrem gewaltsam ausgetragen wurden und nicht selten nach einer Zeit der rechtlichen Befriedung erneut aufflammten.99 Ursächlich dafür waren, soweit sich das nachvollziehen lässt, jeweils örtliche Konfliktlagen, die sich etwa aus mikroklimatischen, topographischen oder demographischen Ungleichgewichten ergaben. Ein im Nachhinein hergestellter Zusammenhang mit der sich nur langsam ausbildenden französisch-spanischen Landgrenze bestand ursprünglich nicht, da sich diese nicht nur in der Wahrnehmung der Gebirgsbevölkerungen wohl erst im späteren 18. Jahrhundert endgültig von den lokalen Gebietsgrenzen zu unterscheiden begann.100 Dass die entstehende Staatsgrenze eher Kristallisationspunkt denn Auslöser bereits existierender Konflikte war, zeigte sich insbesondere in ursprünglich ethnisch, kulturell und sprachlich homogenen Gebieten, die wie die Aldudes in den West- und die Cerdagne in den Ostpyrenäen erst im 16. respektive im 17. Jahrhundert zwischen den beiden Ländern geteilt wurden. Traditionelle lokale Kontroversen erhielten dadurch vielleicht eine neue „internationale“ Dimension, aber ihre lange Vorgeschichte lässt keinen Raum für Spekulationen, dass sie erst mit oder gar wegen der französisch-spanischen Grenzziehungen aufgekommen sein könnten.101 Bei der Ursachenforschung für grenzbezogene Auseinandersetzungen in den Pyrenäen sollte insofern das Gewicht lokaler Rivalitäten generell nicht unterschätzt werden, die sich indirekt auch über die ausgesprochen abwertenden Bezeichnungen für nähere und entferntere Grenznachbarn erschließen lassen, welche durchgängig verbreitet waren.102 Weitgehend abgelöst 98 Vgl. Sanllehy i Sabi, Maria Angels, Le Val d’Aran: la frontière et les frontières (XVIIe–XVIIIe siècles), in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 467 ff. (S. 474 ff.); vgl. auch Roigé/Beltran/Estrada, S. 201. 99 Vgl. Descheemaeker, S. 240; Roigé/Beltran/Estrada, S. 201; Sanllehy i Sabi, S. 475 f.; Soulet (1988), S. 52 f. 100 Vgl. z. B. Soulet (1988), S. 65 f. 101 Vgl. dazu z. B. Sahlins (1989), S. 159; Sese Alegre, José Maria, Les frontières entre la Navarre et la France au XVIII siècle, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 369 ff (S. 369 f.).

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von Kriterien wie der politischen, sprachlichen und kulturellen Zugehörigkeit galt den Gebirgsbewohnern dabei letztlich alles als fremd, was nicht unmittelbar dem eigenen sozialen Bezugsrahmen und seinen engen räumlichen Grenzen unterfiel. Dieser „micro-ethnocentrisme“103 und die generelle Streitanfälligkeit lokaler Beziehungen waren zwar nicht auf die Gebirgs- und Grenzbevölkerungen beschränkt,104 sie sind aber in jedem Fall stets mitzubedenken, wenn nach den tieferen Beweggründen für die trotzdem betriebene täler-, herrschafts- und später staatsgrenzenüberschreitende Zusammenarbeit in den Pyrenäen gefragt wird.105 2. Vor-völkerrechtliche Herrschaftsgrenzen in den Pyrenäen Während die kleinräumigen Gemeinde-, Gemeindeverbands- und Talgrenzen bislang vor allem als Beschäftigungsfeld für Lokalhistoriker gedient haben, stießen die Prozesse der Herausbildung und damit der Abgrenzung größerer Herrschaftsgebilde auf ein ungleich breiteres wissenschaftliches Interesse. Sie fügen sich in den Kontext der vergleichsweise frühen Staatswerdung Spaniens und Frankreichs ein, die aber auch der Grund dafür war, dass hier überkommene, mit nachmaligen Staatsvorstellungen nur bedingt zu vereinbarende Elemente lange erhalten bleiben konnten. Die sich über Jahrhunderte hinweg erstreckende Entwicklungsgeschichte vorvölkerrechtlicher Herrschaftsgrenzen in den Pyrenäen kann insofern helfen, manche scheinbaren Besonderheiten der späteren französisch-spanischen Staatsgrenze und des an ihr geltenden Rechts aus den jeweiligen historischen Zusammenhängen heraus als vermutlich ursprünglichen „Normalfall“ zu erklären. a) Die Herausbildung der mittelalterlichen Pyrenäengrenze(n) Nach dem Untergang des römischen Imperiums, in dem die Pyrenäen nur eine innere Verwaltungsgrenze zwischen den Provinzen der Hispania Tarraconensis, der Gallia Aquitania und der Gallia Narbonensis gebildet hatten, ließen zunächst weder die gebirgsübergreifende Organisation des Westgotenreichs im 5. Jahrhundert noch die Integration des Massivs in die karo102 Vgl. Peillen, Txomin, Frontières et mentalités: l’autre et le semblable, in: Lafourcade, Maïté (Hrsg.), La frontière franco-espagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, Actes de la journée d’étude du 16 novembre 1996, Bayonne 1998, S. 95 ff. (S. 105 f.). 103 Ebd., S. 106. 104 Vgl. Desplat (1993), S. 12. f. 105 Hierzu s. u., dieser Teil, B. III.

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lingische Reichsverteidigung des 8. und des 9. Jahrhunderts die Vorstellung aufkommen, dass eine im Inneren der Pyrenäen verlaufende Grenze eine naturgegebene oder gar eine historische Notwendigkeit sein könnte.106 Erst mit der Ausbildung des europäischen Feudalwesens und der ihm eigenen territorialen Zergliederung kündigte sich diesbezüglich ein schrittweiser Wandel an. Ungefähr ab dem 10. Jahrhundert entstanden auf der Nordseite des Gebirges kleinere Feudalherrschaften, die von praktisch unabhängigen Grafen oder Herzögen regiert wurden und nur nominell der Lehnshoheit des französischen Königs unterlagen. Das Fürstentum Andorra, dessen heutige Grenzen sich bis auf das Jahr 1007 zurückführen lassen, ist in gewisser Weise ein Relikt dieser Epoche.107 Etwa zur selben Zeit verfestigte sich in den westlichen Pyrenäenausläufern an der Atlantikküste eine Herrschaftsgrenze, durch welche die nord- und südbaskischen Siedlungszonen dauerhaft voneinander getrennt wurden.108 Das nördliche Baskenland fiel dabei 1160 zusammen mit anderen nordwestlichen Pyrenäengebieten im Zuge der zweiten Heirat Eleonore von Aquitaniens an die englische Krone, wodurch dieser Teil des Pyrenäenraums unter den Auswirkungen der folgenden englisch-französischen Kriege um diese Kontinentalbesitzungen zu leiden hatte.109 Anders als im Norden, wo die französischen Könige zumindest einen alleinigen Herrschaftsanspruch behaupteten, nahm die Entwicklung auf der Südseite der Pyrenäen seit dem 10. Jahrhundert einen anderen Verlauf. Hier hatten sich nach der 711 begonnenen maurischen Eroberung der Iberischen Halbinsel aus den Keimzellen christlicher Rückzugsgebiete in Asturien sowie aus ehemaligen karolingischen Grenzgrafschaften mehrere eigenständige Königreiche gebildet, welche im Zuge der sogenannten Reconquista den Kampf gegen die maurische Vorherrschaft propagierten.110 In einer langen und komplizierten Genese setzten sich dabei drei Monarchien durch, von denen nur Navarra mit der Hauptstadt Pamplona territorial auf das Pyrenäenmassiv und sein näheres Umfeld beschränkt blieb.111 Das Königreich 106

Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 68 f.; Lafourcade, S. 3 f., m. w. N. Vgl. dazu auch schon Jones, S. 98. 107 Vgl. Crawford, James, The International Legal Status of the Valleys of Andorra, in: Revue de droit international de sciences diplomatiques et politiques, 1977, S. 258 ff. (S. 258 f.); Remacha Tejada, S. 279. 108 Vgl. Peillen, S. 111. 109 Vgl. Fernández de Casadevante Romani, Carlos, La frontera hispano-francesa y las relaciones de vecindad (especial referencia al sector fronterizo del País Vasco), Leioa 1985, S. 154 f. 110 Vgl. z. B. Engels, Odilo, Die Reconquista, in: ders., Reconquista und Landesherrschaft: Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter, Paderborn u. a. 1989, S. 279 ff.; O’Callaghan, Joseph F., Reconquest and Crusade in Medieval Spain, Philadelphia 2003, S. 23 ff.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Kastilien, das im 12. Jahrhundert die südbaskischen Gebiete an der Atlantikgrenze inkorporierte, und die Krone von Aragón, die aus den vier Teilreichen Aragón, Katalonien, Valencia und Mallorca bestand, forcierten hingegen die zum Glaubenskampf stilisierten Kriegszüge gegen die Mauren, welche ab Mitte des 13. Jahrhundert bis zu ihrer endgültigen Niederlage 1492 auf das Gebiet des Königreichs Granada zurückgedrängt werden konnten.112 Mit ihrem sukzessiven Vordringen nach Süden verlagerten sich auch die Herrschaftsschwerpunkte Kastiliens und der Krone von Aragón ins Landesinnere, so dass ihre Anteile an den Pyrenäen schließlich im nördlichen Grenzgebiet dieser Reiche lagen.113 Zweifellos unterschieden sich die mittelalterlichen Herrschaftsgebilde sowohl im Norden als auch im Süden der Pyrenäen durch vielfältige politische, räumliche, sprachlich-kulturelle und sozio-ökonomische Eigenheiten. Zumindest ein essentielles Merkmal war ihnen jedoch durch das Lehenswesen gemeinsam, dessen mehrschichtig verschränkte Besitz-, Herrschaftsund Rechtsordnungen auch über Grenzen hinweg eine gleichzeitige Legitimität und Geltung beanspruchen konnten.114 Da das Lehenswesen mehr auf der Dynamik personenbezogener Rechte und Pflichten als auf territorialer Statik beruhte, befand sich das System durch Heiraten, Erbgänge und wechselnde Bündnisse zudem in ständiger Veränderung. Auch der Pyrenäenraum, in dem Navarra und die Krone von Aragón weitläufige transpyrenäische Ländereien besaßen und/oder Vasallenbeziehungen unterhielten, bildete diesbezüglich keine Ausnahme.115 Ebenso wie in anderen Teilen Europas führte hier insbesondere das verbreitete Phänomen der Doppelvasallität, das die gleichzeitige lehnsrechtliche Bindung eines Gebietsherren an mehrere Oberherren beschreibt, dazu, dass „an den Grenzen vieler Rei111

Zur mittelalterlichen Staatenbildung Aragóns, Kastiliens und Navarras vgl. Engels, Odilo, Königtum und Stände in Spanien während des späteren Mittelalters, in: ders., Reconquista und Landesherrschaft: Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter, Paderborn u. a. 1989, S. 405 ff. (S. 406 ff., S. 422 ff., S. 438 ff.). 112 Zur schnellen Zurückdrängung maurischer Herrschaft nach der Schlacht von Las Navas de Tolosa im Jahr 1212 vgl. z. B. O’Callaghan, S. 70 ff. 113 Vgl. dazu Mestre Campi, Jesffls/Sabaté, Flocel, Atlas de la „Reconquista“: La frontera peninsular entre los siglos VIII y XV, Barcelona 1998, insbes. S. 24 ff. 114 Vgl. Anderson (1997), S. 17, S. 23; Blumann, S. 4; Lafourcade, S. 4. Zu den umkämpften Militärgrenzen und -zonen gegenüber den maurisch dominierten Gebieten und zu ihren Veränderungen vgl. für den Pyrenäenraum Mestre Campi/Sabaté, S. 32 f. 115 Zu den verwickelten Rechtsverhältnissen vor 1258 vgl. Engels, Odilo, Der Vertrag von Corbeil (1258), in: ders., Reconquista und Landesherrschaft: Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter, Paderborn u. a. 1989, S. 203 ff. (insbes. S. 212 ff.).

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che ausgeprägte Zonen verschränkter Herrschaft“116 entstanden. Eine Reminiszenz der damaligen Verhältnisse findet sich übrigens in der heute einzigartigen Co-Regentschaft Andorras, in deren Rahmen der spanische Bischof von La Seu d’Urgell und der französische Staatspräsident gemeinsam als Staatsoberhaupt fungieren.117 Dass die Pyrenäen als solche eine quasi natürliche Grenze territorialer Herrschaftsausübung verkörpern könnten, entsprach insofern weder der lediglich mittelbar gebietsbezogenen Logik lehnsrechtlicher Ordnungen noch fand sie eine Entsprechung in den Gegebenheiten.118 Seit dem 13. Jahrhundert wurde die Überlagerung von Lehens- und Gebietsherrschaft jedoch zusehends in Frage gestellt. Dabei hatte vor allem die inzwischen fast ausschließlich auf ihre Krondomäne in der Île de France reduzierte französische Monarchie erkannt, dass sie der extensiven Machtverschränkung mit einer Politik der Zentralisierung, der Exklusion und der Expansion begegnen musste, um den eigenen Fortbestand zu sichern. Im nordöstlichen Pyrenäenraum und seinem okzitanischen Umfeld bot ihr der päpstliche Kreuzzugsaufruf von 1209 einen willkommenen Vorwand, im Kampf gegen die angebliche Häresie der dortigen Albigenser große Teile des heutigen Südfrankreichs zu besetzen. Durch den Tod des aragonesischen Königs Pedro II., der bei der versuchten Hilfeleistung für seine bedrohten südfranzösischen Vasallen 1213 in der Schlacht von Muret fiel, sah sich die französische Seite in die Lage versetzt, der Forderung nach einer lehensrechtlichen und damit territorialen Entzerrung der jeweiligen Machtsphären im östlichen Sektor des Pyrenäenraums Nachdruck zu verleihen.119 b) Der Vertrag von Corbeil (1258) Im Vertrag von Corbeil,120 dessen Abschluss sich bis 1258 verzögerte, einigten sich die aragonesische und die französische Krone schließlich auf einen umfassenden Verzicht, der wechselseitig alle Gebiets- und Lehens116

Eickels, S. 174. In einem Vertrag von 1278 wurden die feudalen Herrschaftsrechte über Andorra zwischen dem Bischof von La Seu d’Urgell und den Grafen von Foix geteilt. Qua Amt fungieren heute der jeweilige Bischof und der französische Präsident in der Nachfolge des französischen Königs gemeinsam als sog. „Co-Príncipes“; vgl. Crawford, S. 258 f., S. 261 f. 118 Vgl. Sahlins (1989), S. 30; ebenso schon Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 9. 119 Vgl. Marcet-Juncosa, Alícia, Le rattachement du Roussillon à la France, Canet 1995, S. 15. Zur machtpolitischen Motivation dieser religiös verbrämten Intervention und zur Rolle der französischen Krone vgl. z. B. auch Oberste, Jörg, Der „Kreuzzug“ gegen die Albigenser: Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 152 ff. 117

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ansprüche betraf, welche zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses faktisch von der anderen Partei gehalten wurden.121 Das Prinzip, dabei lediglich die zu Lebzeiten der vertragschließenden Monarchen auch tatsächlich in Kraft stehenden Lehensbeziehungen zu berücksichtigen,122 kam der Aufhebung der durch Erbfolge kumulierten Mehrfachvasallitäten gleich, die Frankreich bereits 1244 auch gegenüber England und dem Heiligen Römischen Reich ausgeschlossen hatte.123 Damit passte sich der Vertrag von Corbeil in das größere politische Bestreben ein, die rechtlichen Grundlagen für eine einheitlichere Herrschaftsund Gebietsordnung zu bereiten. Unzutreffend ist hingegen die Behauptung, dass in diesem Zusammenhang erstmals die Pyrenäen vertraglich als die künftige Grenze zwischen Frankreich und der Krone von Aragón bezeichnet worden seien.124 Der lateinische Vertragstext führte nämlich nur die in seinen Anwendungsbereich fallenden Gebiete namentlich auf, ohne jedoch deren konkrete Grenzen oder etwa die Pyrenäen in einem abstrakteren Sinn zu erwähnen.125 Die folglich nur indirekt aus den einzelnen Gebietsgrenzen zu erschließende neue Herrschaftsgrenze zwischen den beiden Königreichen richtete sich in der Praxis auch nicht an den Pyrenäen aus, sondern an der weiter nördlich gelegenen Bergkette der Corbières, wo sie sich bald durch die Errichtung von Zollschranken manifestierte.126 Zum damaligen Zeitpunkt völlig unbestritten, verblieben dadurch die später von Frankreich beanspruchten Grafschaften des Roussillon und der Cerdagne, die südlich der Corbières-Linie, aber größtenteils nördlich des Pyrenäenhauptkammes lagen, bei der Krone von Aragón.127 Es ist daher zu Recht konstatiert wor120 Der trotz intensiver Nachforschungen in keiner modernen Quellensammlung oder Datenbank aufgefundene Vertragstext ist im lateinischen Original abgedruckt bei Tourtoulon, Chr. de, Don Jaime I., El Conquistador segun las crónicas y documentos inéditos, Bd. II, 2. Aufl., Valencia 1874, Tratado de Corbeil, S. 439 ff. [zit. Tourtoulon, Tratado de Corbeil v. 1258]. 121 Vgl. Eickels, S. 176; Engels (1989), Vertrag von Corbeil, S. 230 ff. 122 Vgl. Engels, Odilo, König Jakob I. von Aragón und die internationale Politik im 13. Jahrhundert, in: ders., Reconquista und Landesherrschaft: Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter, Paderborn u. a. 1989, S. 237 ff. (S. 243 ff.). 123 Vgl. Mitteis, S. 551, m. w. N. 124 So aber z. B. Anderson (1997), S. 21; Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 19; Sudre, Jean, La coopération transfrontalière franco-espagnole, Thèse pour le doctorat en droit, Toulouse 2000, S. 11. 125 Vgl. Tourtoulon, Tratado de Corbeil v. 1258, ebd. Dass der Grenzverlauf damit nur ungenau bestimmt war, bestätigt auch Descheemaeker, S. 242. 126 Vgl. Sahlins (1989), S. 19; Soulet (1988), S. 57. 127 Vgl. Marcet-Juncosa, S. 16; vgl. auch Brunet, Serge, Les lies et passeries des Pyrénées et la genèse de la frontière (XIVe–XVIIIe siècle), in: Revue de Comminges 4/2002, S. 525 ff. (S. 526); Eickels, S. 176.

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den, dass der Vertrag von Corbeil keineswegs „die angeblich natürliche Grenze einer Nation [anstrebte], sondern getreu der Politik Ludwigs IX. eine friedliche Klärung von kaum noch überschaubaren Zuständigkeiten auf einer Rechtsbasis.“128 c) Frühe Ansätze einer expansionistischen Grenzideologie in Frankreich Die Grenzziehung durch den Vertrag von Corbeil wies allerdings zwei fundamentale Schwächen auf. Zum einen handelte es sich nur um eine räumliche Teilregelung, die rechtlich weder den Zentral- noch den Westsektor der Pyrenäen betraf, auch wenn Frankreich ab 1280 das Gegenteil behauptete.129 Zum anderen waren die Vertragsinhalte politisch durch die bei Unterzeichnung bestehenden militärischen Kräfteverhältnisse und durch die Angst beider Seiten vor einem erneuten Kriegsausbruch bestimmt.130 Daraus folgte, dass bei veränderten Machtkonstellationen die durch den Vertrag von Corbeil geschaffene Teilgrenze immer wieder in Frage gestellt wurde, obgleich sie im Wesentlichen der sprachlich-kulturellen Trennung zwischen den Gebieten der Langue d’Oc im Norden und des Katalanischen im Süden folgte.131 Um zusätzliche Gebietsansprüche zu rechtfertigen, berief sich der französische Hof im Jahr 1308, also nur 50 Jahre nach Corbeil, wohl auch erstmals auf eine (pseudo-)historische Quelle, nach der die Pyrenäen in ihrer gesamten Länge die vermeintlich einzig legitime Grenze zwischen dem französischen Einflussbereich und den spanischen Königreichen bilden sollten: „[. . .] Regnum enim Francie seu Galliarum dividitur per cacumina montium Pireneorum a regnis Yspanie, Araguonie et aliorum. Prout dicta flumina decurrunt versus Vasconiam, est de regno Francie, et prout decurrunt versus Yspaniam seu Cataloniam, est de regnis Yspanorum, secundum Ysidorum et antiqua cronica“.132

Gerade weil der hier erwähnte Isidor von Sevilla, dem als bekanntem spätantiken Schriftsteller und Kirchenvater eine große Autorität zukam, eine solche Äußerung nie getan hatte,133 war diese Argumentation aufschlussreich für die französische Vorgehensweise. So formulierte man durch die umstandslose Gleichsetzung des damals viel kleineren Frankreichs mit 128 129 130 131 132 133

So Engels (1989), Vertrag von Corbeil, S. 234. Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 526. Vgl. Engels (1989), Vertrag von Corbeil, S. 212, S. 234. Vgl. Sudre, S. 11 f. Zitiert bei Engels (1989), Vertrag von Corbeil, S. 234, Fn. 158. Vgl. Gautier Dalché, S. 97.

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dem antiken Gallien ein Selbstbild, das zwangsläufig nur durch eine expansionistische Gebiets- und Grenzpolitik verwirklicht werden konnte. Bemerkenswert ist zudem, dass neben die ideologische Konzeption bereits konkrete Orientierungen für die Festlegung eines Grenzverlaufs traten, die dem 14. Jahrhundert in der Regel nicht zugetraut werden. Mit dem Hauptkamm des Gebirges – „per cacumina montium Pireneorum“ – und der Wasserscheide – „prout dicta flumina decurrunt versus . . .“ – waren schon geographische Anhaltspunkte zumindest benannt, die erst viel später Eingang in inner- und außereuropäische Grenzverträge fanden.134 Am Beispiel der Pyrenäen bestätigt sich somit die Beobachtung, dass auch dem Mittelalter jedenfalls die Idee einer an topographischen Merkmalen ausgerichteten Grenzlinie nicht fremd war.135 Die früh erhobene französische Forderung nach einer „natürlichen“ Pyrenäengrenze scheint sich jedoch erst im 16. Jahrhundert zu einer Art politischem Leitbild verdichtet zu haben. Seine Breitenwirkung erhielt es durch einflussreiche Literaten wie André Thevet, die, gestützt auf das in der Renaissance wiedereinsetzende Interesse an den klassischen Schriftstellern, ein geopolitisches Idealbild des französischen Staates entwarfen. Indem sie sich auf die Berichte von Strabon und Cäsar über das antike Gallien beriefen, postulierten sie, dass Frankreichs Grenzen in den Pyrenäen, in den Alpen und am Rhein verlaufen müssten.136 Auf diese „Doktrin als Ordnungsprinzip, als Vorstellung einer idealen Einheit“137 konnten Machtpolitiker wie die Kardinäle Richelieu und Mazarin zurückgreifen, um ihren Expansionsstrategien einen Anschein von Legitimität zu verleihen.138 d) Grenzveränderungen im Pyrenäenraum zwischen dem Vertrag von Corbeil (1258) und dem Pyrenäenfrieden (1659) Die Umsetzung ideologisch geprägter Grenzvorstellungen wurde im Pyrenäenraum in den vierhundert Jahren, welche den Vertrag von Corbeil vom 1659 geschlossenen Pyrenäenfrieden trennen, allerdings vorerst durch die 134

Zur Festlegung und Problematik von Grenzen, die durch Berge oder Wasserscheiden definiert sind, vgl. schon Jones, S. 97 ff., S. 101 ff., m. w. N. 135 Vgl. Gautier Dalché, S. 96 f. Zur schon im Frühmittelalter verbreiteten Vorstellung linearer Scheide- und Grenzlinien vgl. auch Sieber-Lehmannm, S. 80, m. w. N. 136 Vgl. Anderson (1997), S. 21. 137 Franke, Almut, Franzosen, Spanier oder Katalanen, Die Pyrenäengrenze in der Frühen Neuzeit: Die Ausbildung nationaler Identitäten in einer Grenzregion, in: Schmale, Wolfgang/Stauber, Reinhard (Hrsg.), Menschen und Grenzen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1998, S. 187 ff. (S. 192). 138 Vgl. ebd., S. 191 ff.

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politisch-militärischen Kräfteverhältnisse verhindert. Sowohl in Spanien, das 1479 als „zusammengesetzte Monarchie“139 aus der dynastischen Union zwischen Kastilien und der Krone von Aragón hervorging, als auch in Frankreich, wo fast zeitgleich die Entmachtung des französischen Gebietsadels begann, etablierten sich in der Frühen Neuzeit vergleichsweise gefestigte Staats- und Steuersysteme.140 Damit verfügten beide Länder über die notwendigen Ressourcen, um während des 16. und des 17. Jahrhunderts fast ununterbrochene Hegemonialkriege gegeneinander zu führen, die aber lange Zeit vor allem Italien und die spanischen Niederlande betrafen.141 Im Pyrenäenraum blieb hingegen trotz zeitweiliger Kampfhandlungen und Gebietsbesetzungen die territoriale Konstellation von 1258 bis zur französisch-spanischen Verlängerung des 30-jährigen Krieges und dem nachfolgenden Pyrenäenfrieden im Wesentlichen erhalten. Am Atlantik stand seit dem Mittelalter der Fluss Bidassoa, bei dem nur die Nutzungsrechte teilweise umstritten waren, als Grenze letztlich fest.142 Daran änderte auch die Inbesitznahme des nordwestlichen Pyrenäenraums durch Frankreich nach den englischen Niederlagen von 1450–1453 nichts.143 Von weitergehendem Interesse war hier lediglich die Tatsache, dass die französische und die spanische Krone schon früh eigene Beauftragte ernannten, welche 1510 erstmals versuchten, bezüglich des Bidassoa zu einer einvernehmlichen Grenzund Nutzungsregelung zu gelangen.144 Im Rest des Massivs, soweit es sich nicht um die umstrittenen Grenzgrafschaften des Roussillon und der Cerdagne handelte, boten ansonsten vor 1659 nur das Valle de Arán im östlichen Zentralsektor sowie das gebirgsübergreifende Territorium des Königreichs Navarra im Atlantiksektor Anlass für Grenzstreitigkeiten, die in ihren Auswirkungen aber jeweils örtlich und zeitlich beschränkt blieben.145 139

Vgl. Windler (2005), S. 593. Vgl. z. B. Bernecker, Walther L./Pietschmann, Horst, Geschichte Spaniens, 3., verb. u. aktual. Aufl., Stuttgart u. a. 2000, S. 27 ff.; Müller, Heribert, Frankreich im Spätmittelalter: Vom Königsstaat zur Königsnation, in: Hinrichs, Ernst (Hrsg.), Geschichte Frankreichs, Stuttgart 2002, S. 55 ff. (S. 89 ff.). 141 Vgl. z. B. Miralles, Ricardo/Aubert, Paul, Relaciones históricas entre España y Francia, in: Busturia, Daniel de (Hrsg.), Del reencuentro al la convergencia: Historia de las relaciones bilaterales hispano-francesas, Madrid 1994, S. 17 ff. (S. 18 f., S. 22 f.). Vgl. auch Lynch, John, Spain 1516–1598: From Nation State to World Empire, Oxford/Cambridge 1994, S. 110 ff., S. 463 ff. 142 Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 154 ff. Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. II. 2. a), insbes. zu Fn. 108. 143 Vgl. Descheemaeker, S. 245 f. Zur Auflösung der englischen Herrschaft im nordwestlichen Pyrenäengebiet vgl. auch Müller, S. 87. 144 Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1987), S. 188 f., insbes. Fn. 65, m. w. N. 145 Vgl. Sahlins (1989), S. 30. 140

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aa) Das Valle de Arán Das Valle de Arán war seit jeher geographisch, sprachlich-kulturell und wirtschaftlich der okzitanisch geprägten Nordseite des Gebirges zugehörig, da es sich zu den Ebenen des Languedoc hin öffnet, in die auch der hier entspringende Fluss Garonne abfließt. Versorgungsmäßig hing es in der Vergangenheit stets von den französischen Nachbargebieten ab, weil die Südverbindungen über den Hauptkamm der Pyrenäen im Winter oft unterbrochen wurden.146 Politisch gehörte das Valle de Arán jedoch zunächst zur Krone von Aragón beziehungsweise später zu Spanien, wobei die Talbewohner diesen Status im Jahr 1313 – in Verbindung mit der Verleihung der umfangreichen Privilegien der Querimònia147 – in einer Abstimmung ausdrücklich bestätigten. Trotzdem unternahm Frankreich sowohl vor wie auch nach 1659 immer wieder den Versuch, das Valle de Arán seinem Staatsgebiet gewaltsam einzugliedern, ohne damit aber dauerhaft erfolgreich zu sein.148 bb) Die Teilung Navarras Von größerer machtpolitischer Bedeutung als das Valle de Arán war das Schicksal des politisch und militärisch verhältnismäßig schwachen Königreichs Navarra, das sich aufgrund seiner transpyrenäischen Besitzungen zu wechselnden Allianzen mit Frankreich und Spanien gezwungen sah. Nachdem die Grafen von Foix in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit der Herrschaftsübernahme in Navarra noch das Projekt eines großen, die Pyrenäen einenden Gebirgsstaates verbunden hatten,149 wurde das Land 1512 von Spanien annektiert und im Reichsverbund an Kastilien angegliedert. Schon 1530 erklärte Spanien jedoch den Verzicht auf die nördlich des Pyrenäenhauptkamms gelegenen navarresischen Gebiete, weil eine Verteidigung gegen Frankreich militärisch schwer zu gewährleisten war und die Staatskasse zu sehr belastet hätte.150 Das nur kurzfristig wieder unabhän146

Vgl. Roigé/Beltran/Estrada, S. 190. Vgl. Poujade (1998), S. 51 f. 148 Vgl. dazu Gorría Ipas (1995), S. 27. Zu den historischen Rechtsansprüchen der Krone von Aragón auf das Valle de Arán vgl. auch Engels, Odilo, Abhängigkeit und Unabhängigkeit der Spanischen Mark, in: ders., Reconquista und Landesherrschaft: Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter, Paderborn u. a. 1989, S. 3 ff. (S. 16, 46). 149 Vgl. detailliert Reglá Campistol, J., La cuestión de los Pirineos a comienzos de la edad moderna: El intento imperialista de Gastón de Foix, in: Estudios de historia moderna 1/1953, S. 1 ff. 150 Dazu sowie zum Fortbestand der hergebrachten Rechte und Institutionen Navarras im spanischen Reichsverbund vgl. Azcona Pastor, José Manuel/Gortari Una147

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gige Nord- oder Nieder-Navarra fiel 1589 an Frankreich, als sein letzter souveräner Herrscher zum Katholizismus konvertierte, um als Heinrich IV. den französischen Thron besteigen zu können.151 Abgesehen von dem eher unbedeutenden Andorra, das sich aufgrund seiner geteilten Souveränität an beide Länder gleichermaßen anlehnte und so seine Unabhängigkeit bewahren konnte,152 grenzten seit diesem Zeitpunkt die Gebiete der französischen und der spanischen Königreiche auf der ganzen Länge der Pyrenäen aneinander. cc) Das Roussillon und die Cerdagne Den zentralen territorialen Streitpunkt im Pyrenäenraum zwischen 1258 und 1659 bildeten aber weder das Valle de Arán noch Navarra, sondern die spanischen Grafschaften des Roussillon und der Cerdagne, die sich vom Mittelmeer bis zum Zentralsektor des Massivs erstreckten und von Frankreich in Widerspruch zum Vertrag von Corbeil beansprucht wurden.153 Waren die Pyrenäen insgesamt von den französisch-spanischen Dauerkonflikten bemerkenswert lange nur am Rande betroffen gewesen,154 so änderte sich dies seit den 1630er Jahren, als sich die Kampfhandlungen auf das Roussillon und die Cerdagne sowie auf die südlich der Pyrenäen gelegenen Gebiete des katalanischen Reichsteils ausdehnten, die zudem unter schweren inneren Unruhen litten. Während im Großteil des Gebirges auch weiterhin allenfalls militärische Entlastungsmanöver durchgeführt wurden, erreichten hier die massiven Zerstörungen selbst entlegenere Täler.155 Gleichwohl waren die seit dem frühen 16. Jahrhundert bestehenden französisch-spanischen Feindseligkeiten und die direkten Aggressionen bis zum Friedensschluss von 1659 erstaunlicherweise nicht dazu geeignet, die seit dem Mittelalter nachgewiesene vor-völkerrechtliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Pyrenäen nachhaltig zu beschädigen.156 Die bisherige Darstellung sollte allerdings auch gezeigt haben, dass solche Kooperationen weder durch das lokale Umfeld in den Pyrenäen noch durch die nua, Joaquín, Navarra y el nacionalismo vasco: Ensayo histórico-político sobre las señas de identidad originaria del Viejo Reino, Madrid 2001, S. 56 f. 151 Vgl. Lafourcade, S. 5. 152 Vgl. Crawford, S. 261 f. 153 Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 2. b). 154 Vgl. Cavaillès, H., Une fédération pyrénéenne sous l’Ancien Régime: Les Traités de lies et de passeries (II), in: Revue Historique, Vol. 150, Nr. II, 1910, S. 241 ff. (S. 242). 155 Vgl. detailliert Marcet-Juncosa, S. 54 ff. 156 Vgl. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 19 f.; Gorría Ipas (1995), S. 73; Lafourcade, S. 12 f.

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allgemeine politische Situation erkennbar begünstigt wurden, so dass sich die Frage stellt, wie und warum sie trotzdem zu Stande kamen.

III. Formen vor-völkerrechtlicher grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Pyrenäenraum (vom 12. Jahrhundert bis 1659) Gebiets- und Herrschaftsgrenzen überschreitende Abkommen sind in den Pyrenäen seit dem 12. Jahrhundert und dann in stetig wachsender Zahl überliefert, wobei ihr Zustandekommen, ihre Inhalte und ihre Form wichtige Hinweise auf die Lebenswirklichkeit der Pyrenäentäler sowie auf deren rechtliche Handlungsmöglichkeiten im Kontext übergeordneter Herrschaftsstrukturen geben. Die diesbezügliche Autonomie der Talschaften war im Mittelalter sowie zu Beginn der Frühen Neuzeit zwar sehr weit gefasst, aber zweifellos nicht schrankenlos. Neben die zum Privilegienrecht gehörenden herrscherlichen Gewährleistungen für den Abschluss entsprechender Abkommen, welche in der Regel allen Beteiligten genügten, traten daher in besonderen Fällen schon früh korrespondierende Einzelentscheidungen, Bestätigungen und Verträge der jeweiligen Souveräne selbst, so dass im Ergebnis ein diversifiziertes Korpus aus lokalem und zwischenstaatlichem grenzüberschreitenden Recht entstand. Während die überlokalen Institutionen zunächst eher notgedrungen und vor allem akzessorisch tätig wurden, nahmen ihre Einwirkungen im Zuge der Konsolidierung der frühneuzeitlichen Monarchien Spaniens und Frankreichs seit dem 16. Jahrhundert spürbar zu. In einer Zeit fast permanenter Kriege zwischen den beiden Ländern waren zwischenstaatliche Absprachen insbesondere zur Aufrechterhaltung des grenzüberschreitenden Handels, der sich nicht anderweitig substituieren ließ, offenbar unabdingbar. Zumindest in manchen Grenzgebieten und/oder Handlungsfeldern kam es infolgedessen zu einer zunehmend direkten Steuerung durch staatliche Stellen, auch wenn die Täler jedenfalls im Inneren des Massivs weiterhin als die maßgeblichen Akteure der vor-völkerrechtlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auftraten. 1. Die mittelalterlichen lies und passeries als Prototyp grenzüberschreitender Abkommen in den Pyrenäen Die typische Form des frühen grenzüberschreitenden Rechts in den Pyrenäen bildeten seit dem 12. Jahrhundert die sogenannten lies und passeries, die als Weide-, Friedens- und Grenzverträge ursprünglich unterschiedslos zwischen Tälern sowohl auf der selben Gebirgsflanke und innerhalb eines

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Herrschaftsgebiets als auch über den Hauptkamm hinweg und mit Tälern aus anderen Herrschaftsgebieten abgeschlossen wurden.157 Die rechtlich wenig ausgeprägte Differenzierung zwischen den damaligen Innen- und Außengrenzen sollte insofern im Gedächtnis bleiben,158 auch wenn im Folgenden nur diejenigen Abkommen näher untersucht werden können, welche Vertragsparteien aus unterschiedlichen Herrschaftsgebieten verbanden und somit dem heutigen Verständnis von (staats-)grenzenüberschreitender Zusammenarbeit am ehesten entsprechen. Für sie soll in Ermangelung eines adäquaten deutschen Lehnworts die französisierte Bezeichnung als lies und passeries beibehalten werden, die bereits semantisch ihren weit über schlichte Vieh- und Weidefragen hinausgehenden Stellenwert zum Ausdruck bringt. Die okzitanischen Ausgangstermini liga (von ligar = binden, verbinden) und patz (= Frieden)159 evozierten nämlich ebenso wie ihre spanische Entsprechung facería160 vor allem den verbindenden und friedensstiftenden Aspekt dieser Abkommen. Freilich lassen sie damit indirekt auch erkennen, dass der angestrebte Frieden zwischen den Pyrenäentälern keineswegs selbstverständlich war und vertraglicher Absicherung bedurfte.161 a) Die Notwendigkeit der lies und passeries in einem konfliktiven Umfeld Der Umstand, dass die Pyrenäen in der Vergangenheit nicht als die geophysische Barriere gewirkt haben, als die wir sie heute wahrnehmen, ist bereits herausgearbeitet worden.162 Der für Menschen, Viehherden und Tragtiere relativ einfach zu bewerkstelligende Übergang zwischen den hochgelegenen Gebirgstälern war eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung der ausgedehnten inner- und transpyrenäischen Verbindungs157 Vgl. z. B. Becat, S. 224; Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 10; Descheemaeker, S. 258; Lafourcade, S. 11, m. w. N. 158 Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 159 Vgl. Allinne, S. 34; Poujade (1998), S. 53. Nach einer anderen Ansicht soll es sich bei passeries hingegen lediglich um ein Homophon von patzeries handeln, das selbst passage bedeutet und einen darüber hinausgehenden Wortsinn erst in der Verbindung mit lies erfährt, „qui indique le lien scellé par le serment, le contrat et donc, là encore, la paix“; so Brunet (2002), Les mutations, S. 432. 160 Facería, auch als pacería oder passería bezeichnet, soll den selben Ursprung wie das okzitanische patzeria haben und mit ihm bedeutungsgleich sein; vgl. z. B. Fairén, Victor, Facerías internacionales pirenaicas, Madrid 1956, S. 15. Insbesondere in Navarra scheint mit facería aber auch ein gemeinsam genutztes Gebiet an der Grenze mehrerer Gemeinden gekennzeichnet worden zu sein; vgl. Brunet (2002), Les mutations, S. 432, Fn. 3; Poujade (1998), S. 53. 161 Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. II. 1., insbes. zu Fn. 99 ff. 162 Hierzu s. o., dieser Teil, Abschnitt A. II. 2.

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geflechte. Die vergleichsweise gute Zugänglichkeit der Hochgebirgszonen führte jedoch auch dazu, dass hier oft mehrere benachbarte Täler einen gleichzeitigen Anspruch auf teils großflächige Territorien erhoben. Die Folge waren kontinuierliche Auseinandersetzungen um Weide-, Durchgangs-, Wasser- und Holzrechte in den umstrittenen Gebieten.163 Weil dabei wegen des Prinzips des Gemeinbesitzes nicht die Rechte von Einzelpersonen, sondern von ganzen Talschaften in Frage standen, konnten solche Streitigkeiten jedoch sehr leicht außer Kontrolle geraten. Schlimmstenfalls arteten sie zu den gefürchteten „Hirtenkriegen“ aus, die etwa auch aus den Alpen bekannt sind.164 Ihre charakteristischen Merkmale in den Pyrenäen waren Viehraub, Mord, Plünderungen und regelrechte Kampfhandlungen, die manchmal hunderte von Todesopfern forderten.165 In einer Zeit, in der selbst größere Königs- und Landesheere selten mehr als 6.000 bis 8.000 Mann umfassten,166 mobilisierten die innerpyrenäischen „Hirtenkriege“ des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit zum Teil bis zu 3.000 Bewaffnete.167 Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Pyrenäentälern besaßen daher durchaus das Potential, nicht nur den unmittelbar Beteiligten beträchtlichen Schaden zuzufügen, sondern auch den öffentlichen Frieden der sie umschließenden Herrschaftsgebiete ernsthaft zu gefährden. Der Versuch, die Besitz- und die damit nicht immer deckungsgleichen Nutzungsrechte an den umstrittenen Wald- und Weidegebieten durch grenzüberschreitende Abkommen zu regeln, lag insoweit gleichermaßen im vitalen Interesse der Talschaften und der Landesherren. Im Idealfall konnten entsprechende Kooperationen überdies den wirtschaftlichen Ertrag aller Beteiligten steigern, indem sie über die Grenze hinweg den Zugang zu komplementären Ressourcen wie etwa unterschiedlichen Vegetations- und Klimazonen für die Viehzucht ermöglichten.168 163 Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 73, S. 75. Die Bedeutung, welche die Verkehrsund Warenaustauschbeziehungen über die Pässe für die wirtschaftliche Entwicklung der Pyrenäentäler hatten, wird auch hervorgehoben von Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 28. 164 Die „multiples [. . .] petites guerres des vachers“ in den Alpen erwähnt z. B. Bergier, Jean-François, Le cycle mediéval: des sociétés féodales aux Etats territoriaux, in: Guichonnet, Paul (Hrsg.), Histoire et Civilisation des Alpes, Bd. I: Destin historique, Toulouse/Lausanne 1980, S. 163 ff. (S. 213). 165 Für einen seit 1313 bestehenden Konflikt zwischen dem Valle de Arán und dem Vallée de Luchon wird z. B. für das Jahr 1516 von bis zu 500 Toten ausgegangen; vgl. Brunet (1996), S. 286 f. 166 Vgl. Auer, L., Heerfahrt, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard, Bd. II: Haustür–Lippe, Berlin 1978, Sp. 27 ff. (Sp. 28). 167 Zu den Hirtenkriegen in den Pyrenäen vgl. Allinne, S. 38, m. w. N.; Desplat (1993), S. 43 ff.; Gorría Ipas (1995), S. 75, S. 78 f.

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b) Die Vertragsgegenstände der lies und passeries Vordergründig enthielten die aus der Notwendigkeit der Konfliktvermeidung, der Streitregulierung sowie der Ressourcenmaximierung heraus geborenen Abkommen der lies und passeries vor allem Bestimmungen, die sich auf die grenzüberschreitende Nutzung von Weiden, Wäldern und Wasserläufen sowie auf alle damit zusammenhängenden Angelegenheiten richteten. Für sich genommen kam ihnen somit keine über den lokalen Kontext hinausgehende Bedeutung zu, wie zum Beispiel die Inhalte des gut belegten und seit 1375 immer wieder erneuerten Abkommens zwischen dem spanischen Valle de Roncal und dem französischen Vallée de Barétous zeigen.169 Den Einwohnern des Vallée de Barétous wurde darin ab jedem 10. Juli das alleinige Weiderecht für ein präzise bezeichnetes Gebiet an der gemeinsamen Grenze zwischen den beiden Tälern zugesprochen. Dieses Recht war jedoch auf die folgenden 28 Tage beschränkt und durfte ausschließlich zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang ausgeübt werden. Nach Ablauf der 28 Tage stand das Weiderecht zu den selben Bedingungen bis zum 25. Dezember den Einwohnern des Valle de Roncal zu, die zum Ausgleich für den durch die Vorweide geminderten Nutzen zusätzlich an jedem 13. Juli drei Kühe erhielten, welche die Talschaft des Vallée de Barétous als Gesamtschuldner zu liefern hatte. Die Eigenschaften, welche die Tiere aufweisen mussten, und das Zeremoniell, mit dem sie am Grenzpass zu übergeben waren, wurden ebenfalls vertraglich geregelt.170 Von ihnen leitete sich auch die Bezeichnung des Abkommens als „Vertrag der drei Kühe“ ab.171 Ähnliche Bestimmungen fanden sich in den lies und passeries im gesamten Pyrenäenraum;172 ebenso wie in rechtlich verwandten Verträgen, die 168

Vgl. z. B. Roigé, Xavier/Ros, Ignasi/Cots, Peir, De la communauté locale aux relations internationales: Les traités de lies et passeries dans les Pyrénées catalanes, in: Annales du Midi, Nr. 114, 2002, S. 481 ff. (insbes. S. 482 f.). Zu klimatischen Komplementaritäten s. auch o., dieser Teil, A. II. 2., insbes. zu Fn. 46 f. 169 Vgl. dazu Papy, Michel, Mutilation d’un rite: la junte de Roncal et de Barétous et la crise du nationalisme français dans les années 1890, in: Archives Départementales des Hautes-Pyrénées u. a. (Hrsg.), Lies et Passeries dans les Pyrénées, Tarbes 1986, S. 197 ff. (S. 203 f.). 170 Vgl. ebd., S. 199 ff., wobei im Rahmen dieses Zeremoniells u. a. eine Lanze symbolisch in den Boden des „bittenden“ Vallée de Barétous gesteckt und in späteren Zeiten auch symbolische Schüsse in Richtung seines Gebiets abgefeuert wurden. Erst im 19. Jahrhundert versuchte man jedoch, daraus eine Beleidigung der nationalen Ehre Frankreichs zu konstruieren. Hierzu s. auch u., dieser Teil, D. III. 3. 171 Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 77 ff. 172 Für einen seit 1370 belegten Weide- und Grenzvertrag zwischen dem Valle de Ansó (Aragón) und dem Vallée d’Aspe (Béarn) vgl. Gorría Ipas (1986), S. 149 ff., m. w. N. Zahlreiche weitere Beispiele finden sich bei Fairén, S. 41 ff.

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etwa aus den Alpen überliefert sind.173 Das Zustandekommen des grenzüberschreitenden Abkommens zwischen dem Valle de Roncal und dem Vallée de Barétous warf darüber hinaus aber auch Licht auf die Selbstorganisation der Pyrenäentäler im Spätmittelalter. Es beendete ein blutiges Zerwürfnis, das zunächst weder von den betroffenen Tälern noch von deren Territorialherren, dem König von Navarra und dem Vizegraf des Béarn, beigelegt werden konnte. Erst als die Talschaften von sich aus ein drittes Tal, das Valle de Ansó, als Schiedsrichter anriefen, kam es zu einer allseits akzeptierten Entscheidung und dem Abschluss des grenzüberschreitenden Abkommens. Befürchtungen, dass bestehende sozio-kulturelle Bindungen zwischen dem Valle de Roncal und dem Valle de Ansó, die beide auf der Südseite der Pyrenäen liegen, zu einer Benachteiligung des nördlich gelegenen Vallée de Barétous führen könnten, scheinen dabei dem Denken einer vornationalistischen und auf die Talschaft als eigenständiger lokaler Herrschaftseinheit fixierten Epoche fremd gewesen zu sein.174 Gleichzeitig wird an diesem Beispiel deutlich, dass die vertragliche Regelung von Weidefragen in erster Linie ein Mittel war, um den übergeordneten Zweck der lies und passeries, den Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung des stets gefährdeten Friedens zwischen den Tälern, zu verwirklichen.175 Dies bestätigten auch die pyrenäenweit benutzten Eingangsformeln der Abkommen, welche den Frieden zwischen den beteiligten Parteien als höchstes Vertragsziel hervorhoben.176 Eine solche Wirkung konnte allerdings nur erreicht werden, wenn der räumliche Geltungsbereich der vertraglich vereinbarten Rechte und Pflichten unmissverständlich feststand. Folglich mussten in den lies und passeries regelmäßig detaillierte Bestimmungen zum Verlauf der lokalen Gebietsgrenzen und ihrer Kennzeichnung enthalten sein: „Ces traités de paix sont aussi des conventions d’abornements très minutieux qui fixent les limites des pâturages respectifs, décrivent le terrain, énumèrent les rochers marqués et les bornes séparatives.“177

Die Abkommen blieben zudem häufig nicht auf den relativ engen räumlichen Kontext der Grenzweiden beschränkt, sondern garantierten insbesondere seit dem 14. Jahrhundert vermehrt auch den freien Personen- und Warenverkehr zwischen den Pyrenäentälern sowie die unbeeinträchtigte Benutzung der transpyrenäischen Handelswege, für die nur gewisse Abgaben oder 173

Vgl. Bergier, S. 197 f.; Grass, Sp. 128 f. Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 77 f. 175 Vgl. Fairén, S. 15 f. 176 Vgl. z. B. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 11; Gorría Ipas (1999), S. 9; Lafourcade, S. 11. 177 Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 11/12. 174

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Zölle zu entrichten waren.178 Dabei wäre es jedoch selbstverständlich nicht ausreichend gewesen, Friedens-, Weide-, Grenz- und Handelsklauseln lediglich in einem grenzüberschreitenden Abkommen niederzulegen. Die Talschaften mussten vielmehr verlässlich dafür Sorge tragen, dass deren Einhaltung in der Praxis durchgesetzt und Verstöße sanktioniert werden konnten. c) Die institutionelle Absicherung der lies und passeries In der Fläche waren es zunächst speziell von den Tälern eingesetzte und auf die lies und passeries eingeschworene Flurwächter, denen im engeren Sinn die Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Weidefriedens und für die Grenzbegehung zufiel.179 Ihnen oblag die unmittelbare Ahndung von Regelverletzungen durch vertraglich festgelegte Strafen, zu denen auch die ursprünglich aus dem Gewohnheitsrecht stammende Konfiskation (pignore) respektive die Strafschlachtung (carnau) von Vieh gehörten, das außerhalb der ihm zugewiesenen Weidezonen Schäden angerichtet hatte.180 Die Reglementierung solcher Maßnahmen, die ebenso aus anderen europäischen Gebirgsregionen bekannt sind,181 durch die lies und passeries und die Einschränkung des ausübungsberechtigten Personenkreises auf die Weidewächter der Täler waren in einer Gesellschaft, in der Übergriffe auf fremdes Vieh zu den häufigsten Konfliktursachen zählten, ein wichtiger Fortschritt.182 Die Funktion der Weidewächter sollte allerdings auch nicht überbewertet werden, da sich die teils großflächigen Weidezonen zum einen nur schwer überwachen ließen und die Weidewächter zum anderen nicht völlig aus den engen Bindungen an ihre jeweiligen Talschaften gelöst waren. Für grenzüberschreitende Streitfälle, welche den Regelungsbereich der lies und passeries auch über Weidefragen hinaus betrafen, existierten daher auf einer übergeordneten Ebene besondere Gerichtstribunale, die von den vertraglich einander verbundenen Tälern paritätisch besetzt wurden. Sie traten zumeist einmal im Jahr zusammen, um anlässlich der anstehenden Erneuerung der Abkommen gemeinsam Recht zu sprechen.183 Der Versamm178 Zur handelspolitischen Komponente der lies und passeries vgl. z. B. Alline, S. 34; Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 530 f.; Douglass, S. 70, m. w. N. 179 Vgl. Allinne, S. 38; Fairén, S. 16; Gómez-Ibáñez, S. 45; Lafourcade, S. 12. 180 Vgl. Brunet (2002), Les mutations, S. 432; ders. (2002), Les lies et passeries, S. 530. Entsprechende Regelungen, die aus unterschiedlichen Epochen stammen und einen hohen Detailgrad aufwiesen, werden auch zitiert bei Desplat (1993), S. 29 f. 181 So gab es z. B. auch in den Alpen „das Recht, aus benachbarten Alpen überlaufendes Vieh zu pfänden“; so Carlen, Sp. 131. 182 Desplat (1993), S. 30. 183 Vgl. z. B. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 249 ff.; Lafourcade, S. 12.

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lungsort auf oder zumindest in der Nähe der Talgrenze unterstrich die Symbolkraft solcher Treffen, bei denen Kläger und Beklagte ihren Fall darlegten, Zeugen aufboten und ihre Aussagen beschworen. Anschließend fällte das Tribunal ein Urteil und legte die Geld- oder Viehzahlungen fest, die nach den Bestimmungen des jeweiligen Abkommens für den Rechtsverstoß zu leisten waren.184 Das grenzüberschreitende Recht wies in dieser Hinsicht eine hohe Regelungsdichte auf und kannte beispielsweise Auffangklauseln, welche eine Art solidarischer Garantiehaftung der gesamten Talschaft bei Zahlungsunfähigkeit eines Verurteilten vorsahen. Nach der Gerichtssitzung bestätigten die Talvertreter feierlich die Gültigkeit ihrer Abkommen für ein weiteres Jahr oder nahmen einvernehmlich Änderungen vor, die schriftlich niedergelegt und von beiden Seiten unterschrieben sein mussten, um rechtliche Wirksamkeit zu entfalten. Den Abschluss des Treffens bildete ein „Friedensmahl“, mit dem das in den lies und passeries verkörperte grenzüberschreitende Einvernehmen festlich-rituell besiegelt wurde.185 d) Die lies und passeries zwischen lokalem und zwischenstaatlichem grenzüberschreitenden Recht Bei dem Versuch, die frühen lies und passeries in den Pyrenäen rechtlich einzuordnen, ist zunächst zu beachten, dass die Autonomie der Pyrenäentäler in grenzüberschreitenden Kooperationen selbst für den hier behandelten Zeitraum des ausgehenden Mittelalters differenziert betrachtet werden muss. Die Anfang des 20. Jahrhunderts aufgestellte und bis heute in der Literatur nachwirkende These, die Talschaften seien in Hinsicht auf ihre auswärtige Vertragsabschlusskompetenz praktisch unabhängig gewesen und hätten sich lange Zeit „le plein exercice de leur souveraineté“ bewahrt,186 ist so jedenfalls sicher nicht mehr aufrecht zu erhalten.187 Zwar gab es unstreitig Fälle wie das zitierte Abkommen zwischen dem Valle de Roncal und dem Vallée de Barétous, in denen Talschaften zu einer eigenständigen Einigung gelangten, nachdem selbst ein durch die Territorialherren vermit184 Zu Urteilen und Sanktionen, die etwa auf der Grundlage des grenzüberschreitenden Abkommens zwischen dem Valle de Ansó und dem Vallée d’Aspe ergingen, vgl. Gorría Ipas (1986), S. 149 ff. 185 Vgl. Allinne, S. 41, S. 45 f.; Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 247, S. 253. 186 So Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 7. Zur Rezeption dieser Ansicht vgl. z. B. Gómez-Ibáñez, S. 47; Gorría Ipas (1999), S. 8. 187 So im Ergebnis auch Desplat, Christian, Le Parlement de Navarre et la définition de la frontière franco-navarraise à l’extrême fin du XVIIIe siècle, in: Archives Départementales des Hautes-Pyrénées u. a. (Hrsg.), Lies et passeries dans les Pyrénées, Tarbes 1986, S. 109 ff. (S. 109).

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telter Kompromissvorschlag gescheitert war.188 Ihnen lassen sich jedoch auch im Mittelalter schon zahlreiche Beispiele entgegen halten, in denen fortdauernde Weidestreitigkeiten oder sonstige grenzüberschreitende Lokalkonflikte erfolgreich durch externe Autoritäten der staatlichen oder kirchlichen Hierarchie beigelegt wurden.189 Diese griffen normalerweise erst bei einem Versagen der lokalen Ebene ein, um Gewaltausbrüche in den Grenzgebieten zu verhindern oder zu beenden. Daraus hervorgegangene Abkommen unterschieden sich aber weder nach ihrer Bezeichnung noch nach ihren Inhalten von anderen lies und passeries, obwohl sie zum Teil ohne Beteiligung der betroffenen Talschaften ausgehandelt und durchgesetzt werden mussten.190 Doch auch die ausschließlich lokal zustande gekommenen grenzüberschreitenden Abkommen beruhten gerade nicht auf souveränem Eigen-, sondern auf verliehenem Privilegienrecht. Der Unterschied mochte in Friedenszeiten eher theoretischer Natur sein, gewann aber spätestens im Kriegsfall an faktischer Relevanz. Selbst wenn eine entsprechende Generalermächtigung vorlag,191 bemühten sich die Talschaften zur Vermeidung eventueller Vergeltungsmaßnahmen ihrer kriegführenden Souveräne nämlich stets darum, eine aktuelle Bestätigung des Herrschers für das Fortbestehen ihrer grenzüberschreitenden Abkommen mit den Talschaften des Kriegsgegners zu erhalten.192 In letzter Instanz unterlagen die lies und passeries daher immer der Kontrolle der jeweiligen Souveräne, die aber offensichtlich nur in Ausnahmesituationen davon Gebrauch machten, wenn die öffentliche Ordnung oder höherrangige politische und militärische Ziele gefährdet erschienen.193 Im Ergebnis wies das System der mittelalterlichen lies und passeries damit bereits bemerkenswerte Übereinstimmungen mit wesentlichen Prämissen des Völkerrechts und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an späteren völkerrechtlichen Grenzen auf. So handelten die beteiligten Parteien entweder aufgrund eigener Rechtsvollkommenheit oder aufgrund von eigens verliehenem Recht, wobei sie sich vertraglich nicht nur auf Grenzverläufe und -markierungen einigten, sondern auch auf ein gemeinsames 188

Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 1. b). Vgl. Gorría Ipas (1986), S. 144. 190 Vgl. Desplat, Christian, Henri IV et les traités de „paréages“ pyrénéens: un exemple de compromis politique entre le centre et la périphérie, in: Annales du Midi, Nr. 114, 2002, S. 457 ff. (S. 462, m. w. N.). 191 Hierzu s. o., dieser Teil, B. I. 2., insbes. zu Fn. 87 ff. 192 Vgl. Brunet (1996), S. 272. Spätestens für das 16. Jahrhundert konzediert auch Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 245 f., dass die lokalen grenzüberschreitenden Abkommen diesbezüglich die Vorrechte der Souveräne im Kriegsfall explizit achteten. 193 Vgl. Desplat (2002), S. 461, 463. 189

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Grenzkooperationsregime. Richtschnur bei der Ausgestaltung, Veränderung und Durchsetzung der Vertragsbestimmungen war die strikte Beachtung des Prinzips der Parität. Angestrebt wurde die Vermeidung von Gewalt und deren Ersetzung durch friedliche, regelgebundene Konfliktlösungen. Ohne damit die Analogie zum modernen Völkerrecht überstrapazieren zu wollen, klangen darin schon die Grundsätze der Souveränität, der formellen Gleichheit, des Gewaltverbots sowie des Vorrangs einer friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten an, aus denen sich der Grundsatz der Zusammenarbeit beziehungsweise das „Völkerrecht der Kooperation“ ableiten.194 2. Limitationen der lies und passeries: Vollständiges Fehlen, umstrittener Untergang und fortgesetztes Scheitern grenzüberschreitender Abkommen Das System der lies und passeries verband mehr oder weniger flächendeckend alle Pyrenäengebiete mit ihren direkten Nachbarn, aber es war keinesfalls lückenlos und auch nicht immer in der Lage, eine dauerhafte Lösung grenzüberschreitender Probleme zu gewährleisten. Während die meisten Weide-, Grenz- und Friedensverträge in jährlichem Abstand angepasst oder nach sporadischen Auseinandersetzungen und damit einhergehenden Unterbrechungen erneuert wurden,195 waren daher auch Konstellationen anzutreffen, in denen sich der Abschluss eines Abkommens entweder als unmöglich, als nur zeitweilig bestandskräftig oder als fortgesetzt zum Scheitern verurteilt erwies. a) Das vollständige Fehlen grenzüberschreitender Abkommen Das vollständige Fehlen grenzüberschreitender Abkommen in einem bestimmten Gebiet, das eine räumlich-rechtliche Lücke in das System der lies und passeries riß, ist nur schwer nachzuweisen, weil es sich naturgemäß nur selten in schriftlichen Quellen niedergeschlagen hat. Als Phänomen kam es in den Pyrenäen jedoch mit Sicherheit vor, wie etwa ein seit 1313 bestehender Weidekonflikt zwischen dem Valle de Arán und dem Vallée de Luchon zeigt, dem im Jahr 1516 mindestens 500 Menschen zum Opfer fielen und der auch in späteren Jahrhunderten noch wiederholt zu Gewaltausbrüchen führte. Die konträren Interessenlagen und das vermutlich ausgeglichene Kräfteverhältnis zwischen den beiden Tälern verhinderten hier offen194 195

Zu diesen Grundsätzen des Völkerrechts vgl. Vitzthum (2004), S. 33 ff. Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 1. a).

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bar eine Einigung, so dass das umstrittene Gebiet bis zur endgültigen Festlegung der französisch-spanischen Staatsgrenze 1862 ohne jede vertragliche Regelung blieb: „Aucun bornage définitif, aucune passerie n’avait été signé par les vallées voisines.“196 Davon klar zu unterscheiden waren die Fälle, in denen zwar gleichfalls keine schriftlichen Vereinbarungen bestanden, aber grenzüberschreitende Rechte auf der Basis von „accords non écrits de type coutumier“ gewährt beziehungsweise beansprucht wurden.197 Anders als beim vollständigen Fehlen grenzüberschreitender Abkommen ermangelte es ihnen nicht am positiven Recht selbst, sondern lediglich an der Schriftform, so dass sie eine besondere gewohnheitsrechtliche Kategorie der lies und passeries repräsentierten. b) Der umstrittene Untergang grenzüberschreitender Abkommen Neben dem Fehlen konnte sich auch der Untergang einmal abgeschlossener grenzüberschreitender Abkommen zu einem Problem entwickeln. Dass lies und passeries einvernehmlich nicht mehr erneuert oder außer Brauch gestellt wurden beziehungsweise einfach in Vergessenheit gerieten, war an sich kein ungewöhnlicher Vorgang und ging zumeist auf Veränderungen der wirtschaftlichen Notwendigkeiten zurück, die dem Vertragsschluss ursprünglich zugrunde gelegen hatten. Dennoch kam es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, wenn sich eine der vormaligen Vertragsparteien auf ihre eigentlich erloschenen Rechte besann und diese teilweise noch nach Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten mit dem Argument wiederzubeleben versuchte, dass das Abkommen rechtsförmlich eigentlich nicht untergegangen sei, da keine schriftliche Auflösung vorläge.198 c) Fortgesetztes Scheitern grenzüberschreitender Abkommen: Das Beispiel der navarresischen Aldudes Einen breiteren Bekanntheitsgrad erlangten jedoch vor allem solche Fälle, in denen lies und passeries zur Beilegung lokaler Konflikte zwar wiederholt abgeschlossen wurden, aber über Jahrhunderte hinweg fortgesetzt scheiterten, so dass der Grenzfrieden dort konstant gefährdet blieb. Berüchtigt in dieser Beziehung war insbesondere das Gebiet der navarresischen Aldudes, auch als Alduides, Pays Quint oder Quint Royal etc. bezeichnet,199 die mit 196

So Brunet (1996), S. 286. Zu einem entsprechenden Beispiel aus der Cerdagne vgl. Roigé/Ros/Cots, S. 489. 198 Vgl. ebd., S. 485. 199 Vgl. Sese Alegre, S. 50 f. 197

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fast 50 Quadratkilometern flächenmäßig das vermutlich größte umstrittene Einzelterritorium in den Pyrenäen bildeten.200 Tatsächlich kam ihnen in einem agro-pastoralen Wirtschaftssystem zweifellos ein beträchtlicher ökonomischer Wert zu,201 wobei die Eigentumsrechte, die zunächst bei Navarra und ab 1512 bei Spanien lagen, kaum je ernsthaft in Frage standen. Dennoch stritten sich schon seit 1229 zwei süd-navarresische Täler, das Valle de Erro und das Valle de Baztán, sowie ein nord-navarresisches Tal, das Vallée de Baigorry, um die entsprechenden Nutzungsrechte. Eine Entscheidung der Krone von Navarra aus dem Jahr 1400 wurde in der Praxis nicht akzeptiert und durch fortgesetzte Klagen und Prozesse in manchmal nur ein- oder zweijährigen Abständen angegriffen.202 Nicht auszuschließen ist allerdings, dass sich die streitenden Parteien parallel dazu zeitweilig auch auf den Abschluss entsprechender lies und passeries einigten, deren Existenz beispielsweise für 1512 in einem Gerichtsverfahren behauptet wurde.203 Zumindest faktisch scheinen solche vertraglichen Bindungen jedenfalls phasenweise existiert und auch funktioniert zu haben.204 Mit der Teilung Navarras 1512 und der Entstehung einer neuen französisch-spanischen Grenze, welche die nord- und die südnavarresischen Täler nach 1589 trennte,205 nahmen die rechtlichen Auseinandersetzungen um die Nutzung der Aldudes jedoch eine neue Qualität an, indem sie nun zusätzlich zu einem internationalen Ärgernis zu werden drohten.206 Da die Täler unfähig waren, einen langfristig tragfähigen Kompromiss auszuhandeln, setzten die französische und die spanische Krone 1614 mit den sogenannten Capitulaciones207 schließlich in der Sache eigenes Recht, um die anhaltenden Übergriffe zu beenden.208 Durch die genaue Regelung der Weidenutzung und durch die Selbstbezeichnung als facería209 hielten sie sich dabei sowohl 200 Zur genauen Größenangabe von 4.942 Hektar nach dem spanischen Kataster vgl. Remacha Tejada, S. 265, Fn. 60. 201 Vgl. Descheemaeker, S. 267; Salcedo Izu, Joaquin, Les Aldudes: Lieu de conflits interétatiques et de coopération inter-régionale, in: Lafourcade, Maïté (Hrsg.), La frontière franco-espagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, Actes de la journée d’étude du 16 novembre 1996, Bordeaux 1998, S. 49 ff. (S. 52 f.). Zu den wirtschaftlichen Größenordnungen s. auch u., dieser Teil, B. IV., insbes. zu Fn. 256. 202 Vgl. Salcedo Izu, S. 56 ff.; Sese Alegre, S. 369 f. 203 Vgl. dazu Salcedo Izu, S. 60, insbes. Fn. 52. 204 Vgl. Sese Alegre, S. 370. 205 Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 2. d), aa). 206 Hierzu s. o., dieser Teil, B. I. 1. 207 Wohl von lat. capitulatio, in der Bedeutung von „Vereinbarung“; vgl. Niermeyer, J.S., Mediae Latinitatis Lexikon Minus, 2. Aufl., Darmstadt 2002, Bd. 1: A–L, „capitulatio“, S. 180. 208 Vgl. Desplat (2002), S. 478 f.

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inhaltlich als auch terminologisch an die gängigen Schemata der lokalen lies und passeries.210 Rechtlich gesehen handelte es sich hingegen eindeutig um einen zwischenstaatlichen Vertrag, der ausschließlich von königlichen Bevollmächtigten erarbeitet, unterzeichnet und garantiert wurde.211 Ebenso wie alle vorhergehenden und bis 1856 noch folgenden Versuche einer rechtlichen Konfliktregulierung in den Aldudes schlugen jedoch auch die Capitulaciones letztlich fehl, so dass sie in der Rückbetrachtung nur ein Glied in der langen Reihe fortgesetzt scheiternder grenzüberschreitender Abkommen in diesem Gebiet bildeten.212 Erst sehr viel später sollte man erkennen, dass der Grund dafür in der Missachtung lebenswichtiger Bedürfnisse eines der lokalen Kontrahenten, nämlich des Vallée de Baigorry, lag. Dieses sah zur Ernährung seiner vergleichsweise großen Bevölkerung keinen anderen Ausweg, als widerrechtlich das ab 1589 südlich der französisch-spanischen Grenze gelegene Weideland der dünner besiedelten Nachbartäler für die eigene Nutzung zu usurpieren. Da das Vallée de Baigorry anscheinend das lokale Kräfteverhältnis dominierte, mussten seinen Interessen fundamental zuwiderlaufende Entscheidungen oder Verträge notwendigerweise scheitern, so lange staatlicherseits die effektive Überwachung der Grenze und die zwangsbewehrte Durchsetzung grenzüberschreitender Bestimmungen nicht durchgängig gewährleistet werden konnte.213 Dass die seit dem Mittelalter bestehenden Rechtsverhältnisse in den Aldudes unter den gegebenen Umständen für das Vallée de Baigorry existenzgefährdend und somit unannehmbar waren, realisierten Frankreich und Spanien jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sie sich in den Grenzverträgen von Bayonne auf eine Lösung für dieses Dilemma verständigten.214 3. Die Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung grenzüberschreitender Abkommen in den Pyrenäen im 16. und 17. Jahrhundert Trotz periodischer Instabilitäten und gewisser Lücken, die aber jeweils örtlich begrenzt blieben, konnte das System der Täler- und Herrschaftsgren209 Zur Eigenbezeichnung der Capitulaciones als facería vgl. ebd. S. 479. Zur Gleichsetzung von facería mit lies und passeries sowie zu möglichen Differenzierungen s. auch o., dieser Teil, B. III. 1., insbes. zu Fn. 159 f. 210 Zu den inhaltlichen Bestimmungen vgl. im einzelnen Salcedo Izu, S. 61 f. 211 Vgl. Desplat (2002), S. 479, m. w. N. 212 Hierzu s. auch u., dieser Teil, C. I. 3. 213 Vgl. auch Salcedo Izu, S. 59 ff.; Sese Alegre, S. 370. 214 Vgl. Sermet, Jean, Le centenaire des Traités des limites et la Commission Internationale des Pyrénées, hrsg. v. Ministère des Affaires Étrangères, Paris 1968, S. 11 f.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

zen überschreitenden Abkommen in den Pyrenäen seine grundsätzliche Funktions- und Anpassungsfähigkeit beweisen, als sich seine externen Kontextbedingungen in der Frühen Neuzeit tiefgreifend wandelten. Ursächlich dafür waren zum einen der fast ständige Kriegszustand zwischen Frankreich und Spanien und zum anderen die verstärkten Zentralisierungsbemühungen, die in beiden Ländern das bisherige Herrschaftsgefüge zu verändern begannen. Diese Einflüsse machten eine Modifikation der bestehenden lies und passeries erforderlich, während gleichzeitig neue Regelungen insbesondere zur Sicherung des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs in einem militärischen Dauerkonflikt an Gewicht gewannen. Damit geriet auch das Verhältnis zwischen dem Staat, verkörpert durch den Monarchen und seine Vertreter, und den lokalen Institutionen in den Grenzgebieten in Bewegung, wobei sich für letztere der langfristig eingeleitete Autonomieverlust in grenzüberschreitenden Angelegenheiten allerdings zunächst nur partiell bemerkbar machte. a) Die Erweiterung der lies und passeries zu frühneuzeitlichen Allianz- und Friedensverträgen Als Reaktion auf die französisch-spanischen Feindseligkeiten tauchten zunächst überall in den Pyrenäen mit Beginn des 16. Jahrhunderts neuartige Klauseln in den lies und passeries auf, die ein unabhängiges beziehungsweise scheinbar sogar offen gegenläufiges Friedensgebot für die vertragschließenden Täler enthielten.215 Während die hergebrachten Regelungen von Weide- und Grenzfragen insoweit unverändert blieben,216 deklarierten die grenzüberschreitenden Abkommen dadurch eine zusätzliche, nunmehr auch gegen die Außenwelt zu verteidigende lokale Friedenspflicht. Auf sie geht wahrscheinlich die nun aufkommende Bezeichnung der lies und passeries als Allianz- und Friedensverträge der Pyrenäentäler zurück.217 Dieser Friedenspflicht konnte allerdings unter den gegebenen Umständen kein absoluter Rang zukommen, da sie eine rechtliche Schranke bereits im hergebrachten Privilegienrecht fand, das, wenn auch nicht vorbehaltlos, die Heerfolge als eine wesentliche Pflicht der Talschaften auswies.218 Dem trugen die innerpyrenäischen Allianz- und Friedensverträge des 16. und des 17. Jahrhun215

Vgl. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 244. Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 2. a), bb). 217 Zum spanischen Begriff tratados de alianza y de paz vgl. z. B. Gorría Ipas (1995), S. 73, S. 75, m. w. N. Die französische Entsprechung traité de paix et d’alliance findet sich z. B. bei Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 538. Zu der darin zum Ausdruck kommenden Veränderung gegenüber den Vorgängerverträgen vgl. schon Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (I), S. 22. 218 Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 1, insbes. zu Fn. 83 ff. 216

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derts durch Vorbehaltsklauseln Rechnung, die für den Fall eines unabwendbaren herrscherlichen Befehls die zeitweilige Außerkraftsetzung des jeweiligen grenzüberschreitenden Abkommens vorsahen. Ein Bruch des lokalen Grenzfriedens setzte aber zumindest eine förmliche Benachrichtigung des Vertragspartners voraus und zog die Verpflichtung nach sich, innerhalb der folgenden acht bis dreißig Tage den Ausbruch von Kampfhandlungen möglichst zu vermeiden.219 Soweit sie keine eigenen Angriffstruppen stellen mussten, standen die Täler zudem regelmäßig in der vertraglichen Pflicht, sich gegenseitig vor Kriegsgefahren, vor den Bewegungen von Streitkräften der eigenen Seite sowie vor sonstigen grenzüberschreitenden Bedrohungen wie der Ausbreitung von Epidemien etc. zu warnen.220 Gleichzeitig erfuhren die bereits vorher bestehenden Garantien für den freien Personen- und Warenverkehr in diesem Kontext eine zusätzliche Absicherung.221 In einer Zeit und in einem Gebiet, in denen das Manövrieren größerer Truppenkontingente nur schwer zu bewerkstelligen war, mussten allerdings sowohl der Schutz vor feindlichen Einfällen als auch die Führung von Angriffen innerhalb des Massivs im Wesentlichen den bewaffneten Talschaften selbst überlassen bleiben.222 Angesichts ihrer in der Fläche noch begrenzten Durchgriffsmöglichkeiten verfügten letztlich weder die französische noch die spanische Monarchie über effektive Druckmittel, um die Pyrenäentäler gegen deren Willen in eine Konfrontation zu zwingen. Dementsprechend verbreitet scheint die Verweigerung des aktiven Kriegsdienstes oder sonstiger Hilfeleistungen durch die Talschaften gewesen zu sein, der die Zentralmächte im 16. und 17. Jahrhundert nur wenig entgegenzusetzen hatten.223 Im Allgemeinen versuchten die Pyrenäentäler jedoch, wie schon in der Vergangenheit,224 einen offenen Konflikt zu vermeiden und die grenzüberschreitenden Beziehungen im Einvernehmen mit den kriegführenden Zentralmächten zu regeln. b) Die „föderativen“ Verträge von 1513 und 1514 Die diesbezügliche Übereinstimmung zwischen lokalen und staatlichen Akteuren trat in zwei zentralpyrenäischen lies und passeries besonders hervor, die im frühen 16. Jahrhundert auf der Basis älterer Abkommen abge219

Vgl. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 245 f. Vgl. Baby, S. 189 f. Zu entsprechenden Beistandspakten vgl. auch Descheemaeker, S. 260. 221 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 1. b, insbes. zu Fn. 179. 222 Vgl. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 243. 223 Vgl. Gómez-Ibáñez, S. 45, m. w. N. 224 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 1. d, insbes. zu Fn. 192 f. 220

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schlossen wurden. Ihr spezifischer Charakter, aufgrund dessen sie auch als „föderative“ Verträge bezeichnet wurden,225 ergab sich aus dem Umstand, dass ihr ursprünglich räumlich beschränkter Geltungsbereich als Reaktion auf die Besetzung Navarras 1512 und auf den fast dauerhaften Kriegszustand zwischen Frankreich und Spanien auf weitaus größere Grenzgebiete ausgedehnt wurde, in denen der Friede und die Handelsfreiheit erhalten bleiben sollten. Die Entstehung solcher grenzüberschreitenden Rechtsräume, die sich nicht mehr nur auf unmittelbar benachbarte Täler erstreckten, sondern zahlreiche Grenzterritorien zusammenschlossen, wäre ohne herrscherliches Einverständnis nicht möglich gewesen. Sowohl der Acte du Plan d’Arrem von 1513 als auch der aragonesisch-béarnesische Accord de lies et passeries von 1514 wurden daher im Namen der beiden Kronen ausgehandelt und bestätigt.226 aa) Der Acte du Plan d’Arrem von 1513 Im Hinblick auf den rechtlichen Stellenwert, der den lies und passeries auch in den Krisensituationen des 16. Jahrhunderts zukam, war bereits die Vorgeschichte des Acte du Plan d’Arrem aufschlussreich. Vorausgegangen war die Beschlagnahmung von Waren des spanischen Valle de Arán auf einer französischen Handelsmesse, die mit dem herrschenden Kriegszustand begründet wurde. Der verantwortliche Amtsträger hatte jedoch versäumt, die nach einem lokalen grenzüberschreitenden Abkommen von 1471 vorgesehene Vorwarnfrist für den Beginn feindlicher Maßnahmen einzuhalten, weswegen die Betroffenen eine Beschwerde an die französische Krone richteten. Als eine königliche Entscheidung von 1511 die Gültigkeit des Abkommens auch in Kriegszeiten bestätigte und den begangenen Rechtsverstoß rügte, nahmen die Repräsentanten der umliegenden Grenzgebiete dies zum Anlass, um unter Beteiligung königlicher Vertreter den Acte du Plan d’Arrem auszuarbeiten. Darin einigten sie sich für einen großen Teil der östlichen Zentralpyrenäen227 auf ein wechselseitiges Angriffsverbot sowie 225 Zu unterschiedlichen Begriffsverständnissen föderalistischer Ordnungen vgl. nur Schultze, Rainer-Olaf, Föderalismus, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7: Politische Begriffe, München 1998, S. 186 ff., m. w. N. Legt man als Maßstab die dort angegebene Definition an, nach der föderal „eine horizontal und/ oder vertikal gegliederte (polit.-staatliche oder auch gesellschaftliche) Ordnung [ist], in der die Mitglieder des Bundes über eigene Rechte, Kompetenzen und Legitimität verfügen“ (ebd., S. 186), so können die oben genannten „föderativen“ Verträge eventuell noch darunter fallen. 226 Zum Folgenden vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, insbes. S. 534 ff. 227 Für eine Übersichtskarte des Geltungsbereichs des Acte du Plan d’Arrem vgl. ebd., S. 527.

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auf die Freiheit des Personen- und Warenverkehrs, die laut Artikel 2 des Abkommens vom Krieg unberührt bleiben sollte:228 „Aussi a été conclu entre lesdites parties, qu’en temps de guerre, les habitants de tout le pays dessus dit, tant d’un extrême que de l’autre pourront commercer et communiquer ensemble et faire tous les faits de marchandises comme dit ci-dessus, les uns avec les autres, ainsi comme s’ils étaient en bonne paix; [. . .].“229

Bei Zuwiderhandlungen hatten die örtlich zuständigen Richter für einen vollständigen Schadensersatz zu sorgen, wohingegen jede Form der eigenmächtigen Vergeltung, der Konfiskation oder sonstiger Besitzstörungen verboten und mit der Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen belegt war (Artikel 12). Interessanterweise blieb die rechtliche Autonomie der namentlich aufgeführten Einzelterritorien, die das grenzüberschreitende Vertragsgebiet konstituierten, insofern erhalten, als ihnen ein individuelles Austrittsrecht aus dem Acte du Plan d’Arrem zugebilligt wurde (Artikel 10). Das prinzipiell auf unbeschränkte Dauer angelegte Abkommen selbst konnte jedoch gemäß Artikel 8 nur von der französischen und/oder der spanischen Krone aufgehoben werden. Voraussetzung dafür war eine förmliche Notifizierung, auf die eine Frist von dreißig Tagen folgte, innerhalb derer die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit von Personen und Besitztümern noch Bestand haben sollte, bevor der Schutz vor Übergriffen erlosch: „Aussi a été conclu que la présente surséance et capitulation, n’aura ni un jour, ni temps déterminé, et durera autant qu’il sera le bon plaisir desdits Seigneurs Rois, ou de l’un desdits, de venir au contraire et ne vouloir que ladite surséance se poursuivre; dans ce cas seront tenus des dessus compris dans la surséance d’avertir et de faire savoir une partie à l’autre, [. . .], du jour que sera reçue ladite notification y aura trente jours naturels et complets pendant lesquels aucune desdites parties ne pourra attenter, ni innover, ni faire aucune chose au préjudice de l’autre partie [. . .] et que les marchands et autres personnes pourront recouvrer et retirer les biens et marchandises franchement et quittement, pendant lesdits trente jours.“230

Der Acte du Plan d’Arrem, der in der Folgezeit auch von Herrschern bestätigt wurde, die sich als Wegbereiter einer zentralistischen Staatspolitik verstanden, war somit ein Beispiel für die Vorgehensweise der frühneuzeitlichen Staaten, die aus ihrer Rechtstradition und aus ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse an Versorgung, Zöllen und Steuern heraus den friedlichen grenzüberschreitenden Austausch in Kooperation mit den betroffenen lokalen Akteuren rechtlich absicherten, obwohl sie gleichzeitig in anliegenden Grenzgebieten Krieg gegeneinander führten.231 228 Für eine französische Version des okzitanischen Originaltexts vgl. Brunet (1996), Annexe, S. 287 ff. 229 Ebd., S. 287. 230 Ebd., S. 288. 231 Vgl. Desplat (2002), S. 466.

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bb) Der aragonesisch-béarnesische Accord de lies et passeries von 1514 Praktisch zeitgleich zur Unterzeichnung des Acte du Plan d’Arrem unternahmen die Grenzbewohner in den westlichen Zentralpyrenäen ebenfalls den Versuch, ihre seit dem Mittelalter bestehenden lies und passeries vor den französisch-spanischen Feindseligkeiten zu bewahren, die auf die Besetzung des ihnen unmittelbar benachbarten Königreichs Navarra 1512 folgten. Als insgesamt zehn Täler im Jahr 1514 einen Friedens- und Allianzvertrag abschlossen,232 erhielten sie dafür nicht nur die Bestätigung ihrer Souveräne, sondern überdies die Zusicherung, dass sich der Krieg ausschließlich auf die ehemaligen navarresischen Gebiete beschränken werde.233 Eine damit verbundene Erweiterung des sogenannten Accord de lies et passeries, an welcher der Vizegraf des Béarn und der Vizekönig von Aragón als Vertreter der Monarchen beteiligt waren, gewährte den Einwohnern der betreffenden Täler darüber hinaus ein allgemeines Freihandelsrecht, das sich auf das gesamte Territorium des Béarn und Aragóns erstreckte. Im Gegenzug oblag ihnen nach Artikel 8 des Accord lediglich die Verpflichtung, nicht mit kriegswichtigen Gütern zu handeln sowie die anfallenden „péages et les autres droits légitimes“234 zu entrichten. c) Die Traités de bonne correspondance an der Atlantikgrenze Ähnlich wie bei den zu Allianz- und Friedenverträgen ausgeweiteten frühneuzeitlichen lies und passeries im Inneren des Pyrenäenmassivs, zu denen die angeführten „föderativen“ Verträge zählten, wurde der wachsende Einfluss der Zentralmächte auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im 16. und 17. Jahrhundert auch in den Grenzprovinzen am Atlantik sichtbar. Die Stabilität der französisch-spanischen Grenze in diesem Gebiet, die herausragende Bedeutung des Küstenhandelsweges für beide Länder sowie die für damalige Verhältnisse gute Erreichbarkeit zu Wasser und zu Lande begünstigten dabei eine direkte Kontrolle durch königliche Beamte wie den Corregidor der Grenzprovinz Vizcaya in höherem Maße,235 als dies bei den 232 Zum Geltungsbereich des Accord de lies et passeries von 1514 vgl. die Übersichtskarte bei Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 527. 233 Vgl. ebd., S. 537 f. 234 Ebd., S. 538. 235 Das bereits seit dem Mittelalter nachgewiesene Amt erfuhr 1526 eine Veränderung, indem der Corregidor als direkter Vertreter des Königs nun der Provinzversammlung vorstand, die er einberief und deren Entscheidungen er bestätigen musste. Außerdem war er verantwortlich für die Einsetzung von Beamten sowie für die Überwachung von Steuern und Ausgaben; vgl. Enriquez Fernandez, Javier, Corregi-

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schwerer zugänglichen Gebirgstälern der Fall sein konnte. Nicht zuletzt deswegen fanden französisch-spanische Regierungsverhandlungen vorzugsweise hier statt, wobei sich bald der Brauch etablierte, die mitten im Grenzfluss Bidassoa gelegene Île des Faisans, deren Name bereits auf eine entsprechende lokale Rechtstradition verwies,236 als sozusagen „neutralen“ Konferenzort zu nutzen.237 aa) Die Traités de bonne correspondance des 16. Jahrhunderts Noch bis in das späte 15. Jahrhundert hinein hatten lokale Institutionen an der Atlantikküste sowie Talschaften weiter im Landesinneren eigenständig Handelsverträge mit auswärtigen Mächten wie England abgeschlossen,238 wozu sie (vermutlich) durch ihre Privilegien berechtigt waren.239 In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich jedoch in Folge des dauernden Kriegszustandes die Rechtspraxis, dass für grenzüberschreitende Abkommen zwischen den spanisch-baskischen Grenzprovinzen Guipfflzcoa und Vizcaya und der französisch-baskischen Grenzprovinz Labourd vorab eine Autorisierung von den Monarchen eingeholt wurde.240 Eine vollständige inhaltliche Kontrolle ging damit noch nicht einher, da die Verhandlungsführung weiterhin bei den nicht weisungsgebundenen Vertretern der Provinzversammlungen lag und eine nachträgliche Ratifizierung durch die Krone nicht vorgesehen war.241 Der Zweck dieser Abkommen lag schon ausweislich ihrer Bezeichnung als Traités de bonne correspondance darin, trotz des Krieges die Aufrechtmiento et Corregidores en Biscaye: conflit et collaboration politique (1488–1575), in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 2, Toulouse 1995, S. 17 ff. (insbes. S. 19, S. 22). 236 Faisan(e)s soll hier nicht für den Plural des französischen und spanischen Wortes für Fasan stehen, sondern von Faisants abgeleitet sein und wie passerie beziehungsweise facería auf ein grenzüberschreitendes Abkommen – ursprünglich vielleicht über den Fischfang im Bidassoa – verweisen; vgl. Remacha Tejada, S. 262, Fn. 44, m. w. N. 237 Vgl. Descheemaeker, S. 246. 238 Zu einem Handelsvertrag vom 9. März 1482 zwischen der Junta von Lissaraga und dem Königreich England vgl. ebd., S. 260. Ähnliche Verträge der Grenzprovinzen Guipfflzcoa und Vizcaya mit England respektive mit Frankreich erwähnt für die Jahre 1294, 1306, 1309, 1351, 1353, 1361 und 1471 auch Caillet, Louis, La perception de la frontière chez un intendant d’Aquitaine à la fin du XVIIe siècle: Bazin de Bezons, in: Lafourcade, Maïté (Hrsg.), La frontière franco-espagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, Actes de la journée d’étude du 16 novembre 1996, Bordeaux 1998, S. 17 ff. (S. 22). 239 Hierzu s. o., dieser Teil, B. I. 2., insbes. zu Fn. 87. 240 Zum Folgenden vgl. Caillet, S. 22 ff. 241 Vgl. ebd., S. 22 f.

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erhaltung guter grenzüberschreitender Beziehungen zwischen den Grenzprovinzen am Atlantik zu gewährleisten. Angesichts wechselseitiger Abhängigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung und der ökonomischen Bedeutung des atlantischen Seehandels sahen sich offenbar beide Seiten außer Stande, den Austausch dauerhaft zu unterbrechen. Der erste Traité de bonne correspondance von 1536/1537 garantierte demzufolge den freien grenzüberschreitenden Warenverkehr auf dem Land und auf dem Wasser, die Unverletzlichkeit von Personen und Besitz sowie die Sicherheit von Schiffen der anderen Seite in den Häfen der drei vertragschließenden Grenzprovinzen. Wie bei den innerpyrenäischen Allianz- und Friedensverträgen sollten diese Bestimmungen unabhängig von den Kriegen der Zentralmächte gelten, wobei eine Aufkündigung aufgrund „höherer Gewalt“ zwar prinzipiell möglich war, aber einer förmlichen Vorwarnfrist von fünfzehn Tagen bedurfte. Des weiteren listete der Vertrag pekuniäre Sanktionen für alle Arten von Rechtsverstößen auf und benannte die jeweiligen lokalen Institutionen, bei denen entsprechende Forderungen geltend gemacht werden konnten.242 bb) Die Traités de bonne correspondance des 17. Jahrhunderts In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts änderten sich weder die generelle Konfrontationslage zwischen Frankreich und Spanien noch die grenzüberschreitenden Kooperationsbedürfnisse der Atlantikprovinzen, die angesichts wiederholter gegenseitiger Übergriffe eine Begrenzung des durch Plünderungen und insbesondere durch Freibeuterei verursachten Schadens erforderlich machten.243 Im Unterschied zum 16. Jahrhundert nahmen die konsolidierten frühabsolutistischen Kronregime nun jedoch die periodische Erneuerung der Traités de bonne correspondance in die eigenen Hände. Durch inhaltliche Mandate der königlichen Verhandlungsführer und die nachträgliche Ratifizierung durch die Krone nahmen die Verträge einen genuin zwischenstaatlichen Charakter an, wodurch sie sich zu regulären „précurseurs en matière de droit international public et de droit maritime“ entwickelten.244 Für die damit einhergehenden Veränderungen stand etwa der Traité de bonne correspondance von 1653, der zeitgleich zu dem am anderen Ende der Pyrenäen erbittert geführten Krieg um die Grafschaften des Roussillon und der Cerdagne abgeschlossen wurde.245 Vertragsparteien waren nun die französische und die spanische Krone, während die Vertreter der Provinz242 243 244 245

Vgl. ebd., S. 23 f. Vgl. Peillen, S. 112 f. So Caillet, S. 29. Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 2. d), cc).

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versammlungen hier nur noch als ausführendes Organ auftraten. Dessen ungeachtet blieb der freie grenzüberschreitende Handel zwischen den Atlantikprovinzen im Grundsatz erhalten, soweit er sich nicht auf „verbotene“ Güter wie insbesondere Kriegswaffen erstreckte.246 Dafür wurde auf beiden Seiten der Grenze ein Meeresgebiet von ungefähr 23 Kilometern Breite in der fiktiven Verlängerung der Küstenlinie zu neutralen Gewässern erklärt, in denen Übergriffe auf fremde Schiffe unzulässig waren. Dem maritimen Frieden diente auch die Vorschrift, dass Schiffe verfeindeter Parteien nur in einem Abstand von 24 Stunden aus den Häfen der französischen und spanischen Atlantikprovinzen auslaufen durften. Schiffe aus diesen Provinzen unterlagen überdies einem generellen gegenseitigen Angriffsverbot. Bei einem Verstoß hiergegen mussten betroffene Schiffe samt ihrer Ladung unverzüglich freigegeben werden, wovon nur Bewaffnete und Kriegsausrüstung, die unzweifelhaft nicht der Selbstverteidigung dienten, ausgenommen waren.247 Diese Einschränkung ist gemeinsam mit dem allgemeinen Handelsverbot für Waffen einer der spärlichen Hinweise darauf, dass der Traité de bonne correspondance von 1653 von zwei kriegführenden Ländern unterzeichnet wurde, die auch in den nicht direkt umkämpften Gebieten neben ihren Handels- noch gewisse Sicherheitsinteressen zu bedenken hatten. Im Vordergrund standen für die Vertragsparteien jedoch eindeutig wirtschaftliche Notwendigkeiten und die aus dem grenzüberschreitenden Handel resultierenden Steuereinnahmen. Das zeigten nicht zuletzt die Vertragsartikel, in denen Bezug auf den offenbar weit verbreiteten Schmuggel genommen und, wenig erstaunlich, ein entsprechendes Verbot für die Bewohner der Atlantikprovinzen ausgesprochen wurde.248 Damit wurde ein Regelungsgegenstand fassbar, der in der Folgezeit in der zwischenstaatlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit weiter an Gewicht gewinnen sollte.249 Bereits im Traité de bonne correspondance von 1653 deutete sich jedoch seine Ambivalenz an, da etwa Schiffe, die Schmuggelware für einen Ort außerhalb des Vertragsgebiets an Bord hatten, im Notfall in allen Häfen der Grenzprovinzen Schutz suchen konnten, so lange die Ware dort nicht an Land gebracht wurde.250 Schmuggel, der im Sinne des Vertrags bekämpft werden sollte, war folglich nur der illegale Warentransport zwischen Frankreich und Spanien, wohingegen sich beide Länder das Recht vorbehielten, Ein- und Ausfuhrverbote dritter Mächte weiterhin zu unterlaufen. Die im Zeitalter des 246 247 248 249 250

Vgl. Caillet, S. 27. Vgl. ebd., S. 30. Vgl. ebd., S. 31. Hierzu s. u., dieser Teil, C. II. 2. b). Vgl. Caillet, S. 31.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Merkantilismus mit seinem Bestreben nach einer „aktiven Handelsbilanz“251 von offizieller Seite geförderte oder wenigstens geduldete Umgehung fremder Importverbote und Contrabande-Regeln wurde damit lediglich im bilateralen Verhältnis ausgeschlossen.252

IV. Zwischenergebnis zu Teil 2, B. Mit Bezug auf die Begriffstrias der Grenze, des Grenzraums und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit lassen sich schon an dieser Stelle der Untersuchung Ergebnisse festhalten, die eingeführte Annahmen in Frage stellen, welche zuvor im ersten Teil der Arbeit unter theoretischen Gesichtspunkten diskutiert worden sind.253 Für die Grenze als dem zentralen Bezugspunkt des Forschungsfeldes gehört dazu die Feststellung, dass die Pyrenäen, obwohl oder gerade weil sie ausgeprägte Barriereeigenschaften aufweisen, kaum als Beispiel für eine natürliche Grenze dienen können. Dagegen sprechen intensive innerpyrenäische Verbindungen sowie transpyrenäische Territorial- und Herrschaftsstrukturen bis 1659, aber auch zeitbedingt unterschiedliche Vorstellungen von der Ausdehnung der Pyrenäen und von einem damit im Einklang stehenden Grenzverlauf. Die Entstehung der französisch-spanischen Landgrenze erweist sich insofern als Produkt vielfältiger historischer Einzelereignisse und Entwicklungsströme, die zum Teil weitab vom Pyrenäenraum entschieden wurden und keiner von den dortigen natürlichen Bedingungen vorgegebenen Finalität folgten. Ungeachtet der Veränderungen, denen die Herrschafts- oder Staatsgebilde und ihre jeweiligen Grenzen vor 1659 unterlagen, ist zudem zu keinem noch fassbaren Zeitpunkt von unbeanspruchten beziehungsweise von unabgegrenzten Gebieten in den Pyrenäen auszugehen. Vielmehr werden schon in den ersten überlieferten Quellen des tälerübergreifenden Rechts sorgfältig demarkierte Gebietsgrenzen bis in die Hochgebirgszonen sowie ein vertraglich geregeltes Grenzregime sichtbar. Diese Feststellung leitet über zu der im Forschungsfeld üblichen Gleichsetzung des Grenzbegriffs mit der internationalen Staatsgrenze im völker251

Vgl. z. B. Blaich, Fritz, Die Epoche des Merkantilismus, Wiesbaden 1973, S. 85 ff. Zu Theorie und Praxis des merkantilistischen Systems vgl. auch Wallerstein, Immanuel, Das moderne Weltsystem II – der Merkantilismus: Europa zwischen 1600 und 1750, Wien 1998, insbes. S. 11 ff., S. 205 ff. 252 Zu der auch im frühen Völkerrecht bedeutsamen Frage staatlicher Contrabande-Regeln vgl. schon Zedler, Johann Heinrich, Grosses vollständiges Universallexikon, Bd. 6: Ci–Cz, Nachdruck, Graz 1961, „Contrabande-Waaren“, Sp. 1135. Vgl. auch Meng, Werner, Contraband, in: Bernhardt, Rudolf (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. I, North-Holland u. a. 1992, S. 809 ff. 253 Hierzu s. o., Teil 1, insbes. A. IV., B. IV.

B. Die Herausbildung von Grenze(n)

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rechtlichen Sinn. Dass eine solche Definition für die gegenwärtige grenzüberschreitende Zusammenarbeit und ihre Unterscheidung von anderen grenzübergreifenden Kooperationsformen ihre Berechtigung hat, ist bereits herausgearbeitet worden.254 Für die Vergangenheit verliert sie allerdings ihren Wert angesichts der im Pyrenäenraum nachweisbaren Entsprechungen zwischen den dortigen Frühformen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit grundlegenden Prinzipien und Mechanismen späterer völkerrechtlicher Kooperationen. Diese entwickelten sich, obwohl die vor-völkerrechtlichen Gebiets- und Herrschaftsgrenzen in diesem Sinn noch keine absolute Größe bildeten, sondern eher als Referenzrahmen für mehr oder weniger institutionalisierte Aushandlungsprozesse zur Organisation eines konfliktreduzierten Zusammenlebens in den Grenzräumen dienten.255 Theorieansätze werden sich daher kaum auf zeitlich-formelle Konventionen berufen können, sondern zur Erklärung des Phänomens der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sowohl auf dessen historische Wurzeln als auch auf die Verbindung zu Grenztypen zurückgreifen müssen, welche lange vor dem Westfälischen Frieden anzusetzen sind. Hierfür kann die Untersuchung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Pyrenäenraum vor 1659 weiterführende Denkanstöße anbieten. Zunächst fällt auf, dass der Ursprung der mittelalterlichen lies und passeries weniger in dem Wunsch nach einer positiven Kooperation oder gar in einem diffusen Zusammengehörigkeitsgefühl begründet lag, sondern in der zwingenden Notwendigkeit, institutionalisierte Mechanismen der friedlichen Konfliktregulierung zur Eindämmung von lokaler Gewalt zu finden. In dieser Perspektive folgte auch die Weiterentwicklung zu den innerpyrenäischen Allianz- und Friedensverträgen des 16. und 17. Jahrhunderts, welche den inneren Frieden soweit wie möglich gegen äußere Einflüsse schützen sollten, dem Eigeninteresse der Pyrenäentäler an der Bewahrung einer oft nur mühsam aufrecht erhaltenen Koexistenz. Grenzüberschreitende Abkommen waren daher vor allem unumgängliche, aber letztlich ungeliebte Kompromisse, die jede Seite bei veränderten Gegebenheiten zu ihren Gunsten zu verändern suchte. Der Anlass für entsprechende Streitigkeiten und damit auch der eigentliche Anstoß für die grenzüberschreitende Konfliktregulierung lag aller Wahrscheinlichkeit nach vorrangig in wirtschaftlichen Motiven begründet. Für eine von der Weidewirtschaft abhängige Bevölkerung in einem von knappen Ressourcen geprägten Umfeld hatten die Eigentums- und/oder Nutzungsrechte in den umstrittenen Grenzgebieten offensichtlich eine große Bedeutung. Tatsächlich lassen sich aus den überlieferten lies und passeries Weideflächen von bis zu 62 Quadratkilometern erschließen, auf 254 255

Hierzu s. o., Teil 1, insbes. B. III. 1., B. III. 2. Vgl. auch Allinne, S. 35.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

denen Tausende von Tieren unterhalten werden konnten.256 Die frühen Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit, welche diese lokalen Grenzräume als rechtliche Sonderzonen auswiesen, dienten folglich der Regelung widerstreitender wirtschaftlicher Ansprüche und sollten, ebenso wie die damit verbundenen Friedenspflichten, das Zusammenleben von konkurrierenden Systemen an einer gemeinsamen Grenze organisieren. Noch deutlicher treten ökonomische Gründe als entscheidendes Movens grenzüberschreitender Zusammenarbeit in der vertraglichen Sicherung des freien Personen- und Warenverkehrs in Kriegszeiten hervor, welcher durch die Friedens- und Allianzverträge im Inneren des Massivs sowie durch die Traités de bonne correspondance an der Atlantikküste gewährleistet war. Beide Vertragsformen garantierten einen zwar mit gewissen Auflagen behafteten, im wesentlichen aber freien grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb eines variablen Grenzraums, der sich je nach Reichweite der einzelnen Abkommen bestimmte und der sich erstmals auch auf eine Meereszone erstreckte. Der imperative Stellenwert der Ökonomie manifestierte sich dabei insbesondere in den Fällen, in denen die Zentralmächte als Vertragsparteien oder als direkte Garanten auftraten, obwohl sie zeitgleich in anderen Grenzgebieten Krieg gegeneinander führten. Das Bestreben, dennoch eine größtmögliche Kontinuität der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sicherzustellen, muss daher für beide Seiten durch übergeordnete staats- und wirtschaftspolitische Erwägungen geboten gewesen sein. In der Tat war der grenzüberschreitende Handel für die Versorgung der eigenen Bevölkerung in den Grenzgebieten unabdingbar,257 wie etwa am Beispiel der spanischen Atlantikprovinzen nachgewiesen werden konnte, deren Getreidemangel in Verbindung mit den völlig unzureichenden Kapazitäten des landgestützten Fernhandels einen direkten Warenaustausch auch mit Feindstaaten alternativlos machte.258 In der Zusammenschau lassen sich damit sowohl für die innerpyrenäischen lies und passeries respektive die nachfolgenden Allianz- und Friedensverträge als auch für die westpyrenäisch-atlantischen Traités de bonne correspondance unabweisbare Kooperationszwänge erkennen, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vor 1659 maßgeblich motivierten. Das mag auch erklären, warum diesbezüglich über den gesamten Zeitraum vom 12. bis zum 17. Jahrhundert keine grundlegenden Interessengegensätze zwischen den lokalen Akteuren in den Grenzgebieten und den übergeord256

Vgl. z. B. Gorría Ipas (1995), S. 76 ff., S. 84. Vgl. z. B. Caillet, S. 24. 258 Vgl. z. B. Klaveren, Jacob van, Europäische Wirtschaftsgeschichte Spaniens im 16. und 17. Jahrhundert, Stuttgart 1960, S. 217 ff. 257

C. Pyrenäenvertrag (1659) bis Vertrag von Elizondo (1785/1789)

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neten Herrschaftsinstitutionen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Staatengebilde zu beobachten sind: „C’est une erreur grossière de dissocier le fonctionnement politique des vallées de celui des « pays », principautés ou royaumes dont elles faisaient partie.“259

Gerade im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zeigt sich, dass den entsprechenden Bedürfnissen rechtlich wie politisch in hohem Maß Rechnung getragen wurde. Die pragmatische Absicherung grenzüberschreitender Aktivitäten insbesondere in den Krisensituationen des 16. und des 17. Jahrhunderts ist insofern nicht nur ein Indiz für bestehende Interdependenzen in den Grenzgebieten, sondern auch ein bemerkenswertes Zeichen für die Fähigkeit grenzferner staatlicher Autoritäten, solche Rationalitäten selbst in Kriegszeiten anzuerkennen und in ihrem Handeln zu berücksichtigen. Zugleich dokumentiert der Abschluss lokaler und/oder zwischenstaatlicher grenzüberschreitender Abkommen im Krieg, der im Pyrenäenraum seit dem Mittelalter beobachtet werden kann, dass hier die Vorstellung von einem vertragsfähigen justus hostis und der Versuch einer rechtlichen „Hegung“ des Krieges lange vor ihrer völkerrechtlichen Fassung in Erscheinung traten.260

C. Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen dem Pyrenäenvertrag (1659) und dem Vertrag von Elizondo (1785/1789) Der Pyrenäenvertrag von 1659 und der Vertrag von Elizondo von 1785 bilden zwei Eckpunkte eines Zeitraums, in dessen Verlauf die Pyrenäen immer stärker in staatliche Strukturen und zwischenstaatliche Verträge eingebunden wurden. Diese Entwicklung entsprach der allgemeinen Doktrin der absolutistischen Monarchien Frankreichs und Spaniens, die ihren Einfluss auf alle Landesteile und möglichst viele Lebensbereiche auszudehnen versuchten. Der Anspruch der Monarchen auf räumliche Alleinherrschaft verlieh dabei auch der Grenzfrage eine bisher nicht gekannte Bedeutung: „Die Ausbildung einer sich auf das Territorium gründenden Staatlichkeit in der frühen Neuzeit machte zwangsläufig Überlegungen notwendig, wie dieses Territorium abgesteckt und in seinen Grenzen legitimiert werden könne.“261 259

Desplat (2002), S. 468. Für diese Begriffe und ihre eigentliche Zuschreibung zum Völkerrecht vgl. Schmitt, Carl, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950, S. 114 f. 261 Franke, S. 187. 260

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Als technisch noch unvollkommenes Beispiel einer frühen völkerrechtlichen Konkretisierung solcher Reflexionen präsentierte sich der Pyrenäenvertrag von 1659, der erstmals ansatzweise eine Formel für die politische Determinierung der französisch-spanischen Landgrenze über ihre gesamte Länge enthielt. Der kaum vier Generationen später unterzeichnete Vertrag von Elizondo aus dem Jahr 1785 spiegelte demgegenüber den tiefgreifenden Wandel wider, der zwischenzeitlich sowohl hinsichtlich der Grenzkonzeptionen als auch hinsichtlich der praktischen Fertigkeiten zur Bestimmung linearer Grenzverläufe stattgefunden hatte. Parallel dazu erlaubte der Ausbau staatlicher Militär- und Zivilverwaltungen einen zunehmend direkten Zugriff auf die Grenzgebiete, obwohl dieser innerhalb der traditionellen Strukturen und mit den begrenzten Ressourcen des Ancien Régime nie allumfassend sein konnte. Dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von diesen Entwicklung nicht unberührt blieb, lässt sich ebenfalls im Vergleich zwischen den beiden Grenzverträgen von 1659 und von 1785 erkennen, wobei allerdings bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und noch darüber hinaus zahlreiche faktische Beschränkungen die effektive Durchsetzung eines staatlichen Gewaltmonopols in diesem Bereich behinderten.

I. Die Pyrenäengrenze zwischen partieller völkerrechtlicher Determinierung und gescheiterter Präzisierung (1659–1789) 1. Die unvollkommene Determinierung einer frühen völkerrechtlichen Staatsgrenze durch den Pyrenäenvertrag und seine Zusatzabkommen (1659/1660) Während in Mitteleuropa der Dreißigjährige Krieg durch den Vertrag von Münster 1648 zu Ende ging, schlugen alle Bemühungen fehl, im Zuge der allgemeinen Friedensverhandlungen auch die Einstellung des seit 1634/ 1635 geführten französisch-spanischen Partikularkrieges zu erreichen. Dieser setzte sich zehn weitere Jahre fort, wobei es noch in seiner Spätphase aussichtslos erschien, die beiden Länder durch bilaterale Geheimverhandlungen wie in Madrid 1656 oder durch Vermittlungsversuche Dritter wie beim Reichstag von Frankfurt 1657 zu einem Einlenken zu bewegen. Angesichts merklicher Erschöpfungstendenzen Spaniens wurde diese Intransigenz zumeist mit dessen erbittertem Widerstand gegen die expansionistischen Ansprüche Ludwigs XIV. hinsichtlich der bereits französisch besetzten Grenzgrafschaften des Roussillon und der Cerdagne erklärt.262 Bei näherer Betrachtung kommen allerdings Zweifel auf, inwieweit sich über die Grenz262

Vgl. z. B. Sudre, S. 12, m. w. N.

C. Pyrenäenvertrag (1659) bis Vertrag von Elizondo (1785/1789)

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frage alleine oder doch wenigstens in der Hauptsache die Logik frühneuzeitlicher Denk- und Verhaltensmuster erschließen lässt. Bezüglich der von Frankreich geforderten und im späteren Pyrenäenvertrag tatsächlich vorgenommenen territorialen Abtretungen war nämlich schon bei den Geheimverhandlungen in Madrid 1656 ein weitreichendes Einvernehmen erzielt worden. Den Ausschlag für die Fortsetzung des Krieges gab vielmehr ein eher politisch-symbolischer Streit, der um die Wiedereinsetzung des auf spanischer Seite kämpfenden Prince de Condé in seine französischen Titel und Besitzungen entbrannte.263 Die Gebiets- und Grenzproblematik muss daher gegenüber der von Spanien als prioritärer Treuepflicht aufgefassten Restitution seines Verbündeten sicherlich relativiert werden, womit sich auch eine andere Verständnisdimension des drei Jahre später unterzeichneten Friedensvertrages und seiner Grenzregelungen eröffnet. Der sogenannte Pyrenäenfriede kam zustande, nachdem sich die Situation der spanischen Truppen in Portugal, in den niederländischen Provinzen und in Norditalien 1658 so dramatisch verschlechtert hatte, dass der spanische König auch gegen Widerstände im eigenen Lager die 1656 abgebrochenen Friedensgespräche wieder aufnehmen ließ und Unterhändler nach Paris entsandte. Dort paraphierte man bis zum Mai 1659 insgesamt 89 Vertragsartikel, die nach dem Abschluss eines vorläufigen Waffenstillstands von den Ersten Ministern der beiden Kronen, Kardinal Mazarin für Frankreich und Don Luis de Haro für Spanien, abschließend verhandelt werden konnten.264 Die Ministerkonferenz auf der Île des Faisans an der französisch-spanischen Grenze erbrachte endlich auch im Hinblick auf den Prince de Condé eine allseits gesichtswahrende Einigung und gipfelte am 7. November 1659 in der feierlichen Unterzeichnung des Pyrenäenvertrags.265 Anders als es dieser Name implizierte, der lediglich auf die Île des Faisans als Teil des Pyrenäenraums und Ort des Vertragsschlusses verwies,266 handelte es sich dabei jedoch keineswegs vorrangig um ein Abkommen über die Pyrenäen oder über die Pyrenäengrenze, sondern um einen umfassenden Friedens-, Wirtschafts- und Hochzeitspakt zwischen Frankreich und Spanien. Er sollte die Beziehungen beider Länder europaweit regeln sowie die dynastische Verbindung zwischen Ludwig XIV. und der Infantin Maria Theresia vor263 Vgl. detailliert Séré, Daniel, La paix des Pyrénées ou la paix du roi: le rôle méconnu de Philippe IV dans la restauration de la paix entre l’Espagne et la France, in: Revue d’histoire diplomatique 3/2005, S. 243 ff. (S. 245). 264 Zu den Einzelheiten des Vertragschlusses vgl. ebd., S. 248 ff., S. 252 ff. 265 Vgl. Traité de Paix, nommé des Pyrenées entre les Couronnes de France & d’Espagne. Fait dans l’Isle des Faisans, le 7. Novembre 1659, in: Corps Universel Diplomatique du Droit des Gens, Bd. 6, 2/3, Amsterdam 1728, S. 264 ff. [zit. Traité de Paix v. 07.11.1659 (Pyrenäenvertrag)]. 266 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 3. c), insbes. zu Fn. 236.

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bereiten.267 Für die Zeitgenossen besiegelte der Pyrenäenvertrag daher vor allem das Kriegsende und den politisch-militärischen Niedergang Spaniens, das von Frankreich als kontinentale Hegemonialmacht abgelöst wurde.268 Dass damit gleichzeitig der zaghafte Versuch einer ersten allgemeinen Determinierung der Pyrenäengrenze im völkerrechtlichen Sinn verbunden war, fand demgegenüber wohl keine größere Beachtung und stellte auch für die Vertragsparteien erkennbar kein Hauptanliegen dar. a) Artikel 42 Pyrenäenvertrag und die französisch-spanische Landgrenze (November 1659) Schon die Position des einschlägigen Artikels 42 des Pyrenäenvertrags ungefähr in der Mitte des Gesamtwerkes signalisierte, dass die Regelungen zur Pyrenäengrenze nur ein Aspekt unter vielen waren. Durch seine Bezugnahme auf die Geheimverhandlungen von Madrid 1656 und die Übernahme der damals getroffenen Vereinbarungen wurde zudem deutlich, dass weder die durch Artikel 42 sanktionierten Gebietsabtretungen noch die in ihm enthaltene Grenzklausel eine kriegsverlängernde oder friedensentscheidende Bedeutung gehabt hatten. Gleichwohl war Artikel 42 Pyrenäenvertrag eine im 17. Jahrhundert einzigartige Norm, welche die Doktrin natürlicher und vorgeblich historisch legitimierter Grenzen erstmals in die völkerrechtliche Vertragspraxis einführte.269 Ob sich die Beteiligten der potentiellen Tragweite dieses Vorgangs bewusst waren und möglicherweise ein Präjudiz schaffen wollten, bleibt allerdings unklar.270 Überdies verbargen sich hinter den langatmigen Formulierungen des Artikels 42 widerstreitende rechtliche Konzeptionen und politische Realitäten, die eine einfache Lesart seiner nur sinngemäß untergliederten Einzelbestimmungen unmöglich machen: „XLII. (I) Et pour ce qui concerne les Pays & Places que les Armes de France ont occupez en cette Guerre, du costé d’Espagne: Comme l’on auroit convenu en la negociation commencée à Madrid en l’année 1656, sur laquelle est fondé le present Traitté, que les Monts Pyrenées, qui avoient anciennement divisé les Gaules des Espagnes, seront dorenavant la division des deux mêmes Royaumes, il a esté convenu et accordé que ledit Seigneur Roy Tres-Chrestien [Frankreich] demeurera en possession & jouira effectivement de tout le Comté & Viguerie de Roussillon, & du Comté & Viguerie de Conflans, Pays, Villes, Places & Chas267

Vgl. dazu Marcet-Juncosa, S. 161; Séré, S. 249, S. 254. Vgl. Gómez-Ibáñez, S. 44; Marcet-Juncosa, S. 161. 269 Vgl. Sahlins, Peter, Natural Frontiers Revisited: France’s Boundaries since the Seventeenth Century, in: The American Historical Review 5/1990, S. 1423 ff. (S. 1430). 270 Vgl. dazu Franke, S. 192, m. w. N. 268

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teaux, Bourgs, Villages & lieux qui composent lesdits Comtez & Vigueries de Roussillon & de Conflans: Et demeureront au Seigneur Roy Catholique [Spanien], le Comté & Viguerie de Cerdaña, & tout le Principat de Catalogne, avec les Vigueries, Places, Villes, Chasteaux, Bourgs, Hameaux, Lieux & Pays qui composent ledit Comté de Cerdaña, & Principat de Catalogne. [. . .].“271

Artikel 42 Pyrenäenvertrag, der als früheste völkerrechtliche Grenzregel dieser Art überhaupt gilt,272 legte demnach zunächst fest, dass zukünftig die angeblich schon in antiken Quellen genannten,273 ansonsten von den Vertragsparteien nicht weiter definierten und somit wohl als bekannt vorausgesetzten „Monts Pyrenées“ die beiden Länder voneinander trennen sollten. Damit war zweifellos „eine natürliche Grenze“274 bezeichnet, wobei der Verweis auf die Vergangenheit die Rückkehr zu einer ursprünglichen Ordnung, also eine Restaurationsfunktion, implizierte. Diese bestenfalls pseudohistorische Begründung blieb allerdings singulär und fand keinen Eingang mehr in spätere völkerrechtliche Verträge.275 Einen Anlass zu Missverständnissen bot zudem die Verwendung des unbestimmten Begriffs der „Monts Pyrenées“, mit dem sinnvollerweise nicht das ganze Massiv gemeint sein konnte, sondern nur dessen eigentliche „Monts“, also die Bergspitzen beziehungsweise die Hauptkammlinie des Gebirges.276 Die Absicht, die Grenze an der Wasserscheide auszurichten, wurde dem Pyrenäenvertrag hingegen erst nachträglich unterlegt,277 obgleich die Idee an sich, wie gesehen, seit dem Mittelalter bekannt war.278 Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses betrachteten beide Seiten die entsprechenden Bestimmungen von Artikel 42 Pyrenäenvertrag jedoch wohl nur als eine Art Prinzipienerklärung für die französisch-spanische Landgrenze,279 die eine allgemeine Grenzkorrektur vielleicht für einen späteren Zeitpunkt evozieren sollte, aber sicher nicht mit dem Versuch verbunden war, diese in praktische Politik umzusetzen.280 Eine konkrete Grenzanpassung beabsichtigten die Vertragsparteien einzig und allein im Fall der besonders umkämpften Grafschaften des Roussillon 271 Traité de Paix v. 07.11.1659 (Pyrenäenvertrag), Art. 42, S. 269 f. [eigene Hervorhebung; Anm. d. Verf.]. 272 So z. B. Gómez-Ibañez, S. 43; Grewe, S. 379; Lafourcade, S. 7. 273 Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. II. 1. c), insbes. zu Fn. 132 f. 274 So Grewe, S. 379 [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. 275 Vgl. Fisch, Jörg, Krieg und Frieden im Friedensvertrag: Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979, S. 452. 276 Zu dieser Interpretation vgl. auch Douglass, S. 69 f.; Sermet (1968), S. 9. 277 Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 529. 278 Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 2. c), insbes. zu Fn. 132 ff. 279 Vgl. Descheemaeker, S. 242; Lafourcade, S. 7. 280 Vgl. auch Sahlins (1990), S. 1430.

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und der Cerdagne sowie – als Verbindungsglied zwischen ihnen – des Conflans (Conflent), die alle im Mittelmeersektor der Pyrenäen lagen.281 Hierfür verließen sie sich aber gerade nicht auf die Wirkkraft der Prinzipienerklärung des Artikels 42, sondern zählten die betroffenen Herrschafts- und Gerichtsbezirke gesondert namentlich auf.282 Ein Bewusstsein, dass damit zwei unterschiedliche territoriale Ordnungsgedanken kollidierten, war offensichtlich vorhanden, wie die Hinzufügung einer Spezialregelung zeigte. Sie bezog sich ausschließlich auf die Grenzziehung beziehungsweise auf die genaue Aufteilung der Grafschaften der Cerdagne und des Conflans, die als aneinander angrenzende Hochplateaus den Mittelmeersektor des Gebirges in nordöstlich-südwestlicher Richtung durchschneiden und als Einfallstor für Invasionen sowie als landwirtschaftlich ertragreiche Gegenden einen großen strategischen Wert besaßen.283 Da hier die Hauptkammlinie der Pyrenäen durch den Talkorridor breiträumig unterbrochen war, konnte die Grenze mit den vorhandenen technischen Fähigkeiten an dieser Stelle nicht ohne weiteres an geographischen Merkmalen ausgerichtet werden. Zudem wollte Frankreich – in deutlichem Widerspruch zur Prinzipienerklärung – die gesamte Cerdagne unabhängig vom Verlauf der Hauptkammlinie für sich reklamieren. Artikel 42 Pyrenäenvertrag sah deswegen auch die Einrichtung einer paritätisch besetzten Grenzkommission vor, die innerhalb fester Fristen vor Ort zusammenkommen und in gegenseitigem Einvernehmen einen Vorschlag für die lokale Grenzziehung ausarbeiten sollte: „[. . .] Et pour convenir de la division [dudit Comté & Viguerie de Conflans seulement, & non du Roussillon . . . comme pareillement . . . dudit Comté & Viguerie de Cerdaña seulement, & non de Catalogne], seront presentement deputez des Commissaires de part & d’autre, lesquels ensemble de bonne foy declareront quels sont les Monts Pyrenées, qui suivant le contenu en cet article, doivent diviser à l’avenir les deux Royaumes, & signaleront les limites qu’ils doivent avoir: Et s’assembleront lesdits Commissaires sur les lieux au plus tard dans un mois après la signature du present Traitté, & dans le terme d’un autre mois suivant auront convenu ensemble & declaré de commun concert ce que dessus. [. . .].“284

Trotz des eng umrissenen Auftrags der Grenzkommission, der entgegen anderer Ansichten weder nach dem Vertragswortlaut noch nach den damaligen politisch-militärischen Verhältnissen in den Pyrenäen die Grenzverläufe außerhalb der Cerdagne und des Conflans betraf,285 hielt Artikel 42 Pyenäenvertrag darüber hinaus eine weitere Sicherheitsklausel vor. Ihr zufolge sollte den Ersten Ministern Mazarin und Méndez de Haro eine Letztent281 282 283 284 285

Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. II. 2. d), cc). Vgl. Sahlins (1989), S. 6 f. Vgl. ebd., S. 66. Traité de Paix v. 07.11.1659 (Pyrenäenvertrag), Art. 42, S. 270. So aber irrtümlich z. B. Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 106.

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scheidungskompetenz für den Fall zustehen, dass die Grenzkommission zu keinem Ergebnis gelangen könne; und zwar „sans que pour cela on puisse retourner à la prise des Armes.“286 Damit unterstrichen beide Seiten, dass auch die bei Vertragsschluss noch offenen und bekanntermaßen sensiblen Grenzfragen aus ihrer Sicht nicht so maßgeblich waren, um den Friedensschluss aufzuschieben oder ihn später wieder in Frage zu stellen. b) Die Zusatzerklärung zu Artikel 42 Pyrenäenvertrag (Mai 1660) Die nach einigen Verzögerungen im Frühjahr 1660 in der Cerdagne zusammengetretene Grenzkommission konnte tatsächlich keine einvernehmliche Gesamtlösung erzielen, womit die offen gebliebenen Punkte auf Ministerebene behandelt werden mussten. Um die bereits für Juni 1660 angesetzte königliche Hochzeit nicht zu gefährden, waren sowohl Frankreich als auch Spanien letztlich zu Konzessionen gezwungen, welche das Zustandekommen einer Zusatzerklärung zu Artikel 42 Pyrenäenvertrag vom 31. Mai 1660 erst ermöglichten.287 Diese ersetzte als Vertragsbestandteil die im Wortlaut wiederholte Ursprungsfassung von Artikel 42, die aber dahingehend präzisiert wurde, dass insgesamt „trente-trois Villages“ [sic] im nördlichen Teil der Cerdagne an Frankreich abzutreten seien. Überdies legten die Ersten Minister fest, welche Rechtsqualität diese Dörfer aufzuweisen hatten, insofern als „pour Villages se doivent entendre ceux qui ont esté censez de là par le passé, & avec Jurisdiction, en cas qu’ils se trouvassent presentement détruits.“288 Auf eine namentliche Aufzählung der betreffenden Ortschaften wurde hingegen ohne ersichtliche Gründe verzichtet. So lässt sich nicht genau sagen, ob man die örtlichen Verhältnisse hinreichend zu kennen glaubte, um ungewollte Entwicklungen auszuschließen, oder ob die Ersten Minister die politische Priorität einer friedlichen Streitbeilegung mit der Zusatzerklärung zu Artikel 42 Pyrenäenvertrag schon als erfüllt ansahen und der bloßen Umsetzung keine Bedeutung mehr zumaßen. Die Ernennung von zwei Mitgliedern der Kronräte zu Ausführungsbeauftragten lässt allerdings nicht unbedingt darauf schließen, dass diese Frage bewusst nachlässig behandelt worden wäre.

286

Traité de Paix v. 07.11.1659 (Pyrenäenvertrag), Art. 42, S. 270. Vgl. Franke, S. 196. 288 Traité de Paix, nommé des Pyrenées entre les Couronnes de France & d’Espagne, Articles arrestez en explication du quarante-deuxième Article dudit Traité, 31.05.1660, in: Corps Universel Diplomatique du Droit des Gens, Bd. 6, 2/3, Amsterdam 1728, S. 282 f. (ebd.). 287

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c) Das Durchführungsabkommen von Llívia (November 1660) Dass die Umsetzung der Zusatzerklärung zu Artikel 42 Pyrenäenvertrag dennoch auf massive Schwierigkeiten stieß, dokumentierte das am 12. November 1660 unterzeichnete Durchführungsabkommen von Llívia.289 Zwar gelang es den mit der Ausführung beauftragten Kommissaren, Frankreich die vertraglich zugesicherten 33 Dörfer zuzuordnen, doch angesichts territorialer und rechtlicher Besonderheiten führte dies weder zu einer übersichtlichen Gebietstrennung noch zu einer einfach handhabbaren Grenzregelung. So wurde das nun zu Frankreich gehörende Dorf Iz (Hix, heute Bourg-Madame) durch die teilweise in der Mitte des Flusses Regur (Raour) verlaufende neue Staatsgrenze von seinen am anderen Ufer gelegenen Ländereien getrennt, ohne jedoch seiner dortigen Eigentums- und Nutzungsrechte verlustigt zu gehen. Das Durchführungsabkommen war in dieser Hinsicht eindeutig und betonte mit Blick auf die Grenzziehung, dass „cette separation ne se devant entendre que de la France & de l’Espagne, & non du Domaine & de la proprieté particuliere dudit Territoire, qui demeurera toujours unit audit village de Iz.“290 Über die rein lokale Begebenheit hinaus wird hier ein historisches Verständnis von Grenze sichtbar, nach dem diese auch im frühen Völkerrecht des 17. Jahrhunderts offenbar noch als ausschließlich staatlichübergeordnete Institution galt, welche die Verhältnisse im Grenzraum nicht absolut dominieren musste, sondern teilweise von ihnen überlagert wurde. Bleibende Folgen sollte jedoch vor allem die Auseinandersetzung über den mitten im nun französischen Nordteil der Cerdagne gelegenen Ort Llívia haben, der mit seinen 700 Einwohnern damals von einiger Bedeutung war. Spanien berief sich in den Teilungsverhandlungen darauf, dass Llívia aufgrund seines überlieferten Rechtsstatus als „villa“ keinesfalls unter die Definition eines „Village“ gemäß der Zusatzerklärung zu Artikel 42 Pyrenäenvertrag fallen könne.291 Obwohl Frankreich zunächst eine andere Auffassung vertrat, einigte man sich schließlich in einer streng legalistischen Interpretation darauf, den Ort und sein Gemeindegebiet als eine vollständig von französischem Gebiet umschlossene Exklave Spaniens anzuer289

Convention entre les Commissaires de France & d’Espagne, en exécution du quarante deuxième Article du Traité des Pyrenées, touchant les trente trois Villages de la Comté de Cerdagne qui doivent demeurer au Roy de France, du douzième Novembre 1660, in: Corps Universel Diplomatique du Droit des Gens, Bd. 6, 2/3, Amsterdam 1728, S. 344 [zit. Convention entre les Commissaires . . . v. 12.11.1660 (Durchführungsabkommen v. Llívia)]. 290 Ebd. 291 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 1. b), insbes. zu Fn. 288. Zu den unterschiedlichen Status- und Vertragsauslegungen vgl. Marcet-Juncosa, S. 106 f., Remacha Tejada, S. 272; Sahlins (1989), S. 49 ff.

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kennen.292 Dieser Umstand zwang die Kommissare zur Aufnahme verschiedener Sonderbestimmungen in das Durchführungsabkommen, mit denen ein spezielles Regime von Grenzbeziehungen errichtet wurde. Dem ewigen Verbot einer militärischen Befestigung Llívias gegen Frankreich entsprach im Gegenzug die Garantie eines freien Personen- und Warenverkehrs für die Einwohner der Exklave sowie der umliegenden Grenzgebiete, und zwar „sans que lesdits Sujets puissent estre respectivement inquietez dans lesdits passages par les Ministres des deux Royaumes pour quelque cause que ce puisse estre.“293 Eine Einschränkung war lediglich bei der Verfolgung von auf den Transitwegen begangenen Straftaten vorgesehen, „d’autant que la capture & le chastiment des coupables appartiendra à ceux du Territoire desdits passages où les crimes auront esté commis.“294 Obgleich das Durchführungsabkommen die genauen Rechte an den Transitwegen nicht ersichtlich regelte, unterhielt Spanien den namentlich aufgeführten „chemin royal de Livia à Puycerda“ wohl weiter aus eigenen Mitteln.295 Diese Verbindung zwischen der Exklave und dem Mutterland wurde häufig als „neutrale Straße“296 oder – wegen der räumlichen Zugehörigkeit zu Frankreich zutreffender – als „freie Durchgangsstraße“297 bezeichnet. Gleichzeitig sorgte eine sie kreuzende Straße dafür, dass auch der Grenzverkehr mit und zwischen den abgetretenen Dörfern der Nord-Cerdagne aufrecht erhalten blieb.298 Durch das Versäumnis der Kommissare, für diese Straßenverbindungen einen Katalog von verfolgungsauslösenden Straftaten aufzustellen, war jedoch bereits von Anfang an der Keim für künftige Kollisionen zwischen gewährten Freiheitsrechten einerseits und staatlichen Eingriffsvorbehalten andererseits gelegt. So kam es in den Folgejahren immer wieder zu Treffen von Gesandten, die sich mit umstrittenen Konfiszierungen oder Besteuerungen sowie sonstigen Störungen des Personen- und Warenverkehrs im Gebiet von Llívia zu befassen hatten.299 Trotz aller Bemühungen um eine friedliche Einigung und um Detailgenauigkeit konnte das Durchführungsabkommen vom November 1660 in292 Zu Ex- beziehungsweise Enklaven im Allgemeinen und zu Llívia im Besonderen vgl. auch Charpentier, Jean, Le problème des enclaves, in: Société Française pour le Droit International (Hrsg.), La frontière, Paris 1980, S. 41 ff. (S. 41, S. 48). 293 Convention entre les Commissaires . . . v. 12.11.1660 (Durchführungsabkommen v. Llívia), ebd. 294 Ebd. 295 Vgl. Marcet-Juncosa, S. 108. 296 So Sahlins (1989), S. 177, S. 208, S. 243 [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 297 So Remacha Tejada, S. 272 [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 298 Vgl. Marcet-Juncosa, S. 108. 299 Vgl. Franke, S. 200; Sudre, S. 24. Hierzu s. auch u., dieser Teil, C. II.1., insbes. zu Fn. 423.

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soweit seinen eigentlichen Zweck, die dauerhafte Sicherung des Grenzfriedens in der Cerdagne zu gewährleisten, nur eingeschränkt erfüllen.300 In der Realpolitik genoss die Inbesitznahme von Territorien weiterhin Vorrang vor einem entzerrten oder vermeintlich „natürlichen“ Grenzverlauf, wobei auch Frankreich jederzeit bereit war, das von ihm propagierte Grenzideal zugunsten von möglichen Geländegewinnen aufzugeben.301 d) Der Pyrenäenvertrag und der Grenzverlauf im Zentral- und Atlantiksektor der Pyrenäen Wichen schon die Grenzregelungen in den Gebieten, über die 1659/1660 intensiv verhandelt worden war, weit vom Geist der Prinzipienerklärung des Artikels 42 Pyrenäenvertrag ab, so blieb sie für den weitaus größeren Teil der Pyrenäen sogar gänzlich wirkungslos. Überall dort, wo nur wenige den Gebirgshauptkamm überschreitende Hochebenen und Weidezonen vorhanden waren, dürfte eine völkerrechtliche Präzisierung in den Augen der Vertragsparteien nicht besonders dringend gewesen sein, weil die lokalen Gebietsgrenzen hier oft dem Hauptkamm beziehungsweise einer örtlichen Wasserscheide folgten und kaum Anlass für Streitigkeiten boten.302 In vielen Fällen, unter denen die Aldudes nur das bekannteste und angesichts ihrer Konfliktanfälligkeit auch im zeitgenössischen Bewusstsein sicher präsenteste Beispiel waren,303 traf dies jedoch sicherlich nicht zu. Obgleich nach 1659 immer wieder das Gegenteil behauptet wurde, hielten hierfür aber weder der Pyrenäenvertrag noch die ihm nachfolgenden Rechtsakte eine verbindliche Gesamtregelung bereit, wie die ungefähr zweihundert Jahre später mit der endgültigen Grenzziehung befasste französisch-spanische Kommission in ihrem Abschlussbericht von 1868 feststellte: „« [C]ontrairement à une opinion répandue, le Traité des Pyrénées ni aucun des actes subséquents ne contenaient un règlement général de la délimitation entre les deux pays ».“304

Ein Hinweis darauf, dass dies den Vertragsparteien von 1659 möglicherweise bewusst war, lässt sich ihrem auffälligen Stillschweigen im Hinblick auf das nördlich des Pyrenäenhauptkammes gelegene Valle de Arán entnehmen, dessen Zugehörigkeit zu Spanien während der Verhandlungen nicht 300

Vgl. auch Sudre, S. 24. So setzte Frankreich z. B. im Frieden von Utrecht 1714 gegenüber Savoyen in den südlichen Alpen ebenfalls die Teilung von Gebirgstälern unabhängig von der Kammlinie durch; vgl. Franke, S. 190, Fn. 8. 302 Vgl. Sermet (1968), S. 9. 303 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 2. c). 304 Abschlussbericht der Kommission von 1868, zitiert bei Sermet (1968), S. 9. 301

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zur Diskussion stand, obwohl Frankreich seit dem Mittelalter eigene Territorialansprüche behauptete.305 Im Unterschied zu den Grafschaften des Roussillon, des Conflans und der Cerdagne war das Tal jedoch bei Einstellung der Kampfhandlungen nicht von französischen Truppen besetzt, so dass beide Seiten anscheinend keine tragfähige Basis für Verhandlungen sahen und sich dafür bezeichnenderweise auch nicht auf die Prinzipienerklärung des Artikels 42 Pyrenäenvertrag beriefen.306 Über eine völkerrechtliche Grundlage verfügte folglich einzig die 1659/1660 neu gezogene französisch-spanische Teilgrenze vom Mittelmeer bis zur Cerdagne, wohingegen sich der Grenzverlauf in den Zentralpyrenäen und im Atlantiksektor unverändert nach den hergebrachten lokalen und/oder zwischenstaatlichen Partikularordnungen richtete.307 Auch wenn diese rechtliche Fragmentierung nicht unbedingt mit räumlicher Unbestimmtheit gleichzusetzen war,308 relativiert sie doch die Einschätzung des Pyrenäenvertrags als „erstem Grenzvertrag der Neuzeit“309, da er mit den Folgeabkommen von 1660 nur in einem vergleichsweise kleinen Gebiet über die grobe Trennung von Herrschaftsräumen als dem Anfangsstadium einer modernen Grenzfestlegung hinausreichte.310 Die Ereignisse von 1659/1660 markierten insofern nicht mehr als den widersprüchlichen und unvollständigen Abschluss einer „first phase in the historical creation of the Pyrenean frontier“311, in der das Ideal einer natürlichen Grenze in der Prinzipienerklärung von Artikel 42 Pyrenäenvertrag anklang, aber nicht konsequent verfolgt wurde.312 Davon unberührt blieb im Übrigen auch die bisherige Praxis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Pyrenäenraum, da der Pyrenäenvertrag in seinen Artikeln 5 ff. zwar die allgemeine Handelsfreiheit zwischen den beiden Ländern wiederherstellte, ansonsten aber keine besonderen Absichten erkennen ließ, die bestehenden lokalen und zwischenstaatlichen grenzüberschreitenden Abkommen zu ersetzen.313 305

Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 1. d), aa). Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 107 ff.; Lafourcade, S. 7. 307 Vgl. auch Gómez-Ibáñez, S. 44; Gorría Ipas (1995), S. 85. 308 Vgl. Remacha Tejada, S. 255. 309 So Letamendía, Francisco, Cooperación europea y cooperación transfronteriza Euskadi-Aquitania: De la frontera-separación a la frontera-zona de contacto (un estudio comparado), in: Borja, Antón/Castro, José Luis de/Letamendía, Francisco (Hrsg.), La cooperación transfronteriza Euskadi-Aquitania (aspectos económicos, políticos y de relaciones internacionales), Bilbao 1994, S. 225 ff. (S. 245) [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 310 Vgl. Blumann, S. 10; Sahlins (1989), S. 2. 311 Sahlins (1989), S. 30 [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. 312 So aber z. B. Grewe, S. 379. 313 Hierzu s. u., dieser Teil, C. II. 1. 306

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

2. Die Pyrenäengrenze im Wechsel von Konflikt und Kooperation (1660–1789) Der Pyrenäenvertrag war nicht nur ein letztlich untaugliches Mittel, um die französisch-spanische Landgrenze wenigstens in ihren Grundzügen für die Zukunft festzuschreiben, sondern er verfehlte auch sein eigentliches Hauptanliegen, die militärischen Konflikte zwischen den beiden Ländern dauerhaft zu beenden. Schon 1667 führten sie erneut Krieg gegeneinander, wobei sich die immer nur kurz unterbrochenen Feindseligkeiten an unterschiedlichen europäischen Schauplätzen und in wechselnden Allianzen bis 1721 hinzogen. Verantwortlich dafür war in erster Linie das absehbare Erlöschen der spanischen Habsburgerdynastie, deren endemische Kinderlosigkeit nicht nur in Frankreich Begehrlichkeiten hinsichtlich der Thronfolge sowie der Vereinnahmung der verbliebenen europäischen Besitzungen Spaniens weckte. Selbst die von Ludwig XIV. erfolgreich betriebene Sukzession seines Enkels, der 1701 als Philipp V. in Madrid gekrönt wurde und die spanische Bourbonendynastie begründete, sowie der gemeinsame Sieg gegen den habsburgisch-österreichischen Thronprätendenten im Spanischen Erbfolgekrieg 1714 waren aber letztlich nicht in der Lage, die Interessengegensätze der beiden Länder aufzuheben. Erst als Philipp V. nach der Niederlage Spaniens im Pyrenäenkrieg 1720 seinerseits alle Ansprüche auf den französischen Thron aufgab und nahezu alle europäischen Territorien Spaniens außerhalb der Iberischen Halbinsel verloren waren, konsolidierten sich die Herrschaftssphären der bourbonischen Familienzweige im Verhältnis zueinander. Damit erlebte auch die Pyrenäengrenze erstmals seit dem 16. Jahrhundert wieder einen stabilen internationalen Frieden, der bis zu den Revolutionskriegen Ende des 18. Jahrhunderts Bestand hatte. Während sich die zwischenstaatlichen Beziehungen nach 1720 überwiegend kooperativ gestalteten, entwickelten nun jedoch die örtlichen Streitigkeiten zwischen den Grenzbevölkerungen in den Pyrenäen ein solches Gewaltpotential, dass sich die zunächst widerstrebenden Regierungen schließlich zu einem Eingreifen gezwungen sahen. Um eine Ausweitung der lokalen Grenzkonflikte mit möglichen internationalen Komplikationen zu vermeiden, setzten sie nach verschiedenen Fehlschlägen 1784 eine paritätische Grenzkommission für die Pyrenäen ein, an deren Spitze im Unterschied zu 1659/1660 nicht mehr Politiker oder Diplomaten standen, sondern hochrangige Berufsoffiziere. Diese konnten als erstes Teilergebnis ihrer Bemühungen 1785 den Vertrag von Elizondo vorlegen, bevor der Ausbruch der Französischen Revolution die Kommission zur vorzeitigen Einstellung ihrer Arbeit zwang.

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a) Die Pyrenäengrenze zwischen internationalen Konflikten und lokaler Kooperation (1667–1720) Für den Pyrenäenraum bedeutete die Periode zwischen 1667 und 1720 zunächst eine Fortsetzung der Belastungen aus der Zeit vor dem kurzlebigen Pyrenäenfrieden. Kaum acht Jahre nach der Unterzeichnung des Pyrenäenvertrags wurden die französisch-spanischen Feindseligkeiten im Devolutionskrieg von 1667/1668 wieder aufgenommen und 1673–1678 in der Spätphase des Holländischen Krieges weitergeführt. Darauf folgte die auch an der Pyrenäengrenze unruhige Zeit der sogenannten Paix Armée, die in den Krieg der Augsburger Liga 1689–1697, in den mit französischer Partizipation geführten Spanischen Erbfolgekrieg 1701–1714 sowie in den Pyrenäenkrieg oder Krieg der Quadrupel-Allianz 1718–1720 mündete.314 Wie schon in der Vergangenheit,315 waren die Pyrenäen dabei weniger Hauptkampfplatz als eher ein Entlastungsraum für die Durchführung von Ablenkungsmanövern, aus denen sich nichtsdestoweniger eine ständige Gefährdungslage für die Grenzbewohner ergab.316 Um sich besser gegen die damit einhergehenden Truppeneinfälle und meist kurzfristigen Gebietsbesetzungen zu schützen, gingen sowohl Frankreich als auch Spanien schrittweise dazu über, die politische Grenze von 1659 durch den Bau von modernen Festungsanlagen abzusichern. Insbesondere in Frankreich war dies Bestandteil einer neuen Grenzverteidigungsdoktrin, aufgrund derer ab 1670 das Roussillon und der französische Nordteil der Cerdagne in das entstehende Vaubansche Fortifikationssystem einbezogen wurden.317 Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass Frankreich beziehungsweise Spanien etwa die Cerdagne mehrmals zur Gänze okkupierten und im Widerspruch zum Pyrenäenvertrag eine ungeteilte Zugehörigkeit zum eigenen Land behaupteten.318 Ein ähnliches Schicksal traf das Valle de Arán, das im Spanischen Erbfolgekrieg aufeinander folgenden Invasionen von Franzosen und von österreichisch-habsburgischen Loyalisten ausgesetzt war. Im Pyrenäenkrieg geriet das Tal 1719 erneut unter französische Militärherrschaft, die erst im Austausch gegen die zeitgleich spanisch besetzte Nord-Cerdagne widerstrebend aufgegeben wurde.319 Die baskischen Provinzen am Atlantik und die benachbarten navarresischen Gebiete an der Pyrenäengrenze waren währenddessen zwar weniger von Annektionsgelüs314

Vgl. Brunet (1996), S. 271; Caillet, S. 19; Sahlins (1989), S. 65 ff. Hierzu s. o., dieser Teil, insbes. B. II. d). 316 Zu den internationalen sowie zu den speziell für die Pyrenäen relevanten Auswirkungen dieser Kriege vgl. z. B. Poujade (1998), S. 232 ff. 317 Vgl. Franke, S. 188; Sahlins (1989), S. 65, S. 69. 318 Vgl. Franke, S. 196 f. 319 Vgl. Poujade (1998), S. 241 ff.; Sanllehy i Sabi, S. 471. 315

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ten bedroht, litten jedoch ebenfalls erheblich unter wechselseitigen Übergriffen und Truppenbewegungen.320 Insgesamt gesehen glichen die Pyrenäen somit Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts weniger einer hermetischen Militärgrenze als einer von teilweise weit auseinander liegenden Festungssystemen nur lose kontrollierten und immer wieder umkämpften Grenzzone mit einer größtenteils stark militarisierten und ihrerseits extrem gewaltbereiten Bevölkerung.321 Für die zuständigen Militär- und Zivilverwaltungen musste diese Situation in höchstem Maße unbefriedigend sein, auch weil sich in den Administrationen inzwischen die unzutreffende Ansicht durchgesetzt hatte, dass Artikel 42 Pyrenäenvertrag eine eindeutige Lineargrenze vom Mittelmeer bis zum Atlantik bestimmt habe.322 Angesichts der überall sichtbaren Abweichungen von diesem Ideal, die mit dem Ausbau des Festungsnetzes in den Pyrenäen sowie mit dem Zuwachs topographischer Kenntnisse und kartographischer Fähigkeiten immer deutlicher hervortraten, ging daher jeder neue Krieg mit Planungen einher, den Grenzverlauf einseitig und selbstverständlich unter Wahrung der eigenen territorialen Ansprüche zu „begradigen“.323 Entgegen anderer Annahmen324 verlor die Grenzfrage nach 1659 also nicht grundsätzlich an strategischer Bedeutung, wenngleich beide Seiten letzten Endes immer wieder in ihre Ausgangsstellungen zurückgeworfen wurden. Wie insbesondere die seit Ende der 1680er Jahre mehrfach versuchten systematischen Grenzsperrungen in den Pyrenäen erkennen ließen, betrachtete man vielmehr die Grenze und den Grenzverkehr nun selbst als Faktoren einer professionalisierten Kriegführung. So verkündete Spanien 1689 die Schließung aller Grenzübergänge nach Frankreich, wobei diese anscheinend nur partiell erfolgreiche Maßnahme 1691 durch ein umfassendes Handelsverbot sowie durch harte Strafen für Schmuggler ergänzt 320

Vgl. Peillen, S. 112. Zu den verschiedenen Offensiven und Gegenoffensiven, von denen die Atlantikküste, Navarra, das Valle de Arán sowie die Cerdagne und Katalonien u. a. im Pyrenäenkrieg betroffen waren, vgl. auch Albareda i Salvadó, Joaquim, Le soulèvement catalan de 1719 et la monarchie française, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 2, Toulouse 1995, S. 105 ff. (S. 106 f.). 321 Zur individuellen und kollektiven Bewaffnung in den Pyrenäen des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. Desplat (1993), S. 43 ff. Die Brutalisierung einer fast kontinuierlich von Krieg bedrohten Gesellschaft ist z. B. für die katalanischsprachigen Grenzgebiete auf beiden Seiten der östlichen Pyrenäengrenze gut belegt; vgl. Ayats, Alain, Catalans = Miquelets. L’image du montagnard catalan à travers la correspondance des représentants de Louis XIV, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 523 ff. (insbes. S. 529 ff.). 322 Vgl. Brunet (1996), S. 271 f. 323 Vgl. ebd. 324 Vgl. z. B. Gómez-Ibáñez, S. 48.

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werden musste. Eine weitere Verschärfung erfolgte 1694, als Spanien feste Routen und Kontrollstellen für Getreidetransporte in den eigenen Grenzprovinzen einrichtete, um den Getreidehandel mit den französischen Grenzgebieten zu unterbinden und dort Hungersnöte zu provozieren.325 Auch in Frankreich setzte das Militär 1695 eine pyrenäenweite Grenzsperrung durch oder griff, wie beispielsweise 1711 gegen das Valle de Arán, auf örtliche Grenzblockaden zurück, um den Kriegsgegner und seine Bevölkerung zu schwächen.326 Eine wirklich undurchlässige oder längerfristig aufrecht erhaltene Abriegelung der Grenze ließ sich mit den damaligen Mitteln und zumal in einem Gebirgsmassiv wie den Pyrenäen allerdings nicht verwirklichen. Neben den natürlichen Gegebenheiten und den begrenzten personellen Ressourcen, über welche die Staaten und ihre Armeen im 17. und 18. Jahrhundert verfügten, standen dem nicht zuletzt die unverändert gültigen Bedürfnisse der Grenzbevölkerungen entgegen. Zur Aufrechterhaltung ihrer grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen in Kriegszeiten beriefen sie sich auf ihre traditionellen Privilegien, womit sie nicht nur bei den lokalen und provinzialen Institutionen Gehör fanden, sondern zumeist auch bei der staatlichen Zivilverwaltung, welche bei Grenzsperrungen mit steuerlichen Einbußen, Nahrungsmittelknappheit und Unruhen in den Grenzgebieten rechnen musste.327 Die vom Militär propagierte neue Grenzkonzeption, nach der grenzüberschreitende Beziehungen, die Berufung auf lokale Neutralitätsklauseln oder die vertraglich geregelte Benachrichtigung von Grenznachbarn den Tatbestand der Kollaboration mit dem Feind erfüllten, zeigte jedoch ebenfalls Wirkung.328 Sie bot zumindest denjenigen Gebirgsbewohnern eine willkommene Rechtfertigung, die sich seit Anfang des 18. Jahrhunderts vermehrt über die örtlichen Friedensabkommen hinwegzusetzen begannen, um im Schutz des Kriegsgeschehens interne Rivalitäten mit den Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze gewaltsam zu regeln.329 Innerhalb von nur zwei Generationen waren damit die Grenze, nun allgemein verstanden als Staatsgrenze, und das Problem ihrer Kontrolle bei 325 Vgl. dazu mit einer genauen Auflistung Martínez Arce, Maria Dolores, Conflits entre la France et l’Espagne dans la deuxième moitié du XVIIIe siècle: le blocus commercial, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 355 ff. (S. 362 f., S. 364 f.). 326 Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 549. Zu früheren französischen Versuchen, das Valle de Arán im Spanischen Erbfolgekrieg zu isolieren, vgl. Poujade (1998), S. 244 f. 327 Vgl. z. B. Brunet (1996), S. 274 f.; Caillet, S. 20 f. Hierzu s. auch u., dieser Teil, C. II. 2. a). 328 Vgl. Brunet (1996), S. 276. 329 Vgl. ebd., S. 271, S. 275 f., S. 284 ff.; Gorría Ipas (1986), S. 152.

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allen zeitbedingten Unzulänglichkeiten der Umsetzung zu einem festen Bestandteil des militärischen und politischen Kalküls geworden, während sie auf der lokalen Ebene als neuartige, die staatliche Macht implizierende Referenzmöglichkeit bei alten Gebietsstreitigkeiten erkannt wurden. Beide Tendenzen sollten sich über den Friedensschluss von 1720 hinaus fortsetzen und einander in den Folgejahren unter wechselnden Vorzeichen verstärken. b) Die bourbonische „Friedensgrenze“ zwischen internationaler Kooperation und lokaler Konfliktivität (1721–1789) Mit dem endgültigen Verzicht Philipps V., neben dem spanischen Thron nach dem Tod Ludwigs XIV. auch die französische Krone zu übernehmen, entspannte sich die politische Situation zwischen den beiden Staaten erstmals seit fast zweieinhalb Jahrhunderten nachhaltig. Symbolisiert durch die bourbonischen Familienpakte von 1733, 1743 und 1761330 entwickelte sich innerhalb überraschend kurzer Zeit eine enge außenpolitische Kooperation, die sich auch auf die Pyrenäengrenze erstreckte. Nach 1722 wurden hier zahlreiche zwischenstaatliche Vereinbarungen geschlossen, die hauptsächlich ein gemeinsames Vorgehen gegen den Schmuggel, die Festlegung von Gerichtszuständigkeiten bei grenzüberschreitenden Vorfällen und die Erhebung von Zöllen auf den grenzüberschreitenden Handelsverkehr betrafen.331 Dadurch nahm die frühere Militärgrenzzone mehr und mehr den Charakter einer internationalen Verwaltungsgrenze an, deren Verlauf sich zwar unverändert nach dem problembehafteten Status von 1659/1660 richtete, an der nun aber staatliche Herrschaftsansprüche und ihre zwischenstaatlichen Berührungen in die Form administrativ-friedlicher Regulierungen gekleidet wurden.332 Der Aufbau einer kooperativ „verwalteten“ Staatsgrenze – dem innenpolitisch die Bestrebungen aufgeklärter Bürokraten entsprachen, eine landesweite Vereinheitlichung von Territorial- und Verwaltungsstrukturen sowie von Justiz- und Steuersystemen durchzusetzen – fiel allerdings schwer angesichts von Grenzen, die sich im 18. Jahrhundert nicht nur in den Pyrenäen noch überwiegend als „riddled with enclaves, exclaves, overlapping 330

Zu den weitreichenden militärischen Beistandspflichten sowie zum Prinzip der Gleichbehandlung der jeweiligen Untertanen vgl. z. B. den Traité d’amitié et d’union entre les Rois Très-Chrétien et Catholique ou Pacte de famille, 15.08.1761, in: Recueil des principaux Traités d’Alliance, de Paix, de Trêve, de Neutralité, de commerce, de limites d’échanges etc. . . . depuis 1761 jusqu’à présent, hrsg. v. Martens, M. de, Bd. 1: 1761–1788, Göttingen 1791, S. 1 ff. 331 Vgl. Franke, S. 198; Sahlins (1989), S. 89 ff. 332 Zu diesem Prozess vgl. z. B. auch Izard, S. 113 ff.

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and contested jurisdictions and other administrative nightmares“333 präsentierten. Trotzdem ging selbst Frankreich, das über lange Außengrenzen verfügte und einen intensiven Theoriediskurs über Grenzen pflegte, erst verhältnismäßig spät dazu über, flächendeckende Grenzkommissionen mit den Nachbarstaaten einzurichten, die dann in den 1770er Jahren insgesamt 22 Grenzverträge abschließen konnten.334 Dabei signalisierte schon der Name des 1775 in Paris gegründeten „Topographischen Instituts für die Festlegung von Grenzen“, dass die entsprechenden Grenzverläufe nicht mehr ausschließlich der historischen Überlieferung folgen sollten, sondern soweit wie möglich in Einklang mit topographischen Kriterien wie beispielsweise der Wasserscheide im Gebirge zu bringen waren.335 Dessen ungeachtet gelang es bis zum Ausbruch der Französischen Revolution weder, alle innerstaatlichen Zollgrenzen abzuschaffen, noch, überall exakt delimitierte und demarkierte Außengrenzen zu errichten, die eine systemische Schranke für konkurrierende politische, rechtliche, fiskalische, administrative und kirchliche Herrschaftsordnungen gebildet hätten.336 Für das Verständnis der komplexen Prozesse, welche die Grenzpolitik im 18. Jahrhundert allgemein durchlief, waren die spezifischen Vorgänge an der französisch-spanischen Pyrenäengrenze gleich in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen wirft der 1785 unterzeichnete Vertrag von Elizondo, mit dem ein erster Teilbereich der Grenze linear präzisiert wurde, Licht auf die zeitgenössischen Vertragstechniken und -konzeptionen, aber auch auf dadurch verursachte Probleme und Widerstände.337 Zum anderen können anhand der langen Vorgeschichte und der Hintergründe des Vertragsschlusses Veränderungen in den Verhaltens- und Einstellungsmustern der Grenzbevölkerungen nachgewiesen werden, die auf die staatliche Grenzpolitik rückwirkten. Dass die Entente der französischen und der spanischen Bourbonen-Dynastien nach 1721 in dem Zusammenhang keine Entsprechung auf der lokalen Ebene in den Grenzgebieten fand, war vermutlich durch das Zusammentreffen einer Reihe von Einzelfaktoren bedingt, die regional zwar in unterschiedlicher Weise zum Tragen kamen, in ihrer Gesamtheit aber die Lebenssituation in den Pyrenäen merklich veränderten. Isoliert betrachtet fiel dem fast explosionsartigen Bevölkerungswachstum, das zwischen dem Beginn des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen des Massivs in 333

Sahlins (1990), S. 1435. Vgl. ders. (1989), S. 49, m. w. N.; ders. (1990), S. 1438 ff., mit einer tabellarischen Auflistung der einzelnen Grenzverträge und Vertragspartner. 335 Vgl. Franke, S. 198. 336 Vgl. Anderson (1997), S. 23. 337 Hierzu s. u., dieser Teil, C. I. 3. 334

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etwa zu einer Verdoppelung der Einwohnerzahlen führte, das größte Gewicht zu.338 Durch die demographischen Zuwächse wurden die zur Subsistenzsicherung benötigten Agrar- und Weideflächen zu einer notgedrungen noch begehrteren Ressource als dies zuvor schon der Fall gewesen war.339 Zusätzlicher Druck erwuchs aus dem vorindustriellen Aufschwung im Bergwerkssektor und in den auf Holzkohle angewiesenen metallverarbeitenden Betrieben der Pyrenäen sowie aus dem ebenfalls steigenden Holzbedarf der Handels- und Kriegsmarinen. Die Folge waren erbitterte Auseinandersetzungen um die Eigentums- und Nutzungsrechte an den wirtschaftlich wertvollen Waldbeständen, die zumeist von Gemeinden und Talschaften gehalten wurden und diese nun in Kollektivstreitigkeiten unter- und miteinander verwickelten.340 Ein manchmal übersehener Zwang zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse ging aber auch von der Effektivierung der staatlichen Finanzverwaltung und der Besteuerungsmechanismen im 18. Jahrhundert aus. Die früh konsolidierten, aber deswegen vergleichsweise rückständigen Steuersysteme Frankreichs und Spaniens341 hatten die in anderen europäischen Staaten bereits stattfindende finanzpolitische Modernisierung der „Verschiebung des Steuerobjekts von der Landwirtschaft über den Außenhandel, dann den Konsum zum Nettoeinkommen aller Untertanen und ihrer Unternehmen“342 zu diesem Zeitpunkt erst ansatzweise vollzogen. Ein höheres Steueraufkommen, das für den absolutistischen Staatsausbau vonnöten war, musste hier folglich vorrangig über die Steigerung beziehungsweise die Verbreiterung von Grund- und von Bodenertragssteuern erzielt werden. Voraussetzung dafür war jedoch die eindeutige Zurechenbarkeit der Flächen und der auf ihnen erwirtschafteten Gewinne.343 Dadurch hervorgerufene oder er338 Zur Bedeutung des demographischen Faktors vgl. z. B. Roigé/Ros/Cots, S. 483; Sahlins, Peter, State formation and national identity in the Catalan borderlands during the eighteenth and nineteenth centuries, in: Wilson, Thomas M./Donnan, Hastings (Hrsg.), Border identities: Nation and state at international frontiers, Cambridge 1998, S. 31 ff. (S. 41); Sanllehy i Sabi, S. 467 f., S. 476. 339 Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. III. 1. a), aa). 340 Vgl. Soulet (1988), S. 123 ff. Zum chronischen Brennstoffmangel der Metallindustrie in den Pyrenäen vgl. auch Izard, S. 110 f. 341 Zu steuerpolitischen Problemen und ihren entwicklungshemmenden Wirkungen sowie zu den wiederholten Staatsbankrotten Frankreichs und Spaniens vgl. Reinhard, Wolfgang, Kriegsstaat–Steuerstaat–Machtstaat, in: Asch, Ronald G./Duchhardt, Heinz (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos?: Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1500–1700), Köln u. a. 1996, S. 277 ff. (insbes. S. 285 ff., S. 291 ff.). Vgl. auch Stürmer, Michael, Hungriger Fiskus – schwacher Staat: Das europäische Ancien Régime, in: Schultz, Uwe (Hrsg.), Mit dem Zehnten fing es an – eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, S. 174 ff. 342 Reinhard, S. 309. 343 Vgl. z. B. Roigé/Ros/Cots, S. 483.

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neut angefachte Bodenstreitigkeiten waren unvermeidbar, wenn, wie in den Pyrenäen üblich, großräumiger Gemeinbesitz und das häufige Auseinanderfallen von Eigentums- und von teilweise mehrfach geteilten Nutzungsrechten vorherrschten.344 Die unglückliche Kumulation der verschiedenen Faktoren bewirkte seit dem frühen 18. Jahrhundert eine außergewöhnliche Intensivierung örtlicher Territorialkonflikte, wobei allerdings zu beachten ist, dass es sich sowohl in Frankreich als auch in Spanien um ein allgemeines Phänomen handelte, von dem schon rein zahlenmäßig in der Hauptsache Gemeinden, Gemeindeverbände und Provinzen im Inland betroffen waren.345 An der Pyrenäengrenze fiel lediglich der Wahrnehmungsgrad höher als in den grenzfernen Gebieten aus, weil hier jeder Streitfall und jede Entscheidung inländischer Autoritäten zwangsläufig Auswirkungen auf die Bevölkerung und das Territorium des Nachbarstaates haben musste, obgleich der Streitgegenstand selbst keinerlei überörtliche oder gar staatspolitische Relevanz aufwies. Angesichts der landesweiten Verbreitung und der Alltäglichkeit von Lokalkonflikten im 18. Jahrhundert vertraten die französische und die spanische Regierung daher anfänglich sogar den Standpunkt, dass die Grenzbewohner im Rahmen ihrer bisher üblichen grenzüberschreitenden Abkommen zu eigenverantwortlichen Kompromisslösungen finden sollten.346 Zumindest in den kleinräumigen Bezügen, um die es dabei ging, genoss insoweit die Aufrechterhaltung der nach 1721 erlangten zwischenstaatlichen Eintracht zunächst Vorrang vor einer inflexiblen Territorialideologie, die noch kurz zuvor in Kriegszeiten behauptet worden war.347 Eine solche Haltung erwies sich jedoch bald als nicht mehr zeitgemäß, weil sie weder die verschlechterten lokalen Umfeldbedingungen noch die ansonsten konsequent betriebene Aufwertung monarchisch-zentralstaatlicher Instanzen hinreichend berücksichtigte. In einem sich verschärfenden Kampf um die Sicherung von Existenzgrundlagen handelten die Grenzbewohner nur zweckrational, wenn sie unter insgesamt veränderten Umständen nun auch bei ihren Grenzstreitigkeiten ein staatliches Tätigwerden einforderten: „Il est très intéressant de remarquer que les populations françaises ont, les premières, consenti à laisser diminuer leurs anciens privilèges [. . .] surtout parce qu’elles comprenaient l’énorme avantage que leur valait l’appui de cette force incomparable qu’étaient la diplomatie et la puissance militaire de la France.“348 344

Hierzu s. o., dieser Teil, B. I. 1., B. III. 1. Für Frankreich vgl. z. B. Desplat (1993), S. 150 ff.; für Spanien vgl. z. B. Gorría Ipas (1986), S. 144; Sanllehy i Sabi, S. 476. 346 Vgl. Sahlins (1998), S. 48. 347 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 2. a). 348 Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 267/268. 345

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Seit Anfang des 18. Jahrhunderts waren es deswegen neben dem Militär vor allem die französischen und spanischen Grenzbevölkerungen, die fortwährend bei den Königen und ihren Regierungen intervenierten, um eine definitive Delimitierung der Pyrenäengrenze zu erreichen.349 Der konstante Versuch, zur Sicherung eigener Vorteile örtliche Kontroversen durch den Appell an die jeweilige Staatsmacht quasi zu externalisieren, ging auch mit bemerkenswerten psychologischen Veränderungen einher. Durch sie wurden im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Intergruppen-Beziehungen350 selbst in ethnisch, sprachlich und kulturell homogenen Bevölkerungsgruppen, die auf beiden Seiten der Pyrenäengrenze siedelten,351 in neue Bahnen gelenkt. Wie von der Theorie des realistischen Gruppenkonflikts angenommen,352 führten wachsende Interessendivergenzen – hier begründet durch verschärfte wirtschaftliche Konkurrenz – zu einem Wandel in der Selbst- und Fremdwahrnehmung, der über den bereits bekannten innerpyrenäischen „microethnocentrisme“353 hinausging. Sichtbarer Ausdruck dessen war das Aufkommen von bislang für die Grenznachbarn nicht gebräuchlichen nationalistischen Kategorisierungen, die sich etwa innerhalb der transpyrenäischkatalanischen Sprach- und Bevölkerungsgruppe durch die gegenseitige Abwertung als espanyols (Spanier) beziehungsweise als gavatxos (Gascogner, im Sinn von Franzosen) nachweisen lassen.354 Gleichzeitig gingen lokale Repräsentanten seit den 1730er und 1740er Jahren überall in den Pyrenäen dazu über, explizit nationale Feindbilder aufzubauen und damit eigene Forderungen zu legitimieren, „identifying their enemies as ‚foreigners‘ and ‚usurpers‘, and claiming to uphold the rights of their respective monarchies in the borderland.“355 Anders als es die gängigen Vorstellungen über das Verhältnis zwischen Zentrum und grenzbedingter Peripherie vermuten lassen,356 wurden daher an der Pyrenäengrenze die frühen Konzeptionen eines Nationalterritoriums und einer Nationalidentität ursprünglich nicht von staatlicher Seite entwickelt.357 Während in den Hauptstädten eine nationalstaatliche Ideologie 349

Vgl. Sahlins (1989), S. 47 f. Zu Ansätzen und Ergebnissen der Intergruppen-Forschung vgl. Beck, Dieter, Kooperation und Abgrenzung: Zur Dynamik von Intergruppen-Beziehungen in Kooperationssituationen, Wiesbaden 1992, S. 42 ff. 351 Hierzu s. o., dieser Teil, A. I. 3., insbes. zu Fn. 29. 352 Vgl. z. B. Sherif, Muzafer, Group Conflict and Co-operation: Their Social Psychology, London 1967, S. 81 ff. 353 Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 1., insbes. zu Fn. 102 ff. 354 Vgl. detailliert Sahlins (1989), S. 162 ff., m. w. N. Vgl. auch Windler (2002), S. 125. 355 So Sahlins (1989), S. 161. 356 Hierzu s. o., Teil 1, B. II. 2., insbes. zu Fn. 167. 350

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noch gar nicht existierte, entstand auf der lokalen Ebene in den pyrenäischen Grenzgebieten ein zweckgerichteter Vor-Nationalismus, der wegen seiner spezifischen Ausgestaltung auch als „apparition de ce qui ressemble beaucoup à un nationalisme économique“358 bezeichnet worden ist. Die Regierungen in Madrid und Paris konnten sich infolgedessen auf gute Gründe berufen, als sie sich wegen der nicht nachlassenden Unruhen in den Grenzgebieten zunächst in den 1760er und dann ernsthaft in den 1780er Jahren zu einem gemeinsamen Handeln in der Grenzproblematik entschlossen. 3. Der Vertrag von Elizondo von 1785 Mit der völkerrechtlichen Festlegung einer linearen Staatsgrenze sollte in erster Linie den lokalen Grenzstreitigkeiten ein Ende bereitet werden, um die bourbonische Entente und die zwischenstaatliche Grenzkooperation nicht zu gefährden. Gleichzeitig wollte man den Forderungen des Militärs nach einem besser zu überwachenden und gegebenenfalls leichter zu verteidigenden Grenzverlauf nachkommen. Beides stand mit der allgemeinen Grenzvertragspolitik des späten 18. Jahrhunderts in Einklang, die auch anderenorts in Europa betrieben wurde,359 und entsprach zudem dem inzwischen verfestigten Anspruch auf souveräne Alleinherrschaft innerhalb der eigenen Grenzen. Die Forderungen der Grenzbewohner und der lokalen beziehungsweise provinzialen Institutionen, die kaum verhohlen durch Eigennutz bestimmt waren, wurden hingegen von den staatlichen Stellen offenkundig mit Misstrauen aufgenommen, wie das Zustandekommen des Grenzvertrags von Elizondo von 1785 bewies. a) Vorgeschichte des Vertragsschlusses: Aldudes-Konflikt und frühere Grenzkommissionen Aus Sicht der französischen und der spanischen Krone galt unter den zahlreichen örtlichen Grenzkonflikten in den Pyrenäen des 18. Jahrhunderts insbesondere derjenige in den Aldudes, der seit dem Mittelalter bestand und zu einem fortgesetzten Scheitern dortiger grenzüberschreitender Abkommen geführt hatte, aufgrund seiner selbst für die damaligen Verhältnisse unüblichen Dauer und Heftigkeit als herausgehobene Bedrohung für den Frieden.360 Trotz der Capitulaciones von 1614, die bereits von den Staaten gesetztes 357

Vgl. Sahlins (1989), S. 155 f., S. 159 ff.; ders. (1998), S. 33, S. 47. Allinne, S. 39. 359 Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, insbes. zu Fn. 334 f. 360 Vgl. Béguin, François, Stratégies frontalières dans les Pyrénées à la fin de l’ancien régime, in: Descamps, Christian (Hrsg.), Frontières et limites, Paris 1991, 358

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und garantiertes Recht waren,361 häuften sich ab 1703 erneut Klagen von spanisch-südnavarresischen Grenzgemeinden und Talschaften, die durch Bestrebungen der französisch-nordnavarresischen Grenzbevölkerung ausgelöst wurden, ihren wachsenden Geburtenüberschuss durch die schrittweise Okkupation von Weideland in den weniger stark besiedelten Nachbargebieten aufzufangen.362 Bis 1717 nahmen die Konfiskationen von Vieh und sonstige Gewaltakte in den Aldudes derart zu, dass eine erste französisch-spanische Grenzkommission für dieses Gebiet einberufen wurde, über die allerdings nur wenig bekannt ist. Sie bestand aus jeweils drei grenzansässigen Notablen, wobei zumindest einer der französischen Vertreter direkt in die vorherigen Auseinandersetzungen involviert war. Dieser soll angeblich noch während der laufenden Verhandlungen die Grenze mit 600 bewaffneten Talbewohnern überschritten und ein spanisch-südnavarresisches Dorf vollständig eingeäschert haben, um eine bevorstehende Einigung zu verhindern.363 Ein solches Ereignis würde nicht nur die plötzliche Einstellung aller Gespräche noch vor dem Ausbruch des Pyrenäenkriegs von 1719–1720 erklären, sondern auch den Widerwillen, den die Regierungen später gegen eine Beteiligung lokaler Akteure bei der Grenzfestlegung hegten. Wiederholte Raubzüge, Entführungen und Morde, die für die 1730er, 1740er und 1750er Jahre in den Aldudes zahlreich nachgewiesen sind, belasteten die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Spanien schließlich derart, dass die zuständigen Behörden beider Länder ab 1768 einen erneuten Anlauf für eine einvernehmliche Grenzregelung unternehmen mussten. Die Leitung der eingesetzten Grenzkommission wurde nun jedoch zwei Berufsoffizieren, dem Brigadier de Grandpré für Frankreich und Feldmarschall Antonio Ricardos für Spanien, übertragen, die den Auftrag erhielten, zunächst die bestehenden Rechtsverhältnisse vor Ort zu überprüfen. Eine Untersuchung der Grenzmarkierungen in den Aldudes musste allerdings 1769 wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten ergebnislos abgebrochen werden und auch eine Anhörung der in dieser Angelegenheit naturgemäß uneinigen Grenzbewohner konnte keine Übereinkunft bewirken.364 Nachdem die zweite Grenzkommission unter anderen Vorzeichen demnach ebenfalls an den lokalen Verwicklungen gescheitert war, verlangte in S. 49 ff. (S. 52); Gómez-Ibáñez, S. 44; Lafourcade, S. 8; Salcedo Izu, S. 64; Sese Alegre, S. 376 f. 361 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 2. c), insbes. zu Fn. 207 ff. 362 Vgl. Salcedo Izu, S. 59 ff. 363 Vgl. Sese Alegre, S. 372. 364 Vgl. ebd., S. 376 ff. Zu Hinweisen auf Vorarbeiten für eine Grenzziehung in den 1760er Jahren vgl. auch Sahlins (1989), S. 98; Salcedo Izu, S. 64.

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erster Linie das Militär mit dem Hinweis auf die unverändert gefährdete öffentliche Ordnung in den Grenzgebieten eine Wiederaufnahme der Verhandlungen. Das Ziel sollte eine rechtlich eindeutige und geographisch besser zu schützende Grenzlinie in den Aldudes sowie in den gesamten Pyrenäen sein.365 Als sich die französische und die spanische Krone zu Beginn der 1780er Jahre damit einverstanden erklärten, war im Lichte der bisher gemachten Erfahrungen absehbar, dass sich Auftrag und Vorgehen der neuen Grenzkommission wesentlich von den Vorgängermissionen unterscheiden mussten. b) Die Einsetzung der Caro-d’Ornano-Kommission (1784) Wie fast zeitgleich an anderen französischen Grenzen auch,366 wurde 1784 eine eigene Grenzkommission für die Pyrenäen eingerichtet, an deren Spitze mit den Feldmarschällen Comte d’Ornano für Frankreich und Don Ventura Caro für Spanien wiederum zwei hochrangige Militärs standen. Ihnen arbeiteten 16 Vermessungsingenieure in paritätisch besetzten Zweiergruppen zu, wobei alle Kommissionsmitglieder als externe Experten über keine persönlichen Bindungen zu den Grenzgebieten verfügen durften, um ihre Unparteilichkeit gegenüber lokalen Ansprüchen sicherzustellen.367 Ausgehend von der Mündung des Bidassoa in den Atlantik bestand ihre Aufgabe zunächst darin, eine exakte Karte des Grenzraums anzufertigen, ohne die eine gesicherte Grenzfestlegung nicht erfolgen konnte. Trotz der guten personellen und materiellen Ausstattung der Kommission waren die Suche nach geeigneten Messpunkten und die Abstandsberechnung im bergigen Gelände des Atlantiksektors der Pyrenäen aber so aufwändig, dass man bis 1789 erst 44 „lieues“368 vermessen hatte und noch 25 Jahre bis zum Erreichen des Mittelmeeres veranschlagen musste.369 Mögliche Spannungen innerhalb der Kommission spielten übrigens keine verzögernde Rolle, da sich die Beziehungen zwischen den französischen und den spanischen Experten, die eine Art Fachbruderschaft bildeten,370 von An365

Vgl. Sahlins (1989), S. 97. Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 2. b), insbes. zu Fn. 334 f. 367 Vgl. Béguin, S. 52 f., S. 61. 368 Je nachdem, ob „lieue“ hier eine „lieue de Paris“ (= 3,898 Kilometer) oder eine der anderen Meileneinheiten des Ancien Régime bezeichnet, ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse, die sich ungefähr zwischen 172 und 189 Kilometern bewegen; vgl. auch Trapp, Wolfgang/Wallerus, Heinz, Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung, 5., durchges. u. erw. Aufl., Stuttgart 2006, insbes. S. 249 ff. Zu Länge und topographischer Gestalt der Pyrenäen s. auch o., dieser Teil, A. I. 1. 369 Vgl. Béguin, S. 52, S. 53 f. 366

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fang an problemlos bis freundschaftlich gestalteten. Hingegen verschlechterte sich das Verhältnis zu den Grenzbevölkerungen, die auf ihren verbrieften oder nur vermeintlichen Rechten beharrten, in dem Maße, in dem man in den baskischen und navarresischen Grenzgebieten unter Einschluss der Aldudes konkret mit der Ziehung der Lineargrenze begann.371 In Übereinstimmung mit anderen zeitgenössischen Grenzfestlegungen ging die Kommission dabei grundsätzlich davon aus, dass lokale Streitigkeiten über Land-, Weide- und Wasserrechte vor allem auf die widersprüchlichen Grenzregelungen und grenzüberschreitenden Abkommen der Vergangenheit zurückzuführen seien.372 Aus dieser Perspektive konnte es daher nicht genügen, nur eine präzise Grenzlinie anhand von topographischen Merkmalen wie der Flussmitte des Bidassoa oder der Wasserscheide in den westlichen Pyrenäen zu bestimmen, sondern es mussten darüber hinaus territoriale Besitzverhältnisse abschließend geklärt sowie eine Prinzipienentscheidung bezüglich künftiger grenzüberschreitender Nutzungsmöglichkeiten getroffen werden. c) Der Vertrag von Elizondo und seine Inhalte (1785) Als erstes greifbares Ergebnis ihrer Arbeit unterzeichneten die Kommissionsleiter am 27. August 1785 den sogenannten Vertrag von Elizondo, der ausweislich einer am 19. Januar 1787 angefügten Auslegungserklärung zu Artikel 10 des Vertrages auch von der französischen und spanischen Krone wie vorgesehen ratifiziert wurde.373 Der offizielle Vertragstitel gab allerdings verschiedentlich Anlass zu Interpretationsirrtümern: „Traité définitif des Limites Entre La France et L’Espagne pour Etablir une Ligne Divisoire aux Aldudes, ou Quint Royal et Val-carlos, et pour déterminer les Limi370 Vgl. ebd., S. 61. Zur begrifflichen und inhaltlichen Beschreibung des Phänomens der bürokratischen Koordinierung und Politikgestaltung durch vertikale Fachbruderschaften vgl. auch Wagener, Frido, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL), Bd. 37, Berlin/New York 1979, S. 215 ff. (S. 238 ff.). 371 Vgl. Béguin, S. 50 f., S. 53; vgl. auch Franke, S. 198/199. 372 Vgl. Sahlins (1990), S. 1440. 373 Traité définitif des Limites Entre La France et L’Espagne Pour Etablir une Ligne Divisoire aux Aldudes, ou Quint Royal et Val-carlos, et pour déterminer les Limites des deux Monarchies en tous les Lieux contentieux du restant des Pyrennées, 27.08.1785; als Faksimile mit angehängten Beglaubigungsschreiben und Auslegungserklärung zugänglich über das digitale Archiv „Base Choiseul“ für historische Verträge vor 1915 des Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.smae.diplomatie.gouv.fr/choiseul/ressource/pdf/D17850005.pdf, (28 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Traité définitif v. 27.08.1785 (Vertrag v. Elizondo)]. Zur Ratifizierung vgl. auch Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 113 f.; Salcedo Izu, S. 64 f.

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tes des deux Monarchies en tous les Lieux contentieux du restant des Pyrennées.“374

Ohne eine eingehendere Befassung mit den Vertragsinhalten könnte dadurch der Eindruck vermittelt werden, dass hier bereits ein endgültiger französisch-spanischer Grenzvertrag vorlag, der neben der eigens erwähnten Trennlinie für die Aldudes auch den Grenzverlauf in allen anderen umstrittenen Gebieten der Pyrenäen regelte. Der zweite Titelzusatz stellte aber faktisch nur eine Absichtserklärung dar, die erst durch weitere (Teil-)Verträge für die von der Grenzkommission noch nicht erfassten Grenzabschnitte hätte verwirklicht werden können. Wie deren Grundtenor vermutlich ausgefallen wäre, lässt sich allerdings anhand der programmatischen Aussagen des Vertrages von Elizondo mit hoher Sicherheit abschätzen. So verkündeten die beiden Kronen bereits in der Präambel, welche konkreten Ziele sie mit der Einsetzung der Grenzkommission verfolgten: „Le Roy très chrètien & Le Roy catholique [. . .] ont jugé apropos de détruire et d’anéantir le principe des querelles et des discussions qui subsistent entre leurs frontaliers respectifs sur les monts Pyrennées [. . .] par une ligne divisoire qui partage et separe pour toujours les terres indivises des deux puissances, la proprieté des vallées et la souverainté des deux Rois dans cette partie.“375

Der feste Wille, die lokalen Grenzkonflikte durch eine strikte Trennung der jeweiligen Herrschafts- und Eigentumsordnungen zu beenden, trat auch in den einzelnen Vertragsbestimmungen immer wieder hervor. Nachdem Artikel 1 eine geometrische Grenzlinie zwischen den nord- und den südnavarresischen Grenzgebieten festlegte, welche die Aldudes durchzog,376 konkretisierte Artikel 2, dass alle nördlich dieser Linie gelegenen Territorien unter französischer und alle südlich gelegenen unter spanischer Herrschaft stünden, wobei eine effektive Trennung angestrebt wurde: „[. . .] et par conséquent les sujets & habitants de l’une et de l’autre puissance, ne pourront point dépasser les limites ci dessus convenues, ni pour la jouissance et usufruit, ni pour la possession territoriale pour quelque cause et pour quelque prétexte que ce soit [. . .].“377

Von diesem grundsätzlichen Verbot grenzüberschreitender Eigentumsund/oder Nutzungsrechte waren lediglich die Quellen und Wege ausgenommen, die unmittelbar auf der Grenze selbst lagen und den Grenzanwohnern beider Länder gleichermaßen zugänglich sein sollten. Damit sich diese bei 374

Traité définitif v. 27.08.1785 (Vertrag v. Elizondo), S. 1. Ebd., Präambel, S. 1. 376 Für eine Karte der sog. „ligne Caro-d’Ornano“, die auch den räumlich begrenzten Geltungsbereich des Vertrags von Elizondo veranschaulicht, vgl. GómezIbáñez, S. 51. 377 Traité définitif v. 27.08.1785 (Vertrag v. Elizondo), Art. 2, S. 8. 375

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Verstößen nicht auf Unwissenheit berufen konnten, sah Artikel 3 ausdrücklich die Anwesenheit lokaler Repräsentanten bei der Setzung von Grenzsteinen vor, eine im späten 18. Jahrhundert europaweit geübte Praxis, um die Grenzbewohner zur Respektierung der neuen Grenzen anzuhalten.378 Auf entsprechende Widerstände in den Pyrenäen scheinen die Grenzkommissare d’Ornano und Ventura Caro mit aller Härte reagiert zu haben, indem sie die betreffenden Notablen verhaften ließen und ihr Beisein bei der Demarkation erzwangen.379 Wie ein Fanal musste für die Grenzbevölkerungen jedoch vor allem Artikel 4 des Vertrags von Elizondo wirken, der in seiner Grundsätzlichkeit die hergebrachte Lebens- und Wirtschaftsweise in den Pyrenäen insgesamt bedrohte, auch wenn er sich rechtlich gesehen zunächst nur auf das vertraglich bezeichnete Gebiet der Aldudes bezog: „Considérant que les faceries et la communauté dans la jouissance des herbes et des Paccages entre les voisins frontaliers de l’une et de l’autre nation ont été très préjudiciables au repos et a la tranquillité générale des frontieres, puis qu’elles donnaient lieu a des voïes de fait, a des represailles et d’autres excès reprehensibles, et afin qu’a l’exemple de leurs Souverains, les sujets respectifs des deux puissances vivent comme ils le doivent en paix et en amitié, il a été convenû que toutes les faceries & communautés qui ont eu lieu jusqu’a present dans les Aldudes ou quint roïal et a Val-carlos seront et demeureront abolies et de nulle valeur [. . .]“.380

Die vermutlich erste Erwähnung der lokalen grenzüberschreitenden Beziehungen, die sich in einem völkerrechtlichen Grenzvertrag zwischen Frankreich und Spanien finden lässt, identifizierte somit die traditionellen Weideverträge und Wegerechte umstandslos als die eigentliche Ursache für Unruhen und Gewaltakte in den Grenzgebieten. Die Allgemeingültigkeit beanspruchende Formulierung, die keine sachlichen oder geographischen Einschränkungen erkennen ließ, erlaubt insoweit keinen Zweifel, dass die Annullierung aller bestehenden und das Verbot aller künftigen Abkommen dieser Art nicht auf die Aldudes beschränkt geblieben wären, sondern im weiteren Verlauf der Grenzziehung überall im Grenzraum analog zur Anwendung hätten gebracht werden sollen. Die potentiellen Dimensionen des Vertrags von Elizondo eröffnen sich daher nicht durch die letztlich minimalen Grenzkorrekturen, sondern durch den in Artikel 4 klar zu Tage tretenden Willen, die lokalen Grenzkonflikte durch die Errichtung einer „unantastbaren“, durch örtliche Vereinbarungen nicht mehr überwindbare Staatsgrenze zu unterbinden.381 378 379 380

Vgl. Windler (2002), S. 126. Vgl. Béguin, S. 50. Traité définitif v. 27.08.1785 (Vertrag v. Elizondo), Art. 4, S. 10 f.

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Damit folgte die Kommission der Grundhaltung anderer zeitgenössischer Grenzverträge,382 obgleich sie entgegen dem ersten Anschein gegenüber den unabweisbaren Erfordernissen der traditionellen Vieh- und Weidewirtschaft letzten Endes doch nicht völlig unzugänglich war. Artikel 5 des Vertrages von Elizondo gestattete es den Grenzbewohnern vielmehr, ihren ausländischen Nachbarn auch weiterhin Alm- und Weidegebiete zu verpachten, soweit sie sich an die vielfältigen und sehr detaillierten staatlichen Vorgaben hielten: „Il a été convenû que les frontaliers de l’une et de l’autre Nation, auront la faculté d’affermer leurs paccages, non seulement aux habitans de leur domination, mais encore a ceux de la Nation voisine, mais que dans ce dernier cas, ils seront assujetis aux regles suivantes: 1.º qu’ils ne pourront alienner aucun droit territorial de la frontière a peine de nullité: 2.º que les actes qui se passeront dans cet objet ne pourront être faits que pour un an seulement; quily sera fait mention expresse du nombre et de la qualité des troupeaux étrangers, du prix qu’ils païeront pour leur paccage, et du terrain qu’on affermera: 3.º que ces actes seront presentés au Tribunal superieur de la Province, pour qu’il en ait connaissance et qu’il puisse remedier de suite aux fautes que les contracteurs pourraient commettre, au prejudice de leurs droits et de la conservation permanentes des Limites de la frontiere: 4.º que les proprietaires seuls des terres affermées pourront y edifier des Cabanes ou autres habitations pour les pasteurs fermiers, lesquels ne pourraient les construire eux-mêmes, se servir des Bois, ni causer le moindre Domage.“383

Diese Reglementierungen zielten auf die Durchsetzung einer lückenlosen staatlichen Kontrolle über alle zukünftig abgeschlossenen grenzüberschreitenden Pachtverträge ab, die insbesondere durch die Beschränkung der Vertragsdauer auf ein Jahr, die Vorlagepflicht gegenüber den obersten Tribunalen der Provinzen sowie das Übertragungsverbot sonstiger Nutzungsrechte, die in der Verantwortlichkeit der Verpächter verblieben, abgesichert werden sollte. Das Bestreben, einerseits lokal notwendige grenzüberschreitende Beziehungen durch eine hohe Regelungsdichte zu kanalisieren und anderseits Rechtsverstöße mit der Androhung harter Sanktionen zu belegen, ist auch in weiteren Vertragsartikeln zu spüren. Beispiele für die Anerkennung grenzüberschreitender Verflechtungen waren etwa die Aufrechterhaltung von französischen Zehnt- und Seigneuratsrechten, die dem Kapitel von Bayonne beziehungsweise dem Marquis de Salha für den fortan zu Spanien gehörenden Weiler Ondarolla zustanden, während der spanischen Krone die Möglichkeit zugesprochen wurde, diese Rechte durch Ablösung zu erwerben.384 Gleichzeitig erhielten die Bewohner von Ondarolla Wegerechte über französisches 381 382 383 384

Vgl. auch Béguin, S. 56. Vgl. Sahlins (1990), S. 1440. Traité définitif v. 27.08.1785 (Vertrag v. Elizondo), Art. 5, S. 11 f. Ebd., Art. 6, S. 12 ff.

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Gebiet, die wohl einen direkten Zugang zu entfernteren spanischen Grenzweiden erlaubten, jedoch „sans qu’araison du passage qui leur est concedé, ils puissent laisser paitre leurs troupeaux sur les cités terreins.“385 Demgegenüber bekräftigte Artikel 10 speziell für das Gebiet der Aldudes nochmals gesondert die Ungültigkeit aller hergebrachten Abkommen und Rechtsansprüche, die durch den vorliegenden Vertrag sämtlich hinfällig geworden seien. Überdies wurde für Rechtsverstöße wie das Errichten von Gebäuden oder das Einzäunen von Land auf der anderen Seite der Grenze, selbst wenn sie mit dem Einverständnis der dortigen Bevölkerung geschahen, pauschal die exorbitant hohe Strafsumme von 1000 Livres386 verhängt. Sie sollte dem Anzeigenden zufallen und dadurch dem lokalen Umfeld zweifellos Anreize für eine Denunziation bieten, wohingegen die Bestimmung, dass ein Zahlungsverzug des Delinquenten von einem Monat nach der Verurteilung durch eine körperliche „peine équivalente“ abzugelten sei, den unbedingten Strafwillen der staatlichen Autoritäten verdeutlichte.387 Um die Verhältnisse an der Grenze dauerhaft zu befrieden, wurde der Grenzbevölkerung außerdem das traditionell beanspruchte Recht entzogen, unerlaubt weidendes Vieh zu konfiszieren und gegebenenfalls zum Ausgleich des entstandenen Schadens zu schlachten.388 Abschließend legte man für alle Grenzgemeinden eine ab 1787 jährlich gemeinsam wahrzunehmende Grenzsteinbegehung mit anschließender Berichtspflicht an die jeweiligen Provinzautoritäten fest; ergänzt durch eine Strafandrohung für das Versetzen oder Zerstören von Grenzsteinen, die mit „dix années de Galeres“ praktisch einem Todesurteil gleichkam.389 d) Der Vertrag von Elizondo nach 1786: Widerstände und faktische Nichtanwendung Der Vertrag von Elizondo wurde zwar durch die Könige Frankreichs und Spaniens ratifiziert und trat, wie vorgesehen,390 am 1. Januar 1786 in Kraft. In der Zwischenzeit hatte sich jedoch der Widerstand insbesondere der fran385

Ebd., Art. 9, S. 17 f. Den heutigen Vergleichswert solcher Summen abzuschätzen, ist schwierig; einen wenigstens ungefähren Anhaltspunkt gibt aber die 90 Jahre vor dem Vertrag von Elizondo festgesetzte Kopfsteuer von 1695, bei der die oberste Steuerklasse mit jährlich 2000 Livres veranschlagt wurde; vgl. Mann, Fritz Karl, Steuerpolitische Ideale, Jena 1937, S. 49 f. 387 Traité définitif v. 27.08.1785 (Vertrag v. Elizondo), Art. 10, S. 18 ff. 388 Ebd., Art. 11, S. 20. Zu diesem Recht und seiner Regulierung durch die lokalen lies und passeries s. auch o., dieser Teil, B. III. 1. c). 389 Traité définitif v. 27.08.1785 (Vertrag v. Elizondo), Art. 12, S. 20 f. 390 Ebd., Art. 13, S. 21 f. 386

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zösischen Grenzbevölkerung organisiert, die sich durch die neue Grenzlinie benachteiligt sah und über das provinziale Parlement von Pau im Verlauf des Jahres 1786 mehrere Protestnoten an den Hof von Versailles richtete.391 Diese bezogen sich in erster Linie auf die behauptete Verletzung überlieferter Eigentumsrechte, nicht aber auf die – vielleicht auch im Licht von Artikel 5 des Vertrags von Elizondo392 – noch für unproblematisch gehaltene Fortführung grenzüberschreitender Nutzungsabkommen: „Ces vallées ont à la vérité des droits d’usage les unes sur les autres dont votre parlement ne parlera pas ici où il n’est question que de propriété.“393

Zugleich unterstrich das Parlement jedoch die Notwendigkeit, dass zur Bedarfsdeckung für die örtliche Viehwirtschaft sowie für den Bergwerkssektor auch in Zukunft auf spanische Land- und Holzressourcen zurückgegriffen werden müsse, wenn nicht die öffentliche Ordnung in den ansonsten von ihren Lebensgrundlagen abgeschnittenen Grenzgebieten gefährdet werden solle.394 Obwohl die Grenzkommission für die Pyrenäen zunächst äußerlich unberührt in ihrer Arbeit fortfuhr, blieben die Demarchen der Grenzbevölkerung, die in den Kontext der wachsenden Spannungen im vorrevolutionären Frankreich fielen, anscheinend nicht wirkungslos. Während die Kommission in Vorbereitung des nächsten Teilvertrags aufgrund einer Urkunde von 1507 Frankreich ein Waldgebiet zusprach, das wegen der Lieferung von Masten für die Kriegsmarine zwischen beiden Ländern umstritten war,395 deutete ein erhalten gebliebener Briefwechsel zwischen den Kommissionsleitern schon 1787 auf eine von der französischen Seite gewünschte Änderung der bisherigen Vorgehensweise hin. Künftig sollte den Anliegen der Grenzbevölkerungen vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden, wozu man deren Vertretern ein Anhörungsrecht vor Ort an der Grenze einräumen wollte.396 1788 musste der französische Vertreter allerdings von einer noch viel tiefergehenden Beschneidung seines Mandats berichten: „« La Commission n’a pour but que le levé topographique des lieux, elle doit réunir les titres respectifs de propriété, sans même juger de leur valeur, et mettre le tout sous les yeux du ministre ».“397 391 Zur Stellung der Parlements als Verwaltungs- und Gerichtsorgane im 18. Jahrhundert vgl. z. B. Harouel, Jean-Louis/Barbey, Jean/Bournazel, Éric/Thibaut-Payen, Jacqueline, Histoire des institutions de l’époque franque à la Révolution, 11. Aufl., Paris 1987, S. 505 f. 392 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 3. c), insbes. zu Fn. 383. 393 Zitiert bei Desplat (1986), S. 115. 394 Vgl. ebd., S. 111, S. 119 f. 395 Vgl. Sermet (1968), S. 11 f. 396 Vgl. Béguin, S. 56 f. 397 Zitiert ebd., S. 57 [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.].

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Der Grenzkommission, die sich ein Jahr nach Ausbruch der Französischen Revolution endgültig auflöste, waren somit bereits ab 1788 alle eigenen Entscheidungsbefugnisse genommen. Vervollständigt wurde ihr Scheitern in der Folgezeit durch die faktische Nichtanwendung des (Teil-)Vertrags von Elizondo, den die Revolutionsregierungen in Paris nach 1789 nicht mehr anerkannten.398 Sie standen für eine Ideologie, welche die prinzipielle Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit aller Teile des territoire national betonte. Auch der zuvor unter topographischen Gesichtspunkten mehrfach diskutierte Austausch des spanischen Valle de Arán gegen den französischen Nordteil der Cerdagne stieß nunmehr auf empörte Ablehnung.399 Der bereits ratifizierte Vertrag von Elizondo wurde dadurch zwar nicht formal außer Kraft gesetzt, worauf sich Spanien in der Folgezeit immer wieder vergeblich berief,400 aber er fand selbst nach dem Ende der Revolutionswirren und der napoleonischen Kriege keine Anwendung mehr, weil ihn sowohl Frankreich als auch die Grenzbewohner in der Praxis ignorierten. So entrichtete beispielsweise ein Gebiet, das vertraglich Spanien zugewiesen war, seine Abgaben bis 1856 unverändert an den französischen Staat und blieb in der Karte des französischen Generalstabs als nationales Territorium ausgewiesen. Gleichzeitig besaß das spanische Valle de Erro weiterhin Häuser und Grundstücke in Frankreich, die wie neutrales Gebiet behandelt wurden.401 Zudem verschwanden ungeachtet der drastischen Strafen, die der Vertrag von Elizondo angedroht hatte,402 alle von der Carod’Ornano-Kommission gesetzten Grenzsteine, wie der zuständige Präfekt des neu eingerichteten Départements Basse-Pyrénées 1839 nach Paris berichtete.403 Damit fielen insbesondere die Aldudes in ihre vorherigen Dauerkonflikte zurück, wobei die wiederholten Bemühungen, angesichts des unveränderten Landbedarfs der französischen Grenzanwohner zu einer politischen Einigung zu gelangen, bis zur endgültigen Grenzziehung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolglos blieben.404 Obwohl der Vertrag von Elizondo insoweit de facto ein Fehlschlag war, verkörperte er unzweifelhaft den Geist einer neuen Epoche, in der die Staaten eine absolute Kontrolle über ihre Grenzen und alle sie betreffenden Vorgänge anstrebten. Dies schloß die Rücksichtnahme auf lokale Interessen im Einzelfall nicht aus, aber diese mussten sich künftig in zwischenstaatliche 398 Vgl. z. B. Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 113 ff.; Salcedo Izu, S. 65 f.; Sermet (1968), S. 12. 399 Vgl. Franke, S. 199. 400 Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1987), S. 186. 401 Vgl. Descheemaeker, S. 269. 402 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 3. c), insbes. zu Fn. 389. 403 Vgl. Gómez-Ibáñez, S. 52; Sermet (1968), S. 12. 404 Vgl. dazu Salcedo Izu, S. 66 f.

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Aushandelungsprozesse einfügen und konnten in deren Verlauf aus politisch übergeordneten Gründen jederzeit aufgegeben werden.405 Damit begann die schrittweise Ablösung der Funktionalität moderner völkerrechtlicher Staatsgrenzen von ihrem unmittelbaren räumlichen Umfeld, die sich im Pyrenäenraum jedoch schließlich weniger radikal gestaltete als es der Vertrag von Elizondo im ausgehenden 18. Jahrhundert oder die dem 19. Jahrhundert zugeschriebene Starrheit der Grenzdoktrinen vermuten ließen.

II. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum zwischen 1659 und 1789: Staatliche Einflüsse, ihre Determinanten und Beschränkungen Ähnlich wie bei der Grenze vollzog sich zwischen 1659 und 1785/1789 auch im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eine Entwicklung, in der die Staaten immer stärker als letztlich ausschlaggebende Akteure hervortraten. Dabei handelte es sich jedoch nicht um einen monokausalen Prozess, der alleine durch den staatlichen Durchsetzungswillen bestimmt worden wäre. Vielmehr forderten die Grenzbevölkerungen von sich aus staatliches Handeln ein, soweit es ihren Eigeninteressen nutzen konnte, oder erzwangen es, indem sie durch fortgesetzte Grenzstreitigkeiten oder durch ausgedehnten Grenzschmuggel die öffentliche Ordnung in Frage stellten. Die Entstehung einer genuin zwischenstaatlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im 18. Jahrhundert war somit auf vielschichtige Herausforderungen zurückzuführen, welche die Unterzeichner des Pyrenäenvertrags 1659 mit Sicherheit noch nicht vorhergesehen hatten, als sie sich darauf einigten, die Folgen der Grenzverschiebungen im Mittelmeersektor der Pyrenäen kooperativ bewältigen zu wollen. 1. Die begrenzten Auswirkungen des Pyrenäenvertrags: Die Kommission von Figueres (1665–1668) Tatsächlich stellte der Pyrenäenvertrag von 1659 für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, so wie sie sich seit dem Mittelalter im Pyrenäenraum herausgebildet hatte,406 keine besondere Zäsur dar. Weder erwähnte er die bestehenden Abkommen und institutionellen Mechanismen noch stellte er ihnen eigengesetztes Recht gegenüber,407 so dass die Grenzgebiete lediglich in den Genuss der allgemeinen Bewegungs- und Handelsfreiheiten kamen, welche die Artikel 5 ff. Pyrenäenvertrag unterschiedslos für die ge405 406 407

Vgl. Béguin, S. 63 f. Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. Vgl. Gómez-Ibáñez, S. 47; Soulet (1988), S. 59.

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samten Territorien der beiden Länder garantierten.408 Diese Bestimmungen gingen im Übrigen nicht über die im 17. Jahrhundert gängige Friedenspraxis hinaus, die den Außenhandel fast einschränkungslos förderte, so lange die fälligen Abgaben und Zölle ordnungsgemäß abgeführt wurden.409 Trotz der Errichtung einer neuen politisch-administrativen Ordnung, die mit zahlreichen Belastungen einherging,410 blieben dadurch selbst in den an Frankreich abgetretenen Grenzgebieten im Mittelmeersektor der Pyrenäen die sozio-ökonomischen Beziehungen und Handelsnetzwerke der spanischen Zeit zunächst im wesentlichen erhalten,411 wozu sicherlich auch die Beibehaltung der – nun inneren – Zollgrenzen zu den altfranzösischen Nachbarprovinzen beitrug.412 Dennoch sah der Pyrenäenvertrag im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zumindest eine institutionelle Innovation vor, die wegen ihrer kurzen Lebensdauer und weitgehenden Erfolglosigkeit bislang aber nur wenig Beachtung gefunden hat. Es handelte sich dabei um eine in Artikel 59 Pyrenäenvertrag vorgesehene Kommission,413 deren Aufgabenzuschnitt anders gefasst war als bei den Cerdagne-Kommissionen des Jahres 1660.414 Sie sollte nicht primär Grenzverläufe festlegen, obwohl sie das in der Praxis möglicherweise auch getan hat,415 sondern vor allem etwaige grenzüberschreitende Streitfälle beilegen und offene Fragen aufgreifen: „Il sera deputé des Commissaires de part & d’autre, deux mois après la publication du present Traité, qui s’assembleront au lieu dont il sera respectivement convenu, pour y terminer à l’amiable tous les differens qui pourroient se rencontrer entre les deux partis; lesquels Commissaires auront l’oeil à faire également bien traitter les Sujets de côté & d’autre, [. . .]. Et enfin regleront lesdits Commissaires toutes les choses concernant le commerce & frequentations des Sujets de part & d’autre, & toutes celles qu’ils estimeront pouvoir plus contribuer à l’utilité publique, & à l’affermissement de la Paix [. . .].“416 408

Vgl. Lafourcade, S. 161. Vgl. Martínez Arce, S. 356. 410 Zu den Veränderungen vgl. z. B. Sudre, S. 19 ff., m. w. N. 411 Vgl. Izard, S. 113. 412 Vgl. Marcet-Juncosa, S. 153; Sudre, S. 22 f. Zur Existenz interner Zollgrenzen, die in Frankreich erst mit der Abschaffung der hergebrachten Privilegien 1789 endgültig fielen, vgl. auch Anderson (1997), S. 23. 413 Vgl. Marcet-Juncosa, S. 108. 414 Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 1. b) u. c). 415 Ein Hinweis darauf, dass damals der Grenzverlauf am Cap Cerbère, also im unmittelbaren Nähebereich der Kommission, geregelt wurde, findet sich bei Sermet, Jean, Le Centenaire de la Commission Internationale des Pyrénées (II): Historique de la Commission, in: Revue d’histoire diplomatique, 1976 (janvier–juin), S. 15 ff. (S. 24). 416 Traité de Paix v. 07.11.1659 (Pyrenäenvertrag), Art. 59, S. 272. 409

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Die zumeist nach ihrem Sitzungsort benannte „Kommission von Figueres“, die erst 1665 zusammentrat und nur bis 1668 bestand, war demzufolge mit einem großzügigen Mandat ausgestattet, das ihr prinzipiell die Befassung mit jedem Gegenstand erlaubte, soweit sie dies zur Förderung der öffentlichen Belange und des zwischenstaatlichen Friedens für erforderlich hielt. Trotz der schrankenlos anmutenden Ermächtigung standen die Kommissare jedoch als „Sonderbevollmächtigte“ gegenüber ihren Monarchen stets in der Verantwortung.417 Faktisch erstreckte sich die Tätigkeit der Kommission überwiegend auch nur auf politisch nachrangige Streitigkeiten über Eigentums-, Nutzungs- und Ertragsverhältnisse von Ländereien, die französische und spanische Untertanen auf der jeweils anderen Seite der (Teil-)Grenze von 1659 innehatten.418 Solchen Problemen hatte Artikel 59 Pyrenäenvertrag eigentlich mit der Regelung vorbeugen wollen, dass alle Kriegsflüchtlinge frei seien, entweder zurückzukehren und in ihre früheren Rechte einzutreten oder aber die uneingeschränkte Nutzungs- und Bewegungsfreiheit für in ihrem Auftrag erzielte Gewinne grenzüberschreitend wahrzunehmen: „[. . .] il leur sera permis à tous & à chacun en particulier, ou de retourner en personne dans leurs maisons, en la jouissance de leurs Biens, ou, en cas qu’ils veuillent établir leur séjour ailleurs [. . .], ils le pourront faire, & envoyer [. . .] leurs Agens & Procureurs, pour prendre en leur nom & pour eux, la possession desdits Biens, les faire cultiver & administrer, en percevoir les fruits & revenues, & les faire transporter par tout ailleurs où bien leur semblera [. . .].“419

Bei der Entscheidung für die Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Land waren allerdings oft weniger politische als ökonomische Motive ausschlaggebend. So blieben die meisten landbesitzenden Familien im französischen Nordteil der Cerdagne spanische Untertanen, um als „Ausländer“ von den vergleichsweise hohen personenbezogenen Steuern der französischen Krone ausgenommen zu sein.420 Daraus ergaben sich nach 1659 alleine für dieses Gebiet mehr als 350 Streitfälle, in denen sich lokale Akteure wegen ihres rechtlichen Status auf eine fortbestehende Zugehörigkeit zur Gerichtsbarkeit spanischer Institutionen beriefen.421 Gleichzeitig bereiteten hier neben der Rückerstattung und Besteuerung von Ländereien auch die durch das Durchführungsabkommen von Llívia seit 1660 besonders geschützten Personen- und Warenverkehrsfreiheiten zwischen der Exklave, 417 Zur Stellung und Bedeutung des „Commissaire“ und seiner Beleihung mit einer „« fonction publique extraordinaire »“ vgl. Harouel/Barbey/Bournazel/ThibautPayen, S. 495 f. 418 Vgl. Sahlins (1989), S. 54. 419 Traité de Paix v. 07.11.1659 (Pyrenäenvertrag), Art. 55, S. 271 f. 420 Vgl. Sahlins (1989), S. 145. 421 Vgl. Windler (2002), S. 125.

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dem spanischen Mutterland und den französischen Grenzdörfern Schwierigkeiten.422 Die Kommission von Figueres sah sich angesichts der zahlreichen Beschwerden wegen ungerechtfertigter Eingriffe und Beschlagnahmungen auf den Transitwegen jedenfalls dazu veranlasst, den hohen Stellenwert dieser Regelungen in Erinnerung zu rufen.423 Dass ihren Anstrengungen insgesamt substantielle Erfolge beschieden waren, bevor im Jahr 1668 – vermutlich in Folge des erneuten Kriegsausbruchs424 – alle Arbeiten zum Stillstand kamen, ist zu bezweifeln. So konnte die Kommission insbesondere für den lebenswichtigen, aber konfliktiven Sektor des grenzüberschreitenden Getreidehandels, über den sie schon seit 1665 verhandelt hatte, kein zwischenstaatliches Abkommen zustande bringen.425 Gegen eine nachhaltige Wirkungsbilanz spricht überdies, dass sich ungeklärte grenzbezogene Landstreitigkeiten in der Cerdagne im ausgehenden 17. Jahrhundert unvermindert fortsetzten und im 18. Jahrhundert noch an Heftigkeit zunahmen.426 Der Pyrenäenvertrag erreichte somit im Rückblick weder die endgültige Festlegung der französisch-spanischen Landgrenze oder die dauerhafte Sicherung des Friedens noch die einvernehmliche Regelung grenzüberschreitender Problemstellungen im Mittelmeersektor des Pyrenäenraums. Das in Figueres zwischen 1665 und 1668 erstmals in Ansätzen verwirklichte Prinzip, eine zwischenstaatliche Kommission nicht für die Grenzfestlegung, sondern für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einzusetzen, fand jedoch über zweihundert Jahre später gewissermaßen eine Fortsetzung in der Commission Internationale des Pyrénées.427 Die verschiedenen Kommissionen des Pyrenäenvertrags, deren Aufgabenbereiche sie schließlich alle in sich vereinigte, sind daher mit einiger Berechtigung als die frühen, wenngleich nur bedingt erfolgreichen Vorgänger dieser bis heute bestehenden völkerrechtlichen Institution für die französisch-spanische Grenzkooperation zu bezeichnen.428 2. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum während der Krisenzeiten von 1667 bis 1720 Angesichts der kurzen Dauer des Friedens von 1659 und der beschränkten Ambitionen des Pyrenäenvertrags auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden 422 423 424 425 426 427 428

Vgl. Franke, S. 200. Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 1. c). Vgl. Sahlins (1989), S. 59, m. w. N. Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 2. a), insbes. zu Fn. 314. Vgl. Sahlins (1989), S. 58. Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 2. b). Hierzu s. u., dieser Teil, D. III. Vgl. auch Sermet (1976), S. 24.

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Zusammenarbeit wäre es erstaunlich gewesen, wenn sich die diesbezüglich aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bekannten Inhalte und Mechanismen nach dem erneuten Kriegsausbruch 1667 umgehend verändert hätten. Obwohl auch hier im Kräftespiel zwischen lokalen und staatlichen Institutionen der Einfluss letzterer zunahm, ließen Differenzen zwischen dem Militär und der zivilen Administration erkennen, dass unter den gegebenen Umständen von staatlicher Seite Veränderungen vielleicht gewünscht, aber nicht ohne weiteres durchgesetzt werden konnten. Unter dieser Oberfläche scheinbarer Kontinuität vollzog sich jedoch ein sukzessiver Akteurs- und Einstellungswandel, dessen langfristige Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum in der ausgedehnten Friedensperiode nach 1721 dann auch sichtbar wurden. a) Die unterschiedlichen Standpunkte militärischer und ziviler Behörden zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen 1667 und 1720 Während die lokalen und provinzialen Selbstverwaltungsorgane in den Krisenzeiten nach 1667 zunächst wie gewohnt an die Regierungen appellierten, ihre grenzüberschreitenden Handelsfreiheiten trotz der aufeinander folgenden Kriege aufrecht zu erhalten,429 bildeten sich sowohl in Frankreich als auch in Spanien zwei antagonistische Positionen innerhalb des Staatsapparates heraus. Auf der einen Seite stand das Militär, das sich seit dem Dreißigjährigen Krieg zu einer professionell-staatlichen Institution entwickelte,430 die spätestens gegen Ende des 17. Jahrhunderts jegliche Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Kriegszeiten für eine gefährliche Begünstigung des Feindes hielt.431 Traf dies bereits für den Bereich des Handels und der Versorgung auch unter dem Ausschluss kriegswichtiger Güter zu, so mussten die in vielen zeitgenössischen lies und passeries der Pyrenäen enthaltenen lokalen Friedens-, Neutralitäts- und Warnpflichten aus einer solchen Perspektive als schwerer Landesverrat gelten.432 Das Militär vertrat deswegen mit wachsender Vehemenz den Standpunkt, dass kriegsbedingt eine vollständige Aussetzung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erforderlich sei. Die formalrechtliche Argumentation lautete, dass man sich diesbezüglich sogar auf die Vorbehaltsklauseln in den entsprechenden Abkommen selbst berufen könne, da insoweit lediglich die 429 Vgl. dazu am Beispiel der Cortes von Navarra ausführlich Martínez Arce, S. 358 ff. 430 Zu diesem Prozess vgl. z. B. Harouel/Barbey/Bournazel/Thibaut-Payen, S. 525 ff. 431 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 2. a), insbes. zu Fn. 325 ff. 432 Vgl. Brunet (1996), S. 275 f.

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dort vereinbarten Fristen für die Inkenntnissetzung des Vertragspartners über den Abbruch zu beachten seien.433 Die lokale Ebene geriet dadurch in einen zunehmenden Rechtfertigungszwang, auch weil sich in Folge des Aufbaus einer Berufsarmee und der schrittweisen Einführung eines allgemeinen Milizsystems für die Landesverteidigung gleichzeitig der Druck auf die bewaffneten Talschaften des Massivs erhöhte, sich in diese Strukturen zu integrieren und die bisherige Beschränkung auf den örtlichen Grenz- und Selbstschutz aufzugeben.434 Die mehr oder weniger systematischen Sperrungen der Pyrenäengrenze seit dem Ende der 1680er Jahre zeugten insofern nicht nur von der wachsenden Relevanz militärischer Belange, sondern auch von der generell abnehmenden Durchsetzungskraft der lokalen und provinzialen Selbstverwaltung gegenüber staatlichen Politiken, die ihren Interessen zuwiderliefen.435 Dieser schleichende Bedeutungsverlust, der sich prozesshaft über das 17. und 18. Jahrhundert erstreckte, wurde im Pyrenäenraum schlagartig erkennbar, als Philipp V. im Jahr 1707 alle Privilegien der aragonesisch-katalanischen Gebiete widerrief, weil sie im Spanischen Erbfolgekrieg den habsburgischen Gegenkandidaten unterstützten.436 Neben und über die traditionellen Selbstverwaltungsgremien traten damit zusehends staatlich-zivile Behörden, die allerdings speziell in der Frage einer Fortführung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Kriegszeiten häufig eine Position verteidigten, die mit derjenigen des Militärs nur schwer vereinbar war. Für die zivilen Administratoren stand nämlich die Verantwortung für den Aufbau einer funktionierenden Steuer- und Zollverwaltung im Vordergrund, über die sie im Verlauf des 17. Jahrhunderts unter anderem den fiskalischen Zugriff auf den grenzüberschreitenden Handel in den Pyrenäen intensivierten: „Les bureaux des traites foraines s’installent dans les vallées avec les maîtres des ports et passages.“437

Ebenso wie die spanischen Zivilbehörden mussten die französischen Intendanten, die als höchste zivile Vertreter des Königs die Grenzprovinzen verwalteten,438 vor allem dafür Sorge tragen, den kontinuierlichen Fluss von Abgaben und Zöllen an die Staatskasse sicherzustellen. In ihrem be433 Vgl. ders. (2002), Les lies et passeries, S. 547. Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. III. 3. a). 434 Vgl. ders. (1996), S. 279 ff. 435 Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 2. a). 436 Vgl. Gibert, Sp. 1325. In Navarra und in den baskischen Provinzen blieben die bestehenden fueros hingegen erhalten, wo sie fortan vor allem die Eigenständigkeit des dortigen Finanz- und Steuersystems gewährleisteten; vgl. ebd., Sp. 1326 f.; Gómez-Ibáñez, S. 63. Zur Reorganisation Kataloniens durch die königlichen Dekrete der sog. Nueva Planta vgl. auch Poujade (1998), S. 252 ff. 437 Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 545.

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harrlichen Widerstand gegen militärische Grenzsperrungen und Handelsblockaden spiegelte sich insofern auch die große Abhängigkeit der Staatshaushalte des 17. Jahrhunderts vom Außenhandel wider, welche die Verhängung eines echten Handelsembargos gegen den Kriegsgegner finanziell oft unmöglich machte.439 Für die Pyrenäengrenze liegen diesbezüglich zwar nur vereinzelte Informationen vor, die aber zumindest erahnen lassen, wie gewinnträchtig der damalige grenzüberschreitende Handel gewesen sein muss. So kauften Spanier beispielsweise bei einer Messe im französischen Grenzgebiet Tiere im Wert von 200.000 bis 300.000 livres und auch der grenzüberschreitende Getreidehandel alleine für das Valle de Arán erbrachte jährlich vergleichbare Summen.440 Angesichts kostspieliger Feldzüge, ständiger Geldnöte und mehrfacher Staatsbankrotte, die Frankreich und Spanien gleichermaßen bedrohten,441 entsprach es daher lediglich der wirtschaftlichen Vernunft, wenn sich die Zivilverwaltungen in beiden Ländern allenfalls für eine zeitlich eng begrenzte Einschränkung der Handelsbeziehungen auf bestimmte kriegswichtige Produkte und/oder auf den unmittelbaren Grenzraum aussprachen.442 Abgesehen von dem kaum zu widerlegenden Argument der Staatsfinanzen, dem sich das Militär mit seinem hohen Anteil von regelmäßig 65 Prozent und mehr an den öffentlichen Haushalten nicht dauerhaft verweigern konnte,443 machten die Zivilverwaltungen darüber hinaus ihre Zuständigkeit für die Versorgungssicherheit der Grenzgebiete geltend, wobei sie in der Regel über ziemlich genaue Kenntnisse der grenzüberschreitenden Abhängigkeiten verfügten. Für den Pyrenäenraum geht das unter anderem aus einem Bericht des Intendanten Bazin de Bezon an König Ludwig XIV. hervor, in dem er 1698 die Überlebensnotwendigkeit des grenzüberschreitenden Handels mit Spanien in Kriegszeiten betonte und die Haltung der zivilen Administratoren erläuterte: „« [L]e principal commerce y est avec l’Espagne, il s’y fait beaucoup de nourissages de bestiaux et l’on en vend aux Espagnols; je crois devoir remarquer que le 438 Zum Amt des Intendanten vgl. Harouel/Barbey/Bournazel/Thibaut-Payen, S. 497 ff. Dabei war „ungeachtet ihrer umfassenden Zuständigkeit die Sicherung des Steuereingangs“ die bei weitem wichtigste Aufgabe der Intendanten; so Reinhard, S. 288. 439 Vgl. Windler (2005), S. 614 f. 440 Vgl. Brunet (1996), S. 273 f. Zur besseren Einschätzung dieser Summen anhand eines Vergleichswerts s. auch o., dieser Teil, C. I. 3. c), Fn. 386. 441 Vgl. Reinhard, S. 287, S. 293 f. 442 Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 543. 443 Zu diesem hohen Prozentsatz, der sich aus den Kosten des stehenden Heeres sowie aus den Schulden, die zum Führen von Kriegen eingegangen worden waren, selbst in Friedensjahren ergab, vgl. Harouel/Barbey/Bournazel/Thibaut-Payen, insbes. S. 524.

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commerce est si nécessaire entre les vallées de Bigorre et les Espagnols leurs voisins que quand il y a guerre entre la France et l’Espagne, le gouverneur de Guyenne permet aux habitants de Bigorre et le vice roy d’Aragon aux Espagnols de s’assembler pour convenir d’un traité de commerce que l’on nomma les lies et passeries, cela s’exécute de si bonne foi que pendant la disette des grains en 1693 (en pleine guerre de la Ligue d’Augsbourg), les Espagnols portaient des grains aux habitants dans les vallées et lorsque les Espagnols (c’est à dire le roi d’Espagne) défendirent la sortie de ces grains, ils leur portaient du pain et les ont fort assistés! ».“444

Ähnlich äußerte sich Bazin de Bezon zu den grenzüberschreitenden Verbindungen zwischen den französischen und spanischen Atlantikprovinzen, deren Traités de bonne correspondance für ihn ebenso wie die innerpyrenäischen lies und passeries auf unabweisbaren wirtschaftlichen Notwendigkeiten beruhten.445 In vielen Grenzgebieten, die wie das Valle de Arán – oder auch die 1659 von Spanien abgetretenen Grenzgrafschaften446 – als besonders invasions- und separationsgefährdet galten, wurde die Aufrechterhaltung der hergebrachten Handelsfreiheiten zudem mit sicherheitspolitischen Bedenken begründet, da anderenfalls die Loyalität der auf eine grenzüberschreitende Versorgung angewiesenen Bevölkerung nicht garantiert werden könne.447 Das Spannungsverhältnis zwischen militärischen und zivilen Rationalitäten machte somit im späten 17. und im frühen 18. Jahrhundert eine konsequent durchgehaltene Positionierung der kriegführenden Staaten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Pyrenäenraum letztlich unmöglich. Das erklärt auch, warum sich die Kooperationen trotz der wachsenden Belastungen durch temporäre Grenzsperrungen und kriegsbedingte Eingriffe zunächst in ihren überlieferten, konfliktbewährten Formen fortsetzen konnten.448 b) Die Fortführung der bisherigen Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit zwischen 1667 und 1720: Kontinuität und Wandel Tatsächlich gelang es den Grenzbewohnern im Inneren des Gebirges nach 1667 immer wieder, die Gültigkeit ihrer lies und passeries von den kriegführenden Monarchen wie in der Vergangenheit bestätigt zu bekommen.449 Selbst der Acte du Plan d’Arrem, der Friedenspflichten und Han444

Zitiert bei Caillet, S. 20. Vgl. ebd., S. 20 f. Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. III. 3. 446 Zu anti-französischen Widerständen in diesen Gebieten nach 1659 vgl. Marcet-Juncosa, S. 129 ff. 447 Vgl. Sanllehy i Sabi, S. 468 f. 448 Zu dieser Kontinuität vgl. auch Windler (2005), S. 600 ff., m. w. N. 445

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delsfreiheiten für einen außergewöhnlich großen grenzüberschreitenden Raum begründete, erfuhr in diesem Zusammenhang nochmals eine königliche Bestätigung.450 Blieben inoweit die bisherigen Vertragsformen erhalten, so traf das ebenso für die damit erfassten Regelungsgegenstände und -erfordernisse zu. Anhand der gut belegten Beziehungen zwischen den Talschaften des Valle de Tena und des Vallée d’Ossau in den Zentralpyrenäen lässt sich beispielsweise erkennen, dass sich das späte 17. Jahrhundert weder nach Art, Anzahl und Schwere der Verstöße gegen das lokale grenzüberschreitende Recht noch nach den angewandten Regulierungsmechanismen wesentlich von früheren Epochen unterschied.451 Eine ähnliche Kontinuität war auch an der Atlantikküste zu beobachten, wo die Traités de bonne correspondance nach dem Muster des Vertrags von 1653 in den Jahren 1675, 1690 und 1694 erneuert wurden.452 Weitgehend unbeachtet, und von den Beteiligten sicher nicht als Bruch empfunden, hatten sich zwischenzeitlich jedoch die Kontextbedingungen gewandelt, unter denen der Abschluss beziehungsweise die Verlängerung dieser grenzüberschreitenden Abkommen erfolgte. Zum einen traten nun regelmäßig staatliche Repräsentanten wie die französischen Intendanten und die spanischen Zivilgouverneure als Vertragsparteien auf, auch wenn sie formal oft auf der Basis des alten Privilegienrechts oder zumindest in impliziter Übereinstimmung mit ihm handelten.453 Soweit lokale Akteure in die Verhandlungen eingebunden waren oder sie sogar noch mit einer gewissen Eigenständigkeit selbst führen konnten, benötigten sie dafür nun statt eines allgemeinen königlichen Privilegs eine ausdrückliche, auf den konkreten Einzelfall bezogene Autorisierung durch die jeweils zuständigen Stellen der staatlichen Territorialverwaltung.454 Zum anderen, und damit eng verkettet, hatte sich die Haltung der königlichen Vertreter und Beamten gegenüber der von ihnen vermehrt exekutierten oder zumindest kontrollierten lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gewandelt. Unabhängig von sonstigen militärischen und zivilen Differenzen wurde diese nicht mehr als ein historisch verbriefter Rechtsanspruch der Grenzbevölkerungen begriffen, sondern nurmehr als eine von den Umständen abhängige und jederzeit revidierbare Konzession: „Ainsi les agents du roi tendent à considérer les traités des lies et passeries comme des simples actes administratifs, et les libertés qu’ils affirment, comme 449 Vgl. z. B. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 549. Speziell für das Valle de Arán vgl. auch Sanllehy i Sabi, S. 468 f. 450 Vgl. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 264. 451 Vgl. Soulet (1988), S. 63 f. 452 Vgl. Caillet, S. 20 f., S. 24 f. 453 Vgl. z. B. Baby, S. 188 f.; Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 549; Windler (2005), S. 615. 454 Vgl. ausführlich am Beispiel des Valle de Arán Poujade (1998), S. 307 ff.

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des simples tolérances dont on interrompt ou rétablit les effets tour à tour suivant les necessités du moment.“455

Die durch örtliche Konkurrenzen sowieso jederzeit prekäre und durch die ständige Kriegssituation zusätzlich gefährdete Bindungswirkung der grenzüberschreitenden Abkommen musste dadurch auch in den Augen der betroffenen Grenzbewohner weiter nachlassen. Hierin dürfte zumindest einer der Gründe zu suchen sein, warum lokale Akteure seit Anfang des 18. Jahrhunderts bei der Beurteilung der Gesamtsituation immer häufiger zu dem Schluss kamen, dass eine gewaltsame Regelung ihrer alten Territorialkonflikte für sie eher vor- als nachteilhaft sein könne.456 Im Nachhinein erwies sich die Zeit zwischen 1667 und 1720 damit als eine Epoche des Übergangs, in der sich unter dem Mantel scheinbarer Kontinuität eine Neuordnung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Pyrenäenraum ankündigte. 3. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum während der bourbonischen Friedensallianz von 1721 bis 1789 Mit der Beendigung des über zweihundertjährigen Dauerkonflikts zwischen Frankreich und Spanien entfielen auf der lokalen Ebene praktisch übergangslos die meisten Gründe für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, welche über die Regelung von nur örtlich bedeutsamen Wirtschaftsund Flächennutzungsfragen hinausging. In gewisser Weise kehrte man damit zu den Verhältnissen zurück, die bereits im Mittelalter die grenzüberschreitenden Kontakte zwischen den Grenzbevölkerungen des Pyrenäenraums bestimmt hatten.457 Mit dem Staat und der Verwaltung des Ancien Régime existierte nun aber eine Zentralmacht, von der sich die lokalen Akteure bei Konflikten mit den Grenznachbarn, die im 18. Jahrhundert aufgrund demographischer Zuwächse und sonstiger belastender Faktoren stark zunahmen,458 eine wirksame externe Unterstützung erhoffen konnten. Vor dem Hintergrund der bourbonischen Friedensallianz musste das immer häufiger geforderte Eingreifen staatlicher Stellen allerdings fast schon zwangsläufig dazu führen, dass sich stattdessen eine genuin zwischenstaatliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit zum Zweck der Aufrechterhaltung des Grenzfriedens auszudifferenzieren begann. Insbesondere mit der Bekämpfung des lukrativen Grenzschmuggels erschloss sie sich ein eigenes 455

Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 265. Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 549. Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 2. a), insbes. zu Fn. 329. 457 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 1. u. 2. 458 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 2. b), insbes. zu Fn. 338. 456

C. Pyrenäenvertrag (1659) bis Vertrag von Elizondo (1785/1789)

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Tätigkeitsfeld, das nicht mehr primär dem Ausgleich lokaler Interessen diente, sondern der Errichtung eines völkerrechtlichen Grenzkooperationsregimes zur Durchsetzung staatspolitischer Ziele. a) Die Beschränkung der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf Handel, Versorgung und Flächennutzung im unmittelbaren Grenzraum Die räumlich-inhaltliche Reduktion der aus dem 16. und dem 17. Jahrhundert überlieferten grenzüberschreitenden Abkommen hatte sich an der Atlantikküste und im Atlantiksektor der Pyrenäen bereits im Zuge der französisch-spanischen Allianz zur Durchsetzung der Herrschaftssukzession Philipps V. zu Beginn des 18. Jahrhunderts angekündigt. Da die dortigen Grenzgebiete loyal zur bourbonischen Sache standen, konnten sie ab diesem Zeitpunkt wieder vom Prinzip der wechselseitigen Handels- und Bewegungsfreiheit profitieren, das in Friedenszeiten zwischen den beiden Ländern galt.459 Dass die 1694 letztmalig unterzeichneten Traités de bonne correspondance danach nicht mehr verlängert wurden und auch die zuvor schon umstrittenen navarresischen Privilegien für den grenzüberschreitenden Handel in Kriegszeiten nach dem Jahr 1700 keine Bestätigung mehr fanden,460 kann vermutlich auf diesen Umstand zurückgeführt werden. In einem Klima der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Kooperation hatten kriegsbedingte Spezialabkommen oder Sonderrechte ihre Existenzberechtigung verloren.461 Auch der Pyrenäenkrieg von 1718–1720, der die Atlantikprovinzen nochmals in Mitleidenschaft zog, ließ die einmal abgerissene Vertragspraxis hier nicht wieder aufleben. Hingegen waren in den anderen Gebieten des Pyrenäenraums, die bis 1714 unter den Wirren des Spanischen Erbfolgekriegs und nur vier Jahre später erneut unter den Auswirkungen des Pyrenäenkriegs zu leiden hatten, überhaupt erst nach 1720 die Voraussetzungen für eine friedensmäßige Umgestaltung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gegeben.462 Ihr Kern, das System der lies und passeries, bestand auch nach dem Wegfall der nun obsolet gewordenen lokalen Friedens- und Neutralitätsklauseln überall in den Pyrenäen fort, weil es grundsätzlichen Bedürfnissen der Gebirgsökonomie entsprach. Die ihrer politischen Bedeutung entkleideten Abkommen sanken jedoch größtenteils auf den Status bloßer Weidekonventionen zurück, wohingegen die räumlich ausgreifenderen Regelungen etwa des Acte 459 460 461 462

Hierzu s. o., dieser Teil, C. II. 1., insbes. zu Fn. 408 f. Vgl. Windler (2005), S. 616. Vgl. auch Caillet, S. 31. Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 2. a).

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

du Plan d’Arrem nach einer Zurückweisung durch Ludwig XV. nicht erneuert wurden.463 Ähnlich wie bei den Traités de bonne correspondance bestand dafür in Friedenszeiten keine zwingende Notwendigkeit mehr. Dass viele lies und passeries nun aus Sicht der Grenzbevölkerungen ihren Nutzen verloren, in Vergessenheit gerieten oder lediglich als mündlich überlieferte Abreden fortlebten,464 war daher ein erklärlicher und auch in der früheren Vertragspraxis keineswegs außergewöhnlicher Vorgang.465 Soweit die verbliebenen – und immer noch in großer Zahl vorhandenen – Abkommen neben den agro-pastoralen Reglungen für den engsten Grenzraum besondere grenzüberschreitende Nutzungsrechte für die Holzwirtschaft oder spezifische Vergünstigungen für den Handel und die Versorgung in den Grenzgebieten enthielten, folgte ihr weiteres Schicksal zwischen 1720 und 1789 keinem durchgängig erkennbaren Muster. So wurde beispielsweise das präferenzielle Handels- und Abgabensystem für das Valle de Arán gleich nach dem Ende des Pyrenäenkriegs wieder in Kraft gesetzt,466 stieß aber wegen der wachsenden Bedeutung der Holzexporte des Tals über die Garonne bald schon auf heftige Kritik der benachbarten französischen Wirtschaftskonkurrenten. Um deren Forderung nach einer höheren Besteuerung Nachdruck zu verleihen, suspendierte die französische Verwaltung schließlich die örtlichen lies und passeries.467 Auch die spanische Regierung setzte sich über bestehende lokale Abkommen hinweg, als sie im Jahr 1769 zur Sicherung des eigenen Bedarfs ein Ausfuhrverbot für Holzkohle erließ, das den chronischen Brennstoffmangel der bereits im Niedergang begriffenen métallurgie au bois in den französischen Grenzprovinzen verschärfte.468 Auf der anderen Seite erfuhren grenzüberschreitende Nutzungsrechte häufig auch dann noch eine Berücksichtigung, wenn sie mit innerstaatlichen Reformmaßnahmen kollidierten. Ein Beispiel hierfür war die 1739 dekretierte Verstaatlichung von Gemeinbesitz in den französisch-nordnavarresischen Grenzgebieten, von der nach einer Intervention des spanischen Botschafters alle Rechte an Weiden, Wäldern und Wasserläufen unberührt 463

Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 552. Vgl. ebd., S. 549. 465 Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. III. 2. 466 Vgl. Poujade (1998), S. 351. 467 Vgl. Brunet (2002), Les mutations, S. 455. 468 Vgl. Izard, S. 110 f., S. 124. Zur problematischen Abhängigkeit der metallverarbeitenden Industrie in den Pyrenäen von der Holzkohle vgl. auch Cantelaube, Jean, Politique d’autorisation d’usines et évolution de la métallurgie ariègeoise aux XVIIIe et XIXe siècles, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 87 ff. (S. 87). 464

C. Pyrenäenvertrag (1659) bis Vertrag von Elizondo (1785/1789)

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blieben, die nach den dortigen lies und passeries den spanisch-südnavarresischen Grenznachbarn zustanden.469 Als Zeichen der Kontinuität beziehungsweise der erfolgreichen Anpassung grenzüberschreitender Abkommen können exemplarisch auch die Neuverhandlung einer mittelalterlichen Regelung über die Wasserversorgung der spanischen Exklave Llívia470 oder die im Jahr 1767 vorgenommene Einrichtung eines Gebietsstreifens an den Grenzen des Valle de Arán angeführt werden, innerhalb dessen das Eindringen fremden Viehs zu tolerieren war.471 Im Unterschied dazu kamen vormalige Regelungen der lies und passeries, die nicht im weiteren Sinn dem ökonomischen Sektor zuzuordnen waren, kaum mehr zur Anwendung. Das zeigte ein Vorfall von 1751, als die Bewohner des Valle de Arán von den französischen Behörden die Verfolgung und Auslieferung eines Straftäters verlangten und sich dazu gegenüber dem zuständigen Intendanten auf die grenzüberschreitende Rechtstradition beriefen. Da der Intendant mit dieser Argumentation offenbar nichts mehr anzufangen wußte, wandte er sich an das Außenministerium in Paris und ordnete die Angelegenheit damit der Sphäre der internationalen Beziehungen zu.472 Für den eng umgrenzten Bereich der Sicherung des Weidefriedens, der nur auf der lokalen Ebene wirkungsvoll durchgesetzt werden konnte, schien hingegen staatlicherseits auch im späten 18. Jahrhundert noch eine gewisse Bereitschaft zu bestehen, grenzüberschreitende Ordnungsfunktionen wie etwa die gemeinsame Bestallung von Weidewächtern in den örtlichen Abkommen rechtlich abzusichern.473 Dass sich das System der lies und passeries trotz der Häufung von Konflikten zwischen den Grenzbevölkerungen im langen Frieden zwischen 1720 und 1789 und unter der Kontrolle der staatlichen Territorialverwaltung – die gleichwohl keiner einheitlichen Politik folgte – erhalten konnte, war demnach eindeutig grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten sowie staatlichen Opportunitätsüberlegungen geschuldet. Besonders sichtbar wurde das in den zahlreichen Fällen, in denen man auf der Basis fortbestehender Abkommen mindestens bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts grenzüberschreitende Nahrungsmittelhilfen in Mangeljahren anforderte.474 Diese 469

Vgl. Sese Alegre, S. 374. Vgl. Smets, Henri, Joint Water Resource Management in the Llivia Enclave in the French/Spanish Pyrenees, in: OECD (Hrsg.), Environmental Protection in Frontier Regions, Paris 1979, S. 314 ff. (S. 316). 471 Zu dieser Regelung, die übrigens auch analog zwischen den einzelnen Gemeinden innerhalb des Tals angewandt wurde, vgl. Sanllehy i Sabi, S. 475, m. w. N. 472 Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 552. 473 Zu den entsprechenden Situationsbeschreibungen und Positionen in der Remonstration des Parlements von Pau aus dem Jahr 1786 vgl. Desplat (1986), S. 118. 474 Vgl. Fairén, S. 17 f. 470

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wechselseitigen Interdependenzen zwischen den Grenzgebieten schlugen sich zudem in den vielen Gesuchen nieder, in denen Grenzbewohner trotz ihrer sonstigen Streitigkeiten im 18. Jahrhundert den Ausbau des grenzüberschreitenden Wegenetzes zur Verbesserung der Versorgungssicherheit in den Pyrenäen verlangten.475 Sobald Änderungen in der äußeren Situation eintraten, entfiel jedoch für die jeweils begünstigte Seite die unmittelbare Notwendigkeit für eine Kooperation mit den Grenznachbarn. Als Anschauungsbeispiel kann der Abbruch der jahrhundertealten Beziehungen zwischen dem Valle de Tena und dem Vallée d’Ossau in den Jahren 1784/1785 angeführt werden, der auf die einseitige Verhängung eines örtlichen „Grenzzolls“ durch das Vallée d’Ossau zurückging. Eine solche Maßnahme, die in klarem Widerspruch zu den geltenden Vereinbarungen stand, war nur möglich, weil das französische Tal im späteren 18. Jahrhundert die Integration in den expandierenden innerstaatlichen Wirtschaftsraum vollzog und daher den grenzüberschreitenden Austausch in immer geringerem Maß benötigte.476 Symptomatisch für das selbstbestimmte Vorgehen der lokalen Akteure in dieser Angelegenheit war die Tatsache, dass der von der Talschaft des Valle de Tena angerufene französische Intendant die gerechtfertigte Beschwerde gegen den Vertragsbruch, der er zunächst stattgegeben hatte, aufgrund einer Intervention der Vertreter des Vallée d’Ossau nachträglich zurückwies. Die französischen Grenzbewohner hatten dadurch aus eigenem Antrieb das sogenannte concordat zwischen den beiden Tälern zwar nicht offiziell beendet, aber seines Sinns und seiner Existenzberechtigung beraubt, ohne dass sie dazu von den staatlichen Institutionen gedrängt worden wären: „Les lies et passeries ne périssaient pas victimes des agents du pouvoir central, elles subissaient le sort des institutions privées de leur raison d’être.“477

b) Die Bekämpfung des Grenzschmuggels als Schwerpunkt einer genuin zwischenstaatlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im 18. Jahrhundert Der wachsende Einfluss staatlicher Behörden auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum manifestierte sich aber nicht nur in den Kontroll-, Vermittlungs- und Letztentscheidungsrechten, die sie – insoweit keineswegs gegen den generellen Widerstand der Grenzbevölkerungen – im 18. Jahrhundert beim Abschluss, der inhaltlichen Ausgestaltung 475

Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 91. Zur Vorgeschichte und Entwicklung des Konflikts vgl. Desplat (1993), S. 139 ff. 477 Ebd., S. 140. 476

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und der Beendigung der örtlichen lies und passeries übernahmen. Er trat auch in den Verträgen und Ausführungsabkommen zu Tage, mit denen die bourbonischen Monarchien nun eine im engeren Sinn zwischenstaatliche Grenzkooperation innerhalb eines administrativ festgelegten Grenzraums regelten.478 Wie belastend sie in dem Zusammenhang die Persistenz lokaler Rechtsansprüche und die daraus folgende Streitanfälligkeit der Beziehungenn zwischen ihren Grenzbevölkerungen empfanden, hatte spätestens der Vertrag von Elizondo von 1785 offenbart, der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum auf eine einheitliche, streng regulierte und ausschließlich im Völkerrecht verankerte Grundlage stellen wollte.479 Auch wenn die Durchsetzung dieses Vorhabens letztlich an der Französischen Revolution scheiterte, verfügten die beiden Länder zum damaligen Zeitpunkt auf einem anderen Gebiet bereits über langjährige praktische Erfahrungen mit einer ausschließlich zwischenstaatlichen Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, nämlich bei der Bekämpfung des Grenzschmuggels. Als verbreitetes Phänomen war der Grenzschmuggel im Umfeld der kriegsbedingten Handelsverbote und Grenzsperrungen des ausgehenden 17. und des frühen 18. Jahrhunderts aufgetreten,480 als sich unter dem Schutz örtlicher Notablen und Institutionen beträchtliche Teile der Grenzbevölkerungen als Blockadebrecher betätigten, um durch die Versorgung des Kriegsgegners große Gewinne zu realisieren.481 Frühe Eindämmungsversuche, wie sie schon im französisch-spanischen Traité de bonne correspondance von 1653 enthalten waren,482 konnten dem kaum entgegenwirken, so lange der illegale Handel in der Praxis von beiden Seiten gefördert wurde, um sich Vorteile gegenüber dem Feind zu sichern. Die Voraussetzungen für ein effektiveres gemeinsames Vorgehen waren erst in der langen Friedenszeit nach 1720 gegeben, als sich die französische und die spanische Krone allgemein über Freiheiten und Beschränkungen in ihren Handelsbeziehungen verständigten. Als wichtige Bedingung für eine staatliche Kontrolle des Warenflusses richteten sie ab 1727 besondere administrative Grenzzonen mit einer Breite von bis zu acht Meilen ein,483 inner478

Vgl. Sahlins (1989), S. 90. Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 3. c). 480 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 2. a), insbes. zu Fn. 325 f. 481 Vgl. z. B. Brunet (1996), S. 277 f.; Gorría Ipas (1995), S. 90 f.; Izard, S. 114 f. 482 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 3. c), bb), insbes. zu Fn. 248 ff. 483 Zur Uneinheitlichkeit des europäischen Maßwesens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Trapp/Wallerus, S. 22 f.; wobei die französische Meile, die hier unter Umständen zur Anwendung kam, 4444,4 Metern entsprach; vgl. ebd., S. 251. Die Grenzzone wies folglich mit bis zu 35,6 Kilometern jedenfalls eine erhebliche Ausdehnung auf. 479

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halb derer alle Warentransporte über eine behördliche Bescheinigung verfügen mussten und eine Ausfuhr nur mit entsprechenden Zollvermerkscheinen über eine Zollstation gestattet war.484 Solche Maßnahmen reichten allerdings nicht aus, um den anscheinend äußerst gewinnträchtigen und gut organisierten Grenzschmuggel zu unterbinden. Das bewiesen die vielen Vorfälle, bei denen Grenzwachen bedroht oder Amtsträger, Grenztruppen und selbst Gefängnisse von großen Schmugglerbanden mit teilweise mehr als 150 schwer bewaffneten Männern angegriffen wurden.485 Als Reaktion auf diese unhaltbare Lage unterzeichneten Frankreich und Spanien daher in den Jahren 1768, 1774 und 1786 drei zwischenstaatliche Kooperationsabkommen zur grenzüberschreitenden Bekämpfung des Schmuggels, mit denen sie hofften, die öffentliche Ordnung in den Grenzgebieten wieder herzustellen. aa) Die französisch-spanische Geheim-Convention vom 2. Januar 1768 Die Existenz einer „Convention secrette, arrêtée entre les deux Cours le 2. Janvier 1768“ ist durch ein Nachfolgeabkommen von 1774, in dessen Präambel sie erwähnt wird, gesichert.486 Angeblich sah sie nicht nur eine Koordinierung zwischen französischen und spanischen Grenzbehörden vor, sondern erlaubte sogar das Überschreiten der Grenze durch Truppen des jeweils anderen Landes: „The troops and guards of the two crowns may moove freely beyond their reciprocal boundaries to stop the smugglers, provided that they mutually return the citizens arrested on the lands of one or the other power.“487

Eine derartige Rechtsbestimmung, welche die heute diskutierten europaoder völkerrechtlichen Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Nacheile 484

Vgl. Sahlins (1989), S. 92. Vgl. Izard, S. 116; Sahlins (1989), S. 90; vgl. auch Gorría Ipas, Antonio Jesffls, Introducción, in: Acín, José Luis u. a., Historias de contrabando en el Pirineo aragonés, 2. Aufl., Jaca 2001, S. 15 ff. (insbes. S. 57 ff.). 486 Vgl. Convention entre la France et l’Espagne, qui règle les fonctions des Officiers des Amirautés et des Consuls, p. la contrebande des Navires appartenants aux Sujets respectifs des Nations du 27. Decembre 1774, in: Recueil des principaux Traités d’Alliance, de Paix, de Trêve, de Neutralité, de commerce, de limites d’échanges etc. . . . depuis 1761 jusqu’à présent, hrsg. v. Martens, M. de, Bd. 6: Supplémens et continuation jusqu’aux préliminaires de Leoben 1797, Göttingen 1800, S. 149 ff. (S. 149) [zit. Convention entre la France . . . v. 27.12.1774]. 487 Zitiert bei Sahlins (1989), S. 91. Die vom Autor angegebene Fundstelle (vgl. ebd., Fn. 79) verweist allerdings auf den sog. Bourbonischen Familienpakt v. 15.08.1761; hierzu s. auch o., dieser Teil, dieser Abschnitt, I. 2. b), inbes. zu Fn. 330. Die erwähnte Convention von 1768 ist hingegen, soweit ersichtlich, bei Martens nicht abgedruckt. 485

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übertraf,488 war allerdings in den nur wenige Jahre später geschlossenen Abkommen nicht (mehr?) enthalten und wäre wohl auch über vergleichbare zeitgenössische Praktiken hinausgegangen.489 Sollte sie 1768 dennoch bestanden haben, so hätte sie aber aus Sicht der Vertragsparteien den ihr zugedachten Zweck jedenfalls nicht erfüllt, „[. . .] l’expérience ayant démontré que les articles spécifiés dans ladite Convention étoient insuffisans pour arrêter la contrebande qui se fait sur les terres des deux Dominations par leurs sujets respectifs; [. . .].“490 bb) Die französisch-spanische Convention vom 27. Dezember 1774 Aufgrund des unzureichenden Erfolgs der Geheimkonvention von 1768 unterzeichneten Frankreich und Spanien am 27. Dezember 1774 ein Nachfolgeabkommen, das gemäß seines Artikels 1 insbesondere gegen den Schmuggel von Salz und Tabak gerichtet war.491 Damit wurden ökonomische Hintergründe des Schmuggelwesens sichtbar, weil Salz wegen der hohen französischen Salzsteuer, der gabelle, und des enormen Bedarfs für die Konservierung von Fleisch und anderer Lebensmittel im 18. Jahrhundert nicht nur in der Viehwirtschaft der Pyrenäen, sondern überall in Europa zu den bedeutendsten Schmuggelgütern zählte.492 Tabak wiederum unterlag in beiden Ländern einem gewinnträchtigen Regierungsmonopol.493 Vor diesem Hintergrund verpflichtete das Abkommen von 1774 alle staatlichen Stellen in den Grenzgebieten zum Schutz und zur Unterstützung der Zoll- und Steuerverwaltungen, die – oft noch im Auftrag privater Steuerpächter494 – mit der Bekämpfung des illegalen Warenverkehrs an der Pyrenäengrenze betraut waren: „Les Commandans, les Intendans des provinces & les Directeurs & Administrateurs des revenues des deux Couronnes, protégeront & donneront toute aide & assistance aux Employés des Fermes des deux Couronnes, & à leurs subordonnés qui sont établis sur la contrebande pour arrêter les personnes qui la font. Et les 488 Vgl. z. B. Heinrich, Bernd, Die Nacheile im Rahmen von Strafverfolgungsmaßnahmen, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 8/1996, S. 361 ff. (S. 365 f.). 489 Für entsprechende Verweise vgl. z. B. Deutsches Rechtswörterbuch: Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, hrsg. v. Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 9: Mahlgericht bis Notrust, Weimar 1996, „Nacheile, nacheilen“, Sp. 1147 ff. 490 Convention entre la France . . . v. 27.12.1774, S. 149. 491 Vgl. ebd., Art. 1, S. 150. 492 Vgl. Stürmer, S. 186. 493 Vgl. Sahlins (1989), S. 90. 494 Vgl. Stürmer, S. 175.

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Contrebandiers Espagnols ou François qui seront pris, soit en Roussillon ainsi que dans les autres frontières des deux Royaumes, seront remis réciproquement à la Nation dont ils seront.“495

Während die Bestrafung der eigenen Untertanen demnach dem Heimatland vorbehalten blieb, sollte die Verfolgung der Schmuggler sowohl zu Lande nach Artikel 11 als auch zu Wasser nach Artikel 12 des Abkommens in enger grenzüberschreitender Abstimmung betrieben werden. Zumindest in letzterem Fall waren auch gemeinsam durchgeführte Kontroll- und Arretierungsmaßnahmen vorgesehen: „Les pataches & barques destinées par les deux Couronnes, pour ce qui concerne les Fermes concerteront leur travail, & se soutiendront également. Lorsqu’elles croiseront sur les côtes, ensemble ou separément, elles pourront arrèter ou visiter les petits Navires jusqu’au port de cent tonneaux, & à deux lieues au large sens dans la mer; [. . .].“496

Darüber hinaus bestand für alle in den Kampf gegen den Schmuggel involvierten staatlichen Behörden beider Länder die Verpflichtung zu einem umfassenden wechselseitigen Informationsaustausch sowie zu einer Koordinierung ihres Vorgehens, die aber im Abkommen nicht näher spezifiziert wurden.497 cc) Die französisch-spanische Convention vom 24. Dezember 1786 In der Praxis scheint das Abkommen von 1774 ebenso wenig funktioniert zu haben wie die Geheimkonvention von 1768, da schon 1786 erneut eine ergänzende französisch-spanische Convention gegen den Schmuggel für erforderlich gehalten wurde.498 Obwohl viele ihrer Bestimmungen inhaltlich und oft auch wörtlich die früheren Regelungen aufgriffen, deuteten manche eingefügten Präzisierungen auf konkrete Probleme in der zwischenstaatlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hin. So schrieb Artikel 1 zwar weiterhin die Konfiskation von Salz, Tabak und allen anderen verbotenen Handelsgütern vor, untersagte aber gleichzeitig die dauerhafte Beschlagnahmung von Schiffen und ihrer sonstigen Ladung sowie die Verhaftung der Schiffs495

Convention entre la France . . . v. 27.12.1774, Art. 10, S. 152/153. Ebd., Art. 12, S. 153 [eigene Hervorhebung; Anm. d. Verf.]. 497 Vgl. ebd., Art. 14, S. 153. 498 Vgl. Convention conclue entre le Roi de France et le Roi d’Espagne. Le 24. Decembre 1786, in: Recueil des principaux Traités d’Alliance, de Paix, de Trêve, de Neutralité, de commerce, de limites d’échanges etc. . . . depuis 1761 jusqu’à présent, hrsg. v. Martens, M. de, Bd. 6: Supplémens et continuation jusqu’aux préliminaires de Leoben 1797, Göttingen 1800, S. 227 ff. (Präambel, S. 227) [zit. Convention conclue . . . v. 24.12.1786]. 496

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mannschaften. Wieder wurde hervorgehoben, dass die Bestrafung aufgebrachter Schmuggler alleine nach dem Recht des jeweiligen Heimatlandes zu erfolgen hatte, wofür dessen auswärtige Vertreter – ausdrücklich erwähnt wurden die Konsuln und Vizekonsuln in fremden Handelshäfen – verantwortlich waren.499 Behördliche Verstöße gegen diese Art von Herkunftsprinzip, das sich schon im Vorgängerabkommen von 1774 fand,500 müssen offenbar verbreitet gewesen sein, denn auch die Artikel 15 und 16 der Convention stellten auf die gegenseitige Auslieferungspflicht in Fällen ab, in denen Schmuggler entweder während der Tat auf fremdem Territorium ertappt wurden oder später dort Zuflucht vor Strafverfolgung suchten.501 Ebenfalls als eine an die Verwaltungen gerichtete Ermahnung zur Bewahrung des grenzüberschreitenden Rechtsfriedens war Artikel 14 zu verstehen, der die weit gefasste Freizügigkeit französischer und spanischer Untertanen beim Grenzübertritt vor Behördenwillkür schützen sollte: „Lorsque les sujets Espagnols passeront d’Espagne en France, ils ne seront pas molestés à leur entrée en France pour l’argent & espèces quelconques, effets, hardes, bijoux de leur usage, pour lesquels ils ne payeront aucuns droits. Ils ne seront pas non plus inquiétés pour les armes défendues & autres effets prohibés qu’on trouvera sur leurs personnes, dont on se contentera d’empêcher l’introduction, en leur laissant la liberté de les renvoyer. Il en sera usé de même à l’égard des sujets François passant de France en Espagne, à leur entrée en Espagne.“502

Bei Zuwiderhandlungen hatten die dafür verantwortlichen Richter und Behördenvertreter gemäß Artikel 23 eine ernsthafte Rüge zu erwarten sowie gegebenenfalls alle entstandenen Schäden zu ersetzen, falls sie ihr Verhalten nicht hinreichend rechtfertigen konnten.503 Bezüglich der Informations-, Hilfs- und Koordinierungspflichten, denen die Verwaltungen bei der gemeinsamen Bekämpfung des Grenzschmuggels nachkommen sollten, begnügten sich die Vertragsparteien hingegen unverändert mit den bekannten Formulierungen des Vorgängerabkommens von 1774.504 Eine Erklärung für die auffallend unterschiedliche Gewichtung von Verhaltens- und Kooperationsklauseln bietet möglicherweise Artikel 19, der nicht nur eine schon seit 1774 eingeführte Bestimmung für den streng reglementierten Verkauf von Tabak und Salz in den Grenzgebieten wiederholte, sondern nun zusätzlich eine harte Strafandrohung für dagegen verstoßende Angehörige der Zollund Steuerbehörden aufnahm: 499

Vgl. Convention conclue . . . v. 24.12.1786, S. 227/228. Hierzu s. o., dieser Teil, C. II. 3. b), bb), insbes. zu Fn. 495. 501 Vgl. Convention conclue . . . v. 24.12.1786, Art. 15 f., S. 231 f. 502 Ebd., Art. 14, S. 231. 503 Ebd., Art. 23, S. 233. 504 Vgl. ebd., Art. 15–17, S. 231 f., Art. 20, S. 233. Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. II. 3. b), bb), insbes. zu Fn. 496 f. 500

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„On ne permettra point dans l’étendue de quatre lieues au moins de la frontière des deux Royaumes, d’autres magasins ou entrepôts de tabac & de sel, que ceux établis par chaque Souverain par la vente & la consommation de leurs propres vaissaux; on se concertera même sur les moyens d’éloigner davantage, s’il est possible, lesdits magasins & entrepôts, afin d’éviter mutuellement cette occasion de contrebande, & après avoir pris connoissance de ceux qui existent présentement, les Employés & Administrateurs respectifs des fermes ou douanes, qui seront trouvés en contravention, seront sévèrement punis.“505

Ein solcher Zusatz wäre nicht erforderlich gewesen, wenn nicht Teile der staatlichen Verwaltungen vor Ort in größerem Ausmaß am Schmuggel partizipiert hätten, so dass vermutlich schon für das 18. Jahrhundert von entsprechenden „Vereinbarungen“ zwischen schlecht bezahlten öffentlich Bediensteten und dem organisierten Grenzschmuggel auszugehen ist, die aus späteren Zeiten für die Pyrenäen vielfach überliefert sind.506 Die königlichen Regierungen waren an den Defiziten der grenzüberschreitenden Bekämpfung des Schmuggels allerdings nicht unschuldig, da sie unterhalb ihres generellen Kooperationswunsches in wichtigen Fragen nicht übereinstimmten und diese Differenzen nur unzulänglich hinter inhaltsarmen Bestimmungen zu verbergen suchten. Das traf insbesondere auf den illegalen Import von Gold und Silber aus den spanischen Kolonien zu, an dem Frankreich ein ausgeprägtes währungspolitisches und gesamtwirtschaftliches Eigeninteresse hatte. Die bevorzugte Schmuggelroute über Land führte durch die Cerdagne, wobei der Wert der illegalen Transporte alleine für das Jahr 1780 mit 40 Millionen spanischen Piastern angegeben wurde.507 Das Abkommen von 1786 nahm darauf lediglich insofern Bezug, als den spanischen Behörden – wohlgemerkt in den eigenen Häfen – die Konfiskation spanischer Gold- und Silbermünzen auch auf französischen Schiffen gestattet wurde, soweit diese nicht durch ein Berechtigungszertifikat und eine ordnungsgemäße Deklarierung geschützt waren. Eine Strafe sollte zwar verhängt werden können, aber „sans détenir pour cela le navire, le Capitaine, l’équipage & le restant de la cargaison.“508 Spanien als der inzwischen deutlich schwächere Vertragspartner erreichte damit nicht viel mehr als die völkerrechtlich abgesicherte, aber kaum strafbewehrte Anerkennung der Geltung seiner innerstaatlichen Bestimmungen für französische Untertanen, die sich in seinem Herrschaftsbereich aufhielten. Frankreich unternahm hingegen keine Anstrengungen, den Gold- und Silberschmuggel einzudämmen.509 505 Convention conclue . . . v. 24.12.1786, Art. 19, S. 232/233. Zur diesbezüglich weniger scharf formulierten Vorgängerregelung vgl. Convention entre la France . . . v. 27.12.1774, Art. 13, S. 153. 506 Vgl. z. B. Gorría Ipas (1995), S. 90, m. w. N. 507 Vgl. Sahlins (1989), S. 90. 508 Convention conclue . . . v. 24.12.1786, Art. 3, S. 228.

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Die Umgehung einseitiger Handelsbeschränkungen und -verbote des einen Landes konnte demnach auch während der bourbonischen Friedensallianz mit der Duldung, wenn nicht sogar mit der insgeheimen Unterstützung staatlicher Stellen des anderen Landes rechnen, was mit Sicherheit negative Folgen für die interadministrative Bereitschaft zur grenzüberschreitenden Bekämpfung des Schmuggels insgesamt gehabt haben wird. Zugleich bestätigte sich damit auf der zwischenstaatlichen Ebene das bereits im lokalen Kontext beobachtete Prinzip, dass grenzüberschreitende Kooperationen als Grundvoraussetzung für ihre Funktionsfähigkeit entweder situationsbedingt alternativlos sein mussten oder aber zumindest nicht gegen zentrale Interessen eines der beiden Partner verstoßen durften. Ungünstige Umfeldbedingungen wie mangelnde Ressourcen, Mißtrauen der Ausführungsbeauftragten oder Widerstände in den vom Schmuggel profitierenden Grenzbevölkerungen, wie sie im vorliegenden Fall auftraten, trugen insofern nur zusätzlich zu einem bereits im Vorfeld angelegten Fehlschlag bei. Lediglich allgemein begünstigende Faktoren wie alte Verbundenheiten, sozio-kulturelle Verwandtschaften oder dynastisch-staatliche Allianzen reichten hingegen nicht aus, um die Dominanz des Eigennutzes in konkreten Kooperationen der lokalen ebenso wie der zwischenstaatlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wirkungsvoll zurückzudrängen.

III. Zwischenergebnis zu Teil 2, C. Im Rückblick kann die Zeit zwischen der Unterzeichnung des Pyrenäenvertrags 1659 und des Vertrags von Elizondo 1785 sowohl hinsichtlich der Pyrenäengrenze als auch der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Pyrenäenraum als eine Epoche bedeutsamer Umbrüche beschrieben werden. Diese konnten sich aufgrund der krisenhaften Ereignisse im Umfeld der Französischen Revolution von 1789 zwar nicht in jedem Fall bereits in dauerhafte politische Realitäten verwandeln, aber sie gaben in den betreffenden Bereichen bestimmte Zielkorridore vor und prägten somit die weitere Entwicklung für das 19. Jahrhundert in Form einer weitgehenden institutionellen Pfadabhängigkeit.510 Das galt zunächst bezüglich der französisch-spanischen Landgrenze, deren teilweise Neubestimmung durch den Pyrenäenvertrag von 1659 und seine Zusatzabkommen von 1660 de facto noch anhand von gebiets- und 509

Zum diesbezüglichen Desinteresse der Franzosen vgl. auch Sahlins (1989),

S. 90. 510

Zum Konzept der pfadabhängigen Entwicklung von Institutionen vgl. North, Douglass C., Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambrige u. a. 1990, insbes. S. 92 ff.

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selbst von ortsbezogenen Rechtstiteln vorgenommen worden war, wohingegen sich die abstraktere Prinzipien- oder auch nur Absichtserklärung in Artikel 42 Pyrenäenvertrag als wirkungslos erwies. Sichtbarste Folge dessen war das schwer handhabbare Grenzregime für die neu geschaffene Exklave Llívia. In seinen Vertragstechniken ebenso wie in seiner Akzeptanz der unveränderten rechtlichen Fragmentierung der – eindeutig schon als solche verstandenen – Staatsgrenze stand der früh-völkerrechtliche Pyrenäenvertrag damit noch eng in der Tradition des mittelalterlichen Vertrags von Corbeil aus dem Jahr 1258.511 Einen wirklichen Bruch, der sich diesbezüglich im ausgehenden 17. Jahrhundert angekündigt und im Lauf des 18. Jahrhunderts verfestigt hatte, vollzog hingegen erst der Vertrag von Elizondo, indem er 1785 das Prinzip der ausschließlich völkerrechtlich begründeten, linearen und einheitlichen Staatsgrenze einführte. Darin entsprach er nicht nur dem inzwischen europaweiten Streben nach genauen Grenzlinien und dem erreichten technischen Stand für ihre Festlegung, sondern auch den veränderten sozio-ökonomischen und politischen Konstellationen im Pyrenäenraum, die dem Vorhaben auf der lokalen, der inner- und der zwischenstaatlichen Ebene eine grundlegende Unterstützung sicherten. Während sich Proteste in den Grenzgebieten lediglich gegen echte oder vermeintliche Benachteiligungen bei der Umsetzung richteten, wurden weder das Konzept der Lineargrenze an sich noch das politische Projekt einer endgültigen Grenzziehung über die gesamte Länge der Pyrenäen noch ernsthaft in Frage gestellt. Daran änderte auch die Französische Revolution nichts, welche letztlich zum Scheitern des Vertrags von Elizondo als realem Verhandlungsergebnis, nicht aber als Verkörperung eines unangefochtenen Grenzideals führte, dessen Erfüllung grundsätzlich weiter angestrebt wurde. Zugleich stand der Vertrag von Elizondo für den erstmals in der Geschichte des Pyrenäenraums unternommenen Versuch, die rechtlichen Regelungen für die Grenze und für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf einer völkerrechtlichen Basis zusammenzuführen und durch den Ausschluss widerstreitenden Rechts allgemein verbindlich zu machen. Weniger als 130 Jahre zuvor hatten der Pyrenäenvertrag und seine Zusatzabkommen dafür noch keine Veranlassung gesehen und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – bis auf die ursprünglich nicht beabsichtigten Sonderrechte für Llívia und die Einführung der kurzlebigen Kommission von Figueres – keine Beachtung geschenkt. Dadurch war nach 1659/1660 die bestehende Vielfalt grenzüberschreitender Kooperationen mit unterschiedlichen Rechtsund Akteursstrukturen prinzipiell erhalten geblieben, obwohl sich die staatlichen Einflüsse stetig intensivierten. Diese Tendenz, deren Ansätze schon 511

Hierzu s. o., dieser Teil, B. II. 2. b).

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in den zurückliegenden Jahrhunderten zu beobachten waren,512 darf allerdings auch für die Zeit zwischen dem Pyrenäenvertrag und dem Vertrag von Elizondo nicht auf eine einfache Dichotomie reduziert werden, nach welcher ein dominierungswilliger und zunehmend auch -fähiger Staat insbesondere im 18. Jahrhundert die entsprechenden Handlungsspielräume einer dagegen opponierenden Grenzbevölkerung und ihrer lokalen Institutionen systematisch beschnitten hätte. An der damaligen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit lassen sich vielmehr komplexe Interaktionen, kontextuelle Einwirkungen und opportunitätsbedingte Handlungsmuster aufzeigen, welche die Erklärungskraft herkömmlicher Zentrum-Peripherie-Ansätze bei weitem übersteigen. In dieser schwierigen Gemengelage erschien der Staat weniger als treibende Kraft denn als ein zum Handeln Getriebener, dem die Aufgabe zufiel, die zunehmende Konfliktanfälligkeit der lokalen Beziehungen und die Interventionsforderungen der lokalen Akteure mit dem Weiterbestehen grenzüberschreitender Abhängigkeiten und dem staatspolitischen Erfordernis der Aufrechterhaltung des Grenzfriedens und der bourbonischen Familienallianz in Einklang zu bringen. Die engere Kontrolle der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch Repräsentanten der staatlichen Territorialverwaltung war daher ebenso wie die Herausbildung eines ausschließlich zwischenstaatlichen Kooperationsbereichs bei der Bekämpfung des Grenzschmuggels vor allem eine reaktive Antwort auf veränderte Herausforderungen in den Grenzgebieten. Sie konnte jedoch als Ergebnis einer aktiv-deliberativen Politik gedeutet werden, weil sie sich scheinbar nahtlos in die allgemeinen Bestrebungen der absolutistischen Monarchien des 18. Jahrhunderts einfügte, ihren Souveränitätsanspruch nach innen wie nach außen durchzusetzen. Erst die nähere Betrachtung zeigt, inwieweit diese Entwicklung durch das zweckrationale und konsequent nutzenmaximierende Handeln lokaler Akteure vorangetrieben wurde, deren Kooperations- und Konkurrenzverhalten im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vorrangig durch ökonomische Faktoren gesteuert war. Die von allen Beteiligten akzeptierte Bedeutung wirtschaftlicher Opportunitäten für das Zustandekommen, die Weiterführung oder den Abbruch grenzüberschreitender Kooperationen lässt sich für den hier behandelten Zeitraum vielfach nachweisen. In den Kriegs- und Krisensituationen bis 1720 zeigte sie sich sowohl in der fortgesetzten Regierungspraxis einer Bestätigung der traditionellen grenzüberschreitenden Abkommen als auch in der Opposition der zivilen Staatsverwaltung gegen militärische Grenzsperrungen, die wegen der negativen Folgen einer Unterbindung des grenzüberschreitenden Handels für den Staatshaushalt nie längerfristig aufrecht 512

Hierzu s. o., dieser Teil, insbes. B. IV.

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erhalten werden konnten. Mit dem Wegfall kriegsabhängiger „Sondertatbestände“ trat der primär wirtschaftliche Ausgangspunkt der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der langen Friedenszeit ab 1721 sogar noch deutlicher hervor, wenn auch mit situationsbedingt durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Auf der einen Seite nahmen die nun weitestgehend alleinzuständigen Repräsentanten der staatlichen Territorialverwaltung im Umgang mit den örtlichen lies und passeries auch im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts regelmäßig Rücksicht auf Interdependenzen zwischen den Grenzgebieten und führten die Kooperationen im Bedarfsfall pragmatisch fort, soweit ihnen das im Rahmen der innerstaatlichen Verhältnisse möglich war. Selbst die Caro-d’Ornano-Grenzkommission der 1780er Jahre, die den Ansprüchen der Grenzbevölkerungen und ihren ausufernden Streitigkeiten erkennbar misstrauisch gegenüberstand, trug dabei den Erfordernissen der pyrenäischen Vieh- und Weidewirtschaft noch insoweit Rücksicht, als sie in Artikel 5 des Vertrags von Elizondo eine zwar streng reglementierte, aber völkerrechtlich abgesicherte Möglichkeit vorsah, Weidegebiete grenzüberschreitend zu verpachten und zu nutzen. Ebenso ausschlaggebend war die wirtschaftliche Komponente für das Zustandekommen der zwischenstaatlichen Übereinkommen zur Bekämpfung des Grenzschmuggels, der die gewinnträchtigen Waren- und Zollmonopole des französischen und des spanischen Staats erheblich schädigte. Auf der anderen Seite konnte die Dominanz ökonomischer Interessen bei Divergenzen oder bei einseitigen situativen Veränderungen aber auch zu einer Beeinträchtigung beziehungsweise zu einer Beendigung grenzüberschreitender Kooperationen führen. Ein Beispiel dafür war etwa der unstillbare französische Bedarf an illegal eingeführtem Gold aus den spanischen Kolonien, der sich als ein Haupthindernis für den gemeinsamen Kampf gegen den Schmuggel an der Pyrenäengrenze erwies. Auch bei den lies und passeries wurden neue wirtschaftliche Substitutionsmöglichkeiten von den örtlichen Staatsvertretern dazu genutzt, um – darin übrigens zumeist dem ausdrücklichen Wunsch der eigenen Grenzbevölkerung folgend – durch eine befristete Aussetzung zusätzliche Vorteile zu erlangen oder durch eine endgültige Einstellung die für die eigene Klientel nicht mehr erforderliche Zusammenarbeit abzubrechen. Wie beherrschend dabei rein eigennützige Überlegungen waren, belegte nicht nur die einseitige Beendigung der jahrhundertealten Beziehungen zwischen dem Valle de Tena und dem Vallée d’Ossau auf Betreiben des letzteren, sondern zunehmend auch der Umgang mit grenzüberschreitenden Hilfsgesuchen in Notzeiten. So hatte Spanien im Einklang mit der bisher üblichen Praxis beispielsweise noch im Jahr 1777 auf eine französische Bitte hin den Export von Getreide zugelassen, um einer örtlichen Hungersnot zu begegnen. Frankreich hingegen lehnte nur fünf Jahre später ein entsprechendes spanisches Hilfsgesuch ab, weil es in

C. Pyrenäenvertrag (1659) bis Vertrag von Elizondo (1785/1789)

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den 1780er Jahren damit begonnen hatte, über eine Ausdehnung von Exportverboten einen einheitlichen nationalen Wirtschaftsraum aufzubauen.513 Diese Vorgänge auf der lokalen und der zwischenstaatlichen Ebene zeigten auf drastische Weise, wie abhängig grenzüberschreitende Kooperationen von den jeweiligen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Zielvorstellungen waren. Ein grundsätzlicher Konflikt zwischen lokalen und staatlichen Interessen bestand hier schon deswegen nicht, weil die zunehmende „Verstaatlichung“ der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im 18. Jahrhundert tatsächlich mit einer zwar noch nicht lückenlosen, aber ständig wachsenden und im politischen Konsens vorangetriebenen Fähigkeit der Staaten einherging, die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen, Lasten durch allgemeine Steuervorschriften auf das gesamte Land zu verteilen und die Grenzgebiete enger in innerstaatliche Marktstrukturen zu integrieren.514 Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete der Ausbau des Straßennetzes, der insbesondere in den französischen Pyrenäen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine wirtschaftliche, politische und soziale Umorientierung zum Landesinneren hin einleitete.515 Während die grenzüberschreitenden Verkehrsverbindungen im Inneren der Pyrenäen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vernachlässigt wurden, entstand fast zeitgleich auch in Spanien ein radiales Straßennetz, das von Madrid aus 1783 die Atlantikgrenze bei Irffln und 1792 die Mittelmeergrenze bei La Jonquera erreichte.516 Insgesamt gesehen gab es daher eine ganze Reihe wirtschaftlich relevanter Gründe, warum große Teile der Grenzbevölkerungen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im 18. Jahrhundert keineswegs unfreiwillig für Handlungsstrategien aufzugeben begannen, „die mehr auf die produktive Aneignung der erstarkten und zumindest im Hinblick auf Außenbeziehungen und Krieg nicht mehr explizit in Frage gestellten Staatlichkeit ausgerichtet waren“517. Angesichts des traditionellen „micro-ethnocentrisme“ in den Pyrenäen, der seit den 1740er Jahren zunehmend durch einen frühen, für das Grenzgebiet spezifischen „nationalisme économique“ ergänzt wurde, blieb demgegenüber kein Raum für sozialromantische Verbundenheitsvorstellungen aufgrund langer historischer Nähebeziehungen oder sprachlich-kultureller Verwandtschaften.

513 514 515 516 517

Vgl. Sahlins (1989), S. 92 f. Vgl. Windler (2005), S. 617. Vgl. Soulet (1988), S. 66. Vgl. Bielza de Ory, S. 17. So Windler (2005), S. 617.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

D. Der lange Weg zur völkerrechtlichen Zusammenführung von Grenze und grenzüberschreitender Zusammenarbeit: Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887 I. Die französisch-spanischen Beziehungen in einer Epoche militärischer, politischer und sozio-ökonomischer Krisen: 1793–1851 Zwischen 1793 und 1851 waren die französisch-spanischen Beziehungen nach dem Ende der bourbonischen Entente erneut durch eine Vielzahl von Krisensymptomen geprägt, die sich zunächst in den militärischen Konflikten im Zuge der Revolutionskriege von 1793–1795 sowie in der für Spanien traumatischen Invasion durch die Truppen Napoleon Bonapartes und im folgenden Guerrilla-Krieg von 1808–1814 niederschlugen. Zwar setzte der Pariser Friede von 1814/1815 den gewaltsamen Auseinandersetzungen ein Ende, doch beide Länder sahen sich angesichts innerer politischer Probleme, Revolutionen und Bürgerkriege noch bis in die späten 1840er Jahre außer Stande, die grenzüberschreitenden Kooperationsstrukturen der Vergangenheit wieder mit Leben zu erfüllen. So liegen für diese Zeit gesicherte Informationen über eine zwischenstaatliche oder lokale grenzüberschreitende Zusammenarbeit – die es zumindest im Bereich der Weidewirtschaft gegeben haben muss – kaum vor, während gleichzeitig vor dem Hintergrund zunehmend häufigerer und heftigerer Zusammenstöße zwischen den Grenzbevölkerungen die Grenzfrage an politischer Brisanz gewann. Die Grundlagen für eine zwischenstaatliche Einigung waren jedoch erst mit der Stabilisierung der Herrschaft von Königin Isabella II. in Spanien und des Regimes von Napoleon III. in Frankreich gegeben, die fast zeitgleich eintrat und in Verbindung mit dem persönlichen Einvernehmen zwischen den Herrschern die weitreichenden Kooperationsergebnisse der 1850er und 1860er Jahre ermöglichte. 1. Der Revolutionskrieg von 1793 und der Friedensvertrag von Basel 1795 Der Ausbruch der Französischen Revolution 1789 führte fast unmittelbar zu einer Belastung der französisch-spanischen Beziehungen, wobei sich aufgrund der vehementen Kritik, die von den betroffenen französischen Grenzgebieten am Vertrag von Elizondo und am weiteren Vorgehen der noch bestehenden Caro-d’Ornano-Kommission geäußert worden war,518 unver518

Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 3. d).

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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sehens auch die Pyrenäengrenze wieder zu einem zwischenstaatlichen Problemfall entwickelte. Das wurde ansatzweise schon 1789 erkennbar, als die Vertreter der französischen Grenzprovinzen Bigorre und Béarn von den Generalständen in Versailles eine erneute Grenzfestlegung und folglich eine Revision des Vertrags von Elizondo verlangten.519 Damit bereiteten sie der Auflösung der Kommission und der späteren Zurückweisung des Vertrags durch die französischen Revolutionsregierungen ab 1792 den Weg.520 Spanien reagierte auf den drohenden Konflikt zunächst mit der Ausweisung französischer Untertanen, von der im Jahr 1790 alleine in den spanischen Atlantikprovinzen mehr als 25.000 Nordbasken betroffen waren, die man pauschal der Verbreitung revolutionärer Ideen verdächtigte.521 Der Vorgang war nicht zuletzt deswegen von Bedeutung, weil er erstmals zahlenmäßig genauere Rückschlüsse auf Migrationsbewegungen in den Grenzgebieten erlaubte, die – abgesehen vom kleinen Grenzverkehr der wechselseitigen saisonabhängigen Arbeitsemigration522 – bis dahin überwiegend in der Nord-Süd-Richtung stattgefunden hatten.523 Diese Tendenz setzte sich in der Folgezeit mit dem anwachsenden Strom von Revolutionsflüchtlingen aus Frankreich fort, unter denen sich neben Adligen und Klerikern auch viele Fachkräfte aus dem Roussillon befanden, die in den eisenverarbeitenden Betrieben Kataloniens eine Anstellung fanden und zu deren Aufschwung im 19. Jahrhundert beitrugen.524 Zur Eskalation kam es, als Frankreich 1793 der spanischen Monarchie den Krieg erklärte, deren Truppen zwar einige Anfangserfolge erzielten, aber schon bald wieder über die Grenze zurückgehen mussten und die französische Besetzung von Gebieten wie dem Valle de Arán nicht verhindern konnten.525 Insgesamt gesehen lassen sich die Auswirkungen der sogenannten Revolutionskriege von 1793–1795, die als Konfrontation zwischen Monarchie und Republik erstmals die Form eines echten Systemkonflikts annahmen, für den Pyrenäenraum allerdings nur schwer einschätzen. So konnten die im allgemeinen kampfunwilligen nordbaskischen Milizen im Rahmen der französischen levée en masse bezeichnenderweise erst für den Krieg gegen Spanien gewonnen werden, als man ihnen die Zuteilung von erobertem Grundbesitz ihrer südlichen und mit ihnen eng verwandten 519

Vgl. Lafourcade, S. 9. Vgl. Salcedo Izu, S. 65 f. Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 3. d). 521 Vgl. Peillen, S. 120. 522 Vgl. hierzu am Beispiel des Valle de Arán Sanllehy i Sabi, S. 470, m. w. N. 523 Zur französischen Migration nach Spanien vgl. z. B. Bielza de Ory, S. 15; Peillen, S. 119 f. 524 Vgl. Izard, S. 124 f. 525 Vgl. ausführlich Sahlins (1989), S. 176 ff. Zur Besetzung des Valle de Arán zwischen 1793 und 1796 vgl. auch Sanllehy i Sabi, S. 471. 520

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Grenznachbarn versprach.526 Diesem neuerlichen Beleg für die Dominanz eigennütziger Motive in den Beziehungen der Grenzbevölkerungen untereinander stand jedoch im selben Gebiet ein Vertragsschluss in der Tradition der Traités de bonne correspondance des 17. Jahrhunderts gegenüber,527 mit dem 1795 die Versorgung der französisch besetzten Grenzprovinz Guipfflzcoa und der weiterhin von Spanien behaupteten Nachbarprovinz Vizcaya über die militärische Front hinweg gesichert werden sollte.528 Anscheinend bestand auch ansonsten der grenzüberschreitende Handel im Wesentlichen fort und konnte wegen des erhöhten Bedarfs der kriegführenden Mächte sogar Zuwächse verzeichnen.529 Dem Geist des zentralistischen Jakobinismus, der Frankreich nunmehr beherrschte, galten solche Verbindungen jedoch letztlich als anachronistische Relikte einer untergegangenen Epoche, die sich mit dem räumlichen Einheits- und Souveränitätsdenken der neuen Machthaber schwer vereinbaren ließen.530 So trieb man innerstaatlich seit 1790 die administrative Gliederung des Landes in Départements voran, wobei die damit einhergehende rechtliche und steuerliche Normierung gerade in den vorher mit zahlreichen Privilegien ausgestatteten Grenzräumen der Pyrenäen von den Betroffenen keineswegs als Vorteil wahrgenommen wurde.531 Außenpolitisch übernahmen die Revolutionsregierungen die zwar realitätsferne, aber als Territorialideologie von Politikern und Militärs gleichermaßen vertretene Vorstellung von angeblich leichter zu verteidigenden natürlichen Grenzen in Gestalt von Bergkämmen oder Flüssen.532 Dem entsprachen erste Überlegungen, durch eine systematische Französisierung der Grenzbewohner eine zusätzliche linguistische Barriere zwischen sprachlich und kulturell verwandten Nachbargebieten zu errichten.533 Von diesem Zeitpunkt an war somit eine zunehmend engere Verknüpfung der ursprünglich nicht unmittelbar aufeinander bezogenen Konzeptionen von Staat, Grenze und gesellschaftlicher Identität zu beobachten.534 526

Vgl. Peillen, S. 114. Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 3. c), bb); dieser Teil, C. II. 2. b), insbes. zu Fn. 460. 528 Vgl. Caillet, S. 32. 529 Vgl. Soulet, Jean-François, Les Pyrénées au XIXe siècle: Une société en dissidence, Toulouse 1987, S. 450. 530 Vgl. Caillet, S. 32. 531 Vgl. z. B. Claeys, Louis, Les ariègois et le pouvoir central au XIXe siècle: Du refus à l’acceptation, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 2, Toulouse 1995, S. 225 ff. (S. 226 f.). 532 Vgl. z. B. Sahlins (1990), S. 1442, S. 1446. 533 Vgl. Peillen, S. 109. 534 Sahlins (1989), S. 186 ff. 527

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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Seine diesbezüglichen Vorstellungen konnte Frankreich im Friedensvertrag von Basel vom 22. Juli 1795 insofern durchsetzen,535 als dort zwar die Rückgabe aller eroberten Gebiete und die Demilitarisierung der Grenze durch eine Truppenreduzierung bis auf den Vorkriegsstand vorgesehen war,536 aber gleichzeitig in Artikel 7 des Vertrags die Vorgaben der siegreichen Republik für die zukünftige Grenzziehung zu Spanien aufgenommen wurden: „Il sera incessament nommé de part & d’autre des commissaires pour procéder à la confection d’un traité de limites entre les deux puissances. Ils prendront autant que possible pour base de ce traité, à l’egard des terrains qui etoient en litige avant la guerre actuelle, la crête des montagnes qui forment les versans des eaux de France & d’Espagne.“537

Wie sich sowohl dem Wortlaut des Vertrags als auch dem auffallenden Schweigen im Hinblick auf den von Frankreich abgelehnten Vertrag von Elizondo entnehmen ließ, sollte die unverzüglich einzusetzende Grenzkommission offenbar einen völlig neuen Grenzvertrag ausarbeiten und sich dazu, soweit wie möglich, an den Bergkämmen orientieren, welche die Wasserscheide zwischen den beiden Ländern bilden.538 Dieses allgemein mit der Doktrin natürlicher Grenzen in Verbindung gebrachte topographische Kriterium wäre allerdings in der praktischen Anwendung mit Sicherheit auf Schwierigkeiten gestoßen, weil die Wasserscheide – auch in den Pyrenäen – entgegen einer verbreiteten Annahme oft nicht mit den höchsten Bergkämmen zusammenfällt, sondern sich vielmehr nach den hydrogeographischen Grenzen unterschiedlicher Wassereinzugsgebiete bestimmt.539 Die Öffnung der Grundsatzregel durch die Einfügung „autant que possible“ war daher eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme, die im Ernstfall aber keinerlei Lösungsstrategien für Streitigkeiten über alternative Grenzverläufe geboten hätte. Zudem war offen geblieben, welche Gebiete man im einzelnen gemäß Artikel 7 des Vertrags von Basel als vor dem Krieg umstritten ansah. Insofern wäre es eine Auslegungsfrage gewesen, ob sich darüber etwa die Annexion des noch bis 1796 von Frankreich besetzten Valle de Arán oder umgekehrt die Rückgabe des französischen Teils der Cerdagne an Spanien 535

„Vertrag von Basel“, 22.07.1795 [im Original ohne Titel; Anm. d. Verf.]; als Faksimile mit Anhängen zugänglich über das digitale Archiv „Base Choiseul“ für historische Verträge vor 1915 des Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://smae.diplomatie.gouv.fr/choiseul/ressource/pdf/D17950001.pdf, (22 S.); zuletzt abgerufen: August 2008. 536 Vgl. ebd., Art. 4, S. 2; Art. 8, S. 3 [hier wie im Folgenden eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.]. 537 Ebd., Art. 7, S. 3. 538 Vgl. dazu auch Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 115 f.; Grewe, S. 379; Lafourcade, S. 9. 539 Vgl. dazu Jones, S. 101 ff.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

hätten rechtfertigen lassen, die ohne Zweifel nördlich respektive südlich des Hauptkammes und der Wasserscheide lagen.540 Aufgrund der politischen Wirren der folgenden Jahre trat die vorgesehene Grenzkommission jedoch nie zusammen, so dass der Vertrag von Basel für die Pyrenäengrenze letzten Endes keine weitergehenden Wirkungen entfaltete. 2. Die napoleonische Besetzung Spaniens 1808–1814 und die Pariser Friedensverträge von 1814/1815 Auch in der Zwischenkriegszeit von 1795 bis 1808 kamen die Grenzgebiete des Pyrenäenraums nicht vollständig zur Ruhe, wobei insbesondere auf der französischen Seite Widerstände gegen den intensivierten administrativen Zugriff des Staates zu beobachten waren. Hier entzogen sich nach der gesetzlichen Einführung des allgemeinen Wehrdienstes durch die „loi Jourdan“ vom September 1798 geschätzte 98 Prozent der männlichen Gebirgsbewohner etwa durch die mit Hilfe von Pfarrern und Gemeindevorstehern vorgenommene Fälschung von Geburts-, Heirats- und Sterberegistern der Einberufung.541 Selbst das forcierte Durchgreifen der Präfekten ab 1806 konnte die Wehrdienstverweigerung in den Grenz-Départements allenfalls einschränken, weil sich zumindest die vielen als Schäfer, Holzfäller, Köhler oder Schmuggler arbeitenden Männer in die Berge zurückzogen und, wenn nötig, die Grenze überschritten.542 Der angespannte Friede endete 1808 mit der Invasion Spaniens durch die Armeen Napoleon Bonpartes, der Proklamation seines Bruders Joseph zum spanischen König und dem erbitterten Guerrilla-Krieg, der dadurch ausgelöst wurde.543 Die direkten territorialen Auswirkungen im Pyrenäenraum blieben mit der offiziellen Eingliederung des Valle de Arán in das Département Haute-Garonne und mit einem vermutlich nie ausgeführten Annexionsdekret für Andorra jedoch überschaubar.544 Langfristigere Folgen hatten demgegenüber die häufig unterschätzten Anstrengungen Joseph Bonapartes, Spanien nach französischem Vorbild zu modernisieren, womit er die Über540

Zu den letztlich ergebnislosen Debatten vgl. Sahlins (1989), S. 188 f. Vgl. Claeys, S. 227 f. 542 Vgl. ebd., S. 228/229; Soulet (1987), Une société en dissidence, S. 471 f. 543 Zu Einzelheiten vgl. z. B. Abeberry Magescas, Xavier, Les ralliés et les convertis: élites et notables européens au service du Grand Empire. L’exemple de l’Espagne, in: Lentz, Thierry (Hrsg.), Napoléon et l’Europe: Regards sur une politique, Actes du colloque organisé par la direction des Archives du ministère des Affaires étrangères et la Fondation Napoléon, Paris 2005, S. 201 ff. (insbes. S. 203 ff.). Speziell zum Pyrenäenraum vgl. auch Sahlins (1989), S. 198 ff. 544 Zum Valle de Arán vgl. Sanllehy i Sabi, S. 471; zu Andorra vgl. Crawford, S. 261. 541

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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gangsphase von der absolutistischen Monarchie des 18. zum liberal-monarchischen Staat des 19. Jahrhunderts einleitete. Hierfür stand ihm allerdings nur eine kleine Kernverwaltung von nicht mehr als 2.497 Personen zur Verfügung, so dass beispielsweise die gesamte Zollbehörde lediglich 40 Mitarbeiter umfasste, die zudem auf Madrid und auf verschiedene Grenzposten verteilt waren.545 Mit derart begrenzten personellen Ressourcen konnte eine effektive Kontrolle der Grenze und des grenzüberschreitenden Handels beziehungsweise des Schmuggels nicht gewährleistet werden, auch weil der als nationaler Befreiungs- und Volkskrieg verstandene Widerstand gegen die Besatzer in den spanischen Pyrenäen einen starken Halt fand. Zwischen 1808 und 1814 kam es hier in Folge des Guerrillakampfs und der französischen Vergeltungsmaßnahmen vermutlich erstmals zu einem großflächigeren Abbruch der vielfach bereits vorbelasteten Beziehungen zwischen den Grenzbevölkerungen.546 Dabei muss es aber selbst in dieser Zeit lokale Unterschiede gegeben haben, wie sporadische Hinweise auf eine Fortführung von grenzüberschreitenden Weidekooperationen belegen.547 Mit der Niederlage des französischen Kaiserreichs und der Rückkehr der spanischen Bourbonen ab 1814 gewann die zukünftige Ausgestaltung der Pyrenäengrenze, die schon während der Besatzungszeit Gegenstand von Memoranden und militärischen Planungen gewesen war,548 erneut an politischer Dringlichkeit. In den Friedensverhandlungen der Allierten Mächte mit Frankreich, an denen Spanien nicht als gleichberechtigter Partner teilnahm, erfuhr sie jedoch nur eine randständige Beachtung. So beschränkte sich der erst nachträglich von Spanien mitunterzeichnete Erste Friede von Paris vom 30. Mai 1814 in seinem Artikel 2 auf die Formulierung, dass Frankreich in den Grenzen vom 1. Januar 1792 erhalten bleiben solle.549 Nur wenig weiterführend erwies sich in dieser Hinsicht auch der nach der Schlacht von Waterloo geschlossene Zweite Friede von Paris vom 20. November 1815.550 Er enthielt in seinem Artikel 1 eine nur geringfügig abgeänderte Bestimmung: 545 546

Vgl. Abeberry Magescas, S. 215 ff. Vgl. z. B. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 268; Lafourcade,

S. 13. 547

Vgl. Soulet (1987), Une société en dissidence, S. 249, m. w. N. Eine einseitige Verfügung Napoléons, die grenzüberschreitende Versorgung der Grenzstadt Irffln ab 1808 und der Atlantikprovinzen Guipfflzcoa und Vizcaya ab 1810 sicherzustellen, war im Kontext der Okkupation hingegen nur noch eine schwache Reminiszenz der früheren Traités de bonne correspondance, die im Gegensatz dazu auf einer bilateralen Einigung beruht hatten; vgl. Caillet, S. 32. 548 Vgl. Sahlins (1989), S. 201 ff. 549 Vgl. Erster Friede von Paris, in: Vertrags-Ploetz, Konferenzen und Verträge, Teil II, 3. Bd.: Neuere Zeit 1492–1914, 2., erw. u. veränd. Aufl., bearb. v. Rönnefarth, Helmuth K.G., Würzburg 1958, S. 252 ff. (S. 253).

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

„Les frontières de la France seront telles qu’elles étoient en 1790, sauf les modifications de part et d’autre qui se trouvent indiquées dans l’article présent.“551

Sie bestätigte weder explizit die Rechtsgültigkeit des 1790 bereits umstrittenen Vertrags von Elizondo noch enthielt sie eine tragfähige Regelung für den zum damaligen Zeitpunkt völkerrechtlich nur streckenweise geregelten Verlauf der restlichen Pyrenäengrenze, die im Übrigen in keinem der folgenden Abschnitte von Artikel 1 Erwähnung fand. Bis auf den Umstand, dass der 1795 abgeschlossene Vertrag von Basel mit seiner topographischen Grenzbestimmungsklausel gegenstandslos geworden war,552 konnte Spanien insoweit nur auf Artikel 1 Absatz 6 des Zweiten Pariser Friedens hoffen,553 der in allgemeiner Form die Einsetzung von Grenzkommissionen zwischen Frankreich und seinen Nachbarn vorsah: „Les hautes parties contractantes nommeront, dans le délai de trois mois après la signature du présent traité, des commissaires pour règler tout ce qui a rapport à la délimitation des pays de part et d’autre; et aussitôt que le travail de ces commissaires sera terminé, il sera dressé des cartes et placé des poteaux qui constateront les limites respectives.“554

Die französische Regierung kam dieser Verpflichtung 1816 mit der Einrichtung von zwei Kommissionen zumindest teilweise nach, mittels derer man zunächst die Grenzziehung zwischen Dünkirchen und dem Rhein im Norden bis 1820 vertraglich abschloß. Im Osten konnte mit den deutschen Staaten bis 1831 eine Einigung erzielt werden, wohingegen die Alpengrenze bis zum Mittelmeer erst nach der Annexion Savoyens durch Frankreich 1860–1861 definitiv feststand. Einzig die Pyrenäengrenze blieb einstweilen vollständig ausgespart, obwohl Frankreich und Spanien seit 1816 die Notwendigkeit einer einvernehmlichen Regelung auf der Basis des Zweiten Pariser Friedens grundsätzlich anerkannten und wiederholt bekräftigten.555

550 Vgl. Traité entre l’Autriche, la Grande-Bretagne, la Prusse, et la Russie d’une part, et la France de l’autre, signé à Paris le 20. novembre 1815, in: Meyer, Philipp Anton Guido von (Hrsg.), Staats-Acten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes (Corpus Juris Confoederationis Germanicae), 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1833, S. 224 ff. [zit. Traité entre l’Autriche . . . v. 20.11.1815 (Zweiter Pariser Friede)]. 551 Ebd., Art. 1, S. 225 [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. 552 Hierfür s. o., dieser Teil, C. I. 1., insbes. zu Fn. 537 ff. 553 Spanien war zwar nicht selbst Vertragsunterzeichner, aber Art. 11 des Zweiten Pariser Friedens bestätigte die Fortgeltung des Ersten Pariser Friedens, dem Spanien beigetreten war; zudem fiel das Land wohl unter den Begriff der in den Vertrag miteinbezogenen „Alliés“ in der Präambel; vgl. Traité entre l’Autriche . . . v. 20.11.1815 (Zweiter Pariser Friede), Präambel, S. 225, Art. 11, S. 229. 554 Ebd., Art. 1 Abs. 6, S. 227. 555 Vgl. Sahlins (1989), S. 238 f.

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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3. Vom Zweiten Pariser Frieden 1815 bis zur Einsetzung der Grenzkommission von 1851 Die Einsetzung einer Grenzkommission für die Pyrenäen nach dem Muster der französischen Nord- und Ostgrenzen scheiterte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts weniger an Differenzen in der Sache, als vielmehr an den politischen Ereignissen, welche die beiden Länder in den kommenden Jahrzehnten erschütterten. Ab 1821 unterbrachen die Auseinandersetzungen zwischen Royalisten und Konstitutionalisten in Spanien alle bilateralen Gespräche über eine Grenzregelung mit Frankreich und führten dort zu Überlegungen, durch die einseitige Errichtung eines cordon sanitaire den militärisch wünschenswerten mit dem existierenden Grenzverlauf und seinen Unbestimmtheiten in Einklang zu bringen.556 Die französischen Revolutionen von 1830 und 1848 sowie die innerspanischen Karlistenkriege der 1830er und 1840er Jahre, die auch weite Teile des Pyrenäenraums erfassten, verhinderten jedoch eine Realisierung größerer Grenzprojekte. Die diesbezügliche Lähmung der staatlichen Handlungsmacht war besonders folgenschwer, weil gleichzeitig sowohl innerstaatlich wie auch grenzüberschreitend heftige Lokalkonflikte ausbrachen, die in der Hauptsache mit dem seit dem 18. Jahrhundert anhaltenden Bevölkerungswachstum in den Pyrenäen zusammenhingen.557 In Verbindung mit Klimaeinbrüchen, Missernten und Wirtschaftskrisen, welche sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts häuften,558 kam es dadurch fast überall zu einem dramatischen Missverhältnis zwischen den verfügbaren Ressourcen und der sie beanspruchenden Gesamtpopulation. Nach innen folgten erbitterte Streitigkeiten über Ackerund Weideflächen zwischen benachbarten Gemeinden,559 aber auch gewaltsame Widerstände gegen staatliche Regulierungen wie den Code forestier von 1827 in Frankreich. Die durch ihn verhängten Beschränkungen der sogenannten Waldweide,560 die zum Schutz vor massiver Übernutzung und 556

Vgl. Franke, S. 199. Die demographische Belastung lässt sich am Beispiel des Valle de Arán illustrieren, dessen Einwohnerzahl, die im 18. Jahrhundert noch 5.625 betragen hatte, bis 1845 auf 7.345 und bis 1860 sogar auf 11.272 anstieg, bevor eine massive Emigration einsetzte; vgl. Roigé/Beltran/Estrada, S. 192, Fn. 7. Zur parallelen Entwicklung der Bevölkerungszahlen in Frankreich vgl. Soulet (1987), Une société en dissidence, S. 29 ff. 558 Vgl. dazu detailliert Soulet (1987), Une société en dissidence, S. 11 ff. 559 Vgl. z. B. Sahlins (1989), S. 230; Soulet (1987), Une société en dissidence, S. 556 ff. 560 Zur Geschichte und zur Bedeutung der Waldweide, die im europäischen Kontext „bis ins 19. Jh. hinein die Lebensfähigkeit der bäuerlichen Betriebe“ sicherte, vgl. auch Knöppel, V., Waldgerechtsame, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. Erler, Adalbert u. a., Bd. V: Straftheorie–Zycha, Berlin 1998, Sp. 1117 ff. (insbes. Sp. 1118). 557

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

schweren Wuchsschäden unumgänglich waren, lösten ab 1829 in den französischen Pyrenäen eine offene Revolte aus.561 Nach außen eskalierten grenzüberschreitende Zusammenstöße vor allem in den Gebieten, die bereits in der Vergangenheit entsprechende Nutzungskonflikte gekannt hatten. Während die lies und passeries an anderen Stellen der Grenze unter Anpassungsdruck gerieten, aber oft weiterbestanden,562 nahmen beispielsweise in den Aldudes zwischen den späten 1820er und den frühen 1850er Jahren Viehraub, Lösegelderpressungen und bewaffnete Auseinandersetzungen – an denen bis zu 2.000 Männer beteiligt sein konnten – ein solches Ausmaß an, dass die französischen und spanischen Behörden von kriegsähnlichen Zuständen berichteten.563 Die Ursachen dieser Spannungen waren durchweg nicht politischer oder grenzabhängiger Natur, sondern ließen sich nach innen wie nach außen jeweils auf ökonomisch-besitzstandswahrende Motive zurückführen.564 In einem Umfeld allgemeiner Instabilität und prekärer Machtverhältnisse, wie es bis zum Ende der 1840er Jahre immer wieder vorherrschte, fehlten Frankreich und Spanien jedoch die Mittel, um durch Regierungsverhandlungen über umstrittene Grenzregelungen oder Nutzungsrechte zwischenstaatlich für eine wirksame Abhilfe sorgen zu können.565 Stattdessen versuchten die Behörden beider Länder, Grenzkonflikten und -verletzungen in erster Linie mit unilateralen Maßnahmen zu begegnen, indem sie die eigenen Kontrollmechanismen ausbauten und den grenzüberschreitenden Austausch zumindest auf dem Papier streng reglementierten.566 Doch auch der Aufbau spezieller Grenz- und Zollschutztruppen wie der spanischen Carabineros de Costas y Fronteras, die 1821 gegründet und 1842 direkt dem Kriegsministerium unterstellt wurden,567 konnte weder die wechselseitigen Übergriffe der Grenzbewohner beenden noch den blühenden Grenzschmuggel in den Pyrenäen unterbinden.568 Ihr Einsatz in nicht hinreichend genau bestimmten Grenzzonen trug vielmehr selbst zu diplomatischen Irritationen zwischen 561 Zu diesem als guerre des demoiselles bekannten Aufstand vgl. Claeys, S. 229 f.; Soulet (1987), Une société en dissidence, S. 602 ff. 562 Vgl. Soulet, Jean-François, Les Pyrénées au XIXe siècle: Organisation sociale et mentalités, Toulouse 1987, S. 145. 563 Vgl. z. B. Desplat (1993), S. 163 f.; Lafourcade, S. 9; Soulet (1987), Organisation sociale et mentalités, S. 63 f. 564 Vgl. z. B. Claeys, S. 230 f.; Sahlins (1989), S. 230. 565 Zu den fehlgeschlagenen Einigungsversuchen von 1827, 1828, 1830 und 1831 im Gebiet der Aldudes vgl. Salcedo Izu, S. 66 f. 566 Vgl. Sahlins (1989), S. 242. 567 Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 90. 568 Zum Grenzschmuggel in den Pyrenäen des 19. Jahrhunderts und seiner sozioökonomischen Bedeutung vgl. z. B. Franke, S. 205, m. w. N.; Gorría Ipas (2001), S. 60; Soulet (1987), Une société en dissidence, S. 443 ff.

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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den Regierungen in Madrid und Paris bei, die ihre Souveränität schnell verletzt sahen: „To both governments, such scenes were of more than local interest: in the midnineteenth century, territorial violations were matters of high diplomacy. A disputed seizure of contraband goods set off dozens of letters to all levels of administration, mobilizing officials from the administrative districts to the foreign ministry.“569

Gegen Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnerte die Lage an der Pyrenäengrenze somit auffallend an die Zustände, welche in den 1770er Jahren zur Einsetzung der Caro-d’Ornano-Kommission geführt hatten. Ausufernde lokale Konflikte, Grenzverletzungen durch Schmugglerbanden sowie die wachsende Sorge, dass sich Grenzzwischenfälle unter der Beteiligung von Truppen beider Seiten zu einer internationalen Krise auswachsen könnten, ließen einen endgültigen völkerrechtlichen Grenzvertrag als friedenserhaltende Maßnahme unerlässlich erscheinen. Da diese Notwendigkeit abgesehen von den lokalen Profiteuren des Schmuggels, die sich naturgemäß jeder Grenzbereinigung widersetzten,570 von keiner maßgeblichen Kraft in Frankreich und in Spanien bezweifelt wurde, hing die Einberufung einer neuen Grenzkommission für die Pyrenäen letztlich von der Wiederherstellung gefestigter politischer Verhältnisse in beiden Ländern ab. Dazu kam es Anfang der 1850er Jahre, nachdem sich in Frankreich im Zuge der Revolution von 1848 Charles-Louis-Napoleon Bonaparte zunächst in Wahlen als prince-président der Republik durchgesetzt hatte, bevor er 1852 durch ein Plebiszit als Napoleon III. zur Kaiserwürde gelangte und das zweite Empire begründete. Fast zeitgleich konnte Isabella II. 1849 mit der Niederschlagung des Karlistenaufstands in Spanien ihren Thronanspruch verteidigen, so dass beide Regierungen nicht nur grundsätzlich willens, sondern nunmehr auch faktisch dazu in der Lage waren, die Grenzziehung in den Pyrenäen als gemeinsames Vorhaben anzugehen.

II. Die Grenzverträge von Bayonne als völkerrechtliche Grundlage der Pyrenäengrenze und als Kodex grenzüberschreitender Rechte im Pyrenäenraum Die wiedergewonnene staatliche Handlungsfähigkeit und der vorhandene Einigungswille stellten sich allerdings schon bald als zwar notwendige, aber alleine nicht hinreichende Bedingungen für das Zustandekommen eines französisch-spanischen Grenzvertrags heraus. Das Scheitern einer ersten Grenzkommission von 1851–1853 machte deutlich, dass bestimmte Grund569 570

Sahlins (1989), S. 243. Vgl. Brunet (2002), Les lies et passeries, S. 550 f.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

satzentscheidungen vorab auf Regierungsebene getroffen werden mussten, um den Erfolg der noch im Jahr 1853 berufenen zweiten Grenzkommission nicht bereits im Vorfeld zu gefährden. Aus dieser Erkenntnis heraus strukturierte man ihre Arbeitsweise neu und gab ihr inhaltliche Leitlinien vor, an denen sich die Grenzfestlegung ausrichten sollte. Dennoch oder gerade deswegen erforderte die Aushandlung der heute noch geltenden Grenzverträge von Bayonne insgesamt 15 Jahre kontinuierlicher Bemühungen, bevor mit dem Zusatzabkommen von 1868 nicht nur der Verlauf der französisch-spanischen Landgrenze feststand, sondern auch die traditionelle grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum in einen völkerrechtlichen Rahmen überführt worden war. 1. Die Grenzkommission von 1851–1853 und die Commission mixte de délimitation des Pyrénées von 1853–1868 a) Die Grenzkommission von 1851–1853 Die politische Initiative zur Einrichtung einer zwischenstaatlichen Grenzkommission für die Pyrenäen ging – immerhin 36 Jahre, nachdem Artikel 1 Absatz 6 des Zweiten Pariser Friedens dies gefordert hatte571 – von der französischen Regierung aus, die mit einem Dekret vom 1. April 1851 ihre Bevollmächtigten ernannte und ihnen die Aufgabe zuwies, „« [d’]étudier les questions relatives à une démarcation de la frontière entre la France et l’Espagne, et de procéder ensuite de concert avec les commissaires désignés par le Gouvernement Espagnol à cette démarcation ».“572 Der auffallende Umstand, dass dabei nur von der Demarkierung und nicht von der für einen Großteil der Grenze vorher noch notwendigen Delimitierung die Rede war, muss angesichts der den Regierungen bekannten Grenzzwischenfälle verwundern. Eine solch eklatante Fehleinschätzung der tatsächlichen Erfordernisse würde aber erklären, warum beide Seiten eher nachrangige beziehungsweise teils nicht mehr im aktiven Dienst stehende Vertreter entsandten.573 Diese waren wiederum kaum geeignet, um Differenzen von größerer Tragweite beizulegen, wie sie insbesondere durch die Forderung der französischen Delegation nach einer förmlichen Revidierung des Vertrags von Elizondo hervorgerufen wurden. Die spanische Regierung antwortete darauf mit der Rückberufung ihrer Delegierten, die angesichts von Berichten über neuerliche Grenzverletzungen mit dem Vorwurf begründet wurde, dass die Kommission offensichtlich nicht zu einer Beruhigung 571 572 573

Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, I. 2., insbes. zu Fn. 554. Zitiert bei Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 319/320, m. w. N. Zur Zusammensetzung der Delegationen vgl. ebd., S. 319, Fn. 1065.

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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der Situation beitrage. Aufgrund unüberbrückbarer Meinungsunterschiede musste die erste und völlig zu Recht weithin unbekannt gebliebene französisch-spanische Grenzkommission des 19. Jahrhunderts daher schon am 19. Mai 1853 aufgelöst werden.574 b) Die Commission mixte de délimitation des Pyrénées von 1853–1868 Immerhin dürfte das Scheitern der Grenzkommission von 1851 für die Regierungen in Paris und Madrid eine ernstzunehmende Warnung gewesen sein, dass ihr Vorhaben einer abschließenden völkerrechtlichen Grenzziehung einer besseren Vorbereitung bedurfte. Der Zeitpunkt dafür war insofern günstig, als das Jahr 1853, in dem Napoleon III. die Spanierin Eugénie de Montijo heiratete, den Beginn enger persönlicher Beziehungen zwischen dem Kaiserpaar und Königin Isabella II. markierte, die unter anderem durch gemeinsame Urlaube der Monarchen an der atlantischen Pyrenäengrenze gefestigt wurden.575 Die schon am 7. November 1853 erfolgte Gründung der sogenannten Commission mixte de délimitation des Pyrénées konnte folglich als Zeichen politischer Einigkeit auf höchster Ebene verstanden werden, von der die Arbeit der Kommission in den kommenden Jahren immer wieder profitierte.576 Zugleich ergriffen die Regierungen besondere personelle, institutionelle und instruierende Maßnahmen, um einem erneuten Fehlschlag vorzubeugen. So griffen sie – wie bei der Caro-d’Ornano-Kommission des 18. Jahrhunderts577 – das 1851 offenbar mißachtete Prinzip wieder auf,578 dass die Kommissionsmitglieder nicht aus den Grenzgebieten stammen durften, „« afin que les passions locales n’eussent point accès auprès d’eux, avantage que n’avaient point les Commissaires de 1851, et ce fut peut-être la cause principale de leur prompte insuccès ».“579 Auf diplomatischer Ebene wurden beide Seiten nun durch einen akkreditierten Repäsentanten im Rang eines 574

Vgl. ebd., S. 319 f. Vgl. z. B. Gómez-Ibáñez, S. 48; Sermet (1968), S. 12. 576 Vgl. Poumarède, Jacques, Gérer la frontière: la Commission Internationale des Pyrénées (1875–1900), in: Lafourcade, Maïté (Hrsg.), La frontière franco-espagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, Actes de la journée d’étude du 16 novembre 1996, Bordeaux 1998, S. 71 ff. (S. 72). Zu den allgemeinen Hintergründen der damaligen internationalen Kooperation zwischen Frankreich und Spanien vgl. auch Miralles/Aubert, S. 31 f. 577 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 3. b), insbes. zu Fn. 367. 578 Vgl. dazu auch Sermet (1976), S. 38. 579 Zitiert bei Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 320, Fn. 1069, m. w. N. 575

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Ministre plénipotentiaire mit Verhandlungsvollmacht vertreten, während die Leitung vor Ort über die gesamte Dauer des Bestehens der Kommission bei dem französischen General Callier und dem spanischen Feldmarschall de Monteverde y Bethancour lag.580 Mit nur drei Vollmitgliedern pro Land, denen bei Bedarf technisches Hilfspersonal zur Verfügung stand, hielt man den Kreis der Entscheidungsbefugten zudem bewusst überschaubar. Die Arbeits- und Beschlussfähigkeit sicherte ein präzises Protokoll, das eine alternierende Präsidentschaft, ein für die Kongruenz französischer und spanischer Textversionen verantwortliches Sekretariat sowie Regeln für die Abstimmung und Verabschiedung der gemeinsamen Abschlussdokumente vorsah.581 Die substantiellste Neuerung war jedoch, dass sich die Regierungen vorab auf einen Katalog beziehungsweise auf eine Rangfolge von Kriterien einigten, um das Vorgehen der Kommission zu systematisieren. Als zentrale Maxime galt ihnen dabei die Erkenntnis, dass ein stabiler Grenzfriede ohne eine angemessene Berücksichtigung der hergebrachten Rechte und Belange der Grenzbevölkerungen nicht erreicht werden könne: „The commissioners were asked to do more than draw a line: the desired end being a peaceful boundary, they were explicitly instructed to ascertain and respect the rights, traditions, and needs of the inhabitants of the borderland.“582

In Übereinstimmung mit diesem Ziel sollten sich Entscheidungen über den Grenzverlauf zunächst an den bestehenden zwischenstaatlichen Verträgen unter Einschluss des Vertrags von Elizondo orientieren. In strittigen Fällen waren ergänzend die lokalen grenzüberschreitenden Abkommen heranzuziehen, wohingegen bei Lücken im geschriebenen Recht auch die örtlich überlieferten Gewohnheiten ausreichen sollten.583 Dadurch sahen sich die Kommissionsmitglieder in eine Doppelrolle als Experten einerseits und als „Richter“ andererseits gestellt, die alle Grenzkonflikte in den Pyrenäen zu sichten, zu bewerten und, vermittelt über die Grenzfestlegung, letztlich zu entscheiden hatten.584 Nachdem seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bei zwischenstaatlichen Vertragsverhandlungen oder -planungen zumeist nur die Grenze selbst im Mittelpunkt gestanden hatte, ergab sich für die Commission mixte de délimitation des Pyrénées laut ihres Abschlussberichts von 1868 folglich die Verpflichtung, durch eine eingehende Prüfung der Klagen und Rechtstitel der lokalen Bevölkerungen und durch die Berücksichtigung 580

Vgl. Sermet (1968), S. 13. Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 320 f. 582 Gómez-Ibáñez, S. 48; vgl. auch Lafourcade, S. 9; Sahlins (1989), S. 246 f. 583 Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 118; Sermet (1968), S. 12 f. 584 Vgl. Sahlins (1989), S. 250 f. 581

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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berechtigter Ansprüche ein umfassendes völkerrechtliches Vertragswerk zu schaffen, das allgemein „« comme un code frontalier des Pyrénées »“ wirken sollte.585 Die Delimitierung und Demarkation der Grenze folgte einem zweistufigen Verfahren, bei dem zuerst alle relevanten Dokumente gesammelt und die Grenzbewohner angehört wurden, bevor man zwischen zwei anerkannten Markierungspunkten eine jeweils gerade Grenzlinie zog, auf der die Kommission und die lokalen Akteure trotz der manchmal notwendigen Teilung von Grundbesitz gleichermaßen beharrten.586 Obwohl sich die örtlichen Grenzkonflikte im Vorfeld nochmals verschärften, weil die Grenzbewohner die letzte Möglichkeit zur Behauptung oder zur Aneignung von Land und Rechten gekommen sahen,587 konnten die französischen und die spanischen Kommissionsmitglieder auf diese Weise auch in sehr komplexen Streitfällen untereinander stets eine einvernehmliche Lösung erzielen.588 Das Ergebnis war das Vertragswerk von Bayonne, das zwischen 1856 und 1858 in verschiedenen Teilverträgen und Zusatzabkommen zu Stande kam. 2. Die drei Grenzverträge von Bayonne, ihre Zusatzabkommen und die Allgemeine Zusatzakte (1856–1868) Wie schon vor ihr die Caro-d’Ornano-Kommission der 1780er Jahre, begann auch die Commission mixte de délimitation des Pyrénées von 1853 mit der Grenzziehung von der Atlantikküste aus. Zwar waren hier durch den Vertrag von Elizondo wichtige Vorarbeiten bereits geleistet und dokumentiert, aber im Atlantiksektor lag auch das Gebiet der Aldudes, das als zentraler Konfliktherd den unmittelbaren Anlass für die Einsetzung der Grenzkommissionen von 1851 und von 1853 geboten hatte.589 Der erste Grenzvertrag von Bayonne konnte dennoch in der überraschend kurzen Zeit von drei Jahren ausgearbeitet und am 2. Dezember 1856 unterzeichnet werden. Ihm folgten zwei weitere Teilverträge, die 1862 den Grenzverlauf in den Zentralpyrenäen zwischen Navarra und Andorra beziehungsweise 1866 zwischen Andorra und der Mittelmeerküste regelten. Ergänzt durch ihre jeweiligen Zusatzabkommen enthielten sie eine Vielzahl von sektor- oder ortsspezifischen Bestimmungen, die durch verträgeübergreifende Normen zur Errichtung eines einheitlichen Grenzregimes ergänzt wurden. Insofern schufen die drei Grenzverträge von Bayonne trotz ihres zeitlichen und teil585 586 587 588 589

Zitiert bei Poumarède, S. 72. Vgl. Sahlins (1989), S. 252, S. 254. Vgl. Franke, S. 199; Sahlins (1989), S. 246 f. Vgl. Sahlins (1998), S. 53. Vgl. Sermet (1968), S. 11.

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weise auch inhaltlichen Auseinanderfallens „ein einheitliches Rechtskorpus“590, das mit einigen nachträglichen Modifikationen bis heute Gültigkeit besitzt. a) Der erste Grenzvertrag von Bayonne vom 2. Dezember 1856 und das Zusatzabkommen vom 28. Dezember 1858 Der erste Grenzvertrag von Bayonne vollendete 1856 zum einen die durch den Vertrag von Elizondo begonnene völkerrechtliche Grenzziehung im Atlantiksektor.591 Zum anderen regelte er die dort anstehenden Grenzstreitigkeiten und entwickelte im Zuge dessen auch generelle rechtliche Vorgaben, die später weiter ausgeführt und in die anderen Teilverträge übernommen wurden. Die dahinter stehenden politischen Absichten hoben die Vertragsparteien in der Präambel des Grenzvertrags von 1856 hervor: „S. M. l’empereur des Français et S. M. la reine des Espagnes, voulant consolider et maintenir la paix et la concorde entre les populations des deux États habitant la partie de la frontière [. . .], et prévenir à jamais le retour des conflits regrettables qui, jusqu’à l’ouverture des présentes négociations, ont eu lieu à différentes époques sur plusieurs points de cette frontière par suite de l’incertitude qui a régné jusqu’à présent au sujet de la propriété de quelques territoires et de la jouissance de certains privilèges que les frontaliers des deux pays revendiquaient comme leur appartenant exclusivement, et jugeant que, pour atteindre ce but, il était nécessaire de déterminer, d’une manière précise, les droits des populations frontalières, et en même temps les limites des deux Souverainetés, [. . .].“592

Damit bestätigten sie, dass die Sicherung des lokal gefährdeten Grenzfriedens durch die internationale Grenzziehung ebenso wie durch die Bestimmung der jeweiligen Rechte der Grenzbevölkerungen erreicht werden sollte. Zumindest auf den ersten Blick schien man dazu jedoch auf Methoden zurückgreifen zu wollen, die bereits dem Vertrag von Elizondo von 1785 zu eigen gewesen waren und die zu seiner Ablehnung beigetragen hat590

So Remacha Tejada, S. 256 [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. Vgl. Traité pour déterminer la frontière depuis l’embouchure de la Bidassoa jusqu’au point où confinent le département des Basses-Pyrénées, l’Aragon et la Navarre, 02.12.1856; zugänglich über das digitale Archiv „Base Pacte“ für geltende internationale Verträge Frankreichs, Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.doc. diplomatie.fr/BASIS/pacte/webtext/bilat/DDD/18560008.pdf, (6 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne)]. Für die spanische Textversion vgl. Ministerio de Hacienda, S. 5 ff. (Tratado de Bayona entre España y Francia con el objeto de fijar los límites de ambas naciones en la porción de la frontera correspondiente a las provincias de Guipfflzcoa y Navarra). 592 Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne), Präambel, S. 1 [hier wie im Folgenden eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.]. 591

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ten. So übernahmen die Artikel 1–9 des Grenzvertrags von 1856 weitgehend die Grenzlinien der Caro-d’Ornano-Kommission,593 während – in teils wörtlicher Anlehnung an Artikel 4 des Vertrags von Elizondo594 – die bisherigen grenzüberschreitenden Abkommen der Grenzbevölkerungen für schädlich und für pauschal ungültig erklärt wurden: „Article 13. – Considérant que les faceries ou les compascuités perpétuelles de pâturages entre les frontaliers de l’un et de l’autre pays ont été souvent préjudiciables au repos et à la bonne harmonie sur la frontière, il est convenu que les contrats de ce genre qui existaient autrefois ou qui existent encore aujourd’hui, en vertu d’anciennes sentences ou conventions, demeurent abolis et de nulle valeur, à dater du 1er janvier qui suivra la mise à exécution du présent Traité; [. . .].“595

Schon der folgende Vertragsartikel erkannte allerdings das grundsätzliche Recht der Grenzbevölkerungen an, auch in Zukunft entsprechende Abkommen neu abzuschließen, so lange dabei eine Geltungsdauer von fünf Jahren nicht überschritten wurde und die zwingende Verpflichtung zur Einbeziehung der zuständigen (staatlichen) Behörden beachtet war: „Article 14. – Il est également convenu entre les Parties Contractantes que les frontaliers respectifs conserveront le droit qu’ils ont toujours eu de faire entre eux, pour un temps déterminé qui ne pourra jamais excéder cinq années, et avec l’intervention obligatoire des Autorités compétentes, les contrats de pâturages ou autres qui pourraient être avantageux à leurs intérêts et à leurs rapports de bon voisinage.“596

Diese Bestimmung, die auch Eingang in die folgenden Teilverträge und Zusatzabkommen fand, ging weit über den lediglich auf die grenzüberschreitende Verpachtung von Weideland abstellenden Artikel 5 des Vertrags von Elizondo hinaus, auch wenn die Fünf-Jahres-Frist und das behördliche Bestätigungserfordernis von dort übernommen waren.597 Alleine der allgemein gehaltene Verweis auf „contrats de pâturages“ umfasste bereits die gesamte Bandbreite weidebezogener Regelungsgegenstände, welche die pyrenäischen lies und passeries seit dem Mittelalter ausdifferenziert hatten,598 und transponierte sie in das internationale Vertragsrecht, das von nun an ihre neue rechtliche Grundlage bildete.599 Zugleich stellten Frankreich und Spanien mit der Ermächtigung, dass die Grenzbewohner daneben andere Abkommen zur Förderung ihrer Interessen 593

Vgl. Gómez-Ibáñez, S. 52; Sermet (1968), S. 13. Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 3. c), insbes. zu Fn. 380. 595 Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 13, S. 3. 596 Ebd., Art. 14, S. 4. 597 Hierzu s. o., dieser Teil, C. I. 3. c), insbes. zu Fn. 383. 598 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 1. b); B. III. 1. c). 599 Vgl. Remacha Tejada, S. 258. 594

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

und der gutnachbarschaftlichen Beziehungen abschließen durften, einen Rechtsrahmen für eine faktisch gegenstandsoffene grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf der lokalen Ebene bereit. Dieser Vorgang muss auch aus heutiger Sicht „fortwährendes Erstaunen“600 hervorrufen, weil die Grenzgemeinden in den Pyrenäen damit seit dem 19. Jahrhundert in ihren eigenen Angelegenheiten über eine völkerrechtlich abgesicherte Möglichkeit zur Durchführung eines breiten Spektrums grenzüberschreitender Kooperationen verfügten, lange bevor sich etwa Institutionen wie der Europarat in den 1980er Jahren mit dem „Europäischen Rahmenübereinkommen von Madrid“601 ein vergleichbares Ziel setzten.602 Im Grenzvertrag von 1856 trat das Prinzip der Rücksichtnahme auf lokale Rechtstraditionen und Interessen aber auch in verschiedenen ortsspezifischen Sonderregelungen hervor. Zu diesen gehörten beispielsweise die in Artikel 13 enthaltenen Ewigkeitsgarantien für die Weidegemeinschaft des Vallée de Cize und des Valle de Aëzcoa einerseits sowie des Vallée de Barétous und des Valle de Roncal – mit dem „Vertrag der drei Kühe“603 – andererseits, die als facéries perpétuelles durch den völkerrechtlichen Vertrag anerkannt wurden und bis heute Bestand haben.604 Eine inhaltliche Konkretisierung erfolgte durch das Zusatzabkommen vom 28. Dezember 1858,605 das nochmals gesondert alle seit 1556 beziehungsweise seit 1375 600

So Fernández de Casadevante Romani, Carlos, Fundamento jurídico de la cooperación transfronteriza: desarrollos recientes en el ámbito hispano-francés, in: Borja, Antón/Castro, José Luis de/Letamendía, Francisco (Hrsg.), La cooperación transfronteriza Euskadi-Aquitania, Bilbao 1994, S. 15 ff. (S. 20) [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 601 Vgl. Council of Europe, European Outline Convention on Transfrontier Cooperation between Territorial Communities or Authorities, Madrid, 21.05.1980, European Treaty Series Nr. 106, Luxemburg 1980; vgl. auch Niedobitek, S. 104 ff. 602 Vgl. Fernández de Casadevante Romani, Carlos, La cooperación transfronteriza en el Pirineo: su gestión por las Comunidades Autónomas, Oñati 1990, S. 114 ff. 603 Hierzu s. o., dieser Teil, B. III. 1. b), insbes. zu Fn. 169 f. 604 Vgl. Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 13, S. 3 f. Vgl. dazu auch Allinne, S. 34; Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 272 f.; Descheemaeker, S. 263 ff.; Papy, S. 205; Remacha Tejada, S. 263 f. 605 Vgl. Convention additionnelle au traité de délimitation du 2 décembre 1856 entre la France et l’Espagne, 28.12.1858; zugänglich über das digitale Archiv „Base Pacte“ für geltende internationale Verträge Frankreichs, Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.doc.diplomatie.fr/BASIS/pacte/webtext/bilat/ DDD/18580002.pdf, (18 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Convention additionnelle v. 28.12.1858 (Zusatzabkommen zum 1. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1856)]. Für die spanische Textversion vgl. Ministerio de Hacienda, S. 11 ff. (Anejos al Tratado de fecha de 2 de diciembre de 1856).

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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belegten Bestimmungen der Weideverträge aufführte und die Regelung übernahm, dass französische Weidewächter im Rahmen der facérie perpétuelle Barétous/Roncal einen Eid vor spanischen Autoritäten abzulegen hatten, um ihre Funktionen wahrnehmen zu können.606 Von besonderem politischen Gewicht waren jedoch vor allem die Artikel 15 und 16 des Grenzvertrags von 1856, die über eine komplizierte Rechtskonstruktion den seit Jahrhunderten andauernden Streit um die Aldudes beilegen sollten. Dabei unterschied sich Artikel 15 jedenfalls vordergründig nicht von anderen Weideregelungen, die in das Vertragswerk von Bayonne übernommen wurden: „Article 15. – Il est convenu en outre que les habitants de la vallée de Baïgorry auront la jouissance exclusive et perpétuelle des pâturages de la partie des Aldudes comprise entre la crête principale des Pyrénées et la ligne qui a été tracée dans l’article 7, [. . .]. Les habitants de Baïgorry acquerront la jouissance exclusive et perpétuelle de ces pâturages moyennant une rente annuelle de huit mille francs, [. . .].“607

Auch Artikel 16, der die Rechte und Pflichten von Hirten und Weidewächtern für das betreffende Gebiet auflistete, war höchstens wegen seines erkennbaren Bemühens um äußerste Detailgenauigkeit bemerkenswert.608 Für die Zahlung des als „ewige Pacht“ bezeichneten Nutzungsentgelts für diesen Nordteil der Aldudes war nach dem Zusatzabkommen von 1858 allerdings die französische Regierung direkt verantwortlich,609 ebenso wie für die Entrichtung des Pachtzinses für eine Weidegemeinschaft, in welche das Vallée de Baïgorry in den südlichen Aldudes eintreten konnte.610 Die Inanspruchnahme der französischen Staatskasse für letztlich lokale Belange ergab sich aus dem nicht unmittelbar ersichtlichen Umstand, dass Artikel 15 des Grenzvertrags von 1856 französischen Staatsbürgern de facto die exklusive und immerwährende Nutzung von spanischem Staatsgebiet in den nördlichen Aldudes zusprach, von der spanische Bürger fortan ausgeschlossen blieben und über die das vertraglich gebundene Spanien zukünftig auch nicht mehr einseitig disponieren konnte.611 606 Vgl. Convention additionnelle v. 28.12.1858 (Zusatzabkommen zum 1. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1856), Anhang III, S. 3 f. [hier wie im Folgenden eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.]. 607 Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 15, S. 4. 608 Vgl. ebd., Art. 16, S. 4 f. 609 Vgl. Convention additionnelle v. 28.12.1858 (Zusatzabkommen zum 1. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1856), Anhang I, S. 2. 610 Vgl. ebd., Anhang II, S. 2. f. 611 Vgl. auch Descheemaeker, S. 269 f.; Remacha Tejada, S. 264 f.; Sermet (1968), S. 13 f.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Obgleich das finanzielle Eintreten des französischen Staates die Erfüllung aller diesbezüglichen Verbindlichkeiten garantierte und der Willkür lokaler Einflüsse entzog, stieß die Gesamtlösung für den Aldudes-Konflikt sowohl in der zeitgenössischen Öffentlichkeit als auch im heutigen rechtswissenschaftlichen Schrifttum Spaniens auf beträchtliche Kritik.612 Sie berücksichtigt jedoch nicht hinreichend, dass Frankreich und Spanien ausweislich des 1868 vorgelegten Abschlussberichts der Grenzkommission mit Artikel 15 vorrangig eine praktikable Schlussfolgerung aus dem fortgesetzten Scheitern aller vorausgegangenen Vereinbarungen zogen, indem sie das im damaligen Kontext vitale Angewiesensein des Vallée de Baïgorry auf die Bewirtschaftung der nördlichen Aldudes anerkannten und dafür eine vielleicht undogmatische, aber realitätsgerechte Form fanden.613 Der Vorrang, welchen die Vertragsparteien des 19. Jahrhunderts einer kooperativ-pragmatischen Herangehensweise vor einem intransingenten Souveränitätsdenken einräumten, wurde auch in anderen Bestimmungen des Grenzvertrags von 1856 sichtbar. So standen zum Beispiel alle Wasseroder Landwege sowie Quellen und Brunnen, denen der Verlauf der Grenze folgte oder die von ihm berührt wurden, im gemeinsamen Eigentum beider Länder und konnten von den Grenzbewohnern beider Seiten frei genutzt werden.614 Ebenfalls frei blieben der Schiffsverkehr auf dem Grenzfluss Bidassoa – der allerdings selbst kein Eigentum pro indiviso bildete615 – und der dortige Fischfang, der ausschließlich zur Sicherung des bedrohten Fischbestandes durch eine gemeinsam zu treffende Entscheidung der zuständigen Behörden eingeschränkt werden durfte.616 Mit Blick auf die Weidewirtschaft sah der Grenzvertrag von 1856 analog dazu die Zoll- und Abgabenfreiheit von grenzüberschreitend weidendem Vieh vor,617 während das Zusatzabkommen von 1858 mit Auffangregelungen für die Einsetzung und die Befugnisse von Weidewächtern sowie für die Konfiskation von Vieh als Schadensersatz einen allgemeinen Weidekodex für die Pyrenäen schuf.618 612

So Salcedo Izu, S. 70, der feststellt, dass „la concession faite dans l’article 15 n’a pas d’explication possible et [. . .] on devrait remonter jusqu’au Moyen ffge pour apprécier des antécédents analogues.“ 613 Vgl. Sermet (1968), S. 12. Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. III. 2. c), insbes. zu Fn. 213 f.; dieser Teil, C. I. 3. d), insbes. zu Fn. 403 f. 614 Vgl. Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 12, S. 3. 615 Zu diesem Unterschied gegenüber den von Art. 12 erfassten Fällen vgl. GómezIbáñez, S. 49. 616 Vgl. Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 20 ff., S. 5 f. 617 Vgl. ebd., Art. 17, S. 5. 618 Vgl. Convention additionnelle v. 28.12.1858 (Zusatzabkommen zum 1. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1856), Anhang IV, S. 4 f.

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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In diesen grenzüberschreitenden Rechtskontext fügte sich letztlich auch Artikel 27 des Grenzvertrags von 1856 zur Île des Faisans ein,619 der gerade in seiner Negation des klassischen Souveränitätsdenkens aufschlussreich für die Grundhaltung der Vertragsparteien war: „Article 27. – L’île des Faisans, connue aussi sous le nom d’île de la Conférence, à laquelle se rattachent tant de souvenirs historiques communs aux deux nations, appartiendra, par indivis, à la France et à l’Espagne.“620

Wegen des geringen Umfangs der Île des Faisans handelte es sich zwar um eine eher symbolische Geste, mit der aber ein in Europa vermutlich einzigartiges völkerrechtliches Kondominium entstand,621 in dem die Staatsgewalt entgegen dem ansonsten geltenden Ausschließlichkeitsprinzip von Frankreich und Spanien zunächst gemeinsam beziehungsweise später halbjährlich alternierend ausgeübt wurde.622 b) Der zweite Grenzvertrag von Bayonne vom 14. April 1862 und das Zusatzabkommen vom 27. Februar 1863 Nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Arbeit im Atlantiksektor begann die Grenzkommission unverzüglich mit der Untersuchung des Grenzverlaufs und der grenzbezogenen Streitfälle im Zentralsektor der Pyrenäen zwischen Navarra und den Tälern von Andorra. Mit Ausnahme der Gebiete um das Valle de Arán waren die Konflikte hier zumeist weniger gewichtig, auch weil die lokal überlieferte Grenze im Hochgebirge überwiegend dem Hauptkamm folgte, der zudem fast überall mit der Wasserscheide übereinstimmte.623 Obwohl es sich um das weitaus längste Teilstück der französisch-spanischen Landgrenze handelte,624 konnte der zweite Grenzvertrag von Bayonne deswegen nach verhältnismäßig kurzer Zeit am 14. April 1862 unterzeichnet werden.625 In der Präambel gingen die Vertragsparteien erstmals auch auf die Vorgehensweise der Grenzkommission ein: 619

Hierzu s. auch o., dieser Teil, B. III. 3. c), insbes. zu Fn. 236 f. Traité pour déterminer . . . v. 02.12.1856 (1. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 27, S. 6. 621 Insofern ist die Behauptung unzutreffend, dass seit der andorranischen Verfassungsänderung von 1993 das „Kondominium der Geschichte an[gehört]“; so aber Hobe, Stephan/Kimminich, Otto, Einführung in das Völkerrecht, 8., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl., Tübingen/Basel 2004, S. 101. 622 Vgl. Blumann, S. 27; vgl. auch Descheemaeker, S. 248 ff.; Remacha Tejada, S. 262. 623 Vgl. Sermet (1968), S. 15. 624 Hierzu s. auch o., dieser Teil, A. I. 1., insbes. zu Fn. 9. 625 Vgl. Traité de délimitation, signée à Bayonne, 14.04.1862; zugänglich über das digitale Archiv „Base Pacte“ für geltende internationale Verträge Frankreichs, 620

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

„Lesquels [. . .]; après avoir recueilli, étudié et discuté tous les titres produits de part et d’autre; après avoir entendu les intéressés, et cherché à concilier les droits et prétentions des deux États aussi bien que ceux des sujets respectifs, en conservant autant que possible les us et coutumes suivis depuis des temps plus ou moins reculés, sont convenus des articles suivants: [. . .]“626

Aufgrund der sorgfältigen Beachtung der verfügbaren örtlichen Rechtsquellen und -titel folgte die neue völkerrechtliche Grenzlinie in den Zentralpyrenäen tatsächlich zumeist den historischen Vorgaben, die in den einschlägigen Artikeln des Grenzvertrags von 1862 durch Formulierungen wie „d’après le tracé existant entre les territoires de Borce et d’Ansó“ oder „elle suivra la limite actuelle“ angezeigt wurden.627 Im Fall des nördlich des Pyrenäenhauptkamms in einem Quergebirge gelegenen Valle de Arán und seiner französischen Nachbartäler war dieses Prinzip allerdings nicht anwendbar, weil die Aussagen über den Grenzverlauf erheblich voneinander abwichen und der Grenzkommission laut ihres Abschlussberichts von 1868 die größten Schwierigkeiten bereiteten.628 Letzten Endes konnte man sich zwar auf eine Grenzlinie einigen,629 die jedoch bereits im Zusatzabkommen vom 27. Februar 1863 insofern ergänzt werden musste,630 als der lokal fortgesetzte Streit über die genaue territoriale Reichweite grenzüberschreitender Eigentums- und Nutzungsrechte eine aufwändige internationale Vermessung und Markierung der anliegenden Gebietsflächen erzwang.631 Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.doc.diplomtie.fr/BASIS/ pacte/webtext/bilat/DDD/18620003.pdf, (6 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Traité de délimitation v. 14.04.1862 (2. Grenzvertrag v. Bayonne)]. Für die spanische Textversion vgl. Ministerio de Hacienda, S. 41 ff. (Tratado de Bayona entre España y Francia para fijar los límites en la porción de frontera comprendida entre Navarra y Andorra). 626 Traité de délimitation v. 14.04.1862 (2. Grenzvertrag v. Bayonne), Präambel, S. 2 [hier wie im Folgenden eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.]. 627 Vgl. ebd., Art. 2 f., S. 2. 628 Vgl. Sermet (1968), S. 10 f. 629 Vgl. Traité de délimitation v. 14.04.1862 (2. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 5 f., S. 2. 630 Vgl. Convention additionnelle au traité de délimitation du 14 avril 1862, signée à Bayonne, 27.02.1863; zugänglich über das digitale Archiv „Base Pacte“ für geltende internationale Verträge Frankreichs, Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.doc.diplomtie.fr/BASIS/pacte/webtext/bilat/DDD/18630006. pdf, (13 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Convention additionnelle v. 27.02. 1863 (Zusatzabkommen zum 2. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1862)]. Für die spanische Textversion vgl. Ministerio de Hacienda, S. 47 ff. (Anejos al Tratado de 14 de abril de 1862). 631 Vgl. Convention additionnelle v. 27.02.1863 (Zusatzabkommen zum 2. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1862), Anhang II, S. 10 [hier wie im Folgenden eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.].

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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Dies war eine missliebige, aber letztlich zu erwartende Folge des Auftrags der Grenzkommission, die auch im Fall des Valle de Arán zahlreiche Regelungen aus den alten lies und passeries, sonstigen Übereinkommen oder Urteilssprüchen in den Grenzvertrag von 1862 überführt hatte, wodurch grenzüberschreitende Rechte hier in großer Vielfalt erhalten blieben.632 Unter die völkerrechtlich im Zentralsektor der Pyrenäen übernommenen Vertragsgegenstände fielen beispielsweise in mehrjährigen Abständen alternierende Weidenutzungen,633 Weidegemeinschaften, welche die Nutzung ihres Territoriums öffentlich versteigerten und den Erlös teilten,634 sowie Weidegemeinschaften mit oder ohne zusätzlichem finanziellen Ausgleich.635 Vertraglich garantiert wurden aber auch Beherbergungsrechte von Hirten in einem bestimmten Territorium,636 das Eigentum von Grenzgebietskörperschaften und -bewohnern, das auf der anderen Seite der Grenze lag,637 oder gemeinsam gehaltener und ungeteilter grenzüberschreitender Grundbesitz.638 Das Zusatzabkommen von 1863 führte die entsprechenden Rechte und Pflichten weiter aus,639 während für die vereinbarte Aufgabe einiger lokaler Rechtsansprüche besondere Ablösungszahlungen vorgesehen waren, welche entweder die hierdurch Begünstigten oder die Staatskasse zu leisten hatten.640 Nachdem der Grenzvertrag von 1862 damit den Besonderheiten an der zentralpyrenäischen Grenze eingehend Rechnung getragen hatte, sicherte er in Artikel 23 ff. die Rechtseinheit mit dem ersten Grenzvertrag von Bayonne, indem er dessen allgemeinere Vorschriften übernahm. So verloren insbesondere gemäß Artikel 23 Absatz 1 und 2 alle nicht ausdrücklich in den Vertrag aufgenommenen Rechtstitel oder Ansprüche ihre Gültigkeit, 632 Hier wurden im Ergebnis „à pratiquement tous les villages frontaliers des droits sur les territoires situés de l’autre côté de la frontière“ zugesprochen; so Roigé/Ros/Cots, S. 487. 633 Vgl. Traité de délimitation v. 14.04.1862 (2. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 10 f., S. 3. 634 Vgl. ebd., Art. 14, S. 4; Art. 15 Abs. 2, S. 4. 635 Vgl. ebd., Art. 12, S. 3; Art. 22, S. 5. 636 Vgl. ebd., Art. 13, S. 3. 637 Vgl. ebd., Art. 18, S. 5. Zu Flächen, welche verschiedene Gemeinden des Valle de Arán in Frankreich besaßen, sowie zu den zugehörigen Rechten vgl. auch Convention additionelle v. 27.02.1863 (Zusatzabkommen zum 2. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1862), Anhang II, S. 10 ff. 638 Vgl. Traité de délimitation v. 14.04.1862 (2. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 21, S. 5. 639 Vgl. Convention additionelle v. 27.02.1863 (Zusatzabkommen zum 2. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1862, Anhang II, S. 7 ff. 640 Vgl. Traité de délimitation v. 14.04.1862 (2. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 15 Abs. 5, S. 4; Art. 17, S. 4/5; Art. 20, S. 5.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

ohne dass die Grenzbewohner dadurch das Recht zum Abschluss neuer grenzüberschreitender Abkommen verloren: „Toutefois, les frontaliers conservent la faculté qu’ils ont toujours eue de faire entre eux les contrats de pâturage ou autres qui leur paraîtront utiles à leurs intérêts et à leurs rapports de bon voisinage; mais à l’avenir, l’approbation du Préfet et du Gouverneur civil sera indispensable, et la durée de ces contrats ne pourra pas excéder cinq années.“641

Der einzige Unterschied zu dem als Vorbild dienenden Artikel 14 des Grenzvertrags von 1858 lag hier in der ausdrücklichen Benennung des Präfekten und des Zivilgouverneurs als der staatlichen Amtsträger, deren Zustimmung notwendig gegeben sein musste. Eingang in den Grenzvertrag von 1862 fanden zudem die bereits bekannten Regelungen für die Ernennung von Weidewächtern, die unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit vor den jeweils territorial zuständigen Autoritäten ihren Eid abzulegen hatten,642 ebenso wie die sonstigen allgemeinen Vorschriften zur Aufrechterhaltung des Weidefriedens und zur Abgabenfreiheit von Vieh, das sich berechtigt auf grenzüberschreitenden Wegen oder Weideflächen aufhielt.643 c) Der dritte Grenzvertrag von Bayonne vom 26. Mai 1866 und das Zusatzabkommen vom 11. Juli 1868 Der dritte Grenzvertrag von Bayonne aus dem Jahr 1866,644 der sich auf den Grenzverlauf zwischen Andorra und dem Mittelmeer bezog, schloss die Ziehung der französisch-spanischen Landgrenze im Wesentlichen ab. War man zuvor im Gebiet der Aldudes beziehungsweise des Valle de Arán auf besondere Schwierigkeiten gestoßen, so betrafen diese nun vor allem die Cerdagne und die Exklave Llívia.645 Wie schon im Grenzvertrag von 1862 641

Vgl. ebd., Art. 23 Abs. 3, S. 5. Vgl. ebd., Art. 24, S. 5/6. 643 Vgl. ebd., Art. 25 f., S. 6; Convention additionelle v. 27.02.1863 (Zusatzabkommen zum 2. Grenzvertrag v. Bayonne v. 1862), S. 13. 644 Traité de délimitation, signé à Bayonne, 26.05.1866; zugänglich über das digitale Archiv „Base Pacte“ für geltende internationale Verträge Frankreichs, Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.doc.diplomtie.fr/BASIS/pacte/ webtext/bilat/DDD/18660003.pdf, (5 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Traité de délimitation v. 26.05.1866 (3. Grenzvertrag v. Bayonne)]. Für die spanische Textversion vgl. Ministerio de Hacienda, S. 75 ff. (Tratado de Bayona fijando definitivamente la frontera comffln de España y Francia, así como los derechos, usos y privilegios correspondientes a las poblaciones limítrofes entre la provincia de Gerona y el Departamento de los Pirineos Orientales, desde el Valle de Andorra hasta el Mediterráneo, para completar de mar a mar la obra consignada en los Tratados de Bayona de 2 de diciembre de 1856 y 14 de abril de 1862). 645 Vgl. Roigé/Ros/Cots, S. 487 f. 642

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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verwies die Grenzkommission hier – vermutlich zur Legitimierung ihrer lokal umstrittenen Entscheidungen – nochmals auf die Heranziehung selbst der ältesten verfügbaren Quellen, der Regelungen des Pyrenäenfriedens von 1659/1660 sowie der Ergebnisse einer abschließenden Überprüfung vor Ort: „Lesquels, [. . .], après avoir recherché, expliqué et discuté tous les titres qui ont échappé à l’action destructive du temps, depuis l’origine séculaire des litiges à résoudre; après avoir recueilli le dire des intéressés et exploré les lieux, après s’être appliqués à établir et à concilier, avec toute l’équité possible, les droits et prétentions soutenus de part et d’autre, et prenant pour base l’article 42 corrigé du traité des Pyrénées et la convention de Llivia de 1660 qui en a été la conséquence, sont convenus des articles suivants: [. . .].“646

Tatsächlich befasste sich der Großteil der 16 Vertragsartikel, mit denen die völkerrechtliche Grenzlinie im Mittelmeersektor festgeschrieben wurde, ausschließlich mit der Cerdagne,647 wobei die Grenzkommission bis auf eine Charta Karls des Großen von 812 und weitere Dokumente aus einem Zeitraum von 1395 bis 1754 zurückging.648 Gleichzeitig konzentrierten sich auch die meisten grenzüberschreitenden Rechte im Grenzvertrag von 1866 auf dieses Gebiet. Wie im Atlantik- und im Zentralsektor der Pyrenäen gehörten dazu Wege- und Weideregelungen sowie sonstige Bestimmungen, die mit der Viehwirtschaft zusammenhingen.649 Daneben traten jedoch Sonderklauseln, welche vor allem Llívia in seinem Status als Exklave erhielten und unter Bezugnahme auf das Vorgängerabkommen von 1660 sowohl die dort aufgeführten Personen- und Warenverkehrsfreiheiten als auch das ewige Befestigungsverbot übernahmen.650 Als weiteres Spezifikum, das gleichfalls der komplizierten Teilung der Cerdagne im 17. Jahrhundert geschuldet war, wurde die Existenz grenzüberschreitender Wasserrechte bestätigt, die als Novum wohl überhaupt erstmals Erwähnung in einem modernen völkerrechtlichen Grenzvertrag fanden.651 Zum einen ging es dabei um einen Kanal, der das spanische Puigcerdà schon seit dem Mittelalter mit Wasser versorgte und samt seinen Ufern im Privateigentum dieses Ortes verblieb,652 obwohl er fast aus646 Traité de délimitation v. 26.05.1866 (3. Grenzvertrag v. Bayonne), Präambel, S. 1 [hier wie im Folgenden eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.]. 647 Vgl. ebd., Art. 2–12, S. 1 f. 648 Vgl. Sermet (1968), S. 16. 649 Vgl. Traité de délimitation v. 26.05.1866 (3. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 18 f., S. 3; Art. 23–26, S. 3 f.; Art. 28, S. 4; Art. 30, S. 5. 650 Vgl. ebd., Art. 21 f., S. 3. Hierzu s. auch o., dieser Teil, C. I. 1. c). 651 Vgl. Sahlins (1989), S. 256, m. w. N. Zu wasserbezogenen Problemen und Regelungen in späteren Grenzverträgen vgl. auch Jones, S. 33 ff., S. 108 ff. 652 Dabei handelt es sich auf beiden Seiten des Kanals um einen Gebietsstreifen von je 6,5 Metern; vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 174.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

schließlich über französisches Territorium führte.653 Die Einzelheiten der Wasserverteilung sollten durch eine Commission internationale d’Ingénieurs geregelt werden, ähnlich wie im Fall des französischen Kanals von Angoustrine, der die Exklave Llívia mitbediente: „Article 27. – Auront droit d’arrosage avec les eaux du canal d’Angoustrine, tant les habitants de la commune de ce nom que ceux de Llivia. Les Français les prendront chaque semaine, à partir du dimanche au lever du soleil jusqu’au mercredi au coucher du soleil, et les Espagnols depuis ce moment jusqu’au dimanche suivant au lever du soleil. L’établissement des règles pour le régime de ces arrosages et pour la police du canal sera confié à la Commission internationale d’Ingénieurs qui sera nommé pour régulariser l’usage des eaux sur la frontière.“654

Ein darauf bezogenes Zusatzabkommen vom 11. Juli 1868 sah für die beiden Kanäle zwei paritätische Verwaltungskommissionen vor, die als ständige Aufsichtsorgane vor Ort fungieren sollten.655 Während die Angoustrine-Llívia-Kommission nach der Einrichtung eines aufwendigen Zuflusskontrollsystems ab 1910 nicht mehr zusammentrat,656 kann die sechsköpfige Commission administrative internationale du canal de Puycerda [sic] für sich in Anspruch nehmen, die älteste noch arbeitende grenzüberschreitende Einrichtung im Pyrenäenraum zu sein.657 Außerhalb der Cerdagne waren solche ortsspezifischen Regelungen kaum vonnöten, weil grenzüberschreitende Rechte auf der kurzen Reststrecke bis zum Mittelmeer eine eher seltene Ausnahme bildeten.658 Der Grenzvertrag von 1866 konnte sich daher weitgehend auf die Übernahme der aus den ersten beiden Teilverträgen bekannten Klausel beschränken, nach der den Grenzbewohnern auch im Mittelmeersektor der behördlich genehmigte Abschluss von grenzüberschreitenden Abkommen mit einer Dauer bis zu fünf Jahren offen stand.659 653 Vgl. Traité de délimitation v. 26.05.1866 (3. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 20, S. 3. 654 Ebd., Art. 27, S. 4. 655 Vgl. Disposiciones adicionales al Tratado de límites entre España y Francia de 2 de diciembre de 1856, 11.07.1868, in: Ministerio de Hacienda, S. 89 ff. (Anhänge VII u. VIII, S. 129 ff.). Da die in der „Base Pacte“ zugängliche französische Version dieses Abkommens unvollständig ist, musste auf den spanischen Text zurückgegriffen werden, der entgegen seiner irreführenden Bezeichnung vor allem Regelungen zum dritten Grenzvertrag von Bayonne von 1866 enthält [Anm. d. Verf.]. Zu den Inhalten dieses manchmal als „Acte final de délimitation“ bezeichneten Abkommens vgl. auch Sermet (1968), S. 17. 656 Vgl. dazu detailliert Smets, insbes. S. 316 f. 657 Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 173 f. 658 Vgl. Roigé/Ros/Cots, S. 487 f. Zu den Vorschriften über den französischen Anteil am Gebiet von Coustouges und der Zuordnung der nördlich des Hauptkammes gelegenen Eremitage von Salinas zu Spanien vgl. Sermet (1968), S. 16 f.

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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d) Die Allgemeine Zusatzakte vom 26. Mai 1866 Am selben Tag, an dem sie den dritten Grenzvertrag von Bayonne unterzeichnete, verabschiedete die Grenzkommission die sogenannte Allgemeine Zusatzakte, welche durch die – zum Teil nochmalige – Ausführung der überall an der Pyrenäengrenze gleichermaßen geltenden Bestimmungen die Rechtseinheit zwischen den einzelnen Teilverträgen von Bayonne bekräftigen sollte.660 Sie regelte unter anderem die Erhaltung der internationalen Grenzmarkierungen im Rahmen gemeinsamer jährlicher Begehungen,661 listete die Grundprinzipien der grenzüberschreitenden Viehund Weideordnungen auf662 und legte fest, dass durch die Grenze geteiltes Grundeigentum zwar den jeweiligen nationalen Gesetzen unterfiel, aber von den Berechtigten ansonsten frei betreten und bewirtschaftet werden durfte.663 Besondere Sorgfalt verwandte die Allgemeine Zusatzakte auf die Ausgestaltung eines pyrenäenweiten Régime de jouissance des eaux d’un usage commun entre les deux pays,664 welches die Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten von Ober- und Unterliegern an grenzüberschreitenden Wasserläufen so detailliert aufführte, dass ein Internationales Schiedsgericht in den 1950er Jahren zu dem Ergebnis kam, „[. . .] que peu de cours d’eau sont soumis à des règles aussi minutieuses que ceux des Pyrénées, afin d’éviter précisement les difficultés inhérentes au régime d’indivision.“665 Die Commission mixte de délimitation des Pyrénées sah damit – bis auf das noch ausstehende Zusatzabkommen von 1868 für den dritten Grenzver659

Vgl. Traité de délimitation v. 26.05.1866 (3. Grenzvertrag v. Bayonne), Art. 29 Abs. 3, S. 5. Zur Übernahme der allgemeinen Weidebestimmungen vgl. ebd., Art. 30, S. 5. 660 Acte Additionnel aux Traités de délimitation conclus les 2 décembre 1856 (1), 14 avril 1862 (2) et 26 mai 1866 (3), signé à Bayonne, 26.05.1866; zugänglich über das digitale Archiv „Base Pacte“ für geltende internationale Verträge Frankreichs, Ministère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.doc.diplomtie.fr/ BASIS/pacte/webtext/bilat/DDD/18660004.pdf, (5 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Acte Additionnel v. 26.05.1866 (Allg. Zusatzakte z. d. Grenzverträgen von Bayonne)]. Für die spanische Textversion vgl. Ministerio de Hacienda, S. 83 ff. (Acta Adicional). 661 Vgl. Acte Additionnel v. 26.05.1866 (Allg. Zusatzakte z. d. Grenzverträgen v. Bayonne), Art. 1–3, S. 2 [hier wie im Folgenden eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.]. 662 Vgl. ebd., Art. 4–6, S. 2. 663 Vgl. ebd., Art. 7, S. 3. 664 Vgl. ebd., Art. 8–18, S. 3 f. [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. 665 Duléry, Françoise, L’affaire du Lac Lanoux, in: Révue Générale de Droit International Public, 1958, S. 469 ff. (S. 500, m. w. N.).

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

trag666 – ihre Aufgabe als erfüllt an, da seit 1853 nicht nur die Landgrenze zwischen Frankreich und Spanien auf ganzer Länge delimitiert und größtenteils schon demarkiert worden war, sondern auch die dortige grenzüberschreitende Zusammenarbeit einen völkerrechtlichen Rahmen gefunden hatte. Indem sie den lokalen Diversitäten ebenso wie den sektorübergreifenden Erfordernissen im Pyrenäenraum gerecht zu werden suchten und das traditionelle Recht teils inkorporierten und teils außer Kraft setzen, substituierten die Grenzverträge von Bayonne und ihre Zusatzabkommen alle früheren Bestimmungen und begründeten eine bis heute gültige Rechtsordnung.667 Dass dieses System von Anfang an nicht als statisch gedacht war, zeigten insbesondere die den Grenzbewohnern eingeräumten Möglichkeiten, auch zukünftig staatlich kontrollierte und zeitlich begrenzte, aber gegenständlich nicht beschränkte grenzüberschreitende Abkommen abzuschließen.668 Nachdem die Demarkierung der Grenze im Mittelmeersektor abgeschlossen war, löste sich die Commission mixte de délimitation des Pyrénées daher mit der Deponierung ihres Abschlussberichts vom 5. August 1868 in der Überzeugung auf, dass dank ihrer fünfzehnjährigen Bemühungen die französisch-spanischen Grenzkonflikte dauerhaft der Vergangenheit angehörten:669 „« C’est maintenant aux autorités locales et aux populations elles-mêmes à bien comprendre et à exécuter loyalement tous les arrangements convenus. Chacun connaît son droit et le mode de le pratiquer, il n’y a plus ni motif ni prétexte à discussion; l’intérêt commun est de vivre en bons voisins, et d’entrer franchement dans la voie de paix et de concorde ouverte par les dispositions internationales qui forment comme un code frontalier des Pyrénées et qui ont pour but une conciliation des droits et une satisfaction équitable des besoins réciproques. »“670

III. Die Entstehung der Commission Internationale des Pyrénées 1875/1887 Abgesehen von der generellen Fragwürdigkeit von Annahmen, die ein Ende geschichtlicher Entwicklungen verkünden,671 konnte sich die Erwar666

Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, II. 2. c), insbes. zu Fn. 655. Vgl. Sermet (1968), S. 18. 668 Vgl. Fairén, S. 19. 669 Vgl. Poumarède, S. 72 f.; vgl. auch Sermet (1976), S. 24. 670 Rapport officiel sur la délimitation de la frontière des Pyrénées, adressé le 5 août 1868 au Ministre des Affaires Étrangères, par le général Callier, commissaire français; zitiert bei Fernández de Casadevante Romani, Carlos, La violación de obligaciones internacionales de los tratados de límites en la jurisprudencia administrativa francesa, in: Revista española de derecho internacional, 1993, S. 535 ff. (S. 538). 667

D. Der Pyrenäenraum zwischen 1789 und 1875/1887

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tung eines immerwährenden Grenzfriedens im Pyrenäenraum schon deswegen nicht erfüllen, weil die Grenzverträge von Bayonne zum einen zwar die Land-, aber nicht die Meeresgrenze zwischen den beiden Ländern bestimmt hatten. Bei einer näheren Überprüfung nach 1868 stellte sich heraus, dass die Anwendung der damals international gültigen Drei-Meilen-Regelung wegen der besonderen Form der Bucht von Figuier zumindest an der Atlantikküste zu einer Überschneidung der Territorialgewässer führen musste. Zum anderen hatte die Commission mixte de délimitation des Pyrénées zu sehr darauf vertraut, dass die Genauigkeit der Grenzverträge von Bayonne deren reibungslose Anwendung durch die betroffenen Grenzbewohner, die staatlichen Behörden und notfalls durch die nationalen Gerichte ermöglichen würde. Die Einrichtung einer zwischenstaatlichen Institution, welche nach der Auflösung der Kommission grenzüberschreitende Streitfälle unterhalb der diplomatischen Ebene hätte behandeln können, war hingegen offenbar für überflüssig gehalten worden. Beide Versäumnisse wurden im Jahr 1872 gleichzeitig erkennbar, als spanische Zöllner das französische Schiff Saint Pierre bei zwei Anlässen in der Bucht von Figuier sowie auf dem Fluss Bidassoa wegen des Verdachts auf Grenzschmuggel durchsuchten und später angeblich beschossen. Ob es sich dabei um eine ungerechtfertigte Verletzung der im Grenzvertrag von 1853 garantierten Freiheit des Schiffsverkehrs auf dem Bidassoa handelte,672 ließ sich von den entfernten Hauptstädten aus nicht zufriedenstellend aufklären, so dass Frankreich und Spanien im Dezember 1872 die Einsetzung einer ad hoc-Untersuchungskommission beschlossen, um die gegenseitigen Beziehungen nicht weiter zu belasten. Der Ausbruch des dritten Karlistenkriegs in Spanien verhinderte jedoch zunächst die Umsetzung des Vorhabens, das erst 1875 wieder aufgriffen werden konnte, nachdem sich im Vorjahr an der selben Stelle nochmals ein vergleichbarer Zwischenfall mit dem Schiff La Gracieuse ereignet hatte.673 1. Die Internationale Grenzkommission für den Bidassoa von 1875 als Vorläuferorganisation Vor diesem Hintergrund schlug Frankreich in einer diplomatischen Note vom 30. Mai 1875 die Bildung einer paritätischen Kommission aus Staats671

Zum wohl bekanntesten Beispiel aus jüngerer Zeit – der These vom endgültigen Sieg der Demokratie – vgl. Fukuyama, Francis, Das Ende der Geschichte: Wo stehen wir?, München 1992, insbes. S. 383 ff. 672 Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, II. 2. a), insbes. zu Fn. 615 f. 673 Zu den Einzelheiten vgl. Fernández de Casadevante Romani (1985), S. 322 f.; Poumarède, S. 73 ff.; Sermet (1976), S. 26 f.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

beamten vor, die direkt an der Atlantikküste zusammentreffen sollten, um eine unabhängige Untersuchung zu gewährleisten. Beabsichtigt war damit vor allem eine Entlastung der Regierungsgeschäfte von politisch nachrangigen, aber aus der Distanz nur schwer aufzulösenden Grenzproblemen: „[La Commission mixte] permettrait de dégager les rapports directs et quotidiens des deux gouvernements des soins inhérents à la discussion plus ou moins animée de questions secondaires qui reposent sur des points de fait fort difficile à vérifier à distance, et il est facile de comprendre d’ailleurs qu’une réunion de fonctionnaires des deux pays procédant sur les lieux à un examen contradictoire de ces litiges, aurait facilement raison des contestations les plus délicates tout en offrant des garanties d’impartialité et de diligence qu’aucun autre mode d’arrangement ne saurait présenter au même degré.“674

Indem Spanien in einer Antwortnote vom 19. Juli 1875 sein Einverständnis bekundete, gründeten beide Länder die einstweilen nach ihrem originären Zuständigkeitsgebiet benannte Internationale Grenzkommission für den Bidassoa,675 wobei der Notentausch von 1875 zugleich als der rechtliche Ursprung der späteren Commission Internationale des Pyrénées gilt.676 Auf Wunsch der spanischen Seite umfasste das Mandat auch die Ausarbeitung von Vorschlägen zur Eindämmung des Grenzschmuggels,677 ohne dass die Regierungen damit jedoch eine Übertragung von Entscheidungsbefugnissen verbanden, wie sich den Anweisungen der französischen Delegation entnehmen ließ: „« C’est une simple commission d’enquête, chargée de vérifier l’exactitude de certains faits, qui ont donnée lieu à des difficultés entre les deux cabinets [. . .]. La discussion de principes, qui ne sont pas en cause, doit être évitée, et la Commission devrait se borner à mettre les faits en lumière. »“678

Dessen ungeachtet beschränkte sich die Kommission nicht nur auf die Untersuchung der zurückliegenden Zusammenstöße an der Flussgrenze des Bidassoa, sondern arbeitete einen eigenen Vorschlag zur komplizierten Festlegung der Meeresgrenze in der Bucht von Figuier aus, den die Regierungen tatsächlich akzeptierten und im März 1879 als zwischenstaatliches Abkommen umsetzten.679 Das Ergebnis war eine Dreiteilung der Bucht in die 674 Canje de notas de 30 de mayo de 1875 por el que Francia propone a España la creación de una Comisión Mixta encargada de resolver las cuestiones nacidas de la organización de los servicios aduaneros y de interpretación del Tratado de Límites, in: Ministerio de Hacienda, S. 135 f. (S. 135/136). 675 Zu dieser Benennung, die sich aus der spanischen Version einer diplomatischen Note ergibt, vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 156 [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 676 Vgl. Remacha Tejada, S. 259; Sermet (1976), S. 26. 677 Vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 136. 678 Zitiert bei Sermet (1976), S. 28 [Hervorhebung im Original; Anm. d. Verf.]. 679 Vgl. Déclaration concernant la délimitation des territoires respectifs dans les eaux de la baie du Figuier; signée à Bayonne, le 30 mars 1879, in: Nouveau Recueil

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jeweiligen Territorialgewässer sowie in eine dazwischen liegende zone des eaux communes, welche die Mündung des Bidassoa einschloß und unter die gemeinsame Souveränität beider Staaten fiel.680 Während eine solche Regelung im internationalen Seerecht ungewöhnlich oder sogar einzigartig war,681 konnte sie sich an der Pyrenäengrenze jedenfalls auf den ähnlich gelagerten Fall des 1856 geschaffenen Kondominiums der unmittelbar benachbarten Île des Faisans berufen.682 Dieser Erfolg wurde allerdings durch das Unvermögen der Kommission getrübt, eine Annäherung zwischen der liberaleren Position des wirtschaftsstarken Frankreichs und dem protektionistischen Schutzinteresse Spaniens zu erreichen, um gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung des Grenzschmuggels zu ermöglichen. Insofern stand ihrer Auflösung zu Beginn der 1880er Jahre eigentlich nichts mehr im Weg,683 als die durch jahrelangen Raubbau ausgelösten Fischereikonflikte auf dem Bidassoa unerwartet eskalierten und in der Folgezeit als „petite guerre du saumon“ überregionale Bekanntheit erlangten. Die Außenministerien verlängerten und erweiterten daraufhin das Mandat der Kommission, die mittels systematischer Anhörungen in den Flussgemeinden und der Aufforderung an die Gemeindevertreter, gemeinsame Berichte und Lösungsvorschläg einzureichen, ein Fischereiabkommen abstimmte, das im Februar 1886 unterzeichnet wurde.684 Obwohl die Fischfangproblematik auch in den kommenden Jahrzehnten virulent blieb,685 hatte die Kommission damit aus Sicht der Regierungen ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, praktikable Lösungen für komplexe grenzüberschreitende Sachverhalte anzubieten. Zu ihren Gunsten wirkte sich überdies der Eingang von Berichten über Auseinandersetzungen an anderen Stellen der Pyrenäengrenze aus, die – wie etwa im Fall fortgesetzter Général de Traités et autres actes relatifs aux rapports de droit international, Continuation du Grand Recueil de G. Fr. de Martens, hrsg. v. Samwer, Charles/Hopf, Jules, 2. Serie, Bd. IV, Göttingen 1879, S. 364 ff. 680 Vgl. ebd., Art. 1, 8, 9, S. 364 f. Zur Festlegung der Meeresgrenze vgl. auch Jeannel, Roger, Les procédés de délimitation de la frontière maritime, in: Société Française pour le Droit International (Hrsg.), La frontière, Paris 1980, S. 34 ff. (insbes. S. 36). 681 Vgl. Poumarède, S. 77; Sermet (1968), S. 20. 682 Hierzu s. auch o., dieser Teil, dieser Abschnitt, II. 2. a), insbes. zu Fn. 620. 683 Vgl. Poumarède, S. 77 ff. 684 Vgl. Convention relative à l’exercice de la pêche dans la Bidassoa; signée à Bayonne le 18 février 1886, in: Nouveau Recueil Général de Traités et autres actes relatifs aux rapports de droit international, Continuation du Grand Recueil de G. Fr. de Martens, hrsg. v. Stoerk, Felix, 2. Serie, Bd. XII, Göttingen 1887, S. 687 ff. 685 Der Fischfang im Bidassoa stellte bis in die 1920er Jahre einen Schwerpunkt der Kommissionsaktivitäten dar; vgl. Sermet (1968), S. 20 f.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Wasserstreitigkeiten im Umfeld der Exklave Llívia686 – ernsthafte Zweifel an der Einhaltung der Grenzverträge von Bayonne aufkommen ließen.687 2. Die Weiterentwicklung zur Commission Internationale des Pyrénées von 1887 Angesichts der beunruhigenden Nachrichten aus dem Grenzraum hatte Frankreich schon in einem Memorandum vom 2. Juli 1885 gegenüber dem spanischen Außenministerium angeregt, das Aufgabenspektrum der Internationalen Grenzkommission für den Bidassoa sowohl inhaltlich als auch räumlich zu entgrenzen und sie zu einer ständigen „« commission d’étude pour toutes les questions de la frontière d’une mer à l’autre »“688 aufzuwerten. Nach anfänglichen Bedenken forcierten im Lauf des Jahres 1886 insbesondere die akuten Probleme im Gebiet von Llívia eine spanische Zustimmung,689 so dass 1887 durch einen umfangreichen Notentausch die Befugnisse der seither so bezeichneten Commission Internationale des Pyrénées entsprechend erweitert werden konnten.690 Damit entstand eine typische Regierungskommission, wie sie auch später immer wieder zur Durchführung und Ausfüllung bestehender Grenzverträge in ganz Europa eingerichtet wurden.691 Ihr ständiger Sitz war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die grenznahe Stadt Bayonne,692 wobei alle Mitglieder – mit Ausnahme der Delegationsleiter und der Sekretäre aus den diplomatischen Corps – aus Effizienzsowie aus Kostengründen zugleich führende Positionen in den staatlichen Verwaltungen vor Ort innehatten.693 Da die Funktionsträger aufgrund regelmäßiger Versetzungen selten länger als zwei Jahre im Amt blieben, standen 686 Zum zwischenstaatlich abgesicherten Wasserregime in der Cerdagne s. auch o., dieser Teil, dieser Abschnitt, II. 2. c), insbes. zu Fn. 651 ff. 687 Vgl. Poumarède, S. 80; vgl. auch Sermet (1976), S. 29 f. 688 Zitiert bei Sermet (1976), S. 29. 689 Zu diesem Prozess vgl. Poumarède, S. 81 f. 690 Für eine spanische Übersetzung der im französischen Original wohl unveröffentlichten diplomatischen Noten vom 16. März sowie vom 7. und 12. April 1887 vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 156 ff. 691 Zu Aufgaben und Organisation solcher Grenzkommissionen vgl. schon Andrassy, S. 138 ff.; Kiss, S. 220 ff. 692 Zu Bayonne als ursprünglichem Sitzungsort, an dem auch Vertreter der Grenzbevölkerungen angehört wurden, vgl. z. B. Cavaillès, Une fédération pyrénéenne (II), S. 273; Descheemaeker, S. 243. 693 Neben den Bevollmächtigten der Regierungen im Rang eines Ministre plénipotentiaire und den zwei Sekretären, die den diplomatischen Corps der beiden Länder angehörten, entsandte Frankreich den Unterpräfekten von Bayonne für das Innenministerium, den Direktor der Zollverwaltung für das Finanzministerium und den Befehlshaber des örtlichen Marinekommandos für das Marineministerium. Spanien ernannte mit einem Vertreter der Zivilverwaltung der Provinz Guipfflzcoa, dem

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personelle Verkrustungen nicht zu befürchten,694 wohingegen mögliche Interessenkonflikte durch die prinzipielle Nichtberufung lokaler Notablen oder gewählter Repräsentanten aus den Grenzgebieten ausgeschlossen werden sollten.695 Soweit dafür eine Ermächtigung oder eine Zuweisung der Regierungen vorlag, erstreckten sich die Zuständigkeiten der Commission Internationale des Pyrénées nach 1887 unterschiedslos auf alle Angelegenheiten der Grenze und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im französisch-spanischen Grenzraum, einschließlich der Meereszonen.696 Grundsätzlich fiel in ihren Aufgabenbereich vor allem die Auslegung der Grenzverträge von Bayonne, die Behandlung noch offener Grenzfragen sowie die Empfehlung von Maßnahmen zur Abhilfe, die aber erst Rechtsgültigkeit erlangten, wenn sie von den Regierungen bestätigt worden waren.697 Indem die Kommission zunächst ausführliche eigene Untersuchungen anstellte, alle Betroffenen anhörte und notfalls Instruktionen höherer Stellen einholte,698 bevor sie einen gemeinsam abgestimmten Bericht vorlegte, stießen ihre Vorschläge auf der Regierungsebene allerdings nur selten auf Ablehnung.699 Dazu trug auch bei, dass die vorherige Einbeziehung der Grenzbewohner und der direkte Kontakt zu ihnen die Wahrscheinlichkeit einer späteren Beachtung von einmal gefassten Beschlüssen erhöhte, wodurch die Commission Internationale des Pyrénées wiederum ihren spezifischen Nutzen im Gesamtgefüge der französisch-spanischen Beziehungen dokumentieren konnte: „Sa capacité d’écoute des populations frontalières, dans le respect des usages locaux, a facilité certainement le règlement des conflits dont elle a été appelée à connaître, et du même coup consolidé son inscription durable dans le paysage des relations diplomatiques entre la France et l’Espagne.“700

Es wäre daher zweifellos verfehlt, diese auf Dauer angelegte und inzwischen älteste noch bestehende Institution ihrer Art701 in einer einfachen InDirektor der Zollverwaltung von San Sebastián und dem Kommandanten des Grenzwachschiffs die Inhaber analoger Positionen; vgl. Poumarède, S. 84 f. 694 Vgl. ebd., S. 85. 695 Vgl. Sermet (1976), S. 38. 696 Vgl. z. B. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 156 ff., m. w. N. 697 Vgl. Remacha Tejada, S. 259. 698 Zu diesem letzten Aspekt vgl. insbes. Poumarède, S. 90. 699 Vgl. Sermet (1976), S. 32 f. 700 Poumarède, S. 84. 701 Vgl. z. B. Boisséson, Robert de, Le centenaire de la Commission Internationale des Pyrénées (I): Allocution, in: Revue d’histoire diplomatique, 1976 (janvier–juin), S. 5 ff. (S. 6); Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 154; Poumarède, S. 71. Dass die Kommission auch im 21. Jahrhundert noch besteht, lässt sich einem Bericht für die französische Regierung aus dem Jahr 2005 entnehmen; vgl. Lamassoure, Alain, Les relations transfrontalières des collectivités locales françaises, Rapport

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terpretation ihres ursprünglichen Auftrags als reine Studien- oder Untersuchungskommission zu interpretieren. Vielmehr handelt es sich seit 1887 um einen der Regierungsebene zuarbeitenden zwischenstaatlichen Organismus, der in der Praxis „mit weitgehenden konsultativen und gelegentlich normsetzenden Befugnissen ausgestattet ist, welche durch den gegenseitigen Konsens bestätigt werden.“702 3. Exkurs: Die Commission Internationale des Pyrénées und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Spanien nach 1887 Mit den Grenzverträgen von Bayonne und der Gründung der Commission Internationale des Pyrénées, die bis heute rechtsgültig respektive existent sind, ist der gegenwartsbezogene terminus ad quem der vorliegenden Untersuchung zur Grenze und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im historischen Kontext erreicht.703 Seit diesem Zeitpunkt erforderte die einmal delimitierte und demarkierte Grenzlinie im Wesentlichen nur noch die Kontrolle und Instandhaltung der Grenzmarkierungen sowie einige minimale Neuberechnungen etwa beim Bau von Grenzbrücken oder -tunneln.704 Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die ungleich stärker den folgenden Wechselfällen der französisch-spanischen Beziehungen ausgesetzt war, rechtfertigen die aufgeworfenen Forschungsfragen jedoch einen Exkurs zur weiteren Entwicklung nach 1887 und zur diesbezüglichen Rolle des Staates, um entsprechende Kontinuitäten zu verdeutlichen.705 Tatsächlich blieb die zentrale Stellung der Commission Internationale des Pyrénées für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Spanien bis mindestens Mitte der 1990er Jahre erhalten.706 Ihr realer Einfluss ließ sich allerdings von außen oft nur schwer erkennen, weil die Kommission bis heute ausschließlich nichtöffentlich tagt und weder ihre Protokolle noch ihre Beschlüsse publik macht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit établi à la demande de Michel Barnier, Ministre des Affaires Étrangères/Claudie Haigneré, Ministre déléguée aux Affaires Européennes o. O. [Paris], Mai 2005, S. 15. 702 So Remacha Tejada, S. 259 [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 703 Hierzu s. o., nach der Überschrift zu Teil 2. 704 Zur zentimetergenauen Bestimmung des Grenzverlaufs etwa im Eisenbahntunnel von Somport vgl. Convention relative à la délimitation de la frontière franco-espagnole à l’intérieur du tunnel du Somport; signée à Paris, le 12 juin 1928, in: Nouveau Recueil Général de Traités, hrsg. v. Triepel, Heinrich, 3. Serie, Bd. XXXI, Leipzig 1936, S. 536 f. 705 Hierzu s. auch o., Teil 1, C. I. 1. 706 Bis zu diesem Zeitpunkt wurde sie auch von eher kritisch eingestellten Beobachtern als die wichtigste Einrichtung für die französisch-spanische Grenze bezeichnet; vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 30; ebd. (1994), S. 16.

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können demzufolge meist nur indirekt über später verabschiedete Abkommen zur Grenze und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nachvollzogen werden.707 Mit Hilfe dieses Indikators, der Berichte des langjährigen Kommissionsmitglieds Jean Sermet sowie der wissenschaftlichen Arbeiten von Carlos Fernández de Casadevante Romani und Jacques Poumarède ist es aber dennoch möglich, nach 1887 zwei bedeutende Tätigkeitsphasen zu unterscheiden. a) Die Commission Internationale des Pyrénées zwischen 1887 und 1914 Nach 1887 entwickelte die Commission Internationale des Pyrénées eine Vielzahl von Aktivitäten, die sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 in einer ganzen Reihe von zwischenstaatlichen Übereinkommen niederschlugen, wobei im Bereich der traditionellen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit etwa Fragen der Fischerei, der Verkehrswege und der Viehund Weidewirtschaft verwaltungsmäßig geregelt wurden.708 Dabei herrschte staatlicherseits das Bestreben vor, die lokalen grenzüberschreitenden Beziehungen durch eine effektive administrative Kontrolle spannungsfrei zu halten und auf einer freiwilligen Basis möglichst zu vereinheitlichen, ohne die bestehenden Rechte der Grenzbewohner einzuschränken.709 Mit dieser pragmatischen Interpretation der Verträge von Bayonne gelang es der Kommission auch, die in ihnen verkörperten kooperativen Grundprinzipien eines rechtlich geregelten Zusammenlebens an der Grenze gegen nationalistisch aufgeladene Kampagnen im ausgehenden 19. Jahrhundert zu verteidigen und in ihrer Essenz ungeschmälert zu erhalten.710 707

Vgl. ebd. (1985), S. 332 f. Vgl. dazu ausführlich Sermet (1976), S. 34 ff., m. w. N. 709 So musste grenzüberschreitend weidendes Vieh zwar mit Zollfreigabevermerken versehen sein, die aber in Übereinstimmung mit den Grenzverträgen von Bayonne kostenfrei ausgestellt wurden; vgl. Accord relatif à l’interprétation des Traités de délimitation; fait le 4 mai 1899, avec protocole additionnel du 28 août 1899, in: Nouveau Recueil Général de Traités, hrsg. v. Stoerk, Felix, 2. Serie, Bd. XXX, Leipzig 1903, S. 268 f. Eine freiwillige Vereinheitlichung der fünfjährigen Weideabkommen nach den Grenzverträgen von Bayonne versuchte die Kommission zu erreichen, indem sie den Grenzgemeinden ein entsprechendes Modellformular zur Verfügung stellte. Dieses ist abgedruckt bei Fairén, S. 372 ff. (Apéndice II: Modelo de contrato de facería recomendado a los fronterizos por la Comisión de los Pirineos). 710 Zur Krise der 1890er Jahre, die sich nur vordergründig gegen das „cérémonial séculaire humiliant pour la France“ – so Sermet (1976), S. 35 – im Rahmen der facérie perpétuelle Barétous/Roncal richtete, sowie zum erfolgreichen Kompromißvorschlag der Kommission aus dem Jahr 1898 vgl. insbes. Papy, S. 211 ff. Zur Vorgeschichte der facérie perpétuelle und des „Vertrags der drei Kühe“ s. auch o., die708

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Darüber hinaus konnte sich die Commission Internationale des Pyrénées um die Jahrhundertwende durch verschiedene Abkommen profilieren, mit denen eine Übereinkunft in den bekanntermaßen sensiblen Feldern der grenzüberschreitenden Bekämpfung des Schmuggels sowie der Kontrolle des Grenzübertritts von Personen, Fahrzeugen und Tieren erzielt wurde.711 Die Aufnahme von Vertretern der Kriegsministerien und der Ministerien für Landwirtschaft beziehungsweise für das öffentliche Bauwesen zeigte zudem noch vor 1914 eine weitere inhaltliche Diversifizierung der Kommissionstätigkeiten an.712 b) Die Commission Internationale des Pyrénées von der Zwischenkriegszeit bis in die Gegenwart Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es – soweit bekannt713 – zu einer Sitzungsunterbrechung, und auch aus der Folgezeit sind lediglich drei Treffen für die Jahre 1921, 1927 und 1934 gesichert belegt,714 bevor der spanische Bürgerkrieg von 1936–1939 und der Zweite Weltkrieg die offizielle grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern vorerst wieder beendeten. Doch obwohl Spanien in den 1940er Jahren die Pyrenäengrenze militärisch massiv sicherte, um Invasoren abzuschrecken,715 und das befreite Frankreich zwischen dem 1. März 1946 und dem 11. Januar 1948 seine Grenzübergänge mit der Absicht schloss, das diktatorische Franco-Regime im Nachkriegseuropa zu isolieren,716 lässt sich selbst für diese Zeit noch ein Hinweis auf eine lokale Verwaltungskooperation an der ser Teil, B. III. 1. b), insbes. zu Fn. 169 f.; dieser Teil, dieser Abschnitt, II. 2. a), insbes. zu Fn. 604 ff. 711 Zur grenzüberschreitenden Bekämpfung des Schmuggels vgl. z. B. Arrangement pour assurer la répression de la contrebande dans la Bidassoa, signé à Bayonne le 10 mai 1890, in: Nouveau Recueil Général de Traités, hrsg. v. Stoerk, Felix, 2. Serie, Bd. XVIII, Göttingen 1893, S. 72 ff.; Ministerio de Hacienda, S. 153 f. (Acuerdo relativo a la represión del contrabando entre España y Francia, 27.10.1904). Zur Regelung des Grenzübertritts vgl. z. B. Ministerio de Hacienda, S. 143 (Acuerdo de Bayona relativo al establecimiento de pases gratuitos para los fronterizos que lleven a pastar sus ganados de uno a otro lado de los Pirineos, 04.05.1899); ebd., S. 145 f. (Convenio aduanero de Bayona entre España y la Repfflblica Francesa para reglamentar las condiciones en que los naturales de ambos países pueden trasladarse al territorio vecino con carruajes y caballerías, 13.06.1903). 712 Vgl. Poumarède, S. 91. 713 Zur schwierigen Quellenlage und zu Archivlücken durch Kriegsverluste etc. vgl. Sermet (1976), S. 18 f. 714 Vgl. z. B. Poumarède, S. 91. 715 Vgl. dazu Clffla Méndez, José Manuel, Cuando Franco fortificó los Pirineos: La Línea P en Aragón, Zaragoza 2004, S. 9 ff. 716 Vgl. dazu Miralles/Aubert, S. 87 ff., S. 96 ff.

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Atlantikküste finden, deren Ergebnisse von den Staaten im Jahr 1964 nachträglich ratifiziert wurden.717 Zudem waren auch im Fall der französischen Grenzsperrung von 1946–1948 noch humanitäre Ausnahmetatbestände vorgesehen, die der spanischen Grenzbevölkerung im Notfall den Grenzübertritt gestatteten.718 Obgleich die diplomatischen Beziehungen offiziell bis 1951 ausgesetzt blieben, erfolgte die langsame Wiederannäherung zwischen den beiden politischen Systemen nicht zuletzt über die Commission Internationale des Pyrénées, die bereits 1949 wieder zusammentrat.719 Sie leitete die zweite Phase einer intensiven grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nach 1887 ein, in der die Kommission parallel zur Ausdifferenzierung der Aktivitäten des modernen Verwaltungsstaats spezialisierte Kooperationsstrukturen aufbaute. Über entsprechende Unterkommissionen, Technische Komitees und Arbeitsgruppen verständigten sich das demokratische Frankreich der IV. und der V. Republik und das franquistische Spanien sukzessive über grenzüberschreitende Aspekte der Energiegewinnung und der Infrastruktur (seit 1949), der Katastrophenhilfe und des Veterinärwesens (seit 1959), des Personen- und Warenverkehrs auf der Straße (seit 1965), der Einrichtung von nebeneinander liegenden Grenzkontrollposten (seit 1965) sowie der Erosionsproblematik und des Naturschutzes (seit 1967).720 Weitere Unterkommissionen nahmen nicht themen-, sondern ortsspezifische Aufgaben für bestimmte Sektoren des Grenzraums wahr, wie zum Beispiel für den Lac Lanoux,721 die obere Garonne oder das Gebiet der Aldudes.722 717 So enthielt ein Raumordnungsabkommen zum Fluss Bidassoa von 1964 den Hinweis, dass es sich dabei um die nachträgliche Ratifizierung „d’un arragement entre les services locaux des travaux publics espagnols et français“ aus den Jahren 1945 und 1946 handelte; vgl. Décret nº 64-683 du 2 juillet 1964 portant publication de l’échange de lettres entre la France et l’Espagne du 23 mai 1964 concernant l’aménagement de la Bidassoa, in: Journal Officiel de la République Française, 08.07.1964, S. 6048. 718 Zur damaligen Genehmigung des französischen Innenministers für den Grenzübertritt von Bewohnern des Valle de Arán und des aragonesischen Grenzgebiets im Krankheits- oder Notfall vgl. Sermet (1968), S. 6/7. 719 Vgl. Miralles/Aubert, S. 105, S. 107. 720 Zu zwischenstaatlichen Abkommen aus dieser Zeit vgl. die – allerdings wohl nicht abschließende – Sammlung in: Ministerio de Hacienda, S. 213 ff. 721 Der Lac Lanoux erlangte eine breite Bekanntheit durch ein internationales Schiedsurteil von 1957 zu grenzüberschreitenden Rechten und Pflichten benachbarter Staaten; vgl. dazu z. B. Duléry, insbes. S. 480 ff.; Griffin, William L., The Use of Waters of International Drainage Basins under Customary International Law, in: The American Journal of International Law, Vol. 53, 1959, S. 50 ff. (S. 62 ff.). 722 Zu den verschiedenen Untereinheiten und Tätigkeiten der Commission Internationale des Pyrénées vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 153 f., S. 162 ff.; ders. (1994), S. 36; Poumarède, S. 91; Sermet (1976), S. 18 ff.

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Alle diese Institutionen gruppierten sich um die Commission Internationale des Pyrénées, die ihre Gründung anregte, ihre Arbeit personell begleitete und ihre Berichte entgegennahm, auch wenn ihr Einfluss nicht immer auf den ersten Blick erkennbar war: „Même si les conventions qui les [les autres commissions] ont mises sur pied ont pu paraître autonomes, du moins à certains, c’est au sein de la Commission des Pyrénées qu’elles ont été négociées ou qu’elles ont l’été en fonction de ses demandes, et toujours avec quelqu’un de ses représentants.“723

An den Funktionen der „großen ‚Mutter‘-Kommission“,724 die nun mehr als hundert Beamte und Experten aus den Staatsverwaltungen umfasste und in einem zweijährigen Turnus abwechselnd in Madrid und Paris tagte,725 änderten auch die Demokratisierung in Spanien nach 1975 und die Dezentralisierungsprozesse in beiden Ländern zunächst wenig. So wurden etwa die paritätische Technische Kommission für den Bidassoa von 1979 und die Raumordnungskommission MOPU/DATAR von 1985 nach dem bekannten zwischenstaatlichen Modell gegründet.726 Allerdings zog die Commission Internationale des Pyrénées, der man eine zunehmende Tendenz zur Bürokratisierung, Schwerfälligkeit und Distanzierung von den alltäglichen Problemen im Grenzraum unterstellte, von da an vermehrt Kritik auf sich, weil sie die neuen lokalen und regionalen Eliten nicht inkorporierte.727 Mit der insbesondere in Spanien weit fortgeschrittenen Übertragung von Kompetenzen an subnationale Gebietskörperschaften und mit deren Anspruch auf eine eigene grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird daher mittlerweile die Frage gestellt, ob sich die in der Vergangenheit oft erfolgreiche Kommission nicht selbst überlebt habe: „La commission internationale des Pyrénées, qui, dès ses débuts et tout au long de sa longue histoire, a si bien su promouvoir cette coopération, voit aujourd’hui son domaine d’intervention se dérober sous elle.“728

Eine solche Interpretation muss jedoch zum einen berücksichtigen, dass bis auf weiteres keine andere geeignete Einrichtung bereitsteht, um im Auftrag der französischen und der spanischen Regierung alle mit den völkerrechtlichen Grenzverträgen von Bayonne zusammenhängenden Angelegen723

Sermet (1976), S. 25; zur Berichtspflicht vgl. ebd. So Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 153 [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 725 Vgl. Poumarède, S. 91. 726 Zu ihrer Zugehörigkeit zum Rahmen der Commission Internationale des Pyrénées trotz der Besonderheit, dass die Technische Kommission für den Bidassoa erstmals Vertreter der Zentral-, der Regional-, der Provinz- und der Lokalebene in sich vereinigte, vgl. Fernández de Casadevante Romani (1990), S. 23, S. 153 f. 727 Vgl. ebd., S. 25, S. 163; vgl. auch schon ders. (1985), S. 333 ff. 728 Poumarède, S. 93. 724

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heiten zu behandeln, welche ausschließlich in den Bereich der internationalen Verbindlichkeiten der Staaten fallen.729 Zum anderen weist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im Pyrenäenraum – für welche die Regierungen mit einem symbolträchtig ebenfalls in Bayonne unterzeichneten Staatsvertrag vom 10. März 1995 eine spezielle rechtliche Grundlage geschaffen haben730 – bei näherem Hinsehen ebenfalls beträchtliche Defizite auf, die vor allem durch die bestehenden Kompetenzunterschiede erklärt werden.731 Unabhängig von der Commission Internationale des Pyrénées oder anderen institutionellen Arrangements werden der französische und der spanische Staat insofern auch zukünftig nicht nur in den Materien der Grenzverträge von Bayonne oder der Kooperation von Polizei- und Zollbehörden grenzüberschreitend tätig werden müssen, für die sie die exklusive Verantwortung tragen.732 Sondern sie bleiben darüber hinaus als Garant, Regulator, Kontrolleur und Partner ein unverzichtbarer Akteur in der grenzüberschreitenden coopération décentralisée zwischen ihren subnationalen Grenzgebietskörperschaften, die aufgrund fehlender, uneinheitlicher oder inkompatibler Zuständigkeiten alleine oftmals gar nicht handlungsfähig wären.733 729

Vgl. auch Présidence de la République, Dossier réalisé à l’occasion du 19ème sommet franco-espagnole à Gérone en Espagne le jeudi 16 novembre 2006, S. 18 f.; zugänglich über: http://www.elysee.fr/elysee/root/bank/print/65729.htm (25 S.); zuletzt abgerufen: August 2008. 730 Vgl. Décret nº 97-322 du 2 avril 1997 portant publication du traité entre la République française et le Royaume d’Espagne relatif à la coopération transfrontalière entre collectivités territoriales, signé à Bayonne le 10 mars 1995, in: Journal Officiel de la République Française, 11.04.1997, S. 5507 ff. Zu diesem Vertrag und zur vorherigen Rechtslage für eine subnationale grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Frankreich und Spanien vgl. auch Cambot, Pierre, Commentaire du Traité de Bayonne du 10 mars 1995 relatif à la coopération transfrontalière entre collectivités territoriales, in: Lafourcade, Maïté (Hrsg.), La frontière franco-espagnole, lieu de conflits interétatiques et de collaboration interrégionale, Actes de la journée d’étude du 16 novembre 1996, Bordeaux 1998, S. 127 ff.; Fernández de Casadevante Romani, Carlos, Le Traité de Bayonne du 10 Mars 1995 relatif à la coopération transfrontalière entre collectivités territoriales: Un cadre juridique complet, in: Revue Générale de Droit International Public, 1998, S. 305 ff. 731 Vgl. dazu z. B. Harguindéguy, insbes. S. 314 ff., S. 321 f.; Pérez Medina, José María, El Estado y la cooperación transfronteriza, in: Fernández de Casadevante Romani, Carlos (Hrsg.), L’État et la coopération transfrontalière, Actes de la journée d’étude du 13 septembre 2006, Brüssel 2007, S. 33 ff. (insbes. S. 45 ff.). 732 Zur Einrichtung von grenznahen Kooperationszentren und zur Zusammenarbeit zwischen den nationalen Polizei- und Zollbehörden vgl. Décret nº 2003-915 du 19 septembre 2003 portant publication du traité entre la République française et le Royaume d’Espagne relatif à la coopération transfrontalière en matière policière et douanière, signé à Blois le 7 juillet 1998, in: Journal Officiel de la République Française, 26.09.2003, S. 16430 ff.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

IV. Zwischenergebnis zu Teil 2, D. Das späte 18. Jahrhundert und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten sich im französisch-spanischen Kontext als eine ganz überwiegend durch militärische, politische, klimatische und sozio-ökonomische Krisen gekennzeichnete Epoche dar, die – soweit die lückenhaften Quellen das erkennen lassen – bezüglich der unvollendeten völkerrechtlichen Delimitierung der Pyrenäengrenze in einer Stagnation und im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Pyrenäenraum in einer fortschreitenden Degeneration resultierten. Aus Sicht der Staaten, welche weder die Grenzsicherheit noch ein geordnetes Zusammenleben im Grenzraum annähernd zufriedenstellend gewährleisten konnten, musste diese Situation unhaltbar erscheinen. Ob das im selben Maß auch für die Grenzbevölkerungen zutraf, ist allerdings fraglich. So waren die sich verschärfenden Auseinandersetzungen um Land- und Weideflächen, die mit Sicherheit als bedrohlich empfunden wurden, zumindest kein auf die Grenzgebiete beschränktes Phänomen, sondern wiesen aufgrund des allgemeinen Bevölkerungswachstums und der Knappheit von Agrarflächen jeweils eine landesweite Verbreitung auf. Anders als Gemeinden im Landesinneren konnten Grenzgemeinden dabei jedoch zum einen nationalistische Diskurse bedienen, wenn sie die Hilfe des Staates bei entsprechenden Konflikten und eine sie bevorzugende Grenzfestlegung einforderten. Dass sie diese Möglichkeit bewusst nutzten, wurde insbesondere in sprachlich-kulturell homogenen Gebieten wie der Cerdagne sichtbar, in denen trotz enger familiärer Verbindungen beide Seiten regelmäßig auf nationalistische Argumente zurückgriffen, um ihre Ansprüche gegen die „Ausländer“ durchzusetzen.734 Zum anderen waren erhebliche Teile der Grenzbevölkerungen in der Lage, auch aus der temporären Schwäche der staatlichen Handlungsmacht Vorteile zu ziehen, indem sie über den intensivierten Grenzschmuggel im 19. Jahrhundert in vielen Pyrenäentälern eine ertragreiche Parallelwirtschaft aufbauten.735 In einer allgemein schwie733 Zu den diesbezüglichen Aufgaben des Staates nicht nur im französisch-spanischen Kontext vgl. z. B. Fernández de Casadevante Romani, Carlos, L’aménagement par l’État de la coopération transfrontalière des collectivités territoriales, in: ders. (Hrsg.), L’État et la coopération transfrontalière, Actes de la journée d’étude du 13 septembre 2006, Brüssel 2007, S. 3 ff.; Comte, Henri, Les enjeux de la coopération entre l’État et les collectivités dans la gestion des espaces transfrontaliers, in: Fernández de Casadevante Romani, Carlos (Hrsg.), L’État et la coopération transfrontalière, Actes de la journée d’étude du 13 septembre 2006, Brüssel 2007, S. 69 ff. 734 Vgl. z. B. Sahlins (1989), S. 256, S. 260 ff.; ders. (1998), S. 53, S. 55. 735 Zu diesem Phänomen und seiner wirtschaftlichen Bedeutung im 19. Jahrhundert vgl. Gorría Ipas (2001), S. 59 f.; vgl. auch Peillen, S. 116. Dass die Grenzlage diesbezüglich einen Vorteil und die Sicherung bedeutender Einkommensquellen mit

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rigen Situation verfügten die Grenzbewohner somit zumindest über relative Vorteile und Handlungsoptionen, welche den grenzfernen Gebieten nicht zugänglich waren. Mit der in allen offiziellen Verlautbarungen angemahnten endgültigen Delimitierung der Pyrenäengrenze verbanden sich infolgedessen vermutlich sehr unterschiedliche Erwartungen. Für die Staaten standen die internationalen Beziehungen, der Grenzfriede und die Rechtssicherheit in den Grenzräumen im Vordergrund, wohingegen die lokalen Akteure damit vor allem die Hoffnung auf eine Durchsetzung ihrer ortsspezifischen und oft widerstreitenden Partikularinteressen verbanden. Nachdem die politische Stabilisierung gegen Ende der 1840er Jahre die Voraussetzungen für ein erneutes Delimitierungsvorhaben geschaffen hatte, zeigte das Scheitern der Grenzkommission von 1851–1853, wie schwer sich die diversen Positionen vereinbaren ließen. Die Regierungen ergänzten daraufhin das Konzept der Linargrenze und das Instrument des sie regelnden völkerrechtlichen Vertrags, die beide spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts de facto ohne Alternative waren, durch das bislang nicht vorgesehene Element einer extensiven Inkorporierung grenzüberschreitender Rechte. Im Gegensatz zum diesbezüglich restriktiven Vertrag von Elizondo von 1785 übernahmen die Grenzverträge von Bayonne zwischen 1856 und 1868 zahlreiche einschlägige Bestimmungen aus dem traditionellen Rechtsbestand des Pyrenäenraums. Das Ergebnis war ein einheitliches Vertragskorpus, welches einerseits das Grenzrecht und das grenzüberschreitende Recht auf einer völkerrechtlichen Basis zusammenführte und andererseits die Gesamtheit des entgegenstehenden oder des nicht ausdrücklich aufgenommenen Rechts derogierte. Erstaunlicherweise sind die Beweggründe der Regierungen für eine derart weitreichende und durch das fortbestehende Recht zum Abschluss lokaler grenzüberschreitender Abkommen bewusst zukunftsgerichtete Entscheidung bislang kaum hinterfragt worden. Sie erscheinen aber gerade angesichts der dem 19. Jahrhundert ansonsten zugeschriebenen Souveränitätsobsession, für die es auch im französisch-spanischen Verhältnis Belege gibt,736 erklärungsbedürftig zu sein. Die Gewährung grenzüberschreitender Rechte, welche – besonders sichtbar etwa im Fall der „ewigen Pacht“ in den nördlichen Aldudes oder der Kondominien der Île des Faisans oder der zone des eaux communes in der Bucht von Figuier – die territoriale Hoheitsgewalt der Staaten einschränkten, vertrugen sich jedenfalls nur schlecht mit absolut gesetzten Souveränitätsvorstellungen. Deren Bedeutung muss daher entweder relativiert werden oder es müssen schwerwiegende Gründe für ihre zeitweisich brachte, gilt z. B. auch für den französisch-schweizerischen Grenzraum; vgl. Windler (2002), S. 130. 736 Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, I. 3., insbes. zu Fn. 569.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

lige Hintanstellung vorgelegen haben, die aber nicht unmittelbar ersichtlich sind. Der politische Wille, im Rahmen einer größeren Entente zwischen den beiden Ländern zu einer einvernehmlichen und keine Seite rechtlich benachteiligenden Grenzfestlegung zu gelangen, war dafür alleine wohl nicht ausreichend, weil er in vergleichbarer Weise bereits zwischen den bourbonischen Monarchien des 18. Jahrhunderts bestanden hatte, die noch im Bewusstsein ihres Gottesgnadentums den viel enger angelegten Vertrag von Elizondo dekretierten. Vielleicht eröffnet aber gerade der epochale Umbruch der Französischen Revolution, der Mitte des 19. Jahrhunderts in seinen Folgen noch sehr nahe lag, eine mögliche Erklärung, da sich zwischenzeitlich die Koordinaten von Herrschaftsausübung und ihrer Legitimität radikal verändert hatten. Dem konnten sich auch die Regime Napoleons III. und Isabellas II. kaum verschließen, die erst aus schweren Turbulenzen hervorgegangen waren und sich folglich um innere und äußere Stabilität bemühen mussten. Vermutlich manifestierte sich in den Grenzverträgen von Bayonne daher vor allem ein gesteigertes Bemühen der Regierenden um die Legitimierung von Entscheidungen gegenüber ihren Staatsbürgern, die in Spanien durch das mehrfach geänderte Zensuswahlrecht seit 1836 und stärker noch in Frankreich durch das allgemeine Wahlrecht von 1848 bereits über eine gewisse politische Teilhabe verfügten.737 Die Akzeptanz grenzüberschreitender Verflechtungen würde sich insofern in die breiteren Bestrebungen der damaligen Regierungs- und Verwaltungspolitik einpassen, über die Rücksichtnahme auf lokale Bedürfnisse das staatliche System von innen zu festigen.738 Der in den Grenzverträgen von Bayonne immer wieder hervorgehobene Rückgriff auf die überlieferten örtlichen Rechte und Gebräuche bot dabei selbst noch bei unpopulären Regelungen den Vorteil, dass man sie als „historische“, ursprünglich lokal begründete und dem Einfluss der eigenen Regierung leider entzogene Verpflichtungen rechtfertigen konnte. Der Vorgang selbst war zudem kein pyrenäenspezifisches Phänomen, weil beispielsweise auch die bis heute gültige völkerrechtliche Convention de délimitation zwischen Frankreich und dem Königreich Italien von 1861 die hergebrachten grenzüberschreitenden Rechte schützte.739 Durch die Ab737 Zu den Auswirkungen des allgemeinen Wahlrechts auf die französischen Grenzgebiete vgl. z. B. Thibon, Christian, Les pyrénéens, les villages et l’Etat: l’intégration par le bas (1848–1914), in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 2, Toulouse 1995, S. 159 ff. (insbes. S. 166). Zum spanischen Zensuswahlrecht im 19. Jahrhundert vgl. Bernecker/Pietschmann, S. 217 ff. 738 Zu dieser allgemeineren Tendenz vgl. z. B. Claeys, S. 232 ff. 739 Vgl. Convention de délimitation, signée à Turin, 07.03.1861; zugänglich über das digitale Archiv „Base Pacte“ für geltende internationale Verträge Frankreichs,

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tretung Savoyens an Frankreich kam es damals an der Alpengrenze zu wesentlichen Gebietsveränderungen,740 die sich jedoch ausdrücklich nicht auf die bestehenden Eigentums- und Nutzungsrechte der Grenzbewohner oder betroffener öffentlicher Körperschaften auswirken sollten: „Article 3. Il est entendu que la fixation de la limite de souveraineté ne portera aucune atteinte aux droits de propriété et d’usage, non plus qu’aux servitudes actives et passives des particuliers, des communes et des établissements publics des pays respectifs.“741

Während die Grenzverträge von Bayonne durch diese Einbettung in den breiteren zeitgenössischen Kontext einiges von ihren scheinbaren Besonderheiten verlieren, sollten sie im Rückblick hinsichtlich ihrer unmittelbaren Wirkungen auch nicht überschätzt werden. Abgesehen davon, dass sie im Gebiet von Andorra eine Lücke aufwiesen742 und dass manche Regelungsdefizite erst in den folgenden Jahren erkannt wurden,743 trugen sie zunächst kaum zur Verminderung von Konflikten im Grenzraum bei. Zeichen dafür waren etwa die anhaltenden Wasserstreitigkeiten im Gebiet von Llívia,744 die demonstrative Beschädigung neu gesetzter Grenzsteine745 sowie die wiederholten Petitionen von Grenzgemeinden, die vertraglich festgelegte grenzüberschreitende Nutzung von Land- und Weideflächen nachträglich zu revidieren.746 Eine wirkliche Entlastung trat hier erst ein, als der demographische Druck in den Pyrenäen infolge der nach 1870 einsetzenden Abwanderung in die aufstrebenden Industriezentren des südfranzösischen, vor allem aber des baskischen und des katalanischen Umlands sukzessive nachließ.747 Die Landflucht war allerdings wiederum kein besonderes Merkmal der Grenzgebiete, sondern ein seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts europaweit in Gebirgsregionen verbreitetes Phänomen.748 Tatsächlich erlebMinistère des Affaires Etrangères, Paris, unter: http://www.doc.diplomtie.fr/BASIS/ pacte/webtext/bilat/DDD/18610002.pdf, (6 S.); zuletzt abgerufen: August 2008 [zit. Convention de délimitation v. 07.03.1861 (Frankreich–Italien)]. 740 Vgl. dazu mit einer Gebietskarte Guichonnet, Paul, Les Alpes occidentales franco italiennes, in: ders. (Hrsg.), Histoire et Civilisations des Alpes, Bd. I: Destin historique, Toulouse/Lausanne 1980, S. 266 ff. (S. 298 f.). 741 Convention de délimitation v. 07.03.1861 (Frankreich–Italien), Art. 3, S. 4 [eigene Seitenzählung; Anm. d. Verf.]. 742 Zu den Versuchen einer andorranisch-spanischen Grenzfestlegung im 19. Jahrhundert sowie zu rechtlichen Bedenken vgl. Remacha Tejada, S. 280 ff. Die derzeit vorhandenen Rechtsgrundlagen umfassen jedoch in der Regel ebenfalls grenzüberschreitende Rechte; vgl. Roigé/Ros/Cots, S. 489 f. 743 Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, nach der Überschrift zu III.; III. 1. 744 Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, III. 1., insbes. zu Fn. 686 f. 745 Vgl. Sermet (1968), S. 11. 746 Vgl. Sahlins (1989), S. 257 f.; ders. (1998), S. 50 f. 747 Vgl. z. B. Bielza de Ory, S. 18 f.; Claeys, S. 233 f.; Dalla-Rosa, S. 36 f.

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Teil 2: Grenze(n) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

ten viele Pyrenäentäler ungeachtet ihrer Grenzlage in dieser Zeit sogar eine „véritable révolution technologique et sociale“, die sich mit dem Aufbau staatlicher Infrastrukturen und einer privatfinanzierten Wasser- und Elektrizitätswirtschaft sowie mit dem Ausbau des Thermalwesens, des Tourismus und des Eisenbahnverkehrs verband.749 Durch die Abwanderung wurden zwar auch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kaum Weidegebiete aufgegeben, aber die vorhandenen Flächen konnten nun extensiver bewirtschaftet werden und reichten dadurch zumeist aus, um auf die bis dahin lebensnotwendige Transhumanz zu verzichten. Damit entfiel gleichzeitig immer häufiger die Notwendigkeit, auf grenzüberschreitenden Nutzungsrechten zu beharren.750 Der seit Ende des 19. Jahrhunderts zu beobachtende Rückgang lokaler grenzüberschreitender Abkommen, die auf dem Fundament der Grenzverträge von Bayonne abgeschlossen wurden,751 war insofern keine Folge der Grenzziehung, der Verfestigung nationaler Identitäten in sich zunehmend unterschiedlich entwickelnden Systemen752 oder gar staatlicher Beschränkungen, sondern ergab sich aus gewandelten Umweltbedingungen und dem Wegfall faktischer Kooperationszwänge: „Letzten Endes können wir den Schluss ziehen, dass die Grenze nicht das Hindernis war, welches in der Vergangenheit die sub-staatliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit verhindert oder erschwert hat, sondern vielmehr der fehlende Kooperationswille seitens politischer Autoritäten der jeweiligen Gebietskörperschaften, der teils Überlegenheitsgefühlen, teils Trägheit und teils wechselseitiger Ignoranz geschuldet war.“753

Besonderes Gewicht erhält dieser Befund angesichts der Tatsache, dass den Grenzgemeinden im Pyrenäenraum seit den Grenzverträgen von Bayonne bis heute durchgehend einschlägige Rechtsgrundlagen zur Verfügung standen,754 die, wenn gewünscht, in der Praxis auch zur Anwendung gebracht worden sind.755 Dass dies nicht öfter geschah, kann angesichts des 748

Vgl. Gorría Ipas (1995), S. 496. So Gomez, Laurent/Poinsot, Yves, De l’électrification des vallées aux récents conflits d’usage: Nouveaux acteurs, nouvelles fonctions des espaces pyrénéens, in: Brunet, Michel/Brunet, Serge/Pailhes, Claudine (Hrsg.), Pays Pyrénéens & Pouvoirs Centraux XVIe–XXe s., Bd. 1, Toulouse 1995, S. 57 ff. (S. 59 f.). 750 Vgl. Claeys, S. 233 f.; Gomez/Poinsot, S. 58 f. 751 Zu diesem Befund vgl. Roigé/Ros/Cots, S. 487. 752 Vgl. dazu z. B. Sahlins (1989), S. 267, S. 279 ff. 753 Fernández de Casadevante Romani (1994), S. 53/54 [eigene Übers.; Anm. d. Verf.]. 754 Hierzu s. o., dieser Teil, dieser Abschnitt, II. 2. a), insbes. zu Fn. 596. 755 Zu Anwendungsbeispielen vor allem aus dem landwirtschaftlichen Bereich, aber auch darüber hinaus, vgl. Fernández de Casadevante Romani (1994), S. 21, S. 39, Fn. 19. 749

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konstatierten Desinteresses der Grenzbevölkerungen nicht einfach in eine Verdrängung entsprechender Aktivitäten durch staatliche Kooperationen umgedeutet werden. Auch wenn die faktische Dominanz der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch die Commission Internationale des Pyrénées bis weit in die 1990er Jahre einen anderen Schluss nahelegen könnte, trifft demnach die Vorstellung von der planvollen Monopolisierung dieses Bereichs durch den modernen Nationalstaat an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und noch darüber hinaus zumindest für den Pyrenäenraum nicht zu.

Teil 3

Leitsätze für die politikwissenschaftliche Diskussion zu den Topoi „Grenze“ und „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ Der politikwissenschaftliche Aussagewert der vorliegenden Untersuchung erweist sich vor allem in den Diskrepanzen zwischen dem Aufriss aktueller Forschungstendenzen des ersten und den ihnen vielfach zuwiderlaufenden empirischen Ergebnissen des zweiten Arbeitsteils, welche die Validität grundlegender Vorannahmen insbesondere regionenzentrierter Forschungsparadigmata in Frage stellen. Während die Befunde zur Entwicklung von Grenze und grenzüberschreitender Zusammenarbeit im historischen Kontext notwendigerweise schon in der eigentlichen Fallstudie ausführlich dargestellt, begründet und in Zwischenergebnissen zusammengefasst worden sind, können auf dieser Grundlage abschließend einige Leitsätze für die weitere politikwissenschaftliche Diskussion formuliert werden. Dabei ist es der Natur einer Fallstudie geschuldet, dass ihre positiv gesicherten Erkenntnisse über den eigenen Rahmen hinaus vornehmlich dazu dienen, entgegenstehende Aussagen mit generalisierendem Anspruch zu falsifizieren oder zu relativieren. Demzufolge müssen aus Fallstudien abgeleitete allgemeinere Schlüsse regelmäßig „ausschließend“ oder „negativ“ gefasst sein, wenn sie sich nicht dem Vorwurf der interpretativen Überdehnung aussetzen wollen. Allerdings sind, wie bereits zu Beginn der Untersuchung ausgeführt, gerade explorative Fallstudien prinzipiell auch zur Generierung von Hypothesen geeignet.1 Die folgenden Leitsätze verbinden daher – in unterschiedlicher Gewichtung – beide Aspekte miteinander, wobei sie jedoch zuvorderst Gültigkeit für den konkret untersuchten Fall beanspruchen. Ihr weiterführendes Anliegen ist es, eine verstärkte Berücksichtigung der historischen Dimension in der politikwissenschaftlichen Forschung anzuregen. 1. Leitsatz: Bei der französisch-spanischen Pyrenäengrenze handelt es sich nicht um eine natürliche Grenze; zudem weckt sie Zweifel an der politischen Wirkkraft entsprechender Konzeptionen. Entgegen dem ersten Anschein ist die Pyrenäengrenze ein ausschließlich menschliches Konstrukt, das aus komplexen historischen Prozessen hervorgegangen ist, in deren Ver1

Hierzu s. o., Teil 1, C. I. 2.

Teil 3: Leitsätze für die politikwissenschaftliche Diskussion

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lauf transpyrenäische Herrschaftsformen zurückgedrängt und gebirgsübergreifend siedelnde Sprach- und Kulturgemeinschaften getrennt wurden. Darüber hinaus verliert das bei vor-linearen Grenzziehungen oft unterstellte Konzept der natürlichen Grenze hier insgesamt viel von seiner Deutungskraft, gerade weil es von der spätmittelalterlichen französischen Grenzideologie über die Prinzipienklausel des Artikels 42 Pyrenäenvertrag von 1659 bis zu den Grenzziehungsprojekten des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts für die Pyrenäen immer wieder evoziert worden ist. Sobald seine Realisierung politisch möglich gewesen wäre, gab man jedoch stets der Bewahrung eigenen Territoriums oder der Erzielung größerer Gebietsgewinne den Vorzug vor einer Ausrichtung der Grenze an vermeintlich objektiven topographischen Kriterien. Das Ideal der natürlichen Grenze diente insofern im Pyrenäenraum vor allem der Vorab-Legitimierung noch nicht verwirklichter territorialer Forderungen beziehungsweise bestenfalls als scheinbar „neutraler“ Anhaltspunkt für eine konsensuale Festlegung nicht genau bestimmter Grenzverläufe in unwegsamen, wenig genutzten Regionen des Hochgebirges. Obwohl die Voraussetzungen für die Verwirklichung einer natürlichen Grenze in den Pyrenäen nach der Theorie besonders günstig waren, kann insofern ein normativer, politische Entscheidungen nachhaltig prägender Einfluss ausgeschlossen werden. 2. Leitsatz: Die konkreten Wirkungen der Pyrenäengrenze lassen sich nicht als unabhängige Variablen verstehen oder verwenden, sondern können nur kontextabhängig erklärt werden. Ihre Entstehungsgeschichte fordert insoweit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit klischeehaften Vorstellungen auf, mit denen Grenzen oft vorschnell belegt werden. So war beispielsweise – ganz abgesehen von der geregelten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – der Durchlässigkeitsgrad der Grenze für Personen und Waren durchgängig weitaus höher, als es die häufig angespannten französisch-spanischen Beziehungen vermuten ließen. Eine Verschärfung der Trennfunktion der Grenze konnte sogar in Kriegszeiten bis in das 19. Jahrhundert hinein nur kurzfristig aufrecht erhalten werden und selbst die französische Grenzsperrung von 1946–1948 kannte noch Ausnahmetatbestände. Auch deswegen ist letztlich einsichtig, dass die sich lange nicht von internen Gebietsgrenzen unterscheidende externe Herrschafts- oder Staatsgrenze nicht der eigentliche Auslöser für die zahlreichen Konflikte war, die mit ihr in Verbindung gebracht wurden. Aufgrund der hohen Überlieferungskontinuität konnten für den Pyrenäenraum vielmehr praktisch ausnahmslos sozio-ökonomische Ursachen identifiziert werden, welche sich unabhängig von der Grenze entwickelten und durch sie, anders als vergleichbare Prozesse im Inland, lediglich an internationaler „Sichtbarkeit“ gewannen. Besonders aussagekräftig sind in dieser Hinsicht die erst verhältnismäßig spät

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Teil 3: Leitsätze für die politikwissenschaftliche Diskussion

durch eine (Staats-)Grenze geteilten navarresischen Gebiete sowie die Cerdagne, deren ethnische, soziale und sprachlich-kulturelle Homogenität noch lange fortbestand. Hier unternahm die lokale Bevölkerung sehr schnell den Versuch, ihre traditionellen Landkonflikte durch die Inanspruchnahme ihrer jeweiligen Regierungen zu externalisieren, wobei sie sich die Grenze „zu eigen“ machte, um den Ausschluss von Wirtschaftskonkurrenten zu erreichen. Entsprechende Forderungen wurden bezeichnenderweise auf einen früh-nationalistischen Diskurs gestützt, als es dazu außerhalb der Grenzgebiete noch keine wirkliche Entsprechung gab. Insgesamt gesehen müssen die Grenzbevölkerungen daher im Pyrenäenraum eher als Profiteure denn als Opfer der Grenze angesehen werden, auf deren trennende Möglichkeiten sie zudem, sobald es ihnen irgend möglich war, einen unerwartet großen Einfluss nahmen. Angesichts solcher, nur exemplarisch angeführter, Sachverhalte stellte sich die Pyrenäengrenze – anders als zumeist vorausgesetzt – letzten Endes nicht als erklärende, sondern als hinsichtlich des Zustandekommens ihrer Wirkungen zu erklärende Variable heraus. Diese erst aus der historischen Betrachtung gewonnene Erkenntnis sollte im Übrigen auch die breitere politikwissenschaftliche Forschung über Grenzen und ihre Eigenschaften dazu ermutigen, von strukturell determinierenden Vorannahmen sowie einfachen Kausalitätszuschreibungen abzurücken, um stattdessen heterogenen, langsam wirkenden cumulative causes mehr Aufmerksamkeit zu widmen:2 „The core insight is that temporally constricted analyses may lead to a preoccupation with surface phenomena, while deeper and more fundamental causes are missed.“3

3. Leitsatz: Der Grenzraum lässt sich an der Pyrenäengrenze nicht anhand von Wirkungen der Grenze in der Fläche erkennen, sondern anhand des Dichtegrads besonderer Rechtsverhältnisse. Wenn die Wirkungen einer Grenze selbst abhängige Größen sind, erscheint es wenig erfolgversprechend, mit ihrer Hilfe die Ausdehnung eines Grenzraums quasi-objektiv bestimmen zu wollen. Im historischen Kontext wäre ein solches Unterfangen sogar völlig aussichtslos, da sich die äußeren Grenzen lange Zeit kaum von den inneren unterschieden und, jedenfalls in den Pyrenäen, bis in die jüngste Vergangenheit eine große rechtliche und faktische Durchlässigkeit aufwiesen. Stellt man jedoch stattdessen auf die teilweise vom Mittelalter bis heute fortgeführten grenzüberschreitenden Regulierungen von Eigentums- und Nutzungsrechten für Land, Wasser oder Fischfang an der Pyrenäengrenze ab, so wird darüber eine Art Kern-Grenzraum von örtlich unterschiedlicher Ausdehnung erkennbar, der alleine im Gebiet der Hochweiden 2 3

Vgl. auch Pierson, S. 82 f., S. 93 ff. Ebd., S. 95.

Teil 3: Leitsätze für die politikwissenschaftliche Diskussion

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ungefähr 2.050 Quadratkilometer umfasst.4 Trotz ihrer beträchtlichen Gesamtgröße weist diese Zone unmittelbar territoriumsbezogener Interaktionen aber nie mehr als höchstenfalls einige Kilometer Breite auf; und auch ein erweiterter Grenzraum, der sich in der Vergangenheit über die Sonderrechte für den grenzüberschreitenden Handel und die Versorgung erschließen ließ, blieb im Allgemeinen auf das Gebiet von Grenzgemeinden beziehungsweise von Grenztälern beschränkt. Seine Ausdehnung – meist zum Ausschluss kriegsbedingter Beeinträchtigungen – auf ganze Grenzprovinzen oder über die Drei-Meilen-Zone hinausgehende Meeresregionen stellte hingegen eine zeitlich limitierte Ausnahme dar; so wie auch für die vor allem zu Kontrollzwecken eingerichteten administrativen Grenzzonen eine Entfernung von nicht mehr als 25 Kilometern zur Grenze für ausreichend erachtet wurde. Die dadurch nahegelegte Definition des Grenzraums als eines vergleichsweise schmalen Gebietsstreifens auf beiden Seiten der Grenze, der sich vor allem über die Existenz der in ihm geltenden besonderen Rechtsverhältnisse bestimmen lässt, ist schwerlich mit weiter ausgreifenden räumlichen und/ oder funktionellen Perzeptionen der regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der sich mit ihr befassenden Forschung vereinbar. Daraus ergibt sich zwar noch keine Bewertung, aber doch eine Mahnung, das jeweilige Raumverständnis expliziter herauszuarbeiten und zu begründen, wenn nicht jede grenzübergreifende Politik mehr oder weniger unabhängig von ihrem tatsächlichen Nähebezug zur Grenze und zu den ihr anliegenden Gebieten als grenzüberschreitende Zusammenarbeit bezeichnet werden soll. 4. Leitsatz: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist offenbar kein zeitoder systemspezifisches Phänomen. Am Beispiel des Pyrenäenraums können zunächst alle Vermutungen widerlegt werden, welche die historische Existenz grenzüberschreitender Zusammenarbeit oder deren Erforschbarkeit anzweifeln. Die Dichte und Breite der Überlieferung im Pyrenäenraum, die dort beobachtete Vergleichbarkeit vor-völkerrechtlicher und völkerrechtlicher Handlungsformen und die Kontinuität grenzüberschreitender Kooperationen vom späten Mittelalter bis heute entziehen dem jede Grundlage. Damit verlieren zugleich Versuche an Gewicht oder sehen sich vor erhöhte Begründungszwänge gestellt, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aus einer spezifischen Zeit – meist der letzten 50 bis 60 Jahre – und aus einem spezifischen Kontext – meist von Demokratisierung, Regionalisierung und Europäisierung – heraus erklären wollen. Der französisch-spanische Fall ist jedoch nicht alleine wegen der Dauer und der immer nur kurzfristig unterbrochenen Konstanz grenzüberschreitender Kooperationen von Bedeutung, sondern auch, weil diese trotz ausgeprägter Systemrivalitä4 Zu dieser Zahlenangabe einer Unterkommission der Commission Internationale des Pyrénées vgl. Sermet (1968), S. 4.

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ten, wie sie in den Dauerkriegen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zu Tage traten, trotz Systembrüchen, wie sie die Französische Revolution verkörperte, und trotz Systemadversitäten, wie sie bis 1975 zwischen dem diktatorisch-autoritären Franco-Regime und dem demokratischen Frankreich der IV. und V. Republik bestanden, stattgefunden hat. Für die Vergangenheit lassen sich hierfür übergeordnete Gründe nachweisen, die eine Fortführung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ungeachtet sonstiger Umstände entweder im negativen Sinn erzwangen oder aber durch entsprechende Vorteile im positiven Sinn geboten erscheinen ließen. Bis in das 19. Jahrhundert hinein kam dabei Restriktionen wie der notwendigen Eindämmung lokal eskalierender Grenz- und Gebietsstreitigkeiten, der anders nicht zu gewährleistenden Versorgungssicherheit der Grenzgebiete, dem Angewiesensein auf Abgaben und Zölle aus dem grenzüberschreitenden Handel oder der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die größere Erklärungskraft zu. Diese Restriktionen schwächten sich schrittweise mit dem Erstarken des modernen Staates und seiner wirtschaftlichen Substitutionsfähigkeit ab oder entfielen sogar ganz, wodurch spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts positive Anreize – etwa kostenminimierende, gewinnmaximierende oder schadensreduzierende Aspekte – überwogen haben dürften. Solche Anreize müssen jedenfalls stark genug gewesen zu sein, um etwa Frankreich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit dem FrancoRegime vorteilhaft erscheinen zu lassen. Daraus können zwei Hypothesen mit unterschiedlichen Plausibilitäten abgeleitet werden. Die erste ist ausschließlich vergangenheitsbezogen und prognostiziert, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit aufgrund von strukturellen Zwängen, die sich außerhalb des französisch-spanischen Kontextes kaum anders darstellten, bis in das 19. Jahrhundert an allen europäischen Landgrenzen notwendig existiert haben muss. Fraglich scheint hier vor allem zu sein, inwieweit die verfügbaren Quellen darüber im einzelnen Auskunft geben können, aber immerhin ist selbst die französisch-deutsche Grenze im Bereich Elsass-Lothringens nach 1870/71 diesbezüglich noch als „frontière ouverte“ bezeichnet worden.5 Die zweite Hypothese ist demgegenüber eher als Forschungsanregung zu verstehen, die sich aus der Beob5 Zu dieser Einschätzung vgl. z. B. Roth, François, La frontière franco-allemande 1871–1918, in: Haubrichs, Wolfgang/Schneider, Reinhard (Hrsg.), Grenzen und Grenzregionen/Frontières et régions frontalières/Borders and Border Regions, Saarbrücken 1993/1994, S. 131 ff. (insbes. S. 135 ff.); Rauh-Kühne, Cornelia, „Schmerzende Wunde“ oder Zone des Kulturaustauschs? Grenzkonstruktionen und Grenzkontakte im „Reichsland Elsass-Lothringen“, in: Kühne, Thomas/Rauh-Kühne, Cornelia (Hrsg.), Raum und Geschichte: Regionale Traditionen und föderative Ordnungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Leinfelden-Echterdingen 2001, S. 159 ff. (insbes. S. 166 ff.).

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achtung ergibt, dass Frankreich und Spanien zwischen 1949 und 1975 trotz erheblicher politischer Differenzen eine moderne grenzüberschreitende Zusammenarbeit entwickelt haben. Anstelle Kooperationen zwischen einander ähnlichen Systemen zu untersuchen, könnte es insofern für künftige Arbeiten ertragreicher sein, verstärkt nach Vorteilen und Erfordernissen zu fragen, welche einander unähnliche oder sogar feindselige Systeme unter heutigen Gegebenheiten zu einer Zusammenarbeit bewegen. Sollte sich dadurch ein Kernbestand von fast zwangsläufig kooperationsauslösenden Basalmotiven erschließen, würde allerdings auch die weitergehende Frage nach dem Sinn und der Nachhaltigkeit von zusätzlichen Förderinitiativen wie dem INTERREG-Programm anders gestellt werden müssen. Es ist nicht die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung, hierauf eine Antwort zu geben; sie kann lediglich auf den im historischen Kontext durchweg gezeigten Eigennutz und den zweckgerichteten Pragmatismus der Grenzbevölkerungen im Pyrenäenraum hinweisen, die idealistischeren Deutungen für das Zustandekommen grenzüberschreitender Kooperationen eine Absage erteilt haben. 5. Leitsatz: Soweit die Quellenüberlieferung reicht, war der Staat im Pyrenäenraum immer ein zentraler Akteur der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Bereits die Personalverbandsstaaten des Mittelalters begründeten durch die Verleihung von Privilegien den Rechtsrahmen für Täler- und Herrschaftsgrenzen überschreitende Abkommen, die regelmäßig auch in Kriegszeiten weitergeführt wurden, obwohl sie der letztinstanzlichen Kontrolle der jeweiligen Souveräne unterlagen. Durch die gestufte Ausübung von Herrschaft konnten sich die Staaten dabei zunächst vor allem auf ein akzessorisches Tätigwerden in Fällen beschränken, in denen lokale Akteure nicht fähig oder nicht willens waren, zum Teil ausgesprochen blutige Gewaltausbrüche zwischen den Grenzbevölkerungen zu verhindern. Angesichts der Häufigkeit solcher Konflikte entstand jedoch schon bald ein entsprechend diversifiziertes Korpus aus gewährtem lokalen und gesetztem zwischenstaatlichen Recht, das ansonsten aber praktisch inhaltsgleich war. Die Staaten traten hier sowohl im Mittelalter als auch in der Frühen Neuzeit als Garanten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf, die sie im Übrigen auch in den vertraglich „eingehegten“ Dauerkriegen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert aufrecht erhielten, so lange ein Grenzgebiet nicht unmittelbar von Kampfhandlungen betroffen war. Lediglich der Vertrag von Elizondo von 1785 kann insoweit als staatlicher Versuch verstanden werden, die lokale grenzüberschreitende Zusammenarbeit an der Pyrenäengrenze restriktiv zu handhaben. Anlass dafür gaben die zunehmende Konfliktivität der lokalen Beziehungen sowie entsprechende Forderungen der Grenzbevölkerungen nach einer schärferen territorialen und rechtlichen Trennung. Diese setzten sich auch nach der faktischen Außerkraftsetzung des kurzlebigen Vertrags von Elizondo als

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Teil 3: Leitsätze für die politikwissenschaftliche Diskussion

Konstante von den 1790er Jahren bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fort, als Frankreich und Spanien in wechselseitigem Einvernehmen, aber gegen erhebliche lokale Widerstände, traditionelles grenzüberschreitendes Recht in großem Umfang in die immer noch gültigen völkerrechtlichen Grenzverträge von Bayonne überführten. Diese Verträge widersprechen der im regionenzentrierten Schrifttum verbreiteten Annahme, der entstehende Nationalstaat des 19. Jahrhunderts habe die „natürlichen“ Beziehungen zwischen Grenzgebieten unterbunden, indem er mit undurchdringlichen Lineargrenzen seine Souveränität nach innen wie nach außen geschützt habe. Neben der Sicherung hergebrachter grenzüberschreitender Rechte und der Einrichtung kleiner französisch-spanischer Grenzkondominien – der Île des Faisans und der zone des eaux communes in der Bucht von Figuier – sahen die Grenzverträge von Bayonne nämlich Klauseln vor, welche den zukünftigen Abschluss lokaler grenzüberschreitender Abkommen ausdrücklich erlaubten. Sie durften zwar eine Dauer von jeweils fünf Jahren nicht überschreiten und erforderten die Zustimmung der zuständigen Behörden, waren aber ansonsten prinzipiell gegenstandsoffen und stellten eine bis heute nutzbare Rechtsgrundlage zur Verfügung. Für den Pyrenäenraum konnte daher konstatiert werden, dass es hier im 19. und 20. Jahrhundert – lange bevor der Europarat in den 1980er Jahren vergleichbare Initiativen anregte – keineswegs an den rechtlichen Möglichkeiten, sondern vor allem am Interesse der Grenzbevölkerungen gemangelt hat, grenzüberschreitende Kooperationen zu begründen oder fortzuführen, die in einem Umfeld wachsender staatlicher Leistungsfähigkeit und Fürsorge wohl zunehmend auch der Notwendigkeit entbehrten. Zumindest im untersuchten Fall schloss der Staat folglich die Grenzgebiete und die Grenzbewohner nicht von der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aus, die er oftmals gegen ihren Protest auf der lokalen Ebene weiterhin gewährleistete und im 20. Jahrhundert im zwischenstaatlichen Bereich erheblich ausdifferenzierte. Verglichen damit trat die regionale Ebene, in Spanien über die Comunidades Autónomas und in Frankreich über die Régions, in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erst spät als zusätzlicher Akteur in Erscheinung, der aufgrund seiner fehlenden Allzuständigkeit und Uneinheitlichkeit zudem in vielfacher Weise auf den Staat angewiesen bleibt. Für die einschlägige politikwissenschaftliche Forschung sollte die Rolle des Staates im historischen Kontext, aber auch das Verhalten der Grenzbevölkerungen im Pyrenäenraum daher Anlass sein, die Validität diesbezüglicher Vorannahmen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren. 6. Leitsatz: Die Berücksichtigung der historischen Dimension ist für die Politikwissenschaft unerlässlich. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung

Teil 3: Leitsätze für die politikwissenschaftliche Diskussion

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war es zum einen möglich, die Entwicklung von Grenze(n) und grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Pyrenäenraum seit dem Mittelalter nachzuvollziehen und über die Gegenwartsbezüge der Grenzverträge von Bayonne aus dem 19. Jahrhundert und der Commission Internationale des Pyrénées auch die Anschlussfähigkeit zur aktuellen politikwissenschaftlichen Forschung aufzuzeigen. Zum anderen konnten dadurch eingeführte Annahmen über Hintergründe, Entstehung und Akteursbezüge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Kontrastierung mit der explorativen Fallstudie empirisch entkräftet, variiert oder ergänzt werden, woraus sich wiederum Anregungen für die weitere politikwissenschaftliche Diskussion zu den Topoi „Grenze“ und „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ ergeben. Die Arbeit hat somit gezeigt, dass die Einbeziehung der historischen Dimension kein hilfswissenschaftliches Addendum ist, sondern von der Politikwissenschaft als genuiner Bestandteil der eigenen Disziplin verstanden und systematischer genutzt werden sollte: „I will be blunt: Without a deep understanding of time, you will be a lousy political scientist, because time is the dimension in which ideas and institutions and beliefs evolve.“6

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Sachwortverzeichnis Abkommen/Verträge – Allianz- und Friedensverträge 136, 140, 142, 145 f. – Basel, Friedensvertrag 205 f., 208 – Bayonne, Grenzverträge 18, 44, 90, 92, 135, 211 f., 215–229, 231–235, 238 f., 241–244, 251–253 – Bayonne, Staatsvertrag 239 – Bourbonische Familienpakte (s. unter Bourbonen) – Capitulaciones 134 f., 167 f. – contrat(s) de paˆturage 217, 224 – Convention (1768) 192 f. – Convention (1774) 193 f. – Convention (1786) 194–197 – Convention de délimitation 242 f. – Corbeil, Vertrag 91, 117–120, 123, 198 – Durchführungsabkommen von Llívia 154 f., 179, 225 – Elizondo, Vertrag 44, 91 f., 147 f., 158, 163, 167, 170–177, 191, 197–200, 202 f., 205, 208, 212, 214–217, 241 f., 251 f. – Europäisches Rahmenübereinkommen von Madrid (s. unter Europarat) – facérie/facería (s. dort) – „Föderative“ Verträge (s. dort) – lies und passeries 124–141, 145 f., 174, 181, 184, 185/186, 187–191, 200, 210, 217, 223 – Paris, Friedensverträge 207 f., 212 – Pyrenäenvertrag (s. dort) – Traité(s) de bonne correspondance 141–144, 146, 184 f., 187 f., 191, 204, 207 – „Vertrag der drei Kühe“ 127, 218, 235/236

Abwanderung/Migration 95, 105, 203, 243 f. Adel 106, 108, 110, 121, 203 Administrierung 44 Aldudes 113, 133–135, 156, 167–176, 210, 215, 219 f., 224, 237, 241 Alpen 94, 107 f., 110, 120, 126, 127/128, 129, 156, 208, 242/243 Andorra 97, 99, 115, 117, 123, 206, 215, 221, 224, 243 – geteilte Souveränität (s. unter Souveränität) – Kondominium (s. dort) Annahme/Annahmegestütztheit 17, 23, 35 f., 38–42, 54, 57, 78, 81, 85, 88, 91, 144, 160, 205, 228, 247 f., 252 f. Aquitaine 69, 94, 97, 114 f. Aragón/Krone von A. 97 f., 102, 111, 116–119, 121 f., 127, 138, 140, 182, 184, 237 Baskenland 94/95, 98, 107, 115 f., 141, 159/160, 170, 182, 203, 243 Béarn 102, 106, 127 f., 138, 140, 203 Bergbau (s. Metallurgie) Besitz/Eigentum 105–107, 112, 116, 126, 134, 139, 142, 145, 154, 164 f., 171, 175, 179, 203/204, 210, 215, 220, 222 f., 225/226, 227, 243, 248 – Gemeinbesitz (s. dort) – Nutzung/Nutzungsrecht (s. dort) Bevölkerungswachstum 100, 163 f., 186, 209, 243 bias 27, 31, 34 Bidassoa 121, 141, 169 f., 220, 229–231, 236 f. Bigorre 184, 203

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Sachwortverzeichnis

Bourbonen 158, 187, 191, 207, 242 – Bourbonische Familienpakte 162, 192 – bourbonische Friedensallianz/-grenze 162 f., 167, 186, 197, 199, 202 Bürgerkrieg (s. Krieg/Bürgerkrieg)

Determinierung 44, 148, 150 Dezentralisierung 25, 28, 30, 32 f., 87, 238 Doppel-/Mehrfachvasallität 47, 116–118 Drei-Elemente-Lehre (Jellinek) 49 f.

cap (d’hostal) 105 f., 108 casa-(h)ostal-Ordnung 101, 104–106 Cerdagne 96, 113, 118, 121, 123, 133, 142, 148, 152–157, 159 f., 176, 179 f., 196, 205/206, 224–226, 232, 240, 248 Commission Internationale des Pyrénées 90, 92, 180, 230, 232–239, 245, 249, 253 – Internationale Grenzkommission für den Bidassoa 229–232 – Raumordnungskommission MOPU/ DATAR 238 – Technische Kommission für den Bidassoa 238 – Unterkommissionen (sonstige) 237 f., 249 Commission mixte de délimitation des Pyrénées 156, 212–215, 220–223, 224/225, 227–229 – Abschlussbericht 156, 214/215, 220, 222, 228 Comunidad(es) Autónoma(s) 17 f., 25, 37, 61, 97 f., 252 Conflans/Conflent 150–152, 157 Corbières 118 Corregidor 140 f.

Eigeninteresse/-nutzen (s. unter Grenzüberschreitende Zusammenarbeit) Eigentum (s. Besitz/Eigentum) Enklave/Exklave 155, 162/163 – Llívia (s. dort) Entgrenzung 21, 63 f. Euregio/Euroregion 28, 30 f. Europäische Integration/Institutionen 20 f., 24–26, 29, 31–34, 38 f., 41 f., 51 f., 54, 58 f., 64, 69, 80, 218, 249, 252 Europarat 33, 61, 218, 252 – Europäisches Rahmenübereinkommen von Madrid 218, 252 Expertenwesen 73, 83, 169, 214, 238 – Fachbruderschaft 169 f.

Delimitierung 44, 92, 112, 156, 163, 166, 208, 212, 215, 228, 234, 240 f. Demarkation/Demarkierung 44, 47, 92, 144, 163, 172, 212, 215, 228, 234 – Grenzstein/-markierung (s. dort) Demographie 113, 163 f., 186, 209, 243 Département(s) 27 f., 61, 97 f., 176, 204, 206

facérie/facería 125, 134 f., 141, 172, 217 – facérie perpétuelle 218 f., 235 Fallstudie/-beispiel 19 f., 23, 26, 31, 35, 40–42, 82–91, 246 f., 253 – deviant case 83 – Längsschnittuntersuchung 80 f., 83, 85, 87 f., 91 Feudalwesen 106, 110 f., 115, 117 Figuier, Bucht 229 f., 241, 252 Finanzwesen 164, 182 f., 193, 199 f., 220 Fischerei/Fischfang 141, 220, 231, 235, 248 – petite guerre du saumon 231 Flusskommission 85 f. Föderalismus 25, 29–31, 63, 138 – Föderalismuspräferenz (s. unter Regionenzentriertheit)

Sachwortverzeichnis „Föderative“ Verträge – Accord de lies et passeries 138, 140 – Acte du Plan d’Arrem 138–140, 184/185, 187/188 Foralregime 109 f. – fors/fueros 109, 182 – Privilegienrecht (s. dort) Franco-Regime 236 f., 250 Garonne 122, 188, 237 Gebiets-/Talgrenze 101, 104, 111–114, 118, 128, 130, 144 f., 156, 247, 251 Gebietskörperschaft 18, 27 f., 30–32, 36, 38, 59–61, 65 f., 69, 71, 97 f., 223, 238 f., 244 Gebirgsregionen (außerpyrenäisch) 101, 105, 129, 156, 243 – Alpen (s. dort) Gemeinbesitz 107 f., 126, 164/165, 188/189 Geographie/Topographie 47/48, 53 f., 56, 61/62, 68, 70, 86/87, 91, 94–96, 98/99, 112 f., 120, 122, 152, 160, 169 f., 172, 175 f., 205, 208, 247 Geographische Konzentrierung 23–26, 35, 40, 42 Gerichtswesen – Gerichtsbarkeit (allg.) 134, 139, 152, 162, 174, 179, 195, 223, 229 – Inquisitionsgericht 106 – Internationales Schiedsgericht 227, 237 – Parlement (s. dort) – Talgerichtsbarkeit (s. unter Tal/ Talschaft) Geschichtswissenschaft 40, 80 f., 84, 253 Getreide (s. unter Versorgungssicherheit) Gewalt (innerpyrenäisch) 108, 113, 126, 131 f., 145, 158, 160 f., 168, 172, 186, 209, 251 Gewohnheitsrecht 104, 129, 133, 222

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Grenzbevölkerung 54, 57, 59, 99, 101–103, 105, 110 f., 113 f., 122, 135, 140, 143, 145 f., 158–168, 170–177, 184–186, 188–191, 197, 199–202, 204, 206 f., 210, 214–217, 220, 223 f., 226, 228 f., 232 f., 235, 237, 240–243, 245, 248, 251 f. Grenzgemeinde 167/168, 174, 218, 235, 240, 243 f., 249 Grenzkontrolle 50 f., 57, 60, 160–162, 176, 191/192, 194, 207, 210, 236 f., 249 Grenzlinie (s. Lineargrenze) grenznachbarschaftlich 68–70, 78 Grenzraum 24 f., 40, 42 f., 46, 53–62, 78, 97, 144–146, 154, 169, 172, 183, 187 f., 191, 204, 232 f., 237 f., 240 f., 243, 248 f. Grenzraumförderung 32 f., 51, 57 f., 61, 69, 72 f. – INTERREG 33, 61, 73, 97, 251 Grenzregion 27–29, 32 f., 39–41, 61, 65, 71 Grenzsaum 45–47, 112 Grenzsperrung 160 f., 182–184, 191, 199, 236 f., 247 Grenzstein/-markierung 44, 47, 49, 112/113, 131/132, 168, 171/172, 174, 176, 215, 222, 227, 234, 243 Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: – Abkommen/Verträge (s. dort) – Besitz/Eigentum (s. dort) – Definitionsproblematik 22 ff., 43, 62 ff., 77 ff., 249–51 – Eigeninteresse/-nutzen 74/75, 139, 143, 145, 146/147, 166 f., 176 f., 182, 186/187, 188, 196 f., 199–201, 203/204, 217 f., 231, 233, 240 f., 243, 245, 251 f. – Kommissionen (s. dort) – Nutzung/Nutzungsrecht (s. dort) – Staat als Akteur 28–30, 36–40, 42 f., 49–51, 56–58, 63–65, 67, 70–77, 80–82, 91 f., 114, 124 f.,

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Sachwortverzeichnis

130–132, 134–139, 142–144, 146–148, 154, 157, 162 f., 165–168, 172 ff., 206, 211 ff., 234 ff., 240 ff., 251 f. – wirtschaftliche Zwänge/Beweggründe 35, 41, 50, 57 f., 74, 101–103, 126, 133 f., 142 f., 145–147, 164–166, 173, 175, 182–184, 187–190, 193, 199–201, 210, 220, 240, 244 f., 247 f., 250 f. Guipfflzcoa 98, 141, 204, 207, 232 Guyenne 184 Handel 85, 102, 140, 143/144, 146, 164, 180, 183, 191, 199/200, 207 – Handelsfreiheit 111, 124, 128/129, 136, 138, 140–143, 146, 157, 161 f., 177/178, 181 f., 184, 187 f., 204, 249 f. – Handelsverbot 143, 160/161, 182/183, 191, 194/195, 197 Hauptkamm/Kammlinie 94 f., 97, 118, 120, 122, 124/125, 151 f., 156 f., 204–206, 221 f., 226 – Monts Pyren(n)ées 150–152, 171 – per cacumina montium Pireneorum 119 f. Hegung 147, 251 – justus hostis 147 Hermeneutik 18, 79 Herrschaftsgrenze 45/46, 47, 101, 104, 106, 110, 111/112, 114 f., 118, 145, 251 Heuristik 79, 81, 87/88, 89 Hypothese 79, 81 f., 88 f., 92, 246, 250 f. Île des Faisans 141, 149, 221, 231, 241, 252 – Kondominium (s. dort) Intendant (s. unter Zivilverwaltung) Internationale Beziehungen 43, 59/60, 62–64, 66–70, 72–74, 77 f., 80/81, 189, 238/239, 241

INTERREG (s. unter Grenzraumförderung) Interregionale Zusammenarbeit 37, 68 f. Kammlinie (s. Hauptkamm/Kammlinie) Karpaten 107 Kastilien 115 f., 121 f. Klima 98/99, 101/102, 113, 126 f., 209, 240 Kommissionen – Aldudes-Kommissionen 167–169 – Caro-d’Ornano-Kommission 158, 169–177, 200, 202/203, 211, 213, 215, 217 – Cerdagne-Kommissionen 152–155, 158, 178, 180 – Commission administrative internationale du canal de Puycerda 226 – Commission Internationale des Pyrénées (s. dort) – Commission internationale d’Ingénieurs 226 – Commission mixte de délimitation des Pyrénées (s. dort) – Figueres-Kommission 177–180, 198 – Grenzkommission (außerpyrenäisch) 30, 65, 91, 163, 205 f., 208 f., 232 – Grenzkommission (1851–1853) 211–213, 215, 241 – Internationale Grenzkommission für den Bidassoa (s. unter Commission Internationale des Pyrénées) Kondominium 221, 230/231, 241, 252 Krieg/Bürgerkrieg 24, 30, 52, 110 f., 115 f., 119, 121, 124, 131, 136–143, 146–150, 158–161, 165, 168, 176, 179–188, 199–209, 229, 235 f., 247, 249–251 – Guerrilla-Kampf 202, 206 f. – Heerfolge 110, 136 f. – Hegung (s. dort) – Hirtenkriege (s. unter Weidewesen) Krone von Aragón (s. Aragón/ Krone von A.)

Sachwortverzeichnis Labourd 141 Lac Lanoux 237 Lehenswesen 116–118 lies und passeries (s. unter Abkommen/ Verträge) Lineargrenze 44–51, 57, 92, 112, 120, 148, 160, 163, 167, 169–171, 175, 198, 215, 217, 222, 225, 234, 252 Llívia 154 f., 179/180, 189, 198, 224–226, 231/232, 243 – Befestigungsverbot 155, 225 – Durchführungsabkommen von Llívia (s. unter Abkommen/Verträge) – freie/„neutrale“ Straße 155 Mehrfachvasallität (s. Doppel-/Mehrfachvasallität) Metallurgie 102, 107, 164, 175, 188, 203 micro-ethnocentrisme 114, 166, 201 Migration (s. Abwanderung/Migration) Militär/militärisch 46, 48, 56, 85, 110, 116, 119, 120/121, 122 f., 131, 136, 148, 150, 152, 155, 158–162, 166 f., 168/169, 181–185, 199/200, 202, 204 f., 207, 209, 236, 240 Nacheile 192 f. Nationalismus 50, 73, 166, 235, 240, 248 – Früh-/Vor-Nationalismus 128, 167, 201 – nationalisme économique 167, 201 Nationalstaat (s. unter Staat) „natürliche“ Grenze 47 f., 97 f., 103, 117, 118/119, 120, 144, 150 f., 156 f., 204 f., 246 f. Navarra/navarresisch 91, 97/98, 115 f., 121–123, 125, 128, 133 f., 138, 140, 159 f., 168, 170 f., 181 f., 187–189, 215, 221, 247/248 Nutzung/Nutzungsrecht 108, 112, 121, 126 f., 128/129, 134 f., 145, 154, 164 f., 170 f., 173, 175, 179, 186–188, 209 f., 219, 222 f., 243 f., 248/249

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Okzitanien/okzitanisch 98, 105 f., 117, 122, 125, 139 Pacht (s. unter Weidewesen) Parlement 175, 189 Peripherie 41, 56, 93 – Zentrum-Peripherie-Ansätze 166, 199 Personalverbandsstaat 47, 251 Personen-/Warenverkehr 51 f., 57 f., 60, 96, 102, 126, 128 f., 137–139, 142 f., 146, 155, 179/180, 191/192, 193, 200, 225, 236 f., 247 Pfadabhängigkeit 197 politemps (s. unter Zeit/zeitliche Dimension) Politikwissenschaft 17, 19, 21, 37, 43, 61, 63 f., 66, 80–82, 84, 86 f., 246–253 – historisch-empirische Methode 84, 89 Privilegienrecht 92, 109–111, 122, 124, 131, 136, 141, 161, 165, 178, 182, 185, 187, 204, 216, 251 – (General-)Ermächtigung/Gewährleistung 110 f., 124, 131 – Querimònia 111, 122 Provincia(s) 61, 97 f. Pyrenäen – Atlantiksektor 94–96, 99, 115/116, 121, 140–143, 146, 157, 159 f., 169, 184 f., 187, 201, 203, 207, 213, 215 f., 221, 225, 229/230, 236/237 – Mittelmeersektor 94–96, 123, 152, 157, 160, 169, 177 f., 180, 201, 215, 224–226, 228 – Zentralsektor 94–96, 102, 121, 123, 137 f., 140, 157, 185, 215, 221–223, 225 Pyrenäengrenze (Land/Meer) 60, 85 f., 88 f., 97, 103, 112–114, 120, 143 f., 146, 148–151, 158–160, 162 f., 165 f., 180, 182 f., 193, 197, 200 f., 203, 206–208, 211–213, 221, 224, 227–231, 233, 236, 240 f., 246–251

286

Sachwortverzeichnis

Pyrenäenvertrag 86, 91 f., 103/104, 147–151, 156–159, 177–180, 197–199 – Artikel 42 (Prinzipienerklärung) 150–153, 156 f., 160, 198, 247 – Artikel 42 (Zusatzerklärung) 153 f., 225 – Artikel 59 178 f. – Durchführungsabkommen von Llívia (s. unter Abkommen/Verträge) – Geheimverhandlungen von Madrid 148–150 – Prince de Condé 149 Quellenlage/Textüberlieferung 46, 82, 84–87, 89 f., 93, 102, 106, 112, 118, 124, 128, 132, 139, 144 f., 151, 154, 187 f., 196, 214, 222, 225, 236, 240, 242, 247, 249–251 Querimònia (s. unter Privilegienrecht) Rechtswissenschaft 21, 49, 63, 73, 80 f., 87, 220 Regionenzentriertheit 17, 26 f., 29, 31 f., 34–40, 42, 62, 64–66, 68, 80 f., 87, 246, 249, 252 – Föderalismuspräferenz 27, 31 Région(s) 17, 23, 28, 32, 61, 97, 252 Revolution – (1789) 91, 106, 158, 163, 175 f., 191, 197, 202–204, 242, 250 – (1830/1848) 209, 211 Revolutionskrieg 158, 202 f. Roussillon 118, 121, 123, 142, 148, 150–152, 157, 159, 193/194, 203 Savoyen 156, 208, 242 f. – Convention de délimitation (s. unter Abkommen/Verträge) Schmuggel 50, 143, 162, 177, 186/187, 190–197, 199 f., 207, 210 f., 229–231, 236, 240 – Carabineros de Costas y Fronteras 210 – Contra-/Contrebande 144, 193, 196

Schweiz 24, 29, 31, 38, 57, 85, 240/241 – Talmarkgemeinschaft 107 Skandinavien 107 Souveränität 29, 32, 49–52, 63, 73, 108, 123, 131 f., 167, 199, 204, 211, 220 f., 231, 241, 252 – geteilte Souveränität 116 f., 123 – Kondominium (s. dort) Staat – Nationalstaat 34, 38 f., 41, 49 f., 52, 54, 57, 59, 67, 166, 176, 245, 252 – Staat als Akteur (s. unter Grenzüberschreitende Zusammenarbeit) – Zentralisierung/Zentralstaat (s. dort) Steuerwesen 121, 139 f., 143, 155, 161 f., 164, 174, 179, 182 f., 188, 193, 195/196, 201, 204 – Steuerpächter 193 Tal/Talschaft – Talgerichtsbarkeit 108–110, 128–130, 134 – Talschaft 91, 101, 104, 106, 108, 110–112, 124, 126–131, 136 f., 141, 164, 168, 182, 185, 190 – Talversammlung/-vertretung 106–108, 110, 134 – Valle/Vallée (s. dort) Talgrenze (s. Gebiets-/Talgrenze) Textüberlieferung (s. Quellenlage/ Textüberlieferung) Topographie (s. Geographie/ Topographie) Topographisches Institut für die Festlegung von Grenzen 163 Traité(s) de bonne correspondance (s. unter Abkommen/Verträge) Transhumanz (s. unter Weidewesen) Transnationalismus 65–68 – Transnationaler Regionalismus 66–68, 76

Sachwortverzeichnis Valle de – Aëzcoa 218 – Ansó 127 f., 130, 222 – Arán 106, 108, 111 f., 121–123, 126, 132, 138, 156/157, 159–161, 176, 183–185, 188 f., 203, 205 f., 209, 221–224, 237 – Baztán 134 – Erro 134, 176 – Roncal 127 f., 130, 218 f., 235 – Tena 185, 190, 200 Vallée d’/de – Aspe/Borce 127, 130, 222 – Baïgorry 134 f., 219 f. – Barétous 127 f., 130, 218 f., 235 – Cize 218 – Luchon 126, 132 – Ossau 185, 190, 200 Verkehrswesen – Eisenbahn 96, 102, 224, 234, 244 – Pässe/Gebirgsübergänge 95 f., 101 f., 125–127 – Schiffsverkehr 142 f., 194/195, 196, 220, 229 – Straßennetz 96, 102, 155, 201, 237 – Wegenetz 102, 128/129, 140, 155, 171 f., 173/174, 180, 182, 189 f., 220, 224–225, 235 Versorgungssicherheit 122, 135, 139, 142, 146, 161, 181, 183 f., 188–191, 200 f., 204, 207, 249 f. – Getreide 102, 146, 161, 180, 183 f., 200 Verträge (s. Abkommen/Verträge) Verwaltung (s. Zivilverwaltung) Vizcaya 140 f., 204, 207 Völkerrecht 18, 29, 39, 43 f., 49–51, 63, 66, 70, 73 f., 86, 91 f., 103 f., 131 f., 144 f., 147 f., 150 f., 154, 156 f., 167, 172, 177, 180, 187, 191, 192/193, 196, 198, 200, 208, 211–213, 214/215, 216, 218, 221–223, 225, 228, 238/239, 240–242, 249, 252

287

– vor-völkerrechtlich 86, 105, 111, 114, 123 f., 131/132, 145, 147, 249 Wald 107, 126 f., 164, 175, 188 f. – Code forestier 209 – guerre des demoiselles 210 – Waldweide 209 f. Warenverkehr (s. Personen-/Warenverkehr) Wasserscheide 97, 120, 151, 156, 163, 170, 205 f., 221 – prout dicta flumina decurrunt versus 120 Wasserwesen 72, 126 f., 170, 188 f., 220, 225–227, 231/232, 243 f., 248 – régime de jouissance des eaux d’un usage commun entre les deux pays 227 Weidewesen – carnau 129, 174 – contrat(s) de paˆturage (s. unter Abkommen/Verträge) – Hirten 101, 105 f., 126, 219, 223 – Hirtenkriege 126 – Pacht 173, 200, 217, 219, 241 – pignore 129, 168, 174, 220 – Transhumanz 101, 244 – „Vertrag der drei Kühe“ (s. unter Abkommen/Verträge) – Viehwirtschaft 100–102, 105 f., 125 f., 129 f., 168, 173–175, 189, 193, 200, 210, 220, 224 f., 227, 235 – Vorweide 127 – Weidegebiet 101, 105, 107, 126, 128 f., 133/134, 135, 145 f., 156, 164, 167/168, 173 f., 200, 209, 240, 243 f., 248/249 – Weidekonflikt 126, 131 f., 170, 209, 240, 243 – Weiderecht 172–174, 189, 200, 202, 207, 217–220, 223–225, 227, 235, 243 – Weidewächter 129, 189, 219 f., 224

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Sachwortverzeichnis

wirtschaftliche Zwänge/Beweggründe (s. unter Grenzüberschreitende Zusammenarbeit) Zeit/zeitliche Dimension 27, 34/35, 38–42, 52/53, 67, 78–82, 84–92, 93/ 94, 103 f., 145–147, 246, 249–253 – politemps 84 Zentralisierung/Zentralstaat 27, 32 f., 57, 117, 136 f., 139 f., 142, 146, 162, 165, 186, 204

Zivilverwaltung 59, 148, 160–164, 175, 181–186, 188 f., 195 f., 199 f., 207, 226, 232 f., 236–238, 242 – Intendant 182 f., 185, 189 f. – Zivilgouverneur 185, 224 Zollwesen 56 f., 57/58, 111, 118, 128/129, 139 f., 162 f., 178, 182, 190, 192 f., 195/196, 200, 207, 210, 220, 229, 232/233, 235, 239, 250