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German Pages [450] Year 2020
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BEITRÄGE ZU EVANGELISATION UND GEMEINDEENTWICKLUNG
Rebecca John Klug
KIRCHE UND JUNGE ERWACHSENE IM SPANNUNGSFELD Kirchentheoretische Analysen und eine explorative Studie zur ekklesiologischen Qualität ergänzender Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens
BEG
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BEITRÄGE ZU EVANGELISATION UND GEMEINDEENTWICKLUNG Herausgegeben von Michael Herbst, Jörg Ohlemacher und Johannes Zimmermann
Rebecca John Klug
Kirche und Junge Erwachsene im Spannungsfeld Kirchentheoretische Analysen und eine explorative Studie zur ekklesiologischen Qualität ergänzender Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Sonnhüter, Niederkrüchten Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9074 ISBN 978-3-7887-3452-7
Für Tobi und Tovah Du wurdest gefragt und sagtest: Ja. Ja zu mir und Ja zu der Forschung. Immer und immer wieder. Ich ahnte nicht, wie groß diese zwei kleinen Buchstaben sein können. So groß, weil du mich groß werden lässt. Ungefragt musstest du mitmachen, warst mir Ansporn, dieses Vorhaben zu einem Ende zu bringen, jeder Tritt von dir in mir eine Anfeuerung. Danke für euer Investieren, Aushalten, Sein. Ihr seid für mich die Größten.
When does something become church? – George Lings
Ergänzende kirchliche Ausdrucksformen waren sein Thema. 20 Jahre lang hat sich George Lings mit der Beforschung dieses Phänomens beschäftigt. Als Direktor der Church Army’s Research Unit war er von 1997 bis 2017 für die empirische Untersuchung der Fresh expressions of Church in England zuständig. Diese Frage hat ihn dabei stets begleitet und 2017 spielt er sie noch einmal in die aktuellen kirchlichen Prozesse ein. Während zunehmend diskutiert wird, dass die Kirchen an Mitgliedern und auch alltagsrelevanter Bedeutung verlieren, steigt gleichzeitig die Wahrnehmung von Experimenten, Versuchen, wo Menschen (zum Teil schon seit Jahrzehnten) etwas Neues, Andersartiges als das kirchlich Vertraute wagen. Doch das, was wir Kirche oder auch Gemeinde nennen, bleibt davon meist unberührt. Das Bild von Kirche, das weiterhin prägt, ist das einer parochial organisierten Gemeinde. Menschen, die an diesem Modell von Kirche nicht in irgendeiner Form partizipieren, gelten als „kirchenfern“. Doch ab wann kann eine Idee, eine Initiative, eine Gruppe von Menschen, die dem christlichen Glauben Gestalt verleiht als Kirche oder Gemeinde bezeichnet werden? Wo fängt Kirche an, wo hört sie auf? Die fünfte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland beschreibt 2014 junge Erwachsene als die kirchenfernste Gruppe. Herausgefordert von dieser Beobachtung wird in diesem Forschungsprojekt danach gefragt, ob es Formen von Kirche gibt, die junge Erwachsene abseits des institutionell verantworteten Rahmens gestalten. Was wird dort sichtbar? Und inwiefern kann das als Kirche bezeichnet werden? So beschäftigt sich dieses Forschungsprojekt mit einem kleinen Ausschnitt einer tendenziell vielfältiger werdenden kirchlichen Landschaft und fokussiert sich auf von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägte ergänzende kirchliche Ausdrucksformen. Die damit verbundene Hoffnung ist es, zu einer Diskussion oder auch neuen Wahrnehmung dessen, was sich hinter dem Begriff junge Erwachsene sowie auch hinter dem Begriff Kirche verbirgt, anzuregen. Im April 2019 wurde die vorliegende Arbeit von der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald als Dissertation angenommen. Ganz unterschiedliche Menschen haben auf jeweils eigene Art und Weise dazu beigetragen. Darum möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Zu allererst bei allen, die mutig
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und kreativ Kirche in unterschiedlichen Kontexten Gestalt gewinnen lassen. Danke dafür und für das Teilen der eigenen Erfahrungen und Perspektiven. Mich inspiriert Vieles davon auch weit über meine Forschungstätigkeit hinaus in meinem Tun und auch Lassen. Ich danke allen, die sich mit den Fragen, die ich gestellt habe, beschäftigt haben – online und offline, am Telefon, beim Bier, am Frühstückstisch, in passenden und in den unpassendsten Momenten. Ich habe dadurch so viel gelernt. Ich danke meinen Doktorvater Prof. Dr. Michael Herbst für die wunderbar menschliche, verlässliche und unglaublich genaue Art meinen Forschungsprozess zu begleiten, für das engagierte, ehrliche gemeinsame Ringen um unsere so unterschiedlichen Perspektiven. Und für die Ermutigung trotz allem Druck, der in so einem Forschungsprozess entstehen kann, zur heiligen Pause, zur Unterbrechung und dazu, den Blick für das Wesentliche – das Leben – nicht zu verlieren. Ich danke auch dem Zweitgutachter Prof. Dr. Roland Rosenstock, der die Bearbeitung dieses Themas ermöglicht und begleitet hat. Ich danke der Evangelischen Kirche im Rheinland, die mein Forschungsvorhaben vielfältig unterstützt hat und Raum lässt, um mitten in der Kirche mein Herzensthema zu bewegen. Ganz besonders gilt mein Dank Präses Manfred Rekowski für’s Türen und Ohren Öffnen, den Superintendentinnen und Superintendenten und vielen weiteren Engagierten für’s Teilen ihrer Beobachtungen. Sehr dankbar bin ich zudem für die großartige finanzielle Unterstützung der Rheinischen Kirche zur Veröffentlichung der Dissertation. Ich danke auch der Union Evangelischer Kirchen in der EKD und der EKD sowie dem Verein zur Förderung der Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung e. V. für die jeweils großzügigen Druckkostenzuschüsse. Darüber hinaus danke ich einigen Einzelnen, die mich auf dem Forschungsweg begleitet, korrigiert, inspiriert und motiviert haben: Prof. Dr. Tobias Faix, ohne den ich das Abenteuer Empirie nicht bewältigt hätte und auch Carla Witt, Kirche2 – Maria Herrmann und Prof. Dr. Sandra Bils – für’s Fragen Teilen, Bücher, Beziehungen und neue Perspektiven Verschenken, Dr. Thomas Schlegel für den wunderbaren Mix aus Herz für die Praxis und Kopf für die Reflexion, Stephanie Schwenkenbecher für’s Lektorieren, Benjamin Stahl für sein unglaubliches Durchdringen meiner Arbeit in allen Schräglagen, Frau Kindermann und Frau Lubs, die mir im Endspurt so Vieles erleichtert haben, Prof. Dr. Matthias Sellmann, Ursula Hahmann und Florian Sobetzko, die mich durch ihre Expertise an unterschiedlichen Stellen weitergebracht haben, Christina Brudereck für die Inspiration und Herausforderung, alles immer noch einmal ganz anders zu sehen und zu glauben, Hannes Leitlein für’s Vernetzen, Jule Gayk für kopf- und herzenskluge Beratungen, Runa Ahl, die seit Jahren nicht müde darin wird, alles Korrektur zu lesen, meinem kleinen Bruder Dr. David
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John, der fachfremd die komplette Arbeit kommentiert hat, meiner Familie für Verzicht und Versorgung, wenn alles zu stressig wurde, Kirsten Graubner für ihre Fleißarbeit beim Digitalisieren, Hanna Jacobs für die famose Unterstützung im Endspurt, dem praktisch-theologischen Forschungskolloquim in Greifswald, für das Aushalten und Sortieren meiner chaotischen Gedanken und vielen Fragen, dem DGSA-Forschungskolloquim an der Evangelischen Hochschule in Bochum für die zwischenzeitliche Begleitung, dem Haus der Stille in Rengsdorf für Raum, Zeit und Versorgung, damit das reifen konnte, was sich in mir bewegte.
Inhalt
When does something become church? – George Lings . . . . . . . . . . . . . . .7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 1. Fragestellung, Ziel und Aufbau des Forschungsprojekts . . . . . . . . . . . .19 2. Forschungsgeschichtlicher Überblick zur Erfassung des zentralen Gegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24
TEIL A: Soziologischer Ausgangspunkt Klärung des Begriffs und Phänomens Junge Erwachsene . . . .37 I Lebenslaufforschung: Junge Erwachsene – Eine vorübergehende Lebensphase oder Lebenslage des Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 1. Die Statuspassage ins Erwachsenenalter – Ausdifferenzierungen im Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Auf dem Weg zum Erwachsenenstatus – Ungelöste Entwicklungs aufgaben und die Diversifizierung von Übergängen . . . . . . . . . . . . . . .41 2.1 A) Die Begründung einer eigenen beruflichen sowie ökonomisch autarken Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43 2.2 B) Die Begründung einer eigenen partnerschaftlichen sowie räumlichen Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51 2.3 C) Die Begründung einer eigenen Existenz im Bereich Konsum und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .59 2.4 D) Die Begründung einer eigenen politischen Existenz . . . . . . . .64 2.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .69 3. Konsequenzen der Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .72 3.1 Jeffrey J. Arnetts Konzept emerging adulthood . . . . . . . . . . . . . . . .72 3.2 Die Verabschiedung von konventionellen sowie linearen Vorstellungen in der Lebenslaufforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .73
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3.3 Junge Erwachsene als Lebenslage unabgeschlossener Übergänge 76 3.4 Bedeutung des Lebensalters versus die Anzahl der bewältigten Übergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77 4. Abschließende Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79 II Generationenforschung:Junge Erwachsene – Die Generation Y
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1. Generation Y – Wie eine Metapher für eine Generation steht . . . . . . .85 2. Generation Y – Wie sie wahrgenommen wird, denkt und handelt 91 2.1 Leistungsorientierung, Selbstverwirklichung und Relevanz im Hier und Jetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .94 2.2 Loyalität, Bindung und Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .96 2.3 Individualisierung, Netzwerkorientierung und Informationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97 3. Generation Y – Wie ein Buchstabe für eine Generation steht . . . . . . .100 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener . . . . . . . . . . . . . .105 1. Studien zur Religiosität junger Erwachsener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .105 2. Theorien zur religiösen Entwicklung in postmodernen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109 3. Kirchliche Religiosität, Indifferenz und alternative Spiritualität . . . . .113 3.1 Kirchliche Religiosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113 3.2 Indifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .118 3.3 Alternative: Spiritualität und Individualität im Kontext von Pluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121 4. Übergänge, die in Abbrüchen enden und das Phänomen der Dekonversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .125 4.1 Dekonversion als Glaubensverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .126 4.2 Dekonversion als „Migrations in the Religious Field“ . . . . . . . . . .130 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .134 IV Ausblick auf das spezifische Forschungsvorhaben ausgehend von TEIL A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .135
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TEIL B: Kirchentheoretischer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . .137 V Begriffs- und Verständnisklärung: Grundlagen zum Kirchenund Gemeindeverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .141 1. Die Suche nach Kennzeichen von Kirche – Theologische Skizzen 141 1.1 Vier Kennzeichen von Kirche im NicaenoConstantinopolitanum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142 1.2 Drei altkirchliche Grunddimensionen von Kirche und die Ergänzung durch das II. Vaticanum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .144 1.3 Notae ecclesiae in der Confessio Augustana und die Ergänzung durch die Barmer Theologische Erklärung . . . . .144 2. Kirchenrechtliche Perspektiven zum Kirchen- und Gemeindebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147 2.1 Exkurs: Kirchenrechtliche Skizzen zum Gemeindebegriff aus Sicht der EKiR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .149 3. Kirche als Gemeinde? – Spannungsverhältnisse und Sozialformen aus soziologischem Blickwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .151 4. Fazit zur sprachlichen Verwendung der Begriffe Kirche und Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161 VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen . . . . . . . .163 1. Mixed economy – Wie die Anglikanische Kirche die Ergänzung fokussiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .165 1.1 Der Begriff und die Idee einer mixed economy . . . . . . . . . . . . . . .167 1.2 Förderung und Anerkennung der fxC als gleichwertige Partner in einer Kirche der Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .169 2. Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs im kirchentheoretischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .178 2.1 Ergänzungen bezüglich des Ortsbezugs – Uta Pohl-Patalong: kirchliche Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .179 2.2 Ergänzungen bezüglich zeitlicher Dimensionen . . . . . . . . . . . . . .185 2.2.1 Gemeinde auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .186 2.2.2 Ereignisekklesiologie und liquid church . . . . . . . . . . . . . . . .190 2.2.2.1 Liquid church im Horizont des Diskurses fluider Kirchbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .190 2.2.2.2 Ereignisekklesiologie – Michael Schüßler . . . . . . .197 2.2.2.3 Exkurs: Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .198 2.2.2.4 Situative Pastoral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
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2.2.2.5 Fresh expressions of Church . . . . . . . . . . . . . . . . . . .201 2.2.2.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .202 2.3 Fazit zu den skizzierten Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204 3. Organisationsmodelle einer Kirche in vielfältiger Gestalt . . . . . . . . . .208 3.1 Regiolokale Kirchenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209 3.2 Kirche als Hybrid – Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .216 3.2.1 Darstellung des Hybrid-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 3.2.2 Der Gemeindebegriff aus Perspektive des Hybrid-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .223 3.2.3 Kritische Würdigung des Hybrid-Modells . . . . . . . . . . . . .224 3.2.4 Kirche als Netz von Gemeinden an kirchlichen Orten . . .227 3.3 Kirche als Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .230 3.3.1 Das Netzwerk als Hoffnungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .230 3.3.2 Ekklesiologie und Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233 3.3.3 Netzwerke in pastoralen Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .236 3.3.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .241 3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .245 4. Exkurs: Rollenverständnisse und Kompetenzen in einer Kirche der Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .248 4.1 Veränderungen im Aus-, Fort- und Weiterbildungsbereich . . . .249 4.2 Neue Rollen(typen) und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 4.3 Lernen von Erfahrungen aus England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .259 5. Indikatoren, Kriterien, Maßstäbe für ergänzende Gemeindeformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .260 5.1 Exkurs zum Prozess der EKiR „Gemeinde formen“ . . . . . . . . . . .263 5.2 Analyse der Indikatoren für fxC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .269 5.3 Analyse der „Kriterien für Gemeinde“ von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .277 5.3.1 Geistliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .278 5.3.2 Institutionelle Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .281 5.3.3 Organisatorische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .283 5.3.4 Bündelung der wesentlichen Aspekte der „Kriterien für den Gemeindebegriff “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .285 VII Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .288
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TEIL C: Explorative Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297 VIII Aufbau und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297 1. Einleitung: Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .298 2. Forschungsgegenstand und Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .298 3. Forschungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .300 4. Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .301 5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten . . . . . . . .304 5.1 Befragungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .304 5.2 Fragedesigns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .305 5.2.1 Befragung 1 (Vorstudie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .305 5.2.2 Befragung 2 (Online-Befragung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .305 5.2.2.1 Items entsprechend der Merkmale ekklesiologischer Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .307 5.2.2.2 Weitere Explorationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .316 5.2.2.3 Formale Angaben und Datenschutz . . . . . . . . . . . .317 5.3 Durchführung der Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .317 5.3.1 Befragung 1 (Vorstudie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .317 5.3.2 Befragung 2 (Online-Befragung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .317 6. Methodische Herangehensweise zur Auswertung der Daten . . . . . . . .318 6.1 Befragung 1 (Vorstudie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .318 6.2 Befragung 2 (Online-Befragung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .318 IX Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .322 1. Die Vorstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .322 2. Allgemeine Analysen zur Auswertung der Online-Befragung . . . . . . .324 3. Qualitativer Forschungsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .325 3.1 Auswertung der Daten zur Beschreibung der Formate . . . . . . . .325 3.1.1 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .325 3.1.2 Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .326 3.1.3 Ausprägungsstärke der ekklesiologischen Grunddimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .327 3.1.4 Explorationen zur In-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .328 3.1.5 Explorationen zur Up-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .329 3.1.6 Explorationen zur Out-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . .329
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3.2 Auswertung der Daten zur Beschreibung des Ziels . . . . . . . . . . . 330 3.2.1 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .330 3.2.2 Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .330 3.2.3 Ausprägungsstärke der ekklesiologischen Grunddimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .331 3.2.4 Explorationen zur Out-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . .332 3.2.5 Explorationen zur In-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .333 3.2.6 Explorationen zur Up-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .334 3.2.7 Explorationen zur Of-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .335 3.3 Auswertung der Daten zu ergänzenden Aspekten des Gemeindebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .336 3.3.1 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .336 3.3.2 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .336 4. Überprüfung von Hypothese 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .337 4.1 Untersuchung der Merkmale ekklesiologischer Qualität . . . . . . .337 4.1.1 Of-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .340 4.1.2 Out-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .340 4.1.3 In-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .341 4.1.4 Up-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .342 4.2 Ergebnis und Fazit zu Hypothese 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .342 5. Hypothese 2: Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .344 5.1 Zentraler Aspekt: Selbstverständnis als Gemeinde . . . . . . . . . . . .344 5.2 Prägung durch konfessionelle Zugehörigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . .346 5.3 Zusammenhang mit strukturellen Merkmalen der Selbstständigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .347 5.4 Exemplarische Fallanalyse zur Markierung der Grenze des Forschungsprojekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .348 6. Weiterführende Explorationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .349 6.1 Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 6.2 Konfessionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .351 6.3 Haupt- und Ehrenamtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .352 6.4 Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .354 6.5 Offizieller Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .355 6.6 Ort des zentralen Formats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 6.7 Größe und Organisation von Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .357 6.8 Taufe und Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .358 6.8.1 Ekklesiale Reifungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .358 6.8.2 Wer verantwortet Taufen sowie die Feier des Abendmahls? 359
Inhalt
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6.8.3 Bedeutung der Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .359 6.8.4 Bedeutung des Abendmahls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .360 6.8.5 Fazit zur Feier von Taufe und Abendmahl . . . . . . . . . . . . .360 6.9 Spezifische Erkenntnisse zur Prägung durch junge Erwachsene 362 6.9.1 Zugehörigkeit und Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .363 6.9.2 Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .364 6.9.3 Rhythmus des zentralen Formats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .365 6.9.4 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .365 6.9.5 Merkmale der Generation Y . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .367 6.10 Erneut im Fokus: Der Gemeinschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . .367 6.11 Zusammenfassung der Explorationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .370 7. Kurze Reflexion und Einordnung der explorativen Studie . . . . . . . . . .373
TEIL D: Zusammenfassung und Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .375 X Zusammenfassung des Forschungsprojekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .375 XI Deutung der Ergebnisse und Ertrag des Forschungsprojekts . . . . .379 XII Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .390 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .393 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .395 Anhangsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .417 Anhang 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .421 Anhang 28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .448
Einleitung
1. Fragestellung, Ziel und Aufbau des Forschungsprojekts Zukunftstrends zeigen sich an den aktuell Heranwachsenden, an denjenigen, die in die (noch) von älteren Generationen wesentlich geprägten und gestalteten Bereiche derzeit hineinwachsen. Nimmt man die Haltung und das Verhalten Jugendlicher und junger Erwachsener in den Blick, wird daran deutlich, wie sich die Zukunft einer Gesellschaft, einer Institution, eines Unternehmens oder auch eines Lebensbereichs tendenziell verändern wird. Das ist auch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bewusst und so gilt dieser Gruppe in der aktuellen fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V. KMU) nach eigenen Angaben „besondere Aufmerksamkeit“1. Dabei richtet die Untersuchung zunächst ihre Aufmerksamkeit auf die bisherige Forschung zu dieser spezifischen Gruppe und teilt vor der Darstellung eigener Ergebnisse eine wesentliche Beobachtung daraus mit: Entsprechend wird die Gruppe der jungen Erwachsenen als diejenige ausgemacht, welche im Generationenvergleich in Deutschland (und im weiteren Westeuropa) am wenigsten integriert in die christlichen Kirchen ist.2
Kirche hat demnach in der Lebenswelt derjenigen, die nach soziologischen Skizzierungen aktuell am stärksten als Gesamtheit mit der Suche nach dem eigenen beruflichen sowie persönlichen Platz im Leben beschäftigt sind, anscheinend (zu) wenig Raum. Möglicherweise gibt es aber auch (zu) wenig Raum für diese Gruppe, deren Fragen und Themen in der Kirche. Die V. KMU nimmt dieses Spannungsverhältnis zwischen Kirche und jungen Erwachsenen unter dem einschlägigen Titel des entsprechenden Kapitels3
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EKD, 2014, 10. In diesem Teil der Einleitung liegt der Fokus auf der ersten Veröffentlichung der V. KMU 2014, da das vorliegende Forschungsprojekt in der Beschäftigung mit dieser Veröffentlichung 2014 seinen Ausgangspunkt genommen hat. Die danach erschienene offizielle Veröffentlichung der V. KMU (Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015) findet im weiteren Verlauf der Arbeit Berücksichtigung. EKD, 2014, 60 f. Vgl. ebd., 60–72.
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Einleitung
in den Blick: „Stabil im Bindungsverlust zur Kirche“4. Mit dieser Formulierung wird nicht nur die Darstellung der Ergebnisse bezüglich der jüngsten untersuchten Altersgruppe eingeleitet, sondern zugleich die Sicht auf junge Menschen in eine Richtung geleitet. Jugendliche und junge Erwachsene werden in der Interpretation der Ergebnisse dieser Studie als diejenigen wahrgenommen und dargestellt, die sich von der christlichen Kirche distanzieren: Die V. KMU kommt zu einem eindeutigen Befund: Unter den jugendlichen Kirchenmitgliedern5, eine Gruppe, welche nach repräsentativen Umfragestudien und Statistiken eine kontinuierlich sinkende Größe darstellt, besteht eine steigende Distanz gegenüber der evangelischen Kirche.6
Interessant erscheint an dieser Stelle, dass die in den Untersuchungen beobachtete Distanz zwischen jungen Menschen und der christlichen Kirche auf den Relevanzverlust von Religion zurückgeführt wird. Aufgrund der abnehmenden religiösen Sozialisierung durch die Familie nehme, laut Studie, die religiöse Indifferenz junger Menschen zu, was sich unter anderem in der sinkenden Konfessionsmitgliedschaft ausdrücke.7 Während die V. KMU das von ihr aufgezeigte Spannungsverhältnis somit zu einer Seite hin auflöst, setzt sich diese Arbeit zum Ziel, das Verhältnis von jungen Erwachsenen und Kirche gerade in der Spannung dieser Frage, wer hier zu wem „stabil im Bindungsverlust“ ist und eine zunehmende „Distanzhaltung“ zeigt, zu beschreiben. Welche Möglichkeiten zur Nähe, welche Zugänge und (Ver)Bindungsmöglichkeiten werden insbesondere jungen Erwachsenen von der aktuell vorherrschenden Form, in der Kirche vor Ort Gestalt gewinnt, der parochial organisierten Gemeinde, eröffnet oder verwehrt? Um diesem Spannungsverhältnis nachzugehen, gilt es, die von der KMU verwendeten und zueinander in Beziehung gesetzten Begriffe junge Erwachsene, Kirche (sowie auch Religion) und Relevanz zunächst zu klären und auf ihr jeweiliges Verhältnis zueinander zu überprüfen. Dem Relevanzbegriff kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, da er die einzelnen Begriffe in ihrer Beziehung zueinander gewichtet. Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong definieren Relevanz als
4 Ebd., 60. 5 Die folgenden Ausführungen zeigen, dass dabei die 14- bis 21-Jährigen sowie die 22- bis 29-Jährigen gemeint sind, so dass bei dieser Aussage ebenfalls junge Erwachsene im Fokus stehen (vgl. ebd., 61). 6 Ebd., 61. 7 Vgl. ebd., 65–70.
1. Fragestellung, Ziel und Aufbau des Forschungsprojekts
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Überzeugung, dass etwas (die christliche Religion und/oder die Kirche) in einer bestimmten Entscheidungssituation eine so hohe Bedeutung für jemanden (ein Subjekt und/oder die Gesellschaft) besitzt, dass es für die Reflexion nicht verzichtbar erscheint und daher einen Einfluss auf das Handeln des Subjekts/der Gesellschaft hat [Hervorhebung im Original].8
Von dieser Definition ausgehend ist die grundlegende Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit, ob Kirche aktuell eine so hohe Bedeutung für junge Erwachsene hat, dass es „Einfluss auf das Handeln“ junger Erwachsener hat, wenn sie ihren Glauben zum Ausdruck bringen. Dabei geht es weniger darum, den von der V. KMU diagnostizierten Relevanzverlust von Religion im Allgemeinen sowie Kirche im Speziellen eingehender zu untersuchen, sondern Aussagen zur aktuellen Relevanz von Kirche für junge Erwachsene treffen zu können. Diese sollen aus der Perspektive von durch junge Erwachsene geprägten Ausdrucksformen des Glaubens gewonnen werden. Davon ausgehend ließe sich das skizzierte Spannungsverhältnis von jungen Erwachsenen und Kirche gegebenenfalls noch einmal neu beurteilen. Grundlegen für dieses Forschungsvorhaben ist die Klärung, was unter diesen beiden zentralen Gegenständen junge Erwachsene und Kirche verstanden sowie auch was diesbezüglich aktuell diskutiert wird. Zunächst wird dementsprechend der Begriff oder auch das Phänomen junge Erwachsene aus soziologischer Perspektive skizziert: Was kennzeichnet junge Erwachsene und unterscheidet sie zugleich von anderen (Jugendlichen/Erwachsenen)? Und welche Erkenntnisse zur Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener werden aktuell diskutiert? Diesem soziologischen sowie religionssoziologischen Interesse des Forschungsvorhabens widmet sich der erste Teil (▶ TEIL A) dieser Arbeit. Dem folgt die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Kirchenbegriff: Was wird im Rahmen kirchentheoretischer Diskurse als Kennzeichen von Kirche und an Formen, in denen diese Gestalt gewinnen, derzeit diskutiert? Im Fokus steht dabei die Frage nach einem Gemeindebegriff, der über die prägende Form der Parochialgemeinde hinaus definiert, was aus Perspektive der Evangelischen Kirche aktuell als Gemeinde verstanden werden und somit die Parochialgemeinde um weitere Formen gemeindlichen Lebens sinnvoll ergänzen kann, so dass sich Kirche im 21. Jahrhundert in vielfältiger Gestalt erleben lässt. Es gilt demnach ein in der aktuellen kirchentheoretischen Diskussion verortetes Verständnis von Kirche sowie vielmehr Gemeinde als zweiten zentralen Gegenstand dieser Arbeit abzuleiten und davon ausgehend Merkmale ekklesiologischer Qualität für Sozialgestalten des christlichen Glaubens zu
8
Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 111.
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Einleitung
formulieren. Dieser Aufgabe widmet sich der – für die im Kontext der Praktischen Theologie angesiedelten Forschungsfrage zentrale – kirchentheoretische zweite Teil (▶ TEIL B). Erst ausgehend von diesen theoretischen Grundlegungen können konkrete Hypothesen zur skizzierten Frage nach der Relevanz von Kirche für junge Erwachsene formuliert werden. Der Formulierung von Forschungshypothesen kommt dabei eine Scharnierfunktion zwischen dem ersten, theoretischen Teil dieser Arbeit (TEIL A und B) und dem zweiten, empirisch ausgerichteten Teil dieser Arbeit (TEIL C) zu. Im Rahmen einer explorativen Studie zu Ausdrucksformen des christlichen Glaubens, in denen junge Erwachsene eine zentrale Rolle einnehmen, widmet sich der zweite Teil (▶ TEIL C) der Auseinandersetzung mit den Hypothesen und somit mit der zentralen Forschungsfrage dieses Projekts: (Inwiefern) Zeigt sich beim skizzierten Forschungsgegenstand, den von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens, eine Relevanz von Kirche in dem von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt formulierten Sinn, dass Kirche bewusst oder auch unbewusst das Handeln prägt und somit den Ausdrucksformen eine ekklesiologische Qualität verleiht? Dieses Vorhaben ist dabei als eine erste Exploration des skizzierten Forschungsgegenstands zu begreifen. Inwiefern auf Erkenntnisse vorausgehender Studien zu diesem spezifischen Gegenstand zurückgegriffen werden kann, wird im folgenden forschungsgeschichtlichen Überblick analysiert. Während die Auseinandersetzung mit einem im aktuellen kirchentheoretischen Diskurs verorteten Gemeindebegriff insbesondere im ersten Teil dieser Arbeit zentral ist, gilt es als Ertrag dieses Forschungsprojekts zudem danach zu fragen, welche neuen Dimensionen in diesen Gemeindebegriff ausgehend von den Ergebnissen der explorativen Studie einzutragen sind. Können die untersuchten Ausdrucksformen des Glaubens neue Perspektiven auf die Evangelische Kirche und die Formen, in denen sie Gestalt gewinnt, eröffnen und damit auch neue Themen in den aktuellen kirchentheoretischen Diskurs einspielen? So zielt diese Arbeit ausgehend von dem beschriebenen Spannungsfeld von Kirche und jungen Erwachsenen darauf, aus der Perspektive eines spezifischen Forschungsgegenstands Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft der Evangelischen Kirche aufzuzeigen sowie in die aktuelle kirchentheoretische Diskussion einzubringen. In einem abschließenden Teil (▶ TEIL D) stehen neben einer Zusammenfassung und einem Ausblick dementsprechend vor allem Deutungen der Ergebnisse der Studie im Horizont der aktuellen kirchlichen Praxis im Fokus, von denen ausgehend der Ertrag dieses Forschungsprojekts für den aktuellen kirchentheoretischen Diskurs skizziert wird.
1. Fragestellung, Ziel und Aufbau des Forschungsprojekts
23
Für dieses Forschungsprojekt ergibt sich daraus folgender Aufbau: Einleitung 1 Fragestellung, Ziel und Aufbau des Forschungsprojekts 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick zur Erfassung des zentralen Gegenstands TEIL A:
Soziologischer Ausgangspunkt: Klärung des Begriffs und Phänomens Junge Erwachsene I Lebenslaufforschung: Junge Erwachsene – Eine vorübergehende Lebensphase oder Lebenslage des Übergangs II Generationenforschung: Junge Erwachsene – Die Generation Y III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener IV Ausblick auf das Forschungsvorhaben ausgehend von TEIL A
TEIL B:
Kirchentheoretischer Ausgangspunkt V Begriffs- und Verständnisklärung: Grundlagen zum Kirchenund Gemeindeverständnis VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen VII Fazit TEIL C:
Explorative Studie VIII Aufbau und Methodik IX Auswertung
TEIL D:
Zusammenfassung und Deutung X Zusammenfassung XI Deutung der Ergebnisse und Ertrag des Forschungsprojekts XII Ausblick
Das damit hinsichtlich seiner Fragestellung, seines Ziels und Aufbaus in Grundzügen skizzierte Forschungsvorhaben ist auf die Perspektive der Evangelischen Kirche in Deutschland konzentriert und widmet sich vor diesem Horizont der Beschäftigung mit der dargestellten Frage und den kirchentheoretischen Diskussionen. Da die EKD föderal organisiert ist und sich somit auch das, was bezüglich des Gemeindebegriffs aktuell aus Perspektive der Praxis sowie des Kirchenrechts diskutiert oder auch ausprobiert wird, von Landeskirche zu Landeskirche unterscheidet, fokussiert sich dieses Forschungsvorhaben an einigen Stellen auf die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR). Die Entscheidung der Fokussierung auf die EKiR ist in dem persönlichen Bezug der Forscherin
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Einleitung
zu dieser Landeskirche begründet9 und geschieht insbesondere in Form von Exkursen zu spezifischen Grundlagen oder auch aktuellen Entwicklungen in der EKiR. Ausschlaggebend für die Fokussierung auf eine spezifische Landeskirche ist, dass im Rahmen der explorativen Studie angestrebt wird, vor allem auf dem Gebiet der EKiR verortete Initiativen aufzuspüren und die Ergebnisse der Studie somit insbesondere mit den aktuellen Entwicklungen der EKiR zu ergänzenden Gemeindeformen in das Gespräch bringen und somit bestenfalls konkretisieren zu können: Welche Perspektiven können ausgehend von den Beobachtungen der Studie sowie den aktuellen Entwicklungen der EKiR auf dem Weg zu einer Kirche in vielfältiger Gestalt konkret entwickelt werden? Ob dieses Vorhaben gelingt, werden der weitere Verlauf dieses Forschungsprojekts und insbesondere der empirische Forschungsteil zeigen. Im Folgenden wird der Begriff junge Erwachsene großgeschrieben, wenn er im Sinne der später entfalteten Definition als Bezeichnung der Lebenslage Junge Erwachsene verstanden werden will, die – wie im entsprechenden Kapitel gezeigt wird – weniger von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe als vielmehr von Übergängen und der Herausforderung, diese zu gestalten, wesentlich geprägt ist.
2. Forschungsgeschichtlicher Überblick zur Erfassung des zentralen Gegenstands Für den Forschungskontext dieser Arbeit sind vor allem Studien mit folgenden Merkmalen relevant: Studien, die sich auf den Kontext in Deutschland im 21. Jahrhundert beziehen; Studien aus evangelischer Perspektive; Studien, in denen konkret Junge Erwachsene untersucht werden und Studien zu ergänzenden kirchlichen Ausdrucksformen. Diese Kriterien bilden den Rahmen für den folgenden forschungsgeschichtlichen Überblick als Forschungsgrundlage dieser Arbeit. Auf Studienergebnisse zum Forschungsgegenstand von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägte Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens kann nicht zurückgegriffen werden, da es zu diesem spezifischen Gegenstand bisher keine empirischen Untersuchungen gibt, die zugänglich sind. So werden ausgehend von den vier benannten Kriterien, verschiedene Studien und weitere Veröffentlichungen herangezogen, um sich dem Forschungsgegenstand
9
Im Rahmen der Skizzierung der Methodik der explorativen Studie, wird der persönliche Bezug der Forscherin noch einmal expliziert (▶ Kapitel VII, 5.3.1).
2. Forschungsgeschichtlicher Überblick
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zu nähern, vorfindliche Erkenntnisse wahrzunehmen und im Rahmen dieser Arbeit zum Teil eingehender zu diskutieren. Dieses Kapitel hat dabei nicht das Ziel, sämtliche Forschungs- und Diskussionsbeiträge sowie Studien zum aktuellen kirchentheoretischen Diskurs, in dem dieses Forschungsprojekt verortet ist, zusammenzutragen, sondern konzentriert sich darauf, Entwicklungen, Studien und Veröffentlichungen, die vor allem der Verortung und Erfassung des spezifischen Forschungsgegenstands dieser Arbeit dienen, an dieser Stelle überblicksartig zu präsentieren. Junge Erwachsene Zum Forschungsgegenstand Junge Erwachsene kann auf diverse Studien und unterschiedliche Perspektiven zurückgegriffen werden, die meist einen Schwerpunkt im entwicklungspsychologischen, soziologischen oder auch pädagogischen Bereich haben. Am häufigsten geraten Junge Erwachsene aus Perspektive der Jugendforschung in den Blick. So ist eine erste populäre Beschäftigung mit der „Altersstufe“ oder „Lebensphase“ sowie vor allem mit dem Begriff Junge Erwachsene in der Shell Jugendstudie von 1981 zu finden. Seitdem bestimmt dieser Begriff sowie die Auseinandersetzung mit einer Altersgruppe bis weit ins dritte (sowie zum Teil auch vierte) Lebensjahrzehnt zunehmend die Jugendforschung.10 Häufig wird dabei in Jugendstudien zwischen jüngeren und älteren befragten Altersgruppen zwischen ungefähr zwölf bis maximal 34 Jahren unterschieden. Andere Kriterien zur Unterscheidung Jugendlicher und junger Erwachsener werden meist nicht herangezogen. Die Altersspannen variieren dabei von Studie zu Studie, wie hier exemplarisch anhand einiger bekannterer Jugendstudien skizziert sei: Seit 2002 werden in der Shell Jugendstudie 12- bis 25-Jährige untersucht11, im aktuellen 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (2017) stehen „im engen Sinne des Wortes als Jugendbericht“ 12- bis 27-Jährige im Fokus12, unter der Frage „Wie ticken Jugendliche […]?“ erscheint in regelmäßigen Abständen die SINUS-Jugendstudie, die die Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland untersucht13, lediglich im Jahr 2007 gab es zudem unter diesem Titel eine SINUS-Milieustudie U27 in Zusammenarbeit mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und MISEREOR, in
10 So standen in der Shell Jugendstudie 1992 plötzlich nicht mehr 15- bis 24-Jährige sondern 13- bis 29-Jährige im Fokus der Untersuchungen. Diese weite Altersspanne wurde jedoch in den weiteren Shell Jugendstudien nicht beibehalten, wie sich in den folgenden Ausführungen sowie insbesondere in ▶ Kapitel I zeigen wird. 11 Vgl. die derzeit aktuelle Studie: Shell Deutsche Holding (Hg.), 2015. 12 Vgl. BMFSFJ, 2017, 5. 13 Vgl. die derzeit aktuelle Studie: Marc Calmbach u. a., 2016.
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Einleitung
der neun- bis 27-Jährige befragt wurden14, vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) wurde zuletzt 2014 im Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A) die Lebenssituationen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis zu einem Alter von 32 Jahren untersucht15, Jugendforscher Klaus Hurrelmann skizziert gemeinsam mit Erik Albrecht 2014 in dem Buch „Die heimlichen Revolutionäre“ die so genannte Generation Y als „[d]ie heute 15- bis 30-Jährigen“16 „anhand von empirischen Studien, Selbstzeugnissen und Interviews mit Jugendlichen“17 und 2017 hat das SINUS-Institut „die größte europäische Jugendstudie […], die es jemals gab“18, unter anderem für den Kontext in Deutschland ausgewertet, wo ausschließlich 18- bis 34-Jährige befragt wurden. Der Begriff der Jugendforschung sowie der Jugendbegriff insgesamt zeigt sich dabei von einer großen Ungenauigkeit geprägt und schließt teilweise auch den im Rahmen dieses Forschungsvorhabens fokussierten Gegenstand Junge Erwachsene mit ein, ermöglicht jedoch keine klare Abgrenzung oder auch spezifische Fokussierung dieses Forschungsgegenstands. Zur Definition junger Erwachsener wird ausgehend von diesem Befund vor allem auf die Lebenslaufforschung zurückgegriffen. In der Auseinandersetzung mit der Lebensphase Junge Erwachsene kristallisiert sich eine Neuausrichtung dieses Forschungsbereichs heraus. Dies zeigt sich insbesondere in der noch recht jungen so genannten Übergangsforschung19. Im Kontext der Wahrnehmung von
14 Vgl. SINUS U27, 2008, 6 – Auch wenn der Titel „U27“ lautet, waren offensichtlich auch 27-Jährige Teil der Befragungen. 15 Vgl. AID:A. 16 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 7. 17 Ebd., 9. 18 Homepage Sinus. 19 „Das Thema Übergänge wird aber inzwischen auch in den von der Soziologie und Psychologie geprägten Forschungsbereichen der Lebenslauf- und Biografieforschung, der Sozialisations- und Bildungsforschung sowie der Kindheits-, Jugend- und Altersforschung ausgiebig bearbeitet. Die theoretischen und empirischen Grundlagen der sozialwissenschaftlichen Übergangsforschung wurden in interaktionistischen Studien gelegt, die anhand der Erforschung von Statuspassagen und Übergangsriten, von menschlicher Entwicklung und Generationenfolge Erkenntnisse über die Stabilität bzw. den Wandel gesellschaftlicher Ordnung gewinnen wollten (Turner 1969; Glaser / Strauss 1971; van Gennep 1981). Ab den 1970er Jahren ließ sich dann ein wachsendes sozialwissenschaftliches Interesse an Übergängen feststellen. So rückte bereits die Bildungsforschung im Zuge der Bildungsmobilisierung und der Differenzierung der Bildungs- und Ausbildungssysteme (vor dem Hintergrund der damaligen ökonomischgesellschaftlichen Modernisierungsprozesse) die Übergänge in den Mittelpunkt, allerdings noch sehr stark fokussiert auf Erfolg oder Misserfolg von Bildungsübergängen im Kontext der Reproduktion sozialer Ungleichheit bzw. den Versuchen ihrer wohlfahrtsstaatlichen Nivellierung. Den wichtigsten Schub erhielt die Auseinandersetzung mit Übergängen durch die in den 1980er Jahren zunehmend sichtbar werdende Krise der Arbeitsgesellschaft und die damit verbundenen modernisierungstheoretischen Gesellschaftsdiagnosen, in deren Folge sich auch
2. Forschungsgeschichtlicher Überblick
27
Destandardisierungstendenzen des institutionalisierten Lebenslaufs seit den 1980ern20 geraten hier Junge Erwachsene als Lebensphase oder auch Lebenslage geprägt von Übergängen in den Blick21. Verschiedene Studien zu den zu gestaltenden Übergängen der Lebenslage Junge Erwachsene ergänzen die Auseinandersetzungen mit der Lebenslauf- und Übergangsforschung.22 Besonders wesentlich erscheinen dabei die Beiträge des 2013 erschienenen Handbuchs „Übergänge“.23 Zudem können allgemeine Studien und Datenerhebungen wie beispielsweise die Bildungsberichte der Bundesregierung24 oder auch Daten des Statistischen Bundesamts25 herangezogen und für die entsprechende Altersgruppe ausgewertet werden26. Für die Beschäftigung mit den skizzierten Übergängen kann auf einen Rückgriff der im Kontext der Jugendforschung skizzierten Entwicklungsaufgaben nicht verzichtet werden, so dass als zentrales Werk der Jugendforschung „Lebensphase Jugend“ von Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel27 Teil der Abhandlung ist. Zudem erfolgt dabei eine Auseinandersetzung mit entwicklungspsychologischen Perspektiven auf junge Erwachsene ausgehend von Jeffrey J. Arnetts Konzept emerging adulthood28 und der sich darauf beziehenden weiterführenden Beschäftigung mit Entwicklungsaufgaben, risiken und -regulationen junger Erwachsener von Inge Seiffge-Krenke29 bei der Gestaltung der in dieser Lebenssituation wesentlichen Übergänge.
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Lebenslauf- und Biografieforschung sowie – dann in den 1990er Jahren – Übergangsforschung ausdifferenzierten (Kohli 1980; 1985; Beck 1986; Brock u. a. 1991; Heinz 1991; 2000; Kutscha 1991)“ (Wolfgang Schröer u. a., 2013, 12). Vgl. hierzu insbesondere Martin Kohli, 2003 sowie Klaus Hurrelmann, 2003. Vgl. hierzu vor allem den 2008 erschienenen Band 4 „Junges Erwachsenenalter“ der Reihe „Lebensalter und Soziale Arbeit“, in dem die verschiedenen Beiträge „[…] einzelne Lebenslagen und Aspekte der Lebensbewältigung junger Erwachsener […] [beleuchten und aufzeigen], dass durchaus Kennzeichen und Spezifika einer entsprechenden Lebensphase zu identifizieren sind […]“ (Michael Galuske / Tim Rietzke, 2008, 6). Vgl. hierzu beispielsweise Barbara Stauber, 2014, Sabine Sardei-Biermann / Ildiko Kanalas, 2006, Dirk Nüsken, 2015 oder auch DIVSI, 2014. Vgl. Wolfgang Schröer u. a. (Hg.), 2013. Vgl. dazu den aktuellen Bericht „Bildung in Deutschland 2018“ (Bildungsberichterstattung, 2018). Beispielsweise können Daten zur aktuellen Geburtenrate (vgl. Destatis 2015), zu Arbeitsverhältnissen und Verdiensten (vgl. Destatis, 2009b sowie Destatis, 2017b) oder auch zum Wahlverhalten (vgl. Destatis, 2018) herangezogen werden. Auch beim Rückgriff auf sich auf die Gesamtbevölkerung beziehende Studien, liegt kein anderes Kriterium für die Untersuchung junger Erwachsener als verschiedene Altersabgrenzungen vor. Vgl. Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, 2013. Vgl. Jeffrey Jensen Arnett, 2000. Vgl. hierzu beispielsweise Inge Seiffge-Krenke, 2015, Inge Seiffge-Krenke, 2008 sowie Inge Seiffge-Krenke / Tim Gelhaar, 2006.
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Einleitung
Diese Forschungsbeiträge, Studien und Perspektiven aus vor allem soziologischen Blickwinkeln dienen als Forschungsgrundlage zum Gegenstand Junge Erwachsene und ermöglichen, eine vom Kriterium Alter unabhängige, spezifischere Definition zu erarbeiten. Aus Perspektive der Generationenforschung lässt sich zudem eine weitere Sichtweise auf junge Erwachsene gewinnen, die diejenigen, die aktuell zu dieser Gruppe gehören, in den Fokus rückt. Unter dem einschlägigen Titel Generation Y gilt es, hierzu Medienberichte sowie auch weitere Studien und Veröffentlichungen zu der darin auffindlichen Sicht auf diese Generation auszuwerten.30 Insbesondere im unternehmerischen Bereich zeigt sich dabei eine Auseinandersetzung mit dieser Generation und ihrem Eintritt in den Arbeitsmarkt, so dass es auch Beiträge aus diesem Bereich für die eingehendere Betrachtung des Forschungsgegenstands wahrzunehmen gilt.31 Auch in Studien anderer Fachbereiche zeigt sich in den letzten Jahren vermehrt die Wahrnehmung junger Erwachsener. Allerdings werden junge Erwachsene dabei selten als ein unabhängig vom Kriterium Alter definiertes Phänomen wahrgenommen und untersucht. Studien, die sich ausschließlich oder auch gezielt auf die Untersuchung junger Erwachsener konzentrieren, sind insbesondere für den religionssoziologischen Bereich nur selten. Kirchlichkeit und Religiosität junger Erwachsener Spezifische Studien zur Religiosität sowie auch Kirchlichkeit junger Erwachsener, die diese Gruppe nicht nur aus Perspektive verschiedener untersuchter Altersgruppen wahrnehmen und sich zudem auf den Kontext in Deutschland beziehen, lassen sich kaum finden. Vielmehr bieten sich zwei Zugangsweisen an, um auf bereits vorliegende Forschungsergebnisse zu diesem Aspekt zurückgreifen zu können: Studien, die bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland Religiosität untersuchen, wie beispielsweise der Religionsmonitor32, können anhand von einer Unterteilung nach Altersgruppe für die jüngere Generation ausgewertet werden. Ebenso gilt es die Ergebnisse der aktuellen V. KMU33 zu der darin
30 Beispielsweise die bereits dazu benannte Veröffentlichung des Jugendforschers Klaus Hurrelmann (Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014) sowie die Studie zur Generation What?, die ebenfalls Angehörige der Generation Y, lediglich unter einem anderen Titel, in den Blick nimmt (vgl. Generation What?, 2016). 31 Vgl. hierzu exemplarisch die Veröffentlichungen von Anders Parment, 2013 sowie Julia Ruthus, 2014. 32 Vgl. hierzu vor allem den Religionsmonitor von 2013: Bertelsmann Stiftung, 2013. 33 Vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015.
2. Forschungsgeschichtlicher Überblick
29
untersuchten vor allem zweitjüngsten Altersgruppe zu beachten. Auch weitere Veröffentlichungen zur Religiosität und verschiedenen Theorien, die zur Beschreibung von Religiosität in postmodernen Gesellschaften bemüht werden, gilt es als Forschungsgrundlage heranzuziehen.34 Ein Überblick sowie die Auseinandersetzung mit aktuellen Theorien findet sich im weiteren Verlauf der Arbeit (▶ Kapitel III, 2). Ein zweiter Zugangsweg kann über die Auswertung der bereits skizzierten Jugendstudien35 erfolgen, da diese zum Teil auch die Aspekte Religiosität sowie Kirchlichkeit mit untersuchen.36 Es fällt auf, dass die Beschäftigung mit der Religiosität sowie Kirchlichkeit junger Erwachsener deutlich weniger erfolgt, als sich Studien zur Religiosität und Kirchlichkeit im Jugendalter finden lassen.37 Dies kann u. a. darin begründet liegen, dass der Zugang zu jungen Erwachsenen nicht so leicht über insti-
34 Exemplarisch sei hier die Veröffentlichung „Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft“ benannt: Jörg Stolz u. a., 2014. 35 Vgl. dazu exemplarisch die aktuelle 17. Shell Jugendstudie sowie auch die oben benannten Jugendstudien des SINUS-Instituts, die u. a. Aspekte der Religiosität oder auch Kirchlichkeit junger Menschen untersuchen. Zu den aufgeführten Studien des SINUS-Instituts gilt es allerdings anzumerken, dass die einzige Studie „U27“, die auch junge Erwachsene in den Blick nimmt, seit 2007 nicht erneut durchgeführt wurde und sich die aktuellen Studien ausschließlich auf Jugendliche „U18“ beziehen, so dass diese Studien keine Rolle im weiteren Verlauf der Arbeit spielen werden. 36 In den Shell Jugendstudien haben erst seit den 1980ern die Themen Religion, Kirche und Glaube in Berücksichtigung gefunden. Durch einen Wechsel der Leitung und des Teams der Forschenden kam es in den 1980ern insgesamt zu einer Neuausrichtung dieser Studie. 37 Vgl. hierzu beispielsweise die Pilotstudie „Spiritualität von Jugendlichen“ des empirica-Instituts im Auftrag des Amts für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), die 14- bis 19-Jährige in den Blick nimmt; die Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej) „Jung und Evangelisch in Kirche und Gesellschaft“ von 2014, die sich insbesondere auf Jugendliche im Alter von zwölf bis 21 Jahren konzentriert; das von Thomas Schlag und Bert Roebben herausgegebene Jahrbuch Jugendtheologie Band 4 aus dem Jahr 2016 zu „Jugendlichen und Kirche“; Studien und Veröffentlichungen zum Bereich Jugendkirchen, wie beispielsweise „Kirche von Jugendlichen und für Jugendliche. Jugendkirchen und Jugendgemeinden in der Evangelischen Kirche im Rheinland“ (2011) oder Heft 3 (2010) der von Uta Pohl-Patalong und Martin Rothgangel herausgegebenen Zeitschrift für Praktische Theologie zum Thema „Kirche und Jugendliche“ sowie das von Michael Freitag, Ursula Hamachers- Zuba und Hans Hobelsberger 2010 herausgegebene Buch „Lebensraum Jugendkirche – Institution und Praxis“ und beispielsweise zwei Dissertationen zu diesem Thema (die Arbeit von Elisa Stams „Das Experiment Jugendkirche“ ist 2008 im Kohlhammer Verlag erschienen, die 2013 von Florian Karcher an der Universität Bielefeld eingereichte Dissertation „Jugendkultur und Religionspädagogik am Beispiel evangelischer Jugendkirchen in Deutschland“ ist online veröffentlicht unter folgender URL: https://d-nb.info/1050577191/34 – zuletzt aufgerufen am 30.07.2018). Vgl. darüber hinaus exemplarisch die recht aktuelle Broschüre „Wie ticken Jugendliche 2016? Glaube & Religion. Umweltschutz, Klimawandel & Kritischer Konsum. Liebe & Partnerschaft“ der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge (afj) und des BDKJ (ausgehend
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Einleitung
tutionelle Zugangswege wie kirchliche Jugendarbeit oder auch die Schule erfolgen kann. Junge Erwachsene geraten zum Teil in den Studien zu Religion und Religionslosigkeit von Monika Wohlrab-Sahr und Gert Pickel in den Fokus, die sich jedoch überwiegend auf den spezifischen Kontext im Osten Deutschlands beziehen und darum im Rahmen dieser Studie keine eingehendere Berücksichtigung finden. Es gibt jedoch drei Studien zur Religiosität, in denen eine spezifische Beschäftigung mit jungen Erwachsenen erfolgt, die demnach auch im Rahmen dieses Forschungsvorhabens zu berücksichtigen sind: Die Studie „Jugend und Religion“ (2011)38 von Heinz Streib und Carsten Gennerich nimmt neben Jugendlichen auch junge Erwachsene aus Perspektive des Konzepts emerging adulthood in den Blick. Darüber hinaus zeigt sich in der von der Anlage her erst einmal auf keine spezifische Altersgruppe fokussierten Studie des Bielefelder Religionsforschers Heinz Streib und eines internationalen Forschungsteams, „Deconversion“ (2009)39, dass sich dekonversive Prozesse insbesondere im jungen Erwachsenenalter ereignen. Somit gilt es, auch eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen dieser Studie, die in einem weit begriffenen religiösen Feld religiöse Entwicklungen und Biografien skizziert, für die Untersuchung des Forschungsgegenstands dieser Arbeit vorzunehmen. Ebenfalls mit Dekonversion beschäftigt sich die Studie „Warum ich nicht mehr glaube“ (2014)40 des empirica-Forschungsteams, das zudem spezifisch auf junge Erwachsene in Deutschland bezogen ist, so dass sie ebenfalls für die Auseinandersetzungen dieses Forschungsvorhabens zentral erscheint. Es zeigt sich exemplarisch an zwei weiteren Studien, die in diesem Jahr (2018) erschienen sind oder auch erscheinen werden, dass ein Interesse an älteren Jugendlichen oder auch jungen Erwachsenen aktuell aus kirchlicher Perspektive zuzunehmen scheint: Die Studienband „Jung – Evangelisch – Engagiert“41 nimmt ausgehend von der umfangreichen Studie zur Konfirmandenarbeit42 diesmal „Langzeiteffekte der Konfirmandenarbeit und Übergänge in ehrenamtliches Engage-
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von der SINUS U18-Studie) sowie die von Friedrich Schweitzer u. a. 2018 herausgegebene ganz aktuelle Studie „Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht“. Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011. Vgl. Heinz Streib u. a., 2009. Vgl. Tobias Faix u. a., 2014. Vgl. Wolfgang Ilg u. a., 2018. Diese Studie wird unter Mitarbeit vieler anderer Personen maßgeblich von Friedrich Schweitzer und Wolfgang Ilg verantwortet und seit 2009 in einer Reihe von Bänden im Gütersloher Verlagshaus veröffentlich sowie fortlaufend weitergeführt. 2009 erschien unter dem Titel
2. Forschungsgeschichtlicher Überblick
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ment […] im biografischen Horizont“43 und damit 18- bis 26-Jährige in Blick. Auch wenn dabei der Fokus auf der Konfirmandenarbeit und ihren Auswirkungen liegt, werden hier junge Erwachsene ausgehend von den Aspekten Engagement und Kirchenbindung untersucht, so dass auch diese Studie im Rahmen dieses Forschungsprojekts zumindest bei der Interpretation der Studienergebnisse44 im letzten Teil der Arbeit Berücksichtigung findet. Unter dem Titel „Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche. Das Buch zur empirica Jugendstudie 2018“ werden im Herbst 2018 die Studienergebnisse zum Bild von Kirche gläubiger 16- bis 29-Jähriger, die sich einer Freikirche oder der Evangelischen Kirche zugehörig fühlen, veröffentlicht.45 Hierin liegt ein weiterer durchaus sinnvoller Anknüpfungspunkt zur skizzierten Forschungsfrage und dem gesuchten Forschungsgegenstand dieser Arbeit, leider kann diese Studie jedoch aufgrund des Zeitpunkts der Veröffentlichung, der nach dem Abschluss dieses Forschungsprojekts liegt, nicht berücksichtigt werden. Ergänzende Ausdrucksformen des christlichen Glaubens Zu ergänzenden Ausdrucksformen des christlichen Glaubens lassen sich kaum spezifische aktuelle Studien aus Perspektive der Evangelischen Kirche sowie für den Kontext in Deutschland finden. Seit 2016 werden einige der in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) aktuell entstehenden „Erprobungsräume“ vom Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung Greifswald (IEEG) in Kooperation mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD (Hannover) evaluiert.46 Veröffentlichungen zu Ergebnissen dieser Evaluation stehen allerdings derzeit noch aus. Mündlichen Informationen nach strebt zudem das ökumenische Team des Projektbüros Kirche2 eine Befragung der in Deutschland entstandenen so genannten Fresh X an. Aktuelle Informationen zu diesem Vorhaben liegen jedoch ebenso wenig vor, wie sich derzeit Studienergebnisse einer empirischen Untersuchung zu den im Kontext in Deutschland entstandenen Ergänzungen gemeindlicher Lebensformen unter dem Titel Fresh X finden lassen.
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„Konfirmandenarbeit erforschen und gestalten“ Band eins dieser Studie. Aktuell liegt mit „Jung – Evangelisch – Engagiert“ der elfte Band vor und ist für November 2018 die Veröffentlichung des zwölften Bands unter dem Titel „Zukunftsfähige Konfirmandenarbeit“ geplant. So lautet der Untertitel dieser Veröffentlichung. Die Verortung an dieser Stelle liegt an dem Erscheinungsdatum dieser Studie 2018 begründet, so dass sie nicht die Vorüberlegungen in den theoretischen Grundlagen sowie die Anlage der explorativen Studie der vorliegenden Arbeit, die bereits 2017 konzipiert wurde, mit beeinflussen konnte. Vgl. Generation Lobpreis. Vgl. Homepage IEEG b.
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Einleitung
Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wird so zum Teil auf die Studien der Church Army’s Research Unit zurückgegriffen, die seit vielen Jahren mit der Evaluation von so genannten fresh expressions of Church in England beschäftigt ist. Dieser Rückgriff auf vom kirchlichen Kontext in England geprägtes Material erfolgt unter anderem deswegen, weil die Idee und Bewegung unter dem Begriff Fresh Expressions of Church seit einigen Jahren auch den Diskurs zu gegenwärtigen ekklesialen Gestaltungsprozessen in Deutschland prägt. Die Entstehungsgeschichte der ökumenischen Fresh-X-Bewegung in Deutschland wird auf der Homepage des Netzwerks Fresh X nachgezeichnet47 und wurde in ihren Anfängen insbesondere durch die von Michael Herbst 2006 herausgegebene deutsche Übersetzung von „Mission-shaped Church“48 geprägt. Von diesem 2004 in England von der anglikanischen sowie methodistischen Kirche verabschiedeten und veröffentlichten Positionspapier49, das eine enorme Resonanz fand, geht letztlich sowohl der Begriff als auch die Bewegung unter dem Titel Fresh Expressions of Church maßgeblich aus. Auch in anderen europäischen Nachbarländern zeigt sich in den letzten ungefähr zehn Jahren ein Bemühen um neue Gestaltungsformen gemeindlichen Lebens, das zudem die Auseinandersetzungen zu diesem Thema im kirchlichen Kontext in Deutschland ebenfalls anteilig prägt. Aus Frankreich werden insbesondere ausgehend von der katholischen Diözese Poitiers Erfahrungen einer Basiskirchenbewegung rezipiert50 und aktuell steigt zudem das Interesse an den noch recht jungen, so genannten „Pioniersplekken“, also „Pionierplätzen“ oder auch „Pionierorten“, die als Ergänzung zu traditionellen Gemeindeformen in der Protestantische Kirche in den Niederlanden (PKN) entstehen51. Auch wenn sich insbesondere in der niederländischen Pionierbewegung in einer aktuellen Veröffentlichung der PKN ein deutliches Forschungsinteresse bezüglich dieser 47 Vgl. Homepage Fresh X b sowie den Beitrag von Carla Witt zur „Biografie“ dieser Bewegung (Carla Witt, 2016) in der Veröffentlichung „Fresh X – Frisch. Neu. Innovativ. Und es ist Kirche“, die sich als neuer „Grundlagenband zu fresh expressions of church“ versteht (vgl. HansHermann Pompe u. a. (Hg.), 2016, 9). Darüber hinaus findet sich ein kurzer Überblick zur Entstehungsgeschichte sowie aktuelle Reflexionen bezüglich Fresh Expressions of Church in England sowie auch zur Fresh-X-Bewegung in Deutschland in dem Beitrag „Fresh Expressions of Church. Neue Aufbrüche zur lebendigen Kirche“ von Sandra Bils (vgl. Sandra Bils, 2018). 48 Vgl. Michael Herbst (Hg.), 2006. 49 Vgl. Mission-shaped Church, 2012. 50 Vgl. dazu exemplarisch Christian Hennecke, 2016, 381–385, Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 28 f. sowie die Wahrnehmung dieser Entwicklungen bei der Entstehung des Projekts „Erprobungsräume“ in der EKM (vgl. Homepage EP a). 51 Vgl. dazu exemplarisch die Studienreisen im Jahr 2018 des IEEG im Rahmen des Greifswalder Studienprogramms „Fresh Expressions and Mixed Economy Church“ im Februar 2018 (ein Bericht zu dieser Studienreise findet sich im Newsletter des Instituts: IEEG, 2018, 2 f.) sowie von der EKM (vgl. Homepage EP b).
2. Forschungsgeschichtlicher Überblick
33
„Pionierorte“ zeigt52 sowie erste interessante Studienergebnisse präsentiert werden, gibt es keine vergleichbare Basis an empirischen Material aus kirchlicher Perspektive zu ergänzenden Ausdrucksformen des Glaubens, wie sie mit der langjährigen Forschungstätigkeit der Church Army’s Research Unit vorliegt53, so dass im Rahmen dieser Forschungsarbeit insbesondere die Auseinandersetzung mit Studien und Impulsen aus England erfolgt. Besonders relevant erscheint im Kontext des vorliegenden Forschungsvorhabens dabei die Auseinandersetzung mit Kriterien oder auch Indikatoren, die es braucht, um diese gemeindlichen Lebensformen in ihrer ekklesiologischen Qualität aus Perspektive der verfassten Kirchen zu beurteilen. Seit 2011 liegen in England Indikatoren der Church Army’s Research Unit zur Untersuchung und Beurteilung von fresh expressions of Church vor.54 Auch im deutschen Kontext zeigt sich aktuell ein Nachdenken über sowie eine Formulierung von Kriterien oder auch Kennzeichen für ergänzende Gemeindeformen und weitere Ausdrucksformen kirchlichen Lebens: Im Kontext der Auseinandersetzungen mit dem Konzept Gemeinde auf Zeit wurden 2016 von Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel vier grundlegende Merkmale für so genannte Gemeinden auf Zeit formuliert.55 Bei dem Projekt „Erprobungsräume“, das 2014 offiziell von der EKM begonnen wurde, wurden sieben Kennzeichen für „Erprobungsräume“ erarbeitet, die bei der Entscheidung bezüglich einer Förderung der sich bewerbenden Initiativen von der EKM die Grundlage bilden.56 Auch die EKiR greift in ihrem aktuellen Prozess zu ergänzenden Gemeindeformen auf das Konzept der „Erprobungsräume“ und die darin formulierten Kennzeichen zurück.57 Aus kirchentheoretischer Perspektive wurden zudem im 2013 veröffentlichten Lehrbuch „Kirche“ von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt „Kriterien für ‚Gemeinde‘“58 formuliert. Darüber hinaus zeigt sich im gegenwärtigen Diskurs eine Beschäftigung mit Organisationsmodellen einer Kirche der Vielfalt, die bewährte sowie ergänzende Gestaltungs- und Organisationsformen gemeindlichen Lebens miteinander verbinden. Schon 2003 hat Uta Pohl-Patalong in ihrem Forschungsbeitrag zu dieser Frage das Modell kirchliche Orte entwickelt, dabei jedoch weniger 52 Vgl. Protestantse Kerk, 2017, 15. 53 Vgl. hierzu die Übersicht zum Forschungsbereich Fresh Expressions of Church (Homepage Church Army). 54 Vgl. Church Growth Research, 2013, 9 f. 55 Vgl. Peter Bubmann u. a., 2016, 351. 56 Vgl. hierzu die Veröffentlichung der Kennzeichen des Projekts „Erprobungsräume“ (Homepage EP c). 57 Vgl. EKiR, 2017b. 58 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 275.
34
Einleitung
ergänzende gemeindliche Lebensformen im Blick, als die Ergänzung parochialer durch nichtparochiale kirchliche Organisationsformen.59 Aktuell zeigt sich die kirchentheoretische Diskussion stärker von der Auseinandersetzung mit dem Gemeindebegriff geprägt, wie sich unter anderem in der Aktualisierung von Uta Pohl-Patalongs Ansatz in dem 2013 mit Eberhard Hauschildt gemeinsam veröffentlichten, bereits erwähnten Lehrbuch „Kirche“ und der Skizzierung einer „Kirche als Netz von Gemeinden an unterschiedlichen kirchlichen Orten“ zeigt.60 Die Idee eines Netzwerks steht bei der Frage nach der Organisation einer von vielfältigen gemeindlichen Lebensformen geprägten Kirche häufig im Fokus, während eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Netzwerkverständnis im kirchlichen Diskurs noch aussteht. Insbesondere das EKD-Zentrum Mission in der Region (ZMiR) widmet sich aus Evangelischer Perspektive der Auseinandersetzung mit dem Netzwerkbegriff61, während sich aus katholischer Perspektive vor allem das Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) diesem Thema zuwendet62. Während in England die Organisation einer Kirche in vielfältiger Gestalt seit ungefähr 15 Jahren mit dem Begriff und Ideal einer so genannten mixed economy verbunden ist63, zeigt sich in Deutschland vermehrt die Auseinandersetzung mit dem Begriff und der Größe der Region als kirchlichem Gestaltungsraum64, wie er beispielsweise unter dem noch jungen Terminus Regiolokaler Kirchenentwicklung65 aktuell diskutiert wird. Auch das von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt geprägte Denkmodelle einer Kirche als Hybrid66 spielt in diesen Diskursen eine Rolle. Als weitere Ergänzungen der parochialen Gemeindeform sind für den von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Forschungsgegenstand dieser Arbeit neben den bereits skizzierten Ergänzungen insbesondere auch Ergänzungen durch so genannte liquide Gemeindeformen im Sinne von liquid church zu berücksichtigen. Dies liegt darin begründet, dass Auseinandersetzungen mit 59 Vgl. hierzu Uta Pohl-Patalong, 2003 sowie die Weiterführung des Modells in Eberhard Hau schildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 300–305. 60 Vgl. ebd., 305–310. 61 Vgl. hierzu die Veröffentlichungen des ZMiR in den letzten Jahren: ZMiR, 2015, ZMiR, 2016 sowie ZMiR, 2017. 62 Vgl. hierzu exemplarisch die Veröffentlichung „Netzwerke in pastoralen Räumen“ (Miriam Zimmer u. a., 2017b). 63 Eine kurze Einführung zum Begriff und der Idee dahinter sowie eine Reflexion bezüglich des kirchlichen Kontexts in Deutschland findet sich beispielsweise in dem Aufsatz „Die Mischung macht’s! Mixed Economy als Belebungschance der Kirche“ (vgl. Tabea Schneider / Florian Karcher, 2018) sowie auch in dem Beitrag „Kirche in vielfacher Gestalt. Von der Notwendigkeit einer Mixed Economy in der Evangelischen Kirche“ (vgl. Hans-Hermann Pompe, 2016). 64 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 297–299. 65 Vgl. zu diesem Ansatz die entsprechende Kurzbeschreibung (Homepage IEEG a). 66 Vgl. dazu Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 216–219.
2. Forschungsgeschichtlicher Überblick
35
liquid church explizit postmoderne, hinsichtlich zeitlicher Strukturen gegenüber der Moderne veränderte Lebenswelten – von denen vermutlich auch junge Erwachsene in besonderem Maße geprägt sind – als spezifischen Anknüpfungspunkt für ihre Sicht auf Gemeinde sowie für den Entwurf ergänzender Gemeindeformen wählen. Inwiefern veränderte Zeitstrukturen der Gegenwart ergänzende Gemeindeformen erforderlich machen oder auch prägen, wird unter dem Begriff liquid church derzeit vor allem im katholischen Kontext diskutiert.67 Weitergeführt wird diese Diskussion von Michael Schüßler in seinem Forschungsbeitrag „Mit Gott neu beginnen. Die Zeitdimension von Theologie und Kirche in ereignisbasierter Gesellschaft“68, der letztlich jedoch durch seinen Ansatz, einer Ereignisekklesiologie, die konkrete Auseinandersetzung mit ergänzenden gemeindlichen Lebensformen verlässt. Veränderte Zeitstrukturen als Horizont der Frage nach ergänzenden Sozialgestalten gemeindlichen Lebens werden im evangelischen Kontext zum Teil ausgehend von dem Aspekt der Bindung diskutiert69 und geraten zudem insbesondere im Konzept Gemeinde auf Zeit70 in den Blick. Hiermit sind einige Bereiche, Forschungsrichtungen und Impulse aus der aktuellen kirchentheoretischen Diskussion sowie aus der aktuellen kirchlichen Praxis überblicksartig skizziert, die als Forschungsgrundlage für die Beschäftigung mit von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens in den folgenden Kapiteln wesentlich und sinnvoll erscheinen.
67 Vgl. hierzu vor allem die Rezeption der vom Briten Pete Ward 2002 mit liquid church betitelten Metapher zur Beschreibung seiner Vision einer vielfältigeren Kirche im deutschsprachigen Raum durch Rainer Bucher, die im weiteren Verlauf der Arbeit skizziert wird (▶ Kapitel VI, 2.2.2). 68 Vgl. Michael Schüßler, 2013. 69 Vgl. hierzu beispielsweise Eberhard Hauschildt, 2008. 70 Vgl. hierzu die Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands zu diesem Konzept in: Peter Bubmann u. a., 2016.
TEIL A: Soziologischer Ausgangspunkt Klärung des Begriffs und Phänomens Junge Erwachsene
In diesem Teil der Arbeit erfolgt die grundlegende theoretische Auseinan dersetzung mit dem für das Forschungsvorhaben zentralen Gegenstand Junge Erwachsene. Wie bereits im forschungsgeschichtlichen Überblick skizziert, erscheint zu einer vom Kriterium Alter unabhängigen Definition dieses Gegenstands die Auseinandersetzung mit der Lebenslaufforschung als besonders wesentlich. Kapitel I widmet sich dementsprechend mit der Lebenslaufforschung und inwiefern das Phänomen Junge Erwachsene darin als eine vorübergehende Lebensphase oder auch als Lebenslage des Übergangs in den Blick gerät. Dazu gilt es, sich zunächst mit den Statuspassagen in das Erwachsenenalter und den davon ausgehend erfolgenden Ausdifferenzierungen im Lebenslauf auseinanderzusetzen (▶ Kapitel I, 1). Ausgehend von der Frage danach, wie der Übergang junger Menschen in den Erwachsenenstatus markiert wird, erfolgt eine intensive Beschäftigung mit den in der Jugendforschung dazu definierten Entwicklungsaufgaben sowie Studien, die Aufschluss darüber geben, inwiefern diese Aufgaben aktuell von jungen Menschen gelöst werden (können). Hier liegt ein wesentlicher Grundstein des Kapitels I (▶ Kapitel I, 2). Zudem erfolgt an dieser Stelle die Auseinandersetzung mit der sich dabei abzeichnenden Diversifizierung von Übergängen. Das sich daran anschließende Kapitel diskutiert die Konsequenzen der in den vorangehenden Ausführungen erfolgten Beobachtungen (▶ Kapitel I, 3). So wird zunächst das Lebensalter Junge Erwachsene ausgehend von Jeffrey J. Arnetts Konzept emerging adulthood als eigenständige Lebensphase analysiert. Letztlich steht hier jedoch die Verabschiedung von konventionellen sowie linearen Vorstellungen in der Lebenslaufforschung und somit von einzelnen, aufeinander folgenden Lebensphasen im Fokus, so dass das Phänomen Junge Erwachsene als Lebenslage unabgeschlossener Übergänge in den Blick gerät und davon ausgehend eine Definition Junger Erwachsener für dieses Forschungsvorhaben erfolgt (▶ Kapitel I, 4). In Kapitel II wird nicht mehr generell danach gefragt, was unter dem Phänomen Junge Erwachsene zu verstehen ist, sondern werden diejenigen fokussiert, die aktuell junge Erwachsene sind. Dies erfolgt mit Rückgriff auf die Generationenforschung, so dass junge Erwachsene im Spiegel der so genannten Generation Y beschrieben werden (▶ Kapitel II, 1–4).
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TEIL A: Soziologischer Ausgangspunkt
In einem dritten Kapitel erfolgen Auseinandersetzungen mit der Religiosität sowie Kirchlichkeit junger Erwachsener. Zunächst werden in Anknüpfung an die bereits im forschungsgeschichtlichen Überblick skizzierten Studien diejenigen aufgeführt, auf die sich die folgenden Ausführungen konzentrieren (▶ Kapitel III, 1). Anschließend werden Theorien zu religiösen Entwicklungen in postmoderner Gesellschaft skizziert, die den theoretischen Rahmen bilden (▶ Kapitel III, 2). Erst dann erfolgt die gezielte Beschäftigung mit kirchlicher Religiosität, säkularer Indifferenz sowie alternativer Spiritualität junger Erwachsener (▶ Kapitel III, 3). Das sich daran anschließende Kapitel widmet sich der Beschäftigung mit dem Phänomen der Dekonversion, das mit dem jungen Erwachsenenalter verbunden erscheint (▶ Kapitel III, 4), bevor ein Zwischenfazit die Ausführungen dieses Kapitels bündelt (▶ Kapitel III, 5). Im vierten und letzten Kapitel dieses ersten Teils der Arbeit (▶ Kapitel IV) werden fünf wesentliche Aspekte zusammengetragen, die sich aus den in diesem Teil skizzierten Beobachtungen ableiten lassen, und davon ausgehend wird eine erste Forschungshypothese formuliert.
I Lebenslaufforschung: Junge Erwachsene – Eine vorübergehende Lebensphase oder Lebenslage des Übergangs
Die Lebenslaufforschung betrachtet den einzelnen Menschen sowie Menschengruppen von der Bedeutung des Lebensalters her. Zwar gibt es zu jedem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte Individuen bestimmten Alters, was das jeweilige ‚Alter‘ allerdings für die Subjekte bedeutet, welche Anforderungen, Aufforderungen, Begrenzungen, Freiräume, Chancen und Risiken mit dem jeweiligen Alter bzw. der Altersphase verbunden sind, unterliegt historischen Veränderungen und ist das Produkt gesellschaftlicher Institutionalisierungsprozesse des Lebenslaufs (vgl. Kohli 1995).1
So haben sich die enormen gesellschaftlichen Veränderungen der letzten beiden Jahrhunderte in Europa sowie konkret in Deutschland auf die Bedeutung der Lebensalter sowie die Betrachtung des Lebenslaufs insgesamt stark ausgewirkt. Ein noch recht junger Ausdruck dieser Veränderungen ist das so genannte Lebensalter Junge Erwachsene, welches aktuell zum Kristallisationspunkt einer Neuausrichtung in der Lebenslaufforschung wird.
1. Die Statuspassage ins Erwachsenenalter – Ausdifferenzierungen im Lebenslauf Die bisher vorgenommene, von der Moderne geprägte, soziale Konstruktion sowie Institutionalisierung des Lebenslaufs hat ihren Grund in der Industrialisierung und der damit einhergehenden Trennung von Familien- und Arbeitsleben. Seitdem ist der Lebenslauf im Wesentlichen von drei Phasen bestimmt:
1
Michael Galuske / Tim Rietzke, 2008, 1.
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I Lebenslaufforschung
[…] die Vorbereitung auf die Erwerbsphase im Bildungssystem (Jugend), die Erwerbsund / oder Familienphase (Erwachsene) sowie die Nacherwerbs- bzw. Nachfamilienphase (Alter). […] Die Statuspassagen oder Übergänge [Hervorhebung im Original] zwischen den einzelnen Lebensphasen lassen sich nur bedingt institutionell absichern und stellen deshalb prekäre Zwischenräume dar. Entscheidend für soziale Integration und die Stabilität individueller Lebensläufe war und ist offensichtlich die Statuspassage von der Kindheit / Jugend ins Erwachsenenalter.2
Genau an dieser Statuspassage war ursprünglich die Konfirmation verortet, mit der eine Begleitung der Evangelischen Kirche im Übergang von der Schule in den Beruf und somit in den Erwachsenenstatus gegeben war.3 Während die Konfirmation mit zunehmender Fokussierung auf den vorausgehenden Konfirmandenunterricht oder vielmehr die vorausgehende Konfirmandenarbeit4 bis heute ein kirchliches Angebot für junge Menschen um das ungefähr 13. bis 15. Lebensjahr bleibt (mit der Möglichkeit eines zweiphasigen Modells, welches schon in der 3./4. Klasse beginnt und sich im 14./15. Lebensjahr fortsetzt), hat sich der Übergang in die Erwerbstätigkeit sowie in das Erwachsenenalter deutlich von diesem Lebensalter, welches heute durch die Pubertät geprägt ist, entfernt. Ausgehend von dieser entscheidenden Statuspassage ins Erwachsenenalter hat sich der Lebenslauf in den letzten Jahrhunderten – durch die enge Verkoppelung von Erwachsenenstatus und Erwerbstätigkeit entsprechend der Veränderungen im Bildungs- und Erwerbsarbeitssektor – Schritt für Schritt ausdifferenziert: Im 19. Jahrhundert5 kam im Zuge der Industrialisierung die
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Andreas Walther, 2008, 11. Vgl. Gottfried Adam, 2013, 274: „War in früheren Zeiten die Konfirmation der Zeitpunkt des Erwachsenwerdens, also ein herausgehobener Passageritus, so haben wir es heute – angesichts der Verlängerung der Schul- und Ausbildungszeiten – mit einer Station auf dem Lebensweg zu tun, freilich einer wichtigen, in der gerade auch die eigene Identität und die Wertebildung der Jugendlichen eine starke Rolle spielen.“ 4 Vgl. Friedrich Schweitzer, 2010, 44: „Unsere Studie steht im Horizont eines weitreichenden Wandels, der als Übergang vom Konfirmandenunterricht zur Konfirmandenarbeit beschrieben werden kann. Dieser Wandel ist seit rund 40 Jahren im Gange: Aus einer Veranstaltung, die sich in Form und Inhalt an den Schulunterricht vergangener Tage anlehnte, soll ein innovatives Bildungsangebot werden, das seine Impulse ebenso aus der Jugendarbeit bezieht wie aus einem veränderten Verständnis von Schule.“ 5 Angaben in Bezug auf Veränderungen und deren zeitgeschichtliche Einordnung beziehen sich in dieser Arbeit (wenn nicht explizit anders erwähnt) auf Deutschland. Die Industrialisierung hat in England schon im 18. Jahrhundert begonnen. Auch das pädagogische Bild des Jugendalters von Rousseau wurde im 18. Jahrhundert geprägt. In Deutschland hat beides jedoch erst im 19. Jahrhundert zu wahrnehmbaren Veränderungen und umwälzenden Auswirkungen geführt.
2. Auf dem Weg zum Erwachsenenstatus
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Jugend als wichtige Lebensphase zum Schutz für die persönliche Entwicklung und zum Bildungserwerb vor dem Eintritt in die Arbeitswelt zwischen Kindheit und Erwachsenenalter hinzu. Vorstellungen bezüglich verschiedener Lebensaltersstufen sowie konkret einer Jugendphase gab es schon in der sowohl römischen als auch griechischen Antike, die zudem mit unterschiedlichen Begriffen näher differenziert wurden.6 Der moderne, neuzeitliche Jugendbegriff als eigenständige Lebensphase wurde jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts „entdeckt, erfunden bzw. konstruiert [Hervorhebungen im Original]“7 – so Jugendforscher Wilfried Ferchhoff. Im 20. Jahrhundert erweiterten sich nicht nur Ansprüche und Möglichkeiten im Bereich der Ausbildung sowie des Arbeitsmarkts, sondern es wurde dementsprechend mit einer weiteren „Erfindung“ – Junge Erwachsene – erneut eine Lebensphase an dieser Stelle des Lebenslaufs „aufgestockt“, wie es die Shell Jugendstudie „Jugend ’81“ konstatiert: Wir sind historische Augenzeugen, wie sich gegenwärtig das System der Altersgliederung, das im Industriekapitalismus sich herausgebildet hat, neu konstituiert. Die durchschnittliche oder Normalbiografie differenziert sich aus, die klassische Jugendphase erhält einen sozialen ‚Aufbau‘. Zwischen Jugend und Erwachsensein tritt eine neue gesellschaftlich regulierte Altersstufe. Das heißt, zunehmend mehr Jüngere treten nach der Jugendzeit als Schüler nicht ins Erwachsensein, sondern in eine Nach-Phase des Jungseins über. Sie verselbständigen sich in sozialer, moralischer, intellektueller, politischer, erotisch-sexueller, kurz gesprochen in soziokultureller Hinsicht, tun dies aber ohne wirtschaftlich auf eigene Beine gestellt zu sein, wie das historische Jugendmodell es vorsieht. Das Leben als Nach-Jugendlicher bestimmt das dritte Lebensjahrzehnt.8
2. Auf dem Weg zum Erwachsenenstatus – Ungelöste Entwicklungsaufgaben und die Diversifizierung von Übergängen Junge Menschen in Deutschland haben zu Beginn des 21. Jahrhunderts bis zu 20 Jahre mehr Zeit, um den entscheidenden Statusübergang vom Kind zur erwachsenen Person zu passieren, als noch vor der Industrialisierung. Den-
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Vgl. Wilfried Ferchhoff, 2011, 93. Ebd., 94. Jürgen Zinnecker, 1981, 101.
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I Lebenslaufforschung
noch scheinen junge Menschen immer seltener im Erwachsenenstatus anzukommen, da die für diesen Übergang relevanten Kriterien, also die als wesentlich benannten Entwicklungsaufgaben, zunehmend seltener konventionellen Vorstellungen entsprechend gelöst werden. Entwicklungsaufgaben sind als altersbezogene Erwartungen der Gesellschaft an eine Person in einem bestimmten Lebensabschnitt zu verstehen, anhand derer in entwicklungspsychologischen Modellen bemessen wird, ob der Übergang zum nächsten Altersstatus gelungen ist. So wird der Lebenslauf eines Individuums strukturiert. Die sozialen Erwartungen sind dabei geprägt von dem historischen Zeitpunkt sowie dem kulturellen Kontext einer Gesellschaft, von den dort vorherrschenden Normen und Rollenkonventionen.9 Nach Robert J. Havighurst sind Entwicklungsaufgaben zudem durch individuelle Fähigkeiten, Werte und Ziele bestimmt, die sich das Individuum selbst setzt und welche das Identifizieren des Individuums mit den gesellschaftlichen Erwartungen bedingen.10 Sein Ansatz, Entwicklungsaufgaben für unterschiedliche Altersgruppen in modernen Gesellschaften zu definieren (1948/1972), wirkt sich bis in die aktuelle Forschung grundlegend aus. Neben der Rezeption in der Jugendforschung11 werden die von ihm für das „frühe Erwachsenenalter“ (early adulthood) definierten Entwicklungsaufgaben von Inge Seiffge-Krenke in ihren Studien zu jungen Erwachsenen als Orientierungsrahmen herangezogen. Dabei fällt auf, dass trotz des gesellschaftlichen Wandels die Entwicklungsaufgaben für dieses Lebensalter ihrer Definition nach als sehr konstant erscheinen, während ein Wandel eher in ihrer Altersbezogenheit sowie in der Art und Weise der Auseinandersetzung deutlich wird. Junge Erwachsene streben weiterhin Autonomie gegenüber den Eltern durch die Gründung einer eigenen beruflichen sowie räumlichen und stabilen partnerschaftlichen Existenz als zentrale Entwicklungsziele an – allein Elternschaft verliert dabei aus Sicht junger Erwachsener an Bedeutung –, können diese Ziele jedoch immer schwieriger realisieren.12 Gesellschaftliche und eigene Entwicklungserwartungen scheinen konventionellen Normen und Rollenvorstellungen entsprechend seit ungefähr 60 Jahren überwiegend konstant zu bleiben, jedoch immer weniger mit der sich stark wandelnden Realität vereinbar zu sein. Inwiefern junge Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts Entwicklungsaufgaben lösen wollen, sollen und können sowie den ausgehend davon definierten und „erwarteten“ Erwachsenenstatus erlangen, gilt es folglich differenzierter zu betrachten und mit Blick auf gesellschaftliche Veränderungen sowie anhand 9 Vgl. Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, 2013, 28. 10 Vgl. Inge Seiffge-Krenke, 2008, 37. 11 Vgl. Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, 2013 sowie Viola Meckelmann / Nina Alice Dannenhauer, 2014. 12 Vgl. Inge Seiffge-Krenke, 2015, 168.
2. Auf dem Weg zum Erwachsenenstatus
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von weiteren Forschungsergebnissen zu jungen Erwachsenen zu überprüfen. Hier zeigt sich jedoch eine Schwierigkeit: Der Übergang in das Erwachsenenalter repräsentiert aus der Sicht der Lebensaufforschung einen genauso zentralen wie sperrigen Gegenstand. Aufgrund ihres komplexen und lebensbereichübergreifenden Charakters ist die Statuspassage in das Erwachsenenleben als solche eher selten Gegenstand empirischer Forschung geworden. Gerade die quantitative Lebenslaufforschung konzentriert sich auf einzelne, gut separierbare Übergänge.13
Auf diesem Hintergrund werden im Folgenden sowohl Studienergebnisse sowie statistisches Material zu einzelnen Entwicklungsaufgaben zusammengetragen, so dass zumindest ein bruchstückhaftes Bild der aktuellen Situation junger Erwachsener entsteht und die derzeitigen Herausforderungen beim Übergang in den Erwachsenenstatus beleuchtet werden können. Sortiert wird diese Darstellung in vier Aufgabenkomplexe (A bis D), mit denen der deutsche Jugendforscher Klaus Hurrelmann rekurrierend auf Robert J. Havighursts Definition die Entwicklungsaufgaben bündelt.
2.1 A) Die Begründung einer eigenen beruflichen sowie ökonomisch autarken Existenz Als ersten Aufgabenkomplex definiert Klaus Hurrelmann die Entwicklung einer eigenen beruflichen, finanziell selbstständigen und ökonomisch autarken Existenz („bilden und qualifizieren“).14 Mit der Industrialisierung wird der Erwachsenenstatus mehrheitlich über die Berechtigung sowie Fähigkeit zur wirtschaftlichen Selbstreproduktion definiert.15 Die Aufnahme von Erwerbsarbeit rückt in den Fokus und ist bis heute mit Blick darauf, was und vor allem wer als erwachsen definiert wird, prägend. Studien zufolge messen zu Beginn des 21. Jahrhunderts junge Erwachsene diesem Entwicklungsschritt eine besondere Wichtigkeit zu,16 während Jugendliche die Bedeutung deutlich geringer bewerten.17 Dies entspricht den verlängerten 13 Dirk Konietzka, 2010, 277. 14 Für die folgenden Ausführungen in den ▶ Kapiteln I, 2.1 bis 2.4 vgl. Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, 2013, 28 sowie Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 28. 15 Vgl. Jürgen Zinnecker, 1981, 100. 16 Vgl. Inge Seiffge-Krenke / Tim Gelhaar, 2006, 27. 17 Vgl. Viola Meckelmann / Nina Alice Dannenhauer, 2014, 193.
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Ausbildungszeiten, die diesen Entwicklungsschritt im letzten Jahrhundert im Lebenslauf nach hinten gerückt haben. Auch wenn im Zuge des PISA- sowie BOLOGNA-Prozesses Schul- und Studienzeitverkürzungen zu den viel diskutierten Stichworten gehören, zeigt ein historischer Vergleich, dass sich die Ausbildungszeiten insgesamt verlängert haben.18 Ein Indikator dafür ist der Anstieg des Durchschnittsalters bei Ausbildungsbeginn um knapp drei Jahre seit 1970, wie Walter R. Heinz zum Thema „Jugend im gesellschaftlichen Wandel“ herausgearbeitet hat.19 Ein weiterer Beleg ist das Ergebnis einer Längsschnittstudie von 2010, die gezielt 20- bis 30-Jährige in den Blick genommen hat und in der lediglich 17 % der befragten 25-Jährigen angaben, zu arbeiten, während 40 % in diesem Alter mit einer Lehre und 43 % mit einem Universitäts- bzw. Fachhochschulstudium beschäftigt waren.20 Diese Zahlen weisen zudem darauf hin, dass sich junge Menschen heute in zunehmendem Maße auf den Erwerb eines möglichst hohen Bildungszertifikats konzentrieren, welches größere Chancen mit Blick auf den zukünftigen Erwerbsstatus suggeriert. Dieser „Trend zur Höherqualifizierung“21 lässt sich sowohl an den Ergebnissen des aktuellen Bildungsberichtes (2018)22 als auch des aktuellen 15. Kinder- und Jugendberichts (2017)23 sowie der aktuellen 17. Shell Jugendstudie (2015) ablesen. Im Kinder- und Jugendbericht wird deutlich, dass sich der Anteil der Studienberechtigten von 1995 bis 2013 so stark erhöht hat, dass aktuell „[m]ehr als die Hälfte der altersentsprechenden Bevölkerung“ eine schulische Hochschulzugangsberechtigung erwirbt.24 Entsprechend steigen auch die Zahlen der Studienanfängerinnen und -anfänger, so dass 2015 „die Zahl von mehr als einer halben Million erreicht“ wurde.25 Es ist davon auszugehen, dass die weiterführende Ausbildung an Hochschule und Universität ein zunehmend zentraler Bestandteil in der Biografie junger Menschen in Deutschland wird.26 So verzeichnet die 17. Shell Jugendstudie Schulformen, die zum Abitur führen, als diejenigen mit dem stärksten Wachstum und demnach auch diese Veränderungen.27 Mitautor der Studie Klaus Hurrelmann ergänzt diese Zahlen um 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Vgl. dazu BMFSFJ, 2017, 52 sowie 170. Vgl. Walter R. Heinz, 2011, 15. Vgl. Inge Seiffge-Krenke, 2015, 166. Bildungsberichterstattung, 2018, 5. Schon im Bildungsbericht 2014 wurde ein „Trend zu höheren Abschlüssen“ deutlich (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, 7). Vgl. zu diesem Aspekt: BMFSFJ, 2017, 52. Vgl. ebd., 171 f. Vgl. ebd., 171. Vgl. dazu bereits die Analysen des 14. Kinder- und Jugendberichts: BMFSFJ, 2013, 203. Vgl. Ingo Leven u. a., 2015, 65 f.
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die in der Jugendstudie abgefragten Empfindungen junger Menschen, die mit Blick auf den eigenen Bildungsabschluss immer häufiger von Druck und Versagensängsten gequält werden: Wenn ich das nicht schaffe, habe ich im Grunde keine Eintrittskarte für das gesellschaftliche Leben und insbesondere den Beruf.28
Dieser subjektive Bildungsdruck wird durch die internationalen wettbewerbsfördernden Entwicklungen des Arbeitsmarkts, durch Automatisierung und Digitalisierung, die akademische Bildungsabschlüsse immer notwendiger machen, laufend verstärkt. Durch die wegfallenden Tätigkeiten für Geringqualifizierte bedeutet ein niedriger oder fehlender Bildungsabschluss das Risiko der Exklusion vom Arbeitsmarkt.29 Die Bildungswelten junger Menschen driften dementsprechend immer weiter auseinander, ebenso deren Optimismus und Pessimismus mit Blick auf die eigene Zukunft.30 Doch auch diejenigen, die mit der Strategie des Fleißes hohe Bildungsabschlüsse erwerben, erleben derzeit, dass „der richtige Abschluss“ nicht automatisch zu „Erfolg“ beim Berufseinstieg führt. Stattdessen gestaltet sich der Übergang von der meist mehrphasigen Ausbildung in den Beruf für die Mehrheit der jungen Erwachsenen nicht nur zunehmend später sondern zudem zunehmend schwieriger und übergangs-intensiv.31 Dies trifft in besonderem Maß auf Deutschland zu, wo die schon im 19. Jahrhundert ausgeprägte Segmentation in Schul-, berufliches Ausbildungs- und Hochschulwesen unter heutigen Bedingungen zu einer im Vergleich zu anderen Staaten größeren Anzahl von Gelenk- und Übergangsstellen führt.32 Statt an dieser Stelle des Lebenslaufs vor einer so genannten zu lösenden Entwicklungsaufgabe zu stehen, eröffnet sich jungen Menschen nach der (ersten) Ausbildungsphase eine oft risikoreiche Komplexität diverser, zum Teil unüberschaubarer Übergangsprozesse Richtung beruflicher Existenz. Vielfältige Arbeitsmodelle erschweren die Orientierung, der spätere Beruf ist nicht nur eine konsequente Weiterführung der Ausbildung oder des Studiums, sondern es findet eine „zunehmende Entkoppelung von Bildung und Beschäftigung“33 statt. Dabei nimmt die Planbarkeit späterer Erwerbstätigkeit und eines gesicherten Lebens ab, junge Erwachsene erleben stattdessen eine „Zunahme an Unsicherheit und Ungewissheit“.34
28 29 30 31 32 33 34
Dieses Zitat stammt aus einem Video-Interview mit Klaus Hurrelmann (Interview). Vgl. Ingo Leven u. a., 2015, 65. Vgl. Mathias Albert u. a., 2015b, 14. Vgl. BMFSFJ, 2017, 52 f. Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2008, 153. Andreas Walther, 2008, 12. Vgl. ebd.
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Dass junge Menschen dies aktuell weniger als eine Freiheit empfinden oder sich über die Möglichkeit häufiger Wechsel freuen, sondern auf diese Veränderungen mit einer gesteigerten Sehnsucht nach Sicherheit reagieren, verzeichnen die jüngsten Ergebnisse der 17. Shell Jugendstudie. Für 95 % aller Befragten ist Sicherheit die entscheidende Erwartung an die eigene Berufstätigkeit. Erst danach kommen für sie ideelle Aspekte (wie z. B. die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen, sinnstiftende Arbeit, eine gesunde WorkLife-Balance) und zeigt sich die weitere Aufteilung in Nutzenorientierung und Erfüllungsorientierung als zentrale Dimensionen ihrer weiteren Erwartungen.35 Grund für die Zunahme an Unsicherheiten und Ungewissheiten beim Berufseinstieg sind neben dem übergangsintensiven Bildungssystem die tiefgreifenden Umwälzungen des Arbeitsmarktsystems in den letzten Jahrzehnten, welche im Wesentlichen auf drei Trendbereiche zurückführen sind: erstens auf den demografischen Trend mit der Konsequenz einer erst alternden, dann schrumpfenden Gesellschaft; zweitens auf technisch-ökonomische Trends in Form von Globalisierung, Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie das Voranschreiten der Wissens- und Innovationsgesellschaft, welche vor allem zur Notwendigkeit von Flexibilität und Mobilität in einem komplexeren Umfeld mit steigender Veränderungsgeschwindigkeit führen, und drittens auf gesellschaftliche Trends, zu denen vor allem Nachhaltigkeit, Frauen in Führungspositionen und gesellschaftlicher Wertewandel, wie z. B. Individualisierung, Bildung von Wertesynthesen und Aufbrechen von Rollenmustern gehören.36 Die abnehmende Kontinuität sowie den steigenden Anspruch des Arbeitsmarkts an die geistige sowie räumliche Mobilität erlebt die junge Generation in ihrer Situation des (versuchten) Berufseinstiegs in höchst verdichtetem Maß. Eher selten ist mit dem ersten Eintritt in den Arbeitsmarkt der Schritt zur eigenen beruflichen sowie wirtschaftlich autarken Existenz abgeschlossen. Biografien, die vom Schulabschluss direkt in eine Ausbildung führen und im Anschluss daran in einer gesicherten, unbefristeten Vollbeschäftigung münden, werden zur Ausnahme. Das Auseinanderdriften der Bildungswelten führt einerseits zu risikoreichen und brüchigen Berufseinstiegsbiografien Geringqualifizierter. Und andererseits sind auch für diejenigen, die in hohe Bildungsabschlüsse investiert und diese erreicht haben, nach dem Abschluss eines Studiums befristete Stellen, ungewollte Teilzeittätigkeiten sowie vor allem auch Praktika keine Ausnahme. So prägte der Titel eines ZEIT-Artikels 2005 den
35 Vgl. Ingo Leven u. a., 2015, 78 f. 36 Vgl. Jutta Rump u. a., 2014, 5–14.
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Begriff der „Generation Praktikum“37 für junge Akademikerinnen und Akademiker. 2007 lieferte der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte HIS-Projektbericht „Generation Praktikum – Mythos oder Massenphänomen?“ erstmals bundesweit repräsentative Daten zur Rolle von Praktika nach dem Studium und gibt an dieser Stelle zwar Entwarnung, weist zugleich jedoch auf deutliche Schwierigkeiten beim Berufseinstieg nach dem Studium hin: Insgesamt betrachtet ist der berufliche Einstieg über Praktika mitnichten der Regelfall. Vielmehr dürften sich Probleme beim Berufseinstieg in anderer Hinsicht äußern, z. B. in Form von befristeten Beschäftigungsverhältnissen, unterwertiger Beschäftigung und / oder schlechter Bezahlung.38
Ein hoher Bildungsabschluss gilt unter jungen Menschen weiterhin als entscheidende Investition in die eigene (berufliche) Zukunft, ist jedoch kein Schutz vor prekären Berufseinstiegsbiografien. „Berufseinstieg auf Zeit“39 – so beschreibt eine Erhebung des Statistischen Bundesamts zu Niedrigeinkommen und Erwerbstätigkeit die Situation junger Menschen insgesamt: Unterteilt man die Erwerbstätigen nach Alter, so ist atypische Beschäftigung vor allem unter jungen Erwerbstätigen zu finden. 37,3 % der 15- bis 24-Jährigen waren 2008 atypisch beschäftigt, unter den 45- bis 64-Jährigen waren die Anteile (19,7 % bzw. 19,8 %) am geringsten. Dabei ist die größte Gruppe der Jungen befristet beschäftigt (26,9 %), aber auch der Anteil der 15- bis 24-Jährigen in geringfügiger Beschäftigung und Zeitarbeit ist größer als bei den meisten anderen Altersgruppen.40
Auch für die folgende Altersgruppe, die 25- bis 34-Jährigen, zeigt sich weiterhin ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz atypisch Beschäftigter (24,3 %), vor allem mit Blick auf befristet Beschäftigte (13 % – während sich dieser Prozentsatz in den älteren Altersklassen noch einmal mehr als halbiert). Ob junge 37 38 39 40
Vgl. Matthias Stolz, 2005. Kolja Briedis / Karl-Heinz Minks, 2007, 10. Destatis, 2009b, 24. Ebd., 9. Vgl. dazu zudem die Tabelle auf Seite 12. Die Zahlen beziehen sich unabhängig vom jeweiligen Bildungsabschluss „auf alle Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren, ohne Personen in Bildung oder Ausbildung“ (12). Aktuellere Zahlen zu diesem spezifischen Aspekt konnten nicht gefunden werden, doch auch Erhebungen zur Verdiensthöhe zeigen deutlich, dass junge Menschen weiterhin besonders häufig von Niedriglöhnen betroffen sind: „Nahezu jeder zweite Beschäftigte (ohne Auszubildende) im Alter von 15 bis 24 Jahren bezog einen Niedriglohn. Dies sind mehr als doppelt so viele wie in jeder anderen Altersgruppe“ (Destatis, 2017b, 10).
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Erwachsene jedoch mit steigendem Alter ebenfalls weniger unsichere sowie besser bezahlte Arbeitsverhältnisse erwarten, ist nicht abzusehen, da aktuell das, was als „Normalarbeitsverhältnis“ begriffen wird, sich von grundlegenden Veränderungsprozessen gekennzeichnet zeigt. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigten 2008, dass Menschen immer häufiger in so genannten „atypischen“ Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind (Anstieg um 46,2 % seit 1998 – Stand 2008), was durch das ungleiche Wachstum der unterschiedlichen Beschäftigungsformen zu einer grundlegenden strukturellen Veränderung des Arbeitsmarkts führt. Vor allem der Anteil geringfügig Beschäftigter stieg um 71,5 % rasant an und gehörte zum am stärksten wachsenden Bereich des Arbeitsmarkts. Zudem wurde Solo-Selbstständigkeit häufiger (Anstieg um 27,8 %).41 Bei unter 35-Jährigen war Selbstständigkeit jedoch (noch) eine im Vergleich zu anderen Altersklassen verhältnismäßig seltene Form der Erwerbstätigkeit (2,3 % – 7,2 % zu 12,0 % – 14,6 % – Stand 2008).42 Aktuellere Studien verzeichnen eine seit 2006 leicht rückläufige „Marginalisierungsquote“, was bedeutet, dass marginale („atypische“, also bezüglich Lohn und Befristung prekäre) Arbeitsverhältnisse im Verhältnis zu „Normalarbeitsverhältnissen“ (im Sinne unbefristeter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von mehr als 20 Wochenstunden ohne Leiharbeit) leicht rückläufig sind43, ebenso wie seit 2007 die Zahl der Selbstständigen stagniert44. Zugleich erreicht die Teilzeitquote45 in Deutschland im Jahr 2015 mit 26,8 % ihren Höchststand und liegt damit zudem weit über dem EUDurchschnitt (19 %).46 Der aktuelle 15. Kinderund Jugendbericht weist zugleich daraufhin, dass weiterhin „[g]egenüber älteren Arbeitnehmern […] Jugendliche und junge Erwachsene häufiger nur befristet und gegen niedrigere Entlohnung angestellt“ werden, und zeigt die Konsequenz daraus auf: „Zeitlich […] dehnt sich der Übergang in die ökonomische Selbstständigkeit für viele Jugendliche, der zugleich durch Diskontinuitäten von Arbeitsverhältnissen geprägt ist […], aus“.47 Der Begriff eines „Normalarbeitsverhältnisses“ verliert oder verändert vielmehr somit seine Bedeutung. Insgesamt gerät das, was bisher als „normal“ oder „typisch“ mit Blick auf Ausbildung und Beruf galt, in einen grundlegenden Veränderungsprozess, was sich an den Herausforderungen beim Berufseinstieg junger Menschen aktuell besonders deutlich zeigt.
41 42 43 44 45 46 47
Vgl. Destatis, 2009b, 26. Vgl. ebd., 10. Vgl. Destatis, 2017a, 17. Vgl. ebd., 18. Auch Teilzeitarbeit gilt als „atypisches“ Arbeitsverhältnis. Vgl. ebd. BMFSFJ, 2017, 147.
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Auch wenn diese Herausforderungen und Unsicherheiten beim Berufseinstieg nicht nur einzelnen Gruppen junger Erwachsener vorbehalten sind, verlangen die risikoreicheren Übergänge „hohe soziale Organisationskompetenzen“ und führen somit zu einer Benachteiligung derjenigen, denen es an der Fähigkeit zur Selbstorganisation mangelt.48 Häufig sind das junge Menschen mit niedrigen oder fehlenden Bildungsabschlüssen, die somit doppelter Benachteiligung beim Übergang oder Zugangsversuch zum Arbeitsmarkt ausgesetzt sind. Für sie hat sich ein neues institutionelles System zum „Management“ des Übergangs zwischen Schule und Beruf etabliert, das neben der dualen Berufsausbildung und dem Schulberufssystem als dritter Sektor des beruflichen Ausbildungssystems in Deutschland gilt. In diesem Übergangssystem mit verschiedenen meist einjährigen Bildungsangeboten (wie z. B. dem Berufsvorbereitungsjahr) gelingt es einigen jungen Erwachsenen, ihren Abschluss nachzuholen. Ein anderer Teil erlebt die Teilnahme an den Maßnahmen jedoch als eine ziellose und lediglich die eigene Autonomie hinauszögernde Verlängerung des prekären Übergangs.49 Besonders verschärft zeigen sich die Probleme bei der Entwicklung einer eigenen beruflichen und zudem wirtschaftlich autarken Existenz bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund sowie jungen Erwachsenen in der Jugendhilfe. So weist der 14. Kinder- und Jugendbericht (2013) der Bundesregierung darauf hin, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund zwar aktuell beinahe genau so häufig die Hochschulreife erwerben, wie junge Menschen ohne Migrationshintergrund,50 die Gruppe der Migrantinnen und Migranten sich jedoch umgekehrt weiterhin prozentual deutlich häufiger mit einem niedrigen oder fehlenden berufsqualifizierenden Abschluss den Übergangsprozessen in das Berufsleben stellen muss, als junge Menschen ohne Migrationshintergrund.51 Auch der 15. Kinder- und Jugendbericht (2017) zeigt, dass bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund Erwerbslosigkeit sowie Nicht-Erwerbstätigkeit „deutlich erhöht“ sind.52 Ebenfalls starten so genannte „Care Leaver“ unter erschwerten Bedingungen in das Berufsleben, indem sie im Regelfall ab dem 18. Lebensjahr sowohl finanziell als auch persönlich auf eigenen Beinen stehen müssen, da trotz sozialgesetzlicher Grundlage der Hilfen für junge Voll48 Vgl. Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, 2013, 142. 49 Vgl. BMFSFJ, 2013, 187 sowie Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, 6. 50 Vgl. BMFSFJ, 2013, 87: „So verfügen in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen 37 Prozent der Migrantinnen und Migranten über die Hochschulreife, in der altersgleichen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund sind es mit knapp 45 Prozent nur etwas mehr.“ 51 Vgl. ebd., 88: „In der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen, bei der man mit einiger Plausibilität davon ausgehen kann, dass die Erstausbildung in der Regel abgeschlossen ist, verfügt jede dritte Person mit Migrationshintergrund über keinen berufsqualifizierenden Abschluss, bei Personen ohne Migrationshintergrund liegt der entsprechende Anteil bei 10 Prozent.“ 52 Vgl. BMFSFJ, 2017, 149.
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jährige (gemäß § 41 SGB VIII) diese derzeit nur selten gewährt werden.53 So können sie auf dem komplexen und unsicheren Weg in den Beruf nur selten an Übergängen auf Rückhalt und Unterstützung zurückgreifen, während junge Menschen, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, mittlerweile oft weit bis ins dritte Lebensjahrzehnt immer wieder unterschiedliche Formen familiärer Unterstützung in Anspruch nehmen. Dies zeigt sich auch in den Ergebnissen der Studie zu den Lebensverhältnissen Jugendlicher und junger Erwachsener des DJI: Weder die Aufnahme einer Vollzeit- oder Teilzeiterwerbstätigkeit noch die Gründung eines eigenen Haushalts bedeutet in allen Fällen das Wegfallen der elterlichen Unterstützungsleistungen. Ein Viertel derer, die sich bereits im Erwerbsleben befinden und ein Einkommen erwirtschaften, berichtet über Hilfeleistungen monetärer und / oder nichtmonetärer Art aus dem Elternhaus.54
Der Wechsel von der finanziellen Abhängigkeit zu einer autarken ökonomischen Existenz stellt einen langwierigen, von verschiedenen Umständen beeinflussten Prozess dar. Denn während aktuell die ökonomische Verselbstständigung bereits immer früher im Jugendalter beginnt, zeigt sich zugleich „eine Verzögerung und Prekarisierung des Übergangs in die reguläre berufliche Erwerbsarbeit, die sich vor allem einerseits in längeren und brüchigeren Pfaden in Ausbildung und qualifizierte Arbeitsverhältnisse und andererseits in befristeten und kurzfristigen Beschäftigungen ausdrückt.“55 Insgesamt müssen heute biografische Entscheidungen beim Einstieg in den Beruf unter großer struktureller Offenheit und mit wenig Orientierungsmöglichkeit an den Eltern individuell getroffen und verantwortet werden, so dass die Begründung einer eigenen beruflichen und daraus resultierenden finanziell selbstständigen sowie ökonomisch autarken Existenz nicht mehr durch die Gestaltung des einen Übergangs vom Ausbildungs- in das Arbeitsmarktsystem von jungen Menschen als Entwicklungsaufgabe gelöst werden kann. Mit Blick auf die anhaltende arbeitsgesellschaftliche Dynamik, die ihre Ursachen in tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen hat, wird deutlich sichtbar, dass eine lineare Einmündung in das Erwerbsleben über diese beiden
53 Vgl. Dirk Nüsken, 2015, 9. 54 Sabine Sardei-Biermann / Ildiko Kanalas, 2006, 84. Dies wird auch durch aktuellere Zahlen bestätigt, wie sie beispielsweise der Zukunftsreport „Familie 2030“ liefert: „So unterstützen rund 60 Prozent der Eltern ihre inzwischen ausgezogenen Kinder bei finanziellen Problemen oder größeren Anschaffungen“ (AG, 2016, 3 f.). 55 BMFSFJ, 2017, 188.
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Schwellen [Übergang von allgemeinbildender Schule in eine Berufsausbildung / Übergang in das Erwerbsleben] für immer weniger Jugendliche und junge Erwachsene möglich wird. Im Zuge des arbeitsgesellschaftlichen Strukturwandels hat sich mittlerweile eine komplexe und in Teilen ambivalente Übergangslandschaft entwickelt, sodass man von entgrenzten Übergängen sprechen kann. Ein Großteil der jungen Menschen wird gewissermaßen immer wieder mit ersten und zweiten Schwellen konfrontiert, wenn nicht sogar von Ausgrenzung bedroht.56
Mit dieser Zusammenfassung aus dem Handbuch „Übergänge“ zu den aktuellen Herausforderungen bei den Übergängen in die Arbeitswelt stellt sich die Frage, ob junge Erwachsene die an die lohnabhängige Erwerbsarbeit geknüpfte konventionelle Vorstellung vom Erwachsenenstatus jemals erreichen werden. Es ist davon auszugehen, dass die skizzierten Verzögerungen, Herausforderungen und die Diversifizierung von Übergängen in Ausbildung und Beruf sich auch auf Übergangsprozesse in anderen Lebensbereichen junger Erwachsener auswirken und dort ebenfalls zu grundlegenden Veränderungen führen.
2.2 B) Die Begründung einer eigenen partnerschaftlichen sowie räumlichen Existenz Als einen zweiten Komplex definiert Klaus Hurrelmann die Entwicklung einer eigenen partnerschaftlichen oder auch familiären sowie räumlichen Existenz („ablösen und neu binden“). Auch diesem Entwicklungskomplex messen junge Erwachsene im 21. Jahrhundert eine hohe Bedeutung zu, bei der sie jedoch zwischen der Entwicklung einer räumlichen, partnerschaftlichen und familiären Existenz klar unterscheiden, wie eine Studie zur Realisierung von Entwicklungsaufgaben im jungen Erwachsenenalter von Inge Seiffge-Krenke und Tim Gelhaar zeigte: Während der „Aufbau einer Partnerschaft“ sowie „der Auszug aus dem Elternhaus und die damit verbundene Gründung eines eigenen Haushalts“ zusammen mit dem zuvor erwähnten „Einstieg in die Berufstätigkeit“ als überdurchschnittlich wichtig bewertet werden, kommt der „Gründung einer Familie“ nur durchschnittliche Wichtigkeit zu und wird das „Versorgen einer Familie“ sogar als unterdurchschnittlich wichtig eingestuft.57 Daten aktuellerer Studie zeigen hingegen aus Perspektive der derzeit wieder steigenden Kinderwünsche der kinderlosen
56 Thomas Kreher / Theresa Lempp, 2013, 688. 57 Vgl. Inge Seiffge-Krenke / Tim Gelhaar, 2006, 23.
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unter 30-Jährigen von knapp 50 % im Jahr 2003 auf 65 % bei Befragungen 2013, dass das Interesse an der Gründung einer eigenen Familie wieder zunimmt.58 Dennoch bleibt die Unterscheidung dieser drei Aspekte bei der Begründung einer eigenen Existenz weiterhin relevant. So steht in Frage, ob die Familiengründung, die als zentraler Marker der Verselbstständigung junger Menschen beurteilt wurde und dabei mit dem Auszug aus dem Elternhaus verknüpft war, überhaupt noch als Teil der Verselbstständigungsphase im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zu verstehen ist. Anhand der zuvor dargestellten demografischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wird deutlich, dass heutzutage Übergänge, die die Familiengründung markieren, häufig erst im vierten Lebensjahrzehnt vollzogen werden […]. Zusätzlich bleibt festzuhalten, dass die Institution Ehe als normativer Übergang in die Elternschaft zunehmend an Bedeutung verliert und damit nicht mehr als selbstverständlicher Teil der sozialen Verselbstständigung zu betrachten ist.59
Ehe, Familiengründung und Auszug aus dem Elternhaus erscheinen heute als drei immer häufiger entkoppelte Ereignisse, die im Folgenden einzeln betrachtet werden. Gleichzeitig zeigt sich an diesem zweiten Entwicklungskomplex insgesamt besonders markant, dass die einzelnen Entwicklungsaufgaben in Korrelation zueinander stehen. So geraten vor allem Wechselwirkungen mit dem ersten Entwicklungskomplex, der Begründung einer beruflichen und finanziell selbstständigen Existenz, in den Blick. Begründung einer eigenen räumlichen Existenz Christiane Papastefanou zeigt in ihren Studien, inwiefern die Begründung einer eigenen räumlichen Existenz, „als zentrales Symbol auf dem Weg des Erwachsenwerdens“ einem Wandel unterliegt. Sie stellt heraus, dass es in Abhängigkeit von den Herausforderungen bezüglich der Begründung einer beruflichen Existenz auch bei diesem Entwicklungsschritt immer schwieriger wird, ihn in Form eines singulären Ereignisses zu bestimmen, da er zunehmend einem Prozess gleicht, welcher von „Umwegen und zeitweiliger Rückkehr ins Elternhaus“ geprägt ist.60 So geben „fast ein Fünftel (19 %)“ der Jugendlichen, die nicht mehr zur Schule gehen und noch bei den Eltern leben, in der 16. Shell Jugendstudie (2010) an, „schon außerhalb des Elternhauses gelebt zu haben“. Bei den 22- bis 25-Jährigen trifft dies nach eigenen Angaben auf fast auf ein Drittel (30 %) zu.61 58 59 60 61
Vgl. AG, 2016, 15. BMFSFJ, 2017, 191. Vgl. Christiane Papastefanou, 2008, 55. Vgl. Ingo Leven u. a., 2010, 69. Die aktuelle 17. Shell Jugendstudie liefert zur Begründung einer eigenen räumlichen Existenz keine neuen Daten und Beobachtungen.
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Ein Wandel zeigt sich zudem vor allem in dem aus nordeuropäischer Perspektive62 zeitlich verzögertem Auszugsverhalten, das Christiane Papastefanou als „Nesthocker-Phänomen“63 bezeichnet. Auch die 16. Shell Jugendstudie (2010) stellt fest, dass der Auszug aus der Herkunftsfamilie in den entwickelten Industrieländern so spät wie „noch nie“ vollzogen wird.64 In den Studien von 2002–2010 zeige sich ein sehr konstantes Bild, in dem der Auszug unter 18 Jahren zu einer Seltenheit gehört (3 %), aber auch von den 18- bis 21-Jährigen die Mehrheit noch Zuhause (77 %) lebt und erst bei den 22- bis 25-Jährigen nur noch eine – wenn auch recht starke – Minderheit (38 %) das „Hotel Mama“ nutzt.65 Die Bezeichnungen „Hotel Mama“ oder auch „Nesthocker“ führen häufig dazu, dass der Verbleib im Elternhaus dem Individuum als freigewählte Bequemlichkeitsentscheidung zugeschrieben wird. In der 16. Shell Jugendstudie (2010) zeigt sich jedoch, dass dies zu fast gleichen Anteilen an freiwilligen sowie unfreiwilligen Gründen liegt: 43 % der Befragten geben an, bei ihren Eltern zu wohnen, „weil das für uns alle am bequemsten ist“, 48 % würden hingegen gerne eine eigene Wohnung nehmen, „wenn ich es mir finanziell leisten könnte“.66 Die verzögerte Gründung einer eigenen räumlichen Existenz kann zum einen mit dem konfliktfreieren Verhältnis junger Menschen zu den eigenen Eltern begründet werden, welches seit 2002 von den Shell Jugendstudien verzeichnet wird.67 Dieser positive Trend in der Beziehung zu den eigenen Eltern zeigt sich erneut verstärkt auch in der 17. Shell Jugendstudie (2015), wobei das Verhältnis weiterhin von der finanziellen Situation und dem Bildungsgrad der Eltern abgängig bleibt und somit nicht alle 12- bis 25-Jährigen so empfinden (40 % der Altersgruppe insgesamt, aber nur 21 % aus der „unteren Schicht“ geben an, mit den Eltern bestens auszukommen).68 So wird es zunehmend schwieriger, zwischen „Wahlbiografien und Risikobiografien“ zu differenzieren.69 Während das Leben im Haushalt der Eltern für einige junge Erwachsene eine praktische Option ist, die nicht mit eigenen Interessen kollidiert, kann es für andere
62 Generell beziehen sich in diesem Kapitel sämtliche Statistiken und weitere Daten auf Deutschland, wenn dies nicht anders gekennzeichnet wird. Im EU-Vergleich mit südlichen Ländern ziehen junge Menschen in Deutschland relativ früh von zu Hause aus (vgl. Destatis, 2009a, 27 f.). 63 Christiane Papastefanou, 2008, 66. 64 Vgl. Ingo Leven u. a., 2010, 67. 65 Vgl. ebd., 69. 66 Ebd., 70 die Abbildung 2.10 „Warum Jugendliche nach ihrer Schulzeit noch bei den Eltern wohnen“. 67 Vgl. Ingo Leven u. a., 2010, 66: „Seit 2002 gibt weniger als ein Zehntel der Jugendlichen ein konfliktreiches Verhältnis zu den eigenen Eltern zu Protokoll.“ 68 Vgl. Ingo Leven u. a., 2015, 52 f. 69 Vgl. BMFSFJ, 2013, 187.
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eine aus sozialer und finanzieller Not erforderliche, individuell durchaus sehr belastende Lebensform darstellen. Inge Seiffge-Krenke lenkt hingegen den Blick auf die Eltern und führt den häufig längeren Verbleib in der Herkunftsfamilie auf den gesamtgesellschaftlichen Wandel zurück, der den Wert von Kindern für Eltern steigert. Zusammen mit der verlängerten finanziellen Abhängigkeit ist es ihrer Ansicht nach für Eltern besonders schwierig, „unangemessen hohe emotionale und praktische Unterstützung“ zu verringern.70 Im Rahmen der Sozialgesetzgebung ist eine freie, den eigenen Vorstellungen entsprechende Wohn-Entscheidung für junge Erwachsene unter 25 Jahren, die statt auf familiäre „praktische Unterstützung“ zurückgreifen zu können, Leistungen nach dem SGB II beziehen, besonders schwierig, da sie für den Auszug aus dem Elternhaus die Einwilligung des kommunalen Trägers benötigen. Gemäß § 22 Abs. 5 des SGB II ist diese Einwilligung erforderlich, wenn der Umzug nicht in eine neue Bedarfsgemeinschaft erfolgt (Ehe / Haushalt mit einem Partner oder einer Partnerin).71 Solche gesetzlichen Regelungen berücksichtigen dabei nicht den Trend, der sich in Zahlen mittlerweile deutlich ablesen lässt: So ist der Singlehaushalt eine Wohnform, die unter 18- bis 34-Jährige immer häufiger wählen (1996: 17 % – 2011: 24 %), während häusliche Partnerschaften demgegenüber bei Menschen dieser Altersgruppe eher seltener werden (1996: 48 % – 2011: 36 %).72 Hier zeigt sich – wenn auch nur randläufig – dass konventionelle Vorstellungen von der Art und Weise, wie eine „erwachsene“ Wohnform aussieht, weiterhin prägend sind und durchaus Auswirkungen auf die Bewältigung von Übergängen junger Menschen haben können sowie einzelne Gruppen konkret benachteiligen. Insgesamt wird deutlich, dass die Veränderungen und Herausforderungen bei der Begründung einer eigenen beruflichen und finanziell selbstständigen Existenz eine verzögernde Wechselwirkung auf das Auszugsverhalten haben – sowohl für diejenigen, die auf staatliche Hilfeleistungen und sozialpolitische Regelungen angewiesen sind, als auch für diejenigen, die auf die Unterstützung ihrer Herkunftsfamilie zurückgreifen können. Begründung einer partnerschaftlichen Existenz – Eheschließungen Auch zwischen der Begründung einer partnerschaftlichen Existenz und dem Auszugsverhalten bestehen Interkorrelationen, diese werden jedoch aktuell schwächer. Insgesamt verliert vor allem die Ehe als Form der Partnerschaft
70 Vgl. Inge Seiffge-Krenke, 2015, 170. 71 Vgl. Davina Höblich / Miriam Meuth, 2013, 295. 72 Vgl. Destatis, 2012, 20.
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entscheidend an Bedeutung: Von 1950 bis 2012 hat sich die Anzahl der Eheschließungen deutlich verringert und liegt laut Statistischem Jahrbuch 2014 seit 2010 niedrig, jedoch recht stabil bei ungefähr 4,8 je 1000 Einwohnern (1950: 11 je 1000 Einwohner).73 Dies zeigt sich auch im Auszugsverhalten und den zuvor schon skizzierten aktuellen Wohnformen junger Erwachsener, wo die Form der häuslichen Partnerschaft (mit 48 % 1996 noch die Wohnform, die knapp die Hälfte der 18- bis 34-jährigen Befragten angegeben hatte – 2011 gaben dies nur noch 36 % an) und insbesondere die Ehe (1997 gaben 37 % der 18- bis 34-jährigen Befragten an, mit dem Ehepartner oder der Ehepartnerin zusammen zu leben – 2011 äußerten dies nur noch 21 %) seltener wird.74 Empirische Untersuchungen weisen darüber hinaus sowohl bezüglich des Auszugs als auch bei Heirat und Familiengründung genderspezifische Unterschiede auf, wie es in der Studie zu den Lebensverhältnissen Jugendlicher und junger Erwachsener des DJI deutlich wird: Frauen gestalten im Durchschnitt vergleichsweise früher den Auszug, eine feste Partnerbeziehung sowie auch das familiale Zusammenleben mit Kindern und Partner als gleichaltrige Männer.75 Laut Statistischem Bundesamt waren es 2010 „26 % aller jungen Frauen, aber nur 16 % aller jungen Männer“, die mit dem Ehepartner oder der Ehepartnerin in einem Haushalt zusammenlebten, wobei dieser Unterschied u. a. auch darauf zurückzuführen ist, dass Frauen im Durchschnitt früher als Männer heiraten und zudem die klassische Altersstruktur von (Ehe)Paaren so aussieht, dass der Mann älter als die Partnerin ist.76 Dementsprechend lag 201677 das durchschnittliche Erstheiratsalter von Frauen bei 31,5 Jahren (199178: 26,1) und bei Männern bei 34 Jahren (1991: 28,5). Die beim Auszug aus dem Elternhaus und der Begründung einer Partnerschaft oder Familie skizzierten Geschlechterunterschiede sind jedoch kein Hinweis darauf, dass die einzelnen Entwicklungsaufgaben Männern und Frauen unterschiedlich wichtig erscheinen. Inge Seiffge-Krenke und Tim Gelhaar arbeiteten in ihrer Studie zu Interkorrelationen zwischen den Entwicklungsaufgaben im jungen Erwachsenenalter vielmehr heraus, dass sie von beiden Geschlechtern als gleichermaßen relevant bewertet werden.79 Während eine Heirat nicht nur zunehmend später, sondern auch seltener vollzogen wird, nimmt die Bedeutung nichtehelicher Lebensgemeinschaften 73 74 75 76 77
Vgl. Destatis, 2014, 53. Vgl. Destatis, 2012, 20. Vgl. Martina Gille u. a., 2006, 278. Vgl. Destatis, 2012, 21. Vgl. zu den Angaben aus dem Jahr 2018 die online stets aktualisierten Zahlen auf der Homepage des Statistischen Bundesamts (Eheschließungen). 78 Vgl. zu den Vergleichswerten die Ausführungen des aktuellen 15. Kinder- und Jugendberichts: BMFSFJ, 2017, 189. 79 Vgl. Inge Seiffge-Krenke / Tim Gelhaar, 2006, 27.
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beim Übergang in das Erwachsenenalter in den letzten Jahren deutlich zu – auch hier zeigt sich dies bei den Frauen stärker als bei Männern.80 Eine spannende Entwicklung in diesem Kontext ereignet sich derzeit in Frankreich, wo mit dem Pacte civil de solidarité (Pacs) 1999 ursprünglich für homosexuelle Paare eine rechtliche Möglichkeit als Alternative zur Ehe geschaffen wurde. Diese Form einer rechtlich abgesicherten und zugleich weiterhin sehr flexiblen Beziehung wird aktuell mehr und mehr als eine Art „Ehe light“ oder auch „Partnerschaftsvertrag mit kurzer Kündigungsfrist“ zu einer attraktiven Ehealternative für heterosexuelle Paare.81 Ob dies auch für Deutschland eine relevante oder attraktive rechtliche Möglichkeit wird, die Einfluss auf die Gestaltung der Begründung einer partnerschaftlichen Existenz junger Erwachsener nimmt, bleibt abzuwarten, zeichnet sich aktuell jedoch nicht ab. Begründung einer familiären Existenz Noch stärker zeigt sich ein sozialer Wandel mit Blick auf die Gründung einer Familie. Auch diesbezüglich nimmt die Bedeutung der Ehe und so genannter „ehelicher Geburten“ anteilsmäßig kontinuierlich ab.82 Gleichzeitig steigen, ebenfalls kontinuierlich, das Erstgeburtsalter der Frauen (1970: 24 Jahre83 – 2013: 30,8 Jahre84) sowie der Anteil derjenigen, die kinderlos bleiben (2012 war die Kinderlosenquoten der – nicht mehr als geburtsfähig geltenden – 40bis 44-jährigen Frauen „mit 22 % beinahe doppelt so hoch wie um 1990“)85. Unterschiede bezüglich des Erstgeburtsalters und der Kinderzahl werden vor allem auf unterschiedliche Qualifikationsniveaus der Mütter zurückgeführt. Bei einem hohen Bildungsniveau der Frau ist im Durchschnitt das Erstgeburtsalter ebenfalls vergleichsweise hoch. Eine umgekehrte Wechselwirkung zeigt sich bei jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund. Vor allem Migrantenjugendliche der ersten Generation realisieren durchschnittlich nicht nur häufiger sondern auch deutlich früher als gleichaltrige, in Deutschland geborene junge Erwachsene eheliche Lebensgemeinschaften sowie die Familiengründung.86 Relevant ist an dieser Stelle zudem die Untersuchung, inwiefern sich ökonomische Situation und Familienplanung im Lebensalltag junger Menschen als voneinander abhängig zeigen. Der 15. Kinder- und Jugendbericht zeigt diesbezüglich, dass der Einfluss ökonomischer Unsicherheit altersabhängig ist:
80 81 82 83 84 85 86
Vgl. Dirk Konietzka, 2010, 175. Vgl. Sarah Jäggi, 2015. Vgl. Destatis, 2013, 20. Vgl. ebd., 19. Vgl. BMFSFJ, 2017, 189. Vgl. Destatis, 2013, 31. Vgl. Martina Gille u. a., 2006, 279.
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Während eine Familiengründung im Alter zwischen 17 und 26 Jahren im Falle ökonomischer Unsicherheit sogar beschleunigt wird, ließen sich junge Erwachsene, die bei der Geburt ihres ersten Kindes älter als 26 Jahre waren, durch ökonomische Unsicherheiten in ihrer Familienplanung bremsen. Vor allem höher gebildete Frauen und diejenigen, die zu einem späteren Zeitpunkt eine Familie gründen, sehen eine sichere und stabile ökonomische Situation als Voraussetzung für die Entscheidung, Kinder zu bekommen.87
Die 17. Shell Jugendstudie ergänzt diese Beobachtungen um Daten zu den Vorstellungen und Wünschen der jungen Generation zu diesen Themen: Von den 12- bis 25-Jährigen geht im Jahr 2015 ein Viertel davon aus, auch ohne eigene Familie glücklich sein zu können – trotz der überwiegend positiven Bewertung der eigenen Eltern. An dieser Stelle verzeichnet die 17. Shell Jugendstudie mit der schrumpfenden Mehrheit, die an einer eigenen Familie als wesentlichem Bestandteil für das eigene Lebensglück festhält, eine deutliche Trendwende seit 2002.88 Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheinen insgesamt den konkreten Kinderwunsch vor allem älterer Jugendlicher oder junger Erwachsener zu schwächen, so dass der 2010 in der 16. Shell Jugendstudie gemessene Wert von knapp 70 % der Befragten, die sich ausdrücklich Kindern wünschen (s. o.), in der Nachfolgestudie aus dem Jahr 2015 um fünf % gesunken ist.89 Unterschiede zeigen sich zwischen den untersuchten Altersgruppen der 17. Shell Jugendstudie ebenfalls beim Thema Heirat: Während Jugendliche „Heiraten“ weiterhin als „angesagt“ bewerten, steht dies bei 18- bis 25-Jährigen deutlich weniger hoch im Kurs.90 „Heirat und eigene Kinder sind von einem selbstverständlichen Pflichtposten, der sie noch zu Zeiten der Großeltern waren und gegen den man sich nur mit großem Aufwand wehren konnte, zu einer Entscheidung unter vielen geworden. Heute sind sie nicht mehr als denkbare Optionen, die die Generation Y zum Tarif des Lebens flexibel hinzuwählt, wenn sie das will“91 – oder auch wenn sie sich traut. Denn unüberschaubare Übergangsprozesse und das nicht absehbare Ankommen in einem „gesicherten Status“ führen – vor allem bei den höher Ausgebildeten92 – häufig dazu, dass junge Erwachsene sich an dieser Stelle erst (zu) spät festlegen.
87 88 89 90 91 92
Bildungsberichterstattung, 2018, 190. Vgl. Ingo Leven u. a., 2015, 56. Vgl. ebd., 213–218. Vgl. ebd., 62. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 88. Vgl. Ingo Leven u. a., 2010, 70.
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Fazit zu diesem Entwicklungskomplex Entgegen einigen Zahlen und Trends, die in den skizzierten Untersuchungen deutlich werden, zeigen aktuelle statistische Zahlen bezüglich Eheschließungen sowie auch Geburten für Deutschland erstmals wieder einen leichten Aufwärtstrend.93 Aktuell lässt die Datenlage jedoch noch nicht zu, daraus konkrete Schlüsse zu ziehen oder Folgeentwicklungen abzuleiten. Während sich auch dieser zweite Entwicklungskomplex insgesamt für die Mehrheit junger Menschen zeitlich im Lebenslauf nach hinten verschoben hat, muss zugleich darauf hingewiesen werden, dass sich romantische Beziehungen und sexuelle Erfahrungen im Lebenslauf deutlich nach vorn verschoben haben.94 Ohne das Entwicklungsziel der Begründung einer Partnerschaft zu verfolgen, spielen Explorationen im romantisch-sexuellen Bereich für Jugendliche in der Entwicklung eine entscheidende Rolle und so bewerten sie Beziehung als eines der wichtigsten aktuellen Themen.95 Hier zeigt sich eine gewisse Spannung in den zeitlichen Verschiebungen einzelner Teilbereiche der Entwicklungsaufgaben. Insgesamt lässt sich zu diesem zweiten Entwicklungskomplex resümieren, dass die Begründung einer eigenen räumlichen Existenz in besonders starker Wechselwirkung mit der Begründung einer beruflichen Existenz steht. Auch die Gründung einer eigenen Familie zeigt sich – je nach Alter der Person – von dem ersten Entwicklungskomplex und der ökonomischen Situation abhängig. Hier wirken sich nicht nur die Verzögerungen, sondern vor allem auch die Diversifizierung von Übergängen und die damit einhergehende Unsicherheit beim Berufseinstieg aus, so dass auch dieser zweite Entwicklungskomplex von „Hin- und Her-Bewegungen sowie Übergangshaftigkeit“96 geprägt ist, statt ein singuläres Ereignis zu markieren. Deutlicher zeigen sich die Veränderungen mit Blick auf die Form der räumlichen Selbstständigkeit, die junge Menschen wählen, welche immer seltener an die Begründung einer Partnerschaft oder Ehe geknüpft erscheint. Vor allem Eheschließung und Familiengründung verlieren als bisher zentrale Marker für den Übergang in das Erwachsenenalter unter jungen Erwachsenen an Bedeutung und werden von einer gesellschaftlichen Konvention zur individuellen Option (und Verantwortung).
93 Vgl. Destatis, 2015. Vgl. zum Trend der wieder steigenden Zahl an Geburten zudem: Bildungsberichterstattung, 2018, 4. 94 Vgl. Ingo Leven u. a., 2010, 63. 95 Vgl. dazu z. B. die Ergebnisse der Befragungen von Jugendlichen der siebten und neunten Klasse, in: Viola Meckelmann / Nina Alice Dannenhauer, 2014, 193. 96 Davina Höblich / Miriam Meuth, 2013, 294.
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2.3 C) Die Begründung einer eigenen Existenz im Bereich Konsum und Medien Zum dritten von Klaus Hurrelmann definierten Komplex gehört die Entwicklung einer eigenen Existenz als Konsument oder Konsumentin, Mediennutzer oder Mediennutzerin sowie wirtschaftlich handelnder Person („konsumieren, wirtschaften, vorsorgen“). Die Veränderung zu einer digitalisierten Gesellschaft durch die große Dynamik technischer Entwicklungen seit 199097 führt dazu, dass die bisherigen Entwicklungsaufgaben seit Beginn des 21. Jahrhunderts um Medienkompetenz als eigenständige Entwicklungsaufgabe ergänzt werden.98 Der Alltag in der „Digisphäre“99 – wie eine Schweizer Studie die vom Internet maßgeblich geprägte Welt des 21. Jahrhunderts bezeichnet – wird vor allem von Jugendlichen und auch schon Kindern völlig selbstverständlich medial gestaltet.100 So berücksichtigt auch die aktuelle Digitale Agenda der Bundesregierung „dass junge Menschen den digitalen Wandel in besonderer Weise tragen und gestalten“.101 Ebenso selbstverständlich, wie sie diese Welt gestalten, wird diese Gruppe der Heranwachsenden als eigene Konsumentengruppe in unserer digitalisierten sowie kommerzialisierten Welt gezielt bedient. Klaus Hurrelmann ordnet dementsprechend Medienkompetenz dem Entwicklungsbereich des Konsumierens sowie wirtschaftlichen Handelns zu, wo es für ihn u. a. darum geht, mit Geld kurz- sowie langfristig umzugehen. Die Ausbildung von Medienkompetenz kann jedoch ebenso sinnvoll dem vierten Komplex zugeordnet werden, da sie zu einer wesentlichen Voraussetzung für die kreative Gestaltung sowie aktive Teilhabe an der Gesellschaft geworden ist und sich politische Partizipation zunehmend stärker in sozialen Netzwerken äußert und organisiert.102 Mit Medienkompetenz ist die selbstbestimmte Nutzung so genannter „neuer Medien“ gemeint. Computer, Internet und Handy sowie weitere mobile End-
97 Vgl. DIVSI, 2014, 13. 98 Vgl. Viola Meckelmann / Nina Alice Dannenhauer, 2014, 184. 99 Karin Frick / Bettina Höchli, 2014, 2. 100 Vgl. BMFSFJ, 2013, 53. 101 Vgl. BMFSFJ, 2017, 20. 102 Vgl. dazu exemplarisch die tunesische Revolution 2010/11, in der das Internet sowie insbesondere Medien wie Facebook, Twitter und Youtube eine zentrale Rolle bei der Ausbreitung der Proteste spielten, indem darüber vor allem anfänglich die Bevölkerung mobilisiert wurde (vgl. BPB, 2011). Auch der 15. Kinder- und Jugendbericht begreift „digitale Kompetenzen“ als zunehmend wichtig für die Gestaltung der Gesellschaft, die sich zudem auch „immer häufiger [als] Grundlage erfolgreicher Arbeits- und Bildungsbiografien“ zeige (vgl. BMFSFJ, 2017, 21).
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geräte bieten neue Informations- und Kommunikationspotenziale, die weit über die passive Rezeption hinausgehen, indem sie den Moment der Interaktivität beinhalten. Statt am digitalen Geschehen einfach teilzunehmen, gestaltet man bei der eigenen Nutzung dieses grundsätzlich mit. So können sich anhand der Art und Weise der Nutzung und Beherrschung dieser Medien durchaus berufliche Perspektiven eröffnen oder auch verschließen.103 Umso entscheidender wird die Kompetenz im Umgang mit diesen Medien, die sich nach Dieter Baacke vor allem in vier Dimensionen gliedert: „1) Medienkritik (reflexiv analytisch), 2) Medienkunde (informativ / instrumentell-qualifikatorisch), 3) Mediennutzung (rezeptiv-anwendend / interaktiv) und 4) Mediengestaltung (innovativ / kreativ) (vgl. Baacke 1998 und 1999).“104 Wenn von Medienkompetenz als Entwicklungsaufgabe gesprochen wird, liegt der Fokus meist darauf, junge Menschen zur Medienkritik anzuleiten und für eine sichere Mediennutzung zu qualifizieren.105 Für junge Erwachsene gehört Medienkompetenz jedoch weniger zu einem Entwicklungsschritt, vor dem sie sich sehen, sondern meist schon längst zu ihren erworbenen Kompetenzen hinzu, von denen sie alltäglich vielfältig Gebrauch machen – auch wenn die vor 1990 Geborenen noch nicht als so genannte Digital Natives gelten. Dennoch waren es insbesondere die zwischen 1970 und 1990 Geborenen, die Dienste wie YouTube, Facebook, Twitter oder Google entwickelt haben,106 welche die etwas jüngeren Digital Natives nun wiederum völlig selbstverständlich als Teil ihres Alltags nutzen. So verwundert es nicht, dass auch Schülerinnen und Schüler sich bezüglich des Bewältigungsgrads der Entwicklungsaufgabe Medienkompetenz im Vergleich zu allen anderen Aufgaben am weitesten fortgeschritten einschätzen, wobei weder signifikante Unterschiede
103 Vgl. Klaus Peter Treumann u. a., 2007, 103. 104 Hier zitiert nach Nadia Kutscher, 2013, 128. 105 Entsprechend ist auch die Perspektive auf junge Menschen im Rahmen der Digitalen Agenda der Bundesregierung bestimmt: „Der Bericht betont das besondere Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen ebenso wie die Bedeutung von Medienkompetenz als Befähigung im Umgang mit Chancen und Risiken und als Grundlage für eine Teilhabe an der digitalen Gesellschaft“ (BMFSFJ, 2017, 20). 106 Die Suchmaschine Google haben Larry Page und Sergei Michailowitsch Brin – beide 1973 geboren – maßgeblich entwickelt. Das Videoportal YouTube entstand dank Chad Hurley (1977), Steve Chen (1978) und Jawed Karim (1979). Auch der bekannteste Vertreter des Mikrobloggings, Twitter, verdankt seine Entstehung drei Männern, die in den 70ern geboren wurden (Jack Dorsey, Evan Williams und Biz Stone). Als Gründer von Facebook gelten neben dem 1984 geborenen Mark Zuckerberg zudem Dustin Moskovitz (1984), Chris R. Hughes (1983) und Eduardo Luis Severin (1982). Auch wenn an diesen technischen Entwicklungen keine Deutschen direkt beteiligt waren, gilt auch für Deutschland, dass die kurz vor 1990 Geborenen meist die ersten waren, die in digitale Welten „immigriert“ sind und dass den etwas jüngeren Digital Natives eine stärker explorative Rolle zukommt.
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bezüglich der Jahrgangsstufen (sieben und neun) noch bezüglich der Schulformen (Gymnasium und Hauptschule) zwischen den Jugendlichen deutlich wurden.107 Diese Selbsteinschätzung Jugendlicher entspricht der aktuellen Entwicklung der seit ungefähr 2010 als flächendeckend zu beschreibenden Verbreitung des Internets in Deutschland. 2015 erscheint der Zugang zum Internet in der 17. Shell Jugendstudie mit 99 % der 12- bis 24-jährigen Befragten, die angeben, Internetzugang zu haben, erstmals gänzlich unabhängig von der sozialen Herkunft (im Vergleich betrachtet: 2010 gaben insgesamt 96 % an, Internetzugang zu haben, aus der untersten Schicht jedoch nur 38 % – 2015 stieg der Wert auch in dieser Gruppe auf 97 %).108 Zugleich vergrößern sich mit der Ausbreitung digitaler Medien jedoch die bereits bestehenden Unterschiede in den Bildungschancen, was sich in der unterschiedlichen Art und Weise der Nutzung manifestiert, so dass Medienkompetenz aus pädagogischer Sicht weiterhin als eine wesentliche Entwicklungsaufgabe für Jugendliche diskutiert wird. Diese Debatte „wird in der Regel über Heranwachsende geführt, aber nicht mit Ihnen [Hervorhebungen im Original]“,109 – und berücksichtigt somit seltener die digitalen Chancen als die Risiken. Die zentralen Ergebnisse einer Grundlagenstudie des SINUS-Instituts im Auftrag des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) zeigt, wie junge Menschen unter 25 Jahren die Rollenverteilung in der digitalisierten Welt wahrnehmen: 98 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind online, auch bei den Kindern sind es bereits 86 Prozent. […] Ab 14 Jahren läuft das Online-Verhalten weitgehend in Eigenregie. Eltern setzen nur wenige Regeln – und wenn, können sie deren Einhaltung nicht überprüfen. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind heute professionelle Netzwerker. […] Für Kinder sind ihre Eltern Ansprechpartner in Sachen Internet. Jugendliche und junge Erwachsene wenden sich vor allem an ihren Freundeskreis. Dem Rat von Freunden schenken sie bei Sicherheitsfragen deutlich mehr Vertrauen als Eltern, Lehrern und anderen Institutionen […].110
107 Vgl. Viola Meckelmann / Nina Alice Dannenhauer, 2014, 190. 108 Vgl. Ingo Leven / Ulrich Schneekloth, 2015, 120 f.: Bis 2006 verzeichnete die Shell Jugendstudie eine „digitale Spaltung“ aufgrund der sozialen Herkunft (vgl. auch Ingo Leven u. a., 2010, 101– 103.). Die 17. Shell Jugendstudie weist darüber hinaus erstmals darauf hin, dass sich weiterhin soziale Unterschiede im Zugang ausmachen lassen, die jedoch nicht mehr darin begründet sind, ob junge Menschen Zugang zum Internet haben, sondern vor allem wie (mit welchem Medium) sie Zugang haben (vgl. Ingo Leven / Ulrich Schneekloth, 2015, 123–126.). 109 Rudolf Kammerl, 2014, 23. 110 DIVSI, 2014, 11 f.
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Digital Natives nutzen das Internet zwar nicht alle in gleichem Maße sicher und reflektiert, zeigen jedoch überwiegend intuitive Fähigkeiten, was die Anwendung und Exploration digitaler Medien betrifft, während der Begriff Medienkompetenz insgesamt vielmehr den als „erwachsen“ geltenden Teil der Bevölkerung – so genannte Digital Immigrants – vor eine „Entwicklungsaufgabe“ stellt.111 Zudem zeigen Ereignisse wie so genannten Hackerangriffe auf entscheidende Institutionen des politischen Lebens112, dass die Frage nach einer sicheren Nutzung der neuen Medien eine Entwicklungsaufgabe für die ganze Nation, vor allem für große Institutionen bleibt und nicht nur einzelnen Gruppen mit geringen Bildungschancen vorbehalten ist. Durch die technischen Veränderungen wird auch die Rolle der Konsumentin sowie des Konsumenten im Laufe der Zeit immer früher eingenommen. Dies geschieht u. a. durch die Nutzung online verfügbarer kultureller Güter, wie Musik oder Filmclips. Diese nutzen junge Menschen ganz selbstverständlich, ohne dafür zu bezahlen,113 wodurch Konsum nicht mehr in direkter Verbindung mit einer wirtschaftlich handelnden Aktivität steht. So können auch schon 9- bis 13-Jährige zu Konsumierenden werden. Sie nutzen das Internet jedoch nach eigenen Angaben vor allem für die Schule oder um zu spielen.114 Mehr als ein Drittel greift zudem auch auf kostenlose Musik zu. Für die 14- bis 17-Jährigen ist das Internet vor allem aufgrund der sozialen Netzwerke und flexiblen Kommunikationsmöglichkeiten sowie für die Schule oder Ausbildung von Bedeutung. In dieser Altersgruppe konsumiert schon mehr als die Hälfte im Internet zudem kostenlos Musik, ein Viertel nutzt das Internet darüber hinaus für Online-Shopping. Für 18- bis 24-Jährige gehört Online-Shopping und das sich Informieren über Kaufwünsche zu den wichtigsten Aktivitäten im Internet nach den sozialen Netzwerken und Kommunikationsdiensten. Auch die 17. Shell Jugendstudie kommt ausgehend von ihrer „Typologie der Internetnutzer“ zu dem Ergebnis, dass vor allem die Jüngeren das Internet zum Medienkonsum nutzen (Musik, Videos und Spiele).115 In der Verbindung mit neuen Medien findet Konsum seinen Ausdruck jedoch nicht nur im Bereich von Musik und Filmen oder Spielen sowie OnlineShopping, sondern ereignet sich in völlig neuen Formen, die zunehmend jüngere Menschen als konsumierende und zugleich auch Konsum inszenierende
111 Vgl. Rudolf Kammerl, 2014, 20. 112 Im Sommer 2015 ereignete sich so ein Hackerangriff beispielsweise auf den Deutschen Bundestag. 113 Vgl. DIVSI, 2014, 131. 114 Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Ebd., 133. 115 Vgl. Ingo Leven / Ulrich Schneekloth, 2015, 141.
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sowie vermarktende Personen einbinden. Dies lässt sich besonders gut am Beispiel der „YouTube-Stars“ und ihren so genannten „Followern“ zeigen: Youtube hat sich über die Jahre zu einer Industrie entwickelt – unlängst haben auch die großen Unternehmen bemerkt, dass sie über die Plattform schnell mehr als hunderttausend potenzielle Kunden erreichen können. Zu diesem Zweck kaufen sie Werbeplätze. […] Seit Juni 2008 ist das Partnerprogramm für die deutsche YoutubeCommunity offen. Und die Zahl der Youtube-Nutzer wächst rasant.116
Immer jüngere Menschen werden auch in Deutschland zu so genannten „YouTube- Partnern“ und dementsprechend von Netzwerken organisiert. Diese Netzwerke funktionieren wie eine Art Agentur, indem sie sich um Werbepartner und „Product Placements“ für die YouTube-Beiträge kümmern und die jungen Künstler und Künstlerinnen anschließend am Gewinn beteiligen. Dementsprechend groß ist der Erfolg solcher Netzwerke, die sich zum Teil als InternetTV-Sender verstehen, in der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen.117 Dieser kurze Exkurs skizziert beispielhaft die weitreichenden Veränderungen im Bereich von Medien und Konsum, die insbesondere immer jüngere Menschen als „User“ und Konsumierende sowie auch als „Stars“ und „Partner“ im Sinne von Produkt-Inszenierenden bzw. -Vermarktenden in den Blick nehmen.118 Während die eigene ökonomische Unabhängigkeit sich als ein langwieriger Prozess darstellt und häufig erst spät erreicht wird,119 finden junge Menschen zugleich zunehmend früher ihre Rolle als eigenständig Konsumierende. Selbstständiges wirtschaftliches Handeln und Vorsorgen erleben und erlernen viele schon recht jung in so genannten „virtuellen“ Welten, zum Teil auch in Spielen. Ob sich dies jedoch als Kompetenz für das „reale“ Leben bewährt, bleibt abzuwarten. Der 1994 geborene und sich selbst als Blogger, Autor und Unternehmensberater beschreibende Philipp Riederle erklärt dazu, dass von Digital Natives das Leben nicht mehr in verschiedene Einheiten getrennt, sondern als ein Ganzes erlebt und gelebt wird – im Sinne eines „liquid life“.120 Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht sprechen aus Sicht der Soziologie resümierend von einer enormen „Statusinkonsistenz“ mit der junge Menschen aktuell leben, während sie „frühreif “ in der Nutzung von Medien und Gestaltung ihres Konsums sowie ihrer Freizeit erscheinen und zugleich „Spätstarter“ im 116 Maren Meyer, 2013, 12 f. 117 Vgl. ebd., 13. 118 Als eine der jüngsten „YouTube-Stars“ galt im Jahr 2015 die zu diesem Zeitpunkt zehnjährige Faye Montana. 119 Vgl. die Ausführungen in ▶ Kapitel I, 2.1. 120 Vgl. Philipp Riederle, 2013, 23.
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Beruf und bei der Familiengründung sind.121 Inge Seiffge-Krenke nutzt den Begriff der „Semiautonomie“ um die Situation zu beschreiben, in der junge Menschen einerseits in einigen Bereichen schon sehr früh selbstständig agieren, während sie meist im finanziellen Bereich zunehmend länger auf Unterstützungsleistungen der Eltern angewiesen und somit unselbstständig bleiben.122 Während die zuvor diskutierten Entwicklungskomplexe vor allem verzögerte und erschwerte Übergangsprozesse im Leben junger Erwachsener aufzeigen, die im Zusammenhang mit dem Berufseintritt stehen, wird nun mit diesem Entwicklungskomplex ein Bereich skizziert, der meist unabhängig von einer eigenen beruflichen Existenz zunehmend früher im Leben wichtig wird. Die Rolle als Konsument sowie Konsumentin ist nicht mehr an die Begründung einer eigenen wirtschaftlich autarken Existenz geknüpft. Dies führt in der Gesamtentwicklung zu Ungleichzeitigkeiten und somit zu Statusspannungen. Der Erwachsenenstatus wird auch in diesem Bereich nicht im Sinne konventioneller Vorstellungen erreicht, vielmehr wird im Bereich von Konsum und Medien vieles revolutionär neu definiert. Die Grenzen der Aufteilung von unmündigen und erwachsenen Personen sowie auch der Aufteilung wer vor einer so genannten Entwicklungsaufgabe steht und wer die Entwicklung schon vollzogen hat, verwischen zunehmend.
2.4 D) Die Begründung einer eigenen politischen Existenz Als vierten Aufgabenkomplex definiert Klaus Hurrelmann die Entwicklung einer eigenen politischen Existenz mit individuellen Wertorientierungen und der Fähigkeit zur politischen Partizipation („wertorientiert handeln und politisch partizipieren“). Durch die deutliche Veränderung der Formen politischer Teilhabe ist dieser Entwicklungskomplex schwer zu bewerten. Wertet man die Teilnahme an politischen Diskussionen im Social-Media-Bereich beispielsweise als Ausdruck einer eigenen politischen Existenz, so erreichen diese zunehmend jüngere Menschen (vgl. die Ausführungen zu Medienkompetenz im vorangegangenen Abschnitt). Ist die Beteiligung an Parteipolitik und demokratischen Wahlen der entscheidende Marker politischer Selbstständigkeit, erreichen immer weniger junge Menschen überhaupt diesen Status. So wird sich diesem Entwicklungskomplex aus zwei Perspektiven angenähert.
121 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 29. 122 Vgl. Inge Seiffge-Krenke, 2015, 169 f.
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Fremdwahrnehmungen der politischen Existenz junger Menschen Meist werden junge Menschen hinsichtlich ihres politischen Engagements an konventionellen Handlungsformen im Sinne der Parteienpolitik gemessen und ihnen folglich eine „ausgeprägte Politikferne“ attestiert123, während sie jedoch durchaus in ganz anderen Formen als politische Akteure und Akteurinnen erkennbar werden. Dies nimmt der 15. Kinder- und Jugendbericht in den Blick und widerspricht so „der Einschätzung, die junge Generation sei ‚politikverdrossen‘, bestätigt aber ein anhaltend niedriges Vertrauen der Jugendlichen in Parlamente und Parteien.“124 Der Bericht wirbt dabei für ein „weiter gefasstes Politikverständnis“, das dafür sensibilisieren soll, „dass gerade Jugendliche innovativere und kreativere Formen des Politischen entwickeln, als es viele Untersuchungen bislang abbilden.“125 Dabei stehen insbesondere „soziale Bewegungen und Protestgruppen ebenso wie nicht-organisationsbezogene Aktivitäten, etwa Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Warenboykotte, mediale Proteste wie Blogs, Videos und Forenbeiträge, aber auch Petitionen und Flashmobs“ im Fokus.126 Auch die 17. Shell Jugendstudie skizziert die „Jugend 2015“ fast euphorisch als „eine Generation im Aufbruch“127, die „sich in Richtung einer stärkeren Positionierung und eines stärkeren Gestaltungswillens“128 gegenüber der in den Vorgängerstudien als eher abwartend beschriebenen Generation zu öffnen scheint. Politische Selbsteinschätzung In der schon zuvor zitierten Studie zu den Entwicklungsregulationen junger Erwachsener wurde die „Übernahme staatsbürgerlicher Verantwortung“ in Relation zu anderen Entwicklungsaufgaben von jungen Erwachsenen als unterdurchschnittlich wichtig bewertet.129 Ähnliche Ergebnisse zeigen auch Interviews mit jungen Erwachsenen, die sich selbst als „unpolitisch“ beschreiben. Auffällig ist dabei jedoch, dass sich dieselben jungen Erwachsenen zugleich in hohem Maße für die Gesellschaft engagiert zeigen. Wie z. B. die Gruppe Studierender, die mit der eigens gegründeten Initiative Velocity in Aachen „eine radikale Alternative zum Autoverkehr“ aufbauen will: „1000 E-Bikes an 100 Stationen, heißt ihr ambitioniertes Ziel.“130 Ein Projekt mit dem auch Politikerinnen 123 Vgl. BMFSFJ, 2017, 12. 124 Vgl. ebd. 125 Vgl. BMFSFJ, 2017, 230. 126 Vgl. ebd., 12. 127 Gudrun Quenzel u. a., 2015, 375 128 Ebd., 376. 129 Vgl. Inge Seiffge-Krenke / Tim Gelhaar, 2006, 23. 130 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 121. Vgl. dazu auch die aktuellen Entwicklungen vier Jahre später, die zeigen, dass dieses Projekt nicht nur eine Idee geblieben ist (Homepage velocity).
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und Politiker für Wahlen werben könnten. Für eine junge Studentin, die sich in der Anfangszeit des Projekts stark engagiert hat, ist dieses Vorhaben jedoch „kein politisches Projekt.“131 Insgesamt verzeichnet die 17. Shell Jugendstudie (2015) bei der Selbsteinschätzung der 15- bis 24-Jährigen ein gestiegenes politisches Interesse und bezeichnet dieses sogar als eine „Trendwende“ in diesem Bereich.132 Dennoch zeigt weiterhin die Mehrheit junger Menschen keinen positiven Bezug zur Politik oder zu dem, was sie als Politik definiert oder empfindet (59 % aller 12bis 25-Jährigen Befragten beurteilen sich selbst als „wenig“ bis „gar nicht“ an Politik interessiert – 32 % empfinden es als persönlich wichtig, sich politisch zu engagieren, eine Mehrheit von 40 % hingegen empfindet dies als unwichtig, 26 % geben ein mehrdeutiges „Mal so, mal so“ an133). Bewusstes Konsumverhalten, Bloggen, Engagement für Flüchtlinge, „Sharity“ als Lebensstil und Innenstadtbegrünung im Sinne des „Urban Gardening“ sind ein paar weitere Beispiele für Themen und Projekte, die u. a. von der Initiative junger Erwachsener leben, von den Engagierten selbst jedoch häufig nicht als politisches Engagement bewertet werden. Dies kann daran liegen, dass ein Teil von ihnen offensichtlich konventionelle Vorstellungen bezüglich des Begriffs Politik (geprägt) haben. Der Erklärungsansatz von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht geht davon aus, dass diese Generation „besser als jede Generation vor ihr“ um die Komplexität dieser Welt mit ihren vielfältigen, unüberschaubaren Wechselwirkungen und Abhängigkeiten weiß, so dass Probleme aus ihrer Sicht wenn überhaupt, dann durch Pragmatismus und konkretes Engagement vor Ort angegangen werden können.134 Universelle Lösungen und ideologische Visionen scheinen aus Sicht junger Erwachsener wenig überzeugend, was sich schwächend auf eine potentielle Bindung an Parteien oder bestimmte politische Lager auswirkt. Dies führt jedoch keineswegs dazu, dass die gesamte junge Generation politisch uninteressiert oder unengagiert ist. Veränderte Formen des Engagements Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014 zeigt, dass der Anteil freiwillig Engagierter sowohl bei 14- bis 29-Jährigen als auch bei 30- bis 49-Jährigen am höchsten ist, die insgesamt höchste Quote öffentlicher gemeinschaftlicher Aktivität ist mit 74,7 % bei den 14- bis 29-Jährigen zu verzeichnen.135 Insgesamt findet freiwilliges Engagement weiterhin am häufigsten in Vereinen und Verbänden statt, das 131 Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 121. 132 Vgl. Ulrich Schneekloth, 2015, 157–159. 133 Vgl. Ulrich Schneekloth, 2015, 158. 134 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 123. 135 Vgl. BMFSFJ, 2016, 16 f.
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Engagement in „individuell organisierten Gruppen“ hat jedoch im Zeitvergleich zugenommen.136 So verzeichnet der Freiwilligensurvey, dass sich durch neue Kommunikationsformen sowie gesellschaftlichen Wandel Rahmenbedingungen und Organisationsformen des freiwilligen Engagements verändern. Dabei wird exemplarisch auf Initiativen zur Flüchtlingshilfe verwiesen, die Internetplattformen für kurzfristige Absprachen sowie auch für zeitlich begrenztes Engagement genutzt haben.137 Zudem stehen erstmals Freiwilligendienste als eine besondere, da zeitbegrenzte sowie zugleich zeitintensive, Form des Engagements im Fokus. Besonders typisch ist diese Form des Engagements für die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen.138 Dies erscheint kongruent zum vorausgehenden dritten Freiwilligensurvey (2009), der ebenfalls zeigte, dass die „jungen Leute in der (verlängerten) Ausbildungsphase“ zu den Gruppen gehören, bei denen sich das freiwillige Engagement gegenüber anderen Gruppen erhöht zeigt.139 Dennoch wurde darin bezüglich der bis 30-Jährigen deutlich, dass die Zunahme an Mobilität in den letzten zehn Jahren dazu geführt hat, dass der eigene Wohnort oft als Durchgangsstation erlebt wird und es so zu einer Reduktion des Engagements kommt, wohingegen bei immobilen jungen Menschen das Engagement seit 1999 angestiegen ist.140 Hinsichtlich der Formen des Engagements zeigt sich, dass die als „politische Partizipation“ untersuchten Aktivitäten Unterschriftensammlungen, Demonstrationen, Bürgerinitiativen und Übernahme von politischen Ämtern bei der Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren am stärksten vertreten sind.141 Leider geraten im 14. Freiwilligensurvey keine anderen Formen politischen Engagements in den Blick. Auch in der 17. Shell Jugendstudie zeigt sich, dass sich vor allem in politischen Gruppen und Parteien junge Menschen immer weniger einbringen (seit 2010 sind Parteien mit 2 % der Ort, wo 12- bis 25-Jährige am seltensten gesellschaftlich aktiv sind) 142, während das sehr individuell angelegte Engagement, dass „[a]us politischen, ethischen oder Umweltgründen bestimmte Waren nicht mehr gekauft“ werden, mit 34 % die am häufigsten benannte politische Aktivität dieser Altersgruppe ist.143 Die zunehmende Distanz der Gesamtheit junger Menschen zu herkömmlichen Formen politischer Beteiligung findet ihren deutlichsten Ausdruck in der
136 Vgl. ebd., 20. 137 Vgl. BMFSFJ, 2016, 32. 138 Vgl. ebd., 175. 139 Vgl. BMFSFJ, 2010, 5. 140 Vgl. ebd., 9. 141 Vgl. BMFSFJ, 2016, 200–206. 142 Vgl. Ulrich Schneekloth, 2015, 196. 143 Vgl. ebd., 198.
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geringen Wahlbeteiligung, obwohl sich die überwältigende Mehrheit Jugendlicher und junger Erwachsener für die Demokratie als Staatsform und für das Grundgesetz ausspricht.144 Die Zufriedenheit mit der Demokratie ist unter den 15- bis 25-Jährigen laut 17. Shell Jugendstudie sogar bemerkenswert deutlich angestiegen (2015 zeigten sich 73 % der Befragten zufrieden, 2010 waren es nur 63 %).145 Die meisten dieser Altersgruppe können sich dementsprechend auch mit den wesentlichen Demokratienormen identifizieren. 72 % von ihnen halten demnach die Beteiligung an Wahlen für eine Bürgerpflicht (2010 waren es noch 76 %).146 Mit Blick auf die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen (in den Jahren 2002 bis 2017) bleiben die 18- bis unter 30-Jährigen jedoch weiterhin diejenige wahlberechtigte Gruppe, die am wenigsten häufig von ihrem Wahlrecht Gebrauch macht (jeweils deutlich unter 70 % der Wahlberechtigten einzelner Altersgruppen unter 30 Jahren beteiligten sich an den Bundestagswahlen). 147 Wählen zu können ist für junge Frauen und Männer, die in individualisierten Gesellschaften aufgewachsen sind, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wahlmöglichkeiten gehören zum kulturellen Grundbestand moderner Gesellschaften, sowohl in ihrer Eigenschaft als demokratische Gesellschaften als auch als Konsumgesellschaften. Immer öfter müssen individuelle (Wahl-) Entscheidungen getroffen werden, ohne sich auf kollektive Lebenslaufmuster verlassen zu können, und auch selbst verantwortet werden.148
Während tägliches (Aus)Wählen zum Alltag junger Menschen dazugehört – vor allem aufgrund der Explosion von Möglichkeiten im Konsumbereich sowie der Individualisierung von Bildungs- und Berufsbiografien – nehmen sie politische Wahlmöglichkeiten deutlich seltener als relevanten Bestandteil ihrer Möglichkeiten und Aufgaben wahr. So war bei der letzten Bundestagswahl 2017 der ältere Teil der Bevölkerung (ab 60 Jahren) hinsichtlich des Anteils an Wählerinnen und Wählern, auch aufgrund der demographischen Entwicklung, mehr als doppelt so stark im Vergleich zum Anteil der jungen Wählerinnen und Wähler (unter 30 Jahren).149 Das führt dazu, dass parteipolitische Themen zunehmend stärker von älteren Generationen geprägt sind und an dieser Stelle eine Wechselwirkung einsetzt: Während Politik in Form von Parteien und Parlamenten
144 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 122. 145 Vgl. Ulrich Schneekloth, 2015, 173. 146 Vgl. ebd., 178 f. 147 Vgl. ebd., 181. Vgl. zudem Destatis, 2018, 11. 148 Andreas Walther, 2008, 18. 149 Vgl. Destatis, 2018, 11: 2017 beteiligten sich an der Bundestagswahl 6.257.200 Wählerinnen und Wähler unter 30 Jahren im Verhältnis zu 17.461.000 Wählerinnen und Wähler ab 60 Jahren.
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für junge Menschen an Bedeutung verliert, sinkt auch die Bedeutung junger Menschen für Parteien und Parlamente (zumindest als zukünftige Wählerinnen und Wähler) – oder auch andersherum. Dies wird vermutlich in Zukunft, unterstützt vom demographischen Trend einer zunehmend alternden Gesellschaft, zu einem sich gegenseitig verstärkenden Kreislauf führen, wenn dieser nicht von Veränderungen auf der einen oder anderen Seite durchbrochen wird. So nimmt die Bundesregierung zurecht neue Formen des politischen Engagements, wie zu Beginn dieses Abschnitts skizziert, in den Blick und sucht zugleich selbst nach ergänzenden Formen, wie junge Menschen an politischen, gesellschaftsgestaltenden Prozessen beteiligt werden können.150 Auch andere Studien zeigen deutlich, dass die Gesellschaft auch zukünftig weiterhin maßgeblich von freiwilligem Engagement geprägt sein wird, wobei „Megatrends wie Flexibilität, Individualisierung und Mobilität […] jedoch die Art und Weise, wie wir uns für die Gesellschaft engagieren,“151 verändern, so dass „die neuen Freiwilligen“ als flexibler, digital vernetzter und stärker an Sinnhaftigkeit orientiert in ihrem Engagement skizziert werden.152 Fazit Zu diesem Entwicklungskomplex lässt sich resümieren, dass je nachdem aus welcher Perspektive oder an welchen Ausdrucksweisen gemessen, man junge Erwachsene in ihrem politischen Handeln bewertet, sie als gesellschaftliche Vollmitglieder mit einer eigenen politischen Existenz erscheinen, die individuelle Wertorientierung sinnvoll äußern und in die Gesellschaft eintragen sowie politisch partizipieren können. Bleibt man jedoch in konventionellen Vorstellungen von dem, was eine politische Existenz ausmacht, verhaftet, werden junge Erwachsene den Status eines politisch partizipierenden Vollmitglieds immer seltener erreichen.
2.5 Zwischenfazit Die Untersuchungen zu den vier von Klaus Hurrelmann benannten wesentlichen Entwicklungskomplexen, die für den Übergang in den Erwachsenenstatus auch im 21. Jahrhundert als wesentlich gelten, zeigen zum einen, dass sich einige Übergänge (vor allem A) und B)) zeitlich gesehen im Lebenslauf 150 Vgl. BMFSFJ, 2017, 13 f. 151 Vgl. GDI, 2018, 3. 152 Vgl. dazu die aktuelle Schweizer Studie des Trendforschungsinstituts unter dem Titel „Die neuen Freiwilligen“ (ebd.).
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nach hinten verzögern, während andere (vor allem C) und D)) sich zugleich im Lebenslauf nach vorn verschieben, was zu einer Statusspannung führt. Vor allem zwischen den Entwicklungskomplexen A) und B) wird deutlich, dass der erschwerte Übergang in den Beruf sich entscheidend auf die als ebenso wesentlich für den Erwachsenenstatus geltenden Marker einer eigenen wirtschaftlich sowie räumlich und auch familiär autarken Existenz auswirkt. Diesem Übergang kommt demnach im Gesamtkomplex eine zentrale Bedeutung zu. So verwundert es nicht, dass genau dieser Bereich der Entwicklung einer eigenständigen beruflichen Existenz als Ausgangspunkt der so genannten Übergangsforschung gilt.153 Die Verzögerungen im ersten sowie auch zweiten Entwicklungskomplex sind meist gepaart mit einer Diversifizierung des Übergangs, welcher sich immer stärker von einem zu „lösenden“ oder zu gestaltenden Entwicklungsschritt entfernt und immer häufiger zu einem langwierigen, von Unsicherheiten geprägten Übergangsprozess mit zum Teil zirkulären Hin- und Her-Bewegungen wird. So ist immer seltener klar erkennbar, welchen Status oder welche Entwicklungsstufe eine Person am Ende erreicht hat und welchen Übergang sie erneut passieren muss. Stichworte wie „erster Berufseinstieg“, „erster Auszug“ oder auch „Erstheiratsalter“ weisen beispielhaft daraufhin, dass sich einige Übergänge mehrfach im Leben wiederholen. Das Europäische Forschungsnetzwerk EGRIS hat dafür den Begriff der „Yoyo-Übergänge“ geprägt.154 Anhand des Musters von „Yoyo-Übergängen“ in dem von „[u]ncertainties, fluctuations, discontinuities, reversals and seesaws“155 geprägtem Leben junger Erwachsener soll eine neue, (europäische) Vergleiche ermöglichende Kategorie eingetragen werden. Als allgemeine Muster so genannter „YoyoÜbergänge“ gelten dabei Reversibilität (bewusst gewählte oder erzwungene Rücknahme von Übergangsschritten), Fragmentierung (entkoppelte Teilübergänge), Gleichzeitigkeit (jugendlicher und erwachsener Anforderungen) und Diversifizierung (Übergangsstrukturen verbinden sich zu vielfältigen Konstellationen).156 Die Vorstellung, den „Entwicklungsstand“ einer Person weiterhin durch singuläre Ereignisse („gelöste Entwicklungsaufgaben“) zu markieren, erscheint auf diesem Hintergrund völlig überholt. Darüber hinaus hat schon die Studie zu den Entwicklungsregulationen junger Erwachsener eindrücklich darauf hingewiesen, dass sich bezüglich Berufseinstieg, Wohnsituation und Partnerschaft bei jungen Erwachsenen eine besonders große Heterogenität im Lebenslauf zeigt, so dass sich aus den Befunden keine neuen Standardisierungstendenzen ablesen lassen, wie diese Übergänge aktuell und zukünftig gestaltet 153 Vgl. Barbara Stauber, 2014, 13. 154 Vgl. Egris, 2001. 155 Ebd., 104. 156 Vgl. Andreas Walther, 2008, 14 f.
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werden157. Lediglich bezüglich der Entwicklungsaufgabe des Aufbaus und der Versorgung einer Familie zeigte sich bei allen Untersuchungsteilnehmern und -teilnehmerinnen ein homogen niedriger Entwicklungsstand. Allen vier Entwicklungskomplexen ist gemeinsam, dass die erwarteten Entwicklungsprozesse vermehrt neue Ausdrucksformen annehmen und herkömmliche Vorstellungen von dem, was und wer als erwachsen gilt, durchbrechen. Normalarbeitsverhältnisse werden seltener, Familiengründungen ebenfalls, dabei entstehen neue Formen von Berufstätigkeit und räumlicher sowie partnerschaftlicher Selbstständigkeit. Besonders deutlich werden die veränderten Ausdrucksformen im Konsumverhalten sowie in der politischen Teilhabe, vor allem aufgrund der medialen Veränderungen und Möglichkeiten. Die Beobachtungen treffen nicht auf alle jungen Menschen in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhundert gleichermaßen zu. Die statistische sowie empirische Datenlage bietet noch vielfältige Möglichkeiten zu weiteren Differenzierungen (zwischen jungen Erwachsenen in Ost- und in Westdeutschland, zwischen jungen Männern und Frauen, verschiedenen Bildungsgraden und Herkunftsregionen sowie Herkunftsländern usw.). Ziel dieses Kapitels ist es nicht, umfassend und detailliert die Gruppierungen junger Erwachsener zu beschreiben, sondern ausgehend von den Erkenntnissen der Lebenslaufforschung grundlegend zu skizzieren, um anschließend zu definieren, wer diejenigen sind, die aktuell in Gesellschaft und Wissenschaft sowie konkret in dieser Arbeit als junge Erwachsene bezeichnet werden. Noch einen weiteren Aspekt gilt es in den Ausführungen dieses Kapitels zu beachten: Die Veränderungen, die sich durch die in Deutschland vermehrt seit 2015 schutzsuchenden, vorwiegend jungen und männlichen Flüchtlinge aus deutlich traditionelleren Gesellschaften ergeben, sind derzeit noch nicht absehbar,158 werden aber vermutlich das Bild der Gruppe junger Erwachsener in Deutschland zukünftig mitprägen. Die hier dargestellten Beobachtungen und Schlussfolgerungen skizzieren folglich wesentliche Veränderungen, die zwar nicht auf jede einzelne junge erwachsene Person zutreffen, sich jedoch zu Mehrheitsphänomenen entwickeln oder entwickelt haben und so zunehmend das bisherige Modell von dem, wie 157 Vgl. Inge Seiffge-Krenke / Tim Gelhaar, 2006, 27. 158 Auch die im Herbst 2015 veröffentlichte 17. Shell Jugendstudie kann diesen Veränderungen nur bedingt Rechnung tragen, da die Befragungen zu Beginn des Jahres 2015 stattgefunden haben und somit keine direkten Reaktionen auf größere Zahlen von Flüchtlingen abbilden. Dennoch ist es zumindest bemerkenswert, dass unter den 12- bis 25-Jährigen die Angst vor Fremdenfeindlichkeit im Vergleich zu den Vorgängerstudien (2006 und 2010) zugenommen hat (vgl. Ulrich Schneekloth, 2015, 165), während die Angst vor Zuwanderung ungefähr stabil bleibt und somit im Vergleich sich deutlich geringer zeigt (vgl. Thomas Gensicke / Mathias Albert, 2015, 203).
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aus Kindern und Jugendlichen erwachsene, vollwertige Mitglieder der Gesellschaft werden in Frage stellen. Genau dieses Resümee zeigt sich auch im aktuellen 15. Kinder- und Jugendbericht: Das Jugendalter wird hier nicht als ein linearer Verselbstständigungsprozess aus den familialen Beziehungen ins Erwachsenenalter, sondern vielmehr als ein Konglomerat von Übergangskonstellationen und Relevanzsetzungen mit vielen Gleich- und Ungleichzeitigkeiten gesehen, in denen unterschiedliche Sphären des persönlichen Lebens miteinander verknüpft sind. Der Auszug aus dem Elternhaus, die Gründung eines eigenen Haushalts oder die eigene Elternschaft – als eher traditionale Aspekte der Verselbstständigung – geben dabei heute nur graduell Auskunft über den Übergang ins Erwachsenenalter.159
So resümiert auch Klaus Hurrelmann, dass die Vorgaben und Rahmenbedingungen für den Übergang in den Erwachsenenstatus äußerst diffus geworden sind, so dass junge Menschen „nach traditionellen Standards nicht mehr erwachsen“ werden.160
3. Konsequenzen der Beobachtungen 3.1 Jeffrey J. Arnetts Konzept emerging adulthood Ende des 20. Jahrhunderts führten Jeffrey J. Arnetts Beobachtungen zum Entwicklungsverhalten junger Erwachsener, verknüpft mit der Wahrnehmung gesellschaftlicher Veränderungen, zum Konzept emerging adulthood. Dabei standen ähnliche Beobachtungen im Fokus, wie das vorausgehende Kapitel skizziert hat. Der Ansatz emerging adulthood verbindet entwicklungspsychologische Aspekte mit der Perspektive des sozialen Wandels und nimmt eine Unterscheidung zwischen emerging adulthood zur vorausgehenden Adoleszenz sowie zum nachfolgenden Erwachsenenalter vor:161 Dies zeigt sich zum einen im subjektiven Gefühl junger Menschen dieses Alters, zwar keine Jugendlichen mehr, aber auch noch nicht wirklich erwachsen zu sein
159 BMFSFJ, 2017, 98. 160 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 122. 161 Vgl. Andreas Walther, 2008, 13.
3. Konsequenzen der Beobachtungen
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(Arnett, 1994, 1998), zum anderen aber auch bei der Betrachtung objektiver Kriterien wie z. B. demographischer Daten. Denn während es für unter 18-Jährige und für Personen ab 30 Jahren relativ eindeutige ‚soziodemographische Normen‘ bzgl. der Wohnsituation, des Ausbildungsstands und des Familienstands gibt, ist die Zeit zwischen dem 18. Lebensjahr und Mitte bzw. Ende 20 durch eine große Heterogenität gekennzeichnet (Arnett, 2000).162
Damit grenzt sich Jeffrey J. Arnett von der entwicklungs-psychologischen Sichtweise auf Postadoleszenz als eine Verlängerung der Jugendphase zur Stabilisierung der Persönlichkeitsentwicklung im Anschluss an die Pubertät („Leben als Nach-Jugendlicher“163 – Vgl. ▶ Kapitel I, 1) ab und lässt emerging adulthood als eigenständige Lebensphase hervortreten. Das ist die wesentliche Leistung seines Konzepts, so dass sich mittlerweile auch in der deutschsprachigen Forschung das Konzept von emerging adulthood als eigenständige Entwicklungsphase etabliert hat.164 Gleichzeitig verbleibt sein Konzept trotz der Wahrnehmung einer Pluralisierung der Lebensläufe in der Fixierung von Altersstufen verhaftet: Emerging adulthood is proposed as a new conception of development for the period from the late teens through the twenties, with a focus on ages 18–25.165
So geht Jeffrey J. Arnetts Konzept von einem zwar anders, jedoch weiterhin linear verlaufenden Wechsel der Lebensphasen aus.
3.2 Die Verabschiedung von konventionellen sowie linearen Vorstellungen in der Lebenslaufforschung Aufgrund der unter A) bis D) in ▶ Kapitel I, 2 skizzierten Verzögerungen und Veränderungen in Entwicklungsprozessen stellt die Lebenslaufforschung aktuell die Linearitätsvorstellung sowie die Tauglichkeit der Kriterien, die bemessen, was in unserer Gesellschaft als erwachsen gilt, zur Diskussion. Dies ist vor allem den radikalen Veränderungen des Arbeitsmarkts geschuldet: „Nicht Kontinuität, sondern Flexibilität ist die Leitformel der entfesselten Marktgesellschaft und lebenslanges Lernen ihr Credo.“166 Die Auswirkungen davon zeigen sich 162 Inge Seiffge-Krenke / Tim Gelhaar, 2006, 18. 163 Vgl. Jürgen Zinnecker, 1981, 101. 164 Vgl. Inge Seiffge-Krenke, 2008, 36. 165 Jeffrey Jensen Arnett, 2000, 469. 166 Michael Galuske / Tim Rietzke, 2008, 4.
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mittlerweile in sämtlichen Lebensbereichen. Statt in klarer Abfolge einander abzulösen und kontinuierlich auf den jeweils nächsten Status zuzulaufen, greifen Lebensphasen heute in- und durcheinander und müssen vom Individuum selbst geordnet werden. Von Institutionalisierungsprozessen mit Blick auf den Lebenslauf167, wie zu Beginn dieses Teils der Arbeit mit Rückgriff auf Martin Kohlis Ansatz von 1995 skizziert, muss heute ganz anders gesprochen werden, wie er selbst 2003 in einem Vortrag korrigiert: Das institutionalisierte Normalmodell des Lebenslaufs ist an sein Ende gelangt. An seine Stelle treten Kontingenz und Optionenvielfalt. Man kann den damit einhergehenden Verlust von Erwartungssicherheit bedauern oder den Zugewinn an biographischer Freiheit begrüßen, aber an der empirischen Faktenlage selber scheint nicht mehr zu rütteln zu sein.“168 Aufgrund der „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und der Normalerwerbsbiographie“ werden Lebensläufe als Patchwork-Biografien und Patchwork-Karrieren „zusammengebastelt“, was den Einzelnen sowie die Einzelne zum „‚Planungsbüro‘ und Unternehmer seiner eigenen Karriere“ macht und hohe Fähigkeiten zur Selbststeuerung sowie eine hohe Flexibilität voraussetzt.169 „Institutionalisierung wird reflexiv: Sie bezieht sich nicht mehr auf den vorgeordneten Lebenslauf, sondern auf das ordnende Individuum.170
Das Individuum wird zum Verantwortlichen für den eigenen Lebensverlauf – mit allen Vor- sowie auch Nachteilen –, was im Ergebnis dazu führt, dass sich Lebensläufe individualisieren statt Normen und Konventionen zu folgen. Die Verabschiedung von konventionellen Vorstellungen bezüglich der Kriterien, was als erwachsen gilt, bedeutet in der Lebenslaufforschung zugleich die Verabschiedung von dem Gedanken eines linearen Lebenslaufs mit prozessoraler Struktur, der in geordneter und kontinuierlicher Abfolge von Lebensphasen auf ein klares Ziel zuläuft. Während die neuere Lebenslaufforschung diese Veränderungen zum Teil als zunehmende Ausdifferenzierung der Lebensphasen im Zuge von „Destandardisierungstendenzen“171 beschrieben hat – so Martin Kohli 2003 –, lenkt Klaus Hurrelmann – ebenfalls 2003 – mit dem Begriff der
167 Vgl. ▶ Kapitel I, 2.1. 168 Martin Kohli, 2003, 533. 169 Vgl. ebd., 533 sowie Klaus Hurrelmann, 2003, 177. 170 Martin Kohli, 2003, 533. 171 Vgl. dazu ebd., 532 f.: „Es gibt deutliche Destandardisierungstendenzen, und zwar in beiden wesentlichen Strukturgebern des Lebenslaufs, der Erwerbs- ebenso wie der Familienbiografie. Insgesamt scheint sich – wie von der Individualisierungstheorie behauptet (Beck und BeckGernsheim 1994) – eine Pluralisierung der Lebensformen und eine Ausdifferenzierung unterschiedlichster Lebenspfade zu ergeben.“
3. Konsequenzen der Beobachtungen
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„Entstrukturierung“172 pointierter den Blick darauf, dass Lebensphasen sich nicht (nur) zunehmend ausdifferenzieren, sondern es sich hier um einen „Prozess der Entdifferenzierung der Lebensphasen handelt“173 – so auch der Ansatz von Michael Galuske und Tim Rietzke 2008. Während mit der Beschreibung von de- und entstandardisierenden Tendenzen vor allem Diversifizierung und Ausdifferenzierung sowie die davon ausgehende Abnahme der Automatismen im (ehemals) institutionalisierten Lebenslauf beschrieben werden, betonen die Begriffen der Entstrukturierung und Entdifferenzierung, dass noch offen ist, wie sich die Strukturen (lediglich nur) verändern oder gänzlich in Entgrenzungsprozessen auflösen werden. Wolfgang Schröer führt an dieser Stelle die Entgrenzungsdiagnose heran: So ist mit der Entgrenzung der Erwerbsarbeit die lebensgeschichtlich bisher zentrale Verknüpfung von Identität und Arbeit und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Frage gestellt und mit der Entgrenzung des Lernens, bzw. Verarbeitlichung des Lernens, erhält Bildung ein erweitertes, über die Jugendphase hinaus, in die gesamte Lebenszeit hineingehendes Profil. Während das Lebenslaufmodell der ersten Moderne durch die Spannung von Institution und personaler Autonomie bestimmt war, ist es im Bild der reflexiven Moderne tendenziell durch Entgrenzungen, die Freisetzung von Übergangen [sic!] und die Chance und den Zwang zur Selbstorganisation charakterisiert.174
Es scheint demnach so, dass der Forschungsgegenstand dieser Arbeit abhandenkommen würde. Durchaus lassen diese Ausführungen kaum noch zu, junge Erwachsene über eine spezifische Lebensphase zu definieren, die einen zu bestimmenden Anfangs- sowie Endpunkt hat, zwischen welchen sich ein für den Erwachsenenstatus notwendiger Entwicklungsvorgang ereignet. Weder die Theorie einer Ausdehnung der Jugendphase in die Kindheit oder / und in das Erwachsenenalter,175 noch der Ansatz, das junge Erwachsenenalter als eigen172 Vgl. Klaus Hurrelmann, 2003. In diesem Aufsatz fordert er sozialpolitische Reformen, die dieser Veränderung dringend entsprächen, denn: „Eine sinnvolle, biografisch stimmige Gestaltung des Lebenslaufes wird heute durch die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenvorgaben erschwert, die aus der Zeit der Vorherrschaft des ‚Normal-Lebenslaufs‘ stammen“ (119). 173 Michael Galuske / Tim Rietzke, 2008, 4. 174 Wolfgang Schröer, 2013, 70. 175 Vgl. dazu die Shell Jugendstudie 1981, die bei der Beschreibung der neu entdeckten Altersstufe von einer „Nach-Phase des Jungseins“ bzw. dem „Leben als Nach-Jugendlicher“ spricht (vgl. Jürgen Zinnecker, 1981, 101) sowie die Grafik zur Ausdehnung der Lebensphase Jugend des deutschen Jugendforscher Klaus Hurrelmann (Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, 2013, 17). Auch Wilfried Ferchhoff teilt die Ansicht einer sich ausdehnenden Jugendphase, weist dabei jedoch auf die Fragilität des Konzepts von Lebensphasen hin: „Kindheit, Jugend und Erwachsensein werden als Phasen durchlässiger, aber auch fragiler, gehen zuweilen ineinander über und vermischen sich dabei auf paradoxe Weise“ (Wilfried Ferchhoff, 2011, 101 f.).
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ständige Lebensphase zu begreifen176, tragen den beobachteten Entgrenzungstendenzen vollkommen Rechnung. Ausgehend von der Entgrenzungsdiagnose muss der Begriff Junge Erwachsene unabhängig von Lebensphasen definiert werden oder wird als solcher obsolet.
3.3 Junge Erwachsene als Lebenslage unabgeschlossener Übergänge Entstandardisierungs- sowie vor allem Entstrukturierungs- und Entgrenzungstendenzen sind der gesellschaftliche Kontext, in dem der Begriff und das Konzept Junge Erwachsene seit Ender der 1980er Jahre diskutiert wird. Nimmt man diese Tendenzen einer Entgrenzung der Lebensalter ernst, wie sie beispielsweise von Lenz / Schefold / Schröer (2004) beschrieben wurden, so erscheint es immer schwieriger, Kennzeichen für ein Lebensalter ‚junge Erwachsene‘ herauszuarbeiten. Sind klassische Entwicklungsaufgaben und Statuspassagen der Phase Jugend nämlich entgrenzt und somit Aufgaben, die sich über das gesamte Erwachsenenalter hinweg stellen, während gleichzeitig Anforderungen des Erwachsenseins bereits in die Jugendphase hineinreichen, so löst sich die ‚Zwischenphase‘ der sog. jungen Erwachsenen in dieser Entgrenzung auf.177
Genau an dieser Stelle setzt Andreas Walther an, wenn er das „Konzept junge Erwachsene“ keineswegs als eine eigenständige Lebensphase versteht, sondern als eine Forschungsperspektive auf entgrenzte Lebensläufe, die insbesondere für Lebenslagen des Übergangs sensibilisiert.178 Dass Junge Erwachsene dennoch häufig als Lebensphase wahrgenommen und definiert werden, führt er dabei darauf zurück, dass sie vor allem eine „strategische Sozialgruppe“ darstellen, bei denen sich die Entstandardisierungs- sowie vor allem Entdifferenzierungstendenzen des Lebenslaufs zum ersten Mal besonders deutlich zeigen und sich an ihnen so „neue Integrationsmechanismen“ besonders gut testen lassen.179
176 Vgl. dazu vor allem Jeffrey J. Arnetts Konzept emerging adulthood (▶ Kapitel I, 3.1), das u. a. von der deutschen Psychologin Inge Seiffge-Krenke in ihren Studien rezipiert wird. Vgl. zur Diskussion des jungen Erwachsenenalters in klarer Abgrenzung zum Jugendalter zudem die Veröffentlichung „Junges Erwachsenenalter“ (Michael Galuske / Tim Rietzke (Hg.), 2008). 177 Michael Galuske / Tim Rietzke, 2008, 5. 178 Vgl. dazu auch Egris, 2001, 105. 179 Vgl. Andreas Walther, 2008, 14.
3. Konsequenzen der Beobachtungen
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Demnach stehen Junge Erwachsene weniger für eine neue Lebensphase, als für Lebenslagen des Übergangs im Kontext entstandardisierter Lebensläufe. […] Das Konzept Junge Erwachsene hat deshalb eher einen heuristischen als einen streng deskriptiven Charakter. Es sensibilisiert dafür, dass Übergänge nicht mehr direkt und linear verlaufen, sondern biographische Anforderungen stellen, deren Bewältigung immer öfter der normalbiographischen Lebensführung widerspricht.180
Der Begriff und das Phänomen Junge Erwachsene definiert folglich weniger eine bestimmte Altersgruppe oder Entwicklungsstufe mit bestimmbarem Abstand zum Erwachsenenstatus, sondern definiert eine Menschengruppe durch ihre „Lebenslagen des Übergangs“. Unabgeschlossene Übergangsprozesse, eröffnet durch den Abschluss einer allgemeinbindenden Schule und vorrangig geprägt vom Eintrittsprozess in den Arbeitsmarkt, werden zum wesentlichen Merkmal Junger Erwachsener.181
3.4 Bedeutung des Lebensalters versus die Anzahl der bewältigten Übergänge Die Bedeutung des Lebensalters Junge Erwachsene liegt demnach nicht darin – wie die gewählte Bezeichnung es suggeriert –, die „junge Vorstufe“ zum Lebensalter „Erwachsene“ zu sein, das sich durch von Institutionen normierte Entwicklungsabläufe ab einer bestimmten Lebensalterzahl automatisch anschließen wird. Vielmehr liegt aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen die Bedeutung dieses Lebensalters darin, für eine verdichtete und zum Teil prekäre Situation von Übergängen mit überwiegend offenem Ausgang zu sensibilisieren. Der Anfangspunkt ist mit dem Verlassen des allgemein bildenden Schulsystems markiert und der Endpunkt prinzipiell mit der Einmündung in eine Erwerbstätigkeit und / oder der Gründung einer eigenen Partnerschaft bzw. Familie. Die Lebens-
180 Ebd., 26. 181 Vgl. BMFSFJ, 2013, 187: „Das frühe Erwachsenenalter ist daher insgesamt eine Phase der schubweisen und oftmals prekären Verselbstständigung; in der Querschnittsbetrachtung ist sie durch unabgeschlossene Übergänge – etwa in die ökonomische Selbstständigkeit, in Arbeit und Beruf, aber auch in Partner- und Elternschaft – gekennzeichnet.“ Der aktuelle 15. Kinder- und Jugendbericht spricht an dieser Stelle von einem „Konglomerat von Übergangskonstellationen und Relevanzsetzungen mit vielen Gleich- und Ungleichzeitigkeiten“ (BMFSFJ, 2017, 98), wie bereits in ▶ Kapitel I, 2.5 zitiert.
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phase, die zwischen diesen beiden Fixpunkten liegt, kann von höchst unterschiedlicher Dauer sein und stellt sich in ihrem Endpunkt keineswegs als so eindeutig dar, wie es zunächst erscheint.182
So lenkt auch der 14. Kinder- und Jugendbericht (2013) bezüglich des Begriffs Junge Erwachsene den Blick auf Übergänge, die im Anschluss an einen allgemeinbildenden Schulabschuss im Kontext des Berufseinstiegs und der davon abhängigen wirtschaftlich sowie räumlich autarken Existenz zu gestalten sind. Diese Übergänge erfordern eigene Bewältigungsstrategien sowie ein funktionierendes Lebenskonzept, welches sich nicht mehr an den Koordinaten Übersichtlichkeit, Kontinuität und bürgerlichen Rollenverständnissen orientieren kann. Die reine Lebensalterzahl verliert dabei an Aussagekraft, da sowohl der Beginn als vor allem auch das Ende dieses Lebensalters kaum noch institutionell normiert werden kann, wie dies in der industriellen Gesellschaft der Fall war, sondern dies dem Einzelnen selbst überlassen sowie auch zugemutet wird.183 Der Gedanke von Statuspassagen, die erreicht und folglich passiert werden können, wird in der sozialwissenschaftlichen Sozialisations- und Bildungsforschung aktuell ausgehend von der Entgrenzungsdiagnose durch Konzepte ergänzt, welche Übergänge in den Blick nehmen, die bewältigt werden müssen. Maßgeblicher Ausgangspunkt für die Übergangsforschung war die Diversifizierung des Übergangs in den Beruf.184 Dieser Forschungsansatz untersucht demnach nicht mehr Entwicklungsstufen, die abgeschlossen werden, um sich in einer nächsten zu entfalten, sondern setzt sich mit unabgeschlossenen Prozessen auseinander, die diffus und zum Teil zirkulär ineinander greifen. Gemessen wird statt des Entwicklungsstands die Art und Weise des „Durchkommens“, also die jeweiligen Bewältigungsstrategien. So geht es bei der Gestaltung von Übergängen vor allem um biografische Handlungsfähigkeit, die dafür benötigt und zugleich dabei angeeignet wird. Übergänge und deren Bewältigung werden zum entscheidenden Stichwort sowie zur Aufgabe des Individuums. Während sich ein eigener Forschungsbereich zu sozialen Prozessen des „Transitierens“ gebildet hat,185 orientieren sich Bildungsprozesse und -einrichtungen derweil weiterhin an der Grundstruktur des institutionalisierten Lebenslaufs des 20. Jahrhunderts. Auch wenn in die Lehrpläne der Schulen der Kompetenzbegriff Einzug gehalten hat, der Handlungsfähigkeiten in formellen sowie in informellen und nonformalen Bildungsprozessen in den Blick nehmen soll, steht damit dennoch letztlich nicht das Lernen in Übergängen sowie die 182 BMFSFJ, 2013, 186. 183 Vgl. Jürgen Zinnecker, 1981, 100–102. 184 Vgl. das Zwischenfazit (▶ Kapitel I, 2.5). 185 Vgl. Wolfgang Schröer, 2013, 64.
4. Abschließende Definition
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Bewältigung von Übergängen selbst im Fokus, sondern geht es weiterhin um lebensaltergebundene Lernziele und Zertifikate, die letztlich den Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnen sollen. Das Streben nach Bildung wird jedoch zukünftig immer stärker als Kompetenzerwerb mit Blick auf persönliche Bewältigungsstrategien verstanden werden müssen, während immer höhere Bildungszertifikate allein nicht mehr Zukunftsfähigkeit garantieren. Dies gilt insbesondere bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt.186 Denn Lebensläufe und Biografien müssen individuell zusammengestellt werden, Biografizität wird dabei zur entscheidenden Kompetenz des Einzelnen.187 Lebensalterzahlen verlieren dort, wo der Einzelne stärker als der institutionell normierte Lebenslauf für die Bedeutung des eigenen Lebensalters verantwortlich ist, ihre allgemeingültige Aussagekraft. Wer als „jugendlich“, „jung“ oder „erwachsen“ gilt, bestimmt aus Sicht der neueren Lebenslauf- sowie Übergangsforschung weniger die Zahl des Lebensalters, sondern die (Zahl der) Übergänge, die hinter sowie vor einem Menschen liegen.188
4. Abschließende Definition Junge Erwachsene sind nach einer sich auf die Übergänge im Leben beziehenden Definition insofern von Jugendlichen unterschieden, dass sie einen allgemeinbildenden Schulabschluss schon hinter sich haben und im viel stärkerem Maß vom Übergangsprozess des Eintritts in den Arbeitsmarkt geprägt sind. Häufig wird in der öffentlichen Diskussion, in Studien sowie auch in der Gesetzgebung weiterhin allein das Lebensalter als Kriterium der Unterscheidung genutzt. So können in der Jugendforschung sowie auch den Sozialgesetzen nach Jugendliche bis zu 27 Jahre alt sein189 und somit auch schon längst einen allgemeinbildenden Schulabschluss erlangt haben und mit dem Berufsleben beschäftigt sein. Je nach Theorieansatz werden also andere (zum Teil rein von der Zahl des Lebensalters abhängige) Abgrenzungen vorgenommen und gibt es auch deutliche Überschneidungen Jugendlicher und junger Erwachsener. Mit dem Begriff Jugend wird eine Homogenität suggeriert, die mit den unterschied-
186 Vgl. ebd., 73–76. 187 Vgl. Barbara Stauber, 2014. 188 Vgl. Wolfgang Schröer, 2013, 72. 189 Wie bereits in der Einleitung skizziert, werden im Bereich der Jugendforschung zunehmend auch ältere Altersgruppen bis zu 34 Jahren untersucht (vgl. hierzu exemplarisch die so genannte „Jugendstudie“ zur Generation What?: Generation What?, 2016).
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lichen Ansätzen, Lebensaltereinteilungen sowie Begriffen von der Antike bis zum modernen Jugendbegriff in der Jugendforschung nicht übereinstimmt.190 „Dieses moderne, klassisch-traditionelle Definitionsmuster von Jugend […] scheint angesichts der vielen heutigen Aufweichungstendenzen der Jugendphase […] – auch nicht mehr gültig zu sein“, fasst Jugendforscher Wilfried Ferchhoff die aktuellen Diskussionen zum modernen Jugendbegriff sowie zur „Lebensphase Jugend“ zusammen.191 Weitere Ausführungen zum Jugendbegriff gehören zu einem anderen, wenn auch benachbarten, Forschungsfeld. In den folgenden Ausführungen dieser Arbeit wird fortan das benannte Kriterium des allgemeinbildenden Schulabschlusses für die Unterscheidung Jugendlicher und junger Erwachsener herangezogen. Auf der anderen Seite unterscheiden sich Erwachsene und Senioren (sowie weitere Ausdifferenzierungen der Lebensphasen dazwischen) von jungen Erwachsenen darin, dass sie sich nicht mehr im erstmaligen Eintrittsprozess des Arbeitsmarkts befinden, sondern schon auf Berufserfahrungen zurückblicken können, auch wenn sie aktuell gegebenenfalls wieder vor (ähnlichen oder auch ganz anderen) Übergängen im (Berufs-)Leben stehen. So sind mit Blick auf diese beiden entscheidenden Übergänge (Schule und Beruf) im Lebenslauf wesentliche Markierungen für den Forschungsgegenstand Junge Erwachsene gegeben, auch wenn dieser an seinen Rändern aufgrund der aktuellen Entwicklungen immer weniger klar zu konturieren ist.
190 Dies zeigt sich schon allein mit Blick auf die Shell Jugendstudien, die im Zeitverlauf eine deutliche Varianz in der Altersspanne der untersuchungsrelevanten Altersgruppe zwischen den Studien aufweisen. Hier ein kurzer Überblick: 1953 bis 1981: 15- bis 24-Jährige; 1992: 13- bis 29-Jährige; 1998: 12- bis 24-Jährige; seit 2002: 12- bis 25-Jährige. 191 Wilfried Ferchhoff, 2011, 94.
II Generationenforschung: Junge Erwachsene – Die Generation Y
Eine weitere Sicht auf junge Erwachsene bietet die Generationenforschung. In diesem Kapitel geht es ausgehend von der in ▶ Kapitel I erarbeiteten Definition des Phänomens Junge Erwachsene nun insbesondere darum, spezifische aktuelle Prägungen und Haltungen der Gruppe zu skizzieren, die dieser Definition entspricht. Während die Lebenslaufforschung sich mit der Entwicklung eines Individuums zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Leben beschäftigt und Gruppenzuordnungen einzelner Individuen entsprechend gesellschaftlicher Entwicklungserwartungen vornimmt, die sich im Laufe des Lebens aufgrund von Entwicklungsprozessen verändern, beleuchtet die Generationenforschung gesellschaftliche Gruppen unterschiedlichen Alters, die jeweils eine für ihre Entwicklung bedeutsame Erfahrung lebenslang vereint, sowie vor allem die Verhältnisse dieser (stabilen) Gruppen zueinander. Dabei haben Lebenslaufund Generationenforschung gemeinsam, dass das kalendarische Alter kein geeignetes Kriterium für die Konzipierung dieser Gruppen ist. Während die abnehmende Bedeutung der Zahl der Lebensjahre in der Lebenslaufforschung eine eher neue Tendenz darstellt und durch (die Zahl von) Lebensübergänge(n) zunehmend ersetzt wird, ist das kalendarische Alter für die Abgrenzung von Generationen allein deswegen nicht sinnvoll, da sich mit der Veränderung des individuellen Lebensalters auch die individuelle Zugehörigkeit zu einer Gruppe im Lebenslauf verändern würde, was jedoch nicht im Sinne der Definition einer Generation ist. So wird für die Abgrenzung gesellschaftlicher Generationen ein historischer Zeitpunkt als Kriterium bestimmt.1 Es wird in der Generationenforschung davon ausgegangen, dass die gemeinsam durchlebten, für die Entwicklung bedeutsamen Erfahrungen zu diesem historischen Zeitpunkt oder auch von diesem Zeitpunkt ausgehend, aus einer Gruppe in einem ähnlichen Zeitraum verorteter Geburtsjahrgänge eine Generation formen. Die dementsprechend definierte individuelle Generationenzugehörigkeit bliebe demnach im Lebenslauf von der Konzeption her konstant. Dieser gesellschaftliche Generationenbegriff [Hervorhebung im Original] zielt auf Gemeinsamkeiten aufgrund gleicher oder benachbarter Geburtsjahrgänge im Sinne
1
Vgl. Marc Szydlik / Harald Künemund, 2009, 10.
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II Generationenforschung
von generationstypischen Erfahrungen und – möglicherweise als Konsequenz – gemeinsamen Werte [sic!] oder Lebensstilen, nicht aber auf Altersgruppe.2
Als historischer Zeitpunkt sowie Kriterium für die Abgrenzung von Generationen wird die Jugendzeit gewählt, da man davon ausgeht, dass sich Jugendliche im Zuge der Persönlichkeitsentwicklung besonders sensibel, aktiv und intensiv mit sich selbst und ihrem Umfeld auseinandersetzen. Die zukünftige Weltsicht sowie persönliche Wertvorstellungen und Verhaltensdispositionen werden maßgeblich in dieser Zeit ausgeprägt, so dass man im Kontext von Sozialisationstheorien diesbezüglich auch von der „formativen Phase“3 in der Entwicklung spricht. Diese den Menschen durch Sozialisation und eigene Reflexion von Erlebnissen entscheidend „formende“ Phase wird in Generationseinteilungen meist standardisiert auf eine bestimmte Zeitspanne festgelegt, von der aus die Abgrenzung zu den anderen Generationen vorgenommen wird. Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht begrenzen diese Phase auf die Zeit zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr,4 so dass in ihrer Darstellung alle 15 Jahre eine neue Generation beginnt, was zu einer sehr übersichtlichen Skizze der Generationenabfolge führt.5 Während diese spezifische zeitliche Festlegung der Jugendphase ohne Begründung erfolgt, machen die Autoren auf einen anderen Grund dieser Einteilung aufmerksam: Natürlich folgen grundlegende Umwälzungen keinem festen zeitlichen Muster. Es gibt jedoch den Erfahrungswert, dass etwa alle fünfzehn Jahre die historischen Karten neu gemischt werden. Deswegen ist es sinnvoll, aufeinanderfolgende Generationen in dieser zeitlichen Taktung zu beschreiben.6
Der Geburtsjahrgang allein ist jedoch kein hinreichendes oder allgemeingültiges Kriterium um gesellschaftliche Generationen voneinander abzugrenzen, vielmehr sind die prägenden gemeinsamen Erlebnisse der Geburtsjahrgänge kontextbedingt und somit die Einteilung von Generationen auf einen bestimmten Kontext – meist ein Land – bezogen. Dabei sind zudem Binnendifferenzierungen wie z. B. politisch, kulturell oder ökonomisch konzipierte Generationen möglich, welche nicht nur zur selben historisch-sozialen Zeit aufgewachsen sind, sondern die hinsichtlich spezifischer politischer Orientie2 Ebd. 3 Vgl. Anders Parment, 2013, V. 4 Anders Parment folgt an dieser Stelle der Sozialisationshypothese, welche die Phase „zwischen dem 16. und 24. Lebensjahr“ ansiedelt (vgl. ebd., V). 5 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 17. 6 Ebd., 16.
II Generationenforschung
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rungen, kultureller Einstellungen oder ökonomischer Chancen sowie Risiken geprägt wurden.7 Analog zur Klassenlage will dieses historisch, soziologisch oder auch journalistisch geschaffene Konstrukt eines gesellschaftlichen Generationenbegriffs im Sinne der Generationenlagerung dabei helfen, die Gesamtheit der Gesellschaft aufgrund von Gemeinsamkeiten zu kategorisieren und somit spezifischer wahrzunehmen. Zugleich obliegt jede Zuordnung Einzelner zu übergeordneten Kategorien oder Gruppen der Gefahr der Pauschalisierung und Vereinheitlichung. Auch in diesem Bereich gibt es mehr Dynamiken, Überlappungen und Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem, als dieses Konzept darstellen kann. Dies gilt es auch in der Auseinandersetzung mit der so genannten Generation Y im weiteren Verlauf der Arbeit zu beachten. Neben diesem vor allem von Karl Mannheim (mit seinem bahnbrechenden Aufsatz von 1928 „Das Problem der Generationen“8) ursprünglich geprägten Konzept gesellschaftlicher Generationen gibt es zudem den familialen Generationsbegriff, der sich auf verwandtschaftliche Verhältnisse stützt und Generationen „im ursprünglichen Sinne der ‚Erzeugung‘“ entlang der Abstammungslinie ordnet.9 Die folgenden Ausführungen zu jungen Erwachsenen beziehen sich jedoch ausgehend von Karl Mannheim auf die Generationszugehörigkeit […] zu einer sozialkulturellen Ordnungskategorie, basierend auf geteilten Erlebens- und Erfahrungswelten von Personen, die in der gleichen Epoche und im gleichen Kulturkreis geboren wurden.10
Folgt man den Generationseinteilungen ab der Nachkriegszeit, wie sie z. B. von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht skizziert werden, nimmt man junge Erwachsene nicht generell unter einem neuen Blickwinkel wahr, sondern geraten lediglich all diejenigen in den Blick, die sich aktuell in dieser Lebenssituation befinden.11 Zudem wird dabei nicht spezifisch zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterschieden, sondern werden unter dem populären Begriff Generation Y all diejenigen zusammengefasst, die ungefähr zwischen
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Vgl. Marc Szydlik / Harald Künemund, 2009, 11. Vgl. Karl Mannheim, 1928. Vgl. Marc Szydlik / Harald Künemund, 2009, 9. Thomas Eckert u. a., 2011, 12. Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 17.
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II Generationenforschung
1985 und 200012 geboren sind.13 Hier variieren verschiedene Darstellungen der Generationseinteilungen um ungefähr fünf Jahre (nicht nur zwischen verschiedenen Ländern, sondern auch innerhalb Deutschlands). Der von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht gewählte Zeitabschnitt von etwa 15 Jahren bildet jedoch meist die Grundlage der Abgrenzungen. Auch wenn dies längst nicht auf alle Angehörigen dieser konstruierten Generation zutrifft, wird die so genannte Generation Y gegenüber anderen Generationen vorrangig als diejenige Generation in den Blick genommen, die aktuell in der Arbeitswelt ankommt oder auch versucht anzukommen.14 Dies zeigen unter anderem Veröffentlichungen zu diesem Thema aus der Perspektive von Unternehmen, die dabei – ganz im Sinne der Generationenforschung – das Verhältnis der gesellschaftlichen Generationen untereinander als Arbeitgebende und Arbeitnehmende diskutieren.15 Darüber hinaus zeigt dies auch, wie häufig die Haltung dieser Generation zum Arbeitsleben Thema der medialen Berichterstattung wird. 12 So nehmen Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht die Einteilung vor (vgl. ebd., 17). Anders bestimmt Martin Klaffke die Einteilung der bundesdeutschen Generationen in seinem „Generationen-Tableau“ (vgl. Martin Klaffke, 2014a, 13), was vor allem in der Literatur zur Generation Y aus betriebswirtschaftlicher Sicht der häufiger rezipierte Ansatz ist (▶ Kapitel II, 1). Im Ansatz von Martin Klaffke sind Angehörige der Generation Y zwischen 1981 und 1995 geboren, so dass die ab 1996 Geborenen bei ihm als Generation Z bezeichnet werden. Darüber hinaus bezeichnet er Angehörige der Generation Y außerhalb seines „Generationen-Tableaus“ meist als Millennials (vgl. Martin Klaffke, 2014b, 58–69). 13 Im Jahr 2016 wurde ein multimediales Projekt als Studie durchgeführt, in dem die zu diesem Zeitpunkt 18- bis 34-Jährigen als so genannte Generation What? in den Blick genommen werden (vgl. Homepage Generation What? sowie auch den „Abschlussbericht Deutschland“ (Generation What?, 2016)). So stehen mit dieser Studie sowie diesem Titel ungefähr dieselben Jahrgänge (ca. 1982 bis 1998) im Fokus, wie mit der so genannten Generation Y. Darauf sei an dieser Stelle lediglich kurz verwiesen. 14 Erste Veröffentlichungen konzentrieren sich zudem auch schon auf die der Generation Y folgende Generation, da für einen Teil der ältesten Angehörigen auch dieser Generation der (erste) Berufseinstieg kurz bevorsteht – so z. B. Martin Klaffke ausgehend von seinem Ansatz der Generationeneinteilung (Martin Klaffke, 2014b, 57–82). Anders Parment unterteilt hingegen die Generation Y als „Mitarbeiter der Zukunft“ in diejenigen, die in den 1980er Jahren geboren wurden und die „1990er“ (während er insgesamt jedoch in der Tendenz Martin Klaffkes Einteilung folgt), wobei er eindrücklich darauf hinweist, dass Letztere aktuell unbedingt in den Blick genommen werden müssen. Die „1990er“ sind bei ihm damit noch nicht die folgende Generation (vgl. Anders Parment, 2013, 153–159). 15 Vgl. exemplarisch Anders Parment: Die Generation Y. Mitarbeiter der Zukunft motivieren, integrieren, führen, Wiesbaden 2009 und 2013; Julia Ruthus: Arbeitgeberattraktivität aus Sicht der Generation Y. Handlungsempfehlungen für das Human Resources Management, Wiesbaden 2014; Martin Klaffke (Hg.): Generationen-Management. Konzepte, Instrumente und Best-Practice-Ansätze, Wiesbaden 2014 und Svenja Welk: Die Bedeutung von Führung für die Bindung von Mitarbeitern. Ein Vergleich unterschiedlicher Führungsstile im Kontext der Generation Y, Wiesbaden 2015. Gleichzeitig melden sich zu diesem Thema auch junge Men-
1. Generation Y – Wie eine Metapher für eine Generation steht
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Bei aktuellen Auseinandersetzungen mit der so genannten Generation Y ist demnach der Übergangsprozess des Berufseinstiegs häufig ein ebenso zentraler, diese Generation kennzeichnender Bestandteil, wie in der Definition Junger Erwachsener nach ▶ Kapitel I, 4 der vorliegenden Arbeit. Vor allem aufgrund dieser Beobachtung werden im Folgenden junge Erwachsene im Spiegel der Generation Y beleuchtet. Ein weiterer Grund für die Auseinandersetzung mit der so genannten Generation Y im Rahmen dieser Arbeit ist die recht starke mediale Aufmerksamkeit, die diesem Phänomen zukommt. So bestimmen Diskussionsbeiträge, Studien und diverse Veröffentlichungen zur Generation Y die aktuelle Sicht auf junge Erwachsene und sind somit bei einer Auseinandersetzung mit den derzeitigen jungen Erwachsenen zu berücksichtigen.
1. Generation Y – Wie eine Metapher für eine Generation steht In der Auseinandersetzung mit der oder auch den Bezeichnung / en dieser Generation stehen in diesem Kapitel insbesondere die Ereignisse im Fokus, die diese Generation maßgeblich geprägt haben. Davon ausgehend werden relevante Einblicke in Haltungen sowie Handlungsweisen, die als für diese Generation spezifisch gelten, herausgearbeitet (▶ Kapitel II, 2). Die Metapher Generation Y stammt aus der US-amerikanischen Diskussion und hat sich mittlerweile auch in deutschen Studien etabliert. Da es jedoch weder eine allgemeingültige zeitliche Einordnung16, noch eine allgemeingültige Bezeichnung dieser Generation gibt, existieren – vor allem im englischen Sprachraum – verschiedene Bezeichnungen für diese Generation, die ebenso wie Generation Y mit spezifischen Kennzeichen, die ihr zugeschrieben werden, sprachlich spielen: Generation Maybe17, Generation Me18, Net Generation19,
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schen selbst zu Wort, wie z. B. Catharina Bruns: work is not a job. Was Arbeit ist, entscheidest du!, Frankfurt am Main 2013 oder Kerstin Bund: Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen, Hamburg 2014. Vgl. dazu den Hinweis auf die unterschiedlichen zeitlichen Einteilungen in der vorausgehenden Einführung dieses Kapitels II. In Deutschland ist dieser Begriff vor allem geprägt durch den deutschen Journalisten und Autor des Buches „Generation Maybe“, Oliver Jeges (vgl. Oliver Jeges, 2014). Dieser Terminus ist vor allem durch die US-amerikanische Professorin für Psychologie Jean Twenge geprägt (vgl. Generation Me). Geprägt ist dieser Begriff vor allem durch den kanadischen Professor für Management und Autor des Buches „Wikinomics“, Don Tapscott (vgl. Net Generation).
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II Generationenforschung
eneration Praktikum20, Pragmatische Generation21 usw. Darüber hinaus werden G die Angehörigen dieser Generation auch als Millennials betitelt, was vor allem auf die Jahrtausendwende als zeitlichen Kontext verweist, in dem diese Generation groß geworden ist.22 Der Titel Generation What? scheint hingegen weniger spezifische Kennzeichen dieser Generation aufzunehmen, als das zentrale Anliegen der Studie, die damit verknüpft ist, widerzuspiegeln: „Was denkst du – was denkt deine Generation? Die große Umfrage zur Generation … What?“23 Die vorliegende Arbeit verwendet aus Klarheitsgründen durchgehend den im deutsch-sprachigen Bereich gängigsten Begriff der Generation Y.24 Die Metapher „Y“ scheint zunächst einmal logische Folge – im Sinne des Alphabets – der vorausgehenden so genannten Generation X zu sein. Zugleich verrät er als Metapher verstanden etwas über Annahmen zur Generation hinter diesem Titel: Im Englischen „why“ ausgesprochen und im Deutschen demnach mit „warum“ wiederzugeben, wird diese Generation oft als von einer kritischen, suchenden oder auch taktierenden Frage geprägt dargestellt. In Diskussionen und Studien zur Generation Y wird dieses fragende „Warum?“ aktuell vor allem als kritisch gegenüber Festlegungen im Allgemeinen gedeutet. Es kann durchaus egoistisch-taktierend wirken, jedoch ebenso mit einer „aus Unsicherheit geborene[n] Selbstbezogenheit“ erklärt werden25. Denn was gilt in dieser von Kurzfristigkeit, Wandel und Unübersichtlichkeit geprägten Welt als allgemeingültiges Kriterium, an dem man sich generell orientieren und auf das man sich im Zweifelsfall verlassen kann? So wird den Angehörigen der Generation Y als wesentliches Kriterium für Entscheidungen und Festlegungen der grundlegende Bezug auf sich selbst sowie die Frage „Was bringt es mir?“ zugeschrieben26 – mit allen damit einhergehenden Freiheiten und Belastungen. Die Erfahrungen von Kurzfristigkeit, Unübersichtlichkeit und Ungewissheit, kurz die Grunderfahrung von Unsicherheit ist das wesentliche Merkmal, das zur Generationslagerung herangezogen wird und die Gestalt der Generation Y in Medien und Studien bestimmt:
20 Dieser Titel ist vor allem durch den deutschen Journalisten und Redakteur des ZEITmagazins Matthias Stolz geprägt (vgl. Matthias Stolz, 2005). 21 Geprägt von den Shell Jugendstudien 2006, 2010 und 2015. 22 So z. B. bei Martin Klaffke (vgl. Martin Klaffke, 2014b, 57–69). 23 So lautet der „Teaser“ mit dem zur Umfrage dieser Studie aufgerufen wurde (vgl. Homepage Generation What?). 24 Wird auf die Studie „Generation What?“ zurückgegriffen, wird dies kenntlich gemacht und kann sich in Zitaten zeigen. 25 Vgl. Mathias Albert u. a., 2015a, 35. 26 Vgl. dazu beispielsweise Klaus Hurrelmanns Ausführungen zum Begriff „Egotaktik“ (vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 31–33).
1. Generation Y – Wie eine Metapher für eine Generation steht
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Die Angehörigen der Generation Y, die ja am Anfang eines neuen Jahrtausends groß geworden sind (‚Millennials‘ im Sinne des Pew Research Center 2014), haben ihre formative Jugendzeit in der Phase der großen globalen Krisen (beginnend mit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001), der Umweltkatastrophen (mit der Zuspitzung im Atomunglück von Fukushima im Jahr 2011) und der Finanzund Wirtschaftskrise seit 2007 durchlebt und nachhaltig gelernt: Nichts ist mehr sicher, aber es geht immer irgendwie weiter.27
Da die jüngeren Angehörigen dieser Generation vor allem durch die Ereignisse seit ungefähr 2010 in ihrer Entwicklung geprägt wurden, lohnt es sich, den betreffenden politisch-gesellschaftlichen Hintergrund an dieser Stelle ergänzend in exemplarischen Auszügen der Geschehnisse zu skizzieren28: Die Finanzkrise wurde von der Eurokrise sowie hoher Jugendarbeitslosigkeit in der direkten Nachbarschaft – vor allem in süd- und osteuropäischen Ländern – abgelöst, die unter anderem auch zum Auswandern junger Menschen vor allem der Balkanländer nach Deutschland führte und weiterhin führt. Wirtschaftliche Verunsicherungen entstanden zudem durch Bankenrettungen mit Steuergeldern in einem nie gekannten Ausmaß, was eine neue Dimension der Verunsicherungen mit sich brachte. Durch den so genannten „arabischen Frühling“, in dem sich die vor allem junge, durch soziale Medien gut vernetzte Bevölkerung arabischer Länder gegen ihre totalitären Regime gestellt hat, wurde in den meisten dieser Länder letztlich ein gefährliches Machtvakuum hervorgerufen. Die weitere Entwicklung dieser Situation ist vielerorts noch offen, was zu großer Instabilität führt. Insgesamt ist der Nahe Osten von starken Unruhen geprägt, die vor allem durch die vom so genannten „Islamischen Staat“ ausgehende terroristische Gewalt und deren Bekämpfung neu entfacht wurden. Damit im Zusammenhang stehen Flüchtlingsbewegungen, die vor allem im Jahr 2015 aufgrund ihrer Größe vielerorts europäische Regierungen und Verwaltungsstrukturen – so auch die deutschen – in hohem Maße herausgefordert haben. In der Bevölkerung Deutschlands ist im Kontext dieser Ereignisse eine neue Art von offen geäußerter Fremdenfeindlichkeit sowie andererseits auch von ehrenamtlichem Engagement zu beobachten. Insgesamt gewinnen nationalistisch und zum Teil rechtspopulistisch geprägte Parteien in Deutschland und den Nachbarstaaten zunehmend Aufmerksamkeit, Wählerstimmen und Einfluss (vgl. z. B. die Entwicklung der AfD in Deutschland sowie der FPÖ in Österreich sowie die aufsehenerregende Regierungsbildung in Italien im Som-
27 Mathias Albert u. a., 2015a, 36. 28 Vgl. dazu die weitaus ausführlicheren Ausführungen in der 17. Shell Jugendstudie „Entwicklungen der letzten fünf Jahre“ (ebd., 37–39).
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II Generationenforschung
mer 2018 aus der „5-Sterne-Bewegung“ und der „Lega Nord“), was zur Verunsicherung klassischer Regierungskoalitionen und etablierter Parteien führt. Auch die Präsidentschaft von Donald J. Trump führt weltweit – und auch konkret in Deutschland beispielsweise durch seine Handelspolitik – vermehrt zu Verunsicherungen. Die Zunahme von einzelnen und dennoch vernetzten terroristischen Gewaltakten in der Ferne sowie auch in Europa gegen vorrangig zivile Personen vermitteln das Gefühl, dass solche Anschläge jede und jeden treffen können und führen somit die Beschreibungen „Kriegszustand“ sowie auch „Friedenszeit“ ad absurdum. So erscheint Terrorismus als neue Form des Kriegs, der gleichzeitig überall und nirgendwo ausschließlich stattzufinden scheint. Die Situation nach den Anschlägen in Paris im Jahr 2015 und den darauffolgenden weiteren Anschlägen an unterschiedlichen Orten Europas sowie auch in Deutschland hat die in sämtlichen Ereignissen mitschwingende Grunderfahrung dieser Generation Y noch einmal deutlich vertieft: Nichts ist mehr sicher. Und es geht doch immer irgendwie weiter. Doch nicht nur die politischen Ereignisse tragen eine neue Signatur. Mit Blick auf die Umwelt zeigen sich ebenso wesentliche Einschnitte. Diejenigen, die um die Jahrtausendwende aufwachsen sind, sind die erste Generation, die den Folgen des Klimawandels direkt ausgesetzt sein werden – wobei dies zunächst für von Deutschland weit entfernte Länder und Völker zutreffen wird und dementsprechend auf (noch) wenig Reaktionen innerhalb Deutschlands in der jungen Generation stößt. Wesentlich deutlicher wirken sich der durch die Nutzung so genannter neuer Medien und eine veränderte Art des Konsums (▶ Kapitel I, 2.3) geprägte Alltag zu Beginn des 21. Jahrhunderts verstärkend auf das Unsicherheitsgefühl aus. Während Multioptionalität vor allem in diesen Bereichen zunächst als große Chance erscheint, stellt sie gleichzeitig vor die Herausforderung, alltäglich in hoher Geschwindigkeit Entscheidungen treffen zu müssen, ohne dabei über geeignete Entscheidungskriterien zu verfügen. Sowohl der Blick in das Supermarktregal mit einer endlos erscheinenden Auswahl ähnlicher, aber sehr unterschiedlich präsentierter Produkte, als auch die Anzahl verschiedener Kommunikationsmedien wie Smartphones, entsprechender Nutzungstarife sowie vor allem im gängigen Sprachgebrauch als „Apps“ bezeichneter Application Software (Anwendungsprogramme zur erweiterten Nutzung eines Smartphones) zeigt die Explosion an Möglichkeiten der letzten Jahre hin zu einem enormen Überangebot an Produkten und Auswahlmöglichkeiten, mit dem die Generation Y aufgewachsen ist. Darüber hinaus eröffnet vor allem das Internet unfassbare Möglichkeiten des Konsums (auch unabhängig von der eigenen finanziellen Situation) sowie der Information. Auch dies beeinflusst die Art der Entscheidungsfindung enorm und verändert sie. Noch nie hatte eine Generation Zugang zu Informationen in solch
1. Generation Y – Wie eine Metapher für eine Generation steht
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einem großen Maß. Die jeweiligen Vor- und Nachteile von allen Produkten, Programmen oder Möglichkeiten abzuwägen, ist für die Entscheidungsfindung nicht mehr praktikabel. Das hat die Generation Y tief geprägt und lässt sie für ältere Generationen oft weniger rational und überlegt erscheinen.29 Doch auch innerhalb der Generation Y ruft das unterschiedliche Reaktionen hervor – so beschreiben zwei Vertreter ihre eigene Generation wie folgt: Wir haben unendlich viel Input, der jederzeit zur Verfügung steht: Millionen Websites, Foren, Blogs, Sender, Programme, Content – und im Schnitt vierhundert bis fünfhundert Facebook-Freunde. Deshalb sind wir von Kindesbeinen an mit der Notwendigkeit aufgewachsen zu selektieren, bis es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. Was ist relevant für mich? Womit will ich mich beschäftigen?30 Ich tue mich schwer, Entscheidungen zu treffen. Mich festzulegen. Mich einer Sache intensiv zu widmen. […] Ich sehe all die Optionen vor mir, die Verlockungen der ultramodernen Welt, in der alles möglich ist. Egal was wir wollen, was ich will, es ist meist nur einen Mausklick entfernt. Seit wann das so ist, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich Opfer eines Zeitgeistes oder freiwillig mit vollem Tempo in diese Geisteshaltung hineingedonnert bin. Es spielt im Grunde auch keine Rolle. Ich würde am liebsten immer ganz genau wissen, wo ich im Leben mit mir hin will.31
Neue politische Signaturen und Verunsicherungen, Multioptionalität insbesondere im Bereich des Konsums und zugleich scheinbare Multioptionalität („Anything goes“32) in vielen weiteren flexiblen Lebenskontexten führen dazu, dass die Generation Y sowohl mit eigensinnigem Pragmatismus sowie zugleich mit einer verstärkten Sehnsucht nach Sicherheit reagiert und mal als nicht festlegungswillige oder unsichere Generation Maybe33, mal als egotaktische Generation Me34 und am häufigsten mit der Frage „why?“ – warum? – in Verbindung gebracht, wahrgenommen und betitelt wird.
29 An dieser Stelle sei angemerkt, dass natürlich auch andere Generationen diese Veränderungen als prägend erleben. Folgt man jedoch der zu Beginn des ▶ Kapitels II skizzierten These, sind Erfahrungen, die sich in der so genannten „formativen Phase“ junger Menschen ereignen, besonders prägend für die Entwicklung von Haltungen und Handlungsweisen, so dass die hier skizzierten Veränderungen und Prägungen keineswegs ausschließlich, jedoch in einem besonderen Maß die Angehörigen der Generation Y kennzeichnen. 30 Philipp Riederle, 2013, 26 f. 31 Oliver Jeges, 2014, 55. 32 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 34. 33 Vgl. Oliver Jeges, 2014. 34 Vgl. Jean Twenge (s. o.); vgl. auch Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 125 f.
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Die 17. Shell Jugendstudie geht darauf differenzierter ein und fragt ausgehend von den die Generation Y beschreibenden Studien, 2002, 2006 und 2010, inwiefern sich in der aktuellen Studie 2015 eine neue Generationsgestalt zeigt, da erstmals die nach 2000 Geborenen und somit Angehörigen der nachfolgenden Generation bei den Befragungen in den Blick geraten. Dabei begutachtet diese Studie vor allem, wie sich der Pragmatismus der Angehörigen dieser Generation entwickelt, mit dem sie auf Unsicherheiten und Unübersichtlichkeit reagieren. Hier werden laut Studie erste Tendenzen wahrgenommen, dass sich dieser Pragmatismus ausgehend von einer starken Konzentration auf die eigene Person und das direkte persönliche Umfeld aktuell öffnet und somit die Selbstbezogenheit zukünftig zwar nicht aufgegeben wird, jedoch mit einem weiteren Blick über sich hinaus ergänzt und somit auch das jeweilige Engagement erweitert werden könnte.35 Die 17. Shell Jugendstudie betitelt die „Jugend 2015“ demnach als eine „Generation im Aufbruch“.36 Insgesamt kommt die in den Studien skizzierte Generation „erstaunlich gut mit den Ungewissheiten ihres Lebens zurecht“37, zeigt sich unaufgeregt, pragmatisch-flexibel und teils tatkräftig.38 Zugleich attestiert die 17. Shell Jugendstudie dieser Generation Sicherheit als stärkstes Bedürfnis mit Blick auf den eigenen Beruf und die sich davon ausgehend prägende eigene Biografie:39 „Im Vordergrund steht die individuelle Suche nach einem gesicherten und eigenständigen Platz in der Gesellschaft.“40 So bleibt die Generation Y in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung vor allem durch diese grundlegende Frage geprägt: Warum? Warum sollte ich mich festlegen? Was bringt es mir? Hilft es mir, meinen Platz in der Gesellschaft
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Vgl. Mathias Albert u. a., 2015a, 34 f. Vgl. Mathias Albert u. a., 2015b, 13. Mathias Albert u. a., 2015a, 36. Zur Schlussfolgerung, die Angehörigen dieser Generation „sind krisenerprobt und haben gelernt, pragmatisch mit Ungewissheiten umzugehen“, kommt auch die Studie Generation What? (vgl. Generation What?, 2016, 35). 39 Vgl. Mathias Albert u. a., 2015b, 16. In der Studie Generation What? wird „die Sorge vor sozialen Unruhen“ als die am häufigsten angegebene Sorge (mit 36 % der Befragungsgruppe) benannt, erst danach komme die Sorge „um die (eigene) finanzielle Lage“. An dieser Stelle fehlt eine Übersicht, welche Antwortmöglichkeiten konkret zur Auswahl standen. Dass eine Aufschlüsselung nach Bildungsunterschieden zudem die Verteilung, was als größte Sorge benannt wird, verschieben würde, wird ebenfalls nur erwähnt, genauere Daten werden an dieser Stelle leider nicht präsentiert. Zudem wird in der Studie offensichtlich zwischen Fragen nach der größten Sorge und der größten Angst unterschieden, auch hierzu wäre die Aufführung der Antwortmöglichkeiten für eine weiterführende Interpretation der Daten interessant (vgl. Generation What?, 2016, 33). 40 Mathias Albert u. a., 2015b, 13. Vgl. darüber hinaus Ingo Leven u. a., 2015, 78 f.
2. Generation Y – Wie sie wahrgenommen wird, denkt und handelt
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zu erreichen oder zu sichern? Oder ist es das Sicherste, mir alle Möglichkeiten offenzuhalten?41 Auch wenn es älteren Generationen oft schwerfällt, dieses Offenhalten und diese Nichtfestgelegtheit der Generation Y einzuordnen und zu verstehen, ohne sich daran zu stören, zeigt sich in diesem Verhalten der jungen Generation zunächst einmal lediglich ein natürliches Reaktionsmuster auf die veränderten Lebensumstände, die sie beim Aufwachsen geprägt haben und weiterhin prägen. Sich möglichst lange viele Optionen offenzuhalten, improvisieren und Entscheidungen korrigieren zu können, also Flexibilität mit Blick auf die eigene Lebensführung nicht nur bezüglich einzelner Termine, sind die zentralen Fähigkeiten, die sich die Generation Y in ihrer Jugendzeit recht natürlich aneignen konnte und musste, um den Alltag in dieser sich schnell wandelnden Welt zu bewältigen.42 Auch anderen Generationen werden diese Fähigkeiten aktuell immer häufiger abverlangt, da auch sie vom Wandel der Lebensumstände betroffen sind. Ihnen fällt es jedoch oft deutlich schwerer, darauf entsprechend zu reagieren, da die formative Phase bei ihnen durch andere Lebensumstände geprägt war und sie somit auch andere natürliche Fähigkeiten ausgebildet haben.
2. Generation Y – Wie sie wahrgenommen wird, denkt und handelt Der schwedische Strategieberater Andreas Parment spricht von einem Generationenwechsel, der in Unternehmen und anderen Organisationen bevorsteht und somit auch die Arbeitswelt sowie auch andere Kontexte verändern wird.43 In Zukunftsprognosen im betriebswirtschaftlichem Kontext wird regelmäßig darauf hingewiesen (zum Teil unter dem Begriff des War for Talents), dass der Personalbedarf zukünftig aufgrund der einerseits gegenüber der Generation der Babyboomer geburtenmäßig schwächeren jüngeren Jahrgänge quantitativ als auch qualitativ nur schwer zu decken sein wird. Die Konzentration liegt in diesem beginnenden Wettbewerb der Arbeitgebenden auf den so genannten High Potentials, die auch im Zuge dieser Ausführung zur Generation Y meist im Fokus stehen.44 So kann unter anderem der demographische Wandel der Gene41 42 43 44
Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 32. Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 31–35. Vgl. Anders Parment, 2013, 11 f. Vgl. ebd., 3; Julia Ruthus, 2014, 3; Martin Klaffke, 2014a, 3–6 sowie diverse Beiträge in Werner Widuckel u. a., 2015 – insbesondere: Malte Ristau-Winkler, 2015.
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ration Y (vor allem zukünftig) zu einer tendenziell komfortabler werdenden Ausgangsposition und geringerer Angepasstheit am Arbeitsmarkt verhelfen45. Aktuell ist die Generation der so genannten Babyboomer46 diejenige, welche die Kultur in Unternehmen und Organisationen am stärksten prägt, auch in den Kirchen. Es zeichnet sich jedoch für viele Angehörige dieser Generation der Übergang in den Ruhestand ab. Hier gerät die Generation Y in den Blick und in die Position im Zuge dieser Veränderungen zukünftig selbst zu leiten und zu prägen. Interessanterweise sind sich die meisten Darstellungen zu den unterschiedlichen Generationen überwiegend einig darin, dass die der Generation Y vorausgehende so genannte Generation X weniger eine Generation ist, von der grundlegende Veränderungen ausgingen oder zukünftig – z. B. in Unternehmen oder Organisationen – ausgehen werden.47 So betiteln Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht die Generation Y als „heimliche Revolutionäre“ und widmen ein ausführliches Kapitel der Beschreibung, „[w]ie Ypsiloner Bildung und Beruf revolutionieren“48. Die bisher vor allem von der soziologischen Jugendforschung geprägte Perspektive wird in diesem Teil der Arbeit um betriebswirtschaftliche Sichtweisen und Analysen ergänzt. Denn hier findet die Auseinandersetzung damit, inwiefern diese Generation zukünftig Unternehmen und Organisationen prägen und gegebenenfalls verändern wird sowie auch welche Veränderungen notwendig sein könnten, damit sich Angehörige dieser Generation für ein spezifisches Unternehmen entscheidet, am stärksten statt. Während die V. KMU einen Relevanzverlust der Kirche insbesondere in der Generation junger Erwachsener verzeichnet, finden sich im kirchlichen Kontext dennoch bisher kaum spezifischere Studien und Analysen zu dieser Generation. Während sich Unternehmen aktuell konkret mit der Generation Y als der Generation, die die Zukunft prägen wird, auseinandersetzen, zeigen die Kirchen sich an dieser Stelle eher abwartend. Anders Parment liefert ausgehend von der Frage vieler Unternehmen, öffentlicher Organisationen, Vereine und Kirchen – auch in Deutschland –, „was an dieser neuen Generation anders ist“, einen wichtigen und zudem erfahrungsbasierten Forschungsbeitrag mit konkreten Handlungsempfehlungen zur Generation Y als „[e]ine[r] neue[n] Generation von Verbrauchern und
45 Vgl. Anders Parment, 2013, 79. 46 Aufgrund der Unterschiede in der Einteilung der Generationen ist in dem eher von der betriebswirtschaftlichen Sicht geprägtem ▶ Kapitel II, 2 stets von der Generation der Babyboomer im Sinne der ungefähr zwischen 1956 und 1965 Geborenen die Rede, da diese in dem Ansatz von Martin Klaffke nicht wie bei Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht noch einmal von der so genannten Generation der 68er unterschieden wird (vgl. Martin Klaffke, 2014a, 13). 47 Vgl. Anders Parment, 2013, 3 f.; vgl. auch Mathias Albert u. a., 2015a, 35. 48 Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 45–84.
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Arbeitnehmern“49. Im Vorwort betont der Autor, dass vor allem die für die meisten Arbeitgeber höchst relevanten „Spitzenleister“ dieser Generation im Fokus der Untersuchungen und Ausführungen stehen50, was es unbedingt zu berücksichtigen gilt und im folgenden ▶ Kapitel II. 3 noch einmal vertieft wird. Diese Vorbemerkung gilt auch für die weiteren in diesem Kapitel verwendeten Werke, die aus der unternehmerischen Perspektive skizzieren, wie sich Unternehmenskultur und Personalmanagement51 insbesondere aufgrund der Lebensentwürfe und Lebensformen der jungen Generation aktuell verändern sowie zukünftig verändern werden. Doch bevor von einer Ablösung der Babyboomer durch die Generation Y die Rede sein kann, werden beide Generationen (sowie auch die Generation X, die in den meisten Untersuchungen weniger im Fokus steht52) in den nächsten Jahren erst einmal zusammenarbeiten müssen, so dass das „Generationen-Management“53 zur entscheidenden Herausforderung im Personalmanagement wird. Mithilfe des soziologischen Erklärungsansatzes von Generationengestalten und -prägungen werden hier Altersdiversitäten in den Blick genommen und nach Handlungs- und Lösungsansätzen für die Zusammenarbeit verschiedener Generationen gesucht. Dabei gilt es zu beachten, dass es sich in solchen Ansätzen um Typisierungen und Vereinfachungen in der Darstellung von in Gruppen zusammengefassten Individuen handelt, so dass Julia Ruthus in ihrem Forschungsbeitrag zu diesem Thema unter dem Titel „Arbeitgeberattraktivität aus Sicht der Generation Y“ noch einmal darauf hinweist: Innerhalb einer Generation existieren vermutlich ebenso viele Unterschiede wie zwischen Generationen. […] Die Praktikabilität der generationsgerechten Personalarbeit bedarf dennoch gewisser Kategorisierungen, die Orientierungshilfe bieten können, jedoch keine exakten Instrumente darstellen, um individuelles Verhalten zu verstehen.54
Die Kennzeichen der Generation Y zeigen sich in diesem Kapitel insgesamt demnach häufiger in der Gegenüberstellung zur Generation der Babyboomer.
49 Vgl. Anders Parment, 2013, 3–16. 50 Vgl. ebd., VI. 51 Im unternehmerischen Kontext wird dies häufig auch als „Human Ressource Management“ bezeichnet. 52 Anders bei Jutta Oertel, wo sie gemeinsam mit den Babyboomern als „etablierte ArbeitnehmerGeneration“ skizziert wird (vgl. Jutta Oertel, 2014, 27–56). 53 So der Titel einer Veröffentlichung von Martin Klaffke (vgl. Martin Klaffke (Hg.), 2014). 54 Julia Ruthus, 2014, 6.
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2.1 Leistungsorientierung, Selbstverwirklichung und Relevanz im Hier und Jetzt Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Generationen ist die Art und Weise des Lebenslaufes, die sie jeweils geprägt hat: Während Babyboomer häufig noch die Idee der „Normalbiografie“ erlebt haben, in der die „Eintrittsphase ins Berufsleben von besonderer Prägekraft“ ist,55 finden sich Ypsiloner schon beim Berufseinstieg in einer Situation vor, in welcher der Lauf des Lebens wesentlich vom Individuum bestimmt werden muss. Dies kann ein Grund sein, warum für die jüngere Generation häufig die Leistungsorientierung stärker in den Vordergrund tritt als das Altersprinzip. So wird dieser Generation zugeschrieben, dass für sie statt Alter und Erfahrung vielmehr eigene Leistungen und konkrete Ergebnisse zählen: In einem zunehmend wettbewerbsorientierten und transparenten Umfeld haben Unternehmen sowie öffentliche Organisationen, keine Möglichkeiten und Ressourcen mehr, Mitarbeiter für frühere Leistungen zu bezahlen. Das Hier und Jetzt zählt […].56
Es geht dabei stets darum, dass sich etwas direkt als relevant für die aktuelle Situation erschließt. Traditionen können nur aufrechterhalten werden, wenn sie zum Erfolg beitragen, sie sind ebenso wie Hierarchien und Machtpositionen aufgrund von Alter oder Erfahrung nicht mehr per se respektiert und einflussreich. So wird die Genration Y von einer geringen Machtdistanz gekennzeichnet beschrieben57: Ungleichverteilung von Macht und machterhaltende Hierarchien, die sich meist nach Erfahrungs- und Altersstrukturen eher traditionell herausbilden, scheinen ihnen unbegründet und vor allem unsinnig („why?“), so dass sie hinterfragend reagieren und flexiblere, durchlässigere Strukturen einfordern. Sie lehnen Autoritäten nicht generell ab (wie es häufig als charakteristisch für die Generation X gilt58), sondern wollen sie begründet wissen. Die Gefahr liegt dabei darin, dass Erfahrung als Wert von der jungen Generation unterschätzt wird. Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass sich aus Sicht der Generation Y alles an dem Ertrag und der Relevanz für die aktuelle Situation messen lassen muss.
55 56 57 58
Vgl. Jutta Oertel, 2014, 29 f. Anders Parment, 2013, 71. Vgl. Nils Schulenburg, 2016, 15. Vgl. die Zusammenstellung von Julia Ruthus zu den Ein- und Abgrenzungen der verschiedenen Generationen (Julia Ruthus, 2014, 7).
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Ein weiterer Faktor, der zu einem leistungsorientierten Verhalten der Generation Y beiträgt, sind die veränderten wirtschaftlichen Umstände, in denen sie aufgewachsen ist. Der gegenüber den Erfahrungen der Babyboomer in ihrer Jugendzeit gesteigerte Wohlstand sowie die Sicherung der Befriedigung von Grundbedürfnissen durch den Staat führt zur Frage nach dem Sinn von Arbeit, wenn sie nicht mehr der reinen Existenzsicherung dient.59 Arbeit soll bedeutsam sein, Sinn vermitteln, der abseits von der Existenzsicherung liegt (was Kerstin Bund 2014 auf die Formel „Glück schlägt Geld“ brachte),60 und wird somit immer stärker zur Verwirklichung der eigenen Vorstellungen und Ansprüche. Besonders prägnant skizzierte Catharina Bruns in ihrem Buch „work is not a job. Was Arbeit ist, entscheidest du!“ diese neue Haltung: „Wir möchten unsere Energie sinnvoll investieren.“; „Mach das, was du bist, zu dem, was du tust.“; „Du bist verantwortlich für dein eigenes Talent. Mach was draus!“; „Schaffe, was du auf der Welt vermisst“ usw.61 Auf dem Online-Blog zum Buch folgen kontinuierlich weitere Motivationsrufe an die junge Generation, diese Haltung zu leben: „your life is your work“, „you have options“, „do not wait for further instructions“ usw.62 Zu diesem Trend zur Selbstverwirklichung sowie zur Leistungsorientierung könnten noch vielfältige weitere Ausführungen erfolgen. An dieser Stelle sei sich jedoch auf lediglich eine Anmerkung zu diesem Aspekt beschränkt, bevor dann andere Kennzeichnungen der Generation Y in den Blick genommen werden. Die Studie Generation What? weist in der Auswertung der Daten darauf hin, dass „bei der Bedeutungszuschreibung an den Beruf folgende Aspekte eine Rolle spielen: berufliche Selbstverwirklichung bzw. persönliche Erfüllung durch den Beruf, Beschäftigung und Bezahlung entsprechend der eigenen Qualifikation und das Gefühl, dass sich Einsatz bei der Arbeit auch lohnt.“63 Ob Arbeit somit eher „primär Broterwerb und nicht Selbstverwirklichung“64 ist, oder dies genau andersherum von den Befragten bewertet wird, hängt dabei deutlich vom Bildungsniveau sowie den damit verbundenen Chancen ab.
59 Vgl. Nils Schulenburg, 2016, 11. Natürlich gilt es dabei zu beachten, dass auch heute viele Menschen zur Existenzsicherung arbeiten gehen und ihr Einkommen manchmal sogar dazu nicht ausreicht. Auch heute gibt es Armut und prägt dies ebenso junge Menschen. Dennoch ist diese Realität für die Ausführungen zur Generationengestalt der Generation Y und wie sich diese auf die Arbeitskultur auswirkt von untergeordneter Bedeutung. 60 Vgl. Kerstin Bund, 2014. 61 Vgl. Catharina Bruns, 2013, 5–8. 62 Vgl. dazu die Homepage zum Buch „work is not a job“ unter folgender URL: http://blog.work isnotajob.com – zuletzt aufgerufen am 05.08.2018. 63 Generation What?, 2016, 6. 64 So lautet der Titel dieses Abschnitts in der Studie zum Thema Arbeit und Bildung (vgl. ebd., 4).
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2.2 Loyalität, Bindung und Flexibilität Die Art und Weise, wie Loyalität entsteht oder sich äußert, hat sich verändert.65 Die Generation Y ist mit einer Explosion an Auswahlmöglichkeiten im Bereich Konsum sowie auch deutlich mehr Einflussmöglichkeiten als die Generationen vor ihr aufgewachsen und ist es demnach gewohnt, souverän nach eigenen Bedürfnissen auszuwählen. Die erhöhte Markttransparenz durch das Internet sowie „konkurrenz-intensive Märkte mit einem Überschuss von Alternativen, Produkten und Angeboten“ haben die Lebenseinstellung der Verbraucher und Verbraucherinnen tief geprägt, so dass sich dies auf sämtliche Lebensbereiche auswirkt und Bindungen abschwächt, wenn sie sich nicht als persönlicher Vorteil erschließen oder auf der emotionalen Ebene bewegen.66 Diese vom Konsum geprägte Haltung lässt sich auch in anderen Lebensbereichen wie im Bereich Arbeit finden. So dass Anders Parment Fragen zur Loyalität der Generation Y unter dem Titel „Weniger Loyalität – Arbeit als Konsum“ diskutiert.67 Statt Loyalität im herkömmlichen Sinn ist Flexibilität eine viel stärker ausgeprägte und antrainierte Fähigkeit der jungen Generation (▶ Kapitel I, 2). Dies zeigt sich auch in der Befragung von „Generation-Y-Personen“ im Studium zur Bindung an ein Unternehmen per Fragebogen aus betriebswissenschaftlichem Interesse, auf die Anders Parment in seinem Werk zurückgreift:68 45 % der Befragten teilen folgende Meinung: „Das Leben ist zu kurz um mehrere Jahrzehnte in ein und demselben Unternehmen zu arbeiten“, während sich nur 11,6 % der Befragten ein Jahrzehnte andauerndes Engagement für eine Firma vorstellen können.69 Babyboomer haben demgegenüber eine sehr geringe Wechselneigung70, was auch ihr Loyalitätsverständnis prägt, so dass die Offenheit für einen Arbeitsstellenwechsel von ihnen häufig als Vertrauensbruch gegenüber dem oder der Arbeitgebenden eingestuft wird. Loyalität bedeutet in dieser Generation oft noch lebenslange Verbundenheit. Ypsiloner fühlen sich hingegen nur selten illoyal, wenn sie offen für andere Möglichkeiten sind. Dies zeigt sich z. B. in einer weiteren Befragung, die Anders Parment anführt, wo 534 Studierende 200871 per Fragebogen bezüglich ihrer Beziehungen zum Arbeitgeber befragt 65 66 67 68
Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 81. Vgl. Anders Parment, 2013, 65. Vgl. ebd. Dieser Fragebogen wurde 2007 an Studierende versendet und von 474 Studierenden beantwortet (Rücklaufquote: 49,4 %). Der Zeitpunkt der Befragung zeigt an, dass es sich hier vor allem um die älteren Angehörigen der Generation Y handelt. 69 Vgl. Anders Parment, 2013, 63. 70 Vgl. Julia Ruthus, 2014, 8. 71 Auch hier steht offensichtlich eher der ältere Teil der Generation Y im Fokus.
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wurden. Nur 19,2 % dieser Befragten können sich einen neuen Job vorstellen, aber haben Angst den Arbeitgeber zu enttäuschen, während 52,5 % angeben, dass sie eine gute Arbeit haben, sich aber alle Angebote überlegen würden und das eine oder andere eventuell akzeptieren würden.72 Was aus diesen Umfragewerten nicht ersichtlich wird, ist, in welchem Verhältnis die Befragten zum Arbeitsmarkt sowie zu einem konkreten Unternehmen stehen, da man als studierende Person eher selten schon in einem hauptberuflichen Arbeitsverhältnis steht. Dennoch scheint es plausibel, dass junge Arbeitnehmende mit dieser zu Studienzeiten ausgeprägten Haltung in das Arbeitsleben starten und es auch zukünftig die Art und Weise ihrer Loyalität und Flexibilität gegenüber ihren Arbeitgebenden beeinflusst. Diese geringe Bindung an ein Unternehmen oder eine Organisation ist einerseits durch das Aufwachsen in einer Welt der (scheinbaren) Multioptionalität geprägt, ebenso jedoch auch von den Erwartungen an die Flexibilität der Generation Y hervorgerufen. Generell gilt für diese Generation das Motto, dass man es sich nicht leisten kann, unflexibel zu sein, schon gar nicht auf dem Arbeitsmarkt. Das klingt paradox im Kontext der Ausführungen zur Arbeit als Selbstverwirklichung. Natürlich empfinden die Angehörigen der Generation Y die permanente Bereitschaft zu Veränderungen und Jobwechsel als Schlüssel zum Erfolg in den ersten Berufsjahren als sozialen Druck.73 Auch befristete Stellen bewerten sie eher als prekär als attraktiv. Dennoch ist Flexibilität längst „fester“ Bestandteil ihrer Lebenshaltung und Lebensführung geworden und schließt nicht zwingend die Übereinstimmung mit eigenen Werten und Idealen aus. Ypsiloner verfügen in allen Unsicherheiten offensichtlich über die Fähigkeit, flexibel verbindliches Engagement mit der Suche nach anderen Optionen zu vereinen, ohne dabei in einen inneren (Loyalitäts)Konflikt zu geraten, worin sie sich grundlegend von der Generation der Babyboomer unterscheiden.
2.3 Individualisierung, Netzwerkorientierung und Informationalisierung Dort, wo Ypsiloner individuell, selbstbestimmt und zugleich auch eigenverantwortlich gestalten können, entwickeln sie sich eher selten zu einsamen Individualisten, sondern bewegen sich häufig eingebettet in unterschiedliche Netz-
72 Vgl. Anders Parment, 2013, 62. 73 Vgl. ebd., 66.
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werke74. Sie tendieren seltener dazu „einsame Spitze“ zu sein, sondern fragen unkomplizierter als ältere Generationen die Kompetenzen anderer an und nehmen sie für eigene Leistungsherausforderungen in Anspruch. Sich als Teil eines Netzwerkes zu begreifen, prägt nicht nur ihr Verständnis von sozialen Kontakten, sondern auch von Erfolg. Soziale Netzwerke sind Teil des Kompetenzbereiches. Generation-Y-Personen haben den Mut, irgendjemanden, der die gewünschte Kompetenz hat, zu befragen. Andere, die gute Leistungen erreichen, setzen mich unter Druck, besser zu werden; und daher werde ich auf die Dauer persönlich davon profitieren, Teil eines Clusters / Netzwerks zu sein.75
Nils Schulenburg erläutert, dass die Gemeinschaftsorientierung in der Generation Y nicht nur stark ausgeprägt ist, sondern sich gegenüber älteren Generationen vor allem in der Art und Weise verändert hat, indem soziale Interaktionen in Gruppen bedeutsamer und die Formen sozialer Gemeinschaft vielfältiger werden.76 Unter „Gemeinschaftsorientierung“ versteht er dabei insbesondere „Netzwerkkompetenz“.77 Diese Zunahme an Bedeutung sozialer Interaktionen führt er auf die von der steigenden Komplexität der Lebenswelt bedingte Unsicherheit der Einzelnen zurück. Neben der Familie hat der Freundeskreis an Stellenwert gewonnen und stärkt die sozial somit vielfältigeren Kompetenzen der Generation Y. Sich mit anderen sowie auch anderem Wissen zu vernetzen, wird generell im Angesicht des komplexen Lebensumfelds zu einem wichtigen Wert. Aufgrund ihrer Affinität zu digitaler Kommunikation bewegen sich und denken Ypsiloner immer häufiger in unterschiedlichsten Netzwerken. So beschreibt Nils Schulenburg seine Sicht auf diese Generation und sieht in die-
74 An dieser Stelle wird der Begriff Netzwerk im Sinne der Eingebundenheit in nicht näher bestimmten Beziehungsgefügen genutzt. In den im Folgenden angeführten Zitaten und Bezügen, wird der jeweilige Netzwerkbegriff von den jeweiligen Verfassern nicht näher erläutert. Es zeigt sich dabei jedoch, dass hier neben Beziehungsnetzwerken auch Informationsnetzwerke und digitale Kommunikation als Netzwerk im Blick sind. Netzwerk erscheint hier also zunächst einmal als Synonym für nicht näher bestimmte Verbindungen von Menschen oder Themen. In ▶ Kapitel VI, 3 findet sich eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem Netzwerkbegriff. 75 Ebd., 71. 76 Vgl. Nils Schulenburg, 2016, 13. 77 „In Kombination mit der angesprochenen Affinität für digitale Kommunikation führt die starke Gemeinschaftsorientierung zu einem weiteren typischen Merkmal der Generation Y: einem zunehmenden Denken in Netzwerken […], die teilweise rein virtueller Natur sind (Facebook, XING etc.). Eine solche Netzwerkkompetenz ist für Unternehmen durchaus nützlich, denn die Generation Y ist damit stärker in der Lage, eine Vielzahl an (wenn auch nicht zwingend tiefgehenden) Kontakten zu knüpfen und zu pflegen“ (ebd., 13 f.).
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ser Netzwerkkompetenz eine große Chance für Unternehmen.78 Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht beschreiben die Generation Y sogar als „in die sozialen Netzwerke hineingeboren“79. Sie erscheinen als offen für den Einfluss von Freundinnen und Freunden sowie auch von berühmten Personen („Peer Influence“) auf Kaufentscheidungen und Musikgeschmack und bewegen sich dementsprechend viel durch die sozialen Medien und Netzwerke. Werbung muss letztlich also nicht unbedingt an ihrem Einfluss bemessen werden, sondern vor allem an ihrer Reichweite. Denn die Frage, über wen einen etwas erreicht, kann in dieser Generation maßgeblich für die eigene Entscheidung sein.80 Dies gilt auch für die Art und Weise, wie Unternehmen (und Kirchen) um junge Mitarbeitende werben und Jobangebote kommunizieren. In der Netzwerkkompetenz der Generation Y liegt demnach nicht nur eine große Chance, sondern auch eine Herausforderung für Unternehmen. Das, was in Netzwerken geschieht, kommuniziert, geteilt, verbreitet und ausgetauscht wird, hat Einfluss – guten oder auch schlechten. Das, was dort nicht vorkommt, verliert an Einfluss. Netzwerke spielen mit Blick auf soziale Kontakte eine wichtige Rolle, zugleich aber auch bei der Beschaffung von Informationen. Nils Schulenburg bezeichnet ein wesentliches Merkmal der Generation Y mit dem Begriff der „Informationalisierung“, was für „mit Informationen auf(ge)laden“ stehen soll.81 Durch die Entwicklung des Internets sowie einige Zeit später der mobilen Endgeräte ist die Generation Y daran gewöhnt, dass sie von (fast) überall zu (fast) jeder Zeit auf (fast) alle Informationen zugreifen kann82. Die wirklichen Digital Natives werden erst in einigen Jahren den Arbeitsmarkt erobern, aktuell sind es jedoch die Angehörigen der Generation Y, die auf dem Arbeitsmarkt am stärksten von diesen Entwicklungen in ihrer Jugendzeit geprägt wurden. So sind sie derzeit die Generation, die von dieser Entwicklung her in der Tendenz am besten mit dem Zugang zu der Fülle an Informationen umgehen kann und sich sowohl eine Informationsbeschaffungs- als auch Informationsverarbeitungskompetenz angeeignet hat.83
78 79 80 81 82 83
Vgl. ebd. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 147. Vgl. Anders Parment, 2013, 51. Vgl. Nils Schulenburg, 2016, 10. Vgl. ebd., 10 f. Vgl. ebd., 11.
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3. Generation Y – Wie ein Buchstabe für eine Generation steht Auch wenn die aktuelle Sicht auf junge Erwachsene durch Beiträge zur Generation Y wesentlich geprägt wird und dementsprechend eine Auseinandersetzung damit im Rahmen dieser Arbeit durchaus sinnvoll erscheint, birgt die Wahrnehmung junger Erwachsener im Spiegel der Generation Y jedoch zugleich die Gefahr, einen wesentlichen Teil der zu dieser Gruppe Gehörenden zu übersehen. So widmet sich dieser abschließende Abschnitt vor der Zusammenfassung einem differenzierteren Blick auf die Generation Y. Schon an der Betitelung der gesamten Generation mit lediglich einem Buchstaben lässt sich ablesen, dass viele Darstellungen zur Generation Y wenig differenziert, streckenweise plakativ und pauschalisierend sind. Viele weitere Buchstaben, die für die Beschreibung dieser Generation und wesentlicher Unterschiede zwischen den Angehörigen wichtig wären, werden in den Darstellungen der Generation Y wegreduziert oder schlicht nicht beachtet. Folgt man der Darstellung des deutschen Jugendforschers Klaus Hurrelmann, die er gemeinsam mit dem Journalisten Erik Albrecht 2014 zur Generation Y veröffentlicht hat84, erscheinen vor allem die sozialen Unterschiede und somit auch unterschiedlichen Zukunftsperspektiven der Angehörigen dieser Generation als unwesentlich.85 In Anlehnung an die vier unterschiedlichen Gruppen, die in der Shell Jugendstudie von 2002 skizziert wurden, stehen insbesondere die zwei starken Werte- und Mentalitätstypen im Fokus als diejenigen, „die Trends und Perspektiven der gesamten jungen Generation bestimmen.“86 Dabei machen die „selbstbewussten Macherinnen und Macher“ und „pragmatischen Idealistinnen und Idealisten“ gemeinsam etwa zwei Drittel der Generation aus. Das weitere Drittel, die „zögerlichen, skeptischen, resignierten und unauffälligen Jugendlichen“ sowie die „robusten Materialisten“, gerät in dieser Darstellung ins Abseits.87 Die in ▶ Kapitel I dieser Arbeit skizzierten gesellschaftlichen Veränderungen führen zu einer riskanten Autonomie junger Menschen – insbesondere im Übergang in den Beruf – und somit vermehrt auch zum Scheitern. Da zunehmend mehr Selbstkompetenz bei der Entwicklung der eigenen Biografie und Karriere gefragt ist und seltener vorgegebene Strukturen in ein Normalarbeitsverhältnis führen, wird die Spanne derjenigen, die von diesen flexibleren Verhältnissen 84 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014. 85 Anders präsentiert sich an dieser Stelle die Studie Generation What?, die bei der Interpretation der Befragungsergebnisse immer wieder zwischen hoch, mittel und niedrig Gebildeten differenziert, wie sich bereits in den vorausgehenden Abschnitten gezeigt hat. 86 Vgl. Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 39. 87 Vgl. ebd., 68.
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profitieren und sich gut darin zurechtfinden, zu denjenigen, die daran scheitern, vergrößert. So weisen diverse aktuelle Studien, auf die sozialen Ungleichheiten unter jungen Menschen hin – wie bereits in ▶ Kapitel I, 2 ausführlich skizziert.88 In den Darstellungen und Diskussionen zur Generation Y stehen ungeachtet dieser Unterschiede vor allem diejenigen im Fokus, die ambitioniert, mit klaren Vorstellungen, Selbstkompetenz und Flexibilität in das Erwerbsleben eintreten. Doch all diejenigen, die mit der Gestaltung dieser komplexen Übergänge überfordert sind und die Arbeitswelt nicht mitprägen und schon gar nicht verändern können, weil ihnen der Eintritt gar nicht erst gelingt, werden in diesen Darstellungen der Generation Y allenfalls am Rande erwähnt. Sie warten nach Klaus Hurrelmanns und Erik Albrechts Darstellungen „nur noch latent auf Angebote der Integration“89 und werden somit zur Zielgruppe sozialer sowie staatlicher Hilfesysteme, während etwa zwei Drittel dieser Generation das gesamte Interesse der Wirtschaft auf sich ziehen.90 Doch auch die am Rand dieser Darstellungen Stehenden sind Teil der Generation Y, ebenfalls mit Multioptionalität aufgewachsen und von neuen technischen Entwicklungen 88 Ergänzend sei hier noch ein Beispiel aus der 17. Shell Jugendstudie aufgeführt, in dem sich diese Unterschiede im „Trend zur Sicht auf persönliche und gesellschaftliche Zukunft“ zeigt, der in dieser Studie nach relevanten sozialen und persönlichen Merkmalen differenziert ausgewertet wird (vgl. Ingo Leven u. a., 2015, 106 f.): Während ein genereller Optimismus in der „Oberen Schicht“ bei knapp 50 % der Befragten zu verzeichnen ist, sind es weniger als ein Viertel der „Unteren Schicht“, die diesen Optimismus teilen. Hier sind es fast 50 % der Befragten, die in beide Richtungen (persönlich sowie gesellschaftlich) pessimistisch in die Zukunft blicken, während sich in der „oberen Schicht“, „oberen Mittelschicht“ und „Mittelschicht“ weniger als ein Viertel derart pessimistisch zeigen. Die „soziale Herkunft“ scheint demnach in hohem Maße die optimistische oder auch pessimistische Sichtweise der jungen Generation zu beeinflussen und diese somit auch deutlich zu spalten. Wird zudem der „soziale Status“ als unterscheidendes Kriterium berücksichtigt, sind es in dieser Altersgruppe diejenigen, die das Gymnasium besuchen sowie Studierende, die sich zu je 44 % als „Allroundoptimisten“ in diesem doppelten Sinn bezeichnen. Von den weiteren in dieser Altersgruppe Befragten geben sich noch 38 % der Erwerbstätigen als ebenso optimistisch, bei Auszubildenden (35 %), Schülern und Schülerinnen anderer Schulformen (32 %), Arbeitslosen (26 %) und Nichterwerbs tätigen (22 %) nimmt der Optimismus kontinuierlich ab, während die Anzahl derjenigen, die mit pessimistischem Blick in die persönliche sowie gesellschaftliche Zukunft schauen, ebenso kontinuierlich steigt. Auch die Studie Generation What? stellt die Frage nach dem Blick in die Zukunft und weist dabei ebenfalls auf die Unterschiede der verschiedenen Bildungsgruppen hin. Dort zeigt sich jedoch bei den „Bildungsfernen“ ein Anteil von 52 % und bei den „Hochgebildeten“ mit 67 % optimistisch (vgl. Generation What?, 2016, 30 f.). Nähere Differenzierungen gibt es in dieser Studie jedoch dazu nicht. 89 Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 40. 90 Im 15. Kinder- und Jugendbericht wird skizziert, inwiefern diese Zielgruppe aktuell im Bereich sozialpädagogischer Hilfen sowie der Sozialgesetzgebung in den Blick genommen wird. Zugleich wird dabei darauf verwiesen, dass es expliziter Anstrengungen bedarf, diese Zielgruppe auch in den Fokus der Unternehmen zu rücken (vgl. BMFSFJ, 2017, 9 f.).
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und Medien sowie veränderten politischen Signaturen in ihrer formativen Phase geprägt. Vor welchen Herausforderungen sie jedoch konkret stehen und vor welche Herausforderungen sie unsere Gesellschaft sowie auch den Arbeitsmarkt stellen, wird fast ausschließlich in der Fachliteratur der Erziehungswissenschaften sowie der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit diskutiert. Bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff und Phänomen der Generation Y gilt es demnach zu beachten, wer unter diesem Sammelbegriff im Fokus steht und wer dabei aus dem Blick gerät, da Darstellungen einer Generation immer „systematisch verzerrt“ sind, indem sie „vor allem spezifische Merkmale von ‚Leitmilieus‘ abbilden“.91 So blenden praktisch alle für verschiedene Generationsgestalten diagnostizierten Eigenschaften – sei dies hinsichtlich der 68er Generation, hinsichtlich der Null-Bock und No-Future Generation der 1980er Jahre, der Generation X und der Generation Y usw. – die Lebenslagen und -gefühle der sozial Benachteiligten mit geringen Bildungs- und Aufstiegschancen aus.92
Da für das bereits skizzierte Forschungsvorhaben der vorliegenden Arbeit anzunehmen ist, dass die darin fokussierten Ausdrucksweisen des Glaubens, tendenziell von einer recht hohen Eigeninitiative der Beteiligten geprägt sein werden, wird sich auch hier vermutlich eher das Gestaltungspotential der „Leitmilieus“ einer Generation wiederfinden lassen. So scheint die Auseinandersetzung mit der Generation Y an dieser Stelle insofern relevant, dass Haltungen sowie Handlungsweisen, die hier für diese Generation (und somit für die eher höher gebildeten aktuellen jungen Erwachsenen) als kennzeichnend markiert werden, der Annahme nach auch diejenigen kennzeichnen, die die gesuchten Ausdrucksformen des Glaubens maßgeblich prägen. Aus kirchlicher Perspektive geraten junge Erwachsene, die in Übergängen „hängenbleiben“ oder daran scheitern insbesondere bei Angeboten und Einrichtungen der Diakonie in den Blick, die jedoch nicht im Fokus der angestrebten Untersuchung stehen.
91 Vgl. Mathias Albert u. a., 2015a, 36. 92 Ebd.
4. Zusammenfassung
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4. Zusammenfassung Während die Lebenslaufforschung junge Erwachsene als Menschen in Übergangssituationen skizziert, die vorrangig vom Übergangsprozess in den Arbeitsmarkt geprägt sind, wirft dieses Kapitel II einen Blick auf die generationstypischen Prägungen und Haltungen derjenigen, die aktuell vorrangig mit diesen Übergangsprozessen beschäftigt sind. Da die Forschung zur Generation Y Typisierungen unterliegt, ist dabei zu beachten, dass dabei vor allem „Leitmilieus“ in den Blick geraten und es weniger um individuelle Schwierigkeiten in Übergangsprozessen geht, die das junge Erwachsenenalter ebenfalls prägen. Folgende Erkenntnisse zu jungen Erwachsenen im Spiegel der Generation Y lassen sich ausgehend von den Ausführungen letztlich zusammentragen: Flexibilität in der gesamten Lebensführung wird vielfach als ihre stärkste natürlich erlernte Fähigkeit benannt. Zugleich wird Flexibilität zum eigenen Anspruch an Systeme und Menschen des Umfeldes, so dass Ypsiloner oft ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit, Freiheit und Eigenverantwortung einfordern. Andererseits ist Flexibilität auch das, was die Angehörigen der Generation Y insbesondere in ihren Übergangsprozessen in den Beruf als Erwartung und Druck empfinden und in ihnen Sehnsucht nach (vor allem beruflicher) Sicherheit weckt. Loyalität und Bindungen verändern sich im Kontext dieses von Flexibilität geprägten Lebens und werden von der Generation Y neu interpretiert. Sie sind keine Einzelkämpfer oder Einzelkämpferinnen, sondern an sozialen Interaktionen orientiert, was sich bei ihnen vor allem in ihrer Netzwerkkompetenz ausdrückt. Sie stehen durchaus mit dem, was sie tun, wo sie arbeiten und mit denen, die ihnen wichtig sind, in verlässlicher Verbindung, fühlen sich dabei aber selten gebunden, sondern halten sich für andere Optionen offen und bereit. Als Schlüsselbegriff für die Generation Y fungiert die Sinnhaftigkeit im Sinne der persönlichen Erschließung von Sinn. Entsprechend ihrer Betitelung mit „why?“ – „warum?“ – hinterfragen sie vorfindliche Strukturen, Systeme, Traditionen, Abläufe, Verhaltens- und Vorgehensweisen. Nur dort, wo diese Frage beantwortet wird und sich ihnen der Sinn erschließt, sind sie bereit, etwas oder jemanden zu akzeptieren, zu respektieren und sich mit hoher Leistungsorientierung zu investieren. Sie sind damit stark daran orientiert, dass sich Handlungen und Entscheidungen als im Hier und Jetzt aus ihrer Perspektive relevant zeigen. Die Frage nach Sinn und Relevanz für den Lebensalltag nutzen sie zur Orientierung in dieser oft unübersichtlichen Welt. Übersicht und Orientierung erlangen sie gegenüber älteren Generationen erstaunlich schnell, wenn
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es um die Flut von Informationen geht, die heutzutage zugänglich sind und die sie sowohl zielgerichtet beschaffen als auch verarbeiten können, was sie zu sehr wertvollen Arbeitnehmenden sowie auch Gesellschaftsmitgliedern macht.
III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
Junge Erwachsene werden in ▶ Kapitel I weniger von normierten Lebensläufen als von einem auf das Individuum konzentrierten Leben geprägt beschrieben. ▶ Kapitel II ergänzt diesbezüglich die Beobachtung, dass sie stark an ihren eigenen individuellen Vorstellungen orientiert das Leben gestalten. Das wirft die Frage auf, inwiefern ein individualisierter Kontext sowie eine zunehmend individualisierte Gesellschaft die eigene Religiosität und die Rolle der Kirche als einem Ort von Religion verändert – insbesondere im Leben junger Erwachsener, deren Lebenssituation von unabgeschlossenen Übergangsprozessen geprägt ist. Wie wirkt sich dies auf die Ausbildung eigener religiöser Überzeugungen und Zugehörigkeiten aus? Und welche Auswirkungen hat die Beobachtung, dass Entwicklungsprozesse insgesamt vermehrt neue Ausdrucksformen annehmen? Wie steht es um die Begründung einer eigenen religiösen Existenz junger Menschen? Finden sich hier ebenfalls veränderte, unkonventionelle Formen von Religiosität? Und welche Rolle spielt dabei die Kirche? Diesen Fragen widmet sich Kapitel III und sucht dazu Antworten in kirchlichen sowie religionssoziologischen Studien.
1. Studien zur Religiosität junger Erwachsener Die Entwicklung von Religiosität und religiöser Orientierung gehört im Kontext der von Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel skizzierten Entwicklungsaufgaben in den Bereich der Begründung einer eigenen politischen Existenz (▶ Kapitel I, 2.4). Hier geht es, genereller gefasst, „um die Entfaltung eines persönlichen Systems von Werten und ethischen Prinzipien der Lebensführung, die mit dem eigenen Verhalten und Handeln in Übereinstimmung stehen und eine sinnvolle Lebensorientierung ermöglichen […]“1 sowie „zur aktiven Beteiligung an Angelegenheiten der sozialen Gemeinschaft“2 befähigen. Neben politischen Orientierungen müssen dazu religiöse, moralische und ethi-
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Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, 2013, 30. Ebd., 37.
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sche Werte ausgebildet werden, um sich öffentlich artikulieren und partizipieren zu können.3 Dabei zeigt sich in ▶ Kapitel I, 2.4 zunächst die kritische Wahrnehmung junger Menschen als politikverdrossen. Doch ausgehend von einem weiter gefassten Politikbegriff (vgl. den Ansatz des 15. Kinder- und Jugendberichts) wird deutlich, dass junge Erwachsene nicht generell weniger politisch interessiert und aktiv sind, sondern insbesondere ihre Ausdrucksweisen weniger traditionellen Vorstellungen entsprechen. Interessant ist dabei, dass sie sich selbst häufig als „unpolitisch“ beschreiben. Für den Bereich der Religiosität gilt es demnach zu überprüfen, wie sich Religiosität junger Erwachsener in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ausbildet und äußert und wie sie sich hinsichtlich dieses Aspekts selbst beschreiben sowie zu vorfindlichen religiösen Organisationen und Institutionen – insbesondere der Kirche – in Beziehung setzen. Damit ist erneut der spezifische Fokus der vorliegenden Arbeit bereits benannt: Ein besonderes Interesse besteht in der Untersuchung des Verhältnisses von jungen Erwachsenen und Kirche. Spezifische Studien, die die Ausbildung der religiösen Identität junger Menschen (in Deutschland) im Kontext der skizzierten Entwicklungsaufgaben ebenso fokussieren, wie sie die Bewältigung anderer Entwicklungsaufgaben diskutieren und studieren, lassen sich nicht finden. So wird an dieser Stelle auf folgende fünf unterschiedliche, aktuelle Studien zur Religiosität zurückgegriffen, die für die Fragen zu jungen Erwachsenen dennoch einen konkreten Ertrag erhoffen lassen und bereits im forschungsgeschichtlichen Überblick (▶ Einleitung) erwähnt wurden: 1. „Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft“ (2014)4 ist eine Schweizer Studie, die weniger zwischen einzelnen Altersgruppen differenziert, jedoch eine neue und beachtenswerte Theorie liefert, die die religiöse Entwicklung in individualisierten Gesellschaften interpretiert. Dies erscheint für den aktuellen Kontext in Deutschland ebenso wie für die konkreten Fragen dieses Kapitels als relevant. 2. „Jugend und Religion“ (2011)5 ist eine Studie von Heinz Streib und Carsten Gennerich, die 12- bis 25-Jährige in Deutschland befragt und in der Auswertung insbesondere die Lebensphase und Lebenslage Junge Erwachsene – in Anlehnung an Jeffrey J. Arnetts Konzept emerging adulthood – in den Blick nimmt. Es ist die derzeit aktuellste und einzige deutsche Studie, die nicht nur auf die besondere Situation in den alten Bundesländern bezogen
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Vgl. ebd., 32. Jörg Stolz u. a., 2014. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011.
1. Studien zur Religiosität junger Erwachsener
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ist, zur Religiosität junger Menschen, die sich neben dem Jugendalter auch auf die Phase der Postadoleszenz fokussiert.6 3. „Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft“ (2014/15)7 stellt sich als erste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Aufgabe, in diesem Kontext „das Wissen über Jugendliche und junge Erwachsene zu vertiefen“8. So generiert sie anhand einer dementsprechend „kontrollierten Überquotierung“ junger Menschen Daten, die eine Differenzierung zwischen Jugendlichen (14- bis 21-Jährige) und jungen Erwachsenen (22- bis 29-Jährige)9 zu den abgefragten Themenkomplexen ermöglichen. 4. „Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland“ (2013)10 ist eine unter dem Begriff „Religionsmonitor“ bekannte internationale Studie, die nach den Veröffentlichungen 2008 zum zweiten Mal die Bedeutung der Religiosität in verschiedenen Gesellschaften untersucht hat und mit dieser Ausgabe die Ergebnisse für Deutschland präsentiert. Sie gilt als ein wichtiger Datenlieferant in diesem Themenfeld und differenziert zwischen drei Altersgruppen, so dass zum Teil auch für junge Erwachsene Schlüsse gezogen werden können, wenn man sie statistisch-pragmatisch vor allem zur jüngsten befragten Altersgruppe dieser Studie, den 16- bis 30-Jährigen, zählt. 5. Zudem gilt es insbesondere zwei Studien zur Dekonversion wahrzunehmen. Dabei wird einerseits die Studie „Deconversion“ (2009)11 vom Bielefelder Religionsforscher Heinz Streib und seinem internationalen Forschungsteam herangezogen, die ein sehr differenziert angelegtes und weites religiöses Feld 6 Anders die Studien der aej (vgl. Mike Corsa / Michael Freitag, 2014), die sich auf evangelische Kinder und Jugendliche und somit jüngere Lebensphasen konzentrieren sowie die regelmäßig erscheinende Lebenswelten-Studie „Wie ticken Jugendliche?“ mit einem ausführlichen Abschnitt zur Religiosität, die sich jedoch ebenfalls auf 14- bis 17-Jährige konzentriert („U18“) (vgl. Marc Calmbach u. a., 2011; Marc Calmbach u. a., 2016) und nur einmalig im Jahr 2007 als katholische Sinus-Milieustudie „U27“ (vgl. SINUS U27, 2008) junge Menschen über das 18. Lebensjahr hinaus in den Blick genommen hat – diese Daten beziehen sich jedoch ausschließlich auf katholische Jugendliche und junge Erwachsene und sind zudem nicht mehr als aktuell zu bewerten. Auch die Shell Jugendstudien haben sich zuletzt 2006 ausführlicher mit der Religiosität junger Menschen beschäftigt, so dass nur am Rande auf die wenigen aktuellen Daten zur Religiosität 12- bis 25-Jähriger im Rahmen der letzten Shell Jugendstudie von 2015 zurückgegriffen werden kann. 7 EKD, 2014 und Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015. 8 Gert Pickel, 2015, 145. 9 Diese Differenzierung anhand des Alterskriteriums erfolgt in dieser Studie aus forschungspragmatischen Gründen, während zugleich herausgearbeitet wird, dass nach inhaltlichen Aspekten anhand der Anzahl der bewältigten Übergänge zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterschieden werden muss (vgl. ebd., 145), was der Definition Junger Erwachsener der vorliegenden Arbeit entspricht. 10 Bertelsmann Stiftung, 2013. 11 Heinz Streib u. a., 2009.
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III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
skizziert und so auf religiöse Entwicklungen und Biografien aufmerksam macht, die im Kontext der anderen Studien nicht in den Blick kommen. Hier stehen jedoch nicht junge Erwachsene im Fokus, auch wenn sie in dieser Studie durchaus in den Blick geraten. Ergänzend wird somit auf die Studie „Warum ich nicht mehr glaube“ (2014)12 des empirica-Forschungsteams zurückgegriffen, da diese Studie Dekonversion im jungen Erwachsenenalter untersucht und dabei zudem auf den Kontext in Deutschland bezogen ist.13 Darüber hinaus gibt es einige Studien, die die religiöse Entwicklung in den so genannten neuen Bundesländern der Bundesrepublik untersuchen. Dieser spezifische, besonders stark von Säkularität geprägte Kontext erscheint in den Studien zur Religiosität insgesamt als ein Sonderfall. Gert Pickel erklärt umfassend und differenziert, inwiefern es zu dieser besonderen Situation in diesem Gebiet gekommen ist14, die aus seiner Sicht kein „unerklärlicher Sonderfall“15 ist, sondern aufgrund eines Zusammentreffens „besonders ungünstiger Konstellationen“ zu einer Situation geführt hat, in der sich institutionalisierte sowie nichtinstitutionalisierte Religiosität anders ausgeprägt haben als in vielen anderen Kontexten, was bis heute zu einer geringen religiösen Vitalität führt.16 Neben den häufig als pauschaler Grund benannten politischen Rahmenbedingungen, weist er darauf hin, dass allein diese Begründung nicht hinreichend ist,17 sondern für diese ungünstige Konstellation ebenso „kulturelle und historische Prägungen [Hervorhebung im Original] eine zentrale Bedeutung für die heute feststellbare religiöse Vitalität der europäischen Länder zukommt“ und sich „insbesondere die konfessionelle Prägung des Landes […] positiv oder negativ auf das Tempo [Hervorhebung im Original] des religiösen Traditionsverlustes aus[wirkt]“18. Da sich das vorliegende Forschungsvorhaben bei der empirischen Untersuchung nicht auf die spezifischen Entwicklungen in diesem Gebiet bezieht, sondern das Vorhaben verfolgt, insbesondere Daten zum Gebiet der EKiR zu sammeln, wird an dieser Stelle davon abgesehen, sich mit Studien zu beschäftigen,
12 Tobias Faix u. a., 2014. 13 Zwei weitere ganz aktuelle Veröffentlichungen zur Religiosität junger Erwachsener sowie ihres Verhältnisses zur Kirche („Jung – Evangelisch – Engagiert“ sowie „Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche“) wurden im forschungsgeschichtlichen Überblick erwähnt, finden jedoch aufgrund ihres Veröffentlichungszeitpunktes kurz vor sowie kurz nach Beendigung dieses Forschungsprojekts lediglich zum Teil bei der Auswertung der Interpretation am Ende dieser Arbeit Berücksichtigung. 14 Vgl. Gert Pickel, 2011a. 15 Vgl. ebd., 184. 16 Vgl. ebd., 188. 17 Vgl. ebd., 184. 18 Vgl. ebd., 186.
2. Theorien zur religiösen Entwicklung in postmodernen Gesellschaften
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die eine besondere Ausprägung von Religiosität in einem anderen spezifischen Kontext in den Blick nehmen. In einem Forschungsvorhaben, das mit ähnlicher Fragestellung auf diesen spezifischen Kontext bezogen ist, sollten wiederum Studien zur Religiosität in den neuen Bundesländern besondere Beachtung finden, während in diesem Forschungsvorhaben auf eine Analyse derselben verzichtet wird. Da es zudem um die Fokussierung des Verhältnisses von jungen Erwachsenen und der christlichen Religion sowie spezifisch der Kirche geht, stehen aktuelle Studien zu Muslimen in Deutschland19 nicht im Blickfeld der folgenden Ausführungen, auch wenn dieses Thema die Auseinandersetzungen mit Religiosität derzeit stark prägt.
2. Theorien zur religiösen Entwicklung in postmodernen Gesellschaften Bei der Analyse dieser Studien zeigen sich in der Anlage ihrer jeweiligen Methodik, ihres jeweiligen Forschungsfeldes und Zugangs zum Thema unterschiedliche Begrenzungen sowie auch Chancen für die Auswertung mit Bezug auf die skizzierten Fragestellungen dieses Kapitels. Entscheidend ist dabei vor allem der jeweils zugrundeliegende Religionsbegriff, wie Gert Pickel mit Bezug auf Detlef Pollack deutlich macht: Der soziologische Begriff von Religion unterliegt einer relativ hohen Deutungspluralität. […] Die Unterschiede in den Definitionen entsprechen oft auch Unterschieden in den theoretischen Konzepten der Betrachtung von Religion in der Gegenwart.20
Insgesamt gibt es derzeit drei vorherrschende Theorien, mit denen die religiösen Entwicklungen in modernen sowie postmodernen Gesellschaften erklärt werden. Kurz skizziert, gehen diejenigen, die die so genannte Säkularisierungstheorie vertreten,21 davon aus, dass verschiedene Elemente der Modernisierung in westlichen Gesellschaften seit der Industrialisierung – wie z. B. die Ausdifferenzierung sowie Pluralisierungen der Gesellschaften, die Anhebung 19 Mit dem aktuellen Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung 2017 liegt beispielsweise eine solche Studie vor (vgl. Bertelsmann Stiftung, 2017). 20 Gert Pickel, 2011b, 24. 21 In Deutschland sind Gert Pickel und Detlef Pollack die bekanntesten Vertreter der Säkularisierungstheorie.
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des Lebensstandards und Zunahme an wissenschaftlichen Erklärungen für zuvor unerklärliche Phänomene – dazu geführt haben, dass Religion als übergreifendes und die Gesellschaft zusammenhaltendes sowie für das Individuum bedeutsames System insgesamt an Relevanz verloren habe.22 In diesen Kontext ordnet sich Gert Pickel mit seiner Auswertung der Ergebnisse zur jungen Generation sowie der Gesellschaft insgesamt in der V. KMU ein. Er verweist dabei zugleich auf die diesen Deutungen gegenüberstehende Individualisierungstheorie als alternatives Erklärungsmodell, spricht sich jedoch für ein christlich(-kirchlich) geprägtes Verständnis von Religion (im Rahmen einer Kirchenmitgliedschaftsstudie) aus.23 Da ausgehend von diesem Religionsverständnis vor allem eine Abnahme kirchlicher Verbundenheit, religiöser Prägung und Sozialisation in der Gesellschaft zu beobachten sei, schlussfolgert er, dass diese „Stabilität im Abbruch“ den Trend einer zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft anzeige.24 Dieser Trend zeige sich insbesondere mit Blick auf die Daten der beiden jüngsten befragten Altersgruppen dieser Studie, in denen die kirchliche Verbundenheit seit 1972 konstant am schwächsten ausgeprägt25 und der Austrittswille derzeit am häufigsten zu finden sei26. Zudem nehme auch die subjektive Religiosität über die Generationen hinweg27 ebenso wie die Bedeutung von Religiosität für die eigene Identität im Leben kontinuierlich ab28. So fasst Gert Pickel die Auswertung der Daten der V. KMU wie folgt zusammen und spricht damit von einer generationalen Säkularisierung in der Kirche: Je jünger, desto weniger Religiosität findet man im Leben des evangelischen Kirchenmitglieds [Hervorhebung im Original].29
Aufgrund eines weiter gefassten Religionsbegriffs werden die gesellschaftlichen Veränderungen aus individualisierungstheorischer Perspektive als vielgestaltigere und individuellere, also lediglich transformierte Ausdrücke von Religion wahrgenommen, die keineswegs aus der Gesellschaft verschwinde.30 Damit kritisieren die Vertreterinnen und Vertreter der Individualisierungstheorie31 den ihrer 22 Vgl. Jörg Stolz u. a., 2014, 11. 23 Vgl. Gert Pickel, 2015, 144, Fußnote 7; 153. 24 Vgl. ebd., 149 f. 25 Vgl. ebd., 147–149. 26 Vgl. ebd., 149 f. 27 Vgl. ebd., 153. 28 Vgl. ebd., 157. 29 Ebd. 30 Vgl. ebd., 143 f. 31 Vgl. dazu vor allem Thomas Luckmann, als bekanntester Vertreter und Begründer dieser Theorie, mit seinem Werk „The invisible religion“ (Thomas Luckmann, 1967).
2. Theorien zur religiösen Entwicklung in postmodernen Gesellschaften
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Meinung nach zu eng gefassten und zu stark auf traditionelle sowie kirchlichchristliche Aspekte konzentrierten Religionsbegriff der Säkularisierungstheorie. Heinz Streib wirbt (gemeinsam mit Carsten Gennerich) in seinen Studien für ein weiter gefasstes Verständnis von Religiosität, ohne das viele Biografien und Bewegungen im religiösen Feld gar nicht wahrgenommen werden könnten32 und erweitert zudem auch die Begrifflichkeiten um den Ausdruck Spiritualität, als neue Möglichkeit für institutionell Distanzierte, sich im religiösen Feld zu verorten33. Die wichtigste Leistung der Individualisierungstheorie ist ihr Aufzeigen der individuellen Wahlfreiheit und deren Auswirkungen auf den religiösen Bereich, die zu vielfältigen Bewegungen und dekonversiven Prozessen in diesem Feld führen können34, bisher jedoch wenig Beachtung in Studien zur Religiosität gefunden haben. Dies ist eine ernstzunehmende und wesentliche Beobachtung für sämtliche religiöse Institutionen und Organisationen. Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Theorie müssen sich jedoch zugleich der Kritik stellen, dass ihre Definition von Religion stark an Trennschärfe verloren hat, da so beinahe jede Handlung und jedes Erlebnis als religiös erklärt werden kann (Fußball, Fernsehwerbung, Aufsuchen von Heilpraktikerinnen und -praktikern, usw.). Diese Deutung wird zudem zum Teil auch unabhängig vom Urteil des Subjektes vorgenommen. Dieses Übergehen des Individuums widerspricht jedoch einer Theorie der Individualisierung, worin das Paradox dieses Ansatzes liegt. Als dritte, an der Individualisierungstheorie anknüpfende Möglichkeit, wird aktuell die so genannte Markttheorie diskutiert, die anhand von ökonomischen Grundsätzen und Einsichten die Veränderungen im Bereich des Religiösen zu erklären versucht. Dabei wird als Reaktion auf die Säkularisierungstheorie von einem vielmehr konstant bleibenden religiösen Bedürfnis (Nachfrage) ausgegangen, dem mit unterschiedlichen Angeboten eines freien religiösen Marktes sinnvoll begegnet werden könne.35 Dort, wo jedoch der Markt zu stark institutionell reguliert werde, wie z. B. in Deutschland, so der Vorwurf der Ver32 Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 88. 33 Vgl. Heinz Streib / Barbara Keller, 2015 – insbesondere 244: „‚Spiritualität‘ ermöglicht es den Interviewten, zur Sprache zu bringen, was sie bewegt und was sie erleben, ohne dass sie dies als Religion bezeichnen oder sich als religiös verstanden wissen wollen. Damit eröffnet ‚Spiritualität‘ einen Weg aus einer areligiösen oder religionskritischen Sprachlosigkeit und bietet Raum für Kommunikation über etwas, das sich, einen breiten Religionsbegriff vorausgesetzt, als individualistische, erfahrungsorientierte ‚gelebte Religion‘ einordnen lässt (vgl. Streib: 2013), die gleichzeitig beanspruchen darf, intellektuellen und wissenschaftlich fundierten Kriterien zu genügen (vgl. Metzinger: 2013).“ 34 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 32. 35 Vgl. Jörg Stolz u. a., 2014, 11.
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treterinnen und Vertreter dieser Theorie36, entfalten sich nicht genügend unterschiedliche religiöse Angebote für die individuellen Bedürfnisse der Einzelnen. Beachtlich ist, dass diese Theorie den Blick auf die religiösen Akteurinnen und Akteure lenkt und für die Angebotskonkurrenz sensibilisiert, die auch den Bereich der Religion prägt. Jörg Stolz erweitert diese seiner Meinung nach sehr verallgemeinernde Theorie, die sich auf Erfahrungen in den USA begründet und davon ausgehend auf unterschiedlichste Gesellschaften einfach übertragen werde, ohne die jeweiligen Kontexte spezifischer in den Blick zu nehmen: Die meisten Gesellschaftsmitglieder [in der Schweiz / in westeuropäischen Ländern] sind daher Distanzierte und sehen nicht ein, warum sie den Anbieter wechseln sollen, wenn sie sowieso in nur sehr schwacher Weise Mitglied sind.“37 „So sieht sich, entgegen der Markttheorie, die grosse [sic!] Mehrheit der Bevölkerung (die dem distanzierten Typ angehört) keineswegs in einer religiösen Marktsituation. Nur im Bereich der freikirchlichen und alternativ-spirituellen Anbieter können wir von Mitgliedschaftsmärkten bzw. Kundenmärkten sprechen.38
Er knüpft an der Idee der Konkurrenz an und zeigt auf, dass über diese intrareligiöse Konkurrenz hinaus vor allem eine Konkurrenz zwischen religiösen und säkularen Optionen vorherrscht, die die heutigen westeuropäischen Gesellschaften maßgeblich prägt. So entwickelt er die Theorie religiös-säkularer Konkurrenz, die wesentliche Leistungen der drei bisher vorherrschenden Theorien integriert und weiterführt: Durch den Rückgang der prägenden Kraft religiöser Normen und Werte und den Anstieg der materiellen und zeitlichen Ressourcen in den 1960er Jahren können sich die Individuen nun als Nachfrager auf einem Markt verhalten, auf dem religiöse Güter nur ein Angebot unter vielen anderen (auch nicht religiösen Gütern) sind. Diese Entwicklung führt zur gleichzeitigen Zunahme der drei genannten Phänomene: säkularisierendes Driften, religiöse Individualisierung und religiöse Konsumorientierung.39
36 Diese Theorie vertreten vor allem US-amerikanische Vertreter wie z. B. Laurence R. Iannaccone und Rodney Stark. Die Ausweitung (auf den europäischen Kontext) einer Theorie, die sich auf den US-amerikanischen Kontext beziehe, kritisiert Jörg Stolz wiederum als Reaktion auf den Vorwurf des zu stark regulierten Marktes in (West-)Europa. 37 Vgl. Jörg Stolz u. a., 2014, 148. 38 Ebd., 209. 39 Jörg Stolz u. a., 2014, 206.
3. Kirchliche Religiosität, Indifferenz und alternative Spiritualität
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Jörg Stolz’ Theorie folgend, ist die religiöse Entwicklung in postmodernen Gesellschaften und somit auch in Deutschland40 von drei wichtigen Phänomenen bestimmt, die einander nicht alternativ gegenüberstehen, sondern gemeinsam zu säkularisierenden und zugleich individualisierenden sowie konsumorientierten Tendenzen im Bereich der Religiosität führen. Dies hat wiederum zu einer Veränderung der religiösen Zugehörigkeiten geführt, die der Religionsmonitor für die Jahre 1950 und 2010 in Deutschland vergleichend gegenüberstellt: Waren 1950 noch über 95 % der Bevölkerung katholisch oder evangelisch und andere Konfessionen und Religionen (ungefähr 5 %) ebenso wie Konfessionslosigkeit (4,4 %) ein absolutes Minderheitenphänomen, ist 2010 je knapp ein Drittel der Bevölkerung evangelisch (29,2 %), katholisch (30,2 %) oder konfessionslos (30,3 %) und sind die weiteren 10 % der Bevölkerung auf diverse Religionen (4,9 % muslimisch, 1,8 % freikirchlich, 1,7 % orthodox, 1,2 % esoterisch, 0,3 % buddhistisch, 0,1 % hinduistisch, 0,1 % jüdisch) verteilt.41 Die Gesellschaft ist somit im Bereich des Religiösen deutlich pluraler geworden, und vor allem Konfessionslosigkeit ist zu einer anerkannten Option geworden. Religiosität und Konfessionen sind nicht mehr generell vorgegeben, sondern stehen immer mehr zur Disposition des und der Einzelnen.
3. Kirchliche Religiosität, Indifferenz und alternative Spiritualität 3.1 Kirchliche Religiosität Dass die Verbundenheit junger Menschen mit der Evangelischen Kirche im Vergleich der Generationen am geringsten ist, überrascht bei der Auswertung der Daten der V. KMU wenig, zeichnete sich dies doch schon in allen Vorgängerstudien seit 1972 ab.42 Auch der hier diagnostizierte generationale Bedeutungsverlust der religiösen Identität für das eigene Leben43 erscheint zumindest aus der Perspektive der Säkularisierungstheorie zunächst wenig diskussionswürdig.
40 Die Hauptergebnisse lassen sich laut den Autorinnen und Autoren der Studie „[…] in vielem auf die Geschehnisse in anderen westeuropäischen Ländern übertragen […]“ – somit auch auf die Gesellschaft in Deutschland –, auch wenn sie „[…] streng genommen nur für die Schweiz, etwa seit 1930, […]“ gelten (vgl. ebd., 17). 41 Vgl. Bertelsmann Stiftung, 2013, 34. 42 Vgl. Gert Pickel, 2015, 149. 43 Vgl. ebd., 157.
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Dass jedoch Religiosität bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen „stark an die Kirche gebunden“ bleibt44, wie Gert Pickel resümiert, wirkt angesichts einer „Krise institutionalisierter Religion“ in unserem Kulturkreis, wie sie z. B. von Heinz Streib und Carsten Gennerich diagnostiziert wird45, erstaunlich. Wie kommt es zu dieser Schlussfolgerung in der V. KMU und wie ist diese zu bewerten? Nachdem die in der V. KMU befragten (evangelischen46) Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgehend von einem christlich-kirchlichen Religionsverständnis, gemessen mit den Glockschen Religiositätsdimensionen, die geringsten Werte im Generationenvergleich bezüglich „Austausch über religiöse Themen“, „Gebet“ und „Bibelwissen“ aufweisen47, werden so genannte „alternative Formen von Religiosität“ (Kerzen Anzünden, Pilgern, Meditation) abgefragt, welche die jüngsten Generationen ebenfalls unterdurchschnittlich häufig praktizieren48. Diesen Ergebnissen folgend scheint eine christlich-kirchliche Religiosität evangelischer Jugendlicher und auch junger Erwachsener nur gering ausgeprägt zu sein: Weniger als ein Viertel (23 %) der 22- bis 29-Jährigen49 (West)50 tauscht sich eigenen Angaben nach über religiöse Themen aus, nur etwas mehr als ein Drittel (38 %) von ihnen betet häufiger als „nie“ und ungefähr die Hälfte (52 %) schätzt das eigene Bibelwissen als „gut“ ein.51 Im Rahmen der Auswertung stellt Gert Pickel diesen Beobachtungen zur christlich-kirchlichen Religiosität Beobachtungen zur Religiosität im Sinne der Individualisierungstheorie gegenüber. Diese „individualisierte Form“ der 44 Vgl. ebd. 45 Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 24. 46 Hierzu finden sich in der Studie keine genauen Angaben, der Kontext lässt jedoch darauf schließen, dass es sich an dieser Stelle ausschließlich um evangelische Befragte handelt. 47 Vgl. Gert Pickel, 2015, 153 f. 48 Vgl. ebd. – Konkretere Daten liefert die V. KMU dazu nicht. Auf Seite 154 wird in Fußnote 17 jedoch thematisiert, dass sich in Bezug auf „spezifische Gottesdienstformen“ durchaus ein „spezifisches Interesse Jugendlicher und junger Erwachsener“ abzeichnet. Die V. KMU verpasst allerdings, dieses Interesse genauer zu untersuchen und z. B. Jugendgottesdienste als eine Option wahrzunehmen und in ihrer Attraktivität für die jüngeren (oder auch älteren?) Generationen zu überprüfen. 49 Ich beschränke mich bei der detaillierteren Analyse im Sinne meines primären Forschungsinteresses auf die Altersklasse, die in dieser Studie für die jungen Erwachsenen steht. 50 Die V. KMU differenziert bei den präsentierten Ergebnissen meist zwischen „Ost“ (befragte Personen aus den so genannten neuen Bundesländern der heutigen BRD) und „West“ (befragte Personen aus den so genannten alten Bundesländern der heutigen BRD). Da das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit nicht auf der spezifischen Situation im Osten Deutschlands liegt, erfolgt überwiegend eine Fokussierung auf die Diskussion der Daten, die mit „West“ markiert sind. Wenn sich die Werte auf die BRD insgesamt oder konkret auf den Osten beziehen, wird dies gekennzeichnet. 51 Vgl. Gert Pickel, 2015, 154.
3. Kirchliche Religiosität, Indifferenz und alternative Spiritualität
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Religiosität wurde anhand einer vermuteten potentiellen „Anfälligkeit“ speziell junger Menschen für religiöse Erfahrungen auch unabhängig von Kirchen im Rahmen der V. KMU untersucht.52 Die Ergebnisse zeigen, dass jeweils ungefähr ein Drittel der evangelischen53 22- bis 29-Jährigen die dazu formulierten Aussagen zumindest nicht gänzlich ablehnen kann:54 „Ich hatte schon das Gefühl, eins zu sein mit der Welt“ (32 %) und „Ich hatte Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, mit Gott oder einer spirituellen Macht in Kontakt zu sein“ (42 %).55 Um eine stark an Kirchen gebundene oder auch unabhängig von Kirchen gestaltete, individueller ausgeprägte Religiosität junger Menschen zu resümieren, bedarf es jedoch weiterer Untersuchungsergebnisse sowie gegebenenfalls auch einer Diskussion der Auswahlmöglichkeiten sowie Formulierungen in den Fragestellungen. Weder das eine noch das andere Fazit lässt sich aus diesen fünf unterschiedlichen Fragestellungen und Antworten, die die V. KMU dazu in einer Grafik präsentiert und Gert Pickel für die beiden jüngsten befragten Generationen analysiert, ziehen.56 Interessant wäre die Diskussion der weiteren Ergebnisse zu religiösen Erfahrungen gewesen, die in der Studie offensichtlich umfangreicher abgefragt57, jedoch nur in Form dieses kurzes Ausschnittes für die junge Generation präsentiert wurden58. Beachtenswert und weiterzuverfolgen sind für die Fragestellung dieses Kapitels im Kontext der V. KMU vor allem die Ergebnisse zur subjektiven Selbst-
52 Vgl. ebd., 154 f. Für eine Veränderung der (auch kirchlich geprägten) Religiosität im Sinne einer Erfahrungs- oder Erlebnisorientierung plädieren z. B. Heinz Streib und Carsten Gennerich (vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 66 f.). 53 Hier ist diese Angabe klar ausgewiesen. 54 Der Prozentsatz derjenigen, die diesen Aussagen zustimmen, wird nicht aufgeführt, wäre jedoch interessant, um zwischen Ablehnung, Gleichgültigkeit und Zustimmung präziser unterscheiden zu können. 55 Vgl. Gert Pickel, 2015, 156. 56 Auch der in diesem Kontext erfolgende Verweis von Gert Pickel auf das hohe Maß an Vertrauen, das die Institution Kirche auch unter ihren jungen Mitgliedern genießt (76 % der 22bis 29-Jährigen haben ein „ziemliches“ oder „starkes“ Vertrauen in die Kirche – der Durchschnittswert der Kirchenmitglieder beläuft sich hier auf 85 % (vgl. EKD, 2014, 64)), dient nicht der Plausibilisierung seines Fazits, da sich das Vertrauen in eine Institution (ohne zu klären, worauf es sich genauer bezieht) nicht direkt auf die eigene Religiosität auswirkt. 57 Vgl. Gert Pickel, 2015, 155. 58 Der im Anhang der V. KMU präsentierte Fragebogen mit Grundauszählung gibt hier zwar einige weitere Fragen unter dem Stichwort „religiöse Erfahrungen“ an, die sich jedoch überwiegend auf Fragen zum Gottesbild beziehen. Zudem fehlt eine Aufschlüsselung bezüglich der Altersklassen (vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015, 500 f.). Auch auf der beiliegenden CD-ROM finden sich dazu keine näheren Informationen, obwohl hier erweiterte Auswertungen des Fragebogens, insbesondere Korrelationen der Fragen nach Altersklassen den eigenen Angaben nach präsentiert werden sollen (vgl. ebd., 459). Auch nähere Recherchen erbrachten im Rahmen dieses Forschungsvorhabens keine neuen Erkenntnisse.
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III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
einschätzung hinsichtlich der Religiosität sowie der kirchlichen Verbundenheit junger Erwachsener. Während sich nur gut die Hälfte (54 %) der evangelischen 22- bis 29-Jährigen selbst als religiös bezeichnet und damit unter dem Durchschnitt im Generationenvergleich liegt (66 %), entspricht der Anteil der Konfessionslosen derselben Altersgruppe, der sich selbst für religiös hält, genau dem Generationendurchschnitt (9 %)59. Religiosität bleibt ausgehend von diesen Daten insofern „stark an Kirchen gebunden“, dass sich Menschen mit konfessioneller Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche deutlich häufiger selbst als religiös bezeichnen, als Menschen ohne konfessionelle Zugehörigkeit. Für die Gruppe der 22- bis 29-Jährigen zeigt sich an dieser Stelle jedoch im Generationenvergleich, dass die religiöse Selbsteinschätzung weniger stark an die Konfessionszugehörigkeit gebunden ist als in den anderen Altersklassen. Dass zudem insgesamt die Bedeutung der Kirche im Leben junger Erwachsener im Vergleich zu älteren Kohorten besonders gering ist, zeigt sich an zwei weiteren Stellen der V. KMU: Während christliche Kirchen trotz der Verluste an „Ausstrahlungs- und Anziehungskraft“ im religiösen Feld dominant60 und eine wichtige Institution in der Gesellschaft bleiben, zu der auch ein Teil der Konfessionslosen weiterhin Vertrauen haben61, wird der konkrete Kontakt der Kirchen zu jungen Menschen zunehmend geringer. Offensichtlich haben die christlichen Kirchen im Leben junger Menschen nur noch wenig Raum, in dem sie prägen können: So geben 61 % der evangelischen 14- bis 29-Jährigen62 an, selten (weniger als einmal im Jahr) bis nie die Kirche oder Gottesdienste zu besuchen63. Der Anteil derjenigen, die ebenfalls „seltener [als einmal im Jahr] bis nie“ angeben, nimmt in den höheren Altersgruppen jeweils deutlich ab, während der Anteil derjenigen, die „mindestens einmal die Woche“ angeben, zugleich signifikant je Alterskohorte ansteigt.64 Insgesamt „[…] wird die Gruppe der jungen Erwachsenen als diejenige ausgemacht, welche im Generationenvergleich in Deutschland (und im weiteren Westeuropa) am wenigsten in die christlichen Kirchen integriert ist.“65 Zudem zeigt sich eine geringe Bedeutung von Kirche im Leben junger Erwachsener bei der Analyse der Daten zu Kirchenaustritten. Während die evangelischen 14- bis 21-Jährigen noch überwiegend aus traditionellen Grün59 Vgl. Gert Pickel, 2015, 153. 60 Vgl. Bertelsmann Stiftung, 2013, 45. 61 15,5 % der Konfessionslosen geben an, der Evangelischen Kirche zu vertrauen, weitere 37,1 % vertrauen der Diakonie (vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015, 466). 62 Hier wird nicht näher zwischen den beiden jüngsten Generationen unterschieden (vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015, 479). 63 Vgl. ebd. 64 Vgl. ebd. 65 EKD, 2014, 60 f.
3. Kirchliche Religiosität, Indifferenz und alternative Spiritualität
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den, also über die Sozialisation ihrer Eltern mit der Evangelischen Kirche verbunden oder auch vielmehr an diese gebunden sind66, ist es offensichtlich die Lebensphase der 22- bis 29-Jährigen, in der eigene Entscheidungen auch im religiösen Bereich getroffen und Übergänge gestaltet werden (können oder müssen)67: „Wenn Menschen aus der Kirche austreten, dann anscheinend in der Phase des jungen Erwachsenseins und der Postadoleszenz – selten davor, selten danach.“68 Dabei ist Gleichgültigkeit gegenüber der Evangelischen Kirche (70,4 %)69 gleich nach der empfundenen Unglaubwürdigkeit (70,6 %) der fast am häufigsten benannte Grund für den Kirchenaustritt Konfessionsloser, die vormals evangelisch waren (74,7 % der Konfessionslosen, West)70. Deutlich dahinter kommt erst die Begründung der Steuerersparnis („Platz Sechs“ mit 61,9 %). Diese Gleichgültigkeit drückt sich jedoch nicht nur in Kirchenaustritten aus, sondern zeigt sich auch bei denjenigen, die Kirchenmitglieder bleiben. So sind es unter den 22- bis 29-Jährigen Kirchenmitgliedern 41 %, die angeben, sich mit der Evangelischen Kirche nicht verbunden zu fühlen71. Ausgehend von den Analysen zur V. KMU wird somit einerseits deutlich, dass sich eine von der Evangelischen Kirche geprägte Religiosität evangelischer junger Erwachsener zeigt. An dieser Stelle gilt es anzumerken, dass auch Heinz Streib und Carsten Gennerich in ihrer Studie, trotz der darin von ihnen diagnostizierten De-Institutionalisierung von Religion,72 darauf verweisen, dass es weiterhin einen Teil von jungen Menschen gibt, der seine Religiosität „in diesem Rahmen entwirft“.73 Ob die Religiosität junger Menschen jedoch als „stark an die Kirche gebunden“74 im Sinne Gert Pickels75 interpretiert werden kann, bleibt fraglich. Hier stellt sich vor allem die Frage, zu was im Verhältnis
66 Vgl. Gert Pickel, 2011b, 151: „Für die noch jungen Kirchenmitglieder ist es die Tradition, welche sie vorerst einmal in der Kirche hält.“ Bei der Frage nach dem Grund ihrer Kirchenmitgliedschaft liegt in der Altersklasse der 14- bis 22-Jährigen die Antwort, „weil meine Eltern Mitglied waren“, über dem Durchschnitt (vgl. Gert Pickel, 2015, 152). 19 % der Evangelischen dieser Altersklasse sind jedoch fest entschlossen, bald aus der Kirche auszutreten (vgl. Gert Pickel, 2011b, 149). 52 % geben an, mit der Evangelischen Kirche nicht verbunden zu sein (vgl. ebd., 148). 67 Vgl. Abbildung 2, die die Haltung zum Kirchenaustritt skizziert: Ab dem 30. Lebensjahr sinkt der Wert „fester Austritt“ auf den Durchschnitt der Generationen, während er zwischen dem 14. und 29. Lebensjahr doppelt so hoch ist (vgl. Gert Pickel, 2015, 149). 68 Ebd., 152. 69 Vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015, CD-ROM, 70. 70 Vgl. ebd., CD-ROM, 69. 71 Vgl. Gert Pickel, 2015, 148. Der Durchschnittswert aller Befragten liegt bei 32 %. 72 Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 24 73 Vgl. ebd., 63. 74 Vgl. Gert Pickel, 2015, 157. 75 Vgl. ebd.
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III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
diese Religiosität als „stark“ an die Evangelische Kirche gebunden erscheint. Denn im Verhältnis zu älteren Alterskohorten zeigt sich die Religiosität junger Erwachsener in der V. KMU deutlich weniger durch die konfessionelle Zugehörigkeit sowie durch die Teilnahme am kirchlichen Leben und den entsprechenden kirchlich-christlichen Vollzügen geprägt. Institutionen wie die christlichen Kirchen sind für die Ausbildung von Religiosität keineswegs gänzlich obsolet geworden. Es ist jedoch wahrzunehmen, dass sie an Bedeutung verlieren. Dies ist der zweite Befund dieses Abschnitts. Sowohl hinsichtlich der Regelmäßigkeit, mit der die Kirche und Gottesdienste besucht werden, sowie hinsichtlich des subjektiven Verbundenheitsgefühls mit der Kirche als auch in Bezug auf die Kirchenaustrittszahlen zeigt sich bei den untersuchten evangelischen jungen Erwachsenen eine im Verhältnis zu älteren Alterskohorten geringe Bedeutung der Kirche im Lebensalltag. Ob dieser Bedeutungsverlust der Evangelischen Kirche als prägender Instanz im Lebensalltag einem Bedeutungsverlust von Religiosität insgesamt entspricht, wird jedoch im Rahmen der skizzierten Studie meines Erachtens nicht deutlich. Der Frage nach der Bedeutung von Religiosität insgesamt geht der folgende Abschnitt nach.
3.2 Indifferenz Für die These eines „grundsätzlichen Bedeutungsverlust[s] von Religion für das Leben junger Menschen“, wie sie Gert Pickel im Kontext der V. KMU anführt76, werden zwei Gründe als besonders wesentlich herausgestellt: 1. Abbrüche in Zeiten der Lebensumbrüche – darauf geht das folgende ▶ Kapitel III, 4 näher ein. 2. Traditionsabbrüche in der religiösen Sozialisierung.77 Vor allem Letztere führen zu einer generationalen Säkularisierung nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Evangelischen Kirche, erklärt Gert Pickel. Während die V. KMU dabei den Blick vor allem auf das Elternhaus als primäre Sozialisationsinstanz lenkt78, zeigt Jörg Stolz auf, dass sich vielmehr eine Art Sozialisationsdreieck durch die Elemente der Modernisierung in der Gesellschaft verändert habe, in welchem auch die Kirche eine wesentliche Rolle spielt oder auch gespielt hat:
76 Vgl. EKD, 2014, 61. 77 Vgl. Gert Pickel, 2011b, 150. 78 Vgl. EKD, 2014, 66 sowie Gert Pickel, 2011b, 151.
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Religiöse Sozialisierung scheint in den meisten Fällen nicht darin bestanden zu haben, dass die Eltern ihren Kindern einen persönlichen Glauben vermittelt hätten. Vielmehr gab es eine Arbeitsteilung zwischen den Eltern, der Kirche und der Schule. Die Eltern befolgten die als selbstverständlich angesehenen Normen und Erwartungen und delegierten die religiöse Unterweisung an die Kirche und Schule. Alle drei In stanzen setzten – gemeinsam mit der gesellschaftlichen sozialen Kontrolle – die religiösen Normen durch.79
Offensichtlich ist, dass die Weitergabe von Religiosität in unserer Gesellschaft deutlich abnimmt, sie somit weniger zu einem traditionellen Bestandteil im Leben und immer mehr zur Option der und des Einzelnen wird. Wie die Reaktionen auf diese Entwicklung jedoch zu interpretieren sind, darin zeigt sich in den im Rahmen dieser Forschungsarbeit herangezogenen Studien jedoch Uneinigkeit. Anhand von einer hohen Unbestimmtheit der Aussagen („weder noch“) oder auch dem Ausbleiben von Antworten auf religiöse Fragestellungen („keine Angaben“) wird in der Studie von Jörg Stolz und seinem Team einerseits der „indifferente Typ“, jedoch andererseits auch der „distanzierte Typ“ abgeleitet, da sich sowohl Distanz als auch Indifferenz in Gleichgültigkeit und Unentschiedenheit bezüglich religiösen Themen ausdrücken könne.80 Die V. KMU greift auf Angaben der Befragten zurück, die anzeigen, dass selten über Religion geredet und sie noch seltener praktiziert werde, um einen Bedeutungsverlust von Religion im Leben junger Menschen zu diagnostizieren und sie dementsprechend als religiös indifferent zu skizzieren.81 Indifferenz wird hier als „Desinteresse an religiösen Themen“ begriffen.82 Dieselben Beobachtungen skizziert auch die 17. Shell Jugendstudie und schreibt dazu: „Die Religionssoziologie verwendet für diesen schon länger zu beobachtenden Rückgang der religiösen Praxis und des Glaubens den Begriff
79 Jörg Stolz u. a., 2014, 183. 80 Dies fällt vor allem bei der Skizzierung der „vier Gestalten des (Un-)Glaubens“ auf: Während der „distanzierte Typ“ als gleichgültig und unentschieden bezüglich religiöser Fragen beschrieben wird, was sich vor allem in der hohen Unbestimmtheit der Antworten zeige (vgl. ebd., 75 und 105 f.), erscheint der „indifferente Typ“ dieser Typologie zum Teil stärker ablehnend (vgl. ebd., 110), da säkularer geprägt, wird grundsätzlich jedoch als „völlig gleichgültig gegenüber“ Religion, Kirche, Glaube usw. beschrieben (vgl. ebd., 77). Den Typ des „Distanzierten“ konstruiert das Forschungsteam ausgehend von dem von David Voas beschriebenen Phänomen fuzzy fidelity (vgl. ebd., 68, Fußnote 6), das ansonsten meist eher zur Beschreibung von Indifferenz herangezogen wird. Hier zeigt sich eine gewisse Unschärfe der Begrifflichkeit, die es zu beachten gilt. 81 Vgl. Gert Pickel, 2015, 159. 82 Vgl. ebd.
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der Säkularisierung (Pickel 2011, Pollack 2012).“83 Säkularisierung bedeute jedoch nicht Atheismus, sondern zeige sich u. a. darin, dass „sich insgesamt immer mehr Jugendliche nicht zu ihrem Glauben äußern.“84 Zugleich wird in dieser Studie jedoch deutlich, dass ein großer Teil der Jugendlichen (12- bis 25-Jährige)85 „religiös unsicher“ sei, da sich häufiger „unbestimmte“ Antworten im Sinne von „weiß nicht“ finden lassen.86 Heinz Streib und Carsten Gennerich gehen in ihrer Studie wiederum davon aus, dass Postadoleszente immer häufiger im Status der jugendlichen Exploration verbleiben, was sich in einer Nicht-Festgelegtheit äußere. Dies gelte insbesondere für den Bereich des Religiösen, da es hier kaum Entwicklungsdruck durch innere oder äußere Faktoren gäbe.87 Zwischen Distanz, Gleichgültigkeit, Unsicherheit und explorativer (Sinn)S uche ist demnach insbesondere dann schwer zu differenzieren, wenn dies aus unbestimmten oder fehlenden Angaben der Befragten abgeleitet wird. Ob junge Erwachsene jedoch als religiös unsicher, indifferent (im Sinne von gleichgültig) oder explorativ begriffen werden, macht einen entscheidenden Unterschied hinsichtlich dessen, welche Bedeutung Religion in ihrem Lebensalltag hat. Darin, dass Religion insgesamt zu einer Option in einer zunehmend auch von säkularen Alternativen geprägten Umwelt wird88, sind sich die Studien überwiegend einig. Aufgrund abnehmender religiöser Sozialisierungsprozesse finden sich junge Menschen immer seltener eingebettet in religiösen Bezügen vor, sondern kommt dem jungen Erwachsenenalter auch für die Ausbildung einer eigenen religiösen Existenz eine Schlüsselrolle zu. So dass auch hinsichtlich des religiösen Bereiches eine eigene Entscheidung möglich sowie zugleich nötig89 erscheint. Ob junge Erwachsene auf die vermehrten religiösen sowie auch säkularen Optionen unsicher, gleichgültig oder vielmehr explorativ reagieren, wird je nach Studie unterschiedlich beurteilt. Dies liegt maßgeblich 83 Thomas Gensicke, 2015, 255. 84 Vgl. ebd., 256. 85 Hinsichtlich der befragten evangelischen Jugendlichen bezieht sich die folgende Aussage sogar auf den größten Teil. 86 Vgl. ebd., 254 f. 87 Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 19. 88 Vgl. Bertelsmann Stiftung, 2013, 56 f. sowie Jörg Stolz u. a., 2014, 62 und Gert Pickel, 2015, 159. In der Studie von Heinz Streib und Carsten Gennerich wird Säkularität als „individuelle Entscheidung,[…] ohne Gott zu leben“ und keine Symbolisierung für Transzendenz zu wählen, begriffen und als Grenze des religiösen Felds zumindest erwähnt (vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 26). 89 Nach Heinz Streib und Carsten Gennerich, sind die Entscheidungen im religiösen Bereich jedoch deutlich weniger „nötig“ im Sinne von „dringend“, als die Entscheidungen der anderen skizzierten Entwicklungskomplexe (▶ Kapitel I, 2), da bezüglich religiöser Entwicklung kein allgemeiner Erwartungsdruck bestehe (vgl. erneut ebd., 19).
3. Kirchliche Religiosität, Indifferenz und alternative Spiritualität
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in dem je unterschiedlich gefassten Religionsverständnis begründet. So zeigt sich insbesondere in Studien mit einem weitgefassten oder einem vom Subjekt geprägten Religionsverständnis die Tendenz dazu, junge Erwachsene als religiös-explorativ zu skizzieren90, während insbesondere Studien, die stärker institutionell geprägte Formen von Religiosität betrachten, die sich im Vollzug bestimmter Praktiken oder Zustimmungen zu spezifischen Aussagen zeigen, eher dazu tendieren, junge Erwachsene als zunehmend indifferent im Sinne von gleichgültig gegenüber Religiösem zu skizzieren91.
3.3 Alternative: Spiritualität und Individualität im Kontext von Pluralität In der V. KMU kommen zur Religiosität junger Menschen ohne evangelische Kirchenmitgliedschaft vor allem zwei Ergebnisse in den Blick: Knapp 90 % der konfessionslosen 22- bis 29-Jährigen hatten bisher noch nicht das Gefühl, mit Gott oder einer spirituellen Macht in Kontakt oder eins mit der Welt gewesen zu sein92, 9 % halten sich selbst für religiös93. Ob diese Daten miteinander korrelieren, also die ungefähr 10 %, die demzufolge so eine Erfahrung des Kontakts oder Verschmelzens schon erlebt haben, dieselben sind, die sich als religiös beschreiben oder wie sich diese Religiosität ansonsten äußert, bleibt in der V. KMU ungeklärt. Die Studie von Heinz Streib und Carsten Gennerich setzt genau an dieser Stelle an und widmet sich der Untersuchung „alternativer“ Formen von Religiosität. Wenn immer mehr Menschen auf Distanz zu religiösen Institutionen gehen und sie zugleich von einer individualisierten Gesellschaft geprägt werden, müssen ihrem Ansatz nach religiöse Handlungen und Einstellungen differenzierter als lediglich in Form von Nähe und Distanz zu institutionellen Formen von Religiosität erfasst werden94: Es reicht also nicht hin, wenn in Forschungsprojekten lediglich nach konventionellen Formen der Religiosität und traditionellen Glaubensinhalten gefragt wird; dann nämlich ist die Gefahr groß, dass Jugendliche, die nicht zustimmen, schlicht als ‚nicht
90 Dies ist beispielsweise in der im Folgenden näher analysierten Studie der Fall (vgl. ebd.). 91 Exemplarisch steht dafür die V. KMU, auch wenn in dieser Studie das Bemühen darum, „alternative Formen von Religiosität“ einzubeziehen, deutlich wird. 92 Vgl. Gert Pickel, 2015, 156. 93 Vgl. ebd., 153. 94 Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 38.
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religiös‘ klassifiziert werden, während möglicherweise weniger konventionelle, ‚neue‘ Formen der Religiosität bei diesen Jugendlichen hätten Zustimmung finden können.95
So ist die Einführung alternativer Selbstbezeichnungen für sie eine wesentliche Aufgabe in aktuellen Untersuchungen zur Religiosität. Derzeit sei dazu im westlich geprägten Teil der Welt der Begriff Spiritualität als Alternativangebot zur organisierten und institutionell geprägten Religiosität wichtig. Generell müsse die Religionsforschung semantische Trends aufnehmen und ihre Items fortlaufend überprüfen, erweitern oder korrigieren.96 Ebenso wie das religiöse Feld in „stetem Wandel“ sei und fortlaufend an die gegenwärtige Religiosität angepasst werden müsse.97 Spiritualität ist dabei ebenso wie Religiosität kein eindeutiger oder wissenschaftlich klar definierbarer Begriff. Es zeige sich jedoch, dass dieser Begriff institutionell distanzierten Menschen aktuell eine neue Option eröffne, sich im religiösen Feld zu verorten.98 So skizzieren Heinz Streib und Carsten Gennerich in ihrer Studie als eine Alternative zur kirchlich oder freikirchlich sowie von Sekten geprägten Religiosität den Bereich Spiritualität und Mystik, im Sinne einer „fluiden Religion“, die nicht mehr an religiöse Leitfiguren oder Versammlungsräume gebunden ist und für die Zukunft ein zunehmend attraktiver Bereich des Religiösen werden könnte.99 Heinz Streib und Carsten Gennerich knüpfen damit an dem Befund der V. KMU an, dass junge Menschen immer stärker auf Distanz zur Kirche gehen, und berücksichtigen insbesondere nicht-institutionell geprägte Ausformungen von Religiosität. Ihre Erkenntnisse erlauben einen deutlich differenzierteren Einblick in die Religiosität junger Menschen, als die V. KMU es trotz ihres Schwerpunkts auf der jungen Generation auch nur in Ansätzen vermag. Dazu werden in der Studie von Heinz Streib und Carsten Gennerich religiöse Biografien junger Erwachsener anhand von Interviews nachgezeichnet, womit der Grundgedanke der Invdividualisierungstheorie – in dessen Kontext sich die Autoren verorten – ernstgenommen wird, Individuen selbst zu Wort kommen und ihr Leben und ihre Religiosität erklären zu lassen. In diesem Sinne ist diese Studie weniger als repräsentativ für die Grundgesamtheit einer spezifischen Altersgruppe zu verstehen100, sondern von ihrem Ansatz her explorativ angelegt. Eine wesentliche Schlussfolgerung dieser Studie ist dabei, dass „Religiosität […] nicht 95 Ebd., 35. 96 Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 42 f. 97 Vgl. ebd., 25. 98 Vgl. dazu vor allem Heinz Streib / Barbara Keller, 2015. 99 Vgl. Kapitel 5 in: Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011. 100 So ist jedoch der methodische Ansatz der V. KMU zu beschreiben.
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gleich Religiosität ist.“101 Es kann von Religiosität insbesondere mit Blick auf junge Menschen nicht anders als im Plural gesprochen werden, was noch einmal ein Grund dafür sei, die Selbstbezeichnung „spirituell“ zu berücksichtigen.102 Letztlich kommen jedoch auch Heinz Streib und Carsten Gennerich zu dem Schluss, dass es zumindest derzeit in Deutschland unter jungen Menschen keine „spirituelle Revolution“ gäbe, die zu gänzlich neuen Ausformungen von Religiosität führe. Deutlich mehr junge Menschen (der 12- bis 25-Jährigen, die an der Bielefelder Online-Befragung teilgenommen haben) schätzen sich als „eher religiös als spirituell“ (51,1 %), denn als „eher spirituell als religiös“ (11,9 %) ein – dies ist eins der wenigen Ergebnisse, das sie in einer Gesamtschau präsentieren.103 Dennoch ist der Wert von knapp 12 % erstaunlich im Vergleich dazu, dass sich in dieser Studie nur 13 % als „weder spirituell noch religiös“ einschätzen.104 Der Religionsmonitor präsentiert ebenfalls eher verhaltene Daten zum Stichwort Spiritualität105, weist jedoch darauf hin, dass im Gegensatz zum Begriff Religiosität hier kein Kohorteneffekt im Sinne eines generationalen Bedeutungsverlusts zu beobachten sei: Im Vergleich zur ‚traditionellen‘ Religiosität ergibt sich bei der Spiritualität ein etwas anderes Bild: Es sind nicht die Älteren, sondern die Jüngeren, die dieser Form der ‚neuen‘ bzw. ‚alternativen‘ Religiosität eher zuneigen.106
Dennoch erklären Heinz Streib und Carsten Gennerich, dass es sich bei alternativen spirituellen Phänomenen nicht vorrangig um einen Jugendtrend handele: Damals wie heute sind nicht die Jugendlichen die primären Akteure und Adressaten der vielfältigen Formen neuer Religiosität, sondern Menschen im frühen und mittleren Erwachsenenalter. Doch sind nach wie vor Jugendliche mit dabei.107 101 Ebd., 54. 102 Vgl. ebd., 43. 103 Vgl. ebd., 41. 104 Es gilt dabei zu berücksichtigen, dass die Daten dieser Umfrage durch die Methode der freiwilligen Online-Befragung ein weites Spektrum der Bielefelder Bevölkerung abdecken, jedoch für die Gesamtbevölkerung dieser Altersgruppe nicht repräsentativ sind, da höhere Bildungsgrade, weibliche und freikirchlich geprägte junge Menschen überrepräsentiert sind (vgl. ebd., 40). Die Studie gleicht ihre Ergebnisse allerdings mit allgemeinen Bevölkerungsumfragen wie z. B. ALLBUS sowie weiteren Jugendstudien ab, so dass ein Wert von um die 12 % junger Menschen, die sich „eher mit ‚Spiritualität‘ identifizier[en] als mit Religion oder mit säkularer Identität“ bestätigt werden kann (vgl. ebd., 91f). 105 Vgl. Bertelsmann Stiftung, 2013, 12. 106 Ebd., 20. 107 Heinz Streib / Carsten Gennerich, 2011, 89.
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Insgesamt zeigen sie mit ihrer Studie vor allem, dass es jenseits von religiösen Institutionen und Organisationen eine Religiosität junger Erwachsener gibt, die sich insbesondere im Übergangsprozess der Ablösung vom Elternhaus und des Beginns einer weiterführenden Ausbildung nach der Schule ausbildet.108 Darin liegt ihre beachtliche und für die vorliegende Forschungsarbeit weiterführende Bedeutung. Vor allem, weil in dieser Studie die Individualisierungstheorie nicht ad absurdum geführt wird, sondern auch die Existenz von Nichtreligiosität und in diesem Sinne Säkularität abhängig von der Selbsteinschätzung des Individuums anerkannt wird und nicht jede Äußerung als religiös markiert wird.109 Religion erscheint in dieser Studie als ein „Möglichkeitsraum“110 für die „individuell-reflexive Frage nach dem letzten Horizont“111, gänzlich unabhängig von sprachlichen oder anderweitig prägenden Konventionen und Traditionen. Diese Definition widerspricht einer christlichen Definition von Religion keineswegs, genügt ihr jedoch auch nicht und öffnet zudem einen weiten Raum für deutlich anders oder auch überhaupt nicht vorgeprägte Verständnisse von Religion. Doch an Selbstaussagen wie „Gott, als der unverfügbare Rest“ und „Religion als Respekt vor diesem unverfügbaren Rest“112, wie sie diese Studie herausarbeitet, könnte ein christliches Verständnis von Religion zumindest anknüpfen, wenn diese mystischen, fluiden, neuen Formen von Religiosität von den christlichen Kirchen überhaupt als Ausformungen von Religiosität wahrgenommen werden würden. Beachtenswert und denkwürdig ist darüber hinaus der Hinweis von Heinz Streib in einem aktuellen Aufsatz zum Thema „Deconversion und ‚Spirituality‘“, dass das Entscheidende für Akteure im religiösen Feld „expertise in transcendence management“ ist und es auf finanzielle, personelle, organisatorische und auch traditionelle Ressourcen weniger ankommen wird.113 Dies dürfte die Evangelische Kirche bei ihren Diskussionen um verminderte Ressourcen – wenn sie diesen Satz denn wahr- und erstnehmen würde – herausfordern oder auch beflügeln: Was hat sie den Menschen der Gesellschaft um sie herum an Expertise im Umgang mit Transzendenz zu bieten? Der These von Heinz Streib folgend, können sich die christlichen Kirchen nicht darauf verlassen, aufgrund 108 Alle skizzierten Interviews beziehen sich auf Personen, die mindestens das 20. Lebensjahr erreicht und erste oder alle Übergänge zur Ablösung aus dem Elternhaus gestaltet hatten. 109 Vgl. ebd., 26: „Nicht zu vergessen sind freilich die individuellen Entscheidungen, ohne Gott zu leben, ohne Symbole für Gott, Engel, Geister, Mutter Erde, Ganzheitlichkeit oder ein neues Zeitalter, und ein gänzlich säkulares Selbst- und Weltverständnis zu entwickeln. Hier hat das religiöse Feld seine Grenze.“ 110 Ebd., 14. 111 Ebd., 17. 112 Vgl. ebd., 84. 113 Vgl. Heinz Streib u. a., 2016, 23.
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ihrer trotz Einsparungen weiterhin verhältnismäßig großen Ressourcen gegenüber anderen nicht-institutionellen Akteuren im religiösen Feld an Personal, Gebäuden, Finanzen, Organisationsstruktur und Tradition dominant zu bleiben. Das Feld ist schon jetzt wahrnehmbar und, wie die unterschiedlichen Studien zeigen, immer stärker von einer Pluralität und somit Alternativen zur Institution Kirche geprägt.
4. Übergänge, die in Abbrüchen enden und das Phänomen der Dekonversion Übergänge, die in Abbrüchen enden, arbeiten fast sämtliche betrachteten Studien zur Religiosität sowie Kirchlichkeit als einen im Vergleich der Generationen für Junge Erwachsene typischen Prozess heraus. Im Zuge der Enttraditionalisierung und Individualisierung von Übergangsprozessen in der Lebenslage Junge Erwachsene, wie sie ▶ Kapitel I skizziert, zeigen sich Veränderungen auch im Bereich der Ausbildung einer eigenen religiösen Identität. Einerseits muss im Sinne des vom US-amerikanischen Religionssoziologen Peter L. Berger propagierten „häretischen Imperativs“ auch bezüglich eigener religiöser Einstellungen und Zugehörigkeiten eine Wahl getroffen und somit ein Übergang gestaltet werden, da die eigene Religiosität nicht mehr über Familientraditionen und gesellschaftliche Konventionen grundsätzlich vorgegeben ist. Andererseits wird dieser Optionsdruck dadurch relativiert, dass in Bezug auf die Ausbildung einer religiösen Identität oder Existenz kaum ein entsprechender Entwicklungsdruck vorherrscht, wie es ihn zumindest anteilig bezüglich der anderen Entwicklungsaufgaben gibt.114 Letzteres kann zur so genannten Indifferenz führen, wie im ▶ Kapitel III, 3.2 diskutiert wurde. Dort, wo jedoch Entscheidungen getroffen und Übergänge gestaltet werden, enden diese offensichtlich nicht selten in Abbrüchen. Werden in der V. KMU dabei Abbruchprozesse vor allem im Sinne eines Kirchenaustritts wahrgenommen, die „[…] in der Phase der Postadoleszenz − also beim Verlassen des Elternhauses und dem Abschluss anderer Entwicklungsaufgaben − ihren konkreten Zeitpunkt besitzen […]“115, beschäftigen sich andere Studien mit dem vielgestaltigem Phänomen der Dekonversion, das ebenfalls als wesentlich mit dem
114 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 19. Diese Beobachtungen ergeben sich zudem bereits aus vorangehenden Ausführungen. 115 Gert Pickel, 2015, 151 f.
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jungen Erwachsenenalter verknüpft erscheint.116 Es zeigt sich, dass es im Zuge von Wohnortwechseln zum Beginn einer Ausbildung oder eines Studiums nach dem Schulabschluss, ebenso wie beim Auszug aus dem Elternhaus117 zu bewussten sowie auch schleichenden Abbrüchen im Bereich religiöser Orientierung und Zugehörigkeiten kommt.
4.1 Dekonversion als Glaubensverlust Die zu diesem Thema zurzeit aktuellste118 auf Deutschland bezogene Studie des empirica-Instituts präsentiert weniger allgemeine Daten als einzelne Glaubensbiografien junger Erwachsener in Deutschland, die zuvor überwiegend Teil christlicher Gemeinden und Kirchen waren (91 %, davon waren 61 % zuvor Mitglied der evangelischen (34 %) oder katholischen (27 %) Kirche)119. Somit verfolgt auch diese spezifisch auf Religiosität und junge Erwachsene ausgerichtete Studie einen eher qualitativ-explorativen als quantitativ-repräsentativen Ansatz und konzentriert sich im Wesentlichen auf die Interpretation der im Rahmen von 15 Interviews erhobenen Daten.120 Zudem bietet die Studie jedoch einen Teil, der sich mit der Auswertung der Daten von 259 Personen beschäftigt, die vorab im Rahmen einer quantitativen Online-Befragung erhoben wurden.121 Während die Studie laut ihres Titels ausschließlich junge Erwachsene122 fokussiert, werden im quantitativen Forschungsteil jedoch auch deutlich ältere Teilnehmende berücksichtigt123. Insbesondere auf diesen Forschungsteil beziehen sich zunächst die folgenden Ausführungen.
116 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 46 sowie Tobias Faix u. a., 2014, 37. Darauf aufmerksam gemacht hat zunächst vor allem die auf die USA bezogene PEW-Studie. 117 Mit 77 % der Befragten in der Studie vom empirica-Institut ist ein Wohnortwechsel der am häufigsten benannte Grund für den Kontaktabbruch zu einer Gemeinde. Dies muss sich jedoch weder zwangsläufig im jungen Erwachsenenalter ereignen, noch stets zu einer Dekonversion führen, sondern gilt es lediglich als markantestes Merkmal zu markieren (vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 37). 118 Mit einem Befragungszeitraum vom Frühjahr 2012 bis August 2013 (Vgl. ebd., 215). 119 Vgl. ebd., 51. 120 Vgl. ebd., 215 sowie 244. 121 Vgl. ebd., 50. 122 Als junge Erwachsene werden hier 18- bis 35-Jährige verstanden (vgl. ebd., 32). 123 Vgl. ebd., 50. Ob dies die Annahme, Dekonversion sei ein vorrangig mit dem jungen Erwachsenenalter verknüpfter Prozess, in Frage stellt, arbeiten die Autoren dieser Studie jedoch nicht näher heraus. Es bleibt unklar, ob ältere Teilnehmende über Glaubensverluste im jungen Erwachsenenalter oder zu späteren Zeitpunkten im Leben berichten.
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Im Durchschnitt gehörten die Befragten ungefähr 23 Jahre lang einer christlichen Kirche oder Organisation an, selten länger.124 Dies scheint der in den vorausgehenden Abschnitten bereits skizzierten Beobachtung zu entsprechen, dass Entscheidungsprozesse auch hinsichtlich der religiösen Existenz insbesondere im jungen Erwachsenenalter verortet sind. Dekonversion wird in dieser Studie als „Entkehrung“ oder auch „Glaubensverlust“ definiert125, eine Beendigung der Mitgliedschaft geht damit meist einher, ist aber laut dieser Studie kein notwendiger Bestandteil einer Dekonversion126. Ziel der Studie ist es, Gründe für Glaubensverluste wahr- und ernstzunehmen („Warum ich nicht mehr glaube“) und damit für ein „verdrängtes Thema“ zu sensibilisieren sowie „Denkanstöße für Christen und Gemeinden“ zu diesem Thema zu formulieren.127 Zentral bei der Untersuchung ist dementsprechend die in der Online-Befragung methodisch bewusst offengehaltene Frage nach dem Grund für den eigenen Glaubensverlust, der nur von einer äußerst geringen Anzahl der Befragten (fünf von insgesamt 203 Befragten, die auf diese Frage geantwortet haben) mit der Attraktivität anderer (nicht-christlicher) Glaubensentwürfe erklärt wurde128. Vielmehr wird bei der Auswertung des Fragebogens eine Vielzahl von Gründen deutlich, die zum Abbruch christlicher Glaubensüberzeugungen und meist auch Zugehörigkeiten geführt haben: Am häufigsten (63 Mal benannt) nimmt diese Studie Gründe im Sinne von Zweifeln an der christliche Lehre wahr129, der Wunsch nach Emanzipation im Sinne eines „Ausbruchs“ aus einer gefühlten „Enge“ wird als zweithäufigster Grund (26 Mal) benannt130, dicht darauf folgen negative Erfahrungen mit Christinnen und Christen und christlichen Gemeinschaften131 sowie darüber hinaus noch 124 Vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 51. 125 Vgl. ebd., 10. 126 Vgl. ebd., 168. 127 Vgl. dazu Titel und Aufbau der Studie. 128 Vgl. ebd., 63–65. Ganz anders nimmt Heinz Streib mit seinem Forscherteam das Phänomen der Dekonversion als „Migrations in the Religious Field“ wahr (vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 28–32 sowie auch Heinz Streib u. a., 2016). Das Forschungsteam von empirica analysiert in seiner Studie die Beobachtung, dass „der Wechsel zu einer anderen Religionsgemeinschaft“ im Rahmen der von ihnen untersuchten Dekonversionsprozesse „überhaupt keine Bedeutung, weder in den Interviews noch in der Vorerhebung, hatte“, selbst wie folgt: „Dies kann an der Auswahl der Teilnehmer liegen oder auch daran, dass ein Wechsel der Religion eher eine Folge oder Begleiterscheinung einer Dekonversion ist.“ (vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 149). Die unterschiedlichen Definitionen von Glauben / Religiosität (das empirica-Forschungsteam bezieht sich vorrangig auf christliche Glaubensverluste und somit ein christlich geprägtes Verständnis von Religion) könnten für diese Diskrepanzen in den Ergebnissen jedoch ebenso wesentlich sein. 129 Vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 52–56. 130 Vgl. ebd., 56 f. 131 Vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 57–59.
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III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
weitere weniger häufig benannte Gründe (weniger als 15 Mal genannt)132. In den Interviews zeige sich jedoch, nach Analyse der drei Autoren, sowohl das Thema Mündigkeit / Emanzipation im Gegenüber zu einem als eng empfundenen Glauben / einer als eng empfundenen Glaubensgemeinschaft sowie negative Erfahrungen mit christlichen Personen und Kirchen / Gemeinden als bedeutsamste Faktoren für den eigenen Glaubensverlust.133 Bei der Analyse der Ergebnisse ist zu beachten, dass die Befragten überwiegend Personen mit ehemals eher starker Verbundenheit zu einer christlichen Kirche oder Gemeinde waren, was sich unter anderem darin zeigt, dass ungefähr 60 % von ihnen sich dort engagiert sowie knapp 80 % mindestens monatlich (28 % sogar mehrmals wöchentlich) an kirchlichen oder gemeindlichen Veranstaltungen teilgenommen hat.134 Solch eine Verbundenheit in Form von Teilnahme sowie Engagement findet sich unter den jungen evangelischen Kirchenmitgliedern deutlich seltener: Weniger als ein Drittel (28 %) nimmt an einem Gottesdienst zumindest einmal im Jahr teil, nur 11 % einmal die Woche, die Mehrheit seltener bis nie135. 75 % der Evangelischen insgesamt beteiligen sich über den Gottesdienstbesuch hinaus überhaupt nicht am kirchlichen Leben.136 Ein Indiz für Prozesse der Dekonversion im Sinne des Glaubensverlustes ist demnach eine zuvor starke Verbundenheit mit christlichen Überzeugungen und Gemeinschaften, die sich zum Teil auch im negativen Gefühl einer empfundenen Enge äußern kann. Eine Dekonversion religiös Indifferenter, die sich religiösen Überzeugungen und Gemeinschaften gegenüber eher gleichgültig verhalten, ist demnach eher unwahrscheinlich. Dennoch wird der Prozess der Dekonversion meist als schleichend oder fließend und selten als plötzliches, einschneidendes Erlebnis oder konkrete Entscheidung beschrieben, das zwischen einem „Davor“ und „Danach“ in der eigenen religiösen Biografie sowie religiösen Einstellungen unterscheiden lässt.137 Die Studie macht deutlich, dass Dekonversion sich oft als ein Prozess äußert, der mehrere Jahre dauern kann und in dem Ursachen für und Auswirkungen von Glaubensverlusten sich nicht immer klar unterscheiden lassen. Auffällig erscheint dabei, dass bei knapp der Hälfte der Befragten der Prozess der Dekonversion im Kontext eines Umzuges stand138, was zu der Annahme führt, dass ein Ortswechsel ein wesentlicher Einflussfaktor ist, der dekonver-
132 Vgl. ebd., 59–65. 133 Vgl. ebd., 148 f. 134 Vgl. ebd., 52. 135 Vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015, 479. 136 Vgl. ebd., 486. 137 Vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 150. 138 Vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 151.
4. Übergänge, die in Abbrüchen enden
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sive Prozesse auslösen oder auch befördern kann, ohne als ausschlaggebender Grund wahrgenommen zu werden oder Ursache zu sein.139 Die Häufung der Kombination von Glaubensverlusten und Ortswechseln passt insofern zur Beobachtung, dass sich Dekonversion vorrangig in der Lebenslage der Übergänge Junger Erwachsener ereignet, dass in dieser Lebenssituation meist der Auszug aus dem Elternhaus erfolgt (▶ Kapitel I, 2). Zudem müssen sich junge Erwachsene im Kontext des Berufseinstiegs häufig auch räumlich als besonders flexibel zeigen. Natürlich können sich Ortswechsel an diversen Stellen im Leben ereignen, das junge Erwachsenenalter markiert diesbezüglich jedoch aufgrund der skizzierten zu gestaltenden Übergänge häufig den ersten Anlass für einen selbst zu gestaltenden Ortswechsel. Insgesamt lässt sich aus diesen hier eher generell zusammengefassten Einsichten der Studie – neben vielen detaillierten weiteren Beschreibungen und Erklärungen, die diese enthält – schlussfolgern, dass Dekonversion ein ernstzunehmendes, vielgestaltiges Phänomen im Kontext von Studien zu Religiosität darstellt, vor allem mit Blick auf die Religiosität junger Erwachsener, da es sich vorrangig in dieser Lebenssituation ereignet. Es scheint sich aktuell jedoch nicht zu einem Mehrheitsphänomen zu entwickeln, da vor allem stark mit christlichen Überzeugungen und Gemeinschaften verbundene Personen davon betroffen erscheinen, die nicht die Mehrheit der Bevölkerung und auch nicht die Mehrheit des christlichen Teils der Bevölkerung darstellen140. So offenbart diese Studie insbesondere Einsichten in eine hoch verbundene christliche Religiosität junger Erwachsener sowie deren Gefährdung und Verlust.141 Als Herausforderung oder auch Aufgabe für die Evangelische Kirche kann ausgehend von diesen Ergebnissen vor allem der eher implizit deutlich werdende Faktor für Dekonversion dienen: Personen, für die sich das Umfeld geändert hat, z. B. in Form eines Umzugs, sollten stärker in den Fokus genommen werden. Welche Anknüpfungspunkte für insbesondere neuzugezogene junge Erwachsene halten evangelische Kirchengemeinden oder auch Kirchenkreise bereit? Wo und wie finden sie Zugänge zu Angeboten oder auch eigene Gestaltungsräume in den vorfindlichen Ausdrucksweisen von Kirche, die ihrer hohen Verbundenheit, ihrem Engagement entsprechen, sie darin stärken und begleiten? Und wie wird dieser Übergang überhaupt von Kirchen und Gemeinden insgesamt begleitet? Die Autoren schlagen dazu unter anderem vor, Formen der Begleitung 139 Vgl. ebd., 152. 140 Vgl. dazu beispielsweise die Daten der V. KMU zu Verbundenheit, Teilnahme und Engagement evangelischer Kirchenmitglieder in den vorangehenden Abschnitten, die eher gering ausfallen. 141 Die an genau dieser Zielgruppe offensichtlich anknüpfende Studie „Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche“ des empirica-Instituts, deren Veröffentlichung für den Herbst 2018 geplant ist, wurde bereits im forschungsgeschichtlichen Überblick erwähnt.
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III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
speziell in Übergangsprozessen der Lebenslage junger Erwachsener weiterzuentwickeln, wie z. B. Mentoring142. Zum Abschluss und Weitergang ihrer Studie formulieren die drei Autoren zudem zehn Fragen, die zur Diskussion und Veränderung in Kirchen und Gemeinden anregen sollen und dementsprechend sowohl das Glaubensverständnis als auch die Glaubenspraxis sowie die organisatorische Struktur in Kirchen und Gemeinden in Frage stellen143. Sie hoffen dabei darauf, dass sich die Diskussion solcher Fragen in Kirchen und Gemeinden lohnt und dem mündigen, tragfähigen Glauben von Einzelnen und Glaubensgemeinschaften dient. So liefert das empirica-Institut mit seiner Studie zu Glaubensverlusten junger Erwachsener einen engagierten Beitrag, der über die Analyse eines bisher wenig wahrgenommenen Phänomens im Kontext religiöser Studien hinausgeht und in ersten Ansätzen in eine kirchentheoretische Debatte einsteigt.
4.2 Dekonversion als „Migrations in the Religious Field“ Heinz Streib und sein Team streben in ihrer internationalen Studie, die 2009 unter dem Titel „Deconversion“ veröffentlich wurde, eine eher multi-perspektivische Definition des Begriffs und Phänomens Dekonversion an. Ziel der Studie ist der Vergleich kultureller Kontexte, in denen sich Dekonversion ereignet, insbesondere der Vergleich von Deutschland und den USA.144 Dazu wurden vor allem Kontraste zwischen den Antworten und Einstellungen der Dekonvertiten und Dekonvertitinnen sowie derjenigen, die in den religiösen Organisationen verblieben sind („in-tradition members“), herausgearbeitet und für die unterschiedlichen Kontexte miteinander verglichen.145 Insgesamt 129 Dekonvertitinnen und Dekonvertiten (davon 58 im deutschen Forschungssample) sowie 1067 „in-tradition members“ wurden zunächst anhand eines Fragebogens befragt146, sowie insgesamt 99 der Dekonvertierten und 177 Mitglieder der entsprechenden religiösen Organisationen darüber hinaus interviewt und anhand vielfältiger Methoden bezüglich religiöser Entwicklung und dekonversiver Bewegungsverläufe analysiert147.
142 Vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 214. 143 Vgl. ebd., 213 f. 144 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 52. 145 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 52. 146 Vgl. ebd., 63 f. 147 Vgl. ebd., 65.
4. Übergänge, die in Abbrüchen enden
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Der Schwerpunkt der Studie liegt dabei eigenen Aussagen nach darauf, Einblicke in Minderheiten religiöser Organisationen zu vermitteln, so dass über 50 % der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer aus radikal und fundamentalistisch geprägten religiösen Organisationen kommen.148 Für das deutsche Studiensample wird angegeben, dass die 58 untersuchten Dekonvertiten und Dekonvertitinnen in ungefähr gleichen Anteilen aus den drei in dieser Studie unterschiedenen Typen religiöser Organisation stammen149, was bedeutet, dass etwa ein Drittel der katholischen oder evangelischen Landeskirche sowie auch z. B. reformierten Synagogen150 und ähnlichen religiösen Institutionen in der Gesellschaft zuzuordnen ist. Zwei Drittel kommen aus freikirchlich-gemäßigteren Organisationen (wie z. B. Pfingstgemeinden, SiebenTags-Adventisten) sowie aus fundamentalistisch geprägten Gruppen (wie z. B. Scientology).151 Die Datenlage ist also deutlich von derjenigen der Studie des empirica-Instituts unterschieden, die vorrangig ehemalige Mitglieder landeskirchlicher sowie auch evangelisch-freikirchlicher Gemeinden in den Blick nimmt (um die 80 %).152 Aufgrund dieser Gewichtung bezüglich religiöser Zugehörigkeiten der Befragten in der Studie von Heinz Streib und seinem Team konzentrieren sie sich vor allem auf die knapp zwei Prozent der deutschen Bevölkerung, die der Religionsmonitor als „Freikirchliche“ identifiziert.153 Dies gilt es bei der Analyse der Ergebnisse zu beachten. Als einer der wesentlichsten Erträge dieser Studie kann vor allem die Skizzierung vielfältiger Bewegungen im religiösen Feld gesehen werden, die bei einem eher christlich-kirchlich geprägten Religionsverständnis kaum in den Blick kommen. Dekonversion
148 Vgl. ebd., 220. 149 Vgl. ebd., 64. 150 Reformierte Synagogen werden in der Studie bei diesem Typ religiöser Organisation explizit benannt (vgl. ebd., 64), stellen in Deutschland jedoch einen sehr seltenen Typ religiöser Organisation dar, da es laut Religionsmonitor 2010 nur einen Anteil von 0,1 % jüdischer Bevölkerung in Deutschland gab (vgl. Bertelsmann Stiftung, 2013, 34). 151 So wird die Sortierung und Zuordnung in der Studie präsentiert (vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 64). Aus Perspektive der Evangelischen Kirche weist der Beauftrage der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), Reinhard Hempelmann, auf den Artikel in dem von der VELKD veröffentlichten „Handbuch Weltanschauungen, Religiöse Gemeinschaften, Freikirchen“ zur Einordnung von Scientology hin. Hier wird Scientology bezüglich Organisation und Lehre nicht als Religion eingestuft: „Scientology ist als okkulte und pseudowissenschaftliche Ideologie einzustufen. […] An religiöse Verhaltensweisen erinnern die Heilshoffnungen der Anhängerinnen und Anhänger, ihre Hingabe und ihre Glaubensbereitschaft. Organisation und Lehre können jedoch nicht als Religion angesehen werden. Allerdings ist diese Frage juristisch und inhaltlich zweitrangig, denn unbestreitbar vertreten Scientologen eine Welt anschauung“ (VELKD u. a., 2015, 816). 152 Vgl. Tobias Faix u. a., 2014, 51. 153 Vgl. Bertelsmann Stiftung, 2013, 34.
132
III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
wird in dieser Studie als „Migration in the Religious Field“154 erforscht. So werden dekonversive Bewegungsverläufe („deconversion trajectories“155) im Kontext unterschiedlicher Typen von Religiosität und Organisation („Church“ („No-Tension Religious Organizations“), „Sect“ („Tension and High-Tension Religious Organizations“), „Magician“ („Unorganized Religious Scenes“)156) im religiösen Feld skizziert.157 Dekonversion kann sich demnach in Form von unterschiedlichen Bewegungen im religiösen Feld ereignen und sowohl Verlust als auch Veränderung des Glaubens und der persönlichen Glaubenspraxis bedeuten, einmalig erfolgen oder zu einem häufigen Wechsel zwischen religiösen Organisationen werden.158 Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur Studie des empirica-Forschungsteams, die Dekonversion als einen Prozess des Glaubensverlusts und nicht Glaubensveränderungen in den Blick genommen hat. Doch auch in der Studie von Heinz Streib und seinem Team ist die Anzahl der säkularen Ausstiege, also das Verlassen des religiösen Felds insgesamt, die dekonversive Bewegung, die am häufigsten vorkommt. Dies entspricht wohl einem generellen Glaubensverlust, der sich dieser Skizze nach sowohl ausgehend von etablierten religiösen Organisationen („Church“), als auch aus radikaleren und fundamentalistischen religiösen Organisationen („Sect“) heraus ereignen kann.159 Die zweithäufigste Bewegung160, die in diesem Feld sichtbar wird, ist der so genannte privatisierende Ausstieg („Privatizing Exit“), ebenfalls aus beiden Richtungen. Diese Bewegungen gehen in das unorganisierte Segment des religiösen Feldes über, das von so genannten „unsichtbaren religiösen Akteuren“ im Sinne Thomas Luckmanns Theorie einer unsichtbaren Religion bestimmt wird. Aus Perspektive eines christlich-kirchlich orientierten Religionsverständnisses ist diese Bewegung ebenfalls als ein Glaubensverlust zu bewerten. So verlieren eher fundamentalistische und freikirchliche Organisationen ebenso wie etablierte religiöse Institutionen wie die Landeskirchen ihre Mitglieder vorrangig in diese beiden hier im Feld skizzierten Richtungen. Hier zeigt sich kein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Typen religiöser Organisationen, außer in der Anzahl, die jedoch an der Gewichtung der Befragungsgruppe liegen kann. Dies ist durchaus eine beachtliche Erkenntnis. 154 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 28–32. 155 Vgl. ebd., 26. 156 Vgl. ebd., 28–32 und 236. 157 Vgl. ebd., 32. 158 Vgl. dazu ebd., 26–28 sowie zu den folgenden Ausführungen 236, Grafik („Figure“) 6. 159 Von insgesamt 86 dort verzeichneten Dekonvertiten und Dekonvertitinnen samt ihrer Bewegung (ihres „Exits“) sowie der 13 Bewegungen, die einem „religious switching“ gleichkommen und darum nicht abgebildet werden können (vgl. ebd., 237), wird hier insgesamt 29 Mal ein säkularer Ausstieg verzeichnet (vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 236). 160 Diese ist insgesamt 24 Mal verzeichnet.
4. Übergänge, die in Abbrüchen enden
133
Interessant sind darüber hinaus die Bewegungen, die es zwischen diesen beiden unterschiedlichen Typen religiöser Organisationen gibt.161 Auffallend ist dabei die deutlich stärkere Bewegung aus dem Bereich „Sect“ in den Bereich „Church“ als andersherum. Dies kann jedoch auch darauf zurückgeführt werden, dass aus dem ersten Bereich deutlich mehr Befragte kommen. So weisen auch die Autorinnen und Autoren der Studie selbst darauf hin, dass diese Skizze nicht im quantitativen Sinne die Bewegungen im religiösen Feld für den deutschen oder US-amerikanischen Kontext skizzieren kann, sondern allein für diese Befragungsgruppe quantitative Darstellungen zulässt.162 In Ergänzung zur Studie des empirica-Instituts wird aus den Interviews dieser Studie herausgearbeitet, dass sich ein dekonversiver Prozess sowohl aus starker (emotionaler) Verbundenheit mit einer religiösen Organisation als auch aus einer zuvor eher „schlafenden Mitgliedschaft“ heraus entwickeln kann.163 Die Skizzierung vielfältiger Bewegungen im Kontext von Glaubensverlusten, die auch ein mehrfaches Hin und Her sowie Bewegungen zwischen religiösen Organisationen bedeuten und in verschiedenste Richtungen eines weiten religiösen Spektrums führen können, das Aufzeigen unorganisierter religiöser Szenen sowie der Hinweis auf privatisierte Ausdrucksformen von Religion sind der spezifische Beitrag der Studie „Deconversion“ zur aktuellen Debatte bezüglicher der Entwicklung von Religiosität in postmodernen Gesellschaften. Was in diesem unorganisierten Segment des religiösen Felds jedoch geschieht, wie sich Religiosität ausdrückt und welche dekonversiven Bewegungen sich gegebenenfalls auch dort ereignen, wird in dieser Studie nicht ersichtlich. Wesentlich für die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit ist jedoch der auch in dieser Studie gegebene Hinweis darauf, dass es meist das junge Erwachsenenalter ist, in dem sich diese dekonversiven Prozesse ereignen.164 Dies ist besonders beachtlich, da es sich hier – wie oben angemerkt – um eine deutlich andere Befragungsgruppe handelt. Veränderungen und Übergänge bezüglich eigener Glaubensüberzeugungen und religiöser Zugehörigkeiten sind demnach offensichtlich ein von der eigenen religiösen Orientierung unabhängiges Merkmal der Religiosität des jungen Erwachsenenalters in heutigen, westlich geprägten Gesellschaften, die nicht selten in Abbrüchen im Sinne von Glaubensverlusten oder mit der Distanzierung von organisierten Formen von Religiosität enden.
161 Diese zeigen sich ebenfalls insgesamt 24 Mal und gehören somit zu den drei wesentlichen in dieser Studie skizzierten Bewegungen. 162 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 237. 163 Vgl. ebd., 221–226. 164 Vgl. Heinz Streib u. a., 2009, 222; 255.
134
III Religiosität und Kirchlichkeit junger Erwachsener
5. Zwischenfazit Anhand der ▶ in Kapitel III diskutierten Studien wurde eine geringe kirchliche Verbundenheit insbesondere junger Menschen erörtert. Junge Erwachsene nehmen in vorfindlichen kirchlichen Ausdrucksformen besonders wenig Raum ein und zugleich nimmt Kirche in ihrem Lebensalltag wenig Raum ein und hat eine dementsprechend geringe Relevanz. Zudem wurde bezüglich der aktuellen Relevanz von Religiosität insgesamt diskutiert und skizziert, dass Antworten auf Fragen zu diesem Thema häufig von einer hohen Unbestimmtheit gekennzeichnet sind. Dies lässt auf einen Relevanzverlust von Religion schließen und wird häufig als religiöse oder auch säkulare Indifferenz interpretiert. Darüber hinaus wurden institutionell-distanzierte religiöse Einstellungen und individuelle Ausdrucksformen von dem, wie man sich selbst als religiös oder spirituell empfindet, wahrgenommen und ihre Verortungen in einem weiten, zum Teil unorganisierten religiösen Feld diskutiert. Es bleibt vor allem die Erkenntnis, dass sich Bewegungen und Verschiebungen religiöser Einstellungen und Zugehörigkeiten insbesondere im jungen Erwachsenenalter ereignen und nicht selten in Abbruchprozessen enden. Diese Abbruchprozesse können sich hinsichtlich Zugehörigkeit, Sozialisation und Traditionen, aber auch im Sinne von Glaubensverlusten äußern. Übergangsreiche Lebenssituationen wie die junger Erwachsener zeigen sich dafür als besonders anfällig. Die Veränderungen von Religiosität in postmodernen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten lassen sich dementsprechend weder mit der Säkularisierungs- noch mit der Individualisierungs- oder auch Markttheorie umfassend erklären und beschreiben. Religiosität hat sich in diesem Kontext vielmehr insofern verändert, dass sich im religiösen Bereich eine Optionsvielfalt zwischen verschiedenen Ausformungen, Organisationen, und Gruppen zeigt und Religiosität zudem selbst zu einer Option geworden ist, der Areligiosität und Konfessionslosigkeit „gleichberechtigt“165 gegenüber steht. Das junge Erwachsenenalter ist von diesen Entwicklungen insofern besonders betroffen, dass häufig in dieser Lebenssituation Übergänge gestaltet und somit bisherige Zugehörigkeiten und Prägungen zur Disposition gestellt werden.
165 Vgl. Hans-Martin Barth, 2013, 17.
IV Ausblick auf das spezifische Forschungsvorhaben ausgehend von TEIL A
Aus diesen ersten theoretischen Grundlegungen in TEIL A dieser Arbeit sind fünf Aspekte besonders relevant: 1. Ausgehend von den in ▶ Kapitel III diskutierten Studien wird ein Relevanzverlust von Kirche1 insbesondere für die Generation junger Erwachsener konstatiert. 2. Zudem wird in den Studien eine zunehmende Bedeutungslosigkeit der Religiosität für das eigene Leben insbesondere junger Menschen beobachtet, die auch als Indifferenz gedeutet werden kann. Gleichzeitig bleibt dieses Phänomen der Indifferenz schwer zu bestimmen. 3. Zu beiden Aspekten ist anzumerken, dass es nur wenige Studien gibt, die die Bedeutung von Religiosität und Kirche explizit für die Zielgruppe junger Erwachsener fokussieren. Dort wo das jungen Erwachsenenalter im Fokus steht, zeigt sich, dass insbesondere zu diesem Zeitpunkt im Leben kirchliche und religiöse Zugehörigkeiten sowie Überzeugungen neu sortiert werden. 4. In Anknüpfung an die Ausführungen in ▶ Kapitel I wird deutlich, dass junge Erwachsene in ihrer Lebenssituation, die nach Verselbstständigung strebt, im Vergleich zu vorangehenden Generationen weniger konventionelle, sondern stärker individuelle Wege ausloten und diverse Übergänge gestalten müssen. 5. Zugleich nimmt ▶ Kapitel II diejenigen dieser Generation in den Blick, die sich kompetent darin zeigen, diese Herausforderung selbstbewusst und mit eigenen Vorstellungen anzugehen. In der Zusammenschau dieser fünf Aspekte macht es sich dieses Forschungsvorhaben zur Aufgabe, danach zu suchen, ob sich von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägte Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens aufspüren lassen, und sollte dies so sein, diese näher zu untersuchen. Dazu gilt es in einem noch nicht näher definierten, keineswegs allein durch kirchliche oder gemeindliche Organisationen und Institutionen geprägten Feld zu suchen. Es steht dabei jedoch kein generelles Interesse an der Religiosität junger Erwachsener im
1
Da sich dies auf die Auswertung der V. KMU bezieht, ist hier die Evangelische Kirche im Fokus.
136
IV Ausblick auf das spezifische Forschungsvorhaben
Fokus dieser Arbeit, sondern vielmehr ein spezifisches Interesse hinsichtlich der Bedeutung von Kirche im Leben junger Erwachsener. Diesem Interesse soll im Rahmen dieses Forschungsprojekts insofern spezifischer nachgegangen werden, dass nach maßgeblich von jungen Erwachsenen geprägten Ausdrucksweisen des Glaubens zunächst gesucht wird und diese anschließend auf ihre ekklesiologische Qualität hin untersucht werden: Zeigt sich in der Art und Weise, wie hier der Glaube Gestalt gewinnt, aus Sicht der Evangelischen Kirche ekklesiologische Qualität? Und wenn ja, müsste dies nicht so gedeutet werden, dass Kirche im Leben junger Erwachsener Relevanz hat, die sich jedoch unabhängig von dem persönlichen Bezug dieser jungen Erwachsenen zur Institution der Evangelischen Kirche in Form von Mitgliedschaft, Verbundenheitsgefühlen sowie der Teilnahme an Veranstaltungen und Angeboten zeigt, sondern vielmehr an den grundlegenden Kennzeichen von Kirche orientiert ist? Eine davon abgeleitete These für das vorliegende Forschungsvorhaben könnte dementsprechend wie folgt lauten: Wenn sich im Leben junger Erwachsener aktuell nur eine geringe Relevanz von Kirche beobachten lässt, dann haben von ihnen maßgeblich geprägte Ausdrucksweisen des Glaubens keine ekklesiologische Qualität. Bevor diesem Vorhaben in einem empirischen Teil (▶ TEIL C) dieser Arbeit nachgegangen wird, gilt es zunächst zu klären, was aus Perspektive der Evangelischen Kirche als ekklesiologische Qualität zu markieren ist: Welche Merkmale zeigen sich in der aktuellen kirchentheoretischen Debatte hinsichtlich des Verständnisses von Kirche? Dieser Frage nach im aktuellen kirchentheoretischen Diskurs verorteten grundlegenden Kennzeichen von Kirche widmet sich der folgende dementsprechend kirchentheoretisch orientierte ▶ TEIL B.
TEIL B: Kirchentheoretischer Ausgangspunkt
Mit unterschiedlichen Begriffen wie Postmoderne1, Spätmoderne2 oder auch liquid modernity3 werden Beobachtungen und Analysen zu grundlegenden Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens zur Sprache gebracht, die sich
1 Geprägt wurde dieser Begriff vor allem durch Diskussionen als Reaktion auf Jean-François Loytards Rede vom „Ende der großen Erzählungen“ in den 1980ern. Dieser Terminus ist bis heute umstritten bezüglich seiner zeitlichen Abgrenzung, seiner Legitimität (vor allem im Gegenüber zum Begriff Spätmoderne) und auch in seiner Deutung der gegenwärtigen Phänomene. Dennoch fungiert er als anerkannte Bezeichnung für die Epoche, die auf die Moderne folgt (ablösend oder radikalisierend – hier gehen die Meinungen auseinander) und vor allem von Vielfalt im Sinne „der spannungsreich-agonalen Form der Komplexität“ geprägt ist (Zitat von Wolfgang Welsch in: Bernd Beuscher, 1997, 90). Dabei bleibt er ein „Suchbegriff “, da es „[i]m Blick auf die zentrale und zugleich jede Zentralität sprengende Gegenwartskategorie ‚postmodern‘ […] kein ‚postmodernes Credo‘ […] zu formulieren gibt“ (vgl. ebd., 89). Der Sammelband „Kirche in der Postmoderne“ (Martin Reppenhagen / Michael Herbst (Hg.), 2008), die deutschsprachige Literatur zu fresh expressions of Church und für den Bereich Liturgik und Homiletik insbesondere die Ansätze von Alexander Deeg, Martin Nicol und David Plüss zeigen exemplarisch, dass es eine praktisch-theologische Auseinandersetzung mit der Postmoderne gibt, die diesen Terminus verwendet. Demgegenüber ist im praktisch-theologischem Diskurs vor allem Isolde Karle eine prominente Vertreterin des Begriffs und Denkmodells der Moderne (vgl. dazu exemplarisch die Titel einiger ihrer grundlegenden Forschungs- und Praxisbeiträge: „Seelsorge in der Moderne. Eine Kritik der psychoanalytisch orientierten Seelsorgelehre“ (1996), „Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft“ (erstmals erschienen 2001) sowie „Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe“ (2014)). In der vorliegenden Forschungsarbeit wird durchgehend der Terminus Postmoderne zur Beschreibung der gesellschaftlichen Veränderungen im 21. Jahrhundert (vorrangig bezogen auf Europa sowie spezifisch Deutschland) verwendet, sofern nicht auf Autoren oder Autorinnen Bezug genommen wird, die explizit andere Begriffe verwenden. 2 Gegenüber dem Terminus Postmoderne wird der Begriff Spätmoderne weniger radikal von der vorangehenden Epoche abgegrenzt, sondern impliziert, dass trotz Transformationsprozessen grundlegende Konstanten der Moderne erhalten bleiben. Fehlende Artikel zu diesem Begriff in gängigen Lexika wie z. B. RGG oder der TRE sowie auch ein nicht vorhandener Eintrag im weit verbreiteten und größten Onlinelexikon „Wikipedia“ deuten an, dass diese Begriffsverwendung gegenüber dem Begriff Postmoderne nachrangig zu sein scheint. In kirchentheoretischen Diskursen wird er jedoch durchaus genutzt, wie z. B. von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong, um die gegenwärtige Situation der Kirche zu beschreiben (vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 55–72; insbesondere 56). 3 Dieser Begriff geht auf Zygmunt Bauman und sein Werk „Liquid Modernity“ (2000) zurück, das in der deutschen Ausgabe mit „Flüchtige Moderne“ übersetzt wurde (vgl. Zygmunt Bauman, 2003). Ausgehend davon entwickelte sich die kirchentheoretische Perspektive liquid church.
138
TEIL B: Kirchentheoretischer Ausgangspunkt
insbesondere an der Rolle des Individuums kristallisieren. Statt allgemein anerkannter und allgemein wirksamer Ordnungsgrößen (wie Institution, Normen, Traditionen, Konventionen) gerät das Individuum in die Rolle, ordnende Kraft zu sein. So bewegt es sich unabhängiger denn je von kollektiven Schicksalsvorstellungen und institutionalisierten Biografieverläufen zwischen individuellen Chancen und selbst verantwortetem Scheitern. Vieles, was zuvor von der Mehrheit der Gesellschaft als „sicher“, „vorgegeben“ oder „fest“ erlebt wurde, gerät in Bewegung (z. B. Biografieverläufe, Bildungswege, Berufs- und Familienbilder, Formen des gesellschaftlichen Engagements, politischer Machtausübung sowie auch des religiösen und spezifisch kirchlichen Lebens). Freiheit und Verletzbarkeit bestimmen dabei gleichermaßen das Individuum im 21. Jahrhundert. Die Auswirkungen auf die Gestaltung des eigenen Lebens und dementsprechende Auswirkungen auf die Lebenslaufforschung wurden in ▶ TEIL A dieser Arbeit anhand des Phänomens Junge Erwachsene herausgearbeitet und ausgehend davon eine Definition Junger Erwachsener für diese Forschungsarbeit formuliert. Dieser zweite TEIL B zielt nun darauf, zu skizzieren, was im gegenwärtigen Kontext in Deutschland aus evangelischer Perspektive unter Kirche sowie Gemeinde verstanden wird. In der Auseinandersetzung mit aktuellen kirchentheoretischen4 Beiträgen fällt auf, dass diese von denselben Phänomenen, die in ▶ TEIL A skizziert werden, beeinflusst sind. Durch die veränderte Position sowie Selbstverständlichkeit von allgemein ordnenden Größen wie Institution und Tradition, verändert sich auch die Position und Selbstverständlichkeit 4
Bezüglich der Verwendung der Begriffe Kirchentheorie, Ekklesiologie sowie auch praktische Ekklesiologie zeigt sich in den aktuellen Diskussionen keine Einheitlichkeit (vgl. beispielsweise Ralph Kunz / Thomas Schlag (Hg.), 2014, die in ihrem Handbuch von „praktischer Ekklesiologie“ sprechen, S. 9, insbesondere Fußnote 1; vgl. zudem Sabrina Müller, 2016, wo der Untertitel „Ekklesiologische Beobachtungen“ verspricht und die Bewegung zu fresh expressions of Church geprägt von einer ekklesiologischen Programmatik beschrieben wird, „welchen den Anspruch erhebt, eine Ekklesiologie für die Postmoderne zu sein“, 279). Verwirrend mit Blick auf die Begrifflichkeit ist auch der Untertitel des Aufsatzes von Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel: „Praktisch-ekklesiologische Perspektiven aus evangelischer Sicht“ (Peter Bubmann u. a., 2016), im Vergleich zum von Birgit Weyel und Peter Bubmann herausgegebenen Lehrbuch mit dem Titel: „Kirchentheorie. Praktisch-theologische Perspektiven auf die Kirche“ (Birgit Weyel / Peter Bubmann (Hg.), 2014). Die vorliegende Arbeit nutzt zur Beschreibung der aktuellen Diskussionen um Wesen und Ausdrucksformen der Kirche den Begriff Kirchentheorie (ausgenommen sind Zitate) und folgt dabei dem Verständnis des Begriffs, das von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong in ihrem Werk „Kirche“ dargelegt wird: Seit den 1960ern wird der Begriff in der Praktischen Theologie für „eine Theorie von Kirche, die theologisch wie soziologisch argumentiert“, genutzt. „Inzwischen meint er – ohne positionelle Festlegung – jede Theologie der Kirche, die systematische und empirische Sachverhalte bewusst verknüpft [Hervorhebung im Original].“ (Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 49.
TEIL B: Kirchentheoretischer Ausgangspunkt
139
von Kirche als Institution und Vermittlerin von Tradition in der zunehmend pluralen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Kirchentheoretische Diskurse und mehrere Landeskirchen zeigen sich dementsprechend mit der Überprüfung der zentralen Form, in der kirchliches Leben in der Gesellschaft sichtbar wird, beschäftigt, der parochial organisierten Gemeinde. Das zeigt sich besonders deutlich in den von der EKM eröffneten „Erprobungsräumen“, die bereits in der Einleitung skizziert wurden: „Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) möchte Gemeinde neu denken. Sie eröffnet Freiräume, damit sich alternative Formen von Kirche entwickeln und gedeihen können. Im November 2014 hat die Landessynode ‚ermutigt, neue Gemeindeformen im säkularen Kontext zu erproben. Hierzu bedarf es einer großen Offenheit.‘“5 Und die aktuellen Entwicklungen in der EKiR zu ergänzenden Gemeindeformen werden in Exkursen in den folgenden Kapiteln noch eingehender skizziert. Doch auch andere Landeskirchen diskutieren diese Veränderungen und Herausforderungen auf ihren Landessynoden und erarbeiten dazu konkrete Schritte: Zum Beispiel wird in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg aktuell das Thema neuer Gemeindeformen unter dem Aspekt der Einbindung in die Landeskirche diskutiert.6 Diese hier kurz skizzierten landes-kirchlichen Prozesse zeigen lediglich exemplarisch aktuelle Entwicklungen auf landeskirchlicher Ebene in der EKD und bilden keineswegs vollständig die aktuellen Prozesse aller Landeskirchen ab. Neben dem parochialen Gemeindemodell gehören natürlich auch diakonische Einrichtungen und funktional organisierte Bereiche – wie z. B. Seelsorge in Krankenhäusern, Hochschulen und Justizvollzugsanstalten – zu den elementaren Ausdrucksformen kirchlichen Lebens. In aktuellen Überlegungen steht jedoch der Gemeindebegriff im Fokus. Als Gemeinde wird dabei „in kirchentheoretischer Perspektive vielfach zunächst eine auf Dauer gestellte, kirchenrechtlich legitimierte und um Wort und Sakrament sich versammelnde, parochial verfasste Ortsgemeinde verstanden.“7 So fassen Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel den Ausgangspunkt der aktuellen Diskussionen in ihrem Aufsatz mit dem Untertitel „Praktisch-ekklesiologische Perspektiven aus evangelischer Sicht“ zusammen.
5 6
7
Homepage EKM. Vgl. dazu TOP 22 der Sommertagung der Landessynode 2018 unter dem Titel „Adäquate Einbindung nichtparochialer Aufbruchsinitiativen und Gemeindeformen in der Landeskirche und Innovative missionarische Strukturen“ in der Berichterstattung der Synode (Homepage ELK-WUE). Darüber hinaus skizzieren die zusammenfassenden Aussagen des OLKR Rainer Mainusch die Situation der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover (vgl. ZMiR, 2016, 8 f.) Peter Bubmann u. a., 2016, 345.
140
TEIL B: Kirchentheoretischer Ausgangspunkt
In der Frage nach neuen, das parochial organisierte Modell ergänzenden Gemeindeformen liegt der Fokus auf der neuen Suche nach dem Wesenskern von Kirche: Was ist der grundlegende Auftrag von Kirche, der ihr Wesen bestimmt und welche Ausdrucksformen und Sozialgestalten ermöglichen es, diesem Auftrag im aktuellen Kontext bestmöglich nachzukommen? Welche Kennzeichen müssen sich aus theologischer Sicht abbilden, um eine Ausdrucksform christlichen Lebens als (Teil der) Kirche zu verstehen, und (ab) wann ist sie Gemeinde? Aus kirchentheoretischer, spezifisch evangelischer Perspektive geht diese Arbeit diesen derzeit viel diskutieren Fragen nach. Sie verfolgt dabei das Ziel, ein im aktuellen kirchentheoretischen Diskurs verortetes Kirchen- sowie Gemeindeverständnis zu erarbeiten, von dem ausgehend die ekklesiologische Qualität von Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens im empirischen Teil untersucht und analysiert werden kann. Zunächst gilt es dazu zu klären, was unter den Begriffen Kirche sowie Gemeinde verstanden wird, wie sie zusammenhängen und zugleich zu unterscheiden sind (▶ Kapitel V). Anschließend werden Beiträge zur Vielfalt christlicher Sozialgestalten aus kirchentheoretischer Perspektive sowie zum Teil auch Prozesse evangelischer Landeskirchen exemplarisch darauf hin analysiert, inwiefern sie bekannte kirchliche Formen ergänzen, neue Perspektiven in das Verständnis von Kirche und Gemeinde eintragen sowie Grenzen dessen markieren, was als Kirche sowie Gemeinde gelten kann (▶ Kapitel VI). In einem Fazit (▶ Kapitel VII) werden anschließend die wesentlichen Ergebnisse dieser Analysen zusammengetragen und grundlegende Merkmale eines Kirchen- oder auch Gemeindeverständnisses skizziert, von dem ausgehend in ▶ TEIL C dieser Arbeit die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägter Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens angegangen wird.
V Begriffs- und Verständnisklärung: Grundlagen zum Kirchenund Gemeindeverständnis
In diesem Kapitel geht es darum, die Grundlagen für die Abhandlungen des folgenden ▶ Kapitels VI zu legen. Dazu werden zunächst wesentliche Kennzeichen von Kirche skizziert und ihre Rolle in aktuellen Diskussionen dargestellt (▶ Kapitel V, 1). Anschließend wird nach dem Verhältnis von Kirche und Gemeinde aus kirchenrechtlicher Perspektive gefragt und der Gemeindebegriff juristisch umrissen (▶ Kapitel V, 2). An dieser Stelle erfolgt auch ein Exkurs zur spezifischen Situation in der EKiR (▶ Kapitel V, 2.1). Das darauf folgende Kapitel (▶ Kapitel V, 3) setzt sich mit der sozialen Dimension und dem alltäglichen Gebrauch des Begriffs Gemeinde sowie Gemeinschaft auseinander und benennt Spannungsverhältnisse, die vor allem in ▶ Kapitel VI ausführlicher diskutiert werden. Abschließend werden die Verwendung und das Verständnis der Begriffe Kirche und Gemeinde für den Kontext dieser Arbeit zusammenfassend definiert (▶ Kapitel V, 4).
1. Die Suche nach Kennzeichen von Kirche – Theologische Skizzen In kirchentheoretischen Diskussionen um (neue) kirchliche Ausdrucksformen ist die Frage nach dem Wesenskern von Kirche zentral: Welche Kennzeichen müssen sich aus theologischer Sicht abbilden, um eine Ausdrucksform christlichen Lebens als (Teil der) Kirche zu verstehen? So zeigt sich im 21. Jahrhundert eine neue Auseinandersetzung mit den so genannten Notae ecclesiae, den Kennzeichen der Kirche. Dabei geht es jedoch nicht um eine notwendig gewordene Abgrenzung gegenüber anderen Strömungen oder politischen Systemen, wie es im geschichtlichen Verlauf Anlässe waren, Notae ecclesiae zu formulieren oder zu diskutieren. Sondern aktuell ist die Frage nach den Notae ecclesiae von Entwicklungen innerhalb des Christentums sowie vor allem innerhalb der Institution Kirche bestimmt. Es geht um die Suche danach, wie Kirche weitere Sozialgestalten zulassen oder auch entwickeln kann. Gibt es kirchliche Formen,
142
V Begriffs- und Verständnisklärung
die den Wesenskern von dem, was Kirche ist, verstellen oder verlieren? Und welche kirchlichen Formen lassen den Wesenskern von Kirche in den aktuellen Gegebenheiten besonders gut sicht- und erlebbar werden?1 Die Frage nach dem Wesenskern klärt nicht umfassend, was Kirche ist oder sein kann, sondern zielt auf eine Minimaldefinition, die Unaufgebbares und Unverzichtbares herausarbeitet und darüber hinaus viel Raum und verschiedene Möglichkeiten lässt, Kirche zu gestalten. Solch eine Minimaldefinition kann nicht willkürlich festgelegt werden, sondern leitet sich vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ab. Kirche wird dementsprechend nach Wilfried Härle im weitesten Sinne als „der Raum oder Ort“ verstanden, „an dem das Heil zugänglich und erfahrbar wird und an dem es kommuniziert und gefeiert wird“.2 Eine explizite biblische Lehre zur Kirche gibt es nicht. Doch mit Rückgriff auf biblische Schriften als Offenbarung dieses Heilshandelns Gottes wurden im geschichtlichen Verlauf unaufgebbare Kennzeichen der Kirche (Notae ecclesiae) formuliert, denen bis heute Geltung zuerkannt wird, insofern sie allen Kirchenordnungen zugrundeliegen. Auch in den in aktuellen Diskussionen zeigt sich ihre Bedeutung.
1.1 Vier Kennzeichen von Kirche im Nicaeno-Constantinopolitanum Mit dem Nicaeno-Constantinopolitanum von 381 wurde Kirche – in enger Verbindung zum Wirken des Heiligen Geistes – in vierfacher Weise als „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ charakterisiert.3 Die vier hier formulierten Kennzeichen sind dementsprechend: 1. Einheit der Kirche und zwischen den zu ihr gehörenden unterschiedlichen Menschen, die durch den gemeinsamen Glauben an den in Christus offenbarten Gott entsteht. 2. Heiligkeit der Kirche und der zu ihr gehörenden unterschiedlichen Menschen, die durch die Glaubenszuversicht der einzelnen Christinnen und Christen entsteht, da die Glaubenszuversicht das Gottes- sowie Sündenverhältnis bestimmt. 3. Katholizität – was übersetzt Allgemeinheit oder auch Universalität der Kirche bedeutet – verweist darauf, dass die unterschiedlichen Zeiten, Orte, Arten und Weisen, an und in denen christlicher Glaube Gestalt gewinnt, aufgrund
1 2 3
In diesem Sinne bildet Kapitel V, 1 ein Gegenüber zu Kapitel VI, 5. Vgl. Wilfried Härle, 2007, 494. Übersetzung der Formulierung aus: Rochus Leonhardt, 2008, 358.
1. Die Suche nach Kennzeichen von Kirche – Theologische Skizzen
143
der Übereinstimmung des Glaubens der dort Wirkenden mit dem Glauben der Gesamtheit der Christinnen und Christen als einzelne Teile eines Ganzen zusammengehören. Da sich im Laufe der Geschichte die Bedeutung des Begriffs „katholisch“ zu einer Konfessionsbezeichnung entwickelt hat, wird dieser Begriff vor allem im evangelischen Kontext oft durch die Formulierung „allgemein“ oder auch „christlich“ ersetzt.4 4. Apostolizität der Kirche macht die Verbindung zu den Ursprüngen des Glaubens deutlich und betont somit die Bindung der zur Kirche gehörenden Christinnen und Christen an die Botschaft, mit dem der Auferstandene die Apostel in die Welt gesendet hat.5 Dieser Aspekt wird teilweise stärker mit der Betonung auf die Apostel als die Beauftragten und weniger mit Fokus auf einen allgemeinen Auftrag der Kirche verstanden. So wurden im frühen Christentum erstmals vier Wesensmerkmale von Kirche formuliert, denen weitreichende Geltung im gesamten – von theologischen Streitigkeiten oft gespaltenen – Christentum zukamen und die vor allem als Beschreibung eines Ideals von (verborgener) Kirche verstanden wurden.6 Interessant ist die Rezeption dieser Kennzeichen von Kirche durch den britischen Theologen Michael Moynagh, der die theologische Reflexion der FreshExpressions-Bewegung7 in England maßgeblich prägt. Er leitet vom NicaenoConstantinopolitanum vier Beziehungsdimensionen ab, die für ihn konstitutive Bedeutung für die real existierende Kirche haben („essence of the church“)8 (▶ Kapitel VI, 1.2). Auch von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong werden im Kontext der Suche nach Kriterien für einen aktuellen Gemeindebegriff vier geistliche Grundlagen benannt, mit „Geltung für jede christliche Gemeinde“9, die an diese vier Kennzeichen des Nicaeno-Constantinopolitanum erinnern (▶ Kapitel VI, 5.3).
4
Vgl. hierzu beispielsweise das im Evangelischen Gesangbuch abgedruckte „Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel“ sowie Art. 1.1 KO-EKiR, 2012. 5 Vgl. Mt 28,19 f. 6 Vgl. dazu Wilfried Härle, 2007, 574–576. 7 Zur Schreibweise und der spezifischen Bedeutung dieses Begriffs finden sich nähere Ausführungen in ▶ Kapitel VI. 8 Vgl. Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 107–109. 9 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 276.
144
V Begriffs- und Verständnisklärung
1.2 Drei altkirchliche Grunddimensionen von Kirche und die Ergänzung durch das II. Vaticanum An einer anderen Stelle der aktuellen Debatten und Prozesse erfolgt ein Rückgriff auf die altkirchlichen Grunddimensionen von Kirche und deren Ergänzung durch das II. Vaticanum: Dort, wo diakonia, martyria, leiturgia und – unter Ergänzung des II. Vatikanischen Konzils – koinonia anzutreffen sind, kann von Kirche gesprochen werden. Darauf bezieht sich auch die theologische Orientierung des Projekts „Erprobungsräume“ der EKM, so dass in den sieben formulierten Kennzeichen für „Erprobungsräume“ diese vier Grunddimensionen von Kirche besonders deutlich werden.10 Die wesentlichen Kennzeichen von Kirche sind nach diesen Traditionslinien: 1. diakonia: Dienst am Menschen (aus dem Glauben heraus), der auf vielfältige Weise lebensdienlich ist, dementsprechend Menschen konkret unterstützt und sich dem Nächsten zuwendet; 2. martyria: Zeugnis (des Glaubens), das das Evangelium in Worten und ebenso in der gesamten Lebensweise von einzelnen Personen – die auch Leiden miteinschließen kann – verkündigt und sichtbar werden lässt; 3. leiturgia: Gottesdienst als Feier des Glaubens, der sich gemeinsam mit anderen im Abendmahl sowie in der Eucharistiefeier und durch andere Formen der Evangeliumsverkündigung stärken lässt, erinnert und mitteilt; 4. koinonia: Gemeinschaft (im Glauben), die sich in vielfältigen Formen ausdrücken kann und unterschiedliche Einzelne durch den gemeinsamen Glauben verbindet.
1.3 Notae ecclesiae in der Confessio Augustana und die Ergänzung durch die Barmer Theologische Erklärung „Bemerkenswert knapp“11 ist die Beschreibung von Kirche, die mit dem siebten Artikel der Confessio Augustana (CA VII) 1530 von den protestantischen Ständen vorgetragen wurde: 10 Darüber hinaus zeigt sich in diesem Projekt ein Rückgriff auf weitere Traditionslinien zur Bestimmung der wesentlichen Kennzeichen von Kirche (vgl. Homepage EP a). Der Rückgriff auf die vier Grunddimensionen oder „Grundvollzüge“ von Kirche ist jedoch besonders deutlich in den Formulierungen der Kennzeichen für „Erprobungsräume“ erkennbar (vgl. Homepage EP c). 11 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 28.
1. Die Suche nach Kennzeichen von Kirche – Theologische Skizzen
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„‚Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.“12 In der deutschen Fassung: ‚Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.’13
Versammlung, „reine“ Evangeliumsverkündigung und die evangeliumsgemäße Feier von Taufe und Abendmahl gelten seit der Reformationszeit aus protestantischer Perspektive als die konstitutiven Elemente von Kirche. Dieser Minimaldefinition von Kirche wohnt eine große Offenheit bezüglich der Formen, in denen sich diese Elemente ereignen, als auch bezüglich der Strukturen, in denen sich Kirche organisiert, inne. Im Kontext der Einmischung des deutschen Nationalsozialismus in die Kirchen im 20. Jahrhundert wurde für diese Kennzeichen, die Zentrum und Wesenskern von Kirche bestimmen, eine Außengrenze notwendig und mit der dritten These der Barmer Theologischen Erklärung (BTE III) 1934 formuliert: Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte. Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.14
BTE III gibt vor, dass die kirchliche Struktur dem Evangelium nicht widersprechen darf. Ebenso wie die Verfasser der CA VII, schaffen es die Verfasser der BTE III, sich dabei auf das Minimale, das es zu ergänzen gibt, zu beschränken und keine konkreten Formen für die Gestaltung vorzugeben. In diesem Sinne wahren sie die große Offenheit von CA VII.15
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BSLK, 1930, 61,2–6. Hier zitiert nach Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 28. Alfred Burgsmüller / Rudolf Weth (Hg.), 1984, 36. Gleichzeitig zeigen sich innerhalb der Bekenntnisrichtungen unterschiedliche Interpretationen dieser Offenheit sowie auch eine unterschiedliche Gewichtung der BTE, der nicht überall Bekenntnisrang zuerkannt wird. In der lutherisch geprägten Landeskirche in Bayern, wurde die BTE beispielsweise erst 2017 überhaupt in die Kirchenverfassung aufgenommen.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
Aus Perspektive der Notae ecclesiae, die im Laufe der Geschichte entstanden sind und denen bis heute Gültigkeit zugemessen wird, ist es durchaus erstaunlich, dass aktuell keine größere Vielfalt in der Art und Weise, wie sich Kirche organisiert, anzutreffen ist, sondern dass es vor allem eine maßgeblich geprägte Form von Kirche gibt: das parochial organisierte Modell der Kirchengemeinde. Insbesondere mit Rückgriff auf CA VII (inklusive der Ergänzung durch BTE III) scheint einer Vielfalt kirchlicher Ausdrucks- und Gemeindeformen nichts im Wege zu stehen. In diesen drei Beiträgen zur Kennzeichnung von Kirche (▶ Kapitel V, 1.1 bis 1.3) wird zwischen Kirche und Gemeinde nicht spezifisch unterschieden. Der Begriff ekklesia / ecclesia (im Griechischen ebenso wie im Lateinischen) kann sowohl mit Kirche als auch mit Gemeinde übersetzt werden, die Begründung der spezifischen Form der Parochialgemeinde stand zur Zeit der Entstehung der Texte noch nicht im Fokus. In der Rezeption der Reformation wurde CA VII jedoch zum konstituierenden Merkmal für Gemeinde, die kirchenrechtlich in ihrer parochialen Verfasstheit wiederum legitimiert wurde. Bei der Frage danach, wie heute neue Ausdrucksformen von Kirche entstehen, ist demnach eine zweite Frage inkludiert: Inwiefern werden diese neuen Formen als Gemeinde anerkannt? Bei der Rezeption von CA VII im aktuellen Diskurs ist Uta Pohl-Patalong für den deutschen Kontext aus evangelischer Perspektive besonders interessant: Sie greift in ihrem Konzept „kirchliche Orte“16 auf CA VII zurück und weist ausdrücklich daraufhin, dass das hier Formulierte „Kennzeichen sind, an denen man erkennen kann: Hier gibt es eine Gemeinschaft von Glaubenden. Den Auftrag und die Aufgaben der Kirche umfassend zu definieren, liegt ihnen fern.“17 Im Folgenden formuliert sie nun „implizite Kennzeichen“ mit Blick auf die „Aufgaben von Kirche über den Gottesdienst hinaus“, durch die auch nichtparochiale Formen von Kirche, in denen kein Gottesdienst gefeiert wird und auf die die Kennzeichen aus CA VII nicht zutreffen, eine eigenständige ekklesiologische Qualität erhalten.18 Gleichzeitig verpasst sie es in diesem Konzept, das Verständnis von Gemeinde zu diskutieren, sondern gibt den Gemeindebegriff auf. Nähere Ausführungen dazu finden sich in ▶ Kapitel VI, 2.1. Auch die (implizite) Rezeption von CA VII bei Michael Moynagh ist aktuell und diskussionswürdig. Er scheint CA VII als Beschreibung von „practi�-
16 Vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006. 17 Ebd., 102. 18 Vgl. ebd.
2. Kirchenrechtliche Perspektiven zum Kirchen- und Gemeindebegriff
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ces […] such as ministries of word and sacrament“ zu verstehen (ohne dass jedoch von ihm ein expliziter Bezug auf CA VII benannt wird).19 Im Folgenden bewertet er „relationships“ im Gegenüber zu „practices“ als konstitutiv für Kirche und stuft „practices“ und somit implizit auch CA VII als lediglich „gesundheitsfördernd“ ein: So attention must be paid to practices that promote the health of the relationships that constitute the church. If relationships are the essence of the church, practices are for the good of the church.20
Nähere Ausführungen dazu finden sich in ▶ Kapitel VI, 1.2.
2. Kirchenrechtliche Perspektiven zum Kirchen- und Gemeindebegriff Der Begriff Kirche wird im landeskirchlich-evangelischen Kontext einerseits für übergeordnete Organisationsgrößen gebraucht wie für die „Evangelische Kirche in Deutschland“ als „Gemeinschaft ihrer lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen“21 und für diese Gliedkirchen unter dem Namen „Landeskirche“ als „die Gemeinschaft der in ihr zusammengeschlossenen Kirchengemeinden und Kirchenkreise“22. Anderseits wird der Begriff Kirche auch in kirchenrechtlichen Texten in einem theologischen Sinn verwendet: „Sie [die Evangelische Kirche in Deutschland] versteht sich als Teil der einen Kirche Jesu Christi.“23 Der Terminus Kirche steht innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland aus Perspektive des Kirchenrechts somit sowohl organisatorisch als auch theologisch für ein Gesamtgebilde oder eine Gesamtheit, während der Begriff Gemeinde eine klar definierte Organisationseinheit dieses Überbegriffs Kirche darstellt.24 Gemeinde im Sinne der Kirchenordnungen der EKD ist die zentrale und grundlegende sowie selbstständige Einheit, in der sich das Gesamtgebilde Kirche vor Ort konkretisiert. Sie ist der kirchenrechtlich legitimierte Ort, an dem 19 20 21 22 23 24
Vgl. Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 109. Vgl. ebd., 109. Vgl. Art. 1.1 GO-EKD. Vgl. Art. 126.1 KO-EKiR, 2012. Vgl. Art. 1.2 GO-EKD. Vgl. Michael Herbst, 2018, 19–39.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
sich Menschen um Wort und Sakrament versammeln.25 Durch das Kirchenrecht kommt dem Begriff und Gebilde Gemeinde innerhalb der Evangelischen Kirche eine zentrale Stellung zu. Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong skizzieren, was das in der Praxis bedeutet: […] ‚Gemeinde‘ ist ein theologisch aufgeladener Begriff [Hervorhebung im Original], der in und aufgrund seiner Aufladung zudem kirchenrechtlich abgesichert wurde. So macht es in der Wertschätzung, die einem organisatorischen Gebilde entgegengebracht wird, einen deutlichen Unterschied, ob dieses als Gemeinde verstanden wird oder nicht. Dies hat Konsequenzen für die Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der verfassten Kirche, vor allem aber für die Zuweisung von finanziellen Mitteln in knappen Zeiten bis hin zur Frage ihrer Existenz.26
Dass diese kirchenrechtliche Absicherung und zentrale Bedeutung von Gemeinde insbesondere in der EKiR gilt, zeigen Tabea Spieß und Gerhard Wegner in der Auswertung der V. KMU: Einige Kirchenverfassungen, wie beispielsweise in der rheinischen Landeskirche, verorten die Basis der Kirche auch rechtlich in den Kirchengemeinden. Damit reklamieren sie einen noch höheren Stellenwert der Kirchengemeinden für die Kirche insgesamt.27
So wird aus kirchenrechtlicher Perspektive zwischen den Begriffen Kirche und Gemeinde klar unterschieden und zugleich die Form ihrer Zusammengehörigkeit skizziert. Gemeinde gerät hier als eine konkrete Organisationsform von Kirche in den Blick: Die parochial organisierte Gemeinde, die in der Kirchenordnung als Kirchengemeinde bezeichnet wird. Auch im umgangssprachlichen Gebrauch wird mit dem Begriff Gemeinde meist die konkrete Realisierungsform im Sinne der Kirchengemeinde vor Ort bezeichnet. Die parochial organisierte Gemeinde gilt sowohl im Alltagssprachgebrauch als auch in vielen evangelischen Kirchenordnungen als Regelfall kirchlicher Organisation und prägt somit das Verständnis des Begriffs Gemeinde insgesamt.
25 Vgl. Peter Bubmann u. a., 2016, 345. 26 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 271. 27 Tabea Spieß / Gerhard Wegner, 2015, 50. An dieser Stelle zeigen sich innerprotestantische Konfessionsunterschiede, da dies für lutherische Landeskirchen nicht im gleichen Maße gilt wie in der vor allem von der unierten (und anteilig reformierten) Tradition geprägten und maßgeblich presbyterial-synodal organisierten EKiR. Da diese Landeskirche im Forschungsvorhaben jedoch vorrangig im Fokus steht, sei auf diese „kirchenrechtliche Absicherung“ des Gemeindebegriffs in der Form jedoch hiermit ausdrücklich hingewiesen.
2. Kirchenrechtliche Perspektiven zum Kirchen- und Gemeindebegriff
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Die Frage nach ergänzenden kirchlichen Sozialformen hat auch für kirchenrechtliche Regelungen eine hohe Relevanz, da juristisch zu klären ist, ob und inwiefern auch andere Organisationsmodelle von Kirche als das parochiale Modell Gemeinde sein können oder sind – insbesondere im Hinblick auf die kirchenrechtliche Absicherung und Bedeutung von Gemeinde.
2.1 Exkurs: Kirchenrechtliche Skizzen zum Gemeindebegriff aus Sicht der EKiR Es ist die Aufgabe der Gemeinde, im Gehorsam gegen ihren Herrn alle zur Durchführung dieses Auftrags [der Kirche, ‚das Evangelium aller Welt zu verkündigen‘,] notwendigen Dienste einzurichten und zu ordnen.28
Schon in der Präambel der KO-EKiR zeigt sich die zentrale Stellung der Gemeinde im presbyterial-synodalen System, in dem die EKiR ihre Leitungsund Entscheidungsprozesse organisiert. Für kirchliche Sozialformen, die nicht Gemeinde im Sinne einer Kirchengemeinde sind, gibt es keine geregelten und gleichwertigen Teilhabemöglichkeiten an diesen Prozessen. Zunächst gilt jedoch, dass neben der Kirchengemeinde als „Gemeinschaft ihrer Mitglieder in der Regel in einem durch Herkommen oder Errichtungsurkunde bestimmten Gebiet“ (Art. 5.1 KO-EKiR), die Kirchenleitung der EKiR auch andere Formen von Gemeinde ermöglichen kann. Zum einen kann die Kirchenleitung „Anstaltskirchengemeinden“ bei „selbstständigen diakonischen Einrichtungen“ errichten (Art. 12.1 KO-EKiR, inklusive Fußnote 4), darüber hinaus können seit 2003 „Kirchengemeinden […] auch als Personalgemeinden für bestimmte Aufgabenbereiche gebildet werden, wenn daran ein gesamtkirchliches Interesse besteht“ (Art. 12.2 KO-EKiR). Das Kirchengesetz, das für die Bildung von Personalgemeinden Näheres regeln soll, wurde jedoch „noch nicht erlassen“, so die Fußnote 5 zu Art. 12.2 KO-EKiR aus dem Jahr 2012 – dies ist auch im Jahr 2018 noch aktuell.29 Ausgehend von der Einführung des Art. 12.2 KO-EKiR im Jahr 2003 gab es in der EKiR einen langwierigen Prozess zu „Gemeinden in neuen Formen“.30 Dieser Prozess endete nach vielen Jahren 28 Auszug aus der Präambel der KO-EKiR, 2012. 29 „Nach 2003 ist ein solches Kirchengesetz zur Bildung einer Personalgemeinde nie verfasst worden.“ (EKiR, 2015, 3). Diese Feststellung bildete im Jahr 2015 den Ausgangspunkt für den aktuellen Prozess der EKiR unter dem Titel „Gemeinde formen“, der im Folgenden noch näher skizziert wird. 30 Vgl. dazu die Zusammenfassung dieses Prozesses in: ebd., 2 f.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
zunächst ergebnislos mit dem Abschlussbericht der entsprechenden Arbeitsgruppe im Jahr 2011, in dem letztlich empfohlen wird, „den Artikel 12 Absatz 2 aus der Kirchenordnung zu streichen.“31 Für andere Gemeindeformen in der EKiR fehlten also weiterhin rechtliche Regelungen, so dass weiterhin „[d]ie Teilhabe an Leitungs- und Entscheidungsprozessen […] sehr unterschiedlich und uneinheitlich geregelt [ist].“32 Mit der Landessynode 2015 wurde dieser Prozess erneut aufgenommen und die Kirchenleitung der EKiR „mit der Weiterarbeit am Thema ‚Gemeindeformen‘“ beauftragt.33 Eine neue Arbeitsgruppe wurde einberufen und 2017 verabschiedete die Landessynode die von dieser Arbeitsgruppe erarbeitete Vorlage „Gemeinde formen“34, die vor allem mit Blick auf die Teilhabe an Entscheidungsund Leitungsprozessen sowohl schon lange existierenden Gemeinden anderer Formen als auch ganz jungen Experimenten in unterschiedlichen Modellen35 ermöglichen soll, Gemeinde in der EKiR zu werden: Zu diesem Zweck eröffnet die Landessynode neben der vertrauten Struktur der Parochialgemeinden die Option, in neuen Formen Gemeinde zu sein. Diese neuen Gemeindeformen sind Gemeinden, die sich neben der Kirchengemeinde im Sinne von Art. 5.1 KO (Parochie) im Laufe der letzten Jahrzehnte gebildet haben und bilden.36
Wie sich dieser Prozess „Gemeinde formen“ innerhalb der EKiR weiterentwickelt hat, wird in einem weiteren Exkurs in ▶ Kapitel VI, 5.1 skizziert und eingehender analysiert. Bei der Frage danach, wie die aktuell zentrale Form der Kirchengemeinde, in der kirchliches Leben in der Gesellschaft sichtbar wird, ergänzt werden kann, muss der Gemeindebegriff auch mit Kirchenjuristinnen und Kirchenjuristen neu diskutiert werden. Diesen Prozess gestalten die einzelnen Landeskirchen der föderal organisierten EKD eigenständig und unterschiedlich.
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EKiR, 2015, 3. Ebd., 2. Vgl. ebd. Vgl. EKiR, 2017a. Benannt und beschrieben werden dazu folgende vier Modelle: „Personalgemeinde“, „Andere Gemeinden und Assoziierte Gemeinden“, „Kooperierende Gemeinden“ und „Erprobungsräume“ (in Anlehnung an die EKM) (vgl. ebd., 4–6). 36 Ebd., 3.
3. Kirche als Gemeinde?
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3. Kirche als Gemeinde? – Spannungsverhältnisse und Sozialformen aus soziologischem Blickwinkel Der Zusammenhang des Gemeinde- und des Kirchenbegriffs zeigt sich in den Formen, wie unterschiedliche Konfessionen das Kirchesein organisieren: Während in Freikirchen häufig ein kongregationalistisches Verständnis von Gemeinde verbreitet ist und Kirche dementsprechend lediglich der Zusammenschluss dieser jeweils unabhängigen Gemeinden im Sinne eines Bundes ist, ist im römisch-katholischen Verständnis die Gemeinde von der Gesamtkirche bestimmt und bildet diese nur vor Ort ab. Das evangelischlandeskirchliche Verständnis von Kirche sowie Gemeinde liegt zwischen diesen beiden Perspektiven.37 Im reformatorischen Gemeindeverständnis ist der Aspekt der Sozialität konstitutiv, ausgehend vom Begriff der „Versammlung“ aus CA VII sowie in Bezug auf BTE III und der Bestimmung von Kirche als „Gemeinde von Brüdern“.38 Doch welche Sozialformen von Kirche sind darin angelegt? Die „soziologische Notwendigkeit“ von Gemeinde Religionsgeschichtlich gesehen ist Gemeinde „eine rel[igiös] motivierte Vergesellschaftung von Individuen“. Doch „G[emeinde]bildungen“ seien insgesamt in religionsgeschichtlicher Perspektive „eher die Ausnahme als die Regel“.39 Da missionarische Religionen jedoch zu ihrer Erhaltung und Weitergabe eines „sozialen Trägers“ bedürfen, der weiter reiche als familiäre und ethnische Zugehörigkeiten, könne man in diesen Fällen von einer „soziologischen Notwendigkeit der ‚Gemeinde‘“ sprechen.40 Da das Christentum sich als eine missionarische Religion versteht, besteht dementsprechend eine „soziologische Notwendigkeit“ der christlichen Gemeinde im Sinne einer gemeinsamen, nicht lediglich familiär oder ethnisch bedingten Teilhabe an etwas, um das man sich religiös motiviert versammelt. Etymologisch sowie auch soziologisch betrachtet, geraten mit dem Begriff Gemeinde Aspekte des Teilens im Sinne des Teilhabens und Teilgebens in den Blick. Hier geht es um etwas, das einzelne Personen miteinander
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Vgl. EKiR, 2017a, 12. Vgl. Johannes Zimmermann, 2009, 155. Vgl. Günter Kehrer, 2000, 610. Vgl. Johannes Zimmermann, 2009, 4 f.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
verbindet, das sie „gemein“ haben41 und um das oder auf das bezogen sie sich versammeln. So begründet Johannes Zimmermann aus religionsgeschichtlicher Perspektive zunächst die soziologische Notwendigkeit von Gemeinde im christlichen Kontext in seinem Forschungsbeitrag „Gemeinde zwischen Sozialität und Individualität“42. Der personale und lokale Aspekt von Gemeinde Da sich diese Teilhabe im Zusammenkommen äußere, impliziere dies eine konkrete Ortshaftigkeit. Gemeinde habe dementsprechend einen personalen sowie auch lokalen Aspekt.43 Christliche Gemeinde versteht Johannes Zimmermann diesen beiden Aspekten entsprechend mit der Formulierung des II. Vatikanischen Konzils „als congregatio fidelium localis, als örtliche Versammlung der Glaubenden“.44 Teilhabe und Teilgabe geschehe hier in der Versammlung um Wort und Sakrament. Wie genau sich der örtliche Aspekt dabei verwirkliche, sei jedoch nicht festgelegt, auch wenn die Versammlung um Wort und Sakrament meist mit der parochialen Gemeindestruktur assoziiert werde.45 So erscheint der Begriff Gemeinde in der Analyse von Johannes Zimmermann bezüglich der Sozialformen zunächst nicht (auf das parochiale Modell) festgelegt.46
41 Vgl. Friedrich Kluge, 2011, 345 und Johannes Zimmermann, 2009, 5 sowie die Definition des Begriffs von Christian Möller: „Das Wort ‚Gemeinde‘ […] [ist] vom Adjektiv ‚gemein‘ abgeleitet. […] Der Begriff ‚Gemeinde‘ übertrug sich dann auch auf die Menschen, die Anteil am Gemeindegrund haben und dadurch zur Gemeinschaft werden […]“ (Christian Möller, 1984, 316 f.). 42 Vgl. Johannes Zimmermann, 2009. 43 Vgl. ebd., 24. 44 Vgl. ebd. 45 Vgl. ebd. 46 Anders fällt die Analyse von Isolde Karle aus (vgl. Isolde Karle, 2010): Die Sozialform Gemeinde erklärt sie zur „regulative[n] Idee“ von Kirche (467) und versteht darunter eine Gemeinschaft, die von Kontinuität, Verbindlichkeit, Überschaubarkeit und einem lokalen Bezug geprägt ist. Unter Rückgriff auf den Neutestamentler Ulrich Luz (vgl. 465 f.) sieht sie all dies in der Ortsgemeinde verwirklicht, die sie mit ihrem Plädoyer zur maßgeblichen Sozialform erklärt. Dabei verpasst sie es, zu analysieren, inwiefern von ihr als „Spezialgemeinden“ (466) betitelte andere Organisationsformen von Gemeinde die benannten Aspekte ebenfalls / besser / anders erfüllen und welche Sozialformen darüber hinaus für Menschen, die „nicht nur verbindliche Sozialformen, sondern auch lose, offene und vage-distanzierte Kontakte […]“ (473) suchen, die am Ende nicht – wie von ihr vorausgesetzt – in einer „Bindung an die Kirche“ (473) münden, sinnvolle Ergänzungen der Ortsgemeinde sein könnten. Es scheint in ihrem Artikel aus dem Jahr 2010 so, als wolle sie die Ortsgemeinde als wesentliche Sozialform von Kirche vor der Abschaffung bewahren. Offensichtlich richtet sie sich dabei weniger gegen „Spezialgemeinden“ im Sinne von ergänzenden Gemeindeformen, als gegen eine Auflösung und Ersetzung von Ortsgemeinde durch größere Organisationseinheiten sowie durch Zentren und Stabsstellen (vgl. dazu insbesondere 470; 476–478).
3. Kirche als Gemeinde?
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Gemeinde als Gemeinschaft mit familiären Charakter? Doch auch mit diesem von ihm zitierten Gemeindeverständnis gerät vorrangig die parochiale Organisationsform in den Blick: Mit dem II. Vatikanischen Konzil wurde ein für den katholischen Kontext damals bahnbrechender Gemeindebegriff formuliert, während zuvor Gemeinde vielmehr als ein eher protestantischer Begriff galt. Erst nachkonziliarisch, ab ungefähr 196547, wurde Gemeinde im Zuge der Gemeindetheologie im katholischen Kontext48 diskutiert und zu einem Idealbild kirchlicher Basisorganisation.49 Mit der Gemeindetheologie reagierte die katholische Kirche auf Säkularisierungserfahrungen, die sie im Rückgang des Gottesdienstbesuchs in immer größer werdenden Pfarreien vermutete.50 Ungefähr 100 Jahre zuvor setzten sich im protestantischen Bereich mit beinahe identischen Begründungen ähnliche Konzepte im Kontext der so genannten Gemeindebewegung durch.51 Im Fokus dieser Konzepte steht eine spezifische Sozialform von Kirche: Die Gemeinde in ihrer parochialen Verfasst-
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Dies ist im Kontext des EKD-Reformprozesses „Kirche im Aufbruch“ verständlich. Nicht plausibel erscheint es jedoch, warum sie die Ortsgemeinde mit ihrem Bezug zum Wohnort zur maßgeblichen Sozialform erklärt und nicht danach fragt, welche Chancen andere Gemeindeformen bieten, um die von ihr als wichtig benannten Aspekte zu verwirklichen. Isolde Karles Argumentation, dass alle anderen Gemeindeformen prinzipiell auf Abgrenzungsmechanismen setzen (466), während die Ortskirchengemeinde als einzige Sozialform prinzipiell Unterschiedliche (vielmehr „alle“) integriere (466), erscheint angesichts aktueller Kirchenmitgliedschaftssowie kirchlicher Lebenswelten- und Milieuanalysen wenig überzeugend. In diesem Jahr erschien die Schrift „Prinzip Gemeinde“ des Wiener Pastoraltheologen Ferdinand Klostermann, der mit seinem Werk von 1974 „Gemeinde – Kirche der Zukunft“ als Initiator der nachkonziliaren Gemeindetheologie gilt. Dem Begriff Gemeinde kommt im katholischen Diskurs insbesondere seit dem II. Vatikanischen Konzil eine besondere Bedeutung im Rahmen der so genannten Gemeindetheologie zu, welche jedoch auch Vorläufer aus den 1930er Jahren hat. Sie gilt aktuell als gescheitert. Einen Überblick über die Gemeindetheologie aus katholischer Perspektive von 1935 bis 2009 findet sich bei: Rainer Bucher, 2010. Vgl. ebd., 289. Vgl. ebd., 292. Vgl. hierzu Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013: Im evangelischen Kontext stellte sich mit der Industrialisierung, dem Wachstum der Städte und somit auch der Gemeinden am Ende des 19. Jahrhunderts die Frage danach, wie Menschen der modernen Gesellschaft von der Kirche erreicht werden können (vgl. 95). Emil Sulzes Analyse nach, lag die Krise der Kirche in ihren unzureichenden Strukturen, so dass er das Ziel einer „überschaubaren Gemeinde“ formulierte und damit die „Gemeindebewegung“ prägte (vgl. 97). Zum Zeitpunkt des Erwachens der katholischen Gemeindetheologie geriet in den späten 60er und 70er Jahren der Gemeindebegriff im evangelischen Kontext wiederum in die Krise (vgl. 104), so dass sich der evangelische und der katholische Kontext zeitversetzt mit ähnlichen Fragen und Lösungsstrategien auseinandersetzten.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
heit, in der die Gemeinschaft der Glaubenden eine Art familiären Charakter52 annimmt und dauerhaft und verlässlich organisiert wird. Zeitliche Dimensionen des Gemeindebegriffs im Spannungsverhältnis Dabei wird deutlich, dass dem Gemeindebegriff neben den benannten personalen und lokalen Aspekten, auch ein zeitlicher Aspekt innewohnt, da Gemeinde insbesondere in ihrer parochialen Verfasstheit häufig mit der Vorstellung einer auf Dauer gestellten, kontinuierlichen Gemeinschaft verbunden ist. Unter Betrachtung der personalen sowie zeitlichen Aspekte weist Johannes Zimmermann in seinem Forschungsbeitrag jedoch auf ein doppeltes Spannungsverhältnis des Gemeindebegriffs hin. Dazu stellt er die jeweilige Gemeindedefinition von Eberhard Winkler und von Wilfried Härle einander gegenüber: Als ‚Gemeinde‘ im ekklesiologischen Sinn kann jede Gruppe von Menschen gelten, deren Aktionen im direkten Zusammenhang mit dem Wort Gottes stehen. Wo Menschen zusammenkommen, um dieses Wort zu hören und zu befolgen, existiert eine Gemeinde, auch wenn es sich um eine informelle Gruppe handelt53.
In dieser Definition von Eberhard Winkler wird die ekklesiologische Qualität jeder Versammlung im Sinne von CA VII betont, auch wenn diese Versammlung „auf ein einmaliges und möglicherweise zufälliges Zusammenkommen beschränkt“ ist.54 Diesem Verständnis von Gemeinde wohnt etwas Ereignishaftes inne. Wilfried Härle hingegen definiert Gemeinde aus anderer Perspektive: ‚Die Gemeinde ist die unterste ‚selbständige‘, d. h. in sich voll funktionsfähige Einheit der christlichen Kirche‘ […].55
52 „Zentrale Bezugsgröße der Kirchenmitgliedschaft ist in der Gemeindetheologie nicht mehr, wie eigentlich katholisch programmatisch üblich […], die römisch-katholische Gesamtkirche mit dem Papst an der Spitze, sondern der überschaubare Nahraum einer kommunikativ verdichteten, letztlich nach dem Modell einer schicksalhaft verbundenen Großfamilie gedachten ‚Gemeinde‘“ (Rainer Bucher, 2010, 290). Im evangelischen Kontext wird insbesondere ausgehend von Emil Sulze von der „überschaubaren Gemeinde“ gesprochen: „Eine auf persönlicher Kenntnis beruhende Gemeinschaft der Gemeindeglieder untereinander und mit dem Pfarrer verstand Sulze als Grundlage einer sinnvoll wirkenden Kirche“ (Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 97). 53 Johannes Zimmermann, 2009, 5 – in Bezug auf Eberhard Winkler / Gottfried Kretzschmar, 1975, 179 f. 54 Vgl. Johannes Zimmermann, 2009, 5. 55 Ebd., 5 – in Bezug auf Wilfried Härle, 1989, 305.
3. Kirche als Gemeinde?
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Für diese volle Funktionsfähigkeit braucht es ein verlässliches und kontinuierliches Zusammenkommen. Indem diese Sichtweise betont, dass Gemeinde dort ist, wo das Ereignis des sich Versammelns „in Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit stattfindet“56, zeigen sich hier vielmehr institutionalisierende Tendenzen. Johannes Zimmermann schlussfolgert: Zur christlichen Gemeinde gehört beides: der Ereignischarakter, dem etwas Unverfügbares innewohnt, aber genauso der Aspekt der Dauerhaftigkeit, verbunden mit der Aufgabe der Gestaltwerdung und Gestaltung.57
Damit ist das erste Spannungsverhältnis, das dem Verständnis von Gemeinde innewohnt, benannt, das zwischen Ereignis und Kontinuität insbesondere von zeitlichen Dimensionen geprägt ist. Soziale (und zeitliche) Dimensionen des Gemeindebegriffs im Spannungsverhältnis In Johannes Zimmermanns Forschungsbeitrag geht es jedoch im Wesentlichen um das Spannungsverhältnis58 zwischen dem oder der Einzelnen und der Gemeinde59 als Gemeinschaft des Glaubens60: „Ziel ist es, Gemeinde so zu gestalten, dass Sozialität und Individualität sich gegenseitig ergänzen und unterstützen.“61 Beide hiermit skizzierten Spannungsverhältnisse können dabei als miteinander verwoben verstanden werden. Denn der Begriff Gemeinschaft wird meist als Synonym für verbindliche und kontinuierliche Versammlungs- oder Zugehörigkeitsformen von Individuen verstanden, die Bindungen miteinander eingehen. Im kirchlichen Kontext wird Gemeinde häufig als Gemeinschaft in diesem allgemeingebräuchlichen Sinn verstanden. Doch inwiefern können mit CA VII und dem lateinischen Begriff „congregatio“ auch Gemeindeformen 56 Vgl. Johannes Zimmermann, 2009, 6. 57 Ebd. 58 Vgl. zu diesem skizzierten Spannungsverhältnis auch die Ausführungen des katholischen Pastoral-theologen Rainer Bucher: „Das zentrale Problem der kirchlichen Gegenwart, zumindest in unseren Breiten, ist strukturell die Schwierigkeit von Gemeinschaft und material die Setzung der Differenz des Eigenen innerhalb des allgemein Religiösen. […] Das Christentum kennt von seinen Anfängen her die Spannung von konstitutiver Gemeinschaftlichkeit und unvertretbarer Individualität vor Gott […]“ und „[…] ist in der Spannung von Individualität und Gemeinschaftlichkeit situiert – und nicht an einem dieser Pole“ (Rainer Bucher, 2008, 68 f.). 59 Vgl. Johannes Zimmermann, 2009, XVII. 60 Vgl. ebd., 9 f. Die Besonderheit christlicher Sozialität wird hier als „Gemeinschaft des Glaubens“ beschrieben. 61 Ebd., 486.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
begründet werden, die andere Versammlungsformen ermöglichen, als diejenigen, die einen dauerhaften und vergemeinschaftenden Charakter haben? Kann es Gemeinde auch als punktuellen Begegnungsraum geben, in dem Menschen sich versammeln, und ein Gemeinschaftsgefühl sich nur situativ ereignet oder gar nicht intendiert ist? Während Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong in ihrem kirchentheoretischen Entwurf 62 davon ausgehen, dass die gesellschaftliche Entwicklung – die durchaus ein neues Interesse an Gemeinschaftserfahrungen zeige – kirchliche Gemeinschaftsformen, die von „geringerer Dauer“ gekennzeichnet sind, vermutlich als Ergänzung bisheriger kirchlicher Sozialgestalten erforderlich mache63, plädiert Michael Herbst in seinem Beitrag zu Fragen der aktuellen Kirchentheorie64 für „das dezidierte Ja zu verbindlicher Gemeinschaft als Normalfall christlicher Existenz“65. Dabei setzt er sich durchaus für eine Vielfalt kirchlicher Sozialformen als Ergänzung des parochialen Gemeindemodells ein, geht aus Perspektive „der missionarischen Gemeindeentwicklung […] [jedoch] davon aus, dass dauerhafte, intensive Partizipation an Versammlungen unter Wort und Sakrament konstitutiv für den christlichen Glauben sind.“66 Den Aspekt verbindlicher und dauerhafter Gemeinschaft gelte es demnach in aktualisierten vielfältigen Formen gemeindlichen Lebens zu bewahren – diesen will er jedoch nicht als „eine Verpflichtung aller auf bestimmte Geselligkeitsformen im Sinne einer ‚Vereinskirche‘“67 verstanden wissen. Mit diesen beiden Vertretern sowie dieser einen Vertreterin unterschiedlicher Positionen im Kontext aktueller kirchentheoretischer Diskurse sei exemplarisch das Spannungsfeld skizziert, das an unterschiedlichen Stellen diskutiert wird.
62 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013. 63 „Neues Interesse an einer Gemeinschaftstheorie kommt auf, als sich empirisch zeigt, dass neben den individualistischen Werten auch wieder ein Wunsch nach andauernder stabiler Gemeinschaft zunimmt – als Sehnsucht in einer Gesellschaft, in der die faktische Erfahrung von dauernden Gemeinschaften immer weiter abgenommen hat (vgl. Hradil 2003; Kohler 2006, 60–62). Dabei beachtet man nun die faktischen Transformationen der Gestalten von Gemeinschaft zu ‚sozialen Netzwerken‘ (Keupp 1988, 97–130) und überhaupt zu ‚posttraditionalen Gemeinschaften‘ [Hervorhebung im Original]. Für diese sind die Wahl durch das Individuum, technische Überbrückung von Distanz und auch geringere Dauer kennzeichnend (vgl. Honneth 1993; Hitzler / Pfadenauer 2008). Diese Entwicklung dürfte auch Auswirkungen auf Gemeinschaftsformen der Kirche haben.“ (ebd., 143). 64 Michael Herbst, 2018. 65 Ebd., 85. 66 Ebd. 67 Ebd.
3. Kirche als Gemeinde?
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So kommt die Frage danach auf, ob es eine außerhalb aktueller Analysen und theologischer Schlussfolgerungen liegende Begründung für eine spezifische Sozialform von Kirche gibt. Auf der Suche nach biblischen Begründungen einer spezifischen Sozialform Die Verwendung des Begriffes ekklesia im NT – der sowohl mit Kirche als auch mit Gemeinde übersetzt werden kann68 – lässt kaum soziologische Rückschlüsse zur Kirche beziehungsweise Gemeinde zu: Gegenüber allen soziologischen Versuchen, die Kirchenfrage zu erfassen, muß bei Paulus, den Deuteropaulinen und dann auch beim vierten Evangelisten beachtet werden, daß die Ekklesiologie nichts anderes ist als Christologie und umgekehrt.69
Etymologisch betrachtet betont dieser griechische Begriff vor allem, dass es sich um „Gerufene“ handelt.70 Diesem Wortsinn nach kann ekklesia als das Zusammenkommen derjenigen, die sich aufgrund eines „Rufes“ versammeln, betrachtet werden und lenkt damit den Blick mehr auf das inhaltlich Zentrale der Versammlung als auf die Form. Gleichzeitig wird aus neutestamentlicher Perspektive deutlich, dass christlicher Glaube als Gemeinschaftspraxis beschrieben wird71, für die die Versammlung in Häusern und Mahlfeier wesentliches Merkmal ist72. Demgegenüber finden sich auch neutestamentliche Erzählungen, die von Christusbegegnungen uns Glaubensprozessen berichten, ohne dass etwas über den weiteren Prozess des Glaubens dieser Person berichtet oder von Jesus dazu in diesen Momen-
68 Vgl. zum neutestamentlichen Begriff ekklesia die Ausführungen des evangelischen Neutestamentlers Karl Ludwig Schmidt im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament: „Die besondere Eigentümlichkeit des nt.lichen Kirchen- bzw. Gemeindebegriffs wird durch die genannten Stellen aus der Ag deutlich. […] Es muß ferner unterstrichen werden, daß Singular und Plural promiscue gebraucht sind. Es ist nicht so, daß die ‚ekklesia‘ in ‚ekklesiai‘ zerfällt. Es ist auch nicht so, daß erst eine Addition von ‚ekklesiai‘ die ‚ekklesia‘ ergibt. […] Immer sollte man übersetzen und verstehen: entweder Gemeinde und Gemeinden oder Kirche und Kirchen. Und das Wort Gemeinde ist dem Wort Kirche vorzuziehen. Daß Kirche nicht recht entbehrt werden kann, liegt allein daran, daß in unsrem nun einem üblichen Sprachgebrauch die Gemeinde als die Einzelgemeinde von der Kirche als Gesamtgemeinde abgehoben wird“ (Karl Ludwig Schmidt, 1957, 505 f.). 69 Ebd., 515. Der Neutestamentler Ulrich Luz hingegen erklärt, dass „[…] im Neuen Testament auch die Ortsgemeinden, in denen sichtbare alltägliche Gemeinschaft ganz unterschiedlicher Menschen von Christus her gelebt werden kann, die wichtigste Sozialgestalt von Kirche [sind]“ (vgl. Ulrich Luz, 2010, 404). 70 Im griechischen Begriff ekklesia findet sich die griechische Verbwurzel von kaleo. 71 Als Beleg wird hierzu insbesondere Apg 2,42 herangezogen. 72 Vgl. Apg 2,46.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
ten etwas gelehrt wird73. Es lassen sich letztlich keine eindeutigen Schlüsse zu spezifischen Sozialformen von Kirche sowie Gemeinde aus dem NT ableiten, auch wenn der christliche Glaube aus biblischer Perspektive häufig mit Gemeinschaftserfahrungen verbunden wahrgenommen und beschrieben wird. EXKURS: Virtuelle Gemeinschaften Während personale, lokale sowie zeitliche Dimensionen des Gemeindebegriffs in diesem Kapitel bereits diskutiert wurden, gilt es sich im Zuge aktueller gesellschaftlicher Veränderungen durch die Digitalisierung auch mit der Frage nach virtuellen Gemeinschaftsformen und inwiefern diese als Gemeinde verstanden werden können zu beschäftigen. Der kirchliche Diskurs ist ausgehend von der Wahrnehmung einer zunehmenden Digitalisierung des Alltags74 unter dem Begriff „Digitale Kirche“ jedoch überwiegend von Fragen der Medienkompetenz und des Datenschutzes sowie auch Schutzes der Privatsphäre, Überlegungen zur Nutzung digitaler Medien zur Kommunikation des Glaubens sowie ethische Reflexionen geprägt.75 Zudem werden die Feier von Gottesdiensten im Internet, Begleitung in Trauer durch virtuelle Trauernetzwerke sowie auch digitale Möglichkeiten des Gebets und Seelsorgeangebote vermehrt diskutiert sowie vor allem ausprobiert.76 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage danach, inwiefern virtuelle Gemeinschaften oder auch Online-Communities als Gemeinde verstanden werden können, scheint jedoch noch auszustehen. Spezifische Forschungsbeiträge zu dieser Frage sind im Rahmen der vorliegenden Forschungen nicht gefunden worden. Aus soziologischer Perspektive wird mit dem Begriff virtueller Gemeinschaft meist ein Zusammenschluss von Personen bezeichnet, die sich einer Gemeinschaft zugehörig fühlen, ohne einander physisch begegnet zu sein. Diese Gemeinschaft ist in dem Sinne als virtuell zu begreifen, dass sie physisch nicht verbunden, jedoch auch nicht fiktiv ist, sondern über digitale Kommunikation vermittelt entsteht. Entscheidend ist dabei, ausgehend von der ursprünglichen Definition Howard
73 Vgl. hierzu exemplarisch Joh 4,6–30 und Mk 9,17–27. 74 Vgl. zum Aspekt der Digitalisierung die Ausführungen in ▶ Kapitel I. 75 Dies zeigt sich exemplarisch an der 2014 im Rahmen der EKD-Synode zum Thema „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“ in Dresden verabschiedeten Kundgebung, die als „zentrale Einsichten“ folgende drei Aspekte benennt: „Wir sind überzeugt, dass wir in christlicher Freiheit diese Entwicklung selbstbestimmt gestalten können und ihr nicht ausgeliefert sind. Eine Ethik des Digitalen hat für uns dabei das Wohl des Menschen und eine freie und gerechte Gesellschaft zum Maßstab. Die neuen Möglichkeiten wollen wir für die Kommunikation des Evangeliums nutzen“ (EKD, 2015, 3). 76 Vgl. dazu ebd., 90–94; 120–124.
3. Kirche als Gemeinde?
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Rheingolds (1993), der Aspekt langfristiger Kommunikation inklusive der Offenbarung von Gefühlen.77 Inwiefern diese Form der Kommunikation sowie Gemeinschaftsbildung mit den aktuell zur Verfügung stehenden technischen Mittel im geschützten Rahmen möglich ist, zeigt der Beitrag von Bernd-Michael Haese zur EKD-Synode unter dem Titel „(K)Eine neue Kirche im Netz“. Zugleich wird darin jedoch ein eher geringes Interesse an dieser Form christlicher Gemeinschaft in der Praxis der Evangelischen Kirche deutlich.78 Die Frage nach der Beurteilung virtueller Gemeinschaften als mögliche Form, in der sich Gemeinde verwirklicht, hängt aus Perspektive der Evangelischen Kirche aktuell am stärksten an dem Aspekt der physischen Begegnung. Auch wenn mit der Definition Howard Rheingolds keineswegs von Kurzfristigkeit oder punktuellen Begegnungen geprägte Gemeinschaftsformen in den Blick geraten, sondern der Aspekt des langfristigen Beziehungsaufbaus fokussiert wird, zeigt sich insbesondere bei den in ▶ Kapitel VI, 2.2.1 folgenden Ausführungen zu Gemeinde auf Zeit, dass „[e]in besonderes Augenmerk […] dem Aspekt der Leiblichkeit religiöser Praxis […]“ gilt.79 Diesem Kriterium nach wären virtuelle Gemeinschaften nicht als Gemeinde zu begreifen. Eine weiterführende Beschäftigung mit diesem Thema steht noch aus. Die vorliegende Arbeit bleibt der Frage nach der Bedeutung virtueller Gemeinschaften für einen aktuellen Gemeindebegriff auf der Spur, ohne jedoch dieses Thema zentral zu verhandeln. Gegebenenfalls können die empirischen Untersuchungen in ▶ TEIL C dieser Arbeit neue Erkenntnisse dazu eröffnen. Fazit Es lohnt sich im Folgenden, nicht nur zu diskutieren, welche Sozialgestalten des christlichen Glaubens in der Kirche als Gesamtorganisation aktuell sinnvolle Ergänzungen der Kirchengemeinde wären, sondern auch danach zu fragen, wie im Gemeindeverständnis die in diesem Kapitel skizzierte Spannung Gestalt gewinnt. Denn an Johannes Zimmermanns Forschungsbeitrag erscheint besonders beachtenswert, dass er nicht Kirche insgesamt in die skizzierten Spannungsverhältnisse zeitlicher und sozialer Dimensionen stellt, sondern
77 Vgl. dazu das Zitat von Howard Rheingold in seinem Buch „The Virtual Community. Homesteading at the Electronic Frontier“ (1993), auf das in der soziologischen Diskussion meist Bezug genommen wird: „Virtual communities are social aggregations that emerge from the Net when enough people carry on those public discussions long enough, with sufficient human feeling, to form webs of personal relationships in cyberspace [Hervorhebung im Original]“ (Virtual Community). 78 Vgl. EKD, 2015, 86. 79 Vgl. Peter Bubmann u. a., 2016, 351.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
dass er dafür plädiert, dass zu jeder christlichen Gemeinde diese Spannungsgestaltung gehöre. Wenn man dieser These Johannes Zimmermanns folgt, ist der Gemeindebegriff nicht mit einer Sozialform gleichzusetzen, die von Kontinuität geprägt ist. Sondern lässt der Gemeindebegriff in seiner Spannung zugleich Raum für weitere Sozialformen, die weniger von Dauer als vom Ereignischarakter geprägt sind.80 Folgerichtig erscheint es ausgehend von seiner These, weder ausschließlich auf kontinuierliche Gemeinschaftsformen noch ausschließlich auf ereignishafte Begegnungen ausgerichtete Versammlungsformen Gemeinde zu nennen. Sondern es erscheint notwendig, den Begriff Gemeinde prinzipiell von der Festlegung auf spezifische Sozialformen zu lösen und vielmehr als Interaktion mehrerer, mindestens punktuell verbundener Menschen mit dem Wort Gottes zu verstehen. Das Zentrale dabei ist, dass ihre Verbindung sich durch die gemeinsame Interaktion, die auf das Wort Gottes bezogen ist, ereignet und in diesem Sinne diese Menschengruppe als Gemeinde zu verstehen ist. Dem Aspekt, ob sie sich dazu einmalig oder kontinuierlich und in verbindlich wachsenden Beziehungen zueinander versammeln, kommt dabei zunächst keine Bedeutung zu. Sondern das maßgebliche Kriterium des Gemeindebegriffs liegt in der gemeinsamen Bezogenheit auf das Wort Gottes. In diesem Sinne ist auch Johannes Zimmermanns Resümee unter Rückgriff auf die katholischen Theologen Ferdinand Klostermann und Paul Zulehner zu verstehen: Gäbe es keine Gemeinden, gäbe es keine Kirche, mit anderen Worten: ‚Die Kirche ereignet sich wesentlich in und als Gemeinde‘; sie ist ‚prinzipiell gemeindlich‘.81
Das heißt, dass Kirche in Form der Gemeinde existiert. Und dass der Begriff Gemeinde als gemeinschaftliche Interaktion bezogen auf das Wort Gottes zu verstehen ist. Diese soziale Interaktion vollzieht sich im Teilgeben oder auch Teilnehmen am Wort Gottes, um das herum sich die Einzelnen versammeln, wie im ersten Abschnitt dieses Kapitels skizziert.82 Ausgehend von der For80 Vgl. dazu die Gegenüberstellung der beiden Gemeindedefinitionen von Eberhard Winkler und Wilfried Härle s. o. 81 Johannes Zimmermann, 2009, 7. 82 Auch die Form virtueller Gemeinschaft wäre demnach als Gemeinde zu verstehen, sofern sich hier ein gemeinschaftlicher Bezug auf das Wort ereignet. Dies wird durch den bereits erwähnten Beitrag von Bernd-Michael Haese noch einmal unterstrichen, da hier der Aspekt des Teilnehmens und Teilgebens fokussiert wird: „Insbesondere Online-Communitys, die nicht dem Facebook-Ideal folgen, sondern ein stärkeres eigenes Kommunikationsengagement erfordern, leben wie andere Gemeinschaften nicht ohne einen ‚Spirit‘, der die Menschen über den Zweck hinaus motiviert. Dieser Geist kann als ‚Logik der Gabe‘ beschrieben werden. Ebendiese Haltung des Gebens ohne erwartete Gegengabe macht das Einladende einer Community
4. Fazit zur sprachlichen Verwendung
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mulierung des siebten Artikels der CA könnte man auch sagen, dass sie sich in Form reiner Verkündigung des Evangeliums und der evangeliumsgemäßen Austeilung der Sakramente, also dem Sprechen und Hören sowie Austeilen und Empfangen der Versammelten ereignet. Zur Frage der sozialen Signaturen ist aus dem Gemeindebegriff dementsprechend keine Festlegung oder Priorität einer spezifischen Sozialform abzuleiten. Es werden jedoch Grenzen des Gemeindebegriffs markiert: Gänzlich unverbundene Einzelne, die dem Wort Gottes begegnen, sind ebenso wenig als Gemeinde zu begreifen wie eine Gruppe von Menschen, die gemeinschaftlich verbunden eine Kirche beispielsweise im Rahmen einer Stadtführung besucht, jedoch keine Interaktion mit dem Wort Gottes dabei erlebt. Darüber hinaus bleibt zu klären, inwiefern die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Interaktion mit dem Wort Gottes sichergestellt wird, wenn es sich hierbei um eher punktuelle Ereignisse handelt und nicht um eine von Kontinuität und Verbindlichkeit geprägte Gemeinschaftsform. Die Kirche muss dafür sorgen, dass sich die gemeinschaftliche Interaktion mit dem Wort Gottes dauerhaft und verlässlich ereignen kann, da sich das Christentum als missionarische Religion versteht. Dazu kann sie sowohl auf Sozialformen zurückgreifen, die von Kontinuität und Verbindlichkeit hinsichtlich der Gemeinschaftsform, die sich darin ereignen kann, geprägt sind, als auch auf Sozialformen, an denen Einzelne punktuell andocken können – und beide Formen können als Gemeinde verstanden werden. Nicht die jeweilige Gemeinschaftsform muss also die dauerhafte Möglichkeit der sozialen Interaktion mit dem Wort Gottes sichern, sondern die Kirche als Gesamtorganisation.
4. Fazit zur sprachlichen Verwendung der Begriffe Kirche und Gemeinde Nutzt diese Forschungsarbeit den Begriff Kirche, ist der Gesamtzusammenhang, also das gesamte organisatorische oder theologische Gebilde, gemeint. Der Begriff Gemeinde bezeichnet im Rahmen dieser Arbeit jeweils eine konkrete und lokalisierbare Teil-Gestalt der umfassenden, überlokalen Kirche.83 Dabei geht das Verständnis von Gemeinde jedoch nicht im Organisationsmodell der aus und führt mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass man tatsächlich eine Gabe zurückerstattet. Online-Communitys können in ihrer Handlungslogik eine Form des menschlichen Zusammenlebens sein, die dem christlichen Ideal entgegenkommt.“ (EKD, 2015, 88). 83 Vgl. zu dieser Verwendung der Begriffe auch Christian Möller, 1984, 317.
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V Begriffs- und Verständnisklärung
Kirchengemeinde auf, sondern lässt Raum für weitere Organisationsformen und Sozialgestalten von Kirche. Ebenso ist der Begriff nicht auf die Vorstellung von Gemeinde als kontinuierlicher und verbindlicher Gemeinschaft festgelegt. In diesem Sinne ist der Begriff Gemeinde im Kontext dieser Arbeit in seinem Grundverständnis klar markiert, jedoch zugleich ein Suchbegriff, in den neue Dimensionen – zunächst „Ergänzungen“ aus kirchentheoretischer Perspektive (▶ Kapitel VI), vor allem jedoch durch den empirischen Forschungsteil – eingetragen werden können. Dazu erfolgt immer wieder die Auseinandersetzung mit den so genannten Notae ecclesiae. Damit stellt sich diese Arbeit der von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong skizzierten Aufgabe, angesichts aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen, kirchlicher Veränderungsprozesse und kirchentheoretischer Debatten Kriterien für den Gemeindebegriff neu zu diskutieren: Wenn also einerseits die Frage, ob eine kirchliche Organisationsform ‚Gemeinde‘ ist oder nicht, für diese einen wesentlichen Unterschied macht, andererseits jedoch ‚Gemeinde‘ weder biblisch noch reformatorisch klar umrissen ist, ist eine Verständigung über Kriterien für den Gemeindebegriff unabdingbar. Diese Debatte wurde jedoch erstaunlicherweise lange vermieden; ein theologisches Primat der Parochie wurde vorausgesetzt.84
Insgesamt spiegelt diese Arbeit mit der hier skizzierten Verwendung der Begrifflichkeiten die evangelisch-landeskirchliche Perspektive wieder, in die diese Arbeit im Gesamten einzuordnen ist. Ausgenommen von den hier skizzierten Regelungen sind Zitate und explizite Bezüge auf Personen, die diese Termini anders verwenden.85
84 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 275. 85 Da im Rahmen dieses Forschungsvorhabens Impulse aus dem anglo-amerikanischen Raum aufgenommen werden, wo der Terminus church für Kirche sowie Gemeinde verwendet wird, und diese Impulse zum Teil andere kirchliche Kontexte fokussieren, steht diese Arbeit vor der Herausforderung, den Terminus church jeweils in den richtigen Zusammenhang mit der hier skizzierten Verwendung der Begriffe Kirche sowie Gemeinde zu bringen. Dort, wo der spezifische anglikanische Kontext gemeint ist oder der Begriff church nicht übertragen werden kann, wird dies durch die Verwendung von church gekennzeichnet.
VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
Mixed economy – dieses Stichwort markiert den Fokus dieses Kapitels: Wenn hier Beiträge zu einer neuen Vielfalt kirchlicher Ausdrucksformen herausgearbeitet werden, steht dabei nicht vorrangig die Neuheit von Ausdrucksformen des christlichen Glaubens im Fokus, sondern die Frage, wie bereits existierende kirchliche Sozialgestalten ergänzt werden können. Wie kann eine sinnvolle „Mixtur“ unterschiedlicher Ausdrucksformen von Kirche entstehen? Dabei geht es insbesondere um die Ergänzung der in ▶ Kapitel V skizzierten, aktuell vorherrschenden Form der Kirchengemeinde. Wesentlicher Impuls ist dazu die Fresh-Expressions-Bewegung aus England, die mit dem Begriff und strukturellen Konstrukt einer mixed economy nicht nur Impulse zu neuen Ausdrucksformen des Glaubens liefert, sondern das Neue konsequent als Ergänzung des Bestehenden und Teil von Kirche betrachtet. ▶ Kapitel VI, 1 führt in die Auseinandersetzung mit diesen Impulsen ein. Im anschließenden ▶ Kapitel VI, 2 werden aus zwei Perspektiven Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs dargestellt. Uta Pohl-Patalong hat hinsichtlich einer neuen Vielfalt kirchlicher Ausdrucksformen einen wesentlichen Beitrag geleistet, indem sie den konkreten Ortsbezug von Gemeinde mit struktureller Flexibilität verbindet und so eine unabhängige ekklesiologische Qualität nichtparochialer Ausdrucksformen von Kirche legitimiert. Ergänzende kirchliche Sozialgestalten kommen hier aus Perspektive eines neuen oder anders gewichteten Ortsbezugs in den Blick (▶ Kapitel VI, 2.1). Ergänzungen mit Blick auf zeitliche Dimensionen (▶ Kapitel VI, 2.2), in denen sich Gemeinde im Spannungsverhältnis zwischen Kontinuität und Ereignis gestalten lässt, werden anhand des Konzepts Gemeinde auf Zeit (▶ Kapitel VI, 2.2.1) und aus der Perspektive liquid church, insbesondere mit Bezug auf Michael Schüßlers Forschungsbeitrag einer Ereignisekklesiologie (▶ Kapitel VI, 2.2.2), skizziert. Diese Ansätze gehen von Verflüssigungstendenzen als Diagnose mit Blick auf die immer weniger von alten Stabilitäten geprägte Gegenwart aus. Inwiefern die hier diskutierten Ergänzungen neue Organisationsformen von Kirche als Gesamtgebilde erforderlich machen, beleuchtet ▶ Kapitel VI, 3. Dazu werden Stichworte und Konzepte wie Regiolokale Kirchenentwicklung (▶ Kapitel VI, 3.1), Kirche als Hybrid (▶ Kapitel VI, 3.2) und Kirche als Netzwerk (▶ Kapitel VI, 3.3) zunächst skizziert und anschließend diskutiert. Die Analysen werden in einem Fazit (▶ Kapitel VI, 3.4) gebündelt.
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
Daran schließt sich ein Exkurs zu Rollenverständnissen und Kompetenzen (▶ Kapitel VI, 4) an, da in einer Kirche, die sich in vielfältiger Gestalt versteht und dahingehend verändert, die Überprüfung und Neusortierung von Rollen und Kompetenzen nötig werden. Dabei geht es letztlich um die Frage, wie überhaupt Neues innerhalb des Systems Kirche entstehen kann, dass bereits Bestehendes ergänzen soll. Hierbei werden u. a. Begriffe wie Pionier, Ecclesiopreneur und Hero diskutiert. Dort, wo Neues entsteht, gilt es, Indikatoren, Maßstäbe oder auch Kriterien zu finden, die dieses Neue als Teil von Kirche sowie von Gemeinde erkennbar machen. Dieser Aufgabe widmet sich ▶ Kapitel VI, 5 und aktualisiert damit die Suche nach Kennzeichen von Kirche, die bereits in ▶ Kapitel V, 1 aus historischer Perspektive in Form von theologischen Skizzen deutlich wurde. In diesem Teil werden unterschiedliche „Kennzeichen“ und „Kriterien“ diskutiert, die sich in unterschiedlichen Kontexten aktueller landeskirchlicher Prozesse sowie kirchentheoretischer Diskurse finden lassen. So findet sich in diesem Teil auch die Auseinandersetzung mit zwei exemplarisch skizzierten Prozessen innerhalb der EKD: Zum einen mit dem Projekt „Erprobungsräume“ der EKM, sowie – ausführlicher – mit dem aktuellen Prozess der EKiR „Gemeinde formen“ in Form eines Exkurses (▶ Kapitel VI, 5.1), der den Exkurs aus kirchenrechtlicher Perspektive zum Gemeindeverständnis der EKiR (▶ Kapitel V, 2.1) ergänzt. Auch die Auseinandersetzung mit den Indikatoren für fresh expressions of Church in der Church of England spielen in diesem Teil eine entscheidende Rolle (▶ Kapitel VI, 5.2) und knüpfen somit an die Ausführungen des ▶ Kapitels VI, 1 an. Zudem werden hier die von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt formulierten „Kriterien für Gemeinde“ diskutiert (▶ Kapitel VI, 5.3). Mit einem Fazit (▶ Kapitel VII) werden die in diesem umfassenden TEIL B zur kirchentheoretischen Grundlegung der vorliegenden Arbeit benannten wesentlichen Aspekte gebündelt. Die exemplarische Auswahl kirchentheoretischer und landeskirchlicher Beiträge sowie die Herangehensweise insgesamt ist von der evangelisch-landeskirchlichen Perspektive dieses Forschungsprojekts geprägt, wenn zum Teil auch konfessions- und kontextübergreifend Konzepte, Impulse und Forschungsbeiträge herangezogen werden. Ziel dieses Teils ist nicht, die genannten Themen und Beiträge umfassend darzustellen und auszuwerten, sondern mit Blick auf die Frage nach einer neuen Vielfalt kirchlicher Sozialformen wesentliche Ansätze zu skizzieren, die das aktuelle Gemeindeverständnis weiten und die vorherrschende Form der Kirchengemeinde ergänzen können. Dies bildet den theoretischen Hintergrund für den folgenden empirischen ▶ TEIL C der Arbeit. In TEIL C werden zunächst christliche Initiativen, die maßgeblich von der Lebenssituation junger Erwachsener geprägt sind, aufgespürt und dann auf ihr ekklesiologisches Selbstverständnis hin befragt: Wie organisieren, strukturieren
1. Mixed economy
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und verstehen sich diese jungen Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens? Im Anschluss an TEIL B kann die anschließende Auswertung der empirischen Untersuchung in Debatten und Prozessen zu einem aktualisierten Gemeindeverständnis verortet werden.
1. Mixed economy – Wie die Anglikanische Kirche die Ergänzung fokussiert Die von England ausgehende so genannte Fresh-Expressions-Bewegung (FEBewegung) wird in Deutschland aktuell vielfältig rezipiert.1 Sie ist in England eine ökumenische Bewegung, die maßgeblich von der Anglikanischen und Methodistischen Kirche ausging sowie weitere ökumenische Partner hat.2 Diese Forschungsarbeit diskutiert die Prozesse und Entscheidungen der FE-Bewegung vorrangig aus Sicht der Church of England. Sie gilt als eine traditionelle und institutionelle Staatskirche und die Kirchenreform, die sich hier zeigt, macht eine Übertragung in den Kontext der Evangelischen Kirche in Deutschland eher möglich als unabhängige oder freikirchliche Bewegungen.3 Vor allem bezüglich der konkreten praktischen Gestaltung von Kirche vor Ort wird in dieser Bewegung immer wieder nach Inspiration und Antworten gesucht, wie so genannte fresh expressions of Church4 (fxC) im Sinne von „fri1
2 3 4
Vgl. dazu die Fülle von deutschsprachigen Veröffentlichungen zu dieser Thematik, wo die Bedeutung der anglikanischen Bewegung für den deutschsprachigen Kontext insgesamt deutlich wird. Eine Übersicht findet sich beispielsweise in der fortlaufend aktualisierten Literaturauswahl auf der Homepage des Netzwerks Fresh X (vgl. Literatur Fresh X). Dies zeigt sich auch in der Mitgliedschaft von acht Evangelischen Landeskirchen (EKiR, EKM, EKvW, Evangelische Landeskirche Anhalts, Evangelische Landeskirche in Baden, Evangelische Landeskirche in Württemberg, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers), des Bistums Hildesheim, der Evangelisch-Methodistischen Kirche, dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, der AMD, des CVJM Deutschland, einiger Hochschulen, Ausbildungsstätten und weiterer Werke und Verbände im so genannten Fresh XNetzwerk e. V. (Stand: August 2018), welches im Februar 2017 aus dem Runden Tisch Fresh X entstanden ist (vgl. Homepage Fresh X c). Alle aktuellen Partner der FE-Bewegung in England sind auf der Homepage aufgeführt (vgl. Homepage fx a). Vgl. Sabrina Müller, 2016, 310. Zur Kohärenz in der vorliegenden Arbeit und Eindeutigkeit der unterschiedlichen Begriffe im Kontext von Fresh Expressions of Church, orientiere ich mich im Folgenden an den von Sabrina Müller erarbeiteten Termini und Abkürzungen: Zur Bezeichnung von „genuine[n] lokalisierbare[n] Formen von Kirche“ wird der kleingeschriebene Terminus fresh expressions of Church genutzt, der mit fxC abgekürzt wird. Wenn die gesamte Bewegung gemeint ist, wird stets die
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
schen“, „neuen“ sowie vor allem das parochiale Modell ergänzenden Formen von Gemeinde aussehen können. So werden seit einigen Jahren aus Deutschland Studienreisen nach England unternommen, wurden angelehnt an das englische Kursmodell so genannte Fresh-X-Kurse5 sowie vereinzelt Studienprogramme6 entwickelt, um Menschen für pionierhafte kirchliche Arbeit im Sinne der FE-Bewegung auch in Deutschland zu befähigen. Auch in Leitungspositionen der Kirchen wird die Frage gestellt, was von der FE-Bewegung mit Blick auf eigene Leitungsaufgaben gelernt werden kann.7 Denn neben Pionieren und Pionierinnen, die in unterschiedlichen Kontexten dem Evangelium neue Gestalt verleihen, indem sie neue christliche Gemeinschaften – die so genannten fxC – initiieren, steht in dieser Bewegung vor allem das Konzept einer mixed economy8 im Sinne einer Kirche, die Vielfalt ermöglicht, fördert und fordert, im Fokus. Neue Gemeindeformen werden als Ergänzung bekannter kirchlicher Sozialformen betrachtet und benötigt. Das Zusammenspiel unterschiedlicher bewährter und junger kirchlicher Ausdrucksformen ist das Herzstück dieser Bewegung, für dessen Gelingen vor allem die kirchlichen Leitungsebenen und Leitungspersonen mit ihrem ermöglichenden, fördernden und begleitenden Handeln in solchen Prozessen entscheidend sind.9
große Schreibweise Fresh Expressions genutzt, die mit FE abgekürzt wird (vgl. ebd., 17). Für den deutschsprachigen Kontext sind die Begrifflichkeiten übertragen worden, so dass hier meist von Fresh X die Rede ist. Fresh X kann dabei jedoch sowohl die gesamte Bewegung als auch eine im Horizont dieser Bewegung entstandene neue christliche Gemeinschaft meinen. Um diesen Missverständnissen vorzubeugen, erfolgt in der vorliegenden Arbeit eine Orientierung an den erläuterten Schreibweisen und Abkürzungen (fxC / FE). Ausnahmen sind explizite Bezüge, wie beispielsweise auf das Netzwerk Fresh X. Fremdsprachige Begriffe und ihre jeweiligen Abkürzungen (wie z. B. fresh expressions of Church, mixed economy, liquid church) bleiben in ihrer Schreibweise erhalten und werden kursiv markiert. Dies gilt für die gesamte Arbeit und wurde auch vor diesem Kapitel bereits so umgesetzt. Ausnahmen sind Begriffe für die eine deutsche Schreibweise vorliegt (wie z. B. für Notae ecclesiae). 5 Vgl. zum Kurs in Deutschland die Informationen auf der Homepage des Netzwerks Fresh X (Homepage Fresh X a). Aktuell wird eine empirische Untersuchung zur Nutzung der Kurse angestrebt, bisher sind dazu jedoch keine Ergebnisse oder weitere Informationen bekannt. 6 Beispielsweise an der Universität in Greifswald finden vom Lehrstuhl für Praktische Theologie in Zusammenarbeit mit dem IEEG verantwortete Lehrveranstaltungen dazu statt (vgl. Homepage IEEG c). 7 Dies zeigt sich in der EKiR beispielsweise in der Studienreise der Kirchenleitung im September 2016 (vgl. Studienreise). Dieses Interesse aus Leitungsperspektive zeigte sich auch im EKD-Zukunftsforum 2014, das sich an die Mittlere Ebene richtete und die Gedanken der FE- Bewegung thematisierte (vgl. Zukunftsforum). 8 Vgl. Sabrina Müller, 2016, 94–96. 9 Vgl. dazu Sabrina Müller, 2014, 451 f. sowie Sabrina Müller, 2016, 306–308.
1. Mixed economy
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1.1 Der Begriff und die Idee einer mixed economy Der aus der Wirtschaft entlehnte englische Begriff mixed economy hat im deutschsprachigen Raum keine einheitliche Übertragung gefunden. Er wurde erstmals von Rowan Williams geprägt10, der von 2002–2012 als Erzbischof von Canterbury die FE-Bewegung maßgeblich unterstützte und prägte. Im deutschsprachigen Kontext wird mixed economy in direkter Übertragung mit „Mischwirtschaft“11 wiedergegeben. Während das deutschsprachige Fresh-XNetzwerk einige Zeit später begann, von „Kirche in doppelter Gestalt“12 zu sprechen, prägte der Leiter des ZMiR, Hans-Hermann Pompe, den Begriff „Kirche in vielfacher / vielfältiger Gestalt“13. Häufig werden jedoch Bildanalogien zur Umschreibung genutzt wie z. B. „Mischwald“14, „See-und-Fluss-Prinzip“15 oder auch „Biodiversität“16.17 Hintergrundfolie für diese Übersetzungen sind oft Bilder von Ökosystemen. Offensichtlich wird ihnen ein besonders hohes Maß an Veranschauungspotential zugemessen, wenn es darum geht, herauszu-
10 Vgl. Michael Moynagh, 2008, 177. 11 Der Begriff ist so zunächst bei der von Michael Herbst 2006 herausgegebenen deutschen Übersetzung von „Mission-shaped Church“ zu finden (vgl. Michael Herbst (Hg.), 2006, 15). 12 Vgl. Homepage Fresh X d. 13 Vgl. dazu seinen Vortrag „Kirche in vielfacher Gestalt“ bei der AmD Dortmund im Oktober 2014, wo er erstmals „provisorisch“ mit diesem Begriff arbeitet (vgl. Hans-Hermann Pompe, 2014, 2) und sich damit bewusst von der Formulierung „Kirche in doppelter Gestalt“ des Fresh-X-Netzwerks abgrenzt. Durch Hans-Hermann Pompes Übersetzung von Steven Crofts Vortrag auf dem DEKT 2015 hat sich dieser Begriff einer „Kirche in vielfacher Gestalt“ weiter verbreitet (vgl. Hans-Hermann Pompe, 2015, insbesondere Fußnote 1 – diese Übersetzung ist ebenfalls erschienen in: Hans-Hermann Pompe u. a. (Hg.), 2016, 13–20). 14 Dieser Begriff geht laut Hans-Hermann Pompe auf die Pastorin Sandra Bils zurück (vgl. HansHermann Pompe, 2014, 2 sowie. Hans-Hermann Pompe u. a. (Hg.), 2016, 71), die gemeinsam mit Maria Herrmann für das ökumenische Projekt Kirche2 als Referentin arbeitet (vgl. Sandra Bils / Maria Herrmann, 2015). 15 Dieses Bild ist ebenfalls der englischen Bewegung entlehnt, vgl. hierzu Michael Moynaghs Verweis auf Phil Potter, der die „mixed economy church“ mit dem Bild vom „lake“ (wohnortbezogene Gemeinde) und „river“ (fxC) geprägt haben soll (vgl. Mixed Economy). Für die Verwendung im deutschsprachigen Raum vgl. Michael Herbst, 2013 sowie die Beschreibung von mixed economy (Homepage Fresh X d). 16 Die Schweizer Theologin Sabrina Müller weist daraufhin, dass „[i]m Schweizer Fresh-Expressions-Team […] als Übersetzungsvariante von mixed economy von kirchlicher Biodiversität gesprochen [wird]. So steht eine kirchliche Biodiversität in Gegensatz zu einer reinen kirchlichen Monokultur.“ (Sabrina Müller, 2016, 82, Fußnote 89). Dementsprechend findet sich diese Verwendung exemplarisch bei dem Schweizer Pfarrer dieses Teams, Matthias Krieg (vgl. Matthias Krieg, 2013, 104), und ebenso in einem jüngeren Aufsatz von Sabrina Müller (Sabrina Müller, 2016). 17 Vgl. Hans-Hermann Pompe u. a. (Hg.), 2016, 152.
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
stellen, inwiefern es unterschiedliche Formen oder Arten und Weisen braucht, die einander ergänzen. Dabei muss beachtet werden, dass die unterschiedlichen „Einzelteile“ gleichwertig vorkommen, damit das Gleichgewicht – im Bild eines Ökosystems gesprochen, z. B. das stehende Gewässer in Form eines Sees – nicht kippt. Wesentlicher Beitrag dieser Bilder ist die Verdeutlichung des aufeinander Angewiesenseins und der Ergänzungsbedürftigkeit der einzelnen Teile eines Ökosystems, damit das System lebendig bleibt. Allerdings verbleiben die meisten hier skizzierten Bilder in einer dualen Sichtweise, die somit vielmehr dem Begriff einer Kirche in doppelter als in vielfältiger Gestalt entsprechen würde. Der Begriff einer Kirche in vielfältiger Gestalt / Kirche der Vielfalt wird im Kontext dieser Arbeit dennoch vorgezogen, da es nicht um eine spezifische Form geht, um die die bisher maßgebliche (aber auch nicht einzige!) Sozialgestalt von Kirche ergänzt werden soll. Mit Blick auf die Kirche verdeutlichen diese Bilder die Notwendigkeit, anhand eines Sowohl-als-auch-Prinzips sicherzustellen, dass es zu gleichwertigen Beziehungen der unterschiedlichen Teile kommt. Statt Konkurrenz oder Ungleichgewicht geht es um Ergänzung und Ausgewogenheit. Dazu müssen die Spannungen, die zwischen Teilen von Kirche, Gemeinden und kirchlichen Aktivitäten entstehen können, wenn Neues zu dem Vertrautem hinzukommt, bewusst gestaltet statt in die eine oder andere Richtung aufgelöst werden. Mit Blick auf die Erfahrungen der Anglikanischen Kirche, die Sabrina Müller von 2010 bis 2014 im Rahmen ihres Dissertationsprojekts untersucht hat, fasst sie die Chancen und Herausforderungen von mixed economy letztlich wie folgt zusammen: Der Gedanke der mixed economy versucht die Spannung von Institutionen und anerkanntem experimentellem Raum aufrechtzuerhalten. […] Die mixed economy ist ein Ideal, welches abhängig vom menschlichen Vermögen gelingen oder scheitern kann. Damit die mixed economy ausbalanciert werden kann, braucht es eine gross zügige [sic!] Ekklesiologie und Menschen (u. a. Bischöfe), welche als Beziehungsdrehscheibe fungieren und welchen beide Ausdrucksformen von Kirche ein Anliegen sind. […] Gerade das herausfordernde Konzept der mixed economy kann auf die Frage nach der una ecclesia Antworten liefern.18
In Sabrina Müllers Kommentar wird das Potential des mixed-economyGedankens deutlich: Gemeinden können gerade dann unterschiedliche Schwerpunkte, Kontexte oder auch Zielgruppen fokussieren, wenn sie sich gemeinsam als Kirche, als una ecclesia verstehen. Schwerpunktbildungen, Kontext- oder
18 Sabrina Müller, 2016, 306–308.
1. Mixed economy
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Zielgruppenfokussierungen von Gemeinden werden häufig von der parochialen Seite als Angriff auf die Einheit oder Auflösung der Einheit der Kirche interpretiert. Doch genau an dieser Stelle liegt weniger eine Gefahr, sondern eine besondere Chance, die dieses Modell mit sich bringt. Auch Michael Herbst weist schon 2006 darauf hin, dass in diesem Anglikanischen Experiment für den deutschen Kontext eine große Chance liegen kann, das parochiale System ernsthaft zu ergänzen, indem neue Gemeindeformen keine diesem System untergeordnete Rolle spielen, sondern zu „mündigen Partnern“ der Kirchengemeinden werden. Zugleich beschreibt er, wie fragil dieses Ideal einer mixed economy ist und dass diese Chance auf der anderen Seite den Preis der Unübersichtlichkeit hat und Komplexität mit sich bringt.19 Für den evangelischen Kontext bleibt darüber hinaus zu klären, wie dieses Ideal umzusetzen ist, wenn einzelne Landeskirchen stärker presbyterial-synodal und weniger bischöflich organisiert sind. Denn das Anglikanische Modell operiert hier unter anderem mit der so genannten bishop’s mission order (bmo)20, durch die ein Bischof im Zweifels- und auch Streitfall eine Initiative als offizielle fxC und Teil der Church of England anerkennen kann. Deutlich wird: Es braucht Gestaltungsmechanismen von Personen auf der mittleren Leitungsebene, die für kirchliche Regionen verantwortlich sind, damit eine mixed economy gelingt. Ebenso braucht es diese Personen – wie Sabrina Müller formuliert – als „Beziehungsdrehscheibe“21, da Ergänzung nicht nur durch strukturelle Entscheidungen gelöst, sondern erst durch Beziehungen unterschiedlicher Teile von Kirche miteinander gestaltet werden kann.
1.2 Förderung und Anerkennung der fxC als gleichwertige Partner in einer Kirche der Vielfalt Aus Sicht der mixed economy kommen fxC in der Church of England als gleichwertige Partner der Parochialgemeinden in den Blick. Dazu müssen fxC jedoch überhaupt erst einmal entstehen und dann von der verfassten Kirche integriert werden. Besonders bemerkenswert und entscheidend ist mit Blick auf die Anglikanische Kirche, dass der ehemalige Erzbischof von Canterbury22, Rowan 19 Vgl. Michael Herbst (Hg.), 2006, 17 f. 20 Vgl. die Skizzierung sowie auch aktuelle Bewertung der so genannten bmo in der Studie „The Day of Small Things“ (George Lings, 2016, 225). 21 Sabrina Müller, 2016, 307. 22 Von 2002–2012 war Rowan William Erzbischof von Canterbury, seit 2013 ist Justin Welby in diesem Amt, der ebenfalls als Förderer und Unterstützer der FE-Bewegung gilt.
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
Williams, die Entstehung von fxC fokussierte und durch unterschiedliche Entscheidungen maßgeblich förderte: lf a movement like this is to be sustained, it needs resources and recognition. The leadership and public support, which the Archbishop of Canterbury has offered, has been crucial to the progress that has been made, not least in his establishing of the Fresh Expressions team in succession to Springboard.23
Inwiefern diese Prozesse, die dazu führten, dass fxC als Ergänzung der Parochie und gleichwertige Teile der Church of England anerkannt werden, von Seiten der Institution her „Förderung und nicht nur Duldung bedeutet“ haben, fasst Michael Herbst eindrücklich zusammen: Es wird darüber nachgedacht, wie sie sowohl eine gesunde Eigenständigkeit bekommen können als auch in das kirchliche Ganze integriert werden können. Da geht es auch um Finanzen, Wahlrecht, kirchliche Abgaben usw. Das parochiale Monopol wird fröhlich aufgelockert. ‚In typical Anglican style we are trying not to be too definitive in our definitions and letting them develop, but it causes uncertainty‘ […] So antwortete Bischof em. John Finney in einem Brief auf meine zahlreichen Verständnisfragen zu den Auflockerungen im Kirchenrecht der Anglikanischen Kirche, die eigens für die Gemeindepflanzungen und neuen Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens geschaffen wurden.24
Im Kontext der von Michael Herbst skizzierten „Auflockerungen im Kirchenrecht“ wird ein intensives Ringen um Kennzeichen sowie Indikatoren oder Kriterien, die einen Gemeindebegriff deutlich werden lassen, der nicht allein auf längst vertraute Sozialformen festgelegt ist, sondern auch aktuelle Entwicklungen und neue Ausdrucksweisen einschließt, deutlich. Zwischen all dem, was neu entsteht, müssen Entscheidungskriterien bereitgestellt werden, um etwas als fxC und in dem Sinne als Teil der Church of England anzuerkennen. Hier zeigt sich die Suche nach Parametern zur Überprüfung der ekklesiologischen Qualität dessen, was sich aktuell entwickelt, von der auch das vorliegende Forschungsprojekt geprägt ist. In dieser Suchbewegung kommt die Frage auf, ab wann eine Sozialgestalt des christlichen Glaubens von der verfassten Kirche als Gemeinde anerkannt werden kann. Wieviel Entwicklung,
23 Vgl. Mission-shaped Church, 2012, vii. 24 Michael Herbst (Hg.), 2006, 17.
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wieviel Reife benötigt es? Wann ist etwas eine reife und in dem Sinne „fertige“ Sozialgestalt des christlichen Glaubens mit ekklesiologischer Qualität? Interessant ist dabei die Beobachtung von Sabrina Müller im Kontext ihrer Forschungstätigkeit in der Church of England, „[d]ass Kirche von den interviewten Personen nicht als statisch begriffen wird […]“25: Den jungen ekklesialen Gemeinschaften wird zugestanden, im Entwicklungsprozess zur Kirche sein zu dürfen und trotzdem schon Kirche sein zu können.26
In der FE-Bewegung scheint sich aktuell ein Verständnis von Kirche zu entwickeln, das neue Ausdrucksweisen kirchlichen Lebens „als normale[n] und signifikante[n] Teil des kirchlichen Lebens in England“27 sieht und dabei sowohl diesen noch jungen, als auch lang erprobten kirchlichen Ausdrucksformen zugesteht, in einem Entwicklungsprozess zu sein. So formuliert George Lings, der bis 2017 Direktor der Church Army’s Research Unit war und somit 20 Jahre lang maßgeblich für empirische Daten und deren Analysen im Kontext der FE-Bewegung gesorgt hat, in der Veröffentlichung „The Day of Small Things“ (2016): It is possible that this desire for ecclesial purity has been fueled by inter-denominational rivalry, shaded by the reality that there were very few new churches, and the expectation that any that should occur would be copies of previous ones. Our counter view is that the question ‚when is something church?‘ is more like the question ‚what is it to be human?‘ Today most of the fxC are young; by contrast some long existing local churches are commendably mature, while others are at best fragile and elderly, with some regrettably even suggesting the onset of ecclesial amnesia. Yet all these are churches in varying stages of life. It may be more generous and yet more accurate to say there are churches of all ages, thus to measure them by their performance and an equivalent of full maturity may be an error.28
Einzelne Tendenzen, die ebenfalls eine Prozessualität des Gemeindebegriffs skizzieren, zeigen sich aktuell auch im kirchentheoretischen Diskurs in Deutschland. So resümieren Birgit Weyel, Kristian Fechtner und Peter Bubmann zu ihrer Analyse des Konzepts Gemeinde auf Zeit und der dabei diskutierten Fragen, welche Merkmale der Begriff Gemeinde zu erfüllen habe:
25 26 27 28
Sabrina Müller, 2016, 170. Ebd., 43. Ebd., 93. George Lings, 2016, 21.
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Die praktisch-theologische Aufmerksamkeit richtet sich heute weniger darauf, festzustellen, was Gemeinde ist, sondern will erkunden, wie sich in unterschiedlichen Kontexten Gemeinde entwickelt [Hervorhebung im Original] und wie sie jeweils Gestalt gewinnt.29
Genau an diesem Punkt der Untersuchung, wie etwas jeweils Gestalt gewinnt, begegnet in der anglikanischen Diskussion die Herausforderung, eine klare Definition für diese neuen kirchlichen Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens zu erarbeiten. So wurden 2011 von der Church Army’s Research Unit zehn Indikatoren entwickelt, die dabei helfen sollen, zu erkennen und zu beurteilen, was eine fxC im anglikanischen Sinn ist. Diese Entwicklung beruht darauf, dass sich in der Church of England, deutlich mehr als fünf Jahre nach der Einführung des Begriffs fxC, Unsicherheiten zeigten in der Beurteilung dessen, was als fxC gilt und was auch nicht: One of the surprises of our research was how much confusion exists about ‚what is a fresh expression of Church?‘ There is still a need for consistent clear communication about this.30
Das 2004 vom Erzbischof Rowan Williams eingesetzte FE-Team hatte zwar eine offizielle Definition, die an den vier Begriffen „missional“, „contextual“, „formational“, „ecclesial“ orientiert ist31, für fxC erarbeitet32 und seit 2006 verbreitet, dennoch gab es in der Church of England mit der wachsenden Popularität des 29 Peter Bubmann u. a., 2016, 357. Weitere Ausführungen dazu finden sich im folgenden Kapitel (▶ Kapitel VI, 2.2.1). 30 Vgl. George Lings, 2014, 3. 31 Vgl. Michael Moynagh, 2017, 115. 32 Vgl. dazu exemplarisch die Formulierung dieser Definition in der Variante, wie sie sich in George Lings, 2016, 18 findet (ähnlich auch bei Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, xiv): „1. Missional – it intends to work with non-churchgoers 2. Contextual – it seeks to fit the context 3. Formational – it aims to form disciples 4. Ecclesial – it intends to become church.“ Auf der im Sommer 2017 aktualisierten Homepage der englischen FE-Bewegung werden diese vier Merkmale erstaunlicher Weise ohne die ursprünglichen Begriffe für die vier Kernmerkmale wie folgt formuliert: „A Fresh Expression is fresh! New, original, pioneering, innovative, different … you get the idea. A FX is not a re-brand or update to an existing model – it is a NEW thing that has developed because of a particular culture or context. They can be a network or a gathering, and they often don’t look like ‚church‘. A Fresh Expression has its own identity. It isn’t a tag-on or optional extra for people already involved in church, nor is it a bridge for those outside the church into joining ‚the real thing‘. Fresh Expressions are the real thing for the people they engage with.
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Begriffs und der Anzahl von so genannten fxC eine ebenso wachsende Unklarheit darüber, was eine fxC ist und was nicht.33 Mit den zehn von der Church Army’s Research Unit erarbeiteten Punkten wurden dementsprechend deutliche Orientierungsmerkmale formuliert. Darüber hinaus wurde zu diesem Zeitpunkt der offizielle Fragebogen34 für die seit 2011 zudem angestrebte und fortan von der Church Army’s Research Unit unter George Lings Leitung durchgeführte quantitative Untersuchung35 von fxC entwickelt: By late 2011, it was prudent to assume and test whether considerable confusion existed in the wider Church as to what constituted a genuine fresh expression of Church. Thus the team [of the Church Army’s Research Unit, Anmerkung R.J.K.] worked firstly on a set of criteria surrounding both the missional and the ecclesial identity of any case presented, as well as devising some markers towards its maturity or sustainability. The criteria were tested with leaders in Liverpool diocese and thought fair and acceptable. Secondly, they devised a questionnaire to collect data on the key dynamics of every fxC included.36
Die zehn entwickelten Indikatoren, sollten fortan bei der Anerkennung von fxC in der Church of England helfen und auch insgesamt zur Klärung der Frage beitragen: „What is an Anglican fresh expression of Church? [Hervorhebung im Original]“37 Doch trotz dieser seitdem vorhandenen „robusteren“38 Definition von fxC lässt sich eine gewisse Unklarheit nicht ausräumen, die letztlich die bleibende und – auch für den Kontext dieses Forschungsvorhabens – entscheidende Grundfrage deutlich werden lässt: „‚When does something become Church?‘ is a current question.“39, wie George Lings 2017 erneut formulierte.
33 34 35 36 37 38 39
A Fresh Expression is mainly for people who don’t ‚go to church‘. ‚Un-churched‘ (those who’ve never been) or ‚de-churched‘ (those who left for whatever reason) – FXs tend to grow to serve and make a space for these folk. A Fresh Expression journeys with people. They make discipleship a priority – valuing people’s different faith journeys and supporting them as they wonder, explore and encounter. [Hervorhebungen im Original]“ (vgl. Homepage fx b). Vgl. Sabrina Müller, 2014, 41–44. Vgl. Church Growth Research, 2013, 106 f., Appendix One: The questionnaire. Vgl. George Lings, 2014, 2 f. Church Growth Research, 2013, 9. Vgl. ebd., 10. Die Auflistung und Diskussion dieser zehn Indikatoren findet sich in ▶ Kapitel VI, 5.2. Vgl. George Lings, 2016, 20. George Lings, 2017, 89 – vgl. ▶ Vorwort.
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So stimmt bis heute das Verständnis davon, ab wann etwas als reife Ausdrucksform von Kirche und speziell als fxC angesehen wird, aus Sicht der Anglikanischen und Methodistischen Kirche in England nicht überein.40 2012 wurden die unterschiedlichen Antwortversuche auf diese Frage erstmals deutlich und zugleich öffentlich: Since 2012, a yet more demanding set of eight criteria, all of which must be explicitly fulfilled ‚as a necessary and sufficient condition for a particular Christian community to be recognised as a church‘, has been published by the report Fresh Expressions in the Mission of the Church – an Anglican-Methodist working party on fresh expressions of Church. […] At root, this working party report belongs within the stable that holds that practices are determinative of church identity, rather than the alternative view, which holds that relationships are foundational, which only then lead to practices that embody and fortify those relationships.41
Ausgehend davon wurde es für George Lings offensichtlich wichtig, selbst nicht weiterhin von „criteria“ sondern fortan bewusst von „indicators“ zu sprechen.42 Zum Verständnis dieser skizzierten Spannung zwischen „practices“ oder „relationships“ als grundlegender Kennzeichnung von dem, was als fxC in 40 Vgl. ebd., 93, Fußnote 49. 41 George Lings, 2016, 20 f. Hier erfolgt die Auflistung dieser acht Kriterien: „1 A community of people who are called by God to be committed disciples of Jesus Christ and to live out their discipleship in the world. 2 A community that regularly assembles for Christian worship and is then sent out into the world to engage in mission and service. A community in which the Gospel is proclaimed in ways that are appropriate to the lives of its members. 4 A community in which the Scriptures are regularly preached and taught. 5 A community in which baptism is conferred in appropriate circumstances as a rite of initiation into the Church. 6 A community that celebrates the Lord’s Supper. 7 A community where pastoral responsibility and presidency at the Lord’s Supper is exercised by the appropriate authorised ministry. 8 A community that is united to others through: mutual commitment, spiritual communion, structures of governance, oversight and communion and an authorised ministry in common“ (ebd., 228, Appendix four: Alternative criteria for fxC). 42 Vgl. ebd., 20 f. Ein Hinweis zur Nutzung der Begriffe sei an dieser Stelle noch gegeben: Die von der Church Army’s Research Unit entwickelten zehn Punkte waren zuvor ebenfalls als „criteria“ bezeichnet worden. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Veröffentlichung „Church Growth Research Project – Report on Strand 3b“, in der die 2012 veröffentlichten acht Kriterien erstmals kritisch diskutiert werden (vgl. Church Growth Research, 2013, 12–14), gleichzeitig aber noch die Rede ist von eigenen „criteria“ (vgl. ebd., 6 und 9 und 11). Zudem findet sich hier auch die Bezeichnung „Ten parameters“ (vgl. ebd., 10).
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der Church of England verstanden werden soll, ist ein Exkurs zu den Ausführungen von einem wichtigen theologischen Impulsgeber für die FEBewegung, Michael Moynagh, und seinem Grundlagenwerk „Church for Every Context“ sinnvoll. Exkurs: „Church as four sets of relationships“ – Michael Moynagh Anhand von vier Beziehungsdimensionen43 beschreibt Michael Moynagh church as an event in the context of four sets of relationships […]. Any part of the church – and any individual within it – is engaged in each of these relationships. Jesus is the hub round which these relationships happen.44
Er zitiert zur Beschreibung dieser Beziehungsdimensionen die Bezeichnungen aus „Mission-shaped Church“45: UP relationships through participating in the life of the Trinity IN relationships through fellowship within the gathering OUT relationships in love for, and service of the world OF relationships, as part of the whole body, through connections with the wider church.46 – Relations to the whole church are the ecclesial counterpart to the perichoretic relationships within the Trinity – one affects all.47
Dabei werden die vier Kennzeichen der Kirche des Nicaeno-Constantinopolitanum als grundlegende Beziehungsdimensionen gedeutet, die das Wesen von Kirche bestimmen: This four-relationships approach differs from views that emphasize certain practices as essential to church. Usually the tradition has sought to describe the practices that must be present if any Christian gathering is to be truly church, such as the ministries of word and sacrament and the existence of bishops, priests and deacons. The historic four marks of the church – One, Holy, Catholic and Apostolic – are typically defined in terms of practices.48
43 „Church as four sets of relationships“ (vgl. Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 106–119). 44 Ebd., 107. Michael Moynagh bezieht sich hier auf Rowan Williams Beschreibung, dass Kirche sich in der Begegnung mit dem Auferstandenen ereignet. 45 Vgl. Mission-shaped Church, 2012, 99. 46 Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 107. 47 Ebd., 108. 48 Ebd., 109.
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Das, was das Wesen oder den Kern von Kirche ausmacht, wird dabei als Beziehungsgeschehen oder auch dialogisches Geschehen begriffen – insbesondere mit Blick darauf, welche Sozialgestalten des christlichen Glaubens ausgehend davon als kirchlich anerkannte Ausdrucksformen betrachtet werden können: The conversations that make up the church are with the Trinity, with the world, between different parts of the wider church and within each ecclesial gathering. New communities can be considered church, however novel their shapes, if they are engaged in all of these conversations.49
Da es hier um einen brisanten Punkt in der Diskussion mit Blick auf die Anerkennung von neuen Ausdrucksformen des Glaubens als church im Sinne der Church of England geht, bestimmen die Autoren das Verhältnis von „practices“ und „relationships“ mit Blick auf die inhaltliche Essenz, das Wesen der Kirche, noch einmal genauer: Accenting the relational nature of the church does not mean that the content of these relationships is unimportant. Something for better or worse always happens within a relationship. So attention must be paid to practices that promote the health of the relationships that constitute the church. If relationships are the essence of the church, practices are for the good of the church.50
Dabei werden „word, sacraments and prayer in the Godward relationships“51 von Michael Moynagh als „practices“ benannt und lassen CA VII anklingen. Klassischerweise wird CA VII so rezipiert, dass die Art und Weise, wie Versammlung um Wort und Sakrament geschieht, bewusst offen bleibt (▶ Kapitel V, 1.3). Entstehungsgeschichtlich betrachtet sollten durch CA VII nicht bestimmte kirchliche Praktiken festgeschrieben werden, sondern das Verständnis von Kirche von bestimmten Praktiken der katholischen Kirche des Mittelalters gelöst werden. Der Artikel CA VII soll ausgehend vom Kontext seiner Entstehung Kirche bewusst außerhalb von menschlichen Praktiken im Evangelium begründen. Dieses zu kommunizieren und erlebbar sowie zugänglich zu machen (durch Predigt, Taufe und Abendmahl), wird in CA VII als Wesenskern und zugleich Auftrag von Kirche definiert. Mit dieser Dimension und Zielrichtung von CA VII scheint Michael Moynagh sich nicht eingehender auseinandergesetzt zu haben, so dass er diesen
49 Ebd., 118. 50 Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 109. 51 Ebd.
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Artikel und die dort aufgeführten Aspekte Predigt, Taufe und Abendmahl als „practices“ missversteht und sie den von ihm fokussierten „relationsships“ gegenüberstellt. Entscheidend ist an dieser Stelle, wie dieses Beziehungsgeschehen begründet wird. Kirche als Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Menschen und Menschen untereinander, das im Wort Gottes begründet ist, scheint sowohl Michael Moynaghs Vorstellungen sowie auch der eigentlichen Intention des Artikels CA VII zu entsprechen. Tradierte Praktiken sowie spezifische Formen können hilfreich dazu sein, dass sich auch über Jahrhunderte hinweg dieses Beziehungsgeschehen immer wieder neu ereignen kann. Zugleich können sie einerseits auch als Werk des Menschen zur Herstellung dieser Beziehung missverstanden sowie missbraucht werden (so geschehen vor allem im Kontext des Mittelalters in der katholischen Kirche, hier liegt der inhaltliche Ausgangs- und Zielpunkt von CA VII) oder auch zum sinnentleerten Tun werden, wie Michael Moynagh befürchtet: It often happens that when practices no longer serve relationships, they are felt to be lifeless. Worship may feel dead rather than energizing the relationship with God. Or practices may hinder community by seeming inauthentic. Practices must then evolve so that they can continue their serving role.52
Sowohl bei Michael Moynagh als auch bei der entstehungsgeschichtlichen Betrachtung von CA VII fällt somit auf, dass spezifische Praktiken die Gefahr bergen können, den Wesenskern von Kirche zu verstellen. Dies gilt es bei der Diskussion über zu erfüllende Kriterien oder grundlegende Indikatoren – bezüglich spezifischer „practices“, die eine junge Ausdrucksform des Glaubens aufzuweisen habe, oder auch „relationships“, die ihren Wesenskern bestimmen und aus dem dann wiederum ganz automatisch „practices“ folgen sollen – zu berücksichtigen. Darüber hinaus gilt es die bereits benannten Entwicklungsprozesse zu beachten, wenn es um die Ausbildung von spezifischen Praktiken einer Ausdrucksform des Glaubens geht. Gleichzeitig gilt es jedoch auch, zu klären, woran ersichtlich und beurteilbar wird, ob eine Ausdrucksform des Glaubens den daran Partizipierenden dieses Beziehungsgeschehen eröffnet und dabei Merkmale von Gemeinde aufweist. Denn letztlich wird auch im Kontext einer sich dynamisch entwickelnden Kirchen- und Gemeindewirklichkeit ein Gemeindebegriff benötigt, der Dynamik im Sinne von Entwicklungsprozessen integrieren kann und dennoch Klarheit schafft. Diese Herausforderung benennt auch George Lings:
52 Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 110.
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Whatever our critique of this list of eight, and doubtless their riposte to our own ten indicators, we concur with Walton and Smith that it is desirable that there should be movement towards an agreed standard and more consistent use of the term ‚fresh expression of Church‘, thus our ten indicators are included in the report, in order to make them better known.53
Am Ende des Kapitels VI werden dementsprechend „Indikatoren“, „Kriterien“, „Kennzeichen“ und „Merkmale“ für ergänzende Gemeindeformen für das vorliegende Forschungsvorhaben diskutiert, die sich in aktuellen Diskursen und landeskirchlichen Prozessen finden lassen (▶ Kapitel VI, 5).
2. Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs im kirchentheoretischen Diskurs Im kirchentheoretischen Diskurs lassen sich unterschiedliche Ansätze zu Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs finden. In diesem Kapitel wird exemplarisch der Forschungsbeitrag der evangelischen Praktischen Theologin Uta Pohl-Patalong bezüglich Ergänzungen des Ortsbezugs diskutiert (▶ Kapitel VI, 2.1). Zudem werden die Spannungsverhältnisse des Gemeindebegriffs, die bereits in ▶ Kapitel V, 3 skizziert wurden, aus der Perspektive der Ergänzung des Gemeindebegriffs in zeitlichen Dimensionen wieder aufgenommen (▶ Kapitel VI, 2.2). Dazu erfolgt ebenfalls eine Auseinandersetzung mit exemplarisch ausgewählten Ansätzen und Entwürfen. Dieser Teil beginnt mit der Beschäftigung des vor allem im protestantischen Kontext bekannten Konzepts Gemeinde auf Zeit (▶ Kapitel VI, 2.2.1). Daran schließt sich die Analyse von Beiträgen im Horizont fluider Kirchbildung an (▶ Kapitel VI, 2.2.2), die insbesondere aus katholischer Perspektive diskutiert und rezipiert werden: Diese Analyse beginnt mit dem aus England stammenden Begriff und der damit verbundenen Vision einer liquid church (▶ Kapitel VI, 2.2.2.1). Ausgehend davon hat Michael Schüßler seinen ereignis-ekklesiologischen Ansatz entwickelt, der in dem sich daran anschließenden Abschnitt skizziert wird (▶ Kapitel VI, 2.2.2.2). Da die zeitlichen Dimensionen mit sozialen Dimensionen im Gemeinschafts- sowie Gemeindebegriff verbunden sind, stellt sich hier die Frage nach der Relevanz von Bindung, die in einem Exkurs diskutiert wird (▶ Kapitel VI, 2.2.2.3). Die folgenden Abschnitte (▶ Kapitel VI, 2.2.2.4
53 George Lings, 2016, 22.
2. Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs
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und Kapitel VI, 2.2.2.5) beziehen sich erneut wieder auf den ereignisekklesiologischen Ansatz, dessen Analyse mit einem Fazit beendet wird (▶ Kapitel VI, 2.2.2.6), bevor hinsichtlich sämtlicher in diesem Kapitel skizzierten Entwürfe zur Ergänzung des parochialen Gemeindebegriffs ein zusammenfassendes Fazit formuliert wird (▶ Kapitel VI, 2.3).
2.1 Ergänzungen bezüglich des Ortsbezugs – Uta Pohl-Patalong: kirchliche Orte Der Gemeindebegriff ist grundsätzlich auf einen konkreten Ort, meist auf den Wohnort des jeweiligen Gemeindemitglieds, bezogen. Für die Frage nach einer von der Parochie unabhängigen ekklesiologischen Qualität weiterer kirchlicher Ausdrucksformen war in Deutschland im evangelischen Kontext der Forschungsbeitrag von Uta Pohl-Patalong „Ortsgemeinde und übergemeindliche Arbeit im Konflikt. Eine Analyse der Argumentationen und ein alternatives Modell“54 (2003) wesentlich, der in der Zusammenfassung „Von der Ortskirche
54 Vgl. Uta Pohl-Patalong, 2003. Auch wenn im Titel der Begriff „übergemeindlich“ vorkommt, benutzt Uta Pohl-Patalong in ihrem Buch fast ausschließlich Begriffe aus dem Wortfeld der „Nichtparochialität“ zur Beschreibung „übergemeindlicher Arbeit“: „Letztere können sowohl die Form von Funktionsgemeinden als auch von Personalgemeinden haben oder sich auch bekenntniskirchlich orientieren. Zusammengefasst werden sie hier als ‚nichtparochiale Strukturen‘ bezeichnet, da sie in ihrer Verschiedenheit gerade durch das Gegenüber zur territorial bestimmten Parochie geeint werden. Das begriffliche Gegenüber von ‚Parochialität‘ und ‚Nichtparochialität‘ ermöglicht eine Bearbeitung der gegenwärtig heftig diskutierten Strukturfragen in grundlegender Weise und historischem und systematisierendem Blickwinkel“ (ebd., 11). Sie pointiert diese begriffliche Entscheidung noch einmal auf den nächsten Seiten: „Begrifflich ist dieses Gegenüber nicht anders als mit ‚parochial‘ – ‚nichtparochial‘ zu erfassen“ (ebd., 27). Umso mehr verwundert der Titel ihrer Arbeit, der zumindest eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Gemeindebegriff sowie darüber hinaus sogar eine strukturelle Weitung des Gemeindebegriffs vermuten lässt. Ein wenig erstaunlich ist es dann doch, dass dieser Erwartung lediglich durch eine Fußnote eine Absage erteilt wird: „Der Versuch, zwischen ‚gemeindlich‘ und ‚übergemeindlich‘ zu differenzieren, erscheint problematisch, da sich mit dem Gemeindebegriff eine inhaltliche Qualifizierung verbinden kann, die ‚nichtgemeindlichen‘ Formen eine mindere ekklesiologische Qualität zuweist. Damit würde auf terminologischem Wege eine inhaltliche Entscheidung angebahnt“ (ebd., Fußnote 58). Der Begriff „übergemeindlich“ kommt bei ihr im Folgenden nur dann vor, wenn Sie sich mit der Kirchenordnung ihrer Landeskirche auseinandersetzt, in der die so genannten „übergemeindlichen Dienste und Einrichtungen“ lediglich in ihrer Zuarbeiterfunktion für die Kirchengemeinde als „kirchlicher Regelfall“ vorkommen (vgl. ebd., 22, Fußnote 39) – sowie in Zitaten und sehr vereinzelten Ausnahmefällen.
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zu kirchlichen Orten. Ein Zukunftsmodell“55 2004 erschienen ist. Hier begründet Uta Pohl-Patalong erstmals die von parochialen kirchlichen Ausdrucksformen unabhängige ekklesiologische Qualität nichtparochialer Formen. Dazu geht sie von den in den Bekenntnisschriften reformatorischer Kirchen formulierten Notae ecclesiae der Confessio Augustana in Artikel sieben aus.56 Sie stellt zunächst fest, dass dieser Artikel vor allem parochial organisierte Kirchengemeinden mit ihren regelmäßigen Gottesdiensten als Versammlungen um Wort und Sakrament theologisch zu legitimieren scheint.57 Anschließend skizziert sie, inwiefern jedoch insbesondere nichtparochiale kirchliche Arbeitsformen CA VII als Legitimation für plurale und nichtparochiale Kirchenstrukturen deuten: […] die in der CA genannten Kennzeichen von Kirche […] sind Kennzeichen, an denen man erkennen kann: Hier gibt es eine Gemeinschaft von Glaubenden. Den Auftrag und die Aufgaben der Kirche umfassend zu definieren, liegt ihnen fern.58
Mit Bezug auf Martin Luthers Gottesdienstverständnis, demnach der Sonntagsgottesdienst in der Kirche unlösbar mit dem „Gottesdienst im Alltag der Welt“ verbunden sei, werden weitere so genannte „implizite Kennzeichen“ benannt:59 Bildungsarbeit, Gerechtigkeitshandeln und diakonische Hilfe. Diese Aufgaben in der heutigen Gesellschaft befriedigend zu erfüllen, überfordert jedoch die Parochialgemeinde. Dazu braucht die Kirche unterschiedliche Organisationsformen, also eine plurale Organisation.60
Anhand dieser impliziten Kennzeichen löst Uta Pohl-Patalong – in Rückbezug auf Hans-Richard Reuters Kirchenbegriff – nichtparochiale Formen von ihrer „Zuarbeiterfunktionen für die Ortsgemeinde“ und spricht ihnen eigenständige ekklesiologische Qualität zu. Durch diesen Schritt schreibt sie den impliziten Kennzeichen (Bildungsarbeit, Gerechtigkeitshandeln, diakonische Hilfe61) ebenfalls den Status von Notae ecclesiae zu. Dies geschieht beinahe beiläufig, ist für die Begründung der ekklesiologischen Qualität, die hier vorgenommen wird, jedoch ungleichsam wesentlich. So formuliert Uta Pohl-Patalong selbst: 55 Im Folgenden wird überwiegend aus dieser Veröffentlichung allerdings in der zweiten Auflage von 2006 zitiert: Uta Pohl-Patalong, 2006. 56 Vgl. ebd., 13 f. 57 Vgl. ebd., 101. 58 Uta Pohl-Patalong, 2006, 102. 59 Vgl. ebd. 60 Ebd. 61 In der Veröffentlichung von 2003 erwähnt Uta Pohl-Patalong zudem „biografiebezogenes Handeln“ als weiteres Kennzeichen (vgl. Uta Pohl-Patalong, 2003, 220).
2. Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs
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Es erscheint mir als wichtige Aufgabe der nächsten Jahre, einen breiten theologischen und kirchlichen Diskurs über mögliche weitere notae ecclesiae zu initiieren und zu strukturieren.62
In ihrem Plädoyer für die strukturelle Flexibilität des Ortsbezugs von Kirche, bleibt der Gemeindebegriff letztlich von ihr undiskutiert, auch wenn sie skizziert, inwiefern sowohl die parochiale als auch nichtparochiale Seite mit dem Gemeindebegriff argumentieren: Ebenfalls parallel argumentieren die beiden Seiten mit dem Gemeindebegriff [Hervorhebung im Original], inhaltlich erweist sich die nichtparochiale Position aber auch hier als stärker. Dass Gemeinde prozesshaft und als Geschehen zu verstehen ist, kann die nichtparochiale Seite stichhaltig begründen.63
Uta Pohl-Patalong führt dies auf das jeweilige Kirchenbild der unterschiedlichen Positionen zurück und erklärt dabei, dass auf der nichtparochialen Seite Kirche insgesamt „stärker in ihrer permanenten Veränderung gesehen [wird] als in ihrer Kontinuität.“64 Dabei verpasst sie es, aus den von ihr skizzierten Kategorien Raum und Zeit den Gemeindebegriff im Folgenden eingehender zu analysieren und durch strukturelle Vielfalt zu weiten. Sie wählt stattdessen das Konzept kirchliche Orte, das nicht unterschiedliche Gemeindeformen, sondern „die Stärken der beiden bisherigen Organisationsprinzipien, der parochialen und der nichtparochialen Struktur, in sich vereint“65. Mit dem Begriff kirchliche Orte werden in diesem Konzept unterschiedliche kirchliche Arbeitsformen 62 Ebd., 220. 63 Uta Pohl-Patalong, 2006, 122. Für die Argumentation der nichtparochialen Perspektive, dass Gemeinde „nicht statisch, sondern prozesshaft zu verstehen (Gärtner, Löwe, May, Tebartz-van Elst) [sei]“ (vgl. ebd., 105), verweist Uta Pohl-Patalong unter anderem auf die Habilitation von Franz-Peter Tebartz-van Elst aus dem Jahr 1999 „Gemeinde in mobiler Gesellschaft. Kontexte – Kriterien – Konkretionen“. Umfassend und detailreich setzt sich der Verfasser hier „in der Spannung zwischen Mobilität und Stabilität“ mit äußerst komplexen Mobilitätsebenen (sowohl vertikal als auch horizontal) der „modernen“ Gesellschaft auseinander. Ausgehend davon entwirft er eine „Kriteriologie für eine pastoraltheologische Verortung von Gemeinde in mobiler Gesellschaft“. Sowohl der Gedanke Kirche als „Ereignis“ zu verstehen, als auch als Netzwerk zu organisieren, „das die unterschiedlichen Gemeindeverortungen sammelt“, sind hier schon angelegt (vgl. zu diesen Ausführungen Leo Karrer, 2001). Damit scheint dieser Forschungsbeitrag über ein prozesshaftes Verständnis von Gemeinde mit Bezug auf allein räumliche Dimensionen hinauszugehen und ebenso auch zeitliche Dimensionen zu thematisieren, die im Folgenden (▶ Kapitel VI, 2.2) im Fokus stehen. Eine umfassendere Auseinandersetzung mit diesem spezifisch auf den katholischen Kontext bezogenen Werk übersteigt allerdings den Rahmen dieses Forschungsvorhabens. 64 Uta Pohl-Patalong, 2006, 126. 65 Ebd., 128.
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und kirchlich genutzte Gebäude – die Parochialgemeinde ebenso wie Räume in Krankenhäusern, Tagungshäuser sowie weitere – bezeichnet und als gleichwertig nebeneinandergestellt. Grundprinzip ihres Modells kirchlicher Orte ist, dass es an jedem dieser Orte sowohl ein vereinsähnlich organisiertes Leben als auch inhaltlich profilierte Arbeitsbereiche gibt, die organisatorisch voneinander getrennt zu verstehen sind. Zudem findet laut des Modells an jedem kirchlichen Ort gottesdienstliches Leben statt. Dieses Modell schließt sich folgerichtig an Uta Pohl-Patalongs vorausgehenden Analysen der jeweiligen Stärken der parochialen sowie nichtparochialen Struktur an, widmet sich jedoch nicht der davon ausgehend notwendig erscheinenden Auseinandersetzung mit dem Gemeindebegriff und der Loslösung von seiner parochialen Fixierung66. Mit Blick auf das in ▶ Kapitel V, 3 dieser Arbeit skizzierte Spannungsfeld von Kontinuität und Ereignis wird in ihrem Beitrag deutlich, dass sie den nichtparochialen Formen von Kirche stärkeren Ereignischarakter zuschreibt. Auch wenn ihr Forschungsbeitrag weniger von Gesellschaftsanalysen als von innerkirchlichen Strukturanalysen ausgeht, zeigt sich an dieser Stelle, dass Uta PohlPatalong nichtparochiale kirchliche Sozialgestalten als notwendige Ergänzung aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen sieht: Vertrautheit ist immer weniger an einen konkreten Raum gebunden, sondern entsteht eher durch Erfahrungen, wichtige Erlebnisse oder Menschen, mit denen man sich verbunden fühlt (Bode, Drehsen, Steinkamp). Wenn sich die Kirche – wie mit der Parochie – einseitig am Wohnort orientiert, ignoriert sie diese gesellschaftliche Entwicklung und entfernt sich dabei von der Lebensrealität vieler ihrer Mitglieder (Adolphsen, Drehsen, Ev. Kirche in Hessen und Nassau). […] Die nichtparochialen Angebote orientieren sich jedoch gerade an ganz unterschiedlichen Lebensbereichen und Lebensorten, die Menschen heute aufsuchen und folgen damit der Realität der mobilen Menschen heute. Sie fördern eine Kirche, die den äußeren und inneren Lebensformen ihrer Mitglieder – vor allem in der Großstadt – entspricht, statt eine überkommene Form zu konservieren. Die nichtparochialen Formen sind auch selbst mobil, denn ihre Arbeitsfelder sind gerade vom Hingehen zu verschiedenen Menschen geprägt. Daraus entstehen dann ebenfalls oft Gemeinden, wenn auch auf Zeit (Ev. Kirche in Hessen und Nassau) [Hervorhebungen im Original].67
66 Vgl. Johannes Zimmermann, 2004. 67 Uta Pohl-Patalong, 2006, 83 f. Der Begriff Gemeinde auf Zeit wird im Folgenden (▶ Kapitel 2.2.1) diskutiert. Isolde Karle kommt in ihrer Gesellschaftsanalyse zum gegenteiligen Ergebnis: „Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass durch die Mobilität der spätmodernen Gesellschaft der Sinn für die Bedeutung des Örtlichen eher geschärft denn geschwächt wurde.
2. Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs
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In diesem „Hingehen“ sieht Uta Pohl-Patalong den Kernauftrag von Kirche im Sinne der Sendung, die die Sammlung (im Sinne von CA VII) ergänzt, auf nicht-parochialer Seite stärker verwirklicht.68 An dieser Stelle arbeitet sie ein Potential der nichtparochialen Formen des Kircheseins ausgehend von den Begrifflichkeiten Sammlung und Sendung heraus, das insbesondere mit Blick auf den Gemeindebegriff spannend zu diskutieren wäre. Leider führt sie selbst die Diskussion an dieser Stelle nicht weiter und verpasst es zudem, dazu explizit anzuregen. Im 2013 von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong gemeinsam veröffentlichten Lehrbuch „Kirche“69 kommt es zur Diskussion des Gemeindebegriffs – geleitet von der Erkenntnis, dass es für eine kirchliche Organisationsform einen wesentlichen Unterschied mache, ob sie „‚Gemeinde‘ ist oder nicht“.70 Die von Uta Pohl-Patalong in ihrem älteren Forschungsbeitrag geforderte Diskussion um weitere Notae ecclesiae wird hier wieder (durch so genannte „soziokulturelle implizite Kennzeichen“71) aufgegriffen und auf den Gemeindebegriff übertragen: (Reformatorische) Gemeinde ist nach den hier benannten Kennzeichen dort, wo „regelmäßig Gottesdienst mit Wort und Sakrament“ gefeiert wird und zudem „exemplarisch weitere Aspekte des kirchlichen Auftrags zur Verkündigung des Evangeliums in der Welt: biographisch-religiöse Begleitung, Bildungshandeln, Hilfehandeln, Gerechtigkeitshandeln“, erfüllt werden.72 Ekklesiologische Qualität im Sinne von Gemeinde haben kirchliche Orte, an denen keine regelmäßigen Gottesdienste um Wort und Sakrament gefeiert, sondern „lediglich“ die so genannten „impliziten Notae ecclesiae“ oder auch „impliziten Kennzeichen“ erfüllt werden, demnach allerdings nicht – diese sind jedoch in Uta Pohl-Patalongs Konzept kirchlicher Orte auch nicht vorgesehen.73 Zumindest kann ihnen innerhalb der Evangelischen Kirche keine ekklesio-
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[…] Orte sind für die Glaubensprägung elementar. […] Repräsentieren Citykirchen vor allem das kulturelle Gedächtnis, sind die lokalen Ortskirchen primär für das Familiengedächtnis relevant.“ (Isolde Karle, 2010, 470 f.). Vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 106 f. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013. Vgl. ebd., 275: „Wenn also einerseits die Frage, ob eine kirchliche Organisationsform ‚Gemeinde‘ ist oder nicht, für diese einen wesentlichen Unterschied macht, andererseits jedoch ‚Gemeinde‘ weder biblisch noch reformatorisch klar umrissen ist, ist eine Verständigung über Kriterien für den Gemeindebegriff unabdingbar. Diese Debatte wurde jedoch erstaunlicherweise lange vermieden; ein theologisches Primat der Parochie wurde vorausgesetzt.“ Vgl. ebd., 276. Vgl. ebd. „An jedem kirchlichen Ort findet ein gottesdienstliches Leben statt, womit ein wesentlicher Unterschied zwischen bisherigen Parochien und bisherigen nichtparochialen Arbeitsbereichen aufgehoben wird“ (ebd., 302).
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logische Qualität im Sinne von Gemeinde zuerkannt werden, folgt man den von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong formulierten „institutionellen Kennzeichen“, die sie in ihrem Lehrbuch für den Gemeindebegriff definieren: Nach der Confessio Augustana ist Kirche dort, wo ‚das Evangelium rein gelehrt wird und die Sakramente richtig ausgeteilt werden‘ (CA VII). Dies muss in einer kirchlichen Organisationsform, die sich Gemeinde nennt, zuverlässig stattfinden.74
Hier tut sich zu den früheren Ausführungen von Uta Pohl-Patalong dennoch eine Spannung auf, hatte sie sich in ihrer früheren Argumentation doch auf ein weites Gottesdienstverständnis bezogen, der sich „im Alltag der Welt“75 ereigne. Für die Diskussion der ekklesiologischen Qualität einer kirchlichen Ausdrucksform im Sinne von Gemeinde, wäre es demnach zumindest für die Autorin des Lehrbuchs „Kirche“ folgerichtig, das Gottesdienstverständnis zu diskutieren. Dies bleibt jedoch aus.76 Uta Pohl-Patalongs wesentlicher Beitrag für die aktuelle kirchentheoretische Debatte liegt darin, nach „der ekklesiologischen Perspektive der Strukturdebatte, also nach dem Wesen der Kirche“77 zu fragen und ausgehend davon die ekklesiologische Qualität nichtparochialer kirchlicher Ausdrucksformen zu begründen. Der Bezug auf den Wohnort ist für die Fragen danach, was innerhalb der Evangelischen Kirche als Gemeinde gelten kann, ihren Ausführungen nach nicht entscheidend. Hier legitimiert sie durch ihren Forschungsbeitrag Ergänzungen. Inwiefern regelmäßige Gottesdienstfeiern im Sinne von CA VII als Sammlung um Wort und Sakrament ausschließliches Kriterium dafür sind, was aus evangelischer Perspektive als Gemeinde gelten kann, bleibt ausgehend von ihren Forschungsbeiträgen zu diskutieren. Während ihren Ausführungen nach insbesondere nichtparochiale Arbeitsformen stärker den Aspekt der Sendung betonen, arbeitet sie dieses von ihr erkannte Potential für die Begründung einer ekklesiologischen Qualität (auch im Sinne von Gemeinde) letztlich nicht aus.
74 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 278. 75 Vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 102. 76 Erwähnt wird lediglich, dass es unterschiedliche Formen und Zeiten von Gottesdiensten geben solle: „Allerdings muss der agendarische Gottesdienst am Sonntagvormittag nicht mehr die Regelform bilden, sondern die Vielfalt von Arbeitsbereichen bietet die Chance, dass sich eine Vielfalt gottesdienstlicher Formen mit unterschiedlichem Charakter und zu unterschiedlichen Zeiten entwickelt.“ (Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 302). 77 Uta Pohl-Patalong, 2006, 13.
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2.2 Ergänzungen bezüglich zeitlicher Dimensionen Dort, wo zeitliche Dimensionen des Gemeindeverständnisses diskutiert werden, zeigt sich, dass diese mit den sozialen Dimensionen der Gemeindeform zusammenhängen. Kristallisationspunkt der Diskussion ist, ob Gemeinde dadurch entsteht, dass sich Menschen verlässlich und kontinuierlich um Christus herum versammeln und dementsprechend Prozesse der Institutionalisierung gestalten, damit diese Kontinuität gesichert wird. Oder ob auch fluide, ereignisorientierte Formen des Kircheseins, die punktuelle Möglichkeiten der Gottesbegegnung eröffnen, Gemeinde sind. Dabei geht es letztlich auch um die Frage, wie sich Bindung ereignet und wie Glaube gepflegt wird und wachsen kann. Im Bild gesprochen, dass von der FE-Bewegung häufig genutzt wird: Wenn die Ortsgemeinde so verlässlich und dauerhaft wie ein See an einem Ort Menschen versammelt, welche Rolle spielt der Fluss vom Gemeindebegriff aus betrachtet?78 Er schlängelt sich durch die Landschaft vom See ausgehend zu denen, die nicht zum See kommen. So werden fxC im Bild des Flusses beschrieben.79 Diese Metapher wird meist dazu genutzt, zu verdeutlichen, dass kirchliche Geh-Strukturen um Komm-Strukturen ergänzt werden müssen, wenn die Kommunikation des Evangeliums weiterhin Kern und Ziel von Kirche ist. Man könnte ausgehend von diesem Bild jedoch auch weiterführend fragen: Und was passiert dann? Bilden sich vom Fluss ausgehend Ausläufer, die wiederum zu neuen Seen werden und Menschen an ganz anderen Stellen, aber ebenso kontinuierlich versammeln? Oder sind fxC nicht nur wie ein Fluss, der zu einem (neuen) See führt, sondern „im Fluss“? Können Menschen hier zeitweilig „mitschwimmen“, „sich treiben lassen“, für einen Moment „andocken“ und dann wieder eigene Wege ziehen, ebenso wie der Fluss auch ungebunden weiterrauscht? Und sind fxC dann selbst wie eine mäandrierende Flusslandschaft stets in Veränderungsprozessen oder auch auf Dauer hin angelegt? Analysen der Gesellschaft, die Verflüssigungstendenzen skizzieren, bilden die Hintergrundfolie solcher Diskussionen. ▶ Kapitel VI, 2.2.1 skizziert das Konzept Gemeinde auf Zeit, mit dem Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel aus evangelischer Perspektive die Frage nach der Passung und
78 Vgl. zu dieser Bildanalogie die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 1.1. 79 Vgl. Michael Herbst, 2013, 14: „Demnach sind parochiale Gemeinden / Pfarreien wie Seen. Sie sind beständig und tief; sie versorgen das umliegende Uferland und lassen es dort grünen. Aber je weiter man sich vom See entfernt, desto ‚dröger‘ wird es. Wenn das trockene Land aufblühen soll, müssen auch Flüsse fließen. Sie tragen das Wasser des Lebens weiter hinaus und versorgen Milieus, die sich nicht gerne am See niederlassen. Diese Flüsse ‚mäandern‘ durch die Gegend, hierhin und dorthin. Sie kommen an Orte, an die der See niemals käme.“
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notwendigen Ergänzungen kirchlicher Sozialgestalten mit Blick auf die Kategorie Zeit stellen. Sie diskutieren die Erweiterung sowie auch Begrenzung eines Gemeindebegriffs, der ein zeitlich kontingiertes Erleben von Gemeinde ermöglichen kann und sich damit von dem gängigen Ideal einer dauerhaften sowie aktiven Bindung der Mitglieder an eine Kirchengemeinde vor Ort verabschiedet. In dem sich daran anschließenden ▶ Kapitel VI, 2.2.2 wird vor allem der ereignis-ekklesiologische Ansatz des katholischen Theologen Michael Schüßler diskutiert, der radikal für vielfältigere Vollzugsformen christlicher Existenz in der Kirche plädiert, als das Konzept Gemeinde ermögliche. Dabei ordnet er seinen Ansatz im Kontext von liquid church ein und geht mit seiner Konzentration auf den Ereignisbegriff noch darüber hinaus. Er schlägt einen Bogen zur FE-Bewegung, indem er danach fragt, inwiefern fxC neue Ausdrucksformen von Kirche seien: Setzen sie nicht doch wieder auf die bereits bekannte Sozialform und Zeitdimension, in denen Menschen kontinuierliche und verbindliche Gemeinschaft um Christus herum gestalten?80
2.2.1 Gemeinde auf Zeit Der Begriff Gemeinde auf Zeit wird seit einiger Zeit für passagere Formen kirchlicher Arbeit genutzt, wie beispielsweise im Bereich der Urlaubsseelsorge81, im Kontext von jugendkirchlicher Arbeit82 und mit Blick auf Veranstaltungen wie den Kirchentag83. Von 2010–2016 wurden im Rahmen eines Forschungsverbunds zwischen Praktischen Theologen und Theologinnen verschiedener Universitäten (Erlangen, Mainz, Tübingen) in enger Zusammenarbeit mit der EKD aus evangelischer Perspektive die Chancen des Konzepts Gemeinde auf Zeit empirisch untersucht und kirchentheoretisch ausgewertet.84 Peter Bubmann (Erlangen), Kristian Fechtner (Mainz) und Birgit Weyel (Tübingen) fassen den aktuellen Stand in dem 2016 veröffentlichten Artikel „‚Gemeinde auf Zeit‘ – Praktisch-ekklesiologische Perspektiven aus evangelischer Sicht“85 zusammen. Ihr Beitrag liegt darin, dass sie Kirche nicht nur unter der Kategorie Raum, sondern auch unter der Kategorie Zeit wahrnehmen und ausgehend davon nach der „Passung“ kirchlicher Sozialgestalten fragen.86 Darüber hinaus zie80 Vgl. Michael Schüßler, 2016. 81 Vgl. Urlaubsseelsorge. 82 Vgl. dazu beispielsweise Petra Dais / Robby Höschele, 2013, 112 oder auch Günter Ruddat, 2012, 82. 83 Vgl. Peter Bubmann, 2008, 416. 84 Vgl. die Beschreibung dieses Forschungsverbunds auf der Homepage der Universität Tübingen (Gemeinde auf Zeit). Vgl. zudem EKD, 2010, 6. 85 Peter Bubmann u. a., 2016. 86 Vgl. ebd., 347.
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len sie auf die kritische Überprüfung einer „gemeindetheologisch orientierte[n] Kirchentheorie“87, da – wie bereits in ▶ Kapitel V skizziert – Gemeinde weiterhin als maßgebliche Form gilt, in der sich Kirche realisiert.88 Hier merken die Autoren und die Autorin an, dass der Gemeindebegriff aus praktischtheologischer Perspektive mit Blick auf die Frage, welche sozialen Formen hier fokussiert werden, jedoch unbestimmt bleibe. Als besonderes Problem benennen sie, dass „andere Formen religiöser Sozialität“ stets am „‚Normalfall‘ der Ortsgemeinde“ gemessen werden89, statt „als Sozialität eigener Prägung“ verstanden zu werden.90 Peter Bubmann, Klaus Fechtner und Birgit Weyel plädieren dafür, Konzeptbegriffe wie „Gemeinde“, „Gemeinschaft“, „Gruppe“ mit empirischen Erscheinungsformen des christlichen Glaubens abzugleichen91 und dadurch auch das aktuell offensichtlich vorherrschende Ideal einer dauerhaften und bestenfalls aktiven Bindung von Menschen an eine Kirchengemeinde am Wohnort zu hinterfragen.92 Wechselnde Bindungen und Loslösungen im Laufe des Lebens an verschiedene kirchliche Sozialgestalten (mal am Wohnort, mal an der Hochschule, Schule, JVA und weitere) scheinen in den vorfindlichen Erscheinungsformen von Kirche konzeptionell überwiegend nicht angelegt, wenn auch möglich zu sein. Darüber hinaus wirkt sich die Beobachtung, dass es Menschen gibt, die sich an gar keinen Ort und an keine Gemeinde dauerhaft binden, bisher noch weniger auf die Gestaltung kirchlicher Lebensformen aus. Was bedeutet diese Beobachtung jedoch für den Gemeindebegriff? Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel wollen an genau dieser Stelle mit dem Leitbegriff Gemeinde auf Zeit Michael Nüchterns 1991 skizziertes Konzept Kirche bei Gelegenheit93 weiterführen und den Fokus dabei ganz bewusst auf die Diskussion des aktuellen Gemeindeverständnisses sowie auf die Vergesellschaftungsformen legen.94 Ihr Ziel ist die Erweiterung des bisherigen Gemeindeverständnisses mit Blick auf zeitliche Dimensionen.95 Als Ergänzungen des bisherigen Gemeindeverständnisses werden Formen skizziert, die zeitlich begrenztes Erleben von Gemeinde ermöglichen und dies auch in der Organisationslogik verankern. Wohlwissend, dass empirisch betrachtet jede existierende Sozialgestalt von Kirche eine Gemeinde auf Zeit ist, aber im institutionellen Sinn Parochialgemeinden auf Dauerhaftigkeit hin angelegt 87 88 89 90 91 92 93 94 95
Vgl. ebd., 349. Vgl. ebd., 66. Vgl. hierzu Uta Pohl-Patalongs Ausführungen, die in ▶ Kapitel 3.2.2 diskutiert werden. Vgl. ebd., 345. Vgl. ebd., 346. Vgl. ebd., 347 f. Vgl. Michael Nüchtern, 1991. Vgl. Peter Bubmann u. a., 2016, 350. Vgl. ebd., 347.
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sind. Als Ergänzung dieser dauerhaften kirchlichen Sozialgestalten könnten so genannte Gemeinden auf Zeit dienen, die in ihren jeweiligen Formen wiederum sehr unterschiedlich sein können. Ebenso wie auch dauerhafte kirchliche Sozialformen seien sie dahingehend zu bewerten, „ob Menschen heute auch partiell und ihren lebensweltlichen Voraussetzungen entsprechend an ihnen partizipieren (können)“.96 Damit sich der Gemeindebegriff in diesem Konzept nicht in der Entgrenzung auflöse97, erarbeiten sie Merkmale, „die es erlauben, von einer Gemeinde auf Zeit zu sprechen:“98 (1) Sie weist eine konkrete Örtlichkeit auf. Sie bildet einen (Er-)Lebensraum, in dem sich die Beteiligten (zeitweise, situativ-punktuell) bewegen, in dem sie agieren oder auf den sie sich beziehen. (2) Die Praxis ist als kirchliches Geschehen identifizierbar und beruht auf personaler Präsenz und Interaktion. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Aspekt der Leiblichkeit religiöser Praxis. Zumindest aus forschungspragmatischen Gesichtspunkten bleibt damit das Feld der social media [Hervorhebung im Original] und der virtuellen Formen von ‚Gemeinde‘ in den Forschungsarbeiten unberücksichtigt.99 (3) Der gemeindlich-gemeinschaftliche Charakter des Geschehens wird (symbolisch) zur Darstellung gebracht und findet seinen Niederschlag auch in den Deutungen der Beteiligten. (4) Gemeinden auf Zeit haben ein organisiertes Setting. Sie sind im (Verantwortungs-) Bereich der Kirche situiert oder mit ihr verknüpft, sie kennen professionelle Leitungsrollen oder Verantwortlichkeiten.100
Die Autorin und Autoren eröffnen zudem weiterführende Perspektiven, die hier zumindest überblicksartig kurz skizziert seien. So empfehlen sie den Rekurs auf sozial- und kulturwissenschaftliche Referenztheorien, um Phänomene im Bereich von Gemeinden auf Zeit näher zu erkunden und besser zu verstehen. Dabei führen sie Netzwerk-Konzepte an, die ihrer Ansicht nach dazu beitragen können, im kirchlichen Kontext weniger im Angebot-Teilnahme-Prinzip zu denken, sondern von Interaktions-Möglichkeiten auszugehen, zu denen Akteure 96 Vgl. ebd. 97 Vgl. ebd., 350: „Gleichwohl ist festzuhalten, dass nicht alle kirchlichen Teilhabeformen eine gemeindliche Prägung haben müssen, da der Begriff ansonsten unkenntlich wird. Nicht jeder individuell seelsorgliche Kontakt, nicht jeder Besuch einer Stadtkirche als Flaneur und auch nicht jeder Besuch kirchenmusikalischer Veranstaltungen lässt sich als Gemeindebildung fassen.“ 98 Vgl. ebd., 351. 99 Wie bereits in ▶ Kapitel V, 3 erwähnt, bleibt auch hier die weiterführende Diskussion zur Frage, inwiefern virtuelle Gemeinschaften als Gemeinde betrachtet werden können, aus. 100 Peter Bubmann u. a., 2016, 351.
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und Akteurinnen sich verhalten können.101 Sie weisen auf die neuere EventForschung hin, die helfen könne, zeitlich und örtlich begrenzte Erlebnisse im kulturellen Raum zu analysieren hinsichtlich des Symbolcharakters, der Transzendenz, Inszenierung und Sinnstiftung.102 Darüber hinaus verweisen sie auf Theorien der Örtlichkeit, da in Gemeinden auf Zeit der topologische Aspekt eine wesentliche Rolle spiele.103 Und letztlich führen sie Ritualtheorien und Theorien der Theatralität an, die bezüglich der Analyse von Inklusions- und Exklusionsprozessen durch Gemeinden auf Zeit hilfreich sein könnten.104 Hier scheint das von der EKD geförderte Forschungsprojekt zu Gemeinde auf Zeit neue Horizonte ausgelotet zu haben, die für weiterführende Analysen wesentlich sein können. Es wird jedoch auch deutlich, dass Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel offensichtlich auch am Ende dieses sechsjährigen Forschungsprojekts zu Gemeinden auf Zeit den Ertrag dieses Konzeptes nicht absehen können105: Von ‚Gemeinde auf Zeit‘ zu sprechen, macht hingegen nur Sinn, wenn tatsächlich immer auch Formen von Sozialität im Blick und intendiert sind, die als kirchliche Sozialgestalt und sei es eben auf bestimmte Zeit verstanden werden können. Um dies festzustellen, sind die jeweiligen Deutungen der beteiligten Personen von Interesse, auch wenn diese Deutungen der Beteiligten eine kirchentheoretisch reflektierte Kriteriologie nicht ersetzen kann.106
An dieser Stelle setzt das vorliegende Forschungsvorhaben an, wenn es im folgenden empirischen Teil der Arbeit nach dem ekklesiologischen Selbstverständnis der an verschiedenen Lebensformen des christlichen Glaubens Beteiligten fragt. Doch wird auch dieses vorliegende Forschungsprojekt nur einen kleinen Beitrag zu dieser Forschungslücke leisten können. Man müsste solch eine Befragung nicht nur auf weitere Sozialgestalten des christlichen Glaubens ausweiten, die dieses Forschungsprojekt aufgrund der Fokussierung auf Junge Erwachsene nicht in den Blick nimmt. Sondern es müsste sich zudem auch um doppelperspektivische Befragungen bemüht werden, die die Perspektiven und
101 Vgl. ebd., 352. 102 Vgl. ebd., 353 f. 103 Vgl. ebd., 354. 104 Vgl. ebd., 355 f. 105 Derzeit konnten keine weiteren Veröffentlichungen ausgehend von diesem Forschungsprojekt gefunden werden, das in der Konsultation „Gemeinde auf Zeit? – Erkundungen und Perspektiven“ im Herbst 2016 mündete. Der Ertrag dieses Konzepts gilt es folglich anhand weiterer Veröffentlichungen zu überprüfen. 106 Peter Bubmann u. a., 2016, 356.
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Deutungen von denjenigen einfangen, die mit solchen möglichen Gemeinden auf Zeit in Kontakt kommen, ohne sie selbst zu verantworten.
2.2.2 Ereignisekklesiologie und liquid church Michael Schüßler geht in seiner Gegenwartsanalyse davon aus, dass sich aus sozio-kultureller Perspektive die „Zeithorizonte von linearer Stabilität zu ereignisbasierter Drift“107 verändern. Zeitstrukturen seien gegenüber der Moderne beschleunigt und verflüssigt. Dementsprechend formuliert er es als Aufgabe, „[d]ie Zeitdimension von Kirche und Theologie in ereignisbasierter Gesellschaft“108 neu zu entdecken. Mit diesem Ansatz verortet er sich in der Denkrichtung liquid church und rekurriert auf Vordenker wie den Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman, der die Begriffe „‚Flüchtigkeit‘ und ‚Flüssigkeit‘ als passende Metaphern“ prägte, „wenn man das Spezifische unserer Gegenwart, jener in vieler Hinsicht neuartigen [Hervorhebung im Original] Phase in der Geschichte der Moderne, erfassen will.“109 So lohnt es sich zunächst, die Genese von liquid church im Horizont des Diskurses fluider Kirchbildung110 zu betrachten, bevor Michael Schüßlers Konzept näher analysiert wird. 2.2.2.1 Liquid church im Horizont des Diskurses fluider Kirchbildung
Pete Ward In Anknüpfung an Zygmunt Baumans These von Verflüssigungstendenzen in der liquid modernity111 prägte zunächst der Brite Pete Ward in seiner Zeit als Archbishop of Canterbury’s Adviser of Youth Ministry die Metapher liquid church112, um Kirche in der Gegenwart neu zu beschreiben. Dabei geht es ihm vor allem um „die gleichberechtigte ekklesiologische Wertschätzung christlicher Existenzformen, auch wenn sie sich am Rand oder jenseits kompak-
107 Michael Schüßler, 2014, 25. 108 So der Untertitel seiner 2013 erschienenen Habilitation (vgl. Michael Schüßler, 2013). 109 Zygmunt Bauman, 2003, 8. 110 Vgl. Michael Schüßler, 2014. 111 So der Originaltitel von Zygmunt Baumans Buch, das 2003 in der deutschen Fassung unter dem Titel „Flüchtige Moderne“ erschienen ist. Vgl. hierzu die Einführung zu ▶ TEIL B und die dort skizzierte Gegenwartsanalyse, die als Charakteristika das Verschwinden von alten Stabilitäten benennt. Michael Schüßler spitzt dies ausgehend von Zygmunt Bauman noch einmal zu: „Aber anders als bei den Modernisierungsschüben vergangener Tage gibt es jetzt keine neue, erlösende Ordnungsvorstellung, sondern nur die unüberschaubare und überfordernde Unordnung der Gegenwart“ (ebd., 27). 112 Vgl. Pete Ward, 2002.
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ter Gemeindebildung und amtlicher Kirchlichkeit ereignen“113 – so Michael Schüßlers Analyse.114 Mit „liquid church“115 (2002) lieferte Pete Ward keinen Gesamtentwurf, der eine neue Definition von Kirche vorstellt. Vielmehr fordert er darin konsequent „more variety in church life“116 und „a more open use of the word ekklesia“117. Sein Anliegen ist es, den Begriff church von feststehenden Vorstellungen und definierten Sozialformen118 („solid church [Hervorhebung R.J.K.]“119) zu lösen. Mit dem Terminus liquid church skizziert er sein Verständnis von „‚[e]cclesia semper reformanda est‘ [Hervorhebung im Original]“120 und entwirft statt einer konkreten Beschreibung oder Anleitung zu einer liquid church vielmehr eine Vision von zukünftiger Kirche, die sich in unterschiedlichen Formen entwickeln und ereignen solle.121 Gemeinschaft bleibt bei ihm ein zentraler Aspekt, allerdings stellt er die bisherigen Formen, die auf verbindliche Vergemeinschaftung aller um ein liturgisches Zentrum herum angelegt seien, grundsätzlich in Frage.122 Er skizziert Kirche als Netz 113 Michael Schüßler, 2014, 28. 114 Damit erscheint dieser Ansatz der FE-Bewegung näher als der Ansatz von Uta Pohl-Patalong, der sich auf bereits kirchlich integrierte nicht-parochiale Ausdrucksformen konzentriert. 115 Pete Ward, 2002. 116 Vgl. ebd., 4. 117 Vgl. ebd., 10. 118 „[…] church cannot be contained in one clear social organization or institution“ (ebd., 8). 119 Pete Ward skizziert „solid church“ in vier Schlagworten (die er jeweils näher ausführt): „At�tendance at Church Service Equals Faithfulness“, „Size counts“, „One Size Fits All“, „Join the Club“ (vgl. ebd., 17–20). 120 „[…] – the church is continually in need of renewal. Change is basic to the nature of the church […]“ (vgl. ebd., 1). 121 Vgl. ebd. 122 Vgl. ebd., 17–20. Darüber hinaus markiert er dies u. a. durch die Rezeption der Formel „Believing without Belonging“, die er von Grace Davie („Religion in Britain Since 1945: Believing Without Be-longing“, Oxford 1994) ableitet (vgl. ebd., 57 f.). Abschließend skizziert er in der Veröffentlichung „Liquid Church“ in Form von Träumen seine Vorstellung von „Community“ oder auch „Communities of Choice“, was zugleich die Bedeutung des Gemeinschaftsaspekts sowie die Infragestellung bisheriger Versammlungsformen zeigt (vgl. ebd., 88–90). Auch in Pete Wards Entwurf einer „Liquid Ecclesiology“ aus dem Jahr 2017 wird deutlich, dass Gemeinschaft für ihn ein wesentlicher Aspekt von Kirche bleibt (seit 2012 ist er Professor of Theology and Ministry am King’s College London, aktuell hat er einen Lehrstuhl für Ecclesiology and Ethnography Network an der Durham University). Dort geht er weiterhin von Varietät, Vielfalt und Komplexität der Kirche aus – die er als aus der menschlichen Kultur und Gottes Wirken heraus mitten im Leben entstehend begreift – und untersucht diese anhand ethnographischer Studien. Hierbei thematisiert er erneut den Aspekt der Versammlung: „[…] a more fluid understanding of Church does not do away with gathering“ (Pete Ward, 2017, 10). Er untersucht die „expression in the lived community of the Church“ und analysiert dazu „the expression of the Gospel in contemporary evangelical / charismatic churches“ (ebd., 27). Es geht ihm also offensichtlich nicht darum, Versammlungsformen grundsätzlich auszuschließen. Wenn Pete Ward von liquid church spricht, hat er dabei diverse, auch intensive Ge-
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werk123 (von kleineren Gemeinschaften) und Event, thematisiert digitale Kommunikationsformen und liturgische Vielfalt124 und erklärt all dies als notwendig, um die Botschaft des Evangeliums in der Gegenwart zum Klingen zu bringen. Kritisch formuliert, geht es Pete Ward demnach um die entsprechenden Formen zur „Vermarktung“ des Evangeliums in der so genannten liquid modernity – hier liegt die Herausforderung seiner Skizzen einer liquid church, die er jedoch zugleich selbst benennt und reflektiert.125 Kees de Groot Der Niederländer Kees de Groot126 zeigt in seinem Beitrag „The Church in Liquid Modernity“127 (2006) einen deutlich sozialkritischeren Blick auf die Vermeinschaftsformen, die sich um ein liturgisches Zentrum versammeln, im Blick. Es geht ihm, wie auch diese Weiterführung seines Ansatzes zeigt, insbesondere darum, Kirche in ihrer Diversität kulturell geformter, veränderlicher, lebendiger Formen, die auch von Gemeinschaften und Einzelnen sowie von Gottes Wirken geprägt werden, wahrzunehmen: „The overriding core value for theological education should be a deep regard for the Church as a living, moving, cultural form. This regard is essential to theological education because it builds on a respect for what has been made meaningful by communities and by the investment of individuals, but it also recognizes how meaningful places are made what they are by the work of God who is Trinity in relationship“ (ebd., 208). 123 Die zentrale Stellung des Netzwerkbegriffs zeigt sich in seinem Entwurf schon in der Einleitung (vgl. Pete Ward, 2002, 8) und zieht sich durch das gesamte Buch. So wird liquid church als Netzwerk in Kapitel 6: „Shaping the liquid church“ näher skizziert: „A network-based liquid church cannot be planned. It must grow. […]“ (vgl. Pete Ward, 2002, 56 f.) und mündet schließlich in Kapitel 10: „Inside the liquid church“ in dem „Traum“ von liquid church als Netzwerk: „Liquid church would replace congregation with communication. The networked church wold connect individuals, groups, and organizations in series of flows. Connection would gather around hubs and would be made up of connecting nodes. […] Membership is no longer measured by attendance at worship. Instead, it is assessed in terms of participation in the network“ (ebd., 87 f.). 124 Vgl. ebd., 92–97. 125 „The work of Moore [Laurence Moore: Selling God. American Religion in the Market Place of Culture, Oxford 1994] and others is important because it focuses attention on the change in contemporary religious life. From their analyses it is possible to see how market processes and patterns of production and consumption have shaped Christian church. Far from rejecting such developments as superficial or theologically problematic, I believe that the commodification is essential for evangelism. […] What is needed is a more flexible church, one that is able to respond to the changing needs of people. The challenge for the liquid church is how it can do this without losing its theological heart“ (ebd., 63 f.). 126 Zum Teil wird sein Name auch mit Cornelis N. de Groot aufgeführt (vgl. z. B. Cornelis N. de Groot, 2014), je nachdem ob man die niederländische oder deutsche Schreibweise wählt. Ich richte mich nach der meines Erachtens häufigeren Schreibweise Kees de Groot – Ausnahme ist das Aufführen seiner Werke im Literaturverzeichnis, wo die jeweilige Angabe der Herausgebenden wiedergegeben wird. 127 Vgl. Kees de Groot, 2006.
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flüssigungstendenzen der Gegenwart als Pete Ward.128 Dennoch stellt auch er in weiteren Beiträgen – ausgehend von den von ihm analysierten gesellschaftlichen Veränderungen und der damit einhergehenden beobachteten veränderten Religiosität der Menschen in den Niederlanden129 – bisherige kirchliche Sozialgestalten, die auf kontinuierliche Versammlungsformen und Bindung setzen, in Frage: „Wir leben, sagt der polnisch-englische Soziologe Zygmunt Bauman, in einer fluiden Gesellschaft, in der Vernetzungen wichtiger sind als Herkunft und Klasse, in der wichtiger ist, was konsumiert, als was produziert wird, und in welcher das Erlebnis wichtiger ist als die Ideologie. In dieser fluiden Gesellschaft erscheint auch Religion als flüssig. D. h.: Religion hat wesentlich zu tun mit Auswahl und mehr mit dem Teilhaben an einem Erlebnis als mit Mitgliedschaft und Zugehörigkeit.“130 Ausgehend von dieser Analyse beleuchtet Kees de Groot verschiedene fluide Formen religiöser Gemeinschaft, ohne dabei jedoch den Gemeinschaftsbegriff auf die meist damit assoziierte kontinuierliche Vergemeinschaftungsform durch Mitgliedschaft festzulegen131. Er skizziert dabei – ebenso wie Pete Ward – das Bild eines Netzwerkes diverser Gemeinschaften und Kommunitäten.132 Dabei fragt er danach, wie die amtliche Kirche diese Formen bewertet: 128 „Ward suggests that fluid structures are helpful in marketing the gospel. I argue that this approach takes the sting out of Bauman’s social theory. A theological reading of the concept of liquid modernity challenges the churches to adopt a hermeneutic reconstruction of their mission“ (ebd., 91). 129 Vgl. Kees de Groot, 2008, 1–4 sowie auch Cornelis N. de Groot, 2014, 157 f.: „Religion überschreitet in unserer Zeit ihre Grenzen: Religiosität ist immer weniger exklusiv in den institutionellen Rahmen von Konfessionen eingebettet. In der Kultur, der Politik, der Wirtschaft und der Pflege begegnet einem in den Niederlanden Religion außerhalb der Kontrolle der religiösen Organisationen.“ 130 Kees de Groot, 2008, 6. 131 „Unter der Bedingung, dass das Element ‚Gemeinschaft‘ in einer theologischen Umschreibung von Kirche nicht sofort als eine Art Vereinigung verstanden wird, lässt es Raum für zeitweilige Formen von Zusammensein (togetherness situation, assemblé) und vielleicht sogar für Formen der Kommunikation ohne physische Interaktion (Fernsehen, Internet)“ (ebd., 5). An dieser Stelle deutet sich eine mögliche Interpretation von virtuellen Gemeinschaften als liquid church an, wird jedoch von Kees de Groot nicht vertieft. 132 „In einer Konsumgesellschaft erscheint auch die Religion als partikulare Wahl; lebenslange Mitgliedschaft ist jedenfalls viel weniger selbstverständlich. Religion bekommt einen Platz in Netzwerken, statt in strikt organisierten Kollektiven: in dezentralen Kreisen von miteinander verbundenen Gemeinschaften oder communities, wie sie im Internet mit einiger Übertreibung genannt werden“ (Cornelis N. de Groot, 2014, 162). In diesem Zitat, das einige Jahre später entstanden ist, wirkt es vielmehr so, als würde Kees de Groot Online-Communities eher kritisch bezüglich ihres Gemeinschaftsverständnisses bewerten. Es scheint sich letztlich auch ausgehend von Kees de Groots Analysen zu liquid church kein weiterführender Beitrag für die Frage danach, inwiefern virtuelle Gemeinschaften als Gemeinde begriffen werden können, zu ergeben.
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Ein praktisch-theologisches Problem ist hier, was Priorität hat: die dauerhafte Gemeinschaft der institutionellen Kirche oder das momentane Erleben der Gemeinschaft. Manche sprechen sich für die erste Position aus. Dann werden die Aktivitäten mit Außenstehenden als Dienstleistung oder als Missionierung verstanden und gehören selber nicht zur ordentlichen kirchlichen Seelsorge. Andere sehen Möglichkeiten [sic!] für eine flüssigere Ekklesialität. ‚Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen‘ (Mt 18,20) ist in diesem Zusammenhang eine beliebte Bibelstelle. Das Christus-Bekenntnis (‚in meinem Namen‘) wird so als wichtiger erachtet als das Stehen in einer amtlichen [sic!] oder ein anderes Kriterium, das mit einer institutionellen Erscheinungsform der Kirche Christi im Zusammenhang steht.133
Liquid church – so wird in seiner Perspektive deutlich – bedeute, dass auch dem, was sich an den Rändern und außerhalb des von der verfassten Kirche definierten Zentrums, ihrer Kontrolle und Macht ereignet, ekklesiale Qualität beigemessen wird. Darum erscheint die Haltung der amtlichen Kirche zu dem, was sich an neuen Formen religiöser Gemeinschaft ereignet, als entscheidend. Hier zeigt sich ein Link zur FE-Bewegung134, in der das Besondere im Kontext aktueller kirchentheoretischer Diskurse ist, dass die verfasste Kirche ergänzenden kirchlichen Ausdrucksformen ekklesiale Qualität zuspricht, indem sie diese als vollwertige Teile der Church of England anerkennt. Dies bedeutet ein Umdenken kirchlicher Leitung: Statt um Kontrolle geht es um ein Wahrnehmen und Verbinden von dem, was sich ereignet. Kirche erscheint hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur im Bild des Netzwerks dargestellt.135 Dabei bleibt Gemeinschaft auch bei Kees de Groot ein Kernbegriff.136 Er begreift darunter jedoch nicht nur regelmäßige und kontinuierliche, sondern auch zeitlichbegrenzte, vom Moment geprägte Versammlungsformen. Auch ausgehend von seinem Beitrag gerät somit letztlich insbesondere die notwendige Vielfalt von Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens in den Blick. In seinen Ausführungen weist Kees de Groot wie nebensächlich auf einen wesentlichen Aspekt hin, der bisher noch nicht eingehender thematisiert wurde: Allem, was sich neu und fluide bildet, wohnt die Tendenz zur Verstetigung und Institutionalisierung
133 Kees de Groot, 2008, 10. 134 Vgl. Cornelis N. de Groot, 2014, 166. 135 Vgl. ebd., 168–170. 136 Vgl. dazu auch die Auseinandersetzungen zu „community“ in Kees de Groot, 2006.
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inne.137 Er schlussfolgert daraus: „Deutlich ist, dass eine dynamische Beziehung zwischen flüssigen und festen Formen besteht.“138 Rainer Bucher Im deutschsprachigen Raum beschäftigte sich bisher insbesondere der katholische Pastoraltheologe Rainer Bucher mit „[v]erflüssigte[r] Kirchbildung an neuen Orten“139. Er nimmt dabei eine stärker kirchlich institutionell geprägte Perspektive ein, aus der heraus er nach neuen Strategien im kirchlichen Handeln fragt. Denn bisherige kirchliche Strategien, Religion „zu organisieren“, funktionieren seiner Analyse nach nicht mehr140, und so diagnostiziert er das Ende kirchlicher Pastoralmacht.141 Mit der Diagnose eines Macht- und damit einhergehenden Kontrollverlusts stimmt er mit Kees de Groots Analyse überein. Beide plädieren dafür, kein neues Kontrollsystem zu schaffen, sondern zu akzeptieren, dass sich Religiosität in einer stärker säkularen, pluraleren und individuelleren Gesellschaft des 21. Jahrhunderts in unterschiedlichen Kontexten ereigne – Rainer Bucher spricht dabei vom „Risiko des Sich-Aussetzens“142. Er skizziert verschiedene „Kehren“143, die die Kirche als Konsequenz der aktuellen Bedingungen zu vollziehen habe: Neben dem Wechsel „[v]on der Sozialformorientierung zur pastoralen Aufgabenorientierung“ und dem „Vertrauen auf die prophetische Kraft des Konzils“ kommt mit dem Kapitel „Von der Gemeinde137 „Das Interesse am persönlichen Bekenntnis führt dann zu einer Gestalt, in der das KircheSein auf autonome örtliche Gemeinschaften bewusster und engagierter Christen hinausläuft“ (Kees de Groot, 2008, 10). 138 Ebd., 13. 139 Michael Schüßler, 2014, 31. 140 „Religion wird zunehmend weniger im kirchlichen Dispositiv vergesellschaftet, das Religion in Konzepten von Mitgliedschaft, Gefolgschaft und Macht organisierte und zudem davon ausging, dass sich die je individuelle Religiosität und die gemeinschaftlich gelebte, verfasste Religion, also Persönlichstes und Öffentlichstes, Intimstes und kirchliche Obrigkeit, wenn irgend möglich decken“ (Rainer Bucher, 2012, 33 f.). 141 Vgl. ebd., 34 f. 142 Vgl. ebd., 59. „An den neuen pastoralen Orten trennen sich kirchliches Innen und gesellschaftliches Außen nicht mehr sozialräumlich voneinander und sind nicht länger klar gegeneinander identifizierbar. Sie setzen sich vielmehr wechselseitig aus, muten sich wechselseitig zu, konfrontieren sich. […] Wenn ‚Pastoral‘ konziliar die kreative, handlungsbezogene Konfrontation von Evangelium und konkreter Existenz an einem konkreten Ort meint, inklusive übrigens des gesellschaftlich-politischen Wertbereichs, dann bedeutet die offene Situation der neuen pastoralen Orte, immer wieder in die ungesicherten Zonen möglichen Scheiterns zu gehen, und das heißt dann aber eben auch: in die ungesicherten Zonen des eigenen Glaubens. Die soziale Codierung der Lebensbedeutung des Evangeliums, wie sie in kirchlichen Rechts- und Lebensregeln niedergelegt und in kirchlichen Sozialräumen eingeübt und gepflegt wurde und wird, verblasst in Zeiten der Freisetzung zu religiöser Selbstbestimmung bis zur Unwirksamkeit“ (ebd., 188 f.). 143 Vgl. ebd., 169–213.
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zentrierung zum Netzwerkkonzept“ erneut Kirche als Netzwerk in den Blick. Dem müsse „eine grundlegende Transformation kirchlicher Pastoralmacht“ vorausgehen, so Rainer Buchers These.144 In diesem Kapitel145 setzt er sich intensiv mit der Frage nach Macht- und Kontrollverlust und neuen Handlungsoptionen der katholischen Kirche in der Gegenwart auseinander. Dies hieße konkret, die Kategorien „Überschaubarkeit“, „Dauer“ und „religiöser Alleinvertretungsanspruch“ einzutauschen gegen die Kategorien „Gastfreundschaft, Anonymität, Spontaneität“.146 In seinen häufig recht abstrakt bleibenden Ausführungen konkretisiert Rainer Bucher den Netzwerkgedanken wie folgt: Damit die Kirche vor Ort bleiben kann, braucht sie neue Orte, deren Neuheit die tridentinischen Kategorien Überschaubarkeit, Dauer und religiöser Alleinvertretungsanspruch überschreitet. Die Kirche braucht aber natürlich auch jene Orte, die sie gerade in Neuzeit und Moderne so virtuos bespielt hat, die jetzt aber deutlich an Auszehrung leiden, jene pastoralen Orte, die von traditioneller Gemeinschaftsbildung leben, etwa die Pfarreien. Unter den Bedingungen des religiösen Marktes wird die katholische Kirche viele differenzierte, vernetzte und konkurrenzfrei agierende Orte brauchen, wo sie sich ihrer pastoralen Aufgabe stellt. […] Gemeinschaft ist auch im religiösen Feld nirgendwo mehr etwas Vorgegebenes, sondern etwas sich stets neu Bildendes und zu Begründendes […].147
Auch wenn weitere Konkretionen zum angekündigten „Netzwerkkonzept“ ausbleiben, zeigen Rainer Buchers Ausführungen ebenso wie die Pete Wards und Kees de Groots, dass auch hier der Begriff und die Bedeutung der Gemeinschaft nicht aufgegeben wird, sondern von dem Postulat der Kontinuität gelöst wird. Die veränderten Zeitstrukturen der Gegenwart bilden in diesen Ansätzen die gemeinsame Hintergrundfolie der Überlegungen. Diesen widmet sich Michael Schüßler umfangreich in seinem Entwurf einer Ereignisekklesiologie und spitzt so die Annahmen, Analysen und Thesen insbesondere seines theologischen Lehrers noch einmal zu.
144 Vgl. ebd., 186. 145 Vgl. Rainer Bucher, 2012, 186–199. 146 Vgl. ebd., 187 f. Er bezieht sich dabei auf Kategorien, die vom Leiter des Domforums in Köln in einem citypastoralen Konzeptpapier aus dem Jahr 1999 formuliert wurden. 147 Ebd., 191.
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2.2.2.2 Ereignisekklesiologie – Michael Schüßler
Mit der Zeit ändert sich auch die Zeit selbst. […] Es kommt zu einer praktischen Wende im zeittheoretischen Diskurs. Diese Praktische [sic!] Wende bedeutet für die Theologie, die Zukunft Gottes und der Welt nicht mehr ontologisch oder geschichtsphilosophisch zu fassen, sondern die befreiende Zeitlichkeit des Evangeliums von den Alltagspraktiken und der profanen Ereignisgeschichte her zu entdecken. Die Zeitpraktiken der Menschen von heute werden zu theologie- und eschatologiegenerativen Orten. Das, was der ewige Gott im Letzten für uns sein wird und was er immer schon war, das muss in jedem Augenblick der Gegenwart neu und möglicherweise anders entdeckt werden [Hervorhebungen im Original].148
Michael Schüßler erklärt in seinen umfangreichen, philosophischen Ausführungen zur Zeit, dass sich geschichtsphilosophische ebenso wie -theologische Annahmen und Sicherheiten aufgrund veränderter Zeitstrukturen aufgelöst haben. Mit Beschleunigung der Zeit meint er nicht lediglich ein Schnellerwerden bekannter Vorgänge, sondern eine radikale Veränderung zur Ungerichtetheit und damit auch Unvorhersehbarkeit von dem, was geschehe. Einziger Ankerpunkt werde aus diesem Horizont heraus das Ereignis. In diesem Sinne spricht Michael Schüßler vom Ende des modernen „Geschichtsdispositivs“ und dem aktuellen spät- oder postmodernen „Ereignisdispositiv“:149 „Im Ereignisdispositiv lautet der situativ aktualisierte Zeithorizont nicht ‚befristete Zeit‘, sondern ‚von Gott eröffnete Zeit‘.“150 Dies bedeute, dass „[d]ie gute Nachricht vom Gott Jesu […] heute immer weniger im Horizont von Geschichte formuliert werden [kann], sondern nur noch unter den Bedingungen des Ereignisdenkens.“151 Ausgehend von dieser Grundannahme skizziert Michael Schüßler ekklesiologische Analysen und Entwürfe, die stets vom Ereignisbegriff ausgehen und radikal alles hinterfragen, was hinter diesem zurückbleibt. Der Begriff liquid church gilt im Horizont dieses ereignisbasierten Zeitverständnisses von Michael Schüßler nicht mehr nur für die die dauerhaften kirchlichen Sozialgestalten ergänzenden, fluideren Formen, sondern wird bei ihm zur Hintergrundfolie eines grundsätzlichen Neudenkens kirchlichen Handelns: „Auf den ersten Blick können die Orte kirchlichen Handelns entlang ihres temporalen Index grob in zwei Bereiche eingeteilt werden, in dauerhafte 148 Michael Schüßler, 2013, 49. Bei Zitaten aus diesem Werk, werden im Folgenden orthographische und grammatikalische Fehler korrigiert wiedergegeben und nicht wie sonst üblich mit „[sic!]“ markiert. 149 Vgl. ebd., 150. 150 Ebd., 59. 151 Ebd., 149.
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Kirchenformen (Solid Church) und in flüchtigere, verflüssigte Kirchenformen (Liquid Church).“152 Doch […] auch in der Solid Church werden dauerhafte Bindung zu einem nicht mehr obligatorischen Ereignis. Die Rede von einer Liquid Church scheint von daher nicht nur für das Segment der besonders innovativen und passageren Pastoralprojekte zu gelten. Liquid Church besitzt das Potenzial zu einem weitreichenden Orientierungsbegriff für Kirchenbildung im ereignisbasierten Raum-Zeit-Dispositiv der Gegenwart.153
Michael Schüßler expliziert hier etwas, das in den vorangehenden Ansätzen im Kontext von liquid church schon häufiger mit Blick auf fluidere Sozialgestalten angedeutet wurde: Die Bindung von Menschen an kirchliche Sozialgestalten könne nicht mehr grundsätzlich vorausgesetzt werden. Doch was bedeutet das für die Beschäftigung mit bewährten sowie ergänzenden kirchlichen Sozialgestalten und vor allem für den Kontext dieser Arbeit? Hierzu folgt ein kurzer Exkurs zum Thema Bindung. 2.2.2.3 Exkurs: Bindung In einem 2008 veröffentlichten Aufsatz154 analysiert Eberhard Hauschildt welche selbstverständlichen Annahmen den kirchlichen Diskurs sowie die Praxis prägen: A) Bindung, Kirchenbindung, meint Gemeinschaft; Bindung ist geradezu Gemeinschaft. Denn: B) Gemeinschaft erzeugt Bindung. Daraus ergibt sich als gängige Reihenfolge, um mit der bekannten Formulierung aus der Church of England zu sprechen: C) ‚Belonging before believing‘ ist die erfolgreiche missionarische Grundstrategie.155
Mit Rekurs auf Gerald Kretzschmars Studie in seiner Habilitationsschrift „Kirchenbindung. Praktische Theologie der mediatisierten Kommunikation“ (2007) zeigt Eberhard Hauschildt im Folgenden, dass entgegen der drei skizzierten Annahmen auch bei Kirchenbindung Distanz zur Kirche der Normalfall ist und das Umschalten auf Nähe als ein Sonderereignis wahrgenommen wird.156 Es offenbaren sich in der Studie von Gerald Kretzschmar stattdessen zwei andere Muster der Kirchenbindung im Sinne von „belonging without belie152 Michael Schüßler, 2013, 268. 153 Ebd., 270. 154 Vgl. Eberhard Hauschildt, 2008. 155 Ebd., 131. 156 Vgl. Eberhard Hauschildt, 2008, 136.
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ving“ – das sich vor allem in sozialer Nähe ausdrücke –, sowie das Muster von „believing without belonging“ – das in allein normativer Übereinstimmung deutlich werde.157 Eberhard Hauschildt schließt daraus, dass verbindliche und kontinuierliche Gemeinschaft keine Sozialform ist, die in der Gegenwart Kirchenbindung garantiere. Vielmehr resümiert er: Wenige Kontakte, erlebt als Kontakte mit hoher Qualität und Intensität, können durchaus für das Maß an Kirchenbindung ganz entscheidend sein. Auch bei häufigen Kontakten, die als Kontakte schlechter Qualität und fraglicher Intensität erlebt werden, kann dies zu abnehmender Kirchenbindung führen.158
Mit seinem Denkmodell Kirche als Hybrid 159 zeigt Eberhard Hauschildt gemeinsam mit Uta Pohl-Patalong, dass in der Kirche als Institution, Organisation und Bewegung der Wechsel von distanzierter zu hoher Bindung, ebenso wie De-Intensivierungen von Bindungen möglich sind, so dass Distanz nicht direkt Bruch bedeuten müsse.160 Zu beachten gilt ausgehend von diesen Ausführungen, dass Bindung an die Kirche sowie an eine Gemeinde nicht mehr als feststehendes Kontinuum betrachtet werden kann, sondern sich immer wahrscheinlicher dynamisch im meist individuell gestaltetem Lebenslauf verändert und ereignet.161 Das wirft die Frage danach auf, wie sich Zugehörigkeit gestalten lässt, die zugleich verbindlich, wie auch durchlässig ist. Diese Frage gilt es bei der empirischen Untersuchung der Sozialgestalten des christlichen Glaubens sowie bei der Auswertung der Ergebnisse zu beachten. Michael Schüßler arbeitet ausgehend von Gerald Kretzschmars Studie und Eberhard Hauschildts Analysen als Spezifikum der Gegenwart heraus, dass Christ- bzw. Christin-Sein nicht mehr „allein im Durchlaufen der lebensphasenspezifischen Zugehörigkeitsriten“ vorgegeben ist, sondern sich in persönlichen,
157 Vgl. ebd., 137. 158 Ebd. 159 Nähere Ausführungen dazu finden sich in ▶ Kapitel VI, 3.2. 160 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 354–356. 161 Vgl. hierzu auch Christian Grethleins aktuellen kirchentheoretischen Beitrag (2018), in dem er insgesamt Kontextualisierung als größte Herausforderung und Chance der Kirche fokussiert: „Die Eigenlogik der Menschen in ihrem Bemühen um eine erfolgreiche Gestaltung der Biografie tritt zunehmend an die Stelle der Übernahme traditionsbegründeter Vorgaben von Kirche als Institution.“ (196). Ausgehend davon spricht er von einer „Optionalität der Kirchenmitgliedschaft“.
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zum Teil punktuellen „Glaubens- oder Begegnungserfahrungen“ ereignen muss.162 So plädiert er dafür, „kirchliches Handeln nicht über Bindung und Kontinuität, sondern als Ereignis zu entwerfen“163, so dass diese Verknüpfung immer wieder neu geschehen kann. 2.2.2.4 Situative Pastoral Michael Schüßler ist durch die katholische Gemeindetheologie von einem Gemeindebegriff geprägt, der auf eine intensive, überschaubare, familienähnliche Gemeinschaft setzt.164 Demgegenüber stellt er nun die Forderung nach einer „situativen Pastoral“. Wenn es auf Ereignisse ankomme, gelte es, nach den sozialen Voraussetzungen zu fragen, die diese ermöglichen.165 Dazu greift er auf Michael Nüchterns Begriffe „Gelegenheit“ und „Anlass“ zurück166 und nimmt diese als generelle Ausgangspunkte für sämtliches pastorales Handeln, das kasual erfolgen müsse, wenn es sich am Ereignis orientiere: Alles kirchliche Handeln ist kasual, also am sich aktuell ereignenden Fall orientiert. Es bietet für die Gläubigen eine Gelegenheit, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Damit hat sich das Verhältnis von Dauer und Gelegenheitsereignis umgekehrt. Nicht dauerhafte Strukturen verbürgen den Zusammenhang gegenwärtiger Pastoral-Ereignisse mit der Tradition. Das war das Konzept des Geschichts-Dispositivs. Vielmehr wird die Tradition in immer neuen ereignishaften Gelegenheiten aktualisiert und neu erfunden. Vor dem Hintergrund des Ereignis-Dispositivs müsste man sagen, das Christusereignis wird nicht nur erinnert, sondern es ereignet sich ganz neu.167
Michael Schüßler geht es bei dem Schaffen von Gelegenheiten nicht mehr um spezifische Sozialformen, sondern darum, im kirchlichen Handeln Raum für Ereignisse zu lassen.168 Genau das meint er, wenn er von „situativer“ sowie „verflüssigter Pastoral“ und „Ereignisekklesiologie“ spricht. Dass sein Ereignisbegriff dabei kein beliebiger ist und welche Konsequenzen seine Vorschläge für die bisherige Organisation von Kirche haben, bringt er wie folgt auf den Punkt:
162 Vgl. Michael Schüßler, 2013, 276. Hierin zeigt sich ein Anknüpfungspunkt seiner Analysen an die Analysen von ▶ TEIL A dieser Arbeit. 163 Ebd., 277. 164 Vgl. ▶ Kapitel V, 3. 165 Vgl. Michael Schüßler, 2013, 287. 166 Vgl. Michael Nüchtern, 1991. 167 Michael Schüßler, 2013, 289. 168 Michael Schüßler rekurriert bei seinen „Konkretionen verflüssigter Pastoral“ (vgl. ebd., 271 f.) unter anderem auf Martin Nicols homiletische Entwürfe (vgl. Martin Nicol, 1997, Martin Nicol, 2005).
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Spirituell wird es für die Kirche darauf ankommen, einem Ereignis in der Spur des Evangeliums wirklich zu trauen, wo auch immer es denn passiert. Und zwar auch dann, wenn damit kein Gemeindemitglied gewonnen wird und man nicht weiß, ob eine Geschichte mit Gott gerade begonnen, fortgesetzt oder unterbrochen wurde.169
An dieser Stelle zeigt sich, was auch bei den anderen Autoren im Kontext von liquid church schon deutlich wurde: Es ist eine spirituell akzentuierte Perspektive, die dem Wirken Gottes Platz einräumt. Das Aufgeben der Kontrolle, das insbesondere von Kees de Groot und Rainer Bucher skizziert wurde, scheint mit dem Vertrauen in das Wirken Gottes verbunden. 2.2.2.5 Fresh expressions of Church Aus dem ereignisekklesiologischen Horizont heraus erkennt Michael Schüßler in fxC nur unzulängliche Ergänzungen der bisherigen kirchlichen Sozialgestalten.170 Dabei analysiert er diese bezüglich ihrer Sozial-, Zeit- und Sachdimensionen. Mit Blick auf die Sozialdimension fragt er danach, inwiefern fxC als ergänzende kirchliche Lebensformen dem unverbundenen, gegebenenfalls anonymen Einzelnen Raum zur Begegnung mit dem Evangelium eröffnen. Dabei kritisiert er, dass zwar „programmatisch von der Weite des Evangelium die Rede“ sei, es operativ letztlich stets um Gemeindegründungen gehe, die ebenso wie bereits existierende kirchliche Sozialformen auf kontinuierliche Gemeinschaft und somit letztlich auf Kirchenwachstum setzen würden.171 Dasselbe beleuchtet er anschließend noch einmal unter der zeitlichen Perspektive und kritisiert dabei, dass fxC auf dauerhafte Prozesse im Sinne von Jüngerschaft und auf langfristige Bindung setze wie auch klassische Formen des Kircheseins, und stellt seinen ereignisekklesiologischen Ansatz dem gegenüber.172 Ausgehend vom Volk-Gottes-Begriff verweist Michael Schüßler darauf, dass dadurch die Zugehörigkeitsgrenzen maximal geweitet seien und sich Zugehörigkeit nicht zwangsläufig in Formen der „bekenntniszentrierten Vergemeinschaftung“ ausdrücken müsse. Dabei greift auch er auf seine Deutung von Michael Nüchterns Konzept der Kirche bei Gelegenheit zurück. Unter dem Stichwort „Sachdimension“ hinterfragt Michael Schüßler schließlich in einem dritten Schritt das fxC zu Grunde liegende Missionsverständnis, das seinem Verständnis nach darauf ziele, „Gott und das Evangelium zu den Menschen zu bringen“.173 Solch ein Missionsbegriff habe ähnliche Problema169 Michael Schüßler, 2014, 43; vgl. zudem Michael Schüßler, 2013, 277. 170 Vgl. Michael Schüßler, 2016. 171 Vgl. ebd., 337–339. 172 Vgl. ebd., 339–341. 173 Vgl. Michael Schüßler, 2016, 341 f.
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tiken, wie die organisationskirchliche Rezeption der Sinusmilieustudien. Mit den Worten von Rolf Zerfaß fragt Michael Schüßler schließlich danach, ob es aktuell nicht vielmehr darum gehe, anzuerkennen, dass Kirche nichts zu den Menschen zu bringen habe, sondern lediglich aufdecken könne, was Gott allen längst geschenkt habe. Im Sinne der Missio-Dei-Theologie, auf die die FE-Bewegung stetig rekurriert, kann diese missionstheologische Anfrage Michael Schüßlers in dem Sinne zurückgewiesen werden, dass Kirche hier vielmehr als diejenige verstanden wird, die an der Mission Gottes teilhat, als sich selbst als Subjekt zu begreifen.174 Dennoch zielt Michael Schüßlers Anfrage offensichtlich auf die genauere Verhältnisbestimmung zwischen dem Vertrauen der Kirche in Gottes Wirken („dem Ereignis Gottes trauen“) und dem, was die Kirche selbst noch dazulegt (Formen, Strukturen, in denen sich eine Gottesbegegnung ereignen kann / soll oder lediglich die Anerkennung, dass sich dies überall ereignen kann). Michael Schüßler resümiert schließlich mit Blick auf die FE-Bewegung und inwiefern hier Ergänzungen zu bisherigen kirchlichen Sozialgestalten sichtbar werden: Insofern greift auch die duale Konzeption einer ‚Mixed Economy‘ noch zu kurz, wenn damit nur die Gleichberechtigung parochialer und nicht-parochialer Gemeindeformen gemeint sein sollte. Denn die vielfältigen Vollzugsformen christlicher Existenz, und so versteht sich Kirche ja, sind durch die Gleichsetzung mit dem Konzept ‚Gemeinde‘ einfach nicht mehr auf den Begriff zu bringen. Fresh Expressions hätten dann ihren Sinn, wenn sie dazu beitragen, alle drei Sinndimensionen von Kirche noch viel weiter freizugeben.175
2.2.2.6 Fazit Mit Michael Schüßlers Ansatz einer Ereignisekklesiologie wird die Suche nach ergänzenden kirchlichen Sozialformen am stärksten entgrenzt: Es geht weder um den Ort (Kirchenräume) noch um die Sozialform (Gemeinde), sondern um die Qualität des Geschehens, um das Ereignis.176
Radikal argumentiert er für mehr Vielfalt, insbesondere hinsichtlich zeitlicher und sozialer Dimensionen, und kritisiert daher, dass fxC an diesen Stellen wieder auf das bereits bekannte Modell kontinuierlicher Gemeinschaft setze. 174 Vgl. dazu den zusammenfassenden Beitrag zu Missio Dei in der FE-Bewegung: Patrick Todjeras, 2016. 175 Vgl. Michael Schüßler, 2016, 343. 176 Michael Schüßler, 2013, 291.
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Dabei verpasst er selbst letztlich jedoch die Diskussion konkreter kirchlicher Ausdrucksweisen, die als Ergänzung dienen könnten. Er nimmt lediglich die beiden häufig aufgeführten Beispiele der Citykirchen als passagere und damit flüchtige Formen des Kirche-Seins sowie Taizé in den Blick.177 Interessant ist dabei, dass beide Formen von einer festen Konstante leben: die Citykirchen von dem feststehenden und spezifischen Ort und Taizé von der Kommunität – also einer sehr verbindlichen und intensiven Form von Gemeinschaft –, die alles, was sich an diesem Ort ereignen kann, trägt, fördert und pflegt. Was die Chancen und Grenzen weiterer unterschiedlicher Praxisformen des christlichen Glaubens dabei sein könnten, um Ereignissen in dem von ihm beschriebenen Sinne Raum zu eröffnen, wird nicht differenzierter analysiert. Manche seiner Ansätze scheinen sich demnach in der Verflüssigung aufzulösen, statt Dynamik zu entfalten. Vielleicht liegt aber genau hierin auch die Herausforderung seiner Ereignis-ekklesiologie: Während im Kontext von liquid church mit Pete Ward, Kees de Groot und letztlich auch Rainer Bucher noch konkrete Formen fluiderer Sozialgestalten von Kirche vor Augen gemalt wurden, setzt Michael Schüßler voll und ganz auf das Ereignis und spricht nur noch von „sozialen Voraussetzungen“, die dieses ermöglichen sollen. In dieser Radikalität konzipiert er dann auch folgerichtig keine spezifischen Formen, wie Kirche dies gestalten kann. Fraglich bleibt in seinem Ansatz, wer für diese „sozialen Voraussetzungen“ Sorge trägt. Geht er dabei letztlich nicht doch davon aus, dass es an einigen Stellen verbindliche Gemeinschaftsformen und / oder Hauptamtliche gibt, die erst der oder dem Einzelnen ermöglichen, punktuell zu partizipieren an dem, was sich ereignet, partizipieren zu können, wie auch seine beiden Beispiele Taizé und Citykirchen zeigen? Sein wesentlicher Beitrag für aktuelle kirchentheoretische Diskussionen liegt meines Erachtens darin, dass er herausarbeitet, dass auch ergänzende Ausdrucksformen mit Blick auf Sozial- und Zeitdimensionen an bereits bestehende Formen anknüpfen, indem hier ebenfalls auf Kontinuität und Vergemeinschaftung gesetzt wird. Doch wie gewinnt Kirche im Leben von Menschen Gestalt, die als unverbundene Einzelne – womöglich zudem anonym – nach Gottesbegegnungen suchen? Ohne dies eingehender zu diskutieren, verabschiedet sich Michael Schüßler an dieser Stelle vom „Konzept Gemeinde“ und belässt den Gemeindebegriff damit in der Verknüpfung mit kontinuierlicher und intensiver Gemeinschaft.
177 Vgl. ebd., 278–282. Vgl. zudem Rainer Bucher, 2012, 190.
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2.3 Fazit zu den skizzierten Ergänzungen des parochialen Gemeindebegriffs Die in ▶ Kapitel VI, 2 skizzierten Ansätze gehen trotz ihrer unterschiedlichen konfessionellen Prägungen, Perspektiven, Ausgangspunkte und Akzente von einigen gemeinsamen Grundsätzen aus: Strukturelle Vielfalt kirchlicher Sozialformen Den hier skizzierten Ansätzen ist gemeinsam, dass sie auf Kontinuität ausgerichtete kirchliche Sozialformen – insbesondere die Gemeinde in ihrer parochialen Verfasstheit – aufgrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen178 als veränderungs- bzw. ergänzungsbedürftig beurteilen und dementsprechend für strukturelle Vielfalt kirchlicher Sozialformen plädieren179. Bei Uta PohlPatalong erfolgt dies vor allem mit Blick auf den bisher meist bestimmenden (Wohn-)Ortsbezugs, in den anderen Ansätzen vorrangig ausgehend von einem kritischen Blick auf zeitliche Dimensionen kirchlicher Sozialgestalten. In ihrem jeweiligen Plädoyer sprechen sich die Autoren und Autorinnen für ergänzende kirchliche Sozialformen aus, die insbesondere situativ-punktuelle Erfahrungen, Begegnungen und Begleitung in unterschiedlichen (Lebens-) Kontexten180 ermöglichen sowie insgesamt Dynamiken des Bindens und Loslösens besser integrieren können. Ausschlaggebend für diese nicht identischen181, jedoch überwiegend ähnlichen Schlussfolgerungen ist die jeweilige Beobachtung der Autoren und Autorinnen, dass Lebensläufe unter heutigen Bedingungen individueller gestaltet
178 Bei Uta Pohl-Patalong liegt der zentrale Fokus vielmehr auf Veränderungen kirchlicher Strukturen, die Ausgangspunkt ihrer Analysen sind. Dennoch wird ihr gesellschaftsanalytischer Blick ebenso an einigen Stellen deutlich (vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 83 f.). Auch in anderen hier skizzierten Ansätzen werden wiederum kirchliche Strukturprozesse wahrgenommen, dort stehen jedoch die Gegenwartsanalysen der Gesellschaft eher im Fokus. 179 Eine Ausnahme für diesen zweiten Aspekt stellt Michael Schüßlers Ansatz dar. 180 Mit Blick auf diesen Punkt macht beispielsweise Uta Pohl-Patalong den Aspekt des „Hingehens“ nicht-parochialer Ausdrucksformen stark (vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 84). 181 Während beispielsweise Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel im Modell Gemeinde auf Zeit davon ausgehen, dass eine konkrete Örtlichkeit, wenn auch vor allem situativpunktuell, als „(Er-)Lebensraum“ wesentlich sei (vgl. Peter Bubmann u. a., 2016, 351), verweist Uta Pohl-Patalong darauf – wie in der vorangehenden ▶ Fußnote 181 bereits angedeutet –, dass die Gesellschaft aus ihrer Sicht vor allem mobiler werde und Erlebnisse der Verbundenheit weniger an konkrete Räume gebunden seien (vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 84). Dass Gemeinde stets eine konkrete Ortshaftigkeit aufweise, an der sich Teilhabe ereignen kann, und ebenso von einem personalen Aspekt geprägt sei, betont auch Johannes Zimmermann (vgl. Johannes Zimmermann, 2009, 24).
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werden können sowie müssen und sich dabei Bindungs- sowie Loslösungsprozesse dynamischer und fluider ereignen. Statt um Mitgliedschaft gehe es vielmehr um ein selbstbestimmtes Auswählen von sowie Teilhaben an Erlebnissen, die im individuellen Lebenslauf bedeutsam werden (müssen), und kann weniger auf ein Eingebettetsein in vorgegebene Traditionen und Zugehörigkeiten zurückgegriffen werden. Hier zeigt sich eine deutliche Kongruenz mit den Gegenwartsanalysen des ersten Teils dieser Arbeit, insbesondere mit Blick auf die dort skizzierte Lebenssituation Junge Erwachsene. Statt Macht und Kontrolle – Mut zum Risiko und Vertrauen Die Gestaltung unterschiedlicher Lebensbereiche wird insgesamt nicht nur fluider („flüssiger“), sondern vor allem unüberschaubarer und unvorhersehbarer skizziert. Die Ansätze unter dem Begriff liquid church plädieren ausgehend davon für die Aufgabe oder Reduktion von Macht und Kontrolle im Handeln der Verantwortungstragenden des Gesamtgebildes Kirche. Es gehe vielmehr darum, Risiken einzugehen und Ereignisräume zu eröffnen. Auch Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel teilen die Auffassung, dass vieles nicht mehr festgeschrieben werden könne, sondern einerseits das Selbstverständnis derjenigen, die an ergänzenden Sozialformen beteiligt sind, als wesentlicher betrachtet werden sollte. Andererseits wäre es insgesamt weniger sinnvoll „[…] festzustellen, was Gemeinde ist, sondern […] [sinnvoller zu] erkunden, wie sich in unterschiedlichen Kontexten Gemeinde entwickelt und wie sie jeweils Gestalt gewinnt [Hervorhebungen im Original].“182 Die Entwicklung unterschiedlicher kirchlicher Sozialgestalten wird stärker als Prozess beschrieben183, in dem auch Kirchenleitende neu ihre Rolle und Aufgaben finden müssten. Besonders bei diesem Aspekt zeigt sich die spirituelle Grundhaltung von der das Denkmodell liquid church geprägt ist184. Kirche im Organisationsmodell eines Netzwerks Einige in diesem Kapitel skizzierte Ansätze entwerfen ein Organisationsmodell von Kirche als Gesamtgebilde. Zunächst bei Pete Ward als Vision von liquid church skizziert, wird in den Ansätzen von Kees de Groot und Rainer Bucher 182 Peter Bubmann u. a., 2016, 357. 183 Der Aspekt eines prozesshaften Gemeindeverständnisses findet sich auch bei Uta Pohl-Patalong (vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 105), die ansonsten an dieser Stelle einen stärker institutionell geprägten Blick hat, so dass dementsprechend Anfragen an kirchenleitendes Handeln unter den Aspekten Kontrolle und Macht bei ihr nicht aufkommen. 184 Auch Pete Wards Veröffentlichung ist durchgehend von dieser spirituellen Grundhaltung geprägt. Mit Blick auf Leitung skizziert er z. B. Szenarien, in denen es weniger auf kirchlich autorisierte Leitungspersonen ankomme, sondern auf „spiritual leaders“ (vgl. Pete Ward, 2002, 90–92).
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Kirche im Bild des Netzwerks beschrieben, da es zukünftig weniger auf Kontrolle und Bindung als auf Vernetzung ankomme. Nach Rainer Buchers Vorstellungen sollen in diesem Netzwerk sowohl „Orte, die von traditioneller Gemeinschaftsbildung leben“185, als auch „Orte, deren Neuheit die tridentinischen Kategorien Überschaubarkeit, Dauer und religiöser Alleinvertretungsanspruch überschreitet“,186 miteinander vernetzt werden, sich jeweils „ihrer pastoralen Aufgabe“ stellen können und in dem Sinne gemeinsam Kirche sein. Dies erinnert zwar nicht in den Begrifflichkeiten, jedoch von der Konzeption her stark an den Gedanken einer mixed economy. Auch dort wurde deutlich, dass die Umsetzung dieser Idee von Kirchenleitenden der Church of England Risikobereitschaft sowie auch die Aufgabe von Kontrolle und Überschaubarkeit fordert und neben strukturellen ganz wesentlich mit geistlichen Prozessen verbunden ist.187 Mit Blick auf die Organisation einer Kirche der Vielfalt deuten sich an dieser Stelle Parallelen zwischen der Perspektive liquid church und der FE-Bewegung an, auch wenn bezüglich der ergänzenden Sozialformen zum Teil unterschiedliche Schwerpunkte gelegt werden. Gemeinschaft vom Postulat der Kontinuität gelöst Gemeinschaft wird vor allem in den Ansätzen, die die zeitlichen Dimensionen fokussieren (liquid church, Gemeinde auf Zeit, Ereignisekklesiologie), vom Postulat der Kontinuität gelöst.188 Mit der Aufgabe eines Gemeinschaftsbegriffs, der ausschließlich von langfristigen Bindungen sowie kontinuierlichem Kontakt der einzelnen Mitglieder geprägt ist, verabschieden sich die skizzierten Ansätze jedoch nicht vom Aspekt Gemeinschaft, sondern bleibt er sowohl aus Pete Wards als auch aus Kees de Groots Perspektive weiterhin wesentlich, wenn auch in anderen (zeitlichen) Formen189. Auch Rainer Bucher verabschiedet sich nicht von dem sozialen Aspekt, sondern betont hingegen, dass Gemeinschaft sich stets neu bilden und begründen müsse.190 Es geht also insgesamt um strukturelle Vielfalt mit Blick auf die soziale Dimension kirchlicher Ausdrucksformen. Kees de Groot weist als Einziger in diesem Kontext explizit darauf hin, dass in allem, was sich neu und fluide bildet, zugleich die Tendenz zur Verstetigung bzw. Institutionalisierung angelegt ist.191 Diesen spannungsvollen Prozess zwi185 Rainer Bucher, 2012, 191. 186 Ebd. 187 Vgl. hierzu die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 1 sowie insbesondere Michael Herbst (Hg.), 2006, 17. 188 Diese Sichtweise findet sich auch bei Uta Pohl-Patalong (vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 83 f.). 189 Nicht nur als dauerhafte, sondern beispielsweise auch als momentane Gemeinschaft – unter Bezug auf Mt 18,20 (vgl. Kees de Groot, 2008, 10.). 190 Vgl. Rainer Bucher, 2012, 191. 191 Vgl. Kees de Groot, 2008, 10.
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schen den Dimensionen Kontinuität und Ereignis, Neuheit und Institutionalisierung gilt es insbesondere in ▶ TEIL C nicht aus dem Blick zu verlieren. Kontrovers: Michael Schüßlers radikale Konzentration auf das Ereignis Michael Schüßlers Analysen der Gegenwart sowie spiritueller Aspekte fallen in den Konsequenzen, die er daraus zieht, deutlicher radikaler als in den anderen skizzierten Ansätzen aus. Man könne nicht mehr auf ein „duales Konzept“ von Kirche setzen, in dem es einerseits auf Bindung oder Kontinuität konzentrierte, bereits bewährte Ausdrucksformen gäbe, die nun durch innovativere und fluidere Formen ergänzt werden würden.192 Sondern Kirche als Gesamte habe den grundlegenden Auftrag Raum für Ereignisse zu lassen und eben diesen spirituell zu trauen: „Kirche ereignet sich nicht nur in der gezielten Weiterentwicklung gegenwärtiger Strukturen, sondern durch das wild bewegte und meist nicht sofort sichtbare ‚doing church‘ der Gläubigen, der Suchenden, der Zweifelnden, der Trauernden oder der Wie-neu-geborenen.“193 So ist in Michael Schüßlers Ekklesiologie weder ein konkreter – wenn auch situativer – Ortsbezug, noch Gemeinschaft – egal in welcher Form – wesentliches Element für das, was kirchliches Handeln zukünftig bestimmen solle.194 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch seine Kritik an fxC195 sowie seine Ablehnung des „dualen Konzepts“ einer mixed economy196. Gleichberechtigte ekklesiologische Qualität vielfältiger kirchlicher Sozialformen Die anderen Ansätze plädieren (auch innerhalb der verfassten Kirchen197) für die Anerkennung der gleichberechtigten ekklesiologischen Qualität sowie praktischen Notwendigkeit von ergänzenden Sozialformen neben der Gemeinde. 192 Vgl. Michael Schüßler, 2013, 268 f. 193 Michael Schüßler, 2013, 277. 194 Vgl. ebd., 291. Dazu sei – wie bereits in den vorangehenden Ausführungen erwähnt – angemerkt, dass die praktischen Beispiele (Citykirchen und Taizé), die von ihm skizziert werden, ein anderes Bild ergeben, in dem hier einerseits der konkrete Ortsbezug und andererseits der verbindlich-kommunitäre Aspekt eine entscheidende Rolle spielen (vgl. ebd., 278–282). 195 Vgl. Michael Schüßler, 2016. 196 Vgl. ebd., 343. 197 Die Perspektive liquid church hat dabei stärker Lebensformen des christlichen Glaubens, die sich am „Rande amtlicher Kirchlichkeit“ bilden, im Blick (vgl. Michael Schüßler, 2014, 28), während Uta Pohl-Patalong eine stärker binneninstitutionelle, kirchliche Sichtweise hat und sich auf Ausdrucksformen bezieht, die ebenso amtlich sind, wie die Parochialgemeinde, jedoch stets auf ihre Zuarbeiterfunktion für diese begrenzt werden. Beiden Perspektiven geht es letztlich um die Anerkennung ergänzender Sozialgestalten in ihrer selbstständigen ekklesiologischen Qualität von der verfassten Kirche. Uta Pohl-Patalong hat dabei die Evangelische
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
Dabei verpassen sie es jedoch fast allesamt, den Gemeindebegriff neu zu prägen, und überlassen ihn damit weiterhin allein der parochialen Prägung.198 Einige entwickeln vielmehr Organisationsmodelle von Kirche, die strukturelle Vielfalt in ihren Ausdrucksformen zulässt, fördert und integriert. Uta PohlPatalong entwirft als zukünftiges Organisationsmodell von Kirche das Konzept kirchlicher Orte, in dem die beiden aus ekklesiologischer Perspektive gleichwertigen Organisationsprinzipien parochialer und nichtparochialer Struktur miteinander vereint werden sollen, gibt dabei jedoch den Gemeindebegriff auf.199 Die Ansätze aus dem Bereich liquid church skizzieren – wie bereits erwähnt – das Bild eines Netzwerks, in dem traditionelle und fluidere kirchlichen Lebensformen in gleichberechtigter ekklesiologischer Existenz miteinander vernetzt werden sollen.200 Das folgende Kapitel diskutiert und analysiert im Anschluss daran verschiedene Organisationsmodelle einer Kirche der Vielfalt.
3. Organisationsmodelle einer Kirche in vielfältiger Gestalt Während das vorausgehende ▶ Kapitel VI, 2 insbesondere Aspekte der Ergänzungen hinsichtlich des parochialen Gemeindemodells fokussiert und deren ekklesiologische Qualität diskutiert hat, geht es in diesem Kapitel nun um die Frage, welche Rolle diese Ergänzungen in der Kirche als Gesamtsystem einnehmen können und wie Kirche sich dementsprechend neu organisieren oder auch verstehen kann. Welche Möglichkeiten es diesbezüglich gibt, und welche Modelle oder Konzepte aktuell mit Blick auf eine Kirche der Vielfalt, zu der neben dem vertrauten Modell Parochialgemeinde weitere Sozialgestalten und gemeindliche Lebensformen gehören, entworfen werden, hat das vorherige Kapitel bereits angedeutet. Hier werden nun drei exemplarisch ausgewählte
Kirche im Blick, die hier skizzierten Ansätze unter dem Begriff liquid church entstammen vor allem dem katholischen kirchlichen Kontext (sowie bezüglich Pete Ward dem kirchlichen Kontext in England). 198 Einzige Ausnahme stellt das Konzept Gemeinde auf Zeit dar. Wie skizziert, haben Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel ausgehend von ihrer Analyse dieses Konzepts vier Merkmale für den Gemeindebegriff erarbeitet (vgl. Peter Bubmann u. a., 2016, 351) und weisen zudem darauf hin, dass einerseits das ekklesiologische Selbstverständnis der Beteiligten einer kirchlichen Sozialgestalt entscheidend ist (vgl. ebd., 356). 199 Vgl. Uta Pohl-Patalong, 2006, 128. 200 Pete Ward wiederum konzentriert sich in seiner Veröffentlichung „Liquid Church“ auf die Beschreibung von eben dieser Vorstellung einer liquid church, statt ein Gesamtmodell für Kirche zu entwerfen.
3. Organisationsmodelle einer Kirche in vielfältiger Gestalt
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„Modelle“ oder auch Vorstellungen, die eine vielfältige Kirche ermöglichen sollen, eingehender analysiert: Zunächst erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Ansatz Regiolokale Kirchenentwicklung, der im kirchentheoretischen Diskurs ein noch junger Begriff ist und den Fokus auf die Organisation einer gesamten Region im Sinne eines Kirchenkreises oder Dekanats richtet (▶ Kapitel VI, 3.1). Anschließend wird das von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt entworfene Denkmodell einer Kirche als Hybrid zunächst skizziert und diskutiert (▶ Kapitel VI, 3.2), das statt eines weiteren Entwurfs eines Organisationsmodells vielmehr auf drei Ebenen aktuelle Handlungslogiken und Idealbilder von Kirche analysiert, die es für zukunftsfähige Modelle einer Kirche der Vielfalt miteinander zu verbinden gelte. Darüber hinaus wird in diesem Teil das von den beiden zudem skizzierte Organisationsmodell einer „Kirche als Netz von Gemeinden an unterschiedlichen kirchlichen Orten“ analysiert. Da sich in dieser Arbeit bereits mehrfach die Vorstellung einer Kirche als Netzwerk in den unterschiedlichen Entwürfen gezeigt hat, wird der dritte Teil dieses Kapitels der Analyse des Netzwerkbegriffs und der Frage nach dessen Potentialen für aktuelle kirchentheoretische Herausforderungen gewidmet (▶ Kapitel VI, 3.3). In einem Fazit wird abschließend zusammengefasst, was für den weiteren Verlauf der Arbeit ausgehend von diesen Analysen als besonders relevant erscheint (▶ Kapitel VI, 3.4).
3.1 Regiolokale Kirchenentwicklung Hintergrund des Konzepts Hinter dem noch jungen Begriff Regiolokale Kirchenentwicklung201 verbirgt sich der Ansatz, angesichts aktueller Fragen und Herausforderungen in der
201 2017 ist, herausgegeben vom ZMiR, die erste Veröffentlichung unter diesem Titel erschienen (vgl. Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017). Michael Herbst als Leiter des IEEG in Greifswald und Hans-Hermann Pompe als Leiter des ZMiR sind nicht nur die Autoren dieser Veröffentlichung, sondern zugleich diejenigen, die das Konzept maßgeblich entwickelt haben. Das „Handbuch Kirche und Regionalentwicklung“ aus dem Jahr 2014 (Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014) zeigt schon Vorläufer des Gedankens sowie Begriffs Regiolokaler Kirchenentwicklung, auch wenn der Begriff darin noch nicht zu finden ist. Der Begriff taucht schon 2016 in: Michael Herbst, 2016, 15, und darüber hinaus in der ZMiRDokumentation „Von der Institution zum Netzwerk“ auf (vgl. ZMiR, 2016, 14). In dem 2018 erschienen kirchentheoretischen Forschungsbeitrag von Michael Herbst „Aufbruch im Umbruch. Beiträge zu aktuellen Fragen der Kirchentheorie“ führt er im sechsten Kapitel, das sich auf die „Mittlere Ebene“ konzentriert, erstmals diese „Ansätze für eine regiolokale Kirchenentwicklung“ näher aus (vgl. Michael Herbst, 2018, 118–122).
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Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung von Kirche als Teil der sich verändernden Gesellschaft, „vorzugswürdige kybernetische Optionen“ mit Blick auf Regionen zu erarbeiten. Im Fokus steht dabei die „Stärkung lokaler Gemeinschaften und Gemeinden“, die gemeinsam eine Verantwortung für die Region haben und durch Kooperationen Entlastung erfahren könnten – so wird Regiolokale Kirchenentwicklung als ein aktuelles Forschungsprojekt des IEEG vorgestellt.202 Die Besonderheit des Ansatzes Regiolokaler Kirchenentwicklung ist, dass neben den Analysen des Zeitgeschehens auch Raumanalysen vorgenommen werden, so dass „kybernetische Optionen auf Basis von räumlichen Entwicklungen erarbeitet werden“203. Dies liegt u. a. darin begründet, dass Regiolokale Kirchenentwicklung ein Forschungsfeld des IEEG ist, das für den Bereich ländliche Räume durch diverse Forschungsprojekte über besondere Expertise verfügt. Zudem wird vom zweiten Forschungsstandort, dem ZMiR, Erfahrungswissen aus Regionalentwicklungsprozessen eingebracht. So bilden ebenso wie im vorangegangenen ▶ Kapitel VI, 2 die Kategorien Zeit und Raum den Hintergrund des im Folgenden diskutierten Konzepts. In diesem selbst wird jedoch vor allem eine Differenzierung zwischen zwei räumlichen Kategorien deutlich. Die lokale Ebene: Ortsgemeinden Die lokale Ebene von Kirche in Form der wohnortbezogenen Gemeinde bildet den einen wesentlichen Ausgangspunkt Regiolokaler Kirchenentwicklung. Ergänzende Ausdrucksformen scheinen zunächst nicht im Fokus zu stehen, sondern vielmehr die Frage, „[w]ie Gemeinden vom Nebeneinander zum Miteinander kommen können“204. Im Zentrum dieses Ansatzes stehen demnach Kooperationsprozesse bereits existierender, lokal verorteter Gemeinden. Daraus wiederum können im Sinne dieses Ansatzes ergänzende kirchliche Sozialgestalten entstehen. Diese würden durch ihre jeweilige Orientierung an (einer) spezifischen Zielgruppe(n), die lokale Gemeinde sinnvoll ergänzen, deren Stärke der Nähe zugleich auch die Begrenzung auf Zielgruppen ist, deren Leben sich am Nahbereich des Wohnorts orientiert.205 Die regionale Ebene: Auch als Kirche begreifen und gestalten Der zweite wesentliche Ausgangspunkt Regiolokaler Kirchenentwicklung ist die Region, die erst einmal ganz grundsätzlich als „mehrdimensionaler Hand202 Vgl. Homepage IEEG a. 203 Vgl. ebd. 204 So der Untertitel der Veröffentlichung Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017. 205 Vgl. ebd., 10.
3. Organisationsmodelle einer Kirche in vielfältiger Gestalt
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lungs-, Gestaltungs-, Beziehungs- und Identitätsraum“206 verstanden wird. Sie gilt sowohl in öffentlichen und staatlichen als auch in kirchlichen Strukturen als „mittlere Ebene“ oder auch „Zwischengröße“ mit besonderem Gestaltungspotential, da sie sowohl mit dem Geschehen der Basis verbunden ist, zugleich aber aus übergeordneter Perspektive das Gesamtgeschehen sinnvoll verwalten und strukturieren kann.207 Mit Region ist in diesem Ansatz also konkret die nächstgrößere kirchliche Organisationseinheit im Sinne von Dekanaten oder Kirchenkreisen gemeint.208 Diese Ebene, oder vielmehr der Raum, der sich hier eröffnen und gestalten lässt, soll nun einerseits aus Perspektive der lokalen Gemeinden als ihre Verantwortung und Chance begriffen werden: „[…] Kirche in der Region […] [kann] durch Zusammenarbeit all das bieten […], wozu einzelne Gemeinden zu schwach wären.“209 Andererseits soll die mittlere Leitungsebene diesen Raum ebenso als ihre Verantwortung und Chance begreifen, hier selbst Kirche zu gestalten statt lediglich zu verwalten: Auch die Gemeinschaft der Gemeinden ist Kirche und nicht nur lästige Verwaltungseinheit. Und zum Kirchesein jeder Gemeinde gehört die Verbindung zu den anderen, die an ihrem Ort ebenso Kirche sind. Kirche ist regional und lokal.210
Dabei bilden Kooperationen lokaler Einheiten den Schlüssel und müssen dementsprechend auf der regionalen Ebene sowie auch von ihr ermöglicht, gefördert und begleitet werden. Es geht in diesem Ansatz letztlich um eine Kirchenentwicklung, „die eher regional plant, aber zugleich lokal geistliches Leben in Gemeinschaft lebt.“211 Das Bild des Netzwerks und kirchenleitendes Handeln in unübersichtlichem Setting Auch in dieser Perspektive begegnen Begriffe und Assoziationen aus der Bildwelt des Netzwerks: Es gehe um die regionale Organisation eines „sich über das Land erstreckende[n] ‚Lichternetz[es]‘ der vielen örtlichen Gemeinden“ sowie „gut sichtbare[r] zentrale[r] ‚Leuchtfeuer‘“212. In der Beobachtung, die 206 Vgl. Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014, 40. 207 Vgl. ebd., 143. 208 Vgl. Michael Herbst, 2018, 119. 209 Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017, 29. 210 Ebd., 11. 211 Ebd., 29. 212 Vgl. Michael Herbst, 2018, 121. Vgl. zudem darüber hinaus weitere exemplarische Bezüge auf die Bildwelt des Netzwerks: „Kirche regional zu entwickeln, kann verschiedene Gemeinden, Dienste, Netzwerke, Menschen und Gaben in einem überschaubaren Kontext vernetzen. So
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im Handbuch „Kirche und Regionalentwicklung“ formuliert wird, dass Netzwerke als „Nonplusultra der Kommunikation und Problemlösung in komplexen Beziehungsgefügen“213 gelten, scheinen sich diese Bild-Assoziationen zu begründen. Denn bei Regiolokaler Kirchenentwicklung geht es nicht nur um die Gestaltung der Verhältnisse von Parochien untereinander. Sondern es gilt auch, ergänzende Sozialgestalten, die als Teil der Kirche der Region entstehen sollen, zu entdecken, fördern und / oder zu integrieren. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Prozesse im Sinne Regiolokaler Kirchenentwicklung insgesamt unübersichtlicher und unvorhersehbarer werden. So spitzt Michael Herbst es in seinem Beitrag zu aktuellen Fragen der Kirchentheorie wie folgt zu: Was regiolokale Kirchenentwicklung auslöst, ist am Ende eine Veränderung dieser Landkarte. Sie wird sicher unübersichtlicher, vielleicht auch ein klein wenig unordentlicher und unvorhersehbarer. Das herrschende Prinzip der Parochie wird nicht aufgegeben, aber kirchliches Leben sortiert sich nicht mehr nur nach einem geographischen Muster, bei dem lauter Vollprogramm-Anbieter sich das Gelände teilen. Was wir uns vorstellen, ist in der Tat ein Nebeneinander und Übereinander verschiedener Mitspieler in der regiolokalen Kirche […].214
Das Bild des Netzwerks sowie die skizzierte Unübersichtlichkeit erinnern an die Ausführungen zu liquid church. Während die aus Perspektive von liquid church zitierten Autoren konsequent für die Aufgabe von Macht und Kontrolle sowie für mehr Vertrauen in Prozesse und Ereignisse plädieren, scheint es bei Regiolokaler Kirchenentwicklung stärker um die kirchenleitende Steuerung der Prozesse zu gehen.215 Neben dem Begriff Planung findet sich in der Grafik, die die verschiedenen Handlungsfelder Regiolokaler Kirchenentwicklung skizziert, bei näherem Hinsehen ebenso der Begriff des Gebets, der der Planung an die Seite gestellt wird oder ihr von der Anordnung der Begriffe her sogar vorausgeht.216
bildet der Kirchenkreis (bzw. Dekanat, Propstei) das ideale Labor für ekklesiologische Kreativität“ (Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017, 43). Sowie: „Regionale Leitung wird zum Nutzen aller zum ‚diversity management‘, sie wird zur weisen Koordinatorin von Verschiedenheiten und zum Vernetzungsknoten der Innovation“ (ebd., 44). 213 Vgl. Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014, 258. Es folgen in dieser Veröffentlichung auf den Seiten 258–264 Ausführungen zu unterschiedlichen Netzwerktypen, Unterscheidungsmerkmalen und Funktionen von Netzwerken, um ihre Bedeutung in Regionalentwicklungsprozessen besser erfassen zu können. 214 Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017, 48. 215 „Insofern ‚Regiolokale Kirchenentwicklung‘ nicht nur das Verhältnis von Parochien steuert, sondern das Verhältnis unterschiedlicher, auch neuer Gemeindeformen, wird die Aufgabe im Vergleich etwas unübersichtlicher“ (Homepage IEEG a.). 216 Vgl. ebd.
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Hier deutet sich an, dass auch die Perspektive Regiolokaler Kirchenentwicklung um das Unverfügbare in diesen Prozessen weiß und dem aus einer christlichspirituellen Haltung heraus begegnet: Regionen haben das größte Entwicklungspotenzial, wenn ihre Ordnungen beweglich und flexibel sind. Kirchliche Ordnungen sind vielfach zu stabil und verhindern damit Innovation und Entwicklung. Außerdem verstellen unflexible Strukturen den Blick darauf, wie das Unverfügbare des Heiligen Geistes, das Geheimnis göttlicher Wege auch in kirchlichen Ordnungen offengehalten wird […].217
Es wird eine Liste „notwendiger Interaktionen“ für Leitungspersonen formuliert, diese zeigt jedoch, dass es hier weniger um Macht und Kontrolle geht, als darum, Ermöglichungsräume zu schaffen.218 Die Perspektiven im Kontext von liquid church scheinen an der Stelle noch einen Schritt weiterzugehen, indem sie weniger von einem Ermöglichen als von einem Wahrnehmen und Verbinden von dem, was sich ereignet ausgehen. So zeigen sich unterschiedliche Akzentuierungen der beiden Perspektiven, zugleich werden aber vor allem ähnliche Ansatzpunkte deutlich. Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit dem Gedanken einer mixed economy An einigen Stellen wirkt Regiolokale Kirchenentwicklung wie ein Äquivalent des englischen Motivs einer mixed economy für den Kontext in Deutschland.219 Auch bei mixed economy geht es um Ergänzungsprozesse unterschiedlicher kirchlicher Sozialgestalten in größeren Organisationseinheiten von Kirche.
217 Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014, 158. 218 Vgl. die Liste, die folgende Handlungen benennt: „Ermöglichen, Ermutigen, Erfinden, Erproben, Unterstützen, Konzentrieren“ (Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017, 44– 46). An dieser Stelle wird der auf Hans-Tjabert Conring zurückgehende Begriff der „Ermöglichungsnorm“ bedeutsam (vgl. Hans-Tjabert Conring, 2013, 22). Rainer Mainusch führt aus, was ein als „Ermöglichungsnorm“ verstandenes Kirchenrecht hinsichtlich des kirchenleitenden Handelns in einer an Sozialformen vielfältiger werdenden Kirche für Konsequenzen habe: „Für die Rechtsetzung bedeutet das, dass Kirchenleitung sich darauf beschränkt, einen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen die Normadressaten in einem entsprechenden Kommunikationsprozess eigenverantwortlich festlegen, wie sie diesen Rahmen ausfüllen. Rechtsnormen sind also weniger als detaillierte Gebots- oder Verbotsnormen, sondern mehr als Ermöglichungsnormen konstruiert, die Räume für die Entwicklung von Vielfalt eröffnen“ (Rainer Mainusch, 2016, 8). 219 In einem Fall wird der Begriff mixed economy von den Autoren selbst sogar synonym für Regiolokale Kirchenentwicklung genutzt, wenn das Projekt „Erprobungsräume“ der EKM als ein Beispiel Regiolokaler Kirchenentwicklung benannt wird und zugleich bei der Beschreibung dieses Beispiels vom „Alltag der ‚mixed economy‘“ gesprochen wird (vgl. Michael Herbst / HansHermann Pompe, 2017, 37).
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Und in beiden Ansätzen spielen Kirchenleitende eine besonders entscheidende Rolle, ob und wie diese Prozesse gelingen, und müssen dazu ihre Aufgaben neu wahrnehmen und füllen. In der Church of England ist dies jedoch nicht auf die mittlere Leitungsebene beschränkt, sondern fungieren besonders auch Bischöfe als Schlüsselpersonen, so wie auch die Regelung der bmo zeigt. Ekklesiologisches Selbstverständnis einer Regionalkirche Ein weiterer wesentlicher Unterschied der beiden Ansätze wird in Michael Herbsts Ausführungen unter dem Aspekt der „Notwendigkeit einer theologischen und geistlichen Neubewertung [Hervorhebung im Original]“ deutlich: „Hier [gemeint ist Regiolokale Kirchenentwicklung, Anmerkung R.J.K.] geht es darum, anzuerkennen und nachzuvollziehen, dass das Dekanat oder der Kirchenkreis Kirche ist und nicht ein ‚unter‘ oder ‚neben‘ der eigentlichen Kirche am Ort platziertes Hilfsinstrument.“220 Damit spielt Michael Herbst auf den Aspekt eines ekklesiologischen Selbstverständnisses an. Während es in den vorausgehenden Kapiteln bisher darum ging, die gleichwertige ekklesiologische Qualität ergänzender kirchlicher Sozialgestalten anzuerkennen, geht es hier nun um eine ekklesiologische Qualität sowie vor allem ekklesiale Identität auf einer anderen Ebene. Es geht um das ekklesiologische Selbstbewusstsein der Kirche auf der Ebene der Region als Regionalkirche: Regionalkirche braucht eine gemeinsame Identität, die die Region wie ihre Orte umfasst. Eine Neuorganisation kirchlichen Lebens darf die traditionelle Schwerpunktsetzung in der Parochie nicht vergessen, sondern muss sie aufheben.221
Darauf, dass Kirche in der Region, also der Kirchenkreis sowie das Dekanat, mehr als „nur lästige Verwaltungseinheit“ ist, hatten Michael Herbst und HansHermann Pompe bereits in ihrer Veröffentlichung „Regiolokale Kirchenentwicklung“ hingewiesen.222 Michael Herbst expliziert darüber hinausgehend nun, worin sich dieses ekklesiologische Selbstverständnis sowie die theologische und geistliche Neubewertung des Dekanats und Kirchenkreises als Kirche konkret äußern kann: Die Wahrnehmung des eigenständigen kirchlichen Beitrags von Dekanat bzw. Kirchenkreis. Damit sind die unmittelbaren Dienstleistungen von Dekanat und Kirchenkreis angesprochen.223 220 Michael Herbst, 2018, 119. 221 Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014, 152. 222 Vgl. Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017, 11. 223 Vgl. dazu die näheren Ausführungen bei: Michael Herbst, 2018, 119.
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Sowie „[d]ie Organisation eines starken Miteinanders profilierter Gemeinden in der Region. Damit sind die mittelbaren Dienstleistungen auf der Ebene von Dekanat und Kirchenkreis angesprochen [Hervorhebungen im Original].“224 Insbesondere in diesem Aspekt eines neuen Selbstverständnisses der Region im Sinne von Dekanat oder Kirchenkreis in einer ekklesiologischen Dimension als Regionalkirche, liegt ein spannender Neuansatz und zu bergendes Potential Regiolokaler Kirchenentwicklung im Sinne eines „Organisationsmodells einer Kirche der Vielfalt“. Weiterführende kritische Würdigung Kritisch gilt es hingegen nachzufragen, ob es der aktuellen Entwicklung der Gesellschaft und Kirche angemessen ist, dass die lokale Ortsgemeinde in diesem Ansatz einen so wesentlichen Ausgangspunkt bildet und somit weiterhin auch mit Blick auf die Zukunft nicht nur eine ergänzungsbedürftige, sondern weiterhin die zentrale Einheit in der Kirche bleibt.225 Sowie ob es zugleich realistisch ist, dass von dieser insbesondere durch (hoch)verbundene Mitglieder geprägten kirchlichen Sozialform ein so großes Potential von Veränderung ausgehen kann, wie es der Ortsgemeinde im Sinne Regiolokaler Kirchenentwicklung durch Kooperationsprozesse zugetraut sowie zugleich zugemutet wird. Es wird zwar an einigen Stellen prognostiziert, dass durch aktuelle „Schrumpfungsprozesse“ kirchlicher Strukturen sich auch die Anzahl von Ortsgemeinden reduzieren wird.226 Konzeptionell vorgesehen scheint die Infragestellung der maßgeblichen Bedeutung und im Verhältnis zu anderen kirchlichen Sozialgestalten überproportionalen Anzahl von Ortsgemeinden jedoch nicht. Vielmehr wird in diesem Ansatz ihr Bezug zum Nahbereich des Wohnorts weiterhin als besondere Stärke der Evangelischen Kirche herausgehoben. Durchaus bleibt es spannend, ob der Nahbereich in Zukunft – beispielsweise im Sinne von „Kiez“ – erneut Bedeutung in der stärker postmodern geprägten Gesellschaft gewinnt oder ob sich Lebensbezüge doch stärker mobil, flexibel und wohnortunabhängig organisieren. Besonders zu würdigen ist hingegen, dass hier der Ergänzungsaspekt, der auch in anderen Ansätzen betont wird, in hohem Maße ernstgenommen wird:
224 Vgl. dazu die näheren Ausführungen bei: ebd., 120. 225 Durchaus argumentieren auch Isolde Karle sowie auch einige Interpretationen der V. KMU für die bleibend herausragende Bedeutung und zentrale Stellung der wohnortbezogenen Gemeinde. Zudem gilt es an dieser Stelle noch einmal anzumerken, dass das „Konzept“ Regiolokaler Kirchenentwicklung durch die bereits skizzierten Schwerpunkte des IEEG und ZMiRs insbesondere von der ländlichen Perspektive auf Kirche geprägt ist, für die dieser weiterhin zentrale Stellenwert des parochialen Gemeindemodells zutreffend erscheinen kann. 226 Vgl. Homepage IEEG a.
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„Wir brauchen keine alternativen, wohl aber ergänzende Gestalten von Kirche.“227 Diesen Ansatz verfolgt Regiolokale Kirchenentwicklung konsequent, ohne dabei auch nur einen Verdacht des Ersetzen-Wollens der vertrauten parochial organisierten Gemeindeform aufkommen zu lassen. Darüber hinaus erfordert dieser Ansatz die Entwicklung einer Kultur, die der nächsthöheren kirchliche Ebene Vertrauen entgegenbringt.228 Häufig ist das aktuelle Verhältnis von Kirchengemeinden zum Kirchenkreis sowie Dekanat von Misstrauen gegenüber „denen da oben“ geprägt. Hier liegt eine weitere Herausforderung dieses noch recht jungen Ansatzes.
3.2 Kirche als Hybrid – Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong entwerfen unter dem Begriff des Hybrids kein spezifisches Organisationsmodell von Kirche, in dem unterschiedliche Sozialgestalten ermöglicht, zueinander in Bezug gesetzt oder gesteuert werden. Vielmehr diskutieren sie die unterschiedlichen (Ideal)Bilder von Kirche und die damit zusammenhängenden Handlungslogiken, die das Verständnis von Kirche als Gesamte sowie daraus entstehende Organisationsmodelle jeweils maßgeblich prägen. Sie plädieren letztlich nicht für eines dieser Bilder und ein daraus resultierendes Organisationsmodell, sondern für ein Verständnis von „Kirche als Hybrid aus Institution, Organisation und Bewegung“229, so dass unterschiedliche Logiken nebeneinander existieren und sich jeweils sinnvoll ergänzen können. Hintergrundfolie dieser Überlegungen ist der Hybridantrieb in der Automobilindustrie.230 Im Folgenden werden diese drei Bilder und Logiken von Kirche sowie das Denkmodell des Hybrids zunächst skizziert und analysiert (▶ Kapitel VI, 3.2.1),
227 Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014, 145. 228 Diese Anfrage formulieren Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong insgesamt mit Blick auf Szenarien der Regionalisierung, in denen generell der Trend zur durchaus umstrittenen Stärkung der mittleren Ebene gehe: „Die Entwicklung einer Kultur dafür, dass neben der Partizipation bei der Findung von Lösungen dann die Entscheidungen für die Rahmenbedingungen tatsächlich auf jeweils der nächsthöheren Ebene getroffen werden, ist erforderlich – auf der Ebene der Kirchenkreise etwa Entscheidungen für Zuschnitt und grundsätzliche Schwerpunkte und Hauptamtlichen-Stellenplan der kirchlichen Orte“ (Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 215). 229 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 218. – Zitiert wird in diesem Abschnitt insgesamt vorwiegend aus diesem gemeinsam herausgebrachten Lehrbuch. 230 Vgl. ebd., 217.
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dann kritisch gewürdigt (▶ Kapitel VI, 3.2.3). In einem Zwischenabschnitt (▶ Kapitel VI, 3.2.2) werden Überlegungen zum Gemeindebegriff aus Perspektive des Hybrid-Modells von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt skizziert. Anschließend folgt eine kurze Auseinandersetzung mit der „weiterführenden Deutungsperspektive“ „Kirche als Netz von Gemeinden an unterschiedlichen kirchlichen Orten“, welche Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt in ihrem Lehrbuch „Kirche“ zur Frage, wie Kirche organisiert ist, skizzieren (▶ Kapitel VI, 3.2.4).231
3.2.1 Darstellung des Hybrid-Modells Kirche als Bewegung und aktive Gruppe Im Fokus der Skizzierung des ersten Elements im Hybrid-Modell, „Kirche als Bewegung und die aktive Gruppe“232, steht neben Skizzierungen der drei verschiedenen sozialen Erscheinungsformen (Gruppe, Gemeinschaft, Bewegung) letztlich die kritische Auseinandersetzung mit dem „Idealbild von Kirche als aktiver Gruppe“. Zum Begriff Gemeinschaft wird auf die Begründung der Zentralität dieses Aspekts durch CA VII (congregatio) und das Apostolische Glaubensbekenntnis (communio) verwiesen. Hierin zeige sich die anfänglichste Form, Kirche zu sein, so dass ausgehend davon Gemeinschaft für alle Bilder von Kirche als grundlegend erklärt wird.233 Dabei betonen Eberhard Hauschildt und Uta PohlPatalong, dass dieser grundlegende Aspekt die Formen, in denen sich Gemeinschaft realisiere, offen lasse.234 Als eine Sozialform wird die Gruppe benannt, der von der Autorin und dem Autor eine bleibende, sogar eher zu- als abnehmende, große Bedeutung in der Kirche attestiert wird.235 Ihre Attraktivität läge insbesondere in der WirIdentität236, die sie ermöglichen könne. In den vorausgegangenen Kapiteln dieser Arbeit wurde bereits die zentrale Funktion des Selbstverständnisses und der Identität ergänzender Ausdrucksformen bezüglich der ekklesiologischen Qualität betont. Dies unterstreicht noch einmal das Potential der Sozialform der Gruppe an dieser Stelle.
231 Vgl. ebd., 305–310. 232 Vgl. ebd., 138–157. 233 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 141 f. Vgl. dazu u. a. die Ausführungen in ▶ Kapitel V, 3. 234 Vgl. ebd., 142–144. 235 Vgl. ebd., 150. 236 Vgl. ebd., 139 f.
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Zudem wird die Erscheinungsform der sozialen Bewegung skizziert, die weniger eine konkrete Form als ein „Zusammenhang von Individuen und / oder Gruppen, die ein Veränderungsinteresse eint“237, sei. Dabei erscheinen die beschriebenen Veränderungsprozesse, die die Bewegung selbst durchlaufe, im Kontext dieser Arbeit als besonders relevant: Die soziologische Forschung betont, dass Bewegungen selbst Veränderungsprozesse durchmachen und die lockere Strukturierung und das Gefühl intensiver Gemeinschaft eher nur die Anfangsphase einer Bewegung kennzeichnen. Gerade wenn eine Bewegung erfolgreich ist, wandelt sie sich zu den Sozialformen von Institution und Organisation und löst sich als Bewegung auf. Bewegung wäre dann ein soziales Durchgangsphänomen [Hervorhebung im Original] – auch in der Kirche.238
Hinsichtlich der zuvor diskutierten fluiden Sozialgestalten wird durch diese Ausführungen deutlich, dass ihnen grundsätzlich die Tendenz zur Institutionalisierung innewohnt und wenn diese sich nicht durchsetzt, sie sich auflösen. So kann als weiterführende Frage an dieser Stelle formuliert werden: Welche der im Hybrid-Modell skizzierten Logiken von Kirche wird in den untersuchten Ausdrucksformen deutlich, insbesondere wenn es um das Spannungsfeld von Fluidität und Institutionalisierung geht? Abschließend kommen Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong erneut auf die Sozialform der Gruppe zurück und diskutieren das „Idealbild aktive Gruppe“, welches aus ihrer Sicht meist vorausgesetzt werde, ohne dass es zu kirchlichen Gruppen eine „systematisierte Erforschung“ gäbe.239 Im Folgenden liefern die Autorin und Autor dementsprechend eine „Typisierung kirchlicher Gruppen“240 und setzen sich darüber hinaus mit dem Verhältnis von Gruppenprofil und Profil der Kirche241 auseinander. Es zeigt sich an einigen Stellen, dass sie es als besonders notwendig einschätzen, vor zu intensiven Formen von Gemeinschaft zu warnen242, ihre Ausführungen münden schließlich in einem Plädoyer für „relative Vergemeinschaftung“:
237 Ebd., 144. 238 Ebd. 239 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 145. 240 Vgl. ebd., 145–148. 241 Vgl. ebd., 148–150. 242 Vgl. dazu vor allem die Ausführungen zur „Gegen-Vergemeinschaftung“ und „Pseudo-Vergemeinschaftung“ (vgl. ebd., 151 f.) im Verhältnis zu dem nur recht kurz erwähnten Risiko formalisierter Gemeinschaft auf der anderen Seite (vgl. ebd., 155).
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Zwischen den beiden Extremen [totalisierte und formalisierte Gemeinschaft] liegt die Flexibilisierung von Kirche und Gemeinde als einer Familie von Gemeinschaften [Hervorhebung im Original] – also die in sich plurale Gemeinschaft mit insgesamt ‚nur‘ relativer sozialer Vergemeinschaftung: Dann gehören zur Kirche sowohl Gemeinschaftsprozesse, die Zugehörigkeit zur Kirche im Zeitumfang intensivieren und eine Gesamtheit von Einstellungen und dazugehöriger Lebenspraxis formieren, als auch Gemeinschaftsprozesse, bei denen die Beteiligung an der Kirche dem zeitlichen Umfang nach marginal ist und im Grad der Wirkung auf Einstellungen und Lebensführung sich hochgradig individualisiert vollzieht.243
Kirche als Institution Kirche als Institution, als zweite Logik im Hybrid-Modell, ist nach Uta PohlPatalongs und Eberhard Hauschildts Ausführungen das Ergebnis erfolgreicher Gruppen und Bewegungen.244 Wo sie Bestand haben, setzt wie zuvor skizziert ein Prozess der Institutionalisierung ein und verändern entstehende Regelwerke, Routinen und sich ausbildende Strukturen das Bisherige. Die Funktion von Institutionen liegt darin, etwas zu stabilisieren.245 Dadurch sorgen sie dafür, dass etwas für Einzelne ebenso wie für die Gesellschaft als Gesamte stets vorhanden ist, alle möglichst ohne Barrieren (wie z. B. eine erforderliche individuelle Entscheidung246) einbindet, versorgen kann – stetig oder auch nur bei Bedarf –, Sicherheit und Verlässlichkeit bietet. Damit entsprechen Institutionen dem Zeitgeist, in dem Kontinuität, Verlässlichkeit und das Eingebettetsein in übergreifende Zusammenhänge sowie vorgezeichnete Wege den Lebensalltag geprägt haben. In den folgenden Ausführungen werden unterschiedliche Funktionen der Institution Kirche beleuchtet.247 Auch wenn Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt dies an dieser Stelle nicht explizieren, machen die Ausführungen deutlich, dass Institutionen im Gegenüber zu der zuvor skizzierten GruppenLogik von Kirche dem Individuum wesentlich mehr Freiheit zur Distanz einräumen, ohne zugleich die Zugehörigkeit in Frage zu stellen. Kirche als Institution existiert weitgehend unabhängig von den Entscheidungen und Aktivitäten der einzelnen Person.248 Ebenso wenig Einfluss habe jedoch auch das Individuum, wenn es um Veränderungen geht.249 Hier liegt das aktuell oft diskutierte,
243 Ebd., 156. 244 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 157 f. 245 Vgl. ebd., 158. 246 Vgl. ebd., 159. 247 Vgl. ebd., 160–163. 248 Vgl. ebd., 159, hier wird dieser Aspekt als „Entlastung“ skizziert. 249 Vgl. ebd., 163.
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als negativ empfundene „Potential“ von Kirche als Institution, die sich entsprechend ihrer Funktion des Stabilisierens als veränderungsresistent zeigt. Das Idealbild, das dieser Logik des Kircheseins zugrunde liegt, sei das der Volkskirche, führen der Autor und die Autorin weiter aus.250 Geprägt habe dieses Bild zu Beginn der Wunsch nach einer dem Volk – und damit allen darin vertretenen unterschiedlichen Gruppen – näheren Kirche251, der in der Zeit des Nationalsozialismus in das Gegenteil verkehrt wurde252. Während Kirche als Institution im Sinne des Idealbildes der Volkskirche in der folgenden Zeit insbesondere als „Institution der Freiheit“253 wahrgenommen wurde, galt es demgegenüber zugleich auch als notwendig, sie als „Beteiligungskirche“ zu gestalten, um die zu Beginn skizzierte „Volksnähe“ zu behalten und nicht zu einer reinen „Amtskirche“ zu werden254. Auch an dieser Stelle wollen Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong offensichtlich erneut dadurch möglich erscheinenden, zu intensiven Bindungserwartungen direkt wehren, indem sie explizit darauf verweisen, dass „[d]ie Dienstleistung […] Beteiligung nicht zwingend voraus[setzt] […]. Beteiligungskirche muss darauf achten, dass nicht ein Ideal aufgerichtet wird, welches de facto relativ milieuspezifische Weisen der Beteiligung von allen erwartet und einfordert.“255 Anschließend diskutieren sie ausgehend von dem Begriff „Großkirche“ Reformbedarf und -potentiale256 der (Volks-)Kirche als Institution, die in der Gesellschaft nicht mehr generell als eine Kirche des gesamten mittlerweile (auch religiös-)pluraleren Volkes erscheint257 und an Größe deutlich verloren hat258. Trotz dieser Veränderungen werden wesentliche bleibende sowie auszubauende gesellschaftliche Funktionen der Kirche als Institution an dieser Stelle als „Handlungsspielräume“ benannt.259 Kirche als Organisation Im letzten Abschnitt zur Kirche als Institution wurde schon deutlich, dass Kirche sich auch aus der Institutions-Logik heraus ihrer aktuellen gesellschaftlichen Rolle als „Anbieterin neben anderen [Hervorhebung im Original]“260 stellen 250 Vgl. ebd., 163 f. 251 Vgl. ebd., 165. 252 Vgl. ebd., 166. 253 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 168. 254 Vgl. ebd., 170 f. 255 Ebd., 171. 256 Vgl. ebd., 174–181. 257 Vgl. ebd., 179 f. 258 Vgl. ebd., 172–174. 259 Vgl. ebd., 179–181. 260 Vgl. ebd., 179.
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müsse. Für das Verständnis von Kirche als Organisation ist diese Sichtweise grundlegend. Es ist die jüngste der im Hybrid-Modell skizzierten drei Logiken von Kirche, die dementsprechend am stärksten von den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen geprägt ist.261 Zugehörigkeit ereigne sich in Organisationen durch von Individuen getroffene Entscheidungen in Auswahlprozessen.262 Dementsprechend bestehe die Aufgabe einer Organisation nicht darin, Vorgegebenes zu routinisieren, stabilisieren und tradieren, sondern im stetigen Gestalten, Verändern und Kommunizieren im Kontext einer Gesellschaft vielfältiger Möglichkeiten. Die Kirche habe mit diesem Mentalitäts- und Strukturwandel zur Organisationslogik spät begonnen und letztlich dokumentiere erst das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ von 2006, dass die Debatten zu diesem Wandel die EKD erreicht haben.263 Als Idealbild dieser Organisationslogik wird Kirche als Unternehmen diskutiert.264 Dieses Bild zeige sich insbesondere von der Auseinandersetzung mit betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen und der Diskussion, welche Rolle diese betriebswirtschaftliche Sichtweise in der Kirche einnehmen dürfe, geprägt.265 Als sinnvoller wird von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt jedoch die Frage betrachtet und folglich diskutiert, „[…] in welcher Hinsicht sie [die Kirche, Anmerkung R.J.K.][…] mit welchen Unternehmen […] grundsätzlich am ehesten vergleichbar ist und auf welchem Markt sie sich bewegt.“266 In den folgenden Ausführungen gerät Kirche insbesondere aus der Perspektive von Non-Profit-Organisationen267 in den Blick.268
261 Vgl. ebd., 181–185. 262 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 181. 263 Vgl. ebd., 183. 264 Vgl. ebd., 185–213. 265 So skizzieren die Autorin und der Autor einerseits „[d]ie grundsätzliche Ablehnung [Hervorhebung im Original] betriebswirtschaftlicher Einsichten[, die] bestreitet, dass die Verwendung betriebswirtschaftlicher Begriffe eine Beschreibungsleistung habe; sie zeige vielmehr an, dass ein gravierendes Missverständnis von Kirche vorliege. Kirche sei kein Unternehmen, das sich selbststeuernd Ziele setze und vorrangig Nutzen biete und wachsen wolle, sondern habe primär dem gottgegebenen Auftrag zu entsprechen (vgl. z. B. Gräb-Schmidt 1999)“ (Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 185). Andererseits weisen sie darauf hin, dass „[…] aber auch das spiegel-bildliche Gegenmodell [gefährlich ist], bei dem die Kategorien der Betriebswirtschaft schlicht an die Stelle der Theologie gesetzt werden [Hervorhebungen im Original]“ (ebd., 186). 266 Ebd., 186 f. 267 Vgl. dazu ebd., 189 sowie ebd., 196–211 und ebd., 213–215. In dem zweiten der genannten Abschnitte werden „betriebswirtschaftliche Konzepte zu Aspekten des Organisationshandelns“ (Ziele, Leitbilder, Strategien, Management, Marketing, Port-Folio-Analyse, Qualität, Personalmanagement, Controlling, Finanzmanagement, Projektmanagement) für Kirche im Sinne einer Non-Profit-Organisation detailliert analysiert. 268 Dass das Verständnis von Kirche als Non-Profit-Organisation für den Kontext in Deutschland nicht neu ist, zeigt unter anderem der schon 2001 von Hans-Jürgen Abromeit, Peter Böhlemann, Michael Herbst und Klaus-Martin Strunk veröffentliche Sammelband „Spirituelles Ge-
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Abschließend skizzieren der Autor und die Autorin noch als die „drei Trends“ bei der aktuellen „Organisationswerdung“ von Kirche „Kongregationalisierung“269, „Filialisierung“270 und „Regionalisierung“271.272 An dieser Stelle deutet sich bereits das später unter dem Stichwort „Netz aus Gemeinden an unterschiedlichen Orten“273 skizzierte Organisationsmodell an, dass Uta PohlPatalong und Eberhard Hauschildt ausgehend von dem Verständnis der Kirche als Hybrid entwerfen.274 Die drei Logiken in ihrem Verhältnis zueinander Am Beispiel der unterschiedlichen Gestaltung der Kommunikation des Evangeliums in den drei skizzierten Idealbildern von Kirche als Gruppe (soziale Nähe), volkskirchlicher Institution (Distanz) und moderner Organisation (strategische Planung) zeigen Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong nun, welche Herausforderung und zugleich Chance die unterschiedlichen Idealbilder mit ihren jeweils dazugehörigen Logiken in ihrer Kombination für Kirche bedeuten können.275 Dabei wird deutlich, dass alle drei Logiken die aktuelle Praxis prägen276, allerdings dabei gegeneinanderstehen277. Sie skizzieren, welcher Aspekt von Kirche jeweils fehlen würde, wenn sich ein Idealbild oder eine Logik durchsetzen würde.278 Ausgehend davon plädieren Eberhard Hauschildt und Uta PohlPatalong mit ihrem Vorschlag, „Kirche als Hybrid aus Institution, Organisation und Bewegung [zu ]verstehen“, für die produktive Koexistenz dieser drei verschiedenen Logiken im kirchlichen sowie auch gemeindlichen Handeln.279 Dadurch, dass dieses Modell bewusstmachen kann, dass bei aktuellen Entscheidungen, Fragen und Lösungsansätzen auf alle drei Logiken zurückgegriffen,
meindemangement“, in dem sich u. a. der Beitrag „Kirche wie eine Behörde verwalten oder wie ein Unternehmen führen?“ von Michael Herbst findet, der sich mit der von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong skizzierten Frage, in welcher Hinsicht Kirche mit Unternehmen vergleichbar sowie auch davon abzugrenzen ist, bereits auseinandersetzt (vgl. HansJürgen Abromeit u. a. (Hg.), 2001, 82–110). 269 Als Kontext dieses Trends wird auf die USA verwiesen. 270 Bei diesem Trend wird als Beispiel auf die katholische Kirche in Deutschland verwiesen. 271 Bei diesem Trend wird auf die in der Evangelischen Kirche aktuell beobachtbare sowie umstrittene Stärkung der Ebene der Kirchenkreise hingewiesen, die sich auch in den hier skizzierten Organisationsmodellen widerspiegelt. 272 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 214 f. 273 Vgl. ebd., 305–310. 274 Vgl. ebd., 215. 275 Vgl. ebd., 216. 276 Vgl. ebd., 217. 277 Vgl. ebd., 216 f. 278 Vgl. ebd., 216. 279 Vgl. ebd., 218.
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verwiesen und zugegangen werden kann, erhoffen sich Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong ein neues Potential an Handlungsspielräumen der Kirchen und Gemeinden. Dabei ist ihnen durchaus das Risiko bewusst, dass die Logiken einander schwächen können, insbesondere dann, wenn sie in Form ihrer Idealbilder gegeneinander ausgespielt werden, statt ein sinnvolles Nebeneinander bilden zu können. Herausfordernd ist dabei für das kirchliche ebenso wie gemeindliche Handeln, dass das Verhältnis dieser drei Logiken zueinander nicht grundsätzlich festgelegt werden könne, sondern immer wieder im Sinne eines „dynamischen Gleichgewichts“ neu bestimmt werden müsse.280 Mit Blick auf das Verständnis von Kirche gehe es folglich weniger um richtige oder auch falsche (Ideal-)Bilder – auch wenn einige kirchentheoretische Entwürfe dies suggerieren würden281 – sondern vielmehr darum, daran zu erkennen, welche Logik dabei jeweils im Vordergrund stehe. Deutlich wird in ihren Ausführungen jedoch auch, dass sie für ein „Oszillieren“282 zwischen diesen verschiedenen Bildern und Handlungslogiken plädieren und damit der Festlegung auf ein Ideal oder eine „richtige“ Handlungsweise wehren wollen: Angesichts dessen [dass alle drei Logiken in der Praxis vorkommen] ist es kaum realistisch zu erwarten, dass eines der drei Modelle über die beiden anderen in der nächsten Zeit ‚siegt‘, also die Kirche zur reinen Institution oder Bewegung oder Organisation wird. Es erscheint auch gar nicht mehr als wünschenswert, wenigstens entspräche es nicht der faktischen Lage – und diese besteht im Grundsatz schon seit mindestens der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Ideale der Volkskirche wie der Bekenntniskirche ausgebildet waren und die Organisationsform religiöse Assoziationen einen großen Aufschwung nahm. […] In einer konziliaren Kirche geht es darum, hier gerade nicht zu dramatisieren und eine strategische Gesamtentscheidung zu forcieren, sondern die Querverbindungen zwischen den Kirchenbildern und Kirchenpraktiken zu stärken.283
3.2.2 Der Gemeindebegriff aus Perspektive des Hybrid-Modells Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong beschäftigen sich darüber hinaus mit dem Gemeindebegriff. Um ihn von seiner parochialen Fixierung zu lösen, wollen sie ihn als „mehrschichtiges Geschehen“284 verstanden wissen. Dazu skizzieren sie drei Dimensionen, die zum Teil an die drei Logiken des 280 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 218. 281 Vgl. ebd., 217. 282 Ebd., 218. 283 Ebd., 217 f. 284 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 275.
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Hybrid-Modells erinnern. Es scheint demnach so, dass das Modell des Hybrids sich nicht nur auf Kirche als Gesamte, sondern auch auf den Gemeindebegriff anwenden lasse. Dabei wird Gemeinde als a) geistliches Geschehen beschrieben, was sich durch ihre Grundlage und ihr Selbstverständnis zeige285 – mit Blick auf die Grundlage scheinen weder der Begriff der Gemeinschaft noch Formen von Gemeinschaft eine Rolle zu spielen –; b) als Institution skizziert, was sich durch die Ausbildung zentraler Kennzeichen von Teilnahme und Teilhabe zeige286 – in dem Maß der Ausbildung von Teilhabe- und Teilnahme-Strukturen ließe sich also bei einer kirchlichen Ausdrucksform ihr Grad der Institutionalisierung erkennen –; c) als Organisation beschrieben, die organisatorische Prinzipien ausbilde, die – offensichtlich im Gegensatz zu den zuvor erwähnten Kennzeichen – ausgehend von Zeit und Kultur veränderbar, jedoch theologisch zu reflektieren seien.
3.2.3 Kritische Würdigung des Hybrid-Modells Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong gelingt es, drei unterschiedliche Idealbilder von Kirche samt ihrer jeweiligen Handlungslogiken überwiegend gleichermaßen kritisch wie würdigend detailliert zu skizzieren. An einigen Stellen zeigt diese Ausgewogenheit in der Darstellung jedoch Tendenzen. Während es ihren Ausführungen nach für Kirche insgesamt als grundlegend erscheint, dass sich hier Gemeinschaft ereignet, und alle drei Logiken genau diesem Ziel dienen sollten, zeigen sich die Autorin und der Autor den Sozialformen, in denen sich diese Gemeinschaft realisieren kann, gegenüber nicht nur offen, sondern hinsichtlich einer spezifischen Form besonders kritisch: Sozialformen, die intensive Gemeinschaftsformen ermöglichen. Dies kann als Kritik an verbindlicheren Formen als den derzeit üblichen Gemeindeformen verstanden werden, wie beispielsweise Haus-, Bibel- und Gebetskreise. Gleichzeitig kann diese Kritik auch so verstanden werden, dass auch die derzeit üblichen Gemeindeformen insbesondere hinsichtlich der Beteiligungsstrukturen auf Kontinuität und Verbindlichkeit fokussiert sind. Hier ist es auch Anliegen der vorliegenden Arbeit, den Horizont für weitere Möglichkeiten zu weiten, diese aufzuspüren und ihre Chancen ebenso wie Grenzen zu analysieren. Dennoch gilt es mit Michael Herbst insbesondere bezüglich der Ausführungen von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt zum Idealbild der Volkskirche als Institution,
285 Vgl. ebd. 286 Vgl. ebd.
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kritisch zurückzufragen, ob hier nicht letztlich das Kirchenbild einer „Dienstleistungs- und Betreuungskirche“ statt einer „Beteiligungskirche“ entstehe.287 Wenn mit Blick auf den Gemeindebegriff skizziert wurde, dass es für Gemeinde als Institution wesentlich sei, Kennzeichen der Teilnahme und Teilhabe auszubilden, sollte das maßgebliche Potential auch der Kirche als Institution doch insbesondere die Eröffnung von Beteiligungsräumen und nicht Betreuungsangebote für Distanzierte sein. In dem Hinweis von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong darauf, dass nicht nur aktuelle Gemeinschaftsformen, sondern auch Beteiligungsformen milieuspezifisch verengt sein können, zeigt sich meines Erachtens ein wichtiger Beitrag zur Reflexion von Zugängen und Barrieren, die mit aktuellen kirchlichen Sozialgestalten verbunden sind. Dennoch gilt es hier noch einmal zu überprüfen, ob die Ausführungen zu Kirche als Volkskirche nicht insgesamt mehr darauf ausgerichtet sein müssten, Zugänge zu und Formen von Beteiligung zu erörtern, die Ein- sowie Ausstiege fluider ermöglichen, statt den Bereich Service und Dienstleistung in den Mittelpunkt zu rücken. Diese Gewichtung erscheint jedoch ebenfalls darin begründet, dass es wohl ein besonderes Anliegen des Autors und der Autorin ist, darauf aufmerksam zu machen, dass auch an dieser Stelle ein Idealbild von Kirche überproportional häufig vertreten sei, das auf die aktive und verbindliche Beteiligung von Individuen setze, und dementsprechend ein Gegengewicht zu bieten. Darüber hinaus stellt sich bezüglich des Idealbilds der Volkskirche die Frage, was es bedeutet, dass Kirche als Institution Zugehörigkeit unabhängig von individuellen Entscheidungen sichert. Ist dies nicht gerade in einer so genannten „Multi-Options-Gesellschaft“ fatal, wenn man darüber nicht selbstständig entscheidet? Oder liegt hierin eine besondere Chance, da ein Austritt jederzeit möglich ist, aber die Zugehörigkeit zunächst einmal ohne jegliches Zutun (im Falle einer evangelischen Taufe als Kind) gesichert bleibt und somit auch die Chance, in aller Freiheit selbstständig jederzeit die Intensität der (Ver)Bindung wählen zu können? Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt wollen mit ihrem kirchentheoretischen Entwurf, Kirche als Hybrid aus Institution, Organisation und Bewegung zu verstehen und zu gestalten, einen Beitrag für ausgewogene Sichtweisen und Verhältnisse in aktuellen Zukunftsfragen leisten und genau dadurch Vielfalt sichern. Während Kirche in ihren Handlungsmöglichkeiten als Organisation zunehmend stärker wahrgenommen und als Option betrachtet wird, scheint sich die kritische Haltung stärker auf Kirche als Institution, die nur schwer reformierbar erscheint, zu verlagern. In kirchlichen Zwischenräumen organisieren
287 Vgl. Michael Herbst, 2018, 32.
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sich derweil vereinzelt Gruppen, kleinere Gemeinschaften und Bewegungen, die nicht immer, aber manchmal auch ein Interesse daran haben, von der verfassten Kirche mit ihrer eigenständigen ekklesiologischen Qualität wahr- und angenommen zu werden.288 Oder die auch durch ihre Abgrenzung von (Teilen) der verfassten Kirche Aufmerksamkeit erregen und zum Teil zu Konkurrenz führen. Gleichzeitig regen genau solche gemeindlichen Lebensformen die (Weiter-) Beschäftigung mit der Frage an, wie gegenwartsgemäße und zugleich theologisch verantwortbare Sozialgestalten des christlichen Glaubens, die der Kommunikation des Evangeliums dienen, sein könnten, müssten oder sollten. Zwischen all dem wollen Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong offensichtlich vermeiden, dass bestimmte Konzepte oder Strategien über andere siegen, sondern für das Potential einer Kirche der Vielfalt in diesem Sinne und somit für die dynamische Koexistenz von Kirche als Institution, Organisation und Bewegung werben. Anhand der dadurch entstehenden Möglichkeit des Wechselspiels zwischen verschiedenen Logiken, sehen sie auch die Möglichkeit eines Wechselspiels intensiver und distanzierter Bindung ermöglicht, die aus ihrer Sicht für eine Kirche der Zukunft in einer von postmodernen289 Kennzeichen geprägten Gesellschaft wesentlich ist, damit sich weiterhin Gemeinschaft ereigne.290 Damit wollen sie vor allem der Gefahr des Abbruchs wehren. Im Kontext der vorliegenden Arbeit, die sich kirchentheoretischen Fragen insbesondere aus Perspektive der Lebenssituation Junge Erwachsene widmet, erscheint dieser Aspekt als besonders wesentlich, da soziologische Forschungsbeiträge auf die starke Übergangshaftigkeit dieser Lebenssituation verweisen und kirchliche Studien junge Erwachsene als „Stabil im Bindungsverlust zur Kirche“291 skizzieren.
288 Vgl. hierzu auch Christian Grethleins Skizze „zahlreiche[r] Aufbrüche […], [die] das Evangelium im heutigen Kontext […] kommunizieren. Sie sind theologisch im strikten Wortsinn als ‚kirchlich‘ zu bezeichnen, stehen aber manchmal nur in loser, teilweise in keiner organisatorischen (einschließlich finanziellen) Verbindung mit verfasster Kirche.“ (287). Von ihm skizzierte Aspekte finden sich auch im empirischen Teil dieser Arbeit sowie in der Deutung der empirischen Erträge (▶ TEIL C und TEIL D). 289 Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong nutzen den Begriff „spätmodern“. Zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten vgl. die Einleitung zum ▶ TEIL B. 290 Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen von Eberhard Hauschildt zum Thema „Kirchenbindung und Gemeinschaft“: „Zu stärken ist alles, was den Wechsel zwischen beiden Arten der Kirchenbindung erleichtert, denn im Laufe von Biografien kommt es oft zu solchen Änderungen. Dabei ist es vor allen Dingen der Wechsel von distanzierter Bindung zu hoher Bindung, der die Kirche interessiert. Doch sie muss sich auch darauf einstellen, dass der andere Wechsel ebenso etwas Mögliches ist, und sich fragen, was sie dazu tun kann, dass eine De-Intensivierung von Bindung eben nicht zum Bruch führt“ (Eberhard Hauschildt, 2008, 139). 291 EKD, 2014, 60.
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Gleichzeitig weist Michael Herbst darauf hin, dass in dem Modell des Hybrids durch die Freiräume, die es eröffne, zugleich auch die Gefahr bestehe, dass es keine erlebbare, vorfindliche attraktive Gemeinschaft mehr gebe, an die sich Menschen bei Gelegenheit frei und individuell zeitweilig binden und an der sie partizipieren könnten.292 Dies wäre jedoch dann gesichert, wenn es weiterhin auch „dauerhafte, intensive Partizipation an Versammlungen unter Wort und Sakrament“ gäbe, die meines Erachtens aus genau dieser Sicht „konstitutiv für den christlichen Glauben sind“.293 Michael Herbsts Analyse des Modells Kirche als Hybrid 294 scheint an einigen Stellen so, als dass sich mit diesem Satz letztlich doch wieder ein konstitutives Element und damit auch Ideal für die Sozialformen von Kirche sowie Gemeinde herauskristallisieren solle. Sinnvoller erscheint es, an dieser Stelle zu resümieren: Es geht nicht ohne dieses wesentliche Element verbindlicher und intensiver Gemeinschaft – bezüglich der Sozialformen, die dies ermöglichen, könnten Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt sich weniger kritisch und stärker würdigend zeigen. Aber es geht eben auch nicht nur mit diesem Element, wenn Kirche weiterhin Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen Raum für Gemeinschaft eröffnen will. Dazu braucht es auch Formen, die situative Vergemeinschaftung ermöglichen – hier könnte Michael Herbst seine Position, in der er unterschiedliche Sozialformen als grundsätzlich notwendig beschreibt, noch einmal auf eine Engführung überprüfen. Die Herausforderung, die auch mit dem Modell des Hybrids nicht gelöst, sondern letztlich in ihren Spannungsfeldern gestaltet werden kann, ist in einer von Michael Herbst abschließend formulierten Frage gut zusammengefasst: Wie kann man diese Komplexität innerlich bejahen und dabei doch ein Ziel verfolgen, nämlich die Stärkung des Ursprungsimpulses: Kirche als Gemeinschaft derer, die gemeinsam Christus nachfolgen und Teil seiner Mission werden?295
3.2.4 Kirche als Netz von Gemeinden an kirchlichen Orten Ausgehend von dem skizzierten Modell des Hybrids entwerfen Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt in ihrem Lehrbuch, in dem sie im vierten Kapi-
292 „Wen soll das Angebot einer ‚Kirche bei Gelegenheit‘ zukünftig noch verlocken, Glied der Evangelischen Kirche zu sein? Wo das weiterhin propagiert wird, klingt es nach einer Kirche, die im Niedergang ist, sich auf Bescheidenheit einrichtet und für ihre Zukunft nicht mehr erhofft als einen Platz am Rand der Existenz heutiger Zeitgenossen“ (Michael Herbst, 2018, 85). 293 Vgl. ebd., 85. 294 Vgl. ebd., 30–39. 295 Michael Herbst, 2018, 37.
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tel verschiedene Organisationsmodelle beschreiben, letztlich selbst noch in Form „zusammenfassender und weiterführender Deutungsperspektiven“296 ein Organisationsmodell für eine Kirche in vielfältiger Gestalt 297, das sie als „Netz von Gemeinden an kirchlichen Orten“ beschreiben: Alle Gemeinden gleich welcher Ausrichtung, welcher Herkunft und welcher Logik des Zustandekommens verstehen sich stärker als bisher als wesentlicher, aber partikularer Teil von Kirche, der mit anderen Gemeinden gemeinsam an seinem Ort und in seinen Bereichen an der Kommunikation des Evangeliums und der Förderung seiner Relevanz arbeitet. Damit wird der Hybridcharakter von Gruppe, Organisation und Institution (vgl. 3.7.) verwirklicht: Alle drei Dimensionen sind unverzichtbar für die künftige Gestalt von Kirche, ohne dass eine auf Kosten der anderen verabsolutiert wird.298
Dabei führen sie das von Uta Pohl-Patalong ursprünglich entworfene Modell kirchliche Orte299 weiter, indem sie den Gemeindebegriff in seiner Bedeutung als „für die Zukunft der Kirche mittlerweile unaufgebbar“ neu bewerten.300 Gemeinden sollen sich in diesem Netzwerk weniger als autonome Größen und stärker als „Knotenpunkte in einem Netz von Gemeinden [Hervorhebung im Original] mit einem jeweils spezifischen Beitrag für die gemeinsame Aufgabe“ verstehen.301 Dabei wird unter Gemeinde weiterhin die parochial verfasste Gemeindeform verstanden. Daneben sollen nun auch die „bisherigen nichtparochialen Arbeitsbereiche [Hervorhebung im Original, die direkt mit der Kommunikation des Evangeliums befasst sind“, ihren „Charakter als Gemeinden“ (weiter)entwickeln, indem sie Raum für unterschiedlich intensive Formen der Gemeinschaftsbildung und Beteiligung eröffnen, regelmäßig Gottesdienst mit Wort und Sakrament feiern sowie Strukturen von Leitung und organisatorischer Wechselseitigkeit ausbilden.302 Auch diese „Gemeinden“303 benötigen für das skizzierte „Netz“ ein ekklesiologisches Selbstverständnis als Teil von Kirche, der zu einer gemeinsamen Aufgabe mit anderen Teilen etwas beizutragen hat. 296 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 305–310. 297 Vgl. ebd., 307. 298 Ebd., 308. 299 Uta Pohl-Patalong, 2006 – vgl. dazu die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 2.1. 300 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 307. 301 Vgl. ebd. 302 Vgl. ebd., 308. Vgl. hierzu auch die in diesem Lehrbuch entwickelten „Kriterien für ‚Gemeinde‘“ (275–284), die in ▶ Kapitel VI, 5.3 diskutiert werden. 303 Dieser Begriff wird für die bisher nichtparochialen Arbeitsbereiche so explizit nicht verwendet, nur wenn es um alle geht, die das „Netz“ gestalten sollen, sind sie bei der Formulierung „(Alle) Gemeinden“ mitgemeint (vgl. ebd., 308).
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Das „Netz“ aus diesen unterschiedlichen parochialen sowie anderweitig begründeten gemeindlichen Sozialformen entstehe dann aus einer „enge[n] Abstimmung und Koordination über die jeweiligen Aufgabenbereiche in engem Bezug zueinander und Verweis aufeinander.“304 Dabei entstehende Herausforderungen (z. B. ein aktuell häufig fehlendes Bewusstsein für die gemeinsame Aufgabe) und Risiken (z. B. Konkurrenz) werden von der Autorin und dem Autor kurz benannt.305 Ebenso kurz wird das in diesem Modell durchaus wesentliche Element skizziert, dass sich dieses „Netz“ nicht nur durch die unterschiedlichen gemeindlichen Sozialformen bilde, sondern zudem von einer Leitungsebene koordiniert werden solle: „Die Alternative, Kirche ‚von unten‘ oder ‚von oben‘ zu gestalten, wird damit verlassen zugunsten zu [sic!] einer von der Leitung wahrzunehmenden Aufgabe, einen Koordinationsprozess unter Beteiligung vieler […]“306 zu ermöglichen. Darüber hinaus werden inhaltliche sowie strukturelle Neuorientierungen skizziert, die damit verbunden seien (beispielsweise bezüglich der bisher über den Wohnort organisierten Kirchenmitgliedschaft).307 Insgesamt wird in einigen Aspekten deutlich, dass zukünftige Organisationsmodelle von Kirche offensichtlich von ähnlichen Annahmen ausgehend entwickelt werden, wenn auch die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, sehr unterschiedlich ausfallen können. Denn auch aus Perspektive Regiolokaler Kirchenentwicklung behalten die parochial organisierten Gemeinden eine wesentliche Aufgabe und Bedeutung. Wie allerdings ergänzende kirchliche Sozialformen entstehen können, wird in den beiden bisher skizzierten „Modellen“ unterschiedlich beantwortet. Dass es zudem eine Leitung braucht, die diese „Einzelteile“ von Kirche darin begleitet, gemeinsam Kirche zu gestalten, wird in beiden Ansätzen deutlich. Bei Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong bleibt jedoch an dieser Stelle unklar, auf welcher organisatorischen Ebene diese Leitung angesiedelt sein und wie sie ihren Aufgaben nachkommen soll.308 Sie skizzieren an dieser Stelle lediglich die Aufgabe eines Koordinationsprozesses, der viele beteiligen soll.
304 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 308. 305 Vgl. ebd. 306 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 308. 307 Vgl. ebd., 308–310. 308 Mit Rückblick auf ihre vorherigen Ausführungen ist jedoch davon auszugehen, dass sie hier die Ebene des Kirchenkreises meinen (vgl. ebd., 214).
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3.3 Kirche als Netzwerk 3.3.1 Das Netzwerk als Hoffnungsträger Die Vorstellung, Kirche als Netzwerk zu gestalten, liegt aktuell offensichtlich im Trend. Dies zeigt sich nicht nur in diversen Veröffentlichungen309, die sich sowohl aus katholischer sowie evangelischer Sicht mit der Netzwerkperspektive auf und für die Kirche beschäftigen, sondern auch in aktuellen kirchentheoretischen Entwürfen. In der vorliegenden Arbeit wird das in bereits skizzierten Ansätzen an unterschiedlichen Stellen deutlich: In der Perspektive liquid church taucht dieses Bild schon bei Pete Ward 310 auf , Kees de Groot spricht zudem davon „[a]n einer Netzwerkkirche [zu]
309 Vgl. dazu die Veröffentlichungen des ZMiR: ZMiR, 2015; ZMiR, 2016 und ZMiR, 2017 sowie des ZAP: Miriam Zimmer, 2015 und Miriam Zimmer u. a., 2017b, die wiederum jeweils auf weitere Literatur verweisen, aus der eine exemplarische Auswahl an wegweisenden Werken hier kurz benannt sei: Im katholischen Kontext in Deutschland bildet die Habilitationsschrift von Franz-Peter Tebartz-van Elst (1999) „Gemeinde in mobiler Gesellschaft. Kontexte – Kriterien – Konkretionen“ eine der ersten Anfänge in dem Bereich, wie bereits in ▶ Kapitel VI, 2.1 in ▶ Fußnote 63 erwähnt wurde. Seine Veröffentlichung aus dem Jahr 2001 „Mobilität als pastorale Herausforderung“ zeigt bezüglich seines vorerst eher metaphorischen Netzwerkbegriffs eine Weiterentwicklung. Diverse weitere Forschungen und Veröffentlichungen zu diesem Thema aus katholischer Perspektive folgen, die von Miriam Zimmer dargestellt und diskutiert werden (vgl. Miriam Zimmer, 2015, 25–36). Auf Seite 28 ist dabei ein Schaubild zu finden, das diverse pastoraltheologische Beiträge von 1997–2013 darstellt, denen allesamt gemein ist, das Netzwerk als Metapher auf den kirchlichen Kontext zu übertragen. Hierbei taucht auch der Name von Florian Straus auf, auf den ebenfalls Daniel Hörsch hinweist (vgl. Daniel Hörsch, 2017, 4). Als ein netzwerktheoretischer Beitrag aus evangelischer Perspektive erscheint 2002 „Netzwerkanalysen. Gemeindepsychologische Perspektiven für Forschung und Praxis“ von ihm, in dem es dem Titel entsprechend um die Geschichte, Theorie und Methoden der Netzwerkanalyse geht. Ausgehend von seiner sich daran anschließenden Tätigkeit im Projekt „Netzwerkorientierte Gemeindeentwicklung“ im Amt für Gemeindedienst in Nürnberg ist zudem „Die Netzwerkperspektive in der evangelischen Gemeindearbeit“ entstanden, die erst 2018 von ihm herausgegeben wird. Hier geht es um Strategien zur Nutzung der Netzwerk- und Engagement-potentiale evangelischer Kirchenmitglieder in Gemeinden. Auch die 2015 unter dem Titel „Vernetzte Vielfalt“ erschienene V. KMU bedient sich der Methode der Netzwerkanalyse (vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015). Im katholischen Bereich liegt mit „Netzwerke in pastoralen Räumen“ (2017) – s. o. – eine der jüngsten Veröffentlichungen vor. 310 Vgl. Pete Ward, 2002, 87 f.
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bauen“311 und Rainer Bucher beschreibt als eine der drei Kehren, die die Kirche zu vollziehen habe, die Kehre „[v]on der Gemeindezentrierung zum Netzwerkkonzept“312. Dabei geht es stets darum, aktuelle kirchliche Gemeinschaftsformen um Formen zu ergänzen, die in den Kategorien Überschaubarkeit und Dauer bisherige Logiken überschreiten. Mit dem Netzwerkbegriff skizzieren die Autoren eine Kirche – ohne spezifische Ebenen oder Einheiten von Kirche dabei zu benennen –, in der insbesondere leitende Verantwortliche Kontrolle und Macht aufgeben und sich mehr Ereignisräume eröffnen sollen. Konkreter ausgeführt oder netzwerktheoretisch fundiert wird das Bild des Netzwerks bei den hier rezipierten Verfassern nicht. Auch bei den diskutierten kirchentheoretischen Entwürfen, die sich mit Blick auf eine Region damit auseinandersetzen, wie Kirche vielfältigere gemeindliche Sozialformen ermöglichen und integrieren könne, zeigt sich die Tendenz, Kirche als Netz(werk) zu skizzieren. Bei Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong werden dabei unterschiedlichen Gemeindeformen als jeweilige Knotenpunkte313 in einer „Kirche als Netz von Gemeinden an kirchlichen Orten“314 dargestellt. In dem Ansatz Regiolokale Kirchenentwicklung wird „Regionale Leitung […] zum Vernetzungsknoten der Innovation“315 und Kirche unter anderem als Kombination aus „Leuchtfeuern“ und einem „Lichternetz der vielen örtlichen Gemeinden“ beschrieben – auf diese Weise „sollte [Kirche] lernen, sich regiolokal zu verstehen und zu organisieren“.316 Auch im „Handbuch Kirche und Regionalentwicklung“317 wird als Idee für eine Kirche in der Region mit unterschiedlichen ekklesialen Formaten das gesamte fünfte Kapitel unter den Titel gestellt: „Das regionale Netz des Evangeliums spinnen – gemeinsam in aller Verschiedenheit“318.
311 Vgl. Cornelis N. de Groot, 2014, 168–170, insbesondere 169: „Vieles von dem, was an fluiden Formen des Kirche-Seins geschieht, scheint sich auf den ersten Blick außerhalb der soliden Strukturen abzuspielen, aber oft ist beides trotzdem miteinander verflochten. Gemeinsam will man sich für eine vitalere Kirche einsetzen. Wie kann an diesem Punkt der Gemeindeaufbau gefördert werden? Ich gehe von der Notwendigkeit eines Networkings aus und schlage drei Vorgehensweisen vor: unterstützen, moderieren und verbinden.“ 312 Vgl. Rainer Bucher, 2012, 186–199. 313 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 307. 314 Vgl. ebd., 305–310. 315 Vgl. Michael Herbst / Hans-Hermann Pompe, 2017, 44. 316 Vgl. Michael Herbst, 2018, 121. Der Begriff „Leuchtfeuer“ bezieht sich dabei auf das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ (2006). 317 Vgl. Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014. 318 Vgl. ebd., 175–205. Dieses Kapitel wird ergänzt durch den Teil des sechsten Kapitels: „Wie funktionieren Netzwerke in Regionen?“ (vgl. ebd., 258–267). Hier werden in aller Kürze sowohl unterschiedliche Merkmale als auch Netzwerktypen und -funktionen skizziert (vgl. 258–260). Für die Einordnung in regionale Prozesse wird zudem in einer Grafik über Kategorien der
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Diesen Ansätzen liegt die Beobachtung zu Grunde, dass die Gestaltung einer Kirche der Vielfalt insbesondere die Bereiche Leitung und Organisation der Region mit einer größeren Komplexität konfrontiere, so dass nach neuen Strategien zur Bewältigung dieser gesucht wird. Die Suche nach neuen Lösungen und Ressourcen angesichts wachsender Komplexität zeigt sich auch in weiteren aktuellen Veröffentlichungen, die sich im Kontext der Veränderung der aktuellen Kirchen- und Gemeindewirklichkeit einordnen lassen. So beschäftigen sich beispielsweise die Leitenden des Gemeindekollegs der VELKD, Isabel Hartmann und Reiner Knieling, in ihrer gemeinsamen Veröffentlichung „Gemeinde neu denken. Geistliche Orientierung in wachsender Komplexität“319 (2014) mit den Potentialen von Netzwerken. Sie skizzieren Netzwerke im Sinne von Beziehungsgeflechten, in denen man sich bereits vorfinde, und als „Ressource außerhalb“320, die es für die eigene Gemeindewirklichkeit321 sowie für den eigenen Glauben322 zu entdecken gelte. Dabei zeigen sich zumindest im Ansatz auch netzwerktheoretische Bezüge.323 Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Entwürfen, dass mit dem Bild des Netzwerks jeweils die Vorstellung verbunden ist, dass diese Meta-Struktur dazu diene, innerhalb der Kirche Pluralität und Flexibilität in einer gewinnbringenden Art und Weise zu fördern sowie zu ermöglichen und Räume für Neues zu schaffen. So wird dieses Bild zu einer Art Hoffnungsträger der zukünftigen Gestalt einer vielfältigen Kirche. Das Netzwerk wird als eine adäquate Lösung gesehen, um auf die gesellschaftlichen Veränderungen und postmodernen Lebensformen als Kirche zu reagieren.324 Gleichzeitig diskutieren die Ansätze jedoch nicht eingehender, wie dieses kirchliche Netzwerk entstehen solle. Dazu wäre es nötig,
Kopplung zwischen Netzwerk, Kooperation und Organisation unterschieden (vgl. 260–262). Für die Gestaltung von Netzwerken „als soziale Systeme“ wird abschließend noch auf die Wichtigkeit von „Vertrauens-Beziehungen“ hingewiesen (262) und für die Koordination von Netzwerken angemerkt, dass es sich einerseits schwierig gestalten könne, existierende – insbesondere informelle – Netzwerke in den Blick zu bekommen, andererseits jedoch hilfreich wäre, auch „kommunale oder wirtschaftliche Netzwerke der Region“ wahrzunehmen (263). Neben einem Exkurs zu Verbundnetzwerken (vgl. 263 f.) erscheinen diese Ausführungen doch recht dünn für die aktuellen kirchentheoretischen Fragen in diesem Kontext. 319 Vgl. Isabel Hartmann / Reiner Knieling, 2016. 320 Vgl. ebd., 200. 321 Vgl. ebd., 201–208. 322 Vgl. ebd., 209–217. 323 Vgl. ebd., 209, wo sie sich auf Mark Granovetters Aufsatz „The strength of weak ties. A network theory revisited“ beziehen, der 1973 im American Jounal of Sociology 78 auf den Seiten 1360–1380 erschienen ist. 324 So wird es beispielsweise im Handbuch „Kirche und Regionalentwicklung“ als Gemeinschaftsform der Postmoderne dargestellt (vgl. Christhard Ebert / Hans-Hermann Pompe (Hg.), 2014, 89).
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auf Netzwerktheorien zurückzugreifen und Möglichkeiten und Unterschiede verschiedener Netzwerktypen zu erörtern sowie sich mit den unterschiedlichen Rollen(erwartungen) innerhalb eines Netzwerks und erforderlichen Netzwerkkompetenzen auseinanderzusetzen.
3.3.2 Ekklesiologie und Netzwerke Das ZMiR scheint genau diese Lücke schließen zu wollen, wie die drei Veröffentlichungen mit ihren Titeln „Netzwerk und Kirche“ (2015)325, „Von der Institution zum Netzwerk“ (2016)326 und „Ekklesiologie und Netzwerke“ (2017)327 erwarten lassen. In der jüngsten dieser drei Dokumentationen von Fachgesprächen, die zu diesem Thema geführt wurden, präsentiert Daniel Hörsch für das Team des ZMiR „ein vorläufiges Resümee zum Themenfeld ‚Ekklesiologie und Netzwerke‘“328. Dies lässt auf Antworten zur Frage des netzwerktheoretischen Hintergrunds kirchlicher Diskurse und Wunschbilder hoffen. Im Impuls wird erklärt, dass die Netzwerkperspektive in besonderer Weise für die Kommunikation des Evangeliums geeignet sei und auch Kirche in ihren Anfängen als „Jesus-Bewegung“ ein Netzwerk gewesen und darum die Netzwerk-DNA in ihr bereits angelegt sei. Eine Definition des Netzwerkbegriffes steht dabei nicht im Fokus. Auch die These, dass „Aufbrüche und Erneuerungen in Kirche meist mit bewegungsförmigen Netzwerken begannen“329, bleibt somit eher ein Postulat, als dass Begründungen aus netzwerktheoretischer Perspektive angeführt werden. „Als praktisch-theologische Bausteine“ werden letztlich Merkmale des Netzwerks (beziehungsoffen, beteiligungsoffen, benötigt kaum / keine Hierarchie, fluid in Veränderungen und liquid in Beziehungen)330 benannt, die erneut das Netzwerk als Hoffnungsträger für aktuelle kirchliche Herausforderungen erscheinen lassen, ohne die einzelnen Aspekte jedoch näher netzwerktheoretisch zu begründen oder herzuleiten. Als „Konsequenz für die Kommunikation des Evangeliums“ werden das Wahrnehmen von Netzwerklogik und Einräumen von Freiräumen für Netzwerke als Aufgabe der verfassten Kirche benannt331, das Bild einer Kirche als Hybrid bildet dabei die Hintergrundfolie:
325 ZMiR, 2015. 326 ZMiR, 2016. 327 ZMiR, 2017. 328 Vgl. Daniel Hörsch, 2017, 3. 329 Vgl. ebd., 6. 330 Vgl. ebd., 8. 331 Vgl. ebd., 9.
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In ihrer Institutionslogik will Kirche Netzwerke einbinden, in ihrer Organisationslogik nutzbar machen und anpassen, in ihrer Gruppenlogik vereinheitlichen und anschließen. All dies lässt Netzwerken wenig Raum, schwächt ihre Biotope. Eine Kirche, die eine Netzwerkkultur ermöglichen will, muss sich fragen: Wie können wir als Hybrid Netzwerke freigeben und fördern (Institution), laufen lassen ohne Erwartungsdruck (Organisation), offenhalten und akzeptieren (Gruppe)?332
Wie genau in unter anderem dem vom ZMiR mitentwickelten Ansatz Regiolokaler Kirchenentwicklung Kirche sich in der Region als ein Netzwerk organisieren soll, bleibt dabei jedoch gänzlich offen und wird noch nicht einmal als Herausforderung benannt. Es geht hier um den durchaus wichtigen Aspekt, die bereits existierenden Netzwerke bewusst als Kirche aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen. Abschließend wird dazu dann auch folgerichtig die „Netzwerkkarte als praktisches Tool zur Sichtbarmachung von Netzwerkbeziehungen“333 eingeführt. In diesem Zusammenhang wird erstmals genau das thematisiert, was dieser Impulsvortrag jedoch zugleich selber erneut gezeigt hat: Der Netzwerkbegriff erscheint im kirchlichen und pastoraltheologischen Kontext vielfach als Hoffnungskonzept, wobei nicht immer klar ist, ob mit entsprechenden Netzwerküberlegungen die Methode oder Theorie gemeint ist. Im soziologischen Diskurs werden seit längerem wissenschaftliche Zugänge zur Netzwerkmethode und Netzwerkarbeit theoretisch begründet und dafür probate empirische Methoden angeboten. Allerdings existiert bisher nicht ‚die‘ Netzwerktheorie, sondern der Methodenvielfalt entsprechend eine Vielzahl an theoretischen Zugängen. […] Pastoral-theologische Überlegungen zum Netzwerk arbeiten nicht selten mit metaphorischen Verknüpfungen, – was aufgrund biblischer Assoziationen mit dem Begriff Netzwerk nicht verwunderlich ist – lässt [sic!] aber methodologische Überlegungen weitgehend außen vor. Häufig handelt sich eher um eine assoziative, theologische Begriffsaneignung denn als eine Integration eines sozialwissenschaftlichen Konzeptes für die theologische (Kirchen-)Theoriebildung. Netzwerk als Metapher steht im pastoral-theologischen Kontext meist für eine Metastruktur, die sehr unterschiedliche Gelegenheiten und Formen religiösen Lebens miteinander verbinden und integrieren soll.334
332 Ebd., 10. 333 Vgl. Daniel Hörsch, 2017, 10 f. 334 Ebd.
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Hier lässt das „Resümee“ des ZMiR zum Thema Kirche / Institution / Ekklesiologie und Netzwerk335 die bisher ungeklärten Fragen weiterhin offen und trägt zu netzwerk-theoretischen Klärungen für den kirchlichen Kontext wenig bei. Wohl aber wird die Netzwerkkarte als eine spezifische Methode der Netzwerkforschung zur Sichtbarmachung und Wahrnehmung bereits vorhandener Netzwerke eingeführt. Innerhalb der Kirche, Gemeinden und Kirchenkreise sowie Dekanate angewandt, kann sie als ein Schritt auf dem Weg zur Schaffung von eigenen Netzwerken dienen, löst aber letztlich nicht weitergehende netzwerktheoretische Fragen, wie z. B. bezüglich des Typs eines solchen Netzwerks336. Ein weiterer Impulsvortrag von Felix Roleder und Birgit Weyel bekräftigt diese Methode der empirischen Netzwerkforschung aus einer ganz anderen Perspektive, indem sie die Methodik der V. KMU skizzieren. Dabei machen sie deutlich, dass die V. KMU nicht Kirche oder Gemeinde als Netzwerk darstelle, noch danach frage, ob oder inwiefern Kirche oder Gemeinde Netzwerke seien, sondern mithilfe der Netzwerkanalyse Interaktionen zwischen zwei oder mehr Personen untersuche und so die Vielzahl an Netzwerken, die beispielsweise in einer Kirchengemeinde bestehen, sichtbar mache.337 Daraus ergibt sich letztlich auch der Titel dieser Untersuchung „Vernetzte Vielfalt“338. Erst in der sich an diese Impulsvorträge anschließenden Diskussion, die in dieser Veröffentlichung ebenfalls stichpunktartig dokumentiert wurde, kommen die Fragen auf, auf die mit dem „Resümee“ des ZMiRs bereits Antworten erwartet wurden: • Wie können regionale Netzwerke konkret aufgebaut werden und welche Rolle gibt es für die kybernetisch Zuständigen? • Können wir Netzwerke vor die Kirche spannen – widerspricht das nicht den inneren Netzwerklogiken? Netzwerk kann nicht verzweckt werden. Das sollte zumindest klar sein. • Wie kann ich Kirche als Netzwerk denken und welcher Bezug zur Organisation / Landeskirche ergibt sich? Kann ich Landeskirche als Netzwerk denken – welche Spannungen ergeben sich dann? […]339
335 So lauten die Titel der Veröffentlichungen der Fachgespräch-Dokumentationen von 2015 bis 2017. 336 „Netzwerk“ scheint eine Art Container-Begriff zu sein, es lassen sich jedoch sicherlich unterschiedliche Typen oder auch Funktionen von Netzwerken definieren, die zur Konkretion beitragen könnten. Dies bleibt in dem Impulsvortrag von Daniel Hörsch aus. 337 Vgl. Felix Roleder / Weyel Birgit, 2017, 11 f. 338 Vgl. Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), 2015. 339 ZMiR, 2017, 15.
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3.3.3 Netzwerke in pastoralen Räumen Einem Teil der zuvor (▶ Kapitel VI, 3.3.2) skizzierten Fragen wird in der im katholischen Kontext ebenfalls 2017 erschienenen Veröffentlichung „Netzwerke in pastoralen Räumen“340 nachgegangen. Während die Autorinnen und der Autor einerseits mit der Analyse des ZMiR-Teams darin übereinstimmen, dass die Netzwerkmetapher mit unterschiedlichen Postulaten verbunden aktuell als Hoffnungsträger einer pluraleren Kirche der Zukunft im Diskurs beider verfassten Kirchen erscheine341, skizzieren sie andererseits jedoch als Reaktion darauf netzwerktheoretisch basierte Definitionen und kirchliche Handlungsoptionen: „Wie ein solches Netzwerk entstehen soll, darüber gibt es hingegen wenige Auseinandersetzungen: Ob es Steuerung braucht oder selbstorganisiert entsteht, ist nicht klar.“342 Netzwerke können jedoch – so die Autorinnen und der Autor – durchaus […] als Vehikel zur Erreichung dieser Hoffnungen gesehen werden; sie müssen jedoch selbst für diese Ziele gebaut und ausgerichtet sein. Erkennt man die beschriebenen Attribute als Zielgröße pastoraler Arbeit an, können soziale Netzwerke zu deren Verwirklichung bewusst gestaltet werden. […] Es gibt nicht ‚das Netzwerk‘ in einem geografischen Raum oder in einer Gruppe von AkteurInnen, sondern es sind unzählig viele soziale Netzwerke darstellbar. Die Sinnhaftigkeit der Erhebung, der Analyse und der bewussten Gestaltung bestimmter Beziehungsstrukturen qualifiziert sich von einem individuellen oder kollektiven Ziel ausgehend.343
Dabei wird darauf hingewiesen, dass Netzwerke aus Sicht der angewandten Organisationsforschung eine hohe Relevanz für regionale Entwicklung haben.344 So verwundert es nicht, dass insbesondere mit Blick auf die Organisation von
340 Vgl. Miriam Zimmer u. a., 2017b. 341 „Dies hatte zur Folge, dass in dieser Anfangsphase des 21. Jahrhunderts in der Theologie ‚Netzwerk‘ zur Metapher wurde, der die Attribute ‚Integration von pluralen Formen‘, ‚dezentrale Organisation‘, ‚Mobilität und Flexibilität‘ sowie ‚Innovation und Kreativität‘ zugeordnet wurden. Zugleich wurde damit die Netzwerkmetapher in der Pastoraltheologie und Kirchenplanung zum Hoffnungsort für eine zukunftsweisende Kirche. Leider wurde mit dieser Metaphorisierung dem Netzwerk seine Konkretion genommen. Die zugeschriebenen Attribute wiederum zeugen von kirchenbezogenen Zukunftshoffnungen an Fakultäten und in den Planungszentren der Bistümer, die allerdings niemals per se in Netzwerken vertreten sind“ (Miriam Zimmer, 2017b, 63). Vgl. zudem ebd., 55–57. 342 Ebd., 57. 343 Ebd., 65 f. 344 Vgl. Miriam Zimmer, 2017a, 172.
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Regionen, der Netzwerkbegriff in kirchentheoretischen Entwürfen eine Rolle spielt. Hier scheint ein Potential zu liegen, dass es jedoch erst einmal zu bergen gilt. Definitionen Zunächst wird eine Definition von Netzwerken im Allgemeinen formuliert: „Geflechte oder Strukturen, die aus den Verbindungen einzelner Elemente entstehen. Das heißt, es sind einzelne Entitäten als Knoten identifizierbar und jeweils separierbar. Die Verbindungsstrukturen sind ebenfalls in ihrer Art benennbar und in Qualität und Stärke beschreibbar.“345 Anschließend wird der Fokus ausschließlich auf Soziale Netzwerke – „Beziehungsstrukturen zwischen AkteurInnen […]: einzelne Personen, Gruppen oder Organisationen, also handelnde Entitäten“346 – begrenzt. Mit Blick auf die kirchliche Praxis wird im Folgenden abgeleitet von der Organisationsberatung347 zur Vereinfachung eine Typisierung sozialer Netzwerke „nach dem Grad ihrer Professionalisierung“ vorgestellt.348 Dabei geraten neben „natürlichen“ nicht oder wenig organisierten Netzwerken mit „sozialen Ressourcen“ und „privaten Akteuren“ auch „künstliche Netzwerke“ mit „professionellen Ressourcen und Akteuren“ in den Blick, die raum- oder marktbezogen als „tertiäre Netzwerke“ organisiert werden.349 Daran könnte beispielsweise mit Blick auf die in den kirchentheoretischen Entwürfen skizzierten, als Netzwerk organisierten kirchlichen Regionen angeknüpft werden. Netzwerkkompetenzen, Rollenverständnisse und weitere Veränderungen Darüber hinaus werden unterschiedliche Netzwerkkompetenzen skizziert, die für unterschiedliche Ebenen erforderlich seien. Dabei erscheinen insbesondere die „Netzwerk-Moderations-Kompetenz“350, die „Netzwerk-Koordinations-
345 Miriam Zimmer, 2017b, 65. 346 Ebd. 347 Dabei bezieht sich die Autorin auf Herbert Schubert: Das Management von Akteursnetzwerken im Sozialraum, in: Ulrich Otto / Petra Bauer (Hg.): Mit Netzwerken professionell zusammenarbeiten, Tübingen 2005, 73–103. 348 Vgl. Miriam Zimmer, 2017b, 66. 349 Vgl. ebd., 67. 350 „Der Begriff der Netzwerk-Moderations-Kompetenz bezeichnet diejenigen Fähigkeiten, die zentrale AkteurInnen brauchen, um Netzwerkarbeit in einem Sozialraum explizit zu initiieren, zu vitalisieren und voranzutreiben. Die zu bewältigenden Aufgaben reichen hier von der Wahrnehmung von Themen über die Initiierung, Organisation und inhaltliche Gestaltung von Treffen, die Schaffung einer angenehmen, inspirierenden Atmosphäre bis hin zur Bereitstellung längerfristiger Infrastruktur“ (Miriam Zimmer u. a., 2017c, 203).
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Kompetenz“351 sowie die „Vermittlungs- und Beratungskompetenz“352 für die vor allem in den Ansätzen zur Regionalisierung skizzierte neue Aufgabe der mittleren Ebene entscheidend. An dieser Stelle wird jedoch zugleich deutlich, dass diese Ausführungen aus katholischer Perspektive erfolgen, in der aktuell weniger die mittlere Ebene im Fokus steht. So müssen die skizzierten Kompetenzen sowie das alle Kompetenzen systematisierende „Stufenmodell der Netzwerkkompetenz“353 in den evangelischen Kontext erst übertragen und für die jeweiligen Organisationsmodelle kontextualisiert werden, können jedoch auch für diesen Kontext durchaus sinnvolle Impulse zur Initiierung und Begleitung von Netzwerken geben. Darüber hinaus weisen die Autorinnen und der Autor auf die Konsequenzen hin, die eine Strukturierung kirchlicher Räume als Netzwerk mit sich bringe: Im pastoralen Raum, der sich netzwerkartig strukturieren soll, verändern sich im Verlauf des Prozesses die Rollen sowohl der hauptamtlich Verantwortlichen als auch die aller anderen Beteiligten. Das ist ein langwieriger und mitunter schmerzhafter Vorgang. Diesen Veränderungsprozess der Rollen im Sinne der Handlungsempfehlungen für Netzwerkmoderation zu begleiten, ist Aufgabe der Beratung. Wichtige Fragen lauten in diesem Bereich: Wie kann vielgestaltige Partizipation im pastoralen Raum gelingen? Wie sind die Entscheidungswege neu zu gestalten? Wie kann mit vielen Beteiligten an Zielformulierungen gearbeitet werden? Wie kann Selbstorganisation von Personen und Gruppen unterstützt, gefördert und in das Gesamtnetzwerk des pastoralen Raums integriert werden? Wie sind Widerstände und Konflikte zu bewerten und zu bearbeiten? Wie kann mit dem entstehenden Kontrollverlust umgegangen werden?354
351 „Die Netzwerk-Koordinations-Kompetenz richtet sich als Anforderung verstärkt an Führungskräfte in Organisationen. Zu deren Kompetenzen sollte gehören, für die Organisation relevante lokale und überregionale Netzwerke zu kennen und den Überblick darüber zu haben, welche eigenen MitarbeiterInnen in welchen dieser Netzwerke aktiv sind. Zudem sollten die Aufträge der MitarbeiterInnen und die Entscheidungsspielräume für die MitarbeiterInnen in diesen Netzwerken jeweils klar kommuniziert sein. Außerdem ist der Kommunikationsaustausch zwischen und mit den Netzwerken innerhalb der eigenen Organisation zu bewerkstelligen“ (Miriam Zimmer u. a., 2017c, 203 f.). 352 „Die Vermittlungs- und Beratungskompetenz liegt auf einer übergeordneten Ebene. Sie qualifiziert dazu, Neulingen in der Netzwerkarbeit die Prinzipien, Vorteile und Voraussetzungen von Arbeit in Netzwerken zu vermitteln sowie diese im Netzwerkaufbau bzw. der aktiven Netzwerkarbeit beratend zu unterstützen“ (ebd., 204). 353 Vgl. ebd., 205. 354 Miriam Zimmer u. a., 2017c, 211.
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An dieser Stelle werden neuen Rollenverständnisse355, die der Aufbau netzwerkartiger Strukturen mit sich bringe, thematisiert. Auch wenn kirchlich Engagierte unterschiedlichster Ebenen und Engagementformen bereits über grundlegende Netzwerkfähigkeiten aufgrund ihrer persönlichen Beziehungsgeflechte verfügen, sei zu beachten, dass es bei der Arbeit im Netzwerk jedoch vielmehr „um den professionellen und zielgerichteten Aufbau von Beziehungen, um den Austausch von Informationen und um Kooperationen“356 gehe, den es zu erlernen gelte. Dementsprechend müsse im Aus-/Fort- und Weiterbildungsbereich auf diese neuen Kompetenzen und Rollenverständnisse sowie -erwartungen vorbereitet werden: In einem netzwerkartig strukturierten pastoralen Raum bedarf es einer hohen Selbstorganisation der einzelnen Personen und Gruppierungen, da nicht mehr alles zentral kontrolliert und geregelt wird. Daher muss die Leitung ihr bisheriges Handeln deutlich verändern. Die Haltungen der Netzwerkmoderation können hilfreich sein, um hier ein verändertes Rollenverständnis zu erlangen. Wenn Kirche sich in die beschriebene Richtung verändern will, dann braucht es allerdings nicht nur ein verändertes Verständnis von Leitung; auch die Rollenverständnisse aller weiteren haupt-
355 In der diskutieren Veröffentlichung „Netzwerke in pastoralen Räumen“ wird zu diesem Aspekt auf Harald Payers Erfahrung praktischer Netzwerkarbeit und die daraus entwickelten fünf Netzwerkrollen sowie entsprechende Rollenerwartungen zurückgegriffen: „Vorreiter: Netzwerke entstehen meist in kleinen Formaten. Am Anfang sind es einige wenige Vorreiter, die durch ihr gemeinsames Tun die Grundsteine für komplexere Netzwerke legen. Gatekeeper: Gatekeeper besetzen meist wichtige Schnittstellen im Netzwerk. Sie verbinden verschiedene Teile des Netzwerks oder verfügen über wichtige Kontakte, über die neue Impulse und Partner für das Netzwerk gewonnen werden. Provider: Mit zunehmender Größe und Komplexität von Netzwerken wächst meist auch der Bedarf an der zentralen Erfüllung bestimmter Vernetzungsaufgaben, an mehr Struktur und der Verfügbarkeit von finanziellen und personellen Ressourcen. Je größer der Bedarf an Organisation und Ressourcen wird, umso mehr stellt sich dann auch die Frage nach der Trägerschaft (Ownership). Servicestelle: ein spezieller Netzwerkknoten, der im Auftrag bzw. im Einverständnis der Netzwerkpartner oder im Auftrag des Providers bestimmte operationale Aufgaben der Netzwerkentwicklung übernimmt (z. B. Organisation von Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit, Weiterbildungen etc.). Projektleiter: Kooperationen in Netzwerken sind häufig in der Form von Projekten organisiert. Die Leiter (oder Sprecher, Vertreter etc.) solcher Kooperationsprojekte erfüllen regelmäßig eine wichtige verbindende Rolle zwischen Kooperation und Netzwerk – eine mitunter widersprüchliche Rolle, denn was für die Kooperation fördernd ist, muss nicht unbedingt fördernd für die Vernetzung mit anderen Projekten sein, und umgekehrt“ [Hervorhebungen im Original] (Miriam Zimmer, 2017a, 173 – unter Rückgriff auf Harald Payer: Die Kunst des Netzwerkens, in: Stefan Bauer-Wolf / Harald Payer / Günter Scheer (Hg.): Erfolgreich durch Netzwerkkompetenz. Handbuch für Regionalentwicklung, Wien 2008, 45 f.). 356 Miriam Zimmer u. a., 2017c, 196.
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und ehrenamtlich Mitarbeitenden wandeln sich. Dies muss bei der Art und Weise, wie Bistumsleitungen agieren, in den Inhalten der Aus- und Fortbildung, in der Auswahl der BewerberInnen für pastorale Berufe und dann besonders in Besetzung von Führungspositionen berücksichtigt werden. Die Themen Netzwerk, Netzwerkmoderation und Netzwerkkompetenzen müssen mit all ihren Facetten Einzug finden – sowohl in die Forschung als auch in die Aus- und Fortbildung, so dass möglichst viele Interessierte die notwendigen Kompetenzen erlernen können.357
Miriam Zimmer, Matthias Sellmann und Barbara Huchter gehen davon aus, „dass die kirchliche Organisation konkret ihre Personalausbildung, -entwicklung, Verantwortungsverteilung und Ressourcenflüsse verändern muss, will sie diese Neuausrichtung ernsthaft anstreben.“358 Die Frage danach, wie die Ausbildung359 entsprechend neuer erforderlicher Kompetenzen zu verändern sei, wird auch in dem vom ZMiR dokumentierten Fachgespräch mehrfach aufgeworfen.360 Zudem zeigten sich in den Ausführungen vorangegangener Kapitel ebenfalls Bedarfe mit Blick auf Veränderungen im Aus-, Fort- und Weiterbildungsbereich, sowie bezüglich neuer Rollenverständnisse – beispielsweise der mittleren Leitungsebene im Kontext Regiolokaler Kirchenentwicklung – sowie die generelle Frage nach Kontrolle und Macht in Leitungspositionen ausgehend von der Perspektive liquid church. Im Folgenden gilt es darauf im Rahmen eines Exkurses zu Rollenverständnissen und Kompetenzen in einer Kirche der Vielfalt (▶ Kapitel VI, 4) expliziter einzugehen. Gleichzeitig wurde insbesondere in den Fragen zu einem veränderten Leitungshandeln meist eine spirituelle Dimension der unterschiedlichen Perspektiven und Ansätze deutlich. Auch Miriam Zimmer, Matthias Sellmann und Barbara Huchter machen auf diese den Prozessen innenwohnende Dimension, die es im Leitungshandeln auch zu explizieren gelte, aufmerksam.361 Fazit Der Netzwerk-Begriff erscheint nicht nur als Hoffnungsträger, sondern auch als erstrebenswerte und mögliche Option für die Gestaltung einer vielfältigeren
357 Miriam Zimmer u. a., 2017a, 221. 358 Ebd., 219. 359 Hier ist der Blick jedoch lediglich auf Pfarrerinnen und Pfarrer gerichtet. 360 Vgl. ZMiR, 2017, 16–18. 361 „Daher ist die spirituelle Dimension als zusätzliche Ebene des kirchlichen Handelns in die Beratung einzubeziehen. Es gilt, spirituelle, geistliche Prozesse anzustoßen und dabei nach dem eigenen Halt zu fragen. Beratung kann und darf in diesem Zusammenhang spirituelle Impulse setzen“ (Miriam Zimmer u. a., 2017c, 212).
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zukünftigen Kirche. Dazu gilt es allerdings, sowohl Begriffe als auch Zielvorstellungen ausgehend von Netzwerktheorien und spezifischen Netzwerktypen weiterzuentwickeln, um daraus Konkretionen als Handlungsmöglichkeiten ableiten zu können. Ausgehend davon deutet sich an, dass dies wesentliche Veränderungen insbesondere mit Blick auf erforderliche Kompetenzen sowie Rollenverständnisse kirchlich Engagierter auf unterschiedlichsten Ebenen bedeuten und weitere grundlegende Neuerungen mit sich bringen kann. All dies in der Praxis genauer zu erörtern, ist dann nötig, wenn Netzwerk nicht nur ein metaphorischer Hoffnungsträger eines Idealbilds einer zeitgemäßen Kirche bleiben soll. Die Mitarbeitenden des ZAP liefern mit ihrer Veröffentlichung „Netzwerke in pastoralen Räumen“ dazu aus katholischer Perspektive wesentliche Bausteine, Definitionen und Anknüpfungspunkte, verweisen jedoch selbst darauf, dass es aus unterschiedlichen konfessionellen Perspektiven sowie Disziplinen derzeit gilt, diese ersten Ansätze weiterzuentwickeln: Dieser Band stellt in vielerlei Hinsicht einen Aufschlag dar, bestehende Konzepte und Prinzipien aus der relationalen Perspektive neu zu denken. Dabei wird er noch nicht allen zuvor formulierten Ansprüchen vollständig gerecht. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen weiter empirisch validiert und in die netzwerksoziologischen Debatten eingebracht werden, die theologische Einordnung muss auch aus anderen theologischen Teildisziplinen gespeist und kritisch untersucht werden und der Anwendungsbezug ist ebenfalls noch nicht endgültig ausgereift. Er verlangt danach, in konkreten Konzepten weiter ausgearbeitet und evaluiert zu werden. Somit präsentiert dieses Buch zunächst nur einen Zwischenstand des ZAP-Kooperationsprojekts im Kleinen und der Diskussion um kirchliche Netzwerkarbeit im Allgemeinen.362
3.3.4 Ausblick Ein weiterer Impuls für die kirchentheoretische Debatte zum Begriff des Netzwerks könnte zudem die Erörterung sein, was von bereits sich als Netzwerk organisierenden christlichen Bewegungen aus Perspektive der verfassten Kirche gelernt werden könnte. Dazu könnte einerseits Emergent Deutschland ein interessantes Beispiel sein, das sich als „Teil des weltweiten emergenten Dialogs“, der vor allem im anglo-amerikanischen Raum ausgehend von dem Begriff emerging church geprägt geworden ist, versteht.363 Dabei will es jedoch explizit nicht als „noch eine neue Gemeindebewegung unter dem Namen ‚emerging
362 Miriam Zimmer u. a., 2017a, 225 f. 363 Vgl. Homepage Emergent a.
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church‘“ definiert werden.364 Während in den USA mit diesem Terminus auch eine „Gemeindegründungsbewegung“ verbunden ist, sei dies in Deutschland anders, wird von Autoren des Netzwerks365 Emergent Deutschland betont: „Uns ist keine einzige Gemeinde bekannt, die von sich behauptet eine ‚Emerging Church‘ zu sein.“366 Stattdessen soll im deutschen Kontext Emerging Church […] für einen Dialog stehen, zu dem Menschen mit verschiedenen kirchlichen Hintergründen eingeladen sind, um sich gegenseitig auszutauschen, um sich zu inspirieren. Dabei soll aber kein letzter Konsens angestrebt werden, bei dem die Unterschiede zwischen den verschiedenen Perspektiven und Glaubenstraditionen hinter einen gemeinsamen Kompromiss oder einer gemeinsamen Erklärung komplett zum Verschwinden gebracht werden sollen. Es wird kein geschlossenes Glaubenssystem angestrebt, sondern die Dynamik und die Spannung, die ein offener Dialog mit sich bringt. Emerging Church ist also ein loses, eher informelles, ökumenisches Netzwerk […].367
Das Selbstverständnis ist demnach das eines Netzwerks, das wiederum in ein größeres Netzwerk eingebettet ist. Als Teil der internationalen emerging conversation gehe es Emergent Deutschland weniger darum, neue Ausdrucksweisen des gemeindlichen Lebens zu entwickeln, als die Vernetzung und den Austausch von Menschen unterschiedlichster gemeindlicher Wirklichkeiten und christlicher Orientierungen zu Fragen der Theologie und Postmoderne zu fördern.368 Die Zugehörigkeit organisiert sich in diesem Netzwerk selbstständig und vorrangig über virtuelle Zugänge, auf die wiederum Treffen und die eigenständige Gestaltung persönlicher Kontakte folgen können. Auf der Homepage werden drei Möglichkeiten skizziert, wie man als Einzelperson oder auch als ganze Gruppe oder Gemeinde Teil des Netzwerks werden kann.369 Demnach gibt es keine Instanz oder Person, die die Zugehörigkeit regelt oder koordiniert. Dies 364 Vgl. ebd. 365 Die Edition „Emergent“, die das Buch der Autoren veröffentlichte, erscheint auf der Homepage als Teil dieses Netzwerks (vgl. Homepage Emergent b). 366 Vgl. Tobias Künkler u. a., 2012, 38. 367 Vgl. ebd., 11. 368 Vgl. ebd., 2012, 10–17. Das hier eine spezifische Auseinandersetzung mit der Postmoderne erfolgt, zeigen auch Veröffentlichungen der Edition „Emergent“ wie z. B. „ZeitGeist – Kultur und Evangelium in der Postmoderne“ (2007), herausgegeben von Tobias Faix und Thomas Weißenborn, oder auch „ZeitGeist 2 – Postmoderne Heimatkunde“ (2009), mit denselben Herausgebern sowie zudem Peter Aschoff. 369 Es gibt die Möglichkeit als „Aktivist“ Teil des Netzwerks zu werden und sich selbst aktiv in den Dialog einzubringen, dazu kann und soll man sich in einer Gruppe einbringen, zu der man über Links selbstständig den Kontakt suchen kann. Zudem kann man sich als „Freund“ virtuell mit Emergent Deutschland identifizieren, indem beispielsweise das offizielle Banner bei
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lässt das Netzwerk in diesem Aspekt besonders fluide sowie flexibel erscheinen, da Ein- und Ausstiege jederzeit selbstgewählt gestaltet werden können. Zugleich sind die eröffneten Zugänge nicht jeder Zielgruppe entsprechend und bilden damit auf der anderen Seite auch Barrieren. Das Netzwerk selbst beschreibt sich dementsprechend als besonders affin für junge Erwachsene – insbesondere aus experimentierfreudigen und kreativ geprägten Lebenswelten.370 Der spezifische Bezug zu jungen Erwachsenen macht Emergent Deutschland auch für das konkrete Forschungsvorhaben dieser Arbeit interessant. Inwiefern sich jedoch Bezüge dazu im empirischen Teil dieser Arbeit zeigen, bleibt abzuwarten. Im kirchentheoretischen Diskurs zeigen sich derzeit keine spezifischen Bezüge zu diesem Netzwerk oder den von ihm ausgehenden Impulsen, auch wenn in diesem Netzwerk ebenfalls der Fokus auf der aktuellen Kirchen- und Gemeindewirklichkeit liegt. Dies kann an dem informellen Charakter des Netzwerks liegen sowie an den stark diskursiven und dementsprechend weniger modellhaft-praktischen Impulsen. Insgesamt ist die Reichweite und Bedeutung dieses Netzwerks für den Kontext aktueller kirchen-theoretischer Diskurse und Impulse eher gering und mit derzeit abnehmender Bedeutung einzuschätzen. Als ein weiteres Beispiel lohnt sich gegebenenfalls die Auseinandersetzung mit dem Netzwerk Fresh X. Dass hier vermutlich ein anderer Netzwerktyp vorliegt, zeigt sich schon an der Beschreibung, dass dieses Netzwerk selbst sich nicht als Bewegung oder Dialog sieht, sondern dadurch definiert, dass es die FreshX-Bewegung trage.371 Vom rechtlichen Status her ist das Netzwerk ein 2017 gegründeter Verein. Dort können „juristische Personen, also Organisationen und Institutionen, wie z. B. Kirchen“ Mitglied werden.372 Dazu muss ein Aufnahmeantrag von einem Funktionsträger oder einer Funktionsträgerin der jeweiligen Organisation, die Mitglied werden will, gestellt werden. In diesem Antrag werden das Fresh-X-Netzwerk, Erwartungen an Mitglieder sowie Regelungen zum jeweiligen finanziellen Beitrag skizziert.373 Wer über die Mitgliedschaft entscheidet, wird nicht explizit dargestellt, durch das Formular wird jedoch deutlich, dass dazu eine Unterschrift eines Mitglieds des geschäftsführenden Vorstands benötigt wird. Formlose Mitgliedschaft oder auch Mit-
eigenen Blogeinträgen verwendet werden kann. Zudem kann man auf zwei unterschiedlichen virtuellen Karten, die der weiteren selbstständigen Vernetzung dienen sollen, sich selbst oder eine ganze Gruppe oder Gemeinde eintragen (vgl. Homepage Emergent a). 370 Vgl. Tobias Künkler u. a., 2012, 42–44. 371 „Fresh X steht für überraschende und neue Formen von Kirche. Ein Netzwerk unterschiedlicher Kirchen, Organisationen und Werke trägt die junge Bewegung“ (Homepage Fresh X e). 372 Vgl. Homepage Fresh X c. 373 Der Antrag findet sich auf der Homepage des Netzwerks (vgl. Aufnahmeantrag).
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gliedschaft von interessierten Einzelpersonen scheint in diesem Netzwerk nicht vorgesehen.374 Vielmehr sollen sich Funktionsträgerinnen und Funktionsträger von Landeskirchen, Bistümern, (frei)kirchlichen Einrichtungen, Verbänden, Werken und (akademischen) Ausbildungsstätten zu einer „ökumenischen Lerngemeinschaft“ vernetzten, die ihre aktive Mitarbeit sowie Unterstützung des Netzwerks durch Ressourcen verbindlich erklären.375 Wer zum Netzwerk gehört, ist hier zentral organisiert und zudem klar erkennbar, alle Mitglieder des Vereins werden mit entsprechenden Kontaktdaten der Kontaktpersonen auf der Homepage aufgeführt. Diese zwei auszugsweisen Skizzierungen können auf interessante PraxisBeispiele für Netzwerke hinweisen, die bereits mit einem ökumenischen Selbstverständnis in Deutschland existieren. Aus netzwerktheoretischer Perspektive wäre es für eine intensivere Auseinandersetzung – vor allem mit Blick auf die aktuellen kirchen-theoretischen Diskurse – jedoch vermutlich zunächst notwendig, den jeweiligen Netzwerk-Charakter oder -Typ näher zu untersuchen und ausgehend davon das jeweilige Selbstverständnis als Netzwerk, sowie Netzwerkrollen und erforderliche Kompetenzen eingehender zu analysieren. Auffällig ist, dass diese Beispiele rechtlich lockere Verbünde in der Organisationsform des Vereins und damit Körperschaften des Privatrechts sind. Ob sich der Netzwerkbegriff sowie vor allem die Organisationform eines Netzwerks auch für Kirche als eine Körperschaft öffentlichen Rechts eignet, bleibt an dieser Stelle offen sowie unerprobt. Während eine Körperschaft öffentlichen Rechts Struktur insbesondere durch Zentralisation, Recht und Regeln schafft, soll die Organisationsform des Netzwerks hingegen dazu dienen, das nicht mehr alles zentral kontrolliert und geregelt wird. Wenn Kirche sich auf unterschiedlichen Ebenen weiterhin damit auseinandersetzt, ob und inwiefern sie sich als Netzwerk verstehen und organisieren will, gilt es hier noch viele offene Fragen zu klären. Mit Blick auf den empirischen Forschungsteil dieser Arbeit, erscheint die Frage spannend, inwiefern sich darin Bezüge zu den in diesem Teil skizzierten Netzwerken zeigen.
374 Privatpersonen können das Netzwerk jedoch durch eine „Fördermitgliedschaft“ unterstützen (vgl. Homepage Fresh X c). 375 Vgl. Aufnahmeantrag.
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3.4 Fazit Konsequenzen Regiolokaler Kirchenentwicklung Durch die Analyse dieses vom Begriff und in seiner Konkretion noch recht jungen Ansatzes wird insbesondere der Prozess der Ergänzung fokussiert. Wenn in der vorliegenden Arbeit stets von ergänzenden kirchlichen Ausdrucksformen die Rede ist, gilt es, sich dementsprechend auch mit dem Vorfindlichen auseinanderzusetzen, das durch diese ergänzt werden soll. So wird in diesem Ansatz die bleibende Bedeutung der lokalen Gemeinde als zentraler Einheit von Kirche skizziert sowie zugleich die neue Aufgabe dieser Einheit in Form von Verantwortungsübernahme für die gesamte Region durch Kooperationen der lokalen Gemeinden untereinander thematisiert. Was in diesem Ansatz fehlt, ist die Auseinandersetzung mit Prozessen, wo Kirchengemeinden sich durch gänzlich unabhängig von ihrem Handeln entstandene Gemeindeformen ergänzen lassen sollen. Was durch die Beschäftigung mit Regiolokaler Kirchenentwicklung jedoch deutlich wird, ist die Herausforderung kirchenleitender Ebenen, die aktuellen Veränderungsprozesse nicht nur zu strukturieren, zu begleiten, zu ermöglichen oder zu organisieren, sondern darin ein neues ekklesiologisches Selbstverständnis von „Kirchenkreis als Kirche“ zu entwickeln. Aus diesem heraus solle und könne dann „ein eigenständiger kirchlicher Beitrag“ dieser Ebene in Form mittelbarer sowie unmittelbarer Dienstleistungen erwachsen. Hier formuliert dieser Ansatz eine zentrale Aufgabe im Kontext aktueller Veränderungsprozesse mit Blick auf die mittlere Ebene in Kirche. Konsequenzen des Denkmodells Kirche als Hybrid Durch die Skizzen zur Kirche als Hybrid wird erneut die zentrale Bedeutung von Gemeinschaft für gemeindliche Lebensformen betont, die sich beinahe durch den gesamten ▶ TEIL B dieser Arbeit zieht. Doch auch hier zeigt sich ein Spannungsfeld mit Blick auf die Frage, welche Formen zur Realisierung von Gemeinschaft angemessen, möglich sowie nötig sind in einer Kirche, die sich in vielfältiger Gestalt verstehen will. So werden von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt insbesondere aus der Perspektive von Kirche als Bewegung sowie Institution Formen intensiver Bindung und verbindlicher Beteiligung kritisch als ergänzungsbedürftig beurteilt. Der Fokus einer Kirche im Sinne der Institutionslogik liege darauf, neben dem Angebot von Nähe auch Distanz zu ermöglichen, so dass die Beziehung zur und Bindung an Kirche sich im Lebenslauf individuell sowohl intensivieren sowie de-intensivieren könne, ohne dabei zum Bruch zu führen. Die Ermöglichung von Zugehörigkeit und selbstständig gewählter sowie gegebenenfalls nur punktueller Partizipation trotz Distanz wird somit zu einer Stärke der Institutionslogik erklärt.
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
Ausgehend von dem Verständnis von Kirche als Organisation wird die veränderte gesellschaftliche Rolle von Kirche besonders deutlich, die letztlich dazu führe, was dieses Kapitel diskutiert: Kirche beschäftigt sich mit ihrer „Organisationswerdung“. Für den vorliegenden Forschungskontext der Evangelischen Kirche in Deutschland sei dabei insbesondere der Trend der „Regionalisierung“ zu beobachten, wie exemplarisch anhand des Ansatzes Regiolokaler Kirchenentwicklung ebenfalls skizziert wurde. Als besonders wesentlich für die zukünftige Gestaltung von Kirche erklären Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt das stets auszutarierende „dynamische Gleichgewicht“ dieser drei Handlungslogiken, in denen Kirche sich zu ereignen habe, wolle sie wirklich vielfältig sein. Dazu gehört es dann jedoch auch, Formen intensiver Bindung und verbindlicher Beteiligung ebenso zu ermöglichen und würdigen, wie Sozialgestalten, die der selbstgewählten Distanz einen besonders hohen Stellenwert einräumen. Hier kann das Austarieren der Spannung zwischen den Entwürfen von Eberhard Hauschildt gemeinsam mit Uta Pohl-Patalong und von Michael Herbst hinsichtlich der Formen von Gemeinschaft ebenfalls sinnvoll sein, statt diese in eine Richtung hin aufzulösen. Das Modell Kirche als Hybrid haben Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt offensichtlich nicht als ein mögliches Organisationsmodell von Kirche konzipiert, sondern es bietet vielmehr eine heuristische Perspektive, die sowohl auf Kirche als Gesamte als auch auf Gemeinde angewandt werden kann und die verschiedenen notwendigen und sich einander ergänzenden Handlungslogiken beleuchten soll. So kann anhand des Hybridmodells auch das Organisationsmodell des Netzwerks kritisch analysiert werden, wie beispielsweise Daniel Hörsch gezeigt hat.376 Interessant ist jedoch, dass Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong im Organisationsmodell des Netzwerks den Hybridcharakter verwirklicht sehen, da sich hier alle Gemeinden unterschiedlichster Ausrichtungen als wesentlicher und zugleich partikularer Teil von Kirche verstehen würden und somit alle drei Dimensionen und Handlungslogiken von Kirche verwirklich seien, ohne das eine verabsolutiert werde.377 Dies führt dazu, dass unklar bleibt, ob aus Eberhard Hauschildts und Uta Pohl-Patalongs Sicht das Organisationsmodell des Netzwerks dem Hybridmodell übergeordnet ist oder in welches Verhältnis Netzwerk und Hybrid zueinander gestellt werden.
376 Vgl. ▶ Fußnote 332 in ▶ Kapitel VI, 3.3.2. 377 Vgl. dazu die Ausführungen zur weiterführenden Deutungsperspektive eines „Netzes von Gemeinden an kirchlichen Orten“ (vgl. insbesondere Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 308).
3. Organisationsmodelle einer Kirche in vielfältiger Gestalt
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Konsequenzen der Vorstellung von Kirche als Netzwerk In der ebenso populären wie attraktiven Vorstellung einer Kirche als Netzwerk zeigt sich besonders deutlich die Herausforderung sowie Hoffnung, dass Kirche als Gesamtsystem angesichts gesellschaftlicher Veränderungen pluraler und flexibler wird. Hier kommt der Netzwerkbegriff als Organisationsmodell von Kirche in den Blick, der jedoch ausgehend von den diskutierten Entwürfen nicht auf eine spezifische kirchliche Ebene festgelegt zu sein scheint. Am häufigsten wird das Modell des Netzwerks für die Organisation einer Region diskutiert, zugleich kann sich jedoch auch eine kirchliche Sozialform als Netzwerk verstehen und organisieren, wie beispielsweise aus der Perspektive liquid church in einigen Ansätzen skizziert wurde. Zudem wird durch den Netzwerkbegriff deutlich, wie elementar menschliche Beziehungen auch für die Gestaltung von Kirche sind und wie relevant es ist, die in jedem Menschen angelegte Relationalität als Potential zu bergen. In diesem Sinne kann das Modell des Netzwerks auch als heuristische Perspektive genutzt werden. So zeigt es ebenso wie das Hybrid-Modell eine gewisse Unschärfe in der Verwendung im aktuellen kirchentheoretischen Diskurs. Während das Hybridmodell den Blick auf kirchliche Handlungslogiken lenkt, können ausgehend vom Modell des Netzwerks bereits vorhandene Beziehungsstrukturen wahrgenommen werden, wie beispielsweise das Werkzeug der „Netzwerkkarte“378 es ermöglicht. Wo jedoch Vernetzungen wahrgenommen und zudem in Form professioneller Beziehungen bewusst angebahnt werden, verändern sich die Möglichkeiten der Steuerung des Gesamtsystems Kirche. Dabei gilt es zudem zu beachten, dass sich letztlich nicht kirchliche Orte oder Gemeinden vernetzen lassen oder ein Netzwerk bilden, sondern dass die Menschen, die diese jeweils gestalten, Teil dieses Netzwerks werden, dieses prägen, beleben, herausfordern und verlassen können. Unterschiedliche und zum Teil im Kontext von Kirche gänzlich neue Rollen(erwartungen) und Kompetenzen sind dabei wesentlich und müssen zunächst gefunden und jeweils gefüllt werden können. Bei der angestrebten empirischen Untersuchung dieser Arbeit können gegebenenfalls weiterführende Perspektiven zu einzelnen Netzwerk-Aspekten herausgearbeitet werden: Inwiefern verstehen sich die untersuchten Initiativen selbst als Netzwerk oder auch als Teil eines Netzwerks (beispielsweise mit Bezug auf das Netzwerk Emergent Deutschland oder das Fresh-X-Netzwerk)? Werden spezifische Akteure und Akteurinnen benannt? Spielt der Begriff oder die Vorstellung eines Netzwerks überhaupt eine Rolle? Und inwiefern zeigt die Initiative selbst plurale sowie flexible Zugänge und Zugehörigkeitsformen?
378 Vgl. dazu die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 3.3.2.
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
Der Blick für das „größere Ganze“ Insgesamt zeigt dieses Kapitel, dass es sinnvoll erscheint, die angestrebte Untersuchung von christlichen Initiativen in einen größeren Kontext einzubetten: Inwiefern beschreiben sich die Initiativen selbst als Teil einer größeren Einheit (eines Netzwerks, einer (Frei)Kirche, eines Verbands oder ähnliches)? Und inwiefern können sie eine Ergänzung bisheriger gemeindlicher Lebensformen sein? Wie steht es in dem Sinne um ihre ekklesiologische Qualität? Und was wird auf landeskirchlicher Seite benötigt, um sie als Teil einer Kirche der Vielfalt wahrnehmen sowie gegebenenfalls integrieren zu können? Lassen sich spezifische Kompetenzen erörtern, die für Leitungspersonen der mittleren Ebene erforderlich wären, um solche Initiativen als ergänzende kirchliche Ausdrucksformen mit eigenständiger ekklesiologischer Qualität und als Teil von Kirche zu begreifen, ohne diese Initiativen dabei ihres Selbstverständnisses oder ihrer Identität zu berauben?
4. Exkurs: Rollenverständnisse und Kompetenzen in einer Kirche der Vielfalt In den skizzierten Entwürfen zeigt sich deutlich, dass in einer Kirche, zu der vielfältige gemeindliche Lebensformen gehören, sowohl bisherige Verantwortungsbereiche, Aufgaben sowie Rollenverständnisse grundlegend neu sortiert als auch neue Kompetenzen kirchlich Engagierter erforderlich werden. Fokussiert wurden dabei insbesondere die Herausforderung und entscheidende Rolle kirchenleitender Personen (der mittleren Ebene) in diesen Prozessen der Umgestaltung. Ebenso hat sich bereits angedeutet, dass letztlich alle kirchlich Engagierten in den skizzierten Veränderungsprozessen neue Sichtweisen und ein neues Rollen- sowie Aufgabenverständnis benötigen. Wenn Kirche sich vielfältiger organisiert, verändert sich auch die Rolle der bereits vertrauten parochialen Form von Gemeinde. In Kooperations-, Vernetzung- und Ergänzungsprozessen werden andere Kompetenzen als bisher erforderlich. Das gilt für diejenigen, die ihr Potential darin entdecken, Neues zu erproben, für diejenigen, die ihnen Türöffnende und Wegbereitende sein können, für diejenigen, die bewährte sowie junge Ausdrucksformen des Glaubens zueinander bringen und zusammenhalten wollen, und auch für diejenigen, die treu und verlässlich fortführen, was es schon lange gibt. Es wird zur Aufgabe, den eigenen Platz in diesen Veränderungsprozessen (neu) zu finden und herauszufinden, wie die eigenen Potentiale eingebracht werden können. Dies setzt voraus, dass es Möglichkeiten gibt, sich mit den Veränderungen auseinanderzusetzen, die
4. Exkurs: Rollenverständnisse und Kompetenzen
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bereits Auswirkungen auf die aktuelle Kirchen- und Gemeindewirklichkeit zeigen, sowie sich mit dem zu beschäftigen, was darüber hinaus möglich sowie nötig sein könnte. Es braucht Angebote, die bei der eigenen Rollenfindung unterstützen und ermöglichen, sich die Kompetenzen anzueignen, die es dafür jeweils braucht. Einige Angebote sowie spezifische Überlegungen gibt es dazu bereits.
4.1 Veränderungen im Aus-, Fort- und Weiterbildungsbereich In Deutschland werden derzeit an verschiedenen Stellen Ergänzungen zum aktuellen Aus-, Fort-, und Weiterbildungssystem für kirchliche Berufe ebenso wie für Ehrenamtliche diskutiert und ausprobiert. Exemplarisch seien hier fünf unterschiedliche aktuelle Entwicklungen (ohne Anspruch auf jeweilige Vollständigkeit) skizziert: a) Theologiestudium Insbesondere zwei Universitäten in Deutschland haben zum Thema ergänzender kirchlicher Sozialformen in der letzten Zeit Angebote entwickelt: Im Juni 2017 wurde erstmals ein Blockseminar zum Thema „Fresh Expressions“ für Theologie-Studierende von Lehrenden der Praktisch-Theologischen Lehrstühle der Universität Greifswald (Prof. Dr. Michael Herbst und Patrick Todjeras), Göttingen (Prof. Dr. Jan Hermelink) sowie aus dem schweizerischen Zürich (Prof. Dr. Thomas Schlag und Dr. Sabrina Müller) gemeinsam veranstaltet.379 An der Universität in Greifswald finden darüber hinaus schon seit 2005 regelmäßig Lehrveranstaltungen zum Themenbereich „neue Gemeindeformen“ statt, die vom Lehrstuhl Praktische Theologie und dem IEEG angeboten werden. Zudem gab es erstmals im Wintersemester 2015/16 und Sommersemester 2016 ein Modul zum Thema „fresh expressions of church“.380 b) Landeskirchliche Beschlüsse und Projekte Die Landessynode der EKiR hat im Januar 2017 einen Beschluss zu „neuen Gemeindeformen“ verabschiedet, der unter anderem auch Vorschläge zur Veränderung der Aus-, Fort- und Weiterbildung skizziert. Bei der Überlegung, wie bereits kirchliche Mitarbeitende sowie angehende Hauptamtliche für „neue“ 379 Als Beleg für dieses gemeinsam angebotene Blockseminar der zwei deutschen und einer schweizerischen Universität(en) dient ein Vortrag von Michael Herbst auf diesem Blockseminar: Michael Herbst, 2017. 380 Vgl. Homepage IEEG c sowie Homepage Fresh X f.
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VI Mixed economy – Neue Vielfalt kirchlicher Sozialformen
oder „andere“ „Formen des Kircheseins“ zu qualifizieren seien, wird auf die Implementierung von „Pioneer Ministry“ in der Church of England verwiesen. Es solle geprüft werden, ob so etwas auch in der EKiR „zur Anwendung kommen kann“.381 Ob und inwiefern in der EKiR dementsprechend das Aus-, Fortund Weiterbildungssystem weiterentwickelt wird, bleibt jedoch abzuwarten.382 In der EKM hat 2016 das Projekt „Erprobungsräume“ begonnen, in dem es darum geht, Kirche neu zu gestalten und zu erleben. Die Mitarbeitenden von als „Erprobungsraum“ anerkannten Initiativen, werden unter anderem durch eine „Werkstatt Erprobungsräume“ vernetzt und begleitet.383 Aktuell scheint es in der EKM keine weiteren qualifizierenden Angebote für kirchliche Pionierarbeit in dem Sinne zu geben. Dennoch begreifen es die Verantwortlichen des Projekts auf kirchenleitender Ebene zunehmend als ihre spezifische Aufgabe, konkret nach „Pionierpersönlichkeiten“ und in dem Sinne nach Menschen mit Fähigkeiten für pionierhafte kirchliche Arbeit zu suchen.384 c) Fresh-X-Kurse Vom Fresh-X-Netzwerk in Deutschland wurde in Anlehnung an die so genannten msm-Kurse385 in England ein Fresh-X-Kurs entwickelt. Dieser Kurs wird sowohl als „geistliche Reise“ als auch als „Starthilfe für die Gründung einer Fresh X, also [sic!] auch ein Wissenspool für bereits bestehende Initiativen“ verstanden.386 Als Zielgruppe dieses Kurses können sich Ehrenamtliche ebenso wie Haupt-
381 Vgl. dazu EKiR, 2017b, 5. 382 Vgl. dazu auch den Exkurs zu diesem Prozess, der in ▶ Kapitel VI, 5.1 folgt. 383 Vgl. Homepage EP d. 384 „Daneben bleibt eine direkte – und entscheidende – Stellschraube: Die Menschen [Hervorhebung im Original]! Pioniere zu entdecken, zu fördern und an den richtigen Stellen einzusetzen, dürfte eine der Kernaufgaben in diesen Prozessen sein. Gerade in Bezug auf Personen sollte Kirche deshalb auch eine andere Steuerungslogik adaptieren: Wie in Netzwerken üblich mit werbendem Gestus, einladender Freundlichkeit, aufsuchender Beharrlichkeit und dem inspirierenden Anstecken. Daneben sind freilich die bewährten Leitungsmechanismen der Institution anzuwenden: aufsichtlich regelnd, rechtlich absichernd und finanziell fördernd. Erprobungsräume sollten auch ausgeschrieben werden. Allerdings halte ich die personenbezogene, netzwerkartige Steuerung für aussichtsreicher: Gerade, weil Innovationen auf dem Lande von der Bewegung her wachsen und nicht von der Institution ausgehen: Auf weiche Faktoren und Stimmungen lässt sich mit kirchenamtlichen Verordnungen kein Einfluss nehmen.“ – So die Analyse von Thomas Schlegel zu Ergebnissen der Studie „Landaufwärts“, die er an dieser Stelle auf den Prozess des Projekts „Erprobungsräume“ der EKM überträgt. In diesem Prozess hat er selbst – mit Blick auf sein Amt als Kirchenrat und Referatsleiter im Gemeindedezernat der EKM und damit maßgeblicher Initiator und Verantwortlicher für das Projekt „Erprobungsräume“ – solch eine Position, die an „der entscheidenden Stellschraube“ drehen kann (vgl. Thomas Schlegel, 2016, 111). 385 Vgl. msm. 386 Vgl. Homepage Fresh X a.
4. Exkurs: Rollenverständnisse und Kompetenzen
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amtliche verstehen, da dazu nichts Spezifisches kommuniziert wird. Im Fokus stehen vielmehr die Ziele, die mit diesem Kurs verfolgt werden können. Auf der Homepage des Netzwerks finden sich dazu umfangreiche Informationen. Eine Untersuchung des Ertrags dieser Kurse wird mündlichen Informationen nach – wie bereits erwähnt – angestrebt, mehr ist dazu aktuell nicht bekannt. d) „Weiterbildung für Pioniere in Kirche“ Im September 2017 hat erstmals eine Langzeitweiterbildung unter dem Titel „Weiterbildung für Pioniere in Kirche: Mission: Gesellschaft“ begonnen, die sich an „Pionierpersönlichkeiten“ richtet, die bereits eine theologische Ausbildung abgeschlossen haben, die einem wissenschaftlichen Niveau entspricht, und in Kooperation von der CVJM-Hochschule, dem IEEG und dem Netzwerk Fresh X verantwortet wird387. Dass 2018 ein neuer Kurs gestartet ist, zeigt, dass es an dieser Stelle offensichtlich einen Bedarf gibt. Der Begriff des Pioniers und die Idee einer Fortbildung mit dem Fokus auf Pionierarbeit im kirchlichen Kontext für bereits theologisch qualifizierte Personen, die häufig schon als Hauptamtliche in der Kirche tätig sind, ist inspiriert von der FE-Bewegung. Dort ist nicht nur pioneer ein zentraler Begriff388, sondern gibt es zudem „Pioneer Ministry“389 als Ausbildungsprogramm, das auch zur Ordination führen kann. e) „Gründertraining für SeelsorgerInnen“ Aus dem Bistum Aachen hat ein Ausbildungsmodul für Gemeinde- und Pastoralreferenten und -referentinnen sowie auch Priester durch die stetige Weiterentwicklung mittlerweile deutschlandweite Popularität erlangt: das so genannte „Gründertraining für SeelsorgerInnen“, das durch das 2017 erschienene „Gründer*innen Handbuch“390 der breiten Öffentlichkeit in einer umfassend überarbeiteten und weitergeführten Version zugänglich gemacht wurde. Hier geht es im ersten Teil um „Gründer*innen: Ihre Identität und Kompetenz“391. Als Identitätsangebot wird der Begriff Ecclesiopreneur eingeführt. Der zweite, umfassendste Teil widmet sich „Pastoralinnovation und Gründung in der 387 Vgl. Homepage Fresh X f. 388 Vgl. dazu beispielsweise Homepage fx c sowie zudem die Veröffentlichung unter dem Titel „The Pioneer Gift“ (vgl. Jonny Baker / Cathy Ross (Hg.), 2014). 389 Neben dem Ausbildungsprogramm „Ordained Pioneer Ministry“ (OPM) am St. Mellitus College (vgl. Pioneer Ministry) sind hierzu vor allem die mission shaped ministry (so genannte msm)-Kurse zu nennen, die in England landesweit angeboten werden und für die Leitung einer fxC qualifizieren sollen („Lay Pioneer Ministry“) (vgl. Homepage fx d). Darüber hinaus bietet eine Homepage der Church of England ausführlichere Informationen zu Pioneer Ministry (Homepage CofE). 390 Florian Sobetzko / Matthias Sellmann, 2017. 391 Vgl. ebd., 1–54.
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Praxis“392. Hier wird zunächst der aus den Begriffen „Ecclesía + Entrepreneurship“ bereits im ersten Teil entwickelte Begriff Ecclesiopreneurship393 in mehreren Schritten und Aufgaben expliziert, bevor dann weitere Prozessschritte auf dem Weg zur (Pastoral-) Innovation ausführlich beschrieben werden. Der dritte Teil bietet „[t]heologische Reflexionen über pastorales Gründen“394. Insbesondere die letzten beiden skizzierten Entwicklungen führen zu einer Auseinandersetzung mit dem Begriff sowie der Rolle des so genannten Pioniers und der „Gründerin“ oder dem „Gründer“ in den skizzierten Veränderungsprozessen innerhalb der Kirchen.
4.2 Neue Rollen(typen) und Begriffe Während die veränderten Aufgaben und die Notwendigkeit eines neuen Selbstverständnisses der (mittleren) Leitungsebene bereits diskutiert wurden, geraten mit dem Begriff des Pioniers nun diejenigen in den Blick, die es als ihre Aufgabe oder auch Begabung ansehen, im kirchlichen Kontext Neues zu erproben. Auch ihnen kommt in den aktuellen sowie anstehenden kirchlichen Veränderungsprozessen eine Schlüsselrolle395 zu, da sie zu der erforderlichen Innovation maßgeblich beitragen und ergänzende kirchliche Ausdrucksformen entwickeln, erproben oder auch leiten können. Ecclesiopreneur und acht Rollentypen von Gründerinnen und Gründern Florian Sobetzko und Matthias Sellmann bieten mit dem Begriff des Ecclesio preneurs eine weitere Bezeichnung oder auch eine weitere Identifikationsmöglichkeit für diejenigen an, die ihre Rolle in den aktuellen Prozessen darin finden, Neues zu entwickeln und zu erproben. Mit diesem Begriff rückt diese Rolle in den Bereich des Unternehmerischen und erneut taucht die Frage auf, inwiefern ökonomisch geprägtes Denken und Handeln für den kirchlichen Kontext angemessen sei.396 Die Autoren skizzieren insgesamt „acht 392 Vgl. ebd., 55–353. 393 Vgl. ebd., 30 f. 394 Vgl. ebd., 355–438. 395 Am Ansatz Regiolokaler Kirchenentwicklung wurde hingegen vor allem darauf gesetzt, dass aus Kooperationen lokaler Gemeinden neue kirchliche Sozialformen auf regionaler Ebene entstehen können. Hier stehen der Begriff und die Rolle des Pioniers für die Entstehung von Neuem nicht im Fokus. 396 Vgl. als Rückgriff zu diesem Punkt die Ausführungen zu Kirche als Unternehmen in ▶ Kapitel VI, 5.2.
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Rollentypen von GründerInnen“397, zwischen denen dabei näher zu differenzieren sei: „Pastoralinnovateur und pastoraler Entrepreneur“398: Während der Begriff des Entrepreneurs vor allem für diejenigen stehe, die Neues entwickeln, weise der Begriff des Innovateurs darauf hin, dass diese Person Neues zudem „marktfähig“ mache und dementsprechend ein Experte oder auch eine Expertin für Nutzerorientierung sei. Doch wo Neues nicht nur entstehe, sondern sich etabliere, bringe es Gewohntes oft aus dem Gleichgewicht, so dass sie häufig als Störenfriede empfunden werden. Zu fragen gelte es hier jedoch, ob sie nicht vielmehr etwas bereits unbemerkt ins Ungleichgewicht Geratenes zurück ins Gleichgewicht bringen können. „Kirchlicher Intrapreneur“399: Der Fokus des Intrapreneurs liege hingegen nicht nach außen gerichtet auf „dem Nutzer“, sondern sei vielmehr nach innen gerichtet. So liege der Schwerpunkt eines Intrapreneurs darin, „in bestehenden Strukturen Innovationsprojekte voranzutreiben“400. „Pastoraler Innovationsmanager“401: Hier gehe es insbesondere um „das systematische Bemühen, die Innovationswahrscheinlichkeit in kirchlichen Strukturen nachhaltig zu erhöhen.“402 „Gemeindegründer, Gemeindepflanzer“403: Gründern und Gründerinnen gehe es dem Begriff entsprechend weniger darum, Vorhandenes zu verändern als etwas Neues zu gründen. So sorgen sie dafür, dass neben bereits existierenden Gemeindeformen neue Formen entstehen. Das Verhältnis der unterschiedlichen Formen zueinander und die Gesamtentwicklung der Kirche ist dabei erst einmal nicht der Hauptfokus eines reinen Gründers oder einer reinen Gründerin. „Lokaler Kirchenentwickler“404: Skizziert werden mit diesem Begriff „keine MacherInnen, sondern pastorale EntdeckerInnen und ekklesiogenetische MystagogInnen“. Im Fokus stehe die „Kraftentfaltung des Taufpriestertums etwa im Bibelteilen oder in 397 Im Handbuch wechselt die Schreibweise zwischen „Gründer*innen“ (vgl. beispielsweise Florian Sobetzko / Matthias Sellmann, 2017, 1) und „GründerInnen“ (vgl. beispielsweise ebd., 2) und wird zudem teilweise auch nur die männliche oder nur die weibliche Schreibweise genutzt (vgl. beispielsweise ebd., XVIII). 398 Vgl. ebd., 9 f. 399 Vgl. ebd., 10 f. 400 Vgl. Florian Sobetzko / Matthias Sellmann, 2017, 11. 401 Vgl. ebd., 12 f. 402 Vgl. ebd., 13. 403 Vgl. ebd., 14 f. 404 Vgl. ebd., 15–18.
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der konsequenten Umsetzung ehrenamtlicher Partizipationsmodelle jenseits der gewohnten Rollenangebote“ an bereits vorhanden Orten. Der Weg dorthin führe vor allem durch tiefergehende Entdeckungen in (zum Teil internationalen, interkulturellen und ökumenischen) Lernprozessen an verschiedenen Orten und unterschiedlichsten Kontexten.405 „Talentscout“406: Der Begriff Scout wir hier mit „Auskundschaften“ übertragen. Da aktuell benötigte „Talente bzw. ihre InhaberInnen […] immer öfter abseits der gängigen Wegmarkierungen“407 zu finden seien, erfordere und kennzeichne die Arbeit eines Talent-scouts dementsprechend „andere Vorgehensweisen, Fähigkeiten und Instrumente“ bei der Gewinnung von Haupt- sowie Ehrenamtlichen für den kirchlichen Dienst. Doch sie suchen nicht nach Personen anhand vorab definierter erforderlicher Kompetenzen oder Merkmale, sondern seien explorativ aufmerksam für das Unbekannte sowie unbekannte Fähigkeitskombinationen unterwegs. „Lokaler Führungskräfteentwickler“408: Führung wird hier weniger hierarchisch verstanden, sondern als „etwas, das man um sich herum suchen und entdecken und dann fördern kann.“409 Dieses Führungsverständnis erinnere an Mentoring-Prozesse. „Pionier-SeelsorgerIn“410: Die Autoren beziehen sich zu diesem Begriff auf die Kursformate der Church of England, insbesondere für ordinierte „Pioneer Ministers“. Von „PionierseelsorgerInnen411“ werde neben anderen Fähigkeiten insbesondere „die Fähigkeit zum Umgang mit Ambiguität und Ungewissheit erwartet.“412 Zugleich gehe es um Risikobereitschaft, Eigeninitiative, Fehlerfreundlichkeit sowie zudem Kooperationsfähigkeit und den Blick für Führungspotenziale von Menschen. Solche Menschen für den kirchlichen Dienst zu gewinnen, sei besonders schwer: „Die Suche nach solchen Pionier-SeelsorgerInnen stellt sich darin durchaus selbst als Pionieraufgabe dar.“413 An diesen Ausführungen wird deutlich, wie vielfältig und zugleich unterschiedlich die Aufgaben von Veränderung initiierenden und gestaltenden kirch405 Vgl. ebd., 18. 406 Vgl. ebd., 19. 407 Vgl. ebd. 408 Vgl. Florian Sobetzko / Matthias Sellmann, 2017, 20 f. 409 Vgl. ebd., 21. 410 Vgl. ebd., 21 f. 411 Auch an dieser Stelle ist die Schreibweise im Handbuch uneinheitlich, teilweise mit und teilweise ohne Bindestrich (vgl. ebd.). 412 Vgl. ebd., 22. 413 Ebd.
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lich Engagierten sein können. Und es zeigt sich, wie wesentlich hier gegenseitige Ergänzung sowie an vielen Stellen die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Gesamtprozess und den dafür erforderlichen Kompetenzen ist. Zudem wird deutlich, dass Veränderung nicht nur durch diejenigen gestaltet wird, die in letzter Zeit durch den im kirchlichen Kontext in Deutschland an Popularität gewinnenden Begriff Pionier in den Blick geraten. Sondern ebenso auch durch diejenigen, die ihnen Wege bereiten, Türen öffnen, den Rücken freihalten, erforderliche Freiräume im Gesamtsystem erkämpfen und sich an vielen Stellen einbringen, die Pioniere, Gründerinnen und andere eher auf Aufbruch und Neuanfang fokussierte Personen nicht im Blick haben. Für eine Kirche in vielfältiger Gestalt braucht es mehr Wahrnehmung, Raum und Wertschätzung für diejenigen, die pionierhaft neue Wege und Formen ausloten. Gleichzeitig braucht es auch für diejenigen Unterstützung, Wertschätzung und Neuorientierung, die nicht an dieser Stelle den Umbruch oder Aufbruch gestalten. „Heros“ Im Kontext der Studie „Landaufwärts“414 des IEEG im Auftrag der EKD zu kirchlichen Veränderungsprozessen in ländlichen Räumen kommt der Begriff Hero auf. Ziel der Studie ist es, „Begleitumstände sozial‐missionarischer Innovationen an der Peripherie zu rekonstruieren“.415 Der Begriff Hero wird im Kontext der Kriterien der Studie als ein Aspekt eingeführt, der aus innovationstheoretischer Sicht – die dieser Studie zugrunde liegt – nach der litauischen Sozialwissenschaftlerin Eglė Butkevičienė416 soziale Innovationen auszeichne: „Für sie spielen Wissen (Know-how und Know-what), individueller Unternehmergeist (‚hero‘) und soziale Netzwerke eine entscheidende Rolle [Hervorhebungen im Original].“417 Ausgehend von diesem Satz wird Hero im weiteren Verlauf der Studie ein zentral verwandter Begriff für Schlüsselpersonen im Sinne von Entrepreneuren418, da Hero in der Innovationsforschung im unternehmerischen Kontext ein vielfach verwendeter Begriff ist, nicht, weil Eglė Butkevičienė – auf die dabei in
414 Die Studie „Landaufwärts“ ist als zweiter Teil der Doppelstudie „Freiraum und Innovationsdruck. Der Beitrag ländlicher Kirchenentwicklung in ‚peripheren Räumen‘ zur Zukunft der evangelischen Kirche“ erschienen (vgl. Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 171–344). 415 Thomas Schlegel, 2016, 91. 416 Da Eglė Butkevičienė das Konzept von Frank Moulaert und Flavia Martinelli zu sozialer Innovation für den ländlichen Raum weiterentwickelt hat, orientiert sich die Studie „Landaufwärts“ insgesamt an ihrem Konzept (vgl. ebd., 94). 417 Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 191. 418 Vgl. dazu Thomas Schlegel, 2016, 96 f.
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der Studie jedoch stets verwiesen wird419 – ein Konzept oder eine genauere Definition zu diesem Terminus bietet. Da die Begriffe Entrepreneur420 sowie Pionier421 in der Studie zum Teil synonym zu Hero gebraucht werden, ist nicht ersichtlich, worin die Pointe der Einführung des neuen Begriffs Hero genau liegt, da auch Entrepreneur sowie Pionier wie bereits skizziert von „individuellem Unternehmergeist“ gekennzeichnet sind. Die bewertende Konnotation, die bei diesem Begriff mitschwingt und vermuten lässt, dass mit dieser Person etwas besonders Positives verbunden wird, wird in der Studie weder erwähnt noch analysiert, kann also auch nicht die Pointe darstellen. Wesentlicher ist jedoch, worin die besondere Schlüsselrolle dieser Person422, die der Studie entsprechend als Hero bezeichnet werden kann, der Analyse nach besteht. Insgesamt werden agierende Personen als ein zentraler Faktor in Innovationsprozessen benannt423. Die Schlüsselperson(en) zeichne(n) sich dabei insbesondere durch ihre Netzwerk-Kompetenz424 sowie durch ihren partizipativen Leitungsstil aus, durch die sie in den Innovationsprozessen, die mit dem Fokus auf ländlichen Räumen im kirchlichen Kontext beobachtet werden konnten, ihre zentrale Funktion einnimmt oder einnehmen.425 An dieser Stelle fokussiert die Studie einen bisher weniger thematisierten Aspekt: Das Zusammenspiel von Hero und anderen Personen, die gemeinsam die Veränderung gestalten. Weitere Personen in die Gestaltung zu integrieren und selbst zum Teil der Innovation werden zu lassen, statt sich als einzelkämpferischer Wegbereiter oder einzelkämpferische Wegbereiterin zu verstehen, scheint eine wesentliche Kernkompetenz des hier skizzierten Hero zu 419 Vgl. neben Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 191 zudem Thomas Schlegel, 2016, 97 – angegeben wird dabei jeweils der Rückbezug auf Eglė Butkevičienė, 2009, 81. 420 „Es sind insbesondere die meist ehrenamtlichen Teammitglieder, die auf die Schlüsselstellung des Entrepreneurs hinweisen – während dieser seinen Einfluss eher relativiert“ (Thomas Schlegel, 2016, 96). 421 „Diese Pioniere bzw. Helden des Anfangs spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Projekte zu initiieren und Netzwerke zu kreieren und zu aktivieren“ (Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 316 sowie Thomas Schlegel, 2016, 97). 422 Es wird in der Studie explizit darauf hingewiesen, dass diese Schlüsselrolle nicht nur Einzelpersonen zukommen kann: „So müssen es nicht nur Einzelne sein, die eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des Projekts spielen. Diese Funktion kann auch ein Team von zwei bzw. drei Personen einnehmen“ (Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 319 – vgl. zudem Thomas Schlegel, 2016, 97). 423 „[…] im Ergebnis [Hervorhebung im Original] war es entscheidend, dass jeweils die richtigen ‚Heroes‘ mit den richtigen Teams zusammenkamen. Der Faktor ‚Menschen‘ – am richtigen Ort, zur richtigen Zeit – entscheidet.“ – So ein Kommentar von Michael Herbst zur Studie „Landaufwärts“, in: Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 347. 424 Vgl. ebd., 327–329. Dies kann die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 3.3 unterstreichen oder auch ergänzen. 425 Vgl. ebd., 319.
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sein.426 Auch die als wesentlich beschriebene Fähigkeit des Hero des „Wissens-“ und „Ideen-Transfers“ lässt sich dem Aspekt der Zusammenarbeit zuordnen.427 Dementsprechend ist dieser Begriff weniger gekennzeichnet von dem, was typischer Weise mit Heldinnen und Helden verknüpft wird, die meist als zentrale Einzelfiguren im Fokus stehen. Zudem werden „weiche Faktoren“ beschrieben428 und eher personenunabhängigere Faktoren benannt, die im Rahmen der Studie ebenfalls auf ihre Förderlichkeit für Innovationsprozesse untersucht wurden – dabei spielt auch die Analyse der unterschiedlichen Anlässe für den Beginn des jeweiligen Prozesses eine entscheidende Rolle429. Ein wesentliches Ergebnis der Studie insgesamt ist die Beobachtung, dass in fast allen Fällen die Schlüsselpersonen Hauptamtliche, meist Pfarrerinnen und Pfarrer, sind.430 Dies wirft einerseits einen positiven Blick auf die aktuell vorfindliche verfasste Kirche: In ihr sind schon jetzt Menschen mit Pioniergeist als Hauptamtliche an entscheidenden Stellen eingebunden und gehören somit samt ihren Fähigkeiten zum Gesamtsystem, das sonst eher einen veränderungsresistenten Ruf hat. Zugleich wirft es die Frage danach auf, ob Kirche auch in Veränderungsprozessen weiterhin Hauptamtliche an zentraler Stelle einbinden sollte – auch als Pioniere, nicht nur als Türöffnende für pionierhafte Arbeit anderer (Ehrenamtlicher).
426 „In keinem einzigen Fall freilich agiert der ‚Hero‘ allein, auch nicht dann, wenn es zwei oder drei Schlüsselpersonen gibt. Es bildet sich immer ein Team von freiwillig Engagierten heraus. Dabei tritt die Schlüsselperson nicht als unnahbare Lichtgestalt im Gegenüber zum Team auf. Es ist vielmehr das Miteinander auf Augenhöhe, was in den besuchten Projekten so vorbildhaft funktioniert. So beschreiben die Ehrenamtlichen sich – trotz der Wertschätzung des ‚Hero‘ – nicht als seine Erfüllungsgehilfen. Sie reden vom Wir. […] Betont werden sollte noch, dass dieses Selbstbewusstsein des Teams nicht in Autonomie mündet. Das Gegenteil ist der Fall: Team und ‚Hero‘ wissen, dass sie einander bedürfen. So findet sich der wechselseitige Verweis auf die zentrale Bedeutung mehrere Male“ (Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 319 f. – vgl. zudem Thomas Schlegel, 2016, 97). 427 „Die Rolle des Heros als Ideengeber liegt in diesen Fällen nicht darin, Dinge zum allerersten Mal zu denken, also zu erfinden, sondern vielmehr darin, bereits Bestehendes oder Bekanntes in einem anderen Setting neu zu denken. Kreativ ist dieser Prozess nicht wegen völliger Neuschöpfungen, sondern wegen des Transfers“ (ebd., 104). Vgl. zudem Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 376. 428 Diese drücken sich in bestimmten Haltungen der Akteurinnen und Akteure wie beispielsweise Begeisterung oder Leidenschaft aus sowie auch in der Atmosphäre, die die Prozesse prägt, oder auch in Eigenschaften der Schlüsselpersonen (wie z. B. Agilität oder Initiativität), die als ebenso wesentlich für die Innovationsprozesse gedeutet werden (vgl. ebd., 322–326 – vgl. zugleich Thomas Schlegel, 2016, 99 f.). 429 Vgl. Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 329–341 sowie Thomas Schlegel, 2016, 102–106. 430 Vgl. Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 318.
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Insgesamt wird auch in dieser Studie deutlich, dass durch veränderte Rollen neue Formen der Qualifizierung für Haupt- ebenso wie Ehrenamtliche dringend notwendig sind431. Fokussiert wird hier jedoch insbesondere, dass „[d]er Schlüssel zum Gelingen […] immer in der Kombination aus einem Gesamtsystem von aufeinander abgestimmten Teamrollen und Leitungsrollen [liegt] [Hervorhebung im Original].“432 Die Rollen müssen also nicht nur jeweils individuell gefunden, sondern auch aufeinander bezogen, interpretiert sowie gegebenenfalls eingeübt werden. Mit Rückgriff auf das Modell Kirche als Hybrid wird noch einmal unterstrichen, welche entscheidende Funktion Personen insgesamt in den skizzierten Veränderungsprozessen laut dieser Studie zukommen – hier scheint die größte Herausforderung und zugleich die größte Ressource zu liegen, die es als Kirche zu bergen gilt: Die Veränderung entsteht quasi in und mit den gewachsenen Strukturen. Institution und Bewegung als Elemente des ‚Hybrids Kirche‘ scheinen hier organisch aufeinander bezogen. Darauf macht auch Eberhard Hauschildt in der Bonner Schwesterstudie aufmerksam. Deutlich wird aber auch: Die Institution verändert sich quasi von dem bewegungsförmigen Element her: Charismatische Personen, ein Team auf Augenhöhe, Begeisterung etc. sind Merkmale einer Kirche als Bewegung. Sie wirken zurück auf die Institution vor Ort […].433
431 „These 4: Die sich verändernden Rollen aller Akteure im ländlichen System von Kirche verlangen besondere Aufmerksamkeit: Klärung der neuen Aufgaben, rechtlicher Schutz in veränderter Verantwortung, deutliche Kommunikation von Erwartungen, Möglichkeiten und Grenzen, schließlich weitere wissenschaftliche Analyse, auch gezielte Maßnahmen zur Vorbereitung und Begleitung von Pfarrerinnen und Pfarrern in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. […] These 5: Qualifikationen von Ehrenamtlichen sind wichtig. Sie müssen der Vielfalt der Zugänge, Verantwortungen und Intensitäten, ehrenamtlich zu sein, entsprechen“ (Kirchenamt der EKD (Hg.), 2016, 401 f.). 432 Ebd., 359. Anzumerken gilt es an dieser Stelle, dass dies nicht nur als Resümee der Studie „Landaufwärts“ sondern auch mit Blick auf die ebenfalls in dem Band enthaltene Bonner Studie formuliert wird. Hier scheint also mit Blick auf die Zukunft der Kirche, eine wirklich entscheidende Stellschraube zu liegen. 433 Thomas Schlegel, 2016, 109.
4. Exkurs: Rollenverständnisse und Kompetenzen
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4.3 Lernen von Erfahrungen aus England Jüngere Studienergebnisse aus England zeigen ganz im Gegensatz zu den Ergebnissen der zuletzt diskutierten Studie aus Deutschland, dass in der Church of England über 30 % der Leitenden einer fxC so genannte lay-lay, also gänzlich ohne kirchliche Ausbildung, Legitimation und Ordination sind.434 Dabei wird im Vergleich mit professionals deutlich, dass die Arbeit der lay-lays nicht als qualitativ schlechter bewertet werden kann – auch nicht bezüglich der ekklesiologischen Qualität der von ihnen geleiteten fxC.435 Mit Blick auf das Angebot spezifischer Kurse und Weiterbildungsprogramme für so genannte pioneers und Leitende einer fxC in der Church of England mag dieses Studienergebnis Ernüchterung auslösen. Insbesondere im Kontext dieser Arbeit, in der mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass eine Veränderung sowie Ergänzung nicht nur hinsichtlich kirchlicher Sozialformen, sondern auch hinsichtlich der Qualifikationen kirchlich Engagierter notwendig erscheine. Hier gilt ausgehend von diesen Beobachtungen aus England eine gewisse Vorsicht dem gegenüber geboten, ob bestimmte Aus-, Fort- oder Weiterbildungen zukünftig für Personen, die von den verfassten Kirchen anerkannte neue Formen von Gemeinde gründen oder leiten (wollen), verpflichtend
434 „One surprise from the first round of 10 dioceses researched by Church Army’s Research Unit between 2012 and 2013 was discovering the presence of a large group of leaders that have become known as the ‚lay-lay‘. We invented this shorthand term to mean people with no centralised formal training, or official authorisation for this specific task, although a number bring significant work and life experience, including skills with people. This group now accounts for 574 (or 36.4 % of the 1576), leaders across the 1109 fxC recorded. […] The reason to highlight it is that it is also clear, when data across the 20-year period is surveyed, that the proportion of such lay-led examples is increasing.“ (George Lings, 2016, 181. In der 2016 veröffentlichten Studie „The Day of Small Things“ wird der Evaluation so genannter lay-lay leader ein ganzes Kapitel gewidmet (vgl. ebd., 181–190). 435 „However, in broad terms the missional effectiveness of the fxC they lead is comparable to that of their ‚professional‘ counterparts, and they engage with a greater proportion of nonchurched attenders. In addition, while non lay-lay leaders on average lead larger fxC, lay-lay leaders have grown their fxC from smaller sending teams and have greater growth ratios than their professionally trained counterparts. Further, lay-lay leaders do not noticeably lag behind when it comes to ecclesial development of the fxC. The overwhelming majority of lay-lay-led fxC have made steps towards maturity through engaging with discipleship and three-self identity, and it is understandable why their sacramental development is taking longer“ (ebd., 189). So resümiert George Lings in diesem Bericht mit Blick auf kirchliche Ausbildungen und Legitimationen: „The wider Church could do far worse than ask a representative group of the lay-lay what training they already believe they have received through life and also via this current particular leadership experience, and therefore what further training, and / or support, they would welcome“ (ebd., 190).
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gemacht werden sollten. Grundsätzlich ist die Ergänzung und Veränderung des aktuellen kirchlichen Aus-, Fort- und Weiterbildungssystems in Deutschland jedoch erst einmal zu begrüßen und zu initiieren. Diese Studienergebnisse aus England können dabei bestenfalls vor zu überhöhten Erwartungen oder zu strengen Regelungen bewahren.
5. Indikatoren, Kriterien, Maßstäbe für ergänzende Gemeindeformen An den Stellen, wo die vertraute parochial organisierte Gemeindeform um weitere Sozialgestalten innerhalb der verfassten Kirche ergänzt werden soll, kommt die Frage nach Indikatoren, Kriterien oder auch insgesamt Maßstäben für ergänzende Gemeindeformen auf: Was kann aus Sicht der verfassten Kirche als Teil der Kirche oder auch Gemeinde anerkannt werden? Dazu lassen sich neben „Indikatoren“, die in der Church of England für die Anerkennung von fxC erarbeitet wurden, auch im Kontext in Deutschland drei Ansätze finden, die entsprechende „Merkmale“, „Kennzeichen“ oder auch „Kriterien“ formulieren. Vier Merkmale für Gemeinden auf Zeit Peter Bubmann, Kristian Fechtner und Birgit Weyel benennen im Kontext ihrer Analyse des Konzeptes Gemeinde auf Zeit vier Merkmale „die es erlauben, von einer Gemeinde auf Zeit zu sprechen“436. Ihr Fokus ist es dabei, den Gemeindebegriff davor zu bewahren, sich in diesem Konzept in der Entgrenzung aufzulösen. Als besonders wesentlich benennen sie dabei den Aspekt der möglichen Partizipation.437 Die skizzierten vier Merkmale sind dementsprechend darauf ausgerichtet, Partizipation in unterschiedlichen Dimensionen (durch das Aufweisen einer „konkrete[n] Örtlichkeit“ (1), „personale Präsenz und Interaktion“ bzw. „Leiblichkeit religiöser Praxis“ (2), einen „gemeindlich-gemein436 Vgl. Peter Bubmann u. a., 2016, 351. In ▶ Kapitel VI, 2.2.1 wurden diese Merkmale bereits benannt und werden an dieser Stelle lediglich noch einmal in Erinnerung gerufen. 437 „Gleichwohl ist festzuhalten, dass nicht alle kirchlichen Teilhabeformen eine gemeindliche Prägung haben müssen, da der Begriff ansonsten unkenntlich wird. Nicht jeder individuell seelsorgliche Kontakt, nicht jeder Besuch einer Stadtkirche als Flaneur und auch nicht jeder Besuch kirchen-musikalischer Veranstaltungen lässt sich als Gemeindebildung fassen. Er bezeichnet vielmehr eine soziale Gestalt gelebter Kirchlichkeit, die gemeinschaftlich gelebt bzw. erlebt wird, an der die Beteiligten partizipieren bzw. zu der sich die Teilnehmenden als zugehörig empfinden“ (ebd., 350). Vgl. hierzu auch die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 2.2.1, die auf diesen Aspekt ebenfalls schon hinweisen und das entsprechende Zitat aufführen.
5. Indikatoren, Kriterien, Maßstäbe für ergänzende Gemeindeformen
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schaftliche[n] Charakter des Geschehens […] auch in den Deutungen der Beteiligten“ (3), „ein organisiertes Setting“ (4)) zu ermöglichen.438 Sieben Kennzeichen für „Erprobungsräume“ (EKM) Bereits mehrfach erwähnt wurden die sieben Kennzeichen, die im Kontext des Projekts „Erprobungsräume“ in der EKM erarbeitet wurden und ausgehend von der praktischen Frage entstanden sind, wie die EKM einzelne Initiativen, die sich im Rahmen dieses Projekts als „Erprobungsraum“ bewerben, als „förderungswürdig“ beurteilen kann. Zugleich bewegt die EKM dabei die grundlegende theologische Frage nach den Kennzeichen von Kirche, wie in einem Beitrag von Thomas Schlegel deutlich wird: So unberührt und offen der Raum des Klammerlogos439 auch sein mag: Darin soll Kirche entstehen. Dies ist das einzige inhaltliche Kriterium, dem ein Erprobungsraum genügen muss. Das heißt aber auch: Es muss nichts anderes als Kirche entstehen. Die geforderte Andersartigkeit bezieht sich auf das Wie, nicht auf das Was. Freilich hat man damit die Sache nicht vereinfacht, sondern verkompliziert. Denn alle ekklesiologischen Probleme liegen nun auf dem Tisch: Was ist Kirche? Um das zu beschreiben, haben wir eher vermittelnd verschiedene Traditionslinien kompiliert: die klassischen drei (bzw. vier) Grundvollzüge, die Confessio Augustana und Impulse aus der anglikanischen Gemeindeentwicklung. Sie sind eingeflossen in gewisse Merkmale, die den Erprobungsräumen zu eigen sein sollen. Diese Merkmale sind noch mit situationsbezogenen Erfordernissen angereichert worden.440
438 Vgl. dazu die vollständige Formulierung der vier Merkmale: „(1) Sie weist eine konkrete Örtlichkeit auf. Sie bildet einen (Er-)Lebensraum, in dem sich die Beteiligten (zeitweise, situativ-punktuell) bewegen, in dem sie agieren oder auf den sie sich beziehen. (2) Die Praxis ist als kirchliches Geschehen identifizierbar und beruht auf personaler Präsenz und Interaktion. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Aspekt der Leiblichkeit religiöser Praxis. Zumindest aus forschungspragmatischen Gesichtspunkten bleibt damit das Feld der social media [Hervorhebung im Original] und der virtuellen Formen von ‚Gemeinde‘ in den Forschungsarbeiten unberücksichtigt. (3) Der gemeindlich-gemeinschaftliche Charakter des Geschehens wird (symbolisch) zur Darstellung gebracht und findet seinen Niederschlag auch in den Deutungen der Beteiligten. (4) Gemeinden auf Zeit haben ein organisiertes Setting. Sie sind im (Verantwortungs-)Bereich der Kirche situiert oder mit ihr verknüpft, sie kennen professionelle Leitungsrollen oder Verantwortlichkeiten.“ (Peter Bubmann u. a., 2016, 351) – Das ist ebenfalls zu finden in ▶ Kapitel VI, 2.2.1, in dem das Konzept Gemeinde auf Zeit ausführlicher diskutiert wird. 439 Dies ist als Bezug auf das Logo dieses Projekts zu verstehen, das einen offenen Raum darstellt. 440 Homepage EP a.
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Der Rückgriff auf die skizzierten Grunddimensionen oder auch Grundvollzüge von Kirche im Sinne von diakonia, martyria, leiturgia und koinonia (▶ Kapitel V, 1.2) zeigt sich in der Darstellung der Kennzeichen für „Erprobungsräume“ besonders deutlich, während der Rückgriff auf die Notae ecclesiae im Sinne von CA VII (▶ Kapitel V, 1.3) nicht ganz so offensichtlich in den Formulierungen der Kennzeichen zu verzeichnen ist, jedoch vor allem in der Beschreibung des siebten Kennzeichens die Hintergrundfolie zu bilden scheint:441 7. In ihnen nimmt Spiritualität einen zentralen Raum ein [Hervorhebung im Original] Die Entwicklung guter geistlicher Gewohnheiten hält den eigenen Glauben stabil und gesund.442 Dabei helfen die Einübung persönlicher und gemeinsamer Formen des Gebetes und der Gottesverehrung (griechisch: ‚leiturgia‘), die regelmäßige Teilnahme am gemeinschaftlichen Gottesdienst, einem Hauskreis oder anderen christlichen Treffen, der vertraute Umgang mit den biblischen Zeugnissen, hilfreiche vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Christen, gemeinsames Dienen in der Gemeinde oder Welt. Auch hier gilt: Formen können variieren. Unsere Erprobungsräume wollen bewusst den eigenen und gemeinsamen Umgang mit Gott – in vielfacher Gestalt – befördern.
Neben diesen Rückbezügen auf grundlegende Kennzeichen von Kirche, die sich im Laufe der Kirchengeschichte herausgebildet haben, wurden zudem Kennzeichen im Sinne von „situationsbezogenen Erfordernissen“ formuliert, die erkennen lassen sollen, dass Kirche hier neu entstehe: „Sie durchbrechen die volkskirchliche Logik an mindestens einer der folgenden Stellen: Parochie, Hauptamt, Kirchengebäude“. „In ihnen sind freiwillig Mitarbeitende an verantwortlicher Stelle eingebunden“. „Sie erschließen auch alternative Finanzquellen“. Darüber hinaus erscheinen insbesondere das erste, dritte sowie vierte Kennzeichen der ursprünglich skizzierten Definition von fxC und ihren vier Merkmalen missional, contextual, formational, ecclesial,443 entlehnt.444
441 Vgl. Homepage EP d. 442 Die Formulierung „gesund“ erinnert dabei an Michael Moynaghs Interpretation von „practices“ als gesundheitsfördernd (vgl. dazu die Ausführungen in ▶ Kapitel V, 1.2). 443 Vgl. Michael Moyngh, 2017, 115 – sowie die Ausführungen dazu in ▶ Kapitel V, 1.2. 444 Das erste Kennzeichen: „In ihnen entsteht Gemeinde Jesu Christi neu“, scheint mit dem Merkmal ecclesial zu korrespondieren, die nähere Beschreibung dieses Kennzeichens zudem mit dem Merkmal formational. Das dritte Kennzeichen: „In ihnen kommen Menschen ohne Kontakt oder Bindung zur Kirche mit dem Evangelium in Berührung“, erinnert an das Merkmal missional und das vierte Kennzeichen: „Sie orientieren sich am konkreten Umfeld und reagieren mit einer dienenden Haltung“, scheint an dem Begriff contextual orientiert zu sein.
5. Indikatoren, Kriterien, Maßstäbe für ergänzende Gemeindeformen
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So bilden diese sieben formulierten Kennzeichen im Rahmen des Projekts „Erprobungsräume“ eine im landeskirchlichen Kontext in Deutschland aktuelle, einmalige sowie beachtenswerte Kombination an Merkmalen, die sich sowohl an kirchlicher Tradition sowie zugleich dem Ziel der kirchlichen Innovation orientieren. „Kriterien für Gemeinde“ (Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong) Im Lehrbuch „Kirche“ formulieren Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong ausgehend von der Feststellung, dass es für eine kirchliche Organisationsform einen wesentlichen Unterschied mache, ob sie als Gemeinde gelte oder nicht445, „Kriterien für Gemeinde“446. Diese bilden die theoretische Grundlage für den Gemeindebegriff, der im Kontext des aktuellen Prozesses „Gemeinde formen“ in der EKiR, formuliert wurde.447 Zu dem Prozess in der EKiR schließt sich an diese Einleitung ein Exkurs an, der diesen skizziert und erste Auswirkungen analysiert (▶ Kapitel VI, 5.1). Danach werden die „Indikatoren“, die in der Church of England für die Anerkennung von fxC erarbeitet wurden (▶ Kapitel VI, 5.2) sowie die „Kriterien für Gemeinde“ von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong (▶ Kapitel VI, 5.3) bezüglich des entsprechenden Forschungsvorhabens der vorliegenden Arbeit exemplarisch ausführlicher analysiert. Während die „Indikatoren“ in England schon längere Zeit in der Praxis erprobt sowie von der Church Army’s Research Unit evaluiert wurden, sind die „Kriterien für Gemeinde“ auf den Kontext in Deutschland und die hier aus evangelischer Sicht entscheidende Frage der Anerkennung einer Sozialform als Gemeinde konzentriert und bieten sich aus diesem Grund für eine exemplarische Analyse an.
5.1 Exkurs zum Prozess der EKiR „Gemeinde formen“ Im Kontext der EKiR definiert Artikel 5.1 der KO-EKiR den Begriff der Kirchengemeinde:
445 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 275 sowie zudem die Ausführungen dazu in ▶ Kapitel VI, 2.1 sowie zudem 3.2. 446 Vgl. ebd., 275–284. 447 Anmerkung: In dem Beschluss 111 der Landessynode 2017 „Vergnügt, erlöst, befreit – Gemeinde formen“ wird auf „die Ausarbeitungen zum Gemeindebegriff (Anlage 1)“ verwiesen (vgl. EKiR, 2017b, 5). Allerdings ist „Anlage 1“ nur in der „Vorlage der Kirchenleitung an die Landessynode“, die den entsprechenden Beschlussantrag enthält, zu finden (vgl. EKiR, 2017a, 12–16).
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„Kirchengemeinde der Evangelischen Kirche im Rheinland ist die Gemeinschaft ihrer Mitglieder in der Regel in einem durch Herkommen oder Errichtungsurkunde bestimmten Gebiet.“ Darüber hinaus kann es auch so genannte „Anstaltskirchengemeinden“ geben, die die Kirchenleitung „bei selbstständigen diakonischen Einrichtungen […] errichten“ kann (vgl. Art. 12.1 KO-EKiR) sowie so genannte „Personalgemeinden für bestimmte Aufgabenbereiche“ (vgl. Art. 12.2 KO-EKiR), zu denen ein entsprechendes Kirchengesetz jedoch – seit Veröffentlichung dieser Fassung der Kirchenordnung der EKiR vom 10. Januar 2003 – bisher nicht erlassen wurde (vgl. Fußnote 5 zu Art. 12.2 KO-EKiR).448 An unter anderem diesem Punkt hat die von der Landessynode 2016 beauftragte „AG Gemeindeformen“ gearbeitet und eine Vorlage mit dem an den rheinischen Slogan des Reformationsjubiläums angelehnten Titel „Vergnügt, erlöst, befreit – Gemeinde formen“ für die Landessynode 2017 formuliert.449 Beschluss der Landessynode 2017: „Gemeinde formen“ Am 13. Januar 2017 hat die Landessynode diese Vorlage angenommen450. Entsprechend dieses Beschlusses eröffnet die Landessynode neben der vertrauten Struktur der Parochialgemeinden die Option, in neuen Formen Gemeinde zu sein. Diese neuen Gemeindeformen sind Gemeinden, die sich neben der Kirchengemeinde im Sinne von Art. 5.1 KO (Parochie) im Laufe der letzten Jahrzehnte gebildet haben und bilden.451
Für diese „neuen Gemeindeformen“ werden verschiedene Modelle skizziert, die sich durch unterschiedliche Verbindlichkeitsgrade und dementsprechend unterschiedliche rechtliche und finanzielle Möglichkeiten innerhalb der EKiR in Abstufungen differenzieren lassen: 1) „Personalgemeinde“ Als Kennzeichen wird lediglich benannt, dass sie sich „nicht territorial“ bilde. Ihr wird der gleiche Status wie der „territorial gebildeten Kirchengemeinde […] gem. Art. 5 Abs. 1 KO“ zugesprochen. In diesem Sinne können ihre Mitglieder die „Vollmitgliedschaft“ in Anspruch nehmen und erhält diese Gemeindeform
448 Vgl. hierzu die Ausführungen im ersten Exkurs zur EKiR mit kirchenrechtlichen Skizzen zum Gemeindebegriff in ▶ Kapitel V, 2.1. 449 Vgl. EKiR, 2017a. 450 Vgl. EKiR, 2017b. 451 Ebd., 1 f.
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im Kontext der EKiR die gleichen Rechte und Pflichten, wie sie mit dem (parochial geprägten) Gemeindebegriff auch sonst verbunden sind.452 2) „Andere Gemeinden und Assoziierte Gemeinden“ Als Kennzeichen „anderer Gemeinden“ wird mit Rückbezug auf 1) wenig aussagekräftig formuliert, dass diese „sich anders als Parochialgemeinden [territorial] und Personalgemeinden [nicht-territorial] gebildet haben“. Als Beispiele werden jedoch „Citykirchen-Gemeinden, Studierendengemeinden, Jugendkirchengemeinden u. a.“ benannt, was darauf schließen lässt, dass hier insbesondere an spezifischen Zielgruppen orientierte Gemeinden gemeint sind. Kennzeichen „assoziierter Gemeinden“ sei ihre Entstehung unabhängig von der landeskirchlichen Struktur. Zudem gilt als wesentliches Kennzeichen, dass sie der Leuenberger Konkordie zustimmen. Diese Gemeindeformen müssen eine kontinuierliche sowie verbindliche strukturelle Verbindung zu einer der drei kirchlichen Ebenen (Kirchengemeinde, Kirchenkreis, Landeskirche) aufweisen. Bezüglich Finanzen und Personal können unterschiedliche Regelungen getroffen werden, tendenziell sind diese Modelle eher eigenständig. Für die Partizipation an kirchlichen Entscheidungsprozessen nimmt ein Vertreter oder eine Vertreterin eines entsprechenden Leitungsgremiums mit beratender Stimme an den Sitzungen des Leitungsgremiums der jeweils zugeordneten kirchlichen Ebene teil. Doppelmitgliedschaften „zur anderen oder assoziierten Gemeinde und zur Wohnsitzgemeinde“ sind in diesem Modell möglich.453 3) „Kooperierende Gemeinde“ „Die Kooperation beschreibt das lose Zusammenwirken von anderen Formen des Kircheseins mit Gemeinden und Kirchenkreisen.“ In Bezug auf Finanzen und Personal ist dieses Gemeindemodell eigenständig, Partizipation an kirchlichen Prozessen geschieht durch Informationsaustausch.454 4) „Erprobungsräume“ Inspiriert von dem Projekt „Erprobungsräume“ der EKM übernimmt die EKiR in diesem Beschluss zudem diesen Begriff, um über diese vier oder auch fünf skizzierten Formen, Gemeinde zu sein, hinaus zu beschreiben, inwiefern zudem Raum für Neues innerhalb der EKiR eröffnet werde:
452 Vgl. ebd., 2. 453 Vgl. EKiR, 2017b, 2 f. 454 Vgl. ebd., 3.
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Die Landessynode eröffnet in Anlehnung an das Konzept der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland Erprobungsräume, in denen sich christliche Gemeinschaften und ergänzende Formen des Kircheseins neben der gemeindlichen und der Struktur funktionaler Dienste neu bilden und entwickeln können. […] Aus dem, was sich in den Erprobungsräumen entwickelt, werden wahrscheinlich ekklesiologische Mischformen entstehen: Erprobungsräume können in Kirchengemeinden, neben Kirchengemeinden, über Kirchengemeindegrenzen hinweg oder an anderen kirchlichen Orten unter dem Dach der Evangelischen Kirche im Rheinland entstehen.455
Bei der Skizzierung dieses Vorhabens wird an unterschiedliche Bewegungen und Prozesse angeknüpft: an so genannte „fresh expressions der Church of England“ sowie „Basis-Gemeinden im Bistum Poitiers“, an die „emergente Bewegung“ sowie an den „glaubensreich-Prozess“,456 der als „Zukunftsinitiative“ der EKiR durch mehrere Netzwerktreffen von 2014 bis 2016 kirchliche Engagierte aus der gesamten EKiR unter dem Fokus „Glaube zum Ausdruck“ und „Kirche in Bewegung“ zu bringen versammelt hat457. Diese Bezüge werden jedoch nicht näher expliziert. Dem Wortlaut nach wird das, was sich in diesem Raum potentiell entwickeln könne, als „ergänzende Formen des Kircheseins“ und „ekklesiologische Mischformen“, nicht jedoch explizit als Gemeinde bezeichnet.458 Finanzierungsmodelle – auch mit Blick auf Personal –, Organisationsformen, Mitgliedschaftsmodelle und Partizipationsformen an kirchlichen Leitungsstrukturen gelte es jeweils situationsadäquat zu entwickeln.459 Auch wenn in dem Beschluss keine spezifischen Fördermittel oder Anerkennungsprozesse für „Erprobungsräume“ innerhalb der EKiR skizziert werden, formuliert der Beschluss dennoch die Empfehlung zur „Förderung von Erprobungsräumen“ und verweist auf die Kriterien, die die EKM im Rahmen der Förderrichtlinien entwickelt hat.460 Auch an dieser Stelle fehlt eine ausführlichere Auseinandersetzung. So zeigt sich eine gewissen Inkongruenz zu dem erarbeiteten „evangelischen Gemeindeverständnis“, das als „Anlage 1“461 diesem Beschluss zur Seite gestellt wurde. Hier wäre eine Bezugnahme aufeinander sinnvoll gewesen.
455 EKiR, 2017c, 4. 456 Vgl. EKiR, 2017b, 4. 457 Vgl. hierzu die Homepage zu dieser Initiative: glaubensreich. 458 Vgl. EKiR, 2017b, 4. 459 Vgl. ebd., 4 f. 460 Vgl. ebd., 4. 461 Vgl. EKiR, 2017a, 12–16.
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Darüber hinaus werden in diesem Beschluss „neue Formen des Kircheseins“ auch für den Aus-, Fort- und Weiterbildungsbereich fokussiert: „In diesem Kontext soll auch geprüft werden, ob das Pioneer-Ministry (siehe Anlage 3) wie es im Rahmen der FreshX in der Church of England praktiziert wird, auch in der Evangelischen Kirche im Rheinland zur Anwendung kommen kann.“462 Weiterarbeit an diesem Beschluss In dem Bericht der Kirchenleitung „über ihre Tätigkeit und über die Ausführung der Beschlüsse“463 auf der Landessynode 2018 wird deutlich, inwiefern der Beschluss von 2017 weiterentwickelt und konkretisiert wurde. In der Praxis hat sich für Gemeinden, die potentiell für eins der skizzierten Modelle in Frage kommen würden, ebenso wie für Initiativen, die eher im Kontext der skizzierten „Erprobungsräume“ einzuordnen wären, noch keine Veränderung zeigen können. Die Kirchenleitung hat sich jedoch darum bemüht, die konkreten Situationen und Bedarfe an vier Beispielen vor Ort zu erörtern.464 Konkrete Modelle „personelle[r], finanzielle[r] und rechtliche[r] Rahmenbedingungen“465 wurden ausgehend davon bisher nicht skizziert, sondern es wurde lediglich benannt, dass die Finanzierung von Personalressourcen die entscheidende Herausforderung in diesem Bereich zu sein scheint.466 Darüber hinaus werde an dem „vorgelegten evangelischen Gemeindeverständnis“ im Ständigen Theologischen Ausschuss weitergearbeitet.467 Auch wenn dieser Punkt für den Kontext der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse ist, gibt es hierzu derzeit keine näheren Verweise oder auffindbaren Ausführungen. Statt eines Konzepts „der Kommunikation mit den Ortsgemeinden und den Kirchenkreisen“468, wird skizziert, welche Kreissynoden und Pfarrkonvente von kirchen-leitenden Personen bereits besucht wurden.469 Ein „Kommunikations-Konzept“, das landeskirchenweite Aufmerksamkeit erzielen und gegebenenfalls auch für bisher weniger oder an den Rändern von Kirche Enga-
462 EKiR, 2017b, 5. Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Exkurs zu Rollenverständnissen und Kompetenzen (▶ Kapitel VI, 4). 463 Vgl. EKiR, 2018. 464 Vgl. ebd., 14. 465 Vgl. EKiR, 2017b, 5: „Soweit personelle, finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Modelle erforderlich sind, wird die Kirchenleitung beauftragt, diese zur Landessynode 2018 vorzulegen.“ 466 Vgl. EKiR, 2018, 14: „In allen besuchten neuen Gemeindeformen hängt die Weiterentwicklung bzw. die Fortführung davon ab, wie Personalressourcen in Zukunft finanziert werden.“ 467 Vgl. ebd., 15. 468 Vgl. EKiR, 2017b, 5. 469 Vgl. EKiR, 2018, 15.
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gierte als Impulsgeber wirken könnte, ergänzende Formen des Kircheseins zu erproben – wie beispielsweise die EKM mit dem Projekt „Erprobungsräume“ gezeigt hat470 – scheinen aktuell in diesem (auch digitalen) Sinn nicht im Fokus der EKiR zu stehen. Mit der „Erarbeitung eines Konzeptes für die Aus-, Fort- und Weiterbildung“ befasse sich die landeskirchliche Abteilung „Personalentwicklung“. Auch das Thema „neue Gemeindeformen“ insgesamt wurde „gemäß dem Geschäftsverteilungsplan“ an das entsprechende Dezernat übertragen. Die Beauftragung der AG Gemeindeformen endete nach Erarbeitung des Landessynodenbeschlusses 2017.471 Analyse des aktuellen Prozesses Es zeigt sich, dass der Prozess „Gemeinde formen“ in der EKiR derzeit insbesondere aus der Institutionslogik von Kirche heraus gestaltet wird. Wie bereits in ▶ Kapitel 3.2 im Kontext von Kirche als Hybrid diskutiert, ist insbesondere die Institutionslogik weniger zur Gestaltung von Veränderungen geeignet, da ihre Stärke vielmehr die Stabilisierung von Bestehendem ist. An dieser Stelle gilt zu fragen, inwiefern dieser Prozess innerhalb der EKiR stärker aus anderen Logiken heraus gestaltet oder durch diese ergänzt werden könne.472 Innerhalb der EKM erscheint insbesondere das Kommunikationskonzept der „Erprobungsräume“ so, als sei es – aus der Perspektive des Hybrid-Modells betrachtet – eher aus organisationslogischem Handeln heraus entstanden, da es u. a. durch die gewählten Formen und Kommunikationskanäle eine Zielgruppenorientierung zeigt. Darüber hinaus weist das Projekt „Erprobungsräume“ an einigen Stellen in der aktuelleren Entwicklung Züge der Logik von Kirche als Bewegung auf, wenn z. B. „Reformerzeit“-Wochenenden zum identitätstiftenden Teil des Projekts werden.473 Zudem wurde im Exkurs in ▶ Kapitel VI, 4 bereits skizziert, dass die Kirchenleitenden eine Veränderung ihres 470 Vgl. sowohl den Internetauftritt des Projekts „Erprobungsräume“ (Homepage EP e) sowie die Kommunikation im Social-Media-Bereich über den Facebook-Account (Facebook EP a). Hier werden u. a. auch Postkarten und weitere Kommunikationsmaterialien mit zielgruppenspezifischer Orientierung an eher jungen, ästhetisch orientierten Personen präsentiert. 471 Vgl. zu diesen drei Punkten EKiR, 2018, 15, IV.–VI. 472 Vgl. folgendes Zitat aus der Studie „Landaufwärts“: „Die Veränderung entsteht quasi in und mit den gewachsenen Strukturen. Institution und Bewegung als Elemente des ‚Hybrids Kirche‘ scheinen hier organisch aufeinander bezogen. Darauf macht auch Eberhard Hauschildt in der Bonner Schwesterstudie aufmerksam. Deutlich wird aber auch: Die Institution verändert sich quasi von dem bewegungsförmigen Element her: Charismatische Personen, ein Team auf Augenhöhe, Begeisterung etc. sind Merkmale einer Kirche als Bewegung. Sie wirken zurück auf die Institution vor Ort […]“ (Thomas Schlegel, 2016, 109). 473 Material und Werbung zur „Reformerzeit“ findet sich ausschließlich auf der Facebook-Seite des Projekts „Erprobungsräume“ (vgl. dazu beispielsweise ein Video: Facebook EP b).
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Rollenverständnisses erkennen lassen und es als ihre Aufgabe ansehen, nach „Pionierpersönlichkeiten“ spezifisch zu suchen.474 Inwiefern ausgehend von dem Landessynodenbeschluss 2017 sich innerhalb der EKiR weitere Entwicklungen und Möglichkeiten bezüglich ergänzender Gemeindeformen zeigen und welche Strukturen, kirchliche Handlungslogiken sowie Personen mit ihren unterschiedlichen Rollen dabei entscheidend werden, bleibt abzuwarten.
5.2 Analyse der Indikatoren für fxC Die Erfahrungen in England475 bezüglich eines fehlenden gemeinsamen und allgemeingültigen Verständnisses von fxC zeigen, dass die Frage, ab wann etwas als reife Gemeinde oder auch als sich zu einer reifen Gemeinde entwickelnde Ausdrucksform christlichen Glaubens gesehen und zudem von Seiten der kirchlichen Institution anerkannt werden kann, weiterhin und vermutlich jeweils kontextbezogen zu klären ist. Genau hier setzt das vorliegende Forschungsvorhaben an und beschäftigt sich im Folgenden zunächst mit den von der Church Army’s Research Unit in England erarbeiteten zehn Indikatoren476 für fxC. Zunächst seien dazu die Indikatoren in ihrer Gesamtheit zitiert: Is this a new and further group, which is Christian and communal, rather than an existing group modified, adapted or changed? Has the starting group tried to engage with non-church goers? There was intention to create a fresh expression of Church (fxC), not to do an outreach project from an existing church. The aim was to help the Christians sent out to start the fxC to understand a culture and context and adapt to fit it, not make the local / indigenous people change and adapt to fit into an existing church context. Does the community meet at least once a month? Does it have a name that helps give it an identity? An active search, not yet yielding a name, is allowed. Is there intention to be Church? This could be the intention from the start, or by a discovery on the way. This admits the embryonic fxD (fx of Developing commu-
474 Vgl. hierzu ▶ Kapitel VI, 5.1 Fußnote 384. 475 Vgl. hierzu die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 1. 476 Diese zehn Indikatoren wurden nach ihrer Entwicklung 2011 zuletzt 2012 modifiziert, sind seitdem in ihrem Inhalt und Wortlaut weitgehend konstant und bis heute in der Church of England für die Anerkennung von fxC entscheidend (vgl. George Lings, 2016, 17 und 19). Kleinere textliche Veränderungen werden im Folgenden diskutiert, sofern dies relevant erscheint.
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nity) and cases of fxE (fx of Evangelism) and even some fxW (fx of Worship). The key is that it is not seen as a bridge back to ‚real church‘, but as Church in its own right. Is it Anglican or an Ecumenical project which includes an Anglican partner? ‚Anglican‘ here means the Bishop welcomes it as part of the diocesan family, not whether it only uses centrally authorised worship texts, or has a legal territory (parish). Is there some form of leadership recognised by those within the community and by those outside of it? Do at least the majority of members (who are part of the public gathering) see it as their major expression of being church? Are there aspirations for the four creedal ‚marks‘ of church, or ecclesial relationships: ‚up / holy, in / one, out / apostolic, of / catholic‘? We see the two dominical sacraments (communion and baptism) as a given consequence of the life of a missional community which follows Jesus, but not the sole or even best measure of being church. Is there the intention to become ‚3-self ‘ (self-financing, self-governing and self-reproducing)? These factors may look different in each local context, but are some marks of advancing ecclesial maturity. They are not to be interpreted as indicators of congregationalist independency, or breakaway tendencies, but of taking responsibility [Hervorhebungen im Original].477
Vier Aspekte hinsichtlich der ekklesiologischen Qualität einer Ausdrucksform des Glaubens (im Sinne einer fxC) lassen sich ausgehend von diesen Indikatoren als wesentlich bestimmen: a) Als erster Aspekt ist die Neuheit und Eigenständigkeit 478 einer Ausdrucksform des Glaubens als Teil der Kirche im Verhältnis zu anderen Teilen von Kirche zu bestimmen, wozu sowohl die Ausbildung einer eigenen Identität479 sowie die Ausbildung von (Organisations-)Strukturen480 im Sinne eines 477 George Lings, 2016, 18. 478 Vgl. dazu den ersten Indikator, in dem darauf hingewiesen wird, dass eine fxC nicht eine Modifikation, Adaption oder Veränderung einer bereits existierenden Gruppe ist. Vgl. zudem den zweiten Indikator, der deutlich macht, dass eine fxC nicht ein „outreach project“ einer bereits existierenden Gemeinde ist, sowie den fünften Indikator, in dem die Intention, selbst Kirche zu sein, explizit benannt wird, so dass eine fxC nicht als „bridge back to ‚real church‘“ verstanden werden könne. Der Begriff „real church“ wird auf diese Weise ad absurdum geführt, woran noch einmal deutlich wird, dass in der FE-Bewegung fxC wirklich als gleichwertige Partner einer vielfältigen Kirche begriffen werden (▶ Kapitel VI, 1). 479 Dies kann unter anderem an einem eigenen Namen oder der Namenssuche deutlich werden (vgl. dazu den vierten Indikator). 480 Hierzu gehört auf der einen Seite die Anerkennung einer fxC als „anglican“ von Seiten der Church of England (vgl. dazu den sechsten Indikator). Dies kann in England durch die bmo geregelt werden. Hier lässt sich derzeit kein organisatorisches Äquivalent in der föderal organisierten EKD finden. Andererseits ist dazu die Ausbildung eigener Strukturen einer fxC hinsichtlich der Entwicklung von Gemeinschafts-, Gottesdienst- und weiteren Verkündigungs-
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ekklesiologischen Selbstverständnisses481 gehören. Hierbei werden auch Entwicklungsprozesse berücksichtigt, die eine junge Ausdrucksform des Glaubens durchlaufen kann und muss. So wird offensichtlich nicht darauf gesetzt, einen erreichten „Status“ ekklesialer Reife, sondern vielmehr Hinweise auf eine sich entwickelnde Reife abzufragen.482 Im Fragebogen, den die Church Army’s Research Unit 2011 für die Evaluation von fxC entwickelt hat483, finden sich lediglich indirekte Fragen zum Aspekt der Selbstständigkeit, so dass beispielsweise nach der Motivation zur Gründung der jeweiligen fxC gefragt wird484. Auch nach Verbindungen zu anderen Gemeinden und der Parochie wird gefragt, da entsprechende Antworten gegebenenfalls Aufschluss über die Eigenständigkeit sowie auch Anerkennung geben können.485 Der identitätsstiftende Aspekt des eigenen Namens kommt als erste Frage unter den Angaben „Basic data about this expression of Church“
formen notwendig (vgl. dazu den fünften Indikator, dessen Formulierung an zwei der drei altkirchlichen Grunddimensionen von Kirche ergänzt durch das II. Vaticanum erinnert: leiturgia, martyria und koinonia (▶ Kapitel V, 1.2). Darüber hinaus geht es zudem um die Ausbildung organisatorischer Strukturen der Selbstständigkeit gegenüber und zugleich in Verbundenheit mit anderen Teilen von Kirche, wie beispielsweise einer auch von außen erkennbaren Leitung (vgl. dazu den siebten Indikator), Selbstständigkeit in den Bereichen Finanzen, Steuerung und Fortbestand (vgl. dazu den zehnten Indikator) sowie insgesamt Anstrengungen hinsichtlich der vier grundlegenden Kennzeichen von Kirche (vgl. dazu den achten Indikator und darin insbesondere die Of-Dimension). 481 Entscheidend ist hinsichtlich einer Identität im Sinne eines ekklesiologischen Selbstverständnisses neben der Ausbildung eigener Strukturen, die dies erkennbar werden lassen können (vgl. die vorausgehende ▶ Fußnote 480), dass sich eine fxC selbst als vollwertiger Teil von Kirche begreift (also nicht als „outreach project“ von einer oder Brücke zu einer bereits existierenden Gemeinde – vgl. dazu den zweiten und fünften Indikator). Ebenfalls entscheidend dafür kann ausgehend von dem achten Indikator die Beurteilung der fxC aus Perspektive derjenigen, die daran partizipieren, angesehen werden: Ist diese fxC für sie der maßgebliche Ausdruck von Kirche, an dem sie teilhaben? 482 So macht beispielsweise der fünfte Indikator deutlich, dass es sich bei der Intention, Kirche zu sein, um Entwicklungsprozesse handelt. Auch im neunten Indikator wird danach gefragt, ob Anstrengungen hinsichtlich der „four creedal ‚marks‘ of church“ sichtbar werden, nicht, ob alle Kennzeichen oder auch Beziehungsdimensionen vollwertig ausgebildet sind. Zudem kann der zehnte Indikator als Berücksichtigung von Entwicklungsprozessen verstanden werden, da er die darin benannten Kennzeichen der Selbstständigkeit als „fortgeschrittene Reife“ („marks of advancing ecclesial maturity“) beschreibt. 483 Vgl. Church Growth Research, 2013, 106 f. Die aktuellere Variante wird ebenfalls vergleichend unter folgendem Kurztitel zitiert: questionnaire. 484 Vgl. Church Growth Research, 2013, 106 sowie questionnaire, 2. 485 In der neueren Fragebogenversion entfällt dabei jedoch die Frage, inwiefern die jeweilige fxC auch „Diocesan PERMISSIONS [Hervorhebung im Original]“ hat (vgl. Church Growth Research, 2013, 107).
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vor: „What is its name?“.486 Mehr findet sich dazu im Fragebogen nicht, obwohl die Beschreibung des vierten Indikators dies vermuten lassen könnte. In der vom FE-Team erarbeiteten Definition von fxC entspricht insgesamt der unter a) benannte Aspekt dem Begriff ecclesial.487 In den vier neu formulierten „key features“ für fxC488 kommt dieser Begriff nicht mehr vor, beschreibt jedoch das Kernmerkmal „fresh!“489 den hier benannten Aspekt sehr exakt, ebenso wie das Kernmerkmal „has its own identity“490. Anhand des Aspekts ecclesial gerät die so genannte Of-Dimension in den Blick, wenn man von den vier Beziehungsdimensionen ausgeht, die Michael Moynagh für Kirche als grundlegend skizziert hat491. b) Als weiterer zentraler Aspekt ist ein christliches Grundverständnis492 zu benennen, das sich insbesondere in der Gestaltung des Kircheseins493 äußert. Bei der Untersuchung von fxC anhand des Fragebogens wird zu Erörterung dieses Aspekts explizit nach christlichen Praktiken gefragt, wie z. B. ob es in der jeweiligen fxC die Möglichkeit gibt, die Sakramente (Abendmahl / Eucha486 Vgl. ebd., 106 sowie questionnaire, 1. 487 Vgl. George Lings, 2016, 18 sowie Michael Moynagh, 2017, 115. 488 Vgl. dazu die 2017 überarbeitete offizielle Homepage der FE-Bewegung: Homepage fx b. Auch die Homepage des Fresh-X-Netzwerks in Deutschland wurde 2018 grundlegend überarbeitet und auch dabei wurde eine „mögliche Definition“ für eine Fresh X noch einmal neu formuliert (vgl. Homepage Fresh X d). Es zeigt sich auch an diesen beiden Entwicklungen eine weiterhin aktuell bleibende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Beschreibung und „Erfassung“ ergänzender Gemeindeformen (im Sinne von fxC), wie sie in diesem Kapitel im Fokus steht. 489 „A Fresh Expression is fresh! New, original, pioneering, innovative, different … you get the idea. A FX is not a re-brand or update to an existing model – it is a NEW thing that has developed because of a particular culture or context. They can be a network or a gathering, and they often don’t look like ‚church‘ [Hervorhebungen im Original]“ (Homepage fx b). 490 „A Fresh Expression has its own identity [Hervorhebung im Original]. It isn’t a tag-on or optional extra for people already involved in church, nor is it a bridge for those outside the church into joining ‚the real thing‘. Fresh Expressions are the real thing for the people they engage with“ (Homepage fx b). 491 Vgl. hierzu den Exkurs in ▶ Kapitel V, 1.2 sowie Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 106– 119. 492 Vgl. dazu den ersten Indikator, der dies benennt, jedoch noch nicht ausführt, woran dies erkennbar werden kann. 493 Vgl. zu diesem Aspekt den fünften Indikator, der die Intention, Kirche zu sein, skizziert und diesbezüglich die Entwicklung der Dimensionen Gemeinschaft, Verkündigung und einer gottesdienstlichen Feier benennt. Diese Dimensionen können als wesentlicher Ausdruck eines christlichen Grundverständnisses begriffen werden. Auch die im neunten Indikator benannten vier Beziehungsdimensionen (up, in, out, of), in denen Kirche sich ereigne, sind ausgehend von dem Exkurs zu „Church as four sets of relationships“ (▶ Kapitel VI, 1.2) als wesentlicher Ausdruck eines christlichen Grundverständnisses zu verstehen. In diesen Dimensionen und diesem Beziehungsgeschehen ereignet sich Glauben, kann er wachsen und geteilt werden.
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ristie und Taufe – zudem wird nach Konfirmationen gefragt) zu empfangen.494 Darüber hinaus wird die Frage gestellt, wie Menschen in die Nachfolge Jesu geführt werden – „How do you DISCIPLE [Hervorhebung im Original] peop� le?“495 –, die man diesem Aspekt ebenfalls zuordnen könnte. In einer neueren Fragebogenversion wird zudem nach dem Umgang mit der Bibel gefragt sowie danach, wie Evangelisation sich in der fxC ereigne.496 Man könnte diesen Aspekt mit dem Begriff formational der Definition für fxC in Verbindung bringen, ein eindeutiger Verweis auf die Formulierungen der Definition für fxC des FE-Teams lässt sich jedoch nicht erkennen. Vielmehr scheint das christliche Grundverständnis den in der Definition benannten Begriffen und dem Verständnis von fxC insgesamt vorgeordnet. Bezüglich der grundlegenden Beziehungsdimensionen von Kirche wird mit diesem Aspekt die so genannte Up-Dimension der von Michael Moynagh skizzierten Beziehungsdimensionen von Kirche (▶ Kapitel V, 1.2) fokussiert. c) Die Kontextualität497 der Ausdrucksform des Glaubens, eng verbunden mit einem missionalen Anliegen498, wird als dritter entscheidender Aspekt in den Indikatoren deutlich. Im Fragebogen für fxC findet sich ein eigener Fragebereich zum Thema „Mission“499, wo u. a. nach der Zielgruppe gefragt und dabei folgender Hinweis gegeben wird: „[H]ence the separation of intention & result“500. Dabei muss von den Antwortenden einerseits zwischen dem Kontext „neighbourhood or
494 Vgl. Church Growth Research, 2013, 107 sowie questionnaire, 3. 495 Vgl. ebd. sowie ebd. 496 Vgl. ebd. sowie ebd. 497 Vgl. dazu den zweiten Indikator, der diesen Aspekt deutlich heraushebt. 498 Benannt werden im zweiten Indikator „non-church goers“ als spezifische Zielgruppe von fxC. Auf der Homepage wird dies in den dort benannten „key features“ für fxC noch einmal expliziert und „people who don’t ‚go to church‘“ ebenso wie „‚un-churched‘ (those who’ve never been)“ und „‚de-churched‘ (those who left for whatever reason)“ benannt (vgl. Homepage fx b). Auffällig ist an dieser Stelle, dass es laut dieser Formulierungen nicht um Menschen geht, die bisher keinen (positiven) Bezug zum christlichen Glauben haben, sondern der Fokus auf ihrem Kirchenbezug liegt (der natürlich mit dem eigenen Glauben verknüpft sein kann). Dennoch wird ausgehend von dem zweiten Indikator in Kombination mit dem im neunten Indikator benannten Aspekt „out / apostolic“ hier die missionale Ausrichtung einer fxC erkennbar, die darauf ausgerichtet ist, mit einem spezifischen Kontext oder einer spezifischen Menschengruppe eines Kontexts in Kontakt zu kommen, um kontextualisierte Formen des Kircheseins und Glaubens zu eröffnen. In diesem Sinn sind die Aspekte des missionalen Anliegens und der Kontextualisierung eng miteinander verwoben. 499 Vgl. Church Growth Research, 2013, 107 sowie questionnaire, 3 f. 500 Vgl. ebd., 3. In der älteren Variante fehlt dieser Hinweis, werden jedoch im zweiten Schritt explizit Angaben zum „result“ abgefragt (vgl. Church Growth Research, 2013, 107).
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network“ sowie andererseits zwischen den Personengruppen „Christians, dechurched, non-churched“ unterschieden werden.501 Offensichtlich geht es bei diesem Aspekt um die Beziehungsdimension, die in Michael Moynaghs Konzept Out genannt wird. Wird bezüglich einer fxC kein Bestreben in der Beziehung nach „außen“ („out“) zum Kontext sowie zur Welt außerhalb der fxC insgesamt im Sinne von „mission“ wahrgenommen, wurde in der Church of England die Anerkennung dieser Initiative als fxC in Frage gestellt.502 Obwohl dieser Satz bei der modifizierten Formulierung der Indikatoren entfallen ist, wird der Of- sowie Out-Dimension und damit dem doppelten Sendungsbewusstsein (ausgesandt von und gesandt zu) einer fxC auch aktuell in der Church of England eine besondere Bedeutung beigemessen.503 Bei diesem Aspekt zeigt sich eine deutliche Verbindung zu den Begriffen missional und contextual der Definition von fxC.504 Auch der Begriff formational kann in Verbindung zu diesem Aspekt gesehen werden, da dessen Anliegen („it aims to form disciples“) zugleich der Zielpunkt der missionalen Bemühungen („it intends to work with non-churchgoers“) ist, die sich wiederum vom Kontext prägen lassen sollen („it seeks to fit the context“).505 Auf der Homepage der FE-Bewegung wird für formational die Beschreibung: „A Fresh Expression journeys with people […] – valuing people’s different faith journeys and supporting them as they wonder, explore and encounter“506, als viertes Kernmerkmal für fxC gewählt, das den Blick auf den vierten Aspekt lenkt, der in den Indikatoren deutlich wird.
501 Vgl. ebd. sowie questionnaire, 3. Die weiterführende Unterscheidung („Christians, de-churched, non-churched“) im Fragebogen ist kongruent zu der aktuellen Formulierung der „key features“ auf der Homepage der FE-Bewegung. 502 Die Formulierung: „We question validity in an absence of ‚mission / out‘“, findet sich in älteren Formulierungen des neunten Indikators (vgl. Church Growth Research, 2013, 11 sowie George Lings, 2014, 4). 503 Die jüngere Veröffentlichung von George Lings, „Reproducing Church“ (2017), zeigt, dass dem Sendungsbewusstsein einer jungen kirchlichen Ausdrucksform weiterhin eine herausgehobene Bedeutung zukommt. Betont wird dabei vor allem die doppelte Sendungsrichtung (vgl. George Lings, 2017, 89–91). 504 Vgl. George Lings, 2016, 18 sowie Michael Moynagh, 2017, 115. 505 Vgl. George Lings, 2016, 18. 506 Homepage fx b.
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d) Wesentlich erscheint zudem der Aspekt der Gemeinschaft, die offensichtlich von Beginn an in einer fxC existiert507, fokussiert508 und weiterentwickelt509 wird, sowie der damit verbundene Aspekt der Kontinuität510. Gemeinschaft wird hier nicht nur als soziales Geschehen, sondern offensichtlich auch als geistliches Geschehen interpretiert511 und als eine wesentliche Dimension von Kirche benannt512. Der Begriff formational aus der Definition für fxC kann anhand dieses Aspekts Gestalt gewinnen. Dabei kann die Formulierung der Homepage: „A Fresh Expression journeys with people“, so interpretiert werden, dass diese Reise im Sinne kontinuierlicher Begleitung verstanden wird und verbindliche Beziehungen erwachsen lässt. Zugleich kann dies auch so gelesen werden, dass Menschen lediglich einen Zeitabschnitt ihres Lebens begleitet und befähigt werden, ihre eigene Glaubensreise auch unabhängig von dieser Ausdrucksform weiter fortzusetzen und gegebenenfalls an anderen Teilen von Kirche erneut anzudocken. Eine Tendenz zur Kontinuität hinsichtlich des Gemeinschaftsaspekts wird ausgehend von dem dritten Indikator deutlich.513
507 Vgl. dazu den zweiten Indikator, der von einer „starting group“ spricht. Nicht ganz kongruent zu dieser Beobachtung beschäftigt sich der erste Teil des Fragebogens ausschließlich mit Angaben zu der oder auch zu einer Leitungsperson (vgl. Church Growth Research, 2013, 106 sowie questionnaire, 1). In der aktuelleren Fragebogenvariante findet sich zudem die Möglichkeit, eine Angabe zur „Number of people on leadership team“ zu machen (ebd.). 508 Der erste Indikator benennt mit dem Stichwort communal, dass das neu Entstehende auf Gemeinschaft hin angelegt ist. Eng verbunden ist dieser Begriff zugleich mit Christian, so dass davon auszugehen ist, dass Gemeinschaft sich hier auch als geistliche Gemeinschaft begreift. Auch im neunten Indikator taucht der Gemeinschaftsaspekt als eine der wesentlichen Beziehungsdimensionen einer fxC als Kirche auf („in / one“). 509 Die Entwicklung von Gemeinschaft lässt laut dem fünften Indikator eine der drei wesentlichen Intentionen, Kirche zu sein, deutlich werden. 510 Dies wird insbesondere anhand der Frage des dritten Indikators deutlich. Mindestens monatliche Treffen der in einer fxC entstehenden Gemeinschaft scheinen wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung einer fxC in der Church of England als vollwertiger Teil der Kirche zu sein. Dies knüpft an die Überlegungen zu Gemeinschaftsformen in der Spannung zwischen Fluidität und Kontinuität der vorausgehenden Kapitel an und zeigt diesbezüglich eine deutliche Tendenz (die von Michael Schüßler benannt und kritisiert wurde). Kontinuierliche Treffen können jedoch auch die Möglichkeit eröffnen, punktuell daran zu partizipieren, und eröffnen somit gerade hoch fluiden Menschen somit auch (punktuelle) Möglichkeiten der Partizipation. 511 Dies zeigt sich insbesondere in einer älteren Version der Indikatoren: „Does the resultant community meet at least once a month [Hervorhebung im Original]? In cases of monthly meetings, further questions about how to deepen community, build commitment and increase discipleship follow“ (George Lings, 2014, 4). Warum der Aspekt der Jüngerschaft bei der Neuformulierung der Indikatoren weggefallen ist, kann nicht näher ergründet werden. 512 Vgl. dazu den fünften und neunten Indikator. 513 In der älteren Version der Indikatoren findet sich darüber hinaus die Formulierung: Sollten Treffen nur monatlich stattfinden, werde zudem gefragt, inwiefern diese eine vertiefende Gemeinschaftsbildung und Bindung ermöglichen: „Does the resultant community meet at least
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Insgesamt fällt auf, dass Fragen zum Gemeinschaftsaspekt im Fragebogen zur Evaluation von fxC kaum eine Rolle spielen. Sie kommen nur dann vor, wenn es um die konkrete Praxis der Nachfolge geht.514 Darüber hinaus wird lediglich nach der Frequenz der Treffen gefragt – ohne dabei jedoch genauer zu spezifizieren, um welche Treffen von wem es sich dabei handeln soll.515 Mit diesem vierten Aspekt gerät die vierte Beziehungsdimension von Kirche nach Michael Moynagh in den Blick, die so genannte In-Dimension. Resümierend erscheint es auch für den Kontext in Deutschland als lohnend, von diesen vier Grundaspekten (ekklesiologisches Selbstverständnis, christliches Grundverständnis, Kontextualität oder missionales Anliegen sowie Gemeinschaft) oder vier Dimensionen (of, up, out, in) bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität von ergänzenden Ausdrucksformen des Glaubens auszugehen. Dabei ist es mit Blick auf die Indikatoren wesentlich, mögliche Entwicklungspotentiale hinsichtlich ekklesialer Reife zu berücksichtigen und nicht die „fertige“ oder „vollwertige“ Ausbildung aller vier Dimensionen vorauszusetzen. Für neue Ausdrucksformen des Glaubens in der Church of England gilt, dass sie die ersten sieben benannten Indikatoren widerspiegeln sollten, um von der Church of England als fxC anerkannt zu werden. Die letzten drei benannten Indikatoren werden als wertvolle Hinweise zur Gesundheit und bezüglich des ekklesiologischen Entwicklungspotentials einer Initiative gewertet und nicht grundsätzlich zur Anerkennung herangezogen.516
once a month [Hervorhebung im Original]? In cases of monthly meetings, further questions about how to deepen community, build commitment and increase discipleship follow“ (ebd.). Dies unterstreicht diese vermutete Tendenz noch einmal. 514 Vgl. hierzu die Antwortmöglichkeiten zu „How do you DISCIPLE [Hervorhebung im Original] people? – Small Groups, One to One, Running Courses, Serving in Teams …“ (Church Growth Research, 2013, 107 sowie questionnaire, 3). In der älteren Fragebogenversion wurde danach gefragt, ob „Congregation, Clusters or Cells“ die „Mission RESSOURCE [Hervorhebung im Original]“ sind (vgl. Church Growth Research, 2013, 107). In der neueren Fragebogenvariante spielt die Frage nach Beziehungen untereinander lediglich unter dem Aspekt, wie Evangelisation sich ereigne, eine Rolle (vgl. questionnaire, 3). 515 „How often do you meet?“ – in der älteren Fragebogenvariante konnte dazu zwischen „Weekly, Fortnightly, Monthly, Less“ ausgewählt werden (vgl. Church Growth Research, 2013, 106). In der neueren Variante entfällt die Angabemöglichkeit „less“ (vgl. questionnaire, 2). Dies lässt darauf schließen, dass mindestens monatliche Treffen vorausgesetzt werden. Vgl. dazu auch den folgenden Indikator drei. 516 Vgl. George Lings, 2016, 18.
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5.3 Analyse der „Kriterien für Gemeinde“ von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong setzen sich in ihrem Lehrbuch „Kirche“517 auch mit nicht-parochialen kirchlichen Ausdrucksweisen, den „bislang unter ‚funktionaler Logik‘ zusammengefassten Arbeits- und Sozialformen“518, auseinander519 und benennen dabei Kriterien, die sortieren und definieren helfen sollen, was über das bekannte parochiale Modell hinaus als Gemeinde gelten kann520: Die Unterscheidung zwischen ‚Gemeinden‘ und ‚kirchlichen Einrichtungen‘ erfolgt dann also nicht länger anhand des Territorialprinzips mit seinen Ausnahmen, sondern anhand der Frage, ob die kirchliche Organisationsform die theologischen Kriterien für das ‚Gemeindesein‘ erfüllt oder nicht [Hervorhebung im Original].521
Dabei geht es ihnen im Wesentlichen um theologische Kriterien, die bei der Beurteilung bereits vertrauter kirchlicher Sozialgestalten (Frauenwerke, Gottesdienstinstitute, Akademien und weitere) bezüglich ihrer jeweiligen ekklesiologischen Qualität helfen und insgesamt zu einem geweiteten Gemeindeverständnis führen sollen. Die Frage, wie neu entstandene Initiativen von der verfassten Kirche wahrgenommen, in die kirchliche Logik integriert und gegebenenfalls als Gemeinde anerkannt werden können, steht in ihrem Ansatz hingegen weniger im Fokus. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den zehn zuvor diskutierten Indikatoren aus der FE-Bewegung. Dennoch können auch diese von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong erarbeiteten Kriterien in aktuellen Diskussionen zu ergänzenden Gemeindeformen innerhalb der Evangelischen Kirche, also dem spezifischen Kontext dieser Forschungsarbeit, dazu beitragen, Fragen bezüglich der Anerkennung und Bewertung neuer kirchlicher Ausdrucksformen als Gemeinde aus Sicht der Institution zu sortieren. Der Autor und die Autorin differenzieren bei der Formulierung der „Kriterien für ‚Gemeinde‘“522 zwischen geistlichen Grundlagen mit „Geltung für jede christliche Gemeinde“, institutionellen Kennzeichen mit „Geltung für refor-
517 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013. 518 Ebd., 283. 519 Dabei aktualisieren sie Uta Pohl-Patalongs Forschungsbeitrag zur „übergemeindlichen Arbeit“ (vgl. Uta Pohl-Patalong, 2003), der in ▶ Kapitel VI, 2.1 diskutiert wurde. 520 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 275–284. 521 Ebd., 2013, 284. 522 Vgl. ebd., 275.
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matorische Gemeinden“ und organisatorischen Prinzipien, die aus ihrer Sicht „kulturell abhängig, jedoch theologisch angemessen“ sind.523
5.3.1 Geistliche Grundlagen Für jede christliche Gemeinde gelte als geistliche Grundlage demnach Folgendes: • bezieht sich auf Christus als Grund der Gemeinde (christologische Grundlage), • versteht sich als zugehörig zur heiligen christlichen Kirche (ökumenische Grundlage), • vergemeinschaftet aus Gnade durch Christus vor Gott unterschiedslos (rechtfertigungstheologische Grundlage),524 • weiß sich in die Welt gesendet (missionarische Grundlage).525
Auffällig ist bei genauerer Betrachtung dieser vier Grundlagen, dass sie den „four creedal ‚marks‘ of church, or ecclesial relationships“, die auch in den Indikatoren für fxC benannt werden526, zu entsprechen scheinen527: up / holy – „bezieht sich auf Christus als Grund der Gemeinde“, of / catholic – „versteht sich als zugehörig zur heiligen christlichen Kirche“, in / one – „vergemeinschaftet aus Gnade durch Christus vor Gott unterschiedslos“, out / apostolic – „weiß sich in die Welt gesendet“.528 Diese Grundlagen entsprechen dabei zudem den vier wesentlichen Aspekten, die bei der Analyse der Indikatoren für fxC im vorangehenden Teil herausgearbeitet wurden. Dennoch gibt es einige Akzentverschiebungen: Die zweite Grundlage („versteht sich als zugehörig zur heiligen christlichen Kirche (ökumenische Grundlage)“) greift das ekklesiologische Selbstverständ523 Vgl. ebd., 276. 524 „Dabei können Gemeinden durchaus bestimmte Menschen ansprechen, so wie es beispielsweise Gemeinden für Aidskranke und ihre Zugehörigen oder Studierendengemeinden tun. Sie dürfen jedoch andere partizipierwillige Kirchenmitglieder nicht wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Gesinnung etc. vom Gottesdienst ausschließen und sollten innerhalb ihres Merkmals wieder Pluralität zulassen und Kommunikation mit anderen Menschen ohne diese Merkmale regelmäßig vorsehen“ (Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 278). 525 Ebd., 276. 526 Vgl. George Lings, 2016, 18, den neunten Indikator. 527 Es lässt sich bei Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong jedoch kein direkter Bezug zu oder auf Michael Moynagh, der diese vier Dimensionen als theologische Hintergrundfolie in die FE-Bewegung eingebracht hat, entdecken. 528 Vgl. hierzu Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 107 und Eberhard Hauschildt / Uta PohlPatalong, 2013, 278.
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nis im Sinne der Of-Dimension auf. Der Fokus liegt hier jedoch weniger auf der Selbstständigkeit und eigenen Identität einer kirchlichen Ausdrucksform (im Gegenüber zu anderen Gemeindeformen, wie bei den Indikatoren häufiger thematisiert wurde), sondern ausschließlich auf dem Verständnis als Teil der Gesamtkirche, die aus vielen Teilen besteht, die einander sinnvoll ergänzen. Hier wollen der Autor und die Autorin, dass „[e]iner möglichen Selbstbezogenheit und Abschottung […] gewehrt [wird].“529 Während in den Indikatoren dafür plädiert wird, die Entwicklung von Selbstständigkeit keineswegs als Abbruchtendenzen zu werten530, zeigt sich auch im Rahmen der FE-Bewegung diesbezüglich eine zunehmend kritischere Haltung531. Mit der dritten formulierten Grundlage („vergemeinschaftet aus Gnade durch Christus vor Gott unterschiedslos (rechtfertigungstheologische Grundlage)“) gerät das Thema Gemeinschaft in den Blick. Während sich in den Indikatoren eine Tendenz zur Kontinuität hinsichtlich dieses Aspekts gezeigt hat, wollen die Autorin und der Autor an dieser Stelle den Gemeinschaftsbegriff bewusst nicht darauf festgelegt verstanden wissen: Die Formen, in denen Gemeinschaft angeboten und gelebt wird, können dabei allerdings durchaus unterschiedlich sein. Gemeinschaft beruht nicht in jedem Fall auf kontinuierlicher, auf persönlichen Beziehungen beruhender Teilnahme, sondern kann auch in größeren Abständen und im gemeinsamen Bezug auf die gleichen Inhalte realisiert werden.532
Das, was ihren Ausführungen nach aus Einzelnen eine Gemeinschaft macht, ist der gemeinsame Bezug auf Inhalte. Zeitliche Dimensionen scheinen dabei weniger eine Rolle zu spielen. Dies korrespondiert mit ▶ Kapitel V, 3, wo die gemeinsame Interaktion bezogen auf das Wortes Gottes in den Fokus des Gemeindebegriffs gestellt wurde. So wird von ihnen Gemeinschaft auch in den Grundlagen ihres Ansatzes als geistliche Gemeinschaft in den Blick genommen. Während in der FE-Bewegung dabei stärker Lebensveränderung, Wachstum im Glauben und Nachfolge als wesentliche Aspekte geistlicher Gemeinschaft deutlich werden, gerät in dem vorliegenden Ansatz stärker der rechtfertigungstheologische Aspekt im Sinne 529 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 277. 530 „They are not to be interpreted as indicators of congregationalist independency, or breakaway tendencies, but of taking responsibility“ (vgl. George Lings, 2016, 18, den zehnten Indikator). 531 Vgl. dazu Michael Moynagh, 2017. 532 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 278.
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des durch Gnade unterschiedslosen Angenommenseins als Kern geistlicher Gemeinschaft in den Fokus. Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong geht es dabei insbesondere um die Überwindung von sozialen Unterschieden.533 Verbundenheit entstehe durch „den gemeinsamen Bezug auf die gleichen Inhalte“ (s. o.) und weniger durch kontext- oder zielgruppen-spezifische Prägungen. Bei der vierten formulierten Grundlage („weiß sich in die Welt gesendet (missionarische Grundlage)“) wird das Sendungsbewusstsein und in diesem Sinne die Out-Dimension in den Blick genommen. Ebenso wie im Rahmen der FEBewegung ist das missionstheologische Verständnis von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong von dem Gedanken der „Teilhabe [der Kirche] an der Missio Dei“ geprägt.534 George Lings bewertet in seiner jüngeren Veröffentlichung „Reproducing Churches“ (2017) das eigene Sendungsbewusstsein als wesentliches Kriterium für die ekklesiale Identität einer Ausdrucksform des christlichen Glaubens. Dabei versteht er die Sendung im doppelten Sinne: a) Von einer anderen Ausdrucksform des christlichen Glaubens oder der Gesamtkirche und letztendlich dem dreieinigen Gott ausgehend und b) zu der oder auch in die Welt.535 Bei Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt liegt der Fokus vor allem auf der Sendung in die Welt, die sich im diakonischen Dienst, in der eigene Grenzen überschreitenden Kommunikation des Evangeliums sowie auch in der Alltagsrelevanz des christlichen Glaubens und in der Sprachfähigkeit bezüglich Glaubensfragen der einzelnen Gemeindeglieder äußere.536 Damit sind die geistlichen Grundlagen für „jede christliche Gemeinde“ benannt. Alle weiteren Aspekte, wie beispielsweise ein ekklesiologisches Selbstverständnis, dass sich u. a. in der Ausbildung von Strukturen äußern kann, sowie auch eine regelmäßige Gottesdienstfeier um Wort und Sakrament, sind aus Sicht von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong als „institutionelle Kennzeichen“ oder auch „organisatorische Prinzipien“ bezüglich des Gemeindebegriffs zu bewerten. Für die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität einer Sozialgestalt des christlichen Glaubens und gegebenenfalls die Anerkennung als Gemeinde aus Perspektive der Evangelischen Kirche, worum es im Kontext 533 „Dabei können Gemeinden durchaus bestimmte Menschen ansprechen, so wie es beispielsweise Gemeinden für Aidskranke und ihre Zugehörigen oder Studierendengemeinden tun. Sie dürfen jedoch andere partizipierwillige Kirchenmitglieder nicht wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Gesinnung etc. vom Gottesdienst ausschließen und sollten innerhalb ihres Merkmals wieder Pluralität zulassen und Kommunikation mit anderen Menschen ohne diese Merkmale regelmäßig vorsehen“ (Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 278). 534 Vgl. ebd., 278. Vgl. zudem für die FE-Bewegung: Patrick Todjeras, 2016. 535 Vgl. George Lings, 2017, 89–91. 536 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 278.
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dieser Arbeit maßgeblich geht, sind dementsprechend die folgenden „Kennzeichen“ und „Prinzipien“ als ebenso wesentliche Voraussetzungen in die Analyse mit aufzunehmen.
5.3.2 Institutionelle Kennzeichen Folgende „institutionelle Kennzeichen“ mit „Geltung für reformatorische Gemeinden“ werden formuliert: • feiert regelmäßig Gottesdienst mit Wort und Sakrament (explizite liturgische Kennzeichen), • erfüllt exemplarisch weitere Aspekte des kirchlichen Auftrags zur Verkündigung des Evangeliums in der Welt: biographisch-religiöse Begleitung, Bildungshandeln, Hilfehandeln, Gerechtigkeitshandeln (soziokulturelle implizite Kennzeichen), • eröffnet Raum zum Glauben, fördert Glauben, begleitet im Glauben (Individualitätskennzeichen), • wird durch Amt und allgemeines Priestertum geleitet (Leitungskennzeichen), • besitzt eine situationsadäquate Struktur für die Teilhabe der Mitglieder am gemeindlichen Geschehen (Strukturkennzeichen).537
Insbesondere die Aspekte Liturgie, Leitung und Partizipation werden in den weiteren Ausführungen von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt näher expliziert: Nach der Confessio Augustana ist Kirche dort, wo ‚das Evangelium rein gelehrt wird und die Sakramente richtig ausgeteilt werden‘ (CA VII). Dies muss in einer kirchlichen Organisationsform, die sich Gemeinde nennt, zuverlässig stattfinden. […] Die Zuverlässigkeit und eine gewisse Regelmäßigkeit der gottesdienstlichen Feier einschließlich des Abendmahls bilden allerdings ein Kriterium, das manche nicht-parochialen Arbeitsformen stärker berücksichtigen müssten, um als Gemeinde zu gelten.538
In diesem Zitat wird noch einmal deutlich, welchen zentralen Stellenwert CA VII im Sinne der regelmäßigen „gottesdienstlichen Feier einschließlich des Abendmahls“ aus Sicht der Autorin und des Autors mit Blick auf den Gemeindebegriff innerhalb der Evangelischen Kirche hat (▶ Kapitel V, 1.3 sowie VI, 2.1 und 3.2).
537 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 276. 538 Ebd., 279
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Bezüglich der Leitungskennzeichen erklären die Autorin und der Autor, dass […] das ‚Amt‘ nicht das ordinierte Pfarramt sein [muss], dem ja evangelischerseits keine herausgehobene geistliche Dignität zukommt, sondern es kann auch ein anderes begründetes, kirchlich legitimiertes Leitungsamt sein, sofern es eine geordnete und legitimierte Leitungstätigkeit sicher stellt […].539
An dieser Stelle wird das weite Amtsverständnis der Evangelischen Kirche – wenn auch nicht in allen Landeskirchen gleichermaßen – deutlich. Eine besondere Rolle nimmt auch hier die EKiR ein, in der sowohl anderen in der Kirche tätigen Berufsgruppen (z. B. in der Kirchenmusik, in der Jugend- oder Bildungsarbeit, als Diakon oder Diakonin, Gemeindepädagoge oder -pädagogin) als auch Ehrenamtlichen der Weg zur Ordination und somit zum Dienst als Prädikant oder Prädikantin in der EKiR möglich ist.540 Aus den Ausführungen von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong geht jedoch nicht hervor, ob sie mit der Formulierung „ein anderes begründetes, kirchlich legitimiertes Leitungsamt“ ordinierte Personen, die kein Pfarramt innehaben, in den Blick nehmen oder sich auch „kirchliche Legitimation“ auf anderen Wegen als durch die Ordination541 vorstellen können. Zentral ist für sie der Aspekt, „[…] dass es eine sinnvolle Leitungsstruktur gibt, an der nicht nur das hauptamtliche Pfarramt, sondern auch Ehrenamtliche beteiligt sind […].“542 An dieser Stelle übertreffen sie die Hinweise und Vorgaben, die aus den Indikatoren für fxC deutlich geworden sind.543 Insgesamt ist die Partizipation der Mitglieder mehrfach im Fokus der skizzierten „institutionellen Kennzeichen“. Sie kommen zum einen als Subjekte des Glaubens in den Blick, denen Raum eröffnet werden soll, um selbstständig an der vermittelten Botschaft partizipieren zu können („die Botschaft in ihrer
539 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 280 f. 540 Vgl. PrG, 2005. Anzumerken ist hier jedoch, dass Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt auffällig deutlich allein das Pfarramt dem Ehrenamt gegenüberstellen und andere Berufsgruppen (wie häufig in solchen Diskussionen) nicht berücksichtigt werden. 541 Wie es beispielsweise in der Church of England durch so genannte „Licensed Lay Ministers“ möglich ist, die am St Mellitus College ausgebildet werden können (vgl. Licensed Lay Ministry). In einer der jüngsten Studien zu fxC zeigt sich, dass 9,5 % der insgesamt 1576 Leitungspersonen von den 1109 untersuchten fxC solche „licensed lay“ sind (vgl. George Lings, 2016, 177). 542 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 280. 543 In den „Kennzeichen“ für „Erprobungsräume“ findet sich jedoch eine ähnliche Ausrichtung, wie bei Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong: „Sie [die „Erprobungsräume“, Anmerkung R.J.K.] durchbrechen die volkskirchliche Logik an mindestens einer der folgenden Stellen: Parochie, Hauptamt, Kirchengebäude“ (Homepage EP c).
5. Indikatoren, Kriterien, Maßstäbe für ergänzende Gemeindeformen
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Bedeutung für sich begreif[en] und sich mit dieser auseinandersetz[en]“544). Darüber hinaus wird Partizipation auch auf struktureller Ebene fokussiert: Wie können Mitglieder am „gemeindlichen Geschehen“ teilhaben545? Hier liegt ein Potential ergänzender Gemeindeformen (sowie generell von Gemeinde), das in den Indikatoren für fxC nicht deutlich wird.546 Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong begründen dieses Kennzeichen mit Rückgriff auf reformatorische Theologie: Das Christentum insgesamt, besonders in reformatorischer Prägung, betont zu Recht die Mündigkeit und Verantwortlichkeit der einzelnen Christin und des einzelnen Christen. Eine Gemeindestruktur, die von ihrer Ordnung her oder auch nur aufgrund informeller Gepflogenheiten keine aktive, verantwortliche Mitarbeit der Gemeindemitglieder ermöglicht, widerspricht evangelischen Einsichten.547
Gleichzeitig wird an dieser Stelle darauf verwiesen, dass Mitarbeit und Engagement „nicht zum Kriterium von Kirchen- oder Gemeindemitgliedschaft“ gemacht werden darf.548 Ob und inwiefern jemand zu einer Ausdrucksform kirchlichen Lebens gehört, sollte sich also unabhängig von dem eigenen Engagement entscheiden und zudem unabhängig von der eigenen Bindung an eine in dieser Ausdrucksform entstehenden Gemeinschaft sein549.
5.3.3 Organisatorische Prinzipien Darüber hinaus skizzieren Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong als dritten und letzten Bereich „organisatorische Prinzipien“550, oder auch „Kennzeichen“551, die sie als „kulturell abhängig, jedoch theologisch angemessen“552 544 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 280. 545 Vgl. ebd., 281. 546 Dieses Potential ist auch bei den vier Merkmalen, die für Gemeinden auf Zeit formuliert wurden, zentral, so dass alle vier Merkmale grundlegend darauf ausgerichtet sind, Partizipation in unterschiedlichen Dimensionen zu ermöglichen (▶ Kapitel VI, 2.2.1). 547 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 281. 548 Ebd. 549 „Zwar braucht der christliche Glaube eine Gemeinschaft, für die die verfasste Gemeinde eine gute Möglichkeit bildet, theologisch muss diese Gemeinschaft aber nicht zwingend die verfasste Gemeinde sein. Ob der persönliche Glauben auch ohne die aktive Beteiligung am gemeindlichen Leben lebendig bleiben kann, ist letztlich (in der Perspektive der Kirchen der Reformation, vgl. 4.1.3. und 4.1.4.) keine Frage kirchlicher Beurteilung, sondern eine Frage des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch“ (ebd., 281). 550 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 275. 551 Vgl. ebd., 276. 552 Vgl. ebd.
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beschreiben, und ihnen somit zwar Aufmerksamkeit, aber zugleich auch weniger Verbindlichkeit für „kirchliche […] Sozialformen, die als ‚Gemeinde‘ bezeichnet werden können“553, beimessen. Indem sie davon sprechen, dass die organisatorischen Prinzipien einer Gemeinde „kulturell abhängig seien“554, zeigt sich, dass auch bei Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt der Aspekt der Kontextualisierung wesentlich ist, der ausgehend von den Indikatoren der fxC als zentral benannt wurde. Sie haben jedoch eine gänzlich andere Sichtweise auf die Möglichkeiten, wie Kontextualisierung erfolgen könne sowie müsse. Eine Gemeinde • besitzt eine eigenständige Leitungs- und Vertretungsstruktur (Prinzip der organisatorischen Einheit), • ist an der gegenseitigen Leitungs- und Steuerungspartizipation von lokaler Gemeinde und regionaler Kirche beteiligt (Prinzip der organisatorischen Wechselseitigkeit).555
Es geht in diesem letzten Bereich hinsichtlich des Gemeindebegriffs um die Eigenständigkeit einer kirchlichen Sozialgestalt in der „Gestaltung der gemeindlichen Vollzüge“556 sowie zugleich um die Einbettung einer kirchlichen Sozialgestalt in die gesamtkirchlichen Vollzüge im Sinne der Of-Dimension. Damit steht der Kernaspekt dessen, was für das Ideal einer mixed economy – also einer Kirche in vielfältiger Gestalt, wie sie anhand unterschiedlicher möglicher Organisationsmodelle beschrieben wurde (▶ Kapitel VI, 3) – entscheidend ist, im Fokus. Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong weisen darauf hin, dass „[d]ieses Kriterium […] insofern gesondert bedacht werden [muss], als mit ihm die Gefahr besteht, bestimmte Formen von Gemeinde vom Gemeindebegriff auszuschließen, weil sie gegenwärtig eine solche Leitungs- und Vertretungs-
553 Vgl. ebd., 275 f. 554 Vgl. dazu auch die Auseinandersetzungen in der EKiR mit dem von Eberhard Hauschildt formulierten Gemeindebegriff, die dies noch einmal deutlich werden lassen: „Gemeinden haben es zugleich dabei je mit den örtlichen Verhältnissen in einem bestimmten Zeitraum ihrer Gegenwart zu tun und kontextualisieren hier das Evangelium und die Kirche. Gemeinde wird gestaltet im Wandel der Verhältnisse und bezogen auf das, was jeweils jetzt nötig und möglich ist; sie soll ‚situationsgemäß‘ handeln“ (EKiR, 2017a, 14). 555 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 276. Das vierte Merkmal, das für Gemeinden auf Zeit formuliert wurde, ist kongruent dazu zu verstehen: „Gemeinden auf Zeit haben ein organisiertes Setting. Sie sind im (Verantwortungs-)Bereich der Kirche situiert oder mit ihr verknüpft, sie kennen professionelle Leitungsrollen oder Verantwortlichkeiten“ (Peter Bubmann u. a., 2016, 315). 556 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 282.
5. Indikatoren, Kriterien, Maßstäbe für ergänzende Gemeindeformen
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struktur nicht haben.“557 Hier seien nicht theologische, sondern kirchenrechtliche Entscheidungen gefragt. Im Zweifelsfall müsse dafür von kirchlichen Verantwortungs- und Entscheidungstragenden eine Rechtsform kreiert werden. Insbesondere dann, wenn eine kirchliche Organisationsform ansonsten alle Kriterien des Gemeindebegriffs erfülle.558 Es geht um den offiziellen Status einer kirchlichen Ausdrucksform innerhalb der Gesamtkirche, so dass sie an gesamtkirchlichen Prozessen partizipieren kann.559 Partizipation bedeute dabei jedoch nicht nur teil-nehmen sondern auch teil-geben. Dieser Aspekt wurde zuvor noch nicht konkret benannt, erscheint jedoch durchaus wesentlich für Prozesse, wo es um die Frage der Anerkennung einer Sozialgestalt des christlichen Glaubens innerhalb der Kirche als Gemeinde geht. Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong explizieren diesen Aspekt durch das „Prinzip der Wechselseitigkeit“. Dabei gehe es um das Verhältnis dieser kirchlichen Organisationsform zur nächstgrößeren organisatorischen Einheit der Kirche (beispielsweise zum Kirchenkreis). Hier plädieren sie dafür, dass es beidseitige Vereinbarungen über Entscheidungskompetenzen beider Ebenen geben solle und keine Gemeinde Ressourcen und Entscheidungen ganz allein verantworten solle.560
5.3.4 Bündelung der wesentlichen Aspekte der „Kriterien für den Gemeindebegriff “ Auch die Ausführungen von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt lassen sich ebenso wie die Indikatoren für fxC in vier Aspekten, die sich an den vier Beziehungsdimensionen orientieren, zusammenfassen. Sie zeigen dabei jedoch an einigen Stellen andere Akzentuierungen oder Ergänzungen zu den Indikatoren, die im Folgenden benannt werden:
557 Ebd. 558 „Wenn eine kirchliche Organisationsform alle anderen Kriterien des Gemeindebegriffs erfüllt, sollte geprüft werden, inwieweit sich für diese nicht ein eigenständiges Leitungs- und Vertretungsorgan konstituieren lässt. Es kann die Rechtsform eines Kirchenvorstandes und einer Gemeindeversammlung haben, dies ist in theologischer Perspektive aber nicht zwingend, sondern historisch kontingent. Die eigenständige Verantwortung muss korrespondieren mit einem gesamtkirchlichen Bezug, der auch unterschiedliche Leitungsebenen einschließt und ein kritisches Gespräch mit außenstehenden Menschen“ (ebd. ). 559 Vgl. hierzu auch die Frage „What LEGAL STATUS [Hervorhebung im Original] does the fresh expression planted have?“ aus dem Fragebogen für fxC (vgl. Church Growth Research, 2013, 107 sowie questionnaire, 2), die neben der nur im älteren Fragebogen vorkommenden Frage „What level of Diocesan PERMISSION [Hervorhebung im Original] does the fresh expression have?“ (Church Growth Research, 2013, 107) Aufschluss über diesen Aspekt der strukturellen Einbindung geben kann. 560 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 282 f.
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a) Up-Dimension Als erste geistliche Grundlage wird der Christusbezug als „christologische Grundlage“ skizziert, so dass diese Dimension expliziter als in den Indikatoren der fxC direkt in den Fokus gerät. Bezüglich der Ausprägung dieser Dimension wird der reformatorische Artikel CA VII im Sinne der regelmäßigen gottesdienstlichen Feier einschließlich des Abendmahls als wesentliches „institutionelles Kennzeichen“ aufgeführt, sofern eine Sozialgestalt des christlichen Glaubens aus Sicht der Evangelischen Kirche als Gemeinde anerkannt und ihr in diesem Sinne ekklesiologische Qualität zugesprochen werden soll. b) Of-Dimension Statt eines ekklesiologischen Selbstverständnisses im Sinne der Ausbildung einer eigenen Identität, die sich nicht nur in der Ausbildung von Strukturen äußert, steht hier vielmehr das „Prinzip der Wechselseitigkeit“ im Fokus. Zudem geht es bei der Ausbildung von Strukturen maßgeblich darum, Partizipation „am gemeindlichen Geschehen“ zu ermöglichen. Dies betreffe sowohl die Ausbildung von (Leitungs-)Strukturen als auch die Prozesse, in denen Glaube sich ereignen und entwickeln kann. Zurückgeführt wird dieser Ansatz auf die reformatorische Prägung, die das Recht zur Mündigkeit und Verantwortlichkeit der einzelnen christlichen Person betone. c) In-Dimension Reformatorische Prägung zeigt sich auch hinsichtlich des Gemeinschaftsverständnisses, das vom rechtfertigungstheologischen Aspekt bestimmt erscheint: (Insbesondere soziale) Unterschiede werden aufgehoben durch das durch Gnade unterschiedslose Angenommensein vor Gott. So ist das, was Gemeinschaft konstituiert, der gemeinsame Bezug auf gleiche Inhalte und weniger der Rhythmus oder die Dauerhaftigkeit der gemeinschaftlichen Sozialformen, die dafür gewählt werden. d) Out-Dimension Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt öffnen den Blick dafür, dass Kontextualisierung nicht nur verbunden mit einer Zielgruppenorientierung an „non-church goers“ deutlich werden kann oder notwendig erscheint, sondern bei der Ausbildung eigener gemeindlicher Strukturen und organisatorischer Prinzipien grundlegende Voraussetzung ist. Bezüglich der Beschreibung der für die Out-Dimension wesentlichen Aspekte, unterscheiden sie sich insbesondere auf der sprachlichen Ebene von den Indikatoren, indem sie nicht von „Evangelisation“ oder „Jüngerschaft“, sondern von einer die „eigenen Grenzen überschreitenden Kommunikation des Evangeliums“ und der „Alltagsrelevanz des christlichen Glaubens“ sprechen.
5. Indikatoren, Kriterien, Maßstäbe für ergänzende Gemeindeformen
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Geprägt sind sie dabei ebenso wie die FE-Bewegung von einem missionstheologischen Verständnis im Sinne der Missio Dei. Entsprechend des Kontexts, in dem und für den die Autorin und der Autor diese „Kriterien für Gemeinde“ formulieren, zeigen diese sich im Gegenüber zu den in der Church of England formulierten Indikatoren für fxC von einem reformatorisch geprägten Gemeindeverständnis gekennzeichnet. Überwiegend ergänzt dies die ausgehend von den Indikatoren für fxC herausgearbeiteten Aspekte um andere Sichtweisen und theologische Akzentuierungen, an keiner Stelle schließen sich die Ausführungen zu den benannten „Indikatoren“ oder den „Kriterien“ grundsätzlich aus.561 Der Aspekt, Entwicklungsprozesse hinsichtlich ekklesialer Reife bei der Untersuchung ekklesiologischer Qualität bewusst wahrzunehmen und einer Ausdrucksform des Glaubens zuzugestehen, bleibt dabei ein Spezifikum der FE-Bewegung, das für das vorliegende Forschungsvorhaben und den Kontext in Deutschland eine sinnvolle Inspiration und Ergänzung darstellt. Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong schlussfolgern zu den von ihnen formulierten Kriterien, dass dadurch der „Gemeindebegriff einerseits theologisch präzisiert, andererseits organisatorisch geöffnet [werde].“562 Offen bleibt jedoch, inwiefern ihre Überlegungen in aktuelle Debatten von Landeskirchen einfließen und Veränderungen mit Blick auf die Anerkennung kirchlicher Arbeitsformen sowie gegebenenfalls junger Sozialgestalten des christlichen Glaubens als Gemeinde bewirken. Im folgenden Fazit (▶ Kapitel VII) geht es nun ausgehend von den Ausführungen des gesamten kirchentheoretischen TEIL B darum, zu bündeln, welche Aspekte für die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität von ergänzenden Sozialgestalten des christlichen Glaubens maßgeblich zu berücksichtigen sind. Den Ergebnissen der eben analysierten Indikatoren und Kriterien (sowie Kennzeichen und Merkmalen) kommt dabei ein besonders zentraler Stellenwert zu.
561 Auch wenn die Interpretation von „word and sacraments“ als „practices“ von Michael Moynagh in der FE-Bewegung, die sich indirekt auf die in CA VII benannten Kennzeichen von Kirche zu beziehen scheint, durchaus kritisch zu beurteilen ist (▶ Kapitel VI, 1.2). 562 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 283.
VII Fazit
Kennzeichen von Kirche und Gemeinde Die Suche nach Kennzeichen von Kirche ist wieder aktuell. In kirchentheoretischen Diskursen und landeskirchlichen Prozessen zeigt sich der Rückgriff auf im Laufe der Geschichte formulierte Kennzeichen und Grunddimensionen von Kirche sowie insbesondere im evangelischen Kontext in Deutschland auf die im Zuge der Reformation formulierten Notae ecclesiae. Zugleich kann eine damit verbundene Auseinandersetzung mit neu zu formulierenden Kennzeichen, Indikatoren, Merkmalen oder auch Kriterien beobachtet werden, wenn es um ergänzende kirchliche Sozialgestalten geht. Dabei kommt zudem die Frage auf, was Gemeinde ist und inwiefern auch dieser Begriff durch Kriterien neu definiert werden muss oder im Horizont von Merkmalen oder Indikatoren neu entdeckt sowie gefüllt werden kann. Schon die zu Beginn dieses Teils skizzierten kirchenrechtlichen Perspektiven zum Kirchen- und Gemeindebegriff (▶ Kapitel V, 2) zeigen, wie zentral der Begriff und das Gemeindeverständnis im Kontext der Evangelischen Kirche in Deutschland ist. So macht es für das parochiale Modell ergänzende kirchliche Sozialformen einen wesentlichen Unterschied, ob diese selbst als Gemeinde beurteilt werden oder nicht. Dementsprechend gilt es folglich, nicht nur Kennzeichen für Kirche, sondern auch für Gemeinde zu benennen: Hierin sind ▶ Kapitel V, 1 und ▶ Kapitel VI, 5 direkt aufeinander bezogen. Gemeinschaft als Kriterium für den Gemeindebegriff Zumeist wird mit dem Begriff Gemeinde das Idealbild einer kontinuierlichen, verbindlichen (und zum Teil familiären) Gemeinschaft assoziiert und mit der Organisationsform der Parochialgemeinde verbunden. Insbesondere im aktuellen kirchentheoretischen Diskurs zeigt sich der Gemeindebegriff jedoch neben der Voraussetzung, dass er Gemeinschaft ermögliche, zugleich von verschiedenen Spannungsverhältnissen insbesondere hinsichtlich zeitlicher und sozialer Dimensionen der Gemeinschaftsformen herausgefordert. Einerseits hat Gemeinde als sozialer Träger zur Erhaltung und Weitergabe der christlichen Religion, die sich als missionarische Religion versteht und dementsprechend nicht auf das Fortbestehen und Weitergeben verzichten kann, in diesem Sinne eine soziologische sowie auch ekklesiologische Notwendigkeit. Davon ausgehend kann auf eine verlässliche und von Dauer geprägte Form der Gemeinschaft im Sinne von Gemeinde nicht verzichtet werden. Zugleich wird bei der Ana-
VII Fazit
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lyse gesellschaftlicher Veränderungen und individueller Lebensläufe deutlich, dass Kirche zudem ergänzende Sozialgestalten benötigt, um Menschen, deren Lebensgestaltung es nicht zulässt, dauerhaft an einer Gemeinschaft zu partizipieren, fluidere Ein- und Ausstiege mit Blick auf Zugehörigkeit und Partizipation zu ermöglichen. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn Kirche gemäß ihrem bisherigen Selbstverständnis und formulierten Auftrag weiterhin Menschen während ihres gesamten Lebens trotz diverser Übergänge, die es dabei häufig zu gestalten gilt, Begleitung, Teilnahme und Beteiligung ermöglichen will. Insbesondere im Kontext dieses Forschungsvorhabens, das sich vor allem für die Lebenssituation Junge Erwachsene interessiert, gilt es, dies wahrzunehmen. Entscheidende Erkenntnis ausgehend von den in diesem Teil der Arbeit erfolgten Auseinandersetzungen mit kirchentheoretischen Entwürfen und Perspektiven sowie Merkmalen oder Kriterien für den Gemeindebegriff ist, dass Gemeinde in dem Sinne als Gemeinschaft zu begreifen ist, dass sich Gemeinschaft durch die gemeinsame Interaktion mit dem Wort Gottes konstituiert. Verbundenheit entsteht durch diesen gemeinsamen Bezug. Dieser kann dementsprechend punktuell sowie auch kontinuierlich und durch verbindliche Beziehungen geprägt Gemeinschaft erlebbar werden. Die zeitliche Dimension des Gemeinschaftsaspekts ist aus theologischer Perspektive der inhaltlichen Bestimmung nachgeordnet. So ist es für den Gemeindebegriff zunächst nicht entscheidend, wie regelmäßig oder auch unregelmäßig sich Gemeinschaft in diesem Sinn ereignet und ob die Personen verbindliche Beziehungen miteinander eingehen oder nicht. Sondern zur Gemeinde führt die gemeinsame Interaktion mit dem Wort Gottes. Ganz praktisch kommt jedoch die Frage auf, wie Menschen auch punktuell an Gemeinde in diesem Sinn partizipieren können sollen, wenn diese nicht durch eine kontinuierliche Gemeinschaft gestaltet wird? Es scheint insbesondere in den Ansätzen zu liquiden kirchlichen Sozialgestalten so, dass sie letztlich doch wieder auf das amtskirchliche Paradigma setzen und davon ausgehen, dass hauptamtliche Personen punktuelle Andockmöglichkeiten an Glaubens- und Gemeinschaftserfahrungen jederzeit vorhalten. Natürlich kann sich die Begegnung mit dem Wort Gottes auch unabhängig von Gemeinschaftserfahrungen als gänzlich individuelles Erlebnis ereignen. An dieser Stelle ist dann jedoch nicht mehr der Gemeindebegriff zu bemühen. Der Gemeindebegriff ist aus theologischer Perspektive dementsprechend nicht auf eine Sozialform oder ein Gemeinschaftsideal festgelegt, jedoch darauf angewiesen, dass sich der gemeinschaftliche Bezug auf das Wort Gottes regelmäßig ereignet, so dass Menschen daran sowohl kontinuierlich als auch punktuell (und auch in Zukunft!) partizipieren können. Dies kann im Fazit des kirchentheoretischen Teils dieser Arbeit als Grundkriterium für den Gemeinde-
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VII Fazit
begriff formuliert werden. Und genau dies gilt es zu berücksichtigen, wenn es darum geht, ob ergänzende kirchliche Sozialgestalten Gemeinde sind oder nicht. Ekklesiale Reifungsprozesse statt Reife als Kriterium für den Gemeindebegriff Gemeinde ist im Sinne dieser Arbeit kirchenrechtlich als eine Einheit von Kirche als Gesamtsystem klar definiert (insbesondere für den spezifischen Forschungskontext in der EKiR), zugleich bleibt Gemeinde dabei Suchbegriff. Denn auch die kirchenrechtliche Definition hat sich, gemäß ihres Auftrag[s], der Kommunikation des Evangeliums zu dienen […], daran messen [zu] lassen, ob […] [sie] zu diesem Kommunikationsauftrag bestmöglich beiträgt. […] Mit anderen Worten: Das Kirchenrecht findet in der Kommunikation des Evangeliums sein Kriterium und sein Veränderungspotential.1
So zeigt sich an einigen Stellen, dass auch aus kirchenrechtlicher Perspektive die Definition von Gemeinde als Kirchengemeinde in ihrer parochialen Verfasstheit hinsichtlich ihrer Zeitgemäßheit neu diskutiert wird.2 Einzelne Forschungsbeiträge, wie vor allem der von Uta Pohl-Patalong3, haben bereits dazu beigetragen, den Gemeindebegriff durch strukturelle Vielfalt hinsichtlich des Ortsbezugs zu weiten. Entwürfe, die sich hingegen stärker mit den zeitlichen Dimensionen des Gemeindebegriffs auseinandersetzen, lösen den Gemeinschaftsbegriff vom Postulat der Kontinuität. Gleichzeitig wird in diesen Ansätzen häufig der Gemeindebegriff selbst aus dem Blick verloren, so dass die Auseinandersetzungen eher allgemein ergänzende kirchliche (nichtparochiale) Sozialgestalten fokussieren. Wesentlich erscheint für das Verständnis von Gemeinde jedoch zudem die Beobachtung, dass in der Church of England im Rahmen der FE-Bewegung der Kirchen- bzw. Gemeindebegriff von Entwicklungsprozessen geprägt ist. Hier erfolgt eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage nach der ekklesialen Reife einer Ausdrucksform christlichen Lebens. Diese Auseinandersetzung fokussiert dabei sowohl neu entstehende Gemeindeformen sowie auch 1
Vgl. Rainer Mainusch, 2016, 5 f. Vgl. hierzu auch den Hinweis auf Kirchenrecht als „Ermöglichungsnorm“ in ▶ Kapitel VI, 3.1. 2 Vgl. dazu beispielsweise den Prozess in der EKiR „Gemeinde formen“ (▶ Kapitel V, 2.1 und VI, 5.1) sowie die Ausführungen von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt zu den von ihnen formulierten „Kriterien für Gemeinde“, in denen zum Teil die kirchenrechtliche Einordnung ergänzender kirchlicher Sozialgestalten sowie notwendige Veränderungen diskutiert werden (▶ Kapitel VI, 5.3). 3 Dies gilt in Bezug auf ihren Beitrag allerdings nur, wenn man dabei die Aktualisierung von dem Konzept kirchliche Orte berücksichtigt, wie sie in dem von ihr mit Eberhard Hauschildt gemeinsam veröffentlichten Lehrbuch „Kirche“ skizziert wird.
VII Fazit
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Gemeindeformen, die schon lange in der vertrauten parochialen Verfasstheit existieren: „‚When does something become Church?‘ is a current question.“4 Wann kann einer Ausdrucksweise gemeindlichen Lebens ekklesiologische Qualität zu- oder auch abgesprochen werden? In einer aktuelleren Veröffentlichung der Church Army’s Research Unit zu fxC, „The Day of Small Things“ (2016), weist George Lings darauf hin, „that, in the past, the question ‚when is something church?‘ has been treated as analogous to asking what is it to be a ‚fully mature adult?‘“5 Hier deutet sich ein Link zwischen TEIL A und TEIL B dieser Forschungsarbeit an: In ▶ TEIL A wird diskutiert, inwiefern junge Menschen nicht mehr durch Erfüllung der für den Erwachsenenstatus als erforderlich definierten Entwicklungsaufgaben an konventionellen Normen und Erwartungen orientiert ins Erwachsenenalter hineinreifen, sondern sich Entwicklung in diversifizierten und zum Teil zirkulären Übergängen ereignet und damit herausfordert, neu zu definieren, was als vollentwickelt und in dem Sinne als erwachsen gilt. Analog dazu erfolgt in ▶ TEIL B die Auseinandersetzung mit der Frage, ab wann eine sich entwickelnde Ausdrucksform christlichen Lebens als Gemeinde im Sinne der Evangelischen Kirche anerkannt wird. An dieser Stelle ist mit dem Modell Kirche als Hybrid darauf hinzuweisen, dass Entwicklungsprozesse auch bedeuten, dass eine Ausdrucksform des Glaubens geprägt von der Handlungslogik der Bewegung beginnen kann, dann jedoch zunehmend institutionalisierende Tendenzen ausbildet, um ihren Fortbestand zu sichern und sich so immer stärker zu einer Sozialgestalt entwickelt, die von institutionellen Handlungslogiken geprägt ist. Diese Dynamik hin zur Institutionalisierung ist insbesondere hinsichtlich der offensichtlich vorhandenen Sehnsucht nach liquideren Ausdrucksformen des Glaubens zu berücksichtigen, wie insbesondere Kees de Groot im Kontext von liquid church erwähnt. Das Selbstverständnis als zentrale Kategorie ekklesiologischer Qualität Die anglikanische Perspektive auf die sich in der Entwicklung befindende ekklesiologische Qualität eröffnet neue Perspektiven für die Debatte um den Gemeindebegriff in Deutschland. Wie können bei der Aktualisierung des Gemeindeverständnisses Entwicklungspotentiale hinsichtlich ekklesialer Reife und ekklesiologischer Qualität berücksichtigt werden? Eine wesentliche Spur liegt darin, den Blick für die Intention und das Selbstverständnis der jewei-
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Vgl. dazu erneut die Frage, die George Lings dazu formuliert (George Lings, 2017, 89). George Lings, 2016, 21.
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VII Fazit
ligen Ausdrucksform christlichen Lebens zu schärfen. Ausgehend von den Erfahrungen und Studien der Church of England bezüglich fxC müssen das ekklesiologische Selbstverständnis und die damit einhergehende Entwicklung von Selbstständigkeit in organisatorischen Elementen, die auch in den von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong formulierten „Kriterien für Gemeinde“ eine entscheidende Rolle spielt, zu einer zentralen Kategorie bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität einer Sozialgestalt christlichen Lebens werden. Die Bedeutsamkeit eines ekklesiologischen Selbstverständnisses hat sich darüber hinaus auch an anderen Stellen dieses Kapitels gezeigt, wie beispielsweise im Ansatz Regio-lokaler Kirchenentwicklung hinsichtlich der mittleren Gestaltungsebene. Vier grundlegende Merkmale ekklesiologischer Qualität im Sinne von Gemeinde Ausgehend von den wesentlichen Erkenntnissen dieses kirchentheoretischen Teils der Arbeit sowie insbesondere der Beschäftigung mit unterschiedlichen Entwürfen von Kriterien, Indikatoren, Merkmalen und Kennzeichen für ergänzende kirchliche Ausdrucksformen sowie den Gemeindebegriff, lassen sich vier Merkmale ableiten, die für das Verständnis von Gemeinde im Kontext dieser Arbeit und für die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität junger Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens als wesentlich erachtet werden: 1) Bezug auf Christus – Up-Dimension Der Bezug auf Christus ist die grundlegende Voraussetzung dafür, eine Ausdrucksform des Glaubens überhaupt „christlich“ zu nennen. Es ist also eine in dem Sinne vorgeordnete Dimension, die für alle christlichen Ausdrucksformen des Glaubens gilt, auch für diejenigen, die keine ekklesiologische Qualität aus Perspektive der Evangelischen Kirche aufweisen. Die Gestaltung dieser Beziehungsdimension von Kirche kann sich implizit in Haltungen sowie explizit in unterschiedlichen Praktiken äußern. Die sich im – für das reformatorische Verständnis von Kirche sowie Gemeinde wesentlichen – Artikel CA VII begründende regelmäßige gottesdienstliche Feier einschließlich des Abendmahls, ist dabei entscheidend, um eine Sozialgestalt des christlichen Glaubens aus Sicht der Evangelischen Kirche Gemeinde zu nennen. Auch die Feier von Taufe gehört dazu. Weitere Formen, in denen sich diese Beziehungsdimension ausdrückt, sind zu erforschen.
VII Fazit
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2) Ekklesiologisches Selbstverständnis – Of-Dimension6 Für die ekklesiologische Qualität im Sinne der Beurteilung der „Reife“ einer Ausdrucksform des christlichen Glaubens ist das Selbstverständnis wesentlich: Inwiefern versteht sich eine Ausdrucksform (oder verstehen sich die Personen, die diese gestalten) selbst als Gemeinde sowie als ergänzender Teil der Kirche in vielfältiger Gestalt? Und inwiefern lässt sich diese Intention in der Entwicklung spezifischer struktureller Elemente erkennen: In der Organisation von Selbstständigkeit, dem Prinzip der Wechselseitigkeit sowie anhand der Ausbildung institutioneller Kennzeichen, die Partizipationsmöglichkeiten sowie Kontinuität sichern können? Hier stehen Elemente organisatorischer und struktureller Selbstständigkeit im Fokus der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass das Selbstverständnis einer Ausdrucksform des Glaubens auch von den Sichtweisen und Deutungen der beteiligten Personen geprägt ist, die es ebenfalls bei der Beurteilung der ekklesiologischen Qualität zu berücksichtigen gilt. Sollte eine Ausdrucksform des Glaubens weder Merkmale noch Bestrebungen in dieser Beziehungsdimension bezüglich Selbstständigkeit und Selbstverständnis erkennbar werden lassen, ist es nur schwer möglich, von einer ekklesiologischen Qualität dieser Ausdrucksform des Glaubens zu sprechen. In diesem Sinne ist die Of-Dimension besonders zentral. Es gilt dabei jedoch, zu berücksichtigen, dass sich die ekklesiale Identität einer Initiative sowie ihre gemeindlichen Grundvollzüge erst entwickeln müssen. Ekklesiale Reife ist kein zu erlangender Status, der fortan gegeben ist, sondern vielmehr als fortlaufender Prozess zu verstehen. 3) Sendungsbewusstsein – Out-Dimension Auch diese Beziehungsdimension ist für die ekklesiologische Qualität einer Ausdrucksform des Glaubens wesentlich. Inwiefern begreift sie sich selbst als (von Gott sowie gegebenenfalls auch von einem anderen Teil von Kirche) ausgesandt und wie gestaltet sie ihre Sendung? Dies kann sich sowohl in der Orientierung an einem Kontext sowie einer spezifischen Zielgruppe äußern oder sich an weiteren Zielen oder Visionen, die angestrebt werden, zeigen. Fokus dieser Dimension ist, dass eine Initiative ihre eigenen Grenzen bei der Kommunikation des Evangeliums überschreitet und anderen Partizipationsmöglichkeiten eröffnet. So zeigt sich diese Dimension ganz wesentlich in den Angeboten und Formaten sowie Organisationsstrukturen einer Ausdrucksform des Glaubens,
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Das ekklesiologische Selbstverständnis ist auf alle vier Beziehungsdimensionen von Kirche zu beziehen (up, in, out, of), zeigt sich jedoch insbesondere in der Gestaltung der Of-Dimension.
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die Zugänge und Teilhabe eröffnen oder auch erschweren können. Aufgrund des Selbstverständnisses der christlichen Religion als missionarische Religion, ist die Kirche auf Erhalt durch Weitergabe angewiesen und kann in diesem Sinne nicht auf die Out-Dimension verzichten. 4) Gemeinschaft – In-Dimension Gemeinschaft entsteht durch die gemeinsame Interaktion in Bezug auf das Wort Gottes und ist in diesem Sinne für den Gemeindebegriff konstitutiv. Ausdrucksformen, die unverbundenen Einzelnen ausschließlich individuelle Glaubenserfahrungen eröffnen oder Gemeinschaft ausschließlich ohne Bezug zum Evangelium zelebrieren, kann keine ekklesiologische Qualität zugesprochen werden. Unter dem Begriff Gemeinde können jedoch von Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit geprägte Gemeinschaftsformen ebenso wie solche, die situativ-punktuelle Begegnungen und Erlebnisse ermöglichen, verstanden werden. Ob dazu personale Präsenz im Sinne von Leiblichkeit und ein konkreter Ortsbezug, der nicht im Bereich sozialer Medien „verortet“ ist, entscheidend ist, oder ob auch in dieser Hinsicht vielfältige Formen zu begrüßen sind, wurde im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend diskutiert. Im folgenden Teil gilt es, bezüglich dieses Aspekts zunächst wahrzunehmen, welche Formen der Vergemeinschaftung (auch in der so genannten virtuellen Welt) auffindbar sind. Aus-Blick auf das „größere Ganze“ Unterschiedliche Entwürfe und diskutierte Ansätze tragen zu einer strukturellen Vielfalt kirchlicher Ausdrucksformen sowie einer gleichberechtigten ekklesiologischen Qualität dieser als Ergänzung der Parochialgemeinde bei. Ausgehend davon wurde in TEIL B dieser Arbeit zudem diskutiert, wie Kirche als Gesamtsystem diese neue Vielfalt ermöglichen, integrieren oder auch strukturieren kann. In der Beschäftigung mit unterschiedlichen Organisationsmodellen (▶ Kapitel VI, 3) wurde dementsprechend die Perspektive des Forschungsvorhabens um den Blick auf das „größere Ganze“ geweitet: Inwiefern kann das, was im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird, als Teil dieses größeren Zusammenhangs verstanden werden? Dies ergänzt die im dritten Aspekt skizzierte OfDimension um die gegenteilige Perspektive: von Kirche auf diese potentiell ergänzende gemeindliche Lebensform. In der Beschäftigung mit unterschiedlichen Ansätzen zur Organisation von Kirche wurde insbesondere deutlich, wie zentral „die Ressource Mensch“ dabei ist, ob Neues entstehen und Veränderungs- und Ergänzungsprozesse gelingen können. Dabei werden persönliche Beziehungsnetzwerke, Charaktermerkmale, Fähigkeiten sowie die persönliche spirituelle Haltung, ebenso wie die Chance, sich professionell mit der je eigenen (neuen) Rolle im Gesamtprozess auseinandersetzen und Kompetenzen aneignen zu können, sowie zudem das von
VII Fazit
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einzelnen Personen geprägte Selbstverständnis einer kirchlichen Ausdrucksform, als gleichermaßen wichtig herausgestellt. Dementsprechend erscheint es folgerichtig, abschließend zu resümieren, dass die skizzierten Herausforderungen und Veränderungen nicht allein aus der Institutionslogik von Kirche heraus gestaltet werden können. Sondern dass dazu insbesondere die Handlungslogik der Bewegung – wie im Modell Kirche als Hybrid analysiert – erforderlich ist, in der (u. a. „charismatische“) Personen im Fokus stehen, von denen letztlich die Veränderung ausgeht. Die institutionelle Handlungslogik hingegen kann dafür eingesetzt werden, das zu stabilisieren und zu sichern, was auch in allen Veränderungen unaufgebbarer Wesenskern von Kirche bleibt und sich in der Gestaltung von Gemeinde ausdrückt. Zudem bildet sich hier kein allein struktureller Prozess ab, sondern zeigt sich, dass diesem eine grundlegende spirituelle Dimension innewohnt, die es zu gestalten gilt.
TEIL C: Explorative Studie
VIII Aufbau und Methodik
Der erste Abschnitt (▶ Kapitel VIII) des empirischen Forschungsteils der Arbeit widmet sich der Beschreibung des Aufbaus sowie vor allem der Methodik der angestrebten Studie. In der Einleitung hierzu (▶ Kapitel VIII, 1) werden zunächst die Forschungshypothesen formuliert, die sich aus den ersten beiden Teilen (▶ TEIL A und TEIL B) ergeben und den Ausgangspunkt dieses dritten, empirisch ausgerichteten Teils (▶ TEIL C) bilden. Daran anschließend wird der im Fokus der Studie stehende Forschungsgegenstand skizziert, die darauf bezogene Forschungsfrage formuliert sowie die diesem Gegenstand entsprechende Befragungsgruppe definiert (▶ Kapitel VIII, 2). Die Formulierung der Forschungsziele (▶ Kapitel VIII, 3) knüpft daran sowie an den Hypothesen an. Der folgende Teil skizziert das Forschungsdesign und damit die grundlegende Methodenwahl, die zur Verfolgung der Forschungsziele sinnvoll erscheint (▶ Kapitel VIII, 4). Davon ausgehend wird die spezifischere methodische Herangehensweise zur Erhebung der Daten erläutert (▶ Kapitel VIII, 5). Dabei werden sowohl die gewählten Befragungsformen (▶ Kapitel VIII, 5.1), die entsprechenden Fragedesigns (▶ Kapitel VIII, 5.2) sowie die Durchführung der Befragungen skizziert (▶ Kapitel VIII, 5.3). In einem letzten Schritt wird die methodische Herangehensweise zur Auswertung der Daten erläutert (▶ Kapitel VIII, 6), bevor dann im zweiten Abschnitt (▶ Kapitel IX) des empirischen Forschungsteils die Auswertung der erhobenen Daten im Fokus steht. An einigen Stellen verweisen die Ausführungen von TEIL C und TEIL D auf nähere Angaben und Daten in den entsprechenden Anhängen. Diese sind überwiegend online abrufbar über folgenden Link: https://www.vandenhoeckruprecht-verlage.com/spannungsfeld. Passwort: ku2HSDtt.
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VIII Aufbau und Methodik
1. Einleitung: Hypothesen Als Scharnier zwischen dem theoretischen und empirischen Forschungsteil dieser Arbeit fungieren zwei Hypothesen. Sie sind aus den theoretischen Auseinandersetzungen (▶ TEIL A und TEIL B) als Ertrag abgeleitet und bilden den Ausgangspunkt des empirischen Forschungsteils. Hypothese 1 Die erste Hypothese, die im empirischen Teil dieser Arbeit leitend sein wird, wurde bereits als Resümee zum soziologischen Forschungsteil formuliert (▶ Kapitel IV): Wenn sich im Leben junger Erwachsener aktuell nur eine geringe Relevanz von Kirche beobachten lässt, dann haben von ihnen maßgeblich geprägte Ausdrucksweisen des Glaubens keine ekklesiologische Qualität. Was unter ekklesiologischer Qualität zu verstehen ist, wurde in den ▶ Kapiteln V und VI diskutiert und in ▶ Kapitel VII letztlich definiert. Die dort skizzierten Merkmale sind somit den folgenden Ausführungen zugrunde zu legen. Zudem lässt sich aus den kirchentheoretischen Auseinandersetzungen in ▶ TEIL B eine zweite Hypothese ableiten: Hypothese 2 Das ekklesiologische Selbstverständnis von Ausdrucksformen des christlichen Glaubens ist ein wichtiger Faktor der ekklesiologischen Qualität. Es kann sich in der Ausbildung struktureller Merkmale der Selbstständigkeit äußern, ist jedoch insbesondere durch subjektive Sichtweisen und Deutungen der beteiligten Personen geprägt. Inwiefern die Überprüfung dieser Hypothesen im Rahmen einer explorativ angelegten Studie vorgenommen wird, wird im Folgenden skizziert.
2. Forschungsgegenstand und Forschungsfrage Forschungsgegenstand Während sich die theoretischen Teile dieser Arbeit nacheinander mit den einzelnen Gegenständen Junge Erwachsene (▶ TEIL A) und Kirche (▶ TEIL B) beschäftigt haben, geht es im empirischen Teil dieser Arbeit (TEIL C) nun um den sich daraus ergebenden Forschungsgegenstand: durch Junge Erwachsene maßgeblich geprägte Ausdrucksformen des christlichen Glaubens.
2. Forschungsgegenstand und Forschungsfrage
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Dieser Forschungsgegenstand soll zunächst aufgespürt und in einem zweiten Schritt hinsichtlich seiner ekklesiologischen Qualität inklusive des ekklesiologischen Selbstverständnisses untersucht werden. Forschungsfrage Die primäre Forschungsfrage des empirischen Teils lautet ausgehend von den formulierten Hypothesen: Gibt es durch junge Erwachsene maßgeblich geprägte Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens mit ekklesiologischer Qualität?1 Nachgeordnet ist die sich aus der zweiten Hypothese ergebende Frage bezüglich einer Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses: Was lässt sich zum ekklesiologischen Selbstverständnis der untersuchten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens herausfinden?2 Befragungsgruppe Die Wahrnehmung des Forschungsgegenstands wird im Rahmen dieser Studie aus der Perspektive beteiligter Personen angestrebt. Damit die Antworten der Personen der Befragungsgruppe eine vergleichbare Ausgangslage bieten, werden ausschließlich Personen mit besonderer Verantwortung im Sinne von aktueller Leitungsverantwortung für den Forschungsgegenstand befragt. Da durch die Verantwortung dieser Personen jedoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie diese Ausdrucksform des christlichen Glaubens allein sowie maßgeblich prägen, wird im Rahmen der Befragung hinsichtlich des Kriteriums der maßgeblichen Prägung durch junge Erwachsene nach der größten Gruppe gefragt, mit der die Initiative in Kontakt ist. Es handelt sich dementsprechend um eine sehr spezifische Befragungsgruppe, die durch folgende Kriterien definiert ist. Ihre Zugehörigen tragen: Leitungsverantwortung, • für eine Ausdrucksform des christlichen Glaubens, • die maßgeblich von der Lebenssituation Junge Erwachsene geprägt ist (in dem Sinne, dass junge Erwachsene entsprechend der Definition in ▶ Kapitel II, 4 die größte Gruppe sind, mit der die Initiative in Kontakt ist), • mit ekklesiologischer Qualität (dies ist kein Kriterium der Befragungsgruppe, sondern stellt den zentralen Aspekt der empirischen Untersuchung dar). 1
Das Ergebnis der Studie zu dieser primären Forschungsfrage wird in ▶ Kapitel IX, 4.2 präsentiert. 2 Eine Auseinandersetzung mit dieser zweiten Hypothese und der damit verbundenen Frage findet sich in Form von Analysen zum ekklesiologischen Selbstverständnis des Forschungsgegenstands vor allem in ▶ Kapitel IX, 5.
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VIII Aufbau und Methodik
Da sich das Forschungsvorhaben zudem eine Fokussierung auf die EKiR (vor allem bei der Auswertung der ekklesiologischen Qualität im Sinne des dort diskutierten Gemeindebegriffs) anstrebt, kann als ein weiteres Kriterium ergänzt werden, dass sich der Forschungsgegenstand zudem auf dem Gebiet der EKiR befindet. Dieses Kriterium hat einen nachrangigen Stellenwert, da es für die grundlegende Fragestellung dieses Forschungsvorhabens keine Relevanz hat.
3. Forschungsziele Zugang zum Forschungsgegenstand Das vorrangige Ziel ist ausgehend von Hypothese 1 das Aufspüren des Forschungsgegenstands. Dazu gilt es, in einem unbekannten Feld, das nicht durch eine kirchliche, gemeindliche oder religiöse Organisation oder Institution strukturiert ist, nach diesem Forschungsgegenstand zu suchen. Da es keine Listen oder Verzeichnisse zu dem gesuchten Forschungsgegenstand gibt, ist diese empirische Studie insbesondere bezüglich des Zugangs zum Forschungsgegenstand in hohem Maße explorativ ausgerichtet. Untersuchung der ekklesiologischen Qualität: Ein Mix aus überprüfendem und explorativem Interesse Das zweite zentrale Forschungsziel ist, ebenfalls ausgehend von Hypothese 1, die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität des Forschungsgegenstands, sofern sich Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens, die von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägt sind, aufspüren lassen. Dazu gilt es, die formulierten Merkmale ekklesiologischer Qualität (▶ Kapitel VII) beim Forschungsgegenstand bezüglich ihrer Ausprägungen zu überprüfen. Die ekklesiologische Qualität kann jedoch nicht allein anhand deduktiver Verfahren überprüft werden, sondern gilt es zudem auch explorativ zu erforschen: Inwiefern organisiert sich diese Ausdrucksform des Glaubens? Welche Formen der Zugehörigkeit und Partizipation eröffnet sie? (Wie) Werden Taufen und Abendmahl gefeiert? Wie ist ihr offizieller Status oder auch ihre Konfession zu bestimmen? Erste Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses anhand von Selbstbeschreibungen Das ekklesiologische Selbstverständnis ist zu einem wesentlichen Teil durch die Sichtweisen der an der Ausdrucksform des Glaubens beteiligten Personen geprägt und dementsprechend nicht allein anhand der Überprüfung struktureller Merkmale zu untersuchen (▶ Hypothese 2). So werden zur Untersuchung der ekklesiologischen Qualität auch Fragen zur Selbsteinschätzung
4. Forschungsdesign
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sowie anhand einer kleinen qualitativen Studie ausgewertete offene Fragen zur Selbstbeschreibung berücksichtigt. Ausgehend von der zweiten Hypothese wird so eine erste Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses angestrebt und zugleich deutlich, inwiefern dieses für die Untersuchung ekklesiologischer Qualität wesentlich ist.
4. Forschungsdesign Zur Untersuchung des Forschungsgegenstands erscheint es sinnvoll, an unterschiedlichen Stellen und im unterschiedlichen Maß quantitative und qualitative Methoden miteinander zu kombinieren. In diesem Sinn kann von einem Mixed-Methods-Design3 dieser Studie gesprochen werden. Da jedoch überwiegend quantitative Verfahren zum Einsatz kommen, gilt es, diesen Begriff im Kontext dieser Arbeit mit Vorsicht zu nutzen. Begrifflich herrscht im deutschsprachigen Raum zudem zwischen den Protagonistinnen und Protagonisten dieses Forschungsbereichs keine Einigkeit darüber, inwiefern die gewählte Methodik begrifflich als ein multimethodisches Vorgehen, als Mixed Methods oder als Triangulation zu bezeichnen ist.4 So wird im Rahmen dieses Forschungs3
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Ungefähr seit den 1980er Jahren wird sich in Deutschland um einen Brückenschlag zwischen den zuvor einander agonal gegenüberstehenden quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen bemüht (vgl. Siegfried Lamnek / Claudia Krell, 2016, 260). Die Kombination unterschiedlicher Methoden innerhalb eines Forschungsprojekts entwickelt sich seitdem immer mehr zum Standard (Udo Kuckartz, 2014, 52) und wird teilweise sogar als neues, drittes Paradigma bezeichnet, das die „alten Paradigmen“ der quantitativen sowie qualitativen Forschung ablöse (vgl. hierzu die durchaus kritische Skizzierung in: ebd., 37–40). Claudia Krell und Siegfried Lamnek bezeichnen die möglichst gleichberechtigte Kombination unterschiedlicher Methoden innerhalb einer Studie generell als multimethodisches Vorgehen oder auch Triangulation (vgl. Siegfried Lamnek / Claudia Krell, 2016, 261). Dabei begreifen sie den Begriff der Triangulation mit Uwe Flick als „umfassender und zugleich differenzierter“ als den Begriff Mixed Methods, da damit das Ziel verfolgt werde, anhand unterschiedlicher theoretischer Perspektiven, methodischer Zugänge und Datensorten einen Erkenntniszuwachs auf unterschiedlichen Ebenen zu gewinnen (ebd., 262 – vgl. dazu auch Uwe Flick, 2012). Für Udo Kuckartz hingegen ist Mixed Methods das weitergehende Konzept und einerseits klar von einem multimethodischem Vorgehen zu unterscheiden, das lediglich verschiedene Methoden (beispielsweise auch der gleichen Methodenfamilie) statt wie beim Mixed-Methods-Design gezielt quantitative und qualitative Methoden miteinander kombiniere (vgl. Udo Kuckartz, 2014, 57 – mit Udo Kelle könnte dieses Verständnis von Mixed Methods auch als Methodenintegration bezeichnet werden (vgl. Udo Kelle, 2008)). Zudem verbindet Udo Kuckartz mit dem Begriff der Triangulation lediglich das Ziel der Validierung der Forschungsergebnisse, während der Mixed-Methods-Ansatz auch auf Erkenntniszugewinn zielen würde. Hierin zeigen sich unterschiedliche Lesarten der Begriffe Triangulation, multimethodisch und Mixed Methods.
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VIII Aufbau und Methodik
vorhabens überwiegend auf diese Begrifflichkeiten verzichtet und im Folgenden vielmehr skizziert, inwiefern Methoden-Kombinationen mit welchem Ziel angestrebt werden: a) Beim Zugang zum Forschungsgegenstand Zum definierten Forschungsgegenstand liegt kein empirisches Datenmaterial vor, die Grundgesamtheit ist unbekannt und es muss vorrangig explorativ gearbeitet werden. So erscheint es sinnvoll, möglichst breit eine Zugangsmöglichkeit zu streuen, auf die die gesuchte Befragungsgruppe selbstständig im Sinne der „Selbstrekrutierung“5 reagieren kann. Zur Verteilung einer solchen Zugangsmöglichkeit sind Personen notwendig, die im Sinn des „Schneeballprinzips“6 Zugänge zum Feld eröffnen oder erweitern können. An dieser Stelle kann auch die institutionelle Perspektive relevant sein, so dass sich die Kombination dieses Verfahrens mit einer Befragung von ausgewählten Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern innerhalb der Evangelischen Kirche als mögliche Expertinnen und Experten für den Forschungsgegenstand im Sinne einer Vorstudie anbietet. b) Beim Fragedesign der Befragung Das Fragedesign, das zur Befragung der Befragungsgruppe genutzt wird, sollte entsprechend der skizzierten unterschiedlichen Forschungsinteressen neben standardisierten Fragen mit vorgegebenen Antwortkategorien zudem die Ergänzung von Antwortkategorien sowie offene Fragen vorsehen, um dem explorativen Interesse gerecht zu werden. Das Maß der Standardisierung gilt es entsprechend der skizzierten Forschungsziele bei der Erstellung des Fragedesigns auszutarieren. c) Bei der Auswertung der durch die Befragung generierten Daten Für die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität anhand der durch die Befragung generierten Daten sind quantitative Auswertungsmethoden geeignet, um die zuvor formulierten Merkmale am Forschungsgegenstand deduktiv zu 5
6
In der Sozialforschung wird dieses Vorgehen meist als Problem benannt, da diese Methode nicht wie eine Zufalls-Stichprobe ausgewertet werden darf (vgl. Thomas Zerback u. a., 2009, 24). Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens eröffnet diese Methode für die Exploration des Forschungsgegenstands jedoch spezifische Chancen, so dass sie bewusst eingesetzt wird. Bei der Auswertung des Materials wird dies – wie bereits angedeutet – beachtet. „Wenn man zwar weiß, dass es bestimmte Gruppen gibt, und diese auch klar definieren kann, aber keinen Zugang zu solchen Gruppen bekommt und eine Zufallsauswahl damit nicht realisierbar ist, dann empfiehlt sich die Anwendung einer Schneeballauswahl, sofern man mindestens eine Person kennt, die zu der avisierten Grundgesamtheit gehört bzw. Zugang zu ihr hat“ (Rüdiger Jacob u. a., 2013, 81).
4. Forschungsdesign
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überprüfen. Erkenntnis-theoretische Grundannahme dieses methodischen Vorgehens ist, dass soziales Leben von Regelmäßigkeiten sowie Gesetzmäßigkeiten geprägt ist, die von außen beobachtet, analysiert und zudem systematisiert werden können.7 Für die Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses, das zum Teil ausgehend von frei formulierten Antworten angestrebt wird, gilt es, ergänzend mit qualitativen Verfahren zu arbeiten, die das Verstehen individueller und subjektiver Sichtweisen fokussieren.8 Hier ließe sich mit qualitativ ausgerichteten Studien sinnvoll anknüpfen. Zur weiterführenden Erforschung des ekklesiologischen Selbstverständnisses einer Ausdrucksform des Glaubens wären dabei die Perspektiven unterschiedlicher Personen zu berücksichtigen. Demnach wäre für ein solches Vorhaben zunächst die Befragungsgruppe zu ergänzen. Zudem würden sich andere Befragungsformen, wie beispielsweise Gruppeninterviews anbieten oder auch mehrere Einzelinterviews mit an einer Ausdrucksform des Glaubens beteiligten jungen Erwachsenen. Dies sei als ein weiterführender Forschungsauftrag an dieser Stelle markiert und kann hier nicht – ohne den Rahmen zu sprengen – eingehender vertieft werden. Die Kombination der Methoden in dem hier skizzierten Sinn, soll im vorliegenden Forschungsvorhaben insbesondere dazu dienen, weiteren Erkenntnisgewinn zum Forschungsgegenstand zu erlangen. Es zeigt sich eine Verknüpfung der empirischen Methoden mit dem vorausgehenden Theorieteil dieser Arbeit. Die Forschungsarbeit bewegt sich insgesamt in der Spannung zwischen Individuum und Institution. Die zentrale Position des Individuums haben ▶ TEIL A – dem Individuum obliegt mehr denn je die Chance und Last der Gestaltung des persönlichen Lebens, während die Institutionalisierung von Lebensläufen abnimmt – und ▶ TEIL B – für ein zukünftiges Verständnis von Gemeinde aus Perspektive der Institution Kirche gilt es, das ekklesiologische Selbstverständnis der Beteiligten zu berücksichtigen – herausgearbeitet. Auch im empirischen Teil dieser Arbeit zeigt sich das Bestreben, dieser Position des Individuums durch die Wahl entsprechender Verfahren zumindest in ersten Ansätzen gerecht zu werden, wie es sich anhand von Fragen zur Selbsteinschätzung sowie eines kleinen qualitativen Teils zur 7 Vgl. Siegfried Lamnek / Claudia Krell, 2016, 44. 8 Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr skizzieren als ein wesentliches Element qualitativer Forschung die Analyseeinstellung „Subjektiver Sinn versus Struktur der Praxis“ im Gegenüber zur quantitativen Forschung, die mit standardisierten Erhebungsverfahren auf die „intersubjektive Überprüfbarkeit“ setze (vgl. Aglaja Przyborski / Monika Wohlrab-Sahr, 2014, 14–21).
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VIII Aufbau und Methodik
Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses zeigt. Zudem wird der Zugang zum Forschungsgegenstand gleichermaßen über den institutionellen Weg sowie über Verfahren der Selbstrekrutierung, die dem Individuum die zentrale Rolle zuschreiben, angestrebt. In Ansätzen spiegelt diese Studie somit wider, was Uwe Flick, Ernst von Kardoff und Ines Steinke als aktuellen Forschungstrend beschreiben: Gerade in Zeiten, in denen sich fest gefügte soziale Lebenswelten und -stile auflösen und sich das soziale Leben aus immer mehr und neueren Lebensformen und -weisen zusammensetzt, sind Forschungsstrategien gefragt, die zunächst genaue und dichte Beschreibungen liefern. Und die dabei die Sichtweisen der beteiligten Subjekte, die subjektiven und sozialen Konstruktionen ihrer Welt berücksichtigen.9
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten 5.1 Befragungsformen Für das skizzierte Forschungsvorhaben erscheint eine Kombination aus einer schriftlichen Gruppenbefragung institutioneller Funktionsträgerinnen und Funktionsträger („Befragung 1“) im Sinne einer Vorstudie und einer OnlineBefragung10 als zentrale Befragung des Forschungsgegenstands („Befragung 2“) sinnvoll, um einen Zugang zum Forschungsgegenstand anzustreben. Ausgehend vom Forschungsinteresse, das zunächst für die EKiR formuliert wurde, wird die mittlere Leitungsebene dieser Landeskirche („Befragungsgruppe 1“) gezielt nach Zugängen und Beobachtungen zum Forschungsgegenstand befragt. Die Methode einer schriftlichen Gruppenbefragung, die bei einem zentralen Treffen dieser klar definierten Befragungsgruppe durchgeführt werden könnte, sichert eine hohe Rücklaufquote. Ziel dieser Befragung sind Zugänge sowie direkte Kontakte zum gesuchten Forschungsgegenstand. Darüber hinaus wird in Form einer Online-Befragung in das noch unbekannte Feld eine möglichst breite Zugangsmöglichkeit gestreut, auf das die potentielle Befragungsgruppe des Forschungsgegenstands (Befragungsgruppe 2) selbstständig reagieren kann. Die Verteilung des Links kann einerseits in Form
9 Uwe Flick u. a., 2012, 17. 10 Vgl. Rüdiger Jacob u. a., 2013, 106.
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten
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einer so genannten „passiven Rekrutierung“11 geschehen, indem in sozialen Medien, auf Websites und beispielsweise in Foren, die für den Forschungsgegenstand als potentiell relevant erscheinen, „Teaser“ zur Online-Befragung platziert werden. Zudem ist es wichtig, Personen ausfindig zu machen, die dabei helfen können, den Link zur Online-Befragung gezielter zu streuen (Schneeballprinzip) sowie gegebenenfalls einen direkten Kontakt zur potentiellen Befragungsgruppe zu vermitteln. Der positive Effekt einer Online-Befragung liegt in dem im Rahmen der angestrebten Studie notwendigen hohen Maß der Exploration, so dass bisher Unbekanntes durch „passive Rekrutierung“ gegebenenfalls entdeckt und bestenfalls befragt werden kann. Da dies das entscheidene Kriterium für das angestrebte Vorhaben ist, wird auf weitere Auseinandersetzungen hinsichtlich der Datengüte verzichtet, auch wenn mögliche Verzerrungseffekte in der Auswertung reflektiert werden.12
5.2 Fragedesigns 5.2.1 Befragung 1 (Vorstudie) Der Präses vermittelt im Sinne eines „gatekeepers“13 Zugang zur Befragungsgruppe 1. Das Fragedesign zielt darauf, das möglicherweise vorhandene Wissen zum Forschungsgegenstand abzurufen und möglichst genaue Informationen zu erhalten. Da die Antwortmöglichkeiten nicht bekannt sind, muss dazu mit offenen Fragen gearbeitet werden. Um explizit nach der Rolle junger Erwachsener zu fragen, werden Antwortkategorien vorgegeben. Der Aufbau der Befragung findet sich im Befragungsbogen im Anhang.14
5.2.2 Befragung 2 (Online-Befragung) Die Untersuchung der Merkmale ekklesiologischer Qualität sowie die Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses für einen bisher unbekannten Forschungsgegenstand führen zu einer Befragung größeren 11 Passiv ist diese Methode aus Sicht der oder des Forschenden: Nicht der oder die Forschende ist aktiv daran beteiligt, wenn ein Kontakt entsteht, sondern der oder die Beforschte. 12 Vgl. zu „Interviewer- / Verzerrungseffekte“ Alexander Glantz / Tobias Michael, 2014; Monika Taddiken, 2009, 93 f. und Pia Wagner / Linda Hering, 2014, 662. 13 Vgl. Hans Merkens, 2012, 288. 14 S. ▶ Anhang 1.
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VIII Aufbau und Methodik
Umfangs. Dies stellt ein Risiko dar, da es die Wahrscheinlichkeit von Abbrüchen erhöhen kann.15 Hier ist zwischen Forschungsinteressen und diesem Risiko abzuwägen. Da eine sehr spezifische Befragungsgruppe für diese Umfrage gesucht wird (▶ Kapitel VIII, 2), muss im Verlauf der Befragung die gesuchte Befragungsgruppe herausgefiltert werden.16 Das Fragedesign17 für die Befragungsgruppe 2 enthält entsprechend der skizzierten Forschungsinteressen neben standardisierten Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten zudem offene Fragen. Insbesondere die Fragen zur Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses, zielen bewusst darauf, „die Probanden und ihre Ansichten in den Mittelpunkt [zu stellen]“, dementsprechend „erfordern [sie] mehr Zeit bei der Erhebung (für den Probanden) und bei der Auswertung (für den Evaluator / die Evaluatorin), bieten dafür aber detaillierte Einblicke und so die Chance für unerwartete Erkenntnisse.“18 Bei Fragen, zu denen die befragte Person eine Einschätzung treffen soll, wird bei vorgegebenen Antwortoptionen und Skalen auf eine „Mitte“ verzichtet, um eindeutige Entscheidungen zu provozieren. Fragen mit einer Auswahl an vorgegebenen Antwortoptionen sind so konzipiert, dass sie einen möglichen „Ausstieg“ bieten, falls keine der aufgeführten Optionen zutrifft. Die Option „Sonstiges“ dient dabei zudem dem explorativen Interesse dieser Befragung. So zeigt der häufige Einsatz von Hybridfragen19 den grundlegend explorativen Charakter der Studie. Gänzlich offene Fragen kommen nur an drei Stellen vor. Die Dramaturgie der Befragung ist dem Befragungsbogen im Anhang zu entnehmen.20
15 Vgl. Udo Kuckartz u. a., 2009, 37. 16 Bezüglich des zunächst avisierten Forschungsgebiets, der EKiR, wird zu Beginn der Befragung die Postleitzahl abgefragt, um auf diese Option im Rahmen der Auswertung der Befragung gegebenenfalls zurückgreifen zu können. 17 Vgl. für die folgenden Ausführungen in ▶ Kapitel VIII, 5.2.2.1 bis 5.2.2.3 den Befragungsbogen zur Online-Befragung in ▶ Anhang 2. 18 Udo Kuckartz u. a., 2009, 33. 19 „Gewissermaßen einen Kompromiss zwischen diesen beiden Positionen stellen so genannte ‚Hybridfragen‘ dar. Hybridfragen haben ausformulierte Antwortvorgaben, bieten aber auch die Möglichkeit, im Bedarfsfall eine davon abweichende Antwort zu notieren. In der Regel wird diese Kategorie mit ‚Anders, und zwar …‘ eingeführt. Zu bedenken ist aber auch dabei, dass diese Antwortkategorien einen unter Umständen erheblichen Codierungsaufwand implizieren.“ (Rüdiger Jacob u. a., 2013, 97). 20 S. ▶ Anhang 2.
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten
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5.2.2.1 Items entsprechend der Merkmale ekklesiologischer Qualität Ausgehend von den in ▶ Kapitel VII formulierten Merkmalen sowie Dimensionen ekklesiologischer Qualität werden unterschiedliche Frage- und AntwortItems zur Untersuchung der ekklesiologischen Qualität eingesetzt. Ekklesiologisches Selbstverständnis – Of-Dimension Zentrales Merkmal ekklesiologischer Qualität ist das ekklesiologische Selbstverständnis. Dies äußert sich zu einem wesentlichen Anteil in der organisatorischen Selbstständigkeit des Forschungsgegenstands. Anhand folgender Frageund Antwort-Items wird dies untersucht: 1) Gibt es eine erkennbare Leitung der Initiative? Bezüglich der aktuellen Organisation von Leitungsverantwortung innerhalb der Initiative bezieht sich das entsprechend formulierte Frage-Item21 (F3) in der Online-Befragung auf die Rolle der Befragungsperson: „Wähle aus, welche Beschreibung auf deine aktuelle Rolle in der Initiative zutrifft“. Die unterschiedlichen Antwortoptionen geben Aufschluss darüber, inwiefern die aktuelle Leitungsperson oder die aktuellen Leitungspersonen einer Initiative klar benannt werden kann oder können. Wird das Antwort-Item „Es wurden keine Personen als offizielle Leitung bestimmt, aber ich fühle mich für die Initiative allein verantwortlich“ (F3 = 7) oder „Es wurden keine Personen als offizielle Leitung bestimmt, aber ich fühle mich für die Initiative im Team mit anderen verantwortlich“ (F3 = 8) ausgewählt, ist die organisatorische Selbstständigkeit der Initiative in diesem Aspekt als nicht ausgeprägt zu beurteilen. Alle anderen Antwortmöglichkeiten dieser Frage zeigen, dass eine Leitung erkennbar ist und geben zudem Aufschluss darüber, inwiefern Leitungsverantwortung ehrenoder hauptamtlich sowie allein oder im Team organisiert wird. Dies dient der weiteren Exploration des Forschungsgegenstands. Auch die äquivalent gestellte Frage zur Gründung der Initiative (F2) kann bei weiterführenden Explorationen herangezogen werden. Insgesamt können zur Rolle von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Initiative insgesamt fünf Frage-Items herangezogen werden: Neben den Fragen zur Gründung (F2) und Leitung (F3) der Initiative auch die optionale Angabe zum Beruf der oder des Hauptamtlichen (F4) – sollte es Hauptamtlichkeit in der Initiative geben – sowie die Beschreibungen, die zur Tauf- (F30) und Abendmahlsfeier (F31) im hinteren Teil der Befragung möglich sind (s. u. Up-Dimension).
21 Die Items sind zum Teil als Frage und zum Teil als Aufgabe formuliert, werden jedoch stets als „Frage-Item“ oder einfach „Item“ bezeichnet.
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VIII Aufbau und Methodik
2) Hat die Initiative einen Namen? Als ein weiteres Kriterium eines ekklesiologischen Selbstverständnisses gilt ausgehend von der Analyse der Indikatoren für fxC (▶ Kapitel VIII, 5.2) die Namensgebung. Dementsprechend wird der Name der Initiative abgefragt (F44). Entscheidend ist dabei die Angabe eines neu entwickelten Namens22 und nicht die Namensangabe des entsprechenden kirchlichen oder gemeindlichen Trägers23. Ist Letzteres der Fall, wird dieser Aspekt als nicht ausgeprägt gewertet. Es gilt dabei jedoch, zu berücksichtigen, dass insbesondere Neugründungen, die von bereits existierenden Gemeinden ausgehen, häufig nach der Trägerorganisation und dem jeweiligen Standort der Neugründung benannt sind, um die Zugehörigkeit sowie Lokalisierung zu markieren (beispielsweise „FeG Duisburg“). In solchen Fällen24 ist der Aspekt der Selbstständigkeit bei der Namensgebung als anteilig ausgeprägt zu bewerten. 3) Wie finanziert sich die Initiative? Zudem finden sich in der Online-Befragung Frage-Items zur Finanzierung der Initiative. Wenn auf die Frage (F14) „Woher kommt das Geld, das für die Initiative eingesetzt wird?“25 ausschließlich die Antwortmöglichkeit „Von der Kirche / Gemeinde, zu der die Initiative gehört“ (F14_2) ausgewählt wird, ist dies als fehlende Selbstständigkeit in diesem Aspekt zu werten. Das AntwortItem „Von externen Geldgebern (Stiftungen, Großspenden, Fördermittel, Crowdfunding etc.)“ (F14_3) zeigt, dass die Initiative Bemühungen unternimmt, um Gelder zu generieren, und wird somit als anteilige Selbstständigkeit gewertet. Die Auswahl mehrerer Optionen wird in Abstufungen hinsichtlich des jeweiligen Anteils damit verbundener eigenständiger Bemühungen bewertet. Voll ausgeprägte Selbstständigkeit liegt dann vor, wenn ausschließlich das Item „Die Initiative finanziert sich selbstständig“ (F14_4) gewählt wird. Die Angaben unter „Sonstiges“ (F14_5) werden bei der Auswertung (▶ Kapitel IX) den skizzierten Antwortoptionen zugeordnet. Wenn dies nicht möglich ist, werden weitere aus diesen Angaben ableitbare Antwortoptionen ergänzt. Die äquivalent gestellte optionale Frage zur Finanzierung von Personalkosten (F15) – sollte zur Initiative hauptamtliches Personal gehören – dient
22 Die in einem Textfeld frei formulierten Antworten an der Stelle der Online-Befragung werden bei der Auswertung in drei Antwortoptionen umgewandelt und je mit einem Zahlenwert für die weitere Auswertung versehen, so dass diese Option bei der Auswertung der Angabe „F44 = 0“ entspricht. 23 Dies entspricht der Angabe „F44 = 1“. 24 Dies entspricht der Angabe „F44 = 2“. 25 Zu dieser Frage gibt es die Option der Mehrfachnennung.
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten
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ebenso wie das Feld zur optionalen ausführlicheren Skizzierung des Finanzmodells der Initiative der weiteren Exploration. 4) Weitere Explorationen zur und Kennzeichen der organisatorischen Selbstständigkeit Darüber hinaus sind für die weiterführende Exploration zur Selbstständigkeit der Initiative Angaben zum offiziellen Status (F8 und F10) sowie zur Konfession (F9) heranzuziehen. Auch die Möglichkeit, Näheres zu Kooperationspartnern oder Trägern der Initiative zu skizzieren (F11), kann dabei berücksichtigt werden. Einige weitere Kennzeichen organisatorischer Selbstständigkeit, die sich insbesondere auf die Organisation von Partizipationsmöglichkeiten beziehen, werden bei der Out-Dimension berücksichtigt. 5) Selbstverständnis und Selbsteinschätzung Zur Untersuchung der Of-Dimension gehört zudem die Selbsteinschätzung der Beteiligten: Inwiefern versteht sich die Initiative als (Teil von) Kirche oder Gemeinde? Der Selbsteinschätzung und in dem Sinn dem ekklesiologischen Selbstverständnis widmet sich insbesondere der letzte Teil der Befragung (F33– 36). Hier sollen vier unterschiedliche aus dem kirchentheoretischen Kapitel abgeleitete Definitionen von Gemeinde in ihrer Tauglichkeit zur Beschreibung der Initiative bewertet werden: a) Ausgehend von den kirchentheoretischen Auseinandersetzungen, in denen CA VII zentral ist, wird Gemeinde im Sinn der Evangelische Kirche als Versammlung um Wort und Sakrament beschrieben,26 b) in Anlehnung an die FE-Bewegung in England werden vier grundlegende Wesensmerkmale für Gemeinde im Sinne einer Fresh X benannt: missional, kontextuell, lebensverändernd, gemeindebildend27, c) Michael Moynagh beschreibt Kirche sowie Gemeinde als Vollzug von vier grundlegenden Beziehungsdimensionen: Up-, In-, Out- und Of-Dimension28 und d) Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt formulieren vier geistliche Grundlagen mit Geltung für jede christliche Gemeinde29.
26 Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen in ▶ Kapitel V, 1.3 sowie Kapitel VI, 2.1 und 5.3. 27 Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 1.2 sowie 5.2. 28 Vgl. Michael Moynagh / Philip Harrold, 2012, 107 sowie insbesondere den Exkurs in ▶ Kapitel VI, 1.2. 29 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 276 sowie die Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 5.3.
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VIII Aufbau und Methodik
Diese vier Beschreibungen werden jeweils vom Sprachstil der Form der Befragung angepasst und der befragten Person zur Bewertung präsentiert. Nach jeder Bewertung gibt es die Möglichkeit, in einem freien Feld die eigene Bewertung zu kommentieren. Die unterschiedlichen Beschreibungen oder auch Begriffe der Beschreibungen sind dabei den unterschiedlichen Dimensionen (of, out, in, up) zugeordnet, so dass das ekklesiologische Selbstverständnis für jede Dimension spezifischer und nicht nur hinsichtlich der Of-Dimension untersucht werden kann: 1) Die erste Beschreibung, ausgehend von CA VII, wird aufgrund ihrer Kürze als gesamte Beschreibung ohne weitere Aufgliederung bewertet und zur Untersuchung der Up-Dimension herangezogen. 2) Ausgehend von der zweiten Beschreibung werden die Begriffe missional und kontextuell der Out-Dimension zugeordnet, lebensverändernd der Up- und gemeindebildend der Of-Dimension. 3) Als dritte Beschreibung wird Gemeinde anhand der Beziehungsdimensionen up, in, out und of beschrieben, so dass die Zuordnung offensichtlich ist. 4) Als vierte Beschreibung werden die vier geistlichen Grundlagen für Gemeinde von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt präsentiert, die bereits in ▶ Kapitel VI, 5.3.1 in Zusammenhang mit den vier Dimensionen gebracht wurden. Zur Of-Dimension gehören zusammengefasst folgende Merkmale dieser Beschreibungen: • „gemeindebildend: Die Initiative versteht sich nicht als Brücke zu bestehenden Gemeindeformen, sondern sieht sich als eine eigene Form von Gemeinde, geprägt vom Kontext und vom Evangelium“ (erstes Merkmal der Of-Dimension, F34_4), • „OF – die Beziehung zu dem, was über die Initiative hinausgeht. In diesem Sinne versteht sie sich als Teil von Kirche und gestaltet dies durch vielfältige Beziehungen und Verbindungen zu anderen Teilen von Kirche“ (zweites Merkmal der Of-Dimension, F35_4), • „wir verstehen uns als Teil der gesamten christlichen Kirche“ (drittes Merkmal der Of-Dimension, F36_2). Bei der Auswertung dieser Aspekte spielt der Grad der Zustimmung zu dem jeweiligen Merkmal die entscheidende Rolle. Hier kann zwischen den Antwort-Items „nicht hilfreich / passend“ zur Beschreibung der Initiative, über „wenig hilfreich / passend“ und „ziemlich hilfreich / passend“ bis hin zu „sehr hilfreich / passend“ ausgewählt werden und können somit unterschiedliche Grade der Zustimmung zu dem jeweiligen Merkmal ausgedrückt werden. Je
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten
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nach Grad der Zustimmung ist die Ausprägung der Selbsteinschätzung für das ekklesiologische Selbstverständnis zu bewerten. Eine hohe Zustimmung wird dementsprechend als ein stark ausgeprägtes ekklesiologisches Selbstverständnis gewertet. 6. Weitere Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis Insbesondere die ausgewählten Antwort-Items30 sowie die Ergänzung unter „Sonstiges“ zur Frage nach der Selbstbeschreibung der Initiative, „Wie beschreibt sich die Initiative selbst?“ (F12), gilt es für weiterführende Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis zu berücksichtigen, ebenso wie die Ergebnisse der qualitativen Analysen zu den offenen Fragen. Sendungsbewusstsein – Out-Dimension Die Out-Dimension wird ebenso wie die Of-Dimension einerseits anhand von Frage- und Antwort-Items untersucht, die insbesondere die Organisation von Teilhabemöglichkeiten fokussieren, sowie andererseits anhand von Angaben zum Selbstverständnis der Initiative im letzten Teil der Befragung. 1) Wie (öffentlich) kommuniziert die Initiative? Anhand verschiedener Antwort-Items zur Frage „Wie wird kommuniziert, was die Initiative (aus)macht?“ (F13) wird untersucht, inwiefern es öffentliche Zugänge zu Informationen der Initiative als eine Voraussetzung zur Teilhabe gibt. Zur Beantwortung dieser Frage werden neun unterschiedliche Kommunikationsmöglichkeiten präsentiert, die jeweils in der Häufigkeit ihrer Nutzung von der Initiative zu bewerten sind (von „wird nicht genutzt“ über „wird selten genutzt“, „wird manchmal genutzt“ bis hin zu „wird häufig genutzt“): Homepage (F13_1), Facebook (F13_2), Twitter (F13_3), WhatsApp oder ähnliche Nachrichtendienste (F13_4), Newsletter per Email (F13_5), Newsletter per Post (F13_6), persönliche Kontakte (F13_7), Flyer, Plakate, weitere Printprodukte (F13_8), Pressemitteilungen / Zeitung (F13_9). Wird dabei keins der aufgeführten öffentlich zugänglichen Medien (F13_1 bis F13_3 sowie F13_8 und F13_9) mit „manchmal“ oder „häufig“ in der Nutzung bewertet, wird die Out-Dimension in diesem Aspekt als nicht ausgeprägt bewertet. Sollte keins der digitalen, öffentlich zugänglichen Medien (F13_1 bis F13_3) regelmäßig genutzt werden, wird dieser Aspekt der Out-Dimension als eingeschränkt gewertet. Weitere Angaben, die zudem unter „Sonstiges“ (F13_10) möglich sind, sind bei der Auswertung jeweils zu berücksichtigen.
30 Es besteht an dieser Stelle die Option, drei Antworten auszuwählen.
312
VIII Aufbau und Methodik
2) Gibt es Regelungen zur Zugehörigkeit? Inwiefern die Initiative über die Regelung von Zugehörigkeit Teilhabemöglichkeiten eröffnet, wird anhand des Frage-Items „Wie kann man Teil der Initiative werden?“ (F16) untersucht. Dazu werden neun Möglichkeiten als AntwortItems präsentiert und ist die Option der Mehrfachnennung vorgesehen. Sollte ausschließlich das zehnte Antwort-Item „Wissen wir selber nicht / ist unklar“ (F16_10) ausgewählt werden, ist die Out-Dimension in diesem Aspekt als nicht ausgeprägt zu bewerten. Diskussionswürdig bezüglich der Ausprägung dieses Aspekts ist zudem die ausschließliche Auswahl des Antwort-Items „Durch ‚Folgen‘ im Social-Media-Bereich (z. B. via Twitter, Facebook, Podcast etc.)“ (F16_6). Inwiefern eine Ausdrucksform des Glaubens ekklesiologische Qualität haben kann, die sich ausschließlich virtuell ereignet und organisiert, wurde im kirchentheoretischen Teil nicht abschließend geklärt und ist dementsprechend in dieser Studie besonders zu beobachten. Fälle, auf die dies zutrifft, sind zu markieren und eingehender zu beschreiben. Auch zu dieser Frage sind eigene Angaben unter „Sonstiges“ (F16_11) möglich, die bei der Auswertung berücksichtigt werden müssen. 3) Wie organisiert die Initiative Zugänge zum zentralen Format durch Regelmäßigkeit? Anhand des Frage-Items „Wie oft findet das zentrale Format oder Angebot statt?“ (F28) wird einerseits die Regelmäßigkeit des zentralen Formats der Initiative untersucht, die bei der Untersuchung der In-Dimension eine Rolle spielt. Darüber hinaus wird anhand der Antwort-Items „Kein fester Rhythmus (gänzlich unregelmäßig)“ (F28 = 6) und „Wird nicht geplant, ereignet sich spontan“ (F28 = 7) überprüft, inwiefern der Rhythmus des Formats die Möglichkeit der Partizipation eher ermöglicht oder eher erschwert. Die Auswahl eines dieser beiden Antwort-Items wird für die Out-Dimension als Einschränkung gewertet, da insbesondere für bisher Außenstehende die Partizipation durch Unregelmäßigkeit sowie Spontaneität erschwert werden kann. Bei der Auswertung gilt es zudem, eigene Angaben, die in dem Feld „Eigener Rhythmus“ (F28 = 8) erfolgen können, zu berücksichtigen. 4) Wie ermöglicht die Initiative Zugänge zum zentralen Format durch die Wahl des Orts? Ein weiteres Frage-Item zum zentralen Format – „Wo findet das zentrale Format oder Angebot statt?“ (F27) – soll Aufschluss über den Ort geben. Wird zur Beantwortung dieser Frage das Antwort-Item „In privaten Räumlichkeiten“ (F27 = 1) ausgewählt, gilt auch dieser Aspekt der Out-Dimension als nicht ausgeprägt, da dies ebenfalls als Einschränkung der Teilhabemöglichkeit für bisher Außenstehende gewertet wird. Die Auswahl des Antwort-Items „Ausschließlich
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten
313
in Sozialen Medien“ (F27 = 6) bleibt ebenso wie die bereits zuvor unter 2) skizzierte Variante diskussionswürdig hinsichtlich der ekklesiologischen Qualität. Auch zu dieser Frage sind eigene Angaben in einem folgendermaßen betitelten Feld möglich: „An unterschiedlichen Orten ODER Sonstiges“ (F27 = 8). Bei der Auswertung fließen diese Angaben ebenfalls mit ein. Insgesamt können alle eigenen Angaben zu diesen vier skizzierten Fragen der weiteren Exploration dienen. 5) Selbstverständnis und Selbsteinschätzung bezüglich der Out-Dimension Im letzten Teil der Befragung gilt es, die bereits im vorausgegangenen Abschnitt skizzierten Beschreibungen von Gemeinde ebenfalls in ihrer Passung zur Beschreibung der Initiative zu bewerten. Zur Out-Dimension gehören, ausgehend von der bereits skizzierten Übersicht zur Zuordnung der Dimensionen zu diesen Beschreibungen, folgende vier Merkmale: • „missional: Ausrichtung auf Menschen, die noch keinen Bezug zu Kirche / Gemeinde und dem christlichen Glauben haben“ (erstes Merkmal der Out-Dimension, F34_1), • „kontextuell: Ausrichtung auf unsere sich verändernde Kultur, eintauchend in einen spezifischen Kontext oder ein konkretes Milieu. Von diesem Kontext / Milieu ist das, was entsteht, maßgeblich geprägt“ (zweites Merkmal der Out-Dimension, F34_2), • „OUT – Die Beziehung zu gewählten Kontexten oder der Umgebung: Den Kontext wahrnehmen und ihm dienen“ (drittes Merkmal der Out-Dimension, F35_3), • „wir wissen uns in die Welt gesendet“ (viertes Merkmal der Out-Dimension, F36_4). Äquivalent zum im vorausgehenden Abschnitt beschriebenen Auswertungsverfahren wird auch hier die Stärke der Ausprägung der Out-Dimension anhand der jeweiligen Stärke des Zustimmungsgrads zu diesen vier Merkmalen untersucht. Ausgehend davon kann insbesondere der Aspekt des Sendungsbewusstseins der Initiative untersucht werden. Gemeinschaft – In-Dimension Zur Untersuchung dieser Dimension werden in der Online-Befragung ebenfalls zunächst organisatorische Regelungen der Initiative untersucht, die sich vor allem auf den im kirchentheoretischen Kapitel diskutierten Aspekt der Kontinuität beziehen. Darüber hinaus wird die Rolle von Gemeinschaft anhand eines dazu entwickelten Frage-Items untersucht. Ergänzend dient auch hier die Selbsteinschätzung im letzten Teil der Befragung zur Untersuchung dieser Dimension.
314
VIII Aufbau und Methodik
1) Die zeitliche Perspektive der Initiative Anhand des Frage-Items „Bis wann gibt es die Initiative?“ (F6) wird die zeitliche Perspektive untersucht. Ist eine Initiative „kein Projekt auf Zeit, sondern auf Dauer angelegt“ (F6 = 2), hat sie das Potential, sich zu entwickeln und die als wesentlich benannten Merkmale ekklesiologischer Qualität (stärker) auszubilden. Darum gilt dieses Antwort-Item als ein wesentliches Potential für die ekklesiologische Qualität sowie insbesondere für die In-Dimension einer Initiative und wird dementsprechend bei der Auswertung beurteilt. Initiativen, deren Perspektive „offen“ (F6 = 1) oder „festgelegt“ (F6 = 4) ist, haben tendenziell schwierigere Voraussetzungen zur Entwicklung und Ausprägung der In-Dimension sowie der ekklesiologischen Qualität insgesamt, so dass dieser Aspekt für die In-Dimension als nicht ausgeprägt gewertet wird. Initiativen, die es nicht mehr gibt (F6 = 3), werden von der Auswertung insgesamt ausgeschlossen, da es nicht möglich ist, die ekklesiologische Qualität dieser Initiativen nachträglich zu bewerten. Hat eine Initiative lediglich eine begrenzte Perspektive, können nähere Angaben zum Zeitpunkt und zu den Gründen dieser Befristung (F6_2) der weiteren Exploration dienen. Auch die Angaben dazu, inwiefern die „Frage nach der Zukunft der Initiative“ eine Rolle spielt oder auch nicht (F7), können ebenfalls für ergänzende Explorationen herangezogen werden. 2) Der Rhythmus des zentralen Formats Das Frage-Item „Wie oft findet das zentrale Format oder Angebot statt?“ (F28) fokussiert den Aspekt der Kontinuität. Wird eins der ersten vier Antwort-Items („Mehrmals in der Woche“, „Wöchentlich“, „Zweiwöchentlich“ oder „Monatlich“) ausgewählt, wird dieser Aspekt der In-Dimension als ausgeprägt gewertet. Ist der Rhythmus des zentralen Formats seltener oder unklar („Ein paar Mal im Jahr“, „Kein fester Rhythmus“, „Wird nicht geplant, ereignet sich spontan“), wird der Aspekt der Kontinuität als nicht ausgeprägt gewertet. Angaben zu einem eigenen Rhythmus (F28 = 8) werden bei der Auswertung berücksichtigt. 3) Die Rolle und Form von Gemeinschaft in der Initiative Bezüglich des Gemeinschaftsaspekts wird ein Frage-Item entwickelt, das explizit nach der Rolle und Form der Gemeinschaft in der Initiative fragt: „Welche Rolle spielt Gemeinschaft in der Initiative? Zu welcher der beiden Optionen tendierst du eher:“ (F17). Die Auswahl des Antwort-Items „Gemeinschaft ist zentral für die Initiative, eine verbindliche und kontinuierliche Gemeinschaft kann / soll hier entstehen“ (F17 = 1) wird als Ausprägung der In-Dimension gewertet, das andere Antwort-Item „In der Initiative geht es eher darum, punktuelle Erlebnisse / Begegnungen zu ermöglichen“ (F17 = 2) hingegen nicht.
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten
315
4) Selbstverständnis und Selbsteinschätzung zur In-Dimension In den Beschreibungen von Gemeinde im letzten Teil der Befragung finden sich zwei Merkmale, die der In-Dimension zugeordnet sind und folglich ebenfalls als Aspekte der In-Dimension in ihrer Ausprägung untersucht werden. Wie wird von den Befragten die Passung folgender Merkmale zur Beschreibung der eigenen Initiative eingeschätzt: • „IN – Die Beziehungen untereinander: Sich einander zuwenden und anvertrauen“ (erstes Merkmal der In-Dimension, F35_2), • „unsere Gemeinschaft ist durch bedingungslose Annahme geprägt – trotz und gerade in unserer Verschiedenheit“ (zweites Merkmal der In-Dimension, F36_3)? Hohe Zustimmung dieser Merkmale wird als starke Ausprägung der In-Dimension aus Perspektive der Selbsteinschätzung gewertet. Eng verknüpft ist die In-Dimension – ausgehend von der Diskussion des Gemeindebegriffs im kirchentheoretischen Teil der Arbeit – mit der Up-Dimension, da die gemeinsame Interaktion in Bezug auf das Wort Gottes für den Gemeindebegriff konstitutiv ist. Bezug auf Christus – Up-Dimension Zur Untersuchung der Up-Dimension gibt es keine organisatorischen Aspekte, die untersucht werden. So stehen hier insbesondere die spezifischen Frage- und Antwort-Items zu Taufe und Abendmahl als zentrale Kennzeichen der UpDimension im Fokus, bevor auch hier auf die Selbsteinschätzungen im letzten Teil der Befragung zur Untersuchung dieser Dimension zurückgegriffen wird. 1) Werden in der Initiative Taufen und Abendmahl gefeiert? Die regelmäßige Feier von Abendmahl und Taufe ist entsprechend des Artikels CA VII und dem darin formulierten reformatorischen Grundverständnis von Kirche sowie Gemeinde für die ekklesiologische Qualität einer Sozialgestalt des christlichen Glaubens aus Sicht der Evangelischen Kirche wesentlich. Zur Untersuchung der Tauf- sowie Abendmahlspraxis werden dementsprechend zwei Frage-Items entwickelt: „Werden in der Initiative Taufen gefeiert?“ (F30) sowie „Wird in der Initiative Abendmahl oder Eucharistie gefeiert?“ (F31). Es finden sich jeweils drei mögliche Antwort-Items zu diesen Fragen. Wird das Antwort-Item „Nein, das passt hier gar nicht hin“ (F30 = 1 sowie F31 = 1) ausgewählt, wird die Up-Dimension dieses Aspekts als nicht ausgeprägt gewertet und gilt es, dies auch für die Bewertung der ekklesiologischen Qualität insgesamt zu berücksichtigen, da dies als ein zentraler Aspekt für ekklesiologische Qualität aus Sicht der Evangelischen Kirche gilt.
316
VIII Aufbau und Methodik
Es wird zudem ein Antwort-Item auf diese Frage entwickelt, das Entwicklungsprozesse fokussiert: „Nein, aber vielleicht irgendwann mal“ (F30 = 2 sowie F31 = 2). Die Auswahl dieses Antwort-Items wird bewusst nicht als Hinweis auf eine fehlende ekklesiologische Qualität insgesamt gewertet, sondern als Entwicklungspotential ekklesialer Reife gedeutet und dieser Aspekt der UpDimension dementsprechend als eingeschränkt bewertet. Die Auswahl des dritten Antwort-Items, „Ja“ (F30 = 3 sowie F31 = 3), wird als vollständige Ausprägung dieses Aspekts der Up-Dimension gewertet. Dabei ist dieses Antwort-Item so konzipiert, dass aufgrund des explorativen Interesses zur Art und Weise, wie Taufen und Abendmahlsfeiern vollzogen werden, um eine kurze Beschreibung gebeten wird („Ja – Beschreibe bitte kurz:“). Ausgehend von diesen Beschreibungen können weitere Explorationen zu diesem Aspekt erfolgen und gegebenenfalls die Rolle von Haupt- und Ehrenamtlichen analysiert werden. Zudem können hierüber gegebenenfalls weitere Einsichten zur Up-Dimension gewonnen werden. 2) Selbstverständnis und Selbsteinschätzung zur Up-Dimension Im letzten Teil der Befragung sind die erste Beschreibung von Gemeinde sowie drei Merkmale der weiteren Beschreibungen der Up-Dimension zugeordnet: • „Hier versammeln sich Menschen, um das Evangelium zu hören und die Sakramente zu empfangen“ (erstes Merkmal der Up-Dimension, F33), • „lebensverändernd: Ausrichtung darauf, den christlichen Glauben zurück in den Alltag zu bringen und somit nachhaltig lebensverändernd zu wirken. So wird der christlichen Botschaft eine neue Relevanz verliehen und in die Nachfolge Jesu eingeladen“ (zweites Merkmal der Up-Dimension, F34_3), • „UP – Die Beziehung zum dreieinigen Gott: Sich Gott zuwenden und anvertrauen“ (drittes Merkmal der Up-Dimension. F35_1), • „wir beziehen uns auf Christus als Grund der Gemeinschaft“ (viertes Merkmal der Up-Dimension F36_1). Je nach Zustimmungsgrad zu diesen Merkmalen als Selbstbeschreibung der Initiative werden diese Aspekte der Up-Dimension als stärker oder weniger stark ausgeprägt gewertet. 5.2.2.2 Weitere Explorationen Über diese auf die vier Dimensionen bezogenen Frage- und Antwort-Items hinaus werden in der Online-Befragung zudem einige weitere Informationen abgefragt, die vor allem dem explorativen Interesse hinsichtlich des Forschungsgegenstands dienen und nicht spezifisch auf die Erforschung der ekklesiologischen Qualität ausgerichtet sind.
5. Methodische Herangehensweise zur Gewinnung der Daten
317
5.2.2.3 Formale Angaben und Datenschutz Darüber hinaus wird die befragte Person um Angaben zur eigenen Person (F39–43) sowie um die Angabe des Namens der Initiative (F44) gebeten. An dieser Stelle ist auch die Abfrage zum Datenschutz verortet (F45–46).31 Für die Option weiterer Befragungen können die eigene Kontaktdaten (F47) sowie die Kontaktdaten zur Initiative (F48) hinterlassen werden und wird die befragte Person zudem nach ihrer Bereitschaft befragt (F49).
5.3 Durchführung der Befragungen 5.3.1 Befragung 1 (Vorstudie) Die Befragung der Superintendentinnen und Superintendenten fand im Rahmen der „Superintendentenkonferenz“ am 26. September 2017 von 15.30 bis 16.30 Uhr statt.32 Da die befragende Person selbst innerhalb der EKiR Pfarrerin ist sowie mit dem gesuchten Forschungsgegenstand insofern persönlich befasst ist, dass sie 2016 von der EKiR den Auftrag bekommen hat, neue Ausdrucksweisen des Glaubens im Kontext der Arbeit mit jungen Erwachsenen zu erproben und davon ausgehend im Kirchenkreis Essen die Initiative „raumschiff.ruhr“ gegründet hat, gilt es, diese besondere Situation insbesondere hinsichtlich des Befragungssettings zu beachten. Da die Befragung 1 jedoch vor allem auf Informationen zum Forschungsgegenstand zielt, können die sich aus dieser Befragung ergebenden Hinweise auch trotz dieser besonderen Situation genutzt werden, um den Forschungsgegenstand aufzuspüren. Selbstverständlich werden die Initiative „raumschiff.ruhr“ als potentieller Forschungsgegenstand sowie in dieser Initiative engagierte Personen als potentielle Befragungsgruppe 2 aufgrund der Verbindung zur Forscherin im Rahmen dieser Studie nicht berücksichtigt.
5.3.2 Befragung 2 (Online-Befragung) Nach einem Prestest und kleineren Überarbeitungen wurde mit dem skizzierten Befragungsbogen am 2. September 2017 die Online-Befragung gestartet. Um einen einprägsamen Link zu erhalten wurde die mit der Software „SurveyMonkey“ (https://www.surveymonkey.de) erstellte Befragung auf die
31 Vgl. Udo Kuckartz u. a., 2009, 63. 32 S. ▶ Anhang 4.
318
VIII Aufbau und Methodik
erworbene Domain www.deinePerspektive.de umgeleitet. Durch das „Teilen“ eines „Teasers“33 per Facebook, Twitter und auf ausgewählten Homepages (z. B. IEEG, ZAP, EKiR) sowie durch das Kontaktieren von über 40 Schlüsselpersonen und spezifischen Netzwerken (z. B. Fresh X) wurde eine möglichst breite Reichweite (im Sinne des Schneeballprinzips) angestrebt. Bis zum 16. November 2017 konnte man an der Befragung über den öffentlichen Link teilnehmen. Im Dezember 2017 wurde zwei Personen, die ihre Teilnahme über die veröffentlichte Emailadresse [email protected] anfragten, die Möglichkeit eröffnet, an der Umfrage teilzunehmen. Danach war die Befragung endgültig abgeschlossen.
6. Methodische Herangehensweise zur Auswertung der Daten 6.1 Befragung 1 (Vorstudie) Da die Befragung 1 insbesondere auf Informationssammlung zielt, werden die entsprechenden Informationen in Form einer Tabelle mit dem Computerprogramm „Excel“ anonymisiert34 digitalisiert. Ausgehend von dieser Übersicht kann die Kontaktaufnahme mit Schlüsselpersonen und potentiell zur Befragungsgruppe 2 gehörenden Personen erfolgen.
6.2 Befragung 2 (Online-Befragung) Da für die Online-Befragung weder eine Grundgesamtheit des Forschungsgegenstands oder für die Befragungsgruppe vorliegt, noch die Auswahlgesamtheit zahlenmäßig definiert werden kann, ist keine Rücklaufquote zu errechnen. Wesentlich ist es bei dieser gewählten Befragungsform, die Abbrüche bei der Umfrage zu analysieren. Für die Anonymisierung der Daten gelten dieselben Regeln und Verfahren wie in der Vorstudie. 33 S. ▶ Anhang 3. 34 Vgl. Udo Kuckartz u. a., 2009, 63 – Diese Richtlinie wurde im Kontext von Online-Befragungen formuliert, erscheint jedoch ebenso für die Auswertung der hier skizzierten Befragung ab dem Moment sinnvoll, in dem die erhobenen Daten digitalisiert und für weitere Auswertungsschritte gespeichert werden.
6. Methodische Herangehensweise zur Auswertung der Daten
319
Auswertung des quantitativen Teils der Befragung Für die quantitative Untersuchung der ekklesiologischen Qualität wird mit dem Computerprogramm „Excel“ eine Matrix (die so genannte „Ekklesiomatrix“) programmiert, die die Ausprägung der für die ekklesiologische Qualität wesentlichen vier Dimensionen je Fall berechnet und präsentiert. Hierzu müssen zunächst die für die einzelnen Dimensionen relevanten Items der Online-Befragung (▶ Kapitel VIII, 5.2.2.1) in ihrer jeweiligen Bedeutung für die Ausprägung einer Dimension ausgehend von den kirchentheoretischen Auseinandersetzungen bestimmt werden (▶ Kapitel IX, 4). Darüber hinaus erfolgt die Auswertung der Antworten auf standardisierte Fragen anhand des Statistikprogramms „SPSS“, so dass sowohl Häufigkeiten ermittelt sowie zudem Zusammenhänge analysiert werden können, die insbesondere dem explorativen Forschungsinteresse am Forschungsgegenstand dienen (▶ Kapitel IX, 6). In beiden Auswertungsschritten werden auch die Hybridfragen berücksichtigt, indem die in „Sonstiges“-Feldern frei formulierten Antworten bei der Auswertung in vorhandene Antwortkategorien übertragen oder als neue Antwortkategorien ergänzt werden. Auswertung des qualitativen Teils der Befragung Die qualitative Auswertung der Antworttexte auf offenen Fragen der OnlineBefragung erfolgt im Wesentlichen anhand von mit dem Programm „Excel“ erstellten Tabellen. Dabei orientiert sich das Auswertungsverfahren an den Grundzügen des Forschungsstils Grounded Theory35 (GT). Dies bietet sich insbesondere deswegen an, da es an dieser Stelle der Studie um das explorative Forschungsinteresse geht. Ziel ist, eine „auf das theoretisch Interessierende des Forschungsgegenstands hin gespannte Neugierde [zu] erzeugen, die [..] als ‚theoretische Sensibilität‘ (Glaser / Strauss 1998/1967, 54) bezeichnet wird.“36 Die Entwicklung von Hypothesen oder Theorie(n) wird als Prozess verstanden37, zu dem auch die Datengewinnung im Sinne des Theoretical Sampling38 gehört. Im vorliegenden Fall ist aus den im Forschungsdesign bereits skizzierten Gründen die Datengewinnung überwiegend durch das Schneeballprinzip im Rahmen der Online-Befragung erfolgt und werden Verfahrensweisen im Sinne der GT
35 Zum Begriff vgl. Andreas Böhm, 2012, 476. Die Begründung von GT als Forschungsstil geht auf Barney Glaser und Anselm Strauss und ihre gemeinsame Publikation „The Discovery of Grounded Theory“ (1967 – auf deutsch erstmals 1988 erschienen) zurück. Seitdem haben dieser Begriff und das damit verknüpfte Vorgehen diverse Modifizierungen erfahren (vgl. Jörg Strübing, 2013, 109–112). 36 Ebd., 112 f. 37 Vgl. ebd., 111. 38 Vgl. dazu Aglaja Przyborski / Monika Wohlrab-Sahr, 2014, 181 f.
320
VIII Aufbau und Methodik
ausschließlich bei der Analyse der frei formulierten Antworttexte angewandt.39 Der Auswertungsprozess besteht dabei im Wesentlichen im Vergleichen. Es wird nach Unterschieden und Ähnlichkeiten verschiedener Fälle40 gesucht, um Theorien zu entdecken.41 Die Grundfrage lautet hier: Was bleibt bei aller unvermeidlichen Variation in den Fällen dann doch konstant in Bezug auf das Phänomen, um dessen theoretische Konzeptionalisierung es jeweils geht? Wir finden also in einem kleineren Set gleichartiger Fälle bestimmte Eigenschaften, die über alle Fälle hinweg weitgehend stabile Ausprägungen aufweisen (Dimensionen) und die damit den Kern unseres theoretischen Konzeptes bilden.42
Dieses Vorgehen wird als „Theoretisches Codieren“ bezeichnet (▶ Kapitel IX, 3).43 Verbindung beider Verfahren Bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität anhand der Matrix werden auch die Ergebnisse der qualitativen Analysen berücksichtigt. Der fallsortierte Aufbau der Matrix ermöglicht es, die Ergebnisse beider Auswertungsverfahren sinnvoll aufeinander zu beziehen: Fallorientiert heißt […], die Antworten eines Falles auf alle offenen Fragen zusammen mit den Antworten auf die standardisierten Fragen auszuwerten und sich auf diese Weise einen Eindruck über jede Person [in der vorliegenden Studie über jede Initiative bezüglich ihrer ekklesiologischen Qualität, Anmerkung R.J.K.] […] zu verschaffen.44
Überprüfung der Hypothesen Die Überprüfung der ersten Hypothese erfolgt anhand der skizzierten „Ekklesiomatrix“, die die quantitativen Auswertungsergebnisse mit den Ergebnissen des qualitativen Verfahrens verbindet. Die beschriebenen Verfahren zur Auswertung der Daten orientieren sich dabei fortlaufend an der Forschungsfrage der explorativen Studie, ob es von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägte Ausdrucksformen des christlichen Glaubens mit ekklesiologischer Qualität gibt.
39 Vgl. zu Abweichungen „von der prinzipiellen Vorgehensweise des theoretischen Samplings“ Jörg Strübing, 2013, 117. 40 Als Fall sind hier jeweils die Daten einer Befragungsperson zu einer Initiative zu verstehen. 41 Vgl. Andreas Böhm, 2012, 476. Vgl. zudem Udo Kelle, 2007, 32. 42 Jörg Strübing, 2013, 115. 43 Vgl. Andreas Böhm, 2012. 44 Udo Kuckartz u. a., 2009, 66.
6. Methodische Herangehensweise zur Auswertung der Daten
321
Sollte dies der Fall sein, ist Hypothese 1 falsifiziert45 und es erfolgen eine vertiefte Auseinandersetzung mit Hypothese 2 und dem ekklesiologischen Selbstverständnis sowie weitere Explorationen zu den Fällen mit ekklesiologischer Qualität. Wenn sich anhand der Daten keine Hinweise auf eine ekklesiologische Qualität des Forschungsgegenstands finden lassen, hat sich Hypothese 1 im Rahmen dieser Studie bewährt und ist die weitere Auseinandersetzung mit Hypothese 2 und dem ekklesiologischen Selbstverständnis obsolet.
45 Hypothesen gelten stets als „vorläufig gültig“ und können sich durch Falsifizierungsversuche bewähren. Zur Falsifizierung genügt eine zur Hypothese konträre Beobachtung (vgl. Siegfried Lamnek / Claudia Krell, 2016, 93 f. sowie Horst Mayer, 2013, 21).
IX Auswertung
Zunächst werden die Ergebnisse der Vorstudie (Befragung 1) zur Online- Befragung ausgewertet (▶ Kapitel IX, 1). Anschließend erfolgt die Auswertung der zentralen Online-Befragung (Befragung 2) der vorliegenden Studie (▶ Kapitel IX, 2 bis 6). Beginnend mit einigen allgemeinen Informationen zur Auswertung (▶ Kapitel IX, 1), folgt im Anschluss zunächst der qualitative Forschungsteil (▶ Kapitel IX, 3). In der Auswertungsphase wurden im Sinne des skizzierten Mixed-Methods-Designs (▶ Kapitel VIII, 4) die quantitativen und qualitativen Analysen der Daten zeitlich parallel vorgenommen. Da die Ergebnisse im Folgenden bezüglich der Hypothesenüberprüfungen miteinander verschränkt präsentiert werden, wird die Erläuterung der Auswertung des qualitativen Forschungsteils im Aufbau vorangestellt. Im sich daran anschließenden Kapitel liegt im Rahmen der Hypothesenüberprüfung der Schwerpunkt auf der Skizzierung der quantitativen Auswertung zur Untersuchung der Merkmale ekklesiologischer Qualität (▶ Kapitel IX, 4). Das sich daran anschließende ▶ Kapitel IX, 5 widmet sich der Auseinandersetzung mit Hypothese 2. Auch hierbei werden Ergebnisse der quantitativen sowie qualitativen Auswertung berücksichtigt. Im Anschluss daran erfolgen weiterführende Explorationen zum Forschungsgegenstand (▶ Kapitel IX, 6). Eine kurze Reflexion und Einordnung der explorativen Studie (▶ Kapitel IX, 7) schließt diesen empirischen dritten und vorletzten Teil der Arbeit (TEIL C) ab. Es folgt ein letzter Teil (▶ TEIL D) mit einer Zusammenfassung des Forschungsprojekts sowie der Deutung der Ergebnisse und der Skizzierung des Ertrags dieses Forschungsprojekts, der von einem Ausblick abgerundet wird.
1. Die Vorstudie Von den 38 Kirchenkreisen innerhalb der EKiR wurden für 34 Kirchenkreisen aus Perspektive der Kirchenkreisleitung Daten erhoben. Dies entspricht – wie erwartet – einer hohen Rücklaufquote von 89,47 %. In den Daten finden sich Angaben zu insgesamt 23 Initiativen sowie darüber hinaus diversen Gruppen, 13 Jugendkirchen, mehreren evangelischen Studierendengemeinden und weiteren Arbeitsbereichen und Einrichtungen der Kirchen und Verbände sowie zu spezifischen Events, Preisen sowie Förder-
1. Die Vorstudie
323
mitteln und potentiellen Schlüsselpersonen, die den Kriterien des gesuchten Forschungsgegenstands entsprechen oder gegebenenfalls Zugänge zu diesem eröffnen könnten. Eine Übersichtsliste dokumentiert das Ergebnis mit den entsprechenden Angaben und Hinweisen.1 Von den benannten Initiativen, Gruppen, Jugendkirchen und spezifischen Gottesdiensten zeigt sich in den Befragungsdaten eine kirchliche Anbindung an die EKiR in 21 Fällen. Junge Erwachsene sind in 26 Fällen der benannten Initiativen, Gruppen, Jugendkirchen und spezifischen Gottesdiensten als diejenigen skizziert, die die Initiative gegründet haben oder aktuell leitende Verantwortung für die Initiative tragen. Ungefähr ein Drittel der in dieser Vorstudie angeführten Initiativen sind der Forscherin bereits vor der Befragung bekannt gewesen und / oder hatten zum Zeitpunkt der Befragung schon selbstständig an der Online-Befragung (Befragung 2) teilgenommen. Darüber hinaus fällt auf, dass an allen Stellen, an denen zunächst Leitende von kirchlichen Arbeitsbereichen oder Einrichtungen als Schlüsselpersonen zum gesuchten Forschungsgegenstand fungieren müssten, sich kein direkter Kontakt zur potentiellen Befragungsgruppe herstellen lässt. Reflexionen Positiv ist anzumerken, dass innerhalb der EKiR Funktionsträgerinnen und Funktionsträger insbesondere der mittleren sowie zum Teil oberen Leitungsebene eine Vorstellung von dem gesuchten Forschungsgegenstand haben. Die Zielgruppe Junge Erwachsene ist demnach bereits im Blick. Dabei fällt jedoch auf, dass häufiger klassische Arbeitsfelder und Einrichtungen der kirchlichen Jugendarbeit benannt werden und junge Erwachsene dabei vor allem als diejenigen im Fokus stehen, die aus diesem Arbeitsbereich herausgewachsen und zugleich dennoch mit diesem in Kontakt geblieben sind. Darüber hinaus ist die Evangelische Kirche insbesondere über die Arbeit der Evangelischen Studierendengemeinden sowie Organisation von Auslands-Freiwilligendiensten oder weiteren Möglichkeiten des sozialen sowie internationalen Engagements mit der Zielgruppe Junge Erwachsene in Kontakt. Dort, wo junge Erwachsene jedoch keinen Kontakt (mehr) zu Feldern der kirchlichen Jugendarbeit haben und weder mit dem Bereich der Freiwilligendienste noch Studierendengemeinden in Berührung kommen, gibt es lediglich vereinzelte Initiativen, auf die verwiesen werden kann. Diese sind zudem aktuell nicht spezifisch von der Lebenssituation Junge Erwachsene geprägt. In den Daten der Online-Befragung spiegelt sich letztlich kaum ein Effekt der Vorstudie wider. So muss sich dieses Forschungsvorhaben von dem Ziel ver-
1
S. ▶ Anhang 5.
324
IX Auswertung
abschieden, ausschließlich Initiativen zu untersuchen, die sich auf dem Gebiet der EKiR oder in einer Verbindung zur EKiR befinden.
2. Allgemeine Analysen zur Auswertung der Online-Befragung Analyse von Abbrüchen Insgesamt haben 244 Personen die Online-Befragung begonnen, 90 Personen haben die Befragung direkt vor / nach der Filterfrage wieder verlassen2. Eventuell ist dies in mit der „Neugierde“ von Schlüsselpersonen zu erklären, die den entsprechenden Link weitergeleitet haben. Als Abbrüche werden im Rahmen dieser Studie erst die Ausstiege gewertet, die nach der ersten inhaltlichen Frage (F2) erfolgen. Demnach wurden für 154 Fälle Daten erhoben und liegen von 110 Fällen für alle inhaltlichen Fragen (F2–F38) Daten vor. Die 44 Abbrüche sind insbesondere bei Seitenwechseln am Anfang der Befragung zu verzeichnen sowie an zwei Stellen, an denen das Fragedesign offensichtlich Schwächen aufweist (F16 und F20–25). Im letzten formalen Teil der Befragung, in dem personen- sowie initiativenbezogene Daten erhoben werden und Angaben zum Datenschutz erfolgen (F39 bis F46) sind weitere Abbrüche sowie einige ItemNonresponses zu verzeichnen. Insgesamt scheint die Online-Befragung trotz ihrer anspruchsvollen Länge stimmig konzeptioniert. Daten zum Forschungsgegenstand Von den 154 Fällen, für die Daten erhoben werden konnten, entsprechen lediglich 40 Fälle den genauen Kriterien des Forschungsgegenstands – insbesondere hinsichtlich der maßgeblichen Prägung der Initiativen durch junge Erwachsene. Ausgehend von der Frage zur Zusammensetzung der Initiative „Was ist die größte Gruppe bezüglich der Arbeitssituation?“ (F21) wurde entsprechend der Definition der Lebenssituation Junge Erwachsene in ▶ Kapitel I, 4 die Sortierung vorgenommen. Zudem wurden ausgehend von dem Item zur aktuellen Rolle der Befragungsperson in der Initiative (F3) diejenigen Fälle aussortiert, die an dieser Stelle die Angabe „Jemand anderes leitet / Andere leiten die Ini2 In 33 Fällen zeigen die Daten, dass diese Personen aufgrund des Kriteriums der fehlenden spezifischen Verantwortung für die Initiative nicht zur Befragungsgruppe gehören, indem sie die Angabe „Ich war weder an der Gründung der Initiative beteiligt, noch trage ich aktuell leitende Verantwortung für die Initiative“ (F1 = 4) gewählt haben und folglich automatisch von der Befragung verabschiedet wurden.
3. Qualitativer Forschungsteil
325
tiative, ich bin daran nicht beteiligt“ (F3 = 9) ausgewählt haben. Diese Sortierung ist im Anspruch der Vergleichbarkeit der Daten bezüglich der Perspektive der Befragungsperson begründet und wurde in ▶ Kapitel VIII, 2 als Kriterium definiert. Die Grundgesamtheit der Fälle, von der für die folgende Analyse folglich ausgegangen wird, ist N = 40. Wenn diese Grundgesamtheit in den folgenden Analysen beispielsweise aufgrund von fehlenden Daten (Abbrüche / Item-Nonresponse) variiert, wird dies jeweils gekennzeichnet. So bezieht sich die Auswertung der Online-Befragung auf eine letztlich überschaubare Fallgröße. Da für den untersuchten Forschungsgegenstand keine Grundgesamtheit definiert werden kann, ist die Anzahl weder als besonders klein noch als besonders groß hinsichtlich des Forschungsgegenstands zu bewerten. Die mit dieser Studie intendierte Exploration des Forschungsgegenstands kann ausgehend von diesen 40 Fällen sinnvoll in Angriff genommen werden.
3. Qualitativer Forschungsteil Als Grundgesamtheit ist bei den qualitativen Analysen (wenn nicht anders vermerkt) von N = 35 auszugehen, da an entscheidenden Stellen Abbrüche zu verzeichnen sind (Fall 26, 32, 35), die Initiative noch nicht (Fall 20) oder nicht mehr (Fall 22) existiert.
3.1 Auswertung der Daten zur Beschreibung der Formate 3.1.1 Methodisches Vorgehen Bei der Analyse der Antworttexte zum Item „Was ist das zentrale Format oder Angebot, das die Initiative gestaltet?“ (F26) werden auch die Antworttexte zum optionalen, ergänzenden Item „Gibt es über dieses zentrale Format oder Angebot hinaus weitere, die für die Initiative wesentlich sind?“ (F29) berücksichtigt. Die Antworttexte werden im Folgenden als Daten oder Datenmaterial bezeichnet. Der erste Schritt des „offenen Codierens“3 im Sinne der GT zielt darauf, in den Daten interessierende Phänomene als Codes zu markieren. Ausgehend von
3
Vgl. Andreas Böhm, 2012, 477 f.
326
IX Auswertung
den Codes, die sich unmittelbar auf die Daten beziehen, sind übergreifende theoretische Kategorien zu bilden. Da die im Rahmen dieser Studie generierte Datenmasse und somit auch der Informationsgehalt im Vergleich zu häufig durch Interviews erhobenes Datenmaterial geringer ist und dementsprechend weniger Analysemöglichkeiten bietet, wird an dieser Stelle das Verfahren der GT abgewandelt.4 So folgen auf das fallbezogene Entwickeln von Codes im Sinne des „offenen Codierens“ direkt fallvergleichende Analysen. Aus den fallbezogenen Codes werden dadurch fallübergreifende theoretische Kategorien entwickelt. Diese werden wiederum auf jeden einzelnen Fall angewendet und dementsprechend wird eine fallsortierte Übersicht bezüglich der Häufigkeit des Vorkommens der einzelnen Kategorien erstellt. Ausgehend von der Analyse der Häufigkeiten sowie gegebenenfalls erkennbaren Zusammenhänge der Kategorien werden im Sinne des „selektiven Codierens“5 anschließend Kernkategorien entwickelt. Anhand einer ebenfalls fallsortierten Übersicht zur Verteilung dieser Kernkategorien werden verschiedene Typen gebildet, die anzeigen, inwiefern diese Kernkategorien in den untersuchten Sozialgestalten ausgeprägt sind: Ausgehend von den Beschreibungen des zentralen Formats werden so genannte „Grund-Typen“ gebildet. Ergänzt werden diese durch „ErgänzungsTypen“, die aus den Beschreibungen zu weiteren wesentlichen Formaten gebildet werden. Aus beiden Typen gemeinsam entstehen so genannte „KombinationsTypen“.6 Aus diesem Vorgehen entsteht eine Typologie, die der Theoriebildung dient. Die einzelnen Schritte und Ergebnisse werden in Tabellenform dokumentiert und sind jeweils im Anhang zu finden.7
3.1.2 Reflexion In Bezugnahme auf den kirchentheoretischen Teil dieser Arbeit wird deutlich, dass die drei gebildeten Kernkategorien drei der vier im Fazit (▶ Kapitel VII) benannten Grunddimensionen ekklesiologischer Qualität aufweisen. So kann die Kernkategorie „Bezogenheit aufeinander (Begegnung / Gemeinschaft)“ als In-Dimension begriffen werden, die Kernkategorie „Bezogenheit auf den christ-
4
5 6 7
Die Analyse der Daten im Sinne der GT folgt klaren Prinzipien, zeichnet sich insgesamt jedoch vor allem durch Offenheit statt durch eindeutig zu befolgende Regeln bzw. Abläufe aus. „Bereits in der ersten umfangreichen Veröffentlichung zur Grounded Theory haben Glaser und Strauss (1967) dringend nahegelegt, die Methode an die je konkreten Fragestellungen und Verhältnisse anzupassen“ (ebd., 477). Vgl. ebd., 482 f. S. zu den Typenbildungen ▶ Anhang 12, 14 und 15. S. ▶ Anhang 7 bis 15.
3. Qualitativer Forschungsteil
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lichen Gott / Glauben (geistlich)“ als Up-Dimension und die dritte Kernkategorie, „Bezogenheit auf andere / s (Engagement / Zielgruppe)“, als Out-Dimension. Einerseits kann an dieser Stelle kritisch hinterfragt werden, ob die Forscherin diesen Analyseprozess unvoreingenommen vollzogen hat, wenn markante kirchentheoretische Grundannahmen dieser Arbeit als Kernkategorien qualitativer Analysen erscheinen. Andererseits kann diese Beobachtung auch als eine erste Bestätigung interpretiert werden, dass die in ▶ Kapitel VII formulierten Grunddimensionen ekklesiologischer Qualität gänzlich unabhängig von der jeweiligen Form einer Sozialgestalt des christlichen Glaubens tendenziell allgemeine Gültigkeit zu haben scheinen.
3.1.3 Ausprägungsstärke der ekklesiologischen Grunddimensionen Die Ergebnisse beziehen sich letztlich auf eine Gesamtgröße von N = 33 Fälle, da insgesamt drei Fälle im Analysen-Verfahren aufgrund nicht näher auswertbarer Angaben ausgeschieden sind. In sechs Fällen zeigt sich die Ausprägung nur einer Kernkategorie und damit nur einer der insgesamt vier ekklesiologischen Grunddimensionen.8 Neun Fälle weisen hinsichtlich der benannten Kernkategorien eine dreidimensionale Ausprägung (In-, Up- und Out-Dimension) auf. In zwei Fällen ist dies bereits ausgehend von den Daten zum zentralen Format gegeben (Fall 14, 21).9 In sieben weiteren Fällen zeigt sich diese dreidimensionale Ausprägung erst durch die Ergänzung des zentralen Formats um weitere wesentliche Formate (Fall 6, 11, 24, 28, 34, 37, 39). Am häufigsten wird zur dreidimensionalen Ausprägung der Grund-Typ 1 („In-Up“) durch den „+Out-Typ“ ergänzt. Insofern fehlt die OutDimension zur dreidimensionalen Ausprägung im zentralen Format am häufigsten. Insgesamt ist die Out-Dimension bei den Grund-Typen nur in 13 Fällen vertreten – die In-Dimension hingegen in 17 Fällen und die Up-Dimension in 23 Fällen.
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Fall 9 und 38 sind dementsprechend so genannte „In-Typen“ (Grund-Typ 2), Fall 13 und 30 so genannte „Up-Typen“ (Grund-Typ 3) und Fall 17 sowie 25 lassen sich als „Out-Typen“ (Grund-Typ 6) betiteln. Bei Fall 25 sind dabei sowohl Daten zum zentralen Format als auch zu weiteren Formaten zu verzeichnen, dennoch zeigt sich in diesem Fall nur die Out-Dimension. Zu diesem Punkt gilt es zu beachten, dass als zentrales Format zum Item F26 in manchen Fällen mehrere Formate benannt wurden. Da diese von der Befragungsperson offensichtlich als zentral eingestuft wurden, werden sie gleichermaßen als zentrales Format behandelt. Ausnahme ist Fall 2, bei dem in den Formulierungen deutlich wird, dass neben dem zentralen Format zudem weitere Formate direkt zum Item F26 benannt wurden, statt dafür auf F29 zurückzugreifen. Fall 14 benennt beispielsweise mehrere Formate als zentral, während Fall 20 nur ein Format beschreibt.
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IX Auswertung
Der „In-Up-Grundtyp“ tritt am häufigsten auf (Fall 1, 5, 8, 11, 12, 14, 18, 24, 28, 29). Ausgehend von den Daten zum zentralen Format ist dieses am häufigsten auf zwischenmenschliche Begegnungen und zugleich auf die Begegnung mit dem Glauben und Gott ausgerichtet. Zudem findet sich als Grund-Typ am zweithäufigsten eine ausschließliche Ausrichtung auf die Up-Dimension im zentralen Format (Fall 3, 13, 30, 31, 36, 39). Ebenso häufig zeigt sich die Kombination der Bezogenheit auf den Glauben oder Gott (Up-Dimension) sowie zugleich auf „andere / s“ (Out-Dimension) (Fall 4, 19, 23, 27, 34, 37). Diesem Befund entsprechend, ist die Up-Dimension die am seltensten ergänzende Kernkategorie (Fall 2 und 6), jedoch die entscheidende Grundkonstante der Formate, da sie sich in 23 Fällen zeigt.
3.1.4 Explorationen zur In-Dimension Als ergänzende Dimension ist die In-Dimension („+In-Typ“ sowie ErgänzungsTyp 11) stets auf eine kontinuierliche oder verbindliche Gemeinschaftsform (Kernkategorie A_2) ausgerichtet (Fall 3, 31, 34, 36, 37). Diese Gemeinschaftsform wird dabei meist als „Kleingruppe“ (Fall 3, 34, 37) oder auch durch eine eigene Wortkreation als „Heimspiel (Kleingruppe)“ (Fall 31) bezeichnet. Zwischen der Gemeinschaftsform und der Privatheit des Orts besteht in vier Fällen eine explizit benannte Verbindung (Fall 3, 24, 31). Darüber hinaus zeigt sich in insgesamt sechs Fällen eine geistliche Ausrichtung dieses Formats (Fall 1, 3, 5, 18, 24, 36), wie beispielsweise in Fall 18 durch die spezifische Formulierung „Jesus-abhäng-Abende“ deutlich wird. Die In-Dimension nimmt also insbesondere als ergänzende Dimension die Form intensiver Gemeinschaft in überschaubarer Gruppengröße an, die häufig im Privatraum lokalisiert ist und tendenziell eine geistliche Ausrichtung aufweist. Tritt die In-Dimension bereits im zentralen Format auf, ist sie doppelt so häufig eher auf die unverbindlichere Gemeinschaftsform der Begegnung ausgerichtet (Fall 1, 2, 6, 10, 11, 12, 14, 15, 21, 29) als auf intensive Gemeinschaftsformen (Fall 5, 8, 18, 24, 28). Darüber hinaus wird häufiger die Formulierung „offen“ gewählt: „Offenes Mitbringabendbrot“ (Fall 6), „Offene Begegnungsstätte“ (Fall 10), „offene Treffen“ (Fall 12). So ist die In-Dimension vielfältig ausgeprägt und zum Teil nicht auf den ersten Blick mit dem Gemeinschaftsverständnis im Sinne von Gemeinde aus ▶ Kapitel V zusammenzubringen, wie es beispielweise an Fall 21 deutlich wird: „Party mit Tiefgang“ beschreibt hier einen spezifischen Gottesdienst. Letztlich entsprechen die Beschreibungen der In-Dimension in den meisten Fällen dem kirchentheoretischem Teil skizzierten Gemeinschaftsverständnis als Gemeinde jedoch insofern, als dass Menschen hier konkrete Möglichkeiten eröffnet werden, an einem gemeinschaftlichen Bezug auf das Wort Gottes regelmäßig zu partizipieren.
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3.1.5 Explorationen zur Up-Dimension In fast allen Fällen, in denen das zentrale Format ausschließlich die Up-Dimension aufweist (Grund-Typ 3), erschöpft sich dessen Beschreibung in der Angabe „Gottesdienst“ (Fall 3, 13, 31, 36, 39). Die Beschreibungen der „In-Up-Typen“ (Grund-Typ 1) sowie „In-Up-OutTypen“ (Grund-Typ 6) sind zum Teil genauer sowie vielfältiger in dem, wie sie die geistlichen Vollzüge und Angebote beschreiben. Dazu sei hier exemplarisch Fall 5 zitiert: „Freitagabend Treffen mit Essen, Lobpreis, Gemeinschaft, Input und Open End“. In diesem Fall erscheinen geistliche Vollzüge („Lobpreis“, „Input“) und gemeinschaftliche Aspekte („Essen“, „Gemeinschaft“) eng miteinander verwoben. Diese „Verwobenheit“ der Up- und In-Dimension scheint in mehreren Fällen intendiert (Fall 11, 18, 21). Demgegenüber stehen die Fälle, die getrennte Angebote für diese beiden Dimensionen vorsehen (Fall 8, 12). Neben dem „In-Up-Typ“ findet sich sechs Mal der so genannte „Up-OutTyp“ (Fall 4, 19, 23, 27, 34, 37). In drei Fällen wird dabei als zentrales Format ein „Gottesdienst“ an einem spezifischen Ort beschrieben, der bewusst auf Öffentlichkeit zielt: „in öffentlichen Räumen“ (Fall 4), „in einem Jazzkeller“ (Fall 34), „an einem öffentlichen Ort (Kino)“ (Fall 37). Fall 23 beschreibt als zentrales Format einen „Impulsblog im Internet“ und damit eine sich ausschließlich virtuell ereignende Up-Dimension. Ähnlich ist es bei Fall 27, in dem es um „Medienarbeit und Forschung“ zum „Thema Transsexualität und Theologie“ geht, mit dem Ziel, Menschen in ihrer Identitätsfindung zu unterstützen. Aufgrund dieses Ziels wird diese Beschreibung nicht allein der Kategorie „Bildung“, sondern dem identitätsstiftenden Aspekt der Up-Dimension mit zugeordnet. Resümierend kann festgestellt werden, dass sich die Up-Dimension der Formate im Rahmen dieser Studie häufiger verwoben mit gemeinschaftlichen und zwischenmenschlichen Aspekten zeigt. Meist wird sie als „Gottesdienst“ beschrieben und bleiben Angaben zu spezifischeren Vollzügen unklar. Dennoch zeigen Formulierungen wie „Party mit Tiefgang“ oder auch „Jesus-abhängAbende“ sowie die Beschreibung spezifischer Orte etwas über die nähere Ausprägung dieser Dimension. Zwei Fälle zeigen zudem, dass sich die Up-Dimension auch ausschließlich virtuell ereignen kann.
3.1.6 Explorationen zur Out-Dimension Die Out-Dimension kann sich sowohl in einer spezifischen Ausrichtung auf Öffentlichkeit oder auch Zielgruppen sowie in Form von (sozialdiakonischem) Engagement zeigen. Sie tritt am häufigsten bei den Grund-Typen gemeinsam mit der Up-Dimension auf, so dass sich der „Up-Out-Typ“ (Grund-Typ 4) ins-
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IX Auswertung
gesamt sechs Mal findet lässt, während der „Out-Typ“ (Grund-Typ 7) lediglich drei Mal und der „In-Out-Typ“ (Grund-Typ 5) zwei Mal vorkommen. Insgesamt kommt die Out-Dimension bei der Beschreibung des zentralen Formats am wenigsten vor. Und nur in drei Fällen beschreibt sie dabei ein spezifisches Engagement der Initiative. Häufiger wird spezifisches Engagement im Rahmen weiterer Formate skizziert. Insgesamt ist das Engagement in vier Fällen von interkulturellen Aspekten (überwiegend im Kontext der Arbeit mit Geflüchteten) und in fünf Fällen von einer (sozial)diakonischen Ausrichtung geprägt. Lediglich ein Fall zeigt eine im kirchlichen Kontext überraschende Form des Engagements durch die Betreuung eines Skateparks (Fall 11). Zudem zeigt sich die Out-Dimension in fünf Fällen ausschließlich durch die Nennung oder Ausrichtung auf eine Zielgruppe (Fall 10, 14, 15, 16, 19, 21). Es können jedoch auch spezifisch ausgewählte Orte – wie bereits bei den Explorationen zur Up-Dimension beschrieben – die Ausrichtung auf die Öffentlichkeit deutlich machen.
3.2 Auswertung der Daten zur Beschreibung des Ziels 3.2.1 Methodisches Vorgehen Die Auswertung der Daten zum Item „Was ist das Ziel oder die Vision der Initiative?“ (F32) verläuft überwiegend äquivalent zum vorausgehenden Teil. So erfolgt zunächst das so genannte offene Codieren10 und werden im zweiten Schritt aus den Codes fallübergreifende theoretische Kategorien11 abgeleitet. Aus diesen werden wiederum zentrale Kernkategorien12 ermittelt und anhand des unterschiedlich kombinierten Vorkommens dieser Kernkategorien eine Typologie13 gebildet. Diese Auswertungsschritte werden anhand der Erstellung von Tabellenübersichten vollzogen.14
3.2.2 Reflexion Erneut wurden als zentrale Kernkategorien ekklesiologische Grunddimensionen bestimmt, die kongruent zu den Ergebnissen des kirchentheoretischen Teils der Arbeit sind. Es ist festzustellen, dass die Forscherin die qualitativen Analysen 10 11 12 13 14
S. ▶ Anhang 16. S. ▶ Anhang 17 und 18. S. ▶ Anhang 19. S. ▶ Anhang 20 und 21. S. ▶ Anhang 16 bis 22.
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nicht gänzlich unabhängig von den zuvor erarbeiteten Ergebnissen und in dem Sinne ergebnisoffen vollziehen konnte. Diese Beobachtung eines gewissen Vorverständnisses kann im Sinne „sensibilisierender Konzepte“ gedeutet werden: „Sensibilisierende Konzepte sind als Leitideen Ausgangspunkt der Forschung und haben den Charakter von offenen Fragen (‚Wie geht was vor?‘).“15 Hinsichtlich der Analyse der Beschreibungen der Formate sowie des Ziels der Initiative existiert ausgehend vom kirchentheoretischen Teil dieser Arbeit offensichtlich die Leitidee, dass sich darin Merkmale ekklesiologischer Qualität im Sinne der vier skizzierten Dimensionen (of, out, in, up) finden lassen könnten. Dies hätte vor den ersten Schritten der Auswertung im Sinne von Neugierde als „theoretische Sensibilität“ (▶ Kapitel VIII, 6.2) benannt werden müssen und dementsprechend die qualitativen Analysen eröffnen können. Diese Neugierde bezieht sich insbesondere auf die Art und Weise der Ausgestaltung sowie Ausprägung der ekklesiologischen Grunddimensionen.
3.2.3 Ausprägungsstärke der ekklesiologischen Grunddimensionen Alle Fälle, zu denen Daten vorliegen, zeigen in der Analyse die Ausprägung mindestens einer ekklesiologischen Grunddimension und wurden somit beim kompletten Auswertungsverfahren berücksichtigt. Insgesamt neun Fälle weisen eine lediglich eindimensionale Ausprägung im Sinne der Out- oder Up-Dimension auf. Acht Fälle zeigen eine dreidimensionale Ausprägung der ekklesiologischen Grunddimensionen. Bei den meisten – in insgesamt 17 Fällen – sind zwei Dimensionen ausgeprägt. So ist auch ein zweidimensionaler Typ, der „Out-Up-Typ“ (Typ 4), der insgesamt am häufigsten vorkommende Typ (in sieben Fällen). Sowohl die Out- als auch die Up-Dimension sind zugleich die insgesamt am häufigsten ausgeprägten Dimensionen und treten in 24 bzw. 25 Fällen auf. Nur in einem Fall zeigt sich die Ausprägung aller vier ekklesiologischen Grunddimensionen, dabei ist die Out-Dimension lediglich in Form der Benennung einer Zielgruppe erkennbar und zeigt kein spezifisches, darüber hinausgehendes Engagement (mit beispielsweise Gesellschaftsrelevanz, wie in vielen anderen Fällen einer deutlich stärker ausgeprägten Out-Dimension): „Kirche sein mit jungen Leuten, offen für Gestaltungsmöglichkeiten, Raum für Begegnung mit Menschen und mit Gott“ (Fall 12). Anhand dieses Beispiels werden die Grenzen der gewählten Methodik deutlich: Wie stark die unterschiedlichen Dimensionen jeweils ausgeprägt sind, wird durch die Typologie nicht abgebildet. In den folgenden weiterführenden
15 Andreas Böhm, 2012, 476.
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Explorationen wird jedoch die Art und Weise der Ausprägung der einzelnen Dimensionen genauer beleuchtet.
3.2.4 Explorationen zur Out-Dimension In elf Fällen ist die Out-Dimension von dem Anliegen geprägt, als Kirche, Gemeinde oder auch als Christinnen und Christen gesellschaftsrelevant zu sein. In den meisten Fällen bezieht sich dieses Anliegen auf die Stadt, in der die Initiative verortet ist. So formuliert beispielsweise Fall 1: „Die Stadt positiv zu prägen durch eine Lebensweise, die inspiriert ist von der Liebe Christi“ oder auch Fall 5: „Beziehung zueinander und zu Gott zu leben und dadurch unserer Stadt nach und nach ein Segen […] sein“. Fall 34 geht es um „die Vision […], ‚Kirche für die Stadt‘ zu sein“ und will diese „für den speziellen Kontext der von uns ‚Durchreisende‘ genannten Personen umsetzen“. Zudem findet sich bei Fall 38 der spezifische Bezug auf einen Stadtteil und bei Fall 39 die Formulierung: „Vision ist, eine Gemeinschaft zu sein, die Evangelium in XY [Ort wurde anonymisiert] und Umgebung ist, Gott sichtbar werden lässt, Kultur schafft und fördert, einen Beitrag zur Behebung der Flüchtlingskrise schafft.“ Gesellschaftsrelevanz ist in dem Sinne auf die Kommunikation des Evangeliums bezogen, die – vor allem mit Blick auf den näheren Kontext – gesellschaftsrelevant erfolgen oder jedenfalls gesellschaftsrelevante Wirkung haben soll. Auch die Fälle, in denen es um biographisch-religiöse Begleitung Einzelner geht, zeigen eine ähnliche Ausrichtung. Hier geht es darum, dass die Kommunikation des Evangeliums im Leben Einzelner relevant wird. Eng damit verbunden ist eine Beobachtung zur Up-Dimension. Diesbezüglich wird in den Zielformulierungen häufiger die Alltags- sowie Lebensrelevanz des Glaubens und der Gottesbeziehung benannt. Die Fälle, deren Zielformulierung hinsichtlich der Out-Dimension von dem Anliegen der Gesellschafts- oder Lebensrelevanz zeugen, sind dabei zum Teil jedoch nicht deckungsgleich mit denjenigen, die die Lebensrelevanz des Glaubens als Ziel im Sinne der Up-Dimension betonen. So zeigt sich in den Zielformulierungen bei insgesamt 16 von N = 37 Fällen – also insgesamt deutlich mehr als einem Drittel der untersuchten Fälle – der Fokus darauf, dass die Kommunikation des Evangeliums und die Gottesbeziehung sich im eigenen Leben sowie im Leben anderer konkret als relevant16 auswirken soll. Diese Beobachtung kann in Verbindung mit ▶ TEIL B aus soziologischer Perspektive dahin gedeutet werden, dass sich auch im religiösen Bereich Entscheidungen und Festlegungen im immer weniger überschaubaren Lebensalltag (junger
16 Zum Begriff der Relevanz vgl. ▶ die Einleitung, 1.
3. Qualitativer Forschungsteil
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Erwachsener) stets bewähren und in dem Sinne als relevant erweisen müssen, da sie ansonsten revidiert werden.17 Zur Out-Dimension gehört zudem die spezifische Ausrichtung auf eine oder mehrere Zielgruppen, die sich bei insgesamt 18 Fällen zeigt. In den meisten Fällen werden hier junge Erwachsene benannt. Dies ist durch das spezifische Forschungsdesign bedingt und nicht näher zu analysieren. Insgesamt werden alle Bestrebungen, die sich nach „außen“ wenden, als Merkmal der Out-Dimension begriffen, so dass sich hier eine große Vielfalt hinsichtlich der Form der Gestaltung dieser Dimension von „[j]eden Menschen willkommen heißen“ (Fall 10) bis hin zu „Erweckung“ (Fall 36) zeigt.
3.2.5 Explorationen zur In-Dimension Häufig finden sich Formulierungen, die die In-Dimension mit der Up-Dimension verknüpft erscheinen lassen: „Christliche Gemeinschaft […] stiften“ (Fall 1), „Beziehung zueinander und zu Gott […] leben“ (Fall 5), „Begegnungen zwischen Menschen und mit Gott ermöglichen“ (Fall 6 – ähnlich zudem Fall 12, 19, 40). Nur in vereinzelten Fällen geht es bei der Beschreibung der In-Dimension ausschließlich um den Aspekt zwischenmenschlicher Begegnungen (Fall 10, 15). In keinem einzigen Fall ist nur die In-Dimension in der Zielformulierung erkennbar, sondern diese taucht stets in Kombinationen mit anderen ekklesiologischen Grunddimensionen auf. Der Begriff „Gemeinschaft“ findet sich zur Beschreibung der In-Dimension in lediglich drei Fällen (Fall 1, 7, 39) auf. Häufiger wird die In-Dimension mit „Begegnung“ (Fall 1, 6, 7, 12, 15, 19) sowie zudem mit „Vernetzung“ (Fall 10) beschrieben, die ermöglicht werden soll. Drei Fälle (Fall 12, 15, 19) formulieren dabei das spezifische Anliegen, „Raum zur Begegnung“ zu eröffnen. So erscheint die In-Dimension in den Zielformulierungen insgesamt weniger auf kontinuierliche und verbindliche Formen von Gemeinschaft, sondern tendenziell stärker darauf ausgerichtet, Räume oder Kontexte zu schaffen, die Begegnungen – auch Gottesbegegnungen – ermöglichen. Eine explizite Bezogenheit auf das Wort Gottes im Sinne von Gemeinde, wird dabei überwiegend nicht deutlich. Es zeigt sich jedoch wiederum ganz im Sinne von Gemeinde häufig eine Verbindung der In-Dimension zur Up-Dimension, da es nicht nur um zwischenmenschliche sondern zugleich um Gottesbegegnungen geht.
17 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen zur Flexibilität in ▶ Kapitel I und II.
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3.2.6 Explorationen zur Up-Dimension Die explizite Beschreibung von gemeinschaftlichen Interaktionen in der Bezogenheit auf das Wort Gottes sowie von spezifischen christlichen Praktiken zeigt sich nur in einem Fall: „In Gottes Gegenwart sein, Gott anbeten, Erweckung“ (Fall 36). Deutlich häufiger finden sich Beschreibungen, in denen die Up-Dimension durch den Lebensbezug oder die Gesellschaftsrelevanz der Glaubenspraxis sowie Glaubensvermittlung deutlich wird (Fall 1, 3, 4, 5, 11, 18, 21, 29, 30, 39) oder es darum geht, Raum zur Gottesbegegnung (Fall 6, 12, 19) zu eröffnen. Beide Aspekte wurden bereits erwähnt. Zur Kategorie des „Raums“ wird an dieser Stelle eine Kurzanalyse durchgeführt: Insgesamt elf Mal wird die Formulierung“ Raum“ oder „Platz“ zur Zielbeschreibung gewählt. Die Kategorie Raum meint in diesen Fällen keine spezifische Lokalisierung, sondern Raum für jemanden oder etwas, in dem etwas geschehen kann oder sich ereignen soll. So kann man an dieser Stelle eine Parallele zum ereignis-ekklesiologischen Ansatz von Michael Schüßler ziehen. In seinen Ausführungen spricht er letztlich von „sozialen Voraussetzungen“18, die für das Ereignis – auf dass er in voller Radikalität setzt – wesentlich seien, bleibt genau darin jedoch ambivalent, was dies genau bedeuten soll. Ohne hier eine Verbindungslinie der Forschungsergebnisse zur Radikalität sowie zum Teil auch Nicht-Plausibilität von Michael Schüßlers Ansatz19 ziehen zu wollen, wird im Rahmen der Auswertung der Online-Befragung zumindest an einer Stelle deutlich, dass es Initiativen gibt, denen es stärker darum geht, „soziale Voraussetzungen“ im Sinne von „Räumen“ oder „Platz“ zu schaffen, in denen sich etwas ereignen soll – Gemeinschaft, Gottesbegegnung, Kirchenbezug, Alltagshilfe –, als dass sie konkrete Formen beschreiben, wie beispielsweise Gemeinschaft oder auch Glaubensvermittlung in der Initiative gestaltet wird. Die Ergebnisse werden als Tendenz dahingehend interpretiert, sich verschiedenen Ereignissen gegenüber zu öffnen und das Kreieren von dafür geeigneten Settings in den Fokus zu stellen. Diese Beobachtung trifft nur auf einen kleinen Teil der Fälle zu. Eine kurze Analyse der in den Zielformulierungen gebrauchten Verben ergänzt an dieser Stelle die skizzierten Beobachtungen, führt sie jedoch nicht maßgeblich weiter, so dass die Ergebnisse lediglich im Anhang dokumentiert sind.20
18 Vgl. Michael Schüßler, 2013, 287 sowie die Ausführungen dazu ▶ Kapitel VI, 2.2.2.4. 19 Vgl. dazu die kritische Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen in ▶ Kapitel VI, 2.2.2.6. 20 S. ▶ Anhang 22.
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3.2.7 Explorationen zur Of-Dimension Die Of-Dimension ist bei den Zielformulierungen am häufigsten mit einer ebenfalls erkennbar ausgeprägten Out-Dimension verbunden.21 Vier Fälle fokussieren sich dabei explizit auf die Zielgruppe junge Erwachsene (Fall 12, 13, 15, 34), beschreiben dabei jedoch nur ansatzweise, inwiefern diese Zielgruppenorientierung die Gestaltung oder das Verständnis des jeweiligen Kircheseins oder Kirchegestaltens konkret prägt. Die Notwendigkeit von Mitgestaltungsmöglichkeiten, Begegnung mit Menschen in derselben, von Umbrüchen geprägten Lebenssituation und die daraus resultierenden kurzfristigen Bindungsmöglichkeiten sind dabei jedoch benannte Aspekte, die kongruent zur Definition Junger Erwachsener in ▶ Kapitel I erscheinen. Fall 3 zeigt in der Zielformulierung keine spezifische Ausrichtung auf die Zielgruppe Junge Erwachsene, ergänzt diese genannten drei Punkte jedoch um den Aspekt, dass „Kirche und christliche[r] Glauben für Menschen von heute relevant und zeitgemäß“ gestaltet werden muss und expliziert dabei zudem, dass „relevant“ bedeute, zu „entdecken, wie der Glaube Orientierung für unser Leben bieten kann“. So lässt sich resümieren, dass die in den Zielbeschreibungen deutlich werdende Of-Dimension jeweils in unterschiedlicher Art und Weise an dem Alltagserleben sowie an den Herausforderungen und Potentialen der Lebenssituation junger Erwachsener anzuknüpfen versucht – lediglich in einem Fall wird dabei der Aspekt der kurzfristigen Bindung explizit erwähnt, der in den theoretischen Teilen dieser Arbeit hingegen intensiv diskutiert wurde. Da es insgesamt sehr wenige Fälle sind und zudem nur ein geringes Datenmaterial für diese Fälle zu dieser Frage vorliegt, sind an dieser Stelle keine tiefergehenden Analysen oder weiterführenden Schlussfolgerungen möglich. Auffällig ist, dass nur in einem Fall explizit der Begriff Gemeinde verwendet wird (Fall 13). Es erscheint wesentlich, ausgehend von dieser Beobachtung, in der Zusammenschau der qualitativen und der quantitativen Ergebnisse das jeweilige ekklesiologische Selbstverständnis im Sinne von Gemeinde für die einzelnen Fälle näher zu untersuchen.
21 Dies trifft auf sieben von insgesamt acht Fällen mit ausgeprägter Of-Dimension zu: Fall 3, 8, 12, 13, 15, 20, 34 – Fall 13 und 34 zeigen dabei ausschließlich die Kombination von Out- und Of-Dimension. Lediglich in Fall 9 ist die Of-Dimension ausschließlich mit der In-Dimension verbunden.
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3.3 Auswertung der Daten zu ergänzenden Aspekten des Gemeindebegriffs 3.3.1 Methodisches Vorgehen Zur dritten offen formulierten Frage der Online-Befragung, „Was hat aus deiner Sicht zur Beschreibung der Initiative in allen vier Texten gefehlt?“ (F38), liegt deutlich weniger Datenmaterial vor, als zu den vorausgehenden beiden Fragen. Die Grundgesamtheit ist mit N = 3422 beinahe ebenso groß wie bei den vorangehenden Analysen, in vielen Fällen erschöpfen sich die an dieser Stelle generierten Daten jedoch in einem Stichwort oder der Angabe eines Zeichens („-“, „/“, „?“)23. So erfolgt die Analyse hier in einer gekürzten Variante, die lediglich noch in ersten Ansätzen mit den Verfahrensweisen der GT zu vergleichen ist. Dennoch werden auch diesmal ausgehend vom Datenmaterial zunächst für jeden Fall Codes24 vergeben und davon ausgehend fallübergreifende Kategorien25 abgeleitet. Diese Kategorien sollen vorrangig markieren, welche Aspekte die zuvor bewerteten Texte aus Sicht der Befragten sinnvoll ergänzen und in dem Sinne gegebenenfalls als neue Dimensionen des Gemeindebegriffs diskutiert werden könnten. Diese in Form von Kategorien benannten einzelnen Aspekte werden anschließend zu Kernkategorien sowie zu Hinweisen zusammengefasst.26
3.3.2 Ergebnis Die Auswertung und Interpretation der Daten zur Frage F3827 tragen keine wesentlichen neuen Dimensionen in den Gemeindebegriff ein, die im Anschluss an ▶ TEIL B und den darin fokussierten Merkmalen im Folgenden diskutiert werden könnten. Es muss zudem festgestellt werden, dass die Konzeption dieses Teils der Online-Befragung nur ansatzweise gelungen ist und die Fragesowie Aufgabenstellungen sich zum Teil als miss- und unverständlich erweisen. Zwei Aspekte der im ▶ TEIL B bereits herausgearbeiteten Merkmale ekklesiologischer Qualität erfahren jedoch an dieser Stelle eine Zuspitzung:
22 Neben den drei zu verzeichnenden Abbrüchen von Fall 26, 32 und 35 ab Frage F26 ist an dieser Stelle (Item F38) ein Item-Nonresponse von Fall 9 zu verzeichnen. Zudem gilt auch an dieser Stelle, dass die Daten von Fall 20 sowie 22 bei der Auswertung nicht berücksichtigt werden. 23 Vgl. die Daten von Fall 4, 5, 10, 11, 13, 18, 19, 22, 28, 29, 30, 36, 37 und 38. 24 S. ▶ Anhang 23. 25 S. ▶ Anhang 24. 26 S. ▶ Anhang 25. 27 S. ▶ Anhang 23 bis 26.
4. Überprüfung von Hypothese 1
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Es wird deutlich, dass der Aspekt der Gesellschaftsrelevanz einer christlichen Ausdrucksform des Glaubens eine entscheidende Rolle im ekklesiologischen Selbstverständnis einiger der hier untersuchten Initiativen spielt. In den präsentierten Beschreibungen von Gemeinde (F33 bis F36) ist dieser Aspekt – auch in den Formulierungen, die der Out-Dimension zugeordnet werden – nicht deutlich oder zentral genug formuliert. Darüber hinaus zeigt sich – wenn auch nur vereinzelt –, dass Entwicklungsprozesse, die im Sinne ekklesialer Reifungsprozesse verstanden werden können, bereits das Selbstverständnis der untersuchten Initiativen prägen.
4. Überprüfung von Hypothese 1 Zur Überprüfung von Hypothese 1 werden die Ergebnisse der qualitativen Studie mit den Auswertungen des deutlich umfangreicheren quantitativen Forschungsteils kombiniert. Die Auswertungsergebnisse des quantitativen Forschungsteils finden sich in den folgenden vier Abschnitten (▶ Kapitel IX, 4.1.1 bis 4.1.4). Allerdings stehen in diesen Abschnitten lediglich diejenigen Daten im Fokus, die für die Analyse der Ausprägung der vier ekklesiologischen Grunddimensionen zentral sind. Die Auswertung weiterer Daten wird im Rahmen weiterführender Explorationen (▶ Kapitel IX, 6) vorgenommen. Entscheidendes Vehikel für die Überprüfung von Hypothese 1 ist die so genannte „Ekklesiomatrix“, die Aufschluss über die Ausprägung der vier ekklesiologischen Grunddimensionen je Fall gibt und dazu mit dem Computerprogramm Excel programmiert wurde. Diese Matrix und die entsprechenden Auswertungsschritte zur Analyse der ekklesiologischen Grunddimensionen werden im Folgenden näher erläutert.
4.1 Untersuchung der Merkmale ekklesiologischer Qualität Die ekklesiologische Qualität wird je Fall in einem dreischrittigen Verfahren (1. Ausprägung einzelner Aspekte je Dimension, 2. Jeweilige Ausprägung der vier Dimensionen, 3. Ausprägung der ekklesiologischen Qualität insgesamt) geprüft. Die ekklesiologische Qualität ist dabei, entsprechend ▶ Kapitel VII, in die vier Merkmale sowie Dimensionen of, out, in, up unterteilt. Je Dimension werden die unterschiedlichen, zuvor definierten Aspekte anhand der Daten zu den Items (▶ Kapitel VIII, 5.2.2.1) untersucht, um die Ausprägung der jeweiligen
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Dimension zu bestimmen. Für jeden Aspekt wird der jeweils erreichte Wert in Prozent, bezogen auf die einzelne Dimension, notiert. Die jeweils erreichten Prozentwerte je Aspekt werden anschließend addiert, um die Ausprägung der jeweiligen Dimension zu bestimmen. Die Prozentwerte je Aspekt sind so verteilt, dass jede Dimension eine Ausprägung von maximal 100 % erreichen kann. Wenn eine Dimension eine Ausprägung von unter 50 % aufweist, gilt sie als (noch) nicht ausreichend ausgeprägt. Wenn eine Dimension 100 % erreicht, gilt sie als „vollständig“ ausgeprägt. Hierin zeigt sich das Bestreben, Entwicklungsprozesse im Rahmen der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität abzubilden. Zur Untersuchung der ekklesiologischen Qualität eines Falls werden anschließend die jeweils pro Dimension erreichten Prozentwerte addiert. „Vollständige“ ekklesiologische Qualität im Sinne der größtmöglichen Ausprägung aller Aspekte und dementsprechend aller Dimensionen, liegt dann vor, wenn ein Fall hinsichtlich der ekklesiologischen Qualität einen Wert von insgesamt 400 % erreicht. Erst ab dem erreichten Wert von 300 % wird im Rahmen dieses Forschungsprojekts von einer ausgeprägten ekklesiologischen Qualität gesprochen. Bei Werten die kleiner sind erschein es schwierig zu beurteilen, ob dieser Fall sich an einigen Stellen in noch recht frühen Stadien ekklesialer Reifungsprozesse befindet, oder ob eine ekklesiologische Qualität insgesamt nur sehr gering vorhanden und von der Initiative zudem nicht stärker intendiert ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass es christliche Initiativen gibt, die sinn- und wertvolle Arbeit guter Qualität machen, ohne sich dabei als Kirche oder Gemeinde zu verstehen. So wird im Rahmen dieser Studie ab einem Wert von 300 % von einer „robusten“ und in dem Sinne ausgeprägten ekklesiologischen Qualität gesprochen. Zur Falsifizierung der Hypothese 1 wird dementsprechend eine zu mindestens 300 % ausgeprägte ekklesiologische Qualität bei mindestens einem untersuchten Fall benötigt. Anderenfalls hätte sich die Hypothese 1 im Rahmen dieser Studie bewährt. Sollte ein Fall hinsichtlich der ekklesiologischen Qualität einen Wert von 300 % oder mehr erreichen, dabei jedoch eine Dimension weniger als 50 % ausgeprägt sein, gilt es, zu diskutieren, inwiefern dies als Reifungsprozess zu interpretieren ist. Ausgehend von den Ausführungen zu Entwicklungsprozessen hinsichtlich der ekklesiologischen Qualität in ▶ TEIL B und der Schlussfolgerung, dass ekklesiale Reife nicht als Zustand sondern als Prozess zu begreifen ist, gilt es bei dem in diesem Kapitel verwendeten Begriff „vollständige Ausprägung“ zu berücksichtigen, dass damit nicht ein endgültiger Status ekklesiologischer Qualität gemeint ist. Mit „vollständiger Ausprägung“ wird im Rahmen dieser Studie vielmehr die Beobachtung beschrieben, dass ein Fall hinsichtlich aller in die-
4. Überprüfung von Hypothese 1
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sem Kontext definierten Aspekte und dementsprechend auch Dimensionen ekklesiologischer Qualität zum jetzigen Zeitpunkt die größtmöglich darstellbare Ausprägung aufweist. Davon ausgehend können jedoch keine generellen Aussagen über nötige oder mögliche sowie über nicht mehr nötige oder mögliche Entwicklungspotentiale abgeleitet werden. Nur an den Stellen, wo Entwicklungspotentiale bei der Auswertung explizit benannt werden, stehen diese auch im Fokus der Betrachtung. Für diese fallorientierte Untersuchung ekklesiologischer Qualität wurde im Rahmen dieses Forschungsprojekts eine Matrix erarbeitet – die so genannte „Ekklesiomatrix“. Diese „Ekklesiomatrix“ besteht aus einer detaillierten Auswertungsmatrix für jeden einzelnen Fall sowie einer Übersichtsmatrix. In der detaillierten Auswertungsmatrix sind alle beschriebenen Aspekte und Dimensionen entsprechend ihrer jeweiligen Ausprägung sowie die Ausprägung der ekklesiologischen Qualität insgesamt je Fall dargestellt.28 Für jede der vier Dimensionen wird pro Zeile einer der zugehörigen Aspekte aufgeführt. Für jeden Aspekt wird in einer Spalte zunächst der maximale Wert benannt, der erreicht werden kann. In der Spalte daneben wird der erreichte Wert des vorliegenden Falls zu diesem Aspekt angezeigt. Darüber hinaus findet sich je Aspekt eine weitere Prozentangabe in der Matrix unter dem Titel „errei. Wert in %“ (= erreichter Wert in Prozent). Diese Spalte zeigt die Ausprägungsstärke des jeweiligen Aspekts als Prozentanteil im Verhältnis zum maximal möglichen Ausprägungswert (100 %) an und dient dabei lediglich der Orientierung, fließt in die skizzierten Berechnungen der ekklesiologischen Qualität jedoch nicht ein. Die letzte Spalte der Matrix präsentiert zum jeweiligen Antwortwert die entsprechenden Daten des Falls zu diesem Aspekt in einer Kurzformulierung (beispielsweise „Leitung erkennbar = 8“). In dieser detaillierten Auswertungsmatrix je Fall werden zudem die Ausprägungsstärke der vier Dimensionen sowie der ekklesiologischen Qualität insgesamt angezeigt. In der Übersichtsmatrix wird je Fall die jeweilige Ausprägung der einzelnen Dimensionen sowie der ekklesiologischen Qualität dargestellt.29 Für diese Übersichtsmatrix gilt: Umso grüner der jeweilige Farbton in der Darstellung, umso stärker ist die Ausprägung dieser Dimension oder auch der ekklesiologischen Qualität insgesamt. Je röter der Farbton ist, desto geringer ist auch die Ausprägung. Zudem finden sich in dieser Übersicht einige Anmerkungen. Insbesondere die letzten beiden Anmerkungsspalten bilden den Ausgangspunkt
28 S. ▶ Anhang 27. 29 S. ▶ Anhang 28.
340
IX Auswertung
für die weiterführende Beschäftigung mit Hypothese 2 und Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis (▶ Kapitel IX, 5). Im Folgenden werden nun die einzelnen Aspekte in ihrer Bedeutung für die vier Dimensionen ekklesiologischer Qualität beschrieben.30
4.1.1 Of-Dimension Die Of-Dimension ist, entsprechend der in ▶ Kapitel VIII, 5.2.2.1 skizzierten Frage- und Antwort-Items31, in sechs Aspekte aufgegliedert, die unterschiedlich gewichtet zur Bestimmung der Ausprägung der Of-Dimension bewertet werden. Ein siebter Aspekt ergibt sich durch die Ergebnisse der qualitativen Analysen zum Ziel. Die drei Aspekte der organisatorischen Selbstständigkeit (Leitungskennzeichen, Name, Finanzierung) stellen dabei insgesamt 25 % der Of-Dimension. Deutlich mehr Gewicht wird mit insgesamt 75 % den vier Aspekten der Selbstbeschreibung und Selbsteinschätzung und dementsprechend dem Selbstverständnis als Kirche oder Gemeinde beigemessen (F34_4, F35_4, F36_2 sowie ausgehend von der Zielbeschreibung). Diese Verteilung ist darin begründet, dass die Entwicklung organisatorischer Selbstständigkeit allein nicht als ekklesiologisches Selbstverständnis gewertet werden kann. Nur im Zusammenhang mit einem deutlich erkennbaren ekklesiologischen Selbstverständnis in Form von Selbstbeschreibungen oder Selbsteinschätzungen können Kennzeichen organisatorischer Selbstständigkeit als praktische Ausprägung dieses Selbstverständnisses gewertet werden. Diese Überlegung bildet den Hintergrund für die unterschiedliche Gewichtung der Aspekte in der Untersuchung der Of-Dimension, wie die Ekklesiomatrix sie anzeigt.
4.1.2 Out-Dimension Zur Untersuchung der Ausprägung der Out-Dimension werden insgesamt vier Aspekte aus organisatorischer Perspektive (Mediennutzung, Zugehörigkeitsregelungen, Organisation und Ort des Formats) sowie die Ausprägung dieser Dimension in der Beschreibung des zentralen Formats und des Ziels als zwei weitere Aspekte herangezogen, die sich aus den qualitativen Analysen ergeben.
30 Aus Gründen der Lesbarkeit wurde vor allem der empirische Teil der Dissertation gekürzt. Detailliertere Ausführungen zu beispielsweise diesem zentralen Aspekt der Studie sind im eingereichten Exemplar der Dissertation über die Greifswalder Universitätsbibliothek einsehbar. 31 Für die Ausführungen in den Abschnitten ▶ Kapitel IX 4.1.1 bis 4.1.4 kann auf den Befragungsbogen der Online-Befragung in ▶ Anhang 2 zurückgegriffen werden, in dem alle Items nummeriert sind.
4. Überprüfung von Hypothese 1
341
Darüber hinaus wird auch die Selbsteinschätzung anhand der Bewertung von vier Merkmalen (F34_1, F34_2, F35_3, F36_4) berücksichtigt, so dass es insgesamt zehn zu untersuchende Aspekte dieser Dimension gibt. Da die Organisation von Teilhabemöglichkeiten für die Out-Dimension ebenso zentral wie das Selbstverständnis hinsichtlich dieser Dimension ist, erfolgt hier eine andere Gewichtung der einzelnen Aspekte: Die Aspekte aus organisatorischer Perspektive, die Menschen Zugänge zu und Teilhabe an der Initiative ermöglichen, umfassen insgesamt 40 % der gesamten Dimension. Allein in diesen organisatorischen Aspekten kann sich die Ausprägung der Out-Dimension – anders als hinsichtlich der Of-Dimension beurteilt – bereits zeigen. Darüber hinaus werden 20 % der Erkennbarkeit der OutDimension den frei formulierten Beschreibungen zum Format und zum Ziel zugemessen. Die weiteren 40 % werden auf die vier Merkmale zur Selbsteinschätzung gleichmäßig verteilt. Damit wird in dieser Dimension organisatorischen Aspekten und den Selbsteinschätzungen insgesamt gleich starkes Gewicht gegeben, da beides gleichermaßen wesentlich zur Beurteilung der Ausprägung der Out-Dimension im Sinne der Eröffnung von Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten erscheint. Ob diese Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten sich auf einen spezifischen Kontext oder eine Zielgruppe beziehen und mit einem missionalen Anliegen oder Sendungsbewusstsein verbunden sind, lässt sich anhand der Selbsteinschätzungen als Gegenüber zu den organisatorischen Aspekten erörtern.
4.1.3 In-Dimension Zur Untersuchung der In-Dimension gehören insgesamt sieben Aspekte. Drei davon sind eher organisatorische Aspekte (Perspektive der Initiative, Rhythmus des Formats, Rolle von Gemeinschaft) denen insgesamt ein Gewicht von 30 % dieser Dimension zukommt. Sie zielen vor allem auf den Aspekt der Kontinuität und fokussieren sich auf verbindliche Gemeinschaft. Ebenso bedeutsam für die Beurteilung der Ausprägung der In-Dimension werden die beiden Aspekte der Erkennbarkeit dieser Dimension in der Beschreibung des Formats sowie des Ziels gewertet, die sich in den qualitativen Analysen zeigt. Dabei geht es um jegliche Formen, in denen die Intention von zwischenmenschlichen Begegnungen deutlich wird, unabhängig von der weiteren Ausgestaltung, Kontinuität und einem Verständnis als geistlicher Gemeinschaft. Den mit 40 % größten Anteil der In-Dimension hat die Selbsteinschätzung zur Bedeutung der In-Dimension in der Initiative. Diese wird anhand der Bewertung von zwei Merkmalen der In-Dimension (F35_2, F36_3) untersucht. In den Formulierungen dieser Merkmale wird bereits ein Verständnis als geistliche Gemeinschaft angedeutet, wenn es auch nicht explizit im Fokus steht: So ist das Merkmal „IN“ äquivalent
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IX Auswertung
zum Merkmal „UP“ formuliert32. Das von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt übernommene Merkmal33 lässt darüber hinaus rechtfertigungstheologische Bezüge anklingen. Ausgehend von den kirchentheoretischen Auseinandersetzungen ist darauf zu verweisen, dass eine stark ausgeprägte InDimension anhand der hier skizzierten Aspekte erst in Kombination mit einer ebenfalls ausgeprägten Up-Dimension ekklesiologische Qualität erlangen kann, da die Bezogenheit auf das Wort Gottes wesentliches Merkmal von Gemeinschaft im Sinne von Gemeinde ist.
4.1.4 Up-Dimension Zur Up-Dimension gibt es keine organisatorischen Aspekte, die untersucht werden könnten. So beginnt die Untersuchung dieser Dimension mit Rückgriff auf die Ergebnisse der qualitativen Studie ausgehend von den Beschreibungen des zentralen Formats sowie Ziels der Initiative. Zeigt sich darin eine Ausprägung der Up-Dimension, wird dieser Ausprägung jeweils eine Bedeutung von 10 % für die Up-Dimension insgesamt beigemessen. Ein deutlich höherer Stellenwert bei der Untersuchung der Up-Dimension kommt mit insgesamt 40 % den beiden Aspekten der Feier der Taufe und des Abendmahls zu. Dies ist darin begründet, dass sich insbesondere in diesen beiden Aspekten ein Verständnis als Gemeinde in zentralen praktischen Vollzügen zeigt, wie aus den kirchentheoretischen Auseinandersetzungen dieser Arbeit deutlich wurde. Auch der Selbsteinschätzung der Initiative anhand der Bewertung der vier Merkmale zur Up-Dimension (F33, F34_3, F35_1, F36_1), kommt mit 40 % derselbe Stellenwert bezüglich der Ausprägung dieser Dimension zu. Diese vier Merkmale beleuchten vier unterschiedliche Aspekte der Up-Dimension und erscheinen genau darin gleichermaßen wichtig.
4.2 Ergebnis und Fazit zu Hypothese 1 Im Rahmen der fallorientierten Untersuchung der ekklesiologischen Qualität können von den 40 Fällen, die ausgehend von den Rückläufen der OnlineBefragung auf den definierten Forschungsgegenstand (▶ Kapitel VIII, 2) zutreffen, letztlich lediglich 34 Fälle ausgewertet werden. Drei Fälle (Fall 26, 32 „UP – Die Beziehung zum dreieinigen Gott: Sich Gott zuwenden und anvertrauen“ und im Vergleich dazu: „IN – Die Beziehungen untereinander: Sich einander zuwenden und anvertrauen“ (vgl. dazu die Items F35_1 und F35_2). 33 Vgl. Item F36_3: „unsere Gemeinschaft ist durch bedingungslose Annahme geprägt – trotz und gerade in unserer Verschiedenheit“.
4. Überprüfung von Hypothese 1
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32 und 35) haben die Befragung vorzeitig abgebrochen, zwei Fälle (20 und 22) wurden von der Auswertung ausgeschlossen (▶ Kapitel IX, 3) und die Daten eines weiteren Falls zeigen sich als nicht auswertbar, da zentrale Fragestellungen nicht verstanden wurden (Fall 21). Die Untersuchungsgruppe hat dementsprechend eine Grundgesamtheit von N = 34. Alle Daten zu den skizzierten Frage- und Antwort-Items werden je Fall in die „Ekklesiomatrix“ eingetragen. Die Matrix berechnet anhand dieser Daten die jeweilige Ausprägungsstärke der unterschiedlichen Dimensionen sowie der ekklesiologischen Qualität insgesamt selbstständig und gibt dies in Prozent an. Diese Berechnung erfolgt entsprechend der zu den vier ekklesiologischen Grunddimensionen skizzierten Kriterien. Insgesamt 16 der 34 anhand der „Ekklesiomatrix“ ausgewerteten Fälle zeigen in dem beschriebenen Verfahren eine Ausprägung der ekklesiologischen Qualität von über 300 % in der Matrix. Knapp die Hälfte der zur Überprüfung der ekklesiologischen Qualität untersuchten Fälle weisen somit eine ekklesiologische Qualität auf. Lediglich bei einem Fall (Fall 38) zeigt eine der vier Dimensionen eine Ausprägung von unter 50 %34, so dass dieser Fall noch einmal näher überprüft werden muss. Bei den anderen Fällen kann von einer ausgeprägten ekklesiologischen Qualität gesprochen werden, so dass diese 15 Fälle zur Falsifizierung der Hypothese 1 führen. Somit präsentieren die Ergebnisse dieser Studie, dass sich eine Relevanz von Kirche insofern im Leben junger Erwachsener zeigen kann, als dass es von ihnen maßgeblich geprägte Ausdrucksformen des Glaubens mit ekklesiologischer Qualität gibt. Diese Relevanz von Kirche gibt jedoch keine Auskunft über das Verhältnis junger Erwachsener zur Institution der Evangelischen Kirche. An diesem Ergebnis der Studie wird vielmehr deutlich, wie grundlegende Kennzeichen von Kirche, die aus Perspektive der Evangelischen Kirche bestimmt wurden, aktuelle Ausdrucksformen des christlichen Glaubens prägen können. Insbesondere die weiterführenden Explorationen (▶ Kapitel IX, 6) sind dazu zu berücksichtigen. Dieses Ergebnis kann anhand der Darstellung der fallsortierten Gesamtübersicht zur ekklesiologischen Qualität aller untersuchten Fälle nachvollzogen werden, die in der Übersichtsmatrix35, der „Ekklesiomatrix“, präsentiert wird. Zudem enthält die „Ekklesiomatrix“ eine detaillierte Auswertungsmatrix36 je Fall mit einer Übersicht zur Ausprägung der einzelnen Dimensionen sowie der dazu jeweils untersuchten Aspekte. 34 Die Up-Dimension zeigt eine Ausprägungsstärke in der Matrix von lediglich 49,5 %. 35 S. ▶ Anhang 28. 36 S. ▶ Anhang 27.
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IX Auswertung
5. Hypothese 2: Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis Das ekklesiologische Selbstverständnis wurde bereits bei der quantitativen Untersuchung der ekklesiologischen Qualität insofern berücksichtigt, dass die Selbsteinschätzungen in Form von Bewertungen verschiedener Merkmale im letzten Teil der Befragung anhand quantitativer Verfahren ausgewertet wurden. Darüber hinaus wurden in den frei formulierten Beschreibungen des zentralen Formats sowie weiterer wesentlicher Formate und des Ziels der Initiative Ausprägungen der ekklesiologischen Grunddimensionen deutlich, so dass diese Aspekte eines ekklesiologischen Selbstverständnisses in die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität ebenfalls bereits eingeflossen sind. An dieser Stelle gilt es nun im Sinne von Hypothese 2 das ekklesiologische Selbstverständnis insgesamt zu betrachten sowie zu explorieren, inwiefern es die ekklesiologische Qualität einer Ausdrucksform des Glaubens prägt.
5.1 Zentraler Aspekt: Selbstverständnis als Gemeinde Alle Fälle, die sich selbst als „Gemeinde“ beschreiben (F12) weisen im Rahmen der Studie ekklesiologische Qualität auf37 – einzige Ausnahme ist Fall 13. Vier Fälle mit ekklesiologischer Qualität wählen zur Selbstbeschreibung andere Begriffe, wie beispielsweise „Fresh X“ (Fall 4 und 38). Dies kann insofern ebenfalls als ein Selbstverständnis als Gemeinde interpretiert werden, da ein Bezug zum Fresh-X-Netzwerk angezeigt38 und in dem Kontext Fresh X als Gemeinde
37 Dies sind insgesamt 13 Fälle: Fall 1, 3, 8, 9, 11, 13, 18, 19, 24, 31, 34, 37, 39. 38 Nach solch einem Bezug wurde im kirchentheoretischen Teil gefragt (▶ Kapitel VI, 3.3). In insgesamt vier Fällen mit ekklesiologischer Qualität kann die gewählte Selbstbeschreibung „Fresh X“ (F12_7 = 1) als ein Bezug zum Netzwerk Fresh X gedeutet werden (Fall 9, 19, 34, 38). Darüber hinaus wählen auch drei Fälle ohne im Rahmen dieser Studie ausgeprägter ekklesiologischer Qualität diese Selbstbeschreibung (Fall 6, 10, 13), in zwei dieser Fälle zeigt sich zudem ein stark ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde. Diese Beobachtung spiegelt wieder, dass Fresh X im Kontext in Deutschland aktuell ein zunehmend bekannter Begriff ist, mit dem sich einige neu entstandene christliche Initiativen (vgl. hierzu Fall 9, 34 und 38, die jeweils 2014 oder 2015 als Gründungsjahr benennen (F5)) sowie auch bereits existierende kirchliche Ausdrucksformen (vgl. hierzu Fall 4, der 2010 sowie Fall 19, der 2008 als Gründungsjahr angibt) identifizieren.
5. Hypothese 2: Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis
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verstanden wird39. In den Bewertungen im letzten Teil der Online-Befragung zeigen alle Fälle mit ekklesiologischer Qualität ein Selbstverständnis als Gemeinde, indem das Merkmal „gemeindebildend“ (F34_4) stets mit „ziemlich“ oder „sehr passend“ zur Beschreibung der eigenen Initiative bewertet wird.40 Von den insgesamt 14 Fällen mit ekklesiologischer Qualität, bei denen demnach ein Selbstverständnis als Gemeinde erkennbar ist, haben nur vier „Gemeinde“ als offiziellen Status (F8) gewählt. Dies unterstreicht die Bedeutung des von strukturellen Gegebenheiten unabhängigen ekklesiologischen Selbstverständnisses im Sinne von Deutungen oder Selbstbeschreibungen der beteiligten Personen für die ekklesiologische Qualität.
Ausgehend von den Daten zum Item F12 lässt sich zudem erkennen, dass vier Fälle sich als „Erprobungsraum“ (F12_6 = 1) beschreiben (Fall 2, 7, 12, 16). In allen vier Fällen lässt sich jedoch anhand der angegebenen Postleitzahl ermitteln, dass sie nicht auf dem Gebiet der EKM liegen und somit nicht in direkter Verbindung mit dem Projekt „Erprobungsräume“ stehen können. So zeigt sich an dieser Beobachtung vielmehr, dass der von der EKM gewählte Begriff für dieses Projekt sowie für ergänzende kirchliche Ausdrucksformen insgesamt offensichtlich ein stimmiges Identifikationsangebot für christliche Initiativen ist und dementsprechend als gute Wahl erscheint. In einem Fall lässt sich darüber hinaus die Angabe „liquid church“ (F12_9 = 1) verzeichnen (Fall 21). Da die Daten dieses Falls jedoch aufgrund des vorzeitigen Abbruchs bei der Auswertung nicht berücksichtigt wurden, können keine weiterführenden Reflexionen erfolgen, die an die Ausführungen des kirchentheoretischen Teils zu liquiden kirchlichen Ausdrucksformen (insbesondere an ▶ Kapitel VI, 2.2.2) anknüpfen könnten. Weiterführend sei an dieser Stelle ergänzt, dass durch die frei formulierte Antwort zum Item F38 zudem in einem Fall ein Bezug zum Netzwerk Emergent Deutschland – oder auch allgemeiner formuliert zur „Emerging Church Bewegung“, so das Zitat von Fall 39 – deutlich wird. Auch dieses Netzwerk (oder der emergente Dialog) prägt offensichtlich – wenn auch nur vereinzelt in dieser Studie erkennbar – das religiöse Feld, in dem sich die hier untersuchten Initiativen bewegen. 39 So wird vom Netzwerk seit 2018 auf der Homepage als eine „mögliche Definition“ formuliert: „Eine Fresh X ist eine neue Form von Gemeinde für unsere sich verändernde Kultur, die primär mit Menschen gegründet wird, die noch keinen Bezug zu Kirche und Gemeinde haben.“ (Homepage Fresh X d). Zudem wird an dieser Stelle das Gemeindeverständnis expliziert: „Unter Gemeinde verstehen wir hier jede dauerhafte Glaubensgemeinschaft unabhängig von ihrem rechtlichen Status, z. B. als selbstständiger Teil einer Kirchengemeinde, eines Glaubensbezirks oder einer Pfarrei, als landeskirchliche Gemeinschaft oder als Neugründung.“ Gemeinde wird demnach als „dauerhafte Glaubensgemeinschaft“ begriffen und entspricht damit den Beobachtungen zu den Fällen mit ekklesiologischer Qualität, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden (vgl. dazu insbesondere ▶ Kapitel IX, 6.10). 40 Eine Ausnahme für das Selbstverständnis als Gemeinde bildet Fall 28.
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IX Auswertung
5.2 Prägung durch konfessionelle Zugehörigkeit? Die Beschreibung der konfessionellen Zugehörigkeit (F9) fällt in den Fällen mit ekklesiologischer Qualität unterschiedlich aus. Acht Fälle ordnen sich einer evangelisch geprägten Konfession zu, wobei nur in zwei Fällen explizit „evangelisch“ angegeben wird (Fall 31 und 37). Drei weitere Fälle bezeichnen sich als „frei-evangelisch“ (Fall 3, 24, 34), Fall 4 beschreibt sich als „evangelisch-freikirchlich“ und Fall 38 gehört zur „Ev. methodistischen Gemeinde“. Zwei Fälle verstehen sich bezüglich der konfessionellen Ausprägung als „Jesus Freaks“ (Fall 11 und 18). Jesus Freaks ist dabei der Begriff für einzelne Personen sowie Gruppen oder auch Gemeinden, die sich der Gesamtbewegung unter dem Namen Jesus Freaks zugehörig fühlen.41 Besonders auffällig ist, dass fünf Fälle ihre Konfession als „über-konfessionell“ beschreiben (Fall 1, 9, 19, 28, 38), wobei Fall 9 sich spezifischer als „evangelisch überkonfessionell“ und Fall 28 sich als „überkonfessionell freikirchlich“ versteht. Die unterschiedlichen Konfessionen sind geprägt von einem unterschiedlichen Kirchen- sowie Gemeindebegriff (▶ Kapitel V, 2). So verwundert es nicht, dass die Fälle, die sich als freikirchlich oder frei-evangelisch verstehen, ein ekklesiologisches Selbstverständnis haben, in dem das Selbstverständnis als Gemeinde zentral ist. Denn Kirche ist aus dieser Perspektive nicht mehr als der Zusammenschluss jeweils recht unabhängiger Gemeinden. Vielmehr verwundert es, dass Fall 28 offensichtlich freikirchlich geprägt ist und dennoch die Selbstbeschreibung „Kirche“ wählt (s. o.). Zugleich erscheint es wenig erstaunlich, dass keiner der Fälle mit ekklesiologischer Qualität katholisch geprägt ist, wenn für die ekklesiologische Qualität ein Selbstverständnis als Gemeinde wesentlich ist, da Gemeinde im römisch-katholischen Kontext vom Verständ41 Vgl. hierzu das Organigramm auf der Homepage (vgl. Homepage Jesus Freaks). Entgegen den Ausführungen zu Kirche als Hybrid (▶ Kapitel VI, 3.2), wo aus anfänglichen Bewegungen durch institutionalisierende Tendenzen letztlich im Laufe der Zeit Institutionen entstehen, zeigen sich die Jesus Freaks in den letzten Jahrzehnten von mannigfaltigen strukturellen Umbrüchen geprägt, die immer wieder neue Strukturen hervorgebracht haben, um die Bewegung insgesamt zu stabilisieren. Trotz dieser stabilisierenden und insbesondere strukturierenden Tendenzen verstehen sich und agieren die Jesus Freaks weiterhin als Bewegung („Unsere Vision als Jesus Freaks ist es, Teil einer Jesus-Bewegung in unserem Land und darüber hinaus zu sein“). Nähere Ausführungen hierzu sprengen den Rahmen, dennoch sei an dieser Stelle zumindest markiert, dass die Bewegung der Jesus Freaks mit ihren Umbrüchen in den letzten ungefähr fünf bis zehn Jahren einen spannenden und bisher noch wenig erforschten Forschungsgegenstand für die Entwicklung von christlichen Bewegungen darstellt. Dass sich im Rahmen dieser Studie zudem trotz der insgesamt kleinen Untersuchungsgruppe zwei Fälle mit ekklesiologischer Qualität zeigen, die sich als Jesus Freaks verstehen, kann ein Hinweis darauf sein, dass auch aus kirchentheoretischer Perspektive die nähere Auseinandersetzung mit dieser Bewegung fruchtbar sein könnte.
5. Hypothese 2: Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis
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nis der Gesamtkirche bestimmt ist. Überprüft man jedoch die Angaben derjenigen Fälle, die als Konfession (F9) „katholisch“ angegeben haben (Fall 12, 15 und 16) mit deren Angaben zu den Merkmalen der Of-Dimension im letzten Teil der Befragung (F34_4), zeigt sich keineswegs ein kongruentes Bild: Nur in einem Fall wird das Merkmal „gemeindebildend“ als „wenig passend“ und die anderen Merkmale als „sehr passend“ bewertet (Fall 15). In den anderen beiden Fällen wird auch das Merkmal „gemeindebildend“ als „ziemlich“ oder „sehr passend“ bewertet. Dies passt nicht zum typischen katholischen Verständnis des Gemeindebegriffs. So scheint die konfessionelle Prägung auf das Verständnis von Gemeinde sowie auf das ekklesiologische Selbstverständnis in den untersuchten Fällen keinen direkten oder grundsätzlichen Einfluss zu entwickeln. Dies wird auch an dem Verständnis als „über-konfessionell“ deutlich, dass sich zumindest in zwei Fällen mit deutlich ausgeprägter ekklesiologischer Qualität und zugleich ausgeprägtem Selbstverständnis als Gemeinde zeigt und damit keineswegs im Widerspruch zu stehen scheint (Fall 9 und 19). Bemerkenswert ist, dass sich ekklesiologische Qualität, die aus Sicht der Evangelischen Kirche bestimmt wurde, bei ganz unterschiedlich konfessionell geprägten Fällen zeigt, wovon nur zwei explizit evangelisch sind. So weisen im Rahmen dieser Untersuchung sowohl Jesus-Freaks-Gemeinden als auch freievangelische Gemeinden ebenso wie überkonfessionell geprägte Initiativen mit einem Selbstverständnis als Gemeinde und zudem weitere unterschiedlich konfessionell geprägte Ausdrucksformen des christlichen Glaubens eine ekklesiologische Qualität im Sinne der Evangelischen Kirche auf.
5.3 Zusammenhang mit strukturellen Merkmalen der Selbstständigkeit? Bezüglich der Of-Dimension wurden drei strukturelle Aspekte sowie vier Aspekte der Selbsteinschätzung zur Untersuchung der ekklesiologischen Qualität definiert (▶ Kapitel IX, 4.1.1). Für die Fälle mit ekklesiologischer Qualität wird untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Ausprägungsstärke der strukturellen Aspekte und der Ausprägungsstärke der Aspekte der Selbsteinschätzung gibt. Also ob bei stark ausgeprägtem ekklesiologischem Selbstverständnis beispielweise auch die strukturellen Aspekte besonders stark ausgeprägt sind oder umgekehrt. Hier lässt sich bei den zu dieser Untersuchung durchgeführten Berechnungen42 jedoch kein spezifischer Zusammenhang zwi-
42 S. ▶ Anhang 48.
348
IX Auswertung
schen den strukturellen Aspekten und dem ekklesiologischen Selbstverständnis erkennen. Auch für die Out-Dimension mit vier strukturellen Aspekten sowie insgesamt sechs Aspekten der Selbsteinschätzung wurde anhand derselben Berechnungen kein Zusammenhang erkennbar. Anschließend wurden die Fälle ohne ekklesiologische Qualität mit demselben Verfahren untersucht. Auch dabei wurden keine spezifischen Zusammenhänge zwischen der Ausprägung struktureller Aspekte mit der Ausprägung des Selbstverständnisses deutlich. So wirkt sich das ekklesiologische Selbstverständnis im Sinne von Selbsteinschätzungen und Selbstbeschreibungen ausgehend von den hier angestellten Analyseverfahren nicht auf die Ausprägung struktureller Aspekte der Selbstständigkeit oder andersherum die Ausprägung struktureller Aspekte auf das ekklesiologische Selbstverständnis aus, sondern wird das ekklesiologische Selbstverständnis ausgehend von Selbsteinschätzungen und -deutungen als eigenständiger Bestandteil der ekklesiologischen Qualität erkennbar.
5.4 Exemplarische Fallanalyse zur Markierung der Grenze des Forschungsprojekts Fall 14 erscheint bei der Auswertung der Daten wie ein „normaler“ Jugendkreis (F26), der jedoch insbesondere die Altersgruppe 20- bis 30-Jähriger fokussiert, die sich aktuell in der Ausbildungsphase nach dem Schulabschluss befinden (F20 und F21). So erscheint dieser Fall als ein Angebot der vom EC (F8) organisierten Jugendarbeit für junge Erwachsene, das in weitere Angebote einer Gemeindearbeit mit einem sonntäglichen Gottesdienst (F26), in dem auch Abendmahl gefeiert wird (F31), eingebunden ist. Dazu passt auch die Selbstbeschreibung (F12) als „Gruppe“, „Glaubensgemeinschaft“ und „Teil der Kirche“. Es zeigt sich jedoch im letzten Teil der Befragung, dass das Merkmal „gemeindebildend“ als „sehr passend“ zur Beschreibung der Initiative bestimmt wird (F34_4). Da sich zudem die Out-, In- und Of-Dimension in der Matrix deutlich ausgeprägt zeigen, weist dieser Fall insgesamt eine über 300 % ausgeprägte ekklesiologische Qualität auf. An diesem Fall zeigt sich exemplarisch, wie sich die Einordnung einer Sozialgestalt des christlichen Glaubens verändern kann, wenn das ekklesiologische Selbstverständnis im Sinne der Bewertung der jeweils beteiligten oder auch verantwortlichen Personen berücksichtigt wird. Damit bietet dieser Fall einen Diskussionsbeitrag zur aktuellen kirchentheoretischen Debatte, die das ekklesiologische Selbstverständnis gerade erst in den Blick nimmt und noch nicht abschließend diskutiert hat: Welches Gewicht soll dem ekklesiologischen Selbstverständnis bei der Beurteilung von
6. Weiterführende Explorationen
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Ausdrucksformen des Glaubens aus Perspektive der Evangelischen Kirche zugemessen werden? Und wer entscheidet am Ende, (ab) wann etwas Gemeinde ist oder auch nicht? Im Rahmen dieser Studie wird ausgehend von der skizzierten Methodik und dem Ergebnis einer über 300 % ausgeprägten ekklesiologischen Qualität von einer ausgeprägten ekklesiologischen Qualität dieses Falls gesprochen. An dieser Stelle ist erneut zu markieren, dass dieses Forschungsprojekt lediglich eine erste Exploration des Forschungsgegenstands insbesondere bezüglich des ekklesiologischen Selbstverständnisses bietet und an dieser Stelle vertiefende qualitative Studien sinnvoll ansetzen können. Lohnenswert erscheint es beispielsweise, sich in einem Interview mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern die beteiligten Personen dieses spezifischen Falls, die Initiative als „gemeindebildend“ verstehen, wie sich das konkret auswirkt und welche eigenen Gemeindeerfahrungen dabei die Hintergrundfolie bilden.
6. Weiterführende Explorationen An dieser Stelle schließen sich vor allem zu den Fällen mit ekklesiologischer Qualität weiterführende Explorationen an. Der Fokus liegt dabei darauf, insgesamt weitere Erkenntnisse zum Forschungsgegenstand zu sammeln.
6.1 Verortung Verortung auf dem Gebiet der EKiR Das zunächst für den Forschungsgegenstand definierte Kriterium der Verortung auf dem Gebiet der EKiR (▶ Kapitel VIII, 2) musste im Laufe der Studie aufgegeben werden, da sich vor allem über den ersten Zugangsweg der Vorstudie kaum direkt Zugänge zum Forschungsgegenstand gewinnen ließen (▶ Kapitel IX, 1). Auch die Auswertung der Daten der Online-Befragung zeigt, dass eine zu geringe Anzahl an Fällen diesem Kriterium entspricht.43
43 Insgesamt neun Fälle von den ursprünglich als Grundgesamtheit für diese Studie bestimmten 40 Fällen sind ausgehend von der angegebenen Postleitzahl auf dem Gebiet der EKiR zu verorten. Drei von diesen neun Fällen lassen sich jedoch bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität nicht berücksichtigen, da sie die Befragung vor den dazu entscheidenden Fragen abgebrochen haben oder Angaben zu einer bereits beendeten Initiative gemacht haben.
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IX Auswertung
Verortung im großstädtischen Kontext Ausgehend von den Angaben der Postleitzahl, zeigt sich der Forschungsgegenstand im Rahmen dieser Studie insgesamt als ein vor allem großstädtisches Phänomen. In insgesamt 23 Fällen (von N = 34) wird eine Verortung der Initiative in einer Großstadt44 deutlich, in insgesamt vier Fällen ist die Initiative in einer Mittelstadt angesiedelt, lediglich fünfmal in einer Kleinstadt sowie insgesamt zwei Mal in Orten, die als Landgemeinde zu bezeichnen sind. Bezüglich der Fälle mit ekklesiologischer Qualität ist der Anteil der Fälle mit großstädtischem Hintergrund besonders hoch45. Da die Verteilungsform der Befragung durch das Internet als orts- und kontextunabhängig zu bewerten ist, erscheint es ein spezifischer Befund bezüglich des Forschungsgegenstands zu sein, dass er sich im Rahmen dieser Studie als großstädtisches Phänomen präsentiert. Geprägt vom lokalen Kontext Auch wenn der Forschungsgegenstand nicht strukturell von einem Parochiebezug bestimmt ist, zeigt sich in der Hälfte der Fälle, ausgehend von den Analysen der Zielbeschreibungen46, eine bewusste Ausrichtung auf den lokalen Nahbereich. Allerdings steht dabei nicht die Nachbarschaft im Fokus, sondern die gesamte Stadt, die Region oder auch insgesamt das „Umfeld“.
Es bleiben somit sechs Fälle, von denen sich in lediglich zwei Fällen im Rahmen dieser Studie eine ausgeprägte ekklesiologische Qualität zeigt. Da die zu untersuchende Fallzahl dementsprechend zu gering ist, wird in der Auswertung auf dieses Kriterium verzichtet. 44 Als Kriterium für die Bezeichnung „Stadt“ sowie für die Differenzierung zwischen Groß-, Mittel- und Kleinstadt wird auf die Kriterien des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zurückgegriffen: Als Großstadt gelten Gemeinden ab 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, als Mittelstadt Gemeinden ab 20.000 bis unter 100.000 und als Kleinstadt gelten Gemeinden mit 5.000 bis unter 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Alle Gemeinden unter 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern werden als Landgemeinde bezeichnet. Das ergänzende Kriterium für die Bezeichnung „Stadt“ einer „mindestens grundzentralen Funktion“ wird hier vernachlässigt (vgl. BBSR). 45 13 von 16 Fällen sind in einer Großstadt zu verorten, zudem je ein Fall in einer Mittelstadt, Kleinstadt sowie einer Landgemeinde. 46 Vgl. die Auswertung der Beschreibungen in ▶ Kapitel IX, 3.2 sowie zu den Zitaten ▶ Anhang 16 und 17.
6. Weiterführende Explorationen
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6.2 Konfessionalität Zusammenhang zwischen konfessioneller Zugehörigkeit und der Ausprägung ekklesiologischer Qualität Zunächst zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Konfession der Befragungsperson (F41), die in der Initiative eine leitende Rolle einnimmt, mit der Konfession der größten Gruppe, mit der die Initiative in Kontakt ist (F23), sowie zum Teil mit der Konfessionsbeschreibung der Initiative (F9): In den Fällen, bei denen die größte Gruppe evangelisch (F23 = 1) ist (Fall 1, 14, 31, 37)47, ist auch die Befragungsperson evangelisch (F41 = 5). Auch dort, wo die Konfession der Initiative als „evangelisch“ (F9 = 3)48 beschrieben wird (Fall 31 und 37 sowie tendenziell auch Fall 14), zeigt sich diese Konfessionsübereinstimmung. In den weiteren Analysen wird deutlich, dass weder die größte Gruppe, noch die Initiative insgesamt als evangelisch beschrieben wird, wenn die Befragungsperson selbst nicht evangelisch ist. Ist die Befragungsperson „freikirchlich“ (F41 = 3) zeigt sich ebenfalls am häufigsten eine Übereinstimmung mit den Angaben zur größten Gruppe (F23 = 4) (Fall 3, 8, 24, 28, 39). Die Angaben zur Konfession der Initiative fallen unterschiedlich aus, die Angabe „Die Initiative gehört zu keiner Gemeinde / Kirche“ (F9 = 1) ist jedoch in beiden Fällen mit einer freikirchlichen Konfession der Befragungsperson verbunden. Des Weiteren ist in den untersuchten Fällen mit ekklesiologischer Qualität eine freikirchliche49 Zugehörigkeit der Befragungsperson deutlich häufiger als eine evangelische50. Demgegenüber ist in den untersuchten Fällen, die keine ekklesiologische Qualität zeigen, lediglich eine Befragungsperson freikirchlich während sich zwölf Personen als evangelisch bezeichnen.51 Die Konfession der befragten Person ist demnach für die ekklesiologische Qualität einer Ausdrucks47 Auch in Fall 19 ist beim Item F23 angegeben, dass die größte Gruppe aus evangelischen Personen besteht, es fehlen jedoch in diesem Fall die Angaben zur Konfession der Befragungsperson. 48 S. ▶ Anhang 33. Hierin ist die Umwandlung der selbstformulierten Angabe in Items dokumentiert. 49 In insgesamt neun Fällen ist diese Angabe zu verzeichnen. Dies entspricht 60 % aller Fälle mit ekklesiologischer Qualität, die zu diesem Item (F41) etwas angeben (N = 15, da für Fall 19 keine Angaben zu verzeichnen sind) (vgl. ▶ Anhang 34). 50 Insgesamt sechs Fälle zeigen, dass die Befragungsperson evangelisch ist. Dies entspricht 40 % der Befragten (ausgehend von N = 15) (vgl. ▶ Anhang 34). 51 Da auch bei den Fällen ohne ekklesiologische Qualität ein Fall zum Item F41 keine Angaben macht, ist hier von einer Grundgesamtheit von N = 17 auszugehen, so dass der Anteil der evangelischen Befragungspersonen 70,6 % ausmacht. Neben evangelischen und freikirchlichen Personen gibt es zudem vier katholische Befragungspersonen (23,5 %) (vgl. ▶ Anhang 34).
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IX Auswertung
form des Glaubens insofern nicht entscheidend, dass eine evangelische Prägung nicht häufiger dazu führt, dass die Initiative aus Perspektive der Evangelischen Kirche ekklesiologische Qualität aufweist als bei freikirchlich geprägten Personen. Es zeigt sich zudem, dass in den wenigsten Fällen mit ekklesiologischer Qualität die größte Gruppe als evangelisch beschrieben wird52. So wirkt sich die evangelische Prägung von zwei Faktoren, die maßgeblichen Einfluss auf die Initiative haben (Befragungsperson mit Leitungsverantwortung sowie größte Gruppe) nicht im Sinne einer stärkeren Ausprägung ekklesiologischer Qualität aus. Dies ist insbesondere hinsichtlich der formulierten Frage nach der Relevanz von Kirche interessant. Konfessionelle Zugehörigkeiten zeigen in dieser Studie und den hier skizzierten Analysen nach keine spezifische Auswirkung darauf, ob das, was gestaltet wird, aus Perspektive der Evangelischen Kirche ekklesiologische Qualität hat oder nicht. Weitere Explorationen zu konfessionellen Zugehörigkeiten Konfessionelle Zugehörigkeiten scheinen an Bedeutung zu verlieren, zugleich ist mit dieser Studie jedoch zu verzeichnen, dass in allen Fällen die Befragungsperson selbst eine aktuelle konfessionelle Zugehörigkeit angeben.53 Auch für die größte Gruppe der Initiative wird überwiegend eine konfessionelle Zugehörigkeit bestimmt.54 Ob diese Personen jedoch im Kontakt mit vorfindlichen Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens der jeweiligen Konfession waren oder aktuell sind, wurde im Rahmen der Online-Befragung nicht erörtert. So kann für die vorliegende Studie lediglich konstatiert werden, dass hier überwiegend junge Erwachsene mit einer konfessionellen Zugehörigkeit im Fokus stehen.
6.3 Haupt- und Ehrenamtlichkeit Aus den Daten zu den Fragen nach der Gründung (F2) sowie Leitung (F3) der Initiative lassen sich erste Erkenntnisse zu der Rolle von Ehren- sowie Hauptamtlichen in den untersuchten Initiativen gewinnen: In sieben Fällen wurde die Initiative durch ein aus Haupt- und Ehrenamtlichen gemischtes Team gegründet (Fall 3, 4, 19, 24, 34, 37, 38), in fünf Fällen 52 Lediglich für Fall 14, 19, 31 und 37 gilt dies (vgl. ▶ Anhang 35). 53 Vgl. Item F41 (vgl. ▶ Anhang 34) – dies gilt insofern, als dass zudem für einzelne Fälle ein Item-Nonresponse zu verzeichnen ist, jedoch in keinem Fall „Ich hatte nie eine Konfession“ (F41 = 1) oder „Ich hatte mal eine Konfession, habe aktuell aber keine“ (F41 = 2) ausgewählt wurde. 54 Vgl. Item F23 (vgl. ▶ Anhang 35) – Ausnahmen bilden Fall 6, 27 und 38.
6. Weiterführende Explorationen
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ausschließlich von Ehrenamtlichen (Fall 1, 8, 18, 28, 31) und nur in einem Fall erfolgte die Gründung allein durch Hauptamtliche (Fall 9). Gründungen, die von einer Einzelperson ausgehen, zeigen sich in den untersuchten Fällen nicht. Ein etwas anderes Bild zeigt sich zur Leitungsverantwortung: Insgesamt neun Fälle werden aktuell von einem gemischten Team geleitet (Fall 3, 8, 9, 14, 28, 31, 34, 37, 38), es handelt sich jedoch nur in vier Fällen um Initiativen, die zugleich von einem gemischten Team gegründet wurden (Fall 3, 34, 37, 38). In vier Fällen ereignet sich Leitung ausschließlich ehrenamtlich (Fall 1, 11, 18, 39) und lediglich in einem Fall rein hauptamtlich (Fall 4). Auch bei diesen Fällen sind Verschiebungen im Verhältnis zur Gründungsphase zu verzeichnen. Insgesamt zeigt sich in den Daten, dass sowohl rein ehrenamtlich gegründete als auch rein ehrenamtlich geleitete Initiativen eine ekklesiologische Qualität aufweisen können und die Ausprägungsstärke der ekklesiologischen Qualität demnach nicht an hauptamtlich ausgeübte Gründungs- oder Leitungsverantwortung gekoppelt ist. Vielmehr sind Initiativen mit ekklesiologischer Qualität im Rahmen dieser Studie häufiger von rein ehrenamtlichen Teams gegründet worden und werden aktuell häufiger von ehrenamtlichen Teams geleitet. Am häufigsten findet sich jedoch das Modell gemischter Teamverantwortung.55 Dieser Befund entspricht dem von Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong formulierten Leitungskennzeichen („wird durch Amt und allgemeines Priestertum geleitet“)56. Bezüglich des von ihnen dabei fokussierte Aspekts „kirchlicher Legitimation“ des Haupt- sowie auch Ehrenamts57 ist jedoch ausgehend von der Erhebung dieser Studie nichts Spezifisches abzuleiten. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass der Aspekt der haupt- sowie ehrenamtlichen Verantwortung für eine Initiative von Entwicklungsprozessen geprägt ist.58 Einerseits haben sich rein ehren- oder hauptamtliche Gründungsteams zu durchmischten Leitungsteams entwickelt (Fall 8, 9, 38 und 31), andererseits haben einige befragte Personen vom Ehren- zum Hauptamt gewechselt (Fall 4, 8, 28 und 31). Anhand der Daten zur Finanzierung von Personalkosten (F15) wird deutlich, dass in genau diesen vier Fällen die Finanzierung des Personals von der Initiative selbstständig organisiert wird. Häufiger ist jedoch eine anteilige Finanzierung des Personals durch einen kirchlichen oder gemeindlichen Träger (Fall 3, 9, 19, 38, 14, 24, 34, 37). Anders ist das Bild hinsichtlich der grundlegenden Finanzierung der Initiative unabhängig von Personalkosten. 55 In den Daten der 18 Fälle, die im Rahmen dieser Studie keine ekklesiologische Qualität aufweisen, zeigt sich im Vergleich (S. ▶ Anhang 36), dass die Gründungs- bzw. Leitungsteams wesentlich seltener durchmischt waren. 56 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 276. (▶ Kapitel VI, 5.3.2). 57 Vgl. ebd., 280 f. 58 Diese Analysen beziehen sich ausschließlich auf die Fälle mit ekklesiologischer Qualität.
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IX Auswertung
6.4 Finanzierung Alle Fälle mit ekklesiologischer Qualität bringen mindestens einen Anteil zur Finanzierung der Initiative selbstständig auf (F14).59 Zehn Fälle finanzieren sich komplett unabhängig von anderen Gemeinden und der Kirche. Doch wie genau gestaltet sich die „selbstständige“ Finanzierung? In den meisten Fällen wird deutlich60, dass Menschen, die in unterschiedlichen Formen an der Initiative partizipieren („Mitglieder“ (Fall 1, 3, 24, 38), „Besucher“ (Fall 8), „Unterstützende“ (Fall 39)), für die Initiative – zum Teil in Form von Kollekten – spenden (Fall 1, 3, 8, 24, 28, 38, 39). Zudem wird sich um Spenderkreise, Stiftungsgelder und öffentliche Fördermittel bemüht. In einem Fall fällt der Begriff des „freiwilligen Gemeindegeldes“ (Fall 19). Alle Fälle, die sich komplett selbstständig finanzieren, existieren seit mindestens drei Jahren, häufig schon deutlich länger.61 Braucht es diesen Zeitraum, bis sich eine Initiative selbstständig finanzieren kann? Dies erscheint insbesondere dahingehend plausibel, dass alle Fälle dieser Studie, die erst seit zwei Jahren existieren, anteilig auf kirchliche oder gemeindliche Gelder zurückgreifen.62 Offensichtlich ist, dass die Modelle der selbstständigen Finanzierung, die sich in zehn Initiativen zeigen, die zum Teil seit zehn Jahren existieren, offensichtlich von Dauerhaftigkeit geprägt sind, so dass hier ausgehend vom HybridModell (▶ Kapitel VI, 3.2) von institutionalisierenden Tendenzen gesprochen werden kann. Der Aspekt der Finanzierung ist für die Frage nach der Verbundenheit mit oder auch Unabhängigkeit von kirchlichen Strukturen besonders relevant. Dort, wo Ausdrucksformen des Glaubens gänzlich unabhängig von vorfindlichen kirchlichen oder gemeindlichen Strukturen entstehen, zeigt sich natürlicherweise ein hohes Maß an Selbstständigkeit bei der Finanzierung.63 Bei Initiativen 59 Vgl. zu den folgenden Ausführungen ▶ Anhang 37. 60 S. ▶ Anhang 29. 61 Diese Beobachtung ergibt sich, wenn zudem die Daten zum Item F5 berücksichtigt werden. Insgesamt zeigt sich ein durchschnittlicher Zeitraum von ungefähr sechs Jahren für die Existenz der Fälle mit ekklesiologischer Qualität. Der längste Zeitraum beläuft sich ausgehend vom angegebenen Gründungsjahr auf ungefähr zwölf und der kürzeste auf zwei Jahre bei den untersuchten Fällen mit ekklesiologischer Qualität. Die Angaben von Fall 14 wurden an dieser Stelle nicht berücksichtigt, da die Angabe „1924“ darauf hinweist, dass vermutlich das Gründungsjahr des Trägers benannt wurde. 62 Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der Daten zu den Items F5 sowie F12 der Fälle 3, 9 und 34. 63 Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der Daten von Fall 8 und 39 zum Item F9 sowie zum Item F14 (und F15). Dies ist auch bei Fall 11 und 18 zu verzeichnen, die sich den Jesus Freaks zuordnen.
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mit freikirchlicher Prägung ist es zudem ebenfalls wahrscheinlich, dass sie sich (zunehmend) selbstständig finanzieren, da die gemeindliche Struktur in diesem Kontext meist vorsieht, dass sich jede Gemeinde selbstständig finanziert. Erstaunlich ist der Befund, dass sich die beiden Fälle, in denen die Konfession der Initiative als evangelisch beschrieben wird, ebenfalls komplett unabhängig von kirchlichen Mitteln finanzieren.64
6.5 Offizieller Status Wenig erstaunlich ist die Beobachtung, dass sowohl die Statusbeschreibung „Eigenständige Gemeinde“ (F8 = 4) sowie „Gemeinde, die zu einer anderen gehört“65 (F8 = 5) sich ausschließlich in den Fällen mit ekklesiologischer Qualität zeigen. Am häufigsten wird jedoch die Statusbeschreibung „Eigenständiger Verein“ (F8 = 3) von insgesamt vier Fällen gewählt (Fall 4, 8, 11, 39). Dies entspricht 25 % aller Fälle mit ekklesiologischer Qualität. Im Verhältnis zur Anzahl der Fälle der untersuchten Grundgesamtheit, die diesen Status angeben, zeigt sich, dass dieser Status bei den Fällen mit ekklesiologischer Qualität überproportional häufig vorkommt.66 Beachtenswert ist zudem, dass die Fälle, die ihren Status als „Kirchliche Initiative / kirchliches Projekt“ (F8 = 7) oder „Gemeinde, die zu einer anderen Gemeinde gehört“ (F8 = 5) beschreiben (Fall 28 und 38), nicht auf finanzielle Unterstützung der Kirche oder einer Gemeinde zurückgreifen. Die strukturelle Anbindung scheint demnach auf anderer Ebene zu bestehen als in finanzieller Hinsicht. Insgesamt lässt sich in der Auswertung der Daten zur Finanzierung sowie zum offiziellen Status eine Tendenz zur Unabhängigkeit für die untersuchten Fälle mit ekklesiologischer Qualität beobachten. Verstärkt wird diese Beobachtung dadurch, dass das Merkmal „Of “ im letzten Teil der Befragung von den Fällen mit ekklesiologischer Qualität maximal die Zustimmung „ziemlich passend“ sowie in drei Fällen „wenig passend“ zur Beschreibung der eigenen
64 Dies zeigt sich in der Zusammenschau der Daten von Fall 31 sowie 37 zum Item F9 sowie F14. 65 Ein ekklesiologisches Selbstverständnis als Gemeinde und zugleich vom offiziellen Status her eine Gemeinde einer anderen Gemeinde zu sein, scheint insbesondere im frei-evangelischen sowie freikirchlichen Verständnis von Gemeinde durchaus möglich zu sein, wie die drei Fälle mit diesem Status und zudem jeweils freikirchlicher Zugehörigkeitsbeschreibung zeigen. 66 Von der Grundgesamtheit aller untersuchten Fälle (N = 34) weisen lediglich 17,6 % diesen Status auf (vgl. ▶ Anhang 38).
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Initiative erhält.67 In diesem Merkmal geht es explizit um das Selbstverständnis als Teil von Kirche, das sich „durch vielfältige Beziehungen und Verbindungen zu anderen Teilen von Kirche“68 ausdrückt. Ein grundlegendes Verständnis sowohl als eigenständige Gemeinde (F34_4) sowie auch „als Teil der gesamten christlichen Kirche“ (F36_2) zeigt sich in den Fällen mit ekklesiologischer Qualität deutlich, die Gestaltung der Beziehungen und Verbindungen zu anderen Teilen von Kirche scheint dabei jedoch weniger stark ausgeprägt als die eigene Selbstständigkeit. Erneut stehen ekklesiologische Selbstständigkeit und „ekklesiologische Verbundenheit“ sich spannungsvoll gegenüber.
6.6 Ort des zentralen Formats In lediglich zwei Fällen mit ekklesiologischer Qualität wird auf kirchliche oder gemeindliche Räumlichkeiten als Versammlungsort für das zentrale Format (F27) zurückgegriffen.69 In allen anderen Fällen werden stattdessen andere öffentliche Räumlichkeiten genutzt, teilweise angemietet.70 In fünf Fällen und somit am häufigsten findet sich die Angabe, dass ein (umgebautes) Ladenlokal genutzt wird. In der Analyse der Fälle ohne ekklesiologische Qualität wird wiederum deutlich, dass 50 % kirchliche oder gemeindliche Räumlichkeiten für das zentrale Format nutzen. So kann auch dieser Befund in der Linie einer ausgeprägten Selbstständigkeit der Fälle mit ekklesiologischer Qualität gedeutet werden. In zwei Fällen (Fall 23 und 27) ist das zentrale Format im Internet verortet.71 Bei der Auseinandersetzung mit dem Gemeinschaftsbegriff (▶ Kapitel IX, 6.10) finden diese beiden Fälle besondere Beachtung. Da beide Fälle keine ekklesiologische Qualität aufweisen, stehen sie ansonsten nicht im Fokus der Explorationen.
67 Dies ergibt sich aus den Daten der Fälle mit ekklesiologischer Qualität zum Item F35_4 der Online-Befragung. Demgegenüber wählen sechs Fälle ohne ekklesiologische Qualität zu diesem Item den größtmöglichen Zustimmungsgrad (F35_4 = 4). 68 So lautet die Formulierung des Items F35_4. 69 Vgl. zu den folgenden Ausführungen ▶ Anhang 39. 70 S. ▶ Anhang 32. 71 Vgl. die jeweiligen Daten dieser Fälle zum Item F27 mit der Angabe „Soziale Medien“ sowie „vorwiegend virtuell“.
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6.7 Größe und Organisation von Zugehörigkeit Bei den Fällen mit ekklesiologischer Qualität ergibt sich ausgehend von den Angaben zur Frage „Wie viele Personen gehören (grob geschätzt) zu der Initiative?“ (F18) eine durchschnittliche Größe von 141 Personen pro Initiative. Dieses Größenverhältnis erscheint insbesondere im Vergleich zu aktuellen Studien der Church Army’s Research Unit zu fxC erstaunlich groß.72 Die entscheidende Frage an dieser Stelle ist, wer als „Teil“ einer fxC sowie im Rahmen dieser Studie als Teil einer der untersuchten Initiativen gezählt wird? Ausgehend von den Daten zur Frage nach der Zugehörigkeit, „Wie kann man Teil der Initiative werden?“ (F16), ergibt sich aufgrund der Option der unbeschränkten Mehrfachnennung ein unübersichtliches Bild.73 Deutlich wird, dass die Taufe (F16_3 = 1) bei Zugehörigkeitsregelungen keine Rolle spielt, während sie aus landeskirchlicher Sicht entscheidendes Kriterium für die Mitgliedschaft ist.74 In lediglich zwei Fällen (ausgehend von der Grundgesamtheit N = 34) wird Zugehörigkeit „[d]urch Gemeinde- / Kircheneintritt“ (F16_4 = 1) organisiert (Fall 31 und 34). Vier Fälle wählen die Option „Indem man einen Mitgliedschaftsantrag stellt“ (F16_2 = 1) (Fall 14, 19, 31, 34). Alle anderen Optionen zur Zugehörigkeitsregelung basieren auf eher „weichen“ Faktoren, wie beispielsweise der Teilnahme an Veranstaltungen oder auch „Folgen“ im Bereich Social Media. Ausgehend von den Daten zu dieser Fragestellung bleibt es also in weiten Teilen unscharf, wie genau Zugehörigkeit definiert wird und wie sich dementsprechend die Größe der Initiative berechnen oder zumindest schätzen lässt. Am häufigsten wird die Option „Jede Person, die zu Veranstaltungen / Formaten der Initiative kommt, ist aus unserer Sicht Teil der Initiative“ (F16_1 = 1) ausgewählt.
72 Vgl. George Lings, 2016, 9–11: „Now may be the day of small things: a diverse set of small, sometimes frail, mainly young churches that lay a claim to being among our best hopes for the future. […] Their average size, at about 50, is usually smaller than the average for parish church. […] Most types (of fxC) are relatively small, of around 35–55 in size, with three larger congregational fxC types with 70–100+ people.“ 73 Es gilt an dieser Stelle, kritisch anzumerken, dass sich die Konzeption dieses Frage-Items als nicht sinnvoll erwiesen hat, so dass es besonders aufwendig ist, die Daten zum Item F16 auszuwerten. 74 Diese Aussage gilt für alle untersuchten Fälle und dementsprechend für die Grundgesamtheit von N = 34 (vgl. ▶ Anhang 42).
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IX Auswertung
6.8 Taufe und Abendmahl Beide Antwort-Items zur Frage nach der Feier von Taufe (F30) und Abendmahl (F31) sind so konzipiert, dass sie einerseits Entwicklungsprozesse abbilden und andererseits nähere Angaben zur Beschreibung der jeweiligen Feier intendieren.75
6.8.1 Ekklesiale Reifungsprozesse Ein Viertel der Fälle mit ekklesiologischer Qualität befindet sich bezüglich der Feier von Taufen in Entwicklungsprozessen (Fall 3, 14, 18, 38), die ausgehend von dem kirchentheoretischen Teil dieser Arbeit als ekklesiale Reifungsprozesse interpretiert werden können. In zwei Fällen zeigt sich dasselbe Phänomen bei der Feier des Abendmahls (Fall 9 und 38 wählen F31 = 2 aus). In einem Fall (Fall 38) bezieht sich dieser Prozess sowohl auf die Feier von Taufen als auch des Abendmahls. In diesem Fall fällt bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität auf, dass die Up-Dimension knapp unter 50 % ausgeprägt ist. Ist es anknüpfend an die kirchen-theoretischen Ausführungen möglich, dieser Ausdrucksform des Glaubens zuzugestehen, sich an diesen Stellen noch in einem Entwicklungsprozess zu befinden und ihr dennoch die ansonsten stark ausgeprägte ekklesiologische Qualität nicht abzusprechen? Für solch eine Entscheidung sind nähere Angaben, insbesondere dazu, warum bisher kein Abendmahl gefeiert wird, hilfreich, so dass an dieser Stelle auf einen Modifizierungsbedarf dieses Items der Online-Befragung hingewiesen wird. Mit Bezugnahme auf das Fazit zum kirchentheoretischen Teil (▶ Kapitel VII) zeigt sich, dass Entwicklungsprozesse bisher hinsichtlich der Ausbildung von institutionellen Handlungslogiken und somit eher in organisatorisch-strukturellen Bereichen im Blick zu sein scheinen, so dass aus den darin formulierten Schlussfolgerungen kein konkretes Entscheidungskriterium für den hier skizzierten Fall herangezogen werden kann. Ekklesiale Reife sowie Reifungsprozesse sind oft nicht eindeutig zu beurteilen. Die Sensibilität für solche Prozesse und die Formulierung der Frage, ab wann eine Lebensgestalt des christlichen Glaubens aus Perspektive der Evangelischen Kirche als „reif “ gilt, ist schon für sich genommen ein entscheidender Beitrag zur aktuellen Diskussion des Gemeindebegriffs. Eindeutige Kriterien für die Beurteilung von Reifungsprozessen können auch im Rahmen dieses Forschungsvorhabens nicht formuliert werden. Für den
75 Zur Taufe liegen dazu Daten von zwölf Fällen, zum Abendmahl von 14 Fällen vor (vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen die Beschreibungen in ▶ Anhang 40).
6. Weiterführende Explorationen
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empirischen Forschungsteil wurde jedoch in Form der Matrix aufbauend auf kirchentheoretischen Erkenntnissen ein System von Kriterien angelegt, das bei einzelnen Aspekten potentielle Entwicklungsprozesse berücksichtigt.76 Einzelne ekklesiologische Grunddimensionen, die eine Ausprägungsstärke von weniger als 50 % zeigen, kennzeichnen demnach ein spezifisches Entwicklungspotential sowie zugleich eine Entwicklungsaufgabe.
6.8.2 Wer verantwortet Taufen sowie die Feier des Abendmahls? In einem Fall (Fall 37) werden Taufen, in zwei Fällen (Fall 4 und 14) die Feier des Abendmahls und in einem Fall (Fall 19) beides ausschließlich von „Pfarrern“ oder „ordinierten Pastoren“ vollzogen. In den anderen Fällen wird die Taufverantwortung an ein (ehrenamtliches) Leitungsamt (Fall 1, 31, 34) oder an den persönlichen Glauben (Fall 8 und 28) statt an eine spezifische Ausbildung oder Beauftragung gekoppelt.77 Die Feier des Abendmahls wird zum Teil als ein gemeinsamer Vollzug beschrieben.78 Bei rein ehrenamtlich geleiteten Initiativen (Fall 1, 11, 18, 39) zeigt sich insgesamt die Tendenz, alle Personen gleichermaßen an dem Vollzug zu beteiligen.
6.8.3 Bedeutung der Taufe Häufig wird der Ort benannt, an dem die Taufe vollzogen wird (z. B. ein „mobiler Pool“ (Fall 8), eine „Regentonne“ (Fall 28), öffentliche Gewässer (Fall 8, 24, 34 und 37)). Der Aspekt des ganzkörperlichen Untertauchens79 und der Erlebnischarakter spielen dabei eine Rolle.80 Gleichzeitig wird auf die Bedeutung der
76 Ausgehend vom Untersuchungsdesign für fxC in England, werden auch im Rahmen dieser Studie in ersten Ansätzen Entwicklungsprozesse berücksichtigt. Bei der Feier von Taufe und Abendmahl werden in diesem Sinne „aspirations“ (vgl. hierzu insbesondere den neunten Indikator für fxC sowie ▶ Kapitel VI, 5.2), also Bestrebungen, bereits im Item der Online-Befragung mit abgefragt. Darüber hinaus wird bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität insgesamt beispielsweise berücksichtigt, wie stark oder wenig ausgeprägt bisher die Selbstständigkeit der Finanzierung der Initiative ist. Auch die Untersuchung des ekklesiologischen Selbstverständnisses ausgehend von den Deutungen und Bewertungen, die abgefragt werden, spielt eine entscheidende Rolle im vorliegenden Untersuchungsdesign. 77 Zum Teil auch dort, wo es die Möglichkeit gäbe auf Hauptamtliche zurückzugreifen – vgl. dazu folgendes Zitat (F30_2): „Täuflinge suchen sich ihre Täufer aus, sollten sich der [Initiative wurde an der Stelle anonymisiert] zugehörig fühlen und selbst getauft sein. Ziel ist es, dass nicht der Pastor tauft“ (Fall 28). 78 Zitate: „Wichtig ist, [dass] jeder empfängt und gibt.“ (Fall 39), „Wenn wir Abendmahl feiern, dann essen wir zusammen!“ (Fall 11). 79 Vgl. dazu beispielsweise die Daten von Fall 8. 80 Vgl. dazu z. B. folgendes Zitat (F30_2): „[…] im Sommer am See, als Happening“ (Fall 37).
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IX Auswertung
Taufe sowie Voraussetzungen zur Taufe und Begleitung des Taufgeschehens verwiesen, welche die Initiative prägen.81 Demnach geht es nicht allein um einen besonderen Erlebnismoment. Auch der Bezug zur Initiative und insbesondere das Verständnis der Initiative als Gemeinde (!) wird als wesentliche Voraussetzung benannt: „Wer uns als seine Gemeinde sieht, kann sich / seine Kinder hier taufen lassen.“ (Fall 9). Hier zeigt sich eine Verbindung zu den kirchentheoretischen Ausführungen über das ekklesiologische Selbstverständnis.82
6.8.4 Bedeutung des Abendmahls Die Bedeutung des Abendmahls zeigt sich bei einigen Fällen in der Auseinandersetzung mit der Frage danach, wer zum Abendmahl eingeladen wird. Diese Auseinandersetzung ist von dem Wunsch des Willkommenheißens, der Offenheit sowie zugleich Ernsthaftigkeit geprägt.83 Darüber hinaus wird die Abendmahlsfeier als „Jesusnachfolge“ (Fall 18) oder als „regelmäßiges Erinnern, dass Gott für uns ist“ (Fall 39) beschrieben und als „super und wichtig“ (Fall 31) empfunden. In zwei Fällen wird der Aspekt des Gebens und Empfangens betont: „Nicht sie nehmen es, sondern sie bekommen es mit der kirchlichen Floskel“ (Fall 28) oder „Wichtig ist, jeder empfängt und gibt“ (Fall 39).
6.8.5 Fazit zur Feier von Taufe und Abendmahl Resümierend lässt sich festhalten, dass Taufen häufiger von Personen ohne spezifische kirchliche Ausbildung oder hauptamtliche Beauftragung in den hier fokussierten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens vollzogen werden. Dem Aspekt, dass die vollziehende Person selber glaubt oder getauft ist, wird offensichtlich höhere Bedeutung zugemessen als einer offiziellen Ausbildung oder Beauftragung. Bei der Feier des Abendmahls zeigt sich in einzelnen Fällen, dass der Vollzug in einem an Gemeinschaft orientierten Setting sowie mit gleichberechtigter Verantwortung aller Beteiligten erfolgt. Die Feier der Taufe findet meist an öffentlichen Orten, zum Teil in öffentlichen Gewässern statt, was den Effekt eines besonderen Erlebnisses unter-
81 Vgl. dazu beispielsweise folgende Zitate (F30_2): „Sichtbares Zeichen der Nachfolge Jesu“ (Fall 39) oder „Taufunterricht vor der Taufe und Jüngerschaftsbegleitung danach“ (Fall 37). 82 Vgl. dazu die Auseinandersetzung mit dem achten Indikator für fxC in ▶ Kapitel VI, 5.2. 83 Beispielhafte Zitate: „Wir schließen niemanden aus. Alle sind willkommen.“ (Fall 3), „Jeder der von Herzen an Jesus glaubt, darf das Abendmahl nehmen. Das wird in keinster Weise geprüft.“ (Fall 8), „offenes Abendmahl mit vorhergehender Erklärung der Bedeutung und der Möglichkeit zur Teilnahme und nicht Teilnahme“ (Fall 34).
6. Weiterführende Explorationen
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streichen kann. Jedoch erschöpft sich das Verständnis von Taufe darin keineswegs, sondern es zeigt sich eine reflektierte und spezifische Auseinandersetzung mit Voraussetzungen zur Taufe und der Bedeutung der Taufe sowie des damit zusammenhängenden Selbstverständnisses als Gemeinde. In keinem Fall wird an dieser Stelle auf ein Konfliktpotential mit anderen Gemeinden oder auch anderen kirchlichen Ebenen sowie Rechtsregelungen verwiesen. Lediglich in einem Fall wird angedeutet, dass es etwas Besonderes ist, wenn die Taufe in der hier untersuchten Ausdrucksform des Glaubens stattfindet.84 Bezüglich des Abendmahls erfolgt in einzelnen Fällen eine Auseinandersetzung mit den Fragen, wer zum Abendmahl eingeladen ist und inwiefern Abendmahl ein Erlebnis des Empfangens (nicht Nehmens) ist. Zugleich wird dabei die Frage danach thematisiert, wer „geben“ darf und wie es zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis werden kann. Dass die Einsetzungs- oder Spendeworte dabei in einem Fall als „kirchliche Floskeln“ bezeichnet werden, zeigt jedoch zugleich, dass die an der evangelisch-landeskirchlichen Tradition orientierten Vollzüge offensichtlich in einige Fällen wenig vertraut sind, während sie jedoch die eigene Praxis bestimmen. Nicht in allen Initiativen erfolgt demnach gleichermaßen eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser christlichen Praktiken sowie den Formulierungen, die diese Bedeutung zum Ausdruck bringen sollen. An dieser Stelle knüpfen Beobachtungen zum Item F33 der OnlineBefragung an.85 So wurde die erste Beschreibung von Gemeinde mit der Formulierung „Hier versammeln sich Menschen, um das Evangelium zu hören und die Sakramente zu empfangen“ (F33) wesentlich seltener als „sehr hilfreich / passend“ zur Beschreibung der eigenen Initiative bewertet86 als die folgenden Aspekte der anderen Beschreibungen. In den sich auf diese Beschreibung beziehenden Kommentaren (F33_2) zeigt sich jedoch überwiegend eine inhaltliche Zustimmung zu dieser Beschreibung sowie zugleich eine Kritik an den „churchy“87 Formulierungen88, die offensichtlich zu dieser wenig zustimmenden Bewertung geführt haben. Anhand dieser kritischen Rückmeldungen wird etwas zur Bedeutung offenbar, die von einzelnen Fällen den „Sakramenten“ und somit 84 Vgl. dazu die Formulierung von Fall 1 (F30_2): „Auf Wunsch wird in unserer Gemeinde getauft.“ 85 Vgl. für die folgenden Ausführungen ▶ Anhang 41. 86 Lediglich in drei Fällen fiel die Bewertung so positiv aus (Fall 18, 37 und 39). 87 So die Kritik von Fall 19 an dieser Stelle. 88 Hier einige Beispiele dazu: „Sakramente ist nicht unbedingt unser Wort. Aber inhaltlich passt es zu uns“ (Fall 8); „Begrifflichkeiten wie Sakrament oder Evangelium schrecken in unserer Gegend viele Leute ab. Wir machen es zwar, aber würden dem niemals so religiös belastete Namen geben“ (Fall 11); „Klingt für viele Menschen hier eher etwas merkwürdig. Inhaltlich korrekt, aber eine andere Sprache würden wir nutzen“ (Fall 24).
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Taufe und Abendmahl zugemessen wird. So wird darauf hingewiesen, dass es um ein „Erleben“ sowie „Leben“ des Evangeliums geht, das sich in Gemeinschaft vollzieht, und weniger um ein „konsumorientiertes“ „Hören“ sowie „Empfangen“.89 Es zeigt sich an dieser Stelle der bereits in der qualitativen Analyse skizzierte Aspekt der Lebensrelevanz des Glaubens, der dabei tendenziell von einem sich Ereignen sowie Erleben geprägt erscheint.90 Hierin scheint ein Spezifikum des Forschungsgegenstands zu liegen.91 So ist es letztlich auch kongruent, dass sich Taufe nicht als Kriterium für Zugehörigkeitsregelungen im Rahmen dieser Studie zeigt, sondern vielmehr als ein Zeichen der „Nachfolge Jesu“ sowie als Ausdruck des persönlichen Glaubens interpretiert wird. Unerwähnt bleiben dabei jedoch die theologischen Aspekte der Zuwendung Gottes sowie des Sterbens, Auferstehens und neugeboren Werdens sowie die Aspekte der Vergebung und Versöhnung (auch hinsichtlich des Abendmahls), die zentrale theologische Deutungsperspektiven sind. Von der Konzeption dieser Items (F30 sowie F31) bei der Online-Befragung ist eine theologisch tiefergehende Auseinandersetzung an dieser Stelle jedoch auch nicht intendiert, sondern wurden vielmehr Fragen zur Gestaltung aufgeworfen92, auf die sich die vorfindlichen Daten dementsprechend überwiegend konzentrieren.
6.9 Spezifische Erkenntnisse zur Prägung durch junge Erwachsene Um herauszufinden, ob sich bei den untersuchten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens in einzelnen Aspekten Spezifisches hinsichtlich der Prägung durch junge Erwachsene erkennen lässt, wird an dieser Stelle auf die Daten zurückgegriffen, die im Rahmen der Umfrage generiert wurden, jedoch nicht auf den in ▶ Kapitel VIII, 2 definierten Forschungsgegenstand zutreffen. Diese dienen an dieser Stelle als Vergleichsdaten. Dazu werden vor allem die Daten
89 Vgl. dazu die Kommentare von Fall 3, 4, 14, 34 und 39. 90 Vgl. hierzu die Ausführungen in ▶ Kapitel IX, 3. 91 Dass sich Glaubensinhalte im Leben als relevant erweisen müssen, zeigt sich auch in der Studie zu Langzeiteffekten der Konfirmandenarbeit: Gelingt es nicht, in der Zeit vor der Konfirmation „die entsprechenden Glaubensinhalte oder Überzeugungen für junge Menschen zu plausibilisieren“, verliert der christliche Glaube mit zunehmendem Alter der Befragten nach der Konfirmation zunehmend an Bedeutung (vgl. Wolfgang Ilg u. a., 2018, 240). Auch wenn die eigenen Lebenserfahrungen den vermittelten Glaubensinhalten widersprechen, bleibt lediglich ein Wissen zu verzeichnen, „was zum evangelischen Glauben gehört“, zeigt sich jedoch keine eigene Glaubensüberzeugung (vgl. ebd., 241). 92 „Was ist euch dabei wichtig / Wie wird das gestaltet / Gibt es dafür Verantwortliche …?“.
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von „Familien“93 und „länger Berufstätigen“94 für die folgenden Vergleiche herangezogen. Da Familiengründung sowie ein fester Beruf95 ausgehend von ▶ Kapitel I für höhere Kontinuität im Lebensalltag stehen, erscheinen diese Daten jeweils als ein sinnvolles Gegenüber zu den Daten junger Erwachsener. Neben den skizzierten Vergleichsdaten wird in diesem Teil auf die Daten aller Fälle, auf die die Kriterien des Forschungsgegenstands zutreffen, zurückgegriffen (N = 34) und nicht spezifischer bezüglich der jeweiligen Ausprägung der ekklesiologischen Qualität sortiert. Diese Daten werden in ihrer Gesamtheit im folgenden Abschnitt als Daten der „jungen Erwachsenen“ bezeichnet. Alle verwendeten Daten werden zur besseren Vergleichbarkeit96 auf eine Dezimalstelle gerundet präsentiert.
6.9.1 Zugehörigkeit und Partizipation In den Daten97 zum Item F16 der „Familien“ und „länger Berufstätigen“ zeigt sich, dass die „härteren“ Faktoren zur Regelung von Zugehörigkeit und Partizipation, die diese klarer sowie zugleich verbindlicher organisieren („Mitgliedschaftsantrag“ / „Kirchen-/Gemeindeeintritt“), deutlich häufiger ausgewählt werden, als in den Daten der „jungen Erwachsenen“. Am häufigsten zeigt sich die Auswahl dieser beiden Zugehörigkeitsregelungen in den Daten der „Familien“.98 Zudem spielt die Taufe in beiden Vergleichsgruppen eine Rolle99, wäh93 Dies sind die Daten aller Befragten, die bei der Frage „Was ist die größte Gruppe bezüglich der Familiensituation?“ (F22) die Angabe „Familien mit kleineren Kindern“ (F22 = 1) gewählt haben. Nähere Auswahlkriterien liegen diesen Daten nicht zu Grunde. 94 Dies entspricht den Daten aller Befragten, die bei der Frage „Was ist die größte Gruppe bezüglich der Arbeitssituation?“ (F21) die Angabe „Diejenigen, die schon länger als fünf Jahre in ihrem Beruf gearbeitet haben“ (F21 = 4) ausgewählt haben. Andere Angaben, wie beispielsweise unter „Sonstiges“, werden hier nicht berücksichtigt. 95 Dies ist durch die Angabe „schon länger als fünf Jahre […] [im] Beruf gearbeitet“ nicht zwangsläufig gegeben, auch hier kann sich die berufliche Situation noch von Übergangshaftigkeit gekennzeichnet zeigen. Die Wahrscheinlichkeit nimmt jedoch ab, so dass auch diese Gruppe an dieser Stelle als Vergleich für tendenziell höhere Kontinuität im Lebensalltag herangezogen wird. 96 Dies begründet sich darin, dass die Daten zu „jungen Erwachsenen“ in dieser Form vorliegen. 97 Die Auswertung der Daten zu diesem Item findet sich nach den unterschiedlichen Vergleichsgruppen sortiert im ▶ Anhang 42. 98 30 % wählen die Option „Mitgliedschaftsantrag“ (F16_2 = 1). Im Vergleich dazu liegt der Wert in der Gruppe der „länger Berufstätigen“ bei 25 %, und in der Gruppe der „jungen Erwachsenen“ bei 17,6 %. Zudem wählen 13,3 % der Datengruppe „Familien“ die Option „Kirchen-/Gemeinde-Eintritt“ (F16_4 = 1). Der Vergleich zeigt hier als Wert der Gruppe der „länger Berufstätigen“ 10,7 % und 5,9 % für die „jungen Erwachsenen“. 99 In der Gruppe der „Familien“ wird die Option „Taufe“ (F16_3 = 1) in 16,7 % der Fälle und bei „länger Berufstätigen“ in 10,7 % der Fälle ausgewählt.
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IX Auswertung
rend diese in den Daten der „jungen Erwachsenen“ im Kontext der Frage nach Zugehörigkeit keine Beachtung findet. Dass sich Zugehörigkeit jedoch auch „selbstbestimmt“ (F16_9 = 1) sowie durch die „Teilnahme an Formaten / Veranstaltungen“ (F16_1 = 1) ereignen kann, zeigt sich in den Daten der „länger Berufstätigen“ sowie „Familien“ sogar noch stärker ausgeprägt als bei „jungen Erwachsenen“. In den Daten zu „jungen Erwachsenen“ ist hingegen der Anteil derjenigen, die die Antwort „Wissen wir selber nicht / ist unklar“ (F16_10 = 1) wählen, im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen der größte.100 Zudem zeigt sich hier das Bedürfnis, eigene Angaben hinzuzufügen, am häufigsten.
6.9.2 Gemeinschaft Im Gegensatz zu den Beobachtungen zur Regelung sowie Ermöglichung von Zugehörigkeit und Partizipation zeigt sich bei den Explorationen zum Aspekt Gemeinschaft ein anderes Bild.101 Während sich in der Gruppe der „länger Berufstätigen“ zur Frage nach der Rolle von Gemeinschaft (F17) eine deutliche Gespaltenheit zwischen den beiden Polen „eine verbindliche und kontinuierliche Gemeinschaft kann / soll hier entstehen“ (F17 = 1) und „es [geht] eher darum, punktuelle Erlebnisse / Begegnungen zu ermöglichen“ (F17 = 2) zeigt102, wird in den Daten der „jungen Erwachsenen“ mit knapp 80 % eine deutliche Ausrichtung auf „eine verbindliche und kontinuierliche Gemeinschaft“ deutlich.103 Dieser Befund ist im Hinblick auf die Auswertung der Beschreibungen des Ziels (▶ Kapitel IX, 3.2) besonders aufschlussreich, da darin häufiger „Begegnungsräume“ skizziert als eine gezielte Ausrichtung auf verbindliche Gemeinschaftsformen benannt wurden. Zugleich weisen bereits die Beschreibungen der wesentlichen Formate (▶ Kapitel IX, 3.1) darauf hin, dass verbindliche und überschaubare Gemeinschaftsformen weiterhin eine zumindest ergänzende Rolle in den untersuchten Initiativen spielen. Legt man die Beobachtungen zur Regelung von Zugehörigkeit sowie zur Rolle und Form von Gemeinschaft in von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksformen des Glaubens übereinander, scheint es eine vielversprechende Spur zur Interpretation des darin deutlich werdenden Widerspruchs zu sein, zwischen Bindung und Verbindung zu unterscheiden. So zeigt
100 5,9 % der „jungen Erwachsenen“ wählen diese Antwortoption, während diese nur 3,6 % der „länger Berufstätigen“ sowie 3,3 % der „Familien“ auswählen. Insgesamt handelt es sich hier um sehr geringe Prozentzahlen, was bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigt werden muss. 101 Die Auswertung der Daten findet sich nach den unterschiedlichen Vergleichsgruppen sortiert im ▶ Anhang 43. 102 Beide Antwortoptionen erhalten von jeweils 50 % dieser Gruppe Zustimmung. 103 In den Daten der „Familien“ zeigt diese Ausrichtung eine noch stärkere Ausprägung von 90 %.
6. Weiterführende Explorationen
365
sich neben einer tendenziell wenig auf Bindung ausgerichteten Organisation der untersuchten Fälle zugleich eine deutliche Orientierung an verlässlichen zwischenmenschlichen Verbindungen.
6.9.3 Rhythmus des zentralen Formats Ausgehend von dem Vergleich der Daten zur Frage „Wie oft findet das zentrale Format oder Angebot statt?“104 (F28) wird deutlich, dass in den Daten der „jungen Erwachsenen“ der Rhythmus des zentralen Formats am dichtesten ist. In 23,5 % der Fälle wird die Angabe „mehrmals in der Woche“ (F28 = 1) gewählt sowie in 41,2 % die Option „wöchentlich“ (F28 = 2). Damit ist der Rhythmus des zentralen Formats deutlich dichter als in den beiden Vergleichsgruppen105. Insbesondere in den Daten der schon „länger Berufstätigen“ ist mit 27,5 % der monatliche Rhythmus (F28 = 4) am häufigsten, während die Angaben „mehrmals in der Woche“ (F28 = 1) sowie „wöchentlich“ (F28 = 2) zusammengefasst auf lediglich 25,6 % kommen. Diese Beobachtung darf allerdings nicht simplifiziert werden. Ein sehr dichter Rhythmus kann zum einen besonders intensive zwischenmenschliche Verbindungen und kontinuierliche Gemeinschaftserfahrungen ermöglichen. Zugleich lässt die Häufigkeit dieses Ereignisses auch eine spontane, punktuelle Partizipation aus organisatorischen Aspekten als besonders einfach erscheinen. So lässt sich dieser Befund lediglich zu den vorausgehenden Analysen ergänzen, kann diese jedoch nicht weiterführend deuten.
6.9.4 Kommunikation Neben der Vergleichsgruppe der schon „länger Berufstätigen“ wird diesmal zudem auf die Gruppe der „Schülerinnen und Schüler“106 zurückgegriffen, da
104 Die Auswertung der Daten findet sich nach den unterschiedlichen Vergleichsgruppen sortiert im ▶ Anhang 44. Zu beachten ist an dieser Stelle, dass für die Daten zu „jungen Erwachsenen“ die Angaben unter „Eigener Rhythmus“ (F28 = 8) nicht – wie im Rahmen der Auswertung der Fälle mit und ohne ekklesiologischer Qualität – in andere Antwortkategorien übertragen werden. Dies ist in der besseren Vergleichbarkeit mit den Daten der beiden Vergleichsgruppen begründet, in denen die Daten auch nicht übertragen wurden. Im Anhang 44 ist dies jeweils markiert. 105 In den Daten der „Familien“ zeigt sich jedoch eine noch etwas stärkere Ausprägung des wöchentlichen Rhythmus (F28 = 2) mit 42,9 %, jedoch erfolgt die Angabe „mehrmals in der Woche“ (F28 = 1) mit 10,7 % deutlich seltener als in den Daten der „jungen Erwachsenen“. 106 Diese Vergleichsgruppe setzt sich aus den Daten aller Befragten zusammen, die zum Item F21 („Was ist die größte Gruppe bezüglich der Arbeitssituation?“) die Angabe „Diejenigen, die noch zur Schule gehen“ (F21 = 1) ausgewählt haben. Nähere Auswahlkriterien liegen dieser Datengruppe nicht zu Grunde.
366
IX Auswertung
hier zur Nutzung von Kommunikationsmedien deutlichere Unterschiede vermutet werden als ausgehend von der Gruppe „Familien“. In den drei Vergleichsgruppen zeigen sich bei der Auswertung der Daten107 zum Item F13 überwiegend keine signifikanten Unterschiede und somit auch keine Spezifika der Datengruppe der „jungen Erwachsenen“. In den Daten der „Schülerinnen und Schüler“ wird deutlich, dass die Nutzung einer Homepage etwas weniger und die Nutzung von Email-Newslettern deutlich weniger ausgeprägt sind als bei den anderen beiden Gruppen. Die Gruppe der „länger Berufstätigen“ nutzt hingegen seltener Facebook und im Verhältnis zu den anderen beiden Gruppen am häufigsten Email-Newsletter. Das Medium Twitter wird von allen drei Gruppen am wenigsten genutzt108, sowohl in den Daten „junger Erwachsener“ als auch der „Schülerinnen und Schüler“ zeigt sich jedoch die eigene Angabe der Kommunikationsapp Instagram.109 Daran wird zwar deutlich, dass Instagram in den jüngeren Vergleichsgruppen offensichtlich gebräuchlicher als Twitter ist, jedoch werden auch hierdurch keine Spezifika der durch junge Erwachsene geprägten Initiativen sichtbar. Allein die eigene Angabe: „Wir haben eine eigene App entwickelt. Inzwischen ist aus dieser Initiative ein Start-up geworden (Communiapp). Mit dieser App kommunizieren wir viel in Gruppen“ (Fall 34 der untersuchten Fälle, die dem Forschungsgegenstand entsprechen und somit zur Vergleichsgruppe „junge Erwachsener“ gehört), weist auf eine besonders stark ausgeprägte kommunikativ-technische Affinität dieser Gruppe hin. Wie ausgehend von ▶ TEIL A erwartet, spielen soziale Medien (insbesondere Facebook sowie auch WhatsApp) eine entscheidende Rolle, die Kommunikation über persönliche Kontakte bleibt jedoch in allen drei Vergleichsgruppen die am häufigsten gewählte Form der Kommunikation110. Aufschlussreich wäre zu diesem Aspekt zudem der Vergleich des Forschungsgegenstands mit anderen kirchlichen Sozialgestalten und deren Nutzung von Kommunikationsmedien. Dies ist jedoch mit den im Rahmen dieser Studie zur Verfügung stehenden Daten nicht möglich. 107 Die Auswertung der Daten findet sich nach den unterschiedlichen Vergleichsgruppen sortiert im ▶ Anhang 45. 108 Noch seltener zeigt sich in den Daten „junger Erwachsener“ die Nutzung eines Newsletters per Post (F13_6). 109 Diese Angabe findet sich in den Daten „junger Erwachsener“ fünf Mal, was 14,7 % entspricht. Bei den Daten der „Schülerinnen und Schüler“ zeigt sich die Angabe zwei Mal, was an dieser Stelle 18,2 % der sehr kleinen Befragungsgruppe (N = 11) entspricht. 110 Es zeigt sich bei diesem Aspekt jedoch eine leicht abnehmende Tendenz zwischen den drei Vergleichsgruppen: In den Daten der „Schülerinnen und Schüler“ verzeichnet die Angabe „wird häufig genutzt“ 90,9 %, in den Daten der „jungen Erwachsenen“ sind es an dieser Stelle noch 88,2 % und in den Daten der „länger Berufstätigen“ 82,1 %.
6. Weiterführende Explorationen
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6.9.5 Merkmale der Generation Y Wesentliche Kennzeichen der Generation Y lassen sich hinsichtlich der Aspekte Alter111, Bildung112 sowie Bindung113 in den Daten dieser Studie wiederfinden. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Art und Weise, wie Beziehung und Gemeinschaft gestaltet wird, in der Generation Y ausgehend von ▶ Kapitel II stark vom Netzwerkbegriff geprägt ist, während die Daten dieser Studie dieses Kennzeichen durchaus auch aufweisen, jedoch häufiger ein an verbindlicher Gemeinschaft orientiertes Verständnis von Beziehungen offenbaren. Darüber hinaus sind sowohl strukturelle als auch theologische Entscheidungen der untersuchten Initiativen zum Teil davon geprägt, inwiefern sie aktuell als relevant und stimmig erscheinen, und orientieren sich weniger an Vorgaben oder Regelungen.114 Dies korrespondiert insbesondere mit dem zur Generation Y skizzierten Merkmal, dass das „Hier und Jetzt zählt“115 und sich Entscheidungen und Traditionen daran bewähren müssen, dass sie sich aktuell als relevant erweisen und als sinnhaft erkannt werden.
6.10 Erneut im Fokus: Der Gemeinschaftsbegriff Da im kirchentheoretischen Teil dieser Arbeit (▶ TEIL B) der Gemeinschaftsbegriff bezüglich des Verständnisses von Gemeinde vielfältig diskutiert wurde, kommt diesem Aspekt auch im Rahmen der Explorationen zu den Studienergebnissen Aufmerksamkeit zu.
111 In knapp über 80 % der untersuchten Fälle werden die 20- bis 30-Jährigen (F20 = 3) als größte Gruppe benannt (▶ Anhang 46), was der Skizzierung der Generation Y, das sie zwischen 1985 und 2000 geboren und somit zum Zeitpunkt der Befragung 2017 zwischen 17 und 32 Jahren alt sind, entspricht (Vgl. ▶ Kapitel II sowie den Rückgriff auf Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, 2014, 17). 112 Ungefähr 75 % der untersuchten Fälle sowohl mit als auch ohne ekklesiologische Qualität geben ein sehr hohes (formales) Bildungsniveau an („Abgeschlossenes Studium“, ▶ Anhang 47), was der überwiegend verallgemeinernden Beschreibung der Generation Y insofern entspricht, als dass hier vor allem höher Gebildete im Fokus stehen. 113 Dass die Generation Y Bindung neu interpretiere (▶ Kapitel I sowie II), passt zu dem Befund der Studie einer tendenziell offeneren Form der Organisation, wie sich Zugehörigkeit sowie Begegnungen ereignen. 114 Vgl. hierzu insbesondere die Explorationen zu Taufe und Abendmahl (▶ Kapitel IX, 6.8). 115 Vgl. hierzu das Zitat von Anders Parment, 2013, 71 in ▶ Kapitel II, 2.1 sowie insgesamt die Ausführungen in diesem Kapitel.
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IX Auswertung
Formen von Gemeinschaft Alle Fälle, die im Rahmen dieser Studie ekklesiologische Qualität aufweisen zeigen eine Ausrichtung der Initiative auf eine verbindliche und kontinuierliche Gemeinschaft (F17).116 Im Vergleich dazu sind es bei der Gesamtheit aller untersuchten Fälle knapp 80 %, bei denen diese Ausrichtung zu verzeichnen ist. Auch der Rhythmus des zentralen Formats (F28) weist bei den Fällen mit ekklesiologischer Qualität eine wesentlich dichtere Taktung auf als bei den Fällen ohne ekklesiologischer Qualität.117 Zudem wird deutlich, dass der von Offenheit geprägte Begriff „Begegnungsräume“ zur Beschreibung der wesentlichen Formate sowie des Ziels der Initiative überwiegend bei Fällen ohne erkennbare ekklesiologische Qualität im Rahmen dieser Studie zu finden ist.118 Auch Fälle, die als Selbstbeschreibung „Netzwerk“ gewählt haben, weisen keine ekklesiologische Qualität auf. Dennoch wird auch in diesen Fällen insbesondere ausgehend von den Bewertungen der Merkmale der In-Dimension zur Beschreibung von Gemeinde im letzten Teil der Online-Befragung deutlich, dass die Beziehungen untereinander im Fokus stehen. Die entsprechenden Merkmale (F 35_2 und F36_3) wurden mit überwiegend hoher Zustimmung bewertet.119 Somit sind es vor allem die Formen von Gemeinschaft, die sich in den Fällen mit und ohne ekklesiologischer Qualität unterscheiden. Rolle der In-Dimension sowie der weiteren Dimensionen für die ekklesiologische Qualität Diese Beobachtungen stützend ist die In-Dimension bei Fällen mit und ohne ekklesiologischer Qualität gleichermaßen ausgeprägt – bei letzteren sogar häufiger die am stärksten ausgeprägte Dimension.120 Betrachtet man zudem, wel-
116 S. ▶ Anhang 43. 117 S. ▶ Anhang 44. 118 Dies wird insbesondere im Rückgriff auf die Explorationen zur In-Dimension in den qualitativen Analysen deutlich (▶ Kapitel IX, 3), in denen kein Fall mit ekklesiologischer Qualität mit dem Begriff „Begegnungsraum“ in Verbindung gebracht wird (Ausnahme ist Fall 19). 119 Insgesamt zehn Fälle ohne ekklesiologische Qualität bewerten beide Merkmale mit der Angabe „sehr passend“. Dies entspricht insgesamt über 50 % dieser 18 Fälle. Lediglich in drei Fällen wurde neben der Bewertung „sehr passend“ eines der beiden Items mit „wenig passend“ oder „nicht passend“ bewertet (16,8 %). Es zeigt sich jedoch auch hier, dass die Zustimmung der Fälle mit ekklesiologischer Qualität tendenziell etwas höher ausfällt (68,8 % wählen ausschließlich die Bewertung „sehr passend“). 120 Vgl. hierzu die Übersichtsmatrix der „Ekklesiomatrix“ in ▶ Anhang 28: In vier Fällen (Fall 5, 6, 10, und 29) ist sie die am stärksten ausgeprägte Dimension, was 22,2 % der Fälle ohne ekklesiologische Qualität entspricht. Für die 16 Fälle mit ekklesiologischer Qualität zeigt sich lediglich in drei Fällen (Fall 9, 11 und 31) die In-Dimension als am stärksten ausgeprägt, dies entspricht 18,75 % dieser Fälle.
6. Weiterführende Explorationen
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che Dimension jeweils am stärksten sowie am schwächsten ausgeprägt ist, zeigt sich folgendes Bild: Bei den Fällen mit ekklesiologischer Qualität ist am häufigsten die Up-Dimension am stärksten ausgeprägt121, während bei den Fällen ohne ekklesiologischer Qualität am häufigsten die Out-Dimension am stärksten ausgeprägt ist122. Erstaunlicherweise ist in keinem Fall mit ekklesiologischer Qualität die Of-Dimension diejenige Dimension mit der höchsten Ausprägungsstärke, sondern ist die Of-Dimension diejenige, die am häufigsten am schwächsten ausgeprägt ist.123 Ekklesiologische Qualität ist im Rahmen dieser Studie insgesamt besonders häufig mit einer stark ausgeprägten geistlichen Ausrichtung im Sinne der Up-Dimension, jedoch nicht mit einer besonders hohen Ausprägung der In-Dimension verbunden. Gleichzeitig wird deutlich, dass insbesondere die Fälle ohne ekklesiologischer Qualität eine deutliche Ausrichtung nach außen auf einen spezifischen Kontext, eine Zielgruppe oder ein missionales Anliegen im Sinne der Out-Dimension erkennen lassen. Dies entspricht nicht den Erwartungen, dass insbesondere die Of- sowie Out-Dimension für die ekklesiologische Qualität entscheidend seien124. Ausblick: Virtuelle Gemeinschaftsformen Lediglich zwei Fälle der Untersuchungseinheit ereignen sich vorrangig125 oder ausschließlich im virtuellen Raum (Fall 23 und 27)126. In beiden Fällen wird die Selbstbeschreibung (F12) „Netzwerk“ gewählt – in Fall 27 zudem die Beschreibung „Gruppe“.127 Ebenfalls zeigt sich für beide Fälle, dass die OutDimension die am stärksten ausgeprägte Dimension ist, während die drei anderen Grunddimensionen besonders schwache Ausprägungen aufweisen.128 In bei-
121 Dies trifft auf insgesamt neun Fälle zu (Fall 1, 3, 4, 8, 18, 19, 28, 37, 39) und entspricht damit ungefähr 56 % der Fälle mit ekklesiologischer Qualität. Bei Fall 4 sind die Up- und die OutDimension gleichermaßen stark ausgeprägt. Insgesamt zeigt sich zudem in fünf Fällen die Out-Dimension als am stärksten ausgeprägt (Fall 4, 14, 24, 34, 38). 122 Das zeigt sich in insgesamt elf Fällen (Fall 7, 15, 16, 17, 23, 25, 27, 30, 33, 36, 40) und entspricht damit ungefähr 61 % dieser Fallgruppe. 123 In insgesamt zehn Fällen ist die Of-Dimension am schwächsten ausgeprägt (Fall 1, 4, 11, 14, 18, 19, 24, 28, 37, 39). Dies entspricht 62,5 % der Fälle mit ekklesiologischer Qualität. 124 Vgl. hierzu die Ausführungen zu den Indikatoren für fxC sowie zu den Kriterien für den Gemeindebegriff (▶ Kapitel VI, 5). 125 Vgl. hierzu die Angaben von Fall 27 zur Frage nach dem Ort des zentralen Formats (F27_2): „vorwiegend virtuell, aber auch konkrete Treffen an unterschiedlichen Orten.“ 126 Vgl. hierzu jeweils die Beschreibung des zentralen Formats zum Item F26 (s. ▶ Anhang 7). 127 Vgl. ▶ Anhang 28. 128 Bei Fall 23 weisen die drei weiteren Dimensionen jeweils eine Ausprägung unter 50 % auf (Of: 45,5 % – In: 35 % – Up: 46 %), bei Fall 27 knapp über 50 % (Of: 56,5 % – In: 55 % – Up: 55,5 %) – vgl. auch hierzu ▶ Anhang 28.
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IX Auswertung
den Fällen ist die In-Dimension die am schwächsten ausgeprägte Dimension. Dennoch werden die Merkmale zur In-Dimension im letzten Teil der Befragung (F35_2 und F36_3) von Fall 27 mit der höchsten Zustimmung bewertet, während Fall 23 sich hier vielmehr gespalten zeigt129. Bei Fall 27 zeigt sich zudem eine Orientierung an verbindlicher Gemeinschaft (F17 = 1), die sich jedoch ausgehend von den Angaben zum zentralen Format in einem nicht näher bestimmbaren Rhythmus ereignet, sondern „[…] dann, wann jemand sich beteiligen will / kann“ (F28_2). Fall 23 ist hingegen eher auf „punktuelle Erlebnisse / Begegnungen“ (F17 = 2) ausgerichtet, der Rhythmus des zentralen Formats zeigt jedoch durch die Angabe „wöchentlich“ eine eher dichte Frequenz. Dies erschließt sich, wenn man berücksichtigt, dass hier ein „Impulsblog“ das zentrale Format ist. Bei Fall 27 geht es hingegen um eine virtuelle Gemeinschaftsform im Sinne einer Facebookgruppe130. Im Rahmen dieser Studie weisen beide Fälle eindeutig keine ekklesiologische Qualität auf. Als lohnend erscheint es jedoch ausgehend von diesen kurz skizzierten Ergebnissen der Frage, inwiefern virtuelle Gemeinschaftsformen als Gemeinde verstanden werden können und sich in unterschiedlichen Dimensionen dazu verhalten, im Rahmen eines eigenen Forschungsprojekts nachzugehen.
6.11 Zusammenfassung der Explorationen Der untersuchte Forschungsgegenstand zeigt sich in den vorliegenden Daten ausgehend von der Erhebung der Postleitzahl als ein vor allem im großstädtischen Kontext verortetes Phänomen. Spezifische Lokalisierungen auf dem Gebiet der EKiR – wie im Forschungsdesign zunächst angestrebt – lassen sich nur in Einzelfällen finden, so dass dieser Fokus im Fortgang des Forschungsprojekts aufgegeben wurde. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass von jungen Erwachsenen geprägte Ausdrucksformen des christlichen Glaubens, die im Rahmen der vorliegenden Studie ekklesiologische Qualität zeigen, sowohl von Ehren- als auch von Hauptamtlichen geleitet werden. Die ekklesiologische Qualität der untersuchten Ausdrucksformen des Glaubens hängt dabei nicht von einer spezi-
129 Für Fall 23 ist beim Item 35_2 die Bewertung mit „nicht passend“ zu verzeichnen, während das Item F36_3 mit „sehr passend“ bewertet wird. 130 Diese Angabe findet sich zur Frage nach dem offiziellen Status der Initiative (F8): „Webprojekt – geschlossene Facebook-Gruppe, die von mir und einem Admin-Team verwaltet wird“.
6. Weiterführende Explorationen
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fischen Form der Verantwortung an dieser Stelle ab.131 In den meisten Fällen ereignet sich Leitung im gemischten Team. Dennoch werden Taufen und Abendmahl in einigen Fällen rein ehrenamtlich verantwortet. Dies liegt meist in einer bewussten Entscheidung begründet und geschieht nicht aus Mangel an Hauptamtlichkeit.132. Rein ehrenamtlich gegründete Initiativen sind tendenziell selbstständiger, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung. Insgesamt zeigt die Studie, dass die meisten Initiativen sich mindestens anteilig selbstständig finanzieren. Dies geschieht häufig durch die Unterstützung derjenigen, die an der Initiative in unterschiedlichen Formen partizipieren sowie durch externe Fördermittel. Insbesondere dort, wo sich ausgehend vom offiziellen Status eine direkte Verbindung zur Kirche oder einer Gemeinde zeigt, wird zudem auf eine anteilige kirchliche oder gemeindliche Finanzierung zurückgegriffen – jedoch nicht in allen Fällen. Ein Viertel der untersuchten Fälle mit ekklesiologischer Qualität organisiert sich insgesamt gänzlich unabhängig als eigenständiger Verein. Am häufigsten wird als offizieller Status Gemeinde angegeben – zum Teil eigenständig organisiert sowie auch als Gemeinde einer anderen Gemeinde. Vor allem in der letzteren Statusbeschreibung zeigt sich ein eher freikirchliches Verständnis von Gemeinde. Bezüglich der jeweiligen konfessionellen Zugehörigkeit der Initiative fällt auf, dass einige sich „überkonfessionell“ verstehen. Ekklesiologische Qualität im Sinne der Evangelischen Kirche ist demnach nicht an die konfessionelle Zugehörigkeit der Initiativen zur Evangelischen Kirche gebunden, sondern kann sich auch in Ausdrucksformen des christlichen Glaubens anderer konfessioneller Prägungen und Zugehörigkeiten sowie bei einem konfessionsübergreifenden Verständnis zeigen. Dies ist als eine durchaus aufschlussreiche Beobachtung dieser Studie zu markieren. Unterstrichen wird dies dadurch, dass sich auch die konfessionelle Prägung der Befragungsperson sowie der größten Gruppe, mit der die Initiative in Kontakt ist, nicht insofern auf die ekklesiologische Qualität der Initiative auswirkt, dass diese bei evangelischer Konfessionszugehörigkeit stärker ausgeprägt wäre. Die meisten Initiativen, die
131 Dies erinnert an die Beobachtung der Studien zu fxC in England, in denen so genannten „lay-lays“ eine entscheidende Rolle in fxC einnehmen und sich auch in diesen Studien kein Unterschied in der ekklesiologischen Qualität der von „lay-lays“ geleiteten fxC im Gegenüber zu fxC, die von Personen mit kirchlicher Ausbildung oder Legitimation geleitet werden, zeigt (vgl. George Lings, 2016, 181–190 und die Ausführungen hierzu in ▶ Kapitel VI, 4). 132 Diese Beobachtung knüpft an aktuelle Beobachtungen und Reflexionen zu Fresh X in Deutschland an (vgl. Sandra Bils, 2018, 185 f.), auch wenn zu Fresh X in Deutschland aktuell noch kein empirisches Datenmaterial vorliegt, anhand dessen diese ersten Reflexionen vertieft werden können.
372
IX Auswertung
im Rahmen dieser Studie ekklesiologische Qualität aufweisen, sind vielmehr von Personen mit freikirchlichem Hintergrund geprägt. Einer tendenziell eher schwächer ausgeprägten konfessionelle Identität steht eine stark ausgeprägte ekklesiologische Identität verbunden organisatorischer Selbstständigkeit gegenüber. Demnach ist diese Identität vorrangig von Eigenständigkeit und weniger von einer Verbindung zu anderen Teilen von Kirche geprägt. Überraschend ist die Beobachtung, dass die Hälfte der Fälle die Größe von 50 Personen überschreitet, während ausgehend von Studien aus England zu fxC eher mit überschaubaren Initiativen gerechnet wurde. Die Regelung der Zugehörigkeit, die für die Beurteilung der Größenangaben entscheidend ist, ist dabei jedoch von einer gewissen Unübersichtlichkeit geprägt.133 Hier zeigt sich für die von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens im Vergleich mit von anderen Gruppen geprägten Initiativen, dass Zugehörigkeitsregelungen tendenziell weniger an dem Aspekt der Bindung orientiert organisiert sind, so dass Ein- und Ausstiege einfacher möglich erscheinen. Dennoch sind von jungen Erwachsenen geprägte Sozialgestalten an verbindlicher Gemeinschaft orientiert, insbesondere diejenigen, die ekklesiologische Qualität aufweisen. In der Organisation und Ausrichtung sind sie davon geprägt, statt Bindung zu fokussieren, Verbindungen zu ermöglichen. So können diese Sozialgestalten des christlichen Glaubens nicht nur von ihrem Selbstverständnis her, sondern auch ausgehend von dem hier vorfindlichen Gemeinschaftsbegriff als Gemeinde bezeichnet werden, da sich die Bezogenheit auf das Wort Gottes gemeinschaftlich und nicht als individuelles Erlebnis ereignet. Virtuelle Gemeinschaftsformen geraten im Rahmen dieser Studie lediglich vereinzelt in den Fokus, so sind zur Diskussion, inwiefern diese ebenfalls dem Gemeindebegriff genügen, ausgehend von dieser Studie keine weiterführenden Impulse zu verzeichnen. Die gemeinschaftliche Bezogenheit auf das Wort Gottes wird meist mit einer Lebensrelevanz des Glaubens verbunden und im Sinne eines Erlebens des Evangeliums gestaltet. Insgesamt ist die Lebens- sowie Gesellschaftsrelevanz bei der Kommunikation des Glaubens für die an den Initiativen beteiligten Personen offensichtlich zentrales Anliegen, wie insbesondere aus den qualitativen Analysen hervorgeht. Dieser Befund entspricht den näheren Ausführungen von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt zur Ausprägung der „missionarischen Grundlage“ bei den von ihnen formulierten „Kriterien für Gemeinde“. Hier stehen die Alltagsrelevanz des christlichen Glaubens sowie die Sprach-
133 Dies ist insbesondere der bezüglich der Übersichtlichkeit der Daten nicht gelungenen Konzeption des Items in der Online-Befragung an dieser Stelle geschuldet.
7. Kurze Reflexion und Einordnung der explorativen Studie
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fähigkeit bezüglich Glaubensfragen im Fokus.134 Glaube und Kirche muss sich im eigenen Alltag sowie im Alltag derjenigen, die als Zielgruppe der Initiative im Blick sind, als relevant bewähren. Bezüglich der Fokussierung einer Zielgruppe oder auch eines spezifischen Kontexts wird häufig eine Ausrichtung auf die gesamte Stadt oder auch Region deutlich, hierauf ist die gesellschaftsrelevante Kommunikation des Glaubens und Gestaltung von Kirche bezogen. Der erwähnte Aspekt des Erlebbarwerdens des Evangeliums erschöpft sich dabei jedoch nicht in einem Eventcharakter, sondern vor allem bezüglich Taufe und Abendmahl zeigt sich in einigen Fällen eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Bedeutungsaspekten dieser christlichen Vollzüge. In den Beschreibungen zur Feier des Abendmahls wird zudem erneut die zentrale Bedeutung von Gemeinschaft in den Initiativen deutlich, so dass sich die praktische Gestaltung teilweise an Settings orientiert, die ein gleichberechtigtes gegenseitiges Geben und Empfangen auf Augenhöhe (beispielsweise in Form eines Abendessens) in den Fokus rücken sollen. An dieser Stelle können somit zumindest in kleinen Anteilen Ergänzungen zu den in den Daten der qualitativen Analysen überwiegend nicht auffindbaren Beschreibungen von spezifischen christlichen Vollzügen der Initiative erfolgen.
7. Kurze Reflexion und Einordnung der explorativen Studie Insbesondere in den qualitativen Analysen dieser Studie wird deutlich, dass einige Initiativen neben den hier beschriebenen Aspekten beispielsweise von kulturellen Aktivitäten geprägt sind, die nicht näher analysiert wurden. An dieser Stelle ließe sich an die niederländische Studie der PKN anknüpfen, die die „Pionierorte“ nach „Typen von Aktivitäten“ sortiert, so dass deutlich wird, dass 45 % der untersuchten Pionierorte „künstlerische oder kreative Aktivitäten“ organisieren.135 In der niederländischen Studie fehlt an dieser Stelle jedoch eine Zusammenschau, inwiefern unterschiedliche Aktivitätstypen kombiniert auftreten. Dennoch wäre mittels einer Sortierung von Aktivitätstypen auch mit den im Rahmen dieser Studie erhobenen Daten136 eine weitere Sicht auf die unter-
134 Vgl. Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, 2013, 278 sowie ▶ Kapitel VI, 5.3.1. 135 Vgl. Protestantse Kerk, 2017, 6. 136 In den Studien zu fxC findet sich ebenfalls eine Sortierung nach Typen (vgl. George Lings, 2016, 40). Um eine solche differenzierte sowie umfangreiche Sortierung vorzunehmen, ist jedoch die Fallzahl der vorliegenden Studie deutlich zu gering. Zudem wurde ausschließlich der spezielle Forschungsgegenstand, von jungen Erwachsenen geprägte Ausdrucksformen des Glaubens, fokussiert, so dass der größte Teil der im englischen Sample vorgenommenen
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IX Auswertung
suchten Initiativen zu gewinnen gewesen. Hier liegt ein Potenzial, das im Vollzug der Auswertungen nicht fokussiert wurde und somit rückblickend kritisch anzumerken ist. In Bezug auf die Ergebnisse der niederländischen Studie ist unabhängig von diesem kritischen Punkt zudem als auffällig für die vorliegende Studie zu vermerken, dass sich hier keine monastisch geprägten Initiativen in der Untersuchungsgruppe gezeigt haben.137 Woran das liegt, ist schwer zu erörtern. Insgesamt lässt sich kritisch für die vorliegende Studie anmerken, dass sie das bisherige Verhältnis der an den untersuchten Initiativen beteiligten Personen zu vorfindlichen gemeindlichen Lebensformen (unterschiedlicher Konfessionen) nicht untersucht. Dieser Aspekt wäre jedoch insofern interessant für die Interpretation der Ergebnisse, als dass sich hieraus etwas zur aktuell (in Gemeinden und Kirchen aus vor allem institutioneller Perspektive insbesondere mit Blick auf die junge Generation) viel diskutierten Frage der Kirchen- sowie Gemeindebindung ableiten ließe. Doch genau darauf richtet sich nicht der Fokus der Untersuchung. Diese will vielmehr den Blick (der Kirche) darauf lenken, wie neben oder auch außerhalb der aktuell vorfindlichen gemeindlichen und kirchlichen Wirklichkeit dem christlichen Glauben Gestalt verliehen wird. Neben diesen im letzten Teil skizzierten Explorationen lassen sich für den Forschungsgegenstand noch viele weitere Aspekte untersuchen, untersuchte Aspekte vertiefen sowie Veränderungen am Forschungsdesign insgesamt sowie konkret an der Konzeption des Befragungsbogens vornehmen. Hierzu werden in dieser Arbeit immer wieder Anknüpfungspunkte konkret benannt. Es liegt mit dieser Studie also lediglich – wie bereits mehrfach erwähnt – eine erste Exploration eines bisher kaum erforschten Phänomens vor. Denn im Gegensatz zur Studie in den Niederlanden zu „Pionierorten“ und zu den Studien zu fxC in England sowie auch zur angestrebten Untersuchung der „Erprobungsräume“ in der EKM wurde mit der vorliegenden Arbeit in einem unbekannten Feld nach christlichen Initiativen gesucht, die sich in strukturell nicht näher definierten (frei-)kirchlichen Zwischenräumen oder auch gänzlich außerhalb gemeindlicher und kirchlicher Strukturen bewegen. Zudem wurden dabei ausschließlich Initiativen fokussiert, die maßgeblich von jungen Erwachsenen geprägt sind. Inwiefern sich hier dennoch eine Relevanz von Kirche zeigt, indem wesentliche Kennzeichen von Kirche erkennbar werden, ist dabei die zentrale Frage, zu der dieses Forschungsprojekt erste Spuren ausgelotet hat. Sortierungen nicht sinnvoll anzuwenden wäre. Hier erscheint die recht überschaubare TypenSortierung der „Pionierorte“, die tendenziell wie eine zunächst erste Exploration erscheint, eher anknüpfungsfähig an die vorliegende Studie. 137 Sowohl bei den „Pionierorten“ zeigen sich 33 % als von monastischen Traditionen geprägt (vgl. Protestantse Kerk, 2017, 6), als auch bei den untersuchten fxC ist dies ein Typ mit kleinerer aber dennoch deutlicher Fallzahl (vgl. George Lings, 2016, 40).
TEIL D: Zusammenfassung und Deutung
X Zusammenfassung des Forschungsprojekts
Das Forschungsprojekt fragt nach der Relevanz von Kirche im Leben junger Erwachsener. Die V. KMU der EKD konstatiert, dass Kirche insbesondere im Leben junger Erwachsener an Relevanz verloren hat, führt dies auf eine zunehmende Distanz der jungen Generation zur Kirche zurück und bildet damit den Ausgangspunkt dieses Forschungsvorhabens. Das Ziel dieses Forschungsvorhabens ist es, die Relevanz von Kirche im Leben junger Erwachsener zu untersuchen und dabei einen Perspektivwechsel vorzunehmen: Statt von der Kirche und ihren Angeboten auf junge Erwachsene zu blicken, wird zunächst untersucht, welche Ausdrucksformen junge Erwachsene gestalten, um davon ausgehend auf die Kirche zu blicken. Die vor diesem Hintergrund gebildete Frage lautet: Inwiefern sind maßgeblich von jungen Erwachsenen geprägte Ausdrucksformen des christlichen Glaubens als Kirche zu verstehen? Inwiefern zeigt sich hier ekklesiologische Qualität und in dem Sinne eine Relevanz von Kirche, die sich gänzlich unabhängig von einem Bezug zur Institution Kirche und ihren Angeboten manifestieren kann? In den ersten beiden Teilen dieses Forschungsprojekts werden zunächst die theoretischen Grundlagen gelegt, indem geklärt wird, was unter den Forschungsgegenständen Junge Erwachsene und Kirche zu verstehen ist, bevor im zweiten empirischen Teil der Frage im Rahmen einer explorativen Studie nachgegangen wird. Das Forschungsprojekt klärt, was aus soziologischer Perspektive unter dem Begriff oder Phänomen Junge Erwachsene verstanden werden kann und schärft dabei den Blick für eine von vielfältigen Übergängen geprägte Lebenssituation, die auf den Berufseinstieg ausgerichtet ist. Dabei hilft es zugleich, zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen anhand des Kriteriums eines allgemeinbildenden Schulabschlusses zu unterscheiden. So wird eine eindeutige Ausrichtung auf den Forschungsgegenstand Junge Erwachsene im empirischen Forschungsteil ermöglicht, wie sie sich aktuell nur in wenigen Studien zur Religiosität oder Kirchlichkeit finden lässt. Junge Erwachsene werden zudem
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X Zusammenfassung des Forschungsprojekts
im Spiegel der Generation Y als diejenige Generation betrachtet, die aktuell mit dem Eintritt in den Arbeitsmarkt beschäftigt ist. Flexibilität wird dabei als wesentliches Kennzeichen herausgestellt, das zugleich als besondere Fähigkeit dieser Generation interpretiert wird. Insgesamt wird der Generation Y in einer zunehmend unübersichtlichen Zeit, die im Verhältnis zur Vergangenheit stärker individuell verantwortete Lebensentwürfe und Lebensentscheidungen verlangt, eine hohe Anpassungsfähigkeit, pragmatischer Optimismus, eine neue Interpretation von Bindung sowie zugleich deutliche Orientierung an verlässlichen zwischenmenschlichen Beziehungen und zudem Gestaltungswille attestiert. Diese Sicht auf junge Erwachsene ist jedoch insofern systematisch verzerrt, dass sie diejenigen, die an den vielfältigen Übergängen scheitern, kaum wahrnimmt, sondern sich ausschließlich an denjenigen orientiert, die mit dem skizzierten Pragmatismus sowie Selbstbewusstsein die aktuellen Herausforderungen ihrer Lebenssituation meistern und dabei an manchen Stellen konventionelle Vorstellungen auf dem Weg der Verselbstständigung verlassen. Ausgehend von der skizzierten Forschungsfrage stehen auch in diesem Forschungsprojekt vor allem die Gestaltenden und nach eigenen Ausdrucksformen Suchenden dieser Generation im Fokus. Das Forschungsprojekt diskutiert den Gemeindebegriff aus evangelischer Perspektive, fokussiert ekklesiale Reifungsprozesse und definiert wesentliche Kennzeichen ekklesiologischer Qualität. Dabei orientiert sich das Forschungsprojekt an der aktuellen kirchentheoretischen Diskussion, in der einerseits kirchliche Sozialgestalten auf ihre Aktualität sowie Anknüpfungspunkte an insbesondere postmoderne, fluide Lebensformen hin untersucht werden und andererseits erörtert wird, welche Kennzeichen von Kirche sich unabhängig von der spezifischen Form als so zentral zeigen, dass sie die ekklesiologische Qualität von unterschiedlichen Sozialgestalten des christlichen Glaubens bestimmen lassen. Im Fokus steht die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei ergänzenden Ausdrucksformen des Glaubens von einer Gemeinde zu sprechen ist. Der Gemeindebegriff erweist sich aus evangelischer Perspektive als zentral für eine gleichwertige Anerkennung unterschiedlicher kirchlicher Sozialgestalten, die gemeinsam zu einer neuen Vielfalt der Kirche führen können. Entscheidend in dieser Diskussion ist die Frage nach ekklesialer Reife: Ab wann kann eine Ausdrucksform des Glaubens Gemeinde genannt werden und ist von ekklesiologischer Qualität zu sprechen? Ausgehend von vier aus der aktuellen kirchentheoretischen Diskussion abgeleiteten wesentlichen Merkmalen für Gemeinde unter Berücksichtigung ekklesialer Reifungsprozesse werden maßgeblich von jungen Erwachsenen geprägte Ausdrucksformen des Glaubens untersucht. Als die vier wesentlichen Merkmale werden dabei die Dimensionen „Up, Of, Out und In“ bestimmt, die
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auch in der FE-Bewegung das Verständnis von Kirche prägen, im vorliegenden Forschungsprojekt jedoch zum Teil neu interpretiert werden: Die Up-Dimension markiert den Bezug zu Christus als grundlegende Voraussetzung, eine Ausdrucksform des Glaubens überhaupt christlich zu nennen. Im reformatorischen Verständnis äußert sich dieser Bezug zentral in der regelmäßigen gottesdienstlichen Feier einschließlich des Abendmahls sowie in der Feier von Taufen. Die Of-Dimension markiert ein ekklesiologisches Selbstverständnis, das sich sowohl in strukturellen Aspekten der Organisation von Selbstständigkeit äußern kann, jedoch zugleich an der Intention der Personen erkennbar wird, die diese Ausdrucksform gestalten: Inwiefern verstehen sie diese als Gemeinde sowie als ein Teil einer vielfältigen Kirche? Diese doppelte Ausrichtung eines ekklesiologischen Selbstverständnisses, das die Deutung der beteiligten Personen in den Fokus rückt, ist im Rahmen dieses Forschungsprojekts wesentlich und bestimmt somit auch den empirischen Forschungsteil. Die Out-Dimension markiert das Sendungsbewusstsein und zeigt eine die eigenen Grenzen überschreitende Kommunikation des Glaubens, die auf einen spezifischen Kontext oder eine Zielgruppe im Sinne eines missionalen Anliegens hin ausgerichtet ist. Die In-Dimension ist insbesondere für den Gemeindebegriff wesentlich, da sie gemeinschaftliche Interaktionen markiert, die vom Evangelium geprägt sind, in Abgrenzung zu individuellen Glaubenserfahrungen unverbundener Einzelner. Ausgehend von diesen vier Merkmalen wird im Rahmen dieses Forschungsprojekts im empirischen Teil die ekklesiologischen Qualität im Sinne von Gemeinde aus Perspektive der Evangelischen Kirche beim Forschungsgegenstand untersucht, um der formulierten Forschungsfrage nach der Relevanz von Kirche im Leben junger Erwachsener auf der Spur zu bleiben. Das Forschungsprojekt sucht im Rahmen einer explorativ angelegten Studie nach dem Forschungsgegenstand von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens und untersucht deren ekklesiologische Qualität. Wenn sich im Leben junger Erwachsener aktuell nur eine geringe Relevanz von Kirche beobachten lässt, dann haben von ihnen maßgeblich geprägte Ausdrucksweisen des Glaubens keine ekklesiologische Qualität. – Diese aus dem soziologischen Teil abgeleitete erste Forschungshypothese zeigt, dass bereits das Aufspüren des Forschungsgegenstands ein entscheidender Teil der Studie ist. So ist der Zugang zum Forschungsgegenstand explorativ angelegt und wird einerseits aus institutioneller Perspektive durch die Befragung der mittleren Leitungsebene der EKiR im Sinne einer Vorstudie sowie vor allem durch die Verteilung des Links zur Online-Befragung im Schneeballprinzip, angestrebt.
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X Zusammenfassung des Forschungsprojekts
Die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität erfolgt vorrangig durch quantitative Verfahren. Mit einer dafür speziell konzipierten Matrix werden die vier Dimensionen ekklesiologischer Qualität anhand der Daten jedes einzelnen Falls, die zu unterschiedlichen Items in der Online-Befragung erhoben wurden, in der jeweiligen Stärke ihrer Ausprägung bemessen und ausgehend davon die Ausprägungsstärke der ekklesiologischen Qualität insgesamt bestimmt. Berücksichtigt werden dabei entsprechend der Ergebnisse des kirchentheoretischen Teils auch Entwicklungsprozesse (zumindest in ersten Ansätzen) sowie zudem das mit den Deutungen der beteiligten Personen verbundene ekklesiologische Selbstverständnis. Letzteres knüpft dabei an die zweite, ausgehend vom kirchentheoretischen Teil formulierte Forschungshypothese an: Das ekklesiologische Selbstverständnis von Ausdrucksformen des christlichen Glaubens ist ein wichtiger Faktor der ekklesiologischen Qualität. Es kann sich in der Ausbildung struktureller Merkmale der Selbstständigkeit äußern, ist jedoch insbesondere durch subjektive Sichtweisen und Deutungen der beteiligten Personen geprägt. So beinhaltet diese Studie zudem einen qualitativen Forschungsteil, in dem Antworten auf offene Fragen der Online-Befragung ausgewertet und die Ergebnisse in die skizzierte Untersuchung der ekklesiologischen Qualität integriert werden. Neben dem Auffinden des Forschungsgegenstands sowie der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität desselben anhand quantitativer sowie qualitativer Verfahren stehen insbesondere weiterführende Explorationen zum Forschungsgegenstand sowie explizit zum ekklesiologischen Selbstverständnis im Fokus der Studie. Das Forschungsprojekt zeigt: Es gibt maßgeblich von jungen Erwachsenen geprägte Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens mit ekklesiologischer Qualität. Unabhängig von sonst meist typischen Untersuchungsaspekten wie Kirchenmitgliedschaft, Teilnahme an kirchlichen Angeboten (Gottesdienstbesuch), kirchlichem Engagement oder Verbundenheitsgefühlen kann diese Studie eine andere Form der Relevanz von Kirche im Leben junger Erwachsener nachweisen. Dort, wo junge Erwachsene christliche Ausdrucksformen des Glaubens prägen, können sich grundlegende Kennzeichen von Kirche abbilden. Allerdings kann dieses Forschungsprojekt dies nur für eine begrenzte Fallgruppe nachweisen und widmet sich somit der Beschäftigung mit einem Minderheitenphänomen. Dies ist als ein wesentlicher Befund dieses Forschungsprojekts zu markieren. Überwiegend steht eine Fallzahl von 34 Initiativen, die den Kriterien des gesuchten Forschungsgegenstands entsprechen, sowie von 16 Initiativen, die zudem ekklesiologische Qualität aufweisen, im Fokus der empirischen Studie.
XI Deutung der Ergebnisse und Ertrag des Forschungsprojekts
Als Ertrag dieses Forschungsprojekts werden Perspektiven auf die aktuelle Praxis der Evangelischen Kirche aus Sicht der von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens mit ekklesiologischer Qualität skizziert. Zunächst gilt es jedoch festzuhalten, dass die untersuchten Initiativen dem in der Auseinandersetzung mit dem aktuellen kirchentheoretischen Diskurs im Rahmen dieser Arbeit formulierten Gemeindebegriff reformatorischer Prägung entsprechen. Dies ist mit der Anlage der empirischen Studie intendiert gewesen, da nur diejenigen Initiativen ekklesiologische Qualität aufweisen, bei denen die dafür definierten Merkmale ausgeprägt sind. Der Fokus lag entsprechend der ersten Forschungshypothese darauf, herauszufinden, ob dieses Phänomen überhaupt existiert. Als maßgeblicher Ertrag dieses Forschungsvorhabens ist demnach das Auffinden Forschungsgegenstands zu benennen. Ferner sind Explorationen des Forschungsgegenstands erfolgt, die die kirchentheoretische Diskussion insofern weiterführen, als dass der Frage nach neuen Dimensionen, die sich in den dort skizzierten Gemeindebegriff eintragen lassen, nachgegangen wird. Darüber hinaus erfolgt in diesem Kapitel ein Rückgriff auf die Frage nach der Relevanz von Kirche im Leben junger Erwachsener, bevor abschließend die Grenzen dieses Forschungsprojekts sowie bleibende Herausforderungen für den aktuellen kirchentheoretischen Diskurs benannt und in Form eines kurzen Ausblicks (▶ Kapitel XII) weitergeführt werden. Zwei Vorbemerkungen zum explorierten Forschungsgegenstand Als Zufallsbefund der Studie zeigt sich der Forschungsgegenstand als ein vor allem großstädtisches Phänomen, dies gilt es bei der Einordnung der Ergebnisse zu beachten. Zudem sind es überwiegend junge Erwachsene mit einer konfessionellen (insbesondere freikirchlichen sowie evangelischen) Zugehörigkeit, die die Initiativen maßgeblich prägen und im Rahmen dieser Studie in den Fokus geraten. Über ihre ursprüngliche sowie aktuelle Verbindung zu vorfindlichen gemeindlichen Lebensformen ihrer jeweiligen Konfession können jedoch ausgehend von den erhobenen Daten keine Aussagen getroffen werden. Dementsprechend kann auch nicht näher erörtert werden, ob es sich um so genannte „Hochverbundene“ oder „Hochreligiöse“ aus Sicht aktueller Studien zur Kirchlichkeit
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XI Deutung der Ergebnisse und Ertrag des Forschungsprojekts
und Religiosität handelt. Hier liegt ein sinnvoller Anknüpfungspunkt zur Vertiefung und Weiterführung dieser Studie. Statt neuer Dimensionen des Gemeindebegriffs eine neue Organisationslogik Ein Gemeindeverständnis im Sinne einer aus verlässlichen Verbindungen bestehenden Gemeinschaft findet sich auch in von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens. Eine vor allem am Ereignis orientierte „situative Pastoral“ im Sinne Michael Schüßlers ist demnach wenig geeignet, um die Ausrichtung der untersuchten Initiativen zu beschreiben. Während der soziale Aspekt von verlässlichen Verbindungen geprägt erscheint, ist der organisatorische Aspekt weniger auf Bindung als auf unkomplizierte, fluide Ein- und Ausstiege ausgerichtet. In diesem Sinne geraten liquidere Formen gemeindlichen Lebens im Rahmen dieser Studie in den Blick und knüpfen somit vor allem an den Beobachtungen zum Aspekt Bindung von Eberhard Hauschildt an. Verbindlichkeit, die zugleich von überschaubarer Dauer sein kann, mag als Paradoxon erscheinen, ist aber offensichtlich eine Form, wie sich Gemeinschaft in den von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksformen des Glaubens ereignet. Die Daten lassen zudem erkennen, dass die Initiativen im Durchschnitt seit ungefähr sechs Jahren existieren und sich überwiegend nicht als zeitlich begrenzte Projekte verstehen, sondern auf Dauer hin angelegt sind. So sind nicht die Initiativen selbst von überschaubarer Dauer geprägt, sondern vor allem die Form von Gemeinschaft, die sich in ihnen ereignet. Ausgehend von dem Modell Kirche als Hybrid zeigen sich bezüglich der Organisation von Zugehörigkeit weniger institutionalisierende Tendenzen als ausgehend von dem Aspekt der Dauer, wie lange die Initiativen existieren, zu vermuten wäre. Die Initiativen sind an dieser Stelle tendenziell weiterhin von der Logik der Bewegung geprägt. In der Studie wird demnach weniger ein neues Verständnis eines Gemeinschafts- und in dem Sinne Gemeindebegriffs deutlich, sondern steht ein zentraler Aspekt der Organisation des Gemeinschafts- sowie Gemeindelebens im Fokus: Wie kann sich Gemeinde in der Spannung zwischen verlässlicher Gemeinschaft und zugleich fluiden Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten zu dieser Gemeinschaft begreifen und organisieren? Hierin scheint die zentrale Herausforderung für die aktuelle kirchliche Praxis sowie kirchentheoretische Reflexion zu liegen. So ist es aus Perspektive dieses Forschungsprojekts erfreulich, dass sich auf der letzten EKD-Synode 2017 in Bonn die Wahrnehmung dafür zeigte, dass es notwendig sei, „,weiter über ergänzende oder alternative Formen der Beteiligung am kirchlichen Leben beziehungsweise der Zugehörigkeit zur Kirche nachzudenken‘“1.
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So lautet ein Zitat der Synodenpräses Irmgard Schwaetzer (vgl. Homepage EKD a).
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Jedoch fehlt es derzeit offensichtlich noch an der Bereitschaft, daraus Konsequenzen abzuleiten. So wurde „[e]ine Aufforderung, explizit auch über eine neue Form von Kirchenmitgliedschaft nachzudenken, […] auf Wunsch der Synodenmehrheit aus dem Beschlussvorschlag gestrichen.“2 Da sich jedoch die kommende EKD-Synode im Herbst 2018 mit dem Thema „Ermutigung und Zugehörigkeit – der Glaube junger Menschen“ beschäftigen wird, um danach zu „,fragen, wie jungen Menschen heute Zugänge zu Glauben, Kirche und Gemeinde erschlossen werden können‘ […], die aus der Kinder-, Konfirmanden- und Jugendarbeit rausgewachsen sind, aber noch nicht wieder durch Taufe oder Hochzeit in Kontakt mit der Kirche gekommen sind“3, bleibt abzuwarten, inwiefern das Thema ergänzender Beteiligungs- und Zugehörigkeitsformen somit erneut in den Blick gerät und gegebenenfalls weiterentwickelt wird. Die abschließenden Reflexionen dieses Kapitels greifen diese aktuelle kirchliche Herausforderung noch einmal auf. Weitere neue Dimensionen aus organisatorischer Perspektive und die Herausforderung einer mixed economy Organisatorische sowie rechtliche Regelungen, die das Gemeindeverständnis der Evangelischen Kirche durchaus prägen – so sinnvoll sie auch sein mögen – müssen sich aus Perspektive der im Rahmen dieser Studie untersuchten Initiativen in ihrer Dienlichkeit für die eigene Lebens- und Glaubenspraxis bewähren, anderenfalls verlieren sie jegliche Relevanz – insbesondere dort, wo eigenständige Ausdrucksweisen des Glaubens praktiziert werden. Die gottesdienstliche Feier orientiert sich dann nicht mehr an einer allen kirchlichen Ausdrucksformen in den Grundzügen gemeinsamen Liturgie, sondern daran, wie beispielsweise der Aspekt der Verbundenheit unterschiedlicher Personen im Abendmahl am besten erlebbar wird. Die Taufpraxis ist nicht mehr an ordinierte Personen gebunden, sondern führt zur Frage danach, wie die taufende Person selbst zum christlichen Glauben steht.4 Hierin kann die Chance zu vertiefender Auseinandersetzung mit dem Evangelium liegen, besteht jedoch zugleich die Gefahr, dass die jeweilige Glaubenspraxis bewertet wird und zudem nicht geregelt ist, wer dazu legitimiert ist sowie auch welche Kriterien dazu herangezogen werden. Die Suche nach geeigneten Orten für das Taufgeschehen kann als Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Taufe gedeutet werden. Inhalt und Erleben sowie Botschaft und Form zeigen sich insgesamt als stark miteinander verbunden. 2 Ebd. 3 Homepage evangelisch.de. 4 Auch Christian Grethlein betont, dass „Authentizität an die Stelle der – früher leitenden – Autorität“ tritt (vgl. Christian Grethlein, 2018, 286).
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Der Aspekt der Öffentlichkeit jeglicher gottesdienstlichen Feier wird neu interpretiert und sowohl mit Orten des Alltagslebens als auch mit der Öffnung des eigenen Zuhauses für andere Menschen verbunden. Öffentlichkeitsarbeit wird zudem ganz selbstverständlich über digitale, insbesondere Soziale Medien gestaltet. Während in Kirchenämtern noch die Sicherheitslücken und Datenschutzverordnungen diskutiert werden, sind die hier untersuchten Ausdrucksformen des Glaubens längst bei Facebook und WhatsApp aktiv und nehmen vermutlich die weiterhin vor allem in den Briefkästen zu findenden Gemeindebriefe ebenso wenig wahr, wie sie selbst auf die Idee kommen, Informationen oder Einladungen zu ihrer Initiative per Post zu verschicken. Doch nicht nur in diesen Bereichen, sondern auch bezüglich der Finanzierung und Gesamtorganisation im Sinne eines offiziellen Status zeigen sich die Initiativen von einem hohen Maß an Selbstständigkeit geprägt. Zudem bringen sie eine tendenziell stark ausgeprägte ekklesiologische Identität mit, die jedoch nicht unbedingt zugleich eine konfessionelle Identität ist und zudem weniger stark im Sinne einer „ekklesiologischen Verbundenheit“ an Verbindungen zu anderen Gemeinden und Teilen von Kirche orientiert ist. An dieser Stelle kann mit Rückgriff auf die von Uta Pohl-Patalong und Eberhard Hauschildt formulierten „organisatorischen Prinzipien“ für den Gemeindebegriff (▶ Kapitel VI, 5.3.3) daran erinnert werden, dass das dort skizzierte „Prinzip der Wechselseitigkeit“ ebenso wesentlich für die Selbstständigkeit einer gemeindlichen Lebensform sei, wie die Ausbildung und Organisation einer eigenen ekklesiologischen Identität, die bei den untersuchten Initiativen jedoch offensichtlich stärker im Fokus steht. Eine in dem Sinne „doppelte“ ekklesiologische Identität ist insbesondere dann notwendig, wenn das gemeinsame Ziel einer mixed economy angestrebt wird. Ob dies jedoch von den Initiativen selbst fokussiert wird, wurde im Rahmen der Studie nicht untersucht. Hier lässt sich jedoch an den in aktuellen kirchlichen Veränderungsprozessen unterschiedlichen benötigten „Typen“ oder „Rollen“ anknüpfen, die im Exkurs in ▶ Kapitel VI, 4 skizziert wurden. Demnach sorgen so genannte „Gemeindegründerinnen“ und „-gründer“ vor allem dafür, dass neue Gemeindeformen entstehen. Ihr Fokus liege dabei mehr auf der Entstehung von Neuem als darauf, wie das Verhältnis unterschiedlicher Formen zueinander oder auch ein kirchliches Gesamtsystem gestaltet werden könne.5 Entsprechend dieser Skizzierung scheinen die im Rahmen der vorliegenden Studie untersuchten Initiativen vor allem von „Gemeindegründern“ und „Gemeindegründerinnen“ geprägt. Wenn es jedoch nicht nur darum geht, wie Neues entsteht, sondern darüber hinaus darum, wie bereits vorfindliche Gemeindeformen um weitere gemeindliche Lebensformen im kirch-
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Vgl. Florian Sobetzko / Matthias Sellmann, 2017, 14 f.
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lichen Gesamtsystem ergänzt werden können, sind dementsprechend weitere Personen mit anderen Rollen in solchen Prozessen notwendig. Genau hier liegen die Herausforderungen sowie auch zu bergenden Potentiale für die Evangelische Kirche ausgehend von den von jungen Erwachsenen maßgeblich geprägten Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens, die im Rahmen der vorliegenden Studie in den Blick geraten und etwas von dem Preis geben, wie sie Glaube und Kirche im 21. Jahrhundert begreifen und gestalten. Die Spannung zwischen ekklesiologischer Selbstständigkeit und „ekklesiologischer Verbundenheit“ wird dort relevant, wo die Evangelische Kirche das Ziel einer Kirche in vielfältiger Gestalt anstrebt und dazu nach ergänzenden Gemeindeformen sucht. Wie genau können solche gemeindlichen Lebensformen, wie sie in diesem Forschungsprojekt im Fokus stehen, Teil einer mixed economy werden und in dem Sinne als gleichberechtigte Partner zur Parochialgemeinde in die vorfindlichen Strukturen integriert werden? Die Herausforderungen zeigen sich nicht nur in der tendenziell gering ausgeprägten kirchlichen Verbundenheit der untersuchten Initiativen, sondern werden ebenso auf der Seite der Evangelischen Kirche deutlich. Exemplarisch zeigt sich dies in den Prozessen der Landeskirchen, in denen aktuell ein intensives Bemühen um ergänzende Ausdrucksformen des Glaubens zu verzeichnen ist. Neben der ganz grundsätzlichen Frage danach, wie man solche Formen von der Anbindung her in die vorfindlichen kirchlichen Strukturen integrieren kann6, zeigen sich Herausforderungen auch in einzelnen Aspekten. So wird von den gemeindlichen Lebensformen eine mindestens anteilig selbstständige Finanzierung erwartet.7 Inwiefern selbstständig gewählte, alternative Organisationsformen auch an anderen Stellen aus Perspektive der Evangelischen Kirche erwünscht sowie akzeptiert sind, bleibt insbesondere bezüglich 6 Vgl. dazu ausschnittsweise Reflexionen zum Projekt „Erprobungsräume“: „Wo ordnet man einen Erprobungsraum in der Landschaft der kirchlichen Körperschaften ein? Als Werk? Als Kirchengemeinde? Als Verein? Zunächst wenig beachtet, taucht dieses Thema verstärkt auf. Neulich hörten wir von dem Wunsch zweier Erprobungsraum-Besucher, getauft zu werden. Wer ist dafür zuständig? In welche Bücher werden sie eingetragen? Wer erhält die Kirchensteuer für sie? Die bisherige Regelung, dass die jeweilige Parochie einspringt, ist auf Dauer nicht befriedigend. Allerdings benötigen die Erprobungsräume auch ‚leichte‘ Strukturen. Sonst drohen sie, schwerfällig und unbeweglich zu werden“ (Homepage EP a). 7 Auch die Herausforderung an dieser Stelle wird in den Reflexionen zu „Erprobungsräumen“ deutlich: „Was kommt nach den Erprobungsräumen? Das landeskirchliche Programm ist zeitlich befristet. Nur fünf, maximal sechs Jahre kann die Förderung gewährt werden. Sie ist eher als Starthilfe zu verstehen. Nach einiger Zeit müssen die Initiativen auf eigenen Füßen stehen. Deshalb sollen sie von Beginn an ‚alternative Finanzquellen‘ erschließen und bekommen nur 50 % gefördert. Allerdings wissen wir, dass neue Gemeindeformen Zeit brauchen, bis sie sich etabliert haben. […] Dieser eminent wichtige Punkt der Nachhaltigkeit wird die Steuerungsgruppe weiter beschäftigen“ (ebd.).
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der skizzierten Beobachtung zu den Rollen Ehrenamtlicher bei Taufen und Abendmahl jedoch abzuwarten.8 An welchen Stellen ergänzenden Gemeindeformen ekklesiologische Selbstständigkeit zugestanden oder auch abverlangt wird, und an welchen Stellen eine ekklesiologische Verbundenheit auch im Sinne der Orientierung an geltenden kirchlichen Regelungen erwartet wird, bleibt ein spannender Prozess, den des dort auszutarieren gilt, wo gemeinsam eine mixed economy angestrebt wird und somit unterschiedliche gemeindliche Lebensformen zu gleichwertigen Partnern der Parochialgemeinde in einer Kirche in vielfältiger Gestalt werden wollen und sollen. So benennt auch Christian Grethlein die „Öffnung für solche neuen Formen […]“ als die „heute vielleicht […] wichtigste Herausforderung für Kirchenleitungen.“9 Bei der Frage nach entsprechenden Organisationsmodellen einer Kirche, die vielfältige gemeindliche Lebensformen miteinander vereint, erscheint aus Perspektive der untersuchten Initiativen tendenziell die aktuell auch in kirchentheoretischen Diskursen im Fokus stehende Region eine sinnvolle Größe zu sein. Denn die Initiativen bringen zum Teil bereits eine Ausrichtung auf die gesamte Stadt oder auch eine ganze Region mit. Hieran ließe sich gut anknüpfen, wenn beispielsweise im Sinne Regiolokaler Kirchenentwicklung eine Regionalkirche mit einem eigenen ekklesiologischen Selbstverständnis angestrebt würde. Zudem könnte für solche Prozesse gegebenenfalls an der der Generation Y attestierten besonderen Netzwerkkompetenz angeknüpft werden. Während ein Denken und Handeln in Netzwerken sich im Rahmen dieser Studie für den Gemeinschaftsbegriff nicht als prägend gezeigt hat, wird jedoch an einigen Stellen deutlich, dass die Initiativen zum Teil als Netzwerk oder auch als eingebettet in Netzwerke begriffen werden. Dort, wo unterschiedliche Teile von Kirche sich als Netzwerk miteinander verbunden verstehen sollen, könnte dies gegebenenfalls zum Tragen kommen. Abschließende Reflexionen zur Frage nach der Relevanz von Kirche im Leben junger Erwachsener – Relevanzverluste, Gestaltungsräume und die Lebensrelevanz des Glaubens Während die V. KMU einen Relevanzverlust von Kirche sowie Religion im Allgemeinen für die junge Generation skizziert, zeigt sich im vorliegenden
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Bezüglich dieses Aspekts findet sich in den Kennzeichen für „Erprobungsräume“ die eher vage Formulierung, dass „freiwillig Mitarbeitende an verantwortlicher Stelle“ einzubinden seien. Und auch wenn die EKiR die Ehrenamtsordination praktiziert, wird die Rolle, die die jeweilige Person in einer Gemeinde einnehmen darf, auch dadurch weiterhin von kirchlichen Regelungen und nicht anders gewählten, aus Perspektive der Initiative sinnvoll erscheinenden Faktoren bestimmt. Christian Grethlein, 2018, 287.
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Forschungsprojekt bei den untersuchten Initiativen ein Bemühen um eine gesellschafts- und lebensrelevante Kommunikation des Glaubens sowie Gestaltung von Kirche. Dieser Aspekt der Lebens- und Gesellschaftsrelevanz des Glaubens und der Kirche wird im Rahmen der Studie zudem explizit an der Stelle benannt, wo in der Online-Befragung ergänzende Aspekte für das Verständnis von Gemeinde abgefragt werden. Auch in den vorangehenden Ausführungen hat sich bereits gezeigt, dass Entscheidungen in den untersuchten Initiativen sich an der Relevanz für das eigene Handeln und Leben orientieren. Die Relevanz von Kirche sowie Religion im Allgemeinen scheint demnach daran geknüpft, ob es der Kirche sowie auch anderen Religionsgemeinschaften gelingt, ihre Botschaft in Worten und weiteren Ausdrucksweisen (zu denen auch organisatorische Strukturen gehören) besonders lebensnah zu kommunizieren. Damit ist gemeint, dass die Botschaft im Leben derjenigen, die als Zielgruppe im Blick sind, unmittelbar aktuelle Bedeutung entfalten oder in ihrer aktuellen Bedeutung für die Gesellschaft insgesamt erkannt werden kann. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können dementsprechend auch so interpretiert werden, dass diejenigen, die hier in den Blick geraten, den vorfindlichen kirchlichen Ausdruckformen einen Relevanzverlust attestieren. Ausgehend von diesen Beobachtungen und Überlegungen erfolgt an dieser Stelle noch einmal ein Rückgriff auf die bereits in der Einleitung zitierte Feststellung der aktuellen Mitgliedschaftsstudie der EKD: Die V. KMU kommt zu einem eindeutigen Befund: Unter den jugendlichen Kirchenmitgliedern10, eine Gruppe, welche nach repräsentativen Umfragestudien und Statistiken eine kontinuierlich sinkende Größe darstellt, besteht eine steigende Distanz gegenüber der evangelischen Kirche.11
Die Ergebnisse der mit diesem Forschungsprojekt vorliegenden Studie lassen sich demgegenüber so interpretieren, dass die beobachtete Distanz nicht (nur) von Seiten der jungen Generation ausgeht, sondern aus Perspektive dieser Generation ebenso als Distanz der Evangelischen Kirche gegenüber der eigenen Lebenssituation und dem gesellschaftlichen Erleben gedeutet werden kann. Während in der V. KMU nach der Verbundenheit der jungen Generation zur Evangelischen Kirche gefragt wird, könnte man auch andersherum fragen: Wie verbunden erlebt sich die Evangelische Kirche (also diejenigen, die aktuell für die Gestaltung der Evangelischen Kirche in ihren verschiedenen Lebensformen auf unterschied10 Die folgenden Ausführungen zeigen, dass dabei die 14- bis 21-Jährigen sowie die 22- bis 29-Jährigen gemeint sind, so dass bei dieser Aussage ebenfalls junge Erwachsene im Fokus stehen (vgl. EKD, 2014, 61). 11 Ebd., 61.
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lichen Ebenen Verantwortung tragen) mit der jungen Generation? Oder auch anders formuliert: Wie relevant ist die Lebenssituation Junge Erwachsene in den Entscheidungen, die in der Evangelischen Kirche aktuell getroffen werden – wie finanzielle Mittel verteilt werden, Personal eingesetzt, Partizipation ermöglicht und die Kommunikation des Evangeliums gestaltet wird? So lässt sich letztlich die Frage stellen, wer für die Entfaltung von Relevanz oder auch Verminderung von Distanz verantwortlich ist. Oder erneut anders formuliert: Was kann die Evangelische Kirche dazu beitragen, dass zwischen der Kirche und jungen Erwachsenen Verbundenheit statt Distanz entsteht oder auch bestehen bleibt?12 Auch im Fazit der aktuellen Studie zu Langzeiteffekten der Konfirmandenarbeit auf das Engagement insbesondere junger Erwachsener wird die von der V. KMU der jungen Generation einseitig diagnostizierte Distanz gegenüber der Kirche in Frage gestellt: Insgesamt unterstreichen die Befunde die sorgenvolle Beobachtung seitens der Kirche, dass gerade ältere Jugendliche und junge Erwachsene die Kirche deutlich kritischer wahrnehmen als beispielsweise die Konfirmandinnen und Konfirmanden. Auch die Zustimmung zu christlichen Glaubensüberzeugungen ist in diesem Lebensalter rückläufig. Gleichzeitig ist wahrzunehmen, dass hinter solchen Entwicklungen, die aus Perspektive der Kirche als ‚Distanzierung‘ erscheinen, vielfach nicht einfach eine Ablehnung von Kirche und Glaube stehen muss. Vielmehr kann bei einem Großteil der evangelischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen von einer bleibenden Offenheit für Kirche und Glaube ausgegangen werden, die aber insofern nicht genutzt wird, als es nur wenig Berührungspunkte zwischen kirchlichen Angeboten und den jungen Menschen zu geben scheint. So gesehen distanzieren sich nicht einfach die jungen Menschen von der Kirche, sondern geht Kirche auch selbst auf Distanz zu jungen Menschen, obwohl dies keineswegs beabsichtigt ist.13
Sowohl in der Studie zu Langzeiteffekten der Konfirmandenarbeit als auch in der mit dieser Arbeit vorliegenden Studie zeigt sich, dass Kirche im Leben junger Erwachsener nicht grundsätzlich irrelevant ist. Während die Konfirmandenarbeitsstudie dies ausgehend von einer Repräsentativstudie mit 18- bis 26-Jähri-
12 Christian Grethlein führt an dieser Stelle sein Plädoyer für Kontextualisierung an. Denn dass „Kirche vor allem auf jüngere Menschen merkwürdig abständig“ wirke (Christian Grethlein, 2018, 285) erklärt er durch „mangelhafte Kontextualisierungen der Kommunikation des Evangeliums [Hervorhebung im Original]“ (ebd., 197). Konkreter sieht er das Problem in der kirchlichen Handlungslogik der Institution verortet, wodurch die vielfältigen Kontextualisierungen in der Christentumsgeschichte „auf Dauer gestellt werden und Veränderungen in der Lebenswelt keine hinreichende Berücksichtigung mehr finden“ (ebd., 285). 13 Wolfgang Ilg u. a., 2018, 246 f.
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gen sowie einer qualitativen Studie mit 30 Interviews mit jungen Erwachsenen14 zu biografischen Erfahrungen mit der Evangelischen Kirche, insbesondere im Bereich der Konfirmandenarbeit sowie auch im darüber hinausgehenden kirchlichen Engagement, ableiten kann, ist es in der vorliegenden Studie eine gänzlich andere Herangehensweise, die zudem auf eine sehr kleine Fallzahl begrenzt ist, jedoch ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass sich eine Relevanz von Kirche zeigen lässt. Denn dort, wo junge Erwachsene ihrem Glauben Ausdruck verleihen, können gemeindliche Lebensformen entstehen, die ekklesiologische Qualität erkennen lassen. Die untersuchten Ausdrucksformen des Glaubens weisen an einigen Stellen durchaus Abgrenzungstendenzen zu vorfindlichen kirchlichen Gestaltungsformen auf, dennoch zeigen sich in ihren Ausdrucksformen wesentliche Kennzeichen von Kirche deutlich ausgeprägt. So lässt sich mit diesen beiden sehr unterschiedlichen Studien auf ein Potenzial junger Menschen verweisen, dass sich aktuell ausgehend von den Ergebnissen der Studie dieser Arbeit vor allem abseits kirchlicher Strukturen sowie zum Teil im freikirchlichen Kontext verortet finden lässt. Auch die Konfirmandenarbeitsstudie kommt zu dem Ergebnis, dass es ein Potenzial älterer Jugendlicher und junger Erwachsener gibt, das die Evangelische Kirche aktuell nicht abruft: Die Befunde verweisen in zahlreichen Hinsichten auch darauf, dass die mit dem ehrenamtlichen Engagement für die Kirche verbundenen Potenziale noch keineswegs an allen Orten abgerufen, genutzt und willkommen geheißen werden. […] Bei alldem kann es nicht nur um Aufgaben gehen, die von den Ehrenamtlichen übernommen werden, sondern es müssen ihnen auch gezielt Möglichkeiten der aktiven Partizipation im Sinne von Mitbestimmung und eigenverantwortlicher Mitgestaltung eröffnet werden. Auch dies gehört für junge Menschen zur Attraktivität eines solchen Engagements, zunehmend wohl auch zu den zwingenden Voraussetzungen, unter denen sie bereit sind, sich auf ein solches Engagement überhaupt einzulassen. In den Befunden der Studie fällt auf, wie wenig junge Menschen bislang davon berichten können, dass ihnen in der Kirche solche Partizipationsmöglichkeiten angeboten worden seien.15
Ausgehend von diesen Studienergebnissen in der Zusammenschau mit dem Ergebnis der V. KMU, dass Kirche im Leben junger Erwachsener kaum Raum einnimmt (insbesondere bemessen an ihren Angaben zur Häufigkeit der Teilnahme an Gottesdiensten), ist die Frage zu stellen, wie jungen Erwachsenen ergänzend zu den bereits vorfindlichen kirchlichen Angeboten, die im Leben
14 Vgl. ebd., 9. 15 Wolfgang Ilg u. a., 2018, 245 f.
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junger Menschen offensichtlich wenig Anknüpfungspunkte finden, innerhalb der Evangelischen Kirche eigenverantwortlicher Gestaltungsraum eröffnet werden kann. Hierin liegt offensichtlich eine zentrale Herausforderung für die Zukunftsgestaltung der Evangelischen Kirche, wenn es darum geht, wie sich das (Spannungs-)Verhältnis von Kirche und jungen Erwachsenen zukünftig entwickelt. Auch die lebensrelevante sowie gesellschaftsrelevante Kommunikation des Glaubens kann für die Entwicklung des Verhältnisses von jungen Erwachsenen und der Kirche eine entscheidende Rolle spielen. Die vorliegende Arbeit hinterfragt sowohl im kirchentheoretischen Teil als auch bei der Interpretation der Ergebnisse der explorativen Studie, inwiefern das Verhältnis von Kirche und jungen Erwachsenen vom Aspekt der Bindung aus bestimmt werden kann und plädiert dafür, den Fokus vielmehr auf Verbindungen statt Bindungen zu richten. Dort, wo in kirchlichen Organisationsformen sowie auch in der Art und Weise der Kommunikation des Glaubens der spezifische sowie aktuelle Lebensbezug deutlich wird, entsteht Verbundenheit. Diese kann sich im Laufe des Lebens und insbesondere im durch Übergänge geprägten jungen Erwachsenenalter durchaus in wechselnden, zeitlich befristeten Bindungen an unterschiedliche gemeindliche Lebensformen (gegebenenfalls zum Teil sogar gleichzeitig) vollziehen. Entscheidend ist es demnach insbesondere bei der Kommunikation der Botschaft, Verbundenheit zu erzielen, so dass es bei diesen Wechseln nicht zu dekonversiven Prozessen kommt, wie sie zum Teil im Rahmen dieser Arbeit skizziert wurden. Auch wenn der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, ausgehend von der skizzierten Langzeitstudie zur Konfirmandenarbeit davon spricht, dass „für die Kirche die Bindung der Jugendlichen […] ein Schlüsselthema“ sei, fordert er dabei zugleich „Verantwortliche in den Kirchen dazu auf, Jugendlichen die Botschaft der Bibel authentisch zu vermitteln und vorzuleben. Das bedeute, Verantwortung in der Kirche und der Welt zu übernehmen. […] Menschen müssten spüren, dass gelebt wird, was gesprochen werde […].“16 Während die Evangelische Kirche – aus Perspektive des Hybrid-Modells als Institution sowie auch als Organisation begriffen konsequent – weiterhin auf den Aspekt der Bindung setzt, rückt der Ratsvorsitzende zugleich den aus Perspektive dieses Forschungsprojekts für das Entstehen von Verbundenheit entscheidenden Wert der Alltags- sowie Gesellschaftsrelevanz des Glaubens in den Fokus der kirchlichen Bemühungen. So wird auch an dieser Stelle deutlich, dass die Fragen und Erkenntnisse der vorliegenden Studie an aktuellen Diskursen und Herausforderungen der EKD
16 Homepage EKD b. Anmerkung: Auch wenn hier die Formulierung „Jugendliche“ gewählt wird, stehen in der Studie insgesamt eher junge Erwachsene im Fokus.
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anknüpfen und die kirchliche Praxis sich bereits mit den ausgehend von dieser Studie formulierten Impulsen beschäftigt zeigt. Dies wird auch darin deutlich, dass der Ratsvorsitzende seine Äußerungen insofern ergänzt, dass er „die Studie [„Jung – Evangelisch – Engagiert“17, Anmerkung R.J.K.] als Ermutigung für das Bemühen [sehe], mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche in der Kirche zu schaffen. Die Kirche brauche junge Menschen, wenn sie ihrem durch Jesus gegebenen Auftrag gerecht werden wolle, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein.“18 – Welche Gestaltungsräume insbesondere jungen Erwachsenen in der Evangelischen Kirche zukünftig eröffnet werden und inwiefern diese von jungen Erwachsenen wahrgenommen werden, bleibt vorerst abzuwarten. Neben den Ergebnissen der Konfirmandenarbeitsstudie können auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie bei den Überlegungen der EKD, wie „mehr Beteiligungsmöglichkeiten“ und neue Gestaltungsräume eröffnet werden können, einen Beitrag leisten, indem einige Perspektiven aus Sicht der von jungen Erwachsenen gestalteten Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens eingespielt werden. Vielleicht lohnt es sich an der einen oder anderen Stelle, genau solchen Initiativen Gestaltungsräume in der Evangelischen Kirche zu eröffnen. Hierzu ist zunächst die Wahrnehmung dieser Initiativen entscheidend. Auch diesbezüglich erhofft die vorliegende Studie etwas zur aktuellen Gestaltung der kirchlichen Praxis beizutragen. Eine Orientierung an einer lebensrelevanten Kommunikation des Glaubens ist letztlich kein so erstaunlicher Befund oder neuer Vorschlag, dass man diesem Aspekt einen ganzen Abschnitt im Kapitel zum Ertrag dieses Forschungsvorhabens widmen muss, könnte man meinen. Doch die aktuell vorfindlichen Formen der Evangelischen Kirche scheinen genau darin nicht ihre Stärke zu haben. Deutlich wird das exemplarisch auch an einer neueren Veröffentlichung des Praktischen Theologen Michael Herbst, in der er seine Vision von Gemeinde teilt: „Kirchen, die nicht nur Dienstleister sind, sondern der Ort, der Menschen fit für das Leben macht. Glaube, der dem Leben mitten im Alltag Form gibt und sich in den Stürmen bewährt.“19 Offensichtlich scheint die Lebensrelevanz des Glaubens nicht die vorfindliche gemeindliche Wirklichkeit der Evangelischen Kirche zu bestimmen, so dass junge Erwachsene in selbst gestalteten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens darauf besonderen Wert legen, der Ratsvorsitzende der EKD die Verantwortlichen in der Kirche dazu aufruft, dies erneut in den Blick zu nehmen und ein Praktischer Theologe eine den Glauben lebensrelevant kommunizierende Kirche als seine Vision formuliert.
17 Vgl. Wolfgang Ilg u. a., 2018. 18 Vgl. Pressestelle der EKD, 2018. 19 Vgl. zu diesem Zitat die Beschreibung des Buchs „Lebendig! Vom Geheimnis mündigen Christseins“ (2018): Homepage IEEG d.
XII Ausblick
Grenzen dieses Forschungsprojekts oder auch Herausforderungen für die aktuelle kirchentheoretische Diskussion In der Auseinandersetzung mit der aktuellen kirchentheoretischen Debatte haben sich sowohl die Wahrnehmung des ekklesiologischen Selbstverständnisses ausgehend von den Deutungen der Beteiligten als auch ekklesialer Reifungsprozesse als besonders wesentlich für die Untersuchung der ekklesiologischen Qualität einer Ausdrucksform des Glaubens gezeigt. Beide Aspekte wurden im empirischen Teil dieses Forschungsprojekts berücksichtigt. Neben einigen Erkenntnisgewinnen wurden davon ausgehend zudem Grenzen der Studie deutlich und haben sich weiterführende Fragen ergeben, die hier in Form eines Ausblicks als Herausforderungen für die aktuelle kirchen-theoretische Diskussion skizziert werden. Die Suche nach dem Maß zur Berücksichtigung des ekklesiologischen Selbstverständnisses In der Online-Befragung wurden gezielt Selbstbeschreibungen und Selbsteinschätzungen abgefragt sowie mit zum Teil qualitativen Methoden ausgewertet und bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität mitberücksichtigt. Dem ekklesiologischen Selbstverständnis wurde im Rahmen dieser Studie insgesamt ein hohe Bedeutung beigemessen, wie sich insbesondere in der Konzeption der Matrix zeigt, die zur Untersuchung der ekklesiologischen Qualität entwickelt wurde.1 Zugleich ist bei der Auswertung der Daten die Frage aufgekommen, welches Gewicht den Deutungen der beteiligten Personen beigemessen werden soll. Hiermit ist die Frage nach dem Maß oder auch Verhältnis gestellt: In welchem Verhältnis zu anderen Faktoren steht das ekklesiologische Selbstverständnis, wenn es um die Beurteilung der ekklesiologischen Qualität einer Ausdrucksform des Glaubens geht? Die Gewichtung, die im Rahmen dieser Studie diesbezüglich in der Konzeption der Matrix vorgenommen wurde, ist dabei als ein erster Versuch einzuordnen, die Untersuchung von Ausdrucksformen des Glaubens unter maßgeblicher Berücksichtigung der Selbstbeschreibungen und Deutungen Beteiligter vorzunehmen. In der jedoch überwiegend quantitativen Ausrichtung der Studie insbesondere durch die Methode einer Online-Befragung,
1
Vgl. hierzu die Ausführungen in ▶ Kapitel IX, 4.1.
XII Ausblick
391
durch die nur begrenzt die Sichtweisen der befragten Personen eingeholt werden können, liegt zugleich die Grenze dieses Forschungsprojekts. Sollte der Aspekt des ekklesiologischen Selbstverständnisses in der aktuellen kirchentheoretischen Debatte weiterführende Beachtung finden, wären stärker qualitativ ausgerichtete Studien zur vertieften Exploration des ekklesiologischen Selbstverständnisses zu empfehlen – gegebenenfalls auch in Anknüpfung an die vorliegende Studie. Ausgehend von einer vertieften Auseinandersetzung damit wäre vermutlich auch die skizzierte Frage nach der Gewichtung noch einmal aufzunehmen. Die Suche nach Kriterien zur Beurteilung ekklesialer Reifungsprozesse In der Frage nach der ekklesialen Reife begegnen sich die Ausführungen der beiden theoretischen Teile (▶ TEIL A und TEIL B) in der Diskussion von Entwicklungsprozessen. Während aus soziologischer Perspektive als Fazit formuliert wird, dass ein „reifer Erwachsenenstatus“ nicht mehr anhand von nach konventionellen Vorstellungen definierten sowie gelösten „Entwicklungsaufgaben“ abzulesen ist, wird jedoch im kirchentheoretischen Teil nicht diskutiert, ob oder wie sich ekklesiale Reife verändert habe, sondern der Blick darauf gerichtet, dass es überhaupt ernstzunehmende Entwicklungsprozesse in diesem Bereich gibt. Erst die Wahrnehmung ekklesialer Reifungsprozesse kann in die skizzierte kirchentheoretische Diskussion die Perspektive einbringen, dass Gemeinde kein Status ist, sondern eine Lebensform des Glaubens abbildet, die an bestimmten, für den Gemeindebegriff wesentlichen Merkmalen orientiert ist, sich dabei jedoch in der Ausprägung dieser Merkmale verändern kann. Zudem spielt an dieser Stelle das ekklesiologische Selbstverständnis eine wesentliche Rolle und kann Aufschluss darüber geben, inwiefern sich eine Ausdrucksform des Glaubens in Entwicklungsprozessen befindet oder gar nicht intendiert, Gemeinde zu sein. Die Konzeption der Matrix in der vorliegenden Studie, die die Ausprägungsstärke unterschiedlicher Aspekte, Dimensionen und somit letztlich der ekklesiologischen Qualität insgesamt anzeigt, versucht sowohl der Berücksichtigung des ekklesiologischen Selbstverständnisses als auch den Dynamiken bezüglich der Ausprägung der wesentlichen Merkmale insgesamt Rechnung zu tragen. Schwach ausgeprägte Aspekte oder auch Dimensionen können somit als Entwicklungspotential interpretiert werden, müssen dazu jedoch noch einmal eingehender untersucht werden. Zugleich bleibt letztlich die Frage offen, was als Entwicklungspotential zu beurteilen ist und wo fehlende Reife oder auch fehlende ekklesiologische Qualität zu verzeichnen ist. Hier zeigt das Forschungsvorhaben in einem spezifischen Fall seine Grenze auf2 und markiert als Auf-
2
Vgl. hierzu vor allem die Ausführungen in ▶ Kapitel IX, 4.2.
392
XII Ausblick
gabe für den weiteren kirchentheoretischen Diskurs, Merkmale auch jenseits des organisatorisch-strukturellen Bereichs zur Beurteilung ekklesialer Reifungsprozesse zu diskutieren sowie zu formulieren. Auch eine weitere Aufgabe bleibt von diesem Forschungsprojekt unbearbeitet und erscheint zugleich als zweite sinnvolle Aufgabe für den aktuellen kirchentheoretischen Diskurs: Sofern Entwicklungsprozesse wahrgenommen werden und die Frage nach ekklesialer Reife gestellt wird, geschieht dies stets in Bezug auf neu entstehende Ausdrucksformen des Glaubens. Doch die Frage nach ekklesialer Reife ließe sich auf bereits vertraute Gemeindeformen wie die der Parochialgemeinde ebenso anwenden, wie bei ergänzenden, neu entstehenden Formen gemeindlichen Lebens nach der aktuellen jeweiligen ekklesialen Reife oft ganz selbstverständlich gefragt wird. Die Chance des Matrix-Modells zur Untersuchung der ekklesiologischen Qualität unterschiedlicher Ausdrucksformen des Glaubens Das im Rahmen dieses Forschungsprojekts erarbeitete Matrix-Modell der „Ekklesiomatrix“ zur Untersuchung ekklesiologischer Qualität kann auch über dieses Forschungsprojekt hinaus Verwendung bei der Untersuchung der ekklesiologischen Qualität verschiedener Ausdrucksformen des christlichen Glaubens finden. Dieses Modell lässt sich modifizieren, indem die unterschiedlich verteilten Gewichtungen einzelner Aspekte neu diskutiert oder neue Aspekte ergänzt werden. Die Dimensionen grundsätzlich neu zu bestimmen, empfiehlt sich nicht, da sich in diesen vier beschriebenen Dimensionen ausgehend von den in dieser Arbeit erfolgten kirchen-theoretischen Auseinandersetzungen grundlegend ekklesiologische Qualität zeigt (▶ Kapitel VII). Mit der „Ekklesiomatrix“ liegt somit ein Modell zur Untersuchung der ekklesiologischen Qualität unterschiedlicher Ausdrucksformen des Glaubens vor, das entweder kontextual angepasst werden oder kontextunabhängig eingesetzt werden kann, um so unterschiedliche (beispielsweise junge und bereits bewährte) Sozialgestalten des christlichen Glaubens vergleichend zu untersuchen. Von solchen Untersuchungen ausgehend könnte vor allem die Frage nach ekklesialer Reife sowie Entwicklungsprozessen noch einmal vertieft diskutiert werden und Gemeinde stärker als Lebensform denn als Status in den Blick geraten. Dies sei als ein Ausblick oder auch als eine weiterführende Möglichkeit, aktuelle kirchentheoretische Diskurse in einen Zusammenhang und eine Auseinandersetzung mit empirischen Forschungsergebnissen zu bringen, ausgehend von diesem Forschungsprojekt abschließend skizziert.
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aej afj AID:A BBSR BDKJ BEG
Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Arbeitsstelle für Jugendseelsorge Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten (Survey des DJI) Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Bund der Deutschen Katholischen Jugend Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung der Neukirchener Verlagsgesellschaft BEG Praxis Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung – Praxis der Neukirchener Verlagsgesellschaft BMFSFJ Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend bmo bishop’s mission order (rechtliches Konstrukt, durch das ein Bischof im Zweifels- und auch Streitfall eine Initiative als offizielle fxC und Teil der Church of England anerkennen kann) BPB Bundeszentrale für politische Bildung BTE Barmer Theologische Erklärung CofE Church of England (wird als Abkürzung nur im Literatur verzeichnis sowie in Kurzbelegen verwendet) Destatis Statistisches Bundesamt in Deutschland (wird als Abkürzung nur im Literaturverzeichnis sowie in Kurzbelegen verwendet) DIVSI Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet DJI Deutsches Jugendinstitut EGRIS European Group for integrated social Research EKD Evangelische Kirche in Deutschland EKiR Evangelische Kirche im Rheinland EKM Evangelische Kirche in Mitteldeutschland EKvW Evangelische Kirche von Westfalen ELK-WUE Evangelische Landeskirche in Württemberg (wird als Abkürzung nur im Literaturverzeichnis sowie in Kurzbelegen verwendet) EP Projekt „Erprobungsräume“ der EKM (wird als Abkürzung nur im Literaturverzeichnis sowie in Kurzbelegen verwendet) FE Fresh Expressions (Bezeichnung der gesamten Bewegung – Abkürzung nach Sabrina Müller, 2016, 17)
394 fxC GDI GO-EKD GT IEEG KO-EKiR msm PKN PrG ZAP ZMiR VELKD VEM V. KMU
Abkürzungsverzeichnis
fresh expression(s) of Church (Bezeichnung von „genuine[n] lokalisierbare[n] Formen von Kirche“ im Rahmen der FEBewegung – Abkürzung ebenfalls nach Sabrina Müller, 2016, 17) Gottlieb Duttweiler Institut Grundordnung der EKD Grounded Theory (ist eine Methodologie zur Entwicklung einer in Daten „gegründeten“ (grounded) Theorie, die im Bereich qualitativer Forschung eingesetzt wird) Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland mission shaped ministry Protestantische Kirche in den Niederlanden Kirchengesetz über den Dienst der Prädikantinnen und Prädikanten in der EKiR Zentrum für angewandte Pastoralforschung EKD-Zentrum für Mission in der Region Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Vereinte Evangelische Mission V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft
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Anhangsverzeichnis
Die Anhänge 2 und 28 sind am Ende dieses Buches zu finden und außerdem mit allen weiteren Anhängen online unter folgenden Link abrufbar: https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/spannungsfeld Passwort: ku2HSDtt
Anhänge zur Vorstudie und Online-Befragung (Kapitel VIII) Anhang 1: Befragungsbogen zur Vorstudie Anhang 2: Befragungsbogen zur Online-Befragung Anhang 3: Teaser zur Online-Befragung Anhang 4: Einladung zur Superintendentenkonferenz (Vorstudie)
Anhänge zur Auswertung der Vorstudie (Kapitel IX, 1) Anhang 5: Auswertung der Vorstudie
Anhänge zur Auswertung der Online-Befragung (Kapitel IX, 2 bis 7) Anhang 6: Angaben unter „Sonstiges“ zur Frage nach der Berufssituation (F21_2)
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Anhangsverzeichnis
Anhänge zur Auswertung der Daten zur Beschreibung der Formate (Kapitel IX, 3.1) Anhang 7: Codes zum zentralen Format und zu weiteren Formaten (F26 und F29) Anhang 8: Kategorien zum zentralen Format und zu weiteren Formaten (F26 und F29) Anhang 9: Fallsortierte Übersicht der Kategorien-Zuordnung des zentralen Formats (F26) Anhang 10: Entwicklung der Kernkategorien zum zentralen Format (F26) Anhang 11: Fallsortierte Übersicht der Kernkategorien-Kombinationen zum zentralen Format (F26) Anhang 12: Entwicklung der Grund-Typen des zentralen Formats (F26) Anhang 13: Kernkategorien-Zuordnung zu den weiteren Formaten (F29) Anhang 14: Entwicklung der Ergänzungs-Typen zu weiteren Formaten (F29) Anhang 15: Entwicklung der Kombinations-Typen ausgehend vom zentralen Format sowie den weiteren Formaten (F26 und F29)
Anhänge zur Auswertung der Daten zur Beschreibung des Ziels (Kapitel IX, 3.2) Anhang 16: Codes zum Ziel (F32) Anhang 17: Entwicklung von Kategorien zum Ziel (F32) Anhang 18: Übersicht zu den Kategorien zum Ziel (F32) Anhang 19: Entwicklung von Kernkategorien zum Ziel (F32) Anhang 20: Entwicklung von Typen zum Ziel (F32) Anhang 21: Entwicklung einer Typologie zum Ziel (F32) Anhang 22: Analyse der genutzten Verben zur Beschreibung des Ziels (F32)
Anhänge zur Auswertung der Daten zu ergänzenden Aspekten des Gemeindebegriffs (Kapitel IX, 3.3) Anhang 23: Codes zu ergänzenden Aspekten (F38) Anhang 24: Entwicklung von Kategorien zu ergänzenden Aspekten (F38) Anhang 25: Entwicklung von Kernkategorien zu ergänzenden Aspekten (F38) Anhang 26: Übersicht zu den Kernkategorien mit Fallzuordnungen zu ergänzenden Aspekten (F38)
Anhangsverzeichnis
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Anhänge zur Überprüfung von Hypothese 1, zu Explorationen zu Hypothese 2 und zu weiterführenden Explorationen zum Forschungsgegenstand (Kapitel IX, 4 bis 7) Anhang 27: „Ekklesiomatrix“ – Detaillierte Auswertungsmatrix je Fall Anhang 28: „Ekklesiomatrix“ – Übersichtsmatrix Anhang 29: Angaben unter „Sonstiges“ zur Frage nach der Finanzierung der Initiative (F14_5) Anhang 30: Angaben unter „Sonstiges“ zur Frage nach Zugehörigkeitsregelungen (F16_11) Anhang 31: Angaben zum „Eigenen Rhythmus“ zur Frage nach dem Rhythmus des zentralen Formats (F28_2) Anhang 32: Angaben unter „Sonstiges“ zur Frage nach dem Ort des zentralen Formats (F27) Anhang 33: Angaben zur Frage nach der Konfession der Initiative (F9) Anhang 34: Angaben zur Konfession der Befragungsperson (F41) Anhang 35: Angaben zum religiösen Hintergrund/der Konfession der größten Gruppe (F23) Anhang 36: Angaben zur Gründung und Leitung (F2 und F3) Anhang 37: Angaben zur Finanzierung (F14) Anhang 38: Angaben zum offiziellen Status (F8) Anhang 39: Angaben zum Ort des zentralen Formats (F27) Anhang 40: Angaben zur Feier von Taufen und Abendmahl (F30 und F31) Anhang 41: Angaben zur ersten Beschreibung von Gemeinde (F33) Anhang 42: Vergleichsdaten zu Zugehörigkeitsregelungen (F16) Anhang 43: Vergleichsdaten zur Rolle und Form von Gemeinschaft (F17) Anhang 44: Vergleichsdaten zum Rhythmus des zentralen Formats (F28) Anhang 45: Vergleichsdaten zur Kommunikation (F13) Anhang 46: Angaben zur größten Altersgruppe (F20) Anhang 47: Angaben zum Bildungsabschluss der Befragungsperson (F42) Anhang 48: Explorationen zum ekklesiologischen Selbstverständnis
Anhang 2 Anhang 2
Anhang 2 Befragungsbogen zur Online-Befragung
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Anhang 2
Anhang 2
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Anhang 28
Anhang 28
Anhang 28 Übersichtsmatrix der „Ekklesiomatrix“ (Fall 1 bis 20) Übersichtsmatrix der „Ekklesiomatrix“ (Fall 1 bis 20) Anzahl der Fälle Fall Σ OF-DIM Σ OUT-DIM Σ IN-DIM Σ UP-DIM Σ EKKL. QUALITÄT mit ekkl. Qualität
1
73,5%
86,5%
93,5%
96,5%
350,0%
2
66,0%
79,5%
53,5%
83,0%
282,0%
3
77,5%
76,0%
85,0%
89,5%
328,0%
2
4
62,5%
86,0%
70,0%
86,0%
304,5%
3
5
51,5%
60,0%
100,0%
73,0%
284,5%
6
57,5%
79,5%
95,0%
66,0%
298,0%
7
42,0%
62,0%
47,0%
29,5%
180,5%
8
87,0%
83,0%
85,0%
96,5%
351,5%
Anmerkung
1
Item-Nonresponse bei F44 (Name der Initiative)
4
Item-Nonresponse bei F44 (Name der 5 Initiative)
9
83,5%
76,5%
88,5%
63,0%
311,5%
10
53,5%
82,5%
95,0%
36,0%
267,0%
11
70,0%
86,0%
95,0%
90,0%
341,0%
12
72,5%
53,0%
72,0%
79,5%
277,0%
13
65,0%
69,0%
65,0%
90,0%
289,0%
14
57,0%
86,0%
78,5%
83,0%
304,5%
15
70,5%
82,5%
75,0%
63,0%
291,0%
16
75,0%
89,5%
38,5%
53,0%
256,0%
17
27,0%
90,0%
70,0%
3,0%
190,0%
18
76,0%
80,0%
85,0%
90,0%
331,0%
8
19
53,5%
86,5%
80,0%
89,5%
309,5%
9
20
78,0%
100,0%
80,0%
69,5%
6
7
Die Initiative ist noch nicht gegründet (s. Angaben zum Item F10_2: „Wir sind noch in Gründung“ und F13_10_2: „[...] Ich habe so geantwortet, als ob NICHT wir schon gestartet 327,5% BERÜCKSICHTIGT haben.“
Selbstverständnis als Gemeinde? (Angaben zum Item F34) Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=4) Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=4) Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=3) Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=3) Wenig ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=2) Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=3)
Selbstbeschreibung (Angaben zum Item F12) Lebensgemeinschaft, Glaubensgemeinschaft, Gemeinde Netzwerk, Teil der Kirche, Erprobungsraum
Gemeinde
Fresh X Lebensgemeinschaft, Glaubensgemeinschaft, Teil der Kirche Fresh X, „Gemeinschaftsinitiative, Begegnungsort“ Netzwerk, Erprobungsraum (sowie die Angabe des Kein Selbstverständnis Namens der Initiative > als Gemeinde (F34=1) anonymisiert) Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=4) Gemeinde Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde, Fresh X, Teil Gemeinde (F34=4) der Kirche Kein Selbstverständnis Fresh X, als Gemeinde (F34=1) „Begegnungsstätte“ Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=3) Gruppe, Gemeinde Ziemlich ausgeprägtes Glaubensgemeinschaft, Selbstverständnis als Erprobungsraum, Teil Gemeinde (F34=3) der Kirche Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft, Gemeinde (F34=4) Gemeinde, Fresh X Sehr ausgeprägtes Gruppe, Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft, Gemeinde (F34=4) Teil der Kirche Wenig ausgeprägtes Selbstverständnis als Gruppe, Netzwerk, Gemeinde (F34=2) Glaubensgemeinschaft Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=4) Eprobungsraum Kein Selbstverständnis als Gemeinde (F34=1) Gruppe Sehr ausgeprägtes Gruppe, Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft, Gemeinde (F34=4) Gemeinde Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde (F34=4) | Item-Nonresponse: Name Gemeinde, Fresh X
Eprobungsraum
Anhang 28
Anhang 28
449
Übersichtsmatrix der „Ekklesiomatrix“ (Fall 20 bis 40) Übersichtsmatrix der „Ekklesiomatrix“ (Fall 20 bis 40) Fall Σ OF-DIM Σ OUT-DIM Σ IN-DIM
21
17,5%
60,0%
35,0%
22
41,5%
76,0%
70,0%
23
45,5%
90,0%
35,0%
24
57,0%
100,0%
80,0%
25
71,5%
90,0%
65,0%
26
0,0%
0,0%
0,0%
27
56,5%
85,5%
55,0%
28
51,0%
86,5%
85,0%
29
32,0%
36,0%
90,0%
30
63,0%
79,5%
65,0%
31
70,0%
69,5%
100,0%
32
0,0%
0,0%
0,0%
33
43,5%
65,5%
47,0%
34
88,5%
93,0%
72,0%
35
0,0%
0,0%
0,0%
36
41,0%
83,0%
78,5%
37
65,0%
90,0%
73,5%
38
78,5%
90,0%
85,0%
39
70,0%
89,5%
85,0%
40
45,0%
63,0%
48,5%
Selbstverständnis als Selbstbeschreibung Anzahl der Fälle Gemeinde? (Angaben (Angaben zum Σ UP-DIM Σ EKKL. QUALITÄT mit ekkl. Qualität Die Angaben Anmerkung zum Item F34) Item F12) zu den Items F33-F37 sind nicht auszuwerten, s. Kommentars zum Item F38: „Die oberen Antworten passen nicht. Ich verstehe sie auch nicht wirklich. NICHT Musste nur was 20,0% 132,5% BERÜCKSICHTIGT auswählen“ Netzwerk, liquid church Die Initiative gibt es NICHT nicht mehr 49,5% 237,0% BERÜCKSICHTIGT (Item F6=3) Wenig ausgeprägtes Selbstverständnis als 46,0% 216,5% Gemeinde (F34=2) Netzwerk Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als 86,5% 323,5% 10 Gemeinde (F34=4) Gemeinde Gruppe, Netzwek, „Werkstattprojekt für Ziemlich ausgeprägtes Jugendliche mit Selbstverständnis als besonderem 50,0% 276,5% Gemeinde (F34=3) Erziehungsbedarf“ Netzwerk, Lebensgemeinschaft, 0,0% 0,0% ABBRUCH Glaubensgemeinschaft Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als 55,5% 252,5% Gemeinde (F34=3) Gruppe, Netzwerk Wählt als Selbstbesschreibung „Kirche“ > anderes Gemeindeverständni Kein Selbstverständnis 93,0% 315,5% 11 s? als Gemeinde (F34=1) „Kirche“ Kein Selbstverständnis Gruppe, 35,5% 193,5% als Gemeinde (F34=1) Glaubensgemeinschaft Wenig Selbstverständnis als Lebensgemeinschaft, 76,5% 284,0% Gemeinde (F34=2) Glaubensgemeinschaft Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde, Teil der 93,0% 332,5% 12 Gemeinde (F34=3) Kirche Netzwerk, Lebensgemeinschaft, 0,0% 0,0% ABBRUCH Gemeinde Item-Nonresponse Ziemlich ausgeprägtes bei F44 (Name der Selbstverständnis als 52,5% 208,5% Initiative) Gemeinde (F34=3) Gruppe Sehr ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde, Fresh X, Teil 83,0% 336,5% 13 Gemeinde (F34=4) der Kirche Glaubensgemeinschaft, Erprobungsraum, Teil 0,0% 0,0% ABBRUCH der Kirche Kein Selbstverständnis Gruppe, 63,0% 265,5% als Gemeinde (F34=1) „Gebetsinitiative“ Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als 96,5% 325,0% 14 Gemeinde (F34=3) Gemeinde Ekklesiologische Qualität über 300%, aber Up-Dimension Sehr ausgeprägtes nur zu 49,5% Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft, 49,5% 303,0% 15 ausgeprägt Gemeinde (F34=4) Fresh X Ziemlich ausgeprägtes Selbstverständnis als Gemeinde, 96,5% 341,0% 16 Gemeinde (F34=3) „Community“ „[...] recht breite Mischung aus [...] Aktionen und Projekten, die von Musikern, Autoren, Künstlern und Kein Selbstverständnis weiteren Aktiven selbst 43,0% 199,5% als Gemeinde (F34=1) gestaltet wird.“